Skip to main content

Full text of "Griechische Geschichte"

See other formats


Griechische 
Geschichte 


Ernst  Curtius 


fiPRINC 

L  - 


CETON  ÜNIVERSITY 
LIBRARY- 


irn.-in 


Na**. 


i 


*£3 


1$  *T 


 — —  V;-S?*T 


Digitized  by  Google 


Digitized  by  Google 


<A  '.V 

GRIECHISCHE 


G  E  SCHICHTE 


V03 


ERNST  CURTIUS. 


ZWEITER  BAND. 

BIS  ZUM  ESDB  DB8  PBLOPOKBB8I8CHBN  KRIEGS. 


SECHSTE  VERBESSERTE  AUFLAGE. 


MIT  BINEB  UEBKÄBICHTSKABTE  DES  ATTIBC1IK*  KÜS TESBEICHS. 


BERLIN, 

WEIDMÄNNSCHE  BUCHHANDLUNG. 

1888. 


Digitized  by  Google 


INHALT. 


DRITTES  BUCH. 
Bis  zum  Peloponnesischen  Kriege. 


I.  Seite 

Die  Freiheitskriege   3— 99 

IL 

Die  «ach,«.euJe   Macht  Athens   .    100 — IST 

IIL 

Die  Friedensjahre   188— 356 


VIERTES  DI  CH. 

Der  Peloponnesisohe  Krieg. 
L 


Per  KrieK  bis  zum  Tode  des  Perikles   369—423 


IL 

Der  Krieg  bis  zum  Frieden  des  Nikias  

  424-521 

VL 

Bit»  zum  Bode  des  Sicilischeo  Kriegs  

• 

\omerkaogen  zum  drittes  Boche  .... 

Nachträge    zum  dritten  und  vierteil  Buche  .... 

Zu  der  Karte  des  attischen  Seebundes  

....  SS6-ü^i> 

DRITTES  BÜCH. 


]JIS  ZUM  PELOPONXESISCIIEX  KRIEGE. 


Caritas,  Gr.  Ge»oh.  II.  6.  Aufl. 


1 


I. 


•    DIE  FREIHEITSKRIEGE. 


Der  Schiffbruch  am  Athos  konnte  nur  einen  kurzen  Stillstand  in 
dem  grossen  Völkerkampfe  zur  Folge  haben.  Der  schlechten  Jahres- 
zeit war  die  Flotte  erlegen,  und  so  weit  menschliche  Schuld  an 
dem  Unglücke  Theil  hatte,  Del  sie  auf  das  Haupt  des  Mardonios. 
Mit  unbegrenztem  Vertrauen  hatte  der  Grofskönig  den  jungen,  thaten- 
losen  Mann  an  die  Spitze  seiner  Seemacht  gestellt  und  gleichzeitig 
alle  früheren  Oberbefehlshaber  in  den  Küstenländern  am  ägäischen 
Meer  abgesetzt  (I,  630).  Mardonios  hatte  seine  Thätigkeit  mit  kecken 
Neuerungen  begonnen;  er  hatte  die  Anordnungen  des  Artaphernes 
umgestofsen,  die  Gewaltherrn  entfernt,  welche  unter  persischer  Ober- 
hoheit in  den  Städten  das  Regiment  führten,  und  den  Volksver- 
sammlungen die  Oerath ung  der  öffentlichen  Angelegenheiten  zurück- 
gegeben. Man  erkennt  in  ihm  einen  Mann,  welcher  sich  mit  kühnem 
Selbstgefühle  über  die  herkömmlichen  Grundsätze  persischer  Politik 
hinwegsetzte  und  als  ein  Staatsmann  von  freierem  Urteile  und 
weiterem  Blicke  auftreten  wollte.  Auch  wollte  er,  was  die  weitere 
Kriegsfübrung  betrifft,  nichts  von  Züchtigung  einzelner  Städte,  von 
Rückführung  einzelner  Emigrantenfamilien  wissen;  er  halte  nur  das 
ganze  Westland,  ganz  Europa  mit  seinen  blühenden  Städten  im  Auge; 
mit  dem  Feuer  eines  jugendlichen  Ehrgeizes  verfolgte  er  den  Ge- 
danken als  Statthalter  der  Achämeniden  jenseits  des  Meeres  ein 
griechisches  Reich  zu  beherrschen,  und  deshalb  war  er  so  ungeduldig 
vorgegangen,  um  noch  in  demselben  Jahre,  in  welchem  er  aus  dem 
Innern  Asiens  aufgebrochen  war,  seine  Winterquartiere  in  Nord- 

1* 


Digitized  by  Google 


1 


NEUER  KIUEGSPLAN. 


griechenland  zu  nehmen  und  seinem  Schwiegervater  die  Eroberung 
neuer  Landgehiele  jenseits  des  Meeres  melden  zu  können1). 

Nachdem  diese  Pläne  am  Athos  gescheitert  waren,  wendete 
sich  des  Königs  Gunst  wieder  den  Männern  zu,  welche  eine  so 
stürmische  und  weit  aussehende  Art  der  Kriegsführung  widerrathen 
hatten.  Unter  Einfluss  der  Pisistratiden,  welche,  von  ihren  alten 
Uofleuten  begleitet,  in  Sardes  wie  in  Susa  unablässig  thätig  waren, 
bildete  sich  ein  neuer  Kriegsplan,  welcher  zunächst  nur  Mittel- 
griechenland im  Auge  hatte.  Die  Bestrafung  von  Eretria  und  Athen, 
sagte  man,  sei  die  nächste  unabweisbare  Aufgabe;  die  Ausführung 
derselben  werde  durch  vielerlei  Umstände  erleichtert.  Mittelgriechen- 
land  sei  in  lauter  Kleinstaaten  zersplittert,  wo  vom  einem  erfolg- 
reichen Widerstande  nicht  die  Rede  sein  könne.  Alles  sei  in  Gäh- 
rung,  die  bedeutendsten  Städte  mit  einander  verfeindet,  Athen  mit 
Sparta,  Aigina  und  Theben  mit  Athen;  in  jeder  Stadlgemeinde 
könne  man  auf  Parteigänger  rechnen.  Zu  einem  Zuge  gegen  Athen 
habe  mau  an  llippias  den  besten  Wegweiser,  durch  ihn  den  wichti- 
gen Vortheil,  die  alte  Partei  desselben  für  sich  zu  gewinnen;  auch 
den  Spartanern  werde  es  nicht  unerwünscht  sein,  wenn  Hippias, 
dessen  Rückführung  ihnen  misslungcn  sei,  durch  persische  Truppen 
wieder  eingesetzt  werde,  um  die  widerspenstige  Stadt,  die  an  trotzi- 
gem Selbstgefühle  von  Jahr  zu  Jahr  zunehme,  als  Gewallherr  zu 
bändigen.  Durch  die  wehrlosen  Inselgruppen  hindurch  könne  man 
auf  kurzem  und  gefahrlosem  Wege  in  das  Herz  von  Griechenland 
vordringen  und  Athen  selbst  mit  seinen  fünfzig  Kriegsfahrzeugen  sei 
aufser  Stande,  die  Landung  der  Perser  abzuwehren. 

Nach  dem  Unglück  des  Mardouios  war  es  nicht  schwer,  die- 
sem neuen  Kriegsplane  die  Genehmigung  des  Grofskönigs  zu  ver- 
schaffen. Es  war  ein  Plan,  der  sich  von  allein  Mafslosen  ferne 
hielt  und  nur  das  Unerlässüche  in's  Auge  fasste.  Es  war  wesent- 
lich ein  attischer  Kriegszug,  wie  ihn  die  Ehre  der  Achämeniden 
und  die  persönlichen  Gelübde  des  Grofsherrn  verlangten.  So  wur- 
den ungesäumt  neue  Werbungen  angeordnet  und  im  ganzen  Küsten- 
lande die  Schiffswerften  in  Thätigkeit  gesetzt.  Dabei  wurde  nament- 
lich der  Bau  von  Transportschiffen  angeordnet,  um  Reiterei  über- 
führen zu  können.  Denn  man  kannte  durch  Hippias  die  schwache 
Seile  der  attischen  Kriegsmacht,  und  die  Pisistratiden  selbst  halten 
ja  mit  Hülfe  fremder  Reiterei  ihre  Gewaltherrschaft  gestützt. 


Digitized  by  Google 


ZÜCHTIGUNG  DER  THASIER  OL.  72,  1;  491. 


5 


Gleichzeitig  hatte  man  auf  die  Grenzgebiete  des  Reiches  ein 
wachsames  Auge  und  benutzte  die  nachbarliche  Eifersucht  der  grie- 
chischen Staaten,  um  sich  von  allen  gefährlichen  Bewegungen  in 
Renntniss  zu  setzen,  deren  man  nach  dem  erlittenen  Unglück  ge- 
wärtig sein  musste. 

Diese  Vorsicht  war  nicht  unnütz.  Denn  noch  in  demselben 
Jahre  oder  zu  Anfang  des  folgenden  wurden  die  Bürger  von  Thasos 
angegeben,  welche  von  den  umliegenden  Städten  längst  mit  neidi- 
schem Auge  angesehen  worden  waren.  Auf  diese  Insel  waren  um 
die  Zeit  des  Königs  Gyges  (Ol.  15;  720  v.  Chr.)  Ansiedler  aus 
Paros  eingewandert  und  hatten  hier  nach  vielem  Ungemach  und 
harten  Kämpfen  einen  Staat  gegründet,  welcher  sich  auf  das  nahe 
Festland  ausdehnte,  die  wilden  Thrakersliimme  daselbst  bewältigte 
oder  zurückdrängte,  und  in  den  Silber-  und  Goldgruben,  welche 
vor  Zeilen  die  Phönizier  eröffnet  hatten,  eine  Quelle  unerschöpf- 
lichen Reichthums  fand.  Die  Bergwerke  Thrakiens  und  die  der 
eigenen  Insel  warfen  so  viel  Gewinn  ab,  dass  der  kleine  Staat,  ohne 
die  bürgerlichen  Grundslücke  zu  besteuern,  mit  Einrechnung  der 
Zölle  und  anderer  Gefalle  ein  Einkommen  hatte,  welches  sich 
in  guten  Jahren  bis  auf  300  Talente  (472,000  Thaler)  belief. 
Noch  heute  giebt  die  Menge  alterlhümlicher  Silbermfinzen,  welche 
der  Insel  und  ihren  Pflanzorten  angehören,  ein  anschauliches 
Zeugniss  von  dem  damaligen  Reich thume  der  Thasier  und  von 
der  Ausbreitung  ihres  Handelsgebiets  auf  dem  thrakischen  Fest- 
lande*). 

Dabei  fehlte  es  ihnen  nicht  an  unternehmendem  Bürgersinne, 
um  ihre  außerordentlichen  Hülfsmittel  zu  würdigen  Zwecken  zu 
verwenden.  Schon  als  Histiaios  die  Insel  belagerte  (I,  629) ,  hatten 
sie  sich  Kriegsschiffe  gebaut  und  fassten  jetzt,  da  sie  aus  unmittel- 
barer Nähe  das  Unglück  der  grofsen  Armada  angesehen  halten, 
den  kühnen  Entschluss,  sich  vom  persischen  Reiche,  dem  sie  durch 
Mardonios  einverleibt  worden  waren,  wieder  los  zu  sagen  und  ein 
freies  Gemeinwesen  herzustellen. 

Die  Missgunst  der  Nachbarn  vereitelte  ihr  Bestreben.  Wahr- 
scheinlich waren  es  thrakische  Küstenstädte,  welche  aus  Eifer- 
sucht und  aus  Besorgniss  für  ihre  Unabhängigkeit  die  Absichten 
der  Thasier  verneinen  und  die  Perser  herbeiriefen,  deren  See- 
macht noch  stark  genug  war,  um  die  überraschten  Insulaner  ohne 


Digitized  by  Google 


SEEMACHT  DER  AE<;i>ETE.V 


Mühe  zu  entwaffnen.  Sie  mussten  ihre  Mauern  niederreifsen  und 
ihre  Schiffe  ausliefern,  welche  nach  Ahdera  gebracht  wurden.  Ali- 
dera  wurde  der  feste  Punkt  der  Persermacht  im  Norden  des  ägäi- 
schen  Meeres,  trefflich  gelegen,  um  in  Verbindung  mit  den  festen 
Plätzen  am  Hellesponte  die  thrakisch-makedonischen  Landschaften, 
welche  Mardonios  von  Neuem  unterworfen  hatte,  in  Botmäfsigkeit 
zu  erhalten,  das  metallreiche  Land,  am  Nestosflussc  auszubeuten 
und  die  umliegenden  Küstenstriche  zu  beobachten,  während  am 
anderen  Ende  des  Meers,  am  Fufse  des  Tauros,  der  neue  Angriff 
gegen  Hellas  vorbereitet  wurde. 

Dem  kriegerischen  Angrifle  gingen  friedliche  Maßregeln  voraus. 
Gewandte  Männer,  die  des  Königs  Vertrauen  besafsen,  wurden,  von 
Dolmetschern  begleitet,  zu  den  griechischen  Städten  gesendet;  sie 
hatten  den  Auftrag,  mit  Hinweisung  auf  die  nachfolgende  Flotte, 
Erde  und  Wasser,  die  Zeichen  der  Unterwerfung,  zu  fordern.  Sie 
fanden  bei  dem  Inselvolke  fast  überall  Gehör;  denn  die  Klein- 
staalen des  Archipelagus  hatten  ja  keine  Wahl,  da  sie  der  feind- 
lichen Ue  her  macht  schutzlos  preisgegeben  waren.  Ein  besonderes 
Augenmerk  aber  war  Aigina,  dessen  Bedeutung  man  durch  die 
Pisistratiden  kannte.  Den  Häfen  Athens  nahe  gegenüber  gelegen, 
konnte  dieser  Inselstaat  den  Absichten  der  Perser  in  vorzüglichem 
Grade  förderlich  sein.  Hier  knüpften  sich  darum  auch  an  die  Sendung 
der  königlichen  Bolen  sehr  folgenreiche  Ereignisse  an. 

Die  Aegineten  waren  auf  der  Höhe  ihrer  Macht  und  ihres 
Wohlstandes,  als  sie  Ol.  65,  2  (519)  die  samischen  Piraten  besiegt 
(I,  596)  und  Kydonia  besetzt  hatten;  mit  reicher  Beute  kehrten 
sie  aus  dem  kretischen  Meere  heim.  Sie  waren  nun  die  erste  See- 
macht im  Archipelagus.  Sie  hatten  Handelsplätze  in  Umbrien  wie 
am  schwarzen  Meere;  in  Aegypten  waren  sie  schon  vor  der  Zeit 
des  Amasis  angesiedelt,  und  ihre  Schiffsrheder,  wie  namentlich  So- 
stratos,  galten  für  die  reichsten  Grofshändler  der  griechischen  Welt. 
Keine  Art  des  Verdienstes  wurde  verschmäht.  Aller  Orten  waren 
Aegineten  zu  Gnden  hausirend  mit  Erzgerälhen,  Thongeschirr,  Sal- 
ben und  anderen  Dingen,  welche  in  grofsen  Fabriken  bei  ihnen  ge- 
macht wurden.  In  Kriegszeiten  zogen  sie  den  Heeren  nach,  um 
auch  hier  Geschäfte  zu  machen  und  kostbare  Beutestücke  den  un- 
kundigen Kriegern  abzuhandeln.  Grundbedingung  ihres  Wohlstan- 
des war  ein  freier  Verkehr;  darum  war  ihre  Insel  auch  durch 


Digitized  by  Google 


AIGIKA   UND  ATHEN. 


7 


Gastlichkeit  berühmt  und  allen  Fremden  offen.  Dabei  waren  die 
höheren  Richtungen  des  hellenischen  Geistes  keineswegs  zurückge- 
drängt. Auf  der  Insel  der  Aeakiden  blühte  achäische  Gesangliebe; 
die  Gymnastik  erhielt  in  den  edlen  Geschlechtern  angestammte 
Tüchtigkeit  und  hochherzige  Gesinnung  wie  Pindar,  der  begeisterte 
Freund  Aiginas,  sie  in  seinen  Liedern  gefeiert  hat.  Nirgends  waren 
die  Erzgiefser  geschickter,  die  Sieger  in  lebensvoller  Wahrheit 
darzustellen,  und  als  ein  denkwürdiges  Zeugniss  äginelischer  Bau- 
kunst stehen  noch  heute  auf  dem  gegen  Attika  vorspringenden 
Höhenzuge  die  Ueberreste  des  Athenatempels;  es  ist  ohne  Zweifel 
derselbe  Tempel,  an  welchem  die  Aegineten  die  Schiffsschnäbel 
aufhingen,  als  sie  nach  Besiegung  der  Samier  aus  dem  kretischen 
Meere  heimkehrten. 

Jetzt  traten  sie  immer  kecker  im  saronischen  Golfe  auf  und 
immer  gespannter  wurde  ihr  Verhältniss  zu  Athen.  Die  ersten 
Feindseligkeiten,  von  denen  wir  Kunde  haben,  gehören  in  die  Zeit 
des  Peisislratos;  eine  Tochter  des  Tyrannen  wurde  von  aigineli- 
schen  Kapern  aufgefangen.  Es  war  keine  Fehde  gegen  die  Tyran- 
nenfamilie, sondern  gegen  die  Stadt  der  Athener,  weil  man  den 
zunehmenden  Schiffsbau  im  Phaleros  und  die  überseeischen  Ver- 
bindungen mit  Delos,  Naxos  und  Sigeion  argwöhnisch  ansah.  Als 
daher  in  Folge  des  Tyrannensturzes  die  griechischen  Staaten  sich 
in  zwei  Parteien  trennten,  schloss  Aigina  mit  Theben  ein  enges 
Bündniss,  welches  von  Delphi  aus  begünstigt  wurde.  Die  regie- 
renden Geschlechter  in  Aigina  hatten  aber  um  so  mehr  Grund,  der 
attischen  Volksherrschaft  feind  zu  sein,  weil  auf  der  Insel  selbst 
eine  demokratische  Partei  bestand  unter  der  Führung  des  Nikodro- 
raos,  welche  es  heimlich  mit  den  Athenern  hielt  und  die  Privile- 
gien der  Geschlechter  bekämpfte.  Gegen  Theben  konnte  Athen 
seine  Gebirgspässe  hüten;  aber  wie  viel  schwerer  war  es,  die  lang- 
gestreckte Küste  gegen  die  Ueberfälle  der  Insulaner  zu  verwahren! 
Zu  einer  gründlichen  Entscheidung  fehlten  auf  beiden  Seiten  die 
Mittel»). 

So  lagen  sich  die  mittelgriechischen  Staaten  in  lauernder  Er- 
bitterung gegenüber,  als  die  Boten  des  Königs  Dareios  nach  Hellas 
kamen.  Ist  es  ein  Wunder,  wenn  die  nationalen  Gesichtspunkte 
vor  dem  ParteisUndpunkte  der  verfeindeten  Staaten  zurücktraten? 
Aigina  wie  Theben  suchten  Hülfe  gegen  Athen,  das  mit  Plataiai 


Digitized  by  Google 


8 


ATHEN  UND  SPARTA  VERBINDEN  SICH. 


und  Korinlh  zusammen  hielt,  und  nun  erbot  sich  der  erbittertste  und 
mächtigste  Feind  der  Athener  ungesucht  als  Bundesgenosse  dar, 
derselbe  König,  dessen  Hülfe  die  Athener  selbst  vor  nicht  langer 
Zeit  (I,  384)  gegen  ihre  Feinde  in  Anspruch  genommen  hatten; 
ein  Dundesgenosse,  welcher  die  gröfslen  Vortheile  bot,  ohne  Opfer 
zu  verlangen.  Die  phönikisch  -  persische  Flotte  beherrschte  das 
Meer.  Wurden  die  Aegineten  als  Feinde  betrachtet,  so  waren  ihre 
Schiffe  von  Kleinasien,  vom  Tonlos,  von  Tyrien  und  Aegypten  ab- 
gesperrt und  die  übervölkerte  Insel  mit  dem  Verfalle  ihres  Wohl- 
standes bedroht,  noch  ehe  die  eigentliche  Kriegsnoth  eintrat.  Diese 
Erwägungen  entschieden,  und  trotz  ihres  Dienstes  des  pan- 
hellenischen Zeus,  trotz  der  glorreichen  Erinnerungen  aus  der 
Vorzeil,  wo  die  Heroen  aus  dem  Stamme  des  Aiakos,  Telamon 
und  Achilleus  die  Vorkämpfer  der  Hellenen  gegen  die  Barbaren 
gewesen  waren,  wie  es  in  den  Giebelfeldern  des  Alhenatempels  die 
äginetischen  Künstler  dargestellt  hatten,  huldigten  die  Aegineten  dem 
Perserkönige. 

Kaum  hatten  die  Athener  sichere  Kunde  von  diesem  Be- 
schlüsse, so  schickten  sie  eilig  nach  Sparta,  um  das  Geschehene 
zu  melden  und  in  Folge  dessen  zu  gemeinsamen  Mafsregeln  auf- 
zufordern. Es  war  dies  ein  Schritt  von  grofser  Wichtigkeit.  Denn 
nachdem  AÜien  alle  Einmischung  Sparlas  in  seine  Verhältnisse 
siegreich  zurückgewiesen,  seit  es  in  der  ionischen  Sache  eine 
durchaus  eigene  und  freie  Politik  befolgt  hatte,  gab  es  zwei  Grofs- 
staaten  in  Griechenland,  deren  Verhältniss  zu  einander  durch  keine 
Uebcreinkunft  oder  rechtliche  Bestimmung  geordnet  war.  Jetzt  er- 
kannte Athen  die  Notwendigkeit,  sich  Sparta  zu  nähern  und  eine 
Verbindung  zu  Stande  zu  bringen,  welclie  fähig  war,  eine  nationale 
Bedeutung  zu  gewinnen.  Athen  machte  Zugeständnisse,  um  seinen 
Zweck  zu  erreichen.  Es  erkannte  ohne  Rückhalt  die  vorörtliclie 
Stellung  Spartas  an,  und  um  nicht  blos  die  eigene  Gefahr  als 
Veranlassung  zur  Bundeshülfe  geltend  zu  machen,  erneuerte  es  die 
Erinnerungen  der  urallen  Verbrüderung,  welche  unter  allen  Helle- 
nen bestehe,  und  der  daraus  erwachsenden  Verpflichtungen.  Athen 
verklagte  also  die  Aegineten  als  Verräther  des  Vaterlandes  und  for- 
derte die  Spartaner  auf,  im  Namen  der  hellenischen  Gesamtheit 
die  Abtrünnigen  sofort  zu  bestrafen,  um  einem  weiteren  Abfalle 
vorzubeugen.    Es  war  also  diese  Gesandtschaft  der  Anfang  einer 


Digitized  by  Google 


KI.COM E> ES  VXD  DEMARATOS. 


nationalen  Vereinigung  gegen  die  Perser  und  alle  persisch  gesinn- 
ten Volksgemeinden  in  Hellas. 

Noch  war  Kleomenes  König  in  Sparta,  ein  König,  welcher 
trotz  aller  Missgriffe  und  Missgeschicke  immer  noch  mehr  persön- 
lichen EinQuss  halte  als  man  sonst  den  Herakliden  einzuräumen 
pflegte.  Für  seinen  Ehrgeiz  musste  ein  Krieg  gegen  die  Perser 
unter  Heerführung  eines  spartanischen  Königs  die  glänzendste  Aus- 
sicht sein.  Denn  als  die  skythischen  Gesandten  in  Sparta  Hülfe 
gegen  Dareios  suchten,  hatte  er  bei  gemeinschaftlichen  Trinkgelagen 
die  kühnsten  Feldzugspläne  mit  ihnen  verabredet  (1 ,  613).  Sparlas 
Herrschaft  über  Mittelgriechenland  auszudehnen,  war  ja  seit  lange 
das  leidenschaftliche  Streben  des  Mannes  gewesen.  Nun  kamen 
die  Athener  selbst  den  Spartanern  entgegen.  Es  ist  daher  nicht 
zu  bezweifeln,  das  Kleomenes  die  Gesandten  auf  alle  Weise  unter- 
stützte. Seine  Persönlichkeit  erleichterte  es  ihnen,  das  zu  errei- 
chen, worauf  ihnen  zunächst  Alles  ankam,  nämlich  Sparta  in  eine 
entschiedene  Parteistellung  hineinzudrängen,  aus  welcher  es  nicht 
wieder  zurücktreten  konnte.  In  Sparta  wie  in  Athen  wurden  die 
Abgeordneten  des  Grofskönigs  getödtet;  ein  Verfahren,  das  kaum 
anders  erklart  werden  kann,  als  wenn  man  annimmt,  dass  sie  auf 
Versuchen,  die  Bürger  zu  bestechen,  betroffen  wurden.  Bei  dieser 
Stimmung  fand  auch  die  Klage  der  Athener  wider  Aigina  geneigtes 
Gehör,  und  so  entschieden  auch  die  Gemäfsigten  mit  Demaratos, 
Aristons  Sohne,  an  ihrer  Spitze,  den  verwegenen  Entwürfen  des 
Kleomenes  entgegentraten,  so  wusste  dieser,  auf  eine  mächtige 
Partei  gestützt,  dennoch  durchzudringen.  Er  hatte  in  Argos  neuen 
Kriegsruhm  gewonnen  (I,  370);  er  hatte  alle  Anfechtungen,  welche 
dem  Feldzuge  folgten,  glücklich  überwunden,  und  die  Demüthi- 
gung  der  Aegineten,  welche  nur  gezwungen  gegen  Argos  Heeres- 
folge  geleistet  hatten,  musste  ihm  als  die  Vollendung  seiner  letz- 
ten Kriegsthaten  erscheinen4). 

Er  ging  selbst  nach  Aigina,  dem  Eindruck  seiner  Persönlich- 
keit und  seiner  Würde  vertrauend.  Die  Aegineten  aber  waren 
schlau  genug,  sich  auf  die  Sache  gar  nicht  einzulassen.  Sie  stell- 
ten seine  Vollmacht  in  Frage,  und,  mit  dem  Zwiespalte,  der  in 
Sparta  herrschte,  wohl  bekannt,  verlangten  sie  bei  einer  so  wich- 
tigen Sendung  die  Anwesenheit  beider  Könige.  Kleomenes  hatte 
für  den  Augenblick  keine  Macht,  um  durchzugreifen.    Er  kehrte 


Digitized  by  Google 


1 

10 


KÖMG  KLEOME.NES. 


heim,  aber  mit  dem  festen  Entschlüsse,  seinen  Willen  um  jeden 
Preis  durchzusetzen,  und  dazu  war  der  Sturz  seines  Amtsgenossen 
die  nothwendige  Bedingung.  Er  verband  sich  daher  mit  Leotychi- 
des,  dem  Anverwandten  und  erbittertsten  Feinde  Demarats,  und  es 
gelang  ihnen,  das  Thronrecht  desselben  als  zweifelhaft  darzustellen. 
Die  delphische  Priesterschaft  wurde  durch  das  Gold  des  Kleomenes 
gewonnen,  Pythia  erklärte  Demaratos  für  einen  unechten  Sohn 
Aristons;  er  wurde  entsetzt  und  nachdem  er  von  dem  Volke,  das 
ihm  anhänglich  blieb,  noch  zu  einem  öffentlichen  Amte  berufen 
war,  verliefs  zuletzt  der  schwer  gekränkte  Fürst  heimlich  seine 
Vaterstadt  und  ging  als  Flüchtling,  von  den  Behörden  verfolgt, 
über  Elis  nach  Zakynthos,  von  Zakynthos  nach  Asien  in  das  feind- 
liche Heerlager  (Ol.  72,  1  oder  2;  492/1).  In  Sparta  aber  trat 
Leotychides,  das  Haupt  der  jüngeren  Linie  der  Prokliden,  an 
seine  Stelle. 

Kleomenes  glaubte  sich  am  Ziele  seiner  Wünsche;  denn  der 
neue  Mitkönig  war  ihm  natürlich  in  Allem  zu  Willen.  Triumphi- 
rend  kehrte  er  daher  mit  ihm  zu  den  Aegineten  zurück,  um  sie 
im  Namen  des  peloponnesischen  Bundeshauptes  für  ihren  Abfall 
zu  strafen.  Zehn  Männer  der  reichsten  und  edelsten  Häuser  wur- 
den als  Geisein  genommen  und  nicht  nach  Sparta  gebracht,  son- 
dern den  Athenern  in  Verwahrsam  gegeben.  Das  war  ein  neuer 
Gewallstreich  des  Königs;  es  war  die  empfindlichste  Rache,  welche 
er  für  seine  Person  an  den  Aegineten  nehmen  konnte.  Indessen 
genoss  er  selbst  nur  kurze  Zeit  die  Freude  der  ihm  gewordenen 
Genugthuung,  denn  es  wurde  bekannt,  welche  Mittel  er  zu  seinen 
selbstsüchtigen  Zwecken  angewendet  habe.  Kleomenes  wurde  flüch- 
tig. Er  ging  nach  Thessalien,  um  dort  Unruhen  zu  erregen,  in 
denen  er  für  seinen  Ehrgeiz  Befriedigung  suchte.  Dann  finden 
wir  ihn  mitten  in  Arkadien.  In  den  aroanischen  Gebirgen,  wo 
von  jäher  Felswand  das  Slyxwasser  heruntertrieft,  bei  Nonakris, 
einem  heiligen  Platze  eidgenössischer  Zusammenkünfte,  beruft  er 
die  Vorstände  der  umwohnenden  Gemeinden,  stellt  ihnen  ihre  un- 
würdige Lage  den  Spartanern  gegenüber  vor  Augen  und  sucht 
sich  hier  eine  Macht  zu  bilden,  um  sich  an  der  eigenen  Vaterstadt 
zu  rächen.  In  Sparta  erweckten  diese  Umtriebe  die  höchste  Be- 
sorgniss,  denn  nach  dem  offenen  Bruche  mit  Persien  konnte  nichts 
Gefahrlicheres  erfolgen  als  der  Abfall  der   arkadischen  Kantone 


Digitized  by  Google 


ENDE  DES  KLEOMUNES. 


11 


kleomenes  wird  also  zurückgerufen,  er  wird  in  alle  Ehren  einge- 
setzt —  aber  wie  kehrt  er  heim?  Verwildert  durch  sein  unstales 
Leben,  zerrissen  von  wuster  Leidenschaft  und  den  Qualen  einer 
ungesättigten  Ehrsucht,  schuldbeladen,  durch  sinnliche  Ausschwei- 
fung geistig  und  körperlich  zerrüttet.  Dieser  Zustand  ging  in  Tob- 
sucht über.  Der  König  Spartas  musste  gebunden  und  von  seinen 
Heloten  bewacht  werden;  endlich  starb  er  von  eigener  Hand  den 
schauerlichsten  Tod. 

So  erzählt  Herodot  den  Untergang  dieses  merkwürdigen  Man- 
nes, dessen  großartig  angelegte  Natur  in  frevelhafte  Selbstsucht 
und  ungezähmte  Wildheit  ausgeartet  war.  Die  Umstände  seines 
Todes  wurden  nicht  bezweifelt,  und  Alle  erkannten  darin  ein  gött- 
liches Gericht  Den  Grund  desselben  aber  fanden  die  Athener  in 
der  Verheerung  des  eleusinischen  Tempelgebiets ,  welche  er  sich  bei 
seinem  attischen  Kriegszuge  habe  zu  Schulden  kommen  lassen,  die 
Argiver  in  der  Niedermetzelung  ihrer  Landsleute,  die  sich  in  den 
Schutz  der  Hera  geflüchtet  hatten;  den  meisten  Hellenen  aber  er- 
schien die  Bestechung  der  Pythia  als  sein  gröfster  Frevel  und  als 
die  eigentliche  Ursache  des  göttlichen  Gerichts,  welches  die  ganze 
griechische  Welt  mit  Entsetzen  erfüllte. 

Nach  dem  Ende  des  Kleomenes  suchte  Sparta  einzulenken  und 
das  gewaltlhätige  Verfahren  durch  versöhnliche  Mafsregeln  wieder 
gut  zu  machen.  Man  erkannte  das  Unrecht,  das  den  Aegineten 
geschehen  war,  offen  an.  Der  eigene  König,  Leotychides,  wurde 
ihnen  als  Mitschuldiger  des  Kleomenes  ausgeliefert.  Die  Aegineten 
schickten  ihn  nach  Athen,  um  durch  ihn  die  Rückgabe  der  Geiseln 
zu  erwirken;  aber  die  Athener  hüteten  sich  wohl,  auf  dies  Ansin- 
nen einzugehen,  und  den  Vortheil,  welcher  ihnen  durch  einen 
seltsamen  Glücksfall  in  die  Hände  gespielt  war,  gutmüthig  wieder 
preis  zu  geben.  So  lange  sie  die  Männer  von  Aigina,  welche  zu- 
gleich die  Führer  der  medischen  Partei  daselbst  waren,  in  Ge- 
wahrsam hatten,  waren  die  Aegineten  in  ihren  politischen  Mafs- 
nahmen  gehemmt  und  aufser  Stande,  die  Feinde  Athens  offen  und 
nachdrücklich  so  zu  unterstützen,  wie  diese  es  ohne  Zweifel  er- 
wartet hatten*). 

Inzwischen  waren  die  Rüstungen  der  Perser,  die  mit  grofser 
Energie  während  des  Jahres  Ol.  72,  2  (491)  betrieben  worden 
waren,  vollendet.    Sechshundert  Trieren  sammelten  sich  an  der 


Digitized  by  Google 


12 


KKIEGSZUG  DES  DATIS  Ü>'D  ARTAPHER3ES  (72,  3;  400). 


kilikischen  Küste  und  die  grofsen  Transportschiffe  waren  bereit, 
Ross  und  Reiter  aufzunehmen.  Arlaphernes,  der  Sohn  des  gordi- 
schen Statthalters,  welcher  in  Kleinasien,  und  Dalis  der  Metler, 
welcher  in  den  oberen  Provinzen  ein  stattliches  Heervolk  zusammen 
gebracht  hatte,  erhielten  gemeinschaftlich  den  Oberbefehl.  Dalis 
war  der  Aeltere  und  Vornehmere.  Nachdem  sie  in  Susa  die  letzten 
Aufträge  des  Grofskönigs  empfangen  hatten,  welcher  ihnen  vor 
Allem  die  Züchtigung  von  Eretria  und  Athen  wegen  ihrer  Relhei- 
ligung  am  ionischen  Aufstande,  die  Unterwerfung  der  widerspensti- 
gen Inselstaaten  und  die  Einsetzung  der  Pisistraliden  zur  Aufgabe 
stellte,  gingen  sie  im  Frühjahre  Ol.  72,  2,  (490)  in  See.  Was  die 
Gesamtzahl  der  eingeschifften  Truppen  betrifft,  so  giebt  die  nie- 
drigste Zählung  100,000  Mann  Fufsvolk  und  10,000  Mann  Heiter 
an.  Ruderer  und  Malrosen  konnten  als  Leichtbewaffnete  verwendet 
werden0). 

Die  Flotte  fuhr  vom  issischen  Meerbusen  aus  gegen  Abend 
und  dann  an  der  Küste  von  Karien  und  lonien  hinauf,  als  wolle 
sie  wieder  nach  dem  Helles ponte  ihre  Richtung  nehmen.  Auf  der 
Höhe  von  Samos  aber  wendete  sie  sich  und  steuerte  auf  Naxos  zu, 
das  erste  Ziel  der  Rache.  Denn  die  kühnen  Insulaner  hatten  es 
verschmäht,  durch  Unterwerfung  der  Kriegsnolh  zu  entgehen.  Die 
Stadt  wurde  mit  allen  ihren  Heiligthümern  niedergebrannt,  und 
was  sich  nicht  auf  das  Gebirge  gerettet  hatte,  wurde  verknechtet. 
Nachdem  von  hier  die  erste  Siegesbotschaft  nach  Susa  abgegangen 
war,  zog  die  Flotte  weiter  und  ankerte  auf  der  Rhede  von  Delos. 
Hier  aber  erschien  sie  nicht  als  feindliche  Kriegsmacht;  vielmehr 
wurde  mit  einem  prachtvollen  Opfer  den  Gottheiten  der  Insel  eine 
grofsartige  Huldigung  dargebracht.  Alle  Welt  sollte  sehen,  dass 
es  dem  Perserkönige  nicht  in  den  Sinn  komme,  die  hellenischen 
Nationalgötter  ihrer  Ehren  zu  berauben;  die  alten  Feste,  welche 
die  beiden  Gestade  verbanden,  sollten  mit  neuem  Glänze  wieder 
hergestellt  werden.  So  bezeichneten  die  Perser  durch  zwei  wirk- 
same Beispiele  der  Strenge  und  der  Milde  ihren  Eintritt  in  das 
Cykladenmeer,  indem  sie  zugleich  von  allen  umliegenden  Inseln 
Fahrzeuge,  Mannschaft,  Geiseln  und  Proviant  mitnahmen.  Sie 
nahmen  dann  ihre  Richtung  auf  die  beiden  hochragenden  Spitzen 
des  Ocha  in  Euboia.  Karystos,  hart  am  Fufse  des  Gebirges  gele- 
gen, mit  seinem  durch  Felsenriffe  geschützten  Hafen,  musste  mit 


Digitized  by  Google 


DIE  PERSEK  l.N  EUBOIA. 


13 


Gewalt  genommen  werden,  damit  die  Flotte,  ohne  Feinde  im  Rücken 
zu  lassen,  in  den  Euripos  einlaufen  und  ihrem  Hauptziele  sich 
□ähern  könne. 

Erelria  und  Athen  standen  in  Trutz-  und  Schutzbündniss  mit 
einander.  Die  Eretrieer  hatten  ihre  Schätze  den  Athenern  in  Ver- 
wahrung gegeben,  und  die  attischen  Bürger,  welche  in  Chalkis 
wohnten  (I,  3S7),  waren  mit  denen  von  Eretria  vereinigt.  Als 
sich  nun  aber  in  der  Küstenebene  die  persische  Heeresmacht  ent- 
faltete, schien  jeder  Widerstand  im  offenen  Felde  unmöglich.  Die 
attischen  Bundesgenossen  zogen  ab,  während  sich  die  Bürger  hinter 
ihre  festen  Mauern  zurückzogen.  Sechs  Tage  lang  wurde  vergeb- 
lich gestürmt,  und  eine  Menge  von  Leichen  umringte  die  tapfere 
Stadt,  als  sich  ein  leichlerer  Weg  der  Eroberung  zeigte.  Die  Perser 
fanden  Freunde  unter  den  vornehmen  Kreisen  der  Bürgerschaft. 
Verrath  öffuete  die  Thore,  und  so  wurde  auch  die  zweite  Stadt, 
deren  Züchtigung  den  Flotten führern  aufgegeben  war,  nach  kurzem 
Aufenthalt  in  Trümmer  verwandelt  und  ihre  Bürgerschaft  geknechtet. 
Warum  sollte  es  nicht  auch  mit  der  dritten  gelingen,  deren  Gestade 
nahe  gegenüber  lag? 

Es  war  natürlich,  dass  die  Perser  sich  nach  dem  nächsten 
Landungsplatze  umsahen  und  zu  nichts  weniger  Lust  hatten,  als 
mit  ihren  überladenen  Fahrzeugen  die  langgezogenen  und  klippen- 
reichen Küsten  der  attischen  Halbinsel  zu  umschiffen.  Drüben 
war  die  Anfahrt  leicht  und  ohne  Gefahr,  namentlich  für  die  Aus- 
schiffung der  Reiterei.  Drüben  sah  man  endlich  einmal  wieder 
frische  Wiesengründe,  wo  man  die  Pferde  grasen  lassen  konnte. 
Freilich  konnte  man  gellend  machen,  dass  es  vernünftiger  wäre, 
unmittelbar  auf  Athen  loszugehen,  damit  die  erste  Schlacht  gleich 
eine  entscheidende  sei;  indessen  dachte  wohl  niemand  an  eine 
Feldschlacht  fern  von  Athen;  man  glaubte  nicht  anders,  als  dass 
die  Athener  sich  ängstlich  zurückhalten  und  auf  die  Verteidigung 
ihrer  Ringmauer  beschränken  würden,  und  alle  weiteren  Bedenk- 
lichkeiten schwanden,  als  man  von  Hippias  hurte,  dass  die  gegen- 
überliegende Küstenebene  für  Benutzung  der  Reiterei  das  günstigste 
Local  in  ganz  Attika  wäre.  Von  hier  könne  das  Heer  an  der  See- 
meile auf  bequemen  Wegen  gegen  die  Hauptstadt  vorrücken,  hier 
komme  man  mitten  in  das  Gebiet  der  Diakrier,  welche  noch  aus 
aller  Zeit  dem  Hause  des  Peisistratos  zugethan  seien  (I,  342.  349); 


Digitized  by  Google 


14 


ATHEN  UND  SEINE  STAATSMÄNNER. 


hier  werde  es  an  Zuzug  und  Unterstützung  aller  Art  nicht  fehlen, 
während  den  Athenern  die  Zufuhr  aus  Euboia  abgeschnitten  werde. 
Diese  Erwägungen  waren  entscheidend;  die  Perser  verliefsen  die 
rauchende  Stätte  von  Eretria  und  ruderten  auf  stillem  Fahrwasser 
in  wenig  Stunden  nach  dem  jenseitigen  Ufer  des  Canals  hinüber, 
wo  die  weite,  grüne  Ebene  von  Marathon  sich  vor  ihnen  öffnete  und 
sie  in  ihre  kreisrunde  Bucht  aufnahm7). 

Land  und  Küste  waren  freilich  dieselben  geblieben,  seit  Hip- 
pias  Athen  verlassen  hatte,  aber  Athen  war  inzwischen  eine  andere 
Stadt  geworden.  Es  gab  keine  Paralier  und  Diakrier  mehr,  wie 
der  Sohn  des  Peisistratos  wähnte.  In  den  Jahren  der  Freiheits- 
kämpfe und  der  heifsen  Fehden  gegen  die  Missgunst  der  Nachbar- 
staaten war  Stadt  und  Land  zu  einem  Ganzen  verschmolzen,  das 
keinen  anderen  Mittelpunkt  hatte  als  den  Markt  und  das  Rathhaus 
von  Athen.  An  Parteien  fehlte  es  nicht,  aber  der  Gedanke  an 
Landesverrath  durfte  nicht  laut  werden;  denn  die  Neigungen  aller 
besseren  Bürger  trafen  in  einem  edlen  Patriotismus  zusammen. 
Man  wusste  vor  allem,  was  man  nicht  wollte,  keinen  Rückschritt, 
kein  Fremdjoch,  keine  unwürdige  Nachgiebigkeit;  man  war  bereit 
zu  Opfern  und  Anstrengungen,  man  fühlte,  dass  es  mehr  als  je 
auf  einheitliches  Handeln  ankomme,  und  war  deshalb  willig  den 
Männern,  welche  sich  im  öffentlichen  Leben  als  die  Besten  erwie- 
sen hatten,  volles  Vertrauen  zu  schenken.  Zum  Glück  für  Athen 
fehlte  es  nicht  an  solchen  Bürgern,  welche  bei  den  drohenden  Ge- 
fahren das  Vertrauen  der  Gemeinde  verdienten. 

Während  der  letzten  Zeit  der  Tyrannen  waren,  wie  Plutarch 
erzählt,  zwei  Knaben  in  Athen  neben  einander  aufgewachsen,  die 
Söhne  des  Lysimachos  und  des  Neokles;  beide  durch  vielverspre- 
chende Anlagen  frühzeitig  ein  Gegenstand  allgemeiner  Aufmerksam- 
keit, welche  sich  dadurch  noch  steigerte,  dass  man  von  Jahr  zu 
Jahr  eine  immer  gröfsere  Verschiedenheit  zwischen  ihnen  hervor- 
treten sah.  Des  Lysimachos  Sohn  war  Aristeides.  Was  ihn  aus- 
zeichnete, war  ein  lebendiger  Sinn  für  Ordnung  und  Recht,  ein 
zartes  Gewissen,  eine  tiefe  sittliche  Scheu  vor  allem  Gesetzwidrigen, 
ein  angeborener  Hass  gegen  jede  Unwahrheit  und  Unredlichkeit. 
Er  wuchs  in  die  schöne  Jngendzeit  attischer  Volksfreiheit  hinein; 
er  nahm  als  Freund  des  Kieisthenes  schon  thäligen  Antheil  an 
ihrer  Begründung,  und  Niemand  hat  den  Beruf  Athens,  freie  Be- 


Digitized  by  Google 


AR1STEIDES  U>D  THEMISTOKLES. 


15 


wegung  der  Geister  mit  gesetzlicher  Zucht  zu  verbinden,  tiefer  und 
lebendiger  aufgefasst.  Einfach,  lauter  und  offenherzig,  wie  er  war, 
erwarb  er  sich  frühzeitig,  ohne  danach  zu  trachten,  Vertrauen  und 
Einfluss;  man  sah  und  liebte  in  ihm  das  Musterbild  eines  jungen 
Atheners,  man  wussle,  dass  er  nichts  für  sich,  Alles  für  die  Vater- 
stadt wollte.  m 

Themistokles,  des  Neokles  Sohn,  war  um  einige  Jahre  jünger. 
Er  hatte  von  Natur  ein  leidenschaftliches  Gemüth,  welches  eine 
friedliche  und  harmonische  Entwickelung  unmöglich  machte;  heftig 
und  eigenwillig  widerstrebte  er  jeder  Leitung;  ungezähmt  schössen 
seine  Neigungen  auf,  man  wusste  nicht,  ob  man  von  ihm  mehr 
fürchten  oder  hofTen  sollte.  Von  Vaters  Seite  gehörte  er  zu  dem 
alt-attischen  Stamme  der  Lykoraiden;  er  war  aber  nicht  vollbürtig, 
sondern  einer  fremden,  thrakischen  oder  karischen  Mutter  Sohn, 
and  darum  durfte  er  auch  nicht  in  den  Ringschulen  der  Akademie 
und  des  Lykeion  an  den  Hebungen  der  Jugend  Theil  nehmen. 
Dieser  Makel  der  Geburt  trug  aber  nur  dazu  bei,  den  Knaben 
um  so  trotziger  zu  machen;  er  wollte  um  so  mehr  persönlicher 
Auszeichnung  Alles  verdanken.  Dazu  hatte  ihn  aber  die  Natur  in 
seltener  Weise  befähigt,  denn  er  war  an  hellem  Verstände,  an 
Scharfblick,  an  rascher  und  treffender  Urteilskraft  allen  Altersge- 
nossen überlegen.  Schon  als  Knabe  war  er  über  seine  Jahre  reif 
und  selbstbewusst,  früh  gewöhnt,  auf  bestimmte  Ziele  alle  Kräfte 
hinzulenken,  und  wenn  die  Anderen  nur  spielten,  suchte  er  Ge- 
legenheit, vorkommende  Streitpunkte  mit  dem  Ernste  eines  Sach- 
verwalters und  Volksredners  zu  behandeln.  Beim  Unterrichte  zeigte 
er  wenig  Eifer  für  Poesie  und  Musik,  um  so  mehr  für  alle  Künste, 
welche  ihm  persönlichen  Einfluss  auf  die  Mitbürger  versprachen. 
Seiner  Ueberlegenheit  bewusst,  gewöhnte  er  sich  früh  mit  keckem 
Selbstgefühle  aufzutreten,  und  solche  Unternehmungen,  deren 
Schwierigkeiten  alle  Anderen  zurückschreckte,  hatten  für  seinen  an 
Rath  und  Erfindung  unerschöpflichen  Geist  nur  einen  um  so  gröfse- 
ren  Reiz8). 

Ein  grofser  Schauplatz  war  der  attischen  Jugend  geöffnet,  mit 
welcher  Aristeides  und  Themistokles  heranwuchsen,  ein  freies  Feld 
gemeinnütziger  Thäligkeit.  Denn  seit  es  keine  Familien  mehr  gab, 
welche  ein  erbliches  Anrecht  auf  Herrschaft  und  politischen  Ein- 
fluss hatten,  mussten  aus  der  Bürgerschaft  selbst  die  Männer  her- 


Digitized  by  Google 


16 


PARTEI  BILDUNG  IN  ATHEN. 


vortreten,  deren  Athen  bedurfte,  um  seine  hohe  und  schwierige 
Aufgabe  zu  lösen,  Männer,  welche  mit  überlegenem  Verstände  die 
Lage  der  Dinge  erkannten  und  die  richtigen  Gesichtspunkte  der 
öffentlichen  Verwaltung  aufstellten,  um  im  Innern  den  Ausbau  der 
Verfassung  zu  vollenden  und  nach  aufsen  die  Selbständigkeit  und 
Machtstellung  der  Stadt  zu  sichern.  An  Gelegenheil  sich  auszu- 
zeichnen fehlte  es  nicht.  Das  Wort  war  frei.  Jeder  Athener 
konnte  in  der  versammelten  Burgerschaft  auftreten,  um  seine  Mei- 
nung zur  Gellung  zu  bringen  und  einen  bestimmenden  Einfluss  zu 
gewinnen.  Indessen  war  dies,  wenigstens  für  die  Dauer,  auch  den 
begabtesten  und  beredtesten  Menschen  unmöglich,  wenn  sie  verein- 
zelt dastanden.  Sie  musslen  sich  also  mit  Anderen  verbinden, 
welche  sie  für  ihre  Ideen  empfanglich  fanden.  So  bildeten  sich 
Genossenschaften,  erst  engere,  dann  weitere  Kreise,  deren  Mitglie- 
der sich  verpflichteten,  gewisse  politische  Richtungen  zu  vertreten, 
sich  dabei  nach  gemeinsamem  Plane  zu  unterstützen  und  die  Ent- 
schlüsse der  Bürgerschaft  zu  leiten.  Das  waren  die  politischen 
Vereine  oder  Helarien,  deren  Wirksamkeit  die  Geschichte  des 
Staals  von  nun  an  wesentlich  bestimmte,  nachdem  die  alten 
Parteien,  welche  in  der  Verschiedenheit  des  Wohnorts  und  der  Le- 
bensweise wurzelten,  ihre  Bedeutung  verloren  halten.  Aristeides 
halte  eine  natürliche  Abneigung  gegen  solche  Verbindungen,  weil 
er  nach  seiner  ganzen  Eigentümlichkeit  zu  sehr  das  Bedürfniss 
halle,  in  jedem  Falle  rein  und  frei  aus  eigenen  Beweggründen 
heraus  zu  handeln;  er  fürchtete  den  Zwiespalt,  welcher  zwischen 
den  Verbindlichkeiten  gegen  seine  Freunde  und  der  Stimme  sei- 
nes Gewissens  entstehen  könnte.  Themistokles  war  nicht  so  ängst- 
lich ;  ihm  war  jedes  Mittel  recht  um  Macht  zu  gewinnen.  Er  lebte 
für  die  Partei,  deren  Losung  'Krieg  gegen  Persicn'  war,  dieselbe 
Partei,  welche  die  Unterslützung  des  Aristagoras  durchgesetzt  hatte, 
und  die  es  für  eine  Schmach  hielt,  dass  man  Milet  im  Stich 
gelassen  habe.  Er  erkannte  aber  klarer  als  alle  Anderen,  dass 
Athen  für  die  grofse  Rolle,  die  ihm  zugefallen,  noch  viel  zu 
schwach  sei,  und  dass  ihm  vor  Allem  zweierlei  fehlte,  Flotte  und 
Hafen9). 

Nach  alter  Ueberlieferung  betrachtete  man  die  Bucht  des  Pha- 
leron,  wo  das  Meer  am  tiefsten  in  die  Ebene  von  Athen  eingreift, 
als  den  natürlichen  Hafen  des  Landes;  man  konnte  ihn  von  den 


Digitized  by  Google 


DIE  GRÜNDUNG  DES  PEIRAIEUS. 


17 


Sudthöhen  bequem  überblicken,  und  zu  friedlichem  Waarenverkehr 
war  die  weite  Rhede  wohl  geeignet.  Aber  wenn  Athen  eine  Macht 
werden  sollte,  welche  auch  nur  das  eigene  Meer  und  Uferland  be- 
herrschte, so  genügte  die  offene  Rhede  nicht.  Man  musste  Plätze 
haben,  wo  man,  vor  feindlichem  Angriff  sicher,  Schiffe  bauen  und 
lagern  konnte,  Hafenplätze,  welche  sich  gegen  die  Meerseite  abschliefsen 
liefsen.  Themistokles  zeigte  den  Athenern,  wie  die  Natur  diesem 
Bedürfnisse  entgegengekommen  wäre. 

Westlich  von  Phaleros  springt  nämlich  eine  Halbinsel  vor, 
durch  angeschwemmtes  Sumpfland  mit  dem  Festlande  verbunden. 
Ihren  Kern  bildet  die  von  allen  Seilen  steile  Höhe  Munichia,  auf 
deren  flachem  Gipfel  ein  altes  Artemisheiligthum  stand.  Von  ihr 
zieht  sich  in  Form  eines  grofsen  ausgezackten  Blattes  das  felsige 
Land  in  die  offene  See  hinaus  und  bildet  drei  natürliche  Hafen- 
buchten, welche  nur  durch  schmale  Oeffnungen  von  aufsen  zu- 
gänglich sind.  Was  also  die  Koriniher,  Samier,  Aegineten  mit 
grofser  Mühe  und  vielen  Kosten  künstlich  herzustellen  und  immer 
Ton  Neuem  auszubessern  genöthigt  waren,  das  halte  den  Athenern 
io  ungleich  vollkommenerer  Weise  die  Natur  selbst  zurecht  gemacht: 
eine  Gruppe  von  drei  geschlossenen  Kriegshäfen  am  Fufse  einer  be- 
herrschenden Höhe,  welche  einen  freien  Ueberblick  des  Meeres  ge- 
währte.   Die  ganze  Halbinsel  nannte  man  Peiraieus. 

Themistokles'  Verdienst  ist  es,  diese  Naturformen,  welche 
Allen  täglich  vor  Augen  lagen,  zuerst  entdeckt,  das  heifst  ihre 
Bedeutung  für  Athen  erkannt  zu  haben.  Aber  dies  genügte  nicht. 
Die  Halbinsel  mufste,  wenn  der  Grund  zu  einer  Seemacht  gelegt 
werden  sollle,  ummauert  werden.  Am  liebsten  hätte  Themi- 
stokles ganz  Alben  nach  dem  Peiraieus,  die  Akropolis  auf  die 
Munichia  verlegt;  aber  da  dies  unmöglich  war,  so  musste  eine  zweite 
Stadt  gegründet,  ein  See-Athen  geschaffen  werden.  Es  war  ein 
ungeheures  Unternehmen,  aber  unerlässlich,  wenn  Athen  eine  See- 
macht werden  sollte. 

Nachdem  Themistokles  seinen  Gedanken  Eingang  bei  den  Bür- 
gern verschafft  hatte,  ging  er  allen  Schwierigkeiten  zum  Trotze  an 
das  Werk.  Er  bewarb  sich  für  Ol.  71,4  (493)  um  das  Amt  des 
ersten  Archonlen  und  benutzte,  da  ihm  das  Loos  günstig  war,  die 
amtliche  Stellung,  seinen  Plan  zur  Ausführung  zu  bringen.  Ton 
Ralli  und  Bürgerschaft  wurde  auf  seinen  Antrag  die  Gründung  der 

Curtios,  Gr.  G«wch.  II.  6.  Auü.  2 


IS 


THEMISTOKLES  AHCHON.    71,  4;  493. 


Hafenstadt  Peiraieus  beschlossen.  Es  war  dasselbe  Jahr,  in  welchem 
des  Themistokles  kühner  Freund  und  Parteigenosse,  der  Dichter  Phry- 
nichos,  den  Athenern  den  Fall  von  Milet  auf  der  Bühne  vorführte 
(I,  631),  um  seine  Mitbürger  an  das  zu  erinnern,  was  sie  in  feiger 
Unentschlossenheit  verschuldet  hatten.  Im  Laufe  desselben  Jahres 
wurden  die  Vorbereitungen  des  ungeheuren  Werks  gemacht,  die 
Vermessungen  vorgenommen,  Material  herbeigeschafft  und  die  nöthigen 
Arbeitskräfte  gewonnen. 

Vom  Beginne  dieses  Baues  ist  uns  dem  Wortlaute  nach  eine  denk- 
würdige Urkunde  erhalten.  Es  ist  die  Weihinschrift  eines  Hermeshildes, 
welches  die  neun  Archonlen,  nachdem  sie  auf  Beschluss  von  Rath  und 
Bürgerschaft  die  Ummauerung  des  Peiraieus  begonnen  hatten,  zum  An- 
denken an  dies  Ereigniss  gemeinsam  stifteten.  Es  stand  an  einer  Pforte 
der  Hafenstadt,  wahrscheinlich  an  der  Athen  zugewendeten  Seite, 
und  die  Weihe  eines  Hermes  wies  darauf  hin,  dass  der  Mauerbau 
nicht  blofs  die  kriegerische  Thätigkeit  von  Athen ,  bezwecke,  sondern 
auch  für  Handel  und  Verkehr  eine  neue  Epoche  bedeute. 

Ein  solches  Kiesenwerk,  wie  die  Aufführung  einer  Ringmauer 
von  60  Stadien  oder  anderthalb  deutschen  Meilen  Länge,  wird  na- 
türlich nicht  unternommen  worden  sein,  ohne  dass  man  die  Be- 
nutzung der  verschiedenen  Buchten  zu  Kriegs-  und  Handelszwecken 
feststellte  so  wie  die  Anlage  von  Schiffswerften  anordnete.  Damit  stand 
also  die  Belebung  des  attischen  Schiffsbaus  in  unmittelbarer  Verbin- 
dung, und  wir  finden  schon  innerhalb  der  nächsten  drei  Jahre  die 
Zahl  der  Kriegsfahrzeuge  von  50  auf  70  erhöht.  Ja  es  ist  nicht  unwahr- 
scheinlich, dass  damals  schon  diejenigen  Finanzmafsregeln  der  Bürger- 
schaft vorgelegt  wurden,  welche  nothwendig  waren,  um  ein  so  aufser- 
ordentliches  Unternehmen  durchzuführen,  wie  die  Gründung  einer 
festen  Hafenstadt  und  einer  Kriegsmarine  war.  Die  Ausführung  der 
Beschlüsse,  welche  dem  Archontenjahre  des  Themistokles  angehörten, 
wurde  aber  plötzlich  abgebrochen,  als  die  neue  Perserrüstung  begann, 
und  die  Gefahr  des  Augenblicks  alle  Gedanken  in  Anspruch  nahm 10). 

Auch  hierbei  war  Themistokles  der  Mann  des  entscheidenden 
Einflusses.  Er  war  es  vor  Allen ,  welcher  den  nationalen  Gedanken 
anregte  und  die  Abwehr  der  Gefahr,  welche  zunächst  nur  Athen 
bedrohte,  zu  einer  hellenischen  Volkssache  zu  machen  suchte. 

Darum  trug  er  darauf  an,  dass  man  den  Dolmetscher,  welcher 
die  Gesandlschaft  des  Dareios  begleitete,  zum  Tode  verurteile,  weil 


Digitized  by  Google 


MII.TIADES. 


19 


er  die  Sprache  der  Hellenen  zu  verrätherischem  Zwecke  missbrauche. 
Darum  betrieb  er  die  Annäherung  zwischen  Sparta  und  Athen,  und 
gewiss  ist  jene  Umstimmung  der  Aegineten,  welche  in  dem  Augen- 
blicke,  da  sie  mit  ihren  Schiffen  in  das  feindliche  Heerlager  über- 
gehen wollten,  sich  durch  ihre  Geiseln  in  Athen  gefesselt  sahen,  ein 
Ergebnisa  seiner  schlauen  Verhandlungen;  denn  aus  der  persönlichen 
Erbitterung,    welche  die  nach  Athen   gebrachten   Geiseln  gegen 
Themistokles  hegten,  geht  zur  Genüge  hervor,  dass  er  der  Haupt- 
ansüfter  der  gegen  ihre  Vaterstadt  gerichteten  Anklage  gewesen  sein 
muss.    Durch  ihn  und  seine  Partei  ist  Athen  das  Hauptquartier  des 
nationalen  Widerstandes  geworden,  und  je  weiter  die  Perser  gegen 
Europa  sich  ausbreiteten,  um  so  mehr  zogen  sich  aus  den  bedrohten 
Plauen  die  tapfersten  und  freiheitsliebendsten  Männer  nach  Athen 
und  dienten  dazu,  die  Hülfskräfte  der  Stadt  zu  verstärken11). 

Unter  diesen  aber  war  kein  bedeutenderer  Mann  als  Milliades, 
der  Sohn  des  Kimon,  welcher  sich  nach  dem  Falle  von  Ionien  aus 
dem  thrakischen  Chersonnes  hatte  flüchten  müssen  (I,  608).  Es 
war  für  ihn  keine  leichte  Aufgabe  in  Athen  eine  Stellung  zu  ge- 
winnen. Er  hatte  seine  Vaterstadt  zur  Tyrannenzeit  verlassen  und 
also  die  Jahre  ihrer  inneren  Entwickelung,  in  denen  Aristeides  und 
Themistokles  zu  Männern  gereift  waren,  nicht  mit  erlebt;  bei  vorge- 
rückten Jahren  war  er  wie  ein  Fremder  in  die  umgewandelte  Stadt 
zunickgekehrt.  Ungebrochen  lebte  in  ihm  der  alte  Familienstolz  der 
Philaiden;  wie  ein  Fürst  war  er  auf  eigenen  Kriegsschiffen  gekommen, 
mit  eigenen  Kriegsleuten,  mit  reichen  Schätzen,  als  Gemahl  einer  thra- 
kischen Königstochter.  Das  zurückhaltende  und  strenge  Wesen  eines 
Mannes,  der  zwanzig  Jahre  lang  unbedingt  zu  herrschen  gewohnt  war, 
musste  den  empfindlichen  Sinn  der  attischen  Bürger  verletzen.  Dazu 
kam,  dass  durch  Griechen,  die  im  Chersonnes  gelebt  hatten,  man- 
cherlei ruchbar  wurde,  was  grofse  Verstimmung  erregte,  und  wenn 
er  auch  bemüht  war,  sich  in  die  neuen  Verhältnisse  zu  finden  und 
als  Bürger  unter  Bürgern  zu  leben,  so  entging  er  doch  seinen  Fein- 
den nicht,  welche  das  Geschlecht  der  Philaiden  nicht  wieder  auf- 
kommen lassen  wollten.  Nachdem  er  also  erst  vor  den  Skythen 
and  dann  vor  den  Phöniziern  nur  mit  Mühe  sein  Leben  gerettet 
hatte,  sah  er  sich  nun  in  der  eigenen  Heimat  von  neuen  Gefahren 
bedroht,  indem  er  wegen  seiner  thrakischen  Gewaltherrschaft  ange- 
klagt und  vor  ein  Volksgericht  zur  Verantwortung  gestellt  wurde. 

2* 


Digitized  by  Google 


20 


DLR  AUSZUG  NACH  MARATHON 


Miltiades  schilderte  die  dorligen  Verhältnisse,  um  sein  Verfahren 
zu  rechtfertigen,  und  machte  seine  Verdienste  um  Atlien  geltend. 
Er  hatte  ja  die  fruchtbare  und  städlereiche  Halbinsel  am  Hcllespont, 
wo  sein  Oheim  und  sein  Bruder  eine  selbständige  Herrschaft  besessen 
hatten,  aus  einem  Familicnbesitze  zu  einem  Eigenthum  des  Volks 
gemacht.  Er  hatte  von  dort  zur  Zeit  des  ionischen  Aufstandes  die 
grofse  und  wichtige  Insel  der  Lemnier  für  Athen  erobert;  er  konnte 
darauf  hinweisen,  wie  unter  allen  Hellenen  er  zuerst  offen  gegen 
König  Dareios  aufgetreten  sei,  und  wie  er  schon  an  der  Donau  den 
Nalionalfeind  der  Hellenen  an  den  Rand  des  Verderbens  gebracht 
habe.  Die  Thaten  des  Miltiades  sprachen  zu  laut;  das  Volk  fühlte 
seinen  Werth.  Noch  zitterte  Alles,  wenn  man  in  Griechenland  auch 
nur  den  Namen  der  Perser  nannte.  Wie  sollte  man  sich  jetzt  eines 
Mannes  berauben,  der  ein  bewährter  Feldherr  war,  der  das  Perser- 
heer genau  kannte,  und  dessen  ganze  Vergangenheit  dafür  bürgte, 
dass  er  niemals  an  Unterhandlungen  weder  mit  den  Pisistraliden  noch 
mit  den  Persern  denken  würde!  Er  wurde  freigesprochen;  seine 
Feinde  zogen  sich  zurück,  ja  sie  mussten  sehen,  dass  die  Bürger- 
schaft bei  den  Feldherrnwahlen  für  das  dritte  Jahr  von  Ol.  72,  das 
mit  dem  Neumonde  nach  der  Sommersonnenwende  am  27.  Juli  490 
vor  Chr.  begann,  unter  den  zehn  Feldherren  der  Stadt  neben  Aristeides 
Miltiades  erwählte. 

Kaum  hatten  die  Feldherren  ihr  Amt  angetreten,  so  kamen 
schon  die  attischen  Bürger  von  Ghalkis  flüchtend  herüber.  Hinter 
ihnen  leuchtete  der  Feuerschein  von  Eretria;  die  Ereignisse  drängten. 
Man  schickte  einen  Staatsboten  nach  Sparta,  um  schleunige  Hülfs- 
sendung  zu  erwirken,  aber  man  wartete  nicht  auf  die  Antwort; 
denn  schon  in  den  ersten  Tagen  des  nächsten  Monats  (Ende  August) 
beschloss  das  Volk  auf  Antrag  seiner  Feldherren,  das  Aufgebot  der 
Bürger  ausrücken  zu  lassen.  Natürlich  konnte  die  Stadt  in  solcher 
Zeit  nicht  entblöfst  werden.  Es  waren  also  nur  9000  vollgerüstete 
Bürger,  welche  den  Feldherren  folgten ;  sie  waren  von  ihren  Sklaven 
begleitet,  welche  ihnen  als  Schildknappen  dienten  und  als  Leicht- 
bewaffnete milfechten  konnten. 

Ohne  einen  bestimmten  Kriegsplan  zogen  sie  nach  der  be- 
drohten Seite  des  Landes;  im  Lager  selbst  musste  das  Weitere 
beschlossen  und  den  Umständen  gemäfs  gehandelt  werden.  Hier 
gingen  aber  die  Ansichten  weit  auseinander.    Miltiades  war  aus- 


Digitized  by  Google 


KRIEGSRATH   IN  MARATHON. 


21 


gerückt  um  zu  schlagen,  und  ihm  schien  nichts  bedenklicher  als  ein 
Rückzug  auf  die  Stadt.  Das  Heer  war  in  bester  Stimmung,  die 
Mannschaften  der  zehn  Stamme  von  einem  Geiste  beseelt;  nicht  so 
das  Stadtvolk,  und  es  war  voraus  zu  sehen,  dass  die  Noth  einer 
Belagerung  in  Athen  so  gut,  wie  in  Eretria,  einer  verrätherischen 
Partei  Gelegenheit  geben  würde,  Einfluss  zu  gewinnen.  Darum  war 
Miltiades  für  einen  Kampf  in  Marathon.  Aber  auch  im  Feldherrn- 
zelte  schwankte  der  Entschluss.  Vier  Stimmen  waren  für,  fünf  gegen 
Hilliades.  Noch  fehlte  die  entscheidende  Stimme,  die  des  Polemarchen, 
das  heifst  des  dritten  der  neun  Archonten,  welcher  in  älterer  Zeit 
der  wirkliche  Kriegsoberste  gewesen  war,  aber  jetzt  nur  noch  eine 
Stimme  im  Feldherrnrathe  neben  den  erwählten  Feldherrn  halte  und 
das  Ehrenrecht,  den  rechten  Flügel  zu  führen,  wo  einst  des  Königs 
Platz  gewesen  war.  Der  Polemarch  dieses  Jahres  aber  war  Kalli- 
machos  aus  Aphidna,  ein  tapferer,  hochherziger  Mann.  Endlich 
wurde  auch  seine  Stimme  für  den  Kampf  gewonnen,  und  Alle  er- 
kannten nun  in  Miltiades  den  Mann,  der  allein  den  Umständen 
gewachsen  war,  so  dass  auf  Antrag  des  Aristeides  die  Mitfeldherrn 
ihren  Anspruch  auf  den  Anlheil  am  Oberbefehl,  welcher  täglich  zu 
wechseln  pflegte,  aufgaben.  Nun  war  Miltiades,  der  zu  gebieten 
gewohnt  war,  an  seinem  Platze  und  ein  kräftiger  Wille  lenkte  das 
Heer;  je  weniger  man  nach  auswärtiger  Hülfe  ausschaute,  um  so  er- 
freulicher war  die  unerwartete  Ankunft  von  1000  Platäern,  welche 
durch  freiwilligen  Zuzug  in  der  Stunde  der  höchsten  Gefahr  sich 
ihrer  Gemeinschaft  mit  Athen  (I,  383)  würdig  zeigen  wollten12). 

Als  Miltiades  die  Ebene  überschaute,  erkannte  er  leicht,  dass  sie 
für  die  Perser  bei  weitem  nicht  so  günstig  sei,  wie  es  den  Anschein 
hatte.  Freilich  ist  es  eine  ansehnliche  Fläche,  die  sich  gut  zwei 
Stunden  lang  ohne  Unterbrechung  von  Süden  nach  Nordost  längs 
des  Meeres  hinzieht,  durch  einen  Giefsbach,  der  vom  pentelischen 
Gebirge  herunter  kommt,  in  zwei  Hälften  getheilt.  Der  südliche 
Theil  wird  durch  die  Ausläufer  des  Drilessos  (Pentelikon)  begrenzt, 
die  nahe  gegen  das  Meer  vorspringen;  zwischen  Meer  und  Vorge- 
birge führt  ein  breiter  Weg  gerade  gegen  Süden  nach  Athen.  Das 
war  der  Weg,  welchen  Hippias  die  Perser  führen  wollte.  Die  an- 
dere, von  Athen  abgelegene  Hälfte  der  Ebene  wird  von  den  rauhen 
Bergzügen  der  Diakria  umgeben,  welche  bis  an  die  Küste  reichen 
und  durch  ein  langgestrecktes  Vorgebirge,  Kynosura  genannt,  die 


Digitized  by  Google 


22 


AUFSTELLUNG  BEI  MARATHON 


kreisförmige  Hafenbucht  einschliefsen.  Indessen  ist  die  Breite  des 
Blacbfeldes,  welche  die  Perser  angelockt  hatte,  nur  theilweise  fester 
Boden;  denn  am  Rande  derselben,  wo  die  Gewässer  stocken,  nament- 
lich im  Nordosten,  ziehen  sich  bedeutende  Sumpfstrecken  hin,  deren 
grüne  Oberfläche  das  Auge  tauscht 

lieber  die  Wahl  eines  Lagerplatzes  konnte  Miltiades  nicht 
zweifelhaft  sein;  er  musste  die  Hauptstrafse  nach  Athen  decken. 
Er  stand  an  den  Höhen  des  pentelischen  Gebirges  oberhalb  des 
Herakleion,  dessen  heilige  G ranzen  er  hütete,  die  ganze  Fläche  der 
Länge  nach  überschauend,  jede  Bewegung  der  Feinde  überwachend, 
vor  ihren  Angriffen  durch  den  rauhen  Fufs  der  Felshöhen  und  auf- 
geworfene Schanzen  hinlänglich  geschützt,  und  durch  nahe  Quellen, 
welche  in  die  Sümpfe  beim  Herakleion  fliefsen,  mit  Wasser  versorgt. 
Eine  Reihe  von  Tagen  standen  sich  die  Heere  ruhig  gegenüber;  die 
Athener  gewöhnten  sich  an  den  Anblick  der  Perser,  diese  wurden 
in  ihrer  Ansicht  bestärkt,  dass  die  altische  Nannschaft  nichts  als 
den  Küstenpass  decken  wollte,  und  fühlten  sich  deshalb  als  Herren 
der  Ebene  und  Küste  vollkommen  sicher. 

Am  Morgen  des  siebzehnten  Metageitnion  (12.  Sept.),  als  der 
Oberbefehl  der  ursprünglichen  Reihenfolge  gemäfs  an  Miltiades  kam, 
liefs  dieser  das  Heer  nach  den  zehn  Stämmen  sich  aufstellen.  Der 
Stamm  der  Aiantis,  welcher  Kallimachos  angehörte,  hatte  die  erste 
Stelle,  d.  h.  die  Spitze  des  rechten  Flügels,  der  an  der  Meerseite 
stand;  dann  folgten  die  anderen  neun  in  einer  durch  das  Loos  be- 
stimmten Ordnung;  am  Ende  des  linken  Flügels  hielten  die  Platäer, 
welche  von  Kephisia  herkommend  sich  hier  angeschlossen  halten. 
Die  Front  wurde  so  weit  ausgedehnt,  dass  sie  der  Breite  der  feind- 
lichen Aufstellung  gleich  war,  um  der  Gefahr  der  Umzingelung  zu 
entgehen  nnd  den  Persern  die  attische  Macht  mögüchst  grofs  er- 
scheinen zu  lassen.  Miltiades  verstärkte  die  beiden  Flügel,  um  mit 
diesen  vornehmlich  den  Kampf  zu  entscheiden,  während  das  Mittel- 
treffen, zu  dem  die  Stämme  Leon  Iis  und  Antiochis  gehörten,  wahr- 
scheinlich nicht  mehr  als  drei  Manu  tief  aufgestellt  war ;  die  Sklaven 
ersetzten  einigermafsen  die  fehlenden  Glieder. 

In  voller  Ruhe  waren  die  Truppen  über  die  Gräben  und  Ver- 
backe ihrer  Lagerstätte  vorgerückt,  wie  es  ohne  Zweifel  schon 
öfter  geschehen  war.  So  wie  sie  sich  aber  bis  auf  5000  Fufs  dem 
Feinde  genähert  hatten,  gingen  sie  im  Geschwindschritt,  welcher 


SCHLACHT  HEI  MARATHON  (12.  SEPT.  490). 


23 


sich  nach  und  nach  zum  Sturraiauf  steigerte,  unter  hellem  Schlacht- 
ruf vorwärts.  Die  Perser  glaubten.  Wahnsinnige  vor  sich  zu  haben, 
als  sie  die  Männer  von  den  Höhen  herunterstürmen  sahen;  sie 
stellten  sich  rasch  in  Schlachtordnung,  aber  ehe  sie  noch  zu  einem 
wirksamen  Bogenschüsse  gelangen  konnten,  waren  die  Athener  da, 
mit  erhitztem  Muthe  den  Nahekampf  zu  beginnen,  Mann  gegen 
Mann  in  dichtem  Handgemenge,  wo  persönlicher  Mulh  und  gym- 
nastische Gewandtheit,  wo  die  Wucht  der  Schwerbewaffneten,  der 
Stöfs  der  Lanzen  und  das  Schwert  entschied.  So  hatte  man  durch 
einen  geschickten  und  kühnen  Angriff  erreicht,  dass  die  ganze  Sieges- 
kraft, welche  auf  Seiten  der  Athener  war,  zur  Geltung  kam. 

Dennoch  war  der  Erfolg  kein  allgemeiner.  Das  feindliche 
Mitteltreffen  stand;  hier  waren  des  Heeres  Kerntruppen,  die  Perser 
und  Saker  vereinigt,  hier  war  der  Kampf  am  blutigsten,  die  Gefahr 
am  gröfsten;  ja  es  wurden  die  dünnen  Reihen  der  attischen  Bür- 
ger, in  deren  Mitte  Aristeides  und  Themistokles  fochten,  mit  der 
Nachhut  der  Sklaven  von  der  Uebermacht  unaufhaltsam  zurück- 
gedrängt, von  der  Küste  weit  in  die  Ebene  hinein.  Inzwischen 
halten  aber  beide  Flügel  den  Feind  geworfen ,  und  nachdem  sie  einer- 
seits auf  dem  Wege  nach  Rhamnus,  andererseits  nach  der  Küste 
siegreich  vorgedrungen  waren,  ertheilte  Miltiades,  der  die  Leitung 
des  Kampfes  vollkommen  in  seiner  Hand  behalten  hatte,  zur  rech- 
ten Zeit  den  Befehl,  dass  die  Flügel  von  der  Verfolgung  umkehren 
und  vereinigt  die  Perser  des  Mitteltreffens  im  Rücken  angreifen 
sollten.  Nun  war  die  Flucht  bald  allgemein,  und  in  der  Flucht 
wuchs  das  Unheil  der  Perser;  denn  ihnen  fehlte,  wie  Miltiades 
vorausgesehen,  jeder  Rückzugsort,  wo  sie  sich  zu  neuer  Ordnung 
hätten  sammeln  können;  sie  wurden  in  die  Sümpfe  gedrängt  und 
hier  massenweise  gelödtel.  Glücklicher  waren  die,  welche  an  die 
Rüste  gelangten  und  auf  den  Landungsbrücken  die  Schiffe  erreichen 
konnten.  Die  in  gröfserer  Entfernung  ankernden  hatte  man  schon 
wahrend  des  Handgemenges  abfahren  sehen;  aber  auch  die  näher 
hegenden  Schiffe  waren  so  schnell  flott  gemacht  und  von  den 
Rogenschützen  so  nachdrücklich  verlheidigt,  dass  die  heranstürmenden 
Griechen  nur  sieben  Schiffe  am  Ufer  fassen  und  erbeuten  konnten. 
In  diesem  Uferkampfe,  welcher  halb  zu  Lande,  halb  zu  Wrasser  mit 
Feuerbränden,  mit  Schwert  und  Faust  geführt  wurde,  fielen  als 
Vorkämpfer  die  wackersten  Männer;  unter  ihnen  Kallimachos,  dem 


24 


SCHLACHT   BEI  MARATHON. 


der  unsterbliche  Ruhm  blieb,  durch  seine  Stimme  die  Loosung  zum 
Kampfe  gegeben  zu  haben,  und  Kynaigeiros,  des  Aischylos  Bruder, 
welcher  vom  Bord  eines  Schills,  das  er  erklimmen  wollte,  mit  ab- 
gehauener Hand  in  das  Meer  zurücksank13). 

Ueberblickt  man  die  dürftigen  Darstellungen  des  Kampfes  von 
Marathon,  welche  die  Alten  uns  überliefert  haben,  so  befremdet 
vor  Allem  ein  doppelter  Umstand.  Wo  war  denn  die  Reiterei,  fra- 
gen wir,  auf  welche  von  Anbeginn  der  Rüstung  her  die  Sieges- 
hofTnung  der  Perser  gebaut  war,  um  derentwillen  in  Marathon  ge- 
landet war,  die  allein  im  Stande  gewesen  wäre,  den  ganzen  Schlacht- 
plan des  Miltiades  zu  vereiteln?  Sie  wird  in  keinem  Berichte  erwähnt; 
es  wird  vielmehr  ausdrücklich  berichtet,  dass  sie  abwesend  war, 
als  der  Kampf  begann.  Das  Zweite,  was  befremdet,  ist  die  Schnellig- 
keit, mit  welcher  die  Einschiffung  der  persischen  Truppen  erfolgte. 
Es  ist  vollkommen  unbegreiflich,  wie  diese  schon  während  des 
Kampfes  beginnen  und  wie  sie  nach  dem  Kampfe  ohne  Verzug 
so  glücklich  und  unbehindert  ausgeführt  werden  konnte,  wenn 
nicht  die  Kriegs-  und  Transporlflolte  schon  vor  der  Schlacht  zur 
Abfahrt  vorbereitet  gewesen  wäre.  Darnach  ist  es  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  die  Perser  in  Folge  der  festen  Aufstellung  und 
Verschanzung  der  Athener  den  Plan  aufgaben,  durch  den  maralho- 
nischen  Pass  gegen  Athen  vorzugehen.  Ihre  Landung  in  Maralhon 
beruhte  ja  auf  der  Voraussetzung,  dass  sie  ohne  Hinderniss  in  die 
hauptstädtische  Ebene  vorrücken  könnten.  Einen  gut  vertheidiglen 
Pass  deshalb  mit  Blutvergiefsen  zu  erzwingen,  konnte  gar  nicht  in 
ihren  Absichten  liegen.  Da  war  es  viel  zweckmäfsiger,  nachdem 
die  Reiterei  in  der  Ebene  die  nötige  Erholung  gefunden  hatte, 
an  einem  Punkte  der  athenischen  Ebene  zu  landen,  wo  keine 
Pässe  im  Wege  lagen  und  wo  die  persische  Partei  der  Hauptstadt 
mehr  im  Stande  war,  gute  Dienste  zu  leisten.  Ich  glaube  also, 
dass  am  Morgen  der  Schlacht  die  Flotte  schon  bemannt  und  na- 
mentlich die  Reiterei  schon  an  Bord  war.  Miltiades  machte  also 
seinen  Angriff,  als  das  Perserheer  gelhcilt  und  die  gefährlichste 
Waffe  vom  Kampfplatze  entfernt  war;  er  griff  den  Rest  der  Trup- 
pen an,  welcher  noch  auf  dem  Lande  stand  und  die  Einschiffung 
deckte.  Dann  begreift  sich  auch,  warum  Miltiades  nicht  früher 
und  nicht  später  seinen  Angriff  ausführte.  Denn  warum  sollte  er 
auf  den  Tag,  welcher  der  ursprüngliche  Tag  seines  Oberbefehls 


Digitized  by  Google 


DIE   PERSER  AM  PHALERÜS 


25 


war,  gewartet  haben,  nachdem  der  Wechsel  des  Oberbefehls  einmal 
aufgegeben  war!  Dass  aber  in  der  Darstellung  des  marathonischen 
Kampfes,  wie  sie  unter  den  Athenern  sich  allmählich  feststellte,  der 
wirkliche  Sachverhalt  verdunkelt  wurde,  so  weit  er  den  attischen 
Ruhm  zu  beeinträchtigen  schien,  ist  sehr  begreiflich14). 

Die  Flotte  fuhr  an  der  Küste  entlang  nach  Sunion.  Als  ver- 
abredetes Zeichen  soll  ein  Schild  auf  dem  pentelischen  Gebirge 
aofgesteckt  worden  sein,  um  die  Perser  wissen  zu  lassen,  dass  es 
nun  Zeit  wäre,  sich  gegen  Athen  zu  wenden.  Es  war  eine  De- 
monstration der  persisch- gesinnten  Athener,  welche  nach  dem  Ab- 
zöge der  Feldherren  und  der  kriegerischen  Mannschaft  freieren 
Spielraum  gefunden  hatten.  Der  wahre  Zusammenhang  ist  nie  zu 
Tage  gekommen.  Am  meisten  haftete  an  den  Alkmäoniden  der 
Vorwurf,  dass  sie  mit  dem  Landesfeinde  ein  heimliches  Einver- 
?tämlniss  unterhallen  hätten.  Wer  aber  auch  die  Urheber  des 
Schildzeichens  gewesen  sein  mögen,  schwerlich  ist  es  erst  während 
der  Schlacht,  die  so  unerwartet  eintrat  und  so  kurz  dauerte,  und 
wahrend  der  Flucht  der  Perser  gegeben,  sondern  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  früher,  vor  dem  entscheidenden  Kampfe,  und  dann 
dürfen  wir  wohl  in  jenem  Schildzeichen  den  Anlass  erkennen,  wel- 
cher die  Perser  zur  Einschiffung  bestimmte.  Dann  haben  die  Ver- 
rätber  wider  ihren  Willen  Miltiades  zu  seinem  glücklichen  Angriffe 
rerbolfen. 

Den  Siegern  von  Marathon  war  nach  dem  heifsen  Tage  keine 
Ruhe  gegönnt.  Aristeides,  der  Mann  von  zweifelloser  Rechtlichkeit, 
wurde  mit  den  Genossen  seines  Stammes,  der  am  meisten  gelitten 
hatte,  auf  dem  Scblachtfelde  zurückgelassen,  um  die  Beute  zu 
hüten  und  die  Sorge  für  die  Toten  zu  übernehmen.  Die  übrigen 
Truppen  wurden  nach  kurzer  Rast  zurückgeführt,  und  am  Abende 
des  Schlachttags  lagerten  sie  wieder  unweit  Athen,  nordöstlich 
von  der  Stadt,  bei  dem  hochgelegenen  Gymnasion  Kynosarges.  Als 
die  Perser  in  rascher  Fahrt  die  phalerische  Bucht  erreicht  hatten, 
sahen  sie,  wie  es  Tag  wurde,  die  Helden  von  Marathon,  zu  neuem 
Kampfe  bereit,  sich  gegenüberstehen.  Was  nun  aber  die  Perser 
reranlasste,  von  jedem  Versuche  der  Landung  abzustehen,  ist  schwer 
iu  enträthseln.  Vielleicht  lag  ein  Hauptgrund  in  der  Persönlichkeit 
des  Hippias. 

Hippias  hatte  als  hinfalliger  Greis  den  Boden  seiner  Heimath 


Digitized  by  Google 


26 


DIE  SPARTANER   IN  ATHEN. 


wieder  betreten.  Wenn  er  bis  dahin  den  Gedanken  an  Wieder- 
herstellung seines  Hauses  festgehalten  hatte,  so  war  ihm  nach  dem 
Tage  von  Marathon  jede  Hoffnung  geschwunden  und  der  Muth  ge- 
brochen. Mit  der  Verzichtleistung  des  Hippias  waren  die  Instruk- 
tionen der  Feldherren  erloschen;  aus  eigenen  Vollmachten  hatten 
sie  keinen  Muth  zu  handeln,  um  so  weniger,  da  die  Partei,  auf 
deren  Unterstützung  man  gerechnet  hatte,  nach  dem  marathoni- 
schen Kampfe  entmuthigt  war.  Unter  diesen  Umständen  lässt  es 
sich  erklären,  dass  die  Feldherren  auch  ohne  eine  wesentliche  Ein- 
bufse  an  Streitkräften  erlitten  zu  haben  (die  Zahl  ihrer  Todten 
wird  auf  6400  angegeben),  den  Beschluss  fassten,  vor  Eintritt  der 
herbstlichen  Witterung  heimzukehren  und  sich  diesmal  mit  der 
Züchtigung  von  Naxos  und  Eretria  und  der  Unterwerfung  der  Cy- 
kladen  zu  begnügen.  Die  Strafse  nach  Athen  war  offen;  sie  konn- 
ten zur  Vollendung  des  Begonnenen  in  jedem  Frühjahre  wieder- 
kehren. 

Die  Spartaner,  welche  Zuzug  versprochen  hatten,  sobald  der 
Vollmondstag  vorüber  wäre,  an  welchem  sie  mit  ihrer  ganzen 
Bürgergemeinde  beim  Opfer  des  Apollon  Karneios  zugegen  sein 
müssten,  kamen  am  Tage  nach  der  Schlacht  in  Athen  an  und  fanden 
nun  statt  der  bedrängten  und  geängsteten  Stadt  eine  siegesfrohe, 
von  Dank  gegen  die  Gölter  und  edlem  Selbstgefühl  erwärmte  Bür- 
gerschaft. Die  Spartaner  zogen  nach  Maralhon,  bewunderten  an 
Ort  und  Stelle  die  That  der  Atliener  und  kehrten  heim.  Die  An- 
erkennung, welche  die  Krieger  Spartas  aussprachen,  mag  ehrlich 
und  treu  gemeint  gewesen  sein,  die  Politik  Spartas  war  es  nicht 
Die  alte  Eifersucht  war  durch  das  neue  Bündniss  nicht  beseitigt; 
denn  wenn  die  Spartaner  in  laulerer  Gesinnung  und  von  nationa- 
lem Gesichtspunkte  die  Gefahr  der  Schwesterstadt  aufgefasst  hätten, 
so  würden  sie  das  Karneenfest  nicht  zum  Vorwande  ihrer  Säum- 
niss  benutzt  haben,  so  wenig  wie  sie  bei  einem  Angriffe  auf  ihr 
eigenes  Land  um  eines  Festes  willen  die  kräftigste  Abwehr  ver- 
säumt haben  würden.  Es  kamen  ja  auch  nur  2000  Bürger,  und 
kein  König  führte  sie.  Es  war  also  die  rechte  Strafe  ihrer  Falsch- 
heit, dass  sie  vom  gröfsten  Ehrentage  hellenischer  Waffen  ausge- 
schlossen waren  und  dass  die  Spartaner  den  Athenern,  die  Dorier 
den  loniern  für  alle  Zeiten  den  Ruhm  des  ersten  Perserkrieges  über- 
lassen mussten. 


Digitized  by  Google 


MILTIADES  VOR  i'AROS 


27 


So  wie  die  Zeit  der  Noth  vorüber  war,  dachten  die  Athener 
vor  Allem  daran,  ihr  Gelübde  zu  bezahlen  und  das  Andenken 
ihrer  Todten  zu  ehren.  Nach  ihren  Stämmen  geordnet,  wurden 
sie,  192  an  der  Zahl,  bestattet,  wo  sie  für's  Vaterland  gefallen  wa- 
ren; auf  ihren  Grabstätten  wurden  die  Pfeiler  aufgerichtet,  auf 
welchen  ihre  Namen  aufgeschrieben  waren.  Ein  zweiter  Grabhügel 
deckte  die  in  treuer  Bundesgenossenschaft  gefallenen  Platäer  und 
die  Sklaven,  welche  mitgefochten  und  durch  ihren  Opfertod  An- 
spruch auf  Bürgerehre  erworben  halten.  Die  Wahlstatte  wurde 
ein  Heiligthum  des  Landes  und  den  Gefallenen,  gleich  Heroen, 
ein  Jahresopfer  eingesetzt.  Von  der  reichen  Siegesbeule  wurde 
der  Zehnte  den  hülfreichen  Gottheiten  Athena,  Apollon  und  Ar- 
temis, geweiht.  Auch  nach  Delphi  gelobte  man  ein  Weihgeschenk, 
und  dem  Gölte  Pan,  der  dem  attischen  Staatsboten  auf  dem  Wege 
nach  Sparta  erschienen  war,  wurde  zum  Dank  für  die  bewährte 
Freundschaft  eine  Grotte  am  Abhänge  der  Burg  gewidmet  und  zu- 
gleich ein  Jahresfest  mit  Fackellauf  gestiftet.  Das  grofse  Siegesfest 
wurde  aber  achtzehn  Tage  nach  der  Schlacht  in  Agrai  am  Iiisos 
gefeiert,  an  einem  Festtage  der  Artemis,  dem  sechsten  des  Mo- 
nats Boedromion ,  welcher  zugleich  dem  Apollon  heilig  war.  Führte 
dieser  doch  selbst  vom  Schiachtgeschrei  des  Angrifft  den  Namen 
4Boedromios\  und  nach  dem  Vorbilde  ihres  Gottes  hatten  die 
Athener  sich  im  Sturmschritte  auf  die  feindlichen  Reihen  ge- 
worfen 

Miltiades  vermochte  augenblicklich  Alles.  Er  fühlte  diese  Macht 
und  überschätzte  sie.  Ihm  sollte  der  Tag  von  Marathon  nur  der 
Anfang  einer  Reihe  glänzender  Waffen thaten  sein;  er  nahm  die 
unbedingte  Feldherrn  macht,  welche  ihm  zu  Theil  geworden  war, 
auch  fernerhin  in  Anspruch,  und  da  er  wenig  Lust  hatte,  in  offe- 
ner Volksversammlung  über  seine  Anschläge  verhandeln  zu  lassen,  so 
wollte  er,  dass  man  ihm  ohne  weiteres  Kriegsschiffe  und  Geldmittel 
zu  freier  Verfügung  stelle,  damit  er  den  frischen  Eindruck,  den  der 
marathonisciie  Sieg  auf  die  Athener  sowohl  wie  auf  ihre  Feinde 
gemacht  habe,  zu  neuen  Siegen  benutzen  könne.  Die  reichste 
Beute  werde  sein  Begehren  rechtfertigen.  Ein  solches  Geheimthun 
war  freilich  dem  Geiste  des  attischen  Staatswesens  durchaus  zu- 
wider. Aber  man  hatte  so  eben  das  Heilsame  eines  unbedingten 
Kriegsbefehls  erfahren;  man  hatte  zu  Miltiades*  Glück  ein  blindes 


Digitized  by  Google 


2S 


MILTIADES   VOR   PA  HOS 


Vertrauen;  man  gab  deshalb  nach  und  sah  mit  den  stolzesten 
Hofin un  gen  die  Flotte  von  siebzig  Schiften  unter  seiner  Führung 
in  See  gehen.  Es  war,  wenn  man  den  tollkühnen  Zug  nach  Sar- 
des  nicht  in  Anschlag  bringt,  der  erste  Kriegszug  von  Hellas  aus 
gegen  den  Grofskönig,  und  da  Miltiades  schon  an  der  Donaubrücke 
die  Befreiung  Ioniens  als  das  nothwendige  Ziel  hellenischer  Kriegs- 
fuhrung  aufgestellt  halte,  so  erwartete  man  bald  von  glänzenden 
Erfolgen  zu  hören  und  die  Schilfa  mit  reicher  Beute  heimkehren 
zu  sehen. 

Statt  dessen  kam  die  Nachricht,  dass  die  Flotte  unthätig  vor 
Paros  liege.  Miltiades  wollte  nämlich  die  Verbündeten  des  Grofs- 
königs  brandschatzen,  und  zunächst  sollten  die  reichen  Parier  da- 
für büfsen,  dass  sie  den  Persern  eine  Triere  gestellt  und  gegen 
Atlien  gekämpft  hatten ;  sie  sollten  sich  unterwerfen  und  eine  hohe 
Kriegssteuer  zahlen.  Im  Vertrauen  auf  ihre  Stadtmauer  wagten 
aber  die  Parier  unerwarteter  Weise  Beides  zu  verweigern  und 
versetzten  Miltiades  dadurch  in  die  übelste  Lage.  Denn  er  war 
auf  eine  Belagerung  nicht  eingerichtet  und  konnte  sich  doch  nicht 
entschliefsen,  unverrichteter  Sache  abzuziehen.  Zeit  und  Geld 
wurden  vergeudet;  er  konnte  mit  seinen  Landungen  und  verwüsten- 
den Streifzügen  durch  die  Insel  nichts  ausrichten.  Endlich  grill 
er  in  verzweifelnder  Ungeduld  zu  abergläubischen  Mitteln.  Er 
versuchte,  wie  in  Paros  erzählt  ward,  in  das  Heiliglhum  der 
Demeter,  der  Schulzgöttin  der  Insel,  sich  einzuschleichen,  um  dort 
nach  Unterweisung  einer  Tempeldienerin  durch  heimliches  Opfer 
oder  Entführung  des  Bildes  ein  Unterpfand  des  Siegs  zu  gewinnen. 
Aber  der  Anschlag  misslang  so  sehr,  dass  er  bei  der  Rückkehr  aus 
dem  Tempelhofe  durch  einen  Fehlsprung  sich  selbst  verletzte,  und 
so  musste  der  hochfahrende  Mann  nach  26  Tagen  die  Belagerung 
aufheben,  um  krank,  ruhmlos,  mit  leeren  SchhTen  nach  Athen 
heimzukehren. 

Nun  erhob  sich  ein  Sturm  der  Anfeindung  wider  ihn.  Seine 
alten  Gegner,  deren  Missgunst  durch  die  unerhörten  Siegesehren 
gesteigert  worden  war,  schaarten  sich  von  Neuem  zusammen. 
Voran  standen  mit  ihrem  Anhange  die  Alkmäoniden,  die  nach  der 
marathonischen  Schlacht  so  arg  verdächtigt  worden  waren  und  nun 
begierig  die  Gelegenheit  ergriffen,  als  Verfechter  der  Volksrechte 
aufzutreten.    Ihr  Führer  war  Xanthippos,  der  eine  Nichte  des 


Digitized  by  Google 


DER  PROZESS  DES  WLTIADES. 


29 


Kleislhenes,  Agariste,  zur  Frau  hatte.  Sie  fanden  die  Stimmung 
der  Bürgerschaft  in  hohem  Grade  günstig;  denn  alle  Begeisterung 
für  den  Sieger  von  Marathon  war  in  das  Gegentheil  umgeschlagen; 
man  sah  in  ihm  jetzt  nur  einen  selbstsüchtigen,  gewalttätigen  Mann, 
welcher  die  Gesetze  des  Staates  verachtete.  Die  Erbitterung  wuchs, 
als  sich  herausstellte,  dass  Miltiades  die  ganze  unglückliche  Unter- 
nehmung gegen  Paros  nur  darum  unternommen  habe,  um  sich  an 
einem  persönlichen  Feinde,  den  er  auf  der  Insel  hatte,  dem  Lysa- 
goras,  zu  rächen,  welcher  ihn  einst  bei  den  Persern  angeschwärzt 
hatte.  Der  Gerichtstag  kam.  Xanlhippos  klagte  wegen  Täuschung 
des  Volks  und  Missbrauch  des  öffentlichen  Vertrauens.  Die  Bürger- 
schaft safs  selbst  zu  Gericht  und  liefs  Miltiades  vor  sich  bringen. 
Auf  einem  Bette  wurde  er  in  die  Versammlung  getragen,  selbst  un- 
fähig ein  Wort  zu  reden.  Aber  weder  der  erschütternde  Anblick 
des  kranken  Helden,  noch  die  Erinnerung  an  den  Sieg,  durch  wel- 
chen er  den  Athenern  eine  ganz  neue  Stellung  in  der  griechischen 
Welt  verschafft  hatte,  noch  die  Beden  seiner  Freunde,  die  auch  der 
Erwerbung  von  Lemnos  gedachten,  waren  im  Stande,  einen  günsti- 
gen Eindruck  hervorzurufen.  Er  wurde  schuldig  befunden,  und  nun 
sollte  in  zweiter  Abstimmung  die  Strafe  bestimmt  werden.  Der  An- 
trag des  Klägers  lautete  auf  Tod,  und  Miltiades  würde  durch  Hen- 
kers Hand  geendet  haben,  wenn  es  nicht  dem  Rathsherrn,  welcher 
den  Vorsitz  hatte,  durch  seinen  Einfluss  auf  die  Abstimmung  ge- 
lungen wäre,  das  Aergsle  abzuwenden.  Dagegen  wurde  der  Ange- 
klagte in  eine  Geldbuße  von  50  Talenten  (78,500  Th.)  verurteilt. 
Seine  Güter  im  Cbersonnes  waren  nebst  einem  grofsen  Theile  seines 
Reichthums  in  die  Hände  der  Perser  gefallen.  Er  war  also  aufser 
Stande  die  Strafe  zu  zahlen.  So  wurde  er  nach  der  Strenge  der 
attischen  Gesetze  als  Staatsschuldner  behandelt,  aller  Ehren  ver- 
lustig erklärt  und  zur  Strafverschärfung  in  persönliche  Haft  gebracht. 
Inzwischen  war  der  Brand  zu  seiner  Wunde  getreten,  und  so  starb 
er,  elend  an  Leib  und  Seele,  und  hinterliefs  seinem  Sohne  nichts 
als  die  Erbschaft  einer  unerschwinglichen  Geldschuld,  von  deren 
Erstattung  die  Herstellung  der  bürgerlichen  Rechte  der  Familie  ab- 
hängig war1*). 

Miltiades'  Ende  ist  ein  greller  Misston  in  den  Feiertagen  der 
ersten  Freiheitskämpfe  Athens.  Um  aber  nicht  ungerecht  zu  ur- 
teilen, muss  man  bedenken,  wie  ein  trotziger  Eigenwille  den  Athe- 


30 


AIUSTEIDES  UHD  THEMISTOKLES. 


nern  mit  Recht  für  den  schlimmsten  Feind  ihres  Gemeinwesens  galt, 
in  welchem  der  Einzelne  nur  dem  Ganzen  dienen  sollte.  In  diesem 
Sinne  Bürger  zu  sein  verstand  Miltiades  nicht;  seine  Schuld  war  un- 
leugbar; dazu  kam,  dass  in  seinem  Prozesse  das  Volk  zugleich  der 
beleidigte  Theil  und  Richter  war.  Eine  höhere  Instanz  war  nicht 
vorhanden,  und  es  gab  keinen  gesetzlichen  Weg,  um  hier  Gnade  für 
Recht  ergehen  zu  lassen. 


Nachdem  der  Mann  gefallen  war,  welcher  mit  den  dynastischen 
Geschlechtern  der  Vorzeit  unmittelbar  zusammenhing  und  selbst  Ge- 
waltherr gewesen  war,  traten  nun  die  Männer  in  den  Vordergrund, 
welche  in  Athen  die  Entwickelung  des  Verfassungsstaats  miterlebt 
hatten  und  der  neuen  Zeit  angehörten.  Unter  ihnen  war  Xanthippos, 
der  Sohn  des  Ariphron,  der  Hauptankläger  des  Miltiades,  welcher 
Kleisthenes,  dem  Oheime  seiner  Frau,  als  ein  Vorkämpfer  bürger- 
licher Gleichheit  und  Freiheit  nacheiferte.  Der  einflussreichste  Mann 
der  Gemeinde  aber  war  Aristeides;  denn  nächst  dem  siegreichen  Feld- 
herrn hatte  er  den  gröfsten  Anlheil  an  dem  Ehrentage  von  Marathon. 
Im  Jahre  nach  der  Schlacht  bekleidete  er  das  Amt  des  ersten  Ar- 
chonten,  ein  Amt,  welches  ihm  als  ein  Zeichen  seltener  Anerkennung 
zu  Theil  wurde,  indem  neben  ihm  alle  Bewerber  zurücktraten  (I,  378). 
So  wurde  aus  dem  Zufalle  des  Looses  die  ehrenvollste  Wahl.  Mit 
mildem  Ernste  und  unerschütterlichem  Gleichmulhe  stand  er  inmitten 
der  bewegten  Menge,  die  mit  vollem  Vertrauen  auf  ihn  schaute. 

Neben  ihm  drängte  sich  ungeduldig  Themistokles  vor,  dessen 
Person  während  der  letzten  Ereignisse  zurückgetreten  war.  Der  Ruhm 
des  Miltiades  hatte  seinen  Ehrgeiz  gesteigert;  er  wollte  jetzt  um  jeden 
Preis  sein  unterbrochenes  Werk  fortsetzen  und  durchführen.  Denn 
die  glückliche  Abwendung  der  ersten  Kriegsnoth  hatte  ihn  in  seinen 
Ueberzeugungen  nicht  irre  gemacht,  und  während  die  Menge  noch  im 
Gefühle  glücklicher  Errettung  schwelgte,  hatte  er  bereits  die  zukünf- 
tigen Schlachtfelder  im  Auge.  Er  sah  voraus,  dass  die  Perser  wieder- 
kehren würden  und  zwar  mit  solcher  Macht,  dass  ein  Widerstand  im 
offenen  Felde  unmöglich  sein  werde.  Auch  die  Ringmauern  seien  ohne 
Nutzen,  wenn  das  ganze  Gebiet  von  Feinden  überschwemmt  wäre.  Der 
wahre  Schauplatz  der  Entscheidung  sei  das  Meer,  und  die  Misserfolge  bei 
Paros  hätten  deutlich  gezeigt,  wie  unzureichend  hier  die  Kriegsmitlei  seien. 


FEHHE  MIT  AIGINA. 


31 


Die  fortdauernde  Unsicherheit  des  Küstengebietes  kam  seinen 
Plänen  zu  Gute. 

Wenige  Jahre  nach  der  Schlacht  von  Marathon  brach  die  alte 
Fehde  mit  Aigina  wieder  aus:  Die  Aiginelen  hatten,  wie  wir  wissen 
(S.  11),  ihre  Geiseln  auf  gütlichem  Wege  nicht  zurück  erhalten;  sie 
mussten  es  also  auf  andere  Weise  versuchen.  Sie  bemannten  ihre 
L» perschiffe  und  lauerten  auf  guten  Fang,  wozu  die  Volksfeste,  die  an 
den  attischen  Küsten  gefeiert  wurden,  Gelegenheit  boten.  So  gelang 
es  ihnen  während  des  Poseidonfestes  in  Sunion  das  heilige  Schiff  der 
Athener  wegzunehmen  und  eine  Anzahl  der  vornehmsten  Bürger  in 
ihre  Gewalt  zu  bekommen.  Dadurch  wurde  wohl  ihr  nächster  Zweck, 
die  Rückgabe  der  Geiseln,  erreicht.  Aber  die  Fehde  selbst  war  damit 
nicht  beendigt;  sie  entbrannte  vielmehr  um  so  heftiger  und  wurde 
immer  erbitterter  und  blutiger.  Denn  die  Athener  knüpften  mit  der 
Volkspartei  in  Aigina  ein  Einverständniss  an,  um  durch  Verrathdie  Insel 
zu  gewinnen,  und  gleichzeitig  suchten  sie  ihre  schwachen  Streitkräfte 
durch  korinthische  Unterstützung  zu  stärken.  Die  Korinther  wollten 
aber  nicht  als  kriegführende  Partei  in  die  Fehde  eintreten  und  ver- 
miet beten  deshalb  20  Kriegsschiffe  den  Athenern  zu  je  fünf  Drachmen. 
So  eilten  die  Athener  mit  siebzig  Kriegsschiffen  gegen  Aigina,  kamen 
aber  dennoch  für  die  verabredete  Ueberrumpelung  der  Stadt  zu  spät; 
zu  spät  auch,  um  die  Leute  ihrer  Partei  zu  retten,  welche  im  Vertrauen 
auf  die  rechtzeitige  Ankunft  der  Athener  gegen  die  herrschende  Adels- 
partei sieb  erhoben  und  die  Altstadt  besetzt  hatten.  Siebenhundert 
dieser  Unglücklichen  wurden  nun  als  Verräther  zum  Tode  geschleppt. 
Dann  wurde  freilich  die  Inselflotte  geschlagen,  aber  es  gelang  den  Athe- 
nern nicht,  sich  vor  neuen  Verlusten  zu  schützen,  und  sie  mussten  sich 
Ugnügen,  diejenigen  Aegineten,  welche  sich  aus  dem  Blutbade  gerettet 
hatten,  unter  ihnen  auch  Nikodromos,  den  Führer  der  attischen  Partei, 
bei  sich  aufzunehmen  und  ihnen  bei  Sunion  Wohnsitze  zu  geben. 

Unter  dem  Eindruck  einer  stetigen  Angst  um  die  nächsten  Küsten 
und  den  täglichen  Seeverkehr,  welche  den  Wohlstand  der  handeltrei- 
benden Bevölkerung  schwer  schädigte,  mussten  die  Bürger  die  Ver- 
mehrung der  Flotte  als  eine  unerlässliche  Bedingung  des  öffentlichen 
Wohles  anerkennen,  und  Themistokles  war  unablässig  thätig,  die  Stadt 
immer  mehr  an  die  See  heran  zu  führen  und  ihre  Seemacht  zu  stei- 
gern. Es  wurden  auf  seinen  Antrieb  jährlich  zwanzig  Schiffe  gebaut. 
Aber  eine  Flottenmacht  zu  schaffen,  wie  er  sie  für  seine  Pläne  nölhig 


Digitized  by  Google 


32 


DAS  BERGWEHK  GESETZ. 


hielte  genügten  die  bisherigen  Mafsregeln  nicht,  und  wie  er  mit  seinem 
Scharfblicke  zuerst  die  Häfen  von  Athen  entdeckt  hat,  so  erkannte  er 
auch  die  Hilfsquellen,  welche  es  möglich  machten,  eine  Kriegsflotte  zu 
bilden,  die  seine  Vaterstadt  in  dem  neuen  Perserkriege  unüberwindlich 
machen  sollte. 

Der  schmale  Theil  der  attischen  Halbinsel,  der  sich  am  weitesten 
in  das  Inselmeer  vorschiebt,  ist  das  laurische  Bergland.  Eis  sind  nicht 
Berge,  wie  die,  welche  den  Horizont  von  Athen  umgeben,  sondern  nie- 
drige Felsrücken,  welche  in  parallelen  Zügen  zum  Meere  streichen, 
unfruchtbar  und  nur  mit  dünnen  Piniengruppen  bekleidet.  Diese 
Hügellandschaft  hegte  in  ihrem  Schofse  ergiebige  Silberadern,  welche 
sich  auf  einem  Baume  von  anderthalb  Quadratmeilen  unter  der  Ober- 
fläche erstreckten  und  sich  bis  auf  die  vorliegenden  Inseln  verzweigten. 
Die  Ausbeute  derselben,  die  in  sehr  früher  Zeit  begonnen  haben  muss, 
war  damals  im  besten  Gange.  Man  war  mit  Gruben  und  Stollen  in 
das  Gebirge  eingedrungen  und  wusste  durch  Wetterzüge  die  tiefliegen- 
den Gänge,  in  denen  Tausende  von  Sklaven  arbeiteten,  mit  Luft  zu 
versehen.  Der  Staat  war  Eigenthümer.  Er  baute  aber  nicht  selbst, 
sondern  überliefs  die  einzelnen  Distrikte  oder  Gruben  für  ein  ent- 
sprechendes Kaufgeld  an  unternehmende  Kapitalisten,  welche  als  Erb- 
pächter den  Betrieb  übernahmen  und  von  der  jährlichen  Ausbeule 
etwa  vier  Prozent  als  Abgabe  an  den  Staat  bezahlten.  Die  Staatsgüter 
wurden  aber  seit  dem  Sturze  der  Tyrannen  wiederum  als  Bürgergut 
betrachtet,  und  demgemäfs  hatten  die  Bürger  Anspruch  darauf,  dass 
der  Beinertrag  der  Bergwerke  ihnen,  als  den  Eigen  thümern  der  Do- 
mänen, zu  Gute  komme.  Dies  geschah  aber  in  der  Weise,  dass,  wenn 
nach  Erledigung  der  jährlichen  Staatsbedürfnisse  ein  ansehnlicherer 
Baarvorrath  in  den  öffentlichen  Kassen  übrig  blieb  und  keine  andere 
Verwendung  für  Staatszwecke  beantragt  war,  dieser  Ueberschuss  unter 
die  Bürger  verlheilt  wurde. 

Als  nun  gerade  jetzt  eine  bedeutende  Summe  vertheilt  werden 
sollte  (so  dass  zehn  Drachmen  auf  den  Kopf  kamen),  da  trat  Themi- 
stokles  auf  und  stellte  den  Antrag,  dass  die  Verlheilung  der  Berg- 
werksgelder durch  Volksbeschluss  ein  für  allemal  abgeschafft  werde. 
Das  sei  eine  unvernünftige  und  unverantwortliche  Verschleuderung 
öffentlicher  Mittel,  wie  sie  einem  Staate,  der  von  nahen  und  fer- 
nen Feinden  umgeben  sei,  am  wenigsten  gezieme.  Man  solle  viel- 
mehr die  jährlichen  Ueberschüsse  zum  Kriegsfonds  machen  und 


Digitized  by  Go 


AITSCHWIWG  DES  SEEWESENS. 


33 


das  Geld  zu  nichts  Anderem  verwenden,  als  zum  Baue  von  Kriegs- 
schiffen. 

Eine  Kriegsflotte  war  ohne  regelmässige,  dafür  bestimmte  Ein- 
künfte nicht  herzustellen,  um  so  weniger  da  die  aus  frischem  Holz  ge- 
bauten Fahrzeuge  meist  nur  zehn  Jahre  seetüchtig  blieben.  Seine 
wahren  Absichten  durfte  Themistokles  auch  jetzt  nicht  enthüllen, 
aber  die  äginetischen  Fehden  machten  die  Bürger  willig,  zum  Wohle 
des  Gemeinwesens  auf  persönliche  Vortheile  zu  verzichten. 

Die  gehobene  Stimmung  kam  ihm  zu  Gute;  man  fühlte,  dass  eine 
neue  Zeit  angebrochen  sei,  dass  Athen  eine  Seemacht  werden  müsse, 
und  dies  ohne  Opferbereitschaft  der  Bürger  nicht  möglich  sei.  Dazu 
kam,  dass  erst  vor  Kurzem  eine  unerwartete  Siegesbeute  zur  Verthei- 
iung  gekommen  war,  und  dass  den  ärmeren  Leuten  durch  den  Antrag 
des  Themistokles  mannigfache  Aussicht  auf  reichlichen  Verdienst 
erötfnet  wurde. 

Der  Bergbau  wurde  mit  neuem  Eifer  in  Angriff  genommen  in 
Laurion  wie  in  Maroneia ;  es  war  jetzt  patriotisch,  Grubenbesitzer  zu 
sein,  seitdem  mit  dem  Silber,  das  zu  Tage  gefördert  wurde,  die  steigende 
Macht  der  Vaterstadt  unmittelbar  verknüpft  war.  Man  konnte,  auf  die 
Ehrliche  der  Reichen  rechnen,  welche,  wenn  der  Staat  für  den  Rumpf 
des  Schiffes  ein  Talent  (1570  Thaler)  als  Vergütung  zahlte,  aus 
eigenem  Vermögen  zusetzten ,  um  ein  möglichst  seetüchtiges  Fahrzeug 
zu  liefern17). 

Wenn  man  bedenkt,  welchen  Einfluss  auf  das  ganze  Leben  diese 
Beschlüsse  und  Malsregeln  haben  mussten,  so  begreift  man  wohl,  warum 
nicht  alle  Bürger  einverstanden  waren.  Der  massenhafte  Trierenbau 
verlangte  auf  einmal  so  viel  Arbeitskräfte,  dass  man  mit  einheimischem 
Volke  nicht  ausreichte.  Von  allen  Seiten  strömten  also  fremde  Leute 
herbei ,  und  von  den  einheimischen  verliefsen  Viele  des  besseren  Ver- 
dienstes wegen  die  gewohnte  Arbeit.  Der  Tagelohn  stieg,  das  Leben 
Tertheuerte  sich,  eine  allgemeine  Unruhe  machte  sich  fühlbar,  und  viele 
besonnene  Männer  schüttelten  bedenklich  den  Kopf,  wenn  sie  die  Ver- 
änderung ansahen,  die  mit  dem  ganzen  bürgerlichen  Leben  vor  sich 
ging.    Sie  blickten  auf  Aristeides. 

Keiner  konnte  lebhafter  als  er  des  Vaterlandes  Gröfse  wünschen, 
aber  er  lebte  der  Ueberzeugung,  dass  sie  auf  derselben  Grundlage 
beruhen  müsse,  auf  welcher  der  Staat  unter  dem  Schutze  der  Götter 
erwachsen  sei.  Diese  Grundlage,  au  der  man  nicht  ungestraft  rütteln 

Cartiu»,  Gr.  Oe«ch.  II.  «.  Aufl.  3 


Digitized  by  Google 


34 


werde,  sei  vor  Allem  die  bäuerliche  Tüchtigkeit  des  Volks  und  die 
Liebe  zum  vaterländischen  Boden.  Ein  Flottenbau,  wie  ihn  The- 
mistokles  in's  Werk  setzen  wollte,  um  im  Nothfalle  den  Staat  auf  die 
Schiffe  zu  retten,  erschien  ihm  wie  ein  Verzagen  am  Schutze  der  Landes- 
götter, wie  ein  Aufgeben  des  geheiligten  Bodens,  wie  eine  halbe  Flucht 

Ihn  erschreckte  das  Beispiel  der  ionischen  Städte.  Hatten  doch 
die  Ionier  niemals  mehr  Schiffe  gehabt,  als  zur  Zeit  des  Kyros,  und 
dennoch  waren  sie  schmählich  erlegen  oder  landesflüchtig  geworden. 
Was  war  aus  den  stolzen  Flotten  von  Milet  und  Ghios  geworden ,  was 
hatten  den  Thasiern  ihre  Gelder  und  Schiffe  geholfen,  wie  hinfällig  war 
die  Blüte  der  samischen  Seeherrschaft  gewesen! 

Aristeides  fürchtete  die  einseilige  Richtung  auf  Seeleben  und  See- 
macht in  ihrem  Einflüsse  auf  die  Sitten  des  Volks;  er  fürchtete,  dass 
die  Tapferkeit  der  schwergerüsteten ,  erbgesessenen  Bürger,  die  sich  in 
Marathon  so  herrlich  bewährt  habe,  an  Achtung  und  Bedeutung  ver- 
lieren werde  neben  der  sklavenmäfsigen  Arbeit  der  Ruderknechte.  Von 
ihnen  werde  nun  das  Heil  des  Staats  abhangen,  und  bei  dem  Zuströmen 
fremder  Abenteurer  werde  der  ehrenhafte  Kern  der  Bürgerschaf  t  immer 
mehr  zersetzt  und  verändert  werden.  Wenn  Athen  vorzugsweise  See- 
macht werden  solle,  so  werde  es  den  Boden  unter  den  Füfsen  verlieren 
und  in  ziel-  und  mafslose  Unternehmungen  hineingezogen  werden,  die 
mit  einer  besonnenen  Staatshaushaltung  und  Staatsleitung  sich  nicht 
vertrügen. 

Dies  waren  etwa  die  Gesichtspunkte  des  Aristeides.  Die  natürliche 
Verschiedenheit  der  beiden  Charaktere,  die  schon  in  den  Knaben  sich 
gezeigt  hatte,  war  nunmehr  zum  vollen  Gegensatze  ausgebildet.  Es 
war  ein  Kampf  unvereinbarer  Grundsätze,  ein  Kampf  des  alten  und 
des  jungen  Athens,  der  conservativen  Partei  und  der  Partei  des  Fort- 
schritts. 

Aristeides  war,  ohne  es  zu  beabsichtigen,  Führer  der  besonnenen 
Bürger  geworden.  Er  zeigte  sich  auch  jetzt  ohne  Ehrgeiz  und  Eigen- 
nutz. Er  bewährte  seine  treue  Vaterlandsliebe,  wenn  er  die  eigenen 
Anträge  zurückzog,  sobald  ihm  die  öffentlichen  Verhandlungen  zeigten, 
dass  der  Einspruch  seiner  Gegner  begründet  war.  Aber  so  gewissen- 
haft er  sich  von  jeder  Parteilichkeit  fern  zu  halten  suchte,  der  Gegen- 
satz wurde  dennoch  mehr  und  mehr  ein  persönlicher.  Hielt  Aristeides 
einmal  seines  Gegners  Einfluss  für  verderblich,  so  musste  er  ihn  auf 
alle  Weise  zu  brechen  suchen,  und  so  kam  er  dazu,  auch  unbedenk- 


Digitized  by  Google 


KAMPF   DER  PARTEIFÜHRER. 


35 


liehen  und  ohne  Frage  heilsamen  Anträgen  des  Themistokles  sich  zu 
widersetzen ,  während  er  seihst  seine  Anträge  durch  andere  Personen 
vor  das  Volk  bringen  liefs,  damit  nicht  sein  Name  den  Widerspruch 
des  Anderen  hervorrufe.  Ebenso  soll  es  in  Verwaltungs-Angelegenheiten 
zu  Reibungen  gekommen  sein,  da  Aristeides,  wenn  er  zur  Leitung  der 
Finanzen  berufen  wurde,  selbst  die  kleinsten  Unredlichkeiten  der  Beam- 
ten mit  unerbittlicher  Strenge  rügte;  er  scheute  sich  nicht,  seine 
Vorgänger  im  Amte  zur  Rechenschan  zu  ziehen  und  unter  ihnen  auch 
Themistokles18). 

*  So  kam  es,  dass  dieser,  obwohl  er  die  Mehrzahl  der  Bürger  für 
sich  hatte  und  die  Volksversammlung  durch  sein  Wort  beherrschte, 
dennoch  nicht  dazu  gelangen  konnte,  die  Leitung  der  Bürgerschaft 
»eher  in  seiner  Hand  zu  haben,  so  lange  Aristeides  ihm  gegenüber  das 
Gewicht  seines  Ansehens  in  die  Wagschale  legte.  Man  war  zu  sehr 
gewohnt,  auf  ihn  zu  hören  und  seinen  Rath  zu  beachten;  ja,  er  war  so 
sehr  der  Mann  des  allgemeinen  Vertrauens,  dass  er,  wie  ihm  seine 
Gegner  ärgerlich  nachsagten,  die  öffentlichen  Gerichte  überflüssig 
machte,  indem  er  als  der  durch  das  Vertrauen  beider  Parteien  berufene 
Schiedsrichter  die  Händel  durch  friedliche  Vermittelung  beizulegen 

So  wurde  die  Bürgerschaft  zu  einer  Zeit,  wo  die  drohendste 
Gefahr  heranrückte  und  mehr  als  je  volle  Einmüthigkeit  verlangte, 
nach  zwei  Seiten  hin  und  her  gezogen.  Der  Zustand  wurde  uner- 
träglich, und  unter  dem  Einflüsse  der  themistokleiscben  Partei  verlangte 
die  Bürgerschaft  endlich  die  Anwendung  des  Scherbengerichts.  Nach- 
dem es  früher  dazu  gedient  hatte,  Tyrannen  freunde  zu  beseitigen, 
wurde  es  jetzt,  soviel  wir  wissen,  zum  ersten  Male  angewendet,  um 
mischen  den  Häuptern  politischer  Parteien,  welche  um  die  Leitung 
der  Bürgerschaft  stritten,  eine  endgültige  Entscheidung  herbeizuführen 
und  dem  peinlichen  Schwanken  zwischen  zwei  unverträglichen  Rich- 
tungen des  Staatslebens  ein  Ende  zu  machen.  Die  Gerüste  für  die 
zehn  Stämme  wurden  auf  dem  Markte  aufgeschlagen ;  eifriger  als  sonst 
strömte  das  Volk  aus  allen  Gauen  herbei,  und  ein  unzweifelhaft  rich- 
tiges Gefühl  leitete  die  Bürger  bei  der  entscheidenden  Abstimmung. 

Sie  erkannten  in  Themistokles  den  Staatsmann,  dessen  sie  jetzt 
bedurften,  den  Mann,  der  allein  der  Zeit  gewachsen  sei  und  allein 
Tollenden  könne,  was  er  begonnen  habe;  sie  fühlten  die  Notwendig- 
keit, ihm  ihr  ganzes  Vertrauen  zu  schenken.    Zehn  Jahre  nachdem  er 

3* 


Digitized  by  Google 


36 


AIW9TEIDES  VERBANNUNG  (e.  14,  2;  488). 


als  Archont  die  Harenstadt  gegründet  halte,  erreichte  Themistokles 
diesen  neuen  Erfolg  und  sein  Gegner  Überliers  ihm  die  lange  umstrittene 
Leitung  der  Bürgerschaft.  Aristeides  zog  in  die  Verbannung,  wahr- 
scheinlich 483  (Ol.  74,  2),  und  das  Bergwerksgesetz  trat  in  volle 
Kraft.  Nach  langem  Warten  und  unverdrossenem  Streben  hatte  The- 
mistokles jetzt  freie  Bahn.  Die  Mifsmuthigen  zogen  sich  zurück,  die 
Gegner  waren  ohne  Führung  und  die  grofse  Mehrheit  der  Bürgerschaft 
überliefe  sich  mit  hoffnungsreicher  Erwartung  der  Leitung  des  gewal- 
tigen Mannes,  der  nun  zeigen  konnte,  dass  er  sich  zwar  auf  die 
Künste  der  Musen  nicht  sonderlich  verstehe,  dass  er  aber  aus  einem 
kleinen  Staate  einen  grofsen  zu  machen  wisse. 

Und  wie  fühlte  man  jetzt  das  Wachsen  des  Staats!  Um  das  Ver- 
säumte nachzuholen,  verdoppelte  man  die  Thätigkcit,  um  eine  Triere 
nach  der  anderen  kampffertig  zu  machen.  Was  in  den  älteren  See- 
städten an  Erfindungen  des  Schiffbaues  gemacht  war,  sollte  Athen  zu 
Gute  kommen.  Deshalb  wurde  fremden  Baumeistern,  Technikern  und 
Handwerkern  der  Zuzug  durch  mancherlei  Begünstigungen  erleichtert, 
und  wenn  auch  die  Mittel  nicht  ausreichten,  gleichzeitig  den  Mauerbau 
fortzuführen,  so  sammelte  sich  doch  innerhalb  der  begonnenen  Ring- 
mauer der  Hafenstadt  schon  eine  Menge  betriebsamer  Einwohner,  die 
dort  als  Schutzverwandte  des  Staats  lebten  uud  allen  aufs  Seewesen 
bezüglichen  Gewerken  einen  neuen  Aufschwung  gaben.  Reiche  Bürger, 
wie  Kleinias,  beeiferten  sich,  aur  eigene  Kosten  für  den  Staat  Kriegs- 
schiffe zu  bauen  und  auszurüsten;  Alles  junge  Volk  übte  sich  mit 
Ruder  und  Segel;  es  war,  als  wenn  die  Athener  jetzt  erst  ihres  eigent- 
lichen Berufe  bewusst  geworden  wären,  seitdem  Themistokles  nicht 
nur  die  im  Bergschofee  versteckten  Landesschätze,  sondern  auch  die 
offen  zu  Tage  liegenden  Buchten  der  nächsten  Küste  in  ihrer  wahren 
Bedeutung  für  den  Staat  nachgewiesen  hatte,  um  die  Athener  zu  über- 
zeugen, dass  sie  von  der  Natur  zum  Seevolke  und  zwar  zu  einem 
meerbeherrschenden  bestimmt  wären.  Selbst  die  Bedrängnisse  des 
Staats  im  äginetischen  Kriege  waren  durch  ihn  zu  einem  Segen,  zur 
Grundlage  einer  neuen  Machtentfaltung  geworden.  Vielleicht  reifte  schon 
damals,  als  Themistokles  den  Peiraieus  aufblühen  sah,  der  Gedanke  in 
ihm,  dass  Ober-  und  Unterstadt  zu  einer  grofsen  Doppelfestung  ver- 
einigt werden  müssten,  um  Athen,  einer  Insel  gleich,  allen  Land- 
heeren unzugänglich  zu  machen.  Aber  das  war  eine  Aufgabe  langer 
Jahre.    Das  Erste  und  Wichtigste  war  der  bewunderungswürdigen 


Digitized  by  Go 


DIE  NEUE  KRIEGSGEFAHR. 


37 


Energie,  mit  welcher  er  das  Werk  seines  Lebens  förderte,  gelungen: 
eine  Flotte  von  zweihundert  Trieren  war  beisammen,  als  der  Sturm 
des  neuen  Krieges  hereinbrach,  dessen  unvermeidliche  Gefahr  The- 
mistokles  schon  auf  dem  Schlachlfelde  von  Marathon  vorausgesehen 
hatte1»). 


Datis  und  Artaphernes  hatten  bei  ihrer  Rückkehr  nach  Susa  ge- 
wiss nichts  unterlassen,  um  den  Erfolg  ihres  Zuges  als  einen  immer- 
hin bedeutenden  darzustellen.  Sie  hatten  die  Flotte  im  Ganzen  un- 
Tersehrt  aus  den  zum  ersten  Male  befahrenen  Meeren  heimgebracht; 
sie  konnten  eine  Reihe  von  Inseln  und  Städten  aufzahlen,  welche  den 
Achämeniden  huldigten;  der  Trotz  der  Naxier  und  Karystier  war  be- 
straft, die  Bürger  von  Eretria  wurden  gefangen  vorgeführt;  die  In- 
sulaner erkannten  den  Grofskönig  als  Herrn  im  Archipelagus  an,  und 
seine  Bundesgenossen,  wie  die  Parier,  leisteten  den  Athenern  er- 
folgreichen Widerstand. 

Trotzdem  konnte  sich  Dareios  darüber  nicht  tauschen,  dass  in 
der  Hauptsache  die  Unternehmung  misslungen  sei,  und  zwar  nicht,  wie 
früher,  durch  Wind  und  Wetter,  sondern  durch  die  Tapferkeit  dersel- 
ben kleinen  Bürgergemeinde,  deren  Züchtigung  sein  vorzügliches  Augen- 
merk gewesen,  und  durch  die  Kühnheit  eines  Feldherrn,  welcher  sein 
Unterthan  gewesen  und  wenige  Jahre  zuvor  nur  mit  Mühe  seiner  Rache 
entgangen  war.  Er  war  es  also  seiner  königlichen  Ehre  schuldig,  den 
Kriegsplan  auch  nach  des  Hippias  Tode  nicht  aufzugeben ;  er  durfte  die 
Inselstädte,  die  seinem  Reiche  sich  angeschlossen  hatten,  nicht  den  Er- 
oberungsplänen der  Athener  preisgeben,  und  wenn  er  auch  selbst  sich 
hätte  beruhigen  wollen,  so  stand  ihm  Atossa,  des  Kyros  Tochter,  zur 
Seite  und  nährte  unablässig  die  Gefühle  der  Erbitterung  und  Rachbegier. 

Das  Natürlichste  und  Vernünftigste  war,  die  Mannschaften  durch 
neue  Aushebungen  zu  ergänzen,  das  gewonnene  Seegebiet  zu  behaupten 
und  von  nahen  Angriffspunkten  aus  die  Kräfte  des  Feindes  zu  ermüden, 
ehe  er  sich  zu  einem  erfolgreichen  Widerstande  rüsten  konnte.  Aber 
nichts  der  Art  geschieht.  Die  Perserflotte  verschwindet  aus  dem  ägäi- 
schen  Meere,  es  tritt  eine  vollständige  Ruhe  ein.  Um  dies  zu  erklären, 
muss  man  annehmen,  dass  des  Königs  Unzufriedenheit  nicht  nur  die 
Führer  des  letzten  Zuges  traf,  sondern  auch  den  Kriegsplan,  welchen 
sie  vertreten  hatten.  Der  ältere  Plan,  welcher  nur  am  Ungestüme  des 


Digitized  by  Google 


38 


DIE  RÜSTUNGEN  IN  ASIEN. 


Mardonios  gescheitert  war,  kam  wieder  zu  Ehren.  Es  schien  der 
Achämeniden  würdiger,  sich  nicht  mit  einem  Rachezuge  gegen  Athen 
zu  begnügen,  wobei  die  Truppenmacht  durch  die  Zahl  und  Gröfse  der 
Schiffe  beschränkt  war;  es  sollte  ein  Aufgebot  aller  Reichskräfle  statt- 
finden, um  mit  vereinigtem  Land-  und  Seeheere  das  ganze  Westland 
von  Norden  nach  Süden  zu  unterwerfen.  Indem  man  diesen  Kriegs- 
plan mit  ganzem  Eifer  erfasste,  verschmähte  man  es,  die  Erfolge  des 
letzten  Krieges  zu  sichern  oder  weiter  zu  verwerthen ;  man  überliefs  die 
Hellenen  jenseits  des  Wassers  ruhig  ihrem  Schicksale,  indem  man  fest 
überzeugt  war,  dass  alle  Anstalten,  die  sie  inzwischen  treffen  könnten, 
viel  zu  armselig  seien,  um  den  persischen  Rüstungen  gegenüber  in 
Betracht  zu  kommen.  Alle  bitteren  Erfahrungen  waren  vergessen; 
man  schwelgte  in  vollem  Machtgefühle,  und  doch  zeigte  sich  in  diesem 
Mangel  an  Consequenz,  in  diesem  Hin-  und  Herschwanken  zwischen 
ganz  entgegengesetzten  Kriegsplänen  recht  deutlich  die  Schwäche  der 
persischen  Regierung;  es  war  eine  Politik,  welche  sich  nur  aus  dem 
Streite  feindlicher  Hofparteien  erklärte,  von  denen  eine  das  Werk  der 
anderen  zu  zerstören  sucht. 

Nun  wurde  ganz  Asien  in  Bewegung  gesetzt.  Die  Kerntruppen 
aller  unterthänigen  Völker  sollten  sich  zu  einer  Masse  vereinigen,  die 
jeden  Widerstand  unmöglich  machte.  Drei  Jahre  lang  wurde  gerüstet; 
von  Ionien  bis  zum  Indus  erscholl  das  Waffengetöse. 

Schon  brachen  die  Truppenmassen  auf,  um  sich  in  Kleinasien  zu 
vereinigen,  und  ehe  noch  Athen  einen  namhaften  Anfang  seiner 
Kriegsflotte  gemacht  hatte,  drohte  das  asiatische  Reichshecr  den 
Hellespont  zu  überschreiten  (Ol.  73,  2;  4S7).  Da  wurde  zum  Glück 
das  Auge  des  Königs  auf  einmal  nach  einer  ganz  anderen  Seite  hinge- 
wendet. Denn  plötzlich  traf  die  Nachricht  in  Susa  ein,  dass  Aegypten 
im  Aufstande  sei;  ein  Ereigniss,  das  um  so  unerwarteter  kam,  da  die 
Regierung  des  Dareios  das  unterworfene  Land  mit  Milde  behandelt 
hatte.  Nun  wurde  also  ein  Theil  der  Streitkräfte  für  diesen  Krieg  in 
Anspruch  genommen.  Aber  der  Zug  gegen  Hellas  sollte  darum  nicht 
ausgesetzt  werden;  es  wurde  der  doppelte  Krieg  nur  um  so  eifriger 
betrieben  und  Dareios  wollte  selbst  in's  Feld  ziehen.  Dazu  bedurfte 
es  aber  eines  Stellvertreters  im  Reiche,  und  diese  Angelegenheit  rief 
nun  im  eigenen  Palaste  einen  Streit  hervor,  welcher  dem  alternden 
König  schweres  Leid  bereitete  und  seine  kriegerischen  Pläne  von 
Neuem  hinausschob. 


Digitized  by  Google 


TOD  OES  DAREIOS. 


39 


Ursache  dieser  Streitigkeiten  war  die  Doppelehe  des  Königs.  Die 
Tochter  des  Gobryas,  dem  er  vor  allen  Anderen  sein  Reich  verdankte, 
hatte  ihm  den  Artobazanes  und  zwei  andere  Söhne  geboren;  von 
Atossa,  der  Kyrostochter,  hatte  er  vier,  unter  denen  Xerxes  der  älteste 
war.  Das  medopersische  Staatsrecht  bestimmte  dem  erstgeborenen 
Königssohne  die  Herrschaft;  Atossa  aber  behauptete,  nur  ihre  Kinder 
seien  aus  königlichem  Samen,  die  Kinder  erster  Ehe  hätten  keine  Be- 
rechtigung zum  Throne.  Es  entspann  sich  ein  Kampf  für  und  gegen 
das  unbedingte  Ansehen  einer  Fürstin,  welche  den  Anspruch  machte, 
dass  erst  durch  sie  der  jüngere  Herrscherslamm  ebenbürtig  geworden  sei. 

Wie  nun  endlich  nach  dem  Willen  der  Atossa  die  Thronfolge  fest- 
gestellt war,  und  der  Auszug  vor  sich  gehen  sollte,  da  starb  der  König, 
64  Jahr  alt,  im  sechs  und  dreißigsten  Jahre  seiner  Regierung.  Er 
hatte  das  Perserreich  aus  dem  tiefsten  Sturze  wieder  aufgerichtet;  er 
hatte  die  Gränzen  desselben  bis  an  den  Indus  und  Jaxartes  vorge- 
schoben ;  er  hatte  im  Norden  bis  an  den  Kaukasus,  in  Afrika  bis  an  die 
Syrien  und  jenseits  des  HellespontS  bis  an  den  Istros  die  Waffen  ge- 
tragen und  war  nahe  daran  den  Pontos  zu  einem  persischen  Binnen- 
meere zu  machen.  Das  also  erweiterte  Reich  hatte  derselbe  König  zu- 
erst als  ein  grofses  zusammenhängendes  Ganzes  geordnet,  wie  noch 
kein  Reich  Asiens  vor  ihm  bestanden  hatte;  seine  Schiffe  hatten  die 
fernsten  Meere  ausgekundschaftet;  der  Reich Ih um  dreier  Welttheile,  die 
Tapferkeit  der  Völker  Asiens,  die  Seekunde  der  Phönizier,  die  Klugheit 
und  Geschicklichkeit  der  Babylonier,  Aegypter  und  Ionier  stand  ihm  zu 
Diensten,  und  dennoch  war  es  ihm  nicht  vergönnt,  des  wohlverdienten 
Ruhmes  froh  zu  werden;  er  musste  sterben,  ehe  Aegypten  gebändigt 
und  Hellas  gezüchtigt  war.  Ihn  quälte  bis  an  das  Ende  der  Unmuth 
über  das  Misslingen  aller  Lieblingspläne,  über  den  schnöden  Un- 
dank seiner  Günstlinge,  über  den  Kampf  der  Hofparteien  und  die 
ungezährate  Herrschsucht  seiner  Gemahlin. 

Ein  schneidender  Widerspruch  geht  durch  sein  ganzes  Leben  hin- 
durch. Denn  während  er  seinem  Charakter  nach  nichts  weniger  als 
Eroberer  war,  sah  er  sich  wider  Willen  in  immer  neue,  weit  aussehende 
Feldzüge  verwickelt,  und  ihm  war  es  vorbehalten,  die  Hellenenkriege, 
an  denen  die  persische  Monarchie  zu  Grunde  gehen  sollte,  zu  beginnen, 
obgleich  kein  Fürst  des  Morgenlandes  mehr  Sinn  für  hellenische  Weis- 
heit und  mehr  Anerkennung  für  wahre  Bildung  gezeigt  hat.  Er  liefs 
griechische  Künstler  wie  Telephanes  aus  Phokis  an  seinen  Palästen 


Digitized  by  Google 


40 


XERXES  KO.MG  (78,  J;  4M). 


arbeiten  und  soll  Herakleitos  von  Ephesos  an  seinen  Hof  berufen  haben, 
einen  Mann,  der,  mit  der  demokratischen  Partei  seiner  Vaterstadt  zer- 
fallen, ihm  als  einsichtsvoller  Kenner  der  ionischen  Zustände  von 
grofsem  Wert  sein  musste.  Vor  allem  aber  zeugt  seine  unerschütter- 
liche Anhänglichkeit  an  Histiaios  und  Demokedes  (I,  612),  seine  Grofs- 
muth  gegen  den  gefangenen  Meüochos,  den  ältesten  Sohn  des  Miltiades, 
den  er  mit  Haus  und  Hof  beschenkte,  seine  Milde  gegen  die  Eretrier,  die 
er  nach  Arderikka  im  Lande  der  Kissier  verpflanzte,  von  einer  höheren 
Sinnesart,  welche  unsere  volle  Achtung  in  Anspruch  nimmt30). 

Xerxes  folgte,  der  in  Purpur  Geborene,  ein  Mann  von  stattlicher 
Schönheit  und  angeborener  Würde.  Er  hatte  nicht  die  Schule  durch- 
gemacht, wie  sein  Vater,  der  sich  selbst  den  Thron  erworben.  Er  war 
in  der  Ueppigkeit  des  Palastlebens  grofs  geworden,  und  eigene  Kriegs- 
lust reizte  ihn  nicht,  die  Gärten  von  Susa  zu  verlassen.  Indessen  hatte 
er  ein  hohes  Gefühl  von  der  Würde  des  Reichs  und  war  nicht  gesonnen, 
derselben  etwas  zu  vergeben.  Außerdem  trieb  ihn  die  Mutter,  welche 
mehr  als  je  im  Palaste  herrschte.  Ihn  trieb  endlich  der  Ehrgeiz  ein- 
zelner Heerführer,  namentlich  des  Mardonios,  welcher  den  Lieblings- 
plan seiner  Jugend,  jenseits  des  Meers  eine  persisch -griechische  Satra- 
pie  zu  gründen,  noch  keineswegs  aufgegeben  hatte. 

Freilich  fehlte  es  auch  jetzt  nicht  an  einer  starken  Gegenpartei, 
welche  offen  und  entschieden  auftrat.  Ihr  Führer  war  Artabanos,  des 
Dareios  Bruder,  derselbe,  welcher  schon  beim  Skylhenzuge  gewarnt 
und  abgeralhen  hatte.  Er  war  auch  jetzt  am  Hofe  das  Haupt  der 
Besonnenen,  welche  sich  von  dem  Feldzuge  gegen  die  Griechen  nichts 
Gutes  versprachen.  Lange  schwankte  der  Grofskönig  hin  und  her;  die 
Kriegsbefehle  wurden  gegeben  und  wurden  widerrufen,  aber  zuletzt 
drang  doch  die  Kriegspartei  durch,  die  Partei  der  Ehrgeizigen,  welche 
das  Stillesitzen  eine  unerträgliche  Schmach  nannten  und  den  König 
durch  Vorspiegelung  leichter  und  glänzender  Erfolge  zu  gewinnen 
wussten.  Dazu  kamen  die  Aufforderungen  von  Griechenland  selbst, 
das  durch  bedeutende  Persönlichkeiten  in  Susa  vertreten  war,  durch 
die  Nachkommen  des  Peisistratos  und  durch  ihren  Hofgelehrten  Ono- 
makritos  (I,  362),  welcher  hochtönende  Orakelsprüche  vorlas,  in  denen 
die  Ueberbrückung  des  Hellesponts  und  die  Grofsthaten  des  Königs 
verkündet  waren,  durch  den  vertriebenen  König  Demaratos,  welcher 
schon  bei  der  Thronstreitigkeit  zwischen  den  Söhnen  des  Dareios  von 
Einfluss  gewesen  und  die  Entscheidung  zu  Gunsten  des  Xerxes  mit 


Digitized  by  Google 


DIE  POLITIK   DER  A  LEU  ADEN. 


41 


Teranlassl  haben  soll,  endlich  durch  Abgesandte  der  Aleuaden  in 
Thessalien.  Aach  aus  anderen  Staaten  waren  landesflüchtige  Griechen 
im  Perserlager,  welche  später  dem  Herodot  viele  Einzelheiten  über  den 
Heereszug  rnittheilen  konnten.  Unter  ihnen  wird  der  Athener  Dikaios 
genannt,  des  Theokydes  Sohn;  er  war  ein  angesehener  Mann  bei  den 
Persern,  die  es  immer  wohl  verstanden,  griechische  Parteigänger  im 
Kampfe  mit  den  Griechen  zu  benutzen. 

Die  Aleuaden  waren  ein  reiches  Fürstengeschlecht,  das  so  gut 
wie  die  Könige  Spartas  seinen  Stammbaum  auf  Herakles  zurückführte 
imd  am  Peneios  seinen  Silz  halle.  Unter  ihrem  Einflüsse  hatte  ganz 
Thessalien  gemeinsame  Landesordnungen,  namentlich  eine  Heerverfas- 
>ung.  erhalten;  sie  konnten  sich  als  die  Häupter  der  Nation  betrachten, 
sie  hatten  ihre  Macht  bis  nach  den  Thermopylen  hin  ausgedehnt,  und 
Herodot  nennt  sie  geradezu  die  Könige  des  Landes.  In  Larissa  hielten 
sie  ein  prächtiges  Hoflager;  sie  glänzten  durch  die  Menge  ihrer  Leib- 
eigenen, durch  die  grofse  Zahl  siegreicher  Rennpferde,  durch  die  Masse 
ihrer  Heerden.  Sie  waren  aber  zugleich  beflissen,  die  geistvollsten 
Manner  Griechenlands  um  sich  zu  sammeln,  welche  den  Ruhm  des 
Hauses  bei  allen  Hellenen  verkündigten.  So  verherrlichte  namentlich 
Simonides  aus  Keos  die  gastlichen  Fürsten  Antiochos  und  Aleuas. 

Aber  dies  Glück-genügte  den  Aleuaden  nicht;  sie  waren  doch  nur 
ein  Adelsgeschlecht  neben  anderen,  welche  sich  ihnen  ebenbürtig  fühl- 
ten, und  aufserdem  gaben  sich  auch  in  Thessalien  Volksbewegungen 
kand,  welche  den  bisherigen  Einfluss  der  Magnatenfamilien  bekämpften. 
Diese  Gefahren  bestimmten  die  jetzige  Politik  der  Aleuaden.  Sie 
erstrebten  unbedingte  und  erbliche  Landesherrschaft,  und  darum 
knüpften  sie  mit  den  Persern  an,  um  durch  deren  Hülfe  ihre  Pläne 
durchzuführen.  So  kam  es,  das  Thorax,  des  Aleuas  Sohn,  der  Freund 
Pindars,  der  Erste  von  allen  Hellenen  war,  welcher  dem  Xerxes  frei- 
willige Huldigung  darbrachte,  und  zwar  that  er  es  unberufen,  im 
Namen  des  tbessalischen  Volks.  Er  versprach  ihm  allen  Vorschub, 
wenn  er  die  Pläne  des  Mardonios  ausführen  wollte,  und  so  sah  der 
Grofekönig,  ehe  er  noch  einen  Schritt  gethan  hatte,  die  gröfste  Land- 
schaft Griechenlands  zu  seinen  Füfsen. 

Nachdem  nun  im  zweiten  Regierungsjahre  des  Xerxes  Aegypten 
tod  Neuem  unterworfen  war,  wurde  sofort  mit  dem  Zuge  gegen  Hellas 
Ernst  gemacht  und  die  von  Dareios  begonnene  Rüstung  in  vergröfser- 
tem  Mafsstabe,  ja  in  ganz  anderem  Sinne  wieder  aufgenommen.  Denn 


Digitized  by  Google 


42 


DAS  PERSISCHE  REICHSHEER. 


es  sollte  kein  gewöhnlicher  Feldzug,  es  sollte  [ein  Triumphzug,  eine 
Schaustellung  der  unerschöpflichen  Hülfsquellen  Asiens  sein.  Umsonst 
warnten  die  Besonneneren  und  machten  darauf  aufmerksam ,  wie  nur 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  mit  der  Gröfse  eines  Heers  auch  seine 
Stärke  zunehme,  wie  eine  mafslose  Ausrüstung  am  Ende  den  Erfolg 
gefährde.  Das  Mafslose  war  es  gerade.,  worin  sich  die  Gedanken  des 
Xerxes  gefielen;  es  sollte  ein  Heer  zusammenkommen,  wie  es  die  Welt 
nicht  gesehen  hatte;  auch  schweiften  seine  Pläne  weit  über  Hellas  hin- 
aus, und  sich  selbst  als  den  Schönsten  und  Edelsten  in  der  Mitte  so 
vieler  Tausende  zu  sehen ,  das  war  der  gröfste  Reiz  för  den  eitlen 
Fürsten. 

So  gingen  denn  die  königlichen  Eilboten  von  Susa  nach  allen 
Himmelsgegenden,  nach  der  Donau  wie  nach  dem  Indus,  nach  dem 
Jaxartes  wie  nach  dem  oberen  Nilthale,  die  Gestade  des  Archipelagus, 
desPontos,  des  arabischen  und  persischen  Golfs,  des  syrischen  und 
des  libyschen  Meeres  entlang.  Die  Waffenfabriken  und  Schiffswerften 
wurden  in  Thätigkeit  gesetzt,  Brücken,  Wege  und  alle  inneren  Verkehrs- 
mittel hergestellt,  in  allen  Theilen  des  weiten  Reiches  wurde  Mannschaft 
ausgehoben.  Zwei  Jahre  lang  wurde  gerüstet,  und  im  dritten  begann 
eine  Völkerwanderung,  welche  von  den  Ostgränzen  der  Welt  her  die 
Stämme  der  verschiedensten  Zungen  und  Trachten  in  bunter  Menge 
zusammenführte. 

In  baumwollenen  Röcken,  mit  Rohrpfeilen  bewaffnet,  kamen  die 
Anwohner  des  Indus  und  rückten  in  das  Gebiet  der  iranischen  Völker 
ein.  Ganz  Iran,  im  weitesten  Sinne  des  Ländernamens,  trat  in  Waffen. 
Zuerst  der  ferne  Nordosten,  die  durch  weite  Wüstenländer  abgetrennten 
Hinlerländer  des  Reichs.  Hier  stiegen  von  den  Abhängen  des  Hindu- 
kusch die  Baktrier  herunter  und  vereinigten  sich  im  Oxusthale  mit  den 
Sakern,  die  jenseits  des  Jaxartes  wohnten,  zu  einer  Heeresmacht  unter 
Hystaspes,  dem  Sohne  des  Dareios  und  der  Atossa.  Aus  den  unteren 
Gebieten  des  Oxus  und  Jaxartes,  von  den  Ufern  des  Aralsees,  kamen 
die  Chorasmier  und  die  Sogdier,  bei  welchen  Kyros  die  äufserste  Reichs- 
festung angelegt  hatte. 

Dann  die  Völker,  welche  näher  im  Süden  und  im  Norden  das 
Kernland  Vorderasiens,  das  Land  der  Meder,  umlagerten;  im  Norden 
die  mächtigen  Bergvölker  vom  kaspischen  Meere,  die  Hyrkanier  und 
ihre  Nachbarn,  die  Partlier,  durch  deren  Gebirgspässe  die  grofse  Heer- 
stralse aus  Osten  herüberkommt;  im  Süden  die  Völker,  welche  an  den 


Digitized  by  Google 

I 


DAS  PERSISCHE  REICHSHEER. 


43 


nach  Mesopotamien  und  zum  erythräischen  Meere  abfallenden  Rändern 
von  Iran  wohnten,  die  jetzt  um  so  kriegslustiger  waren,  weil  sie  an  der  * 
Spitze  der  Völker  Asiens  standen,  die  Kerntruppen  des  ungeheuren 
Heerbannes,  die  Kissier  und  Perser,  welche  mit  den  Medern  gleiche 
Bewaffnung  trugen,  Bogen,  Pfeile  und  kurze  Dolche,  welche  rechts  am 
Gürtel  hingen,  mit  geflochtenen  Schildern,  Aermelröcken  und  ungesteif- 
ten Hüten.  Die  Perser  waren  als  der  Herrscherstamm  vor  allen  Völkern 
ausgezeichnet;  sie  strahlten  von  Gold;  sie  führten  Wagen,  Weiber  und 
viele  Diener  mit  sich  und  hatten  ihren  besonderen  Tross.  Susa  im 
kissierlande,  vom  Helles pont,  von  der  Indusmündung  und  der  nörd- 
lichsten Ausbiegung  des  Jaxartes  gleich  weit  entfernt,  war  der  wohl- 
gelegene Mittelpunkt  der  ganzen  Rüstung.  An  die  Perser  schlössen 
sich  von  Osten  her  die  Völker  an,  welche  zwischen  Afrika  und  Hinter- 
asien das  Mittelglied  bilden,  die  dunkelfarbigen  Stamme  Gedrosiens, 
die  Insulaner  des  persischen  Meers,  die  asiatischen  Aethiopen,  wie  ihre 
Nachbarn,  die  Inder,  bewaffnet;  Stirnhäute  von  Pferden  trugen  sie  auf 
dem  Kopfe,  die  Mähnen  wehten  wie  Helmbüsche  herunter. 

Die  vereinigten  Stämme  Irans,  Turans  und  Indiens  fanden,  wie 
sie  die  Zagreuspässe  herunter  kamen,  die  Stromländer  des  Tigris  und 
Eophrat  in  voller  Rüstung.  An  den  kunstvollen  Erzhelmen  und  den 
eisenbeschlagenen  Keulen  erkannte  man  die  Truppen  des  alten  Ninive. 
Von  Süden  kamen  in  das  mesopotamische  Land  die  Hülfs Völker  Arabiens, 
welches,  wenn  auch  nicht  zinspflichtig,  dennoch  dichte  Schaaren  von 
Bogenschützen  aus  seinen  Wüsten  entsendete.  Aus  dem  Palmenlande 
Afrikas  kamen  die  Aethiopen  in  Pardel-  und  Löwenfellen,  welche 
Spiefse  mit  Spitzen  aus  Gazellenhorn  schwangen,  und  vom  äufsersten 
Westen  die  Libyer  im  Lederwams,  mit  Holzspeeren,  die  im  Feuer 
gehärtet  waren. 

Vom  Euphrat  stiegen  die  Heeresmassen  nordwestlich  hinauf  in 
die  felsigen  Hochlande  Kappadociens.  Hier  kamen  von  der  einen  Seite 
die  Völker  Armeniens  herzu  und  die  wilden  Stämme  des  Kaukasus, 
andererseits  die  mannigfaltigen  Völker  Kleinasiens,  deren  einige,  wie 
die  Paphlagonen,  Kappadocier  und  namentlich  die  Phryger,  dem  arme- 
nischen Heerhaufen  an  Bewaffnung  glichen,  während  die  anderen, 
festlicheren,  vor  Allem  die  Lyder,  fast  ganz  wie  hellenische  Krieger 
aussahen. 

Kritalla  in  Kappadocien  war  der  Sammelplatz  der  Truppenmassen. 
Hier  erschien  Xerxes  selbst,  um  sich  mit  den  Prinzen  des  Hauses, 


Digitized  by  Google 


44 


FLOTTEN  UND  MAGAZINE 


seinem  Gefolge  und  seinen  auserlesenen  Schaaren  an  die  Spitze  der 
*  Truppen  zu  stellen,  und  fährte  den  Zug  durch  Phrygien  und  Lydien 
nach  Sardcs,  wo  er  im  Herbste  von  Ol.  74, 4  (481)  die  Winterquartiere 
bezog.  Hier  befand  er  sich  an  der  Gränze  der  griechischen  Welt  ;  von 
hier  aus  rousste  die  Gröfse  seiner  Rüstung  den  jenseitigen  Völkern 
bekannt  werden,  von  hier  wurden  die  Boten  ausgesendet,  welche  Unter- 
werfung forderten.  Die  Gesamtmasse  des  asiatischen  Heers,  welches 
hier  vereinigt  war,  mag  man  nach  dem  Berichte  des  Ktesias  auf  unge- 
fähr 800,000  Mann  schätzen;  dazu  kam  eine  Reiterei  von  80,000  Pfer- 
den aus  Persien,  Medien,  Kissien,  Indien,  Baktrien  und  Libyen,  eine 
Menge  Kriegswagen  theils  mit  Rossen,  theils  mit  indischen  Waldeseln 
bespannt,  endlich  auch  Kamelreiterei. 

Der  Rüstung  des  Landheers  entsprach  die  Masse  der  Schiffe.  Den 
Stamm  der  Flotte  bildeten  die  Phönizier  und  Syrer,  dann  die  Aegypter, 
Kyprier,  die  Küstenvölker  Kleinasiens  von  Kilikien  bis  Aeolis,  die 
Anwohner  des  Pontos  und  die  Insulaner;  es  waren  zusammen  über 
1200  Trieren  oder  Dreidecker.  Mit  den  Transportschiffen  und  kleineren 
Fahrzeugen  kam  eine  Menge  von  drei-  bis  viertausend  Segeln  zusam- 
men, welche  bei  Kyme  und  Phokaia  sich  vereinigle.  Jede  Triere  hatte 
150  Ruderer  und  aufser  der  eigenen  Bemannung  zu  gröfserer  Sicher- 
heit noch  ein  Commando  von  Persern  am  Bord. 

Während  dieser  Rüstungen  und  Truppenmärsche  auf  dem  asia- 
tischen Festlande  wurden  aufserhalb  desselben  dreierlei  grofsartige 
Mafsregeln  getroffen.  Das  erste  war  die  Anlage  von  Magazinen,  welche 
dem  Heere  unentbehrlich  waren,  um  ausreichender  Verpflegungsmittel 
unterwegs  gewiss  zu  sein.  Am  nöthigsten  erschienen  solche  Vor- 
kehrungen an  der  thrakischen  Küste,  wo  man  am  wenigsten  auf  die 
Hülfsmittel  des  Landes  und  den  guten  Willen  der  Bewohner  rechnen 
konnte.  Zu  diesem  Zwecke  wurde  eine  grofse  Zahl  von  phünikischen 
und  ägyptischen  Kauffahrern  beordert,  massenhafte  Vorräthe  von  Mehl 
und  Futter,  welche  auf  königlichen  Befehl  im  Nilthale  und  in  Asien 
zusammengebracht  worden  waren,  nach  Thrakien  zu  schaffen.  Die 
gröfste  Niederlage  war  in  Leuke  Akte  am  Hellespont;  aufserdem 
wurden  in  Tyrodiza  an  der  Propontis,  an  der  Hebrosmündung  bei 
Doriskos,  an  der  Strymonmündung  bei  Efon  und  in  Makedonien  (wahr- 
scheinlich am  Flusse  Axios)  ähnliche  Magazine  angelegt. 

Das  Zweite  war,  dass  man  den  Hellespont  überbrückte,  um  das 
Heer  trockenen  Fufses,  mit  voller  Sicherheit,  unabhängig  von  Wind 


Digitized  by  Google 


DIE  HELLESPOHTüSimlcKE.Y 


45 


und  Wetter,  auf  europäischen  Boden  hinüberzuführen  und  das  jenseitige 
Land,  als  ein  Vorland  Asiens,  an  den  herrschenden  Welttheil  gleichsam 
zu  fesseln.  Nicht  bei  den  Dardanellenschlössern,  wo  jetzt  der  gewöhn- 
liche Uebergang  ist,  schlug  man  die  Brücke,  sondern  weiter  aufwärts 
nach  der  Proponüs,  dort,  wo  die  Höben  bei  Abydos  von  dem  Gestade 
bei  Sestos  nur  sieben  Stadien  entfernt  waren  (jetzt  ist  die  Breite  über- 
all bedeutender),  und  wo  auf  beiden  Seiten,  auch  auf  dem  steileren 
Rande  des  europäischen  Ufers,  Thalwege  sind,  welche  dem  Truppen- 
marsche zu  Statten  kamen.  Es  wurde  aber  eine  doppelte  Schiffbrücke 
geschlagen,  damit  um  so  rascher  und  ohne  Stockung  die  Heeresmassen 
hinüber  gelangten.  Gleichzeitig  wurde  die  Landenge  durchstochen, 
welche  die  Halbinsel  des  Alhos  mit  dem  Festlande  verbindet ,  um  die 
Flotte  vor  dem  Unglück  zu  bewahren,  welches  zwölf  Jahr  früher  dem 
»ardonios  zugestofsen  war. 

Nachdem  die  drei  grofeen  Arbeiten  als  vollendet  im  Haupt- 
quartier gemeldet  worden  waren ,  gab  der  Grofskönig  den  Befehl ,  von 
Sardes  aufzubrechen;  die  gröfsten  Schwierigkeiten  schienen  nun  besei- 
tigt Aber  ehe  noch  der  Marsch  begann ,  kam  eine  Unglücksbotschaft, 
welche  die  frohe  Zuversicht  zu  Schanden  machte.  Eine  plötzliche  Sturm- 
öuib  hatte  den  Hellesponl  heimgesucht  und  in  wenig  Stunden  die  mit 
unsäglicher  Mühe  hergestellten  Brücken  völlig  zerstört  Die  Nachricht 
versetzte  den  König  in  mafslose  YVuth;  er  wollte  nichts  davon  wissen, 
dass  irgend  etwas  in  der  Welt  im  Stande  sei,  seine  Pläne  zu  kreuzen  ; 
in  jedem  Misslingen  sah  er  eine  frevelhafte  Auflehnung  gegen  seine 
grofeherrliche  Macht,  eine  Verschuldung,  welche  mit  abschreckender 
Strafe  geahndet  werden  müsse.  Die  Baumeister  wurden  hingerichtet, 
und  selbst  die  Elemente  sollten  für  ihre  Widersetzlichkeit  büfsen.  Bei 
den  Hellenen  wenigstens  ging  die  allgemeine  Rede,  dass  er  den  Helles- 
pont  habe  peitschen,  dass  er  Ketten  in  ihn  habe  versenken  lassen,  zum 
Zeichen,  dass  auch  er  des  Grofsherrn  Sklave  sei  und  ihm  auch  wider 
Willen  dienen  müsse;  ja,  dass  er  mit  frecher  Lästerung  die  heilige 
Salzflutb  verflucht  habe. 

Dann  wurde  anderen  Werkmeistern  die  Erneuerung  der  Brücken 
übertragen.  Die  Taue,  welche  man  von  Ufer  zu  Ufer  gezogen  hatte, 
waren,  wie  man  meinte,  zu  schwach  gewesen.  Man  flocht  nun  beide 
Arten  von  Tauen  zusammen,  die  aus  Papyrusbast,  welche  von  den 
Aegypten!  gemacht  waren,  und  die  stärkeren  Flachsseile,  das  Werk 
pbonikischer  Arbeiter.  Durch  grofse  Winden,  welche  auf  beiden  Ufern 


Digitized  by  Google 


46 


(HERGANG  NACH  EUROPA. 


aufgestellt  waren,  spannte  man  die  Taue  über  die  Schiffe  hinüber, 
welche,  durch  mächtige  Anker  befestigt,  in  doppelter  Reihe  zusammen- 
lagen. Die  längere  lag  aufwärts  nach  der  Propontis  zu  und  bestand 
aus  360  Schiffen,  die  untere  aus  314.  Ueber  die  Schiffe  aber  wurde  eine 
Brellerbahn  gelegt  und  diese  durch  festgestampfte  Erde  wie  zu  einem 
Landwege  gemacht.  Endlich  wurden  an  beiden  Seiten  der  Baiin  Holz- 
wände aufgerichtet,  damit  die  hinübergehenden  Thiere  nicht  durch  den 
Anblick  des  Wassers  scheu  würden.  Ausserdem  hatten  beide  Brücken 
einen  Durchlass,  so  dass  wenigstens  kleinere  Kauffahrer  durchfahren 
konnten;  eine  Einrichtung,  welche  um  so  nothwendiger  war,  da  man 
die  Absicht  haben  musste,  die  Brücken  längere  Zeit  stehen  zu  lassen. 

So  war  denn  das  riesige  Werk  zum  zweiten  Male,  sicherer  und 
dauerhafter,  hergestellt;  aber  noch  ehe  der  Grofskönig  Asien  verlassen 
hatte,  trafen  andere  Unfälle  ein,  für  die  er  keinen  Menschen  ver- 
antwortlich machen  konnte.  Schwere  Unwetter  stürmten  vom  Ida  her- 
unter, während  das  Heer  durch  die  troische  Landschaft  zog,  und  der 
Skamandros,  dessen  Wasser  ausging,  war  ein  warnendes  Vorzeichen 
der  in  trockenen  Ländern  drohenden  Nothstände.  Endlich  war  der 
Hellespont  erreicht,  und  gleichzeitig  sah  man  die  Flotte  von  Ionien  her 
heranfahren  und  mit  ihren  Segeln  den  Sund  bedecken31). 

Nachdem  Xerxes  auf  einem  hochgestellten  Marmorsessel  in  Abydos 
den  Wettfahrten  und  Scheinkämpfen  seiner  Schiffe  zugesehen  hatte, 
entliefs  er  seinen  Oheim  Artabanos,  den  er  zum  Regenten  seines 
Hauses  und  Reiches  bestellt  hatte,  und  der  Marsch  begann,  welcher  in 
sieben  Tagen  die  Völker  Asiens  nach  Europa  hinüberführte.  Die  Flotte 
ging  den  Hellespont  hinunter  und  traf  das  Land  beer  wieder  bei  Doris- 
kos in  dem  breiten  Hebrosthaie,  wo  eine  Festung  mit  persischer 
Besatzung  war.  Hier  an  der  Gränze  seines  Herrschaftsgebiets  gelüstete 
es  Xerxes  sich  noch  einmal  in  seiner  ganzen  Herrlichkeit  zu  spiegeln. 
Die  Schiffe  wurden  au's  Land  gezogen  und  eine  allgemeine  Zählung 
der  Heeresmassen  vorgenommen.  Dann  zogen  Heer  und  Flotte  neben 
einander  bis  zum  Athosgebirge.  Die  Schiffe  ruderten  langsam  durch  den 
Kanal  hindurch  und  umfuhren  dann  die  beiden  anderen  chalkidischen 
Halbinseln,  während  das  Landheer  quer  über  den  Rücken  der  Chalki- 
dike  nach  der  Ecke  des  thermäischen  Meerbusens  vorrückte.  Im 
Winkel  desselben  trafen  beide  Heermassen  wieder  zusammen. 

Den  gefährlichsten  Theil  des  Wegs  hatte  man  glücklich  hinter  sich, 
ohne  dass  ein  feindlicher  Angriff  von  Seiten  der  Bergvölker  erfolgt  wäre. 


Digitized  by  Google 


XERXES  AH  OLYMPOS. 


47 


Die  ungeheuren  Kosten  der  Verpflegung  waren  von  den  Kästenorlen 
willig  übernommen  worden,  und  an  den  angewiesenen  Ruhepunkten 
hatte  man  Korn-  und  Meblvorräthe,  gemästetes  Vieh  und  Geflügel, 
Herbergen  und  Zelte  vorgefunden.  Endlich  war  das  Landheer  durch 
Zuzug  der  Päonier  und  Thraker,  die  Flotte  durch  mitfolgende  Schifte 
der  thrakischen  Seestädte  ansehnlich  verstärkt  worden. 

Im  Golfe  von  Therme  öfTnet  sich  der  Blick  auf  die  griechi- 
schen Berge.  Hier  sah  auch  Xerxes  zuerst  das  feindliche  Land  als 
ein  durch  natürliche  Schutzwehren  abgeschlossenes  vor  sich;  er 
sah  in  mächtigen  Umrissen  den  Olymp  an  das  Meer  vortreten,  den 
Eingang  sperrend  in  die  südlichen  Landschaften,  und  während  für  sein 
Heer  im  oberen  Gebirge  die  Wege  gebahnt  wurden,  eilte  er  selbst  auf 
einem  sidonischen  Schnellruderer  begierig  voraus,  den  berühmten 
Tempe-Pass  sich  anzusehen,  wo  zwischen  Olymp  und  Ossa,  von  senk- 
rechten Felsen  eingeschlossen,  der  Peneios  sich  hindurchwindet,  der 
einzige  Abfluss  des  grofsen  thessalischen  Binnenlandes.  Er  stand  vor 
dem  Thore  von  Hellas.  Hier  hatten  noch  vor  wenig  Wochen  10,000  erz- 
gerüstete Männer  gelagert,  um  an  der  Schwelle  des  amphiktyonischen 
Landes  den  eindringenden  Feinden  entgegen  zu  treten;  jetzt  war  Alles 
leer,  der  Pass  offen,  die  Dörfer  verlassen,  die  Heerden  geflüchtet.  Wo 
waren  die  Hellenen?  Wie  waren  sie  vorbereitet,  die  Ueerschaaren  zu 
empfangen,  die  zu  Lande  und  Wasser  herandrängten,  die  gesamte 
Macht  Asiens,  welche  zugleich,  je  näher  sie  rückte,  um  so  mehr  auch 
griechische  Volkskräfte  sich  dienstbar  machte,  um  Griechenland  zu 
überwältigen?  Denn  diesmal  galt  ja  der  Zug  nicht  den  Athenern,  wie 
Tor  zehn  Jahren,  sondern  allen  Stämmen  und  Staaten  von  Hellas. 


In  vielen  Beziehungen  kann  man  sagen,  dass  Griechenland  besser 
als  je  im  Stande  war  einem  feindlichen  Angriffe  zu  widerstehen,  denn 
das  Land  ist  gewiss  zu  keiner  Zeit  volkreicher,  das  Volk  selbst  nie 
kräftiger,  tüchtiger  und  gesünder  gewesen,  als  im  Anfange  des  fünften 
Jahrhunderts  vor  Chr.  Die  ausserordentliche  Colonisationslhätigkeit 
der  letzten  Jahrhunderte  hatte  das  Mutterland  keineswegs  geschwächt, 
andern  nur  Wohlstand  und  Segen  gebracht.  Denn  das  Selbstgefühl 
der  Nation  war  dadurch  in  hohem  Grade  gewachsen,  dass  sie  sich 
leiblich  und  geistig  allen  anderen  Völkern  überlegen  fühlte  und  nirgends 
einen  ebenbürtigen  Gegner  gefunden  hatte.  Alle  Kräfte  und  Geschick- 


Digitized  by  Google 


IS 


ZUSTÄNDE  GRIECHENLANDS. 


lichkeilen  waren  entwickelt,  Muth  und  Geistesgegenwart  durch  die 
Mannigfaltigkeit  neuer  und  schwieriger  Aufgaben  geübt.  Die  Verbin- 
dung mit  den  aufblühenden  Pflanzstädten  balle  den  Mittelstand  aller 
Orten  gehoben  und  dem  Handel  wie  dem  Gewerbfleifse  eine  Menge 
neuer  Hülfsquellen  geöflnet.  Bei  dem  allgemeinen  Wohlstande  war  die 
Auswanderung  durch  zahlreichen  und  kräftigen  Nachwuchs  rasch  er- 
setzt worden;  das  Mutterland  konnte  ohne  die  Colonieen  gar  nicht 
bestehen,  denn  nur  durch  die  Kornzufuhr  aus  den  Pontosländern,  aus 
Afrika ,  Sicilien  und  Italien  war  es  möglich ,  dass  eine  so  dichte  Bevöl- 
kerung in  den  Städten  und  Landschaften  wohnen  konnte. 

Argons  war  die  einzige  Landschaft,  deren  Bevölkerung  eine  grofse 
Verminderung  erlitten  hatte.  Während  des  Kriegs  mit  Sparta  (S.  9) 
war  Kleomenes  mit  äginetischen  und  sikyonischen  Schiffen  gelandet, 
hatte  die  Argiver  uberfallen  und  die  in  den  heiligen  Hain  'Argos' 
Geflüchteten  durch  Feuer  umgebracht.  Sechstausend  Bürger  sollen  auf 
diese  Weise  ihren  Untergang  gefunden  haben;  es  war  die  furchtbarste 
Heimsuchung,  welche  seit  Menschengedenken  eine  Stadt  des  griechi- 
schen Mutterlandes  erlebt  hatte. 

Sonst  war  Land  und  Volk  überall  in  unversehrtem  Zustande. 
Lakonien  zählte  8000  Spartaner;  jedem  Spartaner  konnten  sieben 
Heloten  beigegeben  werden ,  und  aufserdem  hatte  es  einen  kräftigen 
und  zahlreichen  Stand  freier  Landbewohner,  so  dass  es,  ohne  sich  von 
Streitkräften  zu  entblöfsen,  50,000  Wehrmänner  in's  Feld  stellen 
konnte.  Arkadien  war  ein  ungemein  bevölkertes  Land,  dessen  gesamte 
Mannschaft  man  auf  etwa  30,000  schätzen  kann ;  für  den  ganzen  Pe- 
loponnes  aber  kommt  man  auf  eine  Gesamtzahl  von  ungefähr  zwei 
Millionen  Einwohner.  Athen  hatte  damals  nach  Uerodots  unverdäch- 
tigem Zeugnisse  30,000  Bürger  und  konnte  im  Verlaufe  desselben 
Jahrhunderts,  das  die  Perserkriege  eröffneten,  ohne  die  Flottenmann- 
schaft und  die  Reiter  zu  rechnen,  nachweislich  13,000  Schwerbewaffnete 
und  16,000  Mann  Besatzungstruppen  stellen.  Wie  ansehnlich  die 
böolischen  Landstädte  waren,  bezeugt  die  Kraft  des  Widerstandes,  den 
sie  Theben  entgegenstellen  konnten.  Für  die  Bevölkerung  des  Insel- 
landes giebt  Naxos  einen  Mafsstab  ab  (I,  614  f.)  und  unter  den  kleineren 
Inseln  Keos,  ein  Eiland,  das  auf  einem  durchaus  gebirgigen  Areal  von 
kaum  zwei  Quadratmeilen  nicht  weniger  als  vier  Städte  enthielt,  jede 
Stadt  mit  ihrem  eigenen  Hafen,  mit  eigener  Gesetzgebung  und  Münze. 

Aus  dieser  Zeit  des  blühendsten  Standes  griechischer  Bevölkerung 


Digitized  by  Google 


ZUSTANDE  GRIECHENLANDS. 


49 


stammt  jener  sorgfältige  Anbau,  dessen  Spuren  noch  heute  den  Wan- 
derer in  Erstaunen  setzen,  wenn  er  sieht,  wie  einst  jedes  Plätzchen 
ausgenutzt,  jede  Schwierigkeit  der  Ansiedelung  und  des  Verkehrs  über- 
wunden, wie  alles  Land  von  menschlichem  Leben  durchdrungen  war. 
Auf  Felsklippen,  wo  jetzt  nur  Ziegenheerden  ein  notdürftiges  Futter 
6nden,  trifft  man  die  Ueberreste  wohl  ummauerter  Städte,  welche  mit 
Cislernen  und  Wasserleitungen  versorgt  waren,  während  die  umliegen- 
den Höhen  bis  zum  Gipfel  hinauf  in  künstlichen  Terrassen  abgestuft 
waren,  um  für  Kornbau  und  Obstzucht  Platz  zu  gewinnen"). 

Die  Städte  der  Griechen  waren  keine  Großstädte,  wie  die  Handels- 
und  Residenzstädte  des  Murgenlandes;  dadurch  blieben  sie  vor  vielerlei 
Hebeln  bewahrt,  welche  sich  in  übervölkerten  Städten  unvermeidlich 
erzeugen;  es  bildeten  sich  keine  so  schroffen  Gegensätze  von  arm  und 
reich,  von  Ueppigkeit  und  Nolh,  deren  jede  in  ihrer  Weise  die  Bevöl- 
kerungen entkräftet;  die  Armuth  war  keine  Bettelarmuth ,  die  Menge 
kein  PöbeL  Auch  das  städtische  und  ländliche  Leben  traten  nicht  so 
schroff  aus  einander,  da  die  griechische  Stadt  keinen  Gegensatz  gegen 
das  Land  bildete.  Die  Bürgerschaften  waren  übersichtliche  Gemeinden, 
in  denen  jeder  Abfall  von  der  väterlichen  Sitte  um  so  leichter  bemerkt 
und  gerügt  wurde.  Durch  gemeinsames  Gesetz  wurden  die  Bürger- 
schaften zusammengehalten,  das  Gesetz  galt  aber  für  den  Ausdruck 
einer  lebendigen  Willensgemeinschaft;  darum  war  die  Unterordnung 
unter  dasselbe  keine  unfreie;  der  Einzelne  fühlte  sich  als  ein  Glied  des 
Ganzen,  und  die  Oeffenüichkeit  des  Gemeindelebens  war  die  stärkende 
Luft,  in  welcher  die  Bürger  aufwuchsen.  In  allen  Städten  gab  es  noch 
alte  Geschlechter  voll  Kraft  und  Talent,  die  mit  dem  väterlichen  Her- 
kommen verwachsen  waren,  und  neben  ihnen  erhoben  sich  Leute  des 
Gewerbestandes,  um  ihren  Antheil  am  Gemeinwesen  geltend  zu 
machen. 

Neben  der  bürgerlichen  Gesellschaft  bestand  eine  unfreie  Bevöl- 
kerung, welche  in  Handels-  und  Fabrikstädten  wie  Korinth  und  Aigina 
sehr  grofs  war.  Hier  mufs  die  Menge  derselben  bis  auf  das  Zehnfache 
der  freien  Einwohner  sich  belaufen  haben.  Das  Vierfache  mufs  auch 
in  Attika  als  geringstes  Mafs  angenommen  werden33). 

Man  sollte  denken,  dass  eine  solche  Menge  unterdrückter  Menschen 
einem  Landesfeinde  grofse  Vortheile  in  die  Hand  gegeben  hätte, 
namentlich  wenn  die  Sklaven  unter  den  feindlichen  Truppen  ihre 
Landsleute  fanden,  wie  dies  mit  den  Phrygern,  Syrern  u.  a.  Sklaven 

Cartioa,  Gr.  GMcfa.  IL  6.  Aufl.  4 


Digitized  by  Google 


50 


DIE  BÜRGERLICHE  GESELLSCHAFT. 


asiatischer  Herkunft  der  Fall  war.  Indessen  finden  sich  in  den  Perser- 
kriegen keine  Beispiele  von  Verrath  und  Ueberlaufen.  Die  Sklaven 
waren  mit  der  Bürgerschaft  zu  eng  verknüpft;  es  bestand  zwischen 
ihnen  und  den  Familien  ein  gemülhliches  Verhältnisse  das  durch  Sitte 
und  Religion  gepflegt  wurde.  Die  Sklaven  gehörten  solchen  Stämmen 
an ,  welche  an  geistigen  Anlagen  den  Griechen  weit  nachstanden  und 
namentlich  für  bürgerliches  Gemeindeleben  weder  Neigung  noch 
Fähigkeit  besafsen.  Darum  erschien  ihre  Unterordnung  nicht  als  Unter- 
drückung; das  ganze  Verhältniss  wurde  als  ein  nach  beiden  Seiten 
erspriefsliches  und  nalurgemäfses  angesehen.  Das  griechische  Bürger- 
thum aber  war  ohne  diese  Grundlage  gar  nicht  denkbar. 

Die  Sklaven  versahen  alle  untergeordneten  Hantierungen;  sie  be- 
stellten den  Acker,  besorgten  Küche  und  Viehstand;  sie  dienten  ihren 
Herren  als  Handwerker  und  Arbeitsleute  und  erleichterten  ihnen  das 
Leben  in  allen  Beziehungen,  ohne  dass  die  Bürger  dadurch  träge,  Schlad 
und  üppig  wurden. 

Vor  dieser  nachtheiligen  Einwirkung  des  Sklaventhums  wurden 
die  Griechen  durch  die  natürliche  Energie  ihres  Wesens,  die  Macht  der 
Sitte  und  das  Gesetz  bewahrt;  denn  Müfsiggang  und  Geschäftslosigkeit 
wurde  in  wohlgeordneten  Staaten  als  Verbrechen  bestraft.  Andererseits 
musslen  sich  die  Bürger  bei  dem  Unterschiede  von  Anlage  und  Bildung, 
der  ihnen  täglich  vor  Augen  trat,  als  ein  bevorzugtes  und  zur  Herr- 
schaft berufenes  Volk  fühlen ;  ein  Bewusstsein,  welches  wesentlich  dazu 
beitrug,  ihnen  auch  im  Kampfe  mit  dem  Auslande  eine  stolze  und 
muthige  Haltung  zu  geben;  denn  alle  Barbaren  schienen  zur  Knecht- 
schaft geboren  zu  sein.  Seit  dem  Vordringen  der  Perser  betrachtete 
man  den  jenseitigen  Continent  als  ein  Barbarenland,  und  man  gewöhnte 
sich  jetzt,  den  troischen  Krieg  als  den  Anfang  eines  Völkerkriegs 
zwischen  Asien  und  Europa  anzusehen,  zu  dessen  Fortsetzung  auch 
das  lebende  Geschlecht  berufen  und  verpflichtet  sei.  Dabei  wurden  die 
homerischen  Gedichte,  die  in  Athen  gesammelt  waren,  in  allen  Gemü- 
thern wieder  lebendig,  und  man  wurde  sich  des  ganzen  Besitzes  ein- 
heimischer Cultur,  wie  ihn  kein  anderes  Volk  aufzuweisen  hatte,  mit 
um  so  gröfserem  Stolze  bewusst 

Zugleich  wurde  das  griechische  Bürgerlhum  dadurch  in  einer 
höheren  Sphäre  gehalten,  dass  nicht  leicht  ein  Bürger  in  die  Lage  kam, 
dem  anderen  Dienstleistungen  unwürdiger  Art  zu  erweisen,  und  dass 
auch  die  Aermeren  für  allgemeine  Angelegenheiten  und  für  geistige 


Digitized  by 


DIB  BÜRGERLICHE  GESELLSCHAFT. 


51 


Bildung  Mufse  und  Neigung  sich  bewahren  konnten.  Denn  eine  freie 
Lettensstellung  und  behagliche  Mufse  erschien  den  Alten  als  eine  uner- 
läßliche Bedingung  für  die  Entwickelung  bürgerlicher  Tugend,  welche 
von  derjenigen  Tugend,  die  man  auch  bei  einem  Sklaven  und  Hand- 
werker voraussetzen  konnte,  eine  wesentlich  verschiedene  war.  Auch 
die  gymnastische  Ausbildung  des  Leibes  war  ein  Vorrecht  der  Bürger, 
an  welchem  die  Unfreien  keinen  Antheil  haben  durften.  Sie  war  die 
Voraussetzung  einer  angesehenen  Stellung  in  der  bürgerlichen  Gesell- 
schaft, und  in  einzelnen  Städten  bestand  sogar  das  Gesetz,  dass  Keiner 
in  die  Bürgerlisten  aufgenommen  wurde,  welcher  nicht  in  den  öffent- 
lichen Ringschulen  alle  üebungen  ordnungsmäfsig  durchgemacht  hatte. 
Regelrechte  Schule  war  den  jungen  Männern  zur  anderen  Natur  gewor- 
den: sie  hatten  gelernt  die  Kraft  zu  verdoppeln,  wenn  es  galt,  und  nichts 
mehr  zu  scheuen  als  den  Verdacht  der  Feigheit. 

So  hatte  Friede  und  Wohlstand  in  Hellas  keine  Erschlaffung  her- 
beiführen können,  wie  in  Ionien.  Die  Palästra  hatte  die  Vorübung  zum 
ernsten  Kampfe  gewährt;  in  den  Tempelhainen  von  Olympia  und  Del- 
phi lernte  man  die  Freude  des  mit  heifser  Mühe  errungenen  Sieges 
kennen.  Schon  am  Abend  des  Siegestages  wurde  der  Preisträger  mit 
Gesang  begrüfst;  dann  wurden  eigene  Siegeslieder  gedichtet,  welche 
seit  Simonides  in  der  nationalen  Li  Hera  tu  r  eine  bedeutende  Stelle  ein- 
nahmen. 

Simonides  aus  Keos  und  Pindaros  aus  Theben,  welche  beide  um 
die  Zeit  des  persischen  Heerzugs  in  voller  Wirksamkeit  standen,  bezeu- 
gen nicht  nur  die  volle  Blüthe  des  hellenischen  Festwesens  und  der  ihm 
gewidmeten  Kunst,  sondern  auch  die  Heldenkraft,  welche  in  ihren 
Zeitgenossen  lebte,  die  geistige  und  körperliche  Tüchtigkeit,  welche 
sich  in  den  angesehenen  Geschlechtern  forterbte,  und  den  hohen  Ernst, 
mit  welchem  die  nationalen  Wettkämpfe  geübt  wurden. 

Als  weit  geschätzte  und  reich  belohnte  Meister  zogen  diese  Dichter 
im  Lande  umher;  sie  standen  mit  ihrer  Kunst  in  der  Milte  des  Volks 
and  wirkten  dahin ,  die  Gemeinden  und  Geschlechter  desselben  geistig 
anter  einander  und  mit  der  ganzen  Nation  verbunden  zu  halten.  Sie 
waren  darauf  angewiesen,  die  gemeinsamen  Ueberlieferungen  der 
Torzeit  in  Erinnerung  zu  bringen,  die  gemeinsamen  Hellenenfeste 
za  verherrlichen  und  den  Ruhm  der  Sieger,  welche  dem  ganzen 
Vaterlande  angehörten,  und  in  denen  sich  das  Hellenen thum  gleichsam 
persönlich  darstellte,  in  ihren  Liedern  zu  feiern.    So  finden  wir 

4* 


Digitized  by  Google 


52 


DIE  BÜRGERLICHE  GESELLSCHAFT. 


Simonides  im  Mutterlande  wie  in  den  Colonieen  als  einen  einfluss- 
reicben  Mann,  welcher  die  verschiedensten  Kreise  mit  einander  in 
Verbindung  setzt,  Freundschaften  stiftet  und  eintretende  Zwistigkeiten 
ausgleicht. 

Noch  bedeutender  tritt  uns  diese  vermittelnde  Stellung  in  Pindar 
entgegen.  Ein  Thebaner  von  Geburt  und  mit  ganzem  Herzen  seiner 
Vaterstadt  angehörig,  hatte  er  dann  in  Athen  bei  Lasos  (I,  364)  die 
höhere  Kunst  erlernt;  er  war  eingeweiht  in  die  Mysterien  von  Eleusis, 
er  weilte  mit  Vorliebe  bei  den  grofsen  Nationalfesten;  er  war  in  Delphi, 
dem  religiösen  Mittelpunkte  des  Landes,  wie  zu  Hause.  Schon  durch 
seine  Abstammung  von  den  Aegiden,  deren  weitverzweigtes  Geschlecht 
an  der  Ordnung  des  spartanischen  Staats,  an  der  Gründung  von  Thera 
und  Kyrene  einen  so  wichtigen  Antheil  gehabt  hat  (I,  169.  445),  war 
er  berufen ,  von  höherem  und  weiterem  Gesichtspunkte  aus  die  helle- 
nischen Angelegenheiten  zu  betrachten. 

Wanderlustig  wie  seine  Vorfahren,  zog  er  umher  in  den  Städten 
von  Hellas  und  fand  seinen  Beruf  darin,  das  Bewusstsein  der  gemein- 
samen Nationalität  und  Sitte  in  den  Bewohnern  weit  getrennter  Gegen- 
den zu  erwecken.  'Herrliches  Lakedämon',  so  sang  er  schon  im  frühen 
Jünglingsalter,  ehe  noch  der  ionische  Aufstand  den  ganzen  Krieg 
zwischen  Persien  und  Hellas  veranlasst  halte,  'herrliches  Lakedämon, 
glückseliges  Thessalien!  Von  einem  Vater  stammend,  herrscht  hier 
wie  dort  das  Geschlecht  des  kampfberühmten  Herakles'.  So  benutzte 
er  den  Schatz  alter  Sagen  und  wusste  sie  mit  sinnreichem  Geiste  anzu- 
wenden, um  Sparta  mit  den  Dynasten  Thessaliens,  und  ebenso  Theben, 
Aigina  und  die  arkadischen  Städte  zu  einer  grofsen  Volkseinheit  zu 
verbinden. 

Aber  von  dieser  idealen  Einheit  abgesehen,  deren  Bewusstsein 
in  den  Dichtern  des  Volks  seinen  Ausdruck  fand  und  das  Herz  edel- 
gesinnter Hellenen  erwärmte,  war  keine  nationale  Verbindung  vorhan- 
den, welche  den  Angriffen  einer  despotisch  geleiteten  Feindesmacht 
gegenüber  irgend  eine  nachhaltige  Widerstandskraft  verbürgen  konnte. 

Seit  dem  letzten  Menschenalter  war  die  Macht  von  Delphi  ge- 
brochen (I,  551);  ohne  Kampf  war  die  Herrschaft  seiner  Priester  zu 
Grunde  gegangen,  weil  sie  auf  geistigen  Mitteln  beruhte,  die  allmählich 
verbraucht  waren;  es  hatte  keine  Wahrheit  mehr,  wenn  man  Delphi 
das  Centrum  von  Griechenland  nannte.  Inzwischen  war  auch  nichts 
Neues  an  die  Stelle  getreten,  sondern  in  demselben  Mafse,  wie  die  ge- 


Digitized  by  Google 


DIE   NATIONALE  EINHEIT. 


53 


ineinsamen  Ordnungen  alter  Zeit  zu  Grunde  gingen,  hatten  die  Einzel- 
Maaten  sich  immer  selbständiger  ausgebildet.  Jedes  Gemeinwesen  war 
<lem  anderen  gegenüber  vollständig  abgeschlossen,  gleichsam  ein  Haus- 
wesen  für  sich.  Die  Bürger  des  Nachbarstaats  waren  Fremde,  Auslän- 
der; eheliche  Verbindungen  zwischen  Angehörigen  verschiedener  Staaten 
rechtlich  ungültig,  wenn  dieselben  nicht  besondere  Verträge  über  Ehe- 
gemeinschaft geschlossen  hatten.  Dazu  kam  nun,  dass  überall  nachbar- 
liche Reibungen  stattfanden.  Streitigkeiten  über  die  Gränzlinien,  über 
die  Ausdehnung  heiliger  Ländereien,  über  die  Aufnahme  flüchtiger 
Sklaven,  und  nur  selten  fühlten  sich  die  streitenden  Parteien  ver- 
pflichtet, friedliche  Ausgleichung  durch  schiedsrichterlichen  Spruch  zu 
suchen.  Ein  Bundesgericht  von  allgemeiner  Anerkennung  war  nirgends 
vorhanden.  Deshalb  lässt  Herodot,  indem  er  die  Berathungen  der  per- 
sischen Fürsten  schildert,  welche  Xerxes  vor  dem  Beginn  des  Krieges 
zusammenrief,  den  Mardonios  die  Frage  thun,  wie  doch  der  Perser- 
könig ein  Volk  fürchten  könne,  dessen  Staaten,  statt  durch  Herolde  und 
Botschafter  ihre  Streitigkeiten  auszugleichen,  wie  es  Sprach  genossen 
gezieme ,  in  thörichter  Uebereilung  zu  den  Waffen  griffen  und  sich 
schwer  beschädigten  **). 

Die  Staaten  selbst  waren  von  zweierlei  Art  Entweder  waren  es 
kleine  Gemeinwesen,  bäuerliche  Kantone,  die  still  und  unbemerkt  dahin 
lebten,  wie  die  arkadischen  Gaugenossenschaften,  einem  mächtigen 
Nachbar  folgend ,  ohne  daran  zu  denken,  eigene  Politik  zu  machen; 
oder  es  waren  gröfsere,  bewegtere,  an  den  Welthändeln  theilnehmende 
Staaten,  welche  sich  in  ihren  Machtansprüchen  feindlich  begegneten. 

So  lagen  sich  vor  Allem  die  beiden  Hauptstaaten  gegenüber. 
Sparta  behauptete  noch  immer  die  erste  Stelle.  Seine  Bürger  galten 
für  die  Ersten  der  Hellenen  an  Schönheit  und  Tüchtigkeit,  für  die  ge- 
borenen Führer  der  Anderen,  für  die  Meister  der  Kriegskunst,  die  mit 
wohlberechtigtem  Stolze  sich  den  Griechen  ionischen  Geblütes  über- 
legen fühlen  könnten.  Und  wenn  auch  die  unglückliche  und  unwürdige 
Politik,  welche  Sparta  in  den  letzten  zwanzig  Jahren  befolgt  hatte, 
wenig  geeignet  war,  Vertrauen  und  Achtung  zu  erwecken,  so  waren  die 
Zeitumstände  doch  der  Fortdauer  seines  Ansehens  günstig.  Denn  bei 
dem  allgemeinen  Schrecken,  welchen  die  Ausbreitung  der  Persermacht 
rerursachte,  und  bei  dem  steigenden  Gefühle  allgemeiner  Unsicherheit 
in  der  griechischen  Welt  musste  der  Peloponnes  seiner  natürlichen 
Festigkeit  wegen  mehr  als  je  für  die  Burg  von  Hellas  angesehen  werden. 


Digitized  by  Google  j 


54 


DIE   STELLUNG   VON  Sl'ARTA. 


Spartas  Verfassung  und  der  peloponnesische  Bund  halten  sich  doch  als 
das  Dauerhafteste  von  Allem,  was  die  Hellenen  an  Staatseinrichtungen 
hervorgebracht  hatten«  bewährt.  Sparta  war  auch  in  Kleinasien  als  ein 
mächtiger  und  wohlgeordneter  Staat  angesehen ,  und  als  nach  dem 
Falle  von  Sardes  die  dortigen  Verhältnisse  immer  unbehaglicher  wurden, 
waren  Viele  nach  dem  Peloponnes  ausgewandert,  um  sich  den  Folgen 
einer  gewaltsamen  Umwälzung  zu  entziehen.  So  war  Balhykles  aus 
Magnesia  mit  seiner  Kunstschule  nach  Sparta  übergesiedelt  (I,  579), 
und  ionische  Kaufleute  legten  damals  ihre  Gelder  in  Sparta  an ,  wie 
Heiodo t  von  dem  reichen  Milesier  erzählt,  welcher  dem  Spartaner 
Glaukos  die  Hälfte  seines  Vermögens  anvertraute ,  in  Erwägung ,  wie 
bei  ihnen  in  Ionien  Alles  so  schwankend  und  unsicher  sei,  und  einzig 
der  Peloponnes  noch  als  ein  sicherer  Platz  erscheine' *). 

Dennoch  hatte  Sparta  weder  Mulh  noch  Kraft,  die  Verhältnisse  zu 
benutzen  und  bei  der  zunehmenden  Bedrängung  der  griechischen  Welt, 
als  Hauptstadt  der  Hellenen,  ihre  gemeinsamen  Angelegenheilen  zu 
vertreten.  An  ehrgeizigen  Gelüsten  fehlte  es  freilich  nicht.  Ehe  die 
Persermacht  sich  befestigt  hatte,  wollten  die  Spartauer  ja  selbst  dem 
lydischen  Könige  zu  Hülfe  kommen;  nachher  aber  hatten  sie  nicht  ein- 
mal den  Mulh,  die  eigenen  Stammgenossen  zu  beschützen,  und  wiesen 
zweimal  die  um  Hülfe  bittenden  lonier  zurück  (I,  576.  620). 

In  Griechenland  selbst  hielten  sie  mit  aller  Zähigkeit  au  ihren 
Ansprüchen  fest,  aber  sie  zehrten  an  ihrem  Kapitale  und  ihateu 
nichts,  um  neue  Ansprüche  zu  erwerben.  Plataiai  in  ihre  Bundesge- 
nossenschaft aufzunehmen,  halten  sie  nicht  gewagt,  aber  das  Gesuch 
der  Platäer,  wie  jede  andere  Gelegenheit  benutzt,  um  unter  den  Staaten 
nördlich  vom  Isthmos  Unfrieden  zu  stiften  (l,  383).  Was  sie  also  durch 
eigene  Kraft  nicht  erreichen  konnten,  dazu  sollte  die  Schwäche  der 
Anderen  ihnen  verhelfen.  So  wenig  hatte  Sparta  die  Fähigkeit  und  den 
Willen ,  die  Kräfte  des  griechischen  Volks  zu  vereinigen.  Wohl  war 
seine  Bürgerschaft  ein  Kriegsheer  ohne  Gleicheu,  aber  der  belebende 
Geist  fehlte  und  ein  auf  hohe  Ziele  gerichteter  Sinn;  der  Staat  wusste 
seine  eigenen  Mittel  nicht  zu  gebrauchen;  träge  und  schwerfällig  be- 
wegte er  sich  nur  in  gewohnten  Gleisen  weiter.  In  seinen  Herakliden 
loderte  wohl  zuweilen  uoch  etwas  von  achäischem  Heldenfeuer  auf;  es 
offenbarte  sich  in  ihnen  noch  ein  kühner  und  unternehmender  Geist, 
aber  er  lehnte  sich  dann  in  wilder  Selbstsucht  gegen  den  eigenen  Staat 
auf,  wie  das  Beispiel  des  Kleomeues  zeigt,  oder  er  artete  in  ein  zweck- 


Digitized  by  Google 


D\S  VERHALTEN  VON  SPARTA. 


55 


loses  Abenteuern  aus,  wie  bei  Dorieus,  dem  jüngeren  Bruder  des  Kleo- 
menes,  dem  die  heimathlichen  Verhältnisse  so  unerträglich  wurden, 
dass  er  in  die  weite  Welt  ging  und  sich  erst  in  Libyen,  dann  in  Sici- 
lien  ein  neues  Reich  erkämpfen  wollte"). 

So  wurde  die  Heldenkraft,  welche  noch  vorhanden  war,  nutzlos 
vergeudet,  und  während  die  Perser  immer  näher  rückten,  dachte  Sparta 
in  engherzigster  Weise  nur  an  seine  Landesinteressen.  Es  überzog 
Argos  mit  verheerendem  Kriege;  es  fuhr  fort,  jede  Entzweiung  der 
anderen  Staaten,  welche  ihm  Vortheil  versprach,  zu  begünstigen,  und 
wenn  es  sich  auch  zu  einer  Waflengenossenschaft  mit  Athen  verpflichtet 
halte,  so  war  es  doch  absichtlich  bei  Marathon  zu  spät  gekommen ; 
denn  bei  seiner  Armuth  an  eigenen  Gedanken  und  Plänen  hatte  Sparta 
im  Grunde  kein  anderes  Augenmerk,  als  nur  das  aufstrebende  Athen 
nicht  grofs  werden  zu  lassen.  Athen  aber  war  durch  seine  innere  Ent- 
wickelung  wie  durch  seine  äufseren  Verhältnisse  schon  so  gestellt,  dass 
es  seine  Bahn  nicht  verlassen  konnte;  es  war  eine  Großmacht  geworden; 
es  musslc  mit  Ehren  vorwärts  oder  mit  Schanden  rückwärts  gehen. 

Außerdem  bestanden  feindliche  Spannungen  aller  Art  zwischen  den 
einzelnen  Staaten.  AU  Kroisos  in  Sardes  belagert  wurde  (5S,  1;  548), 
waren  Argos  und  Sparta  in  blutiger  Fehde  um  die  Gaue  der  Thyreatis, 
welche  die  Argiver  nach  Pheidon's  Sturz  wieder  verloren  halten.  Aigina 
und  Korinth  verfolgten  sich  mit  gegenseitiger  Eifersucht,  und  in  einer 
und  derselben  Landschaft  haderten  die  kleineren  Städte  mit  den 
grofseren,  welche  sich  als  Hauptstädte  über  die  anderen  erheben 
wollten,  wie  Theben  über  Thespiai  und  Plataiai.  Oft  hatten  die  Stadt- 
feliden  mehr  den  Charakter  eines  Wellkampfes  und  waren  gewisser- 
maßen nur  eine  Ausartung  des  agonislischen  Triebes,  welcher  den 
Hellenen  von  Natur  so  tief  eingepflanzt  war.  Auserlesene  Scbaaren  mafsen 
sieh  mit  einander,  und  die  Aufstellung  des  Siegeszeichens  war  es, 
worauf  es  besonders  ankam.  Daher  geschah  es,  dass  auch  nach  dem 
blutigsten  Handgemenge  der  Erfolg  zweifelhaft  bleiben  konnte.  So  be- 
haupteten die  Lakedämonier  in  Thyrea  die  Sieger  zusein,  weil  der 
Leute  ihrer  dreihundert,  Othryades,  die  Nacht  auf  der  Wahlstatt  ge- 
blieben sei  und  die  Waffen  der  Feinde  zum  Siegesmal  gesammelt 
habe ,  während  die  Letzten  der  Argiver  als  Sieger  in  ihre  Stadt  geeilt 
wären. 

Daher  dachte  man  auch  bei  den  vielen  Stadtfehden  beiderseitig 
nicht  daran,  möglichst  sichere  Stellungen  einzunehmen,  sondern  die 


Digitized  by  Google 


56 


DER  GEGENSATZ  DER  PARTEIEN. 


Bürgerschaften  rückten  sich  wie  zu  einem  Zweikampfe  auf  ofTenem  Felde 
entgegen,  um  ihre  Tapferkeit  an  einander  zu  erproben.  Indessen  trat 
diese  harmlosere  Kampfweise  immer  mehr  zurück,  je  mehr  die  poli- 
tischen Leidenschaften  aufgeregt  wurden  und  heftige  Parteigegensätze 
hervorriefen17). 

Es  ging  aber  durch  ganz  Griechenland  ein  schroffer  Gegensalz; 
denn  noch  gab  es  in  allen  Stödten  ritterliche  Geschlechter  von  altem 
Ruhme  und  Reichthum,  welche  den  angestammten  Beruf  zu  haben 
glaubten,  des  Volks  Vorstände  zu  sein  und  die  Bürgerschaften  zu  leiten. 
Ueberall,  wo  diese  Geschlechter  noch  am  Ruder  waren  ,  hasste  man 
Athen  als  den  Herd  der  Demokratie,  welche  wie  ein  böses  Gift  die  Ge- 
sundheit des  hellenischen  Lebens  in  immer  weiteren  Kreisen  zerstöre; 
man  konnte  es  den  Athenern  nicht  vergeben,  dass  sie  sich  mit  den 
Ioniem  eingelassen  und  dadurch  alles  Unheil  angestiftet  hätten. 

Aber  auch  im  Schofse  jeder  gröfseren  Stadtgemeinde  standen  sich 
die  Parteien  gegenüber,  deren  Gegensatz  um  so  schroffer  hervortrat,  je 
lebendiger  die  Bewegung  war,  welche  die  Zeit  durchdrang.  Die  Einen 
folgten  der  Bewegung  mit  Begeisterung;  die  Anderen  traten  ihr  mit 
Misstrauen  oder  offenem  Widerspruche  entgegen.  Deshalb  musste  der 
glänzende  Aufschwung,  den  das  junge  Athen  genommen  halte,  nicht  etwa 
blols  den  Spartanern  und  Thebanern  einAergerniss  sein,  sondern  auch 
allen  denen ,  welche  das  Heil  der  Staaten  in  der  besonnenen  Leitung 
durch  die  Mitglieder  alter  Familien  sahen,  denen  nichts  verhasster  war 
als  ein  Umschwung  der  Verhältnisse,  durch  welchen  der  grofse  Haufe 
zur  Herrschaft  gelange,  um  in  tobenden  Marktversammlungen  über  das 
Schicksal  der  Staaten  zu  entscheiden.  In  der  jungen  Welt,  welche  mit 
unglaublicher  Rührigkeit  ihre  Kräfte  entfaltete,  wollte  man  nichts  mehr 
von  bevorrechteten  Ständen  wissen;  da  sollte  Alles  Allen  erreichbar 
sein.  Bei  diesem  freien  Wetteifer  der  Kräfte  fühlten  die  städtischen 
Geschlechter  ihr  ganzes  Ansehen  bedroht,  und  ihr  Sturz  wurde  von 
den  Anhängern  der  alten  Zeit  als  der  Verfall  hellenischer  Staatenord- 
nung und  edler  Gesittung  betrachtet.  Der  augenblickliche  Aufschwung 
erschien  ihnen  nur  wie  ein  kurzer  Rausch. 

Nun  drohten  die  Perserkriege.  Sollten  diese  glücklich  bestanden 
werden,  so  konnte  es  nur  durch  die  Betätigung  einer  allgemeinen  Be- 
geisterung d.  h.  durch  eine  grofse  Volkserhebung  gelingen.  Das  konnte 
Niemand  verkennen.  Also  jeder  glückliche  Erfolg  musste  auch  ein  Sieg 
der  Volkspartei,  ein  Fortschritt  der  Demokratie  sein,  und  das  war  der 


Digitized  by  Google 


DIE  PARTEISTA.NDPC.NKTE 


57 


Grund,  weshalb  die  alten  Familien  und  ihre  Anhänger  keine  Sympathie 
för  die  Freiheitskämpfe  hatten.  Ihnen  war  schon  die  Bürgerherrschart 
in  den  ionischen  Städten  ein  Gräuel  gewesen,  und  wie  sie  es  gewiss 
im  Herzen  den  Persern  dankten,  dass  sie  dem  Unwesen  daselbst  ein 
Ende  gemacht  hatten,  so  wollten  sie  auch  im  eigenen  Lande  lieber  die 
Perser  siegreich  sehen,  als  die  Demokraten. 

Deshalb  waren  in  ganz  Griechenland  die  Aristokraten  medisch  ge- 
sinnt und  leiteten  entweder  in  diesem  Sinne  den  ganzen  Staat,  wie  in 
Thessalien  und  Theben,  oder  machten,  wo  sie  dies  nicht  ver- 
mochten, in  heimlichen  Umtrieben  ihre  Richtung  geltend,  wie  in 
Eretria  und  Athen.  Man  suchte  sogar  zwischen  Persern  und  Griechen 
allerlei  verwandtschaftliche  Beziehungen  nachzuweisen,  um  die  Ilin- 
neigting  zu  der  Sache  des  Nalionalfeindes  zu  beschönigen.  In  Argos 
tiefe  man  es  sich  gefallen,  dass  Perseus  als  der  gemeinsame  Stamm- 
vater der  Achämeniden  und  Argiver  gellend  gemacht  wurde.  Griechi- 
sche Sagengelehrsamkeit  war  geschäftig,  den  Phryger  Pelops  zu  be- 
nutzen, um  ein  Herrschaftsrecht  der  Achämeniden  auf  das  Erblheil  der 
Pelopiden  zu  beweisen,  und  ebenso  erzählte  man  dem  Datis,  dass  er 
als  Nachkomme  des  Medos,  des  Sohnes  der  Metlea  und  des  Aigetis,  An- 
brüche auf  Attika  habe"). 

Aus  den  angegebenen  Gesichtspunkten  war  auch  das  delphische 
Orakel  weit  entfernt,  die  Nationalsache  gegen  die  Perser  zu  vertreten. 
Wo  sich  in  der  Nähe  oder  Ferne  hellenischer  Patriotismus  regte,  wurde 
er  von  Delphi  aus  gedämpft.  Die  Knidier,  welche  zu  der  Amphiktyonie 
gehörten,  die  in  dem  Heiliglhum  des  Apollo  auf  dem  Vorgebirge  Trio- 
pion  ihren  Mittelpunkt  hatte ,  wollten  ihre  Landenge  gegen  die  Perser 
abmauern  oder  abgraben  (I,  582);  das  Orakel  wehrte  ihnen,  indem  es 
geltend  machte,  dass  es  den  Menschen  nicht  gezieme,  die  von  der  Na- 
tur geordneten  Bodenverhältnisse  eigenmächtig  umzustellen.  'Zeus 
würde  selbst  das  Land  zur  Insel  gemacht  haben,  wenn  es  sein  Wille  ge- 
wesen wäre.'  Als  die  Städte  Kreta's  schwankten,  wurden  sie  von  Del- 
phi aufgefordert,  sich  im  Völkerkampfe  neutral  zu  halten.  Eben  so  er- 
hielt Argos  die  Weisung,  nur  an  sich  selbst  zu  denken  und  in  stiller 
Zurück  gezogenheit  seine  gebrochenen  Kräfte  zu  sammeln. 

Die  angesehenen  Heiiiglhümer  der  hellenischen  Welt  hatten  eine 
internationale  Stellung.  Sie  hatten  den  gröfsten  Vortheil  davon,  dass 
üe  nicht  nur  von  den  Hellenen,  sondern  auch  von  den  reichen  Königen 
des  Auslandes  geehrt  und  beschenkt  wurden.  Sie  mussten  also  wun- 


Digitized  by  Google 


58 


A  >TI  N  A  T 1 0  N  A  L  E  STIMMUNGEN. 


sehen,  dass  die  beiden  Seilen  des  ägäischen  Meeres  friedlich  verbunden 
blieben,  und  nichts  war  ihren  Interessen  mehr  entgegen,  als  der  sich 
verschärfende  Gegensalz  zwischen  Hellenen  und  Barbaren.  Darum 
hallen  sie  keine  Sympathie  für  die  nationale  Bewegung.  Die  reichen 
und  mächtigen  Priesterschafien  von  Milet  und  Ephesos  waren  ent- 
schieden antinalional,  und  für  die  delphische  Priesterschaft  fiel  noch 
der  Umstand  in's  Gewicht,  dass  sie  den  letzten  Rest  ihres  Einflusses 
zu  Grunde  gehen  sah,  je  mehr  die  Demokratie  in  den  Städten  zur 
Herrschaft  kommen  würde.  Sie  war  ja  das  Gegentheil  von  dem,  was 
in  Delphi  von  jeher  als  heilsamer  Rechtszustand  aufgestellt  worden  war 
(I,  545  f.). 

Darnach  bestimmte  sich  auch  der  Standpunkt  derjenigen  Hellenen, 
welche  mit  Delphi  nahe  verbunden  waren  und  die  delphischen  Grund- 
sätze vor  dem  Volke  verlraten.  Ein  Mann  wie  Pindar,  der,  selbst  ein 
Alladliger,  ganz  dafür  lebte,  den  Ruhm  der  alten  Geschlechter  durch 
seine  Lieder  aufzufrischen,  'wie  der  Tbau  die  Pflanzen  stärkt  und  ver- 
schönt1, welcher  in  den  von  Vater  auf  Sohn  forterbenden  Tugenden 
die  Bürgschaft  für  die  Erhaltung  des  Edlen  und  Schönen  sah  und  der 
Volksherrschaft  ebenso  abgeneigt  war,  wie  tyrannischer  Gewaltherr- 
schaft, Pindar  konnte  an  der  Begeisterung  der  Freiheitskämpfe  keinen 
Anlheil  nehmen;  er  konnte  kurz  nach  der  Schlacht  von  Maralbon 
einen  Athener  feiern,  ohne  des  grofsen  Tages  mit  einem  Worte  zu  ge- 
denken. 

Aber  nicht  blofs  die  Aristokraten  waren  gegen  den  Krieg  ge- 
stimmt. Es  gab  auch  sonst  Leute  genug  in  Griechenland,  welche  zur 
Unterwerfung  riethen  und  medisch  gesinnt  waren,  Einheimische  wie 
Fremde,  namentlich  Solche,  deren  Interesse  es  war,  dass  ein  behag- 
licher Lebensgenuss  und  der  freie  Verkehr  zwischen  den  beiden  See- 
gestaden nicht  gestört  werde.  Darum  waren  unter  den  Fremden  von 
besonderem  Einflüsse  die  Buhlerinnen,  welche  aus  den  ionischen 
Städten  herüberkamen,  die  durch  ihre  geselligen  Künste  und  ihre  Ver- 
bindungen mit  angesehenen  Männern  Einfluss  gewannen  und  dadurch 
nicht  selten  Gelegenheit  hatten,  eine  den  Persern  günstige  Friedens- 
stimmung zu  verbreiten.  Zu  ihnen  gehört  die  schöne  Thargelia  aus 
Milet,  welche  nach  einander  in  vierzehn  Verbindungen  gelebt  und  einen 
sehr  bedeutenden  Einfluss  auf  die  politischen  Verhältnisse  geübt  hat. 
So  hatte  sie  in  Thessalien  einen  der  mächtigsten  Landesfürsten, 
Antiochos,  einen  Verwandten  der  Aleuaden,  zu  gewinnen  gewusst  und 


Digitized  by  Google 


Iii  LDL' >G  EIN  EH  NATIONALPAItTKl 


59 


behauptete  sogar  nach  dessen  Tode  eine  fürstliche  Macht.  Sie  war  die 
bekannteste  Persönlichkeit  unter  den  Frauen,  welche  im  med i sehen 
Sinne  wirkten*9). 


So  waren  im  Allgemeinen  die  Stimmungen  und  Zustände  in  Hellas. 
Erwägt  man  zu  dem  Allen  noch  die  Macht  des  Geldes,  die  den  Persern 
zu  Gehole  stand,  bedenkt  man,  wie  selten  hei  den  Griechen  die  Tugend 
unbestechlicher  Gesinuung  war,  und  wie  vielfach,  offen  und  heimlich, 
durch  freiwilligen  Anschluss,  durch  Ueherläufer  und  Verräther,  die 
Perer  von  den  Griecheu  seihst  unterstützt  wurden,  so  hegreift  man, 
«ieXerxes  seinen  Gastfreund  Demaralos  für  wahnsinnig  halten  konnte, 
wenn  dieser  den  Persern  einen  ernsthaften  Krieg  in  Aussicht  stellte. 

Es  kam  zunächst  Alles  auf  Sparta  und  Athen  an.  Hierher  hatte 
Xenes  keine  Gesandle  geschickt;  sie  wurden  nach  dem,  was  vorgefallen, 
als  feindliche  Städte  hehandelt,  die  gezüchtigt  werden  sollten.  Sie 
waren  heide  in  gleicher  Lage,  also  auf  einander  angewiesen.  Die  nähere 
Verbindung  aber,  welche  vor  zehn  Jahren  zwischen  ihnen  eingegangen 
war.  halle  sich  wieder  gelockert.  Athen  halte  sich,  nachdem  es  allein 
gestritten  und  gesiegt  hatte,  auf  sich  zurückgezogen  und  ohne  weitere 
Verständigung  mit  Sparta  die  eigenen  Hülfsmitlel  zu  entwickeln  gesucht. 
Die  veränderten  kriegspläne  der  Perser,  dann  die  folgenden  Ereignisse, 
der  ägyptische  Aufsland,  der  Thronstreit  in  Susa,  der  Tod  des  Dareios, 
die  Schwankungen  seines  Nachfolgers  und  endlich  die  zeitraubenden, 
neuen  Rüstungen  desselben  —  dies  Alles  war  der  Ausführung  der 
themislokleischen  Pläne  (S.  31  f.  36)  zu  Gute  gekommen.  Von  Niemand 
beunruhigt  und  gestört,  war  Alhen  zu  einer  Seemacht  ersten  Banges 
geworden:  im  Besitze  seiner  200  wohlgerüsteten  Trieren  und  seines 
festen  Kriegsbafeiis  fühlte  es  sich  berufen,  eine  kräftige  und  unabhängige 
Politik  zu  verfolgen. 

Aber  auch  so  konnte  und  durfte  Alhen  nicht  allein  stehen  bleiben. 
Nachdem  Themistokles  also  Jahre  lang  nur  für  Athen  Ihälig  gewesen 
war,  nahm  er  nun  das  schwierigere  Werk  in  Angriff,  die  aufserhalb 
Athens  vorhandenen  Kräfte  des  Widerstands  zu  sammeln  und  die  zur 
Abwehr  entschlossenen  Staaten  zu  gemeinsamen  Mafsregeln  zu  ver- 
einigen. Damit  konnte  er  aber  nicht  eher  beginnen,  als  bis  die  Gefahr 
tonahe  war,  dass  auch  die  blödesten  Augen  ihrer  gewahr  wurden  und  die 
gwneinsajne  Furcht  alle  anderen  Gefühle  überwog.   Der  natürliche 


Digitized  by  Google 


60 


THEMISTOKLES  UND  CHEILEOS. 


Mittelpunkt  der  nationalen  Partei  war  Sparta,  der  Vorort  der  Halbinsel, 
die  Burg  von  Hellas.  Aber  die  Stadt  im  abgelegenen  Eurotasthaie  war 
unter  den  gegenwärtigen  Umständen  kein  geeigneter  Platz  für  einen 
Bundesrath,  der,  wenn  er  mit  seinen  Beschlüssen  nicht  immer  hinter 
den  Ereignissen  zurückbleiben  wollte,  in  der  Mitte  von  Hellas  und  an 
der  Käste  seinen  Sitz  haben  musste.  Dazu  konnte  kein  geeigneterer 
Platz  gefunden  werden  als  der  Isthmos  von  Korinlh,  ein  Kreuzpunkt 
aller  Land-  und  Seestrafsen,  ein  Sammelplatz  der  Hellenen  von  uralter 
Bedeutung,  geweiht  durch  die  Heroengräber  des  Sisyphos  und  Neleus, 
sowie  durch  das  Heiligthum  des  Poseidon  und  das  Adyton  des  Palaimon, 
an  dem  die  feierlichsten  Eide  geschworen  wurden.  Mit  der  Verlegung 
nach  dem  Isthmos  wurde  dem  Rattie  der  Hellenen  eine  freiere  Stellung 
gegeben  und  ein  weiterer  Blick  geöffnet. 

Es  war  ein  wichtiger  Tag  für  Griechenland ,  als  im  Herbste  von 
Ol.  74,  4  (4SI)  die  Abgeordneten  auf  dem  Isthmos  zusammentraten; 
es  war  der  Anfang  eines  neuen  Staatenvereins  unter  dem  Vorsitze  von 
Sparta.  Aber  Sparta  zeigte  sich  nach  wie  vor  arm  an  Rath.  Es  wurde 
vorgeschoben  statt  vorzugehen.  Die  eigentlich  schöpferischen  und  trei- 
benden Gedanken  gingen  von  Athen  aus;  unter  den  Peloponnesiern 
aber  war  es  ein  arkadischer  Mann,  Cheileos  aus  Tegea,  welcher  die 
Zeit  verstand  und  sich  durch  seine  Persönlichkeit  auch  in  Sparta  einen 
bedeutenden  Einfluss  zu  verschaffen  wussle.  Themistokles  und  Cheileos 
waren  vorzugsweise  die  Gründer  des  neuen  Bundes,  in  welchem  die 
Ideen  der  alten  Amphiktyonieen  wieder  auflebten.  Aber  dieser  neue 
Hellenenbund  war  unabhängig  von  allen  priesterlichen  Einflüssen,  eine 
freie  Vereinigung  aller  Staaten ,  welche  entschlossen  waren ,  die  Unab- 
hängigkeit des  Vaterlandes  mit  Gut  und  Blut  zu  vertheidigen. 

Themistokles  bewährte  sich  auch  hier  als  einen  Staatsmann,  welcher 
durchgreifende  Thatkraft  und  kluge  Nachgiebigkeit  zur  rechten  Zeit  zu 
verbinden  weifs.  Denn  als  es  sich  um  die  Leitung  des  Bundes  handelte, 
veranlasste  Themistokles  seine  Mitbürger,  ihre  noch  so  begründeten 
Ansprüche  einstweilen  nicht  geltend  zu  machen.  Um  Formen  sollte  in 
dieser  Zeit  nicht  gehadert  werden.  Sparta  behielt  die  ungetheilte 
Hegemonie;  in  der  Thal  stand  aber  Athen  neben  Sparta,  und  die  vom 
Isthmos  ausgehenden  Gesandtschaften  wurden  deshalb  aus  Mitgliedern 
beider  Staaten  gebildet. 

Das  Erste,  was  auf  dem  Isthmos  beschlossen  wurde,  war,  dass  die 
Abgeordneten  sämtlich  im  Namen  ihrer  Staaten  Beilegung  aller  inneren 


Digitized  by  Google 


DIE    1STIIMISCUE   EIDGENOSSENSCHAFT  (7<,  4 ;  481). 


Gl 


Fehden  gelobten,  um  in  voller  Eintracht  den  Feinden  gegenüber  zu 
stehen.  Die  wichtigste  Folge  dieser  Bestimmung  war  die  Aussöhnung 
wischen  Athen  und  Aigina.   Das  Zweite  war  die  Abordnung  von 
Gesandten,  welche  beauftragt  wurden,  die  noch  zweideutigen  Staaten 
und  die  ferner  wohnenden  Stammgenossen  zur  Theilnahme  einzuladen; 
dadurch  wollte  man  Argos  den  Anschluss  erleichtern  und  die  Hülfs- 
kraue der  kretischen  und  sicilischen  Städte  heranziehen.  Das  Dritte 
endlich  war  die  Verständigung  über  den  Kriegsplan.   Während  die 
Beschlüsse  des  Bundesraths  ausgeführt  wurden,  blieben  die  Abgeordneten 
als  ständiger  Kriegsrath  auf  dem  Isthmos  zusammen.  Hier  war  das 
Hauptquartier  der  zur  Landesverteidigung  entschlossenen  Hellenen; 
hier  stärkte  und  hob  sich  in  anfeuernder  Gemeinschaft  das  National- 
gefühl,  und  in  der  drohenden  Gefahr  wuchs  die  Liebe  zur  Freiheit  wie 
der  Muth  zum  Kampfe. 

Man  lief»  sich  also  nicht  von  den  heimkehrenden  Kundschaftern 
einschüchtern,  welche  Xerxes  im  Lager  von  Sardes  hatte  um  herführen 
lassen,  nicht  von  der  jammernden  Pythia,  welche  statt  anzufeuern  nur 
entmuthigte;  auch  nicht  durch  die  ablehnende  Antwort  der  Argiver, 
welche  mit  einem  Spruche  der  Pythia  ihre  feige  Neutralität  recht- 
fertigten, noch  auch  durch  die  Gesandtschaften,  welche  un verrichteter 
Sache  aus  Kreta  und  Sicilien  heimkehrten.  Man  zählte  nicht,  weder 
die  Feinde  noch  die  Freunde;  man  stand  zusammen  in  dem  Gefühle, 
dass  man  nicht  anders  könne.  Man  hatte  gutes  Recht,  sich  als  den 
Kern  der  mutterländischen  Hellenen  anzusehen  und  sich  als  die 
Patriotenpartei,  als  die  'Wohlgesinnten'  zu  bezeichnen30). 

Wenn  aber  die  Verbündeten  nichts  thaten,  als  ihre  Pflicht,  so  traf 
die  Anderen  der  Vorwurf,  ihre  Pflicht  zu  versäumen.  Dies  musste 
klar  ausgesprochen  werden.  Freiwilliger  Anschluss  an  die  Perser 
sowohl  wie  jeder  Dienst,  welchen  ein  Hellene  durch  Wort  oder  That 
den  Persern  erwies,  war  Hochverrath;  der  isthmische  Bundesralh  war 
das  Gericht,  welches  über  Männer,  wie  Arthmios  von  Zeleia,  einen 
Gastfreund  der  Athener,  der  persisches  Geld  nach  Griechenland  gebracht 
hatte,  die  Acht  aussprach.  Alle  unfrei  Gesinnten  wurden  von  den  ge- 
meinsamen Festspielen  ausgeschlossen;  nur  durch  aufopfernden  Pa- 
triotismus sollte  man  die  Ehre  verdienen,  ein  voller  Hellene  zu  sein. 
h  es  wurde  unter  die  Verpflichtungen  der  Eidgenossen  ausdrücklich 
auch  die  aufgenommen,  die  nationalen  Götter  an  ihren  Feinden  und 
Verrathern  zu  rächen,  nach  glücklicher  Abwehr  die  persisch  Gesinnten 


Digitized  by  Google 


02 


NATIONALE  ERHEBUNG. 


gemeinschaftlich  zu  bekriegen  und  aus  der  gewonnenen  Beute  nach 
altem  Volksbrauche  dem  delphischen  Gotte  den  Zehnten  zu  weihen. 
Dieser  Ausdruck  einer  entschlossenen  und  kühnen  Politik  war  wichtig, 
weil  er  die  Eidgenossen  ermulhigte  und  ihre  Blicke  über  die  Noth  der 
Gegenwart  hinausführte,  weil  er  die  schwankenden  Städte  einschüchterte 
und  schon  jetzt  den  fruchtbaren  Gedanken  anregle,  dass  wie  die  frei- 
willig ausbleibenden  gezüchtigt,  so  die  mit  Gewalt  von  den  Persern 
geknechteten  Städte  befreit  werden  sollten. 

So  erwuchs  in  der  Zeit  der  schwersten  Bedrängniss,  wo  man  nicht 
wusste,  wie  man  die  nächsten  Gränzen  decken  sollte,  die  Idee  eines 
grofsen,  erweiterten  Vaterlandes,  das  in  neuer  Herrlichkeit  den  Barbaren 
gegenüber  treten  sollte.  Die  griechische  Muse  fehlte  nicht,  um  ihrer- 
seits die  Begeisterung  des  Volks  zu  nähren.  Namentlich  war  es  Simo- 
nides aus  Keos,  des  Themistokles  einflussreicher  Freund,  welcher,  ob- 
wohl schon  ein  Siebziger,  dennoch  mit  jugendlicher  Wärme  die  grofse 
Zeit  auflasste  und ,  nachdem  er  einst  bei  Hipparchos  und  dann  bei  den 
Skopaden  in  Thessalien  eine  höfische  Dichtkunst  geübt  hatte,  nun  ein 
Sänger  der  Freiheitskriege  wurde  und  das  Volk  zum  Kampfe  gegen  die 
Feinde  des  Vaterlandes  begeisterte.  Man  fühlte,  was  auf  dem  Spiele 
stand  und  empfand  nun  den  Werth  der  Güter,  deren  man  sich  in  Hellas 
erfreute,  um  so  wärmer.  Der  alte  Gegensatz  zwischen  Hellenen  und 
Barbaren  kam  den  Griechen  in  voller  Stärke  zum  Bewusstsein ;  denn 
verschiedenartigere  Streitkräfte,  als  die,  welche  sich  jetzt  zum  Kampfe 
gegen  einander  rüsteten,  können  nicht  gedacht  werden.  Auf  der 
einen  Seite  ein  König  von  unbeschränktem  Eigenwillen,  der  mit 
den  Prinzen  seines  Hauses  an  der  Spitze  der  Völkermassen  Asiens 
steht,  welche  blindlings  seinem  Befehle  folgen  und  wie  Heerden  unter 
Geifselhieben  über  den  Hellespont  getrieben  werden;  auf  der  anderen 
Seile  eine  kleine  Gruppe  freier  Bürgergeineinden,  welche  erst  im  letz- 
ten Augenblicke  zu  gemeinsamer  Abwehr  sich  vereinigt  hatten;  was  sie 
aber  vereinigte,  war  das  Gefühl  einer  sittlichen  Verpflichtung,  für  das 
Vaterland  und  seine  Götter  ihr  Leben  einzusetzen,  und  zugleich  das 
Gefühl  eines  nationalen  Stolzes;  denn  der  Gedanke  war  ihnen  uner- 
träglich, sich  von  Völkern  unterjochen  zu  lassen,  die  sie  als  Sklaven- 
völker verachteten. 

Nun  kam  es  vor  Allem  darauf  an ,  dass  die  verbündeten  Hellenen 
ihre  Streitkräfte  ordneten  und  über  die  Verlheidigung  des  Landes 
einen  Beschluss  fassten.  Die  auf  dem  Isthmos  durch  ihre  Abgeordne- 


Digitized  by  Google 


AUSZl'G   >ACH  TEMPF.. 


63 


(es vertretenen  Staaten  waren  aufser  Sparta,  Arkadien,  Elis,  Korintli, 
Sikron,  Epidauros,  Phlius,  Troizen,  Mykenai,  Tiryns  und  Hermione; 
dann  Athen,  vielleicht  auch  Megara,  Plataiai  und  Thespiai.  Auch  Aigina 
betheiligte  sich  jetzt  an  der  gemeinsamen  Sache.  Alle  Versuche  fernere 
Theilnehmer  heranzuziehen,  waren  missglückt.  Die  sechzig  Trieren  der 
ferkyräer,  deren  Zuzug  verheißen  war,  hlieben  unter  nichtigen  Vor- 
»ioden  im  westlichen  Meere  zurück,  und  die  Tyrannen  von  Syrakus, 
welche  den  Eidgenossen  die  ansehnlichste  Verstärkung  hätten  zuführen 
können,  waren  zu  stolz,  um  sich  an  einem  Kriege  zu  hetheiligen,  dessen 
Oberleitung  Sparta  führte;  auch  muteten  sie  Karthago  gegenüber  ihre 
Streitkräfte  zusammen  halten.  Im  Mutterlande  selbst  hatten  Argos  und 
Theben  sich  vom  Bunde  ausgeschlossen,  Argos  mit  heimlicher  Schaden- 
freude auf  die  Demülhigung  Spartas,  Theben  auf  den  Fall  Athens 
lauernd;  an  beiden  Orten  waren  die  der  Nationalsache  feindlichen  Re- 
gierungen beflissen,  alle  entgegengesetzten,  nationalen  Richtungen 
niederzuhalten81). 

Nirgends  aber  waren  die  Stimmungen  getheilter  und  die  Ver- 
hallnisse gespannter,  als  in  Thessalien.  Die  Aleuaden  handelten  hier 
wie  im  Namen  der  ganzen  Landschaft,  aber  sie  waren  nichts  weniger 
als  Organe  des  Volks;  ihre  Absiebt  war  vielmehr,  mit  Hülfe  der  Perser 
die  volkstümliche  Bewegung  niederzuhalten ,  deren  sie  allein  nicht 
Meister  werden  konnten.  Die  freigesinnten  Thessalier  hatten  also  das 
gröfste  und  nächste  Interesse  am  Kampfe;  sie  beschickten  den  isthmi- 
schen Bundesrat!!,  erklärten  ihren  Beitritt  und  verlangten  Unter- 
stützung zur  Vertheidigung  ihrer  Landesgränzen. 

Unmöglich  konnte  man  diese  Männer  abweisen ;  es  erschien  wie 
eine  heilige  und  amphiktyonische  Pflicht,  das  Thor  von  Hellas  zu  ver- 
teidigen; auch  schien  kein  Ort  geeigneter  zu  sein,  um  einer  feind- 
lichen Ue hermacht  mit  Erfolg  entgegentreten  zu  können ,  als  der  Pass 
von  Tempe.  Aber  der  Durchmarsch  durch  Böotien  war  bedenklich. 
Deshalb  wurde  nun  zum  ersten  Male  von  der  altischen  Flotte  Gebrauch 
gemacht.  Zehntausend  Krieger,  die  am  Isthmos  beisammen  waren, 
wurden  unter  dem  Befehle  des  spartanischen  Kriegsobersten  Euainelos 
und  des  Themistokles  eingeschifft,  durch  denEuripos  nach  Südlhessa- 
ßen  gebracht  und  rückten  dann,  mit  den  thessalischen  Hülfsvölkern 
verbunden,  an  ihren  Standort  im  Tempethal. 

Allein  der  freudige  Muth,  mit  welchem  das  tapfere  Heer  das  Thal 
faetzle,  und  die  Hoffnung,  das  einige  und  freie  Hellas  wieder  bis  an 


Digitized  by  Google 


6-1 


ABZUG  VO.N  TEMPE.    DELPHISCHE  SPRÜCHE 


das  Haupt  des  Olympos  ausdehnen  zu  können,  erhielt  sich  nicht  lange. 
Man  erfuhr,  dass  im  Sommer  ein  uberer  Gebirgspass  gangbar  sei,  und 
eine  heimliche  Botschaft  Alexanders  von  Makedonien  (1,  610)  benach- 
richtigte die  Feldherren,  dass  in  diesem  Passe  schon  für  den  Durchzug 
der  Perser  die  Vorbereitungen  getroffen  würden.  Die  Besetzung  von 
Tempe  war  also  unnütz.  Man  überzeugte  sich  auch,  dass  es  den  Per- 
sern ein  Leichtes  sein  würde,  südlicli  von  Tempe  Truppen  auszuschiffen, 
welche  den  Griechen  im  Rücken  stehen  würden.  Endlich  war  das 
ganze  Hinterland  sehr  unsicher.  Schon  knüpften  die  mittelgriechischen 
Staaten  Unterhandlungen  mit  den  Persern  an,  und  in  Thessalien  erhob 
sich  die  dynastische  Partei  immer  kecker,  je  naher  die  Perser  kamen. 
Unter  diesen  Umständen  wäre  es  Thorheit  gewesen,  an  der  fernen 
Gränze  für  unzuverlässige  Bundesgenossen  die  hellenischen  Kern- 
truppen nutzlos  aufzuopfern.  Die  Griechen  zogen  also  auf  dem  Wege, 
den  sie  gekommen  waren,  nach  dem  Isthmos  zurück,  und  nun  erfolgte 
unverzüglich  der  offene  Abfall  von  ganz  Thessalien.  Dann  schickten 
auch  die  Gebirgsbewohner,  die  Perrhäber,  die  Doloper,  Aenianen  und 
Magneten,  sowie  die  Malier  und  phthiotischen  Achäer,  selbst  die  zu- 
nächst wohnenden  Lokrer,  Erde  und  Wasser  an  den  Grolskönig, 
welcher  damals  noch  im  südlichen  Makedonien  lagerte. 

So  schwand  die  Griechenmacht  zusammen.  Dem  ersten  Auszuge 
war  ein  schneller  Rückzug  gefolgt;  auch  den  treu  Gebliebenen  sank 
der  Muth.  Um  so  rastloser  wirkte  Themistokles,  in  Athen  wie  auf  dem 
Isthmos,  persönlich  wie  durch  seine  Parteigenossen.  Zu  diesen  ge- 
hörte Timon  in  Delphi.  Als  die  Unglücksweissagungen  der  Pythia  die 
allgemeine  Niedergeschlagenheit  vermehrten,  hielt  Timon  die  Send- 
boten, welche  verzweifelnd  nach  Athen  heimkehren  wollten,  zu- 
rück und  wusste  ihnen  einen  neuen  Spruch  zu  verschaffen,  in 
welchem  doch  ein  Schimmer  von  Hoffnung  sich  zeigte.  'Wenn  Alles 
fallt,  so  sprach  zuletzt  die  Pythia,  so  sollen  doch  die  hölzernen  Mauern 
der  Kekropiden  nicht  fallen.'  Als  nun  die  Gesandten  der  Athener 
diesen  Spruch  heimbrachten,  benutzte  Themistokles  ihn,  um  seinen 
Mitbürgern  zu  zeigen,  dass  ja  auch  die  Götter  offenbar  seine  Pläne 
genehmigten,  denn  die  uneinnehmbare  Holzburg  bedeute  nichts  An- 
deres als  ihre  Flotte.  Wie  er  aber  auch  in  der  eigenen  Vaterstadt  fort- 
während mit  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  hatte,  beweist  der  Umstand, 
dass  bei  der  Feldherrnwahl  in  dem  entscheidenden  Kriegsjahre  Epi- 
kydes,  ein  Volksredner  von  feiger  Gesinnung,  neben  Themistokles  als 


Digitized  by  Google 


ZWEITER  AUSZIT.. 


65 


Bewerber  auftreten  konnte,  indem  er  sich  ohne  Zweifel  auf  die  Partei 
derer  stützte,  welche  es  auch  jetzt  noch  nicht  zum  Aeufsersten  kommen 
fassen  wollten.  Hier  würde  ein  Mann,  wie  Aristeides,  im  Bewusstsein 
seine  Pflicht  gelhan  zu  nahen,  den  Ausgang  ruhig  abgewartet  haben; 
Themistokles,  welcher  Alles  auf  dem  Spiele  stehen  sah,  machte  sich 
kein  Gewissen  daraus,  durch  Geld  zu  bewirken,  dass  sein  Nebenbuhler 
freiwillig  von  der  Bewerbung  zurücktrat"). 

Im  Bundes raihe  drang  nun  Themistokles  darauf,  dass  man  zum 
roiten  Male  den  Feinden  entgegenrücke,  um  ihnen  den  Eingang  in 
4as  innere  Land  zu  sperren.  Die  Wahl  des  Standorts  konnte  nicht 
zweifelhaft  sein .  denn  von  Thessalien  her  führte  nur  eine  Strafse  am 
malischen  Meerbusen  entlang.    Die  Küste  desselben  wird  aber  süd- 
lich Tom  Spercheios  durch  die  Ausläufer  des  Oitagebirges,  namentlich 
durch  die  trachinischen  Berge  und  dann  durch  den  Kallidromos,  mehr 
uodroehr  eingeengt,  so  dass  zuletzt  zwischen  Berg  und  Meer  nur  ein 
schmaler  Fahrweg  übrig  bleibt.  Aus  dem  Fufse  des  Kallidromos  sprudeln 
beifee  Quellen  in  grofser  Fülle  hervor,  welche  mit  schweflichter  Kruste 
den  Felsboden  überzogen  haben.    Dies  ist  das  sogenannte  'Warmthor1 
Griechenlands  oder  Thermopylai;  denn  wie  ein  enges  Thor  führt  es 
aus  dem  Gebiet  der  Malier  in  das  der  Lokrer  und  weiter  nach  Mittel- 
griecbenland  hinein. 

Diesen  Pass  konnten  die  Feinde  nicht  umgehen,  wenn  das  Land- 
beer in  der  ftäbe  der  Flotte  bleiben  wollte.  Hart  am  Passe  lag  das 
alte  Bundesheiligthum  der  Demeter,  wo  die  Abgeordneten  der  Amphi- 
ktvonen  zweimal  des  Jahrs  feierliche  Opfer  im  Namen  des  ganzen  Volks 
darbrachten  (I.  104);  man  hatte  also  auch  eine  religiöse  Verpflichtung, 
diese  heilige  Opferstälte  zu  vertheidigen.  Aufserdem  konnte  kein 
günstigerer  Ort  zur  Verteidigung  gefunden  werden ;  denn  links  hatte 
man  zur  Anlehnung  die  unwegsamen  Abhänge,  welche  mit  Eichen  und 
Tannen  dicht  verwachsen  waren,  rechts  die  Seeküsle.  Aber  auch  hier 
ist  kein  offenes  Meer,  sondern  eine  enge  Meerstrafse  zwischen  dem 
Festlande  und  Euboia,  derSeepass,  welcher  zu  den  südlichen  Gewässern 
führte.  Hier  also  konnte  die  griechische  Flotte,  während  sie  der  per- 
sischen den  Eingang  wehrte,  zugleich  die  Flanke  des  Landheers  decken 
und  eine  Landung  der  Feinde  verhindern.  Endlich  war  Thcrmopylai 
auch  noch  durch  Mauern  befestigt,  welche  die  Phokeer  durch  die 
Kfotenebene  gezogen  hatten.  Die  Phokeer  waren  nämlich  im  Kalli- 
dromos zu  Hause;  sie  waren  gewohnt,  diese  Pässe  gegen  ihre  Erbfeinde, 

Cornns,  Gr.  Ge*cb.  II.  «.  Aufl.  5 


Digitized  by  Google 


66 


LF.OMDAS  IN  TBERMOPYLAl. 


die  Thessalier,  zu  wahren,  und  seit  dem  offenen  Abfalle  derselben 
wurden  sie  um  so  eifriger  für  die  nationale  Sache.  Man  durfte  diesen 
Eifer  nicht  unbenutzt  lassen;  liefs  man  Thermopylai  offen,  so  war  alles 
Land  nördlich  vom  Isthmos  den  Feinden  preisgegeben. 

Wenn  jemals,  so  war  jetzt  der  Augenblick  gekommen,  dass  die 
Spartaner  sich  mit  voller  ThatkraPt  an  die  Spilze  von  Hellas  stellten. 
Aber  sie  waren  auch  jetzt  lahm  und  lässig.  Man  schickte  wohl  den 
Leonidas,  welcher  nach  dem  Tode  des  Dorieus  dem  Kleomenes  gefolgt 
war,  nach  Thermopylai,  aber  nur  mit  300  Spartiaten.  Das  Kriegs- 
heer blieb  zu  Hause,  und  während  die  väterliche  Religion  keine  höhere 
Pflicht  kannte,  als  die  Heimalh  und  ihre  Heiligthfimer  gegen  den 
Landesfeind  zu  vertheidigen,  zogen  sie  sich  wieder  hinter  religiöse  Be- 
denklichkeiten zurück  und  erklärten ,  sie  durften  während  der  Feier 
der  Kameen  ihre  Mannschaft  nicht  wohl  aufser  Landes  schicken.  Die 
Peloponnesier  waren  mit  dem  Aufschübe  einverstanden,  weil  mit  dem 
nächsten  Vollmonde  die  Feier  der  Olympien  eintrat.  So  stiefsen  zu 
den  Spartanern  nur  tausend  Schwerbewaffnete  ausTegea  und  Mantineia; 
eben  so  viele  kamen  aus  dem  übrigen  Arkadien  mit  Ausnahme  von 
Orchomenos,  das  ein  besonderes  Conlingent  von  120  stellte;  400  aus 
Korintb,  200  aus  Phlius,  80  aus  Mykenai.  Zu  ihnen  kamen  700  Hop- 
liten  aus  Thespiai  und  400  Thebaner.  Die  letzteren  folgten  als  Geiseln, 
welche  man  sich  von  Theben  hatte  stellen  lassen,  um  von  Seiten  dieser 
Stadt,  deren  Neigung  zum  Abfall  kein  Geheimniss  war,  sicher  zu  sein, 
dass  sie  im  Rücken  des  Heers  nichts  Feindliches  beginne. 

Der  Marsch  des  Leonidas,  seine  Person,  sein  kräftiges  Auftreten 
machte  den  besten  Eindruck:  die  Lokrer  fassten  wieder  Vertrauen,  die 
Phokeer  leisteten  Zuzug;  man  liefs  verkünden,  dies  sei  nur  der  Vor- 
trab des  peloponnesischen  Heeres.  So  trat  denn  wirklich  einmal  ein 
lakedämonischer  König  als  Vorkämpfer  von  Hellas  auf,  um  die  heilige 
Schwelle  des  Vaterlandes  zu  vertheidigen,  von  den  besten  Männern 
des  Volks  umgeben.  Er  traf  umsichtig  seine  Anordnungen;  unten 
wurde  die  Vermauerung  erneuert;  den  oberen  Gebirgspfad,  der  durch 
die  sogenannte  Anopaia  führte,  liefs  er  durch  die  Phokeer  besetzen. 
So  glaubte  er,  den  Pass  sperren  zu  können  und  erwartete  seiner  hohen 
Verantwortlichkeit  wohl  bewusst,  in  voller  Ruhe  die  Ankunft  der  Per- 
ser, welche  ohne  Unfall  das  reiche  Peneiosthal  durchmessen  hatten  und 
nun  von  Pagasai  aus,  an  der  Küste  entlang  heranzogen"). 

Xerxes  rückte  über  den  Spercheios  gegen  den  Pass  vor  und 


Digitized  by  Google 


DER  KAMPF  BEI  THERMOPYLAI  (Jl'Ll  490). 


67 


lagerte  sich  beim  allen  Trachis,  wo  der  Asopos  aus  den  trachinischen 
Felsen  hervorbricht,  die  in  stattlichem  Halbkreise  den  Südrand  des 
Meerbusens  einschliefsen.  Die  beiden  Lagerplätze  waren  nur  eine 
Stunde  von  einander;  zwischen  ihnen  flössen  die  Warmquellen.  Xerxes 
wollte  kein  unnützes  Blutvergießen  und  wartete  darauf,  dass  die  Grie- 
chen hier,  wie  in  Tempe,  abziehen  würden.  Aber  sie  blieben  und 
zeigten  sich  vor  ihren  Schanzen,  indem  sie  ihre  Glieder  in  gymnasti- 
schen Uebungen  stärkten  und  ihr  langes  Haar  wie  zum  Feste  schmück- 
ten. Am  fünften  Tage  endlich  liefs  er  Truppen  vorgehen,  um  die  Männer 
für  ihren  Trotz  büfsen  zu  lassen.  Zwei  Tage  lang  wurde  in  der  kleinen 
Käslenebene  gekämpft  von  Morgen  bis  Abend.  Wie  gegen  ein  Festungs- 
thor  wurden  immer  von  Neuem  die  Meder  in  den  Kampf  geschickt,  die 
ersten  Glieder  von  dem  nachdrängenden  Haufen  vorwärts  geschoben, 
einem  gewissen  Tode  entgegen;  denn  sie  hatten  keinen  Schutz  gegen 
die  griechischen  Lanzen,  von  denen  kein  Stöfs  fehl  ging,  während  die 
Geschosse  von  den  ehernen  Rüstungen  abprallten.  Die  Truppen  wurden 
wiederholt  zurückgedrängt,  und  Xerxes,  der  von  der  Höhe  zuschaute, 
sah  das  Blut  seiner  besten  Männer  in  Strömen  über  den  Weg  fliefsen. 
Hier  war  mit  neuen  Massen  nichts  zu  erreichen.  Man  musste  darauf 
denken,  den  Pass  zu  umgehen,  und  zu  diesem  Zwecke  kam  es  darauf 
an,  einen  ortskundigen  Führer  zu  finden. 

Ephialtes.  ein  Malier,  erbot  sich  zum  Führer  durch  das  Hochland, 
welches  oberhalb  des  Passes  sich  hinzieht.  Von  der  Asoposschlucht 
stieg  man  am  Abend  durch  die  Eichenwälder  hinan;  als  es  tagte,  war 
man  auf  der  Höhe.  Die  Stille  der  Morgenluft  begünstigte  den  Marsch. 
Die  Phokeer  schliefen.  Erst  die  Tritte  der  Feinde  schreckten  sie  auf. 
Aofeer  Stande,  sich  auf  der  Stelle  zum  Widerstande  zu  ermannen, 
räumten  sie  den  Weg  und  zogen  sich  auf  den  Gipfel  des  Kallidromos 
zurück,  indem  sie  glaubten,  dass  es  auf  sie  abgesehen  sei.  Die  Perser 
aber  dachten  nicht  daran,  sich  mit  ihnen  aufzuhalten  und  eilten  abwärts, 
om  den  Spartanern  in  den  Rücken  zu  fallen. 

Diese  erfuhren  bald,  wie  es  stand.  Der  Posten  war  verloren  und 
zwar  durch  die  Schuld  der  Phokeer,  die  den  Wachdienst  vernachlässigt 
hatten.  Noch  war  Hydarnes  oben  im  Gebirge  und  der  Rücken  frei. 
Aber  Leonidas  konnte  nicht  zweifelhaft  sein,  was  er  zu  thun  habe, 
denn  er  war  ja  nicht  als  Feldherr  hergeschickt,  um  nach  eigenem  Er- 
messen den  Umständen  gemäfs  Krieg  zu  führen,  sondern  einfach  um 
den  Pass  zu  hüten.    So  gerechten  Grund  er  also  auch  hatte,  den 

5* 


Digitized  by  Google 


68 


KAMPF  BEI  THEKMOPYLAI  (JULI  480). 


Spartanern,  die  ihn  im  Stiche  gelassen,  zu  zürnen,  so  war  doch  für 
ihn  das  Bleiben  nur  die  Erfüllung  einer  Bürgerpflicht,  wie  sie  dem 
echten  Spartaner  zur  anderen  Natur  geworden  war. 

Um  unnützes  Blutvergießen  zu  vermeiden,  entliefs  er  die  anderen 
Contingente.  Die  Thespier  und  Thebaner  blieben;  die  Ersten  aus 
einer  einstimmig  anerkannten  Heldengesinnung,  welche  ihnen  um  so 
höher  anzurechnen  ist,  weil  kein  äußerliches  Pflichtgebot  sie  an  den 
Ort  fesselte,  die  Anderen,  wie  Herodol  bezeugt,  von  Leonidas  zurück- 
gehalten. Er  wusste,  dass  sie,  wenn  sie  diesen  Tag  überlebteu,  nur 
dazu  dienen  würden,  die  Reihen  der  Perser  zu  verstärken. 

Gleich  nach  dem  Abzüge  der  Geuossen  war  der  Rückweg  abge- 
schnitten, und  von  beiden  Seiten  drängle  die  zahllose  liebe rm acht 
heran. 

Um  zehn  Uhr  Vormittags  ordnete  sich  die  kleine  Schaar  zum 
letzten  Kampfe.  Erst  führte  sie  Leonidas  mitten  in  die  Feinde,  damit 
sie  ihr  Leben  so  theuer  wie  möglich  verkauften,  dann  aber,  als  sie  vou 
dem  Gefechte  matt  wurden  und  ihre  Lanzen  nach  und  nach  zersplit- 
terten, zogen  sie  sich  auf  einen  kleinen  Hügel  zurück,  welcher  gleich 
südlich  von  den  Quellen  sich  einige  dreißig  Fufs  erhebt.  Hier  sanken 
sie,  Einer  nach  dem  Andern,  in  brüderlicher  Geraeinschaft  unter  den 
Pfeilen  der  Meder.  Ihre  Aufopferung  war  keine  vergebliche ;  sie  war 
den  Hellenen  ein  Vorbild,  den  Spartanern  ein  Antrieb  zur  Rache,  den 
Persern  eine  Probe  hellenischer  Tapferkeit,  deren  Eindruck  sich  nicht 
vergessen  ließ.  Ihr  Grab  wurde  ein  unvergängliches  Denkmal  helden- 
mütiger Bürgertugend,  welche  den  sicheren  Tod  wählt,  um  Eid  und 
Pflicht  nicht  zu  verletzen;  eine  Stätte  des  Ruhms  für  Sparta,  aber  zu- 
gleich ein  brennender  Vorwurf  für  die  Behörden  des  Staats,  welche 
zwar  Bürger  zu  erziehen,  aber  die  Kraft  derselben  nicht  zum  Siege  zu 
verwenden  wussten34). 

Inzwischen  hatten  auch  auf  dem  Meere  die  ersten  Begegnungen 
der  Perser  und  Griechen  stattgefunden.  Die  Perserflotte  war  nämlich 
elf  Tage  nach  dem  Aufbruch  des  Xerxes  aus  dem  thermäischen  Golfe 
ausgelaufen ,  um  die  Unternehmungen  des  Landheers  zu  unterstützen. 
Ihr  Weg  war  aber  nicht  so  gefahrlos,  wie  der  Marsch  der  Truppen 
durch  die  schönen  Gefilde  Thessaliens.  Sie  musste  an  der  Klippen- 
küste des  Peliongebirges  entlang  fahren ,  die  dem  Nordost  offen  liegt, 
und  ehe  sie  in  das  geschütztere  Fahrwasser  von  Euboia  einbiegen 
konnte,  wurde  ihr  von  den  hellesponlischen  Stürmen  hart  zugesetzt. 


Digitized  by  Googl 


DIE  FLOTTE  BEI  ARTEMISION. 


69 


Die  kleinen  Felsbucliten  an  der  Halbinsel  Magnesia  konnten  einer 
solchen  Masse  von  Schiffen  keinen  Schutz  gewähren.  Nach  grofsem 
Verluste  an  Fahrzeugen  und  Nannschaft  kam  man  endlich  um  die  Süd- 
spitte  der  Halbinsel  herum  und  erreichte  am  Werten  Tage  den  Eingang 
des  pagasaischen  Meerbusens  (Golf  von  Volo),  die  Rhede  von  Aphetai, 
wo  man  die  breite  Nordküste  Euboia's,  das  von  einem  Artemisheilig- 
thome  sogenannte  Artemision ,  sich  gegenüber  sah ,  und  zugleich  die 
ersten  griechischen  Kriegsschiffe.  Es  waren  die  271  Trieren,  welche 
anter  dem  Oberbefehle  des  Spartaners  Eurybiades  Artemision,  als  den 
Vorposten  des  inneren  Griechenlands,  und  das  Fahrwasser  des  Euripos 
hüteten.  Um  die  Verbindung  mit  dem  Landheer  herzustellen,  hatten 
sie  bei  Artemision ,  und  ebenso  bei  den  Tbermopylen  ein  Wachtschiff 
stalionirt,  das  letztere  unter  der  Führung  des  Atheners  Abronichos, 
eines  Parteigenossen  des  Themistokles. 

Die  griechischen  Schiffsführer  schwankten  in  kläglicher  Unent- 
schlossenheit  hin  und  her,  und  Themistokles  hatte  unendliche  Mühe 
die  Euriposflotte  zusammenzuhalten.  Wenn  von  der  thessalischen 
Küste  günstige  Nachricht  einlief,  so  wagte  man  sich  keck  hinaus,  und 
dann  verkroch  sich  wieder  Alles  im  Innern  des  Meersundes  und  drängte 
ängstlich  zum  Rückzüge.  Euboia  selbst  war  zunächst  in  Gefahr.  Die 
Gemeinden  der  Insel  wendeten  sich  daher  an  Themistokles;  sie  schick- 
ten an  Geld  dreifsig  Talente,  und  durch  schlaue  Verwendung  derselben 
gelang  es  dem  attischen  Feldherrn,  die  Spartaner  und  Koriniher,  welche 
am  meisten  nach  Hause  drängten,  zum  Bleiben  zu  bewegen.  Ja  er  be- 
nutzte den  Eindruck,  welchen  die  Nachrichten  von  dem  Seeunglücke 
derPerser  hervorgebracht  hatten,  die  Flotte  zum  Auslaufen  zu  bewegen; 
sie  blieb  auch  auf  ihrem  Posten,  als  ihnen  nun  in  einer  Entfernung  von 
zwei  Meilen  die  Perser  gegenüber  lagerten,  und  der  Muth  der  Griechen 
wurde  für  dies  erste  Standhalten  sofort  belohnt,  indem  ein  Geschwader 
von  fünfzehn  Schiffen,  welche  vom  Sturme  nach  Süden  verschlagen 
waren,  ihnen  kampflos  in  die  Hände  fiel.  Die  ersten  Gefangenen 
wurden  nach  dem  Isthmos  geschickt. 

Inzwischen  hatte  sich  die  Pcrserflolte  vom  Sturm  erholt  und  traf 
oun  ihrem  Auftrage  gemäfs  Anstalt,  den  von  den  Griechen  versperrten 
Durchgang  zwischen  Euboia  und  dem  Festlande,  das  Fahrwasser  des 
Euripos,  die  See-Thermopylen  Griechenlands,  zu  erzwingen. 

Auch  hier  war  man  bedacht,  die  Uebermacht  zu  Umgehungen  zu 
benutzen.  Deshalb  wurden  200  Schiffe  abgeordnet,  welche  aufsen  um 


Digitized  by  Google 


70 


UEI   AHTEMISIOX  (JULI  4W). 


Euboia  herumfahren,  den  südlichen  Ausgang  des  Meersundes  besetzen 
und  so  die  Griechen  im  Euripos  abfangen  sollten.  Um  dies  Vorhaben 
zu  verslecken,  wurden  die  Schiffe  beordert,  in  weitem  Bogen  um 
Skialhos  herumzusteuern ,  als  wenn  sie  nach  dem  Hellesponte  wollten. 
Aber  die  Griechen  wurden  von  diesen  Mafsregeln  unterrichtet, 
und  da  sie  eine  Gelegenheit  zu  haben  glaubten,  mit  einer  wenig  über- 
legenen Floltenabtheilung  den  Kampf  zu  versuchen,  beschlossen  sie  in 
der  nächsten  Nacht  den  Schiffen  nach  Skiathos  nachzugehen.  Wie  nuu 
aber  während  des  ganzen  Tags  kein  Angriff  von  Feindes  Seite  erfolgte, 
da  wuchs  ihnen  auf  einmal  der  Muth,  und  sie  gingen  bei  Einbruch  der 
Dämmerung  unmittelbar  auf  die  Hauptflotte  los.  Die  Perser  stiefsen  in 
See,  um  das  kecke  Geschwader  zu  umringen;  aber  die  griechischen 
Schiffe  verstanden  es,  sich  so  geschickt  erst  in  einer  Kreisstellung  zu 
concentriren  und  dann  plötzlich  vorzubrechen,  dass  sie  dreifsig  Fahr- 
zeuge  erbeuteten.  Lykomedes  aus  Athen  war  derjenige,  welcher  das 
erste  PerserschifT  eroberte;  ein  lemnisches  Schiff  ging  zu  den  Ver- 
bündeten über. 

Auch  die  Götter  erwiesen  sich  den  Tapferen  günstig;  denn  eine 
neue  Sturm-  und  Regennacht  folgte,  wie  sie  in  dieser  Jahreszeil  selten 
ist;  die  Flotte  bei  Aphetai  gerielh  in  neue  Verwirrung;  die  200  Schiffe 
aber,  die  in  das  offene  Meer  hinausgeschickt  waren,  wurden  in  derselben 
Nacht  vollständig  vernichtet,  als  sie  schon  Euboia  umfahren  wollten. 
Die  Griechen  dagegen  wurden  durch  53  attische  Trieren  verstärkt;  man 
griff  also  am  folgenden  Tage  von  Neuem  an,  und  zwar  wieder  in  einer 
Spätstunde,  weil  man  keine  Schlacht  wollte.  Man  traf  diesmal  mit  den 
kilikischen  Schiffen  zusammen  und  kehrte  nach  tapferem  Kampfe  an 
die  Küste  von  Artemision  zurück. 

Die  Perser  fühlten,  dass  sie  nicht  zum  drillen  Male  den  Griechen 
den  Angriff  überlassen  dürften.  Sie  rückten  also  um  die  Mittagsstunde 
vor,  im  Halbmonde  aufgestellt,  um  die  Griechen  vor  der  Küste  einzu- 
schließen. Diese  Stellung  war  nicht  günstig;  denn  im  Mittel  treffen 
waren  die  Schiffe  in  ihrer  Bewegung  beengt;  sie  binderten  und  be- 
schädigten sich  gegenseitig.  Um  so  leichter  konnten  die  Griechen 
und  namentlich  die  Athener,  die  immer  voran  waren,  durch  slofsweisc 
ausgeführte  Angriffe  grofsen  Schaden  anrichten.  Erst  die  Nacht  endete 
dies  dritte  Gefecht,  das  schon  eine  Seeschlacht  genannt  werden  konnte. 

Die  Griechen  hatten  sich  bewährt,  aber  sie  hatten  grufse  Verluste 
erlitten.  Neunzehn  attische  Schiffe  wareu  kampfunfähig;  fünf  andere, 


Digitized  by  Google 


RÜCKZIG   VON  AHTEMISIO.V 


71 


die  zu  kühn  vorgegangen,  waren  von  den  Aegyptern  genommen.  Sollte 
man  den  Kampf  in  dieser  Weise  fortsetzen?  Dies  konnte  auch  Themi- 
slokles  nicht  für  rathsam  halten.  Denn  für  eine  entscheidende  See- 
schlacht hatten  die  Griechen  in  diesem  offenen  Meere  doch  nicht  genug 
Vortheile  auf  ihrer  Seite.  Die  drei  Kampftage  waren  aber  keine  ver- 
lorenen. Man  hatte  Erfahrungen  von  unschätzbarem  Werthe  gemacht; 
min  hatte  die  erste  Furcht  überwunden  ;  man  hatte  in  ernstem  Kampfe 
unJ  mit  bestem  Erfolge  die  taktischen  Bewegungen  ausgeführt,  welche 
man  seit  Jahren  mit  allem  Fleifse  eingeübt  halte;  die  vaterländische 
Flotte  hatte  ihre  Bluttaufe  bestanden;  es  waren  die  ersten  Vorspiele 
hellenischer  Seesiege. 

Während  noch  die  Flottenführer  mit  einander  Rath  pflogen,  kam 
die  Trauerkunde  von  Tbermopylai  herüber,  welche  allem  Schwanken 
ein  Ende  machte.  Nun  war  nicht  mehr  zu  zaudern,  die  Küsten  der 
Heimath  mussten  gedeckt  werden.  Die  Korinther  voran,  die  Athener 
als  Nachhut  —  so  zogen  die  Schiffe  den  Euripos  entlang.  Was  man 
von  den  Heerden  Euboias  mitnehmen  konnte,  wurde  eingeschifft.  Von 
den  unglücklichen  Einwohnern,  welche  nun  trotz  aller  Geldopfer  ihre 
Insel  preisgegeben  sahen,  nahm  man  so  viele  als  möglich  auf  die  Schiffe. 
Themistokles  liels  an  den  Wasserplätzen  der  Küste  griechische  Worte 
einschreiben,  welche  die  auf  der  nachfolgenden  Perserflotte  befindlichen 
Griechen  für  die  nationale  Sache  gewinnen  und  an  ihre  Pflichten  gegen 
das  Mutterland  mahnen  sollten"). 


Der  Fall  des  Leonidas  hatte  die  weitgreifendsten  Folgen.  Denn 
auch  der  zweite  Feldzugsplan  war  nun  misslungen;  die  heiligsten  Stätten 
des  Landes,  Tbermopylai  und  Delphi,  waren  preisgegeben;  die  schwan- 
kenden so  wie  die  noch  treuen  Gemeinden  in  Doris,  Phokis,  Lokris, 
Euboia  waren  verloren,  und  Theben  war  bereit,  das  Hauptquartier  der 
Barbaren  zu  werden.  Attika  war  schulzlos,  und  die  Spartaner  waren 
dem  Ziele  ihrer  unredlichen  Politik  nahe,  wenn  sie  im  Grunde  nichts 
sehnlicher  wünschten,  als  dass  der  Peloponnes  nun  bald  als  der  einzige 
Leberrest  des  freien  Griechenlands  angesehen  werden  sollte. 

Auf  Xerxes  machte  der  Kampf  von  Tbermopylai  keinen  anderen 
Eindruck,  als  dass  er  nun,  seinem  Hauptziele  so  nahe,  mit  gröfsler 
Erbitterung  seine  Truppen  vorwärts  schob.  Der  erlittene  Verlust  war 
durch  die  griechischen  üülfsvölker  bald  mehr  als  ersetzt.  Die  Thessalier 


Digitized  by  Google 

I 


72 


HIE  PERSER  1*  M1TTELGRIECHE.NL AND. 


freuten  sich,  an  den  verhasslen  Phokeern  Rache  nehmen  zu  können, 
nachdem  diese  sich  mit  edlem  Stolze  geweigert  hatten,  die  Vermiltelung 
der  Thessalier  sich  zu  erkaufen.  Sie  flüchteten,  als  das  feindliche  Heer 
sich  durch  die  Pässe  von  Hyampolis  und  Elateia  in  das  phobische  Land 
ergoss,  mit  Hab  und  Gut  auf  die  Felsgipfel  und  in  die  Höhlen  des 
Parnassos,  während  die  Perser,  von  den  Thessaliern  geführt,  das 
Kephisosthal  verwüsteten.  Eine  Heeresablheilung  ging  nach  Delphi. 
Das  Heiligthum  wurde  nicht  zerstört  noch  geplündert;  der  Grund  der 
Verschonung  lag  nach  der  Erzählung  der  Priester  in  dem  unmittel- 
baren Schutze  der  Götter,  welche  durch  Unwetter  und  Felsemtürze 
die  Feinde  zurückgeschreckt  haben  sollten.  Es  ist  wahrscheinlich,  das* 
die  Priester  durch  kluge  Unterhandlung  mit  den  Feinden  ihr  Heiligthum 
zu  retten  gewussl  haben.  Die  kleinen  böotischen  Städte  wurdeu  im 
Auftrage  des  Grofskönigs  durch  Alexander  von  Makedonien  besetzt. 
Angst  und  Schrecken  ging  vor  den  Persern  her,  welche  sich  nun  an 
den  Gränzen  von  Altika  zu  einer  neuen  Masse  sammelten50). 

'Die  Pässe  von  Attika  zu  besetzen,  war  keine  Zeit;  auch  die  Burg 
halten  zu  wollen,  war  ein  kindischer  Gedanke.  Es  kam  also  jetzt  darauf 
an,  den  Retlungsgedauken  durchzuführen,  welchen  Themistokles  seit 
zehn  Jahren  im  Auge  gehabt  halte.  Die  Flotte  mussle,  wie  eine  rettende 
Arche,  die  Bürgerschaft  aufuehmen;  Stadl  und  Land  musste  man  preis- 
geben, um  den  Staat  zu  reiten. 

Um  solche  Mafsregeln  zu  leiten,  bedurfte  es  einer  mit  aufser- 
ordentlichen  Vollmachten  ausgerüsteten  Amtsgewalt;  denn  in  Volks- 
versammlungen konnte  jetzt  nicht  berathen  und  beschlossen  werden. 
Der  Areopag  wurde  mit  solcher  Amtsgewalt  bekleidet.  Er  verordnete 
und  leitele  die  Räumung  des  Landes,  die  Einschiffung  und  Verpflegung 
des  Volks;  er  gab,  damit  von  den  waffenfähigen  Einwohnern  Niemand 
anderswo  sein  Heil  suchen  sollte,  allen  ärmeren  Bürgern,  welche  die 
Trieren  bestiegen,  ein  Geldgeschenk  von  acht  Drachmen  (über  2  Thlr.). 
Die  Priester  thaten  das  Ihrige,  um  das  Volk  in  dem  Glauben  zu  stärken, 
dass  es  auch  aufserhalb  Athens  von  seinen  Göltern  nicht  verlassen 
sei.  Die  Burgschlange,  so  verkündeten  sie  im  Einverständnisse  mit 
Themistokles,  sei  von  der  Burg  verschwunden,  Alhena  selbst  mit 
Erichlhonios,  dem  Unterpfande  ihres  göltlichen  Segens,  auf  die  Schiffe 
gegangen;  getrost  könnten  also  die  Bürger  ihr  folgen. 

Aber  auch  so  war  es  ein  Tag  des  Jammers  und  Schreckens,  als 
die  Athener,  mit  ihrer  beweglichen  Habe  beladen,  dem  Strande  zu- 


Digitized  by  Google 


DIE  RÄUMUNG  VON  ATHEN. 


73 


«änderten,  als  sie  Abschied  nahmen  von  Hans  und  Hof,  ungewiss,  ob 
sie  jemals  die  Heimath  wiedersehen  wurden.  Ein  grofser  Theil  ging 
nach  Salamis,  das  durch  eine  Fähre  mit  Attika  verbunden  war;  Andere 
nadi  Aigina,  Andere  nach  dem  Peloponnes,  namentlich  nach  Troizen. 
SaUmiswar  jetzt  die  Akropolis  von  Attika  ;  hier  war  der  Sitz  des  Areopag. 
Hier  wurde  auch  der  Beschluss  gefasst,  allen  Verbannten  die  Heimkehr 
zu  gestatten,  denn  kein  Athener  sollte  verhindert  sein,  in  dieser  Zeit  der 
Vaterstadt  seine  Treue  zu  bewähren.  Der  Beschluss  galt  vorzugsweise 
dem  Aristeides.  Man  wollte  zeigen,  dass  jetzt  von  Parteien  im  Staate 
keine  Rede  sein  könne.  Auch  außerhalb  der  Stadtgemeinde,  in  weite- 
ren Kreisen  bethätigie  sich  lebhafter  als  je  ein  Gefühl  der  Einheit  und 
Verbrüderung.  Die  Trözenier  nahmen  die  Alten  und  die  Frauen  Athens 
ab  Gäste  bei  sich  auf,  gewährten  Allen,  die  dessen  bedurften,  auf  Staats- 
kosten Unterhalt,  gaben  den  Kindern  Erlaubniss  sich  Feld-  und  Garten- 
friichte  einzusammeln  und  bezahlten  die  Lehrer  für  den  Unterricht  der 
Knaben87). 

Das  Meer  von  Salamis  war  der  nächste  Sammelort  der  Flotte, 
wekhe  bei  Artemision  dem  Feinde  gegenüber  gestanden  hatte.  Hier- 
her steuerten  die  Athener,  um  ihre  Küste  zu  beschützen,  die  Aegineten, 
am  ihrer  Insel  nahe  zu  sein,  die  Peloponnesier,  um  die  Verteidigung  der 
Isthmospässe  zu  unterstützen.  Inzwischen  hatte  sich  eine  neue  Flotte 
auf  der  Rhede  von  Troizen  gesammelt.  Auch  diese  kam  nun  herbei. 
Es  waren  jetzt  nach  Herodot  zusammen  378  Trieren.  Die  Athener 
bildeten  den  Kern  derselben;  ihrer  Schifte  Zahl  war  so  grofs,  wie  die 
aller  l  ebrigen;  durch  ihr  Contingenl  war  allein  eine  Schlacht  möglich. 

Die  Perser  waren  den  griechischen  Schiffen  durch  den  Euripos 
nachgefahren  und,  wie  das  Landheer  in  das  Gebiet  von  Attika  einrückte, 
ankerte  auch  ihre  Flotte  am  Strande  von  Phaleron  ;  es  waren  nach  allen 
Verlusten  noch  über  tausend  Segel.  So  lagen  sich  zum  zweiten  Male 
die  beiden  Flotten  gegenüber,  und  Alles  kam  nun  auf  die  Beschlüsse 
an,  welche  in  den  beiden  Hauptquartieren  gefasst  wurden. 

Am  Strande  der  phalerischen  Bucht  hielt  Xerxes  eine  feier- 
liche Rath silzung.  Voran  safs  der  König  von  Sidon,  dann  der 
Tjrier,  und  so  weiter  nach  strenger  Rangordnung  die  Fürsten  des 
Reichs  so  wie  die  übrigen  Heer-  und  Floltenlührer.  Stolz  auf 
seine  Macht,  die  er  im  Herzen  des  Feindeslandes  glücklich  vereinigt 
hatte,  den  Fall  der  Akropolis  jeden  Augenblick  erwartend,  brachte 
der  Grofskönig  den  weiteren  Kriegsplan  zur  Verhandlung  und  liefs 


Digitized  by  Google 


74 


HATHsITZL'Mi   DER  PERSER. 


den  Mardonios  im  Kreise  umhergeben,  um  die  Meinungen  zu  sam- 
meln. Alle  kannten  des  Königs  unbedingtes  Siegesbewusstsein, 
Keiner  wagte  von  der  Seeschlacht  abzuralhen.  Artemisia  allein, 
die  kluge  Fürstin  von  Halikarnassos,  erklärte  freimülhig,  dass  es 
nur  einen  vernünftigen  Kriegsplan  gäbe,  nämlich  zu  Lande  gegen 
den  Isthmos  vorzugehen;  dann  werde  sich  sofort  ohne  Kampf  die  feind- 
liche Flotte  aullösen  und  jeder  Widerstand  ein  für  allemal  beseitigt 
sein.  Ihre  Meinung  war  von  so  überzeugender  Wahrheit,  dass  es 
schwer  ist,  sich  die  Verblendung  der  Perser  zu  erklären,  welche  sich 
mit  ihrer  ungelenken  Flotte  in  das  ungünstigste  Fahrwasser,  das 
für  sie  im  ägäischen  Meere  zu  finden  war,  freiwillig  hineinbegaben. 
Aber  Xerxes  dachte  gar  nicht  an  einen  Kampf  mit  der  Flotte,  son- 
dern nur  an  ihre  Vernichtung,  und  um  sich  in  eigener  Person  an 
dem  Anblicke  derselben  zu  weiden,  dazu  mochte  ihm  der  eng  um- 
gränzte,  übersichtliche  Schauplatz  des  salaminischen  Meeres  besonders 
geeignet  scheinen. 

Salamis  ist  eine  langgestreckte,  wunderlich  ausgezackte  Fels- 
insel; mit  ihrer  südlichen  Hälfte  weil  in  das  Meer  von  Aigina  vor- 
gestreckt, während  die  Nordhälfte  sich  zwischen  die  attischen  und 
megarischen  Küsten  berge  so  tief  hineinschiebt,  dass  dadurch  die 
Bucht  von  Eleusis  wie  ein  Binnenmeer  abgeschlossen  wird.  Zwei  enge 
Strafsen  fuhren  in  diese  Bucht  hinein,  die  eine  längs  der  mega- 
rischen Küste,  die  andere  vom  Peiraieus,  wo  der  Zugang  durch  Vor- 
gebirge, Riffe  und  Felsinseln  bis  auf  etwa  sieben  Stadien  Breite  ein- 
geengt ist.  Um  so  geschützter  ist  die  innere  Bucht,  eine  treffliche 
Rhede  von  tiefem  Fahrwasser.  Hier  lagen  die  griechischen  Schiffe 
an  dem  flachen  Strande  von  Salamis,  wo  sich  den  altischen  Bergen 
gegenüber  eine  halbkreisförmige  Bucht  in  die  Insel  hereinzieht,  unter- 
halb der  Stadt  Salamis,  welche  den  Isthmos  einnahm,  der  beide 
Inselhälften  verbindet.  Hier  musste  der  En  Ischl  uss  gefasst  werden, 
wo  und  wie  man  den  Ueberrest  des  freien  Griechenlands  verlhei- 
digen  wolle.  Auf  entschlossenes,  einstimmiges  Handeln  kam  Alles 
an,  und  doch  war  der  Kriegsrath  der  Verbündeten  niemals  uneiuiger 
und  unentschlossener. 

Keiner  war  übler  daran  als  Eurybiades,  der  Oberfeldherr  der 
Verbündelen.  Er  war  ohne  alle  Instruktionen  von  Sparta,  dabei  per- 
sönlich schwach  und  ohne  eine  selbständige  Auffassung  der  Sachlage. 
Neben  ihm  auf  der  einen  Seite  Themistokles,  dessen  überwältigende 


Digitized  by  Google 


DER  GRIECHISCHE  KRIEGSRATH. 


75 


Grofse  ihm  peinlich  war  und  dessen  Drängen  ihn  ängstigte;  auf  der 

»deren  Seile  Adeimantos  von  Korinth. 

Die  Koriniher  halten  nämlich  ihre  Stellung  zu  Alhen  gänzlich 
verändert.  Vor  der  Schlacht  bei  Marathon  waren  sie  die  thätigslen 
Bundesgenossen  der  Stadt  gewesen,  weil  sie  bei  ihr  ein  Gegengewicht 
gegen  Sparta,  eine  Bürgschaft  für  die  freie  Stellung  der  Mittelstaaten 
und  eine  kräftige  Mitwirkung  zur  Demülhigung  der  Aegineten  fanden 
(S.  31).  Wie  nun  aber  Alhen  innerhalb  weniger  Jahre  unter  Themi- 
stokles'  Leitung  zur  ersten  Seemacht  sich  aufschwang,  da  wurde  Alles 
anders.  Nun  war  Athen  für  Korinth  der  gefahrlichste  Staat  so  wie 
Themistokles  der  verhasstesle  Mann ;  deshalb  war  Adeimantos  auch 
sein  entschiedener  Gegner  und,  obwohl  er  besser  als  alle  Anderen 
die  günstigsten  Aussichten  eines  salaininischen  Seegefechts  erkennen 
mussle,  der  Führer  der  für  den  Rückzug  stimmenden  Partei.  Die 
Angst  der  Peloponnesier,  die  Kurzsichtigkeit  und  Engherzigkeit  Spartas 
kamen  ihm  zu  Hülfe.  Sie  brauchten  nur  an  den  Fall  eines  ungün- 
stigen Seekampfes  zu  erinuern;  dann  wären  sie  alle  rettungslos  ver- 
loren und  müssten  hier  in  der  schrecklichsten  Klemme  des  sicheren 
Untergangs  gewärtig  sein.  Schon  sei  der  ganze  Heerbann  der  Pelo- 
ponnesier, welcher  auf  die  Nachricht  vom  Falle  des  Leonidas  aufge- 
brochen war,  am  Isthmos  versammelt  und  daselbst  mit  dem  Bau  der 
Mauer  Tag  und  Nacht  beschäftigt,  während  eine  andere  Abtheilung  den 
skironischen  Pass  verschütte.  Am  Isthmos  sei  die  Pforte  des  eigent- 
lichen Hellas. 

Millen  in  die  Beralhung  traf  die  Botschaft  vom  Falle  der 
attischen  Burg.  Die  Perser  hatten  sie  erst  vom  Areshügel  mit 
Wennenden  Geschossen  beworfen  und  dann  auf  heimlichem  Pfade 
von  der  Nordseite  erstiegen.  Die  tapfere  Schaar,  welche  die  väter- 
lichen Heiliglhümer  nicht  hatte  preisgeben  wollen,  wurde  an  den 
Alliren  und  iu  den  Tempeln  niedergemacht,  mit  Feder  und  Schwert 
der  ganze  Burgraum  verwüstet.  Es  waren  Thalen  eines  wilden  Fana- 
tismus, wie  sie  sich  der  edlere  Dareios  nicht  würde  haben  zu  Schulden 
kommen  lassen. 

So  wenig  auch  dies  unvermeidliche  Unglück  im  Stande  war,  auf 
deo  Gang  der  Ereignisse  einen  bestimmenden  Einfluss  auszuüben,  so 
bitte  es  dennoch  eine  grofse  Wirkung.  Ein  Theil  der  Schiflsführer 
«die  fort,  um  sich  ohne  Weiteres  zur  Abfahrt  zu  rüsten ;  die,  welche 
Wieben,  stimmten  mit  Korinth.  So  trennte  sich  mit  Einbruch  der  Nacht 


Digitized  by  Google 


TG 


MNESIPHILOS  UND  TBEMISTOKLES 


die  Versammlung,  und  Themistokles  kehrte  missmuthig  und  von  vergeb- 
licher Anstrengung  ermattet  auf  sein  Schiff  zurück.  Da  trat  Mnesi- 
philos  (I,  346)  zu  ihm,  sein  väterlicher  Freund,  ein  Mann,  welcher  im 
Umgange  mit  Solon  seine  politische  Einsicht  und  seine  Ueberzeugung 
von  der  grofsen  Zukunft  Athens  gewonnen  hatte.  Ein  philosophischer 
Geist  und  frei  von  Ehrgeiz  hatte  er,  wie  es  scheint,  keine  hervorragende 
Stellung  im  Staate  gesucht;  aber  durch  Leitung  und  Unterricht  hatte 
er  einen  grofsen  Einfluss  auf  die  Jugend  und  namentlich  auf  Themi- 
stokles. Er  hat  die  Gedanken  Solons  von  der  Entwicklung  seiner 
Vaterstadt  lebendig  erhalten  und  ist  dadurch  ein  wichtiges  Bindeglied 
zwischen  der  älteren  und  der  jüngeren  Generation  Athens  geworden. 

Jetzt  griff  er  unmittelbar  in  den  Gang  der  Ereignisse  ein,  und 
zwar  in  der  entscheidenden  Stunde.  Denn  als  er  nach  dem  Ergebnisse 
des  Kriegsraths  fragte,  und  vernahm,  dass  der  Rückzug  beschlossen 
sei,  sprach  er  zu  Themistokles:  'Dann  wirst  du  nie  mehr  um  ein  Vater- 
land kämpfen!' 

Das  Wort  zündete ;  die  unwiederbringliche  Bedeutung  des  gegen- 
wärtigen Augenblicks  trat  Themistokles  in  neuer  Klarheit  vor  die 
Seele  und  liefe  ihn  nicht  ruhen  und  zögern;  er  sprang  wieder  in  das 
Boot  und  liefs  sich  an  das  Feldherrnschiff  der  Spartaner  rudern.  Er 
hatte  jetzt  Eurybiades  allein  vor  sich;  er  machte  ihm  klar,  dass  mit 
dem  Rückzüge  von  Salamis  jeder  Seekampf  aufgegeben  werde.  Die 
Aegineten  und  Megarcer  würden  so  wenig  wie  die  Athener  sich  hinter 
Salamis  zurückziehen.  Ob  er,  der  Oberfeldherr,  es  verantworten  könne, 
das  stattliche  Schiffsheer,  das  ihm  anvertraut  sei,  ruhmlos  aus  ein- 
ander gehen  zu  lassen? 

Eurybiades  lässt  von  Neuem  die  Feldherrn  rufen,  denen  Themi- 
stokles in  mildester  und  eindringendster  Rede  seine  Ansicht  vorträgt ; 
Megara  und  Aigina  stimmen  bei.  Um  so  bitterer  tritt  Adeimantos 
auf.  Themistokles,  sagt  er  höhnend,  dürfe  gar  nicht  mitreden,  er  sei 
ein  heimalhloser  Mann,  ein  Mann  ohne  Stadt  'Hier  ist  Athen,  ent- 
gegnete ihm  Themistokles,  indem  er  auf  die  200  Trieren  hinweist, 
auch  ohne  Stadt  und  Land  mächtiger  als  ihr  übrigen  Alle.'  Schonungs- 
los enthüllt  er  dann  die  schlechten  Gesinnungen  Korinlhs,  die  hä- 
mische Schadenfreude  am  Unglücke  einer  eidgenössischen  Stadt,  und 
wendet  sich  endlich  kurz  und  entschlossen  an  Eurybiades.  Er  sollte 
nun  wählen  zwischen  Ehre  und  Schande.  'Wir  Athener,  schliefst  er, 
gehen  nicht  nach  dem  Isthmos  zurück.   Wollt  ihr  nicht  kämpfen,  nun 


Digitized  by  Google 


THEMISTOKLES'  LIST 


77 


wohl,  so  geben  wir  mit  allen  Schiifen  fort,  um  in  Italien  ein  neues 
Athen  zu  gründen.  Ihr  aber  mögt  sehen,  wie  ihr  ohne  uns  euer  Land 
verlbeidigen  könnt!' 

Die  Teste  Haltung  des  Themistokles  verfehlte  ihre  Wirkung  nicht : 
denn  wenn  die  Athener  abfielen,  so  war  jede  Widerstandsfähigkeit  ge- 
brochen. So  kam  denn  gegen  Morgen  der  neue  Beschluss  zu  Stande, 
dass  man  die  Stellung  behaupten  wolle,  und  als  es  tagte,  sah  man  auch 
schon  vom  Phaleron  her  die  feindliche  Flotte  heranrudern,  um  sich 
am  eieusinischen  Strande  den  Griechen  gegenüber  zu  lagern.  Gleich- 
zeitig rückten  die  persischen  Fufsvölker,  Reiter  und  Wagen  gegen  die 
Küste  vor.  Wohin  man  blickte,  war  Land  und  Meer  von  unabseh- 
lkhen  Feindesmassen  bedeckt,  welche  sich  wie  Gewitterwolken  um 
das  griechische  Häuflein  zusammenzogen.  Bald  war  keine  Zuflucht, 
kern  Rückzug  mehr  vorhanden,  als  die  kahlen  Felsen  der  von  jammern- 
den Flüchüingen  überfüllten  Insel. 

Da  war  wiederum  aller  Muth  hin.  Die  Peloponnesier  glaubten 
die  Feinde  schon  auf  dem  Marsche  nach  dem  Isthmos,  sie  sahen 
die  verlassene  Heimath  bedroht  und  sich  selbst  nutzlos  aufgeopfert, 
und  zwar  zu  Gunsten  der  schon  verlorenen  Athener.  Das  Zittern 
und  Zagen  ging  in  Murren  und  offene  Widersetzlichkeit  über,  und 
Themistokles  sah  zuletzt  nur  noch  einen  Ausweg:  die  Griechen 
musslen  gezwungen  werden  Stand  zu  halten.  Er  entschloss  sich 
deshalb  mit  dem  Perserkönig  in  Unterhandhing  zu  treten.  Der 
Wahrheit  gemäfs  berichtete  er  ihm,  dass  die  Uellenen  zu  entfliehen 
beabsichtigten:  er  möge  aber  eine  so  günstige  Gelegenheit,  die 
ganze  Flotte  ei nzu fangen,  nicht  vorüber  lassen,  sondern  unverzüglich 
auf  beiden  Seilen  die  Ausgänge  besetzen.  Xerxes  ging  bereitwillig  auf 
diesen  Wink  ein;  denn  Umgehung  und  Umzingelung  war  ja  das 
stehende  Programm  der  nicht  sehr  erfindungsreichen  Taktik  des  Perser- 
königs. Der  westliche  Flügel  wurde  bei  Eintritt  der  Dunkelheit  gegen 
Salamis  vorgeschoben ,  auf  der  Ostseite  das  Meer  gegen  Munichia  ab- 
gesperrt und  PsyttaJeia  besetzt. 

So  standen  die  Dinge,  während  im  Kriegsrathe  noch  immer  hin 
und  her  gesprochen  wurde,  als  wenn  man  noch  die  Wahl  zwischen 
Kampf  und  Rückzug  hätte,  und  Themistokles  umsonst  auf  die  Vor- 
bereitung zur  Schlacht  drang.  Da  wurde  er  aus  der  Berathung  heraus- 
gerufen; Aristeides  stand  vor  ihm.  Er  war  von  Aigina  herübergceilt, 
um  in  der  Noth  seiner  Stadt  nicht  fern  zu  sein  er  reichte  Themistokles 


Digitized  by  Google 


78 


SCHLACHT  BEI   SALAMIS   (40.  SEPT.  480). 


die  Hand  mit  den  Worten,  dass  sie  jetzt  nur  darum  streiten  dürften, 
wer  der  Vaterstadt  am  meisten  Gutes  erweisen  könne,  und  berichtete 
dann,  wie  er  nur  mit  genauer  Noth  in's  Schiffslager  gekommen  sei, 
alle  Auswege  seien  besetzt  Er  kam  also,  ohne  es  zu  ahnen,  um  seinem 
Gegner  zur  rechten  Stunde  die  erwünschte  Gewissheit  zu  bringen,  dafs 
sein  Anschlag  gelungen  sei.  Hocherfreut  führt  ihn  Themistokles  in  den 
Feldherrnralh,  um  hier  sein  Zeugniss  abzulegen.  Ternsche  üeber- 
läufer  kommen  dazu,  um  die  Thatsache  der  völligen  Einschliefsung 
aufser  Frage  zu  stellen;  man  musste  endlich  einsehen,  dass  man  keine 
Wahl  mehr  habe. 

Die  noch  übrigen  Nachtstunden  wurden  eilig  benutzt,  die  Schiffe 
zu  ordnen.  Die  Athener  wurden  am  westlichen  Ende  den  Phöniziern 
und  Kypriern,  die  Peloponnesier  am  östlichen  den  Ioniern  gegenüber 
aufgestellt;  in  der  Mitte  hielten  die  Schiffe  von  Aigina  und  Euboia, 
welche  die  Kilikier  und  Pamphylier  zu  Gegnern  hatten.  Zu  den  Schiffen 
der  Verbündeten  kam  noch  das  des  Phayllos  aus  Kroton,  das  dieser  auf 
eigene  Hand  ausgerüstet  hatte;  aufserdem  zwei  Schiffe  aus  Tenos  und 
Lemnos,  welche  die  feindlichen  Reihen  verlassen  hatten.  Die  Stellung 
der  Flotte  war  ungemein  günstig,  weil  die  Vorsprünge  des  salaminischen 
Ufers  eine  Umzingelung  unmöglich  machten**). 

So  brach  der  Schlachttag  an,  der  zwanzigste  September  (19. 
Boedromion).  Es  war  ein  heiliger  Tag  für  Athen,  denn  am  Abend  des- 
selben begann  derlakchostag,  an  welchem  das  Bild  des  Gottes  in  grofsem 
Feierzuge  nach  Eleusis  getragen  wurde  und  die  Fackeln  rings  um  die 
heilige  Bucht  erglänzten.  Während  Themistokles  die  Seinigen  zum 
entscheidenden  Kampfe  anfeuerte,  kam  das  Schiff  mit  den  heiligen 
Bildern  der  Aeakiden  von  Aigina  herüber.  Glück  verheifsend  loderten 
die  Opferflammen,  und  als  gerade  drei  Gefangene  eingebracht  wurden, 
verlangte  das  Kriegsvolk,  dass  sie  der  Weisung  des  Sehers  Euphrantides 
gemäfs  den  Göttern  geopfert  würden.  Die  Kampflust  steigerte  sich  bis 
zur  Wildheil,  und  als  die  Perser  ihrer  Gegner  ansichtig  wurden,  er- 
blickten sie  wider  Erwarten  ein  streilfertiges  Schiffsheer  und  hörten 
von  Trompetenschall  und  hellen  Kriegsliedern  die  Felsen  der  Insel 
wiederhallen38*). 

Auf  beiden  Seiten  war  man  zum  entschlossensten  Kampfe  ge- 
rüstet, denn  der  Hellenen  einzige  Hoffnung  war  ja  die  Vernichtung 
des  Feindes,  und  hinter  ihnen  standen  auf  den  Höhen  von  Salamis 
ihre  Frauen  und  Kinder,  deren  das  schrecklichste  Sklavenloos  wartete. 


SCHLACHT  BEI  SALAMIS    («©.  SEPT.  4*0). 


79 


wenn  nicht  ein  voller  Sieg  gewonnen  wurde.  Hinler  der  Perserflolle 
aber  war  auf  dem  Vorsprunge  des  Berges  Aigaleos  der  silberföfsige 
Thronsessel  des  GrofskOnigs  aufgerichtet.  Dort  safs  er  inmitten  seiner 
Truppen,  von  seinen  Rathen  und  Schreibern  umgeben,  nahe  genug,  die 
Gewässer  zu  überblicken,  auf  deren  engem  Räume  sich  Hunderttausende 
nun  Kampfe  zusammendrängten,  und  bereit,  unverzüglich  reichen  Lohn 
so  wie  die  furchtbarste  Strafe  zu  erlheilen.  Jeder  Schiffsführer  glaubte 
des  Königs  Auge  auf  sich  gerichtet  zu  sehen;  der  Ehrgeiz  wurde  ent- 
flammt, namentlich  bei  den  loniern,  von  denen  nur  Wenige  sich  ab- 
sichtlich zurückhielten.  Darum  machten  die  Perser  mit  grofsem  Un- 
gestüme den  ersten  allgemeinen  Angriff,  und  die  Hellenen  wichen  gegen 
s»Iaruis  zurück,  doch  in  voller  Ordnung,  indem  die  Vordertheile  der 
Schiffe  den  Feinden  zugekehrt  blieben.  Dann  gingen  sie  wieder  lang- 
sam vor;  zuerst  die  Athener  und  Aegineten. 

Wie  iti  den  homerischen  Schlachten  begann  der  Kampf  mit  ein- 
zelnen Angriffen;  kühne  Schiffsführer  wagten  sich  vor  und  zogen  die 
ährigen  in  das  Handgemenge  herein.  So  wurde  allmählich  der  Kampf 
allgemein,  und  die  Vortheile,  welche  auf  Seiten  der  Griechen  waren, 
zeigten  sich  immer  deutlicher.  Denn  die  Barbaren,  welche  sich  ganz  auf 
ihre  Masse  verliefsen,  kämpften  ohne  Plan  und  Ordnung,  während  die 
Hellenen,  namentlich  die  Aegineten  und  Athener,  geschwaderweise 
zusammenhielten.  Die  Barbarenschiffe  waren  schwimmende  Häuser, 
die  mit  Truppen  besetzt  waren;  den  Griechen  war  das  Schiff  selbst 
eine  Waffe:  mit  solcher  Schnellkraft  wussten  sie  die  Feinde  anzulaufen. 
Ihr  Muth  wuchs  mit  jedem  Stofse,  der  ein  feindliches  Schiff  sinken 
machte,  mit  jeder  glücklichen  Streiffahrt,  welche  die  Ruder  der  Gegner 
zerbrach.  Luft  und  Meer  wurden  gegen  Mitlag  unruhiger,  die  Be- 
drängniss  der  Feinde  wuchs;  in  drei  Linien  aufgestellt,  hatten  ihre 
schwerfalligen  Fahrzeuge  keine  freie  Bewegung;  die  beschädigten 
konnten  nicht  zurück,  um  die  anderen  vorzulassen.  Dazu  kam, 
dass  die  verschiedenen  Flotten  mann  Schäften  gegen  einander  in  eifer- 
süchtiger Spannung  waren;  die  Phönizier  klagten  die  lonier  des 
Verraths  an,  die  Einen  überrannten  die  Anderen,  um  sich  selbst 
ra  retten.  Die  Angst  der  Asiaten  war  um  so  gröfser,  da  sie  im 
Wasser  ihr  unvermeidliches  Grab  vor  sich  sahen,  während  den  Grie- 
chen ihre  Gewandtheit  im  Nah  kämpfe,  im  Springen  und  Schwimmen 
um  so  mehr  zu  Gute  kam,  je  gröfser  das  Gedränge  wurde.  Ariabignes 
der  Admiral,  des  Königs  Bruder,  und  andere  hervorragende  Männer 


Digitized  by  Google 


DIE   FOLGEN   DE«  SCHLACHT. 


fielen  im  Kampfe;  die  Flotte  verlor  den  Zusammenhang,  und  die 
Schilfe  fingen  an ,  um  sich  dem  allgemeinen  Untergänge  zu  entziehen, 
nach  dem  Phaleron  hin  zurückzuweichen.  Der  Westwind  kam  ihnen 
dabei  zu  Gute,  aber  auch  auf  dem  Rückzüge  erwartete  sie  neues  Ver- 
derben. Denn  wahrend  die  Athener  den  fliehenden  folgten ,  kreuzte 
draußen  ein  Geschwader  von  Aegineten,  welche  sie  von  vorne  angriffen 
und  ihnen  grofsen  Schaden  zufügten. 

Unter  diesen  Umstanden  hatte  man  keine  Zeit,  die  Truppen  auf- 
zunehmen, welche  auf  Psyttaleia  ausgesetzt  waren,  um  hier  den  Grie- 
chen den  Ausweg  aus  der  Bucht  zu  sperren.  Aristeidcs  benutzte  diese 
Gelegenheit,  um  auch  seinerseits  an  dem  Schlachttage  thätigen  Antheil 
zu  nehmen.  Er  sammelte  rasch  eine  Schaar  gerüsteter  Bürger,  welche 
in  Salamis  dem  Seekampfe  zusahen,  landete  mit  ihnen  auf  der  Insel, 
deren  niedriges  Gestrüpp  den  zusammengedrängten  Feinden  keinen 
Schutz  darbot,  und  so  wurde  die  ganze  Mannschaft,  eine  Abtheilung 
auserlesener  Perser,  durch  das  Schwert  der  Athener  niedergemacht. 
Zwei  Stunden  nach  Sonnenunlergang  ging  der  Mond  auf;  er  begünstigte 
wesentlich  die  letzte  Verfolgung  und  zeigte  den  Griechen  die  von  den 
Persern  geräumte,  von  Schiffstrümmern  und  Leichen  dicht  bedeckte 
Wahblättc  der  salaminischen  Bucht.  Zum  Danke  wurde  mit  dem 
Feste  der  Mondgötlin  Artemis  Munichia  die  Erinnerungsfeier  des 
Sieges  verbunden30). 

So  glänzend  und  unbestritten  der  Sieg  der  Griechen  war,  so  halte 
er  doch  im  Grunde  keine  Entscheidung  gebracht  Die  feindliche  See- 
macht war  nichts  weniger  als  vernichtet.  Im  Ganzen  mochte  sie  kaum 
mehr  als  den  fünften  Theil  ihrer  Schiffe  verloren  haben,  und  der  Ver- 
lust der  Griechen  war  nicht  viel  geringer.  Das  Verhältniss  der  Streit- 
kräfte war  nicht  wesentlich  verändert;  die  feindliche  Landmacht  unver- 
sehrt. Die  Griechen  mussten  also  auf  eine  Erneuerung  des  Kampfes 
gefasst  sein.  Aber  zum  Glücke  hatten  sie  keinen  Gegner,  welchen  eine 
erlittene  Niederlage  zu  verdoppelter  Anstrengung  anfeuerte;  vielmehr 
war  es  die  persönliche  Feigheit  des  Grofskönigs,  welche  ihren  Sieg 
vollständig  machte.  Sein  prahlerischer  Hochmut  Ii,  sein  auf  eitler  Ver- 
blendung beruhendes  Sicherheilsgefühl  war  zusammengebrochen;  er 
hatte  immer  nur  daran  gedacht,  Siege  zu  feiern,  aber  nicht  sie  zu  er- 
kämpfen. Nun  war  plötzlich  alles  Vertrauen  zu  seinen  Truppen  ver- 
schwunden; er  fürchtete  die  Feigheit  der  Einen,  die  Untreue  der  An- 
deren, und  nachdem  er  eben  noch  eine  Wellmacht  ohne  Ziel  und 


Digitized  by  CjO 


VERFOLGUNG   DER  PERSER. 


81 


Schranken  aufzurichten  gedacht  hatte,  fasste  ihn  plötzlich  die  Angst 
am  seine  eigene  Sicherheit.  Er  erbebte  vor  dem  Gedanken,  im  Fein- 
deslande eingeschlossen  zu  werden,  und  die  Furcht  vor  dem  Abbruche 
der  DelJespon tosbrücke  war  so  mächtig,  dass  er  zu  schleuniger  Um- 
kehr entschlossen  war.  Nur  wünschte  er ,  soweit  es  möglich  war,  die 
königltebe  Würde  zu  wahren. 

Hier  kam  ihm  Marclonios  entgegen.  Dieser  hatte  nämlich  für 
seine  Person  Alles  zu  fürchten,  wenn  sofort  die  ganze  Persermacht  den 
Rückzug  nach  Asien  antrat.  Dann  wäre  ja  die  Niederlage  offen 
eingestanden,  und  er  würde  von  seinen  Gegnern  für  alle  Noth  des 
mißlungenen  Krieges  zur  Verantwortung  gezogen  worden  sein.  Dazu 
kam,  dass  er  die  Pläne  seines  Ehrgeizes  auch  jetzt  noch  keineswegs 
aufgegeben  hatte;  er  hoffte  vielmehr  als  selbständiger  Oberfeldherr 
seinen  Zweck,  die  Errichtung  einer  europäisch-griechischen  Satrapie, 
leichter  erreichen  zu  können.  Er  gab  also  dem  Grofskönige  den  Rath, 
mit  der  Eroberung  Attikas  den  jetzigen  Feldzug  ab  beendet  anzusehen, 
mit  der  Flotte  und  einem  Theile  der  Truppen  nach  Asien  heimzu- 
kehren, ihn  selbst  aber  mit  dem  Kernvolke  des  Landheeres  in  Griechen- 
land zurückzulassen,  um  die  Unterwerfung  des  Festlandes  und  die 
Einrichtung  der  neu  gegründeten  Satrapie  zu  vollenden.  Auf  diese 
Weise  werde  die  Person  des  Grofskönigs  jeder  Gefahr  entzogen.  Um 
aber  den  Aufbruch  des  Königs  nicht  als  eine  unmittelbare  Folge  der 
salaminischen  Schlacht  erscheinen  zu  lassen,  beschloss  man  die 
Stellung  am  attischen  Ufer  zu  behaupten  und  sogar  einen  Dammweg 
nach  Salamis  hinüber  aufzuwerfen,  als  wolle  man  um  jeden  Preis 
die  Insel  nehmen.  Während  dessen  wurde  Alles  zum  Aufbruch  vor- 
bereitet, und  die  Flotte  erhielt  Befehl  nach  dem  Hellespont  aufzu- 
brechen. 

Die  Hellenen  folgten  bis  Andros,  wo  man  von  Neuem  Kriegsrath 
hielt.  Themistokles  wollte  gleich  nach  dem  Hellespont,  um  die  Flotte 
auf  dem  Rückzüge  anzugreifen  und  die  Schiffbrücke  zu  zerstören.  Das 
schien  ihm  die  rechte  Benutzung  des  salaminischen  Sieges  zu  sein; 
es  war  im  Grunde  derselbe  Plan,  wie  ihn  Miltiades  an  der  Donau- 
bröcke  vertreten  hatte,  durch  Abschneiden  der  Rückzugslinie  denGrofs- 
konig  mit  seinem  ganzen  Heere  im  feindlichen  Lande  zu  verderben 
und  sofort  die  Befreiung  Ioniens  zu  beginnen,  welche  dann  keine 
Schwierigkeit  mehr  haben  könnte.  Das  attische  Schiffsvolk  glühte 
vor  Begierde,  an  Xerxes  die  vollste  Rache  zu  nehmen;  es  drängte 

Cvrtist,  Gr.  Owcb.  II.  6.  Aal  6 


Digitized  by  Google 


82 


HEIMKEHR   DES  XERXES. 


daher  ungeduldig  nach  dem  Hellespont.  Indessen  waren  die  anderen 
Feldherrn  auch  jetzt  durchaus  nicht  gesonnen,  dem  kühnen  Fluge 
der  themistokleischen  Pläne  zu  folgen.  Sie  fanden  das  Vorhaben  toll- 
kühn, das  Gelingen  bei  den  grofsen  Hülfsmitteln  der  nördlichen  Land- 
schaften und  bei  dem  Anhange,  welchen  Xerxes  dort  hatte,  mehr  als 
zweifelhaft;  sie  missbilligten  überhaupt,  dass  man  das  fliehende  Heer 
im  Vaterlande  zurückhalte  und  zu  einem  Kampfe  der  Verzweiflung 
zwinge.  Themistokles  musste  sich  fügen ;  ja  er  that  nun  selbst  das 
Seine,  um  die  Athener,  die  auch  allein  vorwärts  wollten,  zu  beruhigen. 
Man  solle  sich  für  jetzt  an  dem  Gottesgerichte  genügen  lassen,  das 
über  den  Frevelmuth  der  Feinde  ergangen  sei;  im  Frühjahre  wolle 
man  nach  dem  Hellespont  und  Ionien.  Einstweilen  beschränkte  man 
sich  darauf,  die  Inseln  zu  brandschatzen,  welche  den  Persern  ge- 
huldigt hatten.  Unter  dem  Vorwande  die  isthmischen  Beschlüsse  aus- 
zuführen, gab  Themistokles  schon  deutlich  zu  erkennen,  dass  die 
Flotte  Athens  nicht  blofs  zur  Abwehr  des  Feindes,  sondern  zur  Be- 
gründung einer  Herrschaft  durch  ihn  geschaffen  worden  sei. 

Inzwischen  wurden  in  Thessalien  die  feindlichen  Truppenmassen 
getlieilL  Mardonios,  dem  als  Stellvertreter  des  Xerxes  das  königliche 
Zelt  mit  seiner  ganzen  Einrichtung  übergeben  wurde,  behielt  für  sich 
die  zehntausend  'Unsterblichen',  die  Kerntruppen  der  iranischen  Kriegs- 
völker, und  aus  den  übrigen  Schaaren  die  erprobtesten  Krieger.  Mit 
dem  Reste  des  Heeres  zog  Xerxes  weiter,  von  Thorax  geleilet,  in 
steigender  Hast  der  Brücke  zueilend;  Artabazos  mit  fänfzigtausend 
Mann  begleitete  ihn  bis  zum  Hellespont.  Von  Tag  zu  Tag  häufte  sich 
das  Ungemach :  die  schlechte  Witterung  trat  vorzeitig  ein  mit  Schnee- 
sturm und  Kälte;  die  thrakischen  Ströme  waren  mit  trügerischen  Eis- 
decken überzogen;  die  Völkerschaften  zeigten  sich  unzuverlässig,  da 
der  eingetretene  Glückswechsel  nicht  zu  verkennen  war.  Der  Proviant 
war  nicht  zur  Stelle,  die  nöthigsten  Vorkehrungen  waren  verabsäumt, 
Hunger  und  Krankheit  rafften  Menschen  und  Thiere  hin.  So  brachte 
Xerxes  nur  klägliche  Trümmer  eines  aufgelösten  Heeres  über  den 
Hellespont,  dessen  Brücken  der  Sturm  zerrissen  hatte,  und  auch  jen- 
seits des  Sundes  starben  noch  Viele  in  Folge  des  erlittenen  Unge- 
machs 40). 

Der  Abzug  des  Xerxes  gab  den  Hellenen  das  Recht,  ein  volles 
Siegesfest  zu  feiern.  Die  erstgenommenen  Trieren  wurden  auf  dem 
Isthmos,  auf  Sunion  und  in  Salamis  geweiht,  gemeinsame  Weihge- 


Digitized  by  Google 


STIMMUNGEN  DER  GRIECHEN. 


S3 


schenke  den  reitenden  Göttern  in  Olympia  und  Delphi  gelobt  und  die 
Preise  ausgetheilL  Welche  Stimmungen  und  Gesinnungen  sich  dabei 
gellend  machten,  beweist  der  Umstand,  dass  der  Feldherrnpreis  gar 
nicht  vergeben  wurde,  obwohl  niemals  das  Verdienst  eines  Feld- 
berrn  unbestrittener  hat  sein  können;  aber  selbst  den  zweiten  Preis, 
welcher  von  allen  Fuhrern  einstimmig  dem  Themistokles  zuerkannt 
war,  wollte  man  ihm  nicht  zusprechen.  Auch  der  Tapferkeitspreis 
für  das  Verhalten  in  der  Schlacht  wurde  den  Aeginelen  gegeben  und 
erst  nach  ihnen  zwei  Athenern. 

Die  arge  Missgunst,  welche  gegen  Themistokles  herrschte,  wurde 
in  Delphi  genährt.  Denn  wie  hier  die  Stimmung  war,  erkennt  man 
daran,  dass,  als  es  sich  später  um  die  Aufstellung  der  VVeihgeschenke 
handelte,  von  Seiten  der  Aegineten,  welche  dadurch  als  die  eigent- 
lichen Sieger  bei  Salamis  ausgezeichnet  werden  sollten,  ein  beson- 
deres Weihgeschenk  verlangt  wurde,  welches  in  der  Vorzelle  des 
Tempels  neben  dem  Mischkruge  des  Kroisos  aufgestellt  wurde  (es 
war  ein  SchuTsmast  von  Erz  mit  drei  goldenen  Sternen),  während 
die  Gaben,  welche  Themistokles  von  seinem  Antheile  an  der  Sieges- 
beute dem  Gölte  darbringen  wollte,  schnöde  zurückgewiesen  wurden. 
Um  so  reicher  waren  die  Ehren,  welche  ihm  in  Sparta  zu  Theil 
wurden.  Er  wurde  zusammen  mit  Eurybiades  öffentlich  bekränzt,  mit 
einem  prachtvollen  Wagen  beschenkt  und  durch  die  dreihundert  Ritter 
Spartas  bis  an  die  Gränze  des  Landes  feierlich  geleilet;  es  waren 
Ehren,  wie  sie  niemals  einem  Fremden  zu  Theil  geworden  waren. 
So  wohllhuend  dieselben  seinem  durch  die  Preisvertheilung  auf  dem 
ktnmos  verletzten  Ehrgefühle  sein  mochten,  so  waren  sie  doch  nicht 
geeignet,  bei  den  Athenern  einen  guten  Eindruck  zu  machen. 
Wenigstens  machte  sich  gleich  nach  der  salaminischen  Schlacht  der 
Einfluss  des  Aristeides  wieder  vorzugsweise  geltend.  Er  wurde  im 
Frühjahre  mit  außerordentlichen  Vollmachten  zum  Oberfeldherrn  der 
allischen  Landmacht  erwählt,  während  Xanlhippos  den  Oberbefehl  der 
Flotte  erhielt41). 


Man  konnte  sich  in  Athen  über  die  noch  immer  drohende  Kriegs- 
gefahr nicht  tauschen.  Des  Feindes  Ueber macht  war  noch  grofs  genug; 
die  eingetretene  Verminderung  war  für  die  Perser  selbst  im  Grunde 
mehr  vortheilhafl  als  nachtheilig,  weil  sie  die  Verpflegung  und  Lenkung 

6* 


Digitized  by  Google 


84 


DER  WIMER  OL.  7*.  1;  «0-479. 


erleichterte.  Es  waren  lauter  auserlesene  Truppen,  von  dem  ent- 
schlossenen Willen  eines  Feldherm  geleitet,  welcher  Land  und  Leute 
genau  kannte,  und  dessen  öffentliche  Stellung  ganz  von  dem  Ausgange 
dieses  Feldzugs  abhing;  sie  standen  mitten  im  griechischen  Lande,  von 
treuen  Bundesgenossen  umgeben,  welche  ihnen  allen  möglichen  Vor- 
schub leisteten.  Freilich  konnte  im  Perserheere  nicht  mehr  das  alte 
Vertrauen  zum  Siege  herrschen;  dies  war  durch  die  letzten  Erfahrungen 
und  besonders  durch  den  eiligen  Abzug  des  Grofskönigs  wesentlich  er- 
schüttert; trübe  Ahnungen  gingen  durch  das  ganze  Heervolk;  und  selbst 
vornehme  Perser,  die  Führer  der  Truppen,  gestanden  offen,  dass  sie 
sich  wie  von  einem  dunkeln  Verhängnisse  in  das  Verderben  gezogen 
fühlten;  unter  den  Feldherrn  selbst  waren  Manche,  namentlich  Arta- 
bazos,  nichts  weniger  als  kriegslustig  und  zuverlässig. 

Deshalb  trat  auch  Mardonios  von  Anfang  an  mit  grofser  Vorsicht 
und  Milde  auf.  Es  war  offenbar  nicht  seine  Absicht,  den  Ausgang  des 
neuen  Feldzugs  wiederum  von  einer  Schlacht  abhängig  zu  machen. 
Darum  benutzte  er  schon  die  Winterrast  in  Thessalien,  um  sich  mit 
den  griechischen  Staaten  und  Heiligthümern  in  Verbindung  zu  setzen ; 
er  suchte  bei  den  Orakeln  eine  Art  Legitimation  für  seine  Pläne  zu  er- 
halten ;  er  verabredete  mit  den  Argivern,  dass  sie  durch  eine  feindliche 
Unternehmung  die  Spartaner  am  Auszuge  verhindern  sollten.  Vor 
Allem  aber  beschäftigten  ihn  die  Verhandlungen  mit  Athen.  Hier  hatte 
er  zum  Vermittler  den  geeignetsten  Mann  in  Alexander  von  Makedonien 
(S.  64),  der  ein  Vasall  des  Grofskönigs  und  mit  den  ersten  Familien 
des  persischen  Reichsadels  verschwägert  war,  zugleich  ein  Heraklide 
von  griechischem  Blute,  von  Jugend  auf  griechischer  Bildung  zuge- 
wandt, als  Hellene  anerkannt  in  Olympia,  ein  bewährter  Freund  der 
griechischen  Sache,  ein  Mann,  welcher  den  Athenern  schon  so  manche 
Dienste  geleistet  hatte,  dass  sie  ihn  zum  Wohlthäter  und  Gastfreunde 
ihrer  Stadt  ernannt  ballen.  Durch  ihn  liefs  Mardonios  den  Athenern 
seine  versöhnlichen  Gesinnungen  aussprechen.  Alles  Geschehene  solle 
vergessen  sein  ;  er  wolle  nicht  den  Untergang  der  Stadt;  ja  er  wolle 
selbst  Stadt  und  Heiliglhümer  ihnen  wieder  aufbauen  und  ihr  Land 
grofs  machen.  Sie  sollten  nur  vom  Hellenenbunde  abtreten  und  sich 
ihm  anschliefsen,  ohne  darum  ihrer  Selbständigkeit  verlustig  zu  gehen. 

Man  sieht,  er  hatte,  vielleicht  auf  Anralhen  der  Orakel,  den  Ge- 
danken, unter  persischem  Protektorale  einen  griechischen  Staatenbund 
zu  errichten.  Er  hoffte  trotz  aller  Verfeindung,  das  ionische  Athen 


Digitized  by  Google 


VERHANDLUNGEN  IN  ATHEN. 


85 


immer  noch  leichter  zu  gewinnen,  als  das  spröde  Doriervolk,  und  sein 
Endziel  war,  mit  Hülfe  der  attischen  Flotte  den  Peloponnes  einzu- 
nehmen. Der  Plan  war  klug  angelegt,  und  die  Verlockung  für  die 
Athener  war  nicht  gering.  Man  erwäge  nur,  wie  sie  eben  von  den 
Inseln  und  Kästen  heimgekehrt  waren,  wie  sie  ohne  Häuser,  ohne 
Erndte  in  ihrem  verwüsteten  Lande  sich  kümmerlich  wieder  einzu- 
richten beflissen  waren  und  dabei  in  aller  ihrer  Noth  sich  von  den 
Spartanern  noch  mit  ärgster  Missgunst  behandelt  sahen!  In  Sparta 
fühlte  man  die  ganze  Bedeutung  dieses  Augenblicks.  Man  beeilte  sich 
Gesandte  nach  Athen  zu  schicken,  welche  für  den  bevorstehenden  Krieg 
die  treueste  Bundeshülfe  und  jede  mögliche  Erleichterung  der  Kriegs- 
noth  versprachen.  In  ängstlicher  Spannung  harrten  sie  auf  den  Be- 
schluss  der  attischen  Gemeinde,  von  welchem  das  Schicksal  Griechen- 
lands abhängig  war. 

In  solchen  Zeiten  war  Aristeides  an  seiner  Stelle,  um  den  etwa 
schwankenden  Bürgern  klar  zu  machen,  was  das  Vaterland  von  ihneu 
verlange.  Nach  seinem  Vorschlage  wurde  in  der  entscheidenden  Volks- 
versammlung den  lakonischen,  wie  den  von  Alexander  unterstützten 
persischen  Gesandten  die  Antwort  ertheilt,  welche  ewig  denkwürdig 
bleiben  wird,  so  lange  das  Gedächtniss  der  Geschichte  auf  Erden  fort- 
lebt. Oeffentlich  erklärten  die  Athener,  dass  ihnen  ihre  Freiheit  um 
keine  Schätze  der  Erde  verkäuflich  sei;  sie  seien  die  Feinde  der  Perser, 
der  Zerstörer  ihrer  Heiligthümer,  und  würden  es  bleiben,  so  lange  die 
Sonne  ihre  Bahn  wandele;  aber  um  sich  selbst  auf  das  Feierlichste  an 
ihr  Wort  zu  binden,  liefsen  sie  die  Priester  des  Staats  die  schwersten 
Flüche  über  alle  Bürger  aussprechen,  die  dem  Hellenenbunde  untreu 
würden. 

So  wie  die  Spartaner  sich  durch  das  hochherzige  Benehmen  der 
Athener  von  ihrer  Angst  befreit  sahen,  waren  sie  wieder  die  alten, 
taumseligen,  selbstsüchtigen  Bundesgenossen  und  dachten  nicht  mehr 
daran,  ihre  Versprechungen  zu  erfüllen.  Als  daher  die  attischen  Ge- 
sandten nach  Sparta  eilten,  um  den  Aufbruch  des  Mardonios  aus  Thes- 
salien zu  melden  und  zu  schleuniger  Erfüllung  der  Bundespflichlen 
aufzufordern,  wurden  sie  von  den  Behörden  unter  allerlei  Vorwänden 
Wochen  lang  hingehallen.  Es  konnte  Niemand  daran  zweifeln,  die 
Spartaner  wollten  die  neue  Demüthigung  Athens  nicht  verhindern. 
Endlich  aber  liefsen  sie  heimlich  bei  Nacht  ausrücken,  um  den  Athenern, 
welche  mit  den  Platäern  und  Megareern  zusammen  am  folgenden  Tage 


Digitized  by  Google 


86 


ZWEITE  RAI  Ml  lSf.  ATHENS  OL.  75,  2;  479. 


auftraten  und  jede  weitere  Verhandlung  abzubrechen  drohten,  höhnend 
zurufen  zu  können :  'warum  sie  sich  so  ereiferten?  der  spartanische 
Heerbann  sei  ja  schon  nach  dem  Islhmos  unterwegs1/49) 

Sie  hallen  inzwischen  ihren  Zweck  vollständig  erreicht.  Als 
Mardonios,  mit  den  Truppen  des  Artabazos  vereinigt,  gegen  Süden  vor- 
rückte, waren  die  Athener,  bei  dem  Ausbleiben  aller  Bundeshülfe,  aufser 
Stande,  ihre  Gränzen  zu  vertheidigen.  Nachdem  sie  neun  Monate  lang 
im  Besitze  ihres  Landes  gewesen  waren,  mussten  sie  dasselbe  wiederum 
räumen  und  von  Neuem  alle  Noth  der  Auswanderung  tragen,  während 
man  zu  Sparta  in  aller  Behaglichkeit  das  Fest  der  H yakin thien  feierte. 
Mardonios  liefs  um  die  Mitte  des  Julius  durch  Feuerzeichen  die  zweite 
Besetzung  Athens  nach  Sardes  melden,  aber  er  schonte  das  Land.  Er 
hoffte  noch  immer  auf  eine  Sinnesänderung  der  Athener:  er  konnte 
sich  nicht  anders  denken,  als  dass  das  verrätherische  Verhalten  Spartas 
eine  günstige  Wirkung  ausüben  müsste.  Er  schickte  darum  von  Athen 
aus  noch  einmal  einen  Abgeordneten  nach  Salamis  hinüber,  den  Helles- 
ponlier  Murychides,  und  zwar  mit  so  annehmbaren  Vorschlägen,  dass 
selbst  Lykides  —  ein  attischer  Areopagit,  wie  es  scheint  —  sich  für 
die  Annahme  derselben  erklärte  und  einen  darauf  zielenden  Antrag  an 
die  Bürgerschaft  verlangte.  Aber  kaum  war  dies  Votum  in  der  draufsen 
harrenden  Menge  bekannt  geworden,  als  das  Volk  den  Unglücklichen 
umringte  und  zu  Tode  steinigte;  ja  die  Weiber  zogen  in  das  Haus  des 
Lykides  und  steinigten  seine  Frau  und  seine  Kinder.  Solchen  fana- 
tischen Freiheitsmulh  erhielt  sich  die  heimalhlose  Gemeinde:  jeder 
Gedanke  an  Unterhandlung  galt  für  schnöden  Landesverrat!). 

Als  nun  Mardonios  jede  Aussicht  auf  Versöhnung  vereitelt  sah, 
verwüstete  er  Angesichts  der  geflüchteten  Athener  schonungslos  ihre 
ganze  Landschaft  und  zog  dann,  nachdem  er  eine  Streifschaar  bis  Me- 
gara  halte  vorgehen  lassen,  über  den  Kithairon  zurück  nach  Böotien, 
um  in  einer  für  Reiterei  günstigen  und  ihm  befreundeten  Landschaft 
die  entscheidende  Schlacht  zu  liefern.  In  dem  wiesenreichen  Thale 
des  Asopos  an  der  Gränze  von  Plataiai  liefs  er  ein  viereckiges  Lager 
von  grofser  Festigkeit  aufrichten.  Hier  hatte  er  Theben,  wo  die  gröfsten 
Vorräthe  angehäuft  waren,  im  Rücken,  die  Pässe  nach  Anika  und  dem 
Islhmos  nahe  vor  sich.  Mit  Ausnahme  der  Phokeer,  welche  sich  im 
Parnasse  unabhängig  hielten  und  mit  kecken  Streifzügen  in  die  Ebenen 
herunter  kamen,  huldigte  ihm  das  ganze  mittlere  Griechenland.  Am 
engsten  hatte  sich  Theben  angeschlossen.    Hier  suchten  die  regieren- 


AUSZUG   DER  GRIECHEN  479  SOMMER. 


87 


den  Familien  mit  den  persischen  Grofsen  möglichst  nahe  Beziehungen 
anzuknöpfen;  sie  legten  grofsen  Werth  darauf,  dass  in  ihrem  Lande 
das  Hauptquartier  der  persischen  Macht  sei ;  der  reiche  Attaginos  lud 
die  fremden  Heerführer  bei  sich  zu  Gaste.  Perser  und  Thebaner  sah 
man  vertraulich  neben  einander  lagern ;  der  alte  Gegensatz  zwischen 
Hellenen  und  Barbaren  schien  verschwunden  zu  sein,  und  Mardonios 
musste  sich  schon  als  Satrap  in  einem  dem  Perserreiche  einverleibten 
Lande  fühlen. 

Inzwischen  hatten  sich  die  Peloponnesier  mit  den  Athenern  in 
Eleusis  vereinigt.  Der  gemeinsame  Führer  war  Pausanias,  der  an 
Stelle  des  minderjährigen  Pleistarchos,  des  Sohnes  des  Leonidas,  als 
Regent  den  Heerbefehl  hatte;  ein  Mann  von  hochstrebendem  Sinne, 
geistvoll  und  gewandt.  Er  führte  5000  Spartiaten,  deren  Jeder  von 
7  Heloten  begleitet  war,  und  5000  Lakedämonier,  die  auch  schwerbe- 
waffnet waren,  in's  Feld.  Aufserdem  waren  aus  dem  Peloponnes 
1500Tegeaten,  5000  Korinther,  denen  sich  300  Polidäaten  anschlössen, 
600  Orchomenier,  3000  Sikyonier,  800  Epidaurier,  1000  Trözenier, 
200  Lepreaten,  400  Achäer  aus  Mykenai  und  Tiryns,  1000  Phliasier, 
300  Hermioneer,  1000  aus  Euboia.  1500  von  den  westlichen  Inseln 
und  Küsten  (Ambrakia,  Leukas,  Anaktorion,  Kephallenia),  500  Aegi- 
neten,  3000  Megareer,  600  Platäer  und  endlich  8000  Athener.  Es 
waren  38,700  Mann  schwerbewaffnetes  Fufsvolk  und  69,500  Leicht- 
bewaffnete, und  dazu  noch  1800  leichtbewaffnete  Männer  aus  Thespiai. 
Ein  stattliches  Heer,  wie  Hellas  kein  zweites  wieder  zusammengebracht 
bat,  aber  ohne  Reiterei,  denn  alle  Reitervölker  waren  auf  persischer 
Seite.  Darum  durfte  sich  das  Heer  der  Verbündeten  nicht  in  die  Ebenen 
hegeben;  es  nahm  seine  Stellung  am  Abhänge  des  Bergzuges,  welcher 
Kithairon  und  Parnes  verbindet,  von  Hysiai  bis  Erythrai,  dem  Perser- 
lager gegenüber,  und  erwartete  hier  den  Angriff  des  Feindes43). 

Mardonios  säumte  nicht  die  Stärke  seines  Heers  in  vollem  Glänze 
zu  zeigen.  Er  liefs  seine  ganze  Reiterei  unter  ihrem  Obersten  Makistios 
über  den  Asopos  gehen,  um  die  Verbündeten  in  ihren  unteren  Stellun- 
gen anzugreifen.  Die  Megareer  wurden  vorzugsweise  bedrängt;  sie 
hielten  ruhig  Stand,  meldeten  aber  dem  Oberfeld herrn,  dass  sie  abge- 
löst werden  müssten,  wenn  sie  nicht  aufgerieben  werden  sollten.  Pau- 
sanias lieJfe  umfragen,  welches  Gontingent  den  gefahrlichen  Posten  ein- 
nehmen wolle.  Alle  schwiegen ,  nur  die  Athener  waren  sofort  bereit, 
freiwillig  den  Vorkampf  zu  übernehmen.  Olympiodoros  führte  eine 


Digitized  by  Google 


SS 


DIE  VORGEFECHTE  AM  ASOl'OS. 


Schaar  von  300  Auserlesenen  an  den  gefährdeten  Platz,  indem  er  eine 
Schaar  Bogenschützen  hinzu  nahm. 

Das  Glück  war  den  Tapferen  günstig.  Denn  als  die  überm  Olingen 
Reiterschaaren  höhnend  heraussprengten,  wurden  sie  von  so  wohlge- 
zielten Pfeilen  empfangen,  dass  das  goldgeschirrte  Ross  des  Makistios 
mit  seinem  Reiter  stürzte;  die  Leiche  blieb  nach  heftigem  Kampfe  in 
den  Händen  der  Griechen ;  von  Schrecken  ergriffen ,  flohen  die  Feinde 
in  voller  Unordnung  zurück,  und  der  Kampfesmulh  der  Hellenen  wurde 
durch  diesen  Erfolg  nicht  wenig  gehoben. 

Während  im  Perserlager  der  gefallene  Reiterführer,  einer  der 
Edelsten  des  Kriegsheeres,  unter  wilden  Ausbrüchen  des  Schmerzes 
beklagt  wurde,  beschlossen  die  Verbündeten  ihre  Stellung  zu  verändern. 
Sie  zogen  westwärts  an  Hysiai  vorüber  in  das  Stadtgebiet  der  Pia  Laer, 
nach  der  Quelle  Gargaphia.  Hier  hatten  sie  reichlicheres  Wasser;  hier 
hatten  sie  an  dem  festen  Plataiai  einen  passenden  Stützpunkt  und  vor 
sich  ein  breiteres  Terrain ,  in  dem  sie  ihre  Fronte  gegen  Osten  auf- 
stellten, von  der  Gargaphia  an,  wo  Pausanias  mit  dem  rechten  Flügel 
seinen  Standort  hatte,  bis  in  die  Asoposebene  hinunter,  wo  die  Athener 
lagerten.  Dem  rechten  Flügel  standen  die  Perser  entgegen,  dem  linken 
die  griechischen  Hülfsvölker  der  Perser,  dem  Mitteltreffen  der  pelopon- 
nesischen  und  euböischen  Contingente  die  Meder,  Baktrer  und 
Inder. 

Zehn  Tage  standen  sich  so  die  Heere  gegenüber.  Es  wurden  von 
persischer  Seite  immer  neue  Versuche  gemacht,  einzelne  Abtheilungen 
der  Verbündeten  abtrünnig  zu  machen.  Die  Freunde  des  Mardonios 
in  Theben  und  unter  seinen  persischen  Ralbgebern  vor  Allen  der  weise 
Artabazos,  des  Pharnakes  Sohn,  waren  noch  immer  der  Meinung,  man 
müsse  durch  Geldsendungen  die  einzelnen  Gemeinden  dahin  bringen, 
ihre  Contingente  zurückzuziehen.  Man  machte  kleine  Streit'züge,  man 
schickte  Reiterschaaren  aus,  um  unter  Führung  der  Thebaner  die 
Proviantkolonnen  zu  überfallen,  die  vom  Peloponnes  her  über  den 
Kithairon  kamen.  Zum  Beginne  einer  Schlacht  fehlte  der  Muth,  und 
Mardonios  selbst  forschte  ängstlich  an  jedem  Morgen  nach  dem  Be- 
scheide der  griechischen  Zeichenschauer,  die  in  seinem  Gefolge  waren. 
Endlich  drängten  die  Umstände.  Das  Heer  der  Verbündeten  verstärkte 
sich  jeden  Tag,  die  Perser  fingen  an  Mangel  zu  leiden  und  Mardonios, 
von  peinlicher  Ungeduld  erfasst,  beschloss,  trotz  der  Gegenrede  des 
Artabazos,  zum  entscheidenden  Angriffe  über  den  Asopos  zu  gehen. 


Digitized  by 


SELB  AUFSTELLUNG   HEI  l'LATAIAI. 


89 


Alexander  von  Makedonien  setzte  in  der  Nacht  vorher  die  Athener  von 
dem  bevorstehenden  Angriffe  in  Kenntniss. 

Diese  Nachrieht  rief  im  Griechenheere  die  grölste  Unruhe  hervor. 
Die  Spartaner  verlangten,  dass  die  Athener  den  rechten  Flügel  ein- 
nehmen sollten,  weil  sie  schon  früher  den  Persern  gegenüber  gestanden 
hauen.  Die  Athener  gaben  ohne  Widerrede  nach;  als  aber  die  Feinde 
eine  gleiche  Umstellung  machten,  gingen  die  Truppen  wiederum  in  ihre 
allen  Stellungen  zurück.  Die  Perser,  durch  solche  Zeichen  der  Furcht- 
samkeit und  Unentschlossenbeit  ermuthigt,  griffen  zuversichtlicher  an, 
ihnen  der  ganzen  Schlachtreihe  grofsen  Schaden  und  verschütteten 
selbst  die  Gargaphia.  Pausanias  hielt  es  daher  für  unmöglich,  seine  Stel- 
lung zu  behaupten.  Er  gab  Befehl,  mit  Einbruch  der  Nacht  noch  weiter 
westwärts  zu  gehen  und  zwischen  den  kleinen  Quellbüclien,  welche  sich 
unterhalb  Plataiai  zu  dem  Flüsschen  Oeroö  vereinigen,  den  Standort 
zu  nehmen,  wo  reichliches  Wasser  war  und  der  schlüpfrige  Boden  gegen 
die  Reiter  einigen  Schutz  versprach.  Aber  der  Befehl  wurde  nicht  be- 
folgt. Er  fand  unter  den  Spartanern  selbst  den  heftigsten  Widerspruch. 
AiDompbaretos  blieb  mit  den  Pitanaten  bei  der  Gargaphia,  während  die 
Truppen  des  Bütteltreffens  statt  eines  geordneten  Rückzugs  an  den  an- 
gewiesenen Platz  noch  einmal  so  weit  rückwärts  flohen  und  auf  diese 
Weise  ganz  aus  der  Schlachtlinie  entwichen.  Die  Athener  aber  waren 
ruhig  auf  ihrem  Plaue  geblieben,  um  abzuwarten,  wie  die  allgemeine 
Verwirrung  sich  lösen  werde. 

Unter  ungünstigeren  Umständen  ist  also  wohl  niemals  ein  Schlacht- 
tag aogebrochen.  Alle  drei  Heerhaufen  waren  ohne  Zusammenhang 
und  zumTheil  in  sich  gespalten.  Erst  gegen  Morgen  gelang  es  Pausanias, 
den  rechten  Flügel  wieder  zusammenzubringen.  Er  war  noch  auf  dem 
Marsche  begriffen ,  als  die  Perser  heranstürmten.  Denn  dies  war  am 
ttiile noch  eine  günstige  Folge  aller  der  Unruhe  und  Unentschlossenbeit 
der  Verbündeten,  dass  die  Perser,  als  sie  am  Morgen  des  Rückzugs 
gewahr  wurden,  denselben  durchaus  als  Flucht  ansaheu  und  nur  rasch 
verfolgen  zu  müssen  glaubten,  damit  die  Griechen  nicht  über  das 
Gebirge  entkämen.  Deshalb  erfolgte  ein  unordentlicher  Angriff,  an 
welchem  sich  nicht  die  volle  Stärke  des  Heeres  betheiligte.  Die  ganze 
Wucht  des  Angriffs  warf  sich  auf  die  Spartaner,  und  diese  hatten ,  da 
das  Mitteltreffen  zurückgewichen  war,  keinen  anderen  Zuzug  zu  erwarten 
ak  von  den  Athenern.  Die  Athener  aber,  bereit  zum  Anschlüsse  herbei 
zu  eilen,  wurden  durch  die  Böoter  und  die  anderen  medisirenden 


Digitized  by  Google 


<I0 


SCHLACHT  BEI   PLATA1AI   (479  ENDE  SEPT.). 


Griechen  (es  sollen  etwa  50,000  Mann  gewesen  sein)  vom  Asopos  her 
angegriffen  und  in  einen  schweren  Kampf  verwickelt;  also  mussten  die 
Spartaner  und  Tegeaten  sich  allein  helfen.  Eine  Zeitlang  blieben  sie 
in  der  Verlheidigung  und  liefsen  sich  von  den  Pfeilen  der  Perser  über- 
schütten, welche  mit  ihren  geflochtenen  Schilden  einen  Zaun  um  sich 
gebildet  hatten  und  über  denselben  wegschössen.  So  Gelen  manche 
Tapfere  ohne  zum  Kampfe  gekommen  zu  sein.  Endlich  wurden  die 
Zeichen  zum  Angriffe  günstig.  Jubelnd  vernahmen  die  erbitterten 
Krieger  den  Befehl,  mit  gestreckter  Lanze  vorzugehen;  die  Schildwehr 
wurde  niedergeworfen,  die  Perser  stürzten  den  Speeren  entgegen;  Mann 
gegen  Mann  fochten  sie  mit  den  Griechen  in  dichtem  Handgemenge, 
und  Ströme  von  Blut  flössen  um  das  Heiligthum  der  Demeter.  Der 
lange  stehende  Kampf  wurde  endlich  durch  die  schwere  Rüstung  und 
die  ruhige  Kühnheit  der  Spartaner  entschieden :  die  Perser  wichen,  und 
als  Mardonios  selbst,  durch  einen  Steinwurf  des  Aeimnestos  am  Kopfe 
getroffen,  zu  Boden  sank,  da  war  kein  Halt  mehr.  In  verworrener  Flucht 
drängte  sich  der  Feind  die  schlüpfrigen  Abhänge  zum  Asopos  hinunter, 
um  so  schnell  wie  möglich  das  Lagerthor  zu  gewinnen.  Unten  standen 
Massen  von  Kriegern,  welche  gar  nicht  zum  Kampfe  gekommen  waren. 
Hier  stand  Artabazos,  welcher  Xerxes  an  den  Hellespont  begleitet  hatte, 
mit  40,000  Mann  frischer  Truppen.  Aber  anstatt  am  Asopos  eine  neue 
Schlacht  zu  beginnen,  trat  er,  so  wie  er  die  Flucht  wahrnahm,  den 
Rückmarsch  nach  Norden  an;  er  wollte  der  Nachricht  von  der 
persischen  Niederlage  und  dem  Eindrucke  derselben  voraneilen,  um 
nicht  unter  dem  Abfalle  der  griechischen  Völker  zu  leiden. 

Als  die  Spartaner  das  Lager  erreichten,  waren  die  Athener  noch 
mitten  im  heifsesten  Kampfe.  Denn  die  Böoter  fochten  unter  Führung 
der  thebanischen  Aristokraten,  deren  ganze  Zukunft  hier  auf  dem  Spiele 
stand,  mit  verzweifeltem  Muthe;  es  war  ein  Kampf  der  heftigsten  Partei- 
wulh.  Endlich  gelang  es  Aristeides  die  feindlichen  Reihen  zu  werfen, 
und  vor  dem  Lagerthore  der  Perser  trafen  die  beiden  tapferen  Heer- 
flugel  zusammen,  deren  jeder  seine  eigene  Schlacht  durchgekämpft 
hatte.  Die  Feigheit  des  Mitteltreffens  wurde  dadurch  gestraft,  dass  die 
megarischen  und  phliasischen  Truppen,  welche  erst  auf  die  Kunde  des 
Sieges  wieder  zum  Vorschein  kamen ,  von  den  thebanischen  Reitern 
überfallen  und  schlimm  zugerichtet  wurden. 

So  wie  nun  die  Athener  zu  den  Spartanern  stiersen,  welche  ralh- 
los  vor  den  Lagerwällen  standen,  wurden  die  Verschanzungen  erstiegen, 


Digitized  by  Google 


VERnA?fnU^GE.1  UNTER  DEN  VERBÜNDETE* 


91 


die  Thore  geöffnet,  und  eine  blutige  Niederlage  der  innerhalb  ihrer 
Wälle  zusammengedrängten  Perser  beschloß  den  heifsen  Schlachttag44). 

Diesmal  halten  Athen  und  Sparta  sich  beide  als  die  Vorkämpfer 
tob  Hellas  bewährt.  Die  Athener  hatten  zuerst  und  zuletzt,  im  Reiter- 
gefechte wie  im  Festungskampfe,  den  Ausschlag  gegeben;  sie  waren 
stets  bereit  gewesen,  den  gefährlichsten  Tosten  einzunehmen  und  unter 
allen  Contingenten  hatten  sie  allein  von  Anfang  bis  zu  Ende  sich 
ordentlich  gehalten.  Die  Spartaner  dagegen  machten  auf  den  Ehren- 
preis Anspruch,  weil  sie  dem  Kernvolke  der  Feinde  gegenüber  den 
Sieg  gewonnen  hätten,  und  die  außerordentlichen  Anstrengungen, 
welche  sie  zu  diesem  Auszuge  gemacht  hatten,  so  wie  die  bewunderungs- 
würdigen Leistungen  einzelner  Spartiaten  stimmten  das  Heer  der  Ver- 
bündeten zu  ihren  Gunsten.  Unter  diesen  Umständen  wurde  die  Freude 
über  den  grofsen  Sieg  und  das  Dankgefühl  für  die  wunderbare  Rettung 
des  Vaterlandes  durch  den  Hader  unter  den  Verbündeten  getrübt;  die 
unheilvollsten  Zerwürfnisse  drohten  auszubrechen,  wenn  Aristeides  sich 
nicht  wiederum  als  den  guten  Genius  der  Athener  und  der  Hellenen 
bewährt  hätte;  er  war  es,  welcher  auch  hier  den  Forderungen  einer 
uneigennützigen  Vaterlandsliebe  und  einer  höheren  Sittlichkeit  Eingang 
zu  verschaffen  wusste.  Ihm  verdankte  man  es,  dass  seine  ehrgeizigen 
Amtsgenossen,  namentlich  Leokrates  und  Myronides,  dem  vermittelnden 
Vorschlage  des  KJeokritos  aus  Korinlh  beistimmten,  weder  Athen  noch 
Sparta,  sondern  den  Platäern  den  Ehrenpreis  zuzuerkennen.  Und 
gewiss  durfte  Niemand  diese  Anerkennung  der  kleinen  Bürgergemeinde 
missgönnen ,  welche  eine  so  unerschütterte  Hingebung  an  die  Sache 
der  Freiheit  bewiesen  hatte.  Die  Plaläer  hatten  in  Marathon  mi (ge- 
fachten; sie  waren,  obwohl  des  Seewesens  unkundig,  auf  attischen 
Schiffen  bei  Artemision  gewesen,  und  jetzt  war  unter  den  grufsten 
Opfern  von  ihrer  Seite,  auf  ihrem  Boden,  unter  dem  Schutze  ihrer 
Landesheroen,  der  letzte  Kampf  ausgekämpft  worden. 

So  war  nach  blutiger  Feldschlacht  der  fast  schwerere  Sieg  im 
eigenen  Lager  gewonnen;  in  gemeinsamem  Einverständnisse  wurde 
die  reiche  Beute  gesammelt  und  in  die  den  Göttern,  den  Feldherm  und 
den  Streitern  gebührenden  Anlheile  gesondert.  Zum  ersten  Male  ent- 
faltete sich  hier  vor  den  Augen  der  Griechen  die  ganze  Pracht  des 
üppigen  Morgenlandes;  es  war  die  Ausrüstung  eines  königlichen  Hof- 
bits, welche  Xerxes  seinem  Stellvertreter  zurückgelassen  hatte.  Ein 
Harem  mit  Weibern  und  Eunuchen,  Hofküche,  Marstall,  kostbare  Zelte 


Digitized  by  Google 


02 


NATIONALE  BESCHLÜSSE 


und  Gerälhe,  Massen  von  gemünztem  Golde,  Sklaven  und  Sklavinnen 
fielen  den  Siegern  in  die  Hände,  und  wohl  konnte  Pausanias  über  die 
Thorheit  der  Menschen  lachen,  die  solche  Herrlichkeit  geniefsen  könnten 
und  dennoch  sich  aufmachten,  um  die  kärglich  lebenden  Hellenen  in 
ihren  Bergkantonen  anzugreifen. 

Dann  folgte  die  feierliche  Bestattung  der  Gebliebenen  und  die 
Entsühnung  des  Landes,  indem  von  dem  Gemeinherde  in  Delphi  neues, 
reines  Opferfeuer  geholt  wurde.  Euchidas  aus  Plataiai  war  der  heilige 
Sendbote,  welcher  in  einem  Tage  nach  Delphi  hin  und  zurück  lief 
und  dann,  nachdem  er  das  Feuer  übergeben,  entseelt  am  Altar  nieder- 
sank. Im  Heiliglhum  der  Artemis  Eukleia  wurde  ihm  ein  Heroenmal 
errichtet.  Wichtiger  waren  die  Einrichtungen  von  bleibender  Bedeutung. 

Die  Platäer  hatten  sich  den  Athenern  ganz  in  die  Arme  geworfen. 
Es  wird  erzählt,  dass  sie  auf  den  Vorschlag  des  Arimnestos  beschlossen 
hätten,  ihr  Gebiet  Anika  einzuverleiben,  und  zwar  aus  dem  Grunde, 
weil  Aristeides  von  Delphi  das  Orakel  erhalten  haben  sollte,  dass  den 
Athenern  nur  auf  eigenem  Gebiete  der  Sieg  gelingen  würde.  Diese 
Selbstvernichtung  einer  freien  hellenischen  Stadl  und  die  daraus 
folgende  Erweiterung  des  attischen  Territoriums  mussle  aber  Anstofs 
erregen,  und  Aristeides  konnte  nicht  wünschen,  dass  hieran  das 
Friedenswerk,  welchem  er  sich  mit  ganzer  Hingebung  widmete, 
scheiterte.  Andererseits  durfte  man  die  treuen  Bundesgenossen  den 
Angriffen  ihrer  unversöhnlichen  Nachbarn,  der  Thebaner  nicht  preis- 
geben, es  mussle  für  die  dauernde  Sicherstellung  ihrer  Stadt  Sorge 
getragen  werden.  Es  war  daher  ein  vortreffliches  Auskunftsmittel, 
dass  man  einmüthig  beschloss,  das  Weichbild  der  Stadt,  als  den 
Schauplatz  des  glorreichen  Sieges,  für  ein  heiliges  und  unverletzliches 
Landgebiet  zu  erklären,  dessen  Befehdung  als  ein  öffentlicher  Friedens- 
bruch, dessen  Vertheidigung  als  die  religiöse  Pflicht  aller  Hellenen 
angesehen  werden  solle. 

Es  wurde  also  dies  Gebiet  ein  neuer  Mittelpunkt  der  Hellenen,  zu 
dessen  gemeinsamen  Schutze  gegen  jeden  Angriff  alle  Bundesstaaten 
verpflichtet  waren,  so  dass  von  einer  Beschränkung  der  Landesver- 
teidigung auf  die  südliche  Halbinsel  nicht  wieder  die  Rede  sein 
durfte,  und  zugleich  für  die  Sicherheit  der  attischen  Landesgränzen 
eine  neue  Bürgschaft  gewonnen  wurde.  Plataiai  selbst  hehielt  seine 
volle  Selbständigkeit;  die  Stadt  wurde  neu  aufgebaut,  und  vor  ihrem 
Thore  ein  nationales  Heiliglhum  Zeus  des  Befreiers  gegründet,  an 


Digitized  by  Google 


NATIONALE  BESCHLÜSSE. 


93 


tiefen  Allare  alljährlich  das  Dank-  und  Siegesfest  erneuert  werden 
sollte,  und  zwar  alle  vier  Jahre  mit  besonderen  Feierlichkeilen,  mit 
Wettkämpfen  und  Preisverteilung.  Während  sich  an  diesem  Feste 
alle  Bundesstaaten  durch  Abgeordnete  der  Gemeinden  und  Festge- 
^ndtschaften  betheiligen  sollten,  erhielten  die  Platäer  das  besondere 
Ehrenamt,  für  die  Grabstatten  der  gefallenen  Krieger  Sorge  zu  tragen 
und  ihre  Gedächtnissfeier  jährlich  mit  Opfern  und  Gebeten  zu  begehen. 
Endlich  wurde  auch  eine  neue  eidgenössische  Wehrverfassung  begrün- 
det: es  wurde  beschlossen,  dass  eine  Bundesmacht  von  10,000  Mann 
Fußvolk,  1000  Reilern  und  100  Kriegsschiffen  stets  bereit  sein 
tollte,  das  Vaterland  zu  vertheidigen.  Ohne  Zweifel  wurden  zugleich 
über  die  Verlheilung  der  Kriegslasten  und  über  die  Leitung  der 
Streitkräfte  Bestimmungen  getroffen. 

Alle  diese  Einrichtungen,  welche  die  auf  dem  Isthmos  gegründete 
Eidgenossenschaft  erneuerten,  wurden  von  den  versammelten  Contin- 
genteo  als  einer  hellenischen  Nationalversammlung  im  Namen  des  gan- 
xeo  Volks  beschlossen,  und  Aristeides  war  es,  welcher  als  der  Mann  des 
allgemeinen  Vertrauens  eine  solche  Einigung  möglich  machte ;  auf  sei- 
nen Antrag  wurden  jene  Beschlüsse  gefasst,  welche  dem  blutigen  Siege 
erst  die  wahre  Weihe  und  Bedeutung  gaben. 

Die  letzte  Tbat  des  versammelten  Heeres  war  der  Zug  gegen 
Theben,  um  der  übernommenen  Verpflichtung  gemäfs  an  dem  hart- 
nackigsten  Bundesgenossen  des  Nationalfeindes  die  Strafe  zu  vollziehen. 
Elf  Tage  nach  der  Schlacht  rückte  Pausanias  vor  die  Stadt  und  verlangte 
die  Auslieferung  der  Parteihäupter,  welche  für  die  Politik  Thebens  ver- 
antwortlich waren.  Erst  nach  zwanzigtägiger  Belagerung  wurde  die 
Auslieferung  erzwungen.  Attaginos  war  inzwischen  entkommen ;  Tima- 
pnidas aber  und  die  übrigen  Führer  der  Bürgerschaft  liefs  Pausanias 
als  Landesverräther  hinrichten,  nachdem  er  das  Bundesheer  entlassen 
hatte*»). 


Der  Sieg  von  Plataiai  war  der  erste  entscheidende  Sieg  des  ganzen 
knt^es;  denn  bei  Marathon  und  Salamis  war  nur  der  Muth  der  Feinde 
gebrochen  worden,  hier  war  ihre  Macht  zugleich  mit  der  ihrer  Bundes- 
genossen vernichtet.  Darum  ist  der  Tag  von  Plataiai  der  eigentliche 
feiumgstag  von  Hellas;  die  Gefahr  ist  vorüber,  und  damit  schliefst 
<»  Jahrzehen t  griechischer  Geschichte,  welches  alle  früheren  Zeitab- 


Digitized  by  Google 


91 


DIE  ÜBERLIEFERUNG. 


schnitte  derselben  an  Ereignissen  außerordentlicher  Art  und  folgen- 
reicher Bedeutung  weit  übertrifft  Das  griechische  Volk,  welches  bis 
dahin  in  cantonaler  Zurückgezogenheit  gelebt  hatte,  ist  plötzlich  in 
die  Welthändel  hereingezogen  worden. 

Diesen  Ereignissen  ist  keine  gleichzeitige  Geschichtschreibung  zur 
Seite  gegangen.  Sie  blieben  fast  ein  Menschenalter  hindurch  münd- 
licher Ueberlieferung  überlassen;  an  Kampfplätze,  an  Weihgeschenke 
und  Grabmäler  knüpften  sich  Erzählungen  an,  welche  allmählich  Volks- 
eigenthum wurden,  und  die  Dichter  waren  geschäftig,  nicht  nur  die 
einzelnen  Denkmäler  mit  sinnvollen  Aufschriften  zu  schmücken ,  son- 
dern auch  die  Thaten  der  Freiheitskriege  zu  verherrlichen.  Die  ver- 
schiedenen Stadtgemeinden  bewarben  sich  um  die  Gedichte  eines  Si- 
monides, um  sich  dadurch  ihren  Antheil  au  jenen  Kämpfen  bezeugen 
zu  lassen.  An  einer  reichen  Ueberlieferung  fehlte  es  also  nicht,  als 
Herodot,  etwa  vierzig  Jahre  nach  der  Schlacht  von  Marathon,  die  Ge- 
schichte der  Perserkriege  aufzuzeichnen  begann;  aber  diese  Ueber- 
lieferung war  weder  eine  vollständige,  noch  auch  eine  durchaus  un- 
befangene und  zuverlässige.  Denn  bei  allen  Kriegen,  welche  in  so 
aufserordenllicher  Weise  die  gewohnten  Zustände  eines  Landes  unter- 
brechen und  die  Theilnahme  des  ganzen  Volks  in  Anspruch  nehmen, 
folgt  die  Sage  den  Ereignissen  auf  dem  Fufs,  und  bei  einem  so  phanta- 
siereichen Volke,  wie  die  Hellenen  waren,  können  wir  am  wenigsten 
eine  Zurückhaltung  voraussetzen,  welche  sich  gewissenhaft  an  das  Mafs 
des  Tatsächlichen  hält.  Es  trat  auch  nach  den  Freiheitskriegen 
nirgends  Ruhe  ein,  und  die  forldauernde  Aufregung  war  einer  nüchter- 
nen Auflassung  und  Aufzeichnung  des  Geschehenen  keineswegs  günstig. 
In  freudigem  Selbstgefühle  über  die  errungenen  Siege  hielt  man  sich 
nur  an  das  Glänzende  uud  Grofse,  steigerte  das  Aufserordentliche  in's 
Wunderbare  und  veränderte  so  den  Charakter  der  Geschichte.  Die 
Poesie  that  das  Ihrige,  einzelne  Tage  und  Thaten  des  Ruhms  in  das 
hellste  Licht  zu  stellen  und  durch  die  Erinnerung  daran  die  Gemüther 
zu  erheben. 

Aus  einer  solchen  Ueberlieferung  schöpfte  Herodot,  auf  desseii 
Darstellung  unsere  Kunde  von  den  Perserkriegen  hauptsächlich  be- 
ruht. Wir  werden  ihm  daher  in  solchen  Punkleu  am  wenigsten 
unbedingt  glauben  können,  wo  eine  sichere  Berichterstattung  ohne 
schriftliche  Aufzeichnung  unmöglich  ist,  uud  wo  zugleich  eine  grofse 
Versuchung  zur  Entstellung  der  Wahrheit  vorhanden  war.  Das  war 
aber  besonders  bei  der  Schätzung  der  feindlichen  Ueeresmacht  der 


Digitized  by  Google 


VON   DEN  FREIHEITSKRIEGEN. 


95 


Fall.  Hierüber  waren  die  Griechen  von  Anfang  an  im  Unklaren, 
und  da  mit  jeder  Vergrößerung  der  feindlichen  Uebermacht  der 
eigene  Ruhm  stieg,  so  wuchsen  die  Zahlen  im  Munde  des  Volks. 
Dem  Geschichtschreiber  standen  aber  keine  genauen  Nachrichten 
aus  dem  feindlichen  Heerlager  zu  Gebote,  um  darnach  die  lieber- 
treibungen  seiner  Landsleute  zu  berichtigen.  Zu  seiner  Zeit  war 
die  volkstümliche  Ueberlieferung  mit  der  Geschichte  der  Freiheits- 
kriege schon  dergestalt  verwachsen,  dass  eine  genaue  Scheidung  von 
Wahrheit  und  Dichtung  unmöglich  war.  Dazu  kam  seine  eigene  poe- 
tische Natur,  welche  die  bedeutungsvollen  Zuge  der  Ueberlieferung 
ungern  beseitigte,  so  nahm  er  z.  B.  gläubig  als  Thatsache  hin,  dass 
sieh  um  dieselbe  Zeit,  da  Xerxes  über  den  Hellespont  zog,  die  Sonne 
verfinstert  habe,  weil  dies  Zusammentreffen  natürlicher  und  geschicht- 
licher Ereignisse  seiner  poetischen  Weltauffassung  zusagte,  während 
nach  genauer  Berechnung  die  Finsterniss  zwei  Jahre  später  ein- 
getreten ist46). 

Was  dagegen  seine  Darstellung  der  geschichtlichen  Vorgänge 
selbst  betrifft,  so  ist  das  Vertrauen  zu  ihr  nur  gestiegen,  je  um- 
fassender und  gründlicher  man  die  Geschichte  des  Alterthums  zu 
erforschen  gesucht  hat  Denn  wenn  auch  Herodot  für  das  Wunder- 
bare in  der  Eni  Wickelung  der  menschlichen  Schicksale  eine  gröfsere 
Vorliebe  zeigt,  als  einer  unbefangenen  Geschichtsforschung  zuträglich 
Ut,  so  bleibt  dennoch  unbestechliche  Wahrheitsliebe  und  rastloser 
Fleifs  in  Aufspürung  des  Thatbestandes  der  Grundzug  seines  Cha- 
rakters. Obgleich  sein  Werk  früh  eine  grofse  Oeffentlichkeit  erlangte 
und  schon  in  alter  Zeit  vielerlei  Angriffe  zu  erfahren  hat,  so  haben 
ihm  doch  keine  wesentlichen  Irrthümer  oder  Entstellungen  der 
Wahrheit  nachgewiesen  werden  können.  Das  Werk  selbst  aber  trägt, 
von  den  leicht  erkennbaren  Schwächen,  welche  Herodot  als 
Geschichtsforscher  hat,  abgesehen,  das  unverkennbare  Gepräge  voller 
Zuverlässigkeit  in  sich;  und  die  einzelnen  Thatsachen  treten  uns  in 
einem  so  ungesuchten  Zusammenhange  entgegen,  dass  wir  Herodot 
als  einen  vollgültigen  Gewährsmann  anerkennen  dürfen,  wenn  es  uns 
auch  nicht  vergönnt  ist,  seine  Darstellung  der  Perserkriege  an  dem 
Berichte  anderer  Zeitgenossen  zu  prüfen. 

Herodo ts  Geschichte  ist  keine  ruhmrednerische;  er  ist  weit 
entfernt,  die  Zeit  der  Perserkriege  nur  als  eine  Zeit  des  Glanzes 
and  Glücks  darzustellen.    Vielmehr  betrachtet  er  das  Erdbeben, 


Digitized  by  Google 


9f> 


RÜCKBLICK  AUF  IUE 


welches  unmittelbar  vor  der  Schlacht  bei  Maralhon  die  Insel  Delos 
erschütterte,  als  eine  Kundgebung  der  Götter,  dass  nun  eine  Zeit 
beginne,  welche  in  wenig  Menschenaltern  mehr  Noth  und  Unheil 
über  Hellas  bringe,  als  in  zwanzig  Generationen  vorher  erfolgt  sei. 
Auch  ist  Herodot  weder  gegen  die  anerkennungswerthen  Seiten  der 
Feinde  blind,  noch  gegen  die  Schwächen  seiner  Landsleute.  Freilich 
glüht  er  für  hellenische  Sitte,  wo  sie  in  voller  Reinheit  hervortritt, 
für  hellenische  Freiheits-  und  Vaterlandsliebe;  den  Abstand  zwischen 
Griechen  und  Barbaren  empfindet  er  in  seiner  vollen  Gröfse;  ja,  er 
traut  den  Letzteren  Handlungen  zu,  welche  ihrer  Unvernunft  wegen 
ganz  unglaublich  erscheinen.  Aber  wie  deutlich  geht  doch  aus 
seinem  Werke  selbst  hervor,  dass  der  Ruhm  der  Hellenen  nichts 
weniger  als  ein  ungetrübter  war!  Bestechung  hielt  die  Flotte  bei 
Artemision  zusammen;  gezwungen  hielten  die  Schiffe  vor  Salamis 
Stand,  und  bei  Plataiai  war  es  nur  eine  Kette  zufälliger  Umstände, 
wodurch  dem  in  sich  aufgelösten  Heere  am  Ende  doch  noch  ein 
entscheidender  Sieg  zu  Theil  wurde.  Piaton  konnte  also  mit  vollem 
Rechte  sagen,  dass  in  jenen  gefeierten  Kriegen  Vieles  vorgekommen 
sei,  was  den  Griechen  sehr  wenig  Ehre  mache.  Am  wenigsten  dürfe 
man  von  einem  nationalen  Erfolge  der  Hellenen  reden;  denn  nur 
die  Vereinigung  der  beiden  Grofsstaaten  habe  zuletzt  die  drohende 
Knechtschaft  von  Hellas  abgewendet47). 

So  müssen  allerdings,  wie  die  Griechen  selbst  erkannten,  die 
Perserkriege  bei  näherer  und  unbefangener  Betrachtung  viel  von 
ihrer  Glorie  einbüfsen.  Aber  der  vollständige  Sieg  bleibt  doch  als 
unzweifelhafte  Thatsache  stehen  und  muss  uns  um  so  mehr  über- 
raschen, je  weniger  wir  uns  über  den  Mangel  an  Einigkeil,  an 
Klugheit  und  Entschlossenheit  auf  Seiten  der  Griechen  täuschen. 
Die  Perser  hatten  ja  Alles,  was  ihnen  den  Sieg  verbürgen  konnte, 
eine  mafslose  Uebermacht,  unerschöpfliche  Geldmittel,  die  tapfersten 
Truppen,  welche  mit  völliger  Hingebung  ihrem  Heerkönige  dienten. 
Auch  Klugheit  und  Sacbkenntniss  standen  ihnen  zu  Gebote,  wie  sie 
im  Griechenlager  selbst  nicht  besser  zu  finden  waren.  Wenn  die 
Rathschläge  der  Artemisia  oder  des  Demaralos,  der  eine  Landung 
in  Kylhera  empfahl,  oder  die  dem  Mardonios  ertheilten  Rathschläge 
der  Thebaner,  dass  er  durch  Bestechung  der  Parteiführer  die  ver- 
bündeten Griechen  trennen  möge,  angenommen  und  befolgt  worden 
wären,  so  waren  die  Griechen  unrettbar  verloren.    Aber  die  Perser 


Digitized  by  Google 


GESCHICHTE  DER  FREIHEITSKRIEGE 


97 


und  wie  mit  Blindheit  geschlagen;  sie  wissen  ihre  Starke  so  wenig  zu 
benutzen,  wie  die  Schwäche  ihrer  Gegner,  welche,  wie  es  bei  einer 
Gruppe  kleiner  Republiken  nicht  anders  sein  kann,  vorzugsweise  in 
dem  Mangel  an  Ausdauer  lag.  Anstatt  die  Ermattung  der  Feinde  von 
ihren  unverhältnissmäfsigen  Anstrengungen  ruhig  abzuwarten  oder  sie 
durch  Angriffe  auf  verschiedenen  Punkten  zur  Theilung  ihrer  Kräfte 
za  zwingen,  lassen  die  Perser  den  ganzen  Erfolg  des  Krieges  von 
einzelnen  Schlachtlagen  abhängen,  in  denen  der  Muth  des  Augen- 
blicks und  kluge  Benutzung  der  Terrainverhältnisse  «die  Entscheidung 
brachte. 

Im  Kampfe  selbst  aber  war  es  nicht  die  Tapferkeit,  welche 
ober  die  Feigheit  siegte,  sondern  vielmehr  die  Gewandtheit  geübter 
Truppen,  welche  unbeholfenen  Massen  gegenüber  standen,  die  eherne 
Rüstung  und  der  lange  Speer,  welche  vor  den  unzureichenden  Schütz- 
ing Angriffswaffen  der  Asiaten  im  Vortheile  waren.  Endlich  waren 
es  zwei  Umstände,  welche  den  Persern  unter  Xerxes  und  Mardonios 
20  grobem  Nachtheile  gereichten:  erstens,  dass  sie  sich  von  ihrem 
Fanatismus  fortreifsen  liefsen  und  durch  Zerstörung  der  griechischen 
Heiligtbümer  die  Erbitterung  des  Volks  auf  das  Aeufserste  entfachten; 
sie  machten  den  Kampf  gegen  das  Volk  zu  einem  Kampfe  gegen  seine 
Götter  und  erhöhten  dadurch  den  Muth  der  Griechen ,  welche  nun  des 
(Standes  ihrer  Götter  und  der  Gerechtigkeit  ihrer  Sache  um  so  ge- 
wisser waren.  Dann  aber  wurde  in  den  letzten  Kämpfen  der  Erfolg 
4er  persischen  Waffen  dadurch  gelähmt,  dass  die  Perser  selbst  das 
Vertrauen  verloren  hatten  und  in  dumpfer  Niedergeschlagenheit  ihrem 
Verhängnisse  entgegen  gingen.  Von  einem  glaubwürdigen  Zeugen  liefe 
Berodot  sich  erzählen,  er  habe  beim  Gastmahle  des  Attaginos  (S.  87) 
einen  Perser  zum  Tischgenossen  gehabt,  welcher  ihm  unter  vielen 
Thranen  mitgetheilt  habe,  dass  er  den  unvermeidlichen  Untergang  der 
Semigen  bis  auf  einen  geringen  Ueberrest  deutlich  vor  Augen  sehe. 
Ebenso  dächten  viele  seiner  Landsleute ,  die  gezwungen  ihrem  Fürsten 
W?ten,  und  das  sei  das  schmerzlichste  Menschenloos ,  wenn  man  die 
neblige  Einsicht  habe  und  doch  nicht  zu  helfen  vermöge.  Die  Führer 
sowohl  wie  die  Truppen  mussten  die  Ueberlegenheit  der  hellenischen 
Kriegskunst  anerkennen ,  so  dass  sie  nicht  mehr  mit  der  alten  Sieges- 
gewissheit  kämpfen  konnten. 

Der  Sieg  der  Griechen  über  die  Perser  war  zugleich  ein  Sieg  der 
Verfassungsstaaten  über  den  Despotismus.  Die  Tapferkeit  und  Tugend, 

Ccrti«,  Gr.  Ge«ch.  II.  6.  AtiS.  7 


Digitized  by  Google 


98 


FOLGEN  UEIt 


wie  sie  sich  nur  in  griechischen  Bürgerstaaten  entwickeln  konnte, 
hatte  sich  auf  den  Schlachtfeldern  bewährt.  Die  Heerschaaren,  welche 
nur  als  Völker  eines  Reichs  zusammengehörten ,  waren  den  durch  ge- 
meinsames Gesetz  zusammengehaltenen  Bürgerheeren  erlegen,  und  auf 
der  Seite,  wo  kein  Herr  vorhanden  war,  welcher  über  Leben  und  Tod 
unbedingt  zu  gebieten  halte,  war  mehr  Unterordnung  unter  die  höhere 
Autorität,  mehr  Zucht  und  Thatkraft,  als  bei  den  despotisch  regierten 
Barbaren. 

Aber  nicht  alle  Verfassungen  bewährten  sich  in  gleicher  Weise, 
sondem  nur  die  eigentlichen  Bürgerstaaten.  Für  die  Oligarchien,  welche 
sich  der  nationalen  Bewegung  verschlossen  hatten,  wurde  der  Sieg  der 
Griechen  zu  einer  Niederlage  und  tiefen  Demüthigung.  Aber  auch 
Sparta  hatte  sich  nicht  so  bewährt,  wie  man  es  von  dem  kriegstüch- 
tigsten Staate  Griechenlands  erwartet  hatte.  Es  war  immer  zurück- 
geblieben; unzuverlässig,  selbstsüchtig,  unpatriotisch,  selbst  gegen  die 
bessere  Stimmung  seiner  peloponnesi sehen  Bundesgenossen,  wie  sie 
sich  in  Cheileos  aussprach.  Die  Spartaner  waren  im  Stande  gewesen, 
ihrer  kurzsichtigen  und  unredlichen  Isthmospolitik  den  eigenen  König 
aufzuopfern,  und  was  sie  endlich  veranlasste,  über  die  Isthmospässe 
hinauszugehen,  war  kein  reiner  Patriotismus,  sondern  vielmehr  die 
noch  immer  nicht  beseitigte  Furcht  vor  einem  Anschlüsse  der  Athener 
an  Persien.  Bei  den  Athenern  aber,  die  von  Anfang  an  die  Einzigen 
gewesen  waren,  welche  ein  grofses  Ziel  unverrückt  im  Auge  hielten, 
hatte  sich  die  Verfassung  im  vollen  Mafse  als  eine  siegreiche  Macht 
bewährt.  Dadurch  war  sie  in  Athen  selbst  neu  gekräftigt,  und  der  Sieg 
über  die  Perser  war  zugleich  ein  Sieg  der  Demokratie  über  die  Aristo- 
kratie, ein  Sieg  Athens  über  Sparta.  Auch  die  grundsätzlichen  Gegner 
der  Volksherrschaft  mussten  das  demokratische  Athen  in  seiner 
Gröfse  anerkennen;  auch  Pindar  konnte  nun  nicht  anders;  er  musste 
der  Wahrheit  die  Ehre  geben,  er  musste  Athen  die  Säule  von  Hellas 
nennen  und  von  den  Seegefechten  bei  Artemision  aussagen,  dass 
dort  die  Söhne  der  Athener  den  glänzenden  Grundstein  der  Freiheit 
gelegt  hätten48). 

Durch  die  Niederlage  der  Perser  ist  Griechenland  und  seine 
ganze  O.ultur  gerettet  worden.  Denn  es  handelte  sich  hier  nicht 
um  einen  mehr  oder  minder  rühmlichen  Ausgang  des  Kampfes,  um 
eine  höhere  oder  niedrigere  Machtstellung  der  mit  einander  kämpfen- 
den Staaten ;  sondern  um  Vernichtung  oder  Fortbestehen  des  griechi- 


Digitized  by  Google 


UlLIUElTsKIUEGE 


99 


sehen  Wesens.  Denn  mit  einer  blöken  Anerkennung  ihrer  Ober- 
herrlichkeit würden  sich  die  Perser  nicht  begnügt  haben,  wie  die 
Zerstörung  der  Heiiigthümer  beweist,  und  wenn  auch  griechische 
Gemeinden  fortbestanden  hätten,  so  würden  Perserfreunde  als  Ty- 
rannen sie  beherrscht  und  jede  Freiheit  des  geistigen  Lebens  ver- 
kümmert haben.  Ohne  diese  Freiheit  ist  aber  kein  'griechischer 
Staat,  keine  griechische  Religion,  keine  griechische  Kunst  und  Wissen- 
schaft, also  überhaupt  kein  Griechenthum  denkbar.  Die  Feldzüge 
der  Perser  haben  also  am  Ende  das  Gegentheil  von  dem  hervor- 
gebracht, was  sie  beabsichtigten.  Stolzer  als  je  zuvor,  fühlten  die 
Griechen  den  Gegensatz  zwischen  sich  und  den  Barbaren-,  die  Idee 
eines  gemeinsamen  Vaterlandes  war  von  Neuem  geweckt,  und  statt 
gezüchtigt  und  gedemüthigt  zu  sein,  ist  Hellas  niemals  stärker, 
einiger  und  siegbewusster  gewesen,  als  auf  dem  Schlachtfelde  von 
Plntaiai. 


7* 


Digitized  by  Google 


II. 

DIE  WACHSENDE  MACHT  ATHENS. 


Während  der  wechselvollen  Kriegsereignisse  in  Attika  und  Böotien, 
welche  mit  der  Schlacht  bei  Plataiai  abschlössen,  war  schon  längst 
ein  anderer  Kampfplatz  zwischen  Hellenen  und  Persern  eröffnet 
worden.  Denn  Themistokles  hatte  gleich  nach  der  Flucht  des  Xerxes 
die  attischen  Schiffe  in  den  Archipelagus  geführt;  er  brannte  vor 
Ungeduld,  die  Macht,  die  er  geschaffen  hatte,  sich  entfalten  zu  sehen; 
nicht  blofs  ein  Schild  sollte  die  Flotte  sein,  sondern  auch  eine  scharfe 
Waffe  zur  Züchtigung  und  zur  Unterwerfung.  Darum  war  er  un- 
verzüglich und  zwar  auf  eigene  Gefahr,  ohne  Mitwissen  der  anderen 
Feldherrn,  daran  gegangen,  die  kleinen  Seestaaten  zur  Verantwortung 
zu  ziehen,  welche  den  Persern  Zuzug  geleistet  hatten. 

Mit  herrischem  Stolze  trat  er  den  Insulanern  entgegen  und 
forderte  Strafgelder  ein.  Sie  sollten  nicht  säumen,  denn  er  habe 
zwei  mächtige  Gottheiten  an  Bord ,  die  Ueberredung  und  den  Zwang ; 
wer  der  einen  nicht  folgen  wolle,  müsse  der  anderen  gehorchen. 

Andros  wagte  zu  trotzen  und  wurde  belagert,  während  Paros, 
Karystos  und  andere  Inselstädte  die  verlangten  Bufsgelder  ohne  Weige- 
rung zahlten,  um  dem  Schicksale  der  Andrier  zu  entgehen.  Schrecken 
verbreitete  sich  in  der  Inselwelt,  für  die  der  Tag  von  Salamis  der 
Anfang  einer  neuen  Bedrängniss  wurde;  Themistokles  aber  kehrte,  als 
der  glücklichere  Nachfolger  des  Miltiades,  mit  reichen  Geldladungen 
nach  Athen  heim.  Die  Bürger  fühlten,  was  sie  an  Macht  gewonnen 
hatten;  sie  fühlten  sich  grofs  und  mächtig,  obwohl  ihre  Häuser,  Höfe 
und  Mauern  in  Schutt  lagen,  obwohl  sie  den  Boden  unter  ihren  Füfsen 
nicht  ihr  eigen  nennen  konnten.  Statt  ängstlich  und  kleinmüthig  ihre 
Kräfte  zusammen  zu  halten ,  beschlossen  sie,  was  auch  kommen  möge, 
im  nächsten  Jahre  ihre  Flotte  wieder  auszusenden. 


Digitized  by  Google 


SA  MOS  ÜPID  MYKALE  (7*.  S;  «7»). 


101 


Die  anderen  Staaten  wollten  Athen  nicht  allein  voran  lassen.  Mit 
Aubruch  des  Frühjahrs,  da  Mardonios  noch  in  Thessalien  stand,  sam- 
melte sich  bei  Aigina  eine  Flotte  von„110  Schiffen  unter  Leotychides 
und  Xanthippos.  Kaum  waren  sie  vereinigt,  da  kamen  schon  Boten 
vom  jenseitigen  Gestade  und  meldeten,  dass  die  Perserflotte,  300  Segel 
>tark.  bei  Samos  läge,  um  Ionien  in  Obacht  zu  halten;  zu  gleichem 
Zwecke  sammele  sich  ein  Landheer  bei  Mykale,  und  Xerxes  selbst 
stehe  in  Sardes,  um  den  Ausgang  der  griechischen  Angelegenheiten 
abzuwarten.  Aber  trotzdem  sei  Alles  in  Gährung,  in  Chios  sei  die 
Erhebung  schon  zu  Stande  gekommen.  Die  Flotte  solle  sich  nur  im 
ionischen  Meere  zeigen,  und  die  jenseitigen  Städte  würden  sich  offen 
den  Griechen  anschließen. 

Die  Flotte  ging  bis  Delos  vor.  Hier  kamen  neue  Botschaften. 
Aus  Samos  selbst,  dem  Hauptquartiere  der  feindlichen  Macht,  er- 
schienen Abgeordnete,  welche  die  Feldherrn  beschworen,  ihre  Insel  aus 
der  Herrschaft  der  Barbaren  und  des  von  ihnen  eingesetzten  Tyrannen 
zu  befreien.  Die  Athener  zogen  die  schwerfälligen  Peloponnesier  mit 
sich  fort.  Samos  wurde  in  die  hellenische  Bundesgenossenschaft  auf- 
genommen Angesichts  der  Perserflotte,  welche  hier  von  Neuem  den 
Griechen  gegenüber  lag.  Sie  wagte  keinen  Widerstand,  sondern  zog 
sieb  trotz  einer  dreifachen  Ueberzahl  an  Schiffen  nach  dem  Vor- 
gebirge Mykale  zurück,  in  den  Schutz  des  Landheers;  die  Schiffe 
wurden  an  das  Ufer  gezogen  und  mit  starken  Verschanzungen  um- 
geben. Man  glaubte  vollkommen  sicher  zu  sein  und  von  hier  aus 
leicht  wieder  gewinnen  zu  können,  was  man  für  den  Augenblick 
aufgegeben  hatte. 

Aber  die  Griechen  waren  nicht  gesonnen ,  ihr  Werk  unvollendet 
ra  lassen.  Leotychides,  der  sich  einmal  den  Antrieben  ionischer 
Lebendigkeit  und  Tbatkraft  hingegeben  hatte,  entschloss  sich  den 
Feinden  zu  folgen. 

Voll  Erstaunen  sahen  die  auf  Mykale  verschanzten  Perser,  wie 
die  Griechen  landeten,  die  Truppen  sich  ausschifften  und  allem  Pfeil- 
reaien  zum  Trotze  gegen  das  feste  Schiffslager  vorrückten.  Die  Athener 
mit  den  Korinthern,  Sikyoniern  und  Trözeniern  kamen,  weil  sie  kür- 
zeren Zugang  hatten,  am  ehesten  zum  Handgemenge.  Sie  trieben 
die  Perser  zurück  und  drangen  mit  ihnen  in  das  Lager  ein.  Der  Abfall 
der  griechischen  Hulfsvölker,  namentlich  der  Milesier,  welche  den  Rück- 
iog  in  das  Gebirge  decken  sollten  und  statt  dessen  die  zurückweichen- 


Digitized  by  Google 


102 


YEIUIANDLOCE*  ÖER  IONIEN. 


den  Landtruppen  irre  leiteten ,  trug  dazu  bei ,  dass  die  Niederlage  der 
Perser  vollständig  wurde,  obgleich  sie  mit  ausgezeichneter  Tapferkeit 
fochten  und  alle  Vortheile  der  Ue hermacht  wie  des  Terrains  auf  ihrer 
Seile  hatten.  Die  beiden  Führer,  Tigranes  und  Mardontes,  blieben  im 
Kampfe.  Was  vom  Heere  übrig  war,  rettete  sich  in  elendem  Zustande 
nach  Sardes,  wo  Xerxes  Hof  hielt  und  die  verheifsenen  Siegesbot- 
schaften des  Mardonios  erwartete.  Während  er  sich  im  Besitze  von 
Griechenland  wähnte,  sah  er  sich  im  eigenen  Lande  angegriffen  und 
besiegt;  seine  Macht  war  so  vollständig  gebrochen,  dass  er  aufser 
Stande  war,  den  offenen  Abfall  des  nahen  Küstenlandes  zu  verhindern. 
Nach  der  Sage  der  Griechen  wurde  der  kühne  und  glänzende  Sieg  bei 
Mykale  am  Abend  desselben  Tages  gewonnen,  da  ihre  Brüder  bei 
Plataiai  kämpften;  ja  es  sollte  auf  wunderbare  Weise  ein  Gerücht  von 
dem  gleichzeitigen  Siege  sich  .im  Heere  verbreitet  und  dasselbe  im 
heifsen  Kampfe  ermuthigt  haben. 

Die  Erfolge,  welehe  die  Hellenen  gewonnen,  kamen  ihnen  so 
unerwartet,  dass  sie  ganz  unvorbereitet  waren  und  deshalb  über  ihre 
eigenen  Siege  in  Verlegenheit  geriethen. 

Was  sollte  man  mit  Ionien  machen ,  das  nun  zum  zweiten  Male 
von  den  Persern  abgefallen  war,  mit  Betheiligung  der  Aeolier,  wenig- 
stens der  Insel  Lesbos?  Sollte  man  alles  Land  in  die  hellenische 
Eidgenossenschaft  aufnehmen?  Das  wäre  doch,  meinten  die  Pelopon- 
nesier,  eine  allzu  grofse  Verantwortlichkeit;  dann  müsse  ja  immer  eine 
Griechen  flotte  auf  der  Wache  sein,  um  alle  die  zahllosen  Küstenpunkte 
zu  schützen,  sobald  die  Perser  mit  erstarkten  Kräften  wieder  aus  dem 
Binnenlande  vordringen  würden.  Man  solle  lieber  das  Land  preis- 
geben und  die  Bewohner  an  anderen  Orten  ansiedeln,  und  zwar  auf 
Kosten  der  medisch  Gesinnten  also  der  Argiver,  Böoter,  Lokrer  und 
Thessalier.  So  liefse  sich  ein  festes,  in  sich  geschlossenes  und  starkes 
Hellas  bilden. 

Die  Athener  traten  für  die  Städte  auf;  sie  bestritten  den  Pe- 
loponnesiern  das  Recht,  über  attische  Pflanzorte  (denn  als  solche 
sah  man  jetzt  alle  ionischen  Städte  an)  mit  zu  sprechen  und  wider- 
setzten sich  mit  Entschiedenheit  solchen  Mafsregeln,  durch  welche 
den  Persem  die  besten  Angriflsplätze  gegen  Hellas  in  die  Hände 
gegeben  würden.  Ionien  müsse  vielmehr  ein  Bollwerk  gegen  die 
Barbaren  sein;  hier  müsse  man  Herr  sein,  um  des  Meeres  und  der 
eigenen  Küsten  sicher  zu  sein.    Den  Athenern  kam  die  Stimmung 


Digitized  by  Googl 


WINTER  FELDZUG.     FALL  VON  SESTOS  (TS,  2;  478).  103 


der  lonier  zu  Hülfe,  welche  natürlich  von  einer  gewaltsamen  Ver- 
pflanzung nichts  wissen  wollten.  So  wurden  denn  zunächst  Samos, 
Lesbos,  Chios  und  eine  Reihe  anderer  Inselstädte  in  die  Bundes- 
senossenschaft aufgenommen,  und  nachdem  die  Hellenen  so  eben 
noch  ihre  eigenen  Städte  aufgegeben  und  unter  den  gröfsten  Ge- 
fahren um  den  Boden  der  engsten  Heimath  gestritten  hatten,  war 
jetzt  ein  ansehnlicher  Theil  persischer  Unterlhanen  zu  ihnen  abgefallen; 
es  bildete  sich  ein  neues  Hellas,  ein  griechisches  Reich,  welches  die 
leiden  Seilen  des  Meeres  umspannte. 

Die  Vorsicht  verlangte,  dass  man  sich  vor  Allem  gegen  neue 
Heereszüge  von  Asien  nach  Europa  sichere;  denn  man  glaubte  nicht 
inders,  als  dass  die  Hellespon tosbrücke  noch  bestehe  oder  wieder  her- 
gestellt sei.  Als  man  diese  zerstört  fand,  drangen  die  Peloponnesier 
darauf  den  Feldzug  zu  beschliefsen ,  dessen  unerwarteter  Erfolg  sie 
schon  viel  weiter  fortgezogen  hatte,  als  ihre  Absicht  gewesen  war. 

Die  Athener  aber  erklärten  sich  entschlossen,  der  vorgerückten 
Jahreszeit  ungeachtet  zu  bleiben  und  das  Begonnene  nicht  unvollendet 
lassen  zu  wollen.  Sestos,  der  feste  Waffenplatz  am  Hellespont, 
dürfe  nicht  in  Händen  der  Feinde  bleiben,  und  zwar  müsse  man 
unverzüglich  den  Angriff  wagen,  ehe  die  Stadt  sich  auf  eine  Belagerung 
eingerichtet  habe.  Sie  liefsen  die  Peloponnesier  heimfahren  und 
verbanden  sich  unter  Xanthippos'  Führung  zu  dem  neuen  Unter- 
nehmen mit  den  Schiffen  der  lonier  und  Hellespon tier. 

Sie  fanden  kräftigeren  Widerstand,  als  sie  erwartet  hatten. 
Artayktes,  der  Vogt  des  Chersonnes,  safs  in  Sestos  mit  allen 
Schätzen,  die  er  angehäuft  hatte,  und  rüstete  sich  zu  verzweifelter 
Abwehr,  indem  er  hoffte,  dass  persische  Truppen  zum  Entsatz  der 
wichtigen  Festung  nicht  ausbleiben  würden.  Der  Winter  kam,  und 
die  Athener  fingen  schon  an,  der  ungewohnten  Anstrengungen  über- 
drüssig zu  werden.  Aber  die  Feldheim  wussten  die  Stimmung  auf- 
recht zu  erhalten,  und  ihre  Verheifsungen  erfüllten  sich  bald.  Die 
Perser  wurden  durch  Hunger  gezwungen  die  Stadt  zu  verlassen  und 
Artavktes  fiel  in  die  Hände  der  Griechen,  welche  an  ihm,  als  einem 
Schänder  griechischer  Heiligthümer,  ein  strenges  Strafgericht  voll- 
zogen. Es  war  ein  glänzender  Erfolg;  der  Chersonnes  war  frei  und 
reiche  Siegesbeute,  darunter  auch  die  in  Aegypten  geflochtenen 
Htuckenseile  wurden  im  Triumphe  heimgeführt.  Die  Hauptsache 
aber  war,  dass  die  Athener  allein  im  Felde  geblieben  waren,  dass 


Digitized  by  Google 


104 


NEUliAU   VON   ATHEN   (7*.  3;  473). 


sie  mit  den  Ioniern  sich  als  eine  Seemacht  verbrüdert  und  dass 
sie  nach  solchen  Erfolgen  einen  Siegesmuth  gewonnen  hatten,  dem 
nichts  mehr  zu  weit  und  zu  schwierig  erschien.  Sie  sahen  in  ihrer 
Stadt  schon  den  Mittelpunkt  der  griechischen  Küstenländer49). 

Aber  wie  sah  es  in  diesem  Athen  aus!  Ein  Paar  Stücke  der 
alten  Ringmauer,  einige  vereinzelte  Häuser,  wo  die  persischen  Heer- 
führer Quartier  gemacht  hatten,  standen  noch;  sonst  war  Alles  Schutt 
und  Ruine.  Nach  der  Schlacht  von  Plataiai  waren  die  Einwohner 
aus  Salamis,  Troizen,  Aigina  zurückgekehrt;  sie  hatten  nicht  einmal 
die  Flottenmannschaft  zur  Unterstützung  bei  der  mühevollen  Arbeit, 
mit  welcher  die  Heimkehr  und  neue  Einrichtung  verbunden  war. 
In  einem  Lande  wie  Attika  beruhte  aller  Wohlstand  auf  ununter- 
brochenem, sorgsamem  Anbau.  Die  Grundstücke  waren  durch  die 
Verwüstung  zum  grofsen  Theil  entwerthet.  Man  suchte  sich  zu 
helfen,  um  nothdürftig  durch  den  Winter  zu  kommen. 

Mit  Anbruch  des  Frühjahrs  konnte  der  Neubau  begonnen  werden. 
Alles  rührte  sich  in  frohem  Wetteifer.  Geld  und  Sklaven  waren  in 
Fülle  vorhanden,  Material  wurde  von  allen  Seiten  herbeigeschafft.  Man 
begreift,  wie  die  Bürger  nach  der  peinlichen  Unruhe  der  Heiraa  th- 
losigkeit  und  allem  Elend  der  letzten  Jahre  darnach  verlangen  mussten, 
endlich  wieder  in  eigener  Stadt,  an  eigenem  Herde  leben  zu  können! 
Aber  auch  jetzt  dachte  man  nicht  an  die  Behaglichkeit  häuslicher 
Einrichtung,  sondern  vor  Allem  an  die  Stadt  im  Ganzen  und  ihre 
Sicherheit. 

Themistokles ,  der  Gründer  der  Hafenstadt,  war  in  dieser  An- 
gelegenheit mit  Recht  der  Mann  des  öffentlichen  Vertrauens.  Die 
Bürger  Athens  nach  dem  Peiraieus  zu  verpflanzen,  wie  er  am  liebsten 
gethan  hätte,  war  schon  aus  religiösen  Gründen  unthunlich.  Auch 
konnte  man  im  Drange  der  Umstände  nicht  daran  denken,  die  Stadt 
nach  einem  neuen  und  regelmässigen  Plane  einzurichten;  aber  man 
beschloss,  den  Umkreis  derselben  über  den  alten  Mauerring,  welcher 
aus  der  Zeit  der  Pisistratiden  oder  des  Kleisthenes  herrührte,  nach 
allen  Seiten  auszudehnen,  um  für  den  Fall  einer  neuen  Belagerung 
dem  Landvolke  innerhalb  der  eigenen  Stadt  eine  Zuflucht  gewähren 
zu  können.  Die  Stadtmauer  wurde  gegen  Norden  in  die  Ebene 
vorgeschoben,  im  Osten  der  Tempelbezirk  des  olympischen  Zeus 
vielleicht  erst  jetzt  in  die  Stadt  hereingezogen;  gegen  Südwesten 
aber  wurden  auf  den  Felskämmen,  welche  sich  in  dieser  Richtung 


Digitized  by  Google 


▼EBHINDEHONG  DES  MAI' EUBA  LS. 


105 


langhin  erstrecken  und  seit  alten  Zeiten  dicht  bewohnt  waren,  die 
Mauerlinien  ausgelegt,  welche  ein  grofses,  nach  der  Seeseite  spitz 
zulaufendes  Vorwerk  bilden  sollten.  Mit  hoher  Geisteskraft  wirkte 
Themistokles  dahin,  dass  trotz  des  augenblicklichen  Nothstandes  und 
trotz  der  drängenden  Eile  nicht  blofe  für  das  Bedürfniss  der  Gegen- 
wart gesorgt  werde,  sondern  gleich  ein  wesentlich  gröberes  und 
festeres  Athen  aus  den  Trümmern  erstehe,  damit  die  Stadt  selbst 
und  zugleich  die  Landschaft  in  Stand  gesetzt  werde,  künftigen 
Kriegsgefahren  in  voller  Selbständigkeit  und  Widerstandskraft  ent- 
gegen zu  treten*0). 

Aber  nicht  einmal  dies  wollte  man  den  Athenern  zugestehen, 
dass  sie  nach  eigenem  Ermessen  ihre  Befestigungen  aufrührten.  Ihre 
großartigen  Unternehmungen  erweckten  wieder  den  alten  Neid  und 
die  hämische  Missgunst  Namentlich  waren  es  die  benachbarten  See- 
staaten, welche  in  so  kurzer  Zeit  überflügelt  worden  waren  und  darum 
mit  wahrer  Angst  die  Macht  der  Athener  im  Norden  und  im  Osten  des 
Ärehipelagus  sich  festsetzen  sahen.  Wie  sollte  ihrer  weiteren  Aus- 
dehnung gesteuert  werden! 

Darum  beeilten  sich  die  peloponnesischen  Staaten,  vor  allen 
andern  Aigina  und  Korinth,  Sparta  auf  die  Lage  der  Dinge  aufmerk- 
sam zu  machen.  Die  Spartaner  sollten  sich  durch  die  bisherige 
Nachgiebigkeit  Athens  nicht  täuschen  lassen;  es  habe  nur,  so  lange  es 
der  eigene  Vortbeil  erheische,  die  vorörtliche  Stellung  Spartas  aner- 
kannt. Bald  werde  es  Allen  über  den  Kopf  wachsen ;  es  werde  dann 
jeden  Schein  von  Unterordnung  aufgeben  und  die  hellenische  Bundes- 
verfassung sprengen.  Jetzt  sei  Athen  noch  wehrlos  und  aufser  Sunde, 
die  Forderungen  Spartas  zurückzuweisen;  so  wie  es  aber  seine  Mauer- 
werke vollendet  habe,  sei  es  jedem  Einflüsse  Spartas  für  immer 
entzogen.  Also  jetzt  müsse  man  handeln ;  jetzt  habe  man  noch  die 
Zukunft  Griechenlands  in  Händen. 

Die  Feinde  Athens  hatten  von  ihrem  Standpunkte  vollkommen 
Recht,  und  da  Sparta  dem  Geiste  seiner  Gesetze  gemäfs  überall  nichts 
von  Stadtmauern  wissen  wollte  und  sich  darüber  nicht  täuschte,  dass 
eine  wohl  ummauerte  Stadt  der  peloponnesischen  Kriegskunst  unbe- 
zuinglicb  sei,  so  wurde  in  der  That  beschlossen,  den  attischen 
Maoerbau  um  jeden  Preis  zu  hindern.  Da  man  aber  mit  den  wirk- 
lichen Beweggründen  nicht  gut  vor  die  Oeftentlichkeit  treten  konnte, 
«o  machten  die  Peloponnesier  —  natürlich  im  wohlverstandenen 


Digitized  by  Google 


106 


THEMISTOKLES  IN  SPARTA  (70,  3;  478). 


Interesse  des  Vaterlandes  —  die  Ansicht  geltend,  dass  ihre  Halbinsel 
allein  zu  erfolgreicher  Verteidigung  sich  eigne  und  dass  man,  auf  die 
Erfahrungen  der  letzten  Feldzüge  gestützt,  darnach  ein  bestimmtes 
Vertheidigungssystem  ein  für  allemal  feststellen  und  beschliefsen 
müsse.  Man  habe  sich  überzeugt,  dass  Mittelgriechenland  nicht  zu 
halten  gewesen  wäre;  jeder  feste  Platz  nördlich  vom  Isthmos  würde 
bei  neuen  Kriegsgefahren  nur  ein  gefahrlicher  Stützpunkt  der  feind- 
lichen Macht  sein,  wie  man  es  in  Theben  erlebt  habe.  Man  schämte 
sich  nicht,  in  vollem  Widerspruche  mit  dem  platäischen  Beschlüsse 
diese  feige  Gesinnung  offen  auszusprechen,  ja  die  Athener  selbst 
aufzufordern,  an  der  Schleifung  aller  Festungswerke  im  mittleren 
Griechenland  An th eil  zu  nehmen.  Sparta  liefs  sich  beauftragen,  für 
Ausführung  des  Beschlusses  zu  sorgen  und  zunächst  mit  ganzem 
Ernste  die  Einstellung  des  Mauerbaus  zu  verlangen. 

Athens  Feinde  hatten  einen  günstigen  Zeitpunkt  gewählt.  Man 
hatte  keine  Mittel  des  Widerstandes,  wenn  ein  peloponnesisches 
Heer  einrücken  sollte,  um  den  Majoritätsbeschluss  des  Bundesraths 
durchzusetzen;  denn  auf  ein  Treffen  im  offenen  Felde  mit  der  spar- 
tanischen Landmacht  durfte  man  es  nicht  ankommen  lassen.  Und 
so  war  die  Stadt  Athen,  welche  das  Aeufserste  im  Dulden  und  Handeln 
für  das  gemeinsame  Vaterland  geleistet  hatte,  jetzt  durch  den  tückischen 
Anschlag  ihrer  neidischen  Nachbarn  in  die  gröfste  Bedrängnis*  ver- 
setzt; sie  war  in  Gefahr,  ihre  ganze  Selbständigkeit  einzubüfsen. 

Hier  konnte  nichts  helfen  als  List.  Als  die  Spartaner  mit  ihrer 
herrischen  Forderung  in  Athen  auftraten,  liefs  Themistokles  die 
Bauten  sofort  einstellen  und  versprach  mit  scheinbarer  Nachgiebigkeit 
nach  Sparta  zu  kommen,  um  persönlich  das  Weitere  zu  verhandeln. 

Wie  er  dort  anlangte,  liefs  er  einen  Tag  nach  dem  andern 
hingehen,  indem  er  auf  seine  Mitgesandten  zu  warten  vorgab,  wäh- 
rend in  Athen  nach  seiner  Anweisung  Alles,  was  Hände  hatte, 
Stadt-  und  Landvolk,  Männer  und  Frauen,  Kinder  und  Sklaven,  un- 
ablässig an  der  Ringmauer  arbeitete  und  dazu  fertiges  Material  jeg- 
licher Art  benutzte.  Selbst  die  marmornen  Grabsteine  wurden  nicht 
verschont,  sondern  in  die  Fundamente  eingemauert. 

So  wie  nun  die  Mauer  eine  solche  Höbe  gewonnen  hatte,  dass  sie 
im  Nothfalle  verlheidigt  werden  konnte,  reisten  die  anderen  Gesandten 
nach  Sparta  ab.  Auch  jetzt  noch  stellte  Themistokles  mit  kecker  Stirn 
den  ganzen  Mauerbau  in  Abrede ,  und  als  darüber  viel  hin  und  her  ge- 


Digitized  by  Google 


YEKDIE.NST   I»ES  THEMISTOKLES. 


107 


hadert  wurde  und  entgegengesetzte  Meldungen  eingingen,  forderte  er 
endlich  die  Spartaner  auf,  zuverlässige  Männer  nach  Athen  zuschicken, 
um  nicht  nach  den  Aussagen  ton  Reisenden  zu  urtheilen,  sondern  sich 
amtlich  vom  Stande  der  Dinge  zu  überzeugen.  Er  sei  bereit,  mit  seinen 
Amtsgenossen  als  Bürge  für  die  Wahrheit  seiner  Aussage  in  Sparta  zu- 
rückzubleiben. 

So  geschah  es.  Die  spartanischen  Gesandten  aber  wurden ,  wie 
sie  in  Athen  ankamen,  verabredeter  Mafsen  zurückbehalten,  um  als 
Sicherheit  für  Themistokles  zu  dienen.  Denn  so  wie  dieser  von  der 
gelungenen  Ausfuhrung  seiner  Anschläge  Kunde  hatte,  warf  er  die 
Maske  ab  und  erklärte  frei  heraus,  die  Athener  hätten  in  gröfster  Nolh, 
tod  Allen  verlassen,  zweimal  Stadt  und  Land  aufgegeben;  so  hätten  sie 
auch  jetzt  auf  eigenen  Bescbluss  ihre  Stadt  ummauert,  und  das  werde 
für  sie  wie  für  ganz  Griechenland  das  Beste  sein,  denn  der  hellenische 
Staatenbund  beruhe  auf  dem  Grundsatze  gleicher  Selbständigkeit  aller 
semer  Mitglieder. 

Die  Feinde  Athens  sahen  ihren  Anschlag  vereitelt  und  mussten 
gute  Miene  machen,  so  bitter  sie  auch  die  Täuschung  empfanden.  Man 
tbat  nun,  als  wenn  man  nur  einen  guten  Rath  hätte  ertheiien  wollen, 
und  am  Ende  blieb  nichts  Anderes  übrig,  als  dass  die  beiderseitigen 
Gesandtschaften  ruhig  nach  Hause  zurückkehrten. 

Diese  ziemlich  grob  angelegte  List  hätte  unmöglich  gelingen 
können ,  wenn  nicht  die  Behörden  Spartas  Themistokles  günstig  ge- 
wesen wären ;  sie  hatten  dem  Drängen  der  Bundesgenossen  nachge- 
geben, ohne  mit  der  Ausführung  Ernst  zu  machen.  Themistokles 
moss  noch  von  seiner  letzten  Anwesenheit  in  Sparta  her  einen  be- 
deutenden Anhang  daselbst  gehabt  haben.  Welche  Mittel  er  aber  auch 
ffirdas  Gelingen  seines  Anschlags  angewendet  haben  mag,  sie  waren 
durch  die  Noth  der  Verhältnisse  und  die  Unredlichkeit  der  Gegner 
gerechtfertigt,  so  dass  auch  Aristeides  kein  Bedenken  trug,  sich  an 
der  Gesandtschaft  zu  betheiligen.  Durch  den  glücklichen  Erfolg  der- 
selben wurde  Themistokles  der  neue  Gründer  seiner  Vaterstadt,  der 
Hersteller  ihrer  Unabhängigkeit.  Ihre  Zukunft  war  {gesichert,  und 
fortan  ging  es  auf  gebahntem  Wege  vorwärts,  sowohl  was  die  in- 
nere Einrichtung  der  Stadt  betrifft,  als  auch  ihre  äufsere  Macht- 
entwickelung. 

Zwei  Jahre  nach  der  platäischen  Schlacht  waren  die  Ober-  und 
die  Unterstadt  ummauert.  Denn  auch  der  durch  die  Kriegszeiten  unter- 


Digitized  by  Google 


108 


PEIRAIEUS. 


brochene  Bau  der  Peiraieusmauern  war  von  Neuem  in  Angriff  ge- 
nommen; die  Steinbruche  der  Halbinsel  lieferten  reichliches  Material, 
und  während  die  Stadtmauern  die  deutlichen  Spuren  des  übereilten 
Aufbaues  trugen  ,  wurden  die  Hafenbauten  mit  gröfserer  Sorgfalt  und 
mit  rücksichtslosem  Aufwände  ausgeführt. 

Anderthalb  deutsche  Meilen  lang  zogen  sich  die  Mauern  um  die 
ganze  Halbinsel  herum,  indem  sie  dem  ausgeschweiften  Felsrande  der- 
selben folgten  und  die  drei  Hafenbuchten  einschlössen.  An  den  Mün- 
dungen der  Häfen  erhoben  sich  je  zwei  Thürme  einander  gegenüber 
und  zwar  so  nahe,  dass  sie  durch  Ketten  mit  einander  verbunden 
werden  konnten;  das  waren  die  Wasserthore  des  Peiraieus.  Die  Mauern 
waren  bei  einer  Dicke  von  etwa  16  Fufs  ohne  Mörtel  durch  und  durch 
aus  rechtwinklichten  Werkstücken  gebaut  und  wurden  unter  The- 
mistokles ,  der  das  doppelte  Mafs  beabsichtigt  haben  soll,  auf  30  Fufs 
Höhe  gebracht.  Es  sollte  diese  Befestigung,  die  das  Kostbarste  aller 
Besitzthümer  Athens,  seine  Schiffe,  Werften,  SchüTshäuser  und  See- 
magazine einschloss,  ein  Musterbau  sein  und  die  Möglichkeit  gewähren, 
trotz  der  Nähe  eifersüchtiger  Seestaaten  den  Peiraieus  mit  einer  ge- 
ringen Besatzung  zu  sichern61)- 

Die  Schöpfung  des  Peiraieus  war  der  Stolz  des  Themistokles ;  es 
war  nächst  der  Flotte  das  zweite  Werk,  welches  Athen  als  eine  Grofs- 
stadt  kennzeichnete.  Themistokles  that  daher  Alles,  um  die  junge 
Sladt  zu  fördern  und  die  leeren  Räume  mit  nützlichen  Einwohnern  zu 
bevölkern.  Auf  seinen  Vorschlag  wurde  auswärtigen  Handwerkern, 
Technikern  und  Künstlern  der  Zuzug  erleichtert,  indem  man  wenig- 
stens den  Aermeren  unter  ihnen  für  eine  Zeitlang  die  Abgaben  erliefs, 
welche  der  Staat  von  den  Schutzverwandten  einforderte63). 

In  unglaublich  kurzer  Zeit  war  das  ganze  Ansehen  von  Attika 
verändert.  Wenige  Jahre  zuvor  war  Alles  öde  gewesen  und  Athen 
selbst  vom  Erdboden  fast  vertilgt;  jetzt  waren  wie  durch  einen 
Zauber  zwei  grofse  Städte  da,  kaum  anderthalb  Stunden  von  ein- 
ander entfernt;  zwei  Stadlburgen  mit  weitem  Mauerkreise  umgeben, 
zwei  Bürgerschaften  von  wetteifernder  Betriebsamkeit.  Nun  reichten 
natürlich  auch  die  alten  Verwaltungsbehörden  nicht  aus;  denn  die 
Seestadt,  die  aus  fremden  und  sehr  verschiedenartigen  Bestandteilen 
rasch  erwachsen  war,  nahm  eine  kräftige  Polizeiverwaltung  in  An- 
spruch. Es  wurde  also  das  Personal  der  Beamten  vergröfsert;  es 
wurden  eigene  Polizeimeister  (Astynomoi)  und  Marktmeister  (Agora- 


Digitized  by  Google 


SEÜERÜHCBN  I»  DER  VERWALTUNG  UND  IN  DER  VERFASSUNG.  109 

nomoi)  für  den  Peiraieus  ernannt  und  ebenso  für  die  Beaufsichti- 
gung von  Mafs  und  Gewicht,  wie  für  die  des  Kornhandels  be- 
sondere Aeroter  (die  der  Metronomoi  und  Sitophylakes)  daselbst 
eingerichtet. 

Dann  mussten  aber  auch  für  das  Seewesen  neue  Behörden  gebildet 
«erden,  und  zwar  solche,  die  den  Handelshafen,  das  sogenannte 
Empörion,  beaufsichtigten,  und  wieder  andere  für  die  Kriegshäfen. 
Es  musste  namentlich  eine  Behörde  da  sein,  welche  das  ganze  Kriegs- 
material unter  sich  hatte,  und  die  zu  ihrer  weitläufigen  Buchführung 
wider  eines  Personals  von  Schreibern  bedurfte.  Wenn  aber  die 
Kriegsflotte  ergänzt  werden  sollte,  so  wurden  dazu  aus  der  Bürger- 
schaft wieder  besondere  Commissionen  niedergesetzt,  denen  andere 
Beamte  zur  Kassenführung  I*igeordnet  wurden.  So  hatte  sich,  seit 
die  neue  Stadt  neben  der  alten  erwachsen  war,  auch  der  Kreis  der 
öffentlichen  Geschäfte  nach  allen  Seiten  hin  ansehnlich  erweitert. 

Athen  bedurfte  nach  den  Siegen  von  Salamis  und  Plataiai  aber 
auch  einer  Umgestaltung  seiner  staatlichen  Verfassung.  Was  die 
eine  Partei  gefürchtet  und  die  andere  gehofft  hatte,  war  in  Erfüllung 
gegangen.  Durch  den  patriotischen  Aufschwung  der  gesamten 
Beiölkerung,  durch  die  Tapferkeit  und  Hingebung  aller  Stände  war 
die  Stadt  gerettet.  Arme  und  Reiche  hatten  in  diesen  Tugenden 
mit  einander  ge wetteifert,  und  die  gemeinsam  bestandene  Noth  hatte 
alle  Bürger  neu  mit  einander  verbrüdert.  Darum  war  es  billig,  auch 
Allen  gleichen  Antheil  an  bürgerlichen  Ehren  und  Rechten  zuzuer- 
kennen und  die  Bestimmung  der  Verfassung  aufzuheben,  nach  welcher 
nur  Mitglieder  der  ersten  solonischen  Vermögensklasse,  die  Penta- 
kosiomedimnen  (I,  323),  zu  den  Ehrenämtern  des  Staats  gelangen 
konnten.  Dies  war  jetzt  ein  Vorrecht,  welches  das  wohlberechtigte 
Selbstgefühl  der  unteren  Klassen  verletzen  musste.  Hatten  doch 
gerade  die  Armen,  als  Flottenmannschaft,  am  meisten  zum  Siege 
^getragen!  Dazu  kam,  dass  Manche  der  wohlhabenden  Bürger 
durch  die  Kriegsereignisse  arm  geworden  waren ;  die  Grundbesitzer, 
deren  Höfe  niedergebrannt  waren,  hatten  ja  am  meisten  gelitten. 
Sollten  diese  Männer,  zu  denen  auch  ein  Aristeides  gehörte,  nun 
Heb  noch  durch  den  Verlust  ihrer  bürgerlichen  Stellung  gekränkt 
»erden?  Diese  Gefahr  drohte  ihnen,  und  darum  war  es  schon  im 
Lager  von  Plataiai  unter  den  verarmten  Grundbesitzern  zu  ver- 
ritheriachen  Umtrieben  und  zu  Verschwörungen  gegen  die  Verfassung 


Digitized  by 


110 


VEKFASS  V  .N  (ISA  .V  l>  EKU>  G  DES  AH  IST  EI  DES  (UM  478). 


gekommen,  deren  Gefahr  nur  durch  Aris leides'  Geislesgegenwart  be- 
seitigt worden  war5*). 

Im  Allgemeinen  aber  hatte  das  bewegliche  Vermögen  in  Attika 
nach  und  nach  solche  Bedeutung  gewonnen,  dass  unmöglich  der 
Grundbesitz  allein,  wie  es  Solon  bestimmt  hatte,  als  Mafsstab  des 
Wohlstandes  und  als  eine  Burgschaft  zuverlässiger  Gesinnung  gelten 
konnte.  Aristeides,  der  in  vollem  Sinne  der  'Gerechte'  war,  weil  er 
nicht  an  starren  Satzungen  festhielt,  sondern  die  wahre  Gerechtig- 
keit darin  erkannte,  dass  die  Ordnungen  des  Staats  mit  der  Enl- 
Wickelung  der  geselligen  Zustande  in  richtigem  Verhältnisse  stehen, 
sah  die  Notwendigkeit  der  Verfassungsreform  ein  und  stellte  selbst 
den  Antrag  beim  Volke,  der  dahin  ging,  dass  mit  Ausnahme  einzelner 
Wurden,  die  eine  besondere  Garantie  verlangten,  die  Staatsämter  fortan 
den  Bürgern  aller  vier  Vermögensklassen  zugänglich  sein  sollten.  Er 
konnte  dies  um  so  eher  thun,  ohne  seinem  politischen  Standpunkte 
untreu  zu  werden,  weil  er  überzeugt  war,  dass  er  damit  nicht  gegen 
den  Geist  der  solonischen  Gesetzgebung  handle,  dass  der  grofse  Gesetz- 
geber selbst  nicht  für  alle  Zeiten  jene  Schranken  aufgerichtet  haben 
wollte,  sondern  dass  auch  nach  seinem  Sinne  mit  dem  Fortschritte 
politischer  Reife  und  Tüchtigkeit  die  bürgerlichen  Rechte  sich  aus- 
gleichen sollten.  .Es  war  die  Aufgabe  einer  weisen  Gesetzgebung, 
den  unabweisbaren  Ansprüchen  der  unteren  Volksklassen  zuvor  zu 
kommen,  und  es  war  klug  von  Aristeides  gehandelt,  dass  er  diesen 
Schritt  zum  Ausbaue  der  Verfassung  nicht  Themistokles  und  seinen 
Parteigängern  überliefs;  denn  er  bezeugte  dadurch,  dass  auch  die 
'besonnenen'  Bürger,  als  deren  Führer  er  angesehen  wurde,  die  Zeit 
verstanden  und  die  Ansprüche  aller  Bürger  auf  gleichen  Antheil  an 
den  Hoheitsrechten  ohne  Rückhalt  anerkannten. 

So  waren  die  ersten  Jahre  nach  den  Schlachten  von  Plataiai 
und  Mykale  vergangen.  Die  Ordnung  der  inneren  Angelegenheiten, 
die  neue  Einrichtung  der  zerstörten  Städte,  vor  Allem  aber  der 
Hader,  der  den  kaum  erneuerten  Hellenenbund  wiederum  in  zwei 
feindliche  Parteien  getrennt  hatte,  die  nahe  daran  waren  sich  offen 
zu  bekriegen,  dies  Alles  halte  die  Aufmerksamkeit  der  Griechen  so 
vollständig  in  Anspruch  genommen,  dass  an  gemeinsame  Unter- 
nehmungen gegen  aufsen  nicht  halte  gedacht  werden  können.  Es 
war  ein  Glück,  dass  die  Perser  ruhig  blieben  und  nicht  den  Muth 
hatten,  diese  Zeit  zum  neuen  Vorgehen  zu  benutzen.  Endlich  waren 


Digitized  by  Google 


VERFASSUNGSÄNDERUNG  DES  ARISTEIDES  (UM  478). 


III 


die  Bundes Yerhältnisse  äußerlich  wieder  geordnet.  Nachdem  den 
Peloponnesiern  der  Versuch  misslungen  war,  Sparta  zur  alleinigen 
Großmacht  zu  erheben,  musste  Sparta  neben  Athen  sein  vorörtliches 
Ansehen  zu  wahren  suchen;  eine  Aufgabe,  die  nicht  leicht  war,  wie 
die  überlegene  Thatkraft  und  die  kühn  vorangehende  Entschlossen- 
heil  der  Athener  bei  Sestos  deutlich  genug  gezeigt  hatte  (S.  103). 

indessen  war  Spartas  Lage  nicht  ungünstig.  Es  hatte  doch 
mit  Ruhm  und  Glück  an  der  Spitze  der  Land-  und  Seemacht  grie- 
chischer Nation  gestanden;  das  war  eine  Stellung,  wie  Sparta  sie  nie 
MTor  gehabt  hatte,  und  dadurch  war  es  ja  auch  zu  seinen  mafslosen 
Ansprüchen  verleitet  worden.  Seine  Hegemonie  zu  Land  und  Wasser 
war  io  dem  neuen  Bundesrechte  feierlich  bestätigt  worden,  und  zwei 
thatkräftige  Heraküden  standen  an  seiner  Spitze,  die  Sieger  von 
Plataiai  und  Mykale,  welche  die  richtigen  Männer  zu  sein  schienen, 
um  Spartas  Ehre  zu  wahren.  Namentlich  war  Pausanias  von  grofsen 
Planen  erfüllt,  und  je  unerträglicher  ihm  die  Fesseln  waren,  welche 
zu  Hause  die  Ephoren  seinem  Ehrgeize  anlegten,  um  so  ungeduldiger 
strebte  er  nach  Gelegenheit,  im  Felde  neuen  Ruhm  und  Einfluss  zu 
gewinnen. 


Endlich  war  man  so  weit,  die  platai  sehen  Beschlüsse  gemein- 
schaftlich ausführen  und  die  Befreiung  der  hellenischen  Städte  fort- 
setzen zu  können.  Die  Peloponnesier  stellten  zu  diesem  Zwecke 
zwanzig  Schiffe,  die  Athener  dreifsig  unter  Führung  des  Aristeides 
and  Kimon.  Dazu  kamen  die  Schiffe  der  Ionier  in  bedeutender 
Anzahl,  so  dass  es  im  Ganzen  etwa  hundert  Schiffe  sein  mochten, 
wie  es  in  den  platäischen  Beschlüssen  bestimmt  war.  Die  gesamte 
Bundesflotte  führte  Pausanias;  ihre  Ausfahrt  erfolgte  wahrscheinlich 
im  Frühjahre  476  (75,  4),  während  um  dieselbe  Zeit  der  andere 
König,  Leotychides ,  die  Feldzüge  in  Thessalien  fortsetzte,  um  die 
Macht  der  Aleuaden  zu  brechen,  welche  bis  zuletzt  mit  dem  Landes- 
feinde gemeinsame  Sache  gemacht  hatten54). 

Diesmal  hatten  die  Griechen  keine  Flotte  aufzusuchen,  welche 
ihnen  die  Meerherrschaft  streitig  machte;  sie  hatten  den  Vortheil, 
sich  die  Kampfplätze  auswählen  zu  können,  und  die  raschen  Be- 
rgungen der  Flotte  beweisen,  dass  ihren  Führern,  und  namentlich 
dem  Oberfeldherrn  selbst,  keine  Unternehmung,  welche  Erfolg  ver- 


112 


BUNDESFLOTTE  VOR  CYPERK  (7S,  4;476). 


hiefs,  zu  kühn  und  zu  weit  war.  Man  begnügte  sich  nicht  damit, 
dass  der  Archipelagus  frei  war;  auch  der  Rückkehr  der  Barbaren 
wollte  man  vorbeugen  und  ihnen  die  Land-  und  Seewege,  auf  denen 
sie  einst  nach  Europa  vorgedrungen  waren,  für  alle  Zukunft  ver- 
sperren. Deshalb  fasste  man  zu  gleicher  Zeit  im  Norden  den  Bosporos 
und  im  Süden  Kypros  in's  Auge. 

Kypros  ist  seiner  centralen  Lage  wegen  und  wegen  seines  Reich- 
thums an  Bauholz  und  Kupfer  den  Mächten  des  Orients,  die  nach 
Herrschaft  im  Mittelmeer  strebten,  zu  allen  Zeiten  ein  unentbehrlicher 
Resitz  gewesen.  Wenn  es  den  Griechen  gelang,  hier  festen  Fufs  zu 
fassen,  so  gewannen  sie  nicht  nur  für  ihre  eigene  Rhederei  und 
ihren  Handel  unschätzbare  Vortheile,  sondern  es  war  auch  die  See- 
verbindung zwischen  Persien  und  Aegypten  unterbrochen,  und  jede 
neue  Rüstung  an  der  syriscb-phönikischen  Küste  konnte  von  hier 
aus  verhindert  werden.  Die  Perser  halten  starke  Besatzungen  in  den 
Inselstädten,  und  die  Fürsten,  welche  daselbst  regierten,  suchten  aus 
dynastischem  Interesse  die  den  Hellenen  günstige  Stimmung  nieder 
zu  halten.  Dennoch  gelang  es  den  Verbündeten  mit  Hülfe  der 
nationalen  Bewegung,  welche  ihnen  günstig  war,  in  wenig  Monaten 
den  gröfsten  Theil  der  Insel  den  Persern  zu  entreifsen.  Um  sie 
ganz  zu  befreien,  reichten  aber  die  Mittel  nicht  aus,  und  man  be- 
schloss  daher,  ehe  die  Nordwinde  des  Spätsommers  hinderlich  würden, 
nach  den  pon tischen  Gewässern  zu  fahren,  um  hier  die  Perser  in 
ihren  wichtigen  Besitzungen  anzugreifen,  während  ihre  Aufmerksam- 
keit noch  auf  das  cyprische  Meer  gerichtet  war. 

Durch  die  Eroberung  von  Sestos  war  der  Weg  über  den  Hel- 
lespont  den  Persem  allerdings  versperrt;  aber  am  oberen  Sunde  war 
noch  Byzanz  in  ihren  Händen  mit  seinem  unvergleichlichen  Kriegs- 
hafen. Byzanz  war  fester  als  Sestos,  und  die  Perser  fühlten  sich  im 
Besitze  dieses  Plaues  so  sicher,  dass  sie  hier  nicht  nur  eine  Menge 
von  Schätzen  untergebracht  hatten,  sondern  es  war  auch  ein  Haupt- 
quartier ihrer  Truppen  undder  Aufenthalt  vieler  Perser  vom  höchsten 
Range.  Die  Griechen  fanden  die  Besatzung  vollkommen  unvorbereitet; 
ehe  die  Schätze  gerettet  werden  und  die  Angehörigen  des  Grofskönigs 
sich  flüchten  konnten,  wurden  die  Mauern  erstiegen ;  und  unermess- 
liche  Beute  fiel  den  Siegern  zu. 

Ein  solches  Glück  war  zu  grofs,  als  dass  Pausanias  es  zu  tragen 
verstanden  hätte.    Er  war  ein  Mann  von  mafsloser  Ruhmbegierde, 


Digitized  by  Google 


PA  USA  MUS'  VBRRATH   T6,  1;  476. 


113 


und  jenes  Streben  nach  unbedingter  Herrschermacht,  welches  immer 
Ton  Neuem  in  dem  Stamme  der  Herakliden  zum  Vorschein  kommt, 
war  die  Triebfeder  seiner  Handlungen.  Auf  dem  Schlachtfelde  von 
Pbtaiai  hatte  sich  sein  Charakter  offenbart.  Denn  als  aus  dem 
Zehnten  der  Siegesbeute  der  goldene  Dreifufs  mit  der  dreiköpfigen 
Schlange  geweiht  wurde,  welcher  bestimmt  war,  neben  dem  grofsen 
Mtare  Tor  dem  Tempel  aufgestellt  zu  werden,  wagte  Pausanias  es, 
den  Dreifufs  eigenmächtig  als  seine  Weihegabe  zu  bezeichnen,  als 
ein  Werk,  welches  er  als  Fehlherr  der  Hellenen  dem  delphischen 
Gotle  errichtet  habe.  Für  diese  frevelhafte  Ueberhebung  hatte  er 
die  Demüthigung  erfahren  müssen,  dass  seine  von  Simonides  ver- 
fassten  Widmungsverse  von  den  Behörden  ausgelöscht  und  statt  ihrer 
die  Namen  aller  Staaten,  welche  am  Kampfe  Theil  genommen  hatten, 
eingeschrieben  wurden.  Eigenmächtig  hatte  er  sich  auch  bei  der 
Verarteilung  der  thebanischen  Volksföhrer  gezeigt  (S.  93)  und  sich 
Oberhaupt  durch  sein  ganzes  Benehmen  viele  Feindschaft,  und  von 
Seiten  der  Ephoren  eine  argwöhnische  Beaufsichtigung  zugezogen 

Aber  durch  jeden  Widerstand  und  jedes  Misstrauen  wurde  seine 
Selbstsucht  nur  immer  mehr  gereizt.  Der  Einblick  in  die  Herrlich- 
keit eines  orientalischen  Fürstenlebens,  wie  sie  ihm  im  Perserlager 
am  Asopos  zuerst  entgegengetreten  war,  hatte  die  unreinen  Begierden 
»eines  Herzens  entfacht,  und  als  er  nun  nach  seinem  glorreichen 
Siege  in  Griechenland  auch  noch  als  Flottenführer  das  ganze  Meer 
tod  Syrien  bis  zum  Pontos  siegreich  durchzogen  hatte,  da  verlor  er 
alle  Mälsigung;  da  wurde  ihm  der  Gedanke,  sich  dabeim  wieder  der 
Centrole  der  Ephoren  fugen  zu  sollen,  immer  unerträglicher,  und 
er  beschloss  um  jeden  Preis  diesen  Verhältnissen  ein  Ende  zu  machen. 
Er  wollte  aber  nicht  nur  in  Sparta  freier  Herr  und  Gebieter  sein, 
sondern  in  ganz  Hellas.  Dazu  musste  er  die  Unterstützung  einer 
aofsergriechischen  Nacht  haben,  und  je  mehr  er  sich  davon  überzeugte, 
dass  das  gegenwärtige  Staatensystem  in  Griechenland  unhaltbar  wäre, 
am  so  weniger  machte  er  sich  ein  Gewissen  daraus,  mit  dem  Landes- 
feinde in  Einverständniss  zu  treten,  um  die  Zwecke  seiner  Selbst- 
sucht zu  erreichen. 

Solche  Pläne  zur  Reife  zu  bringen,  war  Byzanz  der  geeignetste 
Ort  Er  zog  einen  gewissen  Gongylos  aus  Eretria  als  Vertrauten  an 
sich,  machte  ihn  zum  Befehlshaber  in  der  eroberten  Stadt  und  über- 
nk  ihm  die  vornehmen  Gefangenen  mit  dem  heimlichen  Auftrage, 

CitÜm.  Gr.  Oetth.  II.   «.  Aufl.  8 


Digitized  by  Google 


114 


PAUSANIAS'  VERRATH  76,  1;  476. 


sie  unversehrt  entkommen  zu  lassen.  So  wie  dies  ausgeführt  war, 
schrieb  er  an  Xerxes,  dass  er  keinen  gröfseren  Wunsch  habe,  als 
ihm  gefällig  zu  sein,  und  dahin  zu  wirken,  Griechenland  unter  seine 
Botmäfsigkeit  zu  bringen.  Der  Grofskönig  erkannte  die  Rettung 
seiner  Angehörigen  auf  das  Dankbarste  an  und  ging  voll  Eifer  auf 
die  Pläne  des  Pausanias  ein.  Um  die  weiteren  Unterhandlungen 
zu  führen,  wurde  Artabazos  als  Satrap  in  Mysien  eingesetzt,  derselbe 
Feldherr,  der  bei  Plataiai  vergeblich  von  der  Schlacht  abgemahnt  hatte, 
und  dessen  Ansicht,  dass  man  die  Griechen  durch  Griechen  besiegen 
müsse,  d.  h.  durch  Unterhandlung  und  durch  Bestechung,  seit  dem 
Unglücke  des  Mardonios  erst  recht  zu  Ehren  gekommen  war,  so  dass 
er  jetzt  des  Königs  volle  Gunst  besafs. 

Indem  Artabazos  mit  ausgedehnten  Vollmachten  zum  Unter- 
händler bestimmt  wurde,  begann  ein  neuer  Angriff  auf  Griechenlands 
Selbständigkeit,  welcher  mit  der  gefährlichsten  Waffe  geführt  wurde, 
und  die  griechischen  Angelegenheiten  hätten  ohne  Zweifel  die 
schlimmste  Wendung  genommen,  wenn  Pausanias  mehr  Selbst- 
beherrschung gehabt  hätte,  um  seine  Pläne  auszuführen.  Als  dieser 
aber  die  Briefe  mit  dem  königlichen  Siegel  in  seiner  Hand  hielt  und 
den  mächtigsten  Herrn  der  Welt  mit  sich  wie  mit  Seinesgleichen 
verkehren  sah,  da  verliefs  ihn  jede  Besonnenheit.  Es  war,  als  ob 
er  schon  des  Grofskönigs  Schwiegersohn  wäre  und  sein  Statthalter 
in  den  europäischen  Provinzen.  Mit  frevelhaftem  Leichtsinne  trug 
er  seine  Absichten  zur  Schau,  prunkte  in  Kleidung  und  Mahlzeiten 
nach  persischer  Weise,  liefs  sich  auf  seinen  Umzügen  in  Thrakien 
von  ägyptischen  und  medischen  Leibwachen  begleiten,  behandelte 
seine  Krieger  mit  herrischem  Uebermulhe  und  überliefs  sich  den 
empörendsten  Tyrannenlaunen.  Die  Folge  war,  dass  sich  im  Heere 
eine  Unzufriedenheit  regte,  welche  sich  zu  dem  heftigsten  Unwillen 
steigerte,  vor  Allem  bei  denen,  welche  für  Freiheit  und  bürgerliche 
Gleichheit  die  lebhafteste  Empfindung  hatten,  bei  den  Ioniern  und 
Athenern. 

Die  Ionier  hatten  von  Anfang  an  keine  Sympathie  für  die  Spar- 
taner, deren  barsches  Wesen  ihnen  ebenso  unangenehm  war,  wie 
ihre  harte  und  unverständliche  Mundart.  ,  Sie  sahen  in  den  Athenern 
ihre  natürlichen  Führer,  und  der  Zug  der  Stammgenossenschaft  wurde 
durch  die  Persönlichkeit  der  attischen  Feldherrn  nur  verstärkt.  Denn 
wie  sehr  trat  nun  neben  dem  Hochmulh  des  Spartaners  der  Charakter 


Digitized  by  Google 


ABBERUFUNG  DES  PAUSA.NUS. 


115 


des  Areteides  hervor,  des  schlichten  Bürgers,  der  sich  immer  gleich 
blieb,  milde,  ruhig  und  unparteiisch,  nur  von  den  grofsen  Interessen 
des  vaterländischen  Kampfes  erfüllt!  Und  neben  ihm  Kimon,  der 
freigebige,  ritterliche  Mann,  der  gegen  Alle  freundlich  und  leutselig 
war.  Die  Liebenswürdigkeit  dieser  Männer  wurde  aber  um  so  mehr 
anerkannt,  da  sie  sich  als  diejenigen  bewährten,  deren  Sachkenntnis* 
und  Thalkran  alle  Erfolge  der  Seefeldzüge  vorzugsweise  verdankt 
wurden. 

Bei  ihnen  suchten  also  auch  jetzt  die  lonier  Schutz  gegen  die 
tobtll  des  neuen  Tyrannen,  und  die  Athener  waren  klug  genug  sie 
nicht  abzuweisen,  sondern  sich  mit  Rath  und  That  ihrer  anzunehmen; 
dazu  glaubten  sie  um  so  mehr  berufen  zu  sein,  da  sie  die  Städte 
loniens  als  ihre  Pflanzstädte  ansahen,  deren  Interessen  zu  vertreten 
eine  heilige  Pflicht  Athens  sei.  Vor  Allem  aber  mussten  sie  dafür 
Jorgen,  dass  die  wankelmülhigen  lonier  in  ihrer  Verstimmung  nicht 
tou  der  gemeinsamen  Sache  abfielen.  So  ensland  eine  Spaltung  im 
Griechenheere;  es  bildeten  sich  zwei  Flotten,  eine  ionisch-attische  und 
eine  spartanisch  -  peloponnesische,  so  dass  Pausanias  nur  noch  dem 
Namen  nach  Oberfeldherr  war. 

Inzwischen  war  des  Feldherrn  Ungebühr  und  Hoffart  in  Sparta 
ruchbar  geworden.  Die  Ephoren  riefen  ihn  zur  Verantwortung  heim, 
und  da  er  noch  nicht  die  Mittel  zu  einem  offenen  Widerstande  in 
Händen  halte,  so  mussle  er  Folge  leisten.  Es  ging  aber  auch  das 
peloponnesische  Geschwader  mit  ihm  zurück;  es  ist  also  wahrscheinlich, 
dass  die  Ephoren  es  im  Interesse  ihres  Staats  für  rathsam  hielten,  den 
ganzen  Feldzug  gleichzeitig  abzubrechen,  dass  sie  demgemäfs  ihre 
Anordnungen  trafen  und  die  Auflösung  der  Flotte  erwarteten.  Diese 
Maisregel  hatte  aber  einen  ganz  anderen  und  sehr  weilgreifenden  Er- 
folg. Die  vorbereitete  Spaltung  trat  nun  ganz  offen  hervor;  die  Athener 
und  lonier  blieben  in  Folge  ihres  Einverständnisses  zusammen,  und 
Athen  übernahm  nach  Abzug  des  Pausanias  förmlich  die  Oberleitung 
der  zurückgebliebenen  Schiffe50). 

Die  überraschten  Ephoren  wollten  ihr  Versehen  wieder  gut 
machen;  sie  schickten  im  Frühjahre  einen  Nachfolger  des  Pausanias 
mit  Schiffen  und  Mannschaft  zur  Flotte  zurück;  aber  als  derselbe  — 
Dorkis  mit  Namen  —  ankam,  hatten  sich  in  der  Zwischenzeit  die 
Verhältnisse  so  vollständig  geordnet,  dass  der  Abfall  der  Bundes- 
genossen und  der  Verlust  der  Flottenführung  von  Seiten  Spartas 

8* 


Digitized  by  Google 


116 


SPALTUNG  DER  Rl'.N  DESFLOTTE 


eine  vollendete  Thatsache  war.  Es  wäre  Aristeides  und  Kimon  bei 
dem  besten  Willen  unmöglich  gewesen,  die  Lage  der  Dinge  zu  ändern. 
Es  blieb  also  Dorkis  nichts  übrig,  als  sich  entweder  der  Führung 
Athens  unterzuordnen  oder  zurückzukehren.  Er  wählte  natürlich 
das  Letztere. 

Die  schmähliche  Heimkehr  des  Oberfeldherrn  und  die  unerwarteten 
Folgen,  welche  sich  daran  anschlössen,  riefen  in  Sparta  die  gröTste 
Entrüstung  hervor.  Die  Verträge  waren  gebrochen,  die  hellenische 
Bundesordnung  war  zerstört  und  das  vorörtliche  Ansehen  Spartas, 
welches  in  den  letzten  Jahren  so  glänzend  erneuert  war,  auf  das 
Gröbste  verletzt  Es  musste  rasch  hergestellt  oder  für  immer  auf- 
gegeben  werden. 

Es  fehlte  damals  in  Sparta  nicht  an  Männern,  welche  verlangten, 
dass  man  mit  der  peloponnesischen  Mannschaft  gegen  Athen  ausrücken 
solle,  um  Genugthuung  zu  fordern  und  die  Herstellung  der  alten  Bundes- 
ordnung zu  erzwingen.  Indessen  machte  sich  bald  eine  andere  Ansicht 
geltend ;  es  war  die  Ansicht  der  älteren  und  besonneneren  Spartaner, 
deren  Wortführer  Hetoimaridas  war,  ein  Mitglied  des  Raths  der  Alten 
und  ein  Heraklide  von  Abstammung. 

Er  und  seine  Gesinnungsgenossen  waren  immer  der  Meinung 
gewesen,  dass  es  für  ihre  Stadt  nichts  Bedenklicheres  gäbe,  als  die 
Betheiligung  an  weit  aussehenden  Unternehmungen  in  fernen  Ge- 
genden, wo  die  Bürger,  jeder  Beobachtung  der  Behörden  entzogen, 
durch  das  Zusammensein  mit  den  neuerungssüchtigen  loniern  jeg- 
licher Verführung  ausgesetzt  wären.  Bei  der  Flottenführung  sei  für 
Sparta  ungleich  mehr  zu  verlieren  als  zu  gewinnen ;  denn  aller  Kriegs- 
ruhm sei  zu  theuer  bezahlt,  wenn  darüber  der  Staat  aus  seiner  Bahn 
gerissen  und  seine  Männer  verdorben  würden.  Das  Beispiel  de* 
Pausanias  rede  deutlich  genug.  Die  erlittene  Kränkung  sei  die  Strafe 
dafür,  dass  man  den  Grundsatz  besonnener  Mäfsigung  und  Beschrän- 
kung verlassen  habe.  Im  Landheere  müsse  man  Spartas  Gröfse  sehen, 
je  mehr  Athen  sich  auf  die  See  werfe.  Um  sich  an  Athen  zu  rächen, 
seien  jetzt  die  Mittel  unzureichend.  Jeder  Versuch  gewaltsamer  Art 
werde  nur  dazu  fuhren,  den  Bruch  der  Bundesordnung  unheilbar  zu 
machen,  während  man  es  durch  friedliche  Verhandlung  erreichen 
könne,  dass  Sparta  bei  seiner  Verzichtleistung  auf  die  Führung  des 
Seekrieges  von  seinem  guten  Rechte  nichts  aufgebe. 

Die  Friedenspartei  trug  den  Sieg  davon.  Man  beruhigte  sich  wohl 


Digitized  by  Googl 


ÜBERGANG  DER  HEGEMONIE  76,1;  476-7*. 


117 


auch  bei  dem  Gedanken,  dass  ein  eigentlicher  Uebergang  der  Hege- 
monie von  Sparta  an  Athen  nicht  stattgefunden  habe,  sondern  dass 
auf  den  Wunsch  und  im  Namen  Spartas  Athen  die  weitere  Krieg- 
führung und  die  Leitung  der  ionischen  Bundesgenossen  übernommen 
habe57). 

In  Athen  halle  man  mit  grofser  Spannung  die  Entwicklung  der 
krisis  abgewartet,  und  ihre  friedliche  Lösung,  zu  welcher  Arisleides 
und  seine  Genossen  gewiss  das  Ihrige  beigetragen  hatten,  war  ein 
Triumph  für  die  Partei  der  Besonnenen,  deren  politisches  Ziel  kein 
anderes  war,  als  ohne  Bruch  mit  Sparta  die  attische  Macht  zur  vollen 
Entfaltung  zu  bringen.  Was  früher  durch  rücksichtslose  Gewaltthat 
hatte  erzwungen  werden  sollen,  das  war  jetzt  in  ruhiger  Entwicklung 
der  Verhältnisse  gewissermaßen  von  selbst  zu  Stande  gekommen, 
ohne  Frevel  und  ohne  Bürgerkrieg.  Im  Sommer  476  hatte  sich  der 
lebergang  vollzogen  und  das  Jahr  76,  1;  476  75  vor  Chr.  kann  man 
«ach  wahrscheinlichster  Rechnung  als  das  erste  betrachten,  in  welchem 
Athen  die  Hegemonie  zur  See  besafs,  die  wolilverdiente  Ehre,  welche 
den  Vorkämpfern  von  Artemision  und  Salamis,  den  Rettern  der  grie- 
chischen Unabhängigkeit,  zu  Theil  wurde6"). 

Nun  aber  folgte  die  schwerere  Aufgabe.  Denn  es  kam  jetzt  darauf 
an.  dem  neuen  Bunde  eine  organische  Einrichtung  zu  geben  und  aus 
vielen  ungleichartigen  und  weit  zerstreuten  Küstenorten  eine  Seemacht 
zu  bilden,  welche  im  Stande  wäre,  allen  Eroberungsgelüsten  der  Perser 
entgegenzutreten  und  die  weiten  Seegebiete  zu  schützen. 

Die  Sicherheit,  mit  welcher  die  Athener  diese  grofse  Aufgabe 
anfassen,  beweist,  dass  sie  nicht  unvorbereitet  an  dieselbe  herantraten, 
und  wir  dürfen  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  schon  seit  den  Tagen 
Soions  alle  weiter  blickenden  Staatsmänner  den  Beruf  Athens  darin 
erkannten,  dass  es  einmal  die  ägäischen  Inseln  unter  seiner  Leitung 
vereinigen  müsse.  Aber  über  die  Art  und  Weise,  wie  Athen  herrschen 
sollte,  gingen  die  Meinungen  aus  einander.  Die  einen  dachten,  wie 
Mütiades  und  Themistokles,  das  Recht  des  Stärkeren  müsse  allein  ent- 
scheiden ;  nur  durch  Entwaffnung  und  Unterwerfung  der  Inseln  könne 
etwas  Dauerhaftes  erreicht  werden.  Eine  solche  Ansicht  mussle  aber 
bei  allen  Gemäßigten  auf  entschiedenen  Widerspruch  stofsen,  und 
Themistokles  konnte  deshalb  seine  Gewaltpolitik  nicht  durchsetzen. 
Sie  wurde  vollends  unmöglich,  als  so  unerwartet  rasch  ein  freiwilliger 
Anschluss  der  asiatischen  Städte  erfolgte.  Diese  waren  zum  Theil  grofs 


Digitized  by  Google 


118 


DIE  >EUE  EIDGENOSSENSCHAFT 


und  volkreich  geblieben,  wie  Ephesos;  zum  Theil  hatten  sie  sich  auch 
unter  persischer  Herrschaft  von  ihrem  Verfalle  wieder  erholt  und  neu 
bevölkert.  Hier  konnte  also  von  einer  unbedingten  Herrschaft  Athens 
nicht  die  Rede  sein.  Dazu  kam,  dass  die  Spannung  mit  Sparta  Vorsicht 
und  Behutsamkeit  zur  Pflicht  machte;  man  mussle  die  Fehler,  durch 
welche  Sparta  seinen  Oberbefehl  verloren  hatte,  vermeiden  und  auf 
eine  mildere  Weise  die  neuen  Bundesgenossen  an  eine  vorörtliche 
Leitung  zu  gewöhnen  suchen.  Das  war  die  Ansicht,  welche  Aristeides 
vertrat,  und  darin  bestand  das  grofse  Glück  Athens,  dass  es  in  ihm  den 
Mann  besafs,  welcher  durch  staatsmannische  Weisheit  und  eine  in 
ganz  Griechenland  anerkannte  Gerechtigkeit  dazu  geschaffen  war,  als 
ein  Vertrauensmann  des  ganzen  Volks  die  schwierigsten  Aufgaben  zu 
lösen  und  den  neuen  Bund  so  zu  ordnen,  dass  die  Rechte  der  kleineren 
Staaten  auf  das  Schonendste  behandelt  und  doch  eine  Verfassung  zu 
Stande  kam,  welche  dem  Waffenbunde  Einheit  und  Kraft,  den  Athenern 
aber  einen  bestimmenden  Einfluss  verbürgte. 

Die  volkstümlichste  und  schonendste  Verfassung,  welche  man 
einem  solchen  Bunde  geben  konnte,  war  die  der  Amphiktyonie. 
Dazu  bedurfte  es  nach  griechischem  Rechte  eines  religiösen  Mittel- 
punkts, und  dieser  konnte  kein  anderer  sein,  als  Delos,  das  heilige 
Eiland  in  der  Milte  beider  Gestade,  das  Delphi  des  Archipelagus, 
weichest  schon  in  vorhomerischen  Zeiten  der  Schauplatz  von  apollini- 
schen Festen  und  der  Sammelort  der  ionischen  Stammgenossen  von 
beiden  Seilen  des  Meers  gewesen  war.  Athen  war  mit  Delos  be- 
sonders nahe  verbunden;  Erysichthon  der  Kekropide  sollte  die  Feier 
eingesetzt  haben,  und  wie  schon  Polykrates  und  Peisistratos  (I,  353. 
590)  ihre  Seeherrschaftspläne  an  Delos  angeknüpft  hatten,  so  wurde 
es  jelzt  der  Mittelpunkt  einer  neuen  Eidgenossenschaft,  deren  Ver- 
treter hier  um  die  Zeit  des  alten  Bundesfestes  (wahrscheinlich  An- 
fang Mai)  zusammenkamen.  Das  alte  Volksfest  sollte  in  neuem  Glänze 
aufleben;  darum  begünstigte  auch  die  dortige  Priesterschaft  das 
Beginnen  der  Athener,  und  die  Propheten  des  delischen  Apollon  ver- 
kündeten ihnen  die  Seeherrschaft5*). 

Abwehr  der  Perser  und  dauernde  Sicherung  des  griechischen 
Meers  war  der  von  Allen  anerkannte  Zweck,  zu  dessen  Erreichung 
man  einer  Kriegsmacht  mit  einheitlicher  Leitung  bedurfte.  Die  dazu 
geschlossene  Verbindung  hatte  also  mit  der  peloponnesischen  Kriegs- 
einrichtung am  meisten  Uebereinslimmung;  denn  auch  diese  war 


Digitized  by  Google 


IM  AK<;niPELA(;LS. 


119 


ein  Waffenbündniss  zu  gemeinsamem  Schutz  und  Trutz  und  eine 
gegen  das  Ausland  gerichtete,  nationale  Stiftung,  wie  der  Name 
Hellenion  zeigt,  den  der  Platz  in  Sparta  trug,  wo  sich  das  Bundes- 
heer sammelte.  Wie  es  Sparta  im  Peloponnes  gemacht  hatte,  so 
musste  hier  von  Seilen  der  Athener  durch  Verträge  ein  gemeinsames 
Kriegswesen  geschaffen  werden.  Die  Uebertragung  solcher  Ein- 
richtungen auf  die  See  war  aber  etwas  durchaus  Neues;  denn  was 
die  Korinther  als  Seemacht  geschaffen  hatten,  beruhte  wesentlich  auf 
dem  Rechte  der  Mutterstadt  den  Colonien  gegenüber;  ein  Prinzip, 
welches  hier  nicht  angewendet  werden  konnte,  so  sehr  man  auch 
iwiliasen  war,  Athen  als  Mutterstadt  loniens  darzustellen. 

Bei  einem  Waffenbündniss  zur  See  hatte  die  Geldfrage  eine  ganz 
andere  Bedeutung  als  bei  continentalen  Waffengemeinschaflen.  liier 
war  Aristeides  .  an  seinem  Platze,  um  die  Abgeordneten  der  Städte 
zu  überzeugen,  wie  nolhwendig  es  sei,  die  Beiträge  nach  festen 
Sätzen  zu  regeln,  weil  man  ohne  Schatz  und  festes  Budget  eine 
kamptfertige  Flotte  nicht  unterhalten  könne.  Er  selbst  wurde  be- 
auftragt, die  Hülfsmittel  der  einzelnen  Staaten  genau  zu  untersuchen 
und  darnach  die  Bundesmalrikel  aufzustellen.  Die  Bundesstaaten 
übernahmen  die  Verpflichtung  regelmäfsiger  Beisteuer,  und  sie  fanden 
sich  um  so  eher  darin,  da  sie  auch  zum  Schulze  des  Handels  gegen 
Seeräuberei  die  Nothwendigkeit  einer  stehenden  Seemacht  anerkennen 
mussten.  Auch  waren  ihnen  ja  solche  Abgaben  nichts  Neues;  denn 
die  Spartaner  halten  während  ihrer  kurzen  Hegemonie  zur  See  nach 
Willkür  Steuern  von  ihnen  erhoben,  und  vorher  der  Grofskönig  nach 
der  Schätzung,  welche  Artaphernes  als  Satrap  von  Sardes  angeordnet 
hatte.  Es  waren  im  Grunde  nichts  als  Beiträge  zur  Kriegskasse, 
wie  sie  Sparta  ja  auch  von  den  Peloponnesiern  forderte;  nur  dass 
sie  regelmässig  gezahlt  werden  mussten,  weil  es  sich  nicht  um  ein- 
zelne Aufgebote  sondern  um  ein  stehendes  Heer  handelte;  es  waren 
endlich  von  den  Gemeinden  selbst  bewilligte  Beiträge,  deren  Ver- 
wendung von  den  gemeinsamen  Beschlüssen  der  Bundesmitglieder 
abhängig  war. 

Eine  eigentliche  Besteuerung  aber  traf  nur  die  kleineren  Städte, 
welche  keine  eigenen  Kriegsschiffe  hatten  noch  haben  wollten;  ihre 
Beiträge  waren  bestimmt,  eine  ihrer  gesamten  Volkszahl  entsprechende 
Anzahl  von  Schiffen  zu  unterhalten.  Die  gröfseren  Städte  dagegen 
gaben  keine  Geldbeiträge,  sondern  verpflichteten  sich  selbst  an  Maun- 


Digitized  by  Google 


120 


DIE  ANFÄNGE  DES 


Schaft  und  Schiffen  zu  stellen,  was  ihnen  nach  dem  Ansalze  des 
Aristeides  zukam,  welcher  sich  zu  allgemeiner  Befriedigung  seiner 
schwierigen  Aufgabe  entledigte.  Das  waren  die  Anfange  des  attischen 
Seebundes,  dessen  friedliche  und  feste  Begründung  das  Verdienst 
des  Aristeides  war.  Die  fortschreitende  Ausdehnung  des  Bundes 
können  wir  nicht  verfolgen;  denn  wir  kennen  ihn  erst  von  dem 
Zustande  an,  da  er  eine  gewisse  Abrundung  und  dauerhafte  Ver- 
fassung erlangt  hatte,  da  durch  Kimons  Siege  aufs  er  den  Inseln  auch 
die  Küstenstädte  Kleinasiens  so  wie  die  thrakischen  Inseln  und  Städte 
sich  angeschlossen  hatten.  Denn  dieser  Zeit  gehört  die  Summe  an, 
welche  uns  zuerst  als  Gesamtbetrag  der  jährlichen  Zahlungen  über- 
liefert wird,  die  Summe  von  460  Talenten  (690,000  Th.).  Die 
Bundeskasse  war  im  Heiligthum  des  Apollon  in  Delos  und  ihre  Ver- 
waltung war  das  Amt  der  Hellenotamien.  Der  Name  bezeichnet  den 
amphiklyonischen  Charakter  des  Bundes,  der  eine  nationalhellenische 
Macht  sein  sollte;  den  Athenern  aber  wurde  das  wichtige  Recht 
zuerkannt,  aus  ihrer  Mitte  das  Amt  zu  besetzen.  Die  Erweiterung 
des  Bundes  ging  aber  nicht  blofs  von  Athen  aus,  sondern  auch  die 
älteren  Beziehungen,  die  zwischen  den  Seestädten  bestanden,  erwiesen 
sich  wirksam,  um  entlegenere  und  anfangs  widerstrebende  Städte 
heranzuziehen.  So  leistete  namentlich  Chios  gute  Dienste,  indem 
es  z.  B.  um  die  Zeit  der  Schlacht  am  Eurymedon  die  Vermitlelung 
übernahm,  um  Phaseiis  in  Pamphylien  für  den  Bund  zu  gewinnen. 
Es  gab  auch  Gruppen  kleinerer  Gemeinden,  welche  ihre  frühere  Ver- 
bindung aufrecht  erhielten  und  demgemäfs  gemeinsame  Beiträge 
zahlten  und  zusammen  eine  Stimme  führten.  Im  Allgemeinen  aber 
galt  der  Grundsatz,  dass  alle  Staaten  ihre  Selbständigkeit  behielten, 
wie  sie  sie  zuvor  gehabt  hatten,  und  ihren  Vertreter  zu  den  regel- 
mäfsig  wiederkehrenden  Versammlungen  schickten,  wo  dieselben 
einen  Bundesrath  bildeten,  der  über  Kriegführung,  Geldverwendung 
und  alle  gemeinsamen  Angelegenheiten  zu  beschliefsen  hatte.  Seinen 
Sitz  hatte  er  im  Heiligthum  des  Apollon,  wo  zu  der  grofsen  Frühlings- 
leier sich  die  Festgenossen  von  nah  und  fern  versammelten 
(I,  491)Ä0). 

Die  Versammlungen  der  Abgeordnelen  waren  aber  bei  der  Aus- 
dehnung, welche  die  Bundesgenossenschafl  gewann,  so  grofe  und 
zugleich  in  ihren  Interessen  und  Anschauungen  so  getheilt,  dass  sie 
zu  einem  einmülhigen  Handeln  völlig  ungeschickt  wareu.   Dazu  kam, 


Digitized  by  Google 


l>ELli>CUE>  SEEBUM>ES. 


121 


dass  seit  ältester  Zeit  zwischen  den  Inseln  und  Küslenstadten  in 
Folge  der  Verschiedenheit  ihrer  Abstammung  und  wegeu  der  sich 
kreuzenden  Handelsinteressen  vielfache  Eifersucht  und  Zwietracht 
herrscliten.  Um  so  gröfser  war  der  Beruf  und  um  so  bedeutender 
der  Einfluss  Athens,  welches  an  Macht,  wie  an  politischem  Blicke 
Allen  überlegen,  das  Direclorium  des  Bundes  führte,  die  Versamm- 
lungen berief  und  leitete,  die  Beiträge  einforderte,  die  Kasse  ver- 
waltete, die  gemeinsamen  Interessen  nach  innen  und  aufsen  wahr- 
nahm,  die  Feldherrn  stellte  und  alle  kriegerischen  Unternehmungen 
wesentlich  bestimmte.  Die  Macht  der  Athener  wurde  ohne  ihr 
Zuluuu  durch  die  Bundesorle  selbst  gesteigert,  indem  diese,  als  sie 
die  nächste  Gefahr  beseitigt  und  die  Sicherheit  des  Meers  wieder 
hergestellt  sahen,  der  kriegerischen  Anstrengungen  überdrüssig  wur- 
den. Daher  wurde  die  Zahl  der  Städte  immer  gröfser,  welche  es 
vorzogen,  sich  durch  Geld  abzufinden,  um  in  behaglicher  Ruhe 
Handel,  Landbau  und  Fischerei  zu  treiben,  und  so  geschah  es, 
dass  sie  auf  ihre  Kosten  die  Wehrkraft  Athens  immer  mehr  ver- 

Sparta  und  der  Peloponnes  waren  an  diesem  Aufbau  einer 
neuen  hellenischen  Macht  ganz  unbetheiligt;  sie  blickten  nur  mit 
Haas  und  Scheelsucht  auf  Athen,  welches  so  schnell  und  glücklich 
das  grobe  Werk  vollbrachte,  die  neue  Vereinigung  der  Hellenen  an 
beiden  Küsten,  welche  den  natürlichen  Verhältnissen  zuwider  aus 
einander  gerissen  waren*1). 


Während  in  Delos  diese  wichtigen  Einrichtungen  getroffen  wur- 
den, lagen  sich  im  Norden  des  Meers  die  Streitkräfte  der  Perser 
und  Griechen  feindüch  gegenüber.  Denn  der  neue  Seebund  halte 
keine  dringendere  Aufgabe,  als  die  Perser  aus  den  festen  Stellungen, 
welche  sie  noch  in  Europa  inne  hatten,  zu  verlreiben  und  dadurch 
das  Meer  frei  zu  machen.  Byzanz,  die  Schlüsselburg  der  nördlichen 
Seesüraisen ,  blieb  das  Hauptquartier  der  griechischen  Schiffe  und 
ein  steter  Zielpunkt  der  Perser.  Denn  diese  hatten  ihre  diesseitigen 
Besitzungen  nichts  weniger  als  aufgegeben;  sie  hatten  eine  Reihe 
toD  Garnisonen  um  den  Hellespont  herum,  es  war  für  sie  ein  Ehren- 
l'unkt,  die  Eroberungen  des  Dareios  nicht  preiszugeben.  Darum 
waren  auch  die  beiden  tapfersten  Männer,  welche  Xerxes  kannte, 


Digitized  by  Google 


122 


I'EKSISCHK  BESITZUNGEN   IN  THIUKIKN 


beauftragt,  die  thrakischen  Besitzungen  zu  bäten,  Maskames  in 
Doriskos  und  Boges  in  Eion.  Sie  standen  mit  den  Thrakern  in  Ver- 
bindung, welche  ihnen  Getreide  zuführten;  sie  konnten  auch  auf 
Makedonien  rechnen;  denn  die  Ausbreitung  der  neuen  griechischen 
Seemacht  in  den  nördlichen  Gewässern  und  der  Anschluss  der  chalki- 
dischen  Städte  an  den  delischen  Seebund  konnte  den  Fürsten  des 
Nordens  nicht  gleichgültig  sein.  Man  war  also  persischer  Seits 
beflissen,  die  Verbindungen  mit  den  alten  Bundesgenossen  in  Make- 
donien und  Thessalien  zu  unterhalten  und  hoffte  immer  noch,  unter 
günstigeren  Verhältnissen  auf  dem  europäischen  Festlande  wieder  vor- 
gehen zu  können. 

Auch  andere  Veranlassungen  traten  ein,  um  die  Thätigkeit  der 
Athener  nach  den  nördlichen  Meeren  zu  richten.  Denn  es  hatten 
sich  auf  den  Inseln,  die  das  thrakische  Meer  im  Süden  begränzen, 
namentlich  auf  Skyros,  pelasgische  Stämme  von  rohen  Sitten  er- 
halten, welche  das  Meer  durch  Freibeuterei  unsicher  machten  und 
den  Handel  an  den  thessalischen  Küsten  störten.  Die  Ampbiklyonen 
in  Delphi  hatten  für  einen  an  thessalischen  KaufTahrern  verübten 
Seeraub  Schadenersatz  verlangt;  die  Skyrier  verweigerten  ihn,  indem 
sie  der  Ohnmacht  des  delphischen  Bundestags  spotteten.  Nun  suchte 
man  Athen  zu  veranlassen,  in  dieser  Sache  einzuschreiten.  Es  kam 
ein  delphischer  Spruch  nach  Athen,  mau  solle  der  Gebeine  des  Theseus 
gedenken,  welche  im  fernen  Skyros  ruhten,  und  die  heiligen  Reliquien 
heimführen.  Dies  war  ein  Grund  mehr,  nachdem  die  nächsten  Gebiete 
der  Bundesgenossenschaft  gesichert  waren,  die  ersten  gröfseren  Unter- 
nehmungen nach  Norden  zu  richten,  wo  man  mit  richtigem  Takte 
den  wichtigsten  Schauplatz  kriegerischer  und  kolonisirender  Thätigkeit 
erkannte 62). 

An  dem  rechten  Führer  fehlte  es  nicht.  Die  Athener  fanden 
ihn  in  Kimon,  dem  Sohne  des  Milliades,  dessen  Feldherrngabe  und 
patriotische  Gesinnung  ihnen  von  Aristeides  auf  das  Wärmste  empfohlen 
wurde.  Der  erste  Unwille  gegen  den  Helden  von  Marathon  hatte  einer 
unbefangeneren  Würdigung  seiner  Verdienste  Platz  gemacht,  und  um 
so  mehr  freute  man  sich,  in  seinem  Sohne  den  Mann  zu  erkennen,  der 
zum  Heile  der  Stadt  berufen  war,  den  Ruhm  des  alten  Stammes  der 
Philaiden  zu  erneuern. 

Als  der  Sohn  eines  reichen  Fürsten  und  einer  thrakischen  Fürsten- 
tochter, der  Hegesipyle,  war  er  in  Ueppigkeit  sorglos  aufgewachsen, 


Digitized  by  Google 


K1M0.N   ALS  BUNbESFELPHEKK. 


123 


nach  der  Weise  seiner  Vorfahren  ritterlichen  Uebungen  ergeben,  leicht- 
fertig und  vergnügungssüchtig  in  den  Tag  hineinlebend;  dann  hatte  er, 
durch  das  Ende  des  Vaters  von  der  Höhe  des  Glücks  heruntergestürzt, 
den  Ernst  des  Lebens  im  vollsten  Mafse  kennen  gelernt.  Aufser 
Stande,  die  Bufse  zu  zahlen,  zu  welcher  der  Vater  verurteilt  war, 
musste  er  sich  nach  der  Strenge  der  altischen  Schuldgesetze  behandelt 
sehen;  er  war  von  allen  bürgerlichen  Hechten  ausgeschlossen  und,  da 
er  mit  seiner  Person  für  die  Schuld  haftete,  vielleicht  selbst  seiner 
Freiheit  eine  Zeit  lang  beraubt.  In  stillster  Zurückgezogenheit  lebte  er 
mit  seiner  Halbsch wester  Elpinike  zusammen,  wie  es  heifst,  in  ehe- 
licher Verbiudung,  was  nach  den  Ansichten  der  Alten  nicht  unerlaubt 
war  und  in  diesem  Falle  auch  darin  seine  Erklärung  findet,  dass 
der  drückenden  Armulh  wegen  Elpinike  keine  Gelegenheit  zu  einer 
standesgemäfsen  Verbindung  hatte. 

Da  grifT  eine  seltsame  Fügung  in  das  Leben  der  Geschwister  ein. 
Einer  der  reichsten  Bürger  Athens,  Kallias,  fassle  eine  leidenschaftliche 
Liebe  zu  Elpinike.  Er  erhielt  ihre  Hand,  er  zahlte  die  50  Talente  und 
befreite  den  Sohn  des  Miltiades  nicht  nur  aus  Notli  und  Unehre, 
sondern  gab  ihn  dadurch  noch  der  Vaterstadt  zurück,  deren  Dienste  er 
sieb  nun  mit  voller  Hingebung  widmete. 

Die  schwere  Schule  des  Lebens  hatte  ihn  gereift  und  veredelt. 
Darum  zeigte  er  keine  persönliche  Empfindlichkeit  oder  unedle  Rach- 
begierde; auch  von  den  einseitigen  Traditionen  seines  Hauses,  das  in 
die  Zucht  von  Rennpferden  seinen  Stolz  gesetzt  hatte,  wussle  er  sich 
frei  zu  machen.  Denn  er  schloss  sich  rückhaltlos  der  Seepolitik  des 
Theraislokles  an ;  ja,  in  einer  Zeit,  als  die  Bürgerschaft  noch  schwankte 
ood  die  edlen  Geschlechter  sich  spröde  zeigten,  sah  man  ihn  auf  die 
Akropolis  steigen,  um  der  Stadtgöttin  einen  Pferdezaum  zu  weihen, 
und  daun  mit  dem  Schilde  zum  Hafen  hinabgehen,  um  seinerseits  ein 
Zeugniss  dafür  abzulegen,  dass  er  die  Zeit  verstehe  und  nicht  in  den 
Rossen,  sondern  in  den  Schiffen  die  Kraft  und  die  Zukunft  Athens 
erkenne.  Bald  bewährte  er  sich  auf  der  Flotte  neben  Aristeides  als 
einen  geborenen  Feldherrn;  er  trug  wesentlich  dazu  bei,  dass  der 
lebergang  der  Seeführung  an  Athen  sich  so  leicht  und  glücklich  voll- 
zog, und  es  war  also  eine  wohlverdiente  Anerkennung,  dass  man  die 
ersten  gröTseren  Unternehmungen  der  attisch  -  ionischen  Flotte  ihm 
anvertraute"). 

Der  Sohn  des  Miltiades  schien  gerade  für  diesen  Kriegsschauplatz 


Digitized  by  Google 


121 


BYZAISZ  l\\D  EIO.N  (77,  3-4;  470-65). 


vorzugsweise  berufen  zu  sein,  nämlich  auf  den  thrakischen  Küsten  und 
Inseln,  wie  sein  Vater  gethan  halte,  mit  Persern  und  wilden  Thraker- 
stämmen zu  kämpfen.  Jetzt  galt  es,  der  neu  geschaffenen  Seemacht 
die  Wasserstraße  nach  dem  Pontos  zu  öffnen  und  die  den  Norden  des 
Inselmeers  beherrschenden  Plätze  in  die  Bundesgenossenschaft  herein- 
zuziehen. Darum  wurde  vor  Allem  Byzauz,  wo  Pausanias  sich  wieder 
eingenistet  hatte  und  eine  sehr  verdächtige  Holle  spielte,  belagert  und 
genommen.  Dann  giug  es  nach  dem  Hellespont,  an  dem  die  Perser 
zähe  festhielten,  um  sich  den  Uebergang  nach  Europa  frei  zu  halten. 
Darum  hatten  sie  ihre  tapfersten  Feldherrn  als  Vögte  in  die  Küsten- 
plätze gesetzt  und  boten  die  thrakischen  Stämme  auf,  ihnen  Beistand 
zu  leisten.  Anfangs  verachteten  sie  das  kleine  Geschwader,  aber  bald 
sahen  sie  zu  ihrem  Schrecken,  wie  dasselbe  unter  Kimons  Führung 
nach  einem  wohl  überlegten  Plane  mit  aller  Energie  voranging;  sie 
sahen  sich  bald  im  Kücken  abgeschnitten,  in  allen  wichtigen  Stellungen 
angegriffen  und  überall  mussten  sie  weichen  ;  nur  Doriskos,  die  Küsten- 
sladt  westlich  vom  Hebros  (Maritza),  blieb  unbezwungen  durch  den 
Ueldenmuth  des  persischen  Befehlshabers  Maskames,  welchen  der 
Grofskönig  als  den  Tapfersten  seiner  Tapfern  ehrte. 

Zuletzt  wurde  um  Eion  gekämpft,  den  mächtigsten  und  besonders 
festen  Platz  an  der  Mündung  des  Slrymon.  Der  Schwierigkeit  seiner 
Aufgabe  wohl  bewusst,  hatte  Kimon  mit  Thessalien,  wo  die  nationale 
Partei  sich  wieder  freier  regte,  Verbindungen  angeknüpft;  er  wurde 
von  Pharsalos  aus  mit  Geld  und  Truppen  unterstützt  und  war  so  im 
Stande  Eion  einzuschliefsen.  Aber  die  Mauern  wurden  unter  Boges' 
Oberbefehl  auf  das  Tapferste  verlheidigt.  Er  musste  den  Sturm 
aufgeben  und  warten,  bis  die  Vorrälhe  der  vollgedrängten  Feste  aus- 
gehen würden.  Zugleich  dämmte  er  den  unteren  Lauf  des  Slrymon 
ab,  so  dass  das  Wasser  an  den  Mauern  emporstieg  und  die  unge- 
brannten Lehmsteine  aufgeweicht  wurden.  Als  Boges  die  Mauern 
stürzen  sah,  versenkte  er  seine  Schätze  und  tödtete  endlich  die 
Seinigen  und  sich  selbst.  Ein  wüster  Trümmerhaufen  fiel  den 
Athenern  in  die  Hände  (Ol.  77,  3  oder  4;  470/69). 

Durch  diesen  Feldzug  wurde  ein  ganz  neues  Küstengebiel  dem 
Bunde  gewonnen;  eine  Beihe  von  thrakischen  Seestädten,  wie 
Akanthos,  Olynthos,  Stagiros,  vielleicht  auch  Potidaia,  traten  dem 
Bunde  bei.  Eion  wurde  colonisirt.  Die  Beute  des  thrakischen  Feld- 
zugs kam  in  Cbios  zur  Vertbeilung,  und  die  Athener  machten  einen 


Digitized  by  Google 


SKYROS  (T7,  S-4;  470-69). 


125 


grofcen  Gewinn  aus  dem  Lösegeld,  das  die  vornehmen  Perser  für 
ihre  gefangenen  Anverwandten  zahlten64). 

Eine  leichtere  Aufgabe  war  die  Züchtigung  der  Skyrier,  welche 
sich  unmittelbar  an  den  strymonischen  Feldzug  anschloss.  Sie  war 
ihm  besonders  willkommen;  denn  nichts  konnte  den  Neigungen 
kimons  mehr  entsprechen,  als  hier  das  gesamthellenische  Interesse 
zu  vertreten  und  der  jungen  Flotte  den  Ruhm  zuzueignen,  im 
griechischen  Meere  Ordnung  zu  schaffen.  Er  erwies  sich  zugleich 
seinen  tbessalischen  Bundesgenossen  dankbar,  indem  er  ihre  Küsten 
sicherte,  und  verschaffte  Athen  eine  wesentliche  Erweiterung  seiner 
Nacht  Denn  die  Insel  wurde  attisches  Land,  und  attische  Burger 
wurden  auf  dem  Grund  und  Boden  angesiedelt,  auf  dem  die  Doloper 
gehaust  hatten.  Endlich  erhielt  diese  Kriegsthat  Kimons  dadurch 
eine  besondere  Weihe,  dass  des  Theseus  Grab,  dessen  Platz  als  ein 
schützendes  Heroenmal  vermutlich  geheim  gehalten  wurde,  glucklich 
ausfindig  gemacht  und  seine  Gebeine  Ol.  77,  4  (469)  unter  dem 
Arthon  Apsephion  feierlich  nach  Athen  gebracht  wurden.  Die  ganze 
Aufgabe  aber,  welche  Kimon  so  glücklich  löste,  kam  ihm  in  jeder 
Beziehung  so  erwünscht,  dass  die  Vermuthung  nahe  liegt,  es  sei  die 
doppelte  Veranlassung,  die  zu  gelegenster  Zeit  eintrat,  nämlich  das 
«irlphische  Orakel  und  die  Klage  der  Thessalier,  durch  gemeinsame 
Verabredung  herbeigeführt,  und  dann  werden  wir  in  Kimon  nicht 
nur  den  thatkräfligen  Feldherrn,  sondern  auch  den  klug  vor- 
schauenden  und  durch  seine  Verbindungen  weithin  wirksamen  Staats- 
mann anerkennen  müssen. 

Das  waren  die  ersten  Unternehmungen,  in  denen  der  delische 
Seebund  sich  als  eine  Macht  bewährte,  welche  schon  jetzt  im  Stande 
fei,  den  in  lauter  Einzelstaaten  zersplitterten  Archipelagus  zu  einigen 
and  zu  beherrschen.  Die  ganze  Fülle  ionischer  Volkskraft  war  zum 
ersten  Male  unter  einer  thatkräfligen  Leitung  zu  grofsen  und  klar 
erkannten  Zwecken  verbunden.  Was  konnte  einer  Flotte  widerstehen, 
welche  das  beste  Seevolk  der  Welt  vereinigte? 

Eine  Beihe  von  Jahren  blieben  die  Verhältnisse  günstig,  so 
lange  die  gemeinsame  Gefahr  dauerte  und  auf  der  einen  Seite  Gunst 
und  Vertrauen,  auf  der  anderen  weise  Schonung  vorwalteten.  In- 
dessen traten  sehr  früh  auch  die  Schwächen  der  Eidgenossenschaft 
zo  Tage.  Sie  lagen  in  der  Unzuverlässigkeit  des  ionischen  Charakters; 
man  spürte  die  Unlust  der  Insulaner,  sich  in  gemeinsame  Ordnungen 


Digitized  by  Google 


126 


UNTERWERFUNG  VON  NAXOS  (7*,  2;  46T). 


zu  fugen,  und  diese  angeborene  Unlust  wurde  natürlich  sehr  gesteigert, 
als  man  inne  wurde,  dass  es  mit  der  Selbständigkeit  der  einzelnen 
Bundesglieder  nicht  so  beschaffen  sei,  wie  man  es  sich  vorgestellt 
hatte.  Athen  konnte  nicht  anders,  als  mit  voller  Strenge  auf  die 
Erfüllung  der  Bundespflichten  achten,  und  da  nun  die  Vorlheile  der 
Verbindung  ganz  den  Athenern  zufielen,  da  sie  sich  mit  der  Bundes- 
flotte  Inseln  und  Küstenstriche  eroberten,  so  erweckte  dies  Miss- 
slimmung  und  Misstrauen  unter  den  Bundesgenossen,  welche  sich 
zu  Werkzeugen  attischer  Machtvergröfserung  herabgewürdigt  sahen. 

So  mussle  die  Flotte,  ehe  noch  die  ersten  zehn  Jahre  seit 
Anfang  der  attischen  Hegemonie  verlaufen  waren,  schon  dazu  ver- 
wandt werden,  abtrünnige  Studie  zur  Pflicht  zurückzuführen,  oder 
solche  Städte,  welche  sich  spröde  zurückhielten,  mit  Gewalt  für  den 
Bund  zu  gewinnen,  in  dessen  Seegebiet  sie  lagen.  So  scheint  es  mit 
Karystos  an  der  Südspitze  von  Euboia  gewesen  zu  sein,  das  auch 
ohne  Unterstützung  der  anderen  Inselstädte  einen  nachhaltigen  Wider- 
stand leistete  und  dann  auf  dem  Wege  des  Vertrages  dem  Seebunde 
beitrat.  Das  erste  Beispiel  einer  Auflehnung  gegen  den  Vorort  des 
Bundes  gab  aber  das  mächtige  Naxos,  dessen  Trotz  erst  durch  eine 
längere  Belagerung  gebrochen  werden  konnte. 

Mit  heimlicher  Freude  sahen  einerseits  die  Perser,  andererseits 
die  Spartaner,  wie  schnell  sich  die  Kräfte  des  neuen  Bundes  in 
inneren  Fehden  aufrieben.  Aber  die  nächste  Folge  dieser  Fehden 
war  doch  keine  andere,  als  eine  neue  Vermehrung  der  attischen 
Macht.  Denn  jetzt  wurde  zum  ersten  Male  eine  bundesgenössische 
Stadt  aus  der  Beihe  der  selbständigen  Inselstaaten  ausgestofsen,  es 
wurde  von  Bundes  wegen  erkannt,  dass  die  Naxier  durch  Auflehnung 
gegen  die  Bundesordnung  ihre  Rechte  verwirkt  hätten;  sie  wurden 
aus  Mitgliedern  zu  Unlerthanen  des  Bundes  und  als  solche  einer 
härteren  Besteuerung  und  einer  strengeren  Beaufsichtigung  des  Vor- 
orts unterworfen.  So  gewann  Athen  in  der  Milte  des  Kykladenmeers 
eine  mächtigere  Stellung  und  hielt  durch  Furcht  und  Schrecken  die 
Eidgenossenschaft  zusammen**0). 


Während  die  Flotte  vor  Naxos  lag,  kreuzte  ein  Schür  auf  der 
Höhe  der  Insel.  Man  sah,  wie  es  sich  trotz  des  heftigen  Nordwindes 
ängstlich  von  den  atiischen  Schiffen  fern  hielt  und  den  Hafen  ver- 


Digitized  by  Google 


TIMOKREO.N   UM»  THEMISTOKLES. 


127 


mied.  Das  Schiff  trug  den  Sieger  von  Salamis,  der  als  Landes- 
verrätner  geächtet,  von  Sparta  und  Athen  verfolgt,  auf  der  Flucht 
nach  Persien  begriffen  war. 

In  dem  Jahre  nach  der  Schlacht  von  Plataiai  verschwinden  die 
Spuren  von  Themistokles'  öffentlicher  Wirksamkeit.  Er  hatte  wohl 
Recht,  wenn  er  sich  einem  Baume  verglich,  unter  dessen  Schutz 
beim  Unwetter  Alles  flüchte,  der  aber  missachtet  und  jeder  Be- 
schädigung preisgegeben  werde,  sobald  das  Unwetter  glücklich  vor- 
übergegangen sei.  Indessen  lag  die  Hauptschuld  in  ihm  selbst.  Er 
war  seiner  Natur  nach  eine  Persönlichkeit,  die  bald  unentbehrlich 
war,  bald  unbrauchbar,  ja  unerträglich;  wunderbar  begabt,  um  in 
schweren  Nothständen  das  Vaterland  zu  retten,  aber  durchaus  un- 
geeignet, um  die  gerettete  Stadt  in  ruhigeren  Verhältnissen  fortzu- 
legen. Dazu  fehlte  ihm  der  Sinn  für  gesetzliche  Ordnung,  die 
Achtung  vor  den  Rechten  Anderer,  die  Fügsamkeit  widersprechenden 
Ansichten  gegenüber  und  die  Reinheit  des  Charakters,  welche  allein 
im  Stande  war,  ein  allgemeines  und  dauerndes  Vertrauen  zu  er- 
wecken. 

Die  Niederlage  der  Perser  hatte  die  ganze  Inselwelt  in  fieber- 
hafte Aufregung  versetzt;  man  erwartete  einen  plötzlichen  und  all- 
gemeinen Umschwung,  und  da  in  allen  Seestädten  den  Perserfreunden 
eine  nationale  Partei  gegenübergestanden  hatte,  so  hofften  nun  alle 
diejenigen,  welche  ihrer  hellenischen  Sympathien  wegen  von  der 
Gegenpartei  vertrieben  worden  waren,  alsbald  heimkehren  und  an 
ihren  Gegnern  Rache  nehmen  zu  können.  Themistokles  war  in  den 
Augen  des  Volks  der  Allmächtige  und  wurde  für  Alles,  was  geschah 
und  was  nicht  geschah,  verantwortlich  gemacht;  gegen  seine  Person 
richteten  sich  alle  Anklagen,  wegen  Parteilichkeit,  Bestechlichkeit 
und  aller  Ungebühr,  welche  bei  dem  ersten  Auftreten  der  Bundes- 
flotte  im  Inselmeer  vorgekommen  sein  sollte. 

Unter  Allen,  die  sich  in  Themistokles  getäuscht  sahen,  war 
Timokreon  aus  Rhodos  der  Erbittertste.  Er  war  ein  bekannter  Athlet 
und  ein  Dichter;  als  Gesinnungsgenosse  und  Gaslfreund  des  Themisto- 
kles hatte  er  von  ihm  die  Rückführung  in  seine  Vaterstadt  erwartet. 
Der  Zug  nach  Rhodos  unterblieb,  und  nun  wurde  er  nicht  müde, 
Hohn  und  Schmach  aller  Art  auf  Themistokles  zu  häufen.  Er  ver- 
spottete die  schlechte  Bewirlhung,  welche  der  knausernde  Feldherr 
bei  dem  von  ihm  veranstalteten  Siegesfeste  auf  dem  Isthmos  seinen 


Digitized  by  Google 


128 


TIMOKREON  OD  THEMISTOKLES. 


Gästen  habe  zu  Theil  werden  lassen,  und  nachdem  der  neue  See- 
bund seine  gesetzliche  Ordnung  erhalten  hatte,  stellte  er  die  ver- 
schiedenen Feldherrn  und  Staatsmänner,  welche  in  der  Inselwelt 
nach  einander  aufgetreten  waren,  also  zusammen:  'Anderen  mag 
'Pausanias,  Anderen  Xanthippos,  Anderen  Leotychides  behagen.  Ich 
'preise  Aristeides  als  den  besten  Mann,  der  von  dem  heiligen  Athen 
'ausgegangen  ist;  denn  Themistokles  ist  den  Göttern  verhasst,  der 
'Lügner,  der  Ungerechte  und  Verräther,  welcher  um  schmutzigen 
'Geldes  willen  seinen  Gastfreund  Timokreon  nicht  heimgeführt  hat 
'in  seine  Vaterstadt  Ialysos.  Mit  drei  Silbertalentcn  ist  der  Schurke 
'davon  gegangen,  wider  Recht  die  Einen  heimführend,  die  Anderen 
'austreibend;  noch  Andere  bracht'  er  unTs  Leben.1 

Die  Wahrheit  solcher  Schmähverse  können  wir  nicht  controliren ; 
wir  wissen  nicht,  was  Themistokles  etwa  in  Ueberschätzung  seines 
Einflusses  dem  Emigranten  versprochen  hat,  wir  können  aber  wohl 
ermessen,  dass  um  die  Zeit,  da  die  Bundesflotte  vor  Andros  lag  und 
selbst  diese  Insel  nicht  zwingen  konnte  (S.  81  f.),  alle  weiteren  Kriegs- 
pläne, wie  z.  B.  eine  Intervention  in  Ialysos  als  abenteuerlich  zurück- 
gewiesen wurden,  ohne  dass  Themistokles  sich  des  Wortbruchs  gegen 
seinen  Gastfreund  schuldig  machte.  Auch  ist  nicht  zu  verkennen, 
dass  damals  und  später,  als  es  Mode  wurde,  den  Gegensatz  der  beiden 
Staatsmänner  in  grellen  Farben  auszumalen,  mancherlei  zu  Ungunst 
des  Themistokles  übertrieben  oder  auch  erlogen  worden.  Aber  das 
ist  gewiss,  dass  er  von  Rücksichten  nach  keiner  Seite  etwas  wissen 
wollte,  dass  ihm  das  behutsame  Verfahren,  das  leise  und  schonende 
Auftreten  des  Aristeides  zuwider  war.  Er  wollte  ohne  Verzug  Athens 
Allgewalt  zur  See  hergestellt  sehen,  und  zu  diesem  Zwecke  war  ihm 
jedes  Mittel  recht.  Sagte  man  ihm  doch  sogar  nach,  er  habe  einen  Plan 
ausgesonnen,  um  die  Schiffe  der  Peloponnesier,  wie  sie  gerade  im 
pagasäischen  Golfe  beisammen  lagen,  zu  verbrennen.  Auch  mag  er 
wohl  den  Wunsch  gehabt  haben,  dass  keine  andere  Seemacht  vor- 
handen sei,  als  die  von  ihm  geschaffene;  ihr  allein  sollte  das  Meer 
gehorchen. 

Auch  auf  dem  Festlande  wollte  er  nichts  von  beschrankenden 
Rundesformen  wissen.  Als  daher  die  Spartaner  mit  Bezug  auf  die 
isthmischen  Beschlüsse  den  Vorschlag  machten,  den  alten  Amphi- 
ktyonenrath  in  Delphi  neu  zu  organisiren,  und  zwar  in  der  Weise, 
dass  alle  Staaten,  die  am  Perserkriege  sich  nicht  betheiligt  hätten, 


Digitized  by  Google 


DIE  STELLL.NG   DES  THEMISTOKLES. 


121) 


ausgeschlossen  würden,  trat  Themistokles  mit  aller  Kraft  gegen  diesen 
Vorschlag  auf  und  gewiss  mit  gutem  Grunde.  Denn  wenn  Argos 
so  wie  die  mittel-  und  nordgriechischen  Stämme  ihr  Stimmrecht 
verloren  hätten,  so  würde  Sparta,  wie  es  seine  Absicht  war,  mit 
seinen  peloponnesischen  Bundesgenossen  die  unbedingte  Stimmen- 
mehrheit für  sich  gehabt  haben.  Darum  wollte  Themistokles  lieber 
den  alten  Bundestag  in  seiner  schattenhaften  Existenz  fortbestehen 
lassen,  als  dass  derselbe,  neu  eingerichtet,  Athen  in  seiner  freien  Be- 
wegung hemmte  und  hinderte*5). 

Die  Folge  war,  dass  nun  die  Spartaner  unablässig  thätig  waren, 
den  Einfluss  des  Themistokles  zu  untergraben;  und  das  gelang  ihnen 
bei  einer  so  Vielen  anstöfsigen  Persönlichkeit  ohne  zu  grofse  Mühe 
und  wurde  ihnen  dadurch  vornehmlich  erleichtert,  dass  sein  alter 
Gegner  höher,  als  je  zuvor,  in  der  öffentlichen  Achtung  stand.  Denn 
seitdem  Aristeides  sich  durch  sein  Reformgesetz  als  Freund  des 
Volks  bewährt  hatte,  stand  auch  die  liberale  Partei  auf  seiner  Seite, 
während  seine  alten  Gesinnungsgenossen  Gewicht  darauf  legten, 
dass  der  Mann,  der  zu  Hause  das  gröfste  Vertrauen  genoss,  zugleich 
in  Sparta  wohl  angesehen  sei.  Im  Ganzen  aber  hielt  die  Bürger  ein 
richtiger  Takt  zurück,  sich  Themistokles  hinzugeben,  da  seine  Politik 
einen  vorzeitigen  Bruch  mit  Sparta  und  einen  Bundesgenossenkrieg 
hervorgerufen  haben  würde.  Sie  fühlten,  wie  viel  auch  für  einen 
Staat  auf  seinen  Ruf  ankomme,  und  sahen  sich  gern  von  einem 
Manne  geleitet,  dessen  Grundsatz  es  war,  dass  das,  was  gegen  Recht 
und  Sitte  verstofse,  auch  nicht  wahrhaft  nützlich  sein  könne.  So 
wurde  Themistokles  allmählich  zurückgedrängt  und  die  gewaltigste 
Kraft,  die  Athen  besafs,  zur  Unthätigkeit  verurteilt;  er  musste  also 
von  seinem  Ruhme  zehren  und  darauf  bedacht  sein,  wenigstens  seine 
früheren  Thaten  nicht  in  Vergessenheit  kommen  zu  lassen. 

Dazu  fehlte  es  in  Athen  und  aufserhalb  nicht  an  Gelegenheit. 
Als  er  unter  dem  Archontat  des  Adeimantos  im  Namen  seines 
Stammes  den  Festchor  für  die  Dionysosfeier  im  Jahre  476  (75,  4) 
auszurüsten  hatte,  war  es  sein  Freund,  der  Dichter  Phrynichos,  dessen 
Tragödie  er  mit  ausgezeichnetem  Glänze  seinen  Mitbürgern  vorführte. 
Diese  Tragödie  ist  nach  wohlbegründeter  Vermuthung  keine  andere, 
als  die  'Phönizierinnen \  deren  Inhalt  der  Seekrieg  der  Hellenen,  die; 
jammervolle  Heimkehr  des  Xerxes,  also  der  Ruhm  des  Themistokles 
war.   In  einem  der  folgenden  Jahre,  wahrscheinlich  472  (77,  1), 

Omi*»,  Or.  G«$ch.  IL  6.  Aufl.  9 


Digitized  by  Google 


130 


THEMISTOKLES  I*  ATHEN 


besuchte  er  die  olympischen  Spiele,  und  auch  hier  wurde  ihm  die 
Genuglhuung,  dass,  so  wie  seine  Anwesenheit  kund  wurde,  Aller 
Augen  von  den  Wettkämpfen  sich  abwendeten  und  den  Helden  von 
Salamis  suchten.  Aber  auch  hier  trat  er  schroff  und  eigenwillig 
auf.  Ihn  verdross  die  üppige  Pracht,  welche  Hieron,  der  Tyrann  von 
Syrakus,  daselbst  entfaltete,  und  die  Huldigungen,  die  demselben 
dargebracht  wurden.  Er  verlangte  daher  von  den  Behörden,  dass 
sie  das  Zelt  des  Tyrannen  umreifsen  und  seine  Rennpferde  von  den 
Kämpfen  ausschliefsen  sollten,  weil  seine  Dynastie  die  Theilnahme 
an  den  Perserkriegen  verweigert  habe68). 

In  Athen  baute  Themistokles  neben  seinem  Hause  ein  Heilig- 
thum der  Artemis  Aristobule,  d.  i.  der  Göttin  des  'besten  Raths', 
um  auch  durch  eine  religiöse  Stiftung  die  Erinnerung  an  seine  vor- 
schauende Klugheit  bei  den  Bürgern  lebendig  zu  erhalten,  und  in 
dem  Heiligthume  liefs  er  ein  Bildniss  von  sich  aufrichten,  welches 
in  seinen  Mafsen  klein  und  bescheiden  war,  aber  doch  den  Charakter 
eines  Heroenbildes  an  sich  trug.  Diese  Benutzung  gottesdienstlicher 
Stiftungen  für  die  Zwecke  persönlicher  Eitelkeit  verletzte  die  Athener. 
Im  Allgemeinen  aber  wurde  ihnen  sein  ewiges  Selbstrühmen;  all- 
mählich lästig;  es  wurde  um  so  unerträglicher,  je  mehr  die  alten 
Siege  von  neuen  verdunkelt  wurden,  und  der  Widerspruch,  den  es 
hervorrief,  zeigt  sich  in  den  'Persern'  des  Aischylos,  welche  472 
(76,  4)  auf  die  Bühne  kamen  und  selbst  in  der  Schlacht  bei  Salamis 
die  Person  des  Themistokles  zurücktreten  iiefsen.    Die  Schätzung 
seiner  Verdienste  war  zu  einer  Parteifrage  geworden.    Und  gewiss 
würde  man  dem  grofsen  Manne  die  Schwäche  der  Eitelkeit,  die 
Hollart  und  den  Hang  zu  prahlerischer  Ueppigkeit  nachgesehen  und 
ihn  ruhig  in  Athen  gelassen  haben,  wenn  es  ihm  möglich  gewesen 
wäre,  den  vorwiegenden  Einfluss  anderer  Staatsmänner  gelassen  zu 
ertragen,  und  wenn  sein  persönlicher  Einfluss  geringer  gewesen  wäre. 
Aber  er  hatte  einmal  ein  nationales  Ansehen,  wie  kein  Anderer  seiner 
Zeitgenossen,  und  in  Athen  noch  immer  einen  Anhang  unbedingt 
ergebener  Männer.  Darum  arbeitete  er  nicht  erfolglos  der  Politik  des 
Aristeides  entgegen,  veranlasste  immer  neue  Unruhe  und  Gährung, 
gefährdete  durch  seine  Anträge  das  gute  Einvernehmen  mit  Sparta, 
so  dass  endlich,  nicht  ohne  Mitwirken  Spartas,  durch  Kimon,  Alk" 
maion   und  die  Männer  der  kimonischen  Partei  (denn  Aristeides 
selbst  hielt  sich  von  jeder  Beteiligung  fern)  ein  Scherbengericht 


Digitized  by  Google 


PAUSAMAS  WIEDER  IN  BYZANZ. 


Hl 


in  Alben  veranlasst  wurde,  dessen  Ergebniss  war,  dass  Themistokles 
77.  2;  470  in  die  Verbannung  gehen  musste,  und  Kimon  ohne 
Nebenbuhler  an  die  Spitze  der  öffentlichen  Angelegenheiten  trat67). 

Themistokles  ging  nach  Argos,  wo  der  von  spartanischem  Hasse 
Verfolgte  der  besten  Aufnahme  gewärtig  sein  konnte,  um  so  mehr, 
weil  er  ja  noch  neuerlich  den  Ausschluss  der  Argi?er  von  der 
Arophiktyonie  vereitelt  hatte.  Aber  auch  hier  fand  der  unstäte  Geist 
keine  Ruhe.  Sein  Ehrgeiz  war  durch  die  erlittenen  Kränkungen 
nur  gesteigert,  und  er  durstete  darnach,  an  seinen  Feinden,  nament- 
lich an  Sparta,  Hache  zu  nehmen.  Dazu  fehlte  es  nicht  an  Gelegen- 
heit Er  überzeugte  sich  auf  seinen  Reisen  durch  die  Halbinsel,  wie 
viel  GähmngsstofT  überall  vorhanden  war;  er  sah,  wie  sehr  durch 
die  letzten  Ereignisse  das  vorörtliche  Ansehen  Spartas  erschüttert 
war;  er  fand  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  mit  dem  Prozesse  des 
Pausanias  beschäftigt. 

Pausanias  nämlich  hatte  nach  der  Abberufung  von  Byzanz 
(S.  115)  seine  Pläne  keineswegs  aufgegeben.  Es  gelang  ihm  durch 
Schlauheit  und  Bestechung  die  Beweise  seiner  Ankläger  zu  entkräften; 
Termulhlich  stellte  er  seine  Verhandlungen  mit  dem  Grofskönige  als 
Kriegslisten  dar,  wodurch  er  nach  themistokleischer  Art  den  Feind 
habe  verderben  wollen.  Kurz,  nach  langen  Zeugen  verhören  und 
Untersuchungen,  welche  etwa  das  Jahr  474  (76,  %)  ausfüllten,  wurde 
er  von  der  Schuld  des  Hochverraths  freigesprochen.  Man  sieht,  wie 
mächtig  sein  Einfluss,  wie  grofs  sein  Anhang  in  Sparta  war.  Er 
blieb  Vormund  seines  unmündigen  Vetters  Pleistarchos  und  Regent. 
Er  verlangte  Herstellung  seiner  alten  Würde,  um  mit  voller  Macht 
nach  Bvzanz  zurückzukehren.  Das  konnte  er  aber  nicht  durchsetzen; 
denn  seine  Rückkehr  hätte  offenen  Krieg  zur  Folge  gehabt,  den  man 
jetzt  in  Sparta  nicht  wollte.  Jahre  lang  zogen  sich  die  Verhandlungen 
hin;  endlich  ging  er  doch  nach  Byzanz  (um  470);  aber  nicht  als 
Regent  und  Feldherr,  sondern  ohne  öffentlichen  Auftrag,  auf  einem 
bennioniseben  SchifTe.  Er  hatte  Geldmittel  (wahrscheinlich  durch 
die  Perser)  und  warb  Truppen  in  Thrakien;  ja  es  gelang  ihm,  sich 
mit  diesen  in  Byzanz  festzusetzen,  ohne  Zweifel  in  der  Absicht,  den 
Platz  an  die  Perser  auszuliefern.  Aber  während  er  hier  auf  Unter- 
stützung aus  Asien  rechnete,  kamen  ihm  die  Athener  zuvor,  welche 
mit  einem  Geschwader  den  Bosporos  hüteten.  Es  kam  zu  einem 
Kampfe  in  Byzanz  (S.  124).    Die  Athener  waren  es,  die  zum  zweiten 

9* 


Digitized  by  Google 


132 


PAUSA  SIAS'  PROZESS  UND  TOD  ÜM  4«T ;  78,  i. 


Male  im  gefährlichsten  Augenblicke  die  wichtige  Stadt  retteten  und 
Pausanias  mit  seinen  Söldnern  zum  Abzüge  zwangen. 

Pausanias  ging  nach  Troas  hinüber,  wo  er  in  Kolonai  verweilte, 
um  seine  Pläne  auf  eine  andere  Weise  auszuführen.  Während  er 
aber  hier  auf  Gelegenheit  wartete  (denn  als  Flüchtling  wollte  er  sich 
dem  Grofskönige  nicht  vorstellen),  erreichten  ihn  die  Sendboten  der 
Ephoren,  welche  ihn  wegen  der  letzten  Ereignisse  zur  Verantwortung 
zogen.  Pausanias  folgte.  Er  muss  geglaubt  haben,  mit  persischem 
Gelde  ausgerüstet,  nicht  nur  zum  zweiten  Male  der  Verurteilung 
zu  entgehen,  sondern  auch  seine  Zwecke  in  der  Ileimath  besser 
verfolgen  zu  können.  Und  in  der  Tbat  wusste  er  es  durchzusetzen, 
dass  er  trotz  des  erneuerten  Hochverrathsprozesses  sich  in  Sparta 
vollkommen  frei  bewegen,  seinen  Briefwechsel  mit  Artabazos  un- 
gehindert fortsetzen,  ja  sogar  in  Lakonien  Umtriebe  machen  konnte, 
welche  olTenbar  keinen  anderen  Zweck  hatten,  als  mit  Hülfe  der 
Heloten,  die  durch  Versprechen  bürgerlicher  Rechte  aufgewiegelt 
wurden,  die  lykurgische  Verfassung  zu  stürzen,  das  Ephorat  zu 
beseitigen  und  das  Königsamt  mit  gröfserer  Macht  zu  bekleiden, 
was  sich  mit  einer  nominellen  Anerkennung  der  persischen  Ober- 
hoheit wohl  vereinigen  liefs. 

Viele  Monate  zogen  sich  die  Untersuchungen  und  die  gleich- 
zeitigen Umtriebe  des  Pausanias  hin,  bis  endlich  der  Bote,  der  den 
letzten  und  entscheidenden  Brief  an  Artabazos  überbringen  sollte, 
seinen  Herrn  verrieth  und  den  Brief  an  die  Ephoren  auslieferte. 
Nachdem  nun  diese,  um  das  Geständniss  der  Schuld  aus  dem  eigenen 
Munde  des  Angeklagten  zu  erlangen,  ihn  bei  einer  Unterredung  mit 
seinem  Boten  im  tänarischen  Heiligthum  des  Poseidon  belauscht 
hatten,  schritten  sie  endlich  zur  Verhaftung.  Pausanias  flüchtete 
von  der  Slrafse  in  den  Bezirk  der  Atheoa  *zum  ehernen  Hause* 
auf  der  Burg  von  Sparta;  hier  wurde  er,  da  man  nicht  Hand  an 
ihn  legen  durfte,  eingeschlossen  und  erst  sterbend  aus  dem  Tempel- 
hofe herausgetragen,  damit  er  nicht  durch  seinen  Tod  den  heiligen 
Boden  verunreinige.  Wie  viel  Zeit  vom  Anfange  des  zweiten  Pro- 
zesses bis  zum  Ende  des  Pausanias  verflossen  sei,  wird  nirgends  mit 
Bestimmtheit  angegeben68). 

Während  der  letzten  Untersuchungen  waren  Beweise  von  einer 
Mitschuld  des  Themistokles  in  die  Hände  der  Ephoren  gekommen. 
Dass  Pausanias  bei  seinen  Umwälzungsplänen  auf  Themistokles  hoffte, 


Digitized  by  Google 


VERFOLGUNG   DES  THEMISTÜKLKS. 


133 


ist  sehr  natürlich;  er  konnte  ja  bei  ihm  ein  gleiches  Mißvergnügen 
und  einen  gleichen  Hass  gegen  die  Behörden  Spartas  voraussetzen. 
Tbemistokles  boten  die  damaligen  Zustande  keinen  Raum  für  seinen 
Ehrgeiz,  und  er  war  ja  selbst  schon  einmal  darauf  bedacht  gewesen, 
sich  einen  Rückhalt  am  Perserkönige  zu  schaffen.  Dass  Pausanias 
ihm  seine  Pläne  mittheilte ,  ist  gewiss,  und  immerhin  mag  er  in 
seinen  Briefen  an  Artabazos  die  Theilnahme  des  Tbemistokles  als 
sieber  dargestellt  haben,  obgleich  demselben  niemals  eine  wirkliche 
Mitschuld  an  den  verbrecherischen  Umtrieben  des  Pausanias  hat 
nachgewiesen  werden  können. 

Es  ist  auch  an  sich  durchaus  unwahrscheinlich,  dass  Tbemi- 
stokles sich  bereit  erklärt  haben  sollte,  die  Intriguen  des  Spartaners, 
dessen  Charakterschwäche  er  kannte,  ausführen  zu  helfen.  Aber  er 
hatte  darum  gewusst  und  geschwiegen.  Die  Ephoren  säumten  nicht, 
die  vorliegenden  Beweise  mit  giftigem  Eifer  auszubeuten,  um  von 
der  Schmach,  welche  der  ganze  Handel  auf  Sparta  warf,  wenigstens 
einen  Theil  auf  Athen  hinüberzuwälzen.  Die  Hauptsache  aber  war 
für  sie,  dass  sie  einen  Mann  wie  Tbemistokles  nicht  in  der  Halbinsel 
dulden  konnten.  Hier  hatten  die  Eleer  einen  Gesamtstaat  gegründet 
(am  470),  welcher  bestimmt  war,  den  Einfluss  Spartas  einzuschränken; 
die  Arkader  waren  unbotmäfsig  und  feindlich  in  Folge  der  steten 
Aufreizung  von  Seiten  der  Argiver.  Wie  grofs  war  die  Gefahr, 
wenn  ein  unternehmender  Mann  die  feindlichen  Mächte  zu  vereinigen 
lusste! 

Themistokles  wurde  also  in  Athen  wegen  Theilnahme  am  Hoch- 
verrathe  angeklagt.  Die  Athener  hatten  keine  Lust  auf  die  Sache 
einzugehen,  und  ein  edles  Gefühl  scheint  die  Bürgerschaft  bestimmt 
zu  haben,  die  Klage  abzuweisen.  Durch  schriftliche  Erklärungen 
unterstützte  Themistokles  dabei  seine  Freunde.  Aber  die  Gegner 
liefsen  nicht  ab.  Aufs  Neue  verbanden  sich  die  Spartaner  mit  den 
einheimischen  Feinden  des  Verbannten,  und  Leobotes,  Alkinaions 
Sohn,  von  der  kimonischen  Partei  unterstützt,  setzte  endlich  durch, 
dass  die  Klage  angenommen  wurde.  Themistokles  wurde,  wie  es 
spartanische  Arglist  ersonnen  halte,  aufgefordert,  sich  wegen  Hoch- 
Terralhs  am  gemeinsamen  Vaterlande  vor  einem  hellenischen  Gerichts- 
hofe in  Sparta  zu  stellen.  Als  er  ausblieb,  wurde  er  verurteilt,  und 
seine  Verfolgung,  als  eine  hellenische  Angelegenheit,  von  Sparta  und 
Athen  gemeinsam  betrieben. 


Digitized  by  Google 


134 


FLUCHTKEISE  DKS  TUEMISTOKLES  (467-*6). 


Nun  erlebte  Hellas  das  unwürdige  Schauspiel,  dass  der  Retler 
seiner  Unabhängigkeit,  der  gröfste  Staatsmann,  den  Athen  seit  Solon 
gehabt  hatte,  der  Befreier  des  griechischen  Meers,  der  begabteste 
und  gefeiertste  Mann  seiner  Zeit,  einem  gemeinen  Verbrecher  gleich 
von  Häschern  verfolgt,  über  Land  und  Meer,  von  einem  Schlupf- 
winkel zum  andern  gelriebeu  wurde.  Zu  keinem  edlen  Zwecke 
habeu  jemals  die  beiden  Städte  so  einträchtig  und  so  energisch  zu- 
sammen gehandelt. 

Themistokles  hatte  keine  Lust,  Hellas  zu  verlassen;  er  wollte 
nichts  thun,  was  die  Verläumdungen  seiner  Feinde  bestätigen  konnte. 
Er  ging  von  Argos  nach  Kerkyra;  von  hier  aufgescheucht,  nach 
Epirus.  Es  scheint,  dass  die  Verfolger  seine  Spur  verloren;  es  ver- 
breitete sich  die  Nachricht,  er  sei  nach  Sicilien,  während  er  am 
Herde  des  Molotterkönigs  Admetos  Aufnahme  gefunden  hatte.  Hier 
glaubte  er  bleiben  zu  können  und  vor  einer  weiteren  Verfolgung 
sicher  zu  sein.  Aber  er  hatte  sich  getäuscht.  Bald  hatten  ihn  seine 
unversöhnlichen  Feinde  auch  hier  aufgespürt,  und  von  Neuem  musste 
er  seine  Fluchtreise  fortsetzen,  da  sein  edler  Gastfreund  sich  den 
Forderungen  der  hellenischen  Gesandten,  welche  seine  Auslieferung 
verlangten,  nicht  länger  entziehen  konnte.  Nun  war  diesseits  des 
Hellesponts  kein  sicherer  Platz  mehr  für  ihn  zu  finden,  und  damit 
war  jede  Hoffnung  auf  Heimkehr  für  alle  Zeit  vernichtet.  Auf  ein- 
samen Pfaden  liefs  er  sich  quer  durch  das  wilde  Bergland  nach 
Makedonien  hinüberführen  und  erreichte  unerkannt  den  Hafen  von 
Pydna.  Hier  nahm  ihn  ein  Schiff  auf,  das  nach  lonien  segelferlig 
war.  Der  Sturm  trieb  es  in  die  Nähe  der  attischen  Flotte,  die  vor 
Naxos  lag  (S.  126  f.).  Jede  Berührung  mit  derselben  wäre  sein  Ver- 
derben gewesen.  Er  gab  sich  seinem  Schilfsführer  zu  erkennen  und 
erlangte  von  ihm  durch  Bitten  und  Drohung,  dass  er  Wind  und 
Wetter  zum  Trotze  sein  Fahrzeug  fern  hielt.  So  gelangte  er  endlich 
nach  Ephesos. 

Aber  auch  hier  war  er  nirgends  seines  Lebens  sicher.  Griechen 
wie  Perser  lauerten  ihm  auf;  der  Grofekönig  hatte  einen  hohen 
Preis  auf  seinen  Kopf  gesetzt,  und  in  lonien,  wo  damals  die  Zustände 
der  Art  waren,  dass  sich  die  persischen  und  die  griechischen  Ein- 
flüsse überall  kreuzten,  sah  er  sich  aller  Orten  vou  doppelten  Ge- 
fahren umringt.  Uustät  irrte  er  von  einem  Orte  zum  andern,  bis 
er  endlich  bei  seinem  Gastfreunde  Nikogenes  in  Mysien  Rath  und 


Digitized  by  Google 


SCHLACHT  AM  ECU  Y. ME  HON  (78,  4;  465). 


135 


Hülfe  fand,  um  aus  diesem  elenden  Irrsale  erlöst  zu  werden.  Es  war 
deutlich,  dass  er  nur  in  Susa,  am  Hofe  des  Königs,  sichern  Schutz 
finden  könne.  Denn  wenn  auch  von  allen  Menschen  Keiner  mehr 
Ursache  hatte,  ihn  zu  verwünschen,  so  wussle  er  doch  auch,  dass 
nirgends  seine  Dienste  höher  angeschlagen  werden  würden,  und  dass  es 
bei  den  Acbämeniden  von  jeher  Brauch  gewesen  sei,  gegen  hellenische 
Flüchtlinge  grofsniüthig  zu  sein.  Nikogenes  stand  in  nahen  Be-. 
Ziehungen  mit  dem  Perserhofe.  Er  schaffte  ein  bedecktes  Fuhrwerk 
an.  wie  es  für  den  Harem  vornehmer  Perser  benutzt  zu  werden 
pflegte,  und  in  solchem  Weiberwagen,  hinler  dichten  Vorhängen  ver- 
steckt, gelangte  Themistokles  von  Aigai  über  Sardes  nach  Susa89). 

Die  Zeitumstande  waren  günstig.  Denn  der  Muth  der  Perser 
war  durch  neues  Kriegsunglück  tief  gebeugt,  und  der  Mangel  an 
Feldherrn,  die  den  Athenern  gewachsen  wären,  wurde  schmerzlicher 
als  je  empfunden. 

Nachdem  nämlich  durch  den  Tod  des  Pausanias  die  Hoffnungen 
vereitelt  waren,  welche  man  an  die  verrätherischen  Umtriebe  des- 
selben geknüpft  hatte,  wurde  noch  einmal  gegen  Hellas  gerüstet. 
Land-  und  Seetruppen  sammelten  sich  an  der  südlichen  Küste  Klein- 
asiens, wo  die  Perser  noch  am  meisten  die  Herren  waren.  In 
Cypern  erhoben  sich  von  Neuem  die  persisch  gesinnten  Dynasten; 
eine  phönikische  Flotte  war  kampflertig.  Man  wollte  wenigstens 
den  Küstensaum  wieder  unterwerfen,  dessen  Städte  noch  immer  in 
schwankender  Stellung  waren  und  mit  ihrem  Tribute  in  den  per- 
sischen S leuerlisten  aufgezeichnet  standen;  denn  die  Satrapen  waren 
nach  wie  vor  verpflichtet,  die  vorgeschriebenen  Summen  einzuliefern. 
Man  musste  also  dem  revolutionären  Zustande  daselbst  ein  Ende  zu 
machen  suchen.  Aber  ehe  die  Streitkräfte  sich  vereinigen  konnten, 
kamen  die  Athener  mit  unvergleichlicher  Thalkraft  jedem  Angriffe 
zuvor. 

Die  Flotte  war,  als  Naxos  gedemüthigt  war,  wieder  frei.  Es 
wurde  beschlossen,  jetzt  den  noch  immer  unsicheren  Zuständen  in 
ionien  ein  Ende  zu  machen  und  das  für  die  Herrschaft  im  ägäischen 
Meere  unentbehrliche  Karien  den  Persern  zu  entreifsen.  Kimon 
ging  mit  200  Schiffen  nach  Asien  hinüber;  er  suchte  den  Feind 
und  fand  ihn  im  pamphyliscben  Meere.  Die  Perserflotte  wollte  trotz 
ihrer  liebe rm acht  dem  Kampfe  ausweichen  und  zog  sich  in  die 
Mündung  des  Eurymedon  zurück.    Aber  Kimon  ereilte  sie  und  er- 


Digitized  by  Google 


136  ARTAXERXES*  REGIERUNGSANTRITT  (78,  4;  464). 

zwang  eine  Seeschlacht.  Die  zusammengedrängte  Flotte  wurde  völlig 
geschlagen;  die  Flottenmannschaft,  welche  an  das  Ufer  flüchtete  und 
sich  mit  dem  Landheere  vereinigte,  unverzüglich  angegriffen  und 
nach  heftigem  Widerstande  besiegt;  das  reiche  Lager  Gel  den  Athenern 
in  die  Hände,  und  ehe  noch  die  heranfahrende  phönikische  Flotte 
von  der  Niederlage  Kunde  hatte,  wurde  auch  sie  auf  hohem  Meere 
angegriffen  und  zerstreut. 

Xerxes  erlebte  diese  Schmach  seines  Reiches  noch,  war  aber 
ohne  Kraft  sie  zu  rächen,  ja  er  empfand  sie  kaum.  Träge  und 
stumpf  safs  er  in  seinem  Palaste  und  liefs  sich  von  seiner  Gemahlin 
Ameslris,  von  Eunuchen  und  Hofbeamten  willenlos  beherrschen.  Er 
war  von  Jahr  zu  Jahr  immer  tiefer  gesunken,  und  was  sich  früher 
noch  an  edleren  Regungen  in  ihm  gezeigt  hatte,  war  in  wüsten  Aus- 
schweifungen völlig  erloschen.  Ehe  er  noch  von  dem  griechischen 
Feldzuge  nach  Susa  heimgekehrt  war,  hatte  er  die  Frau  seines  Bruders 
Masistes  zu  verführen  gesucht;  von  ihr  abgewiesen,  buhlte  er  mit  ihrer 
und  des  Masistes  Tochter,  Arlaynte,  die  er  seinem  Thronerben  Dareios 
verhcirathet  hatte. 

Dadurch  wird  die  Eifersucht  der  leidenschaftlichen  Amestris  ent- 
flammt, und  die  schuldlose  Frau  des  Masistes  fällt  ihrer  grausamen 
Wuth  zum  Opfer.  In  Folge  dessen  empört  sich  Masistes  gegen  Xerxes 
und  wird  in  blutigem  Kampfe  mit  seinem  ganzen  Hause  vernichtet. 
Kurz,  alle  Greuel  von  Frevel  und  Schande  häuften  sich  in  den  letzten 
Jahren  des  Xerxes,  und  die  Griechen  konnten  darin  die  gerechte 
Vergeltung  für  das  Unglück,  das  er  über  ihr  Vaterland  gebracht 
hatte,  erkennen.  Am  eigenen  Hofe  machtlos  und  verachtet,  wurde 
Xerxes  endlich  von  dem  Befehlshaber  seiner  Leibwache,  dem  Hyrkanier 
Arlabanos,  ermordet;  auch  Dareios,  der  Thronerbe,  Gel  in  dieser  Palast- 
revolution. Sie  war  vollzogen,  als  Themistoklcs  nach  Susa  kam.  Er 
fand  Arlabanos  noch  als  Anführer  der  Palasttruppen  und  ward  durch 
ihn,  der  seine  einflussreiche  Stellung  eine  Zeit  lang  zu  behaupten 
wusste,  dem  jungen  Grofsherrn  Artaxerxes  vorgestellt.  Wenig  Monate 
darauf  wurden  die  Frevel  des  Hyrkaniers  und  seine  Absicht,  den 
ganzen  Achämenidenstamm  zu  vernichten,  offenbar,  und  er  Gel  von  der 
Hand  des  Artaxerxes  (Ol.  78,  4;  464 70). 

Als  Artaxerxes  die  Regierung  übernahm,  war  in  Folge  der 
Eurymedonschlacht  noch  ganz  Persien  von  Schrecken  gelähmt;  das 
Heer  hielt  sich  furchtsam  im  Binnenlande  zurück,  der  attischen  Flotte 


Digitized  by  Google 


THEMISTOKLES  IN  MAGNESIA 


137 


war  die  Herrschaft  über  Meer  und  Küste  überlassen  und  die  Tribute 
der  Städte  gingen  nach  Delos.  Artaxerxes  war  ein  Jungling  von  hoch- 
herzigem Sinne,  der  die  Erbschaft  des  verwahrlosten  und  schmach- 
bedeckten Reichs  mit  dem  Entschlüsse  antrat,  das  Seinige  zu  thun, 
uro  dem  Vaterlande  wieder  aufzuhelfen.  Musste  er  es  da  nicht  für 
ein  glückverbeifsendes  Ereigniss  hallen,  dass  gerade  bei  seinem 
Regierungsantritte  der  gröfste  Seeheld  seiner  Zeit,  von  seinen  un- 
dankbaren Landsleuten  ausgestoßen,  nach  Susa  kam,  um  seine  Dienste 
anzubieten?  Konnte  man  sich  ein  besseres  Rüstzeug  wünschen,  um 
auf  dem  ägäischen  Meere  die  Waffen  der  Achämeniden  wieder  zu  Ehren 
zu  bringen?  Er  war  nicht  der  Einzige  seiner  Art  im  Perserland.  Auch 
sein  alter  Feind  Timokreon  (S.  127)  war  aus  einem  fanatischen  Wider- 
sacher des  Perserreichs  ein  Anhänger  und  Schützling  desselben  ge- 
worden und  konnte  nun  nach  den  abenteuerlichen  Wechselföllcn  seines 
Lebens  noch  die  Spottverse  schreiben:  'Also  ist's  doch  nicht  Timokreon 
allein,  der  mit  den  Medern  Vertrag  schliefst,  sondern  es  giebt  noch 
mehr  Verrälher.  Ich  bin  nicht  der  einzige  Fuchs;  ich  kenne  deren 
noch  andere' TOa). 

Themistokles  wusste  die  Gunst  der  Verhältnisse  und  die  ent- 
gegenkommende Huld  des  jungen  Fürsten  wohl  zu  benutzen.  So  lange 
er  durch  Dolmetscher  sich  verständigen  musste,  konnte  er  den  Einfluss 
seiner  Persönlichkeit  nicht  zur  Gellung  bringen.  Er  bat  also  um  die 
Erlaubniss,  eine  Zeitlang  in  voller  Zurückgezogenheit  leben  zu  dürfen« 
om  sich  des  Landes  Sprache  und  Sitte  anzueignen.  Wenn  er  auch 
schon  ein  Sechziger  war,  so  besafs  er  doch  noch  die  geistige  Frische, 
das  Gedächtniss  und  die  Gewandtheit  eines  Jünglings,  und  so  war  es 
möglich,  dass  er  nach  Jahresfrist  seinen  Zweck  so  weit  erreichte, 
om  sich  am  persischen  Hofe  mit  Freiheit  und  Sicherheit  bewegen  zu 
können.  Nun  gelang  es  ihm  in  Susa,  wie  einst  in  Athen,  seine  Um- 
gebung zu  beherrschen;  er  ward  des  Königs  Tisch-  und  Jagdgenosse, 
ein  Mann  von  bestimmendem  Einflüsse  und  ehe  er  noch  auf  Dank 
Anspruch  hatte,  wurde  ihm  in  lonien  durch  des  Königs  Huld  eine  neue 
Heimath  gegründet. 

Magnesia  am  Maiandros,  welches  jährlich  fünfzig  Talente  (75,000 
Thaler)  einbrachte,  wurde  ihm  als  fürstlicher  Sitz  gegeben;  daneben 
wurden  ihm  Myus  in  Karien,  Lampsakos  und  Perkote  am  Hcllespont 
und  Skepsis  in  AeoLis  mit  ihren  Einkünften  überwiesen,  indem  man 
nach  persischer  Sitte  die  verschiedenen  Besitzungen  zu  ßrod,  Wein, 


Digitized  by  Google 


13$ 


THEMIMOKLES  IN  MAGXESU. 


Zukost,  Gewand  und  Lager  besonders  bestimmte.  Die  Städte  waren 
aber  offenbar  zu  dem  Zwecke  ausgesucht,  Themislokles  einen  weit- 
greifenden Einfluss  in  den  am  meisten  gefährdeten  Gränzgebieten  zu 
verschaffen  und  ihn  schon  durch  sein  persönliches  Interesse  anzuhalten, 
Alles  zu  thun,  um  die  abgerissenen  Theile  des  Reichs  so  bald  als 
möglich  wieder  zu  gewinnen ;  denn  die  ihm  angewiesenen  Küstenstädte 
müssen  mit  Ausnahme  von  Magnesia  schon  dem  altischen  Seebunde 
angehört  haben. 

Magnesia  ward  seine  Residenz.  Hier  lebte  er  geraume  Zeit  als 
persischer  Satrap,  und  noch  heute  haben  wir  Silbermünzen,  die  er  mit 
seinem  Namen  in  griechischer  Schrift  und  mit  griechischen  Münz- 
bildern nach  attischem  Gewicht  als  Herr  von  Magnesia  hat  prägen 
lassen. 

Glücklich  und  friedlich  war  freilich  auch  jetzt  sein  Loos  nicht. 
Er  blieb  ein  Gegenstand  des  Misstrauens  wie  des  Neides  und  setzte 
durch  unvorsichtige  Keckheil  sein  Leben  oft  in  Gefahr.  So  soll  er  bei 
einer  Anwesenheit  in  Sardes  den  Wunsch  geäufsert  haben,  man  möge 
das  Erzbild  einer  Wasserträgerin,  das  er  einst  als  Aufseher  der  städti- 
schen Wasserleitungen  den  Athenern  errichtet  hatte,  nach  Athen 
zurückschicken,  und  dadurch  den  Zorn  des  dortigen  Satrapen  in  dem 
Grade  erregt  haben,  dass  er  zu  den  Weibern  des  Harems  seine  Zuflucht 
nehmen  mussle,  um  durch  ihre  Verwendung  den  üblen  Folgen  seiner 
Unbedachtsamkeit  zu  entgehen. 

Viel  misslicher  aber  war  seine  Lage  dadurch,  dass  er  Verpflich- 
tungen übernommen  halte,  deren  Erfüllung  ihm  schwer,  ja  unmöglich 
sein  musste.  Freilich  war  man  anfangs  geduldig  und  scheint  ihn  mit 
drängenden  Zumuthungen  verschont  zu  haben,  um  so  mehr,  da  der 
König  während  seiner  ersten  Regierungsjahre  im  Innern  des  Reichs 
vollauf  zu  thun  halle.  Aber  Themislokles  musste  ja  schon  durch  die 
Lage  seiner  Stalthalterschaft  in  feindliche  Rerührung  mit  Athen  und 
den  Rundesgenossen  gerathen,  und  diese  werden  Alles  gethan  haben, 
seinem  Einfluss  auf  die  Küstenstädte  entgegenzuarbeiten.  Es  wird 
berichtet,  dass  Kimon  gegen  die  mit  Themislokles  an  die  Küsle  vor- 
rückenden Perser  ausgezogen  sei ;  doch  ist  uns  ein  genauerer  Einblick 
in  diese  Verhältnisse  nicht  verstattet71). 

Nun  trat  aber  eine  neue  Verwickelung  ein.  Die  Aegypter  fühlten 
sich  durch  die  Verwirrungen,  welche  seit  Xerxes'  Tode  ununterbrochen 
im  Perserreiche  gedauert  halteu,  ermuthigl,  ihre  Selbständigkeit  wieder 


THEMISTOKLES'  TOD  LIM  400;  80,  L 


i:3J 


zu  gewinnen;  sie  trieben  die  persischen  Steuerbeamten  zum  Linde 
hinaus  und  fielen  ab.  Dadurch  wurde]  das  Auge  des  Grofskönigs,  der 
soeben  den  baklrischen  Aufstand  bewältigt  hatte,  wieder  nach  dem 
Westen  und  dem  Meere  hingewendet,  und  je  mehr  hier  eine  Verbin* 
dung  zwischen  Griechen  und  Aegyptern  zu  fürchten  war,  um  so  näher 
lag  es,  jetzt  endlich  von  Themistokles  kräftige  Dienstleistungen  zu  er- 
warten und  zu  fordern. 

Wie  über  das  ganze  abenteuerliche  Leben  des  Themistokles,  so 
waren  auch  über  seine  letzten  Schicksale  schon  im  Allerthume  die 
verschiedensten  Gerüchte  verbreitet.  Als  er,  dem  Greisenalter  nahe, 
die  schwierigste  Aufgabe  seines  Lebens  übernehmen  und  sich  mit 
fremdem  Seevolke,  auf  dessen  Tüchtigkeit  und  Treue  er  sich  nicht 
veriasseu  konnte,  den  Trieren  seiner  eigenen  Vaterstadt  und  ihrem 
sieggewohnten  Feldherrn  gegenüberstellen  sollte,  starb  er  plötzlich; 
uod  sein  Tod  trat  so  rechtzeitig  ein,  um  ihn  aus  der  peinlichsten  Lage 
zu  erlösen,  dass  man  sehr  allgemein  an  einen  freiwilligen  Tod  dachte, 
lodesseu  stellt  Thukydides  diesen  Gerüchten  die  bestimmte  Nachricht 
entgegen,  dass  er  an  einer  Krankheit  gestorben  sei,  und  man  kann  also 
nur  darüber  zweifelhaft  sein,  ob  dieselbe  zufällig  eingetreten  ist,  oder 
ob  sie  mit  dem  inneren  Zwiespalt  zwischen  Vaterlandsliebe  und  persön- 
licher Verpflichtung,  in  welchen  ihn  seine  unglückliche  Stellung  ge- 
bracht hatte,  in  Zusammenhang  gestanden  hat;  denn  das  unerträgliche 
Bewusstseiu  davon,  dass  er  aus  dieser  Verwickelung  nicht  mit  Ehren 
hervorgehen  könne,  niusste  auch  des  gewaltigen  Mannes  geistige  und 
leibliche  Kraft  am  Ende  aufreiben. 

Auf  dem  Markte  von  Magnesia  wurde  ihm  ein  prachtvolles  Grab- 
mal errichtet,  und  die  aus  der  Verbannung  heimgekehrten  Söhne 
weihten  zu  seinem  Andenken  ein  Bild  von  ihm  im  Parthenon.  Auch 
seine  Gebeine  sollen  auf  seinen  Befehl  von  seinen  Angehörigen  heim- 
lich nach  Attika  gebracht  worden  sein ;  doch  war  diese  Thatsache  dem 
Thukvdides  zweifelhaft.  Im  Peiraieus  wurde  ein  altarforniiges  Denk- 
mal  gezeigt,  welches  Themistokles  als  dem  Gründer  der  Hafenstadt  und 
der  Seemacht  Athens  errichtet  worden  ist,  als  man  seine  unvergäng- 
lichen Verdienste  wieder  unbefangener  zu  beurteilen  im  Staude  war7*). 


Während  die  Gefahren,  die  den  Athenern  durch  Themistokles 
erwachsen  sollten,  abgewendet  wurden,  waren  in  der  Mitte  des 
Seebuudes  selbst  sehr  gefährliche  Spannungen  eingetreten,  und 


Digitized  by  Google 


140 


DIE  ATHENER  AN  STRYMON  465. 


zwar  unmittelbar  nach  dem  glanzenden  Siege  am  Eurymedon,  nach 
welchem  auch  die  lykischen  Städte  ostwärts  bis  Pamphylien  dem 
delischen  Bunde  einverleibt  und  alle  äufseren  Feinde  beseitigt  waren. 
Denn  auch  im  Norden  des  Meers,  wo  die  Perser  den  Chersonnes 
nicht  aufgeben  wollten  und  sich  deshalb  mit  den  thrakischen  Völker- 
schaften verbunden  hatten,  gelang  es  Kimon  mit  einem  kleinen 
Geschwader  die  feindliche  Macht,  die  sich  hier  bilden  wollte,  zu  ver- 
nichten und  die  ganze  Halbinsel,  welche  den  Hellespont  beherrscht, 
das  Besitzthum  seiner  Ahnen,  von  Neuem  für  die  Athener  zu 
erobern. 

Dieser  wichtige  Fortschritt  führte  aber  zu  neuen  Verwickelungen. 
Denn  indem  die  Athener  sich  an  den  thrakischen  Kästen  auszubreiten 
suchten,  trat  ihnen  eine  der  bedeutendsten  aller  Bundesinseln  ent- 
gegen, die  Insel  Thasos,  welche  ihre  Anspräche  auf  eigene  See- 
herrschaft noch  immer  nicht  aufgeben  wollte.  Darum  war  ihr  die 
Herrschaft  der  Athener  am  Strymon  ein  Dom  im  Auge  (S.  124). 
Sie  musste  früher  oder  später  zu  feindlichen  Begegnungen  fähren: 
denn  die  Insulaner  merkten  bald,  dass  die  Athener  nicht  gesonnen 
waren,  sich  mit  der  Einnahme  des  Küstenplatzes  Efon  zufrieden  zu 
stellen,  sondern  dass  dies  nur  der  Ausgangspunkt  für  eine  allmähliche 
Eroberung  des  thrakischen  Landes  sein  sollte. 

Unmittelbar  nach  dem  Falle  von  Elon  ging  eine  Heeresabtheilung 
am  Strymon  hinauf,  um  sich  eine  Stunde  oberhalb  der  Mündung 
an  den  Neun  wegen  (Enneahodoi)  niederzulassen,  einem  wichtigen 
Kreuzpunkte  des  Verkehrs,  woselbst  schon  Aristagoras  eine  Ansiedlung 
beabsichtigt  hatte.  Die  Unternehmung  misslang  in  dem  Grade,  dass 
nur  Wenige  sich  retteten. 

Die  Athener  liefsen  sich  aber  nicht  abschrecken  und  unter- 
nahmen etwa  drei  Jahre  später  einen  neuen  Kriegszug  in  viel 
gröfserem  Mafsstahe,  um  den  Zugang  in  das  Innere  zu  erzwingen. 
Zehntausend  wehrhafte  Colonisten,  von  Staatswegen  aufgeboten  und 
durch  die  Aussicht  im  goldreichen  Lande  Reicht  hü  mer  zu  gewinnen 
angelockt,  Bürger  aus  Athen  und  den  Bundesslädlen,  sammelten  sich 
in  Eion,  besetzten  glücklich  die  Neunwege  und  drangen  dann  unter 
Führung  des  Leagros  weiter  gegen  Norden  in  das  Land  der  Edoncr 
vor,  um  in  der  Nähe  der  Bergwerke  feste  Plätze  zu  gewinnen. 
Aber  die  thrakischen  Stämme  vereinigten  sich  gegen  die  fremden 
Eindringlinge,  sie  überfielen  das  Heer  bei  Drabeskos  und  brachten 


Digitized  by  Google 


ABFALL  VON  THASOS   (7S,  4;  4*4).  141 


ihm  eine  so  blutige  Niederlage  bei,  dass  damit  für  das  Erste  allen 
Versuchen  der  Athener,  sich  im  Innern  des  Slrymonlandes  festzu- 
stellen, ein  Ende  gemacht  wurde78)« 

Diese  Umstände  glaubten  die  Thasier  benutzen  zu  müssen,  wenn 
>ie  sich  die  reichen  Hülfsquellen  des  gegenüberliegenden  Festlandes 
erhallen  wollten,  namentlich  die  Goldgruben  des  Fangaion,  welche 
zwischen  Elon  und  der  Gegenküste  von  Thasos  in  der  Mitte  lagen. 
Gingen  ihnen  diese  verloren,  so  war  damit  jede  Aussicht  der  Insulaner 
auf  eigene  Seemacht  für  immer  vernichtet.  Sie  mussten  die  Zeit 
benutzen,  so  lange  die  Athener  muthlos  und  die  Thrakier  voll 
Erbitterung  gegen  Athen  waren.  Sie  knüpften  also  mit  diesen  Ver- 
bindungen an  und  eben  so  mit  den  Makedoniern,  denen  die  Athener 
gleich  unwillkommene  Nachbarn  waren,  und  erklärten  dann,  als  ihre 
Beschwerden  in  Athen  keine  Berücksichtigung  fanden,  offen  ihren 
Abfall  vom  Bunde.  Das  geschah  Olymp.  78,  4;  464,  bald  nach  der 
Schlacht  am  Eurymedon. 

Athen  musste  einen  schweren  Kampf  beginnen,  um  die  trotzige 
üuel,  welche  sich  lange  im  Stillen  gerüstet  hatte,  zu  demüthigen; 
es  galt  zugleich  die  Herrschaft  im  thrakischen  Meere  und  den  Besitz 
der  Goldküste.  Die  Athener  nahmen  alle  Kräfte  zusammen,  und 
die  Thasier  wurden  inne,  dass  sie  trotz  der  heimlichen  Unter- 
stützung Makedoniens  der  Flotte  Kimons  auf  die  Dauer  nicht  wider- 
stehen würden;  sie  suchten  nach  anderen  Bundesgenossen,  sie 
schickten  nach  Sparta  und  fanden  hier  für  ihre  Anträge  eine  sehr 
günstige  Aufnahme. 

In  Sparta  fühlte  man,  dass  etwas  geschehen  müsse,  um  Athen 
entgegen  zu  treten.  Solche  Folgen  hatte  allerdings  Niemand  von 
dem  lebergange  des  Flottenbefelils  erwartet;  denn,  während  Athen 
Ton  Sieg  zu  Sieg  eilte  und  in  jedem  Jahre  seine  Macht  erweiterte, 
war  Sparta  nicht  nur  stehen  geblieben,  sondern  in  der  ganzen  Zeit 
rückwärts  gegangen.  Der  Prozess  des  Pausanias  halte  einen  bösen 
Eindruck  gemacht;  dazu  kam,  dass  um  dieselbe  Zeit  auch  von 
Leotycbides  ruchbar  wurde,  er  sei  von  den  Aleuaden  bestochen  und 
deshalb  so  plötzlich  aus  Thessalien  (S.  111)  zurückgegangen,  das  er 
schon  ganz  in  seiner  Hand  hatte.  Mitten  im  Lager  hatte  man  den 
Konig  mit  seinem  Golde  angetroffen.  Er  flüchtete  nach  Tegea; 
win  Haus  wurde  niedergerissen,  sein  Andenken  verflucht.  So  häufte 
»ich  Schuld  auf  Schuld  in  den  Familien  der  Herakliden.  Gleich- 


Digitized  by  Google 


112 


ERDBEBEN  IN  SPARTA  (19,  1;  464). 


zeilig  lockerten  sich  die  peloponnesischen  Verhältnisse  in  bedenk- 
licher Weise;  im  Binnenlande  wie  an  den  Küsten  erstarkte  die 
den  Spartanern  feindliche  Partei.  Der  alte  Erbfeind,  Argos,  hatte 
wieder  Kräfte  gesammelt,  um  mit  neuen  Ansprüchen  auftreten  zu 
können. 

Unter  diesen  bedrohlichen  Verhältnissen  musste  Sparta  sich 
aufraffen  und  nach  neuen  Verbindungen  umsehen,  um  Ehre  und 
Ansehen  wieder  herzustellen.  Die  Verbindung  mit  Thasos  hatte  aber 
viel  Lockendes.  Denn  noch  halten  die  Thasicr  ihre  Goldbergwerke 
in  Händen,  und  Sparta  konnte  hoffen,  hier  die  Mittel  zu  gewinnen, 
um  den  Athenern  auf  der  See  wieder  entgegen  treten  zu  können. 
Wie  grofs  aber  die  Erbitterung  der  Spartaner  war,  geht  schon  daraus 
hervor,  dass  sie  auf  Anlass  der  thasischen  Gesandtschaft  nicht  etwa 
blofs  Vermittelung  und  Unterstützung  versprachen,  sondern  sogar 
einen  unmittelbaren  Angriff  auf  Athen,  um  dadurch  die  Entsetzung 
der  Insel  zu  erzwingen. 

Indessen  halten  sie  mehr  versprochen,  als  sie  halten  konnten. 
Denn  ehe  sie  an's  Werk  gehen  konnten,  trat  ein  ungeheures  Natur- 
ereigniss  ein,  das  alle  Vorbereitungen  unterbrach,  ein  Erdbeben 
von  solcher  Furchtbarkeit,  wie  es  im  Eurotasthaie  noch  nie  vorge- 
kommen war.  Abgründe  öffneten  sich,  Felsen  stürzten  von  den 
jähen  Gipfeln  des  Taygetos  nieder,  Wohnungen  und  Tempel  brachen 
zusammen;  es  gab  kein  Sparta  mehr,  nur  einige  Häusergruppen 
waren  übrig.  Alle  Ordnung  löste  sich  auf;  denn  einen  Staat,  wie 
den  spartanischen,  hielt  ja  nur  das  Band  der  Furcht  zusammen. 
Die  Heloten,  immer  zum  Aufrühre  geneigt,  waren  aber  damals  gerade 
besonders  aufgeregt,  weil  sie  nach  Entdeckung  der  wühlerischen 
Umtriebe  des  Pausanias  die  grausamsten  Verfolgungen  hatten  erdulden 
müssen  (S.  132).  Man  hatte  selbst  aus  dem  Heiligthume  des 
Poseidon  in  Tainaron  die  Unglücklichen  zur  Hinrichtung  geschleppt, 
und  deshalb  erschien  das  furchtbare  Naturereigniss  wie  ein  Zorn- 
gericht des  Erderschütterers,  wie  ein  Ruf  zu  gerechter  Rache.  Mit 
den  Heloten  erhoben  sich  die  Messenier.  Thuria,  Antheia  wurden 
Sammelplätze  des  Aufruhrs,  und  der  König  Archidamos,  des  Leo- 
tychides  Nachfolger,  in  dessen  viertem  Regierungsjahre  (79,  1 ;  464) 
dies  Ereignißs  eintrat,  musste  mit  der  Mannschaft,  die  er  zusammen- 
bringen konnte,  eiligst  aufbrechen,  um  die  abgefallene  Landschaft 
wieder  zu  unterwerfen. 


Digitized  by  Google 


K1M0>S  STELLUNG  IN  ATMEN. 


143 


Von  Unterstützung  der  Thasier  konnte  unter  solchen  Umständen 
nicht  die  Rede  sein.  Sie  wehrten  sich  mit  zäher  Ausdauer  bis  in 
das  dritte  Jahr;  dann  waren  ihre  Mittel  erschöpft.  Alle  Schiffe 
musste  die  stolze  Insel  ausliefern,  ihre  Mauern  niederreiten,  die 
Kriegskosten  zahlen*  das  Festland  mit  seinen  reichen  Metallrenten 
aufgeben  und  zu  regelmäfsigem  Tribute  sich  bequemen.  Es  war  ein 
glänzender  Gewinn  der  Athener,  ein  schreckendes  Beispiel  für  alle 
schwankenden  Bundesgenossen,  ein  gewaltiger  Fortschritt  in  der 
Beherrschung  des  thrakischen  Meers74). 

Kimon  stand  in  vollem  Glänze  des  Ruhms,  wie  kein  attischer 
Feldherr  vor  ihm,  seit  470  fast  ununterbrochen  der  Führer  einer 
siegreichen  Flotte,  ein  steter  Mehrer  der  Bundesmacht.  Aber  er 
war  mehr  als  ein  gepriesener  Feldherr;  er  genoss  in  allen  öffent- 
lichen Angelegenheiten  das  gröfste  Ansehen,  er  war  der  Liebling 
des  Volks,  vor  dessen  Augen  er  sich  auf  das  Glücklichste  entwickelt 
hatte.  Denn  anfanglich  hatte  er  keine  besonderen  Erwartungen  er- 
weckt. Man  hatte  ihn  sogar  stumpfsinnig  und  schwerfällig,  plump 
in  seinem  Benehmen  und  junkerhaft  gefunden;  seine  Sitten  hatten 
mancherlei  Anslofs  gegeben.  Aber  unter  der  Zucht  schwerer  Lebens- 
terhältnisse  war  aus  dem  lockeren  Jünglinge  ein  Mann  geworden 
Dach  dem  Herzen  des  Aristeides,  aus  dem  Sohne  des  Gewaltherrn 
ond  einer  thrakischen  Königstochter  ein  echter  Bürger  Athens,  der 
es  auch  in  feinerer  Geistesbildung  wenigstens  dem  Themistokles 
rar  orthat  und  der  in  der  Volksversammlung  das  Wort  zu  führen 
wosste.  Aus  rauher  Hülle  hatte  sich  ein  edler  Kern  entwickelt, 
eine  gesunde  und  tüchtige  Kraft,  welche  um  so  segensreicher  wirkte, 
weil  sie  den  Forderungen  der  Zeit  nicht  eigensinnig  widerstrebte. 
Freudig  hatte  er  die  angestammten  Jugendneigungen  aufgegeben 
ond  sich  der  neuen  Richtung  des  attischen  Lebens,  welcher  The- 
mistokles Bahn  gebrochen,  offen  und  ehrlich  angeschlossen,  obgleich 
er  nicht  verkennen  konnte,  dass  die  neue  Zeit  dem  Ansehen  der 
alten  Geschlechter  und  ihren  Interessen  nichts  weniger  als  günstig 
sein  würde.  Und  niemals  ist  patriotische  Selbstverleugnung  glänzen- 
der belohnt  worden. 

Die  gesunde  Natur  Kimons  bewährte  sich  darin,  dass  ihn  das 
Glück  nicht  verdarb.  Er  behielt  sein  freies  offenes  Wesen,  seinen 
geraden  Sinn,  der  alle  Ränke  hasste;  er  war,  ohne  eine  Spur  von 
gemachter  Herablassung,  der  liebenswürdigste  Gesellschafter,  Jedem 


Digitized  by  Google 


Mi 


KIMO.NS  STELLUNG  IN  ATHL.Y 


zugänglich;  ein  Mann,  der  in  seiner  Person  das  Wesen  der  alten 
und  der  neuen  Zeit  zu  vereinigen  wusste.  Vor  Allem  bewahrte  er 
die  Tugenden,  durch  die  von  jeher  das  Haus  der  Kypseliden  berühmt 
war,  Freigebigkeit  und  Gastlichkeit,  und  zwar  ohne  eine  Absichtlich- 
keit  zu  zeigen  oder  durch  Prahlerei  zu  verletzen.  Alles  was  er  an 
altem  Familiengute  wiedergewonnen  und  durch  seinen  Antheil  an 
der  Siegesbeute  sich  neu  erworben  hatte,  schien  er  nicht  für 
sich,  sondern  für  seine  Mitbürger  zu  besitzen.  Seine  Landgüter, 
seine  Gärten,  seine  Tafel  waren  den  Wanderern  wie  den  Nachbarn 
ofl'en. 

Und  welchen  Eifer  zeigte  er  für  gemeinnützige  Werke!  Ihm  ver- 
dankten die  Bürger  die  grofse  Wohlthat,  dass  der  Stadlmarkt  im 
Kerameikos  mit  Hallen  umgeben  und  mit  Platanen  bepflanzt  wurde.  Er 
sorgte  dafür,  dass  die  westlichen  Vorstädte,  welche  sich  vom  Dipyloti 
in  die  Niederung  des  Kephisos  hinabzogen,  mit  anmuthigen  und  be- 
deutungsvollen Anlagen  ausgestaltet  wurden-,  im  äufseren  Kerameikos 
wurden  die  Grabstätten  der  im  Kampfe  gefallenen  Bürger  errichtet; 
nach  den  verschiedenen  Schlachtfeldern  geordnet,  bildeten  sie  ein 
großartiges  Denkmal  attischen  Ruhmes.    An  den  Kerameikos  stiefe 
die  Akademie,  deren  schattige  Spaziergänge  Kimon  angelegt  hatte. 
Unter  herrlichen  Volksfesten  hatte  er  die  Gebeine  des  Theseus  heim- 
geführt und  so  dem  Volke  von  Athen  den  Heroen  gleichsam  zurück- 
gegeben, welchen  es  als  den  Gründer  seiner  bürgerlichen  Freiheil  zu 
preisen  liebte.    Die  Akropolis  hat  durch  ihn  eine  neue  Gestalt  er- 
halten, indem  er  ihr  durch  die  Südmauer  nach  der  Seeseile  ein 
stattliches  Ansehen  gab  und  dadurch  zugleich  für  neue  Tempelbauten 
eine  breite  Terrasse  schuf.    Er  soll  endlich  auch,  um  das  grofse 
Werk,  welches  Themistokles  entworfen  hatte,  weiter  zu  führen,  den 
Bau  der  Verbindungsmauern  zwischen  Athen  und  dem  Peiraieus  von 
Neuem  in  AngrifT  genommen  haben. 

Aber  wenn  Kimon  auch  noch  so  vorurteilsfrei  der  neuen  Politik 
sich  anschloss,  wenn  er  auch  wesentlich  dazu  beigetragen  hatte, 
Themistokles'  Kriegspläne  zur  Ausführung  zu  bringen  und  dann  die 
von  ihm  gegründete  Seeherrschafl  zu  verwirklichen,  so  war  er  doch 
weit  entfernt,  die  ganze  Auffassung  des  Themistokles  von  der  Aufgabe 
Athens  zu  theilen.  Er  war  sein  Nachfolger  an  demselben  Werke, 
aber  er  wirkte  in  einem  ganz  anderen  Sinne.  Er  wollte  der 
neuen  Zeit  das  Gute  der  allen  bewahren,  Besonnenheit  und  Mafs, 


Digitized  by  Google 


KIMONS  STELLUNG  IN  ATHEN. 


145 


Zucht  und  ehrbare  Sitte.  In  der  Treue  gegen  die  Ueberlieferungen 
der  Vorzeit  stellte  er  seinen  neuerungssüchtigen  Mitbürgern  Sparta 
als  Beispiel  vor  Augen;  er  hielt  den  Zusammenhang  mit  diesem 
Staate  für  ein  heilsames  Gegengewicht  gegen  die  Neigung  der  Athener, 
sich  in  unbesonnenen  Plänen  zu  überstürzen.  Die  Verträge  mit  den 
verbündeten  Staaten  sollten  nicht,  wie  Themistokles  gewollt  hatte, 
in  der  Absicht  geschlossen  sein,  um  später  wie  eine  lästige  Fessel 
abgeschüttelt  zu  werden,  sondern  sie  sollten  in  zeitgemäfser  Um- 
wandelung  fortbestehen,  so  dass  Athen  dadurch  nicht  behindert  werde, 
Torwarts  und  Allen  voran  zu  gehen.  Darum  hielt  er  es  für  das 
gröfsle  Glück  seines  Lebens,  dass  es  ihm  mit  Aristeides  gelungen  sei, 
in  friedlicher  Weise  die  Hegemonie  zur  See  an  Athen  zu  bringen.  Er 
wollte,  dass  Athen  durch  weise  Mäfsigung  das  Vertrauen  der  anderen 
Staaten  erwerbe,  moralischen  Einfluss  gewinne  und  so  die  noch  be- 
stehenden Spannungen  überwinde.  Darum  verwarf  er  mit  Ent- 
schiedenheit jede  Politik,  welche  auf  Kosten  der  anderen  Bundes- 
Staaten  und  durch  Erniedrigung  Spartas  Athen  grob  machen  »olhe. 
Sein  Haus  sollte  ein  echt  hellenisches  sein,  und  darum  legte  er 
großen  Werth  darauf,  mit  den  ansehnlichsten  Staaten  von  Hellas  in 
Gastfreundschaft  zu  stehen  und  ihre  Interessen  in  Athen  zu  ver- 
treten. Darum  nannte  er  auch  seine  Söhne  Thessalos,  Lakedaimonios 
und  Eleios;  ein  Zeichen,  mit  welcher  Entschiedenheit  und  Offenheit 
er  seine  Grundsätze  vertrat. 

Die  Spartaner  wussten  wohl,  was  ein  Mann  wie  Kimon,  den  sie 
schon  vor  der  Schlacht  bei  Plataiai  als  Gesandten  bei  sich  gesehen 
hatten,  für  sie  werth  sei;  sie  benutzten  also  ihre  Verbindungen  in 
Athen,  um  seinen  Einfluss  zu  stärken  und  zeigten  sich  fügsam  in 
allen  Verhandlungen,  bei  denen  er  thätig  war.  So  war  es  ihm  ge- 
lungen, Themistokles  mehr  und  mehr  bei  Seite  zu  schieben,  und  er 
wirkte  nach  der  Verbannung  des  Themistokles  noch  etwa  vier  Jahre 
in  enger  Gemeinschaft  mit  Aristeides,  dem  er  sich  aus  voller  Ueber- 
leugung  anschloss. 

Neben  den  glänzenden  Thaten  der  Feldherrn  trat  die  stillere  Ar- 
beit des  ordnenden  Staatsmanns  zurück,  und  es  ist  eine  der  schmerz- 
lichsten Lücken  der  Zeitgeschichte,  dass  wir  von  dem  Wirken  des 
Aristeides  in  den  zehn  Jahren,  welche  der  Stiftung  des  Bundes  folgten, 
nichts  wissen,  lieber  sein  Ende  ist  noch  weniger  bekannt,  als  über 
das  des  Themistokles. 

CortiM.  Gr.  Qttcb.  IL  0.  Aufl.  \Q 


Digitized  by  Google 


146 


AMSTEIDES'  TOD  UM  7»,  *;  4«7— «. 


Wir  hören  nur,  dass  er  im  Frühjahre  467,  als  die  'Sieben 
gegen  Theben'  von  Aischylos  aufgeführt  wurden,  im  Theater  war  und 
dass  Aller  Augen  sich  auf  ihn  wendeten,  als  man  die  Worte  vernahm, 
die  den  Seher  Amphiaraos  schilderten,  aber  auch  wohl  nach  des  Dichters 
Absicht  Aristeides  galten: 

'dem  Mann,  der  ein  Gerechter  sein,  nicht  scheinen  will, 
4dem  aus  der  tiefen  Furche  seiner  treuen  Brust 
'des  vielbewährten  Käthes  reiche  Saat  entspriefst'. 
Bald  nachher  ist  er  gestorben,  und  zwar,  wie  die  glaubwürdigste 
Ueberlieferung  lautet,  auf  einer  in  öffentlichen  Angelegenheiten  unter- 
nommenen Fahrt  nach  dem  schwarzen  Meere,  das  durch  Kimon  für 
Athen  geöffnet  war  und  von  jetzt  an  zum  attischen  Bunde  in  den 
wichtigsten  Beziehungen  stand. 

Aristeides'  Tod  (um  78,  2;  46V)  war  eine  Epoche  im  Leben  Ki- 
mons.  Jetzt  stand  er  allein  an  der  Spitze  des  Staats;  seine  Stellung  wurde 
schwieriger,  arbeitsvoller  und  gefährlicher.  Er  war  der  einzige  Führer 
derjenigen  Partei,  welche  wir  die  grofsgriechische  nennen  können, 
einer  Partei,  deren  Programm  auf  folgenden  Hauptpunkten  beruhte: 
Krieg  gegen  den  Nationalfeind  unter  Führung  Athens,  Aufrecht- 
erhaltung des  Bündnisses  mit  Sparta,  kräftige  Leitung  der  delischen 
Amphiktyonie  bei  möglichster  Schonung  der  verbündeten  Staaten78). 


Die  Siege  Kimons  waren  so  glänzend,  dass  eine  Zeitlang  kein 
Widerspruch  laut  wurde.  Aber  er  täuschte  sich,  wenn  er  glaubte, 
dass  durch  die  Verbannung  seines  Gegners  auch  der  Einfluss  desselben 
beseitigt  wäre.  Die  Gedanken  des  Themistokles  lebten  fort  und  tauchten 
mit  neuer  Kraft  in  einer  jüngeren  Generation  auf,  welche  der  Meinung 
war,  dass  der  viel  geschmähten  Einseitigkeit  und  Schroffheit  themisto- 
kleischer  Politik  die  einzig  richtige  Auffassung  der  gegebenen  Ver- 
hältnisse zu  Grunde  liege.  Wer  immer  auf  Sparta  Rücksicht  nehmen 
wolle,  der  könne  es  mit  der  Gröfse  Athens  nicht  aufrichtig  meinen ; 
das  sei  eine  feige  Politik,  die  zu  lauter  Halbheit  führen  müsse,  und 
zwar  um  so  mehr,  da  man  sich  auf  Spartas  Ehrlichkeit  und  bundes- 
freundliche Gesinnung  niemals  verlassen  könne.  Darum  müsse  man 
sich  von  solchen  Rücksichten  frei  machen;  man  müsse  kühn  und 
entschlossen  vorwärts  gehen,  um  im  Innern  die  Bürgerschaft  von 
jeder  Hemmung  frei,  nach  aufsen  den  Staat  so  stark  wie  möglich  zu 


Digitized  by  Google 


DIE  GEGNEI1  KIM0S8. 


147 


uneben,  und  seine  politischen  Grundsätze  im  weitesten  Umfange  zur 
Geltung  zu  bringen. 

Weil  Kimon  diese  Parteiricbtung  für  verderblich  hielt,  hatte  er 
an  Stelle  des  Aristeides  den  Kampf  gegen  Themistokles  aufgenommen  ; 
darum  hatte  er  seine  Verbannung  mit  allem  Eifer  betrieben  und 
darum  setzte  er  den  Kampf  gegen  seine  Anhänger  fort,  welche  auch 
mit  dem  Verbannten  in  Verbindung  blieben  und  Kimons  häuGge  Ab- 
wesenheit von  Athen  benutzten,  ihre  Kräfte  zu  sammeln.    Man  hat 
Kimon  zum  Vorwurfe  gemacht,  dass  auf  seine  Veranlassung  Epikrales 
von  Acharnai  zum  Tode  verurteilt  sei,  weil  er  dem  landesflüchtigen 
Themistokles  Frau  und  Kinder  zugeführt  habe.    Aber  wie  es  sich 
aoch  damit  verhalten  mag,  gewiss  hat  Kimon  nicht  aus  gemeiner 
Rachsucht  gehandelt,  sondern  es  müssen  mit  jenen  Freundschafts- 
diensten politische  Umtriebe  verbunden  gewesen  sein,  welche  sich 
als  slaatsgefährlich  und  gesetzwidrig  nachweisen  liefsen.  Das  freilich 
ist  deutlich,  dass  es  Kimon  nicht  vergönnt  war,  so  hoch  und  frei 
über  den  Zeilrichtungen  zu  stehen,  wie  Aristeides,  und  es  wäre  ein 
Wunder,  wenn  er,  seit  er  einmal  in  den  Parteikampf  eingetreten 
war,  dadurch  nicht  schroffer  und  einseitiger  geworden,  wenn  er  von 
aller  Parteileidenschaft  vollkommen  frei  geblieben  wäre.    Als  Sohn 
des  Miltiades  hatte  er  eine  angeborene  Neigung  über  die  gesetzlichen 
Schranken  des  Feldherrnamtes  hinauszugehen  und  bei  wichtigen  Ge- 
legenheiten eigenmächtig  zu  handeln76). 

Die  Gegenpartei  hatte  alle  Vortheile  einer  Fortschrittsparlei  für 
steh,  aber  es  fehlte  ihr  noch  an  Männern,  welche  es  mit  Kimon  auf- 
zunehmen im  Stande  waren.  Zu  ihren  Führern  gehörte  Ephialtes, 
der  Sohn  des  Sophonides,  ein  Mann,  dessen  Energie  und  Charakter 
auch  von  einem  so  strengen  Richter,  wie  Aristoteles  ist,  anerkannt 
wurde;  ein  echter  Republikaner,  der  immer  das  Wohl  des  Staats  im 
Auge  hatte  und  unermüdlich  war,  das  jedem  Bürger  zustehende 
Klagerecht  in  Anwendung  zu  bringen,  wo  er  das  öffentliche  Interesse 
gefährdet  glaubte;  doch  nicht  blofs  ein  Mann  des  Worts,  sondern 
auch  im  Kriege  als  Führer  thätig.  Zu  Ephialtes  hielten  sich  De- 
monides  von  Oia,  Lampon,  Charinos  u.  A.  Ihre  eigentliche  Be- 
deutung aber  erhielt  die  Partei,  als  Perikles,  des  Xanthippos  Sohn, 
sich  ihr  anschloss  und  durch  die  Gewalt  seines  überlegenen  Geistes 
es  bald  dabin  brachte,  dass  die  Anderen  von  ihm  sich  leiten 
ließen. 

10* 


Digitized  by  Google 


148 


DIE  GEGNER  KIMONS. 


Xanthippos  war  der  Hauptgegner  von  Kimons  Vater  gewesen 
(S.  29).  Aber  man  würde  Perikles  Unrecht  thun,  wenn  man  glaubte, 
dass  persönliche  Verhältnisse  und  Familienbeziehungen  einen  bestim- 
menden Einfluss  auf  seine  Parteistellung  gehabt  hätten.  Perikles 
hatte  sich  auf  dem  Wege  eigener  Erfahrung  seine  Ansicht  von  dem 
Berufe  Athens  gebildet.  Er  fühlte,  dass  seine  Generation  berufen  sei, 
nicht  blofs  in  Schlachten  zu  siegen,  sondern  dauernde  Früchte  des 
Siegs  einzuernten  und  Athen  die  Stellung  zu  verschaffen,  welche  nach 
solchen  Thaten  und  Opfern  ihm  gebührte.    So  sehr  er  nun  auch 
Kimons  Charakter  und  Verdienste  ehrte,  so  konnte  er  die  Beschränkt- 
heit seiner  politischen  Ansichten  und  die  bedenklichen  Folgen  seiner 
lakonisirenden  Richtung  doch  nicht  verkennen.  So  schön  der  kimo- 
nische  Wahlspruch  auch  lautete:  'Friede  unter  den  Stammgenossen, 
Krieg  mit  den  Barbaren',  so  konnte  dieser  Grundsatz  doch  unmöglich 
ausreichen,  um  der  Politik  Athens  Ziel  und  Inhalt  zu  geben;  er  hielt 
sie  vielmehr  in  Abhängigkeit  von  äufseren  Bedingungen,  die  man 
nicht  in  der  Gewalt  hatte;  er  forderte,  was  unter  Umständen  un- 
möglich war;  er  fesselte  die  freie  Bewegung  der  Stadt  und  hinderte 
sie,  ihrem  eigenen  Genius  zu  folgen. 

Perikles  ging  daher  auf  die  Gedanken  des  Themistokles  zurück. 
Er  erkannte,  dass  Athen,  wie  es  trotz  Sparta  eine  selbständige  Stadt 
geworden  sei,  so  auch  trotz  Sparta  seine  volle  Gröfse  erlangen  müsse. 
Seine  Gedanken  von  der  Zukunft  Athens  konnten  also  nur  verwirklicht 
werden,  wenn  Kimons  Einfluss  gebrochen  wurde,  und  darum  schloss 
er  sich  der  Partei  an,  welche  diesen  Zweck  verfolgte.  Mit  seiner 
eigenen  Person  hielt  er  vorsichtig  zurück,  um  sich  nicht  vor  der 
Zeit  zu  verbrauchen ;  auch  hatten  nur  wenige  seiner  Parteigenossen 
eine  Vorstellung  von  dem,  was  er  aus  Athen  machen  wollte.  Darin 
aber  waren  Alle  einig,  dass  es  zunächst  darauf  ankomme,  durch  ver- 
einte Anstrengung  Einfluss  zu  gewinnen  und  ihre  Partei  als  die  der 
wahren  Volksfreunde  geltend  zu  machen,  um  so  dem  glänzenden 
Waflenruhme,  der  gewinnenden  Persönlichkeit,  der  einflussreichen 
Freigebigkeit  Kimons  mit  Erfolg  gegenüber  treten  zu  können. 

Das  Mittel,  welches  zu  diesem  Zwecke  angewendet  wurde,  war 
sehr  wirksamer  Art.  Man  benutzte  nämlich  die  Festlust  der  Menge 
und  den  Hang  zum  Wohlleben,  welcher  bei  den  zuströmenden  Reich- 
thümem  und  dem  wachsenden  Verkehre  mit  Asien  in  steter  Zu- 
nahme war. 


Digitized  by  Google 


TAKTIK   DKR  REEORMPARTEI 


HO 


Die  Feste,  sagte  man,  seien  doch  dazu  bestimmt,  alt  und  jung, 
arm  und  reich  zu  erfreuen  und  alle  Standesunterschiede  verschwinden 
zu  lassen.  Aber  wie  wenig  sei  dies  der  Fall,  selbst  in  Athen,  der 
gepriesenen  Stadl  bürgerlicher  Gleichheit!  Nicht  einmal  an  den  Festen 
im  dionysischen  Theater,  wo  zu  allgemeiner  Erhebung  und  Freude  die 
tragischen  Chöre  ihre  Spiele  aufrührten,  könnten  die  armen  Bürger 
als  Zuschauer  Theil  nehmen,  seit  die  neue  Thealerordnung  eingeführt 
sei  und  an  jedem  Festtage  der  Silzplatz  für  zwei  Obolen  verkauft 
werde!  Ob  das  gerecht  und  billig  sei,  die  Männer,  welche  Noth  und 
Gerahr  mit  allen  Anderen  theilten,  von  den  Freudenfesten  der  Stadt, 
den  Tagen  der  Ruhe  und  Erquickung,  auszuschliefsen?  Und  haben 
nicht,  fragte  raau,  alle  Bürger  ihren  Antheil  an  dem  Schatze  des 
Staats,  welcher  das  Eigenthum  des  Volkes  ist?  [Ziemt  es  sich,  hier  Geld 
angehäuft  liegen  zu  lassen,  während  die  Eigenthümer,  desselben  sich 
die  edelsten  und  für  Alle  bestimmten  Lebensgenüsse  versagen  müssen? 

Es  wurde  also  der  Antrag  gestellt,  aus  den  üeberschüssen  der 
öffentlichen  Kassen  den  ärmeren  Bürgern  das  Eintrillsgeld  auszuzahlen, 
welches  am  Eingange  des  neu  erbauten  Theaters  eingefordert  wurde. 
Das  Geld  floss  in  die  Hand  des  Theaterbaumeisters,  welcher  dafür 
die  Verpflichtung  hatte,  die  Oertlichkeiten  in  Stand  zu  halten,  und 
anfordern  eine  Pachtsumme  an  den  Staat  entrichtete.  Mittelbar 
kam  also  das  vom  Staate  gezahlte  Geld  wieder  iu  seine  Kassen  zurück. 

So  wurde  die  Austheilung  der  zwei  Obolen  (27  Pf.),  die  'Diobolie', 
an  den  Dionysosfesten  eingeführt,  und  nachdem  dies  Beispiel  gegeben, 
wurden  auch  noch  für  andere  Feste  Geldvertheilungen  gemacht,  damit 
an  denselben  Keiner  aus  Armuth  verhindert  sei,  sich  bei  einer 
reichlicheren  Mahlzeit  einen  guten  Tag  zu  machen ;  die  Armen  sollten 
dabei  (das  war  ein  Hauptpunkt)  nicht  von  der  Freigebigkeil  reicher 
Börger  abhängig  sein,  welche  sich,  wie  Kimon,  durch  ihre  offene 
Tafel  Freunde  und  Anhänger  zu  gewinnen  wüssten.  Das  war  der 
Anfang  der  Theorika  oder  Festspenden  in  Athen77). 

Nachdem  die  Reformpartei  durch  solche  Mittel  Boden  gewonnen 
hatte,  fand  sie  bald  Gelegenheit  zu  offenen  Angriffen  auf  Kimon, 
indem  sie  seine  Feldberrnthätigkeit  einer  scharfen  Gontrole  unterzog. 
Es  bandelte  sieb  um  sein  Verfahren  im  thasischen  Kriege. 

Er  hatte  die  Weisung  erhalten,  gegen  Makedonien  vorzugehen 
und  makedonisches  Uferland  für  Athen  zu  besetzen,  ohne  Zweifel  vor 
allem  die  Grubenbezirke,  welche  Alexandros  ausbeutete.  Der  König 


Digitized  by  Google 


150 


PER1KLES  A.NKLÄGER  KIMONS. 


hatte  sieb,  um  nicht  die  Athener  zu  Nachbarn  zu  bekommen,  den  Tha- 
siern  günstig  erwiesen;  wenn  also  Kimon  gegen  den  Willen  des  Volks  die 
Gelegenheit,  ihn  dafür  büfsen  zu  lassen,  verabsäumt  habe,  so  sei  dies, 
wie  seine  Gegner  behaupteten,  nur  so  zu  erklären,  dass  er  durch  könig- 
liche Geschenke  bestochen  worden  sei.  Die  Bürgerschaft  war  auf  den 
Prozess  hinlänglich  vorbereitet  und  Perikles  wurde  als  öffentlicher 
Ankläger  bestellt,  um  Kimon  wegen  Ilochverraths  vor  das  Volksge— 
rieht  zu  ziehen.  Perikles  beschränkte  sich  auf  das  Notwendigste. 
Er  sah,  dass  zum  Sturze  seines  Gegners  die  Zeit  noch  nicht  gekommen 
sei;  der  Angeklagte  erwies  seine  Unschuld  und  die  Sache  schien  ohne 
Folgen  zu  sein78). 

Und  doch  war  dies  nicht  der  Fall.  Die  Parteien  hatten  sich  offen 
gegenüber  gestanden.  Der  Kampf  war  eröffnet,  und  nun  war  auch 
Kimon  gezwungen,  mit  seinen  Gesinnungsgenossen  sich  enger  zu- 
sammenzuschliefsen,  als  der  hochsinnige  und  selbstbewussle  Mann  es 
bis  dahin  für  nöthig  erachtet  hatte.  Er  wurde  dadurch,  dass  er  eine 
planmäfsig  vorgehende  Gegenpartei  vor  sich  sah,  selbst  in  eine  ent- 
schiedenere Stellung  und  zu  einem  schärferen  Ausdrucke  seiner  An- 
sichten gedrängt.  Rücksichtsloser  pries  er  die  gesetzmäfsige  und  ver- 
fassungstreue Haltung  der  Bürger  Spartas,  eiferte  heftiger  gegen  alle 
dem  väterlichen  Herkommen  feindlichen  Tendenzen  des  jungen  Athens 
und  sprach  immer  bestimmter  seineu  Grundsatz  aus,  dass  Athen  und 
Sparta  Glieder  eines  Ganzen  seien,  ein  Doppelgespann,  von  den  Göllern 
zusammengefügt,  in  welchem  der  ruhige  Gang  des  einen,  der  leb- 
haftere des  anderen  Genossen  sich  zu  gegenseitigem  Nutzen  und 
Frommen  ausgleichen  sollten.  Politische  Parteinamen  vergröfserten 
die  Spannung.  Wer  für  Sparta  das  Wort  nahm  und  spartanische  Sitten 
entweder  lobte  oder  selbst  nachahmte,  der  wurde  dadurch  ein  Feind 
des  Fortschritts,  ein  Feind  der  Volksfreiheit;  der  i^konismus'  wurde 
immer  offener  als  ein  Verralh  an  den  vatersläd tischen  Interessen  be- 
zeichnet. 

Es  ist  uns  noch  von  einem  zweiten  Prozesse  Kimons  eine  dunkle 
Kunde  überliefert;  es  war  ein  peinlicher  Prozess,  in  welchem  er  nur 
durch  eine  Mehrheit  von  drei  Stimmen  vom  Tode  gerettet  und  dann 
zu  einer  Geldbufse  von  50  Talenten  verurteilt  wurde.  Es  handelte 
sich  dabei  um  ein  Vorgehen  Kimons,  das  ihm  als  ein  Versuch 
zum  Umsturz  der  Verfassung  ausgelegt  werden  konnte.  Zeit  und  Ver- 
anlassung dieses  Kampfes  können  bis  jetzt  nicht  aufgeklärt  werden. 


Digitized  by  Google 


HÜLFSCESUCII  SPARTAS  (T9,  3;  4SI). 


151 


Während  sich  so  die  Parteien  mit  geschärften  Waffen  gegenüber- 
standen, trat  das  Erdbeben  ein  und  in  Folge  dessen  die  Revolution 
in  Lakonien  (S.  142).  Sparta  konnte  der  aufrührerischen  Massen, 
die  sieb  in  Ithome  festgesetzt  hatten,  nicht  Herr  werden  und  schickte 
endlich  Gesandte  nach  Athen,  um  Bundeshülfe  in  Anspruch  zu  nehmen; 
das  geschab,  wie  es  scheint,  gleich  nach  Beendigung  des  thasiseben 
Krieges  (Ol.  79,  3;  461). 

Da  traten  von  Neuem  die  Parteien  gegen  einander  in  die  Schranken. 
Ej»hialtes  hatte  für  seine  stürmische  Beredtsamkeit  eine  sehr  dankbare 
Aufgabe,  wenn  er  dem  Volke  vorhielt,  welche  Thorheil  es  wäre,  den 
Sjartanern  Hülfe  zu  schicken,  um  ihre  Despotie  im  Peloponnes  auf- 
recht zu  erhalten !  Ob  sie  das  um  Athen  verdient  hätten  ?  Ob  sie  in 
den  Nöthen  der  Perserkriege  nicht  immer  zu  spät  gekommen  wären  ? 
Ihre  wahre  Gesinnung  hätten  sie  erst  neuerdings  verrathen ;  denn  die 
den  Thasiern  gemachten  Versprechungen  seien  kein  Geheimniss  mehr. 
Dadurch  seien  die  auf  dem  Siegesfelde  von  Plataiai  erneuten  Verträge 
tatsächlich  gebrochen,  und  dennoch  wolle  man  nun  Truppen  aussenden, 
om  dem  gehässigsten  Feinde  aus  der  Noth  zu  helfen  und  ihn  in 
Stand  tu  setzen,  den  gutmüthigen  Athenern  bei  erster  Gelegenheit 
wieder  Schaden  und  Unbill  zuzufügen! 

Es  macht  der  attischen  Bürgerschaft  grofse  Ehre,  wenn  sie  einer 
Rede,  welche  alle  Leidenschaft  entflammte,  nicht  unbedingt  Gehör  gab, 
nenn  sie  am  Ende  doch  dem  Kimon  zustimmte,  welcher  verlangte, 
dass  sie  auch  die  gerechte  Aufregung  bemeistern,  jede  unwürdige 
Schadenfreude  überwinden  und  ohne  Rücksicht  auf  eigenen  Vortheil 
den  noch  zu  Recht  bestehenden  eidgenössischen  Verpflichtungen  nach- 
kommen sollten.  Viertausend  Schwerbewaffnete,  ein  Drittel  des  bürger- 
lichen Aufgebots,  rückten  unter  Kimon  über  den  Isthmos,  um  bei  der 
Eroberung  von  Ithome  zu  helfen.  Es  war  ein  glänzender  Sieg  seiner 
Partei,  und  Sparta  hatte  allen  Grund,  ihm  für  seine  Bemühungen 
dankbar  zu  sein. 

Aber  was  geschah?  Als  die  Truppen  vor  Ithome  lagen,  als  der 
Sturm  auf  die  Burgmauern  nicht  so  rasch  gelang,  wie  man  erwartet 
hatte,  und  sich  die  Belagerung  von  Neuem  in  die  Länge  zog,  be- 
reuten die  Spartaner,  was  sie  gelhan.  Im  gemeinsamen  Heerlager 
kam  es  ihnen  erst  recht  zum  Bewusstsein,  welche  Entfremdung 
zwischen  dorischem  und  ionischem  Volk  eingetreten  sei  und  ein 
Misstrauen  ergriff  sie,  das  sie  nicht  unterdrücken  konnten.  Sie 


Digitized  by  Google 


1.V2 


Regeneration  von  argos 


fürchteten,  dass  sich  zwischen  Athenern  und  Messeniern  ein  Ein- 
versländniss  bilden  möchte;  sie  kannten  die  Unzuverlässigkeit  der  den 
Ioniern  verwandten  Bevölkerung  von  Argolis;  sie  mussten  unter 
diesen  Verhältnissen  fürchten,  dass  die  längere  Anwesenheit  eines 
attischen  Bürgerheeres,  in  dem  so  viel  unruhiges  Streben  nach 
Neuerungen  lebendig  war,  ihnen  gefahrlich  werden  könne;  es  quälte 
sie  der  Gedanke,  dass  die  Athener  alle  Schwächen  Spartas  zu  genau 
kennen  lernen  und  dass  die  dorischen  Bürger  von  den  freieren 
Lebens-  und  Staatsanschauungen  ihrer  Lagergenossen  angesteckt 
werden  möchten.  Diese  Besorgnisse  überwogen  jede  andere  Rücksicht. 
Die  Athener  wurden  von  allen  Bundesgenossen  allein  verabschiedet, 
indem  man  sich  durch  den  nichtigen  Vorwand,  ihrer  Hülfe  nicht 
länger  zu  bedürfen,  zu  entschuldigen  suchte79). 

Die  Bürgerschaft  Athens  musste  sich  durch  dies  schnöde  Ver- 
fahren auf  das  Tiefste  verletzt  fühlen ;  die  Reformpartei  erlangte  so- 
fort das  Uebergewicht  und  versäumte  nicht,  diese  Stimmung  zu  den 
folgenreichsten  Anträgen  zu  benutzen.  Es  wurde  beschlossen,  den 
undankbaren  Spartanern  das  Bündniss  aufzukündigen  und  zugleich 
mit  den  heimlichen  Feinden  Spartas,  die  man  jetzt  näher  kennen  ge- 
lernt hatte,  in  nähere  Beziehungen  zu  treten;  vor  allen  mit  Argos. 

Die  Argiver  hatten  sich  während  einer  fast  dreißigjährigen  Ruhe 
von  dem  kleomenischen  Kriege  erholt;  eine  neue  Generation  war 
herangewachsen  und  fühlte  sich  muthig  genug,  an  eine  politische 
Wiedererhebung  ihres  Staats  mit  allem  Ernste  zu  denken.  Die 
städtische  Bevölkerung  wurde  aus  den  ländlichen  Gemeinden  verstärkt, 
und  dann  wurden  die  umliegenden  Städte  achäischer  Bevölkerung, 
welche  während  der  Schwäche  von  Argos  selbständige  Mitglieder  des 
hellenischen  Bundes  geworden  waren,  so  dass  sie,  wie  Mykenai,  Tiryns 
und  Hermion,  ihre  eigenen  Contingente  gegen  die  Perser  gestellt 
hatten,  eine  nach  der  andern  mit  Krieg  überzogen  und  unterworfen. 
Mykenai  leistete  hinter  seinen  kyklopischen  Mauern  zähen  Widerstand; 
leichler  beugten  sich  Tiryns,  Hysiai,  Mideia  u.  A.  Argos,  aus  allen 
aufgehobenen  Gemeinden  durch  Ansiedler  vergröfsert,  wurde  eine 
ganz  neue  Stadt,  eine  Grofsstadt  und  zum  ersten  Male  im  vollen 
Sinne  die  Hauptstadt  seiner  Landschaft. 

Die  Anfange  dieser  Erhebung  von  Argos  gehören  schon  den 
früheren  Jahren  an,  und  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  Themistokles, 
der  nirgends  unlhätig  sein  konnte,  seine  Anwesenheit  daselbst  (S.131) 


Digitized  by 


BRUCH  MIT  SPARTA,  RUND  MIT  ARGOS  (461). 


153 


benutzt  hat,  um  die  Argiver  zu  diesen  Bestrebungen  anzuregen  und 
sie  dabei  mit  Rath  und  Tbat  zu  unterstützen;  nicht  minder  wahr- 
scheinlich ist  es,  dass  er  schon  eine  engere  Verbindung  zwischen 
Athen  und  Argos  im  Auge  hatte.  Dann  ist  die  Erbitterung,  mit 
welcher  Sparta  ihn  verfolgte,  um  so  erklärlicher;  denn  die  Erhebung 
von  Argos  war  der  gefährlichste  Angriff  auf  Spartas  Hegemonie.  Die 
Ausführung  jener  Mafsregeln  aber,  namentlich  die  gewaltsame  An- 
nexion der  umliegenden  Städte,  erfolgte  wahrscheinlich  um  463  und 
462  (79.  3),  als  Sparta  der  inneren  Kriege  wegen  aufser  Stande  war, 
die  Fortschritte  der  argivischen  Nacht  zu  hemmen  und  die  Zer- 
störung von  Mykenai  und  Tiryns  zu  hindern. 

So  glücklich  aber  den  Argivern  auch  der  Anfang  ihrer  poli- 
tischen Wiedergeburt  gelungen  war,  so  bedurften  sie  doch  zu  einer 
sicheren  Stellung  auswärtiger  Bundesgenossenschaft.  Wie  erwünscht 
kam  ihnen  also  jetzt  der  Bruch  zwischen  Athen  und  Sparta !  Aufser- 
dem  hatte  Argos  durch  Aufnahme  einer  zahlreichen  ionisch-achä- 
ischen  Bevölkerung  den  Charakter  einer  dorischen  Stadt  mehr  und 
mehr  verloren ;  es  hatte  eine  freie  Gemeindeverfassung  eingeführt  und 
war  nun  um  so  besser  zu  einer  nahen  Verbindung  mit  Athen  ge- 
eignet  Ende  461  (79,  4)  wurde  also  der  Bund  zwischen  Athen  und 
Argos  geschlossen,  der  erste  Sonderbund,  welcher  die  politische  Ein- 
heit des  hellenischen  Volks  sprengte. 

Die  Spaltung  der  Nation  ging  auch  auf  Nordgriechenland  über. 
Wie  Makedonien  sich  aus  Missgunst  gegen  Athen  den  Spartanern  zu- 
wandte und  den  flüchtigen  Mykenäern  eine  neue  Heimat  gewährte, 
so  trat  wiederum  Thessalien  dem  Sonderbunde  bei,  und  man  hoffte, 
durch  fortschreitende  Ausdehnung  desselben  den  alten  Staatenbund 
immer  mehr  zu  entkräften. 

So  triumphirten,  nachdem  Sparta  seine  Partei  in  Athen  so  un- 
Teratfndig  preisgegeben  hatte,  die  Gegner  derselben;  es  war  für  sie 
ein  unberechenbarer  Gewinn ,  dass  nun  nicht  mehr  zu  Recht  be- 
gehende Verbindlichkeiten  gegen  Sparta  vorgeschützt  werden  konnten, 
WD  Athen  in  seiner  freien  Bewegung  zu  hemmen79*). 

Aber  noch  immer  konnte  das  junge  Athen  nicht  vorwärts,  wie  es 
wollte.  In  der  Volksversammlung  und  dem  Käthe  der  Fünfhundert 
Deigte  sich  die  Mehrzahl  wohl  immer  entschiedener  den  Rednern  der 
Hefannpartei  zu ;  aber  die  älteren  Bürger,  welche  von  einer  noch  un- 
beschränkteren Beiheiligung  des  Volks  an  den  öffentlichen  Geschäften 


Digitized  by  Google 


154 


STELLUNG  DES  ARF.OFAGS. 


und  von  allen  darauf  bezüglichen  Einrichtungen  nichts  wissen  wollten, 
bildeten  noch  eine  Macht  im  Staate,  und  sie  hatten  ihren  Stützpunkt 
im  hohen  Rathe  des  Areopags,  welcher  nur  solche  Bürger  in  sich 
vereinigte,  die  durch  höheres  Alter,  reiche  Lebenserfahrung  und 
Besonnenheit  vom  Einflüsse  der  öffentlichen  Meinung  unabhängig 
waren.  Hier  safsen  vorzugsweise  Männer  aus  den  oberen  Vermögens- 
klassen zusammen  und  bildeten  unter  lauter  jährlich  wechselnden  und 
rechenschaftspflichtigen  Behörden  die  einzige  Körperschaft,  welche  aus 
lebenslänglichen,  unverantwortlichen  Mitgliedern  bestand  und  deshalb 
durchaus  geeignet  war,  mit  Festigkeit  und  Uebereinstimmung  ihre  An- 
sichten im  Staate  geltend  zu  machen.  Sie  waren  vermöge  ihres  Ober- 
aufseheramts berufen,  das  gesellschaftliche  Leben  zu  überwachen,  alte 
Zucht  und  Sitte  zu  wahren  und  leichtsinniger  Neuerungssucht  ent- 
gegen zu  treten.  Mächtig  durch  das  Ansehen,  welches  sie  in  ganz 
Hellas  genossen,  noch  mächtiger  durch  die  Ehrfurcht,  mit  welcher  alle 
Athener  von  Jugend  auf  gegen  den  hohen  Rath  erfüllt  waren,  war  der 
Areopag  während  der  Persernoth,  wo  er  durch  seine  Thatkraft  und 
seinen  Patriotismus  zur  Rettung  Athens  wesentlich  beigetragen  hatte, 
noch  mehr  an  Ansehen  gestiegen  (S.  72).  So  stand  er  wie  ein  festes 
Bollwerk  allen  Versuchen  die  solonische  Verfassung  umzugestalten 
gegenüber,  und  je  heftiger  die  Gegner  sich  anstrengten,  je  rücksichts- 
loser sie  vorgingen,  um  so  schroffer  und  eigensinniger  nahm  auch  der 
Areopag  seine  Stellung  ein. 

Der  Areopag  war  kein  Oberhaus,  welchem  eine  schliefsliche 
Bestätigung  aller  Anordnungen  der  Gesetzgebung  verfassungsmäfsig 
vorbehalten  war,  aber  er  folgte  allen  Verhandlungen  in  Rath  und 
Bürgerschaft,  in  deren  Versammlungen  er  wahrscheinlich  durch  ein- 
zelne Mitglieder  vertreten  war,  um  bei  allen  Neuerungen,  welche  ihm 
bedenklich  erschienen,  Einsprache  zu  thun.  Diese  Einsprache  war  so 
gut  wie  ein  Veto,  denn  für  das  Erste  war  jedenfalls  die  Durchführung 
unstatthaft. 

In  einem  Staate,  wo  Alles  nach  bestimmten  Normen  geordnet 
schien,  war  die  Macht  des  Areopags  ohne  feste  Gränzen  und  deshalb  um 
so  gewalliger;  eine  Macht,  welche  in  das  Rathhaus,  auf  die  Pnyx,  ja 
bis  an  den  Herd  des  Privathauses  reichte.  Jeder  konnte  vorgefordert 
werden,  und  schon  die  blofse  Verwarnung  war  ein  dauernder  Makel. 
Die  Areopagiten  bildeten  keine  geschlossene  Zahl,  sondern  sie  nahmen 
Jahr  für  Jahr  die  abgehenden  Archonten  auf  (I,  325).    Indessen  ist 


Digitized  by  Google 


ZÜC  NACH  ÄGYPTEN  (80,  1?  460). 


155 


damit  nicht  gesagt,  dass  Jeder,  welcher  den  Gesetzen  gemäfs  sein  Amt 
bekleidet  hatte,  ohne  Weiteres  Mitglied  des  hohen  Raths  wurde.  Es 
fand  eine  Prüfung  Tor  der  Aufnahme  statt,  und  diese  Prüfung  wird 
dazu  benutzt  worden  sein,  um  solche  Archonten  zurückzuweisen,  deren 
sittliche  oder  politische  Hallung  missliebig  war.  So  erklärt  sich,  dass 
der  Areopag  immer  mehr  in  eine  schroffe  Parteistellung  kam,  und  dass 
er  der  geistigen  Bewegung,  welche  das  junge  Athen  ergriffen  hatte, 
immer,  mehr  sich  entfremdete;  so  kam  es,  dass  um  dieselbe  Zeit,  da 
ganz  Griechenland  in  zwei  Hälften,  in  Bund  und  Gegenbund,  zerfallen 
war,  auch  Athen  in  zwei  politische  Heerlager  sich  trennte,  welche  sich 
mit  steigender  Erbitterung  gegenüber  standen80). 

Millen  in  diese  Zeit  der  höchsten  Spannung  traf  ein  Ereig- 
nis, welches  für  kurze  Zeit  die  Aufmerksamkeit  nach  aufsen  ab- 
lenkte. 

Aegypten,  das  immer  unruhige  Land,  war  wieder  von  den  Per- 
sern abgefallen,  und  der  Libyer  Inaros,  des  Psammelichos  Sohn, 
wollte  die  Verwirrung  des  Perserreichs  benutzen,  um  ein  selbstän- 
diges Pharaonenreich  herzustellen.  Er  reichte  aber  mit  seinen  ein- 
heimischen Hülf&mitteln  nicht  aus,  als  sich  die  Perser  mit  ganzer 
Macht  auf  Aegypten  warfen,  und  so  forderte  er  die  Athener  zur  Unter- 
stützung auf,  indem  er  ihnen  ohne  Zweifel  mancherlei  Handelsvorlheile 
in  Aussicht  stellte. 

Diese  Gelegenheit,  der  Persermacht  neuen  Abbruch  zu  thun, 
durfte  man  nicht  vorüberlassen.  Denn  im  Umkreise  des  Archipelagus 
war  die  Persermacht  gelähmt;  sie  zeigte  sich  nirgends  und  war  der 
Mittel  beraubt,  eine  neue  Flotte  zu  bilden.  Die  Perser  zu  Lande  an- 
rogreifen,  wo  die  karischen  und  lykischen  Binnenstädte  immer  nur 
Bitweise  dem  delischen  Bunde  angehört  haben,  dazu  fehlten  wiederum 
den  Athenern  die  Mittel.  Das  ägyptische  Flussland  dagegen  schien  ein 
geeigneter  Boden  für  neue  Unternehmungen  zu  sein.  Aegypten  war 
für  das  kornarme  Attika  von  unschätzbarer  Bedeutung;  zugleich  war 
es  auch  der  einzige  Theil  der  persischen  Monarchie,  wo  eine  Flotten- 
niacht  ohne  Landheer  dauernde  und  wichtige  Erfolge  erzielen  konnte; 
denn  ohne  den  sicheren  Besitz  Aegyptens  war  der  Grofskönig  in  allen 
tnternebmungen  gegen  Griechenland  gelähmt.  Das  waren  Gründe 
8*n»g,  um  auf  das  Hülfsgesuch  des  Inaros  einzugehen,  und  es 
«heint,  dass  Kimon  selbst  die  Flotte  von  Kypros,  wo  sie  zweihundert 
Segel  stark  lag,  nach  Aegypten  führte;  denn  trotz  der  Niederlage, 


Digitized  by  Google 


156  DAS  GESETZ  DES  EPHIALTES  (80,  1;  460). 

die  seine  Politik  erlitten  hatte,  war  sein  persönliches  Ansehen  noch 
ungebrochen,  und  seine  Gegner  wagten  nicht,  zu  den  entscheidenden 
Schritten  vorzugehen,  wenn  er  in  Athen  anwesend  war.  Es  wird 
ausdrücklich  überliefert,  dass  Epbialtes  die  Abwesenheit  des  Kimon 
auf  einem  neuen  Seefeldzuge  benutzte,  um  bei  der  Bürgerschaft  das 
lange  vorbereitete  Gesetz  gegen  den  Areopag  einzubringen81). 

Noch  einmal  stellte  er  alle  Gründe  zusammen,  um  die  Bürger  von 
der  Unvereinbarkeit  areopagitischer  Vollgewalt  mit  den  Grundsätzen 
der  Demokratie  zu  überzeugen.  Es  könne  nicht  geduldet  werden, 
dass  ein  Collegium  betagter  Leute,  welche  die  Zeit  und  ihre  For- 
derungen nicht  verständen,  mit  eigensinnigem  Kastengeiste  allen 
heilsamen  und  noth wendigen  Reformen  sich  widersetze;  ein  solcher 
Areopag  sei  nicht  mehr,  wie  Solon  gewollt  habe,  einer  der  beiden 
Anker,  welche  das  bewegte  Staatsschiff  auf  dem  Boden  der  Ver- 
fassung hielten,  sondern  ein  lästiger  Hemmschuh,  eine  unerträgliche 
Fessel  für  die  nach  freier  Bewegung  verlangende  und  dazu  voll- 
berechtigte Bürgerschaft;  er  sei  der  Sitz  einer  volksfeindlichen  Partei, 
welche  aufgelöst  werden  müsse,  um  die  volle  Entfaltung  der  attischen 
Macht  möglich  zu  machen. 

Umsonst  eiferten  die  älteren  Familienväter,  die  sich  kein  Athen 
ohne  den  hohen  Rath  des  Areopags  denken  konnten;  umsonst 
warnten  Priester  und  Seher.  Das  Gesetz  ging  durch,  welches  dem 
Areopag  allen  Einfluss  auf  Politik  und  Gesetzgebung  entzog.  Dabei 
hütete  man  sich  aber,  diejenigen  Gerechtsame  anzutasten,  auf  welche 
der  Areopag  ein  durch  die  Religion,  geheiligtes  und  unveräusserliches 
Anrecht  halte.  Darum  blieben  ihm  nach  wie  vor  die  Blutgerichte, 
die  Gerichte  über  vorsätzlichen  Bürgermord.  Denn  hier  konnte  die 
Sühne  nur  nach  geheimnissvollen  Satzungen  vollzogen  werden,  die 
zum  Cultus  der  Erinyen,  der  Rächerinnen  der  Blutschuld,  gehörten. 
Die  Areopagilen  waren  aber  seit  ältester  Zeit  die  Diener  dieser 
hehren  Gottheiten,  deren  Heiligthum  am  Areshügel  gelegen  war,  auf 
dem  die  Richter  safsen.  Somit  hörte  der  Areopag  auf,  ein  hoher 
Rath  der  attischen  Gemeinde,  eine  Oberaufsichtsbehörde  von  cen- 
sorischer  und  unbestimmter  Machtfülle  zu  sein;  er  wurde  ein 
Gerichtshof  von  bestimmt  begränzter  Wirksamkeit. 

Diese  durchgreifende  Reform  der  solon ischen  Gesetzgebung  ging 
am  Ende  rascher  durch,  als  man  erwartet  hatte.  Die  conservalive 
Partei  sah  sich  entwaffnet  und  des  wirksamsten  Mittels  beraubt,  um 


Digitized  by  Google 


KIM0NS   VERBANNUNG  (80,  1 ; 


157 


der  rücksichtslosen  Bewegung  entgegen  zu  treten.  Aber  noch  war  sie 
nicht  enlmulhigt.  Kimon  kehrte  zurück.  Ihm  lag  der  Areopag 
wegen  seiner  Geltung  in  ganz  Griechenland  vorzugsweise  am  Herzen. 
Er  war  entschlossen  zu  retten,  was  noch  möglich  war;  ja  er  hielt 
es  noch  für  möglich,  den  verübten  Eingriff  in  die  Ordnung  des 
Staats  rückgängig  zu  machen;  denn  allerdings  konnte  die  Recht- 
niülsigkeit  einer  solchen  Verfassungsreform  angefochten  werden,  weil 
der  verfassungsmäfsige  Einspruch  des  Areopags  unberücksichtigt  ge- 
blieben war.  Er  betrachtete  die  Reform  wie  eine  Revolution  und 
als  ihre  nolhwendige  Folge  den  Untergang  des  Staats;  denn  was 
sollte  daraus  werden,  wenn  die  Gemeinde  schrankenlos  und  allmächtig 
wäre,  wenn  sie  berauscht  von  dem  Gefühle  Alles  durchsetzen  zu 
können,  nach  ihrer  Laune  regieren  wollte! 

So  kam  es  noch  nach  dem  Gesetze  des  Ephialtes  zu  einem 
heftigen  Kampfe  um  den  Areopag.  Es  war  ein  offener  Kampf  zweier 
Parteien,  welche  beide  mächtig  und  zum  Aeufsersten  entschlossen 
waren.  Unter  solchen  Umständen  konnte  nur  das  Scherbengericht 
helfen,  um  den  Staat  aus  dem  gefahrlichsten  Zwiespalte  zu  retten. 
In  einer  Zeit,  da  Athen  und  Sparta,  und  mit  ihnen  die  demokratischen 
und  die  aristokratischen  Staaten  von  Hellas  zu  offener  Fehde  gegen 
einander  Front  machten,  schien  Kimons  Anwesenheit  in  Athen  uner- 
träglich. Die  Bürgerschaft,  von  den  Rednern  aufgeregt,  wandte  sich 
von  dem  Manne  ab,  den  sie  zehn  Jahre  lang  als  ihren  Helden  und 
Liebling  gefeiert  hatte,  und  Kimon  wurde  verbannt.  Allerlei  persönliche 
Gründe  sollen  dabei  im  Spiele  gewesen  sein.  Das  allein  Entscheidende 
aber  war,  dass  Kimon  sich  in  die  neue  Ordnung  der  Dinge,  welche 
die  perikleische  Partei  durch  ihren  Vorkämpfer  Ephialtes  durch- 
gesetzt hatte,  und  in  die  neuen  Verhältnisse  der  griechischen  Staaten 
zu  einander  nicht  fügen  konnte  und  wollte. 

Aus  den  leidenschaftlichen  Gährungen  und  Kämpfen  dieser  Jahre 
ging  wie  ein  verklärter  Ausdruck  der  Parleibewegungen  die  Orestie 
des  Aischylos  hervor,  welche  Ol.  80,  2  (458)  zur  Aufführung  kam. 
Aischylos  gehörte  zu  den  Athenern  der  älteren  Generation,  welche 
in  Ehrfurcht  vor  dem  Areopag  aufgewachsen  und  mit  tiefem  Schmerz 
Zeugen  seiner  Erniedrigung  waren.  Darum  suchte  er  ihn  noch  in 
der  vollen  Glorie  alter  Sagen  den  Athenern  vor  Augen  zu  stellen. 
Orestes,  der  irrende  Muttermörder,  flüchtet  von  Delphi  an  den  Altar 
der  Stadtgöltin  von  Athen.    Von  den  Erinyen  eingeholt  und  um- 


Digitized  by  Google 


158 


BESCHHÄISKUNG  DES  AREOPAÜS. 


ringt,  ruft  er  um  Hülfe.  Athena  erscheint.  In  eigener  Person 
verhört  sie  die  Parteien  und  setzt  dann,  damit  der  leidenschaftliche 
Streit  ordnungsmäßig  entschieden  werde,  aus  den  Edelsten  der 
athenischen  Bürgerschaft  einen  Gerichtshof  ein.  Sie  leitet  selbst  die 
Verhandlungen,  bei  denen  Apollo  der  Sachwalter  des  Angeklagten  ist, 
und  entscheidet  durch  ihre  Stimme  die  Freisprechung  desselben. 
Sie  verordnet  endlich,  dass  der  von  ihr  zuerst  berufene  Rath  auf 
dem  Areshügel  für  ewige  Zeiten  bestehen  solle. 

So  stellte  der  Dichter  den  Areopag  als  eine  göttliche  Gründung 
und  ein  unverletzliches  Heiligthum  der  Stadt  dar,  um  ihn  vor 
weiteren  Angriffen  nach  Kräften  zu  schützen,  und  so  erscheint  uns 
seine  Tragödie  als  der  versöhnende  Abschluss  einer  der  schwierigsten 
Verfassungskämpfe,  welche  Athen  durchzumachen  gehabt  hat83). 

Es  war  aber  kein  leichtsinnig  begonnener,  sondern  ein  unver- 
meidlicher. Denn  so  ehrenwerlh  auch  die  Beweggründe  waren, 
welche  die  älteren  Athener  veranlassten,  sich  um  den  Areopag,  wie 
um  ein  Bollwerk  alter  Zucht  und  Ordnung,  zu  schaaren,  so  ist  doch 
unverkennbar,  dass  er  der  Entwickelung  volkstümlicher  Verfassung 
im  Wege  stand  und  zu  ununterbrochener  Reibung  Anlass  geben 
rousste,  ohne  im  Stande  zu  sein,  den  Gefahren,  welche  das  Staats- 
leben der  Athener  zu  bestehen  hatte,  in  wirksamer  Weise  zu  begegnen. 
Erst  seit  der  Reform  des  Ephialtes  konnten  die  Grundsätze  der 
Demokratie,  namentlich  die  allgemeine  Rechenschaftspflicht,  voll- 
ständig durchgeführt  werden.  Nun  gab  es  keine  Körperschaft  mehr 
im  Staate,  deren  Mitglieder  eine  lebenslängliche,  von  der  öffentlichen 
Meinung  unabhängige  Macht  besafsen  und  in  der  Ausübung  dieser 
Macht  nur  ihrem  eigenen  Gewissen  verantwortlich  waren.  Jetzt 
erst  war  die  Bürgerschaft  von  jeder  Bevormundung  frei  und  darauf 
angewiesen,  sich  selbst  zu  regieren  und  in  sich  das  richtige  Mals 
der  Bewegung  zu  finden.  Sie  hat  ihre  volle  Selbstherrschaft  erlangt. 
Was  sie  beschliefst,  ist  Gesetz,  und  aufser  den  geschriebenen  Gesetzen 
giebt  es  keine  andere  rechtsgültige  Norm  des  öffentlichen  Lebens. 
Der  Staat  ist  jetzt  4Rath  und  Bürgerschaft':  der  Rath  aber  besieht 
aus  jährlich  wechselnden  Mitgliedern,  so  dass  er  keine  Partei  im  Staate 
werden  und  keine  selbständige  Autorität  der  Volksversammlung  gegen- 
über haben  konnte.  Denn  er  war  im  Wesentlichen  nur  ein  Ausschuss 
derselben  zur  Besorgung  der  Verwaltungsgeschäfte,  ebenso  wie  die 
jährigen  Beamten  nichts  Anderes  waren,  als  die  Diener  des  Volkswillens. 


Digitized  by  Googh 


ERSATZ  DES  AREOPAGS 


159 


Wenn  aber  eine  Behörde  von  solcher  Bedeutung,  wie  sie  der 
Areopag  balle,  auf  einmal  ihres  maßgebenden  Einflusses  beraubt 
wurde,  so  musste  für  einen  Ersatz  gesorgt  werden,  damit  keiue 
Unordnung  einreifse  und  der  Staat  sich  nicht,  jeder  zurückhaltenden 
Kraft  beraubt,  in  vorschneller  Entwicklung  überstürze.  Es  musste 
namentlich  für  die  Statigkeit  des  Verfassungslebens,  und  die  Ueber- 
einstimmung  der  älteren  und  der  neuen  Gesetze  Sorge  getragen 
werden;  es  musste  auch  jetzt  eine  Controle  stattfinden,  aber  sie 
sollte  nun  von  der  Bürgerschaft  selbst  ausgehen. 

Zu  diesem  Zwecke  wurde  die  Einrichtung  getroffen,  dass  jähr- 
lich aus  den  Bürgern  eine  Commission  erloost  wurde,  die  sogenannten 
Gesetzeswächter  (Nomophylakes),  ein  Collegium  von  sieben  Männern, 
welche  bei  allen  Raths-  und  Volksversammlungen  auf  besonderen 
Ehrensitzen  anwesend  waren  und  die  Verpflichtung  hatten,  die  An- 
trage der  Redner  zu  prüfen  und  gegen  alle  staatsgeßhrlichen  oder 
verfassungswidrigen  Beschlüsse  Einspruch  zu  thun.  In  dieser  Weise 
wurde  das  Veto  der  Areopagiten  dem  Staate  erhallen;  aber  freilich 
bezog  sich  die  neue  Controle  in  der  Regel  nur  auf  die  Form  der 
Anträge,  auf  äußerliche  Uebereinstimmung  der  Gesetze  und  Auf- 
rech terbaltung  der  hergebrachten  Ordnung. 

Aufserdem  muss  auch  für  die  Beaufsichtigung  des  öffentlichen 
Lebens  und  namentlich  des  Jugendunlerrichts,  welche  einen  so 
wichtigen  Beslandtheil  der  areopagitischen  Thätigkeit  bildete,  ein 
Ersatz  eingetreten  sein,  und  es  ist  wahrscheinlich,  dass  die  Aemter 
der  Sophronisten,  welche  die  Knabenzucht,  und  der  Gynäkonomen, 
welche  die  Sitten  des  weiblichen  Geschlechts  zu  überwachen  hatten, 
erst  um  diese  Zeit  eingerichtet  oder  jetzt  erst  selbständige  Aemter 
geworden  sind88). 

Die  Hauptsache  aber  war,  dass  fortan  alle  Bürger  berufen 
waren,  für  die  Aufrechthaltung  der  gesetzlichen  Ordnung  zu  sorgen 
und  jede  verfassungswidrige  Handlung  zu  rügen.  Um  so  nöthiger 
war  eine  allgemeine  Kenntniss  des  bestehenden  Rechts,  und  des- 
halb wurden  die  solonischen  Gesetztafeln  von  der  Akropolis  her- 
untergebracht und  zu  gröfserer  Oeffentlichkeit  in  den  Hallen  am 
Markte  aufgestellt. 

Wenn  die  Hut  der  alten  Gesetze  die  Sache  des  Areopags  ge- 
wesen war,  so  wurde  für  die  neuen  Gesetze  die  Einrichtung  ge- 
troffen, dass  sie,  wenn  sie  die  verfassungsmäfsige  Bestätigung  er- 


Digitized  by 


ZUSTAND  DES  SEEBUNDS 


langt  hatten,  unter  Aufsicht  der  Nomophylakes  amtlich  registrirt 
und  aufbewahrt  Wurden.  Dies  geschah  in  dem  Heiligthum  der  Götter- 
multer  am  Markte,  dem  sogenannten  Metroon;  denn  man  wollte 
die  religiöse  Sanktion  für  die  Urkunden  der  Gesetzgebung,  wie  sie 
unter  dem  Areopag  bestanden  hatte,  auch  jetzt  nicht  aufgeben. 
Das  Metroon  war  das  neue  Staatsarchiv,  in  dem  die  Nomophylakes 
mit  ihren  Gehülfen  ihre  amtliche  Thätigkeit  ausüblen,  und  sie  hatten 
selbst  einen  priesterlichen  Charakter,  wie  die  weifse  Kopfbinde, 
welche  sie  trugen,  kundgab. 

Unabhängig  von  der  Eintragung  in  das  Staatsarchiv  war  die 
Veröffentlichung  der  Beschlüsse,  indem  sie  auf  Steinpfeiler  ge- 
schrieben und  unter  freiem  Himmel  aufgestellt  wurden;  die  Bünd- 
nisse und  Verträge  auf  der  Burg  neben  den  Heiligtümern,  die 
Gesetze  vor  den  Staatsgebäuden.  Das  waren  die  monumentalen  Ur- 
kunden des  Staatslebens,  welche  von  jetzt  an  mehr  und  mehr  zu 
der  äufseren  Ausstattung  der  Stadt  gehörten84). 

Während  man  im  Innern  den  Staat  neu  ordnete  und  durch 
Beseitigung  aristokratischer  Institute,  durch  Veröffentlichung  des 
Hechts,  durch  Begünstigung  der  Armen  und  Heranziehung  aller 
Bürger  zu  den  Gemeindeangelegenheiten  das  Prinzip  der  Demokratie 
in  vollem  Mafse  durchführte,  suchte  man  gleichzeitig  die  Macht 
des  Staates  auf  alle  Weise  zu  stärken,  und  so  wurde  der  Um- 
schwung der  inneren  Verfassung  auch  für  die  äufsere  Politik  eiue 
Epoche. 

Denn  da  sich  jetzt  in  jeder  Stadt  zwei  politische  Parteien  gegen- 
überstanden, so  war  es  natürlich,  dass  die  Athener  aller  Orten  den 
demokratisch  gestimmten  Theil  der  Bevölkerung  als  die  Stütze  ihres 
Einflusses  betrachteten  und  Alles  thaten,  diesem  die  Leitung  der 
einheimischen  Angelegenheiten  zu  verschaffen.  Sie  benutzten  also 
jeden  Anlafs,  in  diesem  Sinne  die  Verfassungen  der  Bundesorte  zu 
ändern,  und  wir  besitzen  noch  heute  ein  attisches  Dekret  aus 
Kimons  Zeit,  das  genau  bestimmt,  wie  in  der  ionischen  Stadt  Erythrai 
nach  dem  Vorbilde  von  Athen  Rath  und  Bürgerschaft  eingerichtet 
werden  sollen.  So  wurde  der  Einfluss  von  Athen  von  Stadt  zu 
Stadt  ausgebreitet  und  die  Bundesorte  wurden  kleine  Abbilder  ihres 
Vororts. 


Digitized  by  Googl 


VERLEGUNG   DER  BUINDESKASSE. 


161 


Der  delische  Bund  war  auf  Rechtsgleichheit  gegründet,  aber 
dieser  Grundsatz  war  nicht  durchzuführen.  Sollte  einmal  eine 
achtunggebietende  Seemacht  im  Archipelagus  zu  Stande  kommen, 
so  durfte  man  es  nicht  von  dem  guten  Willen  der  einzelnen  Mit- 
glieder abhängen  lassen,  ob  sie  ihre  Verpflichtungen  erfüllen  wollten, 
und  ebenso  unthunlich  war  es,  zur  Erledigung  einzelner  Geschäfte 
oder  zur  Schlichtung  von  Streitigkeiten  die  Synode  der  Bundes- 
genossen zu  gemeinsamer  Berathung  zu  vereinigen.  Das  hatte  schon 
kfroon  anerkennen  müssen,  so  sehr  er  sonst  bestrebt  war,  in 
Aristeides'  Sinne  die  Rechte  der  Eidgenossen  zu  schonen.  Athen 
wurde  dazu  gedrangt  immer  eigenmächtiger  zu  verfahren;  die  Theil- 
nahmlosigkeit  der  kleineren  Orte,  welche  doch  aufser  Stande  waren 
einen  Einfluss  auszuüben,  nöthigte  dazu.  Je  mehr  Bundesgenossen 
sich  vom  Kriegsdienste  zurückzogen  und  es  bequemer  fanden.  Ver- 
träge zu  schliefsen,  nach  denen  sie  sich  für  eine  bestimmte  Summe 
jährlich  vom  eigenen  Dienst  loskauften,  um  so  mehr  wurde  ja  die 
eidgenossische  Flotte  eine  attische  und  der  delische  Bundestag  zu 
einer  blofsen  Form.  Die  Bundespolitik  wurde  in  Athen  gemacht. 
Die  Athener  verständigten  sich  mit  den  mächtigeren  Inselstaaten 
über  alle  wichtigeren  Angelegenheiten ;  den  übrigen  theilte  man  die 
beschlossenen  Mafsregeln  mit,  und  so  wurde  die  vorörtliche  Leitung 
immer  mehr  zu  einer  Herrschaft. 

Auch  hier  wollte  die  perikleische  Partei,  dass  man  den  Muth 
habe,  die  Verhältnisse,  wie  sie  wirklich  waren,  zur  Geltung  zu 
bringen.  War  Athen  einmal  die  einzige  Bundesstadt,  welche  eine 
selbständige  Politik  verfolgte,  ging  die  Leitung  des  Kriegs  und  die 
Beaufsichtigung  des  Kriegsmaterials  von  Athen  aus,  war  die  Kassen- 
verwaltung in  den  Händen  der  Athener»  waren  sie  es,  welche  mit 
ihren  Schilfen  den  bedeutendsten  Theil  und  den  Kern  der  Bundes- 
flotte  bildeten,  und  zugleich  die  Einzigen,  welche  immer  schlagfertig 
waren,  um  den  von  ihnen  vertriebenen  Barbaren  die  Rückkehr  in's 
ägäische  Meer  zu  wehren:  dann  sollte  Athen  auch  wirklich  der 
Mittelpunkt  des  von  ihm  vereinigten  Insel-  und  Küstenreichs  sein, 
dann  gehörte  auch  die  Verwaltung  desselben  und  namentlich  der 
Bundesschatz  nach  Athen. 

Die  Verlegung  der  Kasse  mag  schon  zu  Lebzeiten  des  Aristei- 
des ein  Gegenstand  der  Verhandlung  gewesen  sein ;  das  Nützliche 
einer  solchen  Mafsregel  konnte  von  attischem  Standpunkt  Niemand 

Cnrtlo»,  Gr.  Gweb.  II.  6.  Aufl.  U 


Digitized  by  Google 


162 


YEHLEGL.NG   DKK  BliMlKSKASSE. 


in  Abrede  stellen,  aber  man  scheute  sich  damit  vorzugehen.  Man 
wagte  nicht  einen  Schatz  anzurühren,  welcher  im  Heiligthum  des 
Apollon  niedergelegt  worden  war.  Man  fürchtete  das  Missliebige 
dieses  Schritts  in  politischer  Hinsicht,  den  aufregenden  Eindruck 
bei  Freund  und  Feind;  denn  es  war  deutlich,  dass  damit  auch  der 
letzte  Schein  einer  gleichberechtigten  Eidgenossenschaft  aufgehoben 
und  der  eidgenössische  Beitrag  zur  Bundeskasse  wie  ein  Tribut  an 
Athen  betrachtet  werden  würde. 

Wie  bedenklich  die  Athener  in  diesem  Punkte  waren,  geht 
daraus  hervor,  dass  sie  auch  dann,  als  sie  zu  dem  entscheidenden 
Schritte  entschlossen  waren,  auf  Dm  wegen  ihren  Zweck  zu  erreichen 
suchten.  Die  Kassenverlegung  sollte  nicht  als  eine  eigennützige 
Mafsregel  attischer  Politik  erscheinen;  darum  wurde  dafür  gesorgt, 
dass  aus  der  Milte  der  Eidgenossen  der  Vorschlag  ausging.  Und 
gewiss  konnte  auch  im  Interesse  der  Bundesgenossen  die  Entfernung 
des  Schatzes  von  Delos  mit  triftigen  Gründen  empfohlen  werden.  Das 
kleine  Eiland,  konnte  man  sagen,  liege  schutzlos  in  der  Mitte  des 
Meers,  gegen  Osten  sowohl  wie  gegen  Westen.  Die  Lakedämonier 
hätten  schon  im  thasischen  Kriege  deutlich  gezeigt,  wie  gerne  sie  die 
erste  Gelegenheit  benutzten,  um  die  attisch -ionische  Seemacht  zu 
zerstören;  seit  Auflösung  des  Hellenenbundes  sei  die  allgemeine  Un- 
sicherheil in  hohem  Grade  vermehrt;  die  peloponnesischen  Seestaaten 
umlagerten  das  Inselmeer  wie  lauernde  Feinde,  und  unter  diesen 
Umsländen  könne  der  Schatz  auf  Delos  nicht  mehr  so  gesichert 
erscheinen,  wie  es  das  Interesse  aller  Bundesgenossen  verlange.  Jetzt 
müsse  immer  eine  eigene  Schutzflotte  in  der  Nähe  sein,  und  dadurch 
werde  man  dann  wieder  in  der  freien  Verfügung  über  die  vorhan- 
denen Streitkräfte  des  Bundes  gehemmt.  Suche  man  aber  einen  Platz 
von  unangreifbarer  Sicherheit,  so  werde  ein  solcher  nur  innerhalb 
der  Mauern  Athens  gefunden.  Wenn  einmal  attische  Behörden  den 
Schatz  verwalteten,  so  sei  es  nur  folgerichtig  und  zur  Sicherheit  des 
Bundes  geralhen,  Athen  zur  Schatzkammer  und  seine  Bürger  zu  Hütern 
des  Schatzes  zu  machen. 

Diese  Motive  wurden  von  der  attischen  Partei  geltend  gemacht, 
welche  mit  Ausbreitung  der  demokratischen  Verfassung  in  den  Insel- 
und  Küstenstädten  mehr  und  mehr  die  Oberhand  erlangt  halle. 

Wenn  nun  wirklich  ein  Bundesstaat  den  Antrag  stellte,  und 
zwar  der  nächst  Athen  mächtigste  Inselstaat,  Samos,  so  sind  nur  zwei 


Digitized  by 


BÜIVDESKASSE  IN  ATHEN  81,  3;  454. 


163 


Möglichkeiten  denkbar.  Entweder  hatten  die  Samier  in  der  That  ein 
unbedingtes  Vertrauen  und  sahen  die  Verlegung  des  Schatzes  so 
harmlos  an,  als  wenn  dadurch  in  der  Lage  der  Bundesgenossen  gar 
nichts  geändert  würde,  oder  sie  handelten,  als  sie  den  Antrag  stellten, 
in  einem  besonderen  Einverständniss  mit  den  Athenern.  Die  erste 
Annahme  scheint  unmöglich.  Denn  dazu  war  die  Eifersucht  zu  wach, 
und  die  Sache,  um  die  es  sich  handelte,  musste,  so  wie  sie  in  Aus- 
sicht stand,  als  eine  entscheidende  Krisis  in  den  Bundesverhältnissen 
angesehen  werden.  Darum  wird  man  wohl  annehmen,  dass  die 
samiscbe  Regierung  von  den  attischen  Staatsmännern  gewonnen  war 
den  Antrag  einzubringen;  es  konnte  nicht  an  Gelegenheit  fehlen, 
ihr  allerlei  Vortheile  in  Aussicht  zu  stellen,  zumal  da  mit  Verlegung 
der  ßundeskasse  auch  die  Auflösung  des  alten  Bundesraths  verbunden 
war,  welcher  schon  seit  längerer  Zeit  alle  Bedeutung  verloren  hatte. 
Sah  man  aber  Beides  als  unvermeidlich  an,  so  war  es  von  Seiten 
der  ansehnlicheren  Bundesorte  eine  kluge  Politik,  durch  rechtzeitiges 
Entgegenkommen  sich  das  Bundesoberhaupt  zu  verpflichten. 

Der  Zeitpunkt  der  Kassenverlegung  ist  nicht  überliefert.  Sie  ist 
nach  dem  Bruch  mit  Sparta  erfolgt,  denn  erst  seit  dieser  Zeit  musste 
man  auf  Angriffe  von  Seiten  der  peloponnesischen  Seeslaaten  und 
selbst  auf  Verbindungen  derselben  mit  Persien  gefasst  sein ;  also  nach 
SO,  1 ;  460.  Sechs  Jahre  später  war  aber  die  Verlegung  der  Bundes- 
kasse schon  erfolgt.  Denn  81,  3;  45%  sind  die  Kassenbeamten  und 
Kassenordnungen  in  Athen  schon  eingesetzt,  und  aus  diesem  Jahre 
stammen  die  ersten  Listen  der  von  den  eingehenden  Zahlungen  an 
die  Stadtgöttin  von  Athen  abgehobenen  Summen. 
{  |  Damals  sind  also  die  Geldvorräte,  die  sich  auf  1800  Talente 
(2,930,000  Th.)  beliefen,  aus  dem  Ileiligthume  des  delischen  Apollon 
herübergebracht  und  in  demjenigen  der  Stadt-  und  Burggöttin  nieder- 
gelegt. Hierher  flössen  nun  die  jährlichen  Beiträge  der  verbündeten 
Staaten,  und  nachdem  Athen  schon  so  lange  der  Schwerpunkt  des 
Seebundes  gewesen,  war  es  jetzt  erklärter  Mafsen  die  Hauptstadt  des 
ägäischen  Meers,  seine  Burggöttin  die  Schutzgottheit  des  Bundes, 
seine  Akropolis  das  Schatzhaus  und  der  heilige  Mittelpunkt  des  ganzen 
Insel-  und  Küstenreichs85). 

In  dieser  Stellung,  mit  solchen  Mitteln  ausgerüstet,  musste  nun 
Athen  vor  Allem  darauf  bedacht  sein,  in  den  engeren  Kreisen  der 
griechischen  Nachbarstaaten  eine  festere  Stellung  zu  gewinnen.  Denn 

11* 


Digitized  by 


1G4 


BEWEGUNGEN  IM  PELOPONNES 


es  war  ein  seltsamer  Widerspruch,  dass  es  mit  seiner  Flotte  bis  in 
die  politischen  und  phönikischen  Gewässer  herrschte,  aber  in  dem 
Meere,  weiches  die  attische  Küste  bespülte,  noch  immer  durch  die 
Nähe  feindlicher  Staaten  gebunden  war.  Hier  musste  es  sich  noth- 
wendig  freie  Hand  schaffen;  es  konnte  nicht  länger  dulden,  dass 
Angesichts  seiner  Kriegshäfen  feindliche  Seestaaten  bestanden,  welche 
nur  auf  Gelegenheit  lauerten,  ihm  zu  schaden. 

Durch  den  Bund  mit  Argos  war  etwas  Neues  begonnen,  welches 
einer  bedeutenden  Entwickelung  fähig  war;  aber  es  war  ein  An  Ca  Dg, 
der  keine  Sicherheit  und  keine  Zukunft  haben  konnte,  so  lange 
Athen  von  seinem  peloponnesischen  Bundesgenossen  durch  feindliche 
Städte  gelrennt  war  und  an  seinen  eigenen  Landesgränzen  keine 
freie  Bewegung  hatte.  Es  war  unmöglich,  dass  der  allpeloponnesische 
Bund  und  der  attisch-argivische  Sonderbund  friedlich  einander  gegen- 
über bestanden;  es  musste  sich  der  eine  auf  Kosten  des  anderen 
auszudehnen  suchen. 

Auch  hier  war  die  Lage  der  Dinge  eine  für  Athen  günstige.  Denn 
unverkennbar  waren  die  peloponnesischen  Verhältnisse  seit  dem  Pro- 
zesse des  Pausanias  in  zunehmender  Auflösung  begriffen. 

Argos,  nicht  zufrieden  mit  seiner  eigenen  Erstarkung,  war  schon 
seit  längerer  Zeit  in  Arkadien  thätig,  um  hier  die  Städte  und  Gaue 
gegen  Sparta  aufzuwiegeln,  und  dies  gelang  ihm,  wenn  auch  nicht 
gleichzeitig,  mit  den  beiden  Hauptstädten  Arkadiens,  Tegea  und  Man- 
tineia.  Die  Tegeaten  waren  mit  Sparta  in  feindlicher  Spannung,  als 
Leotychides  wegen  Hochverraths  flüchtig  wurde  (S.  141);  er  fand 
bei  ihnen  Aufnahme  und  Schutz.  Zweimal  mussten  die  Spartaner  in 
Arkadien  einrücken,  um  ihr  gefährdetes  Uebergewicht  herzustellen ; 
einmal  gegen  die  verbündeten  Argiver  und  Tegeaten,  und  dann  gegen 
ein  Heer  der  Arkader,  die  mit  Ausnahme  der  Mantineer  sämtlich  ver- 
einigt waren  und  im  mänalischen  Gebirge  bei  Dipaia  den  Spartanern 
gegenüber  standen.  In  beiden  Feldzügen  blieben  die  Spartaner  Sieger, 
aber  die  alte  Sicherheit  des  Bundesverhällnisses,  die  Gewohnheit  un- 
bedingter Unterordnung,  war  dahin.  Auch  die  Mantineer  hatten  sich 
unter  argivischem  Einflüsse  und  nach  dem  Vorbilde  von  Argos  aus 
zerstreuten  Gauörtern  zu  einer  festen  Stadt  zusammengezogen,  um 
Sparta  selbständiger  gegenüber  zu  treten.  Hätte  nicht  alter  Partei- 
geist und  kantonale  Eifersucht  die  Vereinigung  der  Kräfte  gehindert* 
so  würde  es  den  Spartanern  schwer  gelungen  sein,  ihr  vorörtliches 


Digitized  by  Google 


BEWEGUNGEN   IM  PELOPO.NNES. 


165 


Ausehen  aufrecht  zu  erhalten.  Die  von  Sparta  fernste  Land- 
schaft, Achaja,  war  seit  langer  Zeit  antispartanisch  und  demo- 

Endlich  hatte  auch  Elis,  das  treuste  Bundesland,  sich  vom  la- 
konischen Einflüsse  frei  zu  machen  angefangen;  es  hatten  hier  Volks- 
bewegungen stattgefunden,  welche  den  Einfluss  Spartas  gefährdeten. 
Bis  dahin  nämlich  war  die  Landschaft  von  den  adligen  Geschlechtern 
regiert  worden,  welche  sich  ganz  auf  Sparta  stützten.   Sie  hatten 
ihren  Sitz  in  der  Stadt  Elis  am  Peneios;  das  platte  Land  bestand 
aus  offenen  Flecken,  Dörfern  und  Bauerhöfen,  deren  Bewohner  selten 
zur  Stadt  kamen  und  die  Geschlechter  ruhig  regieren  Helsen.  Diese 
patriarchalischen  Verhältnisse  halten  sich  bei  der  einförmigen,  von 
Handel  und  Seeverkehr  abgewendeten  Lebensart  der  Bevölkerung 
Jahrhunderte  lang  ungestört  erhalten,  und  die  Geschlechter  hatten 
sich  mit  gro&er  Klugheit  in  ihrer  regierenden  Stellung  zu  behaupten 
gewussL  Aber  nun  machte  sich  auch  hier  der  Geist  der  Zeit  geltend. 
Die  bäuerliche  Bevölkerung  kam  in  Bewegung;  sie  verlangte  volle 
Staatsbürgerrechte;  das  ganze  Land  wurde  nach  seinen  örtlichen  Be- 
zirken neu  gegliedert,  und  durch  Zuzug  aus  den  weit  zerstreuten 
Dorfgemeinden  erwuchs  die  bis  dahin  kleine  Stadt  zu  einer  volk- 
reichen Haupt-  und  Gesamtstadt  der  ganzen  Landschaft.  Das  geschah 
Ol.  77,  2  (471)  oder  einige  Jahre  später.    Mit  dem  Sturze  der  alten 
Geschlechter,  der  Einführung  einer  demokratischen  Verfassungsform 
und  dem  Aufbaue  von  Neu-Elis  war  zugleich  der  Einfluss  Spartas 
gelähmt  und  seiner  Macht  im  Peloponnes  eine  der  wichtigsten  Stützen 
entzogen87). 

Dazu  kam,  um  Sparta  noch  tiefer  zu  beugen,  das  Erdbeben  (464) 
und  der  große  Menschen  vertust  in  Folge  desselben,  und  dann  der 
messen ische  Krieg,  welcher  zehn  Jahre  lang  den  Lakedämoniern  die 
Hände  band.  Unter  diesen  Umständen  konnte  von  Seiten  Spartas  nichts 
geschehen,  um  der  Befestigung  und  Ausbreitung  des  attisch-argivi- 
schen  Sonderbundes  kräftig  entgegenzutreten,  und  deshalb  rüsteten 
die  nordpeloponnesischen  Staaten  auf  eigene  Hand  gegen  Athen,  um 
mit  Gewalt  zu  erreichen,  was  sie  früher  durch  heimliche  Umtriebe 
und  durch  Vorschieben  Sparlas  erzielt  hatten  (S.  105).  Die  Hemmung 
der  allischen  Macht  war  die  Bedingung  ihrer  eigenen  Existenz,  und 
so  bildete  sich  unter  den  Mitgliedern  der  zerrissenen  Eidgenossen- 
schaft eine  neue  kriegerische  Staatengruppe. 


Digitized  by  Google 


106 


KORINTH  UND  AIGINA  WIDER  ATHEN  (80,  8;  458,. 


Die  Koriniher  verbanden  sieb  im  Stiilen  mit  Aigina  und  Epi- 
dauros  und  suchten  auf  Kosten  von  Megara  jenseits  des  Islhmos  ihr 
Gebiet  zu  erweitern  und  feste  Stellungen  zu  gewinnen.  Dies  erschien 
ihnen  um  so  wichtiger,  da  sie  die  Megareer,  welche  mit  ihrer  kleinen 
Landschaft  zwischen  den  beiden  feindlichen  Bundnissen  in  der  Mitte 
lagen,  als  sehr  unzuverlässige  Bundesgenossen  kannten.  Sie  waren 
zwar  durch  alte  Verträge  an  die  dorische  Halbinsel  gebunden,  durch 
Handels-  und  Yerkehrsverhältnisse  aber  ganz  auf  Attika  angewiesen ; 
denn  der  gröfste  Theil  der  megarischen  Bevölkerung  lebte  davon, 
dass  er  den  attischen  Markt  mit  Fleisch,  Gemüse  u.  dgl.  versorgte. 
Eine  feindliche  Haltung  Athens  würde  also  den  Wohlstand  des  ganzen 
Lfm  denen s  gefährdet  haben.  Dazu  kam,  dass  es  an  demokratischen 
Sympathien  nicht  fehlte,  welche  durch  die  Abneigung  gegen  Korinth 
gesteigert  wurden. 

Was  die  Korinther  besorgten,  erfolgte  schneller  als  sie  erwartet 
hatten.  Die  bedrängten  Megareer  kündigten  die  Verträge  mit  Sparta 
und  traten  dem  Sonderbunde  bei. 

Das  war,  so  klein  das  Ländchen  war,  ein  folgenreiches  Ereigniss, 
nicht  blofs  des  Beispiels  wegen,  sondern  besonders  deshalb,  weil 
Megara  für  die  Kriegsführung  eine  so  wichtige  Lage  hatte.  Dadurch 
kamen  ja  die  Pässe  der  Geraneia,  die  Aus-  und  Eingänge  der  dori- 
schen Halbinsel,  in  die  Hände  der  Athener;  Megara  wurde  ein  Vor- 
werk von  Anika;  attische  Truppen  lagen  in  seinen  Städten,  attische 
Schiffe  kreuzten  im  korinthischen  Meere  und  fanden  hier  in  Pegai  und 
Aigosthena  ofTene  Häfen.  Die  Athener  beeiferten  sich,  Megara  so  eng 
als  möglich  mit  sich  zu  verbinden,  und  bauten  deshalb  unverzüglich 
zwei  Mauerlinien,  welche  Megara  mit  seinem  acht  Stadien  entfernten 
Hafen  INisaia  verbanden  und  beide  Plätze  (den  Peloponnesiern  un- 
einnehmbar machten  (SO,  2;  459). 

Diese  Erweiterung  der  feindlichen  Macht  bis  an  die  Grenzen 
des  Isthmos  und  in  die  Gewässer  des  westlichen  Golfs  liefs  den  pelo- 
ponnesischen  Seestädten  keine  Ruhe  mehr.  Korinth,  Epidauros  und 
Aigina  traten  den  Athenern  gegenüber  in  Waffen ;  der  Krieg  war  da 
ohne  Kriegserklärung,  und  Athen  trug  kein  Bedenken,  die  Heraus- 
forderung, welche  in  den  Rüstungen  der  Gegner  deutlich  genug  aus- 
gesprochen war,  anzunehmen88). 

Myronides,  ein  erprobter  Feldherr  und  Staatsmann,  der  schon 
vor  neunzehn  Jahren  als  Gesandter  mit  dem  Vater  des  Perikles  in 


Digitized  by  Google 


KORINTHISCHER    KRIEG   (80,  3;  458-467). 


167 


Sparta  gewesen  war,  landete  mit  einem  attischen  Geschwader  bei 
Halieis,  wo  die  Gränzen  der  Epidaurier  und  Argiver  zusammenstiefsen, 
und  traf  hier  ein  vereinigtes  Heer  der  Korinther  und  Epidaurier. 
Myronides  kämpfte  unglücklich.  Einige  Monate  spater  trafen  sich  die 
Flotten  bei  der  Insel  Kekryphaleia  zwischen  Aigina  und  der  Küste 
von  Epidauros.  Die  Athener  siegten,  und  der  Kampf  drängte  sich 
jetzt  um  Aigina  zusammen.  Unmittelbar  vor  der  Insel  erfolgte  eine 
zweite  grofse  Seeschlacht.  Siebzig  feindliche  Schiffe  fielen  den 
Athenern  in  die  Hände,  die  nun  mit  ihrer  siegreichen  Flotte  unver- 
züglich Aigina  umringten. 

Die  Peloponnesier  fühlten,  was  auf  Aigina  ankam.  Dreihundert 
Hopliten  kamen  der  Insel  zu  Hülfe,  die  Korinther  rückten  über  die 
Geraneia  in  Megaris  ein,  um  Aigina  zu  entsetzen.  Es  schien  un- 
möglich, dass  die  Athener,  während  eine  ihrer  Flotten  im  Nillande 
kämpfte  und  eine  andere  vor  Aigina  lag,  noch  ein  drittes  Heer  für 
Megara  bereit  haben  sollten.  Aber  die  Leistungsfähigkeit  der  Athener 
war  etwas,  wovon  die  Peloponnesier  gar  keine  Vorstellung  hatten. 
Freilich  war  der  ganze  Heerbann  aufser  Landes  und  nichts  zu  Hause, 
als  was  eben  zur  Vertheid igung  der  Mauern  ausreichen  konnte. 
Aber  nichts  desto  weniger  war  man  darüber  klar,  dass  man 
weder  Aigina  freigeben  noch  die  neuen  Bundesgenossen  im  Stiche 
lassen  dürfe. 

Myronides  rückte  mit  den  Mannschaften,  welche  das  Alter  des 
Felddienstes  schon  überschritten  oder  noch  nicht  erreicht  hatten,  den 
Korinthern  entgegen.  Im  ersten  Gefechte  behauptete  er  das  Feld; 
als  die  Feinde  zum  zweiten  Male  wiederkehrten,  wurden  sie  mit  un- 
geheurem Verluste  geschlagen;  Megara  war  gerettet  und  die  Thalkraft 
der  Athener  auf  das  Glänzendste  bewährt.  Als  Zeugen  derselben 
wurden  im  Kerameikos  die  Grabsäulen  aufgerichtet,  welche  aus  einem 
Jahre  (80,  3;  45**)  die  Namen  der  bei  Kypros,  in  Aegypten,  Phönizien, 
Halieis,  Aigina  und  Megara  gefallenen  Krieger  Athens  nannten.  Ein 
Bruchstück  dieser  denkwürdigen  Urkunde  ist  noch  heute  erhalten  **). 

Während  so  aus  lange  angehäuftem  Zündstoffe  plötzlich  der  hef- 
tigste Krieg  in  Mittelgriechenland  aufgelodert  war,  entspannen  sich  im 
Norden  neue  Verwickelungen. 

Die  Tbebaner,  welche  so  tiefe  Demüthigung  erfahren  hatten, 
glaubten  die  Zeit  gekommen,  wo  sie  das  Frühere  vergessen  machen 
und  wieder  zu  neuer  Geltung  gelangen  könnten.  Ihnen  gegenüber  er- 


Digitized  by  Google 


168 


Sl'AHTAMER  IN  PB0KI8   (80,  4;  4*7). 


hoben  sich  die  Phokeer,  welche  durch  die  Fortschritte  der  attischen 
Macht  Muth  gewannen,  um  auch  in  ihrem  Berglande  dem  dorischen 
Einflüsse  entgegenzutreten;  denn  ihre  Nachbarn,  die  dorischen  Ge- 
meinden hinler  dem  Parnasse,  wurden  nur  durch  Sparta  gehalten. 
Nach  der  Auflösung  des  hellenischen  Bundes  und  den  vielfachen 
Unglücksfällen  der  Spartaner  glaubten  die  Phokeer  einen  Angriff  auf  die 
dorische  Vierstadt  wagen  zu  dürfen,  um  hier  ihr  Gebiet  zu  erweitern. 
Die  medische  Gesinnung,  welche  die  Städte  gezeigt  hatten,  mochte 
als  Vorwand  dienen. 

Es  war  ein  Ehrenpunkt  für  Sparta,  die  dorischen  Urgemeinden 
nicht  im  Stiche  zu  lassen.  Kräftig  raffte  es  sich  auf  und  brachte 
aller  Verluste  und  des  fortdauernden  Kriegszustandes  in  Messenien 
ungeachtet  11500  Mann  zusammen,  von  denen  freilich  nur  1500 
Schwerbewaffnete  aus  Lakonien  stammten ;  die  Anderen  waren  Bundes- 
genossen. Befehligt  wurden  sie  von  Nikomedes,  Kleombrotos'  Sohn, 
welcher  für  den  minderjährigen  König  Pleistoanax,  den  Sohn  des 
Pausanias,  die  Heerführung  hatte.  Sie  drangen  über  den  Isthmos 
vor,  ehe  die  Athener  ihnen  ein  Hinderniss  entgegenstellen  konnten, 
und  zwangen  die  Phokeer  ihre  Eroberungen  wieder  herauszugeben. 
Wie  die  Truppen  aber  über  den  Isthmos  heimkehren  wollten,  hatte 
Athen  die  dortigen  Pässe  besetzt,  und  eben  so  war  der  korinthische 
Golf  durch  feindliche  Schilfe  unsicher.  Es  blieb  den  Lakedämoniern 
nichts  übrig,  als  nach  Böolien  zu  ziehen,  wo  Theben  ihre  Anwesen- 
heit gerne  sah ;  sie  rückten  in  das  Asoposthal  und  lagerten  im  Gebiete 
von  Tanagra  unweit  der  attischen  Gränze.  So  hatten  denn  die 
Athener  sich  selbst,  ohne  die  Folgen  zu  übersehen,  in  eine  sehr  be- 
denkliche Lage  gebracht.  Nachdem  sie  seit  Jahren  nur  auf  die  See 
ihr  Auge  zu  richten  gewohnt  waren,  sahen  sie  sich  auf  einmal  im 
Rücken  durch  eine  sehr  gefährliche  Landmacht  bedroht. 

Ihre  Bedrängniss  steigerte  sich,  als  gleichzeitig  im  Innern  der 
Sladt  böse  Anzeichen  verrätherischer  Umtriebe  zum  Vorscheine  kamen. 
Denn  seitdem  die  conservative  Partei  der  verfassungsmäßigen  Mittel 
beraubt  war,  welche  der  Areopag  ihr  dargeboten  hatte,  begannen  die 
Leidenschaftlicheren  unter  ihren  Anhängern  auf  heimlichen  Wegen 
der  verhassten  Demokratie  entgegen  zu  arbeiten. 

Ein  erschreckendes  Wahrzeichen  erhitzter  Parteiwuth,  welche 
kein  Mittel  scheut,  war  die  Ermordung  des  Ephialles,  des  hoch- 
herzigen Mannes,  welcher  mit  rastlosem  Eifer  und  jedem  persönlichen 


Digitized  by  Goog 


VERSCHWÖRUNGEN   IN  ATHEN 


169 


Einflüsse  unzugänglich,  alle  Ungesetzlichkeiten  verfolgte.  Man  fand 
ihn  eines  Morgens  todt  im  Bette.  Die  Anstifter  der  That  suchten 
die  Schuld  auf  Perildes  zu  wälzen,  als  wenn  dieser  auf  den  Vor- 
kämpfer seiner  Politik  eifersüchtig  geworden  wäre,  obwohl  man  den 
von  den  Oligarchen  gedungenen  Mörder,  Aristodikos  aus  Tanagra, 
kannte90). 

Die  erbittertsten  Feinde  der  Volksherrschaft  schlössen  sich  enger 
zusammen  und  strebten,  da  sie  in  der  eigenen  Stadt  machtlos  waren, 
nach  auswärtiger  Unterstützung ;  sie  verdoppelten  ihre  Anstrengungen, 
als  der  von  Kimon  begonnene  Mauerbau  von  Neuem  in  Angriff  ge- 
nommen wurde;  denn  bis  jetzt  waren  Athen  und  Peiraieus  noch 
zwei  Städte.  Wenn  aber  die  Verbindungsmauern  einmal  fertig 
waren,  dann  konnte  Sparta  beim  besten  Willen  nicht  mehr  helfen, 
und  die  spartanische  Partei  sah  voraus,  dass  sie  dann  von  auswär- 
tiger Hülfe  völlig  abgeschnitten  sein  würde.  Deshalb  hatte  sie  mit 
Sparta  Verbindungen  angeknüpft  und  durch  heimliche  Botschaften 
das  peloponnesische  Heer  veranlasst,  an  die  Gränzen  von  Attika  zu 
rücken. 

Bei  den  Böotiern  waren  inzwischen  die  merkwürdigsten  Ver- 
wickelungen eingetreten. 

In  Theben  war  nämlich  eine  Partei  am  Ruder,  welche  mit  aller 
Energie  dahin  strebte,  Böotien  unter  thebanischer  Hegemonie  zu 
einigen.  Es  war  nicht  mehr  die  alte  Oligarchenpartei,  welche  es  mit 
den  Persern  gehalten  und  nach  der  Schlacht  von  Plalaiai  ihren  Ein- 
fluss  verloren  hatte,  sondern  eine  neue  Partei;  eine  Partei,  welche, 
wahrscheinlich  durch  euböische  Emigranten  aufgeregt,  demokratische 
Grundsätze  hatte,  und  durch  Erweiterung  von  Theben  die  Stadt  zur 
Hauptstadt  des  Landes  machen  wollte,  um  mit  gesammelter  Kraft 
den  Fortschritten  der  attischen  Macht  in  Mittelgriechenland  entgegen- 
zutreten. So  geschah  es,  dass  die  demokratische  Regierung  sich  zu 
Sparta  hielt,  während  die  Gegenpartei,  welche  in  den  alten  Familien 
der  böotischen  Städte  ihren  Schwerpunkt  hatte,  auf  Athen  ange- 
wiesen war.  Die  Verhandlungen  mit  Sparta  hatten  den  günstigsten 
Erfolg  (80,  4;  457).  Durch  das  Lager  bei  Tanagra  war  die 
Einmischung  Athens  abgewehrt  und  unter  dem  Schutze  lakedämo- 
nischer Waffen  bauten  die  Thebaner  ihre  neue  Ringmauer,  um 
ihre  Stadt  zu  einer  Grofsstadt  und  einem  Waffenplatze  gegen  Athen 
zu  machen. 


Digitized  by  Google 


170 


TANAGRA  (80,  4;  457)   UND  OINOPHYTA  (81,  1;  456). 


Die  Verhältnisse  konnten  also  für  Athen  nicht  drohender  sein. 
Darum  rückte  das  ganze  Bürgerheer  aus;  mit  den  Argivern  und 
anderen  Verbündeten  waren  es  14000  Mann  und  ein  Corps  thessa- 
lischer  Reiterei.  In  der  Niederung  des  Asopos  unterhalb  Tanagra 
trafen  die  Heere  zusammen.  Es  entspann  sich  ein  schwerer,  blutiger 
Kampf,  wo  zum  ersten  Male  in  geordneter  Feldschlacht  Athen  und 
Sparta  ihre  Kräfte  an  einander  erprobten. 

Lange  schwankte  der  Erfolg;  da  gingen  mitten  im  Treffen  die 
tbessalischen  Reiter  über,  vermuthlich  auf  Anstiften  der  lakonischen 
Partei  zu  Athen.  Durch  diesen  Verrath  wurde  die  Schlacht  für  Sparta 
entschieden,  wenn  auch  patriotische  Athener  sie  niemals  zu  den  ver- 
lorenen Schlachten  haben  rechnen  wollen. 

Die  Spartaner  waren  aber  weit  entfernt,  die  Erwartungen  der 
Regierung  von  Theben  zu  erfüllen.  Sie  schlössen  einen  Waffenstill- 
stand auf  vier  Monate  und  zogen,  so  wie  sie  die  Islhmospässe  wieder 
frei  wussten,  durch  Megara  ab,  indem  sie  dies  Ländchen  für  seinen 
Abfall  durch  Verheerung  des  Gebiets  büfsen  liefsen.  Das  geschah 
im  Spätherbst  457.  Die  Spartaner  waren  zufrieden,  ihr  Ansehen  in 
Mittelgriechenland  wieder  hergestellt  zu  haben  und  weihten  als  Denk- 
mal des  Sieges  einen  goldenen  Schild  an  der  Fronte  des  Zeustempels 
in  Olympia.  Sie  rechneten  darauf,  dass  Theben  einstweilen  stark 
genug  sei,  sich  gegen  seine  Nachbarn  zu  behaupten;  für  weitere 
Kriegsunternehmungen  gegen  Athen  sollte  Tanagra  einen  Stützpunkt 
bilden. 

Der  Plan  war  gut,  die  Verhältnisse  lagen  günstig.  Aber  die 
Spartaner  thaten  Alles  halb.  Sie  hatten  das  Feld  geräumt,  als  es 
gerade  darauf  ankam,  die  gewonnenen  Vortheile  auszubeuten  und  auf 
dem  Platze  zu  bleiben.  Die  Athener  aber  waren  nicht  gesonnen, 
eine  drohende  Macht  an  ihren  Landesgränzen  sich  festsetzen  zu  lassen. 
Ohne  daher  die  gute  Jahreszeit  abzuwarten,  gingen  sie  am  zwei  und 
sechzigsten  Tage  nach  der  Schlacht,  ehe  man  in  Böotien  an  neue 
Kämpfe  dachte,  über  den  Parnes;  Myronides  war  Feldherr  und  schlug 
das  thebanische  Heer,  welches  das  Asoposlhal  vertheidigen  sollte,  bei 
Oinophyta. 

Dieser  Tag  vernichtete  mit  einem  Schlage  alle  Pläne  Thebens ; 
die  Mauern  von  Tanagra  wurden  geschleift  und  Myronides  zog  un- 
gehemmt von  Stadt  zu  Stadt,  indem  er  überall  im  Namen  Athens 
die  Freiheit  verkündete,  d.  h.  Befreiung  von  der  aufgedrungenen  Cen- 


Digitized  by  Googl 


FALL  VON  AI6I.NA  80,  4;  4M. 


171 


tralisauon.  Theben  war  vollständig  isolirt,  und  anstatt  dass  die 
bOoliscben  Landstädte  sich  gegen  Athen  und  Theben  vereinigten,  traten 
sie  nun  gegen  Theben  in  ein  Bundesverhältniss  zu  Athen. 

Nach  vorübergehender  Demüthigung  war  Athen  mächtiger  als 
je  zuvor;  es  hatte  seine  Herrschaft  bis  an  die  Thermopylen  aus- 
gedehnt. Denn  nicht  nur  die  Phokeer  gewann  Myronides  für  Athen, 
sondern  auch  die  opuntischen  Lokrer,  welche  nördlich  von  Böotien 
die  fruchtbare  Küstenebene  am  Euripos  bewohnten,  traten  zu  ihm 
über  und  stellten  hundert  Geiseln  aus  den  ersten  Geschlechtern 
der  Gemeinde,  welche  bis  dahin  das  Regiment  in  Opus  geführt 
hatten  w). 

Inzwischen  neigte  sich  auch  die  Widerstandskraft  der  Aegineten 
zu  Ende.  Neun  Monate  lang  hatten  sie  dem  attischen  Geschwader, 
das  unter  Leokrates'  Führung  vor  ihrer  Stadt  lag,  Trotz  geboten; 
vergeblich  hatten  sie  während  dieser  Zeit  nach  Sparta,  dem  sie  noch 
im  messenischen  Kriege  so  treuen  Beistand  geleistet  hatten,  vergeblich 
nach  ihren  peloponnesischen  Bundesgenossen  ausgeschaut.  Nun 
waren  ihre  KräRe  zu  Ende,  und  die  stolze  Insel  der  Aeakiden,  die 
von  Pindar  gefeiert  war  als  die  Mutter  der  Männer,  welche  in  herr- 
lichen Wettkämpfen  allen  Hellenen  vorleuchteten,  sie  musste  sich  vor 
dem  unwiderstehlichen  Glücke  der  Athener  beugen;  sie  musste  ihre 
Mauern  einreiben,  ihre  Kriegsschiffe  ausliefern  und  zur  Tributzahlung 
sich  verpflichten  (80,  4;  456). 

Gleichzeitig  wurden  die  Schenkelmauern  zwischen  Ober-  und 
Unterstadt  vollendet.  Athen  stand  unangreifbar  da.  Das  eigene  Meer 
war  endlich  von  allen  Feinden  frei;  zu  den  weit  reichenden  Insel- 
und  Küstengebieten,  welche  es  wie  sein  Reich  beherrschte,  war  eine 
continentale  Bundesgenossenschaft  hinzu  erworben,  welche  sich  von 
Argos  und  Megara  ununterbrochen  bis  nach  Delphi  und  nach  den 
Thermopylen  ausdehnte.  Der  peloponnesische  Bund  war  aufs  Tiefste 
erschüttert  und  Sparta  noch  immer  durch  den  messenischen  Auf- 
stand gebunden,  während  die  Athener  über  ihre  Streitkräfte  frei  ver- 
fügen konnten. 

Der  Kampf  der  Bünde  wurde  jetzt  in  neuer  Weise  fortgesetzt. 
Zum  ersten  Male  sah  Sparta  sich  im  eigenen  Land  aus  seiner 
Sicherheit  aufgeschreckt.  Altische  Kriegsschiffe,  von  Tolmides  ge- 
führt, erschienen  an  der  Küste  Lakoniens,  und  was  Themistokles 


Digitized  by  Google 


172 


FALL   VON  1THOME  (81,  1;  456). 


vor  Jahren  gewünscht  hatte,  um  Athens  Seemacht  zur  allein  herr- 
schenden zu  machen,  wurde  nun  ausgeführt,  als  die  Schiffswerften 
von  Gytheion  in  Flammen  aufgingen.  Tolmides  zog,  ohne  Wider- 
sland zu  begegnen,  um  die  ganze  Halbinsel  herum;  vermuthlich  auch 
in  der  Absicht,  die  Spartaner  in  der  Unterdrückung  des  messenischen 
Aufslandes  zu  hindern  und  den  heldenmülhigen  Vertheidigern  von 
lthome,  die  nun  schon  im  zehnten  Jahre  Sparta  trotzten,  mittelbar 
zu  Hülfe  zu  kommen. 

Indessen  waren  die  Messen i er  aufser  Stande  sich  länger  zu  halten, 
und  da  Sparta  unter  den  gegenwärtigen  Umständen  um  jeden  Preis 
den  Krieg  zu  beendigen  wünschte,  wurde  den  Belagerten  mit  Weib 
und  Kind  freier  Abzug  gestattet  (Ol.  81,  1;  456),  nachdem  auch 
das  delphische  Orakel  die  Schützlinge  des  Zeus  zu  schonen  be- 
fohlen hatte. 

Die  Athener  aber  hatten  diesen  Zeitpunkt  erwartet  und  darauf 
Bedacht  genommen,  den  Auswanderern  nicht  nur  ein  Unterkommen 
zu  schaffen,  sondern  sie  auch  so  unterzubringen,  dass  sie  den  Inter- 
essen der  attischen  Politik  wesentliche  Dienste  leisteten. 

Es  handelte  sich  damals  um  den  korinthischen  Golf,  an  dessen 
Rand  die  Macht  der  Athener  vorgedrungen  war,  seitdem  die  me- 
garischen  Häfen  in  ihren  Händen  waren.  Hier  war  ein  Conflikt  mit 
Korinth  unvermeidlich.  Denn  die  Koriniher  konnten  nicht  ruhig  an- 
sehen, dass  sie  in  ihrem  eigenen  Golfe  von  feindlichen  Waffenplätzen 
bedroht  und  von  dem  Verkehr  mit  ihren  Colonien  abgeschnitten 
würden.  Sie  mussten  also  ihren  ganzen  EinÜuss  aufbieten,  um 
neue  Stützpunkte  für  ihre  Herrschaft  im  Golfe  zu  gewinnen  und 
benutzten  dazu  die  Stämme  der  nördlichen  Gestade,  namentlich  die 
Lokrer,  welche,  seit  unvordenklicher  Zeit  in  verschiedene  Wohnsitze 
getrennt,  keine  selbständige  Entwickeln^  gewonnen  hatten  und  sich 
deshalb  am  leichtesten  als  Werkzeuge  auswärtiger  Politik  gebrauchen 
liefsen. 

Es  ist  uns  eine  merkwürdige  Urkunde  in  Erz  erhalten,  welche 
ihren  Schriflzügen  nach  der  ersten  Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts 
v.  Chr.  zuzuweisen  ist,  die  Urkunde  einer  gemeinschaftlichen  An- 
siedelung der  am  euböischen  und  am  korinthischen  Meere  ansässigen 
Lokrer  in  Naupaktos.  Eine  so  energische  Unternehmung  ist  ge- 
wiss nicht  von  Lokris  ausgegangen;  sie  kann  nur  von  den  Korinihern 
veranlasst  worden  sein,  die  nach  dem  Abfall  von  Megara  an  dem 


Digitized  by  Google 


DIE  MESSEMER  I*  HAUPAKTOS  (81,  1;  454). 


173 


wichtigsten  Kostenpunkte  an  dem  schmalen  Fahrwasser,  das  wie  ein 
Kanal  aus  dem  inneren  Golf  in  den  äußeren  hinausführt,  in  dem 
alten  Fährorte  und  Schiffsbauplatze  Naupaktos  (I,  108),  einen  festen 
Platz  treuer  Bundesgenossen  einrichten  wollten. 

Die  Ansiedelung  erfolgte,  wie  es  die  Korinther  veranstaltet 
hatten;  die  Athener  blieben  aber  keine  ruhigen  Zuschauer.  Sie  be- 
nutzten sofort  die  neu  gewonnenen  Stationen  am  Rande  des  west- 
lichen Meeres.  Tolmides  vertrieb  um  SO,  3;  458  die  lokrische  Gar- 
nison aus  Naupaktos,  und  nach  der  Schlacht  von  Oinophyta  wurden 
die  opun tischen  Lokrer,  die  sich  auf  eine  gegen  Athen  gerichtete 
Unternehmung  eingelassen  hatten,  gedemöthigt  und  gezüchtigt.  Tol- 
mides aber  hielt  eine  Umfahrt  um  die  Halbinsel,  holte  die  Messen ier 
ab  und  verpflanzte  sie  nach  Naupaktos.  So  wurde  aus  dem  Bollwerk 
gegen  Athen  ein  attischer  Waffen  platz  und  die  Eroberung  des  benach- 
barten Chalkis  sicherte  vollends  den  Athenern  die  Beherrschung  des 
korinthischen  Golfs"). 

Rastlos  gingen  sie  überall  vorwärts.  Auch  die  unglückliche 
Wendung,  welche  in  Aegypten  eintrat  (S.  155),  wo  im  vierten  Kriegs- 
jahre  Megabyzos  die  Aufstandischen  mit  überlegenen  Streitkräften 
angriff,  das  Jahr  darauf  die  Athener  und  Aegypter  auf  der  Nilinsel 
Prosopitis  einschlo88  und  daselbst  fast  völlig  vernichtete,  entmuthigte 
die  Bürgerschaft  nicht. 

Es  wurde  noch  in  demselben  Jahre  ein  Zug  nach  Thessalien 
unternommen,  bei  dem  nun  zum  ersten  Male  unter  Athens  Führung 
die  bootischen  und  phokischen  Bundestruppen  vereinigt  waren ,  um 
den  pbarsalischen  Dynasten  Orestes  zurückzuführen,  die  Macht  der 
thessalischen  Aristokratie  zu  brechen  und  den  Einfluss  Athens  bis 
an  die  Nordgränzen  des  griechischen  Landes  auszudehnen ;  aber  der 
Zug  blieb  ohne  Erfolg,  weil  die  Verbündeten  in  der  grofsen  Ebene 
der  feindlichen  Reiterei  nicht  gewachsen  waren  (Ol.  81,  3;  454^). 

Glücklicher  war  die  Flotte,  welche  in  demselben  Jahre  Perikles 
führte.  Sein  Augenmerk  war  die  Befestigung  der  attischen  Herrschaft 
im  korinthischen  Meere,  wo  Pegai  ein  Kriegshafen  Athens  geworden 
war.  Von  hier  aus  machte  Perikles  eine  Landung  in  Sikyon  und 
schlug  die  Bürger,  welche  ihm  entgegenrückten.  Die  achäischen  Städte 
wurden  in  den  attischen  Bund  aufgenommen ;  dann  wurde  das  akar- 
nanische  Ufer  heimgesucht  und  namentlich  aus  dem  Gebiete  von 
Oiniadae  grofse  Beute  heimgebracht. 


Digitized  by  Google 


174 


K1M0.NS   HEIMKEHR  UM  81,  S;  454. 


Nach  diesen  ungeheuren  Anstrengungen  und  Opfern,  nach  den 
Land  und  Seezügen,  welche  sich  Jahr  auf  Jahr  folgten,  trat  eine  stillere 
Zeit  ein.  Auch  im  Innern  des  Gemeinwesens  ward  es  ruhiger;  die 
Spannung  der  Parteien  hatte  nachgelassen,  und  seit  der  tanagräischen 
Schlacht  fand  sich  die  grofse  Mehrheit  in  einem  Wunsche  zu- 
sammen ;  es  war  der  Wunsch  nach  Kimons  Rückkehr,  die  Sehnsucht 
nach  dem  verbannten  Helden.  Perikles  selbst  war  seiner  Natur  nach 
nichts  weniger  als  schrofTer  Parteimann  nach  Art  des  Ephialtes;  er 
wünschte  im  eigenen  Interesse  Kimons  Heimkehr.  Wenn  er  es  er- 
reichte, sich  mit  ihm  zu  vereinigen,  so  konnte  seine  Machtstellung 
dadurch  nur  an  Sicherheit  gewinnen;  auch  lag  ihm  viel  daran,  mit 
Sparta  zu  unterhandeln,  weil  er  keinen  ununterbrochenen  Kriegszu- 
stand wollte.  Er  selbst  konnte  das  nicht;  desto  besser  Kimon,  dessen 
Rückberufung  allein  schon  als  ein  einlenkender  Schritt  Sparta  gegen- 
über angesehen  werden  musste. 

Dabei  kam  ihm  zu  Statten,  dass  durch  die  verräterischen  Um- 
triebe vor  der  tanagräischen  Schlacht  die  conservalive  Partei  sich 
gespalten  hatte.  Kimon  und  seine  näheren  Genossen  verabscheuten 
eine  Parteileidenschaft,  welche  das  patriotische  Gemeingefühl  so  weit 
verleugnen  konnte,  um  mit  den  Feinden  der  Stadt  zu  unterhandeln. 
Um  deutlich  zu  zeigen,  dass  er  mit  solchen  Menschen  keine  Gemein- 
schaft habe,  hatte  Kimon  sich  bei  Tanagra  persönlich  eingefunden 
und  um  Erlaubniss  gebeten,  auch  als  Verbannter  in  die  Reihen 
seiner  Mitbürger  treten  zu  dürfen.  Er  war  nicht  zugelassen,  aber 
seine  Genossen,  hundert  an  der  Zahl,  hatten  im  Handgemenge  mit 
den  Spartanern  freiwillig  den  Tod  gesucht,  um  die  Reinheit  ihrer 
Gesinnung  zu  bezeugen.  Dadurch  hatten  die  Parteien  sich  genähert, 
und  Perikles  selbst  beantragte  nun  beim  Volke  Kimons  Rückbe- 
rufung, nachdem  derselbe  beinahe  fünf  Jahre  in  der  Verbannung  ge- 
lebt hatte. 

Ehe  dieser  Schritt  geschah,  halten  die  beiden  Staatsmänner  schon 
eingehend  mit  einander  verhandelt,  wobei  Elpinike,  die  Schwester 
Kimons,  die  Vermittlerin  gewesen  sein  soll.  Eine  Verständigung  über 
die  fernere  Leitung  des  Staats  war  nothwendig,  wenn  derselbe  nicht 
sogleich  wieder  in  zwei  feindliche  Parteien  aus  einander  fallen  sollte; 
sie  war  dadurch  erleichtert,  dass  Kimons  Partei  in  der  früheren 
Weise  nicht  mehr  bestand.  Die  wesentlichen  Punkte  des  Ueberein- 
kommens  lassen  sich  aus  dem  entnehmen,  was  nach  der  Rückkehr 


Digitized  by  Goog 


WA F FE>'STI  L LSTA > D   MIT   SPARTA  (82,  2;  461-460). 


175 


Kimons  geschah  und  nicht  geschah.  Denn  wenn  Kimon  in  den 
inneren  Angelegenheiten  die  Politik  des  Perikles  nicht  mehr  bekämpfte, 
so  muss  er  auf  diesem  Gebiete  sich  willig  gefunden  haben,  die  einmal 
gemachten  Reformen  nicht  weiter  anzufechten.  Perikles  aber  muss 
sich  anheischig  gemacht  haben,  in  der  auswärtigen  Politik  Kimons 
Wünsche  zu  unterstützen,  ihm  wieder  den  Flottenbefehl  gegen  Persien 
zu  verschaffen  und  Sparta  nicht  durch  fernere  Angriffe  zu  reizen.  Es 
kann  nicht  zufallig  sein,  dass  nach  Ausgleichung  der  beiden  Staats- 
männer die  Landungen  an  der  peloponnesischen  Küste  sofort  unter- 
blieben. Statt  dessen  sollte  die  Thätigkeit  der  Bürger  wieder  gegen 
das  Ausland  gelenkt,  es  sollte  ihre  Tapferkeit  auf  neutralen  Gebieten 
in  Uebung  erhalten,  und  durch  Aussendung  von  Pflanzbürgern  zu- 
gleich für  die  ärmere  Stadtbevölkerung  wie  für  Befestigung  der  See- 
berrschaft  an  wichtigen  Punkten  gesorgt  werden. 

So  führte  Perikles  selbst  eine  Flotte  nach  dem  Hellespont,  wo 
die  attischen  Bundesgenossen  von  den  Thrakiern  unaufhörliche  Be- 
lästigungen erfuhren.  Es  ist,  als  wenn  er  es  aus  Aufmerksamkeit 
gegen  Kimon  darauf  abgesehen  hätte,  an  dem,  was  dessen  Vorfahren 
gegründet  halten,  weiter  zu  bauen,  indem  er  die  Schutzmauer  des 
Milüades  erneuerte  und  durch  Ansiedlung  von  tausend  Bürgern  die 
Halbinsel  am  Hellespont  zu  einem  attischen  Besitze  machte.  In 
gleichem  Sinne  wirkte  Tolmides,  welcher  in  Euboia  und  Naxos  atti- 
sche Bürger  ansiedelte. 

Während  dieser  Zeit  war  Kimon  nach  dem  gemeinsamen  Plane 
thätig,  Athen  und  Sparta  wieder  in  ein  rechtliches  Verhältniss  zu 
einander  zu  bringen.  Denn  seit  Auflösung  des  alten  Bundes  waren 
zwei  Bündnisse  da,  die  sich  feindlich  gegenüber  lagen;  es  war  ein 
offener  Kriegszustand  innerhalb  Hellas,  der  mit  den  amphiktyonischen 
Satzungen,  wie  sie  noch  immer  zu  Recht  bestanden,  in  grellem  Wider- 
spruche war.  Nun  brachte  freilich  auch  Kimon  keinen  Frieden  zu 
Stande,  wie  er  und  gewiss  auch  Perikles  es  wünschten.  Denn  Sparta 
konnte  sich  nicht  entschliefsen,  unter  so  ungünstigen  Verhältnissen, 
wie  sie  gegenwärtig  waren,  sich  auf  längere  Zeit  die  Hände  zu  binden : 
auch  liefsen  es  die  Korinther  nicht  zu,  welche  sich  durch  die  Fort- 
schritte Athens  in  ihren  Gewässern  auf  eine  unerträgliche  Weise  ein- 
geengt sahen;  es  kam  also  nur  zu  einem  Waffenstillstände  auf  fünf 
Jahre.  Er  war  aber  doch  ein  wohlthäliger  Ruhepunkt  in  der  steigen- 
den Verfeindung  der  Hellenen;  er  war  das  Ende  eines  neunjährigen 


Digitized  by  Google 


176 


KIMONS   FELDZUG  UM»  TOD  (M,  4;  449). 


Krieges,  welchen  wir  den  ersten  peloponnesischen  nennen  können, 
und  der  Anfang  einer  neuen  Rechtsordnung  in  Hellas,  indem  die 
beiden  Grofsstaaten  sich  mit  ihren  Bündnissen  zuerst  gegenseitig 
anerkannten  und  sich  auf  dem  Wege  des  Vertrags  mit  einander 
verstandigten.  Wie  unsicher  die  Fundamente  dieser  neuen  Ver- 
bindung waren,  konnte  Niemand  verkennen,  der  die  feindselige 
Aufregung  der  Gemuther  in  Hellas  kannte.  Es  kam  daher  Kimon 
Alles  darauf  an,  die  Aufmerksamkeit  seiner  Mitbürger  nach  aufsen 
abzulenken93). 

Der  ägyptische  Aufstand  war  noch  immer  nicht  zu  Ende.  Nach 
dem  Untergange  des  Inaros  hatte  Amyrtaios  sich  in  den  Sümpfen 
des  Delta  gehalten,  und  dieser  knüpfte  nun  neue  Verbindungen  mit 
Athen  an.  Es  war  eine  Ehrensache  für  Athen,  den  Tod  seiner 
Bürger  und  die  Niederlage  der  nachgeschickten  Flotte  zu  rächen. 
Auch  in  Cypern,  das  nach  dem  Abzüge  des  Pausanias  (S.  112)  der 
nationalen  Sache  wieder  verloren  gegangen  war,  hatte  man  gleich- 
zeitig den  Kampf  erneuert,  ohne  dauernde  Erfolge  zu  erreichen. 
Man  durfte  diesen  Waffenplatz  nicht  den  Feinden  überlassen,  man 
musste  ebenso  in  Karien  die  nationale  Partei  starken  und  der  per- 
sischen Macht  im  phönikisch-cyprischen  Meere  ein  Ende  machen. 

Kimon  betrieb  den  Krieg  aufs  Eifrigste  und  hatte  die  Genug- 
tuung, sich  im  Frühjahre  449  (Ol.  82,  3)  wieder  an  der  Spitze  einer 
Flotte  von  200  Schiffen  zu  sehen,  welche  er  vom  Peiraieus  aus  gegen 
den  Nationalfeind  führen  durfte.  Er  fühlte  sich  endlich  wieder  an 
seinem  Platze;  er  stand  noch  im  kräftigsten  Mannesalter  und  sah 
eine  neue  Bahn  des  Ruhms  vor  sich  aufgeschlossen.  Sechzig  Schiffe 
wurden  zur  Unterstützung  des  Amyrtaios  abgesendet;  er  selbst  steuerte 
nach  Cypern,  und  nachdem  die  feindlichen  Geschwader,  die  ihm 
entgegenfuhren,  zurückgeschlagen  waren,  schloss  er  Kition  ein,  um 
an  der  Seeküste  einen  festen  Waffen  platz  gegen  Phönizien  und 
Aegypten  zu  gewinnen.  Aber  vor  Kition  erkrankte  Kimon  und  fühlte 
bald,  dass  er  am  Ende  seiner  Thaten  stehe.  Er  bewährte  seine 
Heldennatur,  indem  er  die  letzten  Tage  und  Stunden  seines  Lebens 
noch  für  den  Ruhm  seiner  Vaterstadt  benutzte.  Er  befahl  nämlich, 
seinen  Tod  zu  verheimlichen,  damit  keine  Störung  des  Feldzugs  ein- 
träte; nach  seinem  Befehle  verliefs  man  die  Stellung  bei  Kition, 
suchte  die  phönikisch-kilikische  Flotte  auf,  schlug  sie  auf  der  Höhe  der 
Stadt  Salamis  und  besiegte  zuletzt  noch  zu  Lande  die  feindlichen  Trup- 


Digitized  by  Googl 


UNRUHE?!  IN  PHOKIS  UND  EÖOTIEN. 


177 


pen.  Weitere  Erfolge  konnten  nicht  errungen  werden.  Eine  Theuerung 
trat  ein  und  zwang  die  Athener  ihre  Truppen  zurückzurufen.  Die 
Belagerung  von  Kition  musste  aufgegeben  werden  ;  nachdem  die  Schiffe 
aus  Aegypten  herangezogen  waren,  kehrte  die  Flotte  heim  und  der 
noch  im  Tode  siegreiche  Feldherr  wurde  daselbst  bei  seinen  Ahnen 
vor  dem  melitischen  Thore  bestattet94). 

Kimon  war  durch  seinen  plötzlichen  Tod  der  Schmerz  erspart, 
sich  von  der  Unmöglichkeit  einer  dauernden  Befriedigung  seines 
Vaterlandes  zu  fiberzeugen.  Denn  wenn  auch  die  beiden  Haupt- 
staaten dem  Wortlaute  der  Verträge  treu  blieben,  die  Bundesgenossen 
konnten  keine  Ruhe  halten. 

Namentlich  in  Nordgriechenland  waren  durch  die  gewaltsame 
und  rasche  Ausbreitung  der  altischen  Macht  Verhältnisse  hervor- 
gerufen, die  durchaus  unhaltbar  waren.  In  ganz  Böotien  herrschte 
die  gröfste  Gährung,  indem  die  demokratischen  Regierungen  sich  nur 
mit  Mühe  behaupten  konnten;  ebenso  steigerte  sich  in  Lokris  und 
in  Euboia  der  Widerwille  gegen  die  Herrschaft  Athens. 

Andererseits  waren  die  Phokeer  durch  das  ununterbrochene 
Glück  Athens  zu  neuen  Hoffnungen  aufgeregt;  sie  wollten  ihr  Gebiet 
abrunden  und  das,  was  innerhalb  desselben  oder  an  seinen  Gränzen 
ihnen  entgegen  stand,  ihrem  Staate  einverleiben.  So  wandten  sie  sich 
jetzt  gegen  Delphi,  dessen  priesterliche  Autonomie  sie  längst  mit 
eifersüchtigen  Augen  betrachtet  hatten.  Da  der  alte  Bundestag, 
welcher  die  Unabhängigkeit  des  Heiligthums  verbürgte,  so  gut  wie 
aufgelöst  war,  hielten  sie  auch  die  alten  Verträge  für  erloschen.  Sie 
wollten  das  Heiligthum  unter  ihre  Botmäfsigkeit  stellen  und  waren 
der  günstigen  Stimmung  Athens  gewiss,  weil  die  in  Delphi  regieren- 
den Geschlechter  den  Athenern  feindlich  waren.  Sparta,  zum  Schutze 
des  Heiligthums  aufgerufen,  liefs  ein  Heer  ausrücken,  um  Delphi  in 
seiner  Unabhängigkeit  wieder  herzustellen.  Die  Athener  vermieden 
es  den  Spartanern  im  Felde  zu  begegnen;  aber,  so  wie  diese  ab- 
gezogen waren,  schritten  sie  zu  Gunsten  der  Phokeer  ein  und  gaben 
ihnen  die  Landeshoheit  zurück.  Perikles  führte  den  Zug,  und  nach- 
dem die  Spartaner  zum  Andenken  ihres  Feldzugs  die  ihnen  ver- 
liehenen Ehrenrechte  in  Delphi  auf  die  linke  Seite  des  ehernen 
Wolfes  neben  dem  grofsen  Brandaltare  hatten  einschreiben  lassen, 
Helsen  die  Athener  zum  Hohne  Spartas  für  sich  dieselbe  Inschrift 
auf  die  rechte  Seile  des  geduldigen  Erzbildes  einschreiben95). 

Cnrtia»,  Gr.  Ge.eh.  IL  6.  Aufl.  12 


Digitized  by  Google 


17S 


SCHLACHT  VON  KOROMEIA  {13,  2;  441). 


Inzwischen  steigerte  sich  die  Verwirrung  in  Böotien,  dessen 
Städte  bis  auf  Theben  von  Athen  abhängig  geworden  waren  (S.  1 70), 
denn  niemals  ist  ein  glänzender  Erfolg  attischer  Waffen  schneller 
zerronnen,  weil  sich  die  durch  den  Sieg  bei  Oinophyta  hergestellten 
Verhältnisse  ganz  unhaltbar  zeigten.  Den  Gegnern  Thebens  war  die 
Hülfe  Athens  sehr  willkommen  gewesen,  der  Bund  mit  Athen  aber 
unerträglich.  Nachdem  nun  die  demokratische  Regierung  von  Theben 
bald  in  völlige  Missachtung  gerathen  war,  erfolgte  eine  allgemeine 
Erhebung  gegen  Athen,  um  das  aufgezwungene  Bundesverhällniss 
wieder  los  zu  werden;  Freischaaren  bildeten  sich,  welche  Chaironeia 
und  Orchomenos  besetzten.  Die  Athener  zögerten  nicht,  ihre  Macht 
in  Böotien  gellend  zu  machen:  sie  schickten  sofort  ein  Heer  unter 
Tolmides  aus,  nahmen  aber,  durch  ihr  Glück  verwöhnt,  trotz  der 
Warnung  des  Perikles,  die  Sache  nicht  ernst  genug. 

Tolmides  hatte  nur  1000  schwerbewaffnete  Bürger  aufser  den 
Bundesgenossen,  deren  Zuverlässigkeit  schwankte.  Auch  verkannte 
der  Feldherr  selbst  die  Gefahr  der  Lage  und  liefs  es  an  der  Hölin- 
gen Vorsicht  fehlen.  So  geschah  es.  dass  ipm  zwar  die  Wieder- 
besetzung von  Chaironeia  gelang,  aber  die  hohe  Burg  von  Orcho- 
menos zu  zwingen  hatte  er  nicht  die  Mittel  und  musste  unbesiegte 
Feinde  im  Rücken  lassen.  Als  er  dann  am  Südrande  des  böotischen 
Seethals  nach  Athen  zurückging,  sorglos  wie  in  Freundesland,  wurde 
er  von  den  Feinden  zwischen  Koroneia  und  Haliartos  überfallen. 
Nach  furchtbarem  Kampfe  erlitten  die  Athener  eine  vollständige 
Niederlage.  Tolmides  selbst  fiel  mit  vielen  der  Seinigen,  jungen 
Männern  der  edelsten  Geschlechter,  welche  im  Vertrauen  auf  sein 
Feldherrnglück  freiwillig  eingetreten  waren;  eine  grofse  Zahl  ward 
gefangen. 

Mit  einem  Schlage  war  Athens  Macht  in  Böotien  vernichtet, 
weil  sie  nirgends  Wurzel  gefasst  hatte,  weil  die  ganze  Intervention 
im  Widerspruche  stand  mit  der  Geschichte  des  Landes  wie  mit  der 
attischen  Politik.  Denn  man  hatte  sich  mit  einer  aristokra tischen 
Partei  eingelassen,  die  bei  erster  Gelegenheit  abtrünnig  wurde.  Die 
Athener  mussten  Frieden  machen,  um  ihre  Gefangenen  zu  befreien. 
Sie  konnten  nicht  an  Rache  denken;  denn  mit  furchtbarer  Schnellig- 
keit wurden  auch  die  Nachbarländer,  welche  sich  der  Herrschaft 
von  Athen  hatten  fügen  müssen,  von  denselben  Bewegungen  er- 
griffen w). 


Digitized  by  Goog 


PERIKLBS  RETTET  ATHEN  (8*  S;  446). 


179 


Dem  Beispiele  Böotiens  folgten  die  Städte  von  Cuboia.  Euhöische 
Emigranten  waren  bei  dem  Aufstande  Böoliens  thätig  gewesen,  um 
dann  die  Inselstädte  zu  den  Waffen  zu  rufen,  und  wie  Perikles  sich 
in  gröfster  Eile  hieber  gewandt  hatte,  um  den  Aufruhr  zu  dämpfen, 
erreichte  ihn  die  Nachricht,  dass  in  Megara  die  attische  Besatzung 
überfallen  und  getödtet  sei.  Es  war  nämlich  den  Korinthern  in  Ver- 
bindung mit  ihren  beiden  auf  Athens  Gröfse  besonders  eifersüchtigen 
Nachbarslädlen,  Epidauros  und  Sikyon,  gelungen,  die  Megareer  zum 
Abfalle  zu  bewegen,  und  auf  diese  Weise  Athen  wieder  vom  korin- 
thischen Meere  abzuschneiden.  Nur  Nisaia  blieb  noch  einstweilen  in 
attischen  Händen. 

Alle  diese  Ereignisse  erhielten  dadurch  erst  ihre  volle  Bedeutung, 
dass  gleichzeitig  der  fünfjährige  Waffenstillstand  mit  Sparta  abgelaufen 
war,  und  wenn  die  Spartaner  schon  vorher  die  gegen  Athen  aus- 
gebrochenen Bewegungen  auf  alle  Weise  begünstigt  hatten,  so  rüsteten 
sie  jetzt  unverholen,  um  die  im  letzten  Vertrage  gemachten  Zu- 
geständnisse wieder  zurückzunehmen;  sie  liefsen  ihren  König  Plei- 
stoanax  unverzüglich  mit  einem  starken  Heere  in  Attika  einrücken, 
dessen  Gränzen  durch  den  Abfall  von  Megara  blofsgelegt  waren,  und 
gleichzeitig  erhoben  sich,  wie  durch  eine  gemeinsame  Verschworung 
verbunden,  überall  die  oligarchischen  Parteien,  um  die  Macht  der 

Athener  zu  brechen ,T)- 

So  war  Athen  auf  allen  Seiten  von  Aufruhr  und  Kriegsnoth 
umdrängt.    Es  kam  darauf  an,  zu  retten,  was  möglich  war. 

Auf  den  Ausgang  einer  Schlacht  in  Attika  durfte  man  es  nicht 
ankommen  lassen;  eben  so  wenig  auf  eine  Belagerung,  weil  während 
der  Zeit  Euboia  mit  den  dortigen  Bürgerkolonien  verloren  gegangen 
wäre.  Also  blieb  nur  ein  Mittel,  durch  dessen  rasche  Anwendung 
Perikles  die  Vaterstadt  rettete.  Er  wusste  nämlich  in  kluger  Unter- 
handlung die  Unerfahrenheit  des  Pleistoaoax  so  wie  die  Geldliebe 
des  Kleandridas,  welchen  die  Ephoren  dem  jungen  Könige  als  Rath- 
geber beigegeben  hatten,  sich  zu  nutze  zu  machen  und  bewirkte, 
dass  das  peloponnesische  Heer,  das  niemals  unter  günstigeren  Ver- 
hältnissen den  Boden  Attikas  betreten  hatte,  ohne  ernstliche  Feind- 
seligkeiten wieder  abzog  und  jenseits  des  Isthmos  sich  auflöste. 

So  wie  die  Hauptgefahr  beseitigt  war,  eilte  Perikles  mit  50  Schiffen 
und  5000  Hopliten  nach  Euboia  zurück;  denn  von  der  Behauptung 
dieser  Insel  war  Athens  Wohlfahrt  unbedingt  abhängig.    Auch  hier 

12* 


Digitized  by  Google 


180 


COLOMS1RIWG  EUBOIAS. 


erreichte  er  theils  durch  Unterhandlung,  theils  durch  Gewalt  die 
raschesten  Erfolge.  Ja  die  Insel  wurde  noch  vollständiger  als  zuvor  in 
Besitz  genommen  und  noch  fester  an  Attika  gekettet,  indem  die  Stadt 
Histiaia,  die  sich  an  einem  attischen  Schiffe  vergriffen  halte,  erobert 
und  ihr  Grundbesitz  an  attische  Bürger  vertheilt  wurde.  Zweitausend 
Athener  siedelten  sich  mit  andern  Euböern  in  der  verödeten  Stadt  an, 
welche  nun  den  Namen  Oreos  erhielt,  und  so  gewann  Athen  auch  an 
der  Nordseite  der  Insel,  in  der  Nähe  des  Artemision,  am  Eingange  zum 
malischen  und  pagasäischen  Meerbusen  wie  zum  Euripos,  einen  festen 
und  wichtigen  Stützpunkt  seiner  Macht.  Auch  in  Eretria  wurden 
attische  Bürger  angesiedelt. 

Der  wichtigste  Punkt  blieb  Chalkis.  Ein  Volksbeschluss  regelte 
von  Neuem  den  Besitzstand  daselbst,  und  wir  können  annehmen,  das» 
die  Grundstücke  der  ritterlichen  Geschlechter,  der  'Hippoboten',  welche 
in  Böoüen  und  Euboia  den  Abfall  betrieben  hatten,  in  gröfserem  Um- 
fange eingezogen  und  an  attische  Pflanzbürger  ausgetheilt  wurden.  In 
einer  uns  erhaltenen  Urkunde  werden  die  Feldherrn,  d.  h.  Perikles 
und  seine  Amtsgenossen,  angewiesen,  dass  der  neue  Vertrag  durch  Ver- 
eidigung der  beiderseitigen  Vertreter  in  Athen  abgeschlossen,  das  Ver- 
tragsopfer dem  Orakel  gemäfs  vollzogen  und  die  ganze  Insel  sicher 
überwacht  werde.  Der  Inhalt  des  Vertrags  ist  die  unbedingte  Bot- 
mäfsigkeit  der  Chalkidier,  welche  beschwören,  dass  sie  der  Bürger- 
schaft von  Athen  gehorchen  wollen;  die  rechtliche  Form  dieser 
Unterthänigkeit  bleibt  die  Bundesgenossenschaft  mit  der  Verpflichtung 
den  jährlichen  Tribut  zu  zahlen,  welchen  Athen  nach  Anhörung  der 
tributpflichtigen  Gemeinde  festgesetzt  hat.  Zum  Andenken  an  diese 
grofsen  Erfolge  wurde  damals,  wie  es  scheint,  das  Denkmal  der  ersten 
Besiegung  Euboias  (I,  387)  aus  der  Zeit  nach  dem  Sturz  der  Pisistra- 
liden  auf  der  Burg  von  Athen  erneuert98). 

So  war  durch  Perikles'  entschlossene  Thalkraft  auch  die  zweite 
Kriegsnoth  überwunden  und  das  Unentbehrliche  gerettet;  aber  die 
Gefahr  war  noch  nicht  vorüber.  Denn  in  Sparta  halte  das  Verfahren 
von  Pleistoanax  und  Kleandridas  die  höchste  Erbitterung  hervorge- 
rufen; man  wollte  das  schmählich  Versäumte  nachholen,  um  Athen 
aus  seiner  Demüthigung  nicht  wieder  aufkommen  zu  lassen.  In  Athen 
dagegen  war  bei  allen  Besonnenen  die  Ansicht  vorherrschend,  dass  man 
vor  Allem  bedacht  sein  müsse,  die  erschütterte  Macht  der  Stadt  auf 
ihren  wesentlichen  Grundlagen  von  Neuem  zu  befestigen;  sie  bedürfe 


* 


Digitized  by  Google 


DER  DREISSIGJÄHRIGE  FRIEDE  (»3,  S;  445). 


1SI 


also  zunächst  der  Ruhe,  wenn  sie  auch  durch  schwere  Opfer  erkauft 
werden  müsse. 

Perikles  war  der  entschiedenste  Vertreter  dieser  Ansicht  und 
er  versäumte  kein  Mittel,  um  auch  bei  den  einflussreichen  Bürgern 
Spartas  eine  dem  Frieden  geneigte  Stimmung  hervorzurufen.  Es 
gelang  seinen  Bemühungen,  einen  neuen  Waffenstillstand  zu  Stande 
zu  bringen;  zehn  bevollmächtigte  Gesandte,  darunter  Andokides  und 
Kallias,  schlössen  ihn  in  Sparta  ab.  Wie  bei  dem  letzten  Waffenstill- 
stände (S.  170)  wurde  der  gegenwartige  Besitzstand  von  beiden  Seilen 
anerkannt.  Aber  wie  weit  war  das  jetzige  Bundesgebiet  Athens  von 
dem  verschieden,  dessen  Anerkennung  von  Seiten  Spartas  Kimon  be- 
wirkt hatte! 

Von  Böoüen  blieb  nur  Plataiai;  alles  im  Peloponnes  Erworbene 
wurde  aufgegeben,  namentlich  Troizen,  wo  die  Athener  eine  Besatzung 
hatten,  um  die  Verbindung  mit  Argos  zu  erleichtem  und  Epidauros 
in  Schach  zu  halten ;  dann  mussten  die  Städte  Achajas  aus  der  Bundes- 
genossenschafl  wieder  entlassen  werden,  und  ausserdem,  was  die 
Athener  am  tiefsten  schmerzen  mussle,  Megara;  Nisaia  so  wohl  wie 
Pegai  wurden  geräumt.  Die  peloponnesischen  Seestädte,  Korinth,  Epi- 
dauros und  Sikyon,  hatten  also  die  nächsten  und  gröfslen  Vortheile 
von  dem  Vertrage.  Es  wurde  von  beiden  Seiten  eine  dreißigjährige 
Waffenruhe  gelobt;  während  dieser  Zeit  sollten  alle  vorkommenden 
Zwistigkeiten  auf  dem  Wege  rechtlicher  Ausgleichung  geschlichtet 
werden;  über  Art  und  Form  des  einzuschlagenden  Rechtsweges  wurde 
aber  auch  jetzt  nichts  festgesetzt  Die  beiden  Bundesgenossenschaflen 
erkannten  sich  von  Neuem  als  zwei  Staatengruppen  an;  jede  war 
ein  geschlossenes  Ganzes,  ein  Reich  für  sich.  Es  sollte  keine  der- 
selben auf  Kosten  der  anderen  vergröfsert  werden;  innerhalb  der  eige- 
nen Bundesgenossenschaft  hatte  der  leitende  Staat  das  unbestrittene 
Recht,  jeden  Abfall  zu  strafen.  Dadurch  sah  Athen  seine  vorörtliche 
Macht  im  Archipelagus  vollständig  anerkannt,  und  Sparta  verpflich- 
tete sich  dadurch,  keine  Klagen  von  attischen  Bundesgenossen  an- 
zunehmen ••). 

Auch  mit  Persien  ist  um  diese  Zeit  unterhandelt  worden,  und 
zwar  sollen  gleich  nach  Kimons  Tode  Verträge  abgeschlossen  worden 
sein,  welche  dem  Kriege  ein  Ende  machten. 

Dass  man  dazu  auf  beiden  Seiten  geneigt  war,  ist  nach  der 
damaligen  Lage  der  Dinge  sehr  begreiflich;  Persien  hatte  ja  nicht  die 


Digitized  by  Google 


182 


VERHANDLUNGEN  MIT  PERSIEN. 


geringste  Aussicht,  seine  Herrschaft  im  ägäischen  Meere  wieder  her- 
zustellen; jede  neue  Schlacht  trug  nur  dazu  bei,  sein  Ansehen  zu 
schwachen  und  seine  Truppen  mehr  zu  entmuthigen;  je  mehr  es  ver- 
loren hatte,  um  so  ernster  musste  es  darauf  Bedacht  nehmen,  den 
Fortschritten  der  attischen  Bundesgenossenschaft  endlich  ein  Ziel  zu 
setzen ,  um  wenigstens  im  kyprischen  Meere  Herr  zu  bleiben  und 
die  Verbindung  der  Athener  mit  den  aufständischen  Aegyptern  zu 
beseitigen.  Aber  auch  den  Athenern  musste  daran  gelegen  sein,  auf 
Grund  der  gewonnenen  Erfolge  eine  friedliche  Vereinbarung  zu  er- 
reichen. Sie  konnten  doch  nicht  ziellos  fortkämpfen  und  in  immer 
neue  Unternehmungen  sich  einlassen.  Die  Erfahrungen,  welche  man 
in  Aegypten  gemacht  halte,  mahnten  dringend  zur  Besonnenheit; 
auch  in  Cypern  hatte  man  keineswegs  die  gewünschten  Erfolge 
erlangt. 

Also  war  es  die  Aufgabe  einer  vernünftigen  Politik,  das  Fernere 
aufzugeben,  um  des  Näheren  um  so  sicherer  zu  sein.  Denn  auf 
die  Länge  musste  es  die  Kräfte  des  Staats  übersteigen,  die  ausge- 
dehnten Küstenlinien  unausgesetzt  gegen  die  Perser  zu  beschützen, 
welche  bei  einem  längeren  Kriegszustande  sehr  im  Vortheile  waren, 
indem  sie  vom  Binnenlande  aus  zu  jeder  gelegenen  Zeit  gegen  die 
Küste  vorgehen  konnten,  um  aus  den  altischen  Bundesorten  die  fälligen 
Tributsummen  zu  erpressen.  Vor  Allem  aber  lag  es  im  Interesse  des 
Handels,  dass  dem  Kriegszuslande  im  Archipelagus  einmal  ein  Ende 
gemacht  werde,  damit  die  Schiffe  Athens  und  seiner  Bundesgenossen 
freien  Zugang  zu  allen  Häfen  des  persischen  Reiches  erlangten. 

So  wünschenswerth  aber  auch  für  beide  Theile  der  Friede  war, 
so  konnte  doch,  so  lange  Kimon  lebte,  kein  Friede  zu  Stande  kommen. 
Er  war  mit  dem  Perserkriege  zu  sehr  verwachsen;  er  sah  darin  eine 
unentbehrliche  Ableitung  hellenischer  Fehdelust  und  die  einzige  Bürg- 
schaft für  inneren  Frieden;  er  sah  in  der  Leitung  des  National- 
kampfes seine  Lebensaufgabe,  und  dass  ihm  darin  keine  Schwierig- 
keilen gemacht  würden,  dafür  hatte  Perikles  ihm  ohne  Zweifel  seinen 
Ein  flu  ss  zugesagt.  Der  Tod  des  Helden  befreite  Perikles  von  dieser 
Verbindlichkeit;  er  konnte  nun  der  eigenen  Politik,  welche  einem 
ziellosen  Fortkämpfen  durchaus  entgegen  war,  unbehindert  folgen; 
es  ist  daher  wahrscheinlich,  dass  die  Flottenführer  alsbald  die  ent- 
sprechenden Anweisungen  erhiellen  und  dass  eine  Vereinbarung 
zwischen  den  kriegführenden  Parteien  eintrat.  Denn  so  wie  Kimon 


Digitized  by  GoogK 


GESANDTSCHAFT   DES  KALLIAS  UM  445. 


1S3 


gestorben,  wird  von  weiteren  Kämpfen  nichts  gemeldet;  Amyrtaios 
in  Aegypten  erhält  keine  Unterstützung  mehr;  Cypern  wird  auf- 
gegeben. 

Dann  erfolgte  von  Athen  aus  eine  feierliche  Gesandtschaft,  welche 
nach  Susa  ging,  um  einen  dauernden  Frieden  mit  dem  Grofskönige 
abzuschliefsen.  Der  reiche  Kallias  führte  sie,  der  Sohn  des  Hip- 
ponikos,  der  Enkel  jenes  Kallias,  welcher  der  muthigsle  Gegner 
der  Pisistratiden  gewesen  war  (I,  34S):  er  soll,  wie  Herodot  erzählt, 
am  königlichen  Hofe  mit  einer  Gesandtschaft  der  Argiver  zusammen 
getroffen  sein,  welche  ihre  alten  Verbindungen  mit  Persien  zu  er- 
neuem wünschten.  Die  Reise  des  Kallias  ßel,  wie  die  einzige  uns 
erhaltene  Zeitangabe  meldet,  in  dieselbe  Zeit,  da  Pleistoanax  den  Einfall 
in  Attika  unternahm,  und  gewiss  konnte  das  Friedensbedürfniss 
niemals  gröfser  sein,  als  damals.  Es  ist  aber  auch  davon  abgesehen 
sehr  wahrscheinlich,  dass  gleich  nach  Kimons  Tode  vorläufige  Ver- 
einbarungen mit  den  persischen  Satrapen,  mit  denen  man  in  Fehde 
lag,  getroffen  wurden  und  dass  dann  nach  eingetretener  Waffenruhe 
Kallias  beauftragt  ward,  auf  Grund  derselben  einen  definitiven 
Friedensschluss  mit  dem  Grofskönige  selbst  zu  Stande  zu  bringen. 

Die  Gesandtschaft  hatte  nicht  den  gewünschten  Erfolg;  denn  der 
Grofskönig  zeigte  sich  wohl  bereit  den  Argivern  in  huldvoller  Weise 
dieselbe  Freundschaft  zuzusichern,  wie  sie  sein  Vater  Xerxes  mit 
ihnen  unterhalten  habe,  aber  keineswegs  den  Athenern  solche  Zuge- 
ständnisse, wie  sie  von  diesen  erwartet  wurden,  zu  machen  und  die 
gegenwärtigen  Machtverhältnisse  als  mafsgebend  und  zu  Recht  be- 
stehend anzuerkennen. 

Dass  Kallias  in  Erreichung  seiner  Zwecke  unglücklich  war,  kann 
man  schon  daraus  schliefsen,  dass  Herodot  nur  mit  einem  kurzen 
Worte  seine  Sendung  erwähnt;  es  erhellt  aber  noch  deutlicher  aus 
dem,  was  nach  seiner  Rückkehr  erfolgte.  Er  wurde  in  Athen  pein- 
lich angeklagt;  es  wurde  ihm  die  Annahme  von  Geschenken  vorge- 
worfen, und  Perikles  konnte  ihn  nicht  vor  einem  Hochverraths- 
prozesse  schützen.  Seine  Ankläger  waren  ohne  Zweifel  die  Gegner  der 
perikleischen  Politik;  denn  es  war  noch  immer  eine  mächtige  Partei 
da,  welche  jede  Gesandtschaft  nach  Susa  verabscheute,  die  den  unter- 
brochenen Kampf  wie  eine  heilige  Volksaufgabe  ansah  und  rastlos 
fortgesetzt  sehen  wollte.  Vielleicht  war  man  auch  in  jener  Zeit,  da 
die  Existenz  des  Staats  auf  dem  Spiele  stand,  weiter  gegangen,  als 


Digitized  by  Google 


184 


DER  SOGENANNTE   KIMOMSCUE   I* (II EDEN 


mit  der  Ehre  Athens  vertraglich  schien;  man  denke  an  den  früheren 
Vertrag  zur  Zeit  des  Rleisthenes  (I,  384).  Gewiss  ist,  dass  der 
schon  hochbetagte  Kallias  mit  Mühe  dem  Tode  entging  und  zu  einer 
Geldstrafe  von  fünfzig  Talenten  verurteilt  wurde. 

Leider  sind  alle  näheren  Umstände  dieser  merkwürdigen  Ge- 
sandtschaft unserer  Kenntniss  entzogen;  die  gleichzeitigen  Geschicht- 
schreiber geben  keine  Auskunft,  während  sich  in  den  folgenden 
Generationen  eine  solche  Fülle  unklarer  Ueberlieferungen  an  jenen 
Frieden  ansetzte,  dass  es  unmöglich  ist,  den  Kern  der  Sache  zu  er- 
kennen. Als  nämlich  etwa  60  Jahre  später  die  Spartaner  ihre  Ver- 
träge mit  Persien  abschlössen,  wodurch  sie  Ionien  dem  Könige  preis- 
gaben, da  wurden  die  Verträge  Athens  wieder  hervorgesucht,  und 
die  altischen  Redner  wetteiferten,  sie  als  den  Glanzpunkt  der  kimo- 
nischen  Zeit,  und  den  höchsten  Triumph  attischer  Politik  darzustellen. 
Sie  redeten  sich  und  Anderen  ein,  dass  der  Grofskönig  feierlich  ge- 
lobt habe,  kein  bewaffnetes  Fahrzeug  in  das  ägäische  Meer  zu  schicken : 
und  zwar  sollten  im  Norden  die  kyaneischen  Inseln  am  Eingange 
des  schwarzen  Meers  als  Gränze  des  hellenischen  Seegebiets  ausge- 
macht worden  sein,  im  Südmeere  aber  die  Chelidoneen  oder  Schwalben- 
inseln,  welche  mit  dem  Vorsprunge  der  Solymcrberge,  dem  heutigen 
Cap  Chelidöni,  die  natürliche  Gränze  zwischen  dem  rhodisch-lyki- 
schen  und  dem  pamphylischen  Meere  bilden.  In  Kleinasien  selbst 
sollte  der  Grofskönig  sich  verpflichtet  haben,  bis  auf  einen  Tage- 
marsch, wie  ihn  die  Reiterei  zurücklegt,  mit  allen  Truppen  von  der 
Küste  fern  zu  bleiben  ;  nach  Anderen  sollte  er  sogar  die  Halyslinie 
als  Gränze  seines  Machtgebietes  anerkannt  haben.  Diese  Verträge 
wurden  von  den  Einen  nach  der  Schlacht  am  Eurymedon,  von  den 
Andern  nach  dem  kyprischen  Siege  angesetzt. 

Diesen  verworrenen  Nachrichten  gegenüber  ist  nun  vollkommen 
klar,  dass  der  sogenannte  kimonische  Friede  nichts  mit  Kimon  zu 
thun  hat,  in  sofern  die  Friedensverhandlungen  der  Politik  Kimons 
grundsätzlich  widersprachen.  Ferner  ist  gewiss,  dass,  wenn  auch 
vielleicht  einzelne  Statthalter  des  Königs  im  Drange  der  Notb  sich 
bestimmen  liefsen,  schimpfliche  Friedensbedingungen  einzugehen,  der 
Grofskönig  selbst  sich  niemals  dazu  verstanden  hat,  die  Unabhängig- 
keit der  abgefallenen  Küstenländer  anzuerkennen  und  auf  die  Tribute 
zu  verzichten,  mit  denen  sie  im  persischen  Reichsbudget  einge- 
schrieben waren.    Ein  förmlicher  Staatsvertrag  zwischen  Athen  und 


Digitized  by  Google 


DIE  K1M0MSCUE  PARTEI  U.VTER  THUkYDIDES.  185 

Persien,  wie  ihn  Perikles  ohne  Zweifel  wünschte,  ist  überhaupt  nicht 
zu  Stande  gekommen.  Thatsächlich  aber  trat  nach  Kimons  Tode 
der  Zustand  ein,  dass  einerseits  Athen  seine  Kriegsunternehmungen 
aufgab  und  andererseits  die  Perser  sich  von  dem  Gebiete  der  attischen 
Bundesgenossenschaft  fern  hielten.  Es  wurde  Friede  im  ägäiscben 
Meere;  die  Machtverhältnisse,  wie  sie  durch  Kimons  Siege  festgestellt 
waren,  wurden  stillschweigend  anerkannt,  und  ein  freier  Schiffsver- 
kehr zwischen  Europa  und  Asien  war  der  wichtigste  Gewinn,  den 
die  Beruhigung  des  Meeres  den  Athenern  brachte100). 

So  waren  unter  Perikles1  Einfluss  die  auswärtigen  Verhältnisse 
geordnet  Der  Perserkrieg  war  vorläufig  beendet,  und  mit  Sparta 
waren  feste  Verträge  geschlossen.  Freilich  wussle  er  besser  als  alle 
Anderen,  dass  ein  dauernder  Frieden  mit  Sparta  unmöglich  sei,  aber 
er  bedurfte  einer  Reihe  von  Friedensjahren,  um  in  Athen  seine  Pläne 
durchzuführen.  Dazu  hatte  er  sich  durch  die  eingetretene  Waffen- 
ruhe nach  aufsen  freie  Hand  geschafft;  dasselbe  musste  er  auch  im 
Innern  thun. 

Hier  war  die  kimonische  Partei  nicht  ausgestorben.  Sie  lebte 
fort  in  den  vielen  Freunden  des  abgeschiedenen  Helden,  aber  sie  war 
auseinander  gefallen,  sie  fing  an  sich  aufzulösen  und  unter  der  Menge 
zu  verlieren. 

Da  wurde  sie  noch  einmal  gesammelt  und  zu  einer  Macht  im 
Staate  vereinigt  durch  Thukydides,  des  Melesias  Sohn,  aus  dem  vor- 
städtischen Gaue  Alopeke.  Er  war  ein  Verwandter  Kimons.  Aber 
nicht  aus  persönlichen  Rücksichten  trat  er  als  Parteiführer  auf, 
sondern  aus  innerer  Ueberzeugung;  denn  er  konnte  das  einseitige 
Vorgehen  Athens  als  Grofsmacht  nicht  billigen;  er  konnte  den  Ge- 
danken nicht  aufgeben,  dass  der  gemeinsame  Kampf  gegen  Persien 
nach  wie  vor  die  Bedingung  einer  gesunden  Fortentwickelung  des 
hellenischen  Volks  sei.  Am  wenigsten  konnte  er  sich  damit  ein- 
verstanden erklären,  dass  man  die  zum  Zweck  des  hellenischen 
Kampfes  gegen  die  Barbaren  eingeforderten  Gelder,  statt  die  Bundes- 
genossen zu  entlasten,  auch  im  Frieden  unvermindert  fort  erhebe 
und  ohne  Weiteres  dazu  benutze,  die  Stadt  den  Athenern  mit  Pracht- 
bauten zu  schmücken.  Diese  Ausnutzung  hellenischer  Eidgenossen  hielt 
er  im  Sinne  der  conservativen  Partei  für  ungerecht;  er  erkannte  darin 
eine  gewissenlose  und  selbstsüchtige  Grobmachtspolitik,  welche  mit 
der  malslosen  Entwickelung  der  Demokratie  zusammenhänge  und 


Digitized  by 


1S6 


THUKYDIDES  DES  NELESIAS  SOHN. 


nur  schlimme  Früchte  bringen  könne.  Darum  schaarte  er  die  Mit- 
glieder der  alten  Familien  um  sich,  die  Anhänger  alter  Sitte,  welche 
wie  Kimon  die  lykurgische  Bürgerzucht  hochschätzten  und  die  Spal- 
tung von  Hellas  in  zwei  feindliche  Lager  vermeiden  wollten. 

Thukydides  verstand  es,  die  zersplitterte  Partei  zu  organisiren. 
Er  war  ein  Mann,  der  in  ganz  Hellas  hoch  angesehen  war,  ein  Mann 
von  anerkannter  Uneigennülzigkeit  und  treuer  Fürsorge  für  die  Ge- 
meinde, zwar  ohne  das  Feldherrn talent  Kimons,  aber  der  Rede 
mächtiger  als  dieser,  und  ohne  Scheu,  auch  wenn  es  galt,  Perikles 
vor  dem  Volke  gegenüberzutreten.  OfTen  sprach  er  seinen  Schmerz 
darüber  aus,  dass  Athen  seinen  guten  Namen  verloren  habe;  der 
Staat,  der  immer  von  Freiheit  rede,  werde  wie  ein  Tyrann  gehasst, 
wohin  seine  Macht  reiche.  Fremdes  Gut  habe  man  sich  widerrecht- 
lich angeeignet,  um  die  Stadt  aufzuputzen,  während  man  in  Susa 
dem  Grofskönige  den  Hof  mache. 

Dazu  kam,  dass  ein  kimonischer  Bau  auf  der  Akropolis  wieder 
umgerissen  wurde,  um  einem  neuen  Prachtbau  Platz  zu  machen,  bei 
dem  das  von  Pheidias  auszuführende  Goldelfenbeinbild  die  Haupt- 
sache war.  Thukydides  eiferte  gegen  die  rücksichtslose  Vergeudung, 
gegen  die  üppige  Pracht,  durch  welche  Athen  zu  einem  eitlen  Weibe 
gemacht  werde,  das  sich  mit  Gold  und  Edelgestein  behänge.  Das 
Alles  sei  ein  Zeichen  von  Verfall  und  Entartung,  wogegen  alle  wahren 
Patrioten  sich  erheben  müssten. 

Mit  Kimon  hatte  Perikles  sich  zu  gemeinsamem  Wirken  ver- 
einigen können;  mit  Thukydides  war  es  unmöglich.  Dieser  war 
selbst  zu  sehr  Demagoge;  er  setzte  Alles  daran,  seine  Grundsätze  zur 
Herrschaft  zu  bringen  und  war  nicht  im  Stande,  sich  einem  Andern 
unterzuordnen  oder  anzubequemen.  Wie  ein  Paar  Ringer  kämpften 
die  beiden  Männer  an  allen  wichtigeren  Versammlungstagen  mit  ein- 
ander. Die  Bürgerschaft  halte  zwei  Führer,  das  Staalsschiff  zwei 
Steuerleute,  welche  gegen  einander  arbeiteten.  So  rieben  sich 
wiederum  die  besten  Kräfte  im  Parteikampfe  auf,  bis  endlich  die 
aristokratische  Partei,  als  sie  vergeblich  gegen  den  gewaltigen  Perikles 
ankämpfte,  den  Weg  einschlug,  dass  sie  ihn  als  einen  der  Freiheit 
gefährlichen  Mann  verdächtigte  und  die  Anwendung  des  Scherben- 
gerichts beantragte. 

Aber  die  Waffe  verwundete  die,  welche  sie  ergriffen  hatten. 
Denn  als  die  Bürgerschaft  berufen  wurde,  ihren  Spruch  zu  thun 


THl'KYDIDES   VERBANNT  (84,  1;  444). 


1S7 


und  dadurch  zugleich  zwischen  den  beiden  Parteiführern  sich  zu 
entscheiden,  wurde  nicht  Perikles,  sondern  Thukydides  verbannt. 
Einige  seiner  politischen  Freunde  verliefsen  gleichzeitig  die  Stadt, 
so  z.  B.  der  Dichter  Ion  aus  Chios,  des  Kimon  vertrauter  Freund. 
Die  Anderen,  jeder  Fuhrung  beraubt,  verloren  sich  unter  den  Bürgern; 
ihre  Partei  war  vernichtet.  Die  Bürgerschaft  hatte  klar  und  ent- 
schieden ihr  Vertrauen  zu  Perikles  ausgesprochen;  er  hatte  jetzt  nach 
aufsen  wie  nach  innen  freie  Hand.  Die  Zeit  war  gekommen,  dass  er 
ohne  Hinderniss  seine  Pläne  verwirklichen  konnte101). 


Digitized  by  Google 


Hl. 

DIE  FRIEDENSJAHRE 


Das  Leben  des  Perikles  fallt  in  einen  Wendepunkt  hellenischer  Bil- 
dung, und  die  außerordentliche  Stellung,  welche  er  in  Athen  einge- 
nommen hat,  lässt  sich  nicht  begreifen,  wenn  man  nicht  die  geistige 
Bewegung  in  das  Auge  fasst,  welche  sich  zu  seiner  Zeit  von  Ionien 
nach  Attika  verpflanzte  und  hier  allmählich  eine  vollständige  Um- 
wandlung der  alteren  Sitte  und  Denkweise  zur  Folge  hatte. 

Die  attische  Bildung  hatte  seit  Solon  ihr  eigen  thumliches  Gepräge 
erhalten.  Denn  eine  Verfassung,  welche,  vom  Geiste  der  edelsten 
Weisheit  getragen,  auf  eine  Betheiligung  der  gesamten  Bürgerschaft 
am  öffentlichen  Leben  berechnet  war,  musste  schon  an  und  für  sich 
im  vollsten  Sinne  des  Wortes  eine  Schule  des  Volks  werden.  Aufser- 
dem  war  durch  sie  die  Sorge  der  Eltern  und  Vormünder  für  die 
Erziehung  der  Jugend  eine  Bürgerpflicht  geworden,  deren  Vernach- 
lässigung vom  Areopag  gerügt  wurde  und  öffentlichen  Makel  zur  Folge 
hatte. 

Indessen  war  der  Kreis  der  Bildungsmittel  nicht  wesentlich  er- 
weitert worden;  man  war  der  alten  Weise  treu  geblieben,  bei  welcher 
es  nicht  darauf  abgesehen  war,  dass  die  Jugend  vielerlei  wissen- 
schaftliche Kenntnisse  einsammele,  sondern  dass  die  angeborenen 
Kräfte  in  ihr  geweckt  und  geübt  würden,  dass  sie  von  früher  Morgen- 
stunde an  sich  gewöhne,  Leib  und  Seele  in  geordneter  Weise  zu  wür- 
digen Zwecken  anzustrengen.  Nachdem  der  Knabe  in  der  Familie  die 
volkstümlichen  Märchen  und  Geschichten  kennen  gelernt  hatte,  die 
von  Haus  zu  Haus  verbreitet  waren,  wurde  er  dem  Lehrer  übergeben. 
Grammatik,  Musik  und  Gymnastik  erschöpften  den  Kreis  des  Unter- 
richts, in  welchem  die  beiden  ersten  Fächer  nahe  verbunden  waren. 
Denn  wenn  der  Knabe  lesen  und  schreiben  gelernt  hatte,  so  las  er 


Digitized  by  Googl 


DIE  ATTISCHE  BILDUNG. 


ISO 


die  Dichter,  er  lernte  sie  vortragen  und  eignete  sich  mit  den  Worten 
derselben  den  Reichthum  ihres  Inhalts  an.  Verstand  und  Gefühl, 
Geschmack  und  Urleil  bildeten  sich  aus,  indem  er  sich  in  die  Ge- 
danken der  Meister  hineinlebte.  Unwillkürlich  prägte  er  sich  die 
Grundsaue  hellenischer  Weisheit  ein,  und  die  Vorbilder  grofser  Thaten 
entzündeten  einen  auf  das  Edelste  gerichteten  Trieb  der  Nacheiferung; 
er  lernte  aufser  der  Heimathsprache  die  anderen  Mundarten  kennen, 
in  denen  Dichtung  einen  mustergültigen  Ausdruck  gefunden  hatte. 
Er  erlernte  an  den  Dichtern  zugleich  Sailenspiel  und  Gesang.  Die 
musikalische  Bildung  übte  eine  wohlthätige  Zucht.  Denn  sie  ver- 
langte ein  genaues  Studium  der  überlieferten  Tonweisen,  ein  sicheres 
Taktgefühl  und  eine  strenge  Beobachtung  der  volksthümlichen  Normen. 
Außer  der  siebensailigen  Cither,  an  welche  sich  vorzugsweise  der 
musikalische  Unterricht  anschloss,  wurde  nach  den  Perserkriegen 
auch  das  bei  den  Böotiern  einheimische  Flötenspiel  in  den  Kreis  des 
Jugendunterrichts  hinein  gezogen. 

Ein  anschauliches  Bild  von  dem  attischen  Schulunterrichte  in 
perikleischer  Zeit  giebt  uns  eine  Thonschale  des  Malers  Duris,  wo  wir 
den  Knaben,  von  dem  als  Pädagogen  angestellten  Haussklaven  be- 
gleitet, sittsam  in  sein  Mäntelchen  gehüllt,  bei  dem  Lese-  und  Schreibe- 
meisler  so  wie  bei  dem  Lehrer  des  Cither-  und  Flötenspiels  in  der 
Schulstube  sehen10*). 

So  schlicht  und  einfach  diese  Geistesbildung  war,  so  ergriff  sie 
doch  den  ganzen  Menschen,  und  zwar  um  so  tiefer  und  energischer, 
weil  der  jugendliche  Geist  nicht  durch  ein  buntes  Vielerlei  zerstreut 
wurde  und  sich  deshalb  um  so  hingebender  mit  dem  beschäftigen 
konnte,  was  ihm  an  geistiger  Nahrung  dargeboten  wurde.  Und  was 
konnte  doch  einem  attischen  Knaben  geboten  werden!  Das  grofse 
Weltgemälde  des  homerischen  Epos,  welches  Heldensinn  und  Thaten- 
lust  anregle,  die  Thierfabel  des  Aesop,  welche  mit  ihren  volksthüm- 
lichen Lebensregeln  von  der  Kindheit  bis  ins  reife  Mannesalter  Allen 
vertraut  blieb,  die  gottesdiensüichen  Hymnen  mit  ihrem  reichen 
Schatze  heiliger  Tempelsagen,  die  Lebensweisheit  der  Gnomiker, 
welche  in  kurzen  Kernsprüchen  dem  Bewusslsein  der  Besten  des 
Volks  Ausdruck  gaben,  und  dann  die  ganze  Fülle  lyrischer  Dichtung, 
der  feierliche  Ernst  eines  Alkman,  die  kühnen  Gedanken  eines  Archi- 
locbos,  die  feurige  Leidenschaft  und  die  Anmulh  der  Aeolier,  und 
endlich  die  Elegie  in  ihrer  reichen  Mannigfaltigkeit,  die  ionische  so- 


Digitized  by 


l')0 


IUE  ATTISCHE  BILDUNG. 


wohl  wie  die  attische,  welche  in  eindringlicher  Klarheit  Alles  aus- 
sprach, was  einem  tüchtigen  Bürger  Athens  zu  wissen  und  zu  können 
ziemte!  So  konnte  der  Knabe,  wenn  er  zum  Manne  heranreifte,  alle 
Entwickelungsstufen,  welche  die  hellenische  Bildung  zurückgelegt 
hatte,  alle  Weisen  nationaler  Kunst,  wie  sie  in  den  verschiedenen 
Stämmen  und  Landschaften  geübt  worden  war,  das  ganze  geistige 
Erbgut  seiner  Nation,  sich  angeeignet  haben. 

Während  die  geistige  Bildung  der  Jugend  mehr  den  Eltern 
überlassen  wurde,  sorgten  die  öffentlichen  Gymnasien  für  die  körper- 
liche Tüchtigkeit,  weil  vom  Gesichtspunkte  des  Gemeinwohls  kein  Er- 
ziehungszweck wichtiger  erschien,  als  der,  einen  gesunden  Nachwuchs 
in  kräftigen  und  schönen,  tapferen  und  gewandten  Jünglingen  dem 
Staate  zu  sichern. 

Der  Grundsatz,  welcher  dem  Jugendunterrichte  zu  Grunde  lag, 
war  das  Streben  nach  einer  freien  und  allgemeinen  Bildung;  denn 
keine  der  herkömmlichen  Uebungen  hatte  den  Zweck,  zu  bestimmten 
Verrichtungen  und  Geschäften  des  bürgerlichen  Lebens  vorzubereiten. 
War  nun  der  Jüngling  in  Aneignung  dessen,  was  von  Allen  für  das 
Beste  gehalten  wurde,  was  das  Volk  an  geistigen  Schätzen  besafs, 
glücklich  herangereift,  so  galt  die  Theilnahme  am  öffentlichen  Leben 
für  die  höhere  Schule  der  Ausbildung  und  Bewährung.  Was  auf 
der  Palästra  gelernt  war,  zeigte  der  Waffendienst  in  den  Reiben  der 
Wehrmannschaft;  Urteil  und  verständige  Rede  bewährten  sich  in 
den  Versammlungen  der  Bürger;  die  in  den  Schulen  gelernten  Lieder 
tönten  fort  bei  den  geselligen  Vereinen.  Denn  die  Leier  wanderte 
umher  bei  den  Gastmälern;  sie  hielt  die  Sprüche  weiser  Dichter  in 
frischem  Gedächtnisse  und  reizte  zu  neuen  Dichtungen.  Belehrende 
Gespräche  wurden  in  den  Schattengängen  der  Ringschule  wie  bei 
den  Gastmälern  der  Männer  gehalten,  und  die  Freundschaft,  deren 
sittliche  Bedeutung  kein  Volk  tiefer  erkannt  hat  als  die  Grie- 
chen, feuerte  die  Gemüther  an  zum  Wetteifer  in  Tugend  und  Er- 
kenn tniss. 

Dazu  kamen  die  Bürgerfeste,  welche  die  gemeinsame  Bildung 
auf  der  gegebenen  Grundlage  befestigten  und  förderten.  Hier  ver- 
nahm man  den  Vorlrag  der  homerischen  Rhapsodien,  der  Hymnen, 
der  Dithyramben,  wie  sie  Lasos  von  Hermione  in  Athen  eingeführt 
hatte  (I,  364);  hier  waren  es  vor  Allem  die  dionysischen  Spiele,  die 
seit  Peisistratos  den  Glanzpunkt  des  Festlebens  bildeten. 


Digitized  by  Googl 


DIE  ATTISCHE  BILDUNG 


191 


Jeder  Fortschritt  der  Dichtkunst  war  zugleich  eine  Erweiterung 
der  Volksbildung;  denn  die  Dichter  waren  die  Lehrer  des  Volks. 
Auch  die  lyrische  Kunst  hatte,  wie  die  Musik,  ihre  strengen  Satzungen; 
nirgends  war  etwas  Regelloses,  nirgends  ein  hlofser  Ausbruch  des 
erregten  Gefühls;  vielmehr  war  jedes  gute  Gedicht  das  Erzeugniss 
einer  Kunstweisheit,  die  auf  ernstem  Nachsinnen  beruhte.  Darum 
übten  die  Dichter  die  Fassungsgabe  des  Volks  und  schärften  sein 
Urleil;  sie  läuterten  und  vertieften  sein  Bewusstsein;  sie  wiesen 
von  den  mythologischen  Fabeln  auf  den  religiösen  Kern  der  Ueber- 
lieferung  hin,  auf  Zeus  den  Weltregenten,  den  Hüter  der  ewigen 
Siltengeselze,  wie  namentlich  Archilochos,  Terpander  und  Solon 
ihalen;  sie  wussten  alle  Begebenheiten  der  Gegenwart,  Glück  und 
Unglück,  Grofsthaten  und  Tugenden  sowohl  wie  Fehler  und  Ver- 
irrungen  Einzelner  und  ganzer  Bürgergemeinden  an  die  Vorzeit  an- 
zuknüpfen, an  die  Thaten  und  Leiden  der  Stammheroen,  mit  denen 
sich  die  lebenden  Geschlechter  in  ununterbrochener  Gemeinschaa 
fühlten.  Dadurch  wurde  ihr  Blick  über  den  engen  Gesichtskreis  der 
nächsten  Gegenwart  erweitert;  sie  wurden  angeleitet,  statt  Zufall 
und  Willkür  göttliche  Ordnung  und  sittliches  Gesetz  in  den  Wan- 
delungen der  Geschichte  zu  erkennen.  Endlich  sorgten  die  Mysterien 
für  das  tiefere  Bedürfniss  derer,  welche  an  den  öffentlichen  Gottes- 
diensten keine  Genüge  fanden,  und  die  Weisheit  des  Orpheus, 
welchen  man  als  den  Gründer  der  heiligen  Weihen  verehrte,  warf 
den  milden  Schein  einer  über  das  Irdische  hinausreichenden  Hoffnung 
auf  das  Leben  des  Atheners. 

Wohl  sollte  man  glauben,  dass  bei  der  angeborenen  Beweglich- 
keit des  attischen  Volks  eine  so  freie  Erzieh ungs weise  für  die  Er- 
haltung alter  Sitte  geringe  Bürgschaft  dargeboten  habe;  allein  die 
Anhänglichkeit  an  das  Hergebrachte,  welche  in  den  ehrbaren  Bürger- 
häusern gepflegt  wurde,  und  die  stille  Macht  der  Ueberlieferung, 
welche  sich  an  die  Religion  und  mancherlei  Ueberreste  uralter  Ein- 
richtungen anlehnte,  waren  stark  genug,  das  Volk  auf  der  gegebenen 
Grundlage  zu  erhalten.  Mit  besonderem  Eifer  pflegte  man  gerade  in 
Athen  die  Erinnerung  an  die  erste  Grundlage  bürgerlicher  Gesittung, 
die  Einfuhrung  des  Ackerbaus,  in  welchem  man  die  unerschütterliche 
Bedingung  des  öffentlichen  Wohls  erkannte.  Diese  Ueberzeugung 
wurde  bei  den  jährlichen  Pflugfesten  am  Fufse  der  Akropolis  durch 
ein  Mitglied  des  Geschlechts  der  Buzygen,  deren  Stammheros  Buzyges 


Digitized  by  Google 


1 02 


DIE  ANFÄNGE  IONISCHER  BILDUNG 


den  ersten  Pflugstier  eingespannt  haben  sollte,  den  Athenern  immer 
aufs  Neue  in  das  Gedächtniss  gerufen,  indem  er  feierliche  Ver- 
wünschungen über  Alle  aussprach,  welche  es  an  friedfertigem  Gemein- 
sinn fehlen  liefsen,  dem  Bittenden  Feuer  oder  Wasser  versagten, 
dem  Verirrten  den  Weg  nicht  weisen  wollten.  Solche  Vergehen 
gegen  die  Gesellschaft,  welche  vor  dem  bürgerlichen  Richter  nicht 
klagbar  waren,  wurden  der  göttlichen  Justiz  anheimgestellt. 

So  half  die  Religion  die  sittlichen  Voraussetzungen  des  staat- 
lichen Lebens  erhalten  und  ergänzte  die  geschriebenen  Gesetze. 
Ebenso  wachte  das  Auge  der  höchsten  Götter,  Zeus  und  Atliena, 
über  den  Oelbäumen  im  attischen  Lande,  den  lebendigen  Denkmälern 
und  Zeugen  der  ältesten  Vorzeit,  deren  treue  Pflege  eine  gottes- 
dienstliche Verpflichtung  war.  Mit  ihrem  Landesheroen  fühlten  sich 
die  Athener  in  ununterbrochener  Gemeinschaft.  Die  Marathonkämpfer 
glaubten  Theseus  aus  der  Unterwelt  steigen,  die  Heroen  Maralhon 
und  Echetlos  in  ihren  Reihen  kämpfen  zu  sehen;  bei  Salamis  waren 
die  eleusinischen  Gottheiten  und  die  Aeakiden  hülfreich.  Je  freier 
dag  geistige  Leben  der  Athener  war,  um  so  leichter  konnte  es  die 
neuen  Anregungen,  welche  die  Gegenwart  darbot,  aufnehmen,  ohne 
in  seiner  Harmonie  gestört  zu  werden,  und  so  hat  sich  jene  altattische 
Bildung,  welche  sich  in  der  Noth  der  Perserkriege  bewährt  hatte, 
die  alte  Ehrbarkeit  und  Frömmigkeit,  auch  ohne  Gesetzeszwang,  wie 
er  in  Sparta  herrschte,  bis  in  die  Zeit  des  Perikles  in  voller  Geltung 
erhalten 


Inzwischen  hatte  fern  von  Attika  eine  Bewegung  der  Geister 
begonnen,  welche,  von  unmerklichen  Anfängen  anhebend,  allmählich 
eine  Macht  geworden  war,  deren  Dasein  zuerst  nur  den  Auserwählten 
des  Volks  fühlbar  war,  bis  sie  nach  und  nach  das  gesamte  Volksleben 
ergriff.    Diese  Bewegung  ging  von  Ionien  aus. 

Während  die  Staaten  des  diesseitigen  Hellas  dem  Weltverkehre 
noch  fern  standen  und  ihre  Bürger  nur  für  den  beschränkten  Kreis 
ihrer  Gemeindeangelegenheiten  erzogen,  haben  die  Ionier  zuerst  um 
fernere  Dinge  sich  bekümmert.  Von  Natur  unstät  und  in's  Weite 
blickend,  sind  sie  durch  die  Berührung  mit  der  babylonischen  und 
ägyptischen  Cultur  angeregt  worden,  über  den  Kreis  ihrer  börger- 
lichen Aufgaben  hinauszugehen,  durch  Wandern,  Fragen  und  eigenes 


Digitized  by  Google 


DIE   IONISCHEN  NATURPHILOSOPHEN. 


193 


Forschen  neue  Kenntnisse  zu  suchen,  welche  mit  dem  Staatsleben 
nichts  zu  thun  haben ,  und  den  Gründen  der  Erscheinungen  nach- 
zuspüren. Bei  einem  Volke,  wie  die  Griechen  waren,  die  sich  mit 
der  umgebenden  Natur  in  unbefangener  Harmonie  vereinigt  fühlten, 
war  es  ein  Schritt  von  unabsehlichen  Folgen,  als  sich  das  mensch- 
liche Bewusstsein  der  Welt  des  Erschaffenen  zum  ersten  Male  gegenüber 
stellte.  Freilich  wollte  man  zunächst  nichts  Anderes,  als  die  natür- 
lichen Dinge  sich  verständlich  machen  und  dem  Bedürfnisse  des 
hellenischen  Geistes  genügen,  welcher  überall  Gesetz  und  Ordnung 
suchte;  der  verwirrenden  Mannigfaltigkeit  der  Dinge  gegenüber 
suchte  man  also  ein  Allgemeines  festzustellen,  von  den  vielen  Stoffen 
einen  als  Urstoff  nachzuweisen.  Als  solchen  nannte  Thaies  von  Milet 
(!,  565)  das  Wasser.  So  wenig  er  daran  dachte,  sich  durch  solche 
Lehre  mit  dem  Bewusstsein  des  Volks  und  seiner  Naturanschauung 
in  Widerspruch  zu  setzen,  so  war  dennoch  hierzu  der  entscheidende 
Anstofs  gegeben. 

Es  war  der  Keim  einer  Geistesarbeit,  welche  das  praktische 
Leben  der  Griechen  ergänzte,  und  doch  hatte  auch  sie  mitten  im  be- 
wegten Leben  des  Tages  ihre  Wurzel.  Darum  war  sie  in  der  Stadt 
zu  Hause,  welche  im  sechsten  Jahrhundert  der  bewegteste  Weltmarkt 
war,  wo  der  Verkehr  mit  fremden  Nationen  die  Geister  weckte,  wo 
physikalische,  mathematische  und  astronomische  Studien  unentbehrlich 
waren,  um  die  Schiffe  sicher  über  Meer  zu  führen.  Darum  war  auch 
die  älteste  Philosophie  in  Milet  nichts  als  ein  physikalischer  Erklärungs- 
versuch der  umgebenden  Schöpfung. 

Nach  Thaies  trat  in  derselben  Stadt  Anaximandros  auf  und  lehrte, 
der  Urstoff,  den  man  suche,  sei  kein  sichtbares  Element,  denn  jede 
räumliche  Gränze  sei  eine  Schranke  des  wahren  Seins.  Der  Dinge 
Urgrund  müsse  also  ein  Unbegränztes ,  ein  Unendliches  sein,  das 
von  Anfang  an  wäre,  eine  in  sich  gleichartige,  ewige  Urmaterie,  die 
aus  eigener  Kraft  sich  bewege.  Aus  ihr,  lehrt  er,  scheiden  sich  die 
einzelnen  Elemente  aus,  welche  bei  der  Ausscheidung  ihre  besondere 
Natur  gewinnen,  aber  alle  dazu  bestimmt  sind,  einmal  in  ihren  Ur- 
grund zurückzukehren,  um  darin  unterzugehen.  Dieser  Untergang  ist 
gleichsam  die  Bufse  für  das  unberechtigte  Sonderdasein,  welches  die 
Einzeldinge  sich  angemafst  haben. 

Man  erkennt,  wie  viel  kühner  der  Gedanke  des  Anaximandros 
fortschritt,  wie  viel  entschlossener  er  sich  ablöste  von  dem,  was  die 

Cnrtin»,  Gr.  Oe»cb.  II.  ö.  Aafl.  13 


Digitized  by  Google 


ELEATEN  UM)  PYTHAGOREER. 


Menschen  mit  Augen  sehen.  Den  körperlichen  Dingen  wird  schon 
das  wahre  Leben  abgesprochen.  Aber  Anaximandros'  Ursloff  war 
etwas,  das  nicht  deutlich  genug  gedacht  werden  konnte  und  zur 
Erklärung  der  sichtbaren  Welt  nicht  ausreichte.  Der  Milesier 
Anaximenes  behielt  daher  die  Unendlichkeit  des  Urstoffs  bei,  dachte 
sich  aber  denselben  wieder  mehr  nach  Art  eines  nachweisbaren 
Elements  und  zwar  des  feinsten  und  wandelbarsten  von  allen,  der 
Luft.  Aus  einem  Lufläther  liefs  er  durch  Verdichtung  und  Ver- 
dünnung die  verschiedenen  Dinge  werden.  Dadurch  fährte  er  die 
Philosophie  wiederum  dem  Gebiete  der  Physik  näher,  und  es  folgle 
ihm  eine  Reihe  von  Forschern,  welche  die  Prinzipien  der  ionischen 
Naturphilosophen  auf  die  Erklärung  der  Welt  anzuwenden  und  durch 
physikalische  Prozesse  die  Mannigfaltigkeit  zu  erklären  suchten. 

Der  Reiz  der  Forschung  verbreitete  sich  von  Milet  über  die 
anderen  Städte  Ioniens  und  in  Folge  der  politischen  Erschütterung 
von  dort  nach  weit  entlegenen  Theilen  der  griechischen  Welt.  Denn 
als  die  Perser  gegen  die  Küste  vordrangen  und  die  ganze  Cultur 
Ioniens  zu  vernichten  drohten,  wurde  dies  eine  Veranlassung  der 
Auswanderung  und  zugleich  der  Uebersiedelung  ionischer  Philosophie 
nach  Italien,  wo  sie  von  Neuem  Wurzel  schlug.  So  wurde  Elea  (Hyele), 
die  am  tyrrhenischen  Meere  von  den  flüchtenden  Phokäern  gegründete 
Stadt  (I,  581),  ein  Silz  der  Philosophie,  seitdem  sich  Xenophanes 
aus  Kolophon  bei  ihnen  niedergelassen  hatte,  um  dieselbe  Zeit,  als 
Pythagoras  aus  Samos  nach  Kroton  übersiedelte  (I,  548),  beide  bei 
aller  Verschiedenheit  doch  darin  übereinstimmend,  dass  sie  neue 
Wege  einschlugen,  um  die  von  den  milesischen  Philosophen  ange- 
regten Probleme  zu  lösen. 

Die  letzten  Ursachen  der  Dinge  können  nicht  in  der  Materie 
liegen ;  denn  die  Ordnung  der  Welt  lässt  sich  aus  einem  Urs  tone  und 
dessen  wechselnden  Verwandlungen  niemals  erklären.  Jede  Annahme 
der  Art  führt  von  einem  Rath  sei  in  ein  anderes.  Ein  Höheres  muss 
zu  Grunde  liegen,  etwas  von  den  Sinnen  nicht  Fassbares.  Dies 
höhere  Prinzip  fanden  die  Pytbagoreer  in  der  Zahl;  denn  indem  sie 
im  Kleinen  wie  im  Grofsen,  überall  wo  gesetzmäßige  Bewegung  und 
Ordnung  wahrnehmbar  ist,  in  den  Tönen  der  Leier  wie  in  den 
Bahnen  der  Himmelskörper,  die  Zahl  als  das  Regelnde  erkannten 
und  in  der  Zahl  den  Schlüssel  des  Verständnisses  sahen,  so  nahmen 
sie  auch  in  der  ganzen  Schöpfung,  welche  sie  zuerst  als  'Kosmos' 


Digitized  by  Googl 


HERAKLEITOS. 


195 


auffassten,  eine  solche  Macht  und  Herrschaft  der  Zahl  an,  be- 
trachteten dieselbe  aber  nicht  nur  als  dasRegulativ,  nach  welchem 
die  Dinge  geordnet  wären,  sondern  als  das  wahre  ihnen  zu  Grunde 
liegende  Wesen. 

Auch  die  Eleaten  suchten  den  Urgrund  der  Dinge  außerhalb 
der  sichtbaren  Welt.  Mit  entschlossener  Kraft  des  Geistes  setzten 
sie  den  veränderlichen  Erscheinungen,  inmitten  deren  wir  leben,  ein 
unveränderliches,  ewiges  Sein  gegenüber.  Nur  dieses  ist  wirklich; 
alle  Vielheit  ist  nur  Schein  ohne  Wesenheit,  und  das  Wissen  kann 
keinen  andern  Gegenstand  haben,  als  das  Eine  und  in  sich  Gleiche, 
den  letzten  Grund  der  täuschenden  Erscheinungswelt.  Das  war  der 
Ausgangspunkt  der  Philosophie,  welche  die  Männer  aus  Phokaia  in 
Italien,  in  dem  fern  gelegenen  Elea  pflegten.  Dieselbe  Kühnheit, 
welche  sie  zuerst  in  die  insellose  Westsee  hinausgeführt  hatte,  be- 
währten sie  als  Denker,  indem  sie  den  Muth  hatten,  sich  von  aller 
sinnlichen  Wahrnehmung  loszusagen  und  in  das  Gebiet  des  reinen 
Gedankens  hmauszusteuern. 

So  grofs  aber  auch  der  Fortschritt  ist,  welchen  diese  Schulen 
der  Philosophie  bezeichnen,  indem  sie  mit  dem  Boden  loniens  die 
im  Sinnlichen  befangene  Anschauungsweise  der  Ionier  verlieben,  so 
gelang  es  doch  auf  beiden  Wegen  nicht,  für  die  Erklärung  der  vor- 
handenen Dinge  eine  ausreichende  Methode  zu  finden.  Neue  Prinzipien 
der  WeKbetrachtung  waren  aufgestellt,  aber  die  Vermittlung  fehlte, 
und  weder  aus  der  pythagoreischen  Zahl  noch  aus  dem  eleatischen 
Sein  liefs  die  Welt  der  Erscheinungen  sich  begreifen.  Darum  trat  in 
schroffem  Gegensalze  zu  beiden  Anschauungen  die  ionische  Philo- 
sophie mit  einer  neuen  Richtung  auf. 

Es  giebt,  lehrte  sie  jetzt,  überhaupt  kein  Sein,  weder  ein  in  der 
Sinnenwelt  nachweisbares,  denn  es  erweist  sich  nirgends  als  ein  zu- 
verlässiges, noch  ein  übersinnliches,  ewiges  und  in  sich  gleiches, 
wie  es  die  Speculation  der  Eleaten  erfunden  hat;  das  Einzige,  was 
wirklich  ist  und  worauf  alle  Prüfung  der  Dinge  hinführt,  ist  die 
Veränderung,  die  ewige  Bewegung,  das  unaufhörliche  Werden.  Die 
ganze  Welt  ist  nichts  als  ein  Ineinander  von  Gegensätzen,  die  sich 
wechselseitig  beschränken  und  aufheben,  ein  unaufhörlicher  Stoff- 
und  Rollen  Wechsel,  ein  Hinausstreben  aus  der  Einheil  in  das  Viele 
und  ein  Zurückstreben  des  Vielen  zur  Einheit,  ein  Eingehen  des  Un- 
sterblichen in  das  Vergängliche  und  ein  Erwachen  des  Todten  zum 

13* 


Digitized  by  Google 


196 


HERAKLEITOS.      EMPEDOKI.ES.  LEIKIPPOS. 


Leben,  ein  Sichaustauschen  der  Dinge  unter  einander,  ein  allge- 
meiner Fluss.  Je  mehr  etwas  an  diesem  Werden  Antheil  hat,  um 
so  mehr  Wesenheit  hat  es*,  jedes  BeharrenwoHen  ist  Willkür  und 
Auflehnung  gegen  die  Weltordnung  und  wird  von  Dike,  der  Gerechtig- 
keit, gestraft. 

So  lehrte  der  Ephesier  Herakleitos  um  die  Zeit  des  Königs 
Dareios  (S.  40),  und  es  ist,  als  ob  seine  Lehre  vom  ewigen  Streite 
in  Natur  und  Menschenwelt  und  vom  Kriege,  dem  'Vater  der  Dinge*, 
nur  der  philosophische  Ausdruck  für  jene  wildbewegten  Zeilen  sei, 
in  denen  ein  Umschwung  aller  Staatenverhältnisse  eintrat  und  Völker- 
kriege von  unabsehlicher  Bedeutung  einer  neuen  Zeit  Bahn  brachen. 
Es  war  ein  wichtiger  Forlschritt  in  der  Entwicklung  des  philo- 
sophischen Bewusstseins,  als  er  die  letzte  Frage  desselben  in  ein 
neues  Gebiet  verlegte  und  in  dem  Prozesse  des  Werdens  und  Ver- 
gehens dem  Menschengeiste  einen  überschwanglich  fruchtbaren 
Gegenstand  darbot.  Seine  aufserordentlichen  Anschauungen,  seine 
mit  dem  Räthsel  des  Werdens  ringenden  Gedanken  fanden  in  der 
gewöhnlichen  Rede  der  Hellenen  keinen  Ausdruck;  gleich  unver- 
ständlichen Orakelsprüchen  klang  den  Ephesiern  die  Weisheit  ihres 
grofsen  Mitbürgers. 

Beruhigung  konnte  sie  nach  keiner  Seite  hin  gewähren.  Rast- 
los drängte  der  Gedanke  vorwärts.  Die  Eleaten  fuhren  fort,  in 
schroffem  Gegensatze  zu  Heraklit  die  Idee  des  reinen  Seins  schärfer 
auszubilden  und  darin  den  einzigen  Ruhepunkt  für  den  forschenden 
Geist  so  wie  den  einzigen  Urgrund  der  Welt  nachzuweisen.  In 
Agrigent  suchte  dagegen  Empedokles  (um  450  v.  Chr.)  jenen  Gegen- 
salz zu  vermitteln.  Er  nahm  ein  ewiges  Sein  an,  ohne  den  Prozess 
des  Werdens  zu  verneinen.  Was  uns  aber  als  Werden  und  Vergehen 
erscheine,  lehrte  er,  sei  nur  ein  Zusammengehen  und  Auseinander- 
gehen von  Grundbestandtheilen  oder  Elementen,  welche  durch  zwei 
Kräfte,  durch  Liebe  und  durch  Hass,  gemischt  und  wieder  getrennt 
würden.  Gleichzeitig  machte  Leukippos  einen  ganz  verschiedenartigen 
Versuch,  die  widersprechenden  Lehren  vom  Sein  und  Werden  zu 
vermitteln.  Er  sprach  neben  dem  Seienden  auch  dem  Nichtseienden, 
der  Leere,  Wirklichkeit  und  Wirksamkeit  zu;  das  Seiende  sei  zwar 
unvergänglich,  aber  kein  in  sich  Unterschiedsloses,  sondern  aus  un- 
endlich vielen,  untheilbaren  Körpern  oder  Atomen  bestehend.  Diesen 
kommen  die  Eigenschaften  des  eleatischen  Seins  zu;  sie  erlangen 


Digitized  by  Google 


ANAXAGOIIAS.  DEMOKIUTOS. 


197 


Bewegung  im  leeren  Räume;  aus  ihrer  Verbindung  und  Trennung 
erkläre  sich  der  .Wechsel  der  Dinge.  Also  glaubte  er  sowohl  das 
elea tische  Sein,  das  der  speculative  Gedanke  fordere,  als  auch  das 
herakliüsche  Werden,  auf  welches  die  Erfahrung  führe,  retten  zu  können. 

Ehe  noch  diese  Lehre  der  Atomistik  sich  vollständig  ausgebildet 
hatte,  erkannte  Anaxagoras  in  Klazomenai  (geb.  um  Ol.  70,  1 ;  500) 
das  Ungenügende  jeder  Vermittlung  solcher  ArU  zugleich  aber  auch 
die  Unmöglichkeit,  den  ewigen  Widerspruch  zwischen  Sein  und 
Werden  aus  den  Stoffen  und  ihrer  Natur  zu  lösen;  denn  auch  die 
Eleaten  hatten  ihr  Sein  von  der  Natur  des  Stofflichen  eben  so  wenig 
abzulösen  gewusst  wie  die  Pythagoreer  ihre  Zahl.  Nachdem  also 
schon  bei  Herakleitos  die  Vorstellung  von  einer  das  All  leitenden 
Intelligenz  sich  kund  gegeben,  erklärte  nun  auf  das  Bestimmteste 
Anaxagoras,  dass  in  der  sichtbaren  Welt  der  letzte  Grund  weder  des 
Seins  noch  des  Werdens  zu  finden  sei ;  der  Anstois  zu  ihrer  Gestal- 
lung müsse  von  aufsen  kommen,  von  einem  Wesen,  das  nicht  von 
StofTes  Art  sei,  sondern  ein  in  sich  Lebendiges.  Damit  ging  ein 
neues  Liebt  im  Reiche  der  Gedanken  auf,  die  Idee  eines  weltordnenden 
Geistes,  welcher  allem  Körperlichen  klar  und  bestimmt  gegenüber 
gestellt  wurde108). 

Von  unscheinbaren  Anfängen  beginnend,  hatte  der  menschliche 
Gedanke  seinen  Weg  unaufhaltsam  durchmessen.  Ein  reiches,  viel- 
seitiges geistiges  Leben  hatte  sich  entfaltet,  das  eben  so  sehr  auf 
stiller  Forschung  beruhte  wie  auf  einer  umfassenden  Beobachtung  von 
Natur-  und  Menschenwelt.  Demokritos,  etwa  40  Jahre  jünger  als 
Anaxagoras,  durchreiste  die  Länder  des  Orients,  namentlich  Aegypten 
und  Persien.  Er  konnte  sich  rühmen  mehr  als  einer  seiner  Zeit- 
genossen in  der  Ferne  gesehen  und  gehört  zu  haben.  Aber  die 
Vielwisserei  verachtete  er  so  gut  wie  Herakleitos;  er  blieb  ein  Philo- 
soph, denn  die  Erforschung  der  letzten  Gründe  die  Hauptsache  war, 
und  dabei  berücksichtigte  er  sorgfältig  die  Lehren  des  Pythagoras 
und  Anaxagoras.  Er  fuhr  fort  im  Sinne  des  Leukippos  aus  ver- 
änderter Atomenverbindung  das  Entstehen  und  Vergehen  der  Dinge 
zu  erklären;  Alles,  auch  die  Seele,  war  ihm  ein  Körperliches  und  der 
Geist  nur  der  vollkommenste  Körper. 

in  lebhaftem  Widerspruch  standen  sich  die  Ansichten  über  die 
Probleme  der  Speculation  gegenüber.  Ein  Denker  hatte  des  andern 
Lehre  verdrängt;  nur  Eines  war  geblieben,  in  Einem  stimmten  Alle 


Digitized  by  Google 


198 


WIRKUNGEN  DER  PHILOSOPHIE 


überein;  das  war  das  Verwerfen  der  sinnlichen  Wahrnehmung  und 
jedes  auf  ihr  beruhenden  Urteils.  Heraklit  schalt  die  Sinne  'Lügen- 
zeugen' und  den  Eleaten  zerrann  die  ganze  Welt  in  leeren  Schein. 
Ehe  ein  Festes  gewonnen  wurde,  fiel  das  Bestehende  in  Trümmer. 
Es  bildete  sich  ein  immer  tiefer  gehender  Gegensatz  gegen  die  ge- 
dankenlos hinlebende  Menge,  so  wie  gegen  die  herkömmlichen  Vor- 
stellungen von  den  Göttern  und  gegen  die  Dichter  des  Volks,  auf 
denen  die  religiösen  Vorstellungen  beruhten.  Die  Pythagoreer  lehrten, 
dass  die  Gottheit  etwas  Unsichtbares  sei,  das  nur  mit  dem  Begriffe 
erfasst  werden  könnte.  Nach  ihnen  musste  Homer  in  der  Unterwelt 
büfsen  für  die  leichtfertigen  Fabeln,  die  er  in  Umlauf  gesetzt  habe, 
und  Heraklit  verlangte  die  Beseitigung  der  homerischen  Gedichte  von 
allen  Festversammlungen  der  Hellenen.  So  wurde  jede  Autorität  er- 
schüttert; nichts  blieb  von  der  prüfenden  Scharfe  der  philosophischen 
Denker  verschont.  Der  unbefangene  Glaube,  die  treuherzige  Ver- 
ehrung des  Hergebrachten,  die  Harmonie  zwischen  Mensch  und  Natur 
war  dahin. 

Nun  suchten  die  Führer  der  Schulen  zwar  überall  zu  festen 
Zielpunkten  vorzudringen  und  wurden  nicht  matt  im  Ringen  nach 
einem  endgültigen  Abschlüsse  und  positiven  Resultate.  Die  Jüngeren 
gingen  im  Zweifeln  und  Verneinen  überall  über  die  Aelteren  hinaus; 
so  Kralylos  über  Herakleitos,  wenn  er  behauptete,  dass  jedes  Urteil 
unmöglich  sei,  weil  es  immer  die  Aussage  über  ein  Seiendes  enthalte. 
Die  Schulen  der  Eleaten  kamen  zu  dem  Satze:  'Eis  ist  überhaupt 
nichts,  und  ist  etwas,  so  ist  es  unerkennbar'.  Die  Atomistik  gab  zu 
solchen  Folgerungen  am  meisten  Handhabe,  da  in  ihr  eine  mecha- 
nische Erklärung  der  Naturerscheinungen  vorwaltete108*). 

So  wurden  die  Keime  der  Skepsis,  die  in  allen  Schulen  vorhanden 
waren,  von  den  Schülern  der  Philosophen  vorzugsweise  entwickelt. 
Aber  es  gab  auch  Viele,  welche,  ohne  auf  den  Kern  der  Forschung 
einzugehen,  bei  dem  Zweifel  stehen  blieben.  Sie  bespöttelten  die 
Einfalt  derer,  welche  sich  bei  den  Meinungen  des  Volks  beruhigten, 
deren  innere  Widersprüche  aufzudecken  keine  Kunst  mehr  war,  aber 
sie  gingen  selbst  nicht  ernsthaft  daran,  die  letzte  Wahrheit  zu  suchen. 
Wozu  auch?  Wenn  ein  dauerndes  und  bestimmtes  Sein,  wie  Heraklit 
gezeigt  hat,  nirgends  vorhanden  ist,  so  ist  Jedem  das  Wahrheit,  was 
seine  Sinne  ihm  als  solche  darstellen;  darüber  aber  lässt  sich  mit 
Niemand  streiten.  So  kam  es,  dass  sich  eine  Klasse  von  Menschen  bildete, 


Digitized  by  Googl 


HIPPODAMOS  AUS  MILET. 


199 


welche  von  Systemen  und  letzten  Gründen  überhaupt  nichts  wissen 
wollten,  sondern  als  Hauptsache  die  Denkübung  selbst  und  die  daraus 
hervorgehende  Gewandtheit  und  Unabhängigkeit  des  Geistes  betrachteten. 

So  wird  aus  der  Philosophie  eine  allgemeine  Aufklärung,  welche 
in  praktischer  und  fasslicher  Weise  benutzt  werden  soll,  alles  Be- 
stehende der  Prüfung  zu  unterziehen.  Im  Lichte  dieser  Aufklärung 
wird  Staat  und  Bürgerleben  betrachtet;  Theorien  werden  aufgestellt; 
nach  allgemeinen  Vernunflgründen  wird  über  Wohnung,  Nahrung, 
Kleidung  gebandelt,  und  Leute,  welche  nie  ein  öffentliches  Amt  be- 
kleidet haben,  treten  mit  Reformplänen  für  die  gesamte  Ordnung  des 
bürgerlichen  Lebens  auf. 

Diese  Richtung  zeigt  sich  am  deutlichsten  in  Hippodamos,  der 
um  die  Zeit,  da  Athen  die  Führung  der  hellenischen  Seemacht  über- 
nahm, in  Milet  geboren  wurde  und  alle  hier  zugängliche  Wissenschaft 
sich  eifrig  aneignete,  so  dass  er  sich  frühzeitig  einer  umfassenden 
Natur-  und  Wellkenn tniss  rühmen  und  sich  als  einen  Mann  geltend 
machen  konnte,  der  Alles  besser  verstände  als  die  übrigen  Hellenen. 
Er  war  von  Hause  aus  Architekt  und  wollte  zunächst  in  seinem  Fach 
Alles  nach  neuen  Grundsätzen  reform iren.  Der  Bau  der  Häuser  und 
Städte  sollte  nicht  von  Laune  und  Willkür  noch  von  den  Zufällig- 
keiten des  Bodens  abhängen,  sondern  nach  allgemeinen  Grundsätzen 
behandelt  werden.  Dass  man  aber  gerade  in  Milet  zuerst  darauf  kam, 
die  Stadtgründung  als  Wissenschaft  zu  behandeln,  lässt  sich  aus  der 
Geschichte  der  Stadt  wohl  erklären,  und  die  Vorbilder  orientalischer 
Städte,  mit  denen  die  Milesier  in  Berührung  kamen,  namentlich 
Babylon,  wirkten  ohne  Zweifel  darauf  ein,  dass  Hippodamos  mathe- 
matische Regelmäfsigkeit  der  Anlage,  geradlinige  Slrafsen  und  Plätze, 
recht  winklicht  abgeschnittene  Sladtquartiere  verlangte. 

Aber  er  ging  viel  weiter  in  seinem  doktrinären  Eifer.  Er  wollte 
eine  neue  Kleidung  einführen,  er  wollte  nach  bestimmten  Zahlver- 
hältnissen  die  Bürgerschaften  bemessen,  die  Stände  gegliedert,  die 
Gesetze  und  öffentlichen  Angelegenheiten  geordnet  wissen;  Alles  sollte 
vernunftgemäß  construirt  werden  und  dadurch  eine  allgemeine  Geltung 
erlangen.  So  bildeten  sich  politische  Theorien,  welche  grundver- 
schieden waren  von  der  Staatsweisheit  der  Aelteren,  welche  wie 
Mnesiphilos,  der  Erbe  solonischer  Weisheit,  im  engsten  Anschlüsse 
an  die  besondere  Aufgabe  des  einzelnen  Staats  und  seine  Geschichte 
in  kurzen  Sprüchen  Grundsätze  der  Politik  aufstellten104). 


Digitized  by  Google 


200 


PHILOSOPHIE   UND  STAAT 


Diese  moderne  Aufklärung,  wie  sie  in  Hippodamos  recht  deutlich 
zu  Tage  tritt,  wurde  eine  Macht,  welche  sich  mehr  und  mehr  aus- 
breitete und  das  Volksleben  in  seinem  innersten  Kerne  angriff.  Am 
meisten  Fortschritte  machte  sie  natürlich  in  den  Gegenden,  wo  die 
bürgerlichen  Verhältnisse  schon  gelockert  waren,  also  namentlich  in 
den  grofsen  Handeisstadien,  und  zwar  zunächst  in  lonien  selbst, 
wo  von  jeher  ein  Widerstreben  gegen  strenge  Gesamtordnungen 
und  Neigung  zu  Neuerungen  geherrscht  hatte.  Unter  der  Herr- 
schaft der  Lyder  und  der  Perser  war  die  Bevölkerung  sehr  gemischt 
worden,  Hellenen  und  Barbaren  wohnten  bunt  durch  einander; 
dadurch  wurde  das  nationale  Bewusstsein  so  getrübt,  dass  es  dem 
weltbürgerlichen  Sinne,  welcher  mit  der  philosophischen  Aufklärung 
zugleich  sich  ausbreitete,  keinen  Widerstand  entgegensetzte.  Mit 
den  ionischen  Städten  standen  die  Colonien  Italiens  und  Siemens 
im  nächsten  Handelsverkehre ;  auch  hier  war  durch  ähnliche 
Verhältnisse  der  Boden  für  die  neue  Bewegung  der  Geister  vor- 
bereitet. 

Zwar  fehlte  es  der  griechischen  Philosophie  nicht  an  Keimen, 
welche  auch  für  politische  Bildung  fruchtbar  waren.  Herakleitos 
eiferte  für  die  Gellung  der  Gesetze  des  Staats  und  war  mit  seinem 
Freunde  Hermodoros  für  die  Herstellung  einer  vernünftigen  Ver- 
fassung von  Epbesos  thätig;  Pylhagoras  suchte  die  Harmonie,  welche 
er  in  der  Weltordnung  anschaute,  auch  im  menschlichen  Staate  zu 
verwirklichen ;  selbst  die  Eleaten  waren  nicht  so  in  Spekulation  ver- 
loren, dass  sie  nicht,  wo  es  galt,  ihren  Mitbürgern  als  thatkräflige 
Staatsmänner  dienten.  Parmenides,  der  Anhänger  des  Xenopbanes 
(S.  194),  wurde  Gesetzgeber  von  Elea  und  neigte  sich  auf  diesem 
Gebiete  den  pythagoreischen  Grundsätzen  zu;  Empedokles  war  der 
einflussreichste  Mann  in  Agrigent  und  der  Reiter  der  vaterstädti- 
schen Verfassung.  Aber  solche  Wirkungen  waren  einzeln  und  vor- 
übergehend; die  nach  philosophischen  Grundsätzen  geordneten  Ver- 
fassungen hatten  keine  Dauer  und  nur  den  hervorragendsten  Männern 
war  es  gegeben,  die  neue  Bildung  mit  bürgerlicher  Tüchtigkeit  und 
Gesinnungstreue  zu  vereinigen.  Die  allgemeine  Wirkung  war  der 
Art,  dass  sie  die  Anhänglichkeit  an  das  Herkommen  erschütterte,  die 
Festigkeit  der  bürgerlichen  Ordnungen  untergrub  und,  weil  in  diesen 
Glaube  und  Sitte  wurzelten,  auch  die  sittliche  Haltung  der  griechischen 
Gemeinden  gefährdete106). 


Digitized  by  Google 


PHILOSOPHIE   UND  STAAT. 


201 


In  der  Mitte  zwischen  Ionien  und  den  westlichen  Golonien  blieb 
das  europäische  Griechenland,  welches  durch  seine  staatlichen  Ange- 
legenheiten ganz  in  Anspruch  genommen  war,  von  dem  Einflüsse 
philosophischer  Aufklarung  lange  Zeit  unberührt. 

Aber  die  Berührung  konnte  nicht  ausbleiben,  am  wenigsten  in 
Athen,  nachdem  es  die  Aufmerksamkeit  der  gesamten  Griechenweit 
erweckt  hatte  und  dadurch  aus  seiner  früheren  Zurückgezogenbeit  her- 
ausgetreten war.  Die  Anspannung  aller  körperlichen  und  geistigen 
Kräfte,  welcher  Athen  seine  Siege  verdankte,  war  so  gewaltig,  dass 
seine  Bürger  nach  Abwendung  der  Gefahr  nicht  wieder  in  das  alle 
Geleis  väterlicher  Gewohnheiten  zurückkehren  konnten.  Ein  ganz  neues 
Selbstbewusstsein  war  erwacht;  es  bedurfte  neuer  Gegenstande,  an 
denen  die  Kralle  sich  versuchen  konnten,  neuer  Ziele,  neuer  Erwer- 
bungen auch  auf  dem  Gebiete  geistiger  Bildung. 

Diesem  Bedürfnisse  nach  Erweiterung  des  geistigen  Gesichts- 
kreises kamen  nun  die  Zeitverhältnisse  in  merkwürdiger  Weise 
entgegen.  Eine  Fülle  von  Anregungen  wartete  der  Athener;  durch 
Reisende  wie  durch  Schriftverkehr  vernahm  man  die  Kunde  der  neuen 
Weisheit,  die  in  den  jenseitigen  Städten  gereift  war,  bis  endlich  die 
bedeutendsten  Persönlichkeiten  selbst  herüberkamen,  vor  allen  Andern 
Anaxagoras,  der  gleich  nach  den  Perserschlachten  als  ein  junger  Mann 
Athen  aufsuchte;  der  Erste,  welcher  Athen  zum  Sitze  der  Philosophie 
machte.  Dann  sein  Zeitgenosse,  Diogenes  aus  Apollonia  in  Kreta, 
welcher  die  Richtung  der  ionischen  Naturphilosophen  festhielt  und  fort- 
setzte, nachdem  ihr  Standpunkt  durch  spätere  Forschungen  schon 
überwunden  war.  Auch  auf  die  Eleaten  üble  Athen  seine  Anziehungs- 
kraft aus;  Parmenides  kam  als  ein  Sechziger  zum  Feste  der  Panalhe- 
näen  (etwa  Ol.  81,  3;  454),  und  mit  ihm  sein  Schüler  Zenon,  welcher 
trotz  seiner  Anhänglichkeit  an  das  stille  und  philosophischen  Studien 
günstige  Elea  wiederholt  in  Athen  anwesend  war106). 

Diesen  eigentlichen  Philosophen,  den  Gründern  und  Vertretern 
philosophischer  Schulen,  folgte  die  gröfsere  Zahl  derer,  welche  von 
Schulweisheit  und  Systemen  nichts  wissen  wollten,  sondern  die  Lehren 
der  Philosophen  vielmehr  dazu  benutzten,  um  die  Unmöglichkeit  einer 
für  Alle  gültigen  Erkenntniss  zu  beweisen ;  Männer,  welche  die  aus 
vielseitigen  Studien  erworbene  Meisterschaft  im  Denken  und  Reden 
durch  Unterricht  zu  verwerlben  wussten.  Denn  während  die  stren- 
geren Philosophen  nur  Wenige  und  Auserwählte  des  Volks  in  ihren 


Digitized  by  Google 


202 


SOPHISTEN  IN  ATHEN. 


Kreis  zu  ziehen  vermochten,  wendeten  jene  sich  an  ein  gröfseres 
Publicum  und  machten  die  Philosophie  dem  Bedürfnisse  einer  allge- 
meinen Bildung  dienstbar. 

Als  Lehrer,  wie  sie  Griechenland  in  dieser  Art  noch  nie  gesehen 
hatte,  zogen  sie  in  den  gröfseren  Städten  umher,  lockten  die  Jünglinge 
an  sich,  nicht  um  sie  für  gewisse  Lehrsätze  zu  gewinnen,  sondern  \im 
sie  mit  den  Fortschritten  der  Zeitbildung  bekannt  zu  machen,  von  Vor- 
urteilen zu  befreien,  ihren  Gesichtskreis  zu  erweitern,  sie  denk-  und 
redefertig  zu  machen,  in  Beurteilung  der  Gemeindeangelegenheiten, 
in  Verwaltung  des  eigenen  Vermögens,  in  Behandlung  der  Menschen  zu 
unterweisen,  und  indem  sie  zu  solchem  Zwecke  von  ihrer  Weisheit 
gleichsam  Profession  machten  und  einen  eigenen  Stand  bildeten,  be- 
nannte man  sie  mit  dem  Namen  der  Sophisten,  einem  Namen,  der  ur- 
sprünglich durchaus  keine  tadelnde  Nebenbedeutung  hatte. 

Einer  der  Ersten  dieser  Sophisten  war  Protagoras  aus  Abdera, 
welcher  um  die  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts  in  Sicilien  wie  in 
Athen  mit  grolsem  Beifalle  auftrat,  indem  er  lehrte,  dass  es  keine 
unbedingte  Wahrheit  gebe,  dass  alle  Gegenstände  nur  so  seien,  wie 
sie  dem  Wahrnehmenden  erschienen;  Alles  hänge  von  dem  Gesichts- 
punkte des  Anschauenden  ab,  das  Mafs  der  Dinge  liege  also  in  ihm. 
So  stand  der  Mensch  frei  und  unabhängig  Gott  und  der  Welt  gegen- 
über; er  stand  außerhalb  aller  bürgerlichen  Satzungen,  und  es  kam 
für  die  Wirksamkeit  des  Einzelnen  nur  darauf  an,  wie  weit  er  im 
Stande  war,  sein  persönliches  Meinen  geltend  zu  machen. 

Merkwürdig  ist  nun  das  Verhalten  der  Athener  zu  diesen 
Männern,  welche  aus  West  und  Ost  mit  ihrer  Weisheit  zu  ihnen 
kamen  und  nicht  ohne  Grund  einen  günstigen  Boden  bei  ihnen  zu 
finden  erwarteten.  Denn  was  konnte  ihnen  in  dieser  Zeit,  wo  sie 
sich  von  dem  bisherigen  Bildungskreise  unbefriedigt  fühlten,  will- 
kommener sein,  als  eine  Weisheit,  die  Menschliches  und  Göttliches  aus 
neuen  Gesichtspunkten  betrachtete  und  zugleich  eine  unmittelbar 
praktische,  für  alle  Verhältnisse  brauchbare  sein  wollte,  eine  Weisheit, 
welche  der  ionischen  Liebe  zu  freier  und  unabhängiger  Bewegung 
vollkommen  entsprach,  indem  sie  allen  lästigen  Satzungen  gegenüber 
der  Persönlichkeit  die  höchste  Berechtigung  einräumte,  die  Redelust 
begünstigte  und  durch  den  Einfluss,  welchen  sie  ihren  Jüngern  zu 
geben  versprach,  dem  Ehrgeize  der  jungen  Athener  im  höchsten  Grade 
zusagte !  Der  Geist  der  Zeit  fand  in  ihr  seinen  vollkommenen  Aus- 


Digitized  by  Google 


ATHEN  UND  IONIEN. 


203 


druck;  daher  kam  es  auch,  dass  an  den  verschiedensten  Orten  ohne 
äu/seren  Zusammenhang  sich  dieselbe  Richtung  geltend  machte  und 
überall  Anklang  und  Eingang  Tand.  In  Athen  war  es  ja  aufserdem 
eine  althergebrachte  Sitte,  auswärtigen  Hellenen  von  geistiger  Be- 
deutung bereitwillig  die  Thore  zu  öffnen  und  ihnen  mit  aller  Gunst 
entgegenzukommen.  Reiche  Familien  rechneten  es  sich  zur  Ehre,  die 
fremden  Lehrer  bei  sich  aufzunehmen  und  ihre  Häuser  dadurch  aus- 
zuzeichnen, dass  in  ihnen  die  neue  Bildung  Anerkennung  und  Pflege 
erhielt. 

Andererseits  trat  aber  der  neuen  Weisheit,  mochte  sie  von 
Philosophen  oder  Sophisten  dargeboten  werden,  eine  starke  Abneigung 
entgegen.  Man  war  verstimmt  gegen  Leute,  die  sämtlich  aus  der 
Fremde  kamen  und  etwas  Absonderliches  sein  wollten;  man  hatte 
namentlich  gegen  Alles,  was  aus  Ionien  kam,  ein  gewisses  Miss- 
trauen ;  denn  um  dieselbe  Zeit,  da  Attika  mit  Ionien  von  Neuem  in 
Verbindung  getreten  war,  hatte  sich  auch  der  Gegensalz  zwischen 
beiden  Ländern  geschärft.  Während  zu  Solons  Zeit  ionisches  Wohl- 
leben in  Alben  herrschend  war,  so  dass  die  reichen  Bärger  sich 
darin  gefielen,  ein  üppiges  Leben  zur  Schau  zu  tragen  und  mit 
Purpur,  Gold,  Salben,  mit  Rossen,  Jagdhunden,  schönen  Knaben  und 
Festgelagen  zu  prunken:  war  mit  den  Perserkriegen  unverkennbar 
ein  gröfserer  Lebensernst  eingetreten,  wie  es  die  Nolh  der  Zeit  mit 
sich  brachte.  Der  Stand  der  atiischen  Landwirihe  war  in  Marathon 
wieder  zu  Ehren  gekommen,  und  je  mehr  sich  der  Kern  des  atti- 
schen Volks  dem  ionischen  Seevolke  überlegen  fühlen  lernte,  um  so 
mehr  lieble  er  es  auch  in  Sprache,  Sitte  und  Kleidung  sich  von 
ihm  zu  unterscheiden.  Zur  Zeit  der  Perserkriege  gingen  die  reichen 
Bürger  noch  in  faltigen  Linnengewändern,  welche  bis  auf  die  Füfse 
fielen,  und  liefsen  sich  von  ihren  Sklaven  Polsterstühle  nachtragen; 
mit  goldenen  Nadeln  s leckten  sie  das  künstlich  zusammengeflochtene 
Haar  auf.  Das  waren  Ueberreste  einer  gewissen  zopfigen  Putzsucht 
und  einer  üppigen  Bequemlichkeit,  welche  erst  um  die  Zeil  des  Perikles 
allmählich  aus  der  Mode  kamen.  An  ihre  Stelle  trat  eine  leichtere, 
kürzere,  einfachere  Tracht,  die  zu  keinem  Luxus  Anlass  gab,  das 
ärmellose  Unterkleid  von  Wolle,  wie  es  die  Dorier  trugen,  worüber 
der  aus  einem  viereckigen  Stücke  Tuch  bestehende  Mantel  geworfen 
wurde:  eine  Tracht,  welche  republikanischer  Gleichheit  besser  ent- 
fprach  und  für  ein  tbäliges  Leben  ungleich  geeigneter  war107). 


Digitized  by  Google 


204 


FURCHT  VOR  DER  AUFKLÄRUNG 


Viel  älter  als  dieser  äußerliche  Unterschied  zwischen  loniern 
und  Athenern  war  der  Gegensalz  in  Sitte  und  Lebensweise.  In  Ionien 
halte  man  Alles,  was  den  Menschen  im  Genüsse  des  Lebens  beengte, 
und  deshalb  alle  strengeren  Formen  der  Geselligkeit  zu  beseitigen 
gesucht,  so  auch  in  Beziehung  auf  das  Verhällniss  der  Geschlechter.  Die 
Ehe  war  den  Athenern  nicht  blofe  eine  börgerliche  Einrichtung  von 
der  höchsten  Wichtigkeit,  weil  die  vollgültige  Schliefsung  derselben 
die  Grundlage  aller  familienrechtlichen  und  staatsbürgerlichen  Eigen- 
schaften war,  sondern  auch  eine  heilige  Sache,  eine  göttliche  Stiftung, 
welche,  so  oft  sie  in  Anwendung  kam,  eine  gottesdienstliche  Feier 
veranlasste,  welche  mit  einer  Reihe  bedeutungsvoller  Gebräuche  aus- 
gestaltet war.  Dazu  gehörte  das  Bad  aus  heiliger  Quelle  (I,  357) 
und  die  Einholung  des  göttlichen  Segens  im  Tempel  der  Burggöttin. 
Die  am  Herde  des  Elternhauses  entzündete  Hochzeitsfackel  war  das 
Wahrzeichen  strenger  Ueberlieferung,  welche  von  Haus  zu  Haus,  von 
Geschlecht  zu  Geschlecht  fortdauern  sollte,  und  wie  die  Jungfrau 
nur  für  das  Vaterhaus  gelebt  halle,  so  lebte  die  Frau  nur  für  das 
des  Gatten  in  stiller  Zurückgezogenheit  und  sittsamer  Zucht.  Nur 
an  den  Festen  sah  man  die  Frauen  draufsen. 

In  Ionien  stand  die  Ehe  von  Anfang  an  niedriger,  und  die 
Frauen  hatten  daselbst  nicht  die  Ehre  und  Würde  einer  attischen 
Hausfrau.  Aber  gerade  diese  geringere  Stellung  reizte  die  Frauen,  sich 
in  anderer  Weise  Gellung  zu  verschaffen,  durch  sorgfältige  Pflege 
aller  Reize  und  Talente  die  Männer  zu  fesseln,  die  Schranken  ihres 
Geschlechts  zu  beseitigen  und  auch  bei  den  Festgelagen  Zutritt  zu 
erreichen.  Aphrodite  trat  an  die  Stelle  der  ernsten  Demeter,  der 
Götlin  des  keuschen  Ehebundes,  und  wenn  man  den  Einfluss  er- 
wägt, welchen  die  ionischen  Buhlerinnen  auf  das  ganze  bürgerliche 
Leben  gewannen,  die  Macht,  welche  sie  durch  ihre  geselligen  Talente, 
ihre  Wohlredenheit  und  Klugheit  schon  ausgeübt  halten  (S.  58),  so 
hallen  in  der  That  nicht  blofs  die  atiischen  Hausfrauen  Grund,  auf 
die  fremden  Dirnen  zu  zürnen,  welche  ihre  Rechte  kränkten  und 
das  Familienglück  zerstörten,  sondern  alle  besonnenen  Bürger  musslen 
diese  Einflüsse  Ioniens  nach  Kräften  fern  zu  halten  suchen  und  zu- 
gleich in  Allem,  was  von  dorther  an  glänzenden  Gaben  geboten  wurde, 
also  auch  in  der  ionischen  Aufklärung,  ein  heimliches  Gift  fürchten. 

Dies  Misstrauen  steigerte  sich,  als  das  Wesen  der  neuen  Bildung 
näher  bekannt  wurde.    Denn  das  Heiligste  und  Theuerste,  was  die 


Digitized  by  Google 


GEGENSÄTZE  IN  ATHEN.  205 

Hellenen  an  Ueberzeugungen  hatten,  beruhte  ja  auf  der  stillschweigen- 
den Uebereinstimmung  aller  Volksgenossen.  Wenn  nun  Leute  zu 
ihnen  herüberkamen,  welche  mit  rücksichtsloser  Zuversicht  die  ganze 
Ueberlieferung  des  Volks  prüften,  zersetzten  und  verneinten,  so  musste 
ihnen  das  eben  so  verwerflich  erscheinen,  als  wenn  in  Beziehung  auf 
die  Staatsgesetze  oder  die  hergebrachte  Ordnung  des  Gottesdienstes 
Einzelne  ihre  abweichende  Meinung  geltend  machen  und  über  das 
Gesetz  stellen  wollten.  Von  dem  Ungeheuern  Unterschiede  zwischen 
einem  Anaxagoras  und  den  Sophisten  konnte  die  Menge  keinen  Be- 
griff haben.  Man  urteilte  nach  einzelnen  Sätzen;  darum  erschien 
alles  als  gleiche  Ketzerei,  und  man  wollte  von  vorne  herein  nichts 
von  einer  Bichtung  wissen,  die  zu  solchen  Ergebnissen  führte,  dass 
man  an  der  Persönlichkeit  der  vom  Staate  verehrten  Götter  so  wie 
an  der  Bedeutsamkeit  der  von  ihnen  gesendeten  Zeichen  zweifelte, 
dass  man  vernunftlose  Kräfte  an  Stelle  der  olympischen  Götter 
stellte  und  anstatt  des  Alles  schauenden  Helios  eine  glühende  Stein- 
masse am  Himmel  leuchten  sah.  Je  mehr  man  aber  die  Kenntnisse 
und  Geistesgaben  der  neuen  Weisheitslehrer  anerkennen  musste,  um 
so  mehr  fürchtete  man,  dass  sie  nach  und  nach  Alles  zergrübelten 
und  auflösten.  Man  sah  Religion,  Staat  und  Sitte  gefährdet;  denn 
wenn  die  Götter  nicht  mehr  sind,  die  Hüter  des  Eides,  die  Rächer 
des  Unrechts,  was  soll  dann  noch  die  bürgerliche  Gesellschaft  zu- 
sammenhalten! Auch  die  nationalen  Grundlagen  des  öffentlichen 
Lebens  schienen  gefährdet,  indem  der  Unterschied  zwischen  Hellenen 
und  Barbaren  verwischt  wurde  und  die  Lehre  auftauchte,  dass  die 
Menschen  alle  zu  gleicher  Freiheit  berufen  wären. 

Aufserdem  gaben  die  Sophisten  durch  ihr  persönliches  Auftreten 
mancherlei  Anstofs.  Ihr  unstätes  Wesen  und  rastloses  Umherreisen 
schien  mit  dem  Wesen  eines  ordentlichen  Bürgers  und  mit  dem 
Berufe  eines  Jugendlehrers  un vertraglich ;  ihr  Hocbmuth  verletzte; 
die  Art,  wie  sie  aus  ihrem  Lehramte  ein  Geschäft  machten,  schien 
unanständig,  und  als  nach  dem  Beispiele  des  Protagoras  die  Sophistik 
zu  einem  gewinnreichen  Gewerbe  wurde,  steigerte  sich  die  Abneigung. 
Daher  kam  es,  dass  Philosophen  und  Sophisten  ihre  Wirksamkeit  in 
Athen  verstecken  mussten  und  unter  dem  Namen  von  Musik,  Grammatik, 
Rhetorik  und  andern  hergebrachten  Unterrichtszweigen  ihre  Weisheit 
einzuschwärzen  suchten ;  ein  Verfahren,  das  ihnen  um  so  leichter  ge- 
lang, je  mehr  die  Sophistik  eines  positiven  Inhalts  entbehrte  und 


Digitized  by  Google 


206 


PERIKLES  JLT,E>'D. 


ihrem  Wesen  nach  ein  formales  Prinzip  war,  welches  leicht  auf  alle 
Gegenstande  der  Bildung  angewendet  werden  konnte. 

So  standen  sich  um  die  Milte  des  fünften  Jahrhunderts  die 
Richtungen  in  Athen  schrofT  gegenüber.  Die  Einen  gefielen  sich  darin, 
mit  der  neuen  Weisheit  zu  liebäugeln  und  mit  ihrer  Pflege  zu  prahlen; 
die  grofse  Mehrzahl  der  Bürger  wehrte  den  Einfluss  derselben  mit 
allen  Kräften  ab.  Am  geringsten  war  die  Zahl  derer,  welche  die  Bedeu- 
tung der  geistigen  Bewegung  zu  würdigen,  die  fruchtbaren  Keime  der- 
selben sich  anzueignen  und  dabei  die  Unabhängigkeit  ihres  Geistes 
zu  wahren  wussten.  Für  diese  wurde  die  philosophische  Bildung 
eine  Macht,  welche  sie  über  den  Standpunkt  der  Menge  emporhob, 
ohne  sie  dem  Gemeinwesen  zu  entfremden. 


In  dieser  Zeit  geistiger  Bewegung  war  Perikles  aufgewachsen. 
Sein  Vater  Xanthippos,  welcher  an  den  Küsten  Ioniens  den  ersten 
Sieg  mit  attischen  Kriegsschiffen  erfochten  hatte,  gehörte  zu  dem 
Geschlechte  der  Buzygen,  welche  ein  heiliges  Bild  der  Athena,  das 
Palladion,  zu  hüten  und  die  auf  die  Einfuhrung  des  Ackerbaus  be- 
züglichen Ceremonien  zu  vollziehen  hatten  (S.  191  f.).  Er  war  ein 
Mann  von  hoher  Bildung  und  Kunstliebe,  wie  wir  aus  seinem  Ver- 
hältnisse zu  Anakreon  schliefsen  dürfen,  der  ihn  in  seinen  Liedern 
feierte.  Das  Standbild  des  Dichters  wurde  darum  später  neben  dem 
des  Xanthippos  auf  der  Burg  von  Athen  aufgestellt.  Xanthippos' 
Gattin  war  Agariste,  des  Megakles  Schwester,  die  Tochter  des  Hippo- 
krates,  die  Nichte  des  grofsen  Kleislhenes.  Es  verband  sich  in  dieser 
Ehe  also  das  ehrwürdige  Eupatridenthum  Athens  mit  dem  jüngeren 
Adel  und  in's  Besondere  mit  dem  durch  ihren  Reichthum  und  ihren 
ruhmvollen  Anlheil  an  den  Verfassungskämpfen  ausgezeichneten  Ge- 
schlechle  der  Alkmäoniden.  Zu  den  Schätzen  des  Hauses  gehörten 
auch  Gedichte  des  Pindar,  in  welchen  er  den  Glanz  desselben  gefeiert 
hatte,  ein  Gedicht  aur  den  Bruder  der  Agariste  und  ein  anderes  auf 
den  Tod  ihres  Vaters.  So  war  ihrem  Sohne  schon  durch  seine 
Geburt  die  reichste  Mitgift  zu  Theil  geworden,  eine  ruhmreiche, 
lebendig  bewegte  Vaterstadt  und  ein  Elternhaus,  welches  durch  seine 
Geschichte  und  seine  Verbindungen  vor  allen  geeignet  war,  hohe 
Gedanken  in  dem  Knaben  zu  wecken  und  ihn  zu  gewöhnen,  das  Wohl 
der  Vaterstadt  wie  eine  persönliche  Angelegenheit  zu  betrachten. 


Digitizeci  by  Google 


PERIKLES*  BILDUNG. 


207 


Aber  nicht  blofs  für  die  stadtischen  Interessen  war  sein  Haus 
ein  Mittelpunkt.  Die  Familie  des  Vaters  stand  auch  mit  den  Königen 
von  Sparta  in  Gastfreundschaft,  und  die  Verbindungen  der  Alkmäo- 
niden  reichten  durch  die  gebildete  Welt,  so  dass  in  diesem  Hause 
besser,  als  an  irgend  einem  andern  Orte,  über  die  Verhältnisse  des 
Orients,  über  die  Beziehungen  der  griechischen  Staaten  zu  einander 
sowie  über  alle  Forlschritte  in  Kunst  und  Wissenschaft  ein  Ueber- 
blick  gewonnen  werden  konnte.  Zu  diesen  vielfachen  Anregungen 
kamen  die  aufserorden Iiichen  Begebenheiten,  welche  Perikles'  Jugend- 
zeit ausfüllten.  Als  Knabe  erlebte  er  den  Brand  Athens,  die  Nieder- 
lage der  Barbaren,  die  Wiedergeburt  der  Vaterstadt  ;  mit  der  wachsenden 
Gröfse  Athens  wuchs  er  zum  Jünglinge  auf,  und  sein  erster  Waffen- 
dienst liefs  ihn  an  den  herrlichsten  Siegen  Antheil  nehmen.  Er  sah 
unter  der  Hoheit  Athens  ein  weites  Insel-  und  Küstenreich  sich 
bilden  und  erkannte  die  Aufgabe  seiner  Vaterstadt,  einer  solchen 
Stellung  sich  würdig  zu  zeigen. 

Zu  diesem  Ziele  mitzuarbeiten  war  er  nicht  blofs  durch  seine 
Geburt  berufen,  sondern  auch  durch  die  glücklichsten  Anlagen. 
Denn  er  war  reich  und  vielseitig  begabt,  zur  Ausdauer  in  geistigen 
und  körperlichen  Anstrengungen  vorzüglich  geeignet;  von  durch- 
dringendem Verstände  und  angeborener  Redegabe;  feurig  und  ideen- 
reich wie  Themistokles,  aber  in  seinem  ganzen  Wesen  von  Jugend 
an  ungleich  gesammelter  und  geordneter.  Denn  was  ihn  vor  allem 
Andern  auszeichnete,  war  ein  unermüdlicher  Bildungstrieb,  und 
Niemand  empfand  das  Bedürfniss  der  Zeit  nach  neuer  Erkenn  tniss 
lebhafter,  als  der  junge  Perikles.  So  kam  es,  dass  er  sich  nirgends 
mit  dem  Herkömmlichen  begnügte,  sondern  den  neuen  Forschungen 
mit  allem  Eifer  nachfragte  und,  während  das  Volk  sich  misstrauisch 
von  der  ionischen  Bildung  fernhielt,  jeder  neuen  Entwickelung  von 
Kunst  und  Wissenschaft  mit  freudigem  Antheil  entgegenging. 

Er  trieb  die  Musik  bei  Pytbokleides ,  einem  Pythagoreer  aus 
Keos,  und  dann  bei  Dämon  dem  Flötenspieler,  einem  Manne  von 
einflussreichster  Persönlichkeit  und  erfinderischem  Geiste,  welcher 
noch  mehr  als  Pylhokleides  den  musikalischen  Unterricht  benutzte, 
um  von  den  Versfüfeen  und  Tonweisen  auf  die  Charaktere  der 
Menschen  und  ihre  Behandlung,  auf  Sitten-  und  Staatslehre  über- 
zugeben, ein  Sophist  vom  ersten  Range,  ein  Mann,  der  auch  im 
öffentlichen  Leben  eine  Rolle  gespielt  haben  muss,  weil  er  vom 


Digitized  by  Google 


208  PERIKLES'  UÜRGERLICHE  STELLUNG. 


Ostrakismos  betroffen  wurde.  So  machte  Perikles  um  die  Zeit,  wo 
die  übrige  Jugend  ihre  Studien  abzuschliefsen  pflegte,  erst  recht  den 
Anfang  damit;  er  suchte  begierig  den  Umgang  der  hervorragendsten 
Künstler  und  Philosophen ;  er  wurde  der  eifrigste  Zuhörer  des  Zenon 
und  Anaxagoras,  im  späteren  Lebensalter  auch  des  Protagoras.  Aber 
er  lernte  nicht  blofs  um  zu  lernen;  er  dachte  nicht  daran,  wie 
Anaxagoras,  über  seine  Studien  Welt  und  Menschen  zu  vergessen; 
seine  Lebensaufgabe  war  es  nicht,  auf  dem  Gebiete  des  reinen  Ge- 
dankens die  erwachten  Zweifel  und  die  Widersprüche  zu  lösen. 
Perikles  behielt  immer  den  Staat  im  Auge,  und  im  öffentlichen 
Handeln  suchte  er  die  Versöhnung  der  Gegensätze,  die  ihm  zum 
Bewusstsein  gekommen  waren.  Denn  wie  er  sich  selbst  durch  die 
gewonnene  Bildung  gehoben  und  gestärkt  fühlte,  so  erkannte  er  in 
ihr  eine  Macht,  welche  zum  Heile  des  Staats  verwendet  werden 
müsste.  Er  blieb  auch  als  Philosoph  Staatsmann,  und  erkannte  als 
seinen  Lebensberuf,  durch  die  Mittel  geistiger  Ueberlegenheit,  welche 
die  Philosophie  gewährte,  seine  Mitbürger  zu  beherrschen  und  den 
Staat  zu  leiten,  von  dessen  Aufgabe  er  die  erhabenste  Vorstellung 
hatte104). 

Dass  Perikles  auf  einem  ganz  anderen  Boden  stehe  als  auf  dem 
der  gewöhnlichen  Zeitbildung,  merkte  man  schon  in  seiner  Haltung. 
Man  sah  seinen  Gesichtszügen  an,  dass  er  mit  hohen  Gedanken  be- 
schäftigt zu  sein  pflegte;  man  empfand  eine  unwillkürliche  Ehrfurcht 
vor  dem  feierlichen  Ernste,  der  sein  ganzes  Wesen  durchdrang,  vor 
der  unerschütterlichen  Festigkeit  und  Bestimmtheit  seiner  Persön- 
lichkeit. Er  hatte  bei  seinen  Philosophen  eine  Menge  von  kleinen 
Interessen,  welche  die  Alltagswelt  am  meisten  in  Bewegung  setzen, 
verachten,  eine  Reihe  von  Vorurteilen  ablegen  gelernt  und  dadurch 
an  Freiheit  der  Seele  gewonnen,  so  wie  an  Macht  über  andere 
Menschen.'1  Als  beim  Eintritt  einer  Sonnenfinsterniss  das  Schiffs- 
volk verzagte,  hielt  er  dem  Steuermanne  einen  Mantel  vor  die  Augen 
und  fragte  ihn,  warum  er  mehr  erschrecke,  wenn  ein  fernerer  und 
gröfserer  Gegenstand  ihm  das  Sonnenlicht  verberge.  Innerlich  der 
lebendigste  Mensch,  war  er  äufserlich  ruhig,  kalt  und  immer  sich  gleich, 
ohne  durch  Strenge  und  rauhes  Wesen  zu  verletzen.  Seine  volle 
Ueberlegenheit  offenbarte  sich  in  der  Rede.  Denn  er  hatte  sich  in 
Zenons  Schule  gewöhnt,  die  Dinge  von  verschiedenen  Standpunkten 
anzusehen  uud  seine  Gegner  durch  unerwartete  Einwendungen  zu 


Digitized  by  Google 


PERIKLES  USD  DIE  DEMOKRATIE. 


209 


überraschen.  Dialektischen  Uebungen  verdankte  er  die  Gewandtheit 
seines  Verstandes  und  die  Macht  des  Worts,  welcher  Niemand  gleiche 
Waffen  entgegenzusetzen  halte.  Seine  Beredsamkeit  war  die  Frucht 
philosophischer  Durchbildung,  wie  auch  Plato  anerkannt  hat,  sie  war 
der  unmittelbare  Ausdruck  eines  der  Menge  überlegenen  Geistes; 
darum  wusste  er,  wie  kein  Anderer,  zu  erschrecken,  zu  ermuthigen, 
zu  überreden;  schlagende  Gleichnisse,  deren  zwingender  Kraft  sich 
Niemand  entziehen  konnte,  standen  ihm  zu  Gebote  und  die  ruhige  Zu- 
versicht, mit  welcher  er  redete,  machte  ihn  vollends  unwiderstehlich. 

So  mancherlei  aber  auch  dem  jungen  Perikles  zu  Gebote  stand, 
was  ihn  der  Bürgerschaft  empfahl,  der  Glanz  des  Hauses,  welcher  ihm 
ohne  Mühe  einen  bedeutenden  Anhang  verschaffte,  die  Macht  der 
Persönlichkeit,  die  Kraft  des  Worts  und  eine  hinreifsende  Anmulh 
der  Stimme,  so  war  ihm  doch  die  öffentliche  Thatigkeit  durch  andere 
Umstände  sehr  erschwert.    Es  fehlte  ihm  die  Gabe  leicht  und  un- 
befangen mit  den  Leuten  des  Volks  zu  verkehren;  es  fehlte  ihm  das 
leutselige  Wesen,  durch  welches  Kimon  zu  fesseln  wusste,  der  als 
ein  fröhlicher  Lebemann  seinen  Mitbürgern  näher  stand.  Perikles 
war  zu  verschieden  von  der  Menge  des  Volks;  er  fühlte,  dass  die 
Bürger  keine  Sonderlinge  liebten,  und  dies  Gefühl  machte  ihn  be- 
fangen.   Dazu  kam,  dass  seine  Person  zu  allerlei  Misstrauen  Anlass 
gab.    Man  hielt  seinen  Ernst  für  Hoch mu tu,  seine  Zurückhaltung  für 
versteckten  Ehrgeiz;  man  traute  dem  geborenen  Aristokraten  keine 
wahre  Liebe  für  die  Sache  des  Volks  zu;  man  kannte  die  Neigung 
zur  Tyrannis  als  einen  erblichen  Hang  seiner  mütterlichen  Familie; 
darum  wurde  Alles,  was  mit  den  Alkmäoniden  zusammenhing,  arg- 
wöhnisch von  den  Bürgern  angesehen  und  deshalb  ist  auch  in  dieser 
Familie  das  Scherbengericht  so  oft  zur  Anwendung  gekommen.  Me- 
gakles,  des  Kleisthenes  Sohn,  wurde  verbannt,  und  Xanthippos,  den 
Vater  des  Perikles,  soll  dasselbe  Loos  getroffen  haben.    Dazu  kam 
nun  noch  der  besondere  Umstand,  dass  man  im  Gesichle  des  Perikles 
so  wie  in  seiner  Art  zu  reden  eine  auffallende  Aehnlichkeit  mit 
Peisistratos  entdecken  wollte;  ein  Umstand,  der  von  Gegnern  und 
Neidern  nach  Kräften  benutzt  wurde,  um  die  Bürger  vor  ihm  zu 
warnen 

Weil  Perikles  fühlte,  dass  ihm  Misstrauen  und  Vorurteil  ent- 
gegenstehe, zügelle  er  seinen  Ehrgeiz  durch  die  höchste  Besonnenheit, 
hielt  sich  lange  von  Staatsangelegenheiten  fern  und  suchte  sich  auf 

Cortia»,  Or.  Geich.  U.  6.  Aufl.  U 


Digitized  by  Google 


210 


PERIKLES   U>D  DIE  DEMOKRATIE. 


solchen  Gebieten  auszuzeichnen,  die  dem  politischen  Treiben  ferner 
lagen.  Er  wird  in  einem  Verzeichnisse  der  an  dem  Dionysosfesie  sieg- 
reichen Dichter  als  der  Burger  genannt,  der  für  einen  Wettkampf, 
in  welchem  Aischylos  und  Magnes  den  Preis  gewannen,  den  Chor  aus- 
gerüstet habe.  Wenn  dieser  Wettkampf  467  stattfand,  als  Aischylos 
seine  'Sieben  gegen  Theben'  aufführte,  so  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass 
dies  einer  der  ersten  Anlässe  war,  bei  denen  Perikles  in  Urkunden 
genannt  wurde  und  dass  darauf  die  Uebeiiieferung  beruht,  er  habe 
sich  vierzig  Jahre  vor  seinem  Ende  zuerst  an  öffentlichen  Angelegen- 
heiten betheiligt. 

Perikles  wollte  aber  nicht  als  Kenner  und  Förderer  der  schönen 
Künste  Ansehen  gewinnen;  er  legte  vielmehr  das  gröfste  Gewicht 
darauf,  sich  in  jeder  Dienstleistung,  vor  Allem  im  Waffendienste,  als 
einen  Bürger  zu  zeigen,  der  mit  dem  Geringsten  seiner  Mitbürger 
jede  Gefahr  und  Beschwerde  zu  theilen  bereit  sei.  Hier  machte  er 
sieh  von  der  Einseitigkeil  einer  vorwiegend  theoretischen  Bildung  frei 
und  gewann  die  Eigenschaften,  durch  welche  sich  die  Athener  vor 
allen  Griechen  auszeichneten,  Geistesgegenwart  und  thalkraflige  Ent- 
schlossenheit. Hier  lernte  er  von  Kimon,  dessen  Feldherrngröfse  er 
bewunderte,  erkannte  aber  auch  die  Schwäche  seiner  Politik,  welche 
Athen  gebunden  hielt  und  mit  einseiligem  Parteieifer  der  Vollendung 
der  Demokratie  entgegenarbeitete.  Diese  hatte  sich  auf  Grund  der 
solonischen  Gesetze  mit  innerer  Notwendigkeit  weiter  entwickelt, 
nicht  blofs  durch  Verfassungsreformen,  welche  zum  Theil  von  der  con- 
servaliven  Partei  ausgegangen  waren  (S.  110),  sondern  auch  durch 
solche  Mafsregeln,  mit  welchen  gar  keine  Verfassungsänderung  be- 
absichtigt war.  So  war  das  Bergwerksgesetz  beschlossen,  um  die 
Küsten  des  Landes  zu  schützen.  In  der  Thal  aber  war  gerade  dies 
Gesetz  ein  Wendepunkt  der  attischen  Verfassung;  denn  dadurch  wurde 
die  Flotte  die  Stärke  des  Staats  und  dem  untersten  Theil  des  Volks 
eine  hervorragende  Wichtigkeit  verliehen. 

Freilich  pflegten  die  philosophisch  Gebildeten  der  Volksherrschaft 
nicht  günstig  zu  sein,  welche  allem  Hervorragenden  feindlich  ist,  und 
Niemand  hat  die  Schwächen  derselben  schärfer  gegeifselt  als  Hera- 
kleitos. Perikles  selbst  war  eine  durchaus  aristokratische  Natur  und 
von  dem  Herrscherrechte  höherer  Bildung  ganz  durchdrungen.  In- 
dessen war  er  nichts  weniger  als  einseitiger  Theoretiker.  Er  wollte 
sich  nicht,  wie  Anaxagoras  und  andere  Philosophen,  von  jeder  Be- 


PERIKLES   U.ND   DIE  DEMOKRATIE. 


211 


theiligung  am  Staatswesen  abkehren;  er  dachte  auch  nicht  daran, 
wie  Herakleitos  und  Herrn  od  oros,  mit  Hülfe  einer  Minderheit  der 
Bürger  die  bestellende  Verfassung  zu  verbessern;  er  erkannte  viel- 
mehr die  Demokratie  mit  allen  ihren  Schwächen  als  die  vollberechtigte 
Verfassung  an,  als  die  einzige,  welche  in  Athen  auf  Dauer  rechnen 
könne;  sie  war  die  mit  der  Geschichte  des  Staats  verwachsene,  die 
dem  Zustande  der  attischen  Gesellschaft  entsprechende,  in  Glück  und 
Nolh  bewährte,  die  nothwendige  Verfassung  Athens. 

Sie  war  auch  die  Stärke  Athens;  denn  diese  lag  bei  der  Klein- 
heil des  Staats  und  den  schwierigen  Aufgaben,  die  ihm  gestellt 
waren,  in  der  freien  und  selbstthäligen  Theilnahme  Aller  am  Gemein- 
wesen, das  auf  die  Opferbereitschaft  Aller  rechnen  kann,  weil  es 
Allen  gleiche  Ehren  und  gleichen  Einfluss  in  Aussicht  stellt.  Auch 
die  sittliche  Haltung  der  Bürgerschaft  beruhte  auf  der  Demokratie. 
Denn  sie  erweiterte  das  Bewusstsein  des  Einzelnen  über  die  Gräuzeu 
seiner  eigenen  Interessen;  sie  nöthigte  jeden  Bürger,  mit  seiner  Person 
für  das  Ganze  einzutreten  und  machte  ihm  eine  feste  Ueberzeugung 
zur  Pflicht;  sie  forderte  ein  vernünftiges  Gemeindeleben,  in  welchem 
nach  offenkundigen  Gesetzen  die  Verhältnisse  geregelt  sind;  auch  gab 
die  Theilnahme  Aller  an  den  Staatsverhandlungen  eine  Bürgschaft  dafür, 
dass  keine  niedrigen  und  kleinlichen  Beweggründe  des  Egoismus,  wie 
sie  wohl  in  oligarchischen  Kreisen  die  Entscheidung  geben,  die  Ent- 
schliefsungen  der  Staatsgemeinde  leiteten.  Eine  hinterlistige  Politik, 
welche,  wie  die  der  Spartaner,  in  einer  ängstlichen  Geheimlhuerei  ihre 
Stärke  suchte  und  auf  Falschheit  ihre  Erfolge  baute,  war  iu  Athen  un- 
möglich. 

Wenn  nun  auch  Penkies  die  Demokratie  als  die  zu  Hecht  be- 
stehende und  angemessenste  Verfassung  anerkannte,  so  war  mit  dem 
Namen  und  den  Formen  der  Verfassung  über  die  Leitung  des  Staats 
noch  nichts  entschieden.  Der  Demos  ist  souverän.  Aber  Niemand 
konnte  mehr  als  Perikles  von  der  Unfähigkeit  des  Haufens,  selbst  zu 
regieren,  überzeugt  sein.  Jede  Volksmasse  muss  regiert  werden;  ihre 
Schritte  müssen  geleitet,  ihre  Interesseu  ihr  deutlich  gemacht  werden, 
wenn  nicht  das  Heil  des  Staats  dem  Zufalle  und  der  Unvernunft  preis 
gegeben  werden  soll. 

Diese  Leitung  konnte  unmöglich  in  die  Hände  einzelner  Ge- 
schlechter zurückkehren,  welche  ein  erbliches  Anrecht  auf  Vorrang  und 
Einfluss  geltend  machen  wollten.    Die  Zeiten  waren  vorüber.  Die 


Digitized  by  Google 


212 


PEIUKI.ES  U>D  DIE  DEMOKRATIE. 


Macht  des  Adels  war  durch  inneren  Zwist  längst  zu  Grunde  gegangen ; 
seit  die  Bauern  freie  Landbesitzer  waren  und  die  bürgerlichen  Gewerbe 
blühten,  hatten  die  alten  Familien  weder  Besitz  noch  Waffenruhm  noch 
Geroeinsinn  vor  den  Uebrigen  voraus.  Einzelne  Häuser  hatten  sich 
wohl  noch  alten  Glanz  bewahrt,  aber  ein  Adelstand  als  Körperschaft 
war  nicht  vorhanden;  die  Schlachten  von  Tanagra  und  Koroneia  hatten 
seine  Beihen  vollends  gelichtet  Es  muss  also,  um  das  Volk  zu  leiten, 
ein  anderer  Adel  vorhanden  sein,  ein  Adel,  der  durch  eigene  Kraft  er- 
worben wird;  von  den  wahrhaft  Besten  muss  das  Volk  geleitel  werden, 
d.  h.  von  Männern,  die  das  edlere  Bewusstsein  der  Menge  in  sich  dar- 
stellen, welche  sich  durch  Philosophie  über  niedere  Rücksichten  und 
Vorurteile  erhoben  haben,  welche  durch  vorschauenden  Versland  und 
Kraft  der  Rede  im  Stande  sind,  ihre  geistige  Ueberlegenheit  in  der 
Weise  geltend  zu  machen,  dass  sie  die  Vertrauensmänner  der  Gemeinde 
werden.  Der  wahre  Volksführer  oder  'Demagog'  soll  herrschen,  indem 
das  Volk,  das  in  Masse  weniger  Klarheit,  weniger  Besonnenheit,  weniger 
Gewissen  und  Ehrgefühl  hat  als  der  Einzelne,  in  ihm  seine  besten  Ge- 
danken, Neigungen  und  Stimmungen  ausgesprochen  sieht.  So  wird 
die  bürgerliche  Gleichheit,  welche  den  Gesetzen  entspricht,  mit  der 
einheitlichen  Leitung,  welche  die  Vernunft  verlangt,  so  werden  die  ver- 
fassungsmäfsigen  Rechte  der  Bürger  mit  den  unveräusserlichen  Rechten 
der  höheren  Intelligenz  verbunden. 

Die  Idee  einer  solchen  Verbindung  von  Volksherrschaft  und  Einzel- 
herrschaft, wie  sie  dem  Geiste  des  Perikles  vorschwebte,  hatte  in  seiner 
Zeit  und  in  seiner  Vaterstadt  eine  besondere  Berechtigung. 

Damals  war  die  theoretisch-praktische  Bildung,  wie  Philosophie 
und  Sophistik  sie  gewährten,  in  der  That  eine  Macht,  und  zwar  eine 
solche,  welche  nicht  leicht  von  Einzelnen  an  die  Menge  übergehen 
konnte.  Und  dann  war  die  attische  Bürgerschaft,  die  schon  an  gewöhn- 
lichen Versammlungstagen  bis  5000  Köpfe  stark  sein  mochte,  zwar  wie 
jede  andere  Volksmasse  unfähig,  aus  eigenen  Antrieben  Vernunft-  und 
zweckmäfsig  zu  handeln,  aber  darin  war  der  attische  Demos  ohne  Frage 
vor  allen  Bürgergemeinden  ausgezeichnet,  dass  er  durch  glückliche  An- 
lage einen  sichern  Takt  und  ein  richtiges  Urteil  in  der  Wahl  seiner 
Führer  hatte  und  den  erwählten  Führern  zu  folgen  wusste,  wenn  sie 
ihm  mit  erleuchtetem  Sinne  sein  wahres  Interesse  darlegten.  So  haben 
sich  die  Athener  in  den  Zeilen  der  Freiheitskriege  unbestritten  be- 
währt; sie  haben  den  rechten  Männern  zur  rechten  Zeit  ihr  volles  Ver- 


Digitized  by  Google 


PERIKLES   ALS  PVRTEIMAN.N. 


213 


trauen  geschenkt,  und  dies  hingebende  Vertrauen  war  das  Unterpfand 
des  Staatsglücks;  es  hob  die  Menge,  läuterte  und  vereinigte  sie;  es 
lieferte  den  Beweis,  dass  in  Athen  auch  die  gemeinen  Leute  kein  Pöbel 
waren.  Wenn  aber  die  attische  Bürgerschaft  in  dieser  Beziehung  die 
Ausführung  der  perikleischen  Gedanken  erleichterte,  so  kam  es  darauf 
an,  sie  von  allen  anderweitigen  Einflüssen  und  von  aller  Bevormundung 
zu  befreien,  damit  sie  sich  unbedingt  dem  Redner  hingeben  konnte, 
der  ihr  Vertrauen  besafs;  sie  musste  die  Möglichkeit  haben,  in  voller 
Zahl  und  unbehindert  an  allen  öffentlichen  Verhandlungen  Theil  zu 
nehmen. 

Um  dies  zu  erreichen,  wurde  Perikles  Parteimann;  er  verleugnete, 
wie  einst  Kleisthenes,  was  ihm  an  aristokratischen  Neigungen  ange- 
boren war;  er  verband  sich  mit  Ephialtes  und  den  anderen  Führern  der 
Bewegung.  Aber  wahrend  die  Demagogen  gewöhnlichen  Schlags  nur 
ein  nahes  Ziel  vor  Augen  hatten  und  nur  an  das  Hinwegräumen 
dachten,  hatte  Perikles  den  Plan  der  neuen  Herrschaft  entworfen, 
welche  das  Gute  einer  wahren  Aristokratie  mit  dem  der  Volksherr- 
schaft vereinigen  sollte.  Perikles  verfuhr  als  Mitglied  jener  Partei  mit 
der  äufsersten  Vorsicht  und  Zurückhaltung;  er  versteckte  die  Macht, 
welche  er  hatte;  denn  er  fürchtete  den  Ostrakisraos,  weil  eine  mehr- 
jährige Entfernung  von  Athen  seinen  ganzen  Lebensplan  vernichtet 
haben  würde.  Man  verglich  ihn  deshalb  mit  dem  attischen  Staats- 
schiffe, der  Salaminia,  welches  sich  nur  bei  ganz  besonderen  Anlässen 
zu  zeigen  pflegte110). 

Darum  ist  es  auch  so  schwierig,  sein  Verhältniss  zur  Reformparlei 
zu  beurteilen.  Man  kann  nicht  nachweisen,  wie  viele  ihrer  Mafsregeln 
er  selbst  angeregt  und  gefördert,  und  was  er  gegen  seinen  Wunsch  hat 
geschehen  lassen  müssen.  Denn  auch  der  bedeutendste  Mann  giebt  von 
seiner  Selbständigkeit  auf,  wenn  er  Parteimann  wird,  und  kann  im 
Gutheifsen  der  Mittel,  welche  zu  dem  gemeinsamen  Ziele  führen,  nicht 
so  gewissenhaft  sein,  wie  er  es  sein  würde,  wenn  er  allein  handelte. 
Ganz  besondere  Versuchungen  bietet  aber  natürlich  die  Verfassung 
solcher  Staaten  dar,  in  denen  die  verschiedenen  Parteien  genöthigt 
sind,  sich  um  die  Gunst  einer  Volksversammlung  wetteifernd  zu  be- 
werben. Denn  da  werden,  um  die  Billigung  einzelner  Vorschläge  oder 
ganzer  Parteirichlungen  zu  erlangen,  nicht  blofs  die  guten  und  starken 
Seiten  der  Bürgerschaft  benutzt,  sondern  auch  ihre  Schwächen;  auch 
die  niedrigeren  Triebe,  namentlich  den  Trieb  nach  Geld  und  Lebens- 


Digitized  by  Google 


214 


DEMOKRATISCHE  POLITIK. 


genuss,  sucht  man  zu  befriedigen,  um  Einfluss  zu  erlangen,  und 
wendet  Mittel  an,  deren  Gebrauch  schon  davon  zeugt,  das»  man  die- 
jenigen geringschätzt,  bei  denen  man  sie  anwendet.  Mafsregeln  dieser 
Art,  welche  mehr  als  alles  Andere  dazu  beigetragen  haben,  die  attische 
Demokratie  und  damit  zugleich  den  Namen  des  Perikles  in  Verruf  zu 
bringen,  sind  durch  sehr  verschiedene  Anlässe  hervorgerufen  worden. 

Die  nächste  Veranlassung  lag  in  der  Macht  des  Reichthums,  welche 
man  brechen  musste,  um  die  freie  Enlwickelung  der  Verfassung  mög- 
lich zu  machen.  Denn  die  Freigebigkeit,  welche  von  Seilen  reicher 
Bürger  geübt  wurde,  brachte  die  Armen  in  Abhängigkeit  von  ihnen; 
sie  diente  aristokratischen  Parteibestrebungen  zur  Stütze  und  verwirrte 
das  politische  Bewusstsein.  Um  also  von  solchen  Einflüssen  die  Bürger- 
schaft frei  zu  machen,  benutzte  man  die  Slaalsgelder,  damit  die  Armen 
sich  Lebensgenuss  verschaffen  konnten,  ohne  sich  dafür  Einzelnen 
ihrer  Mitbürger  verpflichtet  zu  fühlen  (S.  148  f.). 

Es  hingen  aber  die  Geldspenden  mit  dem  Geiste  der  Demokratie 
im  Ganzen  eng  zusammen.  Denn  wenn  in  allen  Staaten  mit  der  Macht 
des  Herrschers  auch  ein  gewisser  Glanz  des  Lebens  verbunden  zu  sein 
pflegt,  welcher  dem  ganzen  Staate  zur  Ehre  gereicht,  so  ist  es  billig, 
dass  auch  an  diesem  Herrseberrechte  in  der  Demokratie  der  Demos 
seinen  Antheil  habe.  Je  mehr  also  in  Oligarchien  Geld  und  Gut  in  den 
Händen  Weniger  sich  anhäuft,  um  so  mehr  ist  es  die  Aufgabe  des 
Volksstaats,  für  Verbreitung  des  Wohlstandes  und  Wohlbehagens  im 
Volke,  für  Abwehr  jeder  Noth  desselben  und  für  eine  gewisse  Aus- 
gleichung der  Vermögensunterschiede  Sorge  zu  tragen. 

Ein  Geist  der  Milde  gehört  zum  Charakter  der  Demokratie.  Damm 
war  in  Athen  auch  die  Misshandlung  eines  Sklaven  klagbar.  Wie  viel 
mehr  musste  man  innerhalb  der  bürgerlichen  Gesellschaft  die  schroffen 
Unterschiede  zu  beseitigen  suchen,  die  für  jeden  Staat  ein  Uebel  sind, 
in  der  Demokratie  aber,  welche  auf  der  freudigen  Theilnahme  aller 
Bürger  am  Gemeinwesen  beruht,  am  tiefsten  empfunden  werden,  weil 
es  Misstöne  sind,  welche  mit  dem  Geiste  der  Verfassung  in  Wider- 
spruch stehen!  In  dem  demokratischen  Staate  soll  keine  zurück- 
gesetzte Menschenklasse  sein,  welche  sich  durch  die  gesellige  Stellung 
der  Wohlhabenden  gekränkt  fühlt;  es  darf  der  Frieden  des  Gemeinde- 
lebens nicht  durch  Neid,  Eifersucht  und  Misstrauen  zwischen  den  bür- 
gerlichen Ständen  gefährdet  werden.  Denn  das  Lobpreisen  der  Demo- 
kratie und  der  in  ihr  herrschenden  Rechtsgleichheit  würde  ja  den  Armen 


Digitized  by  Google 


DEMOKRATISCHE  POLITIK. 


215 


wie  ein  Hohn  klingen  und  eine  gerechte  Erbitterung  hervorrufen, 
wenn  die  sozialen  Verhältnisse  damit  in  schroffem  Widerspruch  standen. 

Darum  musste  es  einer  der  wesentlichsten  Gesichtspunkte  demo- 
kratischer Politik  sein,  die  dem  inneren  Frieden  gefahrlichen  Unter- 
schiede möglichst  auszugleichen,  und  wie  viel  leichter  war  dies  in 
Athen,  als  in  irgend  einem  Staate  der  modernen  Welt,  zu  erreichen ! 
Der  Gegensatz  von  arm  und  reich  war  überhaupt  nicht  so  grofs  und 
unüberwindlich.  Das  Sklaventhum  bildete  eine  breite  und  bequeme 
Unterlage  des  bürgerlichen  Lebens.  Ohne  die  Sklaven  wäre  die  attische 
Demokratie  eine  Unmöglichkeit  gewesen;  durch  sie  allein  wurde  es 
auch  den  Unbemittelten  möglich,  an  den  öffentlichen  Angelegenheilen 
täglichen  Antheil  zu  nehmen.  Denn  nur  Wenige  waren  so  arm,  dass 
sie  sich  ohne  Sklaven  durchhelfen  mussten,  während  wir  attische 
Familien  über  peinliche  Einschränkung  klagen  hören,  wenn  sie  nicht 
mehr  als  sieben  Sklaven  halten  können l,ü*). 

Erwägt  man  die  Erleichterung  des  bürgerlichen  Lebens,  die  daraus 
hervorging,  ferner  die  Gunst  der  klimatischen  Verhältnisse,  welche  alle 
Noth  des  Lebens  so  wesentlich  mildert,  und  endlich  die  Mäfsigkeit, 
welche  die  Athener  in  ihren  Ansprüchen  auf  Lebensgen uss  hatten,  so 
l>egreift  man,  dass  der  Staat  in  seiner  Sorge  für  das  allgemeine  Wohl- 
behagen verhältnissmäfsig  viel  erreichen,  dass  er  durch  geringe  Zu- 
schüsse den  Armen  befriedigen  und  die  das  Wohlergehen  des  Gemein- 
wesens bedrohenden  Gegensätze  so  weit  beseitigen  konnte,  dass  sie  die 
Eintracht  des  Staats  nicht  störten. 

Die  Tbätigkeit,  welche  dieser  Aufgabe  galt,  war  sehr  mannigfaltiger 
Art.  Zuerst  liefs  man  im  Allgemeinen  sich  angelegen  sein,  alle  Erwerb- 
zweige zu  fördern,  welche  das  Volk  bereicherten ;  dann  sorgte  man  für 
wohlfeile  Lebensmittel,  namentlich  für  niedrige  Kornpreise.  Der  Staat 
hielt  sich  verpflichtet,  dem  Gewerbe  der  Kornaufkäufer  durch  strenge 
Gesetze  entgegenzuwirken.  Er  hielt  selbst  Kornmagazine,  wie  sie 
auch  im  Tempelbezirk  der  eleusinischen  Demeter  angelegt  waren;  er 
liefs  in  bedrängten  Zeiten  Brod  und  Getreide  zu  billigen  Preisen  ver- 
kaufen. Unentgeltliche  Austheilungen  von  Lebensmitteln  fanden  zuerst 
bei  den  Festen  statt;  denn  hier  kam  der  demokratische  Gesichtspunkt 
der  allgemeinen  Gleichheit  am  meisten  zu  seinem  Rechte.  Die  Gölter 
spenden  ihren  Segen  für  arm  und  reich,  und  es  gereicht  zu  ihrer  Ehre, 
wenn  möglichst  Viele  ihrer  Gaben  froh  werden  und  an  ihren  Festen 
sieb  dankbar  betheiligen. 


Digitized  by  Google 


216  TiEGÜNSTIGUNG  DER  ARMEN. 


Darum  fanden  Volksspeisungen  in  den  Tempelhöfen  statt,  und 
wenn  der  Staat  hei  feierlichen  Veranlassungen  den  Göltern  Stierheka- 
tomben darbrachte,  so  wurde  dabei  dem  Volke  Gelegenheit  gegeben, 
sich  am  Opferfleische  gütlich  zu  thun.  Die  Feste  wurden  aber  immer 
zahlreicher,  die  Opferschmäuse  immer  häufiger  und  reichlicher.  Das 
Volk  gewöhnte  sich  daran,  beim  Staate  zu  Gaste  zu  gehen,  sich  von 
ihm  unterhalten  und  bewirthen  zu  lassen  und  fand  immer  mehr  Ge- 
schmack daran,  ohne  Arbeit  und  Kosten  zu  geniefsen.  Vertheilungen 
von  baarera  Gelde  aus  den  Ueberschüssen  der  Staatskasse  hatten  schon 
vor  Themistokles  stattgefunden;  einen  neuen  Anlass  gab  der  Theater- 
bau (S.  149),  und  daran  knöpften  sich  vielfache  Erweiterungen.  Die 
Reformpartei  hatte  darin  das  wirksamste  Mittel  gefunden,  ihre  Popularität 
zu  sichern  und  die  Freigebigkeit  ihrer  Gegner  unschädlich  zu  machen. 
Damonides  aus  dem  Gaue  Oa  galt  für  den  Erfinder  dieser  Mafsregel. 
Er  ist,  wie  anzunehmen  ist,  kein  anderer  als  Dämon,  Perikles'  Lehrer 
(S.  207),  der  sich  auf  diesem  Wege  zu  einem  Parteiführer  aufschwang, 
bis  er  dem  Ostrakismos  erlag.  Es  ist  also  heftig  um  diese  Mafsregel 
gestritten  worden  und  es  muss  dabei  ein  Zeitpunkt  eingetreten  sein, 
wo  die  Bewegungspartei  beim  Scherbengericht  in  der  Minderheit  blieb. 
Allmählich  wurden  die  Schaugelder  oder  Theorika  auch  auf  solche  Feste 
ausgedehnt,  an  denen  keine  Schauspiele  stattfanden;  es  wurden  Tag- 
gelder, mit  denen  sich  die  Bürger  bei  den  öffentlichen  Gastereien  selbst 
beköstigten;  für  mehrtägige  Feste  wurde  die  Spende  verdoppelt  und 
verdreifacht111). 

Schon  dies  'Theorikon'  nannte  man  in  Athen  Lohn  oder  Sold,  in 
dem  allgemeineren  Sinne  des  Worts,  wonach  jede  Art  von  Geldge- 
winn aus  der  Staatskasse  damit  bezeichnet  wird.  Dafür  wurden  nun 
bald  noch  ganz  andere  Anlässe  und  Gesichtspunkte  aufgefunden.  Nicht 
der  gesamten  Bürgerschaft  sollte  der  Genuss  des  öffentlichen  Wohl- 
standes zu  Gute  kommen,  auf  den  sie  als  der  Souverän  des  Staats  ein 
Anrecht  halte  und  wozu  die  öffentlichen  Feste  die  passendste  Gelegen- 
heit darboten ,  sondern  es  sollten  auch  die  Dienstleistungen,  welche 
von  Seiten  des  Staats  dem  einzelnen  Bürger  zugemuthet  wurden  und 
die  mit  persönlichen  Opfern  verbunden  waren,  aus  Staatsmitteln  ver- 
gütet werden.  Besoldung  für  öffentlichen  Dienst  war  dem  älteren 
Staatswesen  der  Hellenen  durchaus  fremd;  was  der  Bürger  für  das  Ge- 
meinwesen that,  that  er  für  sich  selbst;  es  war  seine  Pflicht  und  seine 
Ehre.    Auch  Kriegersold  kannte  man  nicht.    Seit  aber  die  Athener 


Digitized  by  Google 


SOLD  IN  KRIEG  UND  FIWEOKN. 


217 


durch  ihre  Verhältnisse  dahin  geführt  waren,  dass  sie  ein  immer 
schlagfertiges  Heer  haben  mussten,  konnte  man  den  Bürgern  nicht  zu- 
muthen,  solchen  Anforderungen  ohne  Entschädigung  zu  genügen,  da 
sie  nicht  wie  die  Spartaner  Staatssklaven  hatten,  die  ihnen  während  der 
Kriegszeit  die  Aecker  bestellten.  Darum  wurde  in  der  perikleischen  Zeit 
der  Truppensold  eingeführt,  welcher  an  Löhnung  und  Verpflegungs- 
geldern täglich  vier  Obolen  (50  Pf.)  betrug. 

Was  den  Staatsdienst  im  Frieden  betrifft,  so  wurden  Geldent- 
schädigungen ursprünglich  nur  für  aufserordentliche  Dienste  gewährt, 
wie  z.  B.  die  Gesandten  von  Staatswegen  Ausrüstung  und  Reisegelder  er- 
hielten; die  oberen  Staalsämter  aber,  deren  Inhaber  die  Träger  der 
Hoheitsrechte  des  Volks  waren,  wurden  sämtlich  als  Ehrenämter  be- 
trachtet, während  die  Diener  der  Behörden,  welche  nur  die  Mühwaltung 
hatten  und  fortwährend  im  Dienste  blieben,  die  Aerzle,  Herolde,  Schrei- 
ber, Rathsdiener,  Polizeibeamten,  besoldet  wurden.  Auch  dieser  Grund- 
satz wurde  vom  Standpunkte  der  Demokratie  angefochten.  Für  den 
Armen  ist  die  Zeit,  welche  er  auf  öffentlichen  Dienst  wendet,  ein  Opfer, 
für  den  Reichen  nicht;  also  ist  der  Arme  in  offenbarem  Nachtheile,  in- 
dem ihm  die  Ausübung  der  Rechte,  welche  ihm  verfassungsmäfsig  zu- 
stehen, erschwert  wird. 

Der  Bewegungspartei  musste  daran  liegen,  dass  eine  möglichst 
allgemeine  Betheiligung  an  den  öffentlichen  Angelegenheiten  statt- 
fände; denn  in  der  Menge  der  ärmeren  Bürger  lag  ihre  Macht,  und  die 
geringen  Leute  sollten  sich  weder  aus  Scheu  noch  aus  Dürftigkeit  fern 
halten.  Um  also  die  durch  Aristeides  begründete  Gleichberechtigung 
aller  Bürgerklassen  in  Wahrheit  durchzufuhren,  mussten  Entschä- 
digungen für  öffentlichen  Dienst,  d.  h.  Diätenzahlungen,  eingeführt  wer- 
den. Denn  alle  Bürger  sollten  sich  die  politische  Bildung  erwerben 
können,  welche  sich  nur  in  der  Praxis  erlangen  lässt,  namentlich  in 
der  Theilnahme  an  den  Gerichten  und  an  den  Verhandlungen  im  Raths- 
collegium.  Kein  Bürger  soll  durch  seine  Verhältnisse  verhindert  sein, 
sich  nach  besten  Kräften  um  das  Gemeinwesen  verdient  zu  machen; 
sonst  bleibt  allen  Verfassungsgesetzen  zum  Trotz  Bildung,  Erfahrung 
und  Macht  ein  Privilegium  der  Reichen. 

Sobald  dieser  Gedanke  einmal  aufgestellt  war,  musste  er  auch 
nach  und  nach  in  allen  Beziehungen  durchgeführt  werden;  am 
ehesten  bei  den  Gerichten. 

Durch  Solon  war  mit  der  obersten  Staatshoheit  auch  die  ober- 


Digitized  by  Google 


21S 


KKKLEStA   1>D  HELIAIA 


richterliche  Gewalt  der  Bürgergemeinde  übertragen  worden;  sie  war 
befugt,  die  abtretenden  Beamten  zur  Rechenschaft  zu  ziehen,  und  der 
attische  Bürger  durfte  vom  Richterspruche  des  Beamten  an  die  Ge- 
meinde appelliren.  Dies  war  Ton  allen  Volksrechten  das  wichtigste, 
von  allen  Zugeständnissen  das  folgenreichste. 

Die  Börgerschaft  kam  fortan  in  zwiefacher  Form  zusammen ;  ent- 
weder als  'Ekklesia',  um  bei  der  Regierung  des  Staats  ihre  Hoheits- 
rechte wahrzunehmen,  d.  h.  die  Beamten  zu  wählen  und  die  Gesetze 
zu  bestätigen,  oder  als  'Heliaia'  zur  Ausübung  ihres  Oberrichteramts 
(I,  324),  abgesehen  von  den  aufserordentlichen  Fällen,  in  denen  die 
Volksversammlung  selbst  als  Gerichtshof  tagte. 

Heliaia  ist  ursprünglich  nichts  Anderes  als  Volksversammlung, 
und  wahrscheinlich  hat  es  eine  Zeit  gegeben,  da  die  gesamte  Bürger- 
schaft als  Heliaia  zusammenkam,  so  lange  die  Berufung  an  die  oberste 
Instanz  selten  vorkam.  Wir  kennen  das  attische  Volksgericht  aber 
nur  als  eine  kleinere  Bürgerschaft,  als  einen  Ausschuss,  welcher 
aus  den  mehr  als  dreifsigjährigen  Bürgern  durch  das  Loos  ausgehoben 
wurde.  Auf  diesen  Ausschuss  übertrug  die  Bürgerschaft  ihre  ober- 
richterliche  Vollmacht,  und  die  Mitglieder  desselben  wurden  durch 
einen  besonderen  Eid,  dessen  Formel  aus  Solons  Zeit  stammen  sollte, 
verpflichtet,  unparteiische  Hüter  der  Gesetze  zu  sein.  Sie  waren  keine 
Beamte,  hatten  aber  ein  öffentliches  Mandat;  sie  hatten  also  eine 
Mittelstellung  zwischen  Privatleuten  und  Beamten. 

An  die  Ausbildung  der  Volksgerichte  hat  sich  die  Entwickelung 
der  Demokratie  vorzugsweise  angeschlossen.  Denn  es  ist  nach  Solon 
allmählich  dahin  gekommen,  dass  die  Beamten,  welche  mit  der  He- 
gierungsgcwnlt  auch  die  richterliche  Entscheidung  über  alle  zu  ihrem 
Amiskreise  gehörigen  Rechtssachen  hatten,  auf  die  formale  Einleitung 
des  Prozesses  beschränkt  wurden ;  d.  h.  sie  nahmen  die  in  ihren 
Amiskreis  gehörigen  Klagen  an,  verhörten  die  Parteien  und  brachten 
die  Sache,  wenn  sie  spruchreif  war,  zur  Entscheidung  an  das  Volks- 
gericht. 

Als  Kleisthenes  die  Demokratie  neu  befestigte  und  vollendete, 
werden  auch  diese  Einrichtungen  ihre  bleibende  Form  erhalten  haben. 
Es  wurde  jedes  Jahr  durch  die  Archonten  aus  allen  zehn  Bürger- 
stämmen eine  Anzahl  von  Heliasten  erloost,  welche  auf  der  Hochfläche 
des  Ardettos  oberhalb  des  panalhenäischen  Stadiums  vereidigt  wurden. 
Die  Geschwornen  wurden  dann  in  zehn  Sectionen  getheilt;  jede  der- 


Digitized  by  Googl 


EST  WICKELUNG  DER  HELIAYA, 


219 


selben,  aus  allen  Stämmen  gemischt,  bildete  einen  Gerichtshof  (Dika- 
sterion).  Die  Normalzahl  jeder  Section  betrug  500  ;  es  konnten  aber 
dieselben  Börger  verschiedenen  Seclionen  angehören.  Von  der  Be- 
deutung der  einzelnen  Rechtssachen  hing  es  ab,  ob  ganze  Seclionen 
den  Gerichtshof  bildeten  oder  nur  Theile  derselben  oder  auch  mehrere 
Seclionen  zu  einem  Gerichtshofe  verbunden  wurden.  Je  gröfser  der 
Gerichtshof  war,  um  so  weniger  war  Bestechung  der  Richter  zu  be- 
fürchten. Auch  die  Oeffentlichkeit  des  Verfahrens  schützte  vor  par- 
teiischen Urteilssprüchen  und  ebenso  der  Umstand,  dass  erst  unmit- 
telbar vor  der  Sitzung  aus  den  verschiedenen  Gauen  die  Geschwornen 
durch  das  Loos  zu  einem  Gerichtshöfe  vereinigt  wurden  m). 

Eine  neue  Epoche  trat  nach  der  Beschränkung  des  Areopags  ein. 
Man  suchte  nach  Ersatz  und  stiftete  das  Collegium  der  Gesetzes wächter 
(S.  159).  Diese  Einrichtung  scheint  sich  nicht  bewährt  zu  haben. 
Man  kam  auf  einen  andern  Gedanken,  nämlich  eine  Reihe  von  Befug- 
nissen des  allen  Areopags  auf  die  Geschwornen  zu  übertragen  und 
diesem  Institute  der  Demokratie  eine  gewisse  conservative  Bedeutung 
zu  geben.  Ja,  wir  können  darin  einen  Gedanken  echter  Slaatsweis- 
heit  erkennen ,  dass  man  nach  Aufhebung  der  Bevormundung  durch 
den  Areopag  die  Bürgerschaft  von  Athen  sich  selbst  controliren  und  be- 
aufsichtigen liefs;  d.  h.  die  grofse  Bürgerschaft  durch  die  kleinere,  die 
Volksversammlung  durch  die  Heliaia,  in  welcher  die  kleinere  Anzahl, 
der  Ausschluss  der  Unreifen,  die  Gebundenheit  durch  den  Eid  und  die 
Form  der  Verhandlung  eine  Bürgschaft  dafür  gaben,  dass  eine  ge- 
wissenhafte Erörterung  der  öffentlichen  Angelegenheilen  stattfinden 
werde.  Wie  weitPerikles  bei  dieser  Einrichtung  persönlich  betheiligt  ge- 
wesen ist,  lässt  sich  nicht  entscheiden.  Wir  können  uns  aber  von  dem 
Wesen  ^derselben  eine  Vorstellung  machen,  wenn  wir  die  Punkte  zu- 
sammenstellen, in  welchen  die  attische  Heliaia  eine  über  die  Juris- 
diktion hinausgehende,  wesentlich  politische  Bedeutung  gehabt  hat. 

So  beschwören  die  Heliasten  als  Vertreter  der  Gemeinde  neben  dem 
Rath  den  Vertrag  mit  Chalkis  (S.  180).  Die  endgültige  Bestätigung  sol- 
cher Verträge,  welche  natürlich  erst  nach  eingehender  Prüfung  erfolgte, 
fällt  also  in  die  Competenz  der  Gerichtshöfe;  ebenso  die  Feststellung 
der  Tributsätze  für  die  Bundesgenossen,  nachdem  Alles,  was  von  beiden 
Seiten  zu  Gunsten  der  niedrigeren  wie  der  höheren  Sätze  vorgebracht 
werden  konnte,  vor  den  Geschwornen  erörtert  worden  war.  Auch 
die  von  der  Volksversammlung  erlassenen  Gesetze  wurden  von  den  Ge- 


Digitized  by  Google 


220 


POLITISCHE   BKDEUTU.NC   DER  HEI.IAIA. 


schwornen  geprüft,  ebenfalls  in  Form  eines  Rechtshandels,  bei  dem 
die  Ansprüche  der  alten  und  der  neuen  Salzungen  gegen  einander  ab- 
gewogen wurden.  Ferner  entschied  der  Ausspruch  der  Geschwornen 
über  die  Würdigkeit  eines  zu  einem  öffentlichen  Amte  erbosten  Bür- 
gers, wenn  dieselbe  beanstandet  worden  war;  eine  richterliche  Ent- 
scheidung, bei  welcher  auch  die  politische  Gesinnung  in  Betracht  kam. 
Auch  die  in  Amt  und  Würden  stehenden  Beamten  konnten  während 
der  Amtszeit  zur  Verantwortung  gezogen  werden.  Von  besonderer 
Wichtigkeit  war  aber  die  Prüfung  persönlicher  Würdigkeit  hei  der 
Aufnahme  eines  Fremden  in  die  Bürgergemeindc. 

An  den  Finanzen  waren  die  Geschwornen  betheiligt,  insofern  sie 
zur  Uebernahme  dauernder  Verpflichtungen,  wie  Dotationen  und  dgl. 
ihre  Zustimmung  gaben  und  die  gewissenhafte  Erfüllung  solcher 
Verpflichtungen  veranlassen  mussten.  Die  Gerichte  bildeten  also  in 
Athen  eine  Art  von  ständiger  Behörde  mit  einem  geordneten  Vor- 
stande, den  'Nomotheten',  nach  denen  auch  wohl  das  ganze  Collegium 
genannt  wird,  und  wir  können  sagen,  dass  mit  Ausnahme  der  laufen- 
den Verwallungsgeschäfle  Alles,  was  mit  dem  öffentlichen  Leben  zu- 
sammenhing, in  die  Competenz  der  Gerichte  gezogen  werden  konnte 
oder  musste.  Unbeschadet  des  Prinzips  der  Volkssouveränität  hat 
man  darin  ein  Mittel  gefunden,  den  Gefahren  der  Unbesonnenheit 
und  Uebereilung  vorzubeugen.  Alle  wichtigeren  Beschlüsse  der  Volks- 
versammlung wurden  von  vereidigten  Richtercollegien  noch  einmal 
geprüft;  in  der  prozessualischen  Form  der  Verhandlung  aber  lag  die 
Nölhigung,  alle  fraglichen  Punkte  scharf  zu  erörtern  und  eine  bündige 
Entscheidung  zu  erzielen.  So  war  in  dieser  merkwürdigen  Organi- 
sation der  Geschwornengerichte  in  der  That  etwas  erreicht,  was  dem 
politischen  Oberaufsich  Urechte  entsprach,  wie  es  der  Areopag  bis  80, 
1 ;  460  ausgeübt  hatte.  Dies  System  blieb  für  die  folgenden  Zeiten 
mafsgebend,  auch  als  die  rein  gerichtliche  Thätigkeit  der  Geschwor- 
nen sich  zusehends  vergröfserte. 

Freilich  bestand  noch  aus  alter  Zeit  das  Institut  der  Gaurichter, 
welche  in  der  Landschaft  umherzogen,  um  Bagatellsachen  zu  schlichten, 
und  aufserdem  das  der  Schiedsrichter  oder  Diäteten,  welche  entweder 
von  den  Parteien  gewählt  oder  vom  Staate  verordnet  waren  und  viele 
Sachen  erledigten,  und  endlich  die  Handelsgerichte.  Aber  es  war 
dennoch  bei  dem  schnellen  Anwachsen  der  Bevölkerung  und  dem 
Aufschwung  von  Handel  und  Verkehr  die  Zahl  der  Prozesse  in 


•  KMCHTSZWA.NG  DER  COLONIBK  ÜKD  B0XDESGE.NOSSE1H.  221 


solcher  Zunahme,  dass  die  Geschäftslast  der  Geschwornen  von  Jahr 
zu  Jahr  stieg  und  auch  die  Unbemillelten  herangezogen  werden 
musslen. 

Den  bedeutendsten  Einüuss  übten  hier  die  bundesgenössischen 
Verhältnisse.  Als  nämlich  die  Hegemonie  Athens  immer  mehr  zu 
einer  Herrschaft  wurde,  nahm  die  attische  Börgergemeinde  über  alle 
Bundesgenossen  das  oberrichterliche  Recht  in  Anspruch.  Die  eidge- 
nössischen Orte  behielten  nur  ihre  Untergericlile,  die  bis  zu  einem 
gewissen  Satze  die  Entscheidung  hatten;  alle  wichtigeren  Privat- 
händel, alle  Öffentlichen  und  alle  peinlichen  Sachen  kamen  vor  die 
attischen  Geschwornen. 

Dieser  Gerichtszwang  hatte  einen  zwiefachen  Ursprung.  Denn  was 
die  Streitigkeiten  zwischen  den  Bundesgliedern  betrifft,  so  waren 
ursprünglich  die  Versammlungen  derselben  berufen,  solche  Händel 
zu  schlichten.  Als  nun  der  Bundesschatz  nach  Athen  verlegt  war 
und  die  Tagsatzungen  aufhörten,  traten  die  attischen  Gerichte  an 
die  Stelle  derselben.  Zweitens  war  der  Gerichtszwang  eine  Form 
des  Souveränitätsrechts,  welches  Athen  in  Beziehung  auf  die  Bundes- 
genossen in  Anspruch  nahm,  indem  nach  griechischem  Rechtsbe- 
griffe  die  Unselbständigkeit  eines  Staats  nicht  bestimmter  ausgedrückt 
werden  kann,  als  wenn  die  Angehörigen  desselben  angehalten  werden, 
vor  den  Gerichten  eines  andern  Staats  nach  dessen  Gesetzen  Recht 
zu  suchen. 

Dies  galt  besonders  von  den  Colonien,  welche  nach  ältestem 
Brauche  ganz  allgemein  ihre  Rechtshändel  in  der  Muttersladt  führen 
musslen.  Dem  Colunial rechte  war  aber  auch  der  Begriff  der  Hege- 
monie entlehnt;  denn  die  Heeresfolge  war  ebenfalls  eine  Pflicht  der 
Colonien.  Da  nun  Athen  sich  als  Mutterstadt  der  ionischen  Städte 
ansah,  so  knüpfte  es  allerdings  auch  bei  Einführung  des  Gerichts- 
zwangs an  Normen  des  älteren  griechischen  Staatsrechts  an.  Indessen 
war  dieselbe  zu  dieser  Zeil  und  in  diesem  Umfange  doch  nichts  als 
ein  Schritt  der  Gewalt,  wenn  man  auch  allerlei  Formen  ausfindig 
machte,  um  den  schroffen  Eingriff  in  fremde  Rechte  zu  mildern. 
Man  wird  scheinbar  die  freiwillige  Zustimmung  der  Bundesorte  er- 
langt und  Verträge  darüber  geschlossen  haben.  Dann  erklärt  sich 
auch,  wie  man  die  Prozesse  der  Bundesgenossen  zu  der  Gattung  von 
Rechtssachen  rechnen  konnte,  welche  4nach  Verträgen1  erledigt  wurden. 
Es  war  ein  milderer  Ausdruck  für  ein  aufgezwungenes  Verhältniss, 


Digitized  by  Google 


222 


BERICHTS-  UND  VOLKSVER.vVMMLL.NGSSOLD. 


wie  ja  auch  der  Name  'Bundesgenossen'  slatl  'Unlerlhanen'  nur  der 
Milde  wegen  beibehalten  wurde113). 

Dieser  Gerichtszwang  hat  freilich  nie  für  das  ganze  Bundesgebiet 
wirklich  bestanden«  aber  seine  Ausdehnung  war  bedeutend  genug, 
um  die  altischen  Gerichte  mit  Geschäften  zu  überladen.  Mit  Ausnahme 
der  Fest-  und  Volksversammlungstage  safsen  die  Geschwornen  Tag 
für  Tag  in  ihren  verschiedenen  Abiheilungen.  Die  ganze  Stadt 
glich  einem  grofsen  Gerichtshofe,  wenn  man  am  frühen  Morgen  voll 
Amtseifer  das  Heer  der  Geschwornen,  etwa  den  zehnten  Theil  der 
Bürgerschaft,  in  Bewegung  sah,  um  sich  in  ihre  verschiedenen  Lokale 
zu  verlheilen.  Hier  wurde  also  so  viel  Zeit  und  Mühe  für  den  öffent- 
lichen Dienst  gefordert,  dass  eine  Entschädigung  der  Bürger  billig 
war;  um  so  mehr,  da  die  in  der  Stadt  und  ihrer  Umgebung 
wohnenden  uuverhältnissmäfsig  stark  in  Anspruch  genommen  wurden, 
während  man  in  den  ferneren  Gauen  ruhig  seinen  Geschäften  leben 
konnte.  Dazu  kam,  dass  eine  Vergütung  für  das  Rechtsprechen  alter 
Sitte  entsprach;  auch  die  Schiedsrichter  wurden  von  ihren  Parteien 
bezahlt;  hier  endlich  waren  durch  die  Gerich tssporleln  die  Mitlei  am 
leichtesten  zu  beschatten.  So  kam  es  denn  auf  diesem  Gebiete  zu- 
erst  dazu,  dass  die  Bürger  für  die  Uebernahrae  von  Pflichten,  welche 
mit  der  Ausübung  eines  der  Hoheils rechte  der  Gemeinde  verbunden 
waren,  Geld  erhielten;  die  Geschwornen  bekamen  für  jeden  Gerichts- 
tag, an  welchem  sie  thälig  geweseu  waren,  einen  Obolos  (14  Pf.),  eine 
Entschädigung,  für  die  sie  gerade  im  Stande  waren,  sich  für  den 
Tag  Brod  zu  kaufen.  Zwei  0 holen  erhielt  der  Fufssoldat  als  Tages- 
sold und  ebensoviel  Verpflegungsgeld ;  der  Reiter  das  Doppelle.  Unter 
schwierigen  Umständen  wurde  der  Sold  erhöht. 

Dazu  kamen  noch  andere  Löhnungen  im  Friedeusdienst.  Es 
wurden  Silzungsgelder  für  die  Mitglieder  des  Raths  im  Betrag  von 
6  Obolen  oder  einer  Drachme  Festgesetzt.  Auch  die  öffentlichen 
Redner  wurden  bezahlt,  wenn  sie  im  Auftrage  des  Staats  sprachen. 

So  breitete  sich  das  Löhnungswesen  (Misthophorie)  immer  weiter 
im  Gemeindeleben  aus,  und  keine  von  allen  Neuerungen  hat  in  das 
Wesen  des  ganzen  Staats  tiefer  eingegriffen,  weil  man  sich  dadurch 
von  der  alten  Ansicht  der  Hellenen  lossagte,  welche  die  Vertretung 
der  Gemeinde  in  Krieg  und  Frieden  ab  eine  Ehrensache  ansahen 
und  bei  Allen,  die  sich  mit  Staatsgeschäflen  abgeben_wolllen,  eine 
gewisse  Unabhängigkeit  der  bürgerlichen  Stellung  voraussetzten. 


Digitized  by  Google 


DIE   VOLLENDETE   VOLKSH ERBSCHAFT. 


223 


Perikles  ist  im  Alterthum  immer  als  derjenige  angesehen  worden, 
welcher  diesen  Umschwung  veranlasst  habe,  und  er  ist  von  seinen 
Gegnern,  den  gleichzeitigen  wie  den  nachgebornen,  für  das  verant- 
wortlich gemacht,  was  man  vorzugsweise  als  das  Unwesen  der 
vollendeten  Demokratie  ansah. 

Myronides,  der  zur  Zeit  der  Perserkriege  schon  Staatsämter  be- 
kleidete, galt  für  den  Vertreter  der  'guten  alten  Zeil1,  wie  die  Conser- 
valiven  sie  nannten.  'Als  der  edle  Myronides  noch  im  Regiment 
war*  sagt  Aristophanes,  'da  wollte  Keiner  sich  für  Besorgung  öffent- 
licher Angelegenheiten  bezahlen  lassen1.  Perikles,  sagt  Plato,  habe 
das  Volk  träge,  geschwätzig  und  geldgierig  gemacht;  ihm  gab  man 
Schuld,  dass  die  Leute  Feldarbeit  und  Handwerk  liegen  liefsen,  um 
ihre  Zeit  in  Versammlungen  zu  sitzen  und  an  politischen  Debatten 
Theil  zu  nehmen. 

Es  lässt  sich  aber  nur  die  Richterbesoldung  auf  Perikles  zurück- 
führen, während  die  Tagegelder  für  Volksversammlungen  in  seiner 
Zeit  überhaupt  nicht  nachgewiesen  werden  können.  Auch  hat  es 
damit  offenbar  eine  ganz  andere  Bewandtniss.  Denn  während  das 
Rechtsprechen  als  eine,  zum  Theil  für  Fremde,  übernommene  Mühe 
angesehen  werden  konnte,  als  die  Uebernahme  amtlicher  Funktionen, 
zu  denen  man  sich  meldete,  war  die  Theilnahme  an  den  Berathungen 
der  Volksversammlung  ja  nichts  Anderes  als  die  einfache  Ausübung 
von  Rechten  und  Pflichten,  zu  denen  alle  Bürger  als  solche  berufen 
waren.  Gewiss  war  die  dafür  eintretende  Besoldung  die  späteste, 
und  es  hat  sich  bis  jetzt  noch  nicht  ermitteln  lassen,  wann  der 
Volksversammlungsoboios  in  Athen  eingeführt  worden  sei114). 

Im  Allgemeinen  aber  ist  des  Perikles  Stellung  zu  diesen  Neu- 
erungen klar.  Seine  Gegner  waren  die  Aristokraten,  deren  vorwiegen- 
der Einfluss  gebrochen  werden  musste,  wenn  seine  Ideen  verwirklicht 
werden  sollten.  Das  geschah,  je  mehr  auch  die  gewöhnlichen  Bürger 
sich  am  Staatsleben  belheiligen  konnten.  Bei  der  hohen  Bedeutung, 
welche,  wie  wir  gesehen  haben,  auch  in  politischen  Dingen  die  Ge- 
richte hatten,  kam  es  Perikles  besonders  darauf  an,  die  Theilnahme 
daran  auch  den  Aermeren  zu  erleichtern;  die  Entschädigungsgebühren 
waren  sehr  karg  bemessen  und  so  blieb  der  gewissenhafte  Dienst 
immer  noch  ein  Opfer. 

Es  bat  keinen  Staat  gegeben,  welcher  an  die  Bürger  so  hohe 
Ansprüche  gestellt  hat  wie  das  perikleische  Athen.    Deshalb  durfte 


Digitized  by  Google 


22 1 


ME  STELLUNG   DES  PERIKLES. 


auch  Ehre  und  Einfluss  im  Staat  nicht  von  den  Zufälligkeiten  der 
VermögensverhällniBse  abhängig  sein. 

Es  sollte  ein  Ruhm  der  Stadl  sein,  dass  durch  alle  Stände  Kennt- 
niss  des  Staatswesens  in  seinen  inneren  und  äufseren  Beziehungen, 
Kennmiss  des  Rechtsgangs,  Sicherheit  des  Urteils  und  Uebung  der 
Rede  verbreitet  sei  und  dass  möglichst  alle  Bürger  abwechselnd  selbst 
regierten  und  regiert  wurden.  Perikles  begünstigte  eine  solche  Aus- 
bildung der  Demokratie,  weil  die  alten  Parteien  und  Standesunter- 
schiede, welche  Thukydides,  des  Melesias  Sohn,  wieder  zu  beleben 
gesucht  halte,  dadurch  beseitigt  wurden,  weil  die  Stadt  dadurch  an 
Einigkeit  und  Festigkeit  gewann,  und  weil  nach  Beseitigung  der 
inneren  Spaltungen  die  gesamte  Bürgerschaft  um  so  leichler  zu  leiten 
war.  Die  vollendete  Volksherrschaft  war  die  notwendige  Vorstufe  zur 
persönlichen  Herrschaft  des  Perikles. 

Darum  war  Perikles  auch  ein  Anderer,  als  er  die  Herrschaft  in 
Händen  hatte;  nichl  als  ob  er  seine  Grundsätze  verändert  oder  eine 
Maske  abgeworfen  hätte;  aber  er  konnte  nun  die  demagogischen 
Mittel  verschmähen,  welche  nothwendig  waren,  um  die  Bestrebungen 
seiner  Gegner  zu  überwinden;  er  konnte  freier  aus  sich  selbst  heraus 
handeln,  seit  er  aufgehört  hatte,  Parteigänger  zu  sein.  Darum  trat 
er,  der  selbst  ein  geborener  Aristokrat  war,  ernster  und  strenger  auf 
und  liefs  den  Abstand,  der  zwischen  ihm  und  allen  übrigen  Athenern 
war,  deutlicher  hervortreten.  Nachdem  er  seit  dem  Tode  des 
Aristeides  vier  und  zwanzig  Jahre  lang  seine  Zwecke  unverändert 
verfolgt  hatte,  war  er  nach  Verbannung  des  Thukydides  an  seinem 
Ziele  angelangt;  die  Bürgerschaft  halte  sich  gewöhnt  ihm  zu  ge- 
horchen115). 


Wenn  sich  Perikles  nun  fünfzehn  Jahre  lang  an  der  Spitze  des 
Staats  behauptete  und  eine  auf  ihre  Rechte  eifersüchtige  Bürger- 
schaft ohne  Gewalt  und  ohne  Verfassungsbruch  nach  seinem  Willen 
regieren  konnte,  so  kamen  ihm  dabei  die  Zeilverhältnisse  in  so  fern 
zu  Gute,  als  man  in  Athen  der  Zwistigkeilen  müde  war,  welche  die 
Bürgerschaft  so  lange  in  unausgesetzter  Spannung  gehalten  halten. 
In  den  letzten  vierzig  Jahren  war  ein  Parteikampf  dem  anderen 
gefolgt;  man  hatte  Xanthippos  gegen  Milliades,  Themislokles  gegen 
Aristeides,  Kimon  und  Ephialles,  Thukydides  und  Perikles  mit  ein- 


Digitized  by  Google 


PERIKLES  ALS  VOLKSREDNER. 


225 


ander  kämpfen  und  das  Gemeinwesen  zwischen  den  verschiedensten 
Einflüssen  zurückhaltender  und  vorwärts  drängender  Politik  hin  und 
her  schwanken  gesehen.  Der  letzte,  erbittertste  Kampf  hatte  den 
Ueberdruss  gesteigert,  und  als  die  kimonische  Partei  entwaffnet  war, 
wünschte  die  grofse  Mehrzahl  der  Bürger  dem  Staate  innere  Ruhe 
und  gegen  aufsen  eine  feste,  stetige  Haltung.  Diese  Stimmung 
machte  sich  Perikles  zu  Nutze,  und  darum  nannten  die  Komiker 
ihn,  als  er  dem  olympischen  Zeus  gleich  über  der  Stadt  waltete, 
den  Sohn  des  Kronos  und  der  Stasis,  d.  h.  der  Parteifehde;  denn 
die  vorangegangenen  Parteifehden  hatten  ihn  grofs  gemacht116). 

Die  Athener  waren  schwer  zu  regieren,  weil  Jeder  selbst  prüfen 
und  urteilen  wollte,  wie  denn  die  Demokratie  überall  nichts  von 
Leuten  wissen  mag,  welche  Gehorsam  fordern.  Dazu  kam,  dass 
die  Ungleichheit  zwischen  Beamten  und  Nichtbeamten  durch  den 
raschen  Wechsel  sich  möglichst  verringerte,  und  dass  seit  Einführung 
des  Looses  der  Respekt  vor  den  obrigkeitlichen  Personen  in  steter 
Abnahme  war. 

Hier  war  seit  den  Perserkriegen  Vieles  anders  geworden.  In 
der  älteren  Zeit  hatten  die  Reichen  und  Vornehmen  schon  im 
Standesinteresse  dafür  gesorgt,  dass  nur  die  Tüchtigsten  als  Bewerber 
auftraten.  Auch  später  noch  wurden  Untüchtige  dadurch  von  der 
Bewerbung  zurückgehalten,  dass  sie  des  Tags  gedachten,  an  welchem 
sie  persönlich  und  öffentlich  Rechenschaft  von  ihrer  Amtsführung 
abzulegen  hatten.  Aber  diese  Scheu  verlor  sich  allmählich;  der 
Zufall  des  Looses  gewann  gröfseren  Spielraum,  und  damit  sank  die 
Ehre  des  Amts.  Die  Archontenstellen  behielten  noch  eine  gewisse 
Würde,  weil  sie  unbesoldet  blieben  und  einigen  Aufwand  verlangten; 
deshalb  hielten  sich  die  Aermeren  von  ihnen  fern;  aber  es  waren 
Ehrenposten  ohne  politischen  Einfluss. 

Je  mehr  die  Regierungsstellen  an  Bedeutung  verloren,  um  so 
mehr  ging  die  leitende  Macht  des  Staats  in  die  Hände  der  Volks- 
redner über;  denn  ihr  Einfluss  war  vom  Jahreswechsel  und  von 
Rechenschaftspflicht  unabhängig;  ihnen  gehorchte  das  Volk,  weil  sie 
nicht  Gehorsam  verlangten,  sondern  überzeugen  wollten.  Wem  also 
die  Gemeinde  das  Vertrauen  schenkt,  dass  er  die  Interessen  des 
Gemeinwesens  am  besten  zu  beurteilen  und  am  klarsten  auszusprechen 
wisse,  der  herrscht  als  Vertrauensmann  der  Bürgerschaft.  Diese 
Stellung  vermochte  Niemand  dem  Perikles  streitig  zu  machen;  denn 

CnrtlM,  Gr.  Gmcb.  IL  6.  Aufl.  15 


Digitized  by  Google 


226 


PERIKLES  ALS  ORERFELDHERR. 


die  Männer,  welche  neben  ihm  in  Athen  lebten  und  bei  hohem 
Ansehen  verschiedene  Ansichten  vertraten,  wie  Myronides  und  Toi* 
niides  und  Leokrates,  der  Besieger  Aiginas;  sie  waren  tapfere  Feld- 
herrn, aber  aufser  Stande,  einem  Perikles  die  Leitung  der  Bürger- 
schaft streitig  zu  machen. 

Wenn  aber  Perikles  nur  als  Privatmann  seinen  EinQuss  hätte 
ausüben  sollen,  so  wäre  er  in  seiner  Wirksamkeit  sehr  beengt  ge- 
wesen; dann  hätte  er  immer  nur  in  den  von  Anderen  berufenen 
Volksversammlungen  reden  können.  Er  konnte  deshalb,  wenn  er 
ohne  Verletzung  der  Verfassung  die  Regierung  führen  wollte,  amt- 
licher Vollmachten  nicht  entbehren.  Es  gab  aber  unter  den  Aemtern, 
welche  eine  besondere  Befähigung  verlangten  und  eben  darum  durch 
Wahl  der  Gemeinde  besetzt  wurden,  kein  wichtigeres  als  das  der 
Feldhauptmannschaft  oder  Strategie. 

Dies  Amt  war  an  Bedeutung  gestiegen,  je  mehr  die  Loosämter 
gesunken  waren;  es  wurde  immer  wichtiger,  je  mehr  Athen  eine 
auf  Waffengewalt  gegründete  Herrschaft  führte,  und  man  blieb  dabei, 
zu  diesem  Amte  vorzugsweise  Männer  aus  angesehenen  Familien  zu 
wählen,  deren  Namen  eine  gute  Vorbedeutung  hatten.  Die  Strategen 
hatten  aber  nicht  nur  den  Oberbefehl  der  Land-  und  Seetruppen; 
sie  ernannten  und  beaufsichtigten  auch  die  Führer  der  Trieren, 
welche  für  den  kriegstüchtigen  Zustand  ihres  Schifies  einstehen 
mussten;  sie  leiteten  zugleich  die  auswärtigen  Verhältnisse,  sie 
nahmen  die  Anträge  fremder  Gesandten  entgegen,  setzten  die  Bürger- 
versammlungen an,  wo  sie  die  Gesandten  einführten,  und  bereiteten 
die  Angelegenheiten  zur  Entscheidung  vor.  Sie  hatten  eine  allgemeine 
Aufsicht  über  die  Sicherheit  der  Stadt  und  waren  deshalb  befugt, 
Volksversammlungen  zu  verbieten  oder  aufzulösen,  wenn  sie  zur  Zeit 
grolser  Aufregung  dem  Staate  gefahrlich  werden  konnten. 

Die  lange  Kriegsschule,  welche  Perikles  durchgemacht,  die  seltene 
Verbindung  von  Vorsicht  und  Energie,  welche  er  in  jedem  Commando 
gezeigt  hatte,  hatten  ihm  auch  in  dieser  Beziehung  das  wohlverdiente 
Vertrauen  der  Bürgerschaft  erworben.  Auch  die  Unfälle  des  Staats, 
wie  der  Schreckenstag  von  Koroneia,  hatten  sein  Ansehen  erhöht,  weil 
er  zur  rechten  Zeit,  wenn  auch  vergeblich,  gewarnt  hatte  (S.  178). 
Darum  wählte  sie  ihn  eine  Reihe  von  Jahren  nach  einander  zum  Feld- 
hauptmann, bekleidete  ihn  als  solchen  auch  mit  außerordentlichen 
Vollmachten,  wodurch  die  Stellen  der  anderen  neun  Feldherrn  zu 


Digitized  by  Google 


PERIKLES'  AUSSERORDENTLICHE  MACHTBEFUGNISSE.  227 

blofsen  Ehrenämtern  wurden,  weiche  man  mit  Personen  besetzte,  die 
ihm  genehm  waren.  Eis  kam  auch  vor,  dass  die  zehn  Feldherrn  eines 
Jahres  aus  den  zehn  Stämmen  gewählt  wurden,  Perildes  aber  außer- 
ordentlicher Weise  aus  der  gesamten  Bürgerschaft  hinzugewählt  wurde. 
So  liel  während  der  Zeit  seiner  Verwaltung  der  ganze  Schwerpunkt  des 
öffentlichen  Lebens  in  dies  Amt;  als  Strateg  hat  er  die  wichtigsten 
Gesetze  durchgebracht;  als  solcher  war  er  der  dirigirende  Präsident  der 
Republik,  und  der  Helm,  mit  welchem  er  sich  von  den  Bildhauern  dar- 
stellen liefs,  diente  nicht  dazu,  seinen  spitzen  Schädel  zu  verstecken, 
wie  die  Komödiendichter  spottweise  sagten;  sondern  er  bezeichnet  das 
Feldherrnamt  als  den  Kern  seiner  öffentlichen  Stellung,  und  es  wird 
auch  ausdrücklich  überliefert,  dass  die  von  Jahr  zu  Jahr  verlängerte 
Strategie  die  eigentliche  Grundlage  seiner  den  Staat  beherrschenden 
Vollmacht  gewesen  sei117). 

Weniger  klar  ist  sein  Verhältniss  zum  Staatshaushalt.  Denn  das 
Amt  eines  obersten  Finanzvorstehers,  welches  wie  das  des  Feldhaupt- 
manns durch  Wahl  besetzt  wurde,  lässt  sich  in  der  perikleischen  Zeit 
nicht  nachweisen,  und  wir  wissen  nicht,  wie  damals  die  Finanz  Ver- 
waltung an  oberster  Stelle  geordnet  war.  Aber  das  können  wir  mit 
Sicherheit  annehmen,  dass  Perikles  diesen  Verwaltungszweig  voll- 
kommen überschaute  und  ihn  während  der  Jahre  seiner  Staatsleitung 
entweder  durch  eigene  Ausführung  oder  dadurch,  dass  von  ihm  ab- 
hängige Männer  an  entscheidender  Stelle  standen,  in  seiner  Hand 
hatte  m). 

Wichtig  waren  endlich  die  commissarischen  Geschäftsführungen, 
welche  auch  durch  Wahl  übertragen  wurden,  um  durch  geeignete 
Männer  Beschlüsse  der  Bürgerschaft,  deren  Ausführung  einer  sachver- 
ständigen und  kräftigen  Oberleitung  bedurfte,  in's  Werk  zu  setzen. 
Dazu  gehörten  die  Ergänzungen  der  Kriegsbereitschaft  an  Waffen  und 
Schiffen,  die  Wiederherstellung  und  Verstärkung  der  Befestigungs- 
werke, die  Anordnung  bürgerlicher  Feste  und  vor  Allem  die  öffent- 
lichen Bauten,  welche  zu  Ehren  der  Götter  und  zum  Schmuck  der 
Stadt  unternommen  wurden.  Die  Vorsteher  (Epistaten)  der  öffentlichen 
Werke  erhielten  von  der  Bürgerschaft  ihre  Vollmacht  für  die  Dauer  des 
Geschäfts  und  hatten  während  dieser  Zeit  eine  sehr  ausgedehnte  Amts- 
gewalt, indem  die  Menge  der  Künstler,  Handwerker  und  Arbeiter,  also 
ein  grofser  Theil  der  von  Tagelohn  lebenden  Einwohnerschaft  Attikas, 
unter  ihrem  persönlichen  Einflüsse  stand;  sie  vertheilten  die  Arbeit 

15» 


Digitized  by  Google 


228 


DIE  STAATSLEITUNG  DES  PEIUKLES. 


und  beaufsichtigten  die  Arbeiter,  sie  safsen  zu  Gericht  über  alle  unter 
ihnen  vorkommenden  Streitigkeiten,  sie  hatten  bedeutende  Summen  zu 
verwenden  und  erlangten  dadurch,  wenn  sie  wiederholt  und  auf  längere 
Zeit  zu  grofsen  Bauführungen  durch  das  Vertrauen  der  Bürger- 
schaft berufen  wurden,  einen  sehr  bedeutenden  und  weitgreifenden 
Einfluss. 

Wenn  nun  Perikles  mit  den  Vollmachten  einer  ausserordentlicher 
Weise  verlängerten  Strategie  bekleidet  war,  wenn  er  das  immer  ver- 
wickelter werdende  Finanzwesen  besser  als  irgend  ein  Anderer  durch- 
schaute und  die  oberste  Finanzverwaltung  durch  seinen  Einfluss  be- 
herrschte, wenn  er  wiederholt  und  auf  lange  Jahre  Vorsteher  der 
öffentlichen  Bauten  war,  wenn  er  ab  erwählter  Ordner  oder  Athlothet 
die  grofsen  Bürgerfeste  leiten  und  glänzend  erweitern  konnte,  wenn  er 
ausserdem  so  viel  persönlichen  Einfluss  hatte,  dass  er  die  Wahlen  der 
Bürgerschaft  in  allen  wichtigen  Fällen  nach  seinem  Wunsche  zu  lenken 
vermochte:  so  begreift  man,  wie  Perikles  in  Kriegs-  und  Friedens- 
zeiten den  Staat  in  seiner  Hand  hatte,  wie  die  durch's  Loos  besetzten 
Aemter  für  die  Politik  des  Staats  ganz  bedeutungslos  wurden  und 
auch  die  Macht  von  Rath  und  Bürgerschaft  wesentlich  in  seine  Hände 
überging.  Es  war  das  mit  allen  gesetzlichen  Vollmachten  ausge- 
stattete, von  der  Gemeinde  Jahr  für  Jahr  neu  anerkannte,  persön- 
liche Regiment  eines  Mannes,  dem  seine  Mitbürger  als  dem  vor  Allen 
zur  Leitung  berufenen  Staatsmanne  huldigten. 

Dadurch  wurde  eine  folgerechte  und  feste  Staatsregierung  möglich, 
wie  sie  in  gefährlichen  Zeiten  alle  vernünftigen  Bürger  wünschen 
mussten:  aber  freilich  waren  auch  die  wesentlichsten  Grundsätze  der 
Demokratie  thatsäcblich  aufgehoben,  der  Wechsel  der  Amtsgewalt,  die 
Vertheilung  der  Macht,  ja  selbst  die  Rechenschaftspflicht,  die  erste 
Bürgschaft  der  Volkssouveränität.  Unter  dem  Titel  'notwendiger 
Staatsbedürfnisse'  durfte  er  Summen  von  zehn  Talenten  verrechnen 
(wie  er  sie  z.  B.  bei  Kleandridas  und  Pleistoanax  anwendete,  S.  179), 
ohne  dass  Jemand  wagte,  im  Namen  des  Volks  eine  offene  Darlegung 
des  Sachverhalts  zu  fordern.  Ein  Beamtenstand,  welcher  Widerstand 
leistete,  war  nicht  vorhanden,  weil  alle  Beamten  sofort  in  das  Privat- 
leben zurückkehrten.  Perikles  allein  mit  einer  fortwährenden  Amts- 
gewalt bekleidet,  welche  alle  Richtungen  des  öffentlichen  Lebens  be- 
herrschte, stand  in  einsamer  Gröfse  fest  und  ruhig  über  dem  bewegten 
Staate1"). 


PERIKLES'  HÄUSLICHE  VERHÄLTNISSE. 


229 


Perikies  war  klug  genug,  immer  nur  die  Hauptsache  im  Auge  zu 
haben  und  alles  Aeufserliche  zu  vermeiden,  was  ihn  der  bürgerlichen 
Gemeinschaft  entfremden  oder  Neid  erregen  konnte.  Er  wusste  wohl, 
dass  seine  Macht  vom  grofsen  Haufen  erst  dann  mit  Missgunst  ange- 
sehen werden  würde,  wenn  sie  mit  äufserem  Prunk  und  glänzendem 
Lebensgenüsse  verbunden  wäre.  Darauf  Verzicht  zu  leisten  wurde  ihm, 
dem  Philosophen,  nicht  schwer.  Er  war  das  Muster  eines  mäßigen 
und  nüchternen  Mannes.  Er  machte  sich  zur  Regel,  an  keinem  Fest- 
gelage Antheil  zu  nehmen,  und  kein  Athener  konnte  sich  erinnern, 
Perikies,  seit  er  an  der  Spitze  des  Staats  stand,  mit  Freunden  beim 
Weine  gesehen  zu  haben.  Niemand  kannte  ihn  anders,  als  vollkommen 
ernst  und  gesammelt,  nachdenkend  und  vielbeschäftigt.  Sein  ganzes 
Leben  war  dem  Staatsdienste  gewidmet  und  seine  Macht  mit  so  viel 
Selbstverleugnung  und  Arbeit  verbunden,  dass  sie  der  lebenslustigen 
Menge  wahrlich  nicht  als  ein  beneidenswerther  Vorzug  erscheinen 
konnte.  Sein  Gang  war  ruhig  wie  alle  seine  Bewegungen;  auch  sah 
man  ihn  nie  vor  der  Stadt  lustwandeln  oder  an  öffentlichen  Plätzen 
sich  der  Mufse  freuen.  Für  ihn  gab  es  nur  einen  Weg,  den  man  ihn 
täglich  gehen  sah,  den  Weg  von  seinem  Hause  nach  dem  Markte,  dem 
Rathhause  und  dem  Strategion,  dem  Gebäude,  wo  das  Feldherrn- 
collegium  zusammenkam  und  die  wichtigsten  Beschlüsse  vorbereitet 
wurden. 

So  streng  er  äufserlich  erschien,  war  er  doch  milde  und  menschen- 
freundlich, auch  gegen  die  Geringsten  seiner  Umgebung,  und  je  ein- 
gezogener er  lebte,  um  so  mehr  widmete  er  bewährten  Dienern  eine 
väterliche  Zuneigung.  Die  Bildhauer  bemühten  sich  Lieblingssklaven 
darzustellen,  die  in  seinem  Hause  grofe  geworden,  und  als  er  über  den 
Sturz  eines  geschickten  Arbeiters  untröstlich  war,  soll  ihm  im  Traume 
das  Heilmittel  von  Athena  offenbart  worden  sein. 

Seine  häuslichen  Verbältnisse  waren  nicht  glücklich.  Er  hatte 
sich  (schon  vor  83,  2;  451)  mit  einer  Verwandten  vernein» thet,  welche 
zuvor  die  Frau  des  reichen  Hipponikos,  des  Sohnes  des  Kallias  (S.  183), 
gewesen  war;  sie  gebar  ihm  zwei  Söhne,  Xanthippos  und  Paralos. 
Aber  die  Neigungen  der  Eheleute  passten  nicht  zu  einander.  Der  ver- 
wöhnten Frau  mochte  das  strenge  Wesen  des  Mannes  wenig  zusagen, 
während  er  durch  Aspasia  von  Milet  den  Zauber  eines  auf  tiefer 
Neigung  und  gegenseitigen  Verständnisses  beruhenden  weiblichen  Um- 
gangs kennen  gelernt  hatte,  welcher  ihm  das  bestehende  Verhältniss 


Digitized  by  Google 


230 


FERIKLES  UND  ASrASlA. 


unerträglich  machte.  Die  Ehe  wurde  getrennt.  Die  Frau  folgte  ihrer 
Neigung,  indem  sie  eine  dritte  Verbindung  einging,  Perikles  aber  nahm 
Aspasia  zu  sich1'0). 

Aspasia,  die  Tochter  des  Axiochos,  war  eine  Frau  nach  Art  der 
Thargelia  (S.  58),  welche  derselben  Stadt  angehörte  und  als  ihr  Vor- 
bild angesehen  wurde.  Auch  sie  war  keine  Dienerin  üppiger  Freude, 
wie  die  gewöhnlichen  Buhlerinnen  von  Ionien  und  Korinth ;  sie  wollte 
nicht  nur  Genuss  verschaffen  und  selbst  geniefsen,  sondern  durch 
Schönheit  und  Bildung  die  bedeutendsten  Männer  an  sich  ziehen  und 
durch  die  Verbindung  mit  ihnen  Einfluss  und  Macht  gewinnen.  So 
kam  sie  nach  Athen,  in  der  Zeit,  wo  alles  Neue  und  Außerordentliche, 
wo  Alles,  was  eine  Erweiterung  des  Herkömmlichen  zu  sein  schien, 
mit  Freuden  aufgenommen  wurde.  Auch  sah  man  bald,  dass  es  keine 
angelernten  Verfuhrungskünste  waren,  wodurch  sie  die  Gemuther 
fesselte;  es  war  eine  hohe,  reichbegabte  Natur,  voll  Sinn  für  alles 
Schöne,  harmonisch  und  glücklich  entwickelt  Zum  ersten  Male  sah 
man  den  vollen  Schatz  hellenischer  Bildung  im  Besitze  eines  weiblichen 
Wesens  und  betrachtete  voll  Erstaunen  diese  wunderbare  Erscheinung. 
Mit  hinreifsender  Anmuth  wusste  sie  sich  über  Staat,  Philosophie  und 
Kunst,  über  Alles,  was  das  Interesse  der  Gebildeten  in  Anspruch  nahm, 
zu  unterhalten,  so  dass  die  ernstesten  Athener,  selbst  Männer,  wie 
Sokrates,  sie  aufsuchten,  um  ihrer  Rede  zuzuhören.  Ihre  eigentliche 
Bedeutung  für  Athen  erhielt  sie  aber  an  dem  Tage,  da  sie  mit  Perikles 
bekannt  wurde  und  sich  ein  Verbältniss  gegenseitiger  Liebe  zwischen 
ihnen  entwickelte;  denn  die  dauernde  Lebensgemeinschaft,  welche 
Perikles  mit  ihr  schloss,  zeugt  dafür,  dass  es  nicht  Genussliebe  und 
flüchtige  Aufregung  war,  worauf  dies  Verhältniss  beruhte.  Es  war  ein 
wirklicher  Ehebund,  welchem  nur  deshalb  die  bürgerliche  Anerkennung 
fehlte,  weil  sie  eine  Ausländerin  war;  es  war  ein  Bund  treuer  Liebe,  der 
nur  durch  den  Tod  gelöst  wurde,  die  reiche  Quelle  eines  häuslichen 
Glücks,  dessen  Keiner  mehr  bedurfte,  als  der  von  allen  äußeren  Zer- 
streuungen zurückgezogene,  unablässig  arbeitende  Staatsmann. 

Gewiss  war  der  Besitz  dieser  Frau  in  vielen  Beziehungen  für 
Perikles  unschätzbar.  Nicht  nur,  dass  ihre  Gaben  die  Mußestunden 
erfreuten,  welche  er  sich  gönnte,  und  seinen  sorgenvollen  Geist  er- 
frischten, sie  erhielt  ihn  auch  im  Verkehre  mit  dem  täglichen  Leben ; 
sie  besafs,  was  ihm  fehlte,  eine  leichte  und  bequeme  Weise,  mit 
Menschen  aller  Art  umzugehen;  sie  war  von  Allem,  was  in  der  Stadt 


Digitized  by  Google 


PERIKLES'  ÖFFENTLICHER  CHARAKTER. 


231 


vorging,  unterrichtet;  auch  das  Ferne  entging  ihrer  Aufmerksamkeit 
nicht,  und  sie  soll  mit  der  sicilischen  Beredsamkeit,  welche  sich 
damals  entwickelte,  Perikles  zuerst  bekannt  gemacht  haben.  Sie 
unterstützte  ihn  durch  ihre  mannigfaltigen  Verbindungen  im  In- 
und  Auslande,  wie  durch  den  Scharfblick  weiblicher  Klugheit  und 
Menschenkenntniss.  So  lebte  die  geistreichste  Frau  ihrer  Zeit  neben 
dem  Manne,  der  mit  überlegenem  Geiste  die  erste  Stadt  der  Hellenen 
leitete,  ihrem  Freunde  und  Gatten  treu  ergeben;  und  so  begierig 
auch  die  Spötter  in  Athen  Alles  aufsuchten,  was  an  Perikles'  Leben 
auszusetzen  war,  so  ist  doch  keine  Verläumdung  im  Stande  gewesen, 
diesen  Bund  zu  verunglimpfen  und  das  Andenken  desselben  zu  ver- 
un  ehren. 

Mit  Verwaltung  seines  Vermögens  sich  selbst  zu  beschäftigen, 
hatte  Perikles  keine  Zeit.  Er  verpachtete  seine  Besitzungen  und  über- 
gab das  Geld  seinem  erprobten  Sklaven  Euangelos,  der  das  Mafs, 
welches  seinem  Herrn  das  richtige  schien,  genau  kannte  und  darnach 
den  Hausstand  besorgte,  der  freilich  von  dem  der  reichen  Familien 
Athens  sehr  abstach  und  dem  Geschmacke  der  heranwachsenden  Söhne 
wenig  entsprach.  Denn  da  war  kein  Ueberfluss,  kein  fröhlicher  und 
sorgloser  Aufwand,  sondern  eine  so  haushälterische  Wirthschaft,  dass 
Alles  bis  auf  Drachme  und  Obolos  berechnet  wurde121). 

Perikles  war  überzeugt,  dass  nur  eine  vollkommen  tadellose  Un- 
bescboltenheit  und  die  allerstrengste  Uneigennützigkeit  einen  dauer- 
haften Einfluss  auf  die  Bürgerschaft  möglich  mache,  indem  man  den 
Neidern  und  Feinden  auch  nicht  die  geringste  Blöfse  gebe.  Nachdem 
Tbemistokles  zuerst  das  Beispiel  gegeben  hatte,  wie  man  als  Staats- 
mann und  Feldherr  reich  werden  könne,  war  Perikles  in  dieser  Be- 
ziehung der  Bewunderer  und  treuste  Nachfolger  des  Aristeides  und 
ging  auch  in  seiner  Gewissenhaftigkeit  viel  weiter  als  Kimon,  indem 
er  jede  Gelegenheit,  welche  das  Feldherrnamt  zu  einer  durchaus  be- 
rechtigten Bereicherung  darbot,  grundsätzlich  verschmähte.  Alle  Be- 
stechungsversuche, die  gemacht  wurden,  sind  erfolglos  geblieben.  Seine 
hohe  Gesinnung  bezeugt,  was  er  dem  auch  in  seinen  alten  Tagen  ver- 
liebten Sophokles  zurief:  Nicht  nur  die  Hände,  auch  die  Augen  des 
Feldheim  müssen  enthaltsam  sein !  Je  lebhafter  sein  eigenes  Gefühl 
namentlich  für  weibliche  Reize  war,  um  so  höher  ist  der  Gleichmut» 
zu  schätzen,  welchen  er  sich  durch  eine  zur  Gewohnheit  gewordene 
Selbstbeherrschung  erworben  hatte,  und  nichts  machte  auf  die  wetter- 


Digitized  by  Google 


232 


FERIKLES'  ÖFFENTLICHEN  CÜAKAKTEH. 


wendischen  Athener  einen  mächtigeren  Eindruck,  als  die  unerschütter- 
liche Ruhe  des  groüsen  Mannes.  So  lässt  er  von  einer  Volksversammlung, 
die  bis  zum  Abend  gewährt  hat,  einen  Bürger,  dem  seine  Rede  miss- 
fallen, scheltend  und  drohend  hinter  sich  hergehen.  Er  erwiedert  kein 
Wort  und  befiehlt,  da  er  im  Hause  angekommen  ist,  seinem  Sklaven,  er 
sulle  den  Mann  mit  der  Fackel  begleiten,  damit  er  sich  auf  dem  Rück- 
wege nicht  verletze. 

Perikles  redete  weder  viel  noch  häufig.  Nichts  scheute  er  mehr 
als  überflüssige  Worte,  und  darum  soll  er,  wenn  er  vor  das  Volk  trat, 
gebetet  haben,  dass  Zeus  ihn  nichts  Unnützes  sagen  lasse.  Die  kurzen 
Worte  prägten  sich  um  so  tiefer  ein.  Er  dachte  zu  ernst  und  zu  hoch 
von  seinem  Berufe,  als  dass  er  sich  dazu  hergegeben  hätte,  der  Menge 
nach  dem  Munde  zu  reden.  Er  scheute  sich  nicht,  wenn  er  die  Bürger 
schlaff  und  unentschlossen  sah,  ihnen  herbe  Wahrheiten  und  ernsten 
Tadel  auszusprechen.  Seine  Reden  suchten  immer  den  einzelneu  Fall 
an  Allgemeineres  anzuknüpfen,  um  die  Bürger  zu  belehren  und  zu  er- 
heben ;  er  wies  immer  von  Neuem  darauf  hin,  dass  kein  Einzelglück 
denkbar  sei  ohne  die  Wohlfahrt  des  Ganzen;  er  wies  ihnen  das  Anrecht 
nach,  welches  er  sich  auf  ihr  Vertrauen  erworben  habe;  er  entwickeile 
klar  und  bündig  seine  politischen  Ansichten,  indem  er  nicht  zu  über- 
reden, sondern  zu  überzeugen  suchte m). 

Das  Volk  giebt  sein  Urteil  nach  einfachen  Gesichtspunkten,  und 
deshalb  beruht  die  ächte  Popularität  eines  Staatsmannes  darauf,  dass 
die  leitenden  Ideen  seiner  Politik  klar  und  fasslich  sind,  dass  sie  dem 
gesunden  Menschenverstände  einleuchten,  das  Gemülh  ansprechen  und 
durch  Erfolge  sich  bewähren.  Die  Grundsätze  der  perikleischen 
.  Staatsleitung  waren  in  der  That  so  einfach,  dass  alle  Bürger  sie  ver- 
stehen konnten,  und  Perikles  legte  einen  besonderen  Werth  darauf, 
dass  die  Athener  nicht  wie  die  Lakedämonier  in  Geheimthuerei  ihre 
Stärke  suchten  und  nicht  durch  Täuschung  oder  listige  Uebervorlhei- 
lung  ihre  Gegner  besiegen  wollten. 

Nachdem  sich  Athen  allen  Versuchen  spartanischer  Herrschsucht 
glücklich  entzogen  hatte,  bestand  die  Einheit  Griechenlands  nur  noch 
in  dem  Bunde  der  beiden  Grofestaaten.  Auch  dieser  Bund  war  nach 
dem  dritten  messeniseben  Kriege  zerrissen.  Seitdem  gab  es  Bund 
und  Gegenbund.  Der  attisch-argivische  Gegenbund  machte  solche 
Fortschritte,  dass  es  eine  Zeitlang  den  Anschein  hatte,  als  wenn  Sparta 
gänzlich  zurückgedrängt  werden  und  der  neue  Bund  mit  Athen  an  der 


Digitized  by  Google 


l'EKIKLES'  AUSWÄRTIGE  POLITIK. 


233 


Spitze  allmählich  ganz  Hellas  umfassen  könnte.  Diese  Pläne  wurden 
bei  Koroneia  vernichtet.  Seitdem  standen  sich  die  beiden  Hälften 
Griechenlands  mit  gesteigerter  Eifersucht  gegenüber,  und  alle  Staaten 
wurden  in  diesen  Gegensatz  hereingezogen,  der  einen  dauernden 
Frieden  unmöglich  machte. 

Wie  Themistokles  den  Perserkrieg,  so  sah  Perikles  den  Kampf 
mit  Sparta  als  unvermeidlich  vor  sich.  Die  Friedenszeit,  welche  noch 
gestattet  ist,  muss  also,  so  dachte  er,  dazu  benutzt  werden,  dass  sich 
Athen  auf  den  bevorstehenden  Kampf  vorbereite,  und  zwar  dadurch, 
dass  es  seine  Kräfte  sammelt  und  urganisirt;  der  äufseren  Machtaus- 
dehnung bedarf  es  nicht,  ja,  eine  solche  ist  nur  gefährlich,  wie  die 
Geschichte  der  letzten  fünfzehn  Jahre  deutlich  genug  gelehrt  hatte; 
denn  alles  Unglück  war  die  Folge  übereilter  Unternehmungen,  deren 
Ausgang  Perikles  warnend  vorausgesagt  hatte. 

Vorsicht  und  MäTsigung  ist  also  die  erste  Norm  der  auswärtigen 
Politik ;  denn  eine  Macht,  wie  die  attische,  wird  durch  jeden  Unfall, 
der  die  Furcht  der  Bundesgenossen  aufhebt,  in  ihrem  Bestehen  ge- 
fährdet. Eine  Continentalherrschaft  neben  der  Seeherrschaft  ist  un- 
möglich, weil  eine  dauernde  Unterwerfung  von  Böotien  und  Lokris  nur 
durch  militärische  Besetzung  möglich  wäre;  dadurch  würde  Athen 
aber  seine  Streitkräfte  vollständig  zersplittern  und  sich  in  unaufhör- 
liche Fehden  verwickeln.  Das  Leben  eines  seiner  Mitbürger  unnütz 
auf  das  Spiel  zu  setzen  erschien  ihm  als  der  gröfste  Frevel,  und  es 
wird  berichtet,  dass  er,  so  oft  er  den  Kriegsmantel  umlegte,  sich  war- 
nend zugerufen  habe:  4Gieb  Acht,  Perikles,  es  sind  Hellenen,  die  du 
fuhrest,  es  sind  Bürger  von  Athen!' 

Athen  soll  kein  Kriegerstaat  sein,  der  in  ewiger  Unruhe  von  einer 
Unternehmung  zur  andern  übergeht.  Darum  war  er  der  kimonischen 
Partei  entgegengetreten,  nach  deren  Programm  die  Bürger  immer 
gegen  Persien  in  Waffen  stehen  sollten.  Noch  weniger  billigte  er  die 
Ansicht  einer  jüngeren  Partei,  welche  in  den  letzten  Zeiten  seiner 
Staatsleitung  hervortrat,  einer  Partei,  die  mit  Feldzugsplänen  nach 
Italien,  Sicilien  und  Afrika  uniging.  Perikles  war  auf  das  Entschie- 
denste gegen  jeden  unnöthigen  Krieg  und  stellte  vorsichtige  Selbstbe- 
schränkung ab  die  erste  Norm  auswärtiger  Politik  hin.  Athen  soll 
alle  üble  Nachrede  mit  Gleichmuth  tragen;  es  soll  seine  Interessen 
fest  und  ruhig  vertreten,  es  soll  Sparta  keinen  Vorrang  zugestehen 
und  keinen  Besitz  aufgeben,  selbst  aber  keinen  Feind  reizen.  Kommt 


Digitized  by  Google 


234  VOLLENDUNG  DER  SCBEItKELMACERTf  UM  44«  (M,  «. 

endlich  die  Stunde  der  Entscheidung,  so  soll  Athen  unüberwindlich 
dastehen;  dann  soll  sein  Schild  die  Mauer,  sein  Schwert  aber  die 
Flotte  sein. 

Was  die  Ummauerung  Athens  betrifft,  so  war  sie,  als  Perikles 
die  Leitung  des  Staats  übernahm ,  noch  immer  nicht  fertig.  Denn 
nachdem  man  von  den  Schenkelmauern  erst  die  nördliche  gebaut 
hatte,  welche  nach  der  eleusinischen  Seite  hin  die  Verbindung  zwischen 
Stadt  und  Häfen  sichern  sollte,  und  dann  die  phalerische  Mauer,  blieb 
zwischen  dieser  und  der  Ringmauer  des  Peiraieus  eine  Lücke,  ein 
offenes  Ufer.  Hier  konnten  die  Peloponnesier  landen,  Truppen  aus- 
setzen, zwischen  den  Schenkelmauern  vorrücken  und  so  Athen  von 
seinen  Häfen  abschneiden.  Das  Befestigungssystem  bedurfte  also,  um 
geschlossen  zu  sein,  einer  dritten  Mauer,  welche  der  nördlichen  parallel 
lief  und  mit  ihr  zusammen  eine  vollkommen  sichere  Verbindung 
zwischen  Ober-  und  Unterstadt  herstellte. 

Die  Bürgerschaft  hatte  wenig  Lust,  zu  diesem  Werke  die  Gelder 
zu  bewilligen.  Man  hatte  das  Mauerbauen  satt;  die  nördliche  Mauer 
hatte  des  sumpfigen  Terrains  wegen  unendlich  gröfsere  Kosten  ver- 
ursacht, als  man  veranschlagt  hatte;  man  war  ärgerlich,  eine  dritte 
Mauerlinie  bauen  zu  müssen,  wo  zwei,  richtig  angelegt,  vollkommen 
genügt  hätten,  und  Perikles  musste  mehrfach  die  ganze  Kraft  seiner 
Beredsamkeit  anwenden,  um  die  Bürger  von  der  Noth wendigkeit  des 
Baus  zu  überzeugen.  Auch  nachdem  die  Mittel  bewilligt  waren,  hatte 
das  Werk  nur  lahmen  Fortgang,  wie  die  Spottverse  des  Kratinos  be- 
zeugen: 

er  bauet  lange  schon 
Mit  seinen  Reden  emsig  dran,  das  Werk  geht  doch  nicht 

vorwärts. 

Endlich  wurde  die  Mauer  unter  Kallikrates'  Leitung  fertig,  einige 
Jahre  nach  dem  dreifsigjährigen  Frieden ;  ein  Mauergang  von  550  Fufs 
Breite  und  einer  Meile  Länge  führte  nach  dem  Thore  des  Peiraieus, 
und  nun  war  Athen  endlich  so  fest,  wie  Themistokles  gewollt  hatte. 
Es  war  so  gut  wie  eine  Inselstadt,  peloponnesischen  Landheeren  voll- 
kommen unzugänglich,  mit  der  See  in  unlösbarer  Verbindung  und 
dadurch  im  Stande,  seine  ganzen  Streitkräfte  mit  Ausnahme  der 
nöthigen  Besatzungstruppen  für  die  Flotte  zu  verwenden.  Athen  und 
Peiraieus  waren  eine  Stadt,  und  doch  hatte  jede  ihren  besonderen 
Charakter  ;  denn  sie  bildeten  als  Land-  und  Seestadt,  als  Alt-  und  Neu- 


Digitized  by  Google 


ATHENS  FLOTTE. 


235 


Stadt,  einen  sehr  bestimmten  Gegensatz  zu  einander.  Auf  dem  Boden 
Athens  erhielten  sich  in  den  alten  Häusern  noch  immer  die  Traditionen 
der  alten  Geschlechter;  im  Peiraieus  lebte  eine  bunt  zusammenge- 
setzte Bevölkerung  von  Handel,  Industrie  und  Seefahrt,  die  mit  der 
älteren  Geschichte  des  Landes  wenig  Zusammenhang  hatte. 

Je  mehr  Perikles  dem  ehrgeizigen  Streben  nach  Erweiterung  der 
Herrschaft  entgegen  war,  um  so  gröfseres  Gewicht  legte  er  darauf, 
dass  die  gewonnene  Macht  gewahrt  werde.  Attika  und  die  Inseln 
sollten  so  gut  wie  ein  Staat  und  ein  Land  sein;  er  nahm  für  Athen 
eine  Art  Territorialherrschaft  im  Archipelagus  in  Anspruch  und  ge- 
stattete für  fremde  Kriegsschiffe  eben  so  wenig  freien  Durchzug,  wie 
fremde  Heere  durch  das  Land  ziehen  durften.  Deshalb  stand  das 
Meer  fortwährend  unter  genauester  Aufsicht  Ueberall  hatte  man  wohl 
gelegene  Stationen.  In  vier  Tagen  konnte  ein  attisches  Geschwader 
vom  Peiraieus  nach  den  Gewässern  von  Rhodos  gelangen,  in  eben  so 
kurzer  Zeit  nach  dem  Pontos.  Eine  Flotte  von  sechzig  Trieren  kreuzte 
während  des  grofsten  Theils  des  Jahres  im  Inselmeer,  um  Wache  zu 
halten;  sie  diente  zugleich  als  Uebungsgesch wader,  welches  dadurch, 
dass  Schiffe  und  Mannschaft  regelmässig  wechselten,  die  ganze  Kriegs- 
macht Athens  seetüchtig  erhielt.  Auf  diese  Weise  wurde  Athen  in 
noch  höherem  Grade,  als  Sparta,  eine  stets  schlagfertige  Kriegsmacht. 
Auch  während  des  Friedens  feierte  man  nicht,  sondern  die  Waffenstill- 
stände wurden  gerade  am  eifrigsten  benutzt,  das  ganze  Material  der 
Kriegsmacht  durchzumustern,  die  alten  Schiffe  auszubessern  und  neue 
Trieren  zu  bauen. 

Im  Baue  selbst  wurden  immer  neue  ErGndungen  gemacht.  Wäh- 
rend unter  den  Schiffen,  welche  bei  Salamis  kämpften,  noch  viele 
offene  sich  befanden,  und  Themistokles  seine  ganze  Aufmerksamkeit 
darauf  richtete,  schlanke  und  leichtbewegliche  Fahrzeuge  zu  haben, 
wurden  zu  Kimons  Zeit  die  Trieren  vollständiger,  breiter  und  geräu- 
miger gebaut,  um  für  Schwerbewaffnete  mehr  Platz  zu  gewinnen;  er 
verband  die  getrennten  Theile  des  Verdecks  durch  Gänge,  welche  die 
Bewegung  der  Krieger  erleichterten.  Perikles  erfand  zum  Entern 
feindlicher  Schiffe  die  'eisernen  Hände*. 

Für  den  Zustand  von  Flotte  und  Arsenal  war  der  Rath  der 
Fünfhundert  verantwortlich,  und  das  abtretende  Collegium  erhielt 
keinen  Ehrenkranz,  wenn  ihm  eine  Verabsäumung  dieser  wichtigsten 
Aufgabe  des  Staats  vorgeworfen  werden  konnte.    Auf  vierhundert 


Digitized  by  Google 


230 


I'EIUKLES'  lil.NDESl'OLlTIK. 


Schiffe  waren  die  Kriegshäfen  Athens  berechnet.  Dreihundert  war  die 
IS'ormalzahl  der  Trieren,  die  fertig  auf  den  Werften  lagen  und  stets  be- 
reit waren,  ein  Heer  von  60,000  in's  Meer  hinauszuführen.  Die 
Bürger,  welche  als  Trierarchen  verpflichtet  waren  die  einzelnen  Schifte 
zu  führen  und  in  Stand  zu  halten,  waren  im  Voraus  bestimmt;  das 
Mobilmachen  der  Flotte  ging  rasch  von  Statten,  und  denen,  die  zu- 
erst ihr  Schiff  seeferüg  hatten,  wurde  eine  Belohnung  zu  Theil.  Unter 
der  Mannschaft  waren  viele  Schutzgenossen,  Freigelassene  und  Un- 
freie; ja  es  beruhte  die  Ruderkraft,  also  auch  die  Siegesstärke  der 
Flotte  zu  einem  sehr  bedeutenden  Theile  auf  Sklavenarmen.  Aber 
eine  grofse  Zahl  freier  Athener  bildete  den  Kern  der  Mannschaft, 
und  so  verleugnete  das  Flottenheer  seiner  bunten  und  ungleichen 
Mischung  ungeachtet  doch  nicht  den  Charakter  eines  altischen  Bür- 
gerheers "*). 

Was  die  Behandlung  der  Bundesgenossen  betrifft,  so  war  Perikles 
seiner  Klugheit  wie  seinem  Gerechtigkeitssinne  zufolge  gegen  jede 
Ueberbürdung  derselben  und  jede  aufreizende  Mafisregel.  Das  beweist 
schon  der  Umstand,  dass  gleich  nach  seinem  Tode  die  Tributsummen 
so  rasch  gestiegen  sind.  Es  war  ja  das  Verhältniss  Athens  zu  den  Bun- 
desgenossen die  Hauptstütze  seiner  Macht,  aber  zugleich  ein  zartes 
und  sehr  schwieriges  Verhältniss,  welches  die  höchste  Klugheit  und 
Vorsicht  in  Anspruch  nahm.  Der  rechte  Volksfuhrer,  dachte  Perikles, 
muss  darin  mehr  Takt  und  ein  zarteres  Gewissen  haben,  als  die  Bür- 
gerschaft im  Ganzen;  er  muss  ihren  überm üth igen  Herrscherlaunen 
entgegentreten  und  dafür  sorgen,  dass  Ungerechtigkeiten  der  Befehls- 
haber nicht  ungestraft  bleiben ;  eine  rücksichtsvolle  Gerechtigkeit,  die 
auf  Pietät  und  Vertrauen  Anspruch  machen  kann,  soll  der  Charakter 
der  attischen  Seeherrschafl  sein. 

Andererseits  vertrat  Perikles  mit  voller  Entschiedenheit  die  Ansicht, 
dass  man  mit  der  scheinbaren  Selbständigkeit  der  Kleinstaaten  keine 
Umstände  machen  müsse.  Es  gab  nach  ihm  ein  Recht  des  Stärkeren, 
das  in  der  Politik  seine  volle  Berechtigung  hat,  wie  schon  Aristeides 
anerkannt  hatte,  dass  öffentliche  Verhältnisse  nicht  nach  dem  Mafs- 
stabe  privatrechtlicher  Normen  zu  behandeln  wären.  Athen  hatte  ja 
die  Inseln  nicht  erobert ;  es  war  von  den  Seegriechen  zur  Hegemonie 
berufen,  es  war  durch  die  Verhältnisse  gezwungen  worden,  sich  an 
die  Spitze  zu  stellen  und  die  angetragene  Führerschaft  zu  übernehmen. 
Seit  es  nun  an  der  Spitze  stand,  musste  es  mit  aller  Energie  die 


Digitized  by  Google 


ATHEN  UND  DIE  BUNDESGENOSSEN. 


237 


zum  ersten  Mal  verbundenen  Gemeinden  zusammenhalten  oder  seine 
ganze  Macht  in  Frage  stellen.  Es  war  ringsum  von  lauernden 
Feinden  umgeben,  und  jeder  Abfall  von  Bundesgenossen  würde  ein 
unmittelbarer  Zuwachs  der  feindlichen  Macht  werden;  denn  die 
kleinen  Staaten  waren  ja  unfähig,  ein  Ganzes  für  sich  zu  bilden  und 
eine  eigene  Politik  zu  verfolgen.  Weichliche  Nachgiebigkeit  wäre  ein 
Aufgeben  der  Vaterstadt,  ohne  dass  den  Insulanern  daraus  Heil  er- 
wachsen konnte. 

Auch  im  peloponnesischen  Bunde  war  ja  die  Selbständigkeit  der 
Bündner  trotz  alles  Rühmens  der  Spartaner  eine  blofse  Redensart, 
und  wenn  sich  dort  mehr  Selbständigkeit  erhalten  hatte,  so  lag  der 
Grund  mehr  in  der  Schwäche  Spartas  als  in  seinem  guten  Willen. 
Athen  verfuhr  hierin  wenigstens  oflTen  und  ehrlich,  und  gerade 
Perikles  war  es,  der  rückhaltlos  und  mit  ganzer  Entschiedenheit 
den  GrundsaU  geltend  machte,  dass  Athen  keine  Verpflichtung  habe, 
den  Bündnern  Rechenschaft  zu  geben.  Das  Geld  gehört  dem,  der  es 
empfangt;  der  Empfänger  ist  nur  verpflichtet,  das  vertragsmäßig 
Festgestellte  zu  leisten.  Ob  er  dabei  übrig  behält  oder  zusetzt,  geht 
den  Zahlenden  nichts  an.  So  wurden  nun  freilich  die  Beiträge  zu 
Tributen,  die  Bundesgenossen  zu  Unterthanen,  die  Insel-  und  Küsten- 
länder zu  Provinzen,  und  es  war  nur  eine  weitere  Ausbildung  dieses 
Verhältnisses,  wenn  auch  in  den  inneren  Angelegenheiten  den  Bundes- 
staaten die  Souveränität  entzogen  wurde,  wenn  man  ihnen  zwar 
eigene  Behörden  liefs,  aber  nur  die  untere  Gerichtsbarkeit,  auch  die 
Verfassungen  der  Staaten  den  Interessen  Athens  gemäfs,  d.  h.  demo- 
kratisch, einrichtete  und  die  bürgerlichen  Zustände  durch  besondere 
Commissarien  fortwährend  beaufsichtigte.  So  war  man  am  Ende 
doch  zu  dem  gekommen,  was  Themistokles  von  Anfang  an  als  das 
Unvermeidliche  und  Notwendige  erkannt  hatte  und  was  er  ohne 
beschönigenden  Namen  und  ohne  Rücksichten  hatte  durchführen 
wollen1"). 

Indessen  war  das  Verhältniss  Athens  zu  den  Seeorten  nach  Lage, 
Gröfse  und  Bevölkerung  ein  sehr  verschiedenes. 

Zuerst  muss  man  ein  engeres  und  ein  weiteres  Machtgebiet 
unterscheiden.  Man  legte  nämlich  grofses  Gewicht  darauf,  so  weit  an 
den  Küsten  entlang  hellenische  Gemeinden  wohnten,  Athen  als  die 
hellenische  Grofsmacht  anerkannt  zu  sehen.  Darum  hatte  Aristeides 
schon  im  Pontos  Verbindungen  angeknüpft,  und  Perikles  unternahm 


Digitized  by  Google 


23  S 


GHOSSE  OD  KLEINE  BUNDESSTAATEN. 


dorthin  einen  mit  besonderem  Glanz  ausgestatteten  Seezug,  um  den 
Hellenen  und  Barbaren  daselbst  die  Macht  der  Stadt  vor  Augen  zu 
fuhren.  Man  liefs  es  sich  angelegen  sein,  den  Wünschen  der  dortigen 
Griechenstädte  entgegenzukommen  und  freundschaftliche  Verbindungen 
anzuknöpfen,  aber  man  begnügte  sich  im  Allgemeinen  mit  dem 
moralischen  Ansehen,  welches  Athen  als  Schutzmacht  aller  griechi- 
schen Seegemeinden  in  Anspruch  nehmen  konnte.  Vorübergehend 
sind  einzelne  Seeorte,  wie  z.  B.  das  im  äufsersten  Winkel  des 
schwarzen  Meeres  gelegene  Nymphaion,  tributpflichtige  Mitglieder 
des  Bundes  gewesen.  Im  Ganzen  aber  blieb  der  Pontos  außerhalb 
der  eigentlichen  Machlsphäre  Athens  und  eben  so  Makedonien, 
Karien  und  Lykien,  wenn  auch  zeitweise  das  Bundesgebiet  über 
Phaseiis  hinaus  ausgedehnt  wurde.  Auch  Städte  des  westlichen 
Meeres  kamen  zu  Zeiten  in  volle  Abhängigkeit  von  Athen;  doch  lässt 
sich  nicht  nachweisen,  dass  sie  jemals  als  tributpflichtige  und  dem 
Gerichtszwange  unterworfene  Bundesgenossen  betrachtet  worden 
wären. 

Innerhalb  des  Archipelagus  waren  Inseln  dorischer  Bevölkerung, 
wie  Melos,  Thera,  Anaphe,  die  sich  bei  Stiftung  des  Bundes  ausge- 
schlossen hatten,  fortdauernd  fern  geblieben1*4). 

Unter  den  bundesgenössischen  Orten,  den  'Städten',  wie  man 
sie  kurzweg  zu  benennen  pflegte,  hatten  sich  die  kleineren  Inseln 
ionischer  Bevölkerung  an  Athen,  als  ihre  natürliche  Hauptstadt,  am 
vollständigsten  angeschlossen.  Sie  hatten  der  Mehrzahl  nach  frei- 
willig auf  eigene  Schiffe  verzichtet,  und  durch  ihre  Wehrlosigkeit 
war  ihre  politische  Stellung  bestimmt.  Denn  wenn  sie  auch  recht- 
lich ihre  Autonomie  nicht  verloren  hatten,  so  blieb  ihnen  doch 
thatsächlich  nichts  übrig  als  den  Befehlen  der  Athener  willenlos  zu 
gehorchen. 

Anders  war  es  mit  den  gröfsern  Inseln,  welche  eigene  Kriegs- 
schiffe hatten.  Auch  diese  mussten  verlragsmäfsig  ihre  Contingenle 
stellen ;  aber  man  schonte  ihre  Souveränitätsrechte,  man  liefs  ihnen 
ihre  Verfassung,  man  gestattete  ihnen  auch  wohl,  wenigstens  der 
Form  nach,  eine  gewisse  Betheiligung  an  den  wichtigern  Beschlüssen ; 
man  befleißigte  sich  ihren  Eifer  anzuerkennen  und  öffentlich  zu 
ehren,  wie  dies  die  Mytiienäer  selbst  bezeugten,  als  sie  mit  Sparta 
in  Unterhandlung  traten.  Diese  Staaten  hatten  selbst  wieder  ab- 
hängige Ortschaften  und  führten  mit  ihren  Nachbarn  Kriege,  in 


Digitized  by  Google 


SA  MOS  VHÜ  MILET  IM  KRIEG  440  (M,  4). 


239 


welche  sich  Athen  erst  einmischte,  nachdem  es  von  einer  der  streiten- 
den Parteien  angerufen  worden  war.  Das  bekannteste  Beispiel  ist  die 
Fehde  zwischen  Samos  und  Milet. 

Samos  war  nach  Unterwerfung  von  Thasos  und  Aigina  unter 
allen  Bundesinseln  diejenige,  welche  am  meisten  Anspruch  auf 
Selbständigkeit  machte.  Sie  war  ja  eine  Zeitlang  die  erste  Seemacht 
im  Archipelagus  gewesen;  sie  hatte  aus  jener  Zeit  eine  wohlge- 
schulte Marine,  einen  stattlichen  Kriegshafen  und  eigene  Colonien 
(I,  593);  ihre  Bewohner  hatten  unter  allen  Ioniern  zur  Befreiung 
der  asiatischen  Inseln  und  Küsten  am  meisten  beigetragen  und 
waren  deshalb  von  Athen  mit  besonderer  Rücksicht  behandelt  worden. 
Hier  war  ionische  Bildung  am  reichsten  entfaltet,  hier  die  lebendigste 
Erinnerung  früherer  GröÜse  und  selbständiger  Geschichte.  Die 
Leitung  der  Gemeinde  lag  aber  in  den  Händen  einer  Aristokratie, 
welche  die  demokratischen  Bewegungen  niederzuhalten,  jede  Ein- 
mischung Athens  abzuwenden  und  die  ihnen  zustehende  Autonomie 
zur  vollen  Wahrheit  zu  machen  suchte. 

Es  handelte  sich  zwischen  Samos  und  Milet  um  den  Besitz  von 
Priene,  welches  der  Insel  gegenüber  zwischen  dem  milesischen  Ge- 
biete und  dem  festländischen  Besitze  der  Samier  lag.  Im  sechsten 
Jahre  des  von  Perikles  begründeten  allgemeinen  Friedens  (S.  185) 
brach  der  Krieg  aus;  die  Milesier  konnten  Priene  nicht  halten,  sie 
wandten  sich  nach  Athen,  wo  sie  von  der  demokratischen  Partei 
der  Samier  unterstützt  wurden.  Athen  verlangte,  dass  man  seiner 
Entscheidung  die  Streitsache  anheimstellen  solle,  und  als  die  samische 
Regierung  dies  verweigerte,  ging  Perikles  als  Feldherr  unverweilt  mit 
40  SchhTen  in  See,  und  ohne  dass  ein  erheblicher  Widerstand  er- 
folgte, wurde  in  Samos  durch  attische  Commissarien  eine  demo- 
kratische Verfassung  eingerichtet;  zugleich  suchte  man  die  neue 
Ordnung  der  Dinge  dadurch  zu  sichern,  dass  man  aus  dem  Kreise 
der  adligen  Familien  fünfzig  Männer  und  eben  so  viel  Knaben  als 
Geiseln  nach  Lemnos  bei  den  dort  ansässigen  Atheuern  in  Ver- 
wahrsam brachte.  Die  oligarchische  Partei  war  aber  nichts  weniger 
als  entmuthigt.  Ihre  aus  Samos  flüchtigen  Führer  verschafften  sich 
Zuzug  von  Pissuthnes,  dem  Satrapen  in  Sardes;  sie  traten  mit  Byzanz 
in  Verbindung,  sie  wussten  ihre  Geiseln  zu  befreien,  die  attische 
Garnison  bei  Nacht  zu  überwältigen,  und  erklärten  dann  offen  ihren 
Abiall  von  Athen. 


Digitized  by  Google 


210 


BELAGERUNG  VON  SAMOS  (85,  1;  440). 


Die  Lage  war  sehr  ernst;  es  war  der  Anfang  eines  Bundes- 
genossenkriegs. Zündstoff  war  überall;  die  Unlust  der  Bündner 
Kriegssteuern  zu  zahlen  war  während  der  Friedensjahre  mehr  und 
mehr  gestiegen,  die  Perser  mischten  sich  ein,  die  phönikische  Flotte 
war  aufgeboten,  endlich  wurde  auch  Sparta  zur  Unterstützung  auf- 
gefordert und  eine  mächtige  Partei  daselbst  war,  des  eben  abge- 
schlossenen Friedens  ungeachtet,  für  Gewährung  des  Hülfsgesuchs. 
Es  wurde  geltend  gemacht,  dass  eine  günstigere  Gelegenheit,  für 
die  Freiheit  hellenischer  Gemeinden  einzutreten,  sich  nicht  finden 
werde,  man  dürfe  deshalb  das  mächtige  Samos  nicht  fallen  lassen. 

Auf  der  Insel  stand  Melissos,  des  Ithagenes  Sohn,  ein  Philosoph 
aus  der  Schule  des  Parmenides,  an  der  Spitze  der  Bewegung,  ein 
Mann,  der  sich  als  Feldherr  durch  Einsicht  und  Thatkraft  auszeichnete. 
Von  ihm  geführt,  gingen  die  Oligarchen  mit  solcher  Kühnheit  vor, 
dass  sie  nach  Wiederherstellung  ihrer  Herrschan  den  Krieg  auf  dem 
Festlande  unverzüglich  wieder  aufnahmen,  ohne  Zweifel,  um  hier 
eine  feste  Stellung  zu  gewinnen  und  sich  mit  dem  Binnenlande  in 
Verbindung  zu  setzen. 

Nur  die  gröfste  Entschlossenheit  konnte  das  Ansehen  Athens 
retten.  Perikles  erschien  mit  sechzig  Schiffen  vor  Samos  (Ol.  85, 
1;  440),  schickte  sechzehn  derselben  theils  nach  dem  karischen 
Meere,  um  die  Bewegungen  der  phünikischen  Schiffe  zu  beobachten, 
die  im  Frühjahre  auslaufen  sollten,  theils  nach  Chios  und  Lesbos, 
um  die  Bundesmacht  aufzubieten;  zu  dieser  Sendung  benutzte  er 
seinen  Amtsgenossen  Sophokles,  welcher  im  Jahre  zuvor  mit  der 
Antigone  gesiegt  hatte.  Er  selbst  schlug  mit  den  übrigen  Schiffen 
die  siebzig  Segel  starke  Flotte  der  Samier,  die  vom  Festlande  heran- 
kam, und  schloss  dann,  durch  neuen  Zuzug  verstärkt,  die  Stadt 
Samos  auf  der  Land-  und  Seeseite  ein. 

Da  wurde  die  Annäherung  der  Phönizier  gemeldet.  Perikles  eilte 
ihnen  mit  allen  entbehrlichen  Schiffen  entgegen;  die  Belagerten  aber 
benutzten  seine  Entfernung,  durchbrachen  unter  Melissos'  Führung  die 
Biokade  und  beherrschten  vierzehn  Tage  lang  das  Meer,  so  dass  sie 
sich  mit  Waffen  und  Lebensmitteln  versehen  konnten  und  für  jeden 
Zuzug  der  Weg  frei  war.  Aber  die  Peloponnesier  blieben  aus.  Denn  auf 
der  von  Sparta  berufenen  Tagesatzung  hatten  die  Koriniher,  welche  das 
griechische  Colonialrecht  ausgebildet  haben  (I,  266),  gegen  Sparta  den 
Grundsatz  geltend  gemacht,  dass  jeder  Mutterstadt  das  Recht  zustehen 


Digitized  by  Google 


SA  MOS  UND  BYZAltZ  BESIEGT  (M,  1;  439). 


241 


müsse,  ihre  Bundesgenossen  in  Ordnung  zu  halten  und  zu  zuchtigen. 
Sa  mos  blieb  allein;  die  Phönizier  waren  zurückgeworfen,  und  als 
Perikles  aus  dem  südlichen  Meere  wieder  bei  Samos  anlangte,  schlug 
er  Melissos  und  erneuerte  die  Blokade. 

Im  Sommer  kamen  neue  Feldherrn  von  Athen,  darunter  Hagnon 
und  Phormion,  mit  neunzig  neu  gerüsteten  Trieren;  Perikles  wurde 
sein  Feldherrnamt  au/serordentlicher  Weise  verlängert  und  durch  die 
Belagerungsmaschinen,  welche  sein  trefflicher  Ingenieur  Artemon  er- 
baut hatte,  unterstützt,  erreichte  er  es,  dass  im  neunten  Monate  nach 
Ausbruch  des  Kampfs  die  Samier  sich  ergeben  mussten.  Ihre  Trieren 
wurden  ausgeliefert,  ihre  Mauern  geschleift;  sie  mussten  Geiseln 
stellen,  die  Kriegskosten  zahlen,  die  Verfassung  nach  dem  Willen  der 
Athener  ändern  und  auf  jede  Selbständigkeit  verzichten.  Die  Insel 
Amorgos,  früher  von  Samos  abhängig,  trat  jetzt  in  die  Reihe  der  den 
Athenern  tributpflichtigen  Bundesgenossen  ein. 

Die  Urkunde,  in  welcher  die  Schatzmeister  der  Athena  über  die 
aus  dem  Schatze  für  den  samischen  Krieg  gezahlten  Summen  Rechnung 
ablegen,  ergiebt,  dass  über  1276  Talente  (c.  5,817,000  M.)  ausgegeben 
worden  sind126). 

Dieser  sa mische  Krieg,  von  beiden  Seiten  mit  bewunderungs- 
würdiger Energie  geführt,  hatte  weitreichende  Folgen.  Der  einzige 
Staat,  der  Athen  gefährlich  werden  konnte,  war  vollständig  ge- 
demüthigt,  Perikles'  Ansehen  aber  durch  den  kurzen  und  ruhmvollen 
Feldzug  ungemein  befestigt;  auch  das  Missgeschick  der  Athener  hatte 
nur  dazu  gedient,  seine  Unentbehrlichkeit  von  Neuem  zu  beweisen. 
Gleichzeitig  musste  Byzanz  wieder  in  den  Bund  eintreten.  Lesbos  und 
Chios  blieben  also  die  einzigen  selbständigen  Staaten  unter  den  Bundes- 
genossen. Alle  übrigen  waren  in  gleicher  Weise  den  Athenern  unter- 
thänig,  wenn  es  auch  nicht  möglich  war,  in  den  Städten  des  jenseitigen 
Festlandes  die  Abhängigkeit  von  Athen  und  namentlich  den  Gerichts- 
zwang in  gleicher  Strenge  durchzuführen,  wie  in  den  nächstgelegenen 
Inseln.  Es  waren  aber  ausserdem  noch  viele  andere  Unterschiede  in 
der  Stellung  der  Eidgenossen. 

Es  gab  begünstigte  Städte,  welche  nach  der  ursprünglichen 
Schätzung  des  Aristeides  ihren  Tribut  fortzahlten;  andere,  die  nach 
einer  ihnen  überlassenen  Selbstschätzung  steuerten.  Mit  einer  Reihe 
von  Städten  waren  schon  bei  ihrem  Eintritte  in  den  Bund  nach  den 
Siegen  bei  Mykale  und  am  Eurymedon  besondere  Verträge  geschlossen, 

CartiBi,  Gr.  Gweh.  II.  6.  Aufl.  *1C 


Digitized  by  Google 


242 


DIE  EPOCHEN   DES  SEEHUNDES. 


welche  mit  den  Verpflichtungen  gegen  den  Vorort  zugleich  die  ein- 
heimische Verfassung  regelten  und  die  Grundlage  des  spateren  Ver- 
hältnisses blieben,  so  mit  Erythrai,  Kolophon  u.  a.  Attische  Com- 
missare  (Episkopoi)  und  Befehlshaber  attischer  Truppen  (Phrurarchoi) 
finden  wir  in  den  Städten  anwesend,  um  die  neuen  Verfassungen  ein- 
zuführen, und  solche  Beamte  waren  nicht  nur  bei  dem  ersten  Eintritt 
der  Städte  in  den  Bund  thätig,  sondern  sie  wurden  auch  in  späterer  Zeit 
verwendet,  um  dem  Bedürfnis^  gemäß*  das  Interesse  des  Vororts  wahr- 
zunehmen und  mit  Hülfe  attischer  Besatzungen  das  Bundesgebiet  in 
Botmäfsigkeit  und  Sicherheit  zu  erhallen. 

Die  Mannigfaltigkeit  der  Rechtsverhältnisse  innerhalb  des  Bundes- 
gebiets trug  wesentlich  dazu  bei,  die  Herrschaft  Athens  zu  sichern. 
Denn  dadurch  verminderte  sich  die  Gefahr  eines  gemeinsamen  Abfalls 
der  Bundesgenossen,  die  aufserdem  durch  ihre  weithin  zerstreuten 
Wohnsitze  so  wie  durch  Stammverschiedenheit  und  durch  nachbar- 
liche Eifersucht  von  einander  getrennt,  nicht  dazu  gelangen  konnten, 
sich  gemeinsam  gegen  Athen  zu  erheben.  Nur  ein  Gefühl  war  überall 
dasselbe,  die  Furcht  vor  der  immer  nahen  Kriegsflotte.  Auch  wirkte 
der  Gerichtszwang  dahin,  dass  man  Alles  vermied,  was  eine  Verstim- 
mung in  der  Hauptstadt  erregen  und  bei  vorkommenden  Prozessen 
einen  nachtheiligen  Einfluss  üben  konnte. 

So  war,  wenn  wir  zurückblicken,  in  einer  Reihe  von  Stufen 
Schritt  für  Schritt  eine  der  merkwürdigsten  Reichsbild angen  zu  Stande 
gekommen. 

Der  Keim  war  eine  Gruppe  von  Gontingenten  der  gegen  Persien 
kämpfenden  Seegriechen,  welche  sich  freiwillig  zu  einem  Sonderbunde 
an  Athen  anschlössen  und  sich,  ohne  an  eine  Beeinträchtigung  ihrer 
Autonomie  zu  denken,  zu  bestimmten  Leistungen  verpflichteten 
(S.  125).  Nachdem  diese  Anfänge  sich  gelegentlich  gemacht  hatten, 
folgte  die  planmäßige  Erweiterung  des  Seebundes  durch  die  Feldzüge 
Kimons  erst  an  der  hellespontischen  und  thrakischen  Küste  und  dann 
in  Ionien  und  Karien,  bis  Phaseiis  (S.  135).  Mit  der  Eurymedon- 
schlacht  trat  die  dritte  Epoche  ein.  Nachdem  die  Bundesgenossen- 
schaft die  nothwendige  Abrundung  erhalten  hatte,  wurde  sie  reichs- 
mäfsig  organisirt,  das  Reichsbudget  festgestellt,  die  Reichskasse  einge- 
richtet, und  die  Matricularbeiträge  wurden  mehr  und  mehr  zu  Tributen. 
Die  vierte  Epoche  war  die  Verlegung  der  Kasse  nach  der  Reichshaupt- 
stadt (S.  163)  und  als  fünfte  können  wir  den  samischen  Krieg  an- 


Digitized  by  Google 


DIE  QUARTIERE   DES  SEEBUNDES. 


243 


sehen ;  denn  der  rasche  Erfolg  trug  wesentlich  dazu  bei,  die  Herrschaft 
der  Athener  im  ganzen  Insel-  und  Küstengebiet  zu  befestigen,  und  die 
Einkünfte  waren  durch  die  in  Terminen  abzuzahlenden  200  Talente, 
die  den  Samiern  als  Kriegskostenentschädigung  aufgelegt  waren,  an- 
sehnlich erhöht 

Während  dieser  Epochen  hatte  sich  auch  die  Verwaltung  des 
Bundesgebiets  stufenweise  ausgebildet.  Aristeides  hatte  begonnen,  die 
ptlichtmäfsigen  Leistungen  der  einzelnen  Bundesgenossen  nach  ge- 
rechter Vertheilung  auf  Grund  gegenseitiger  Uebereinkunfl  festzu- 
stellen. Seine  Ansätze  blieben  die  Grundlage  für  das  Reichsbudget,  das 
nach  seinem  Tode  eingerichtet  wurde,  und  was  früher  auf  dem 
Wege  des  Vertrags  geordnet  worden  war,  wurde  spater  von  den  Be- 
hörden der  Hauptstadt  festgesetzt  und  mit  ihrem  Finanzwesen  eng 
verbunden. 

Ein  Zweites  war  die  Gruppirung  der  eidgenössischen  Gemeinden 
nach  Bezirken  oder  Quartieren.  Für  eine  Organisation  dieser  Art  gab 
es  in  der  griechischen  Geschichte  keine  Vorgänge,  und  es  ist  nicht  un- 
wahrscheinlich, dass  hier  die  Steuerbezirke  des  Perserreichs  als  Vor- 
bild benutzt  wurden;  die  Bezirksein theilung  ist  aber  nicht  erst  in  der 
Zeit  entstanden,  als  das  gesamte  Bundesgebiet  abgerundet  den  Athenern 
vorlag,  sondern  sie  ist,  wie  wir  annehmen  müssen  (denn  in  der  Ge- 
schichte der  inneren  Verwaltung  sind  die  Stufen  nur  undeutlich  zu 
erkennen),  der  Entwickelung  der  politischen  Verhältnisse  schrittweise 
gefolgt.  Die  ersten  Bundesgenossen  vereinigte  man  nämlich  zu  einem 
'Inselquartier\  da  die  Cykladen  von  Natur  zu  Attika  gehörten.  Aber 
auch  so  fern  liegende  Eilande,  wie  Lemnos  und  Imbros,  hat  man.  weil 
sie  zum  Kern  der  ältesten  Eidgenossenschaft  gehörten,  diesem  Kreise 
angeschlossen.  Das  waren  die  ersten  administrativen  Einrichtungen, 
die  wahre^ednlich  von  demselben  Staatsmanne  herrühren,  welcher  der 
Hann  des  allgemeinen  Vertrauens  war  und  in  der  Abschätzung  der 
Bunilesorte  sein  organisatorisches  Talent  bewährt  hatte. 

Als  der  Gang  der  Ereignisse  die  Erwartungen  der  Athener  weit 
überholt  hatte,  wurden  neue  Verwaltungsbezirke  nöthig.  Das  'helles- 
pon tische'  Quartier  wurde  eingerichtet,  um  die  beiden  Ufer  des  Helles- 
ponts,  die  Städte  der  Propontis  und  des  Bosporos  so  wie  einen  Theil 
von  Aeolis  mit  Tenedos  aufzunehmen ;  das  'thrakische'  Quartier  um- 
fasste  die  Städte  Thraciens  und  Macedoniens  nebst  Samothrake  und 
den  nördlichen  Sporaden.  Die  äolischen  Küstenstädte  Ioniens  bildeten 

16* 


Digitized  by  Google 


244  DAS   ATTISCHE  Kl  STE^REICH 


den  'ionischen'  und  die  der  karisch-lykischen  Küste  nebst  Rhodos  und 
den  umliegenden  Inseln  den  'karischen'  Kreis. 

So  ist  der  natürliche  Zusammenhang  der  Seegestade,  auf  welchem 
die  ganze  Geschichte  der  Hellenen  beruht,  durch  die  Klugheit  und 
Thalkraft  der  attischen  Burgerschaft  politisch  durchgeführt  worden. 
Eine  Küstenstrecke  von  ungefähr  1200  geogr.  Meilen  Länge,  von  zu- 
sammengehörigen, aber  weit  zerstreuten  und  schwer  zu  einigenden 
Bürgergemeinden  bewohnt,  war  zum  ersten  Mal  ein  Ganzes  geworden 
und  durch  administrative  wie  militärische  Organisation  zu  einem  Reiche 
vereinigt,  das  durch  ein  straffes  Regiment  zusammengehalten  wurde. 
Das  ägäische  Meer  wurde  in  dem  Grade  attisches  Reichsgebiet,  dass 
das  Erscheinen  lakedämonischer  Kriegsschiffe  im  Norden  des  Pelo- 
ponnes  als  eine  Gebietsverletzung  angesehen  wurde.  Wie  der  Grofs- 
könig  den  jenseitigen  Gontinent  und  Sparta  die  dorische  Haibinse), 
so  nahm  Athen  das  ganze  Seegebiet  bis  zum  Pontos  für  sich  in  An- 
spruch und  rechnete  dazu  auch  diejenigen  Städte,  welche  thatsächlich 
unabhängig  waren"7). 


Die  Erhebung  Athens  von  der  Hauptstadt  des  Ländchens  Attika 
zu  einem  regierenden  Bundeshaupte  der  Seestädte  musste  auch  auf  die 
innere  Staatsverwaltung,  namentlich  auf  den  ganzen  Staatshaushalt 
einen  durchgreifenden  Einfluss  ausüben.  Freilich  sollte  die  Tüchtig- 
keit der  Bürger  nach  wie  vor  das  Hauptkapital  des  Staats  bleiben; 
die  Athener  sollten  nicht  auf  ihren  Lorbeem  ruhen,  sondern  fort- 
fahren, durch  Tapferkeit  und  Kriegsübung  die  Vorkämpfer  der  Bundes- 
genossen zu  sein.  Aber  dies  durfte  nicht  die  einzige  Grundlage  bleiben. 
Seit  Athen  Seemacht  geworden,  war  das  Geld  der  Nerv  des  Staats, 
und  wenn  in  älteren  Zeiten  die  Finanzverwaltung  noch  keinen  be- 
sondern Zweig  der  Staatsverwaltung  gebildet  hatte,  so  war  es  jetzt 
anders,  und  die  Weisheit  attischer  Staatsmänner  musste  sich  jetzt 
vorzugsweise  darin  zeigen,  dass  sie  die  öffentlichen  Hülfsquellen  auf- 
zufinden, zu  organisiren  und  zweckmässig  zu  benutzen  wussten. 

Wie  in  einem  wohlbestellten  Hauswesen  die  Bedürfnisse  aus  den 
festen  Einkünften  eigener  Güter  bestritten  werden,  so  bestritt  auch  der 
Staat  seinen  Bedarf  zunächst  aus  dem,  was  ihm  aus  seinen  Besitzungen 
an  Forsten,  Triften,  Ländereien,  Häusern,  Bergwerken,  Fruchtbäumen 
u.  s.  w.  zufloss ;  dazu  kamen  die  Zölle.  Beide  Arten  von  Einkünften, 


Digitized  by  Google 


EIKKÜNFTE  ATHENS. 


245 


welche  nicht  unmittelbar  vom  Staate  eingezogen,  sondern  in  Pacht  ge- 
geben wurden,  waren  durch  die  Machterweiterung  Athens  wesentlich 
vergröfsert  worden.  Von  den  Domänen  der  unterworfenen  Staaten 
waren  manche  in  den  unmittelbaren  Besitz  des  attischen  Staats  über- 
gegangen, wie  dies  z.  B.  von  den  thrakischen  Bergwerken  angenommen 
werden  darf.  Eben  so  hatten  sich  mit  dem  Aufschwünge  des  Handels 
die  Zolleinnahmen  ungemein  gehoben,  sowohl  die  Ertrage  der  Ein-  und 
Ausfuhrzölle,  welche  den  Grofshändler,  als  auch  die  der  Marktzölle, 
welche  den  Kleinhändler  trafen.  In  gleichem  Mafse  waren  diejenigen  Ein- 
nahmen gestiegen,  welche  als  Kopf-  und  Gewerbsleuer  von  den  Schutz- 
verwandten  einkamen,  da  dieser  Stand  seit  Themistokles  an  Zahl  und 
Bedeutung  aufserordentlich  zugenommen  hatte.  Endlich  waren  durch 
die  vermehrten  Rechtshändel  die  Gerichtsgebühren,  Geldbufsen  und 
Strafgelder,  welche  einen  sehr  bedeutenden  Theil  der  öffentlichen  Ein- 
künfte bildeten,  vervielfältigt.  Mit  diesen  Einnahmen  konnte  der  Staat 
bestehen,  ohne  die  Steuerkraft  seiner  Bürger  unmittelbar  in  Anspruch 
zu  nehmen,  und  deshalb  blieb  Athen  von  allen  finanziellen  Verlegen- 
heiten und  von  allen  Klagen  über  Abgabendruck  lange  Zeit  unberührt. 
Denn  was  an  indirekten  Abgaben  von  den  Handel-  und  Gewerbe- 
treibenden erlegt  wurde,  war  ja  im  Grunde  nur  eine  Gegenleistung 
an  den  Staat,  der  den  Verkehr  schützte  und  (orderte,  und  konnte 
von  denen,  welche  die  Abgaben  entrichteten,  leicht  wieder  eingebracht 
werden *"). 

Wenn  aber  die  Bürger  auch  nicht  als  Steuerzahler  den  ge- 
wöhnlichen Bedarf  des  Staats  herbeizuschaffen  hatten,  so  standen  sie 
dennoch  der  Vaterstadt,  so  oft  diese  zu  besonderen  Zwecken  ihrer  be- 
durfte, mit  Allem,  was  sie  besafsen,  zu  Diensten.  Die  Veranlassungen 
zu  besonderem  Aufwände  lagen  aher  vorzugsweise  in  den  öffentlichen 
Festen  und  in  den  Kriegsrüstungen.  Diese  Ausgaben  wurden  zum 
grofsen  Theile  unmittelbar  aus  dem  Vermögen  der  reichen  Bürger  be- 
stritten, welche  von  ihren  Mitbürgern  aus  den  zehn  Stammen  aus- 
gewählt wurden  und  in  einer  gewissen  Reihenfolge  die  in  jedem  Jahre 
wiederkehrenden  so  wie  die  aufserordentlichen  Ausgaben  als  Staats- 
leistungen oder  'Liturgien'  übernahmen. 

Zu  den  regelmäßigen  Liturgien  gehörte  die  Einübung  und  der 
Unterhalt  der  Chöre,  welche  in  scenischen  und  musikalischen  Auf- 
führungen mit  einander  wetteiferten,  ferner  die  Vorbereitung  der 
anderen  Wettkämpfe,  welche  zu  Pferde  und  zu  Fufs  auf  den  Renn- 


Digitized  by  Google 


246 


ÖFFENTLICHE  LEISTUNGEN  (LITURGIEN). 


bahnen  und  auf  den  Ringplätzen  oder  zu  Schüre  abgehalten  wurden; 
außerdem  die  Uebernahme  von  Festgesandtschaften  zu  auswärtigen 
Heiligthümern,  die  Besorgung  feierlicher  Umzöge,  die  Speisung  der 
Stammgenossen  bei  festlichen  Veranlassungen  u.  s.  w.  Zu  den  ausser- 
ordentlichen Liturgien  gehörte  Tor  Allem  die  Trierarchie,  d.  h.  die 
Verpflichtung  der  Bürger,  die  dem  Staate  gehörigen  Schiffe  in  segel- 
fertigen Zustand  zu  setzen,  Mannschaft  anzuwerben  so  wie  mancherlei 
Unkosten  und  Vorschüsse  dabei  für  den  Staat  zu  übernehmen. 

Die  Schattenseiten  dieser  Einrichtungen  sind  nicht  zu  verkennen; 
denn  es  war  unmöglich,  auf  diese  Weise  eine  gerechte  Verkeilung  der 
Staatslasten  zu  erzielen.  Durch  eine  Gränzlinie,  welche  immer  etwas 
Willkürliches  behalten  musste,  wurde  die  ganze  Bürgerschaft  in  zwei 
Hälften  getheilt,  in  die  der  Vermögenden  und  der  Unvermögenden.  Die 
Einen  wurden  gar  nicht  in  Anspruch  genommen;  sie  wollten  nur  vom 
Staate  verdienen  und  durch  ihn  geniefsen,  die  Anderen  wurden  über- 
mässig angestrengt.  Von  den  Reichen  wiederum  wussten  sich  Einige 
den  Lasten  möglichst  zu  entziehen,  während  Andere  aus  Patriotismus 
oder  aus  Eitelkeit  ihr  Vermögen  zu  Grunde  richteten.  Denn  der  Staat 
rechnete,  namentlich  bei  den  Leistungen  für  das  Kriegswesen,  auf  die 
opferbereite  Gesinnung  seiner  Bürger,  und  das  Volk  gewöhnte  sich,  bei 
der  Ausstattung  der  Feste  seine  Ansprüche  fortwährend  zu  steigern. 
So  lange  aber  der  Wohlstand  der  Bürger  blühte  und  der  Gemeinsinn 
lebendig  war,  hatte  der  Staat  von  dem  System  der  Liturgien  unzweifel- 
haft den  gröfsten  Vortheil.  Denn  es  wurden  der  Staatskasse  dadurch 
sehr  bedeutende  Ausgaben  abgenommen  und  gerade  solche,  bei  denen 
eine  sparsame  Einrichtung  unstatthaft  war.  Die  öffentlichen  Leistungen 
waren  eine  Ehrensache  und  ein  Gegenstand  des  Wetteifers.  Auch 
waren  die  Liturgien  nicht  blofs  Geldopfer,  sondern  sie  waren  mit  per- 
sönlichem Dienste  verbunden,  welcher  Tüchtigkeit  und  Geschick  ver- 
langte und  deshalb  die  Ausbildung  der  Bürger  für  alle  Seiten  des 
Staatslebens  in  Krieg  und  Frieden  beförderte.  Die  Choregen  führten 
in  älterer  Zeil  selbst  ihren  Chor,  die  Trierarchen  ihr  Schiff;  sie 
hatten  zugleich  ein  Aufsichtsrecht  über  die  von  ihnen  angestellten 
Leute  und  wurden  so  durch  Ehre  und  Einfluss  für  ihre  Opfer  einiger- 
maßen entschädigt1"). 

Wenn  das  System  der  Liturgien  auch  erst  mit  der  Demokratie 
und  Seeherrschaft  seine  volle  Entwickelung  erhielt,  so  war  es  doch 
schon  in  früherer  Zeit  begründet;  denn  wahrscheinlich  ist  auch  hier 


Digitized  by  Google 


DIE  TRIBUTE. 


247 


Peisistratos  der  schöpferische  Staatsmann  gewesen,  der  auf  diese 
Weise  das  Kapital  heranzog,  um  die  städtischen  Feste  zu  heben. 
Etwas  ganz  Neues  in  der  griechischen  Geschichte  waren  nun  aber 
die  Staatseinkünfte,  welche  aus  der  Steuer  der  Bundesgenossen  ein- 
gingen, in  so  fern  sie  nicht  wie  im  Peloponnes  nach  dem  Bedürf- 
nisse des  Augenblicks  ausgeschrieben,  sondern  regelmäfsig  Jahr  für 
Jahr  eingezahlt  wurden  und  demnach  als  feste  Summen  im  Budget 
verrechnet  und  im  Staatshaushalte  verwendet  werden  konnten. 

460  Talente  (zu  4715  Mark)  bilden  die  erste  feste  Summe, 
welche  als  Jabresbetrag  der  Bundeseinnahme  überliefert  ist.  Diese 
Feststellung  erfolgte  gleichzeitig  mit  der  Einsetzung  der  Helleno- 
tamien,  welche  die  Beiträge  in  Empfang  nahmen.  Wann  diese  Ord- 
nung der  Dinge  eingetreten  ist,  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  be- 
stimmen; wahrscheinlich  erst  nach  den  grofsen  Siegen  Kimons,  als 
bei  zunehmender  Sicherheit  die  Seestädte  sich  aus  Bequemlichkeit 
durch  Geldzahlung  mit  dem  Vororte  abzufinden  liebten.  Dazu  kamen 
die  Bundesexekutionen,  welche  der  Stellung  eigener  Schiffe  ein  Ende 
machten. 

Die  Tributsätze  waren  seit  Aristeides  der  finanziellen  Leistungs- 
fähigkeit der  Stadtgemeinden  entsprechend  angesetzt.  Es  wurde  Ge- 
brauch, die  Sätze  alle  vier  Jahre  einer  Revision  zu  unterziehen,  und 
zu  diesem  Geschäfte  wurden  besondere  Beamte  (Taktai),  als  Ver- 
trauensmänner der  athenischen  Bürgerschaft,  durch  Wahl  berufen, 
je  zwei  für  jeden  Steuerbezirk.  So  hatten  die  Staatsmänner  der 
Hauptstadt  Veranlassung,  die  inneren  Verbältnisse  der  einzelnen  Bundes- 
orte genau  kennen  zu  lernen. 

Die  erhaltenen  Tributlisten  geben  also  einen  Maftstab  für  den 
Wohlstand  der  Stadigemeinde,  die  nun  zuerst  zu  einem  Ganzen  ver- 
einigt war.  Die  finanzielle  Lage  war  aber  nicht  das  allein  Mafs- 
gehende.  Von  den  Städten,  die  am  Helles pont  nahe  zusammen  lagen, 
zahlten  Abydos  4,  Lampsakos  12,  Perinthos  10,  Selymbria  5,  Chal- 
kedon  9,  Byzanz  15  Talente,  Rhodos  ohne  seine  festländischen  Be- 
sitzungen 18,  Lindos  später  allein  15. 

Wo  Erwerbsquellen  besonderer  Art  vorhanden  waren,  finden 
wir  auch  aufserortlenlliche  Steuersätze.  So  bei  Paros  16  (später 
30)  Talente.  Es  scheint,  dass  man  die  Marmorbrüche  als  eine  Art 
von  Reichsdomänen  ansah,  welche  man  den  Insulanern  zur  Benutzung 
überliefs.   Aus  gleichem  Gesichtspunkte  werden  auch  die  30  Talente 


Digitized  by  Google 


248 


DIE  TRIBUTE. 


zu  erklären  sein,  auf  welche  das  metallreiche  Thasos  erhöht  wurde. 
Die  30  Talente  der  Aegineten  müssen  dagegen  als  Strafsatz  gelten, 
als  eine  Art  stehender  Kriegscontribution ,  durch  welche  eine  un- 
barmherzige Politik  die  letzten  Ueberreste  des  alten  Reichthums  der 
Insel  aufzehren  wollte. 

Andererseits  gab  es  Gegenden,  in  denen  eine  kluge  Politik 
Vorsicht  und  Schonung  zur  Pflicht  machte.  Das  waren  besonders 
die  ferneren  Gränzbezirke,  die  man  nicht  so  sicher  in  der  Hand 
hatte.  Hier  durfte  man  den  Städten  nicht  Anlass  geben  sich  zu  be- 
klagen, dass  sie  in  der  attischen  Bundesgemeinschaft  schwerer 
belastet  seien  als  einst  im  Perserreich.  Eine  schonende  Behandlung 
zeigt  sich  bei  den  Städten  um  den  karischen  Golf,  wo  die  5  Talente 
der  Insel  Kos  den  höchsten  Steuersatz  bilden.  Auch  in  Ionien  und 
Aeolis.  Milet  zahlt  mit  Leros,  Teichiussa  u.  a.  10  Talente,  Kolophou, 
Phokaia  je  3;  Ephesos  1%%  zeitweise  6.  Man  glaubte  wohl  die 
Priesterschaft  des  reichen  Heiligthums  ihres  großen  Einflusses  wegen 
mit  besonderer  Rücksicht  behandeln  zu  müssen. 

Alle  Rücksichten  dieser  Art  fielen  weg,  wo  es  sich  um  Gegen- 
den handelte,  die  im  nächsten  Umkreise  attischer  Macht  lagen.  Darum 
sehen  wir  bei  dem  Inseltribut  die  verhältnissmälsig  höchsten  Sätze. 
6  Talente  4000  Drachmen  bei  Naxos,  12  (später  15)  bei  Andros,  3  bei 
Kythnos.  Die  euböischen  Städte  finden  wir  nach  Besieg ung  von  Chalkis 
(S.  180)  auf  33  Talente  eingeschätzt. 

Ganz  absonderlich  sind  die  Rubriken  derjenigen  Städte,  welche 
'sich  selbst  die  Tributzahlung  aufgelegt  haben'  und  'welche  von 
Privatleuten  als  tributzahlende  Städte  eingeschrieben  worden  sind', 
zwei  Rubriken  auf  der  Liste  von  85,  4;  437.  In  beiden  Rubriken 
finden  wir  vorzugsweise  thrakische  Städte,  und  es  ist  vorauszusetzen, 
dass  man  um  die  Zeit  der  Gründung  von  Amphipolis  die  an  dieser 
Küste  gelegenen  Orte  durch  freundliche  Behandlung  zu  gewinnen  sich 
besonders  angelegen  sein  liefe.  Amorgos  dagegen,  das  zur  ersten 
dieser  Rubriken  gehört,  war  den  Samiern  tributpflichtig  gewesen. 
Wahrscheinlich  hatte  sich  also  die  Insel  bei  dem  samischen  Kriege 
freiwillig  an  Athen  angeschlossen  und  war  deshalb,  als  die  samische 
Bundesgenossenschaft  aufgelöst  war,  durch  eine  bevorzugte  Stellung 
belohnt  worden;  ebenso  die  dorischen  Sporaden,  Kasos  und  Syme. 
Wenn  aber  einzelne  Städte,  auch  meistens  in  Thracien  gelegen, 
durch  Vermittelung  von  Privatleuten  in  den  Bund  eingeführt  worden 


DIE  TRIBUTE. 


249 


sind,  so  lässt  sieb  vermulben,  dass  Bürger  derselben,  etwa  die  wohl- 
habenderen Kaufte ute,  sich  zusammenthaten ,  eine  gewisse  Tribut- 
summe  aufzubringen,  um  ihrer  Stadt  die  mercantilen  Vortheile  zu 
verschaffen,  welche  mit  der  Zugehörigkeit  zum  attischen  Seebund 
verknüpft  waren,  wenn  aus  besonderem  Grund  ein  formlicher  Bei- 
tritt von  Staatswegen  nicht  thunlich  schien180). 

Die  Gesamtzahl  der  zinspflichtigen  Städte  wird  von  Aristophanes 
auf  1000  angegeben,  eine  runde  Zahl,  der  vielleicht  keine  zu  grobe 
Uebertreibung  zu  Grunde  liegt,  wenn  alle  kleineren  Ortschaften,  die 
in  den  Listen  nicht  namentlich  aufgeführt  sind,  eingerechnet  werden. 

Es  zeigen  aber  dieselben  Listen,  dass  wir  es  nicht  mit  einem 
Reiche  von  scharfer  Umgränzung  und  festem  Zusammenhange  zu 
thun  haben.  Es  lockerte  sich  nach  aufsen  hin,  wo  es  sich  an  dem 
Saum  des  überseeischen  Continents  entlang  zog,  und  die  Abhängig- 
keit mancher  in  den  Listen  aufgeführten  Stadt  war  zeitweise  nur 
eine  nominelle.  Darum  sind  auch  ansehnliche  Ausfälle  nachzuweisen. 
So  kamen  in  der  letzten  Zeit  zw.  Ol.  83,  3—85,  1  (446—40)  von 
460 — 480  Talenten  kaum  400  ein.  Auch  in  den  Namenreihen 
zeigen  sich  merkwürdige  Ungleichheiten. 

Nachdem  83,  4;  443  die  Städte  des  ionischen  und  karischen 
Steuerkreises  zusammen  71  betragen  haben,  werden  86,  1;  436 
beide  Kreise  vereinigt  und  haben  zusammen  nur  46  Städte.  Die 
Lykier,  welche  ab  Städtebund  in  die  Buntlesgenossenschafl  einge- 
treten sind  mit  10  Talenten,  verschwinden  nach  83,  3;  446  vollständig, 
während  das  fernere  Phaseiis,  die  äufserste  der  Bundesstädte  im  Osten, 
bleibt,  ein  durch  seine  ausgedehnte  Bhederei  auf  nahen  Verkehr  mit 
Athen  angewiesener  Seeplatz. 

Auf  die  Finanzen  des  Reichs  haben  diese  Schwankungen  keinen 
nachweisbaren  Einfluss  geübt  Nachdem  die  Summe  von  460  Talenten 
sich  als  Gesamtbetrag  sechzehn  Jahre  lang  erhallen  hatte,  trat  um 
85,  3;  438  eine  höhere  Besteuerung  ein,  für  die  wir  bei  den 
tbrakischen  Städten  einen  Mafsstab  haben,  in  dem  z.  B.  Mende  von 
5  auf  8  Talente  gesetzt  wurde,  die  Samothrakier  von  4  auf  6, 
Potidaia  von  6  auf  15. 

So  ist  in  der  Zeit  des  Perikles  der  Gesamtbetrag  auf  600  Ta- 
lente gestiegen,  eine  Summe,  die  noch  weniger  als  der  frühere  Be- 
trag zu  Kriegszwecken  verwendet  werden  konnte,  und  so  war  aus 
den  Leberschüssen  der  Staatsschatz  erwachsen. 


Digitized  by  Google 


250 


STAATS-  l.ND  TEMPELSCHATZ. 


Die  Idee  eines  öffentlichen  Schatzes  ist  in  Athen  so  alt  wie  der 
Beschluss  eine  Seemacht  zu  bilden;  denn  eine  Flotte  ohne  Schatz 
ist  undenkbar.  Die  Silbererze  von  Laurion  waren  das  Grundkapital 
des  altischen  Schatzes;  die  eigentliche  Geschichte  desselben  beginnt 
aber  erst  mit  der  Ueberführung  der  Kasse  von  Delos  (S.  163).  Es 
wird  erzählt,  die  Gelder  seien  Perikles  übergeben  worden ;  und  dar- 
nach dürfen  wir  annehmen,  dass  er  es  gewesen  ist,  welcher  nicht 
nur  die  Verlegung  des  Schatzes  vorzugsweise  betrieben,  sondern 
auch  die  Verwaltung  desselben  als  eines  attischen  Staatsschatzes  ge- 
ordnet habe. 

Wie  bedeutend  sein  Einfluss  in  dieser  Beziehung  gewesen  sei, 
geht  schon  daraus  hervor,  dass  auf  ihn  vorzugsweise  der  Grundsatz 
zurückgeführt  wurde,  Athens  Machtstellung  beruhe  auf  seinen  Ein- 
künften. In  früheren  Zeiten  hatten  die  Tyrannen  ihre  Macht  auf 
Geld  gestützt,  Polykrates  sowohl  wie  Peisistratos  und  die  Gewalt- 
herro  Siciliens;  in  freien  Staaten  konnten  aber  die  Mittel,  welche 
einem  Tyrannen  zu  Gebote  standen,  um  einen  Schatz  zu  sammeln, 
nicht  angewendet  werden,  und  darum  waren  sie  aufser  Stande, 
Gröfseres  zu  unternehmen.  Athen  war  der  erste  griechische  Staat, 
wo  die  Energie  freier  Bürger  mit  der  Macht  des  Geldes  verbunden 
war,  und  diesen  von  Themistokles  begründeten  Vorzug  im  vollen 
Mafse  verwerthet  zu  haben,  ist  das  Verdienst  des  Perikles;  er  erkannte 
darin  die  Stärke  Athens,  namentlich  Sparta  gegenüber,  das  wegen 
Mangel  an  öffentlichen  Geldern  bei  aller  Tapferkeit  seiner  Bürger 
und  der  Gröfse  des  peloponnesischen  Bundesheers  in  seinen  Be- 
wegungen immer  gelähmt  war  und  in  entscheidenden  Zeitpunkten, 
wo  es  Geld  haben  musste,  um  handeln  zu  können,  von  dem  guten 
Willen  seiner  Bundesgenossen  oder  von  den  Priesterschaften  in 
Delphi  und  Olympia,  welche  Geldvorschüsse  zu  leisten  vermochten, 
abhängig  war.  Daher  kam  es,  dass  Sparta  immer  nur  einzelne 
Heerzüge  unternehmen  und  nur  vorübergehende  Ziele  verfolgen 
konnte.  Eine  unabhängige  und  feste  Politik  war  nur  mit  Hülfe  eines 
Schatzes  möglich,  und  darum  hielt  Perikles  es  für  die  wichtigste  Auf- 
gabe der  Friedensjahre,  einen  Staatsschatz  zu  sammeln,  welcher  in 
die  Obhut  der  Stadlgöttin  gestellt  wurde131). 

Die  Tempel  waren  seit  Alters  die  sichersten  Kassenorte;  in  ihnen 
sind  zuerst  Capitalien  zusammengebracht  worden,  und  von  den  Priestern 
hat  man  die  Geldwirthschaft  gelernt  (I,  497).  Wenn  nun  innerhalb 


Digitized  by  Google 


STAATS-  UM»  TEMPELSCHATZ. 


251 


eines  an  öffentlichen  Miltein  armen  Gemeinwesens  ein  Heiligthum 
von  ansehnlichen  Einnahmen  und  Geldvorrathen  vorhanden  war,  so 
lag  die  Versuchung  nahe,  die  Macht  des  Staats  dahin  geltend  zu 
machen,  dass  er  von  diesen  Geldmitteln  für  seine  Zwecke  Nutzen 
ziehen  könne,  ohne  von  dem  guten  Willen  der  PriesterschaOen  ab- 
hängig zu  sein.  Eingriffe  dieser  Art  sind  in  der  Zeit  der  Pisistratiden 
vorgekommen  (I,  674).  Die  Stadtgöttin  ist  damals  auf  feste  Ein- 
nahmen angewiesen  worden,  welche  der  Staat  ihr  garantirte;  dagegen 
bat  der  Staat  eine  Aufsicht  und  ein  Verfügungsrecht  über  die  Tempel- 
schätze erhalten.  Es  war  eine  Art  von  Säcularisation  der  Tempel- 
guter,  die  unter  möglichst  schonenden  Formen  durchgeführt  worden 
ist,  eine  Vereinbarung  zwischen  Staat  und  Priesterthum,  bei  welcher 
im  Wesentlichen  Alles  auf  den  Vortheil  des  Staats  hinauskam,  die 
religiösen  Rücksichten  aber  nicht  aus  dem  Auge  gesetzt  wurden188). 

Wir  können  diese  merkwürdige  Verbindung  der  attischen  Finanzen 
mit  den  Tempeln,  welche  von  den  Tyrannen  vorbereitet  ist,  nur  in 
der  perikleischen  Zeit  genauer  erkennen. 

Damals  wurde,  was  der  Staat  nach  Deckung  der  gewöhnlichen 
Ausgaben  von  den  Einkünften  des  Jahrs  übrig  hatte,  'der  Stadtgöttin 
übergeben'  und  mit  ihrem  Tempelschatz  vereinigt  unter  gleichem 
Schutz  des  heiligen  Orts.  Diese  Ueberschüsse  (d.  h.  wesentlich  die 
Tributsummen)  waren  aber  nur  ein  Depositum;  sie  blieben  öffent- 
liche Gelder,  für  deren  Aufbewahrung  der  Staat  seit  Ueberführung 
der  Bundeskasse  ein  Sechzigstel  der  Jahreseinnahme  zahlte,  die 
Tempelquote,  die  als  eine  wie  von  einer  Erndte  abgehobene  Weihe- 
gabe angesehen  wurde. 

Ausserdem  hatte  die  Göttin  ihren  eigenen  Schatz,  welcher  aus 
den  Pachtgeldern,  aus  Pflichtabgaben  der  attischen  Familien  (I,  359), 
Bußgeldern  und  Zehnten  seine  jährlichen  Zugänge  hatte.  Er  bildete 
mit  dem  Depositum  zusammen  die  sogenannten  'Gelder  auf  der  Burg1. 
Dazu  kamen  die  anderen  Werthgegenstände,  das  ungemünzte  Gold 
und  Silber  so  wie  die  Weihgeschenke  vom  Staat  und  von  Privaten. 
Endlich  steckte  ein  besonderes  Capital  in  dem  Goldmantel  der 
ParlhenoB. 

Nun  hatte  der  Staat  eigentlich  nur  über  sein  Depositum  freie 
Verfügung;  alles  Andere  war  heiliges  Geld,  Eigenthum  der  Göttin, 
deren  volles  Recht  dadurch  anerkannt  wurde,  dass  jede  Benutzung 
zu  Staatszwecken  nur  in  Form  einer  Anleihe  erfolgte,  bei  welcher 


Digitized  by  Google 


232 


STAATS-  I.NU  TEMI'ELSCHATZ 


der  Slaat  die  Verpflichtung  der  Verzinsung  und  Rückzahlung  über* 
nahm.  Aber  bei  diesem  Finanzgeschäfte  wurde  die  Einwilligung 
des  Eigenthümers  stillschweigend  vorausgesetzt.  Man  nahm  die 
heiligen  Gelder  in  Anspruch,  noch  ehe  das  Depositum  erschöpft  war, 
und  wenn  man  auch,  sobald  es  die  Mittel  erlaubten,  mit  der  Rück* 
Zahlung  Ernst  machte,  —  so  wurden  die  Kriegskoslen  für  den 
samischen  Krieg  aus  den  Ratenzahlungen  der  besiegten  Samier  heim- 
gezahlt — ,  so  kamen  doch  auch  diese  Zahlungen  eben  so  wie  die 
Zinsen  und  Tempelquoten  am  Ende  dem  Reservefonds  zu  Gute, 
und  der  Sinn  der  ganzen  Einrichtung  war  im  Grunde  kein  anderer 
als  der,  dass  der  Staat,  wenn  es  darauf  ankam,  über  alle  Barschaften 
auf  der  Burg,  so  wie  über  alle  Werthgegenstände,  Weihgeschenke 
und  Inventarstücke  verfügen  konnte. 

Es  handelte  sich  dabei  nicht  nur  um  das  Eigenthum  der  Staats- 
und Schutzgoltheit  von  Athen,  der  Athens  Polias,  sondern  auch  um 
das  der  Athena-Nike,  und  nachdem  diese  beiden  Tempelschätze  ver- 
einigt waren,  ging  man  weiter  in  der  Concentration  aller  Geldvorräthe 
auf  der  Burg.  Es  wurden  auch  die  Schätze  der  'anderen  Götter' 
in  einen  Centraischatz  auf  der  Burg  vereinigt.  Er  wurde  neben  dem 
Schatz  der  Athena  aufbewahrt;  er  wurde  in  ganz  entsprechender 
Weise  organisirt  und  den  Staatszwecken  ebenso  dienstbar  gemacht. 
Dies  geschah  durch  ein  Gesetz  von  86,  2;  435,  durch  welches  unter 
Perikles  die  finanzielle  Organisation  in  der  Hauptsache  vollendet 
wurde. 

Nun  hatte  man  alle  Gelder  auf  der  Burg  in  einer  Schatzkammer 
zusammen,  die  ohne  Weiteres  verfügbaren  Staatsgelder  so  wie  den 
heiligen  Schau,  den  der  Athena  und  den  der  'anderen  Götter',  beide 
nur  unter  beschränkenden  Bestimmungen  zu  benutzen.  Diese  waren 
aber  im  Grunde  nur  scheinbar;  denn  die  Zinsen,  welche  gezahlt 
wurden  (1  %  Prozent),  waren  so  gering,  dass  sie  nicht  in  Betracht 
kamen.  Aber  die  Beschränkungen  dienten  doch  dazu,  den  Unter- 
schied zwischen  Staatsgut  und  heiligem  Gut  aufrecht  zu  erhalten 
und  dem  Geldverbrauch  einen  Zügel  anzulegen.  Denn  der  Gesichts- 
punkt, aus  dem  die  ganze  Einrichtung  hervorging,  war  ein  zwie- 
facher. Einmal  sollte  der  Staat  in  letzter  Instanz  aller  auf  der  Burg 
vereinigten,  gemünzten  und  ungemünzten  Geld  wer  the  sicher  sein, 
wenn  er  ihrer  bedurfte;  andererseits  sollte  einer  leichtsinnigen  Be- 
nutzung, wie  sie  in  einem  demokratischen  Gemeinwesen  leicht  vor- 


Digitized  by  Google 


FI31NZVERWALTÜKG.  SCHATZÄMTER. 


253 


kommen  konnte,  gesteuert  werden.  Darum  wurden  auch  gewisse 
der  Göttin  übergebene  Summen  ausgeschieden,  um  als  unantastbar 
für  Fälle  ausserordentlicher  Art,  einen  SeeangrifT  auf  Athen  u.  dgl. 
bei  Seite  gelegt  zu  werden.  Es  wurden  auch  Regulative  für  die 
Verwendung  der  Gelder  erlassen,  welche  für  das  Ausgabebudget 
bestimmte  Posten  festsetzten.  So  wurde  in  dem  Gesetz  von  86,  2; 
435  eine  feste  Summe  für  öffentliche  Bauten  angesetzt,  indem  die 
Zuschösse  zum  Baufonds  auf  höchstens  10000  Drachmen  limitirt 
wurden.  Anträge,  welche  diesen  Festsetzungen  widersprechen,  werden 
mit  Strafe  bedroht,  falls  nicht  eine  besondere  Erlaubnis^  dazu  von 
der  Börgerschaft  erwirkt  worden  ist  Auch  solche  Normen  sollten 
der  Gefahr  vorbeugen,  dass  plötzliche  Einfalle  eines  Volksredners, 
welche  geneigtes  Gehör  fanden,  das  richtige  Verhältniss  zwischen 
Einnahmen  und  Ausgaben  störten1"). 

Den  finanziellen  Gesichtspunkten  entsprach  die  Art  der  Ver- 
waltung. Die  Kassenbeamten  hiefsen  'Schatzmeister  der  Göttin1,  und 
'Verwalter  der  heiligen  Gelder  der  Athena',  denen  später  die  'Schatz- 
meister der  andern  Götter1  an  die  Seite  traten.  Sie  waren  scheinbar 
Tempelbehörden,  in  Wahrheit  aber  Gemeindebeamte,  aus  der  ersten 
Vermogensklasse  der  Bürger  jährlich  erloost,  aus  jedem  der  zehn 
Bürgerstämme  Einer;  sie  waren  von  Staatswegen  zur  Föbrung 
genauer  Inventarien  angewiesen,  der  Gemeinde  rechenschaftspflichtig 
und  auch  während  der  Amtsführung  jederzeit  unter  öffentlicher  Controle. 

Rein  staatliche  Beamte  waren  die  zehn  Hellenota  mien,  deren  Amt 
durch  Gründung  des  Seebundes  veranlasst  und  aus  Delos  ubertragen 
war;  auch  sie  wurden  aus  den  wohlhabendsten  Bürgern  erloost.  Sie 
hatten  aus  den  Ueberschüssen  der  Einnahmen,  deren  ältester  Bestand 
der  delische  Schatz  war,  diejenigen  Summen  auszuzahlen,  welche 
auf  Antrag  des  Raths  von  der  Bürgerschaft  angewiesen  waren ,  zu- 
nächst für  Bundesangelegenheiten ,  dann  auch  für  ferner  liegende 
Zwecke.  Sie  leisteten  am  Ende  jedes  Jahres  die  Abgabe  des 
Sechzigstels  an  den  Tempelschatz  in  Gemeinschaft  mit  der  Ober- 
rechenkammer, den  'Logisten'  oder  'Dreifsigern';  sie  standen  mit 
ihrer  Kasse  unter  beständiger  Aufsicht  des  Raths,  und  der  'Epistates' 
oder  Tagespräsident  der  Prytanen  (I,  377)  führte  den  Schlüssel  zn 
der  Schatzkammer. 

So  war  durch  collegialische  Einrichtung  der  Aemter,  durch 
Concurrenz  verschiedener  Staatsbehörden,  so  wie  durch  den  Census 


Digitized  by  Google 


F I  > i  A  > Z  V  E  R  NN  A  L  T  V  X IG .  SUIATZURKL'MDEM 


der  Kassenbeamten  für  eine  gewissenhafte  Geld  wir  thschafl  möglichst 
Sorge  getragen. 

Jetzt  war  also  der  Hergang  dieser,  dass  die  fälligen  Tribute, 
welche  in  Delos  direkt  an  die  Hellenotamien  gegangen  waren,  vom 
Rath  der  Fünfhundert  in  Empfang  genommen  wurden  und  zwar  durch 
Vermittlung  der  zehn  Generaleinnehmer  oder  'Apodekten'.  Das 
geschah  in  jedem  neunten  Monat  des  attischen  Jahres,  an  dem 
grofsen  Dionysosfeste.  Yon  den  Apodekten  kamen  die  Gelder  in  die 
Kasse  der  Hellenotamien,  welche  die  angewiesenen  Zahlungen 
leisteten  und  den  Rest  in  den  Schatz  der  Athena  ablieferten.  Die 
ganze  Berechnung  der  zu-  und  abgehenden  Gelder  wurde  schliefslich 
den  Logisten  zur  Revision  eingehändigt184). 

Das  ganze  Rechnungswesen  des  Staats  steht  uns  in  seinen  auf 
Stein  geschriebenen  Urkunden  wohlbezeugt  vor  Augen. 

Es  giebt  Urkunden,  in  welchen  die  Einschätzung  der  Bundes- 
genossen aufgezeichnet  und  öffentlich  ausgestellt  war.  Besser  erhalten 
und  darum  wichtiger  sind  diejenigen  Verzeichnisse,  in  welchen  die 
von  den  Tributsummen  abgehobenen  Sechzigste!  der  Reihe  nach  auf- 
gezählt werden.  Diese  Listen  beginnen  von  Ol.  81,  3;  454,  d.  b. 
unmittelbar  nach  Ueberfährung  des  Schatzes  von  Delos,  und  reichen 
15  Jahre  hindurch,  bis  440  v.  Chr.  Soviel  Urkunden  waren  zu 
einem  Steingefüge  vereinigt,  welches  neben  dem  grofsen  Tempel 
aufgerichtet  stand.  Sie  bezeugen  den  Gesamtbetrag  der  Jahr  für 
Jahr  wirklich  eingezahlten  Tribute  und  zugleich  die  Gewissenhaftig- 
keit, mit  weleher  der  Staat  seine  Verpflichtungen  gegen  die  Göttin 
erfüllt,  während  andere  Verzeichnisse,  die  von  den  Schatzmeistern 
zusammengestellt  wurden,  nach  den  Zahltagen  jede  aus  dem  Schatz 
zu  Staatszwecken  gemachte  Ausgabe  berechneten;  es  waren  monumen- 
tale Schuldscheine,  die  bis  auf  Drachme  und  Obolos  angaben,  was 
der  Staat  der  Göttin  an  Kapital  und  Zinsen  schuldig  war. 

An  allen  diesen  Einrichtungen  hat,  wie  wir  annehmen  dürfen, 
Perikles  einen  hervorragenden  Antheil  gehabt,  da  ihm  bei  seiner 
staatsmännischen  Thätigkeit  die  Organisation  der  Geldkräfte  Athens 
vor  allem  Andern  am  Herzen  lag.  Die  Hülfsmittel  der  Stadt  sind 
dadurch  wesentlich  gehoben;  die  Verwendung  derselben  in  gewöhn- 
lichen und  außerordentlichen  Fällen  ist  sicher  geregelt.  Die  Bundes- 
kasse ist  mit  den  städtischen  Finanzen  zu  einem  Reichshaushalt  un- 
auflöslich verbunden,  und  neben  der  strengen  RechenschaftspQichtig- 


Digitized  by  Google 


PER!  KL  ES  UND  DIE  FINANZEN. 


255 


keil  aller  Beamten  diente  die  Oeffentlichkeit  der  Verwaltung  dazu, 
allen  Unredlichkeiten  und  Nachlässigkeiten  vorzubeugen.  Nur  so  war 
es  möglich  gewesen,  dass  die  Umwandlung,  welche  Athen  durch- 
machte, indem  es  im  Laufe  von  wenig  Jahren  aus  einer  bescheidenen 
Landstadt  am  saronischen  Golf  die  regierende  Hauptstadt  eines 
weiten  Küstenreichs  geworden  war,  ohne  Verwirrung  und  Unordnung 
durchgeführt  wurde. 

Freilich  war  durch  die  Mannigfaltigkeit  und  die  zum  Theil  un- 
sichere Beschaffenheit  der  Hilfsquellen,  durch  die  Menge  der  ver- 
schiedenen Kassen  so  wie  der  einnehmenden,  zahlenden  und  con- 
trolirenden  Behörden,  und  durch  die  formelle  Unterscheidung  von 
Staats-  und  Tempelgut  die  Uebersicht  des  gesamten  Staatsbaushalts 
bei  aller  Oeffentlichkeit  eine  sehr  schwierige  Aufgabe.  Diese  Schwierig- 
keiten nöthigten  die  Bürgerschaft  einen  leitenden  Vertrauensmann  zu 
haben ;  sie  steigerten  die  Bedeutung  eines  Staatsmanns,  wie  Perikles 
war,  und  machten  ihn,  der  die  Aufgabe  und  die  Leistungsfähig- 
keit der  Stadl  wie  kein  Anderer  überschaute,  der  Bürgerschaft 
unentbehrlich  "'). 

Auch  in  Betreff  der  Bundesgenossenschaft  wollte  Perikles  keine 
Erweiterung,  welche  den  Bestand  derselben  gefährden  könnte.  Um 
so  eifriger  war  er  bedacht,  in  den  Gebieten,  wo  Athen  keine  Herr- 
schaft gründen  konnte,  das  Ansehen  der  Stadt  gellend  zu  machen, 
wie  er  es  am  Gestade  des  Pontos  that,  und  neue  erspriefslicue  Ver- 
bindungen mit  dem  Auslande  anzuknüpfen.  Dazu  diente  die  Aus- 
sendung von  Kleruchien  und  Colonkn. 

Klerucben  nannte  man  die  Inhaber  der  'Kleroi'  oder  Ackerloose, 
welche  attischen  Bürgern  angewiesen  wurden,  wenn  dem  Staate 
außerhalb  Attika  Ländereien  zur  Verfügung  standen.  Er  konnte 
auf  verschiedenen  Wegen  in  den  Besitz  derselben  gekommen  sein; 
der  gewöhnlichste  Weg  war  der  der  Eroberung. 

Wir  wissen  jetzt,  dass  auch  hier  Peisistratos  vorangegangen  ist, 
indem  er  auf  Salamis  die  erste  Landanweisung  attischer  Bürger  an- 
ordnete (1,  343).  Diese  Politik  wurde  in  groisem  Mafsstabe  auf- 
genommen und  Chalkis  war  die  erste  Stadt,  wo  die  Athener  einen 
Theil  der  Bürger  ausgetrieben  und  ihren  Grundbesitz  eingezogen 
hatten,  die  erste  Griechenstadt,  an  welcher  man  mit  rücksichtsloser 
Strenge  das  Recht  des  Eroberers  vollzog  (1,  3S7). 

Nach  Gründung  des  delischen  Sgebundes  erfolgten  ähnliche  Mafs- 


Digitized  by  Google 


256 


DIE  KLERUCHIEJt. 

* 


regeln,  welche  zur  Befestigung  der  Seeherrschaft  und  zur  Sicherheit 
des  Handels  noth wendig  erschienen.  So  wurde  das  verwüstete 
Elon  am  Strymon  (S.  124)  mit  Athenern  besetzt,  und  die  Insel 
Skyros  wurde  aus  einem  Seeräuberstaate,  welcher  den  Verkehr  mit 
Thracien  hemmte,  eine  attische  Kleruchie. 

Was  zu  Kimons  Zeit  in  Folge  besonderer  Veranlassungen  ge- 
schah, wurde  durch  Perikles  eine  Mafsregel,  die  sich  von  Zeit  zu 
Zeit  wiederholte  und  die  man  allmählich,  eben  so  wie  die  Spenden 
und  Speisungen,  als  etwas  zum  Wesen  einer  demokratischen  Ver- 
fassung Gehöriges  anzusehen  gewohnt  wurde.  Die  Kleruchien  der 
perikleischen  Zeit  müssen  viel  zahlreicher  gewesen  sein,  als  die  erhal- 
tenen Nachrichten  erkennen  lassen;  denn  es  ist  eine  Thatsache,  dass 
namentlich  von  Euboia  ein  beträchtlicher  Theil  —  wie  es  heifst, 
zwei  Drittel  —  allmählich  in  die  Hände  attischer  Bürger  gekommen 
ist.  Es  haben  also  wahrscheinlich  um  die  Zeit,  da  Histiaia  zerstört 
und  Oreos  gegründet  wurde  (S.  180),  auch  in  Chalkis,  Eretria, 
Karystos  u.  a.  Orten  Landeinziehungen  stattgefunden.  Ebenso  in 
Samos.  Zugleich  mit  den  Athenern  wurden  auch  ihre  Gotter  und 
Heroen  angesiedelt  und  mit  Grundeigenthum  beschenkt.  Das  waren 
Filiale  des  hauptstädtischen  Heiligthums,  und  die  Einkünfte  derselben 
flössen  in  den  Schatz  der  Stadtgötün,  kamen  also  auch  den  öffent- 
lichen Hülfsmitteln  Athens  zu  Gute. 

Aber  nicht  blofs  auf  dem  Wege  des  Kriegsrechts,  sondern  auch 
durch  Verträge  ist  bundesgenössisches  Land  in  den  Besitz  von 
Athenern  gekommen  und  gewiss  war  dies  ganz  besonders  im  Sinne 
des  Perikles,  eine  friedliche  Ausbreitung  attischer  Bevölkerung  im 
Archipelagus  zu  befördern,  um  durch  vertragsmäfsige  Aneignung 
Besitzungen  zu  erwerben,  deren  volle  Berechtigung  niemals  in  Frage 
gestellt  werden  konnte. 

Spuren  solcher  Verträge  lassen  sich  in  den  Tributsätzen  er- 
kennen. Bei  den  Thasiern  z.  B.  wird  sich  die  plötzliche  Erhöhung 
des  Tributs  um  das  Zehnfache  kaum  anders  erklären,  als  dadurch, 
dass  ihnen  eingezogenes  Land  wieder  zurückgegeben  wurde.  Viel 
häufiger  aber  ist  der  Fall,  dass  auf  den  Inseln,  wo  attische  Kleruchen 
angesiedelt  wurden,  die  Tributsätze  plötzlich  vermindert  werden. 
Athen  kaufte  Landgebiet  und  verzinste  die  Kaufsumme  durch  einen 
entsprechenden  Erlass  an  dem  jährlich  zu  zahlenden  Tribut.  Solche 
Verträge  waren  beiden  Theilen  vortheilhaft.  Denn  die  Bundesgenossen 


Digitized  by  Google 


DIE  KLERUCHIF.N. 


257 


erhielten  eine  bedeutende  Erleichterung,  und  Athen  hatte  den  un- 
schätzbaren Vortheil,  immer  mehr  feste  Stützpunkte  seiner  Macht 
zu  gewinnen.  So  konnten  im  samischen  Kriege  die  Geiseln  bei 
den  Kleruchen  in  Lemnos  aufbewahrt  werden.  In  gleicher  Weise 
wohnten  an  der  thrakiscben  Küste,  auf  Andros,  auf  Naxos  und 
Imbros  attische  Börger  neben  den  ursprünglichen  Einwohnern,  welche 
als  tributpflichtige  Bundesgenossen  fortbestanden.  Die  Athener  hiefsen 
wohl  nach  ihrem  neuen  Wohnorte  Irabrier,  Lemnier  u.  s.  w.,  blieben 
aber  als  attische  Bürger  in  ihren  attischen  Phylen,  deren  zehn  Heroen 
dort  ihre  Heiligthümer  erhielten;  sie  gehörten  nach  wie  vor  zur 
attischen  Land-  und  Seemacht,  vertraten  überall  das  Interesse  der 
Vaterstadt  und  hielten  die  nicht-attische  Bevölkerung  in  Obacht. 
Ausserdem  hatte  man  den  Vortheil,  eine  Menge  armer  Bürger  nach 
und  nach  zu  wohlhabenden  Grundbesitzern  zu  machen,  ohne  an 
Bürgerzahl  einen  Verlust  zu  haben.  Man  verwertete  die  Volks- 
kraft zum  Besten  des  Staats  und  schützte  ihn  zugleich  vor  den 
Lebelständen,  welche  eine  Uebervölkerung  der  Hauptstadt  mit  sich 
bringen  musste.  Es  war  also  eine  der  wirksamsten  Mafsregeln 
äufserer  wie  innerer  Politik. 

Freilich  haben  von  allen  Unternehmungen,  welche  Athen  vermöge 
seiner  Seeherrschafl  ausführte,  die  Kleruchien  am  meisten  Hass  her- 
vorgerufen, weil  sie  häufig  mit  Gewalttätigkeit  und  mit  Uebervor- 
theilung  der  Bundesgenossen  verbunden  waren.  Doch  wurde,  so  lange 
Perikles  den  Staat  regierte,  mit  weiser  Mäfsigung  verfahren.  Das 
Schicksal  von  Histiaia  war  durch  besondere  Vorgänge  gerechtfertigt; 
Chalkis  wurde  dagegen  mit  grofser  Milde  behandelt.  Allgemeiner 
Billigung  erfreute  sich  besonders  der  Auszug  nach  dem  thrakischen 
Chersonnes,  wohin  Perikles  selbst  82,  1 ;  452  tausend  Bürger  führte, 
um  so  die  wichtige  Halbinsel  auf  das  Engste  mit  Athen  zu  verbinden. 
Auch  den  politischen  Feldzug  (S.  238)  benutzte  Perikles  zur  Coloni- 
sation  und  siedelte  in  Sinope  nach  dem  Sturze  des  Timesilaos  sechs- 
hundert Athener  an,  denen  die  Grundstücke  des  vertriebenen  Tyrannen 
übergeben  wurden.  Amisos  wurde  unter  Führung  des  Athenokles  als 
i'eiraieus'  neu  gegründet18*). 

So  gingen  die  Bürgercolonien  über  die  Gränzen  des  Archipelagus 
hinaus,  und  im  Norden  desselben  war  es  besonders  Thrakien,  das  man 
sich  seines  Holz-  und  Metallreichthums  wegen  allen  Schwierigkeiten 
zum  Trotz  immer  mehr  anzueignen  suchte.  Noch  heute  ist  uns  die 

Cortio*.  Gr.  Oescb.  H.  6.  Aufl.  17 


Digitized  by  Google 


258 


COI.ONISATION   VON'  BRKA. 


alte  Steinurkunde  des  attischen  Volksbeschlusses  erhalten,  auf  Grund 
dessen  um  Ol.  84  die  Stadt  Brea  im  Lande  der  Bisalter,  in  wasser- 
reicher Berggegend  nördlich  von  der  Chalkidike  (I,  418)  und  südlich 
vom  Strymon  zum  Wohnsitz  einer  attischen  Bürgergemeinde  unter 
unmittelbarem  Einflüsse  des  Perikles  eingerichtet  worden  ist.  Wir 
finden  darin  die  Bestimmung  wegen  eines  für  die  neue  Pflanzstadt  dar- 
zubringenden Staatsopfers,  die  Wahl  von  zehn  Landauftheilern,  die 
Bevollmächtigung  des  Demokleides,  der  den  Antrag  gestellt  hatte,  zur 
Einrichtung  der  Colon ie,  wobei  die  heiligen  Bezirke,  welche  vorhanden 
sind,  erhalten  bleiben  sollen,  die  Verpflichtung  der  Pflanzbürger,  zu 
den  grofsen  Panathenäen  einen  Stier  und  zwei  Schafe  nach  Athen  zu 
senden;  ferner  die  Verpflichtung  zu  vertragsmäßiger  Hülfeleistung  in 
Zeiten  der  Gefahr,  und  endlich  die  Bestimmung  über  Aufstellung  von 
Steinurkunden  mit  den  Namen  aller  Colonisten,  über  Ausrüstung  von 
30  Schiffen  zur  Ueberfahrt  u.  s.  w.  Aufserdem  wird  bestimmt,  dass 
bei  einem  Angriffe  auf  das  Gebiet  der  Kleruchen  nach  den  über  die 
thrakischen  Städte  vereinbarten  Verträgen  die  anderen  Bundesstädte 
unverzügliche  Hülfe  leisten  sollen.  Die  soziale  Bedeutung  der  Colon i- 
sation  tritt  aber  darin  hervor,  dass  ausdrücklich  die  beiden  unteren  der 
solonischen  Vermögensklassen  als  diejenigen  bezeichnet  werden,  aus 
denen  die  Colonisten  von  Brea  genommen  werden  sollen1*7). 

Auf  diese  Weise  sorgte  man  in  der  Zeit  des  Perikles  für  die  un- 
bemittelten Bürger.  Aber  seine  Gedanken  gingen  auch  hier  über  das 
städtische  Interesse  und  den  unmittelbaren  Nutzen  weit  hinaus.  Athen 
hatte  schon  durch  seinen  Seebund  die  glänzende  Stellung  einer  tochter- 
reichen Metropole;  denn  man  liebte  es,  das  Verhältniss  der  abhängigen 
Städte  zu  Athen  mit  dem  Verhältniss  der  Colonien  zur  Mutterstadt 
gleichzustellen  und  nach  diesem  Gesichtspunkte  auch  die  Betheiligung 
der  Städte  an  den  religiösen  Festen  des  Vororts  zu  verlangen.  Athen 
sollte  nun  aber  auch  für  ganz  Griechenland  die  Colonisation  leiten  und 
sich  an  der  Spitze  nationaler  Unternehmungen  als  die  erste  Seemacht 
der  Hellenen  bewähren.  Dazu  bot  sich  eine  treffliche  Gelegenheit  in 
Italien  dar. 

Hier  hatte  Sybaris  über  ein  halbes  Jahrhundert  in  Schutt  gelegen, 
als  die  Familien  der  alten  Stadt,  welche  in  ihren  Pflanzstädten,  Skidros 
und  Laos,  Zuflucht  gefunden  hatten,  den  Entschluss  fassten,  heimzu- 
kehren und  an  alter  Stelle  ein  neues  Sybaris  aufzubauen.  Sie  griffen 
das  Werk  rüstig  an,  wurden  aber  von  ihren  allen  Feinden,  den  Kro- 


NEU-SYBARIS. 


259 


toniaten  (I,  432),  gehindert,  es  durchzuführen.  Sie  sahen  sich  also 
nach  auswärtiger  Hülfe  um  und  schickten  nach  Sparta,  für  das  die 
Geschlechter  mehr  Sympathie  hatten  als  für  das  demokratische  Athen; 
auch  war  es  natürlich,  dass  die  auswärtigen  Seestädte  bei  jeder  Ver- 
bindung mit  Athen  für  ihre  Selbständigkeit  fürchteten.  Indessen 
wies  man  in  Sparta  die  Anträge  zurück,  und  die  Gesandten  kamen  nach 
Athen. 

Hier  wurde  die  Angelegenheit  mit  greisem  Eifer  ergriffen,  denn 
nach  dem  Unglücke  von  Koroneia  war  eine  neue  Unternehmung  von 
glücklicher  Vorbedeutung  doppelt  willkommen.  Alte  Orakel,  welche 
von  der  Herrschaft  der  Athener  in  Italien  redeten,  wurden  hervorge- 
zogen; das  alte  Glück  der  Sybariten  trat  in  lockenden  Bildern  den 
Athenern  vor  die  Seele,  und  die  ganze  Bürgerschaft  gerieth  in  eine  er- 
wartungsvolle Aufregung.  Der  eifrigste  unter  den  Eifrigen  war  Lampon, 
der  vielgeschäftige  Prophet  und  Orakeldeuter.  Perikles  selbst  aber 
war  es,  der  als  Staatsmann  die  ganze  Angelegenheit  in  seine  Hand  nahm, 
und  schon  vor  dem  Abfalle  von  Euboia,  Ol.  83,  3  (446),  gingen  unter 
Lampons  Führung  die  ersten  attischen  Schiffe  nach  Italien  hinüber. 
Aber  ehe  noch  die  Mauern  und  Häuser  des  neuen  Sybaris  aufgerichtet 
waren,  gerieth  die  ganze  Gründung  wieder  in  Gefahr  der  Auflösung. 
Die  syba ritischen  Familien,  welche  an  alter  Stelle  ihre  Wohnsitze  be- 
hielten, nahmen  eine  Reihe  von  Ehrenämtern,  den  Vortritt  bei  den 
Opfern  und  die  Ländereien  in  der  Nähe  der  Stadt  für  sich  in  Anspruch ; 
sie  wollten  ein  städtisches  Patriziat  bilden  und  weigerten  sich  den 
neuen  Ansiedlern  ein  gleiches  Bürgerrecht  einzuräumen.  Es  kam 
zum  Kampfe;  die  Sybariten  wurden  vertrieben  und  zum  gröfsten  Theile 
getodtet 

Nun  hatten  die  Athener  freie  Hand,  und  auf  Antrieb  des  Perikles, 
der  nach  Abschluss  des  Friedens  ein  besonderes  Interesse  daran  haben 
musste,  die  Stadt  von  unruhigem  Volke  zu  befreien,  erfolgte  gegen 
Ende  von  Ol.  84,  1,  im  Frühjahre  443,  eine  Neugründung  der  ita- 
lischen Stadt.  Man  wählte  einen  Ort  im  Gebiete  der  alten  Sybariten, 
wo  eine  starke  Quelle.  Namens  Thuria,  noch  aus  früherer  Zeit  als 
Röhrbrunnen  floss.  Von  ihr  erhielt  die  Stadt  den  Namen  Thurioi. 
Man  beschränkte  sich  jetzt  nicht  auf  altische  Bürger;  denn  es  lag 
Perikles  daran,  dass  etwas  Nationalhellenisches  zu  Stande  käme  und 
dass  der  Versuch  gemacht  würde,  aufserhalb  des  engeren  Griechen- 
lands die  schroffen  Gegensätze  der  Stämme  auszugleichen. 

17* 


Digitized  by  Google 


260 


THlMOt   U>D  AMPHIPÜLIS. 


Unter  Leitung  des  Hippodamos  von  Milet  (S.  199)  wurde  Thurioi 
nach  Vorbild  des  Peiraieus  als  eine  grofse  Stadt  mit  regelmäfsigen 
Quartieren  eingerichtet;  vier  Hauptstraßen  durchschnitten  die  Stadt  in 
der  Länge,  und  drei  in  der  Breite;  die  Bürgerschaft  aber  wurde  nach 
ihren  Bestandteilen  in  zehn  Stämme  gegliedert;  drei  derselben, 
Arkas,  Elea,  Achais,  umfassten  die  peloponnesischen  Ansiedler;  Athe- 
nais, Boiotia  und  Amphiktyonis  die  aus  Mittelgriechenland;  Doris  und 
las  die  Asiaten,  Euboiis  und  Nesiotis  die  Insulaner.  Dann  wurde 
mit  Benutzung  der  Gesetze  des  Charondas  (I,  547)  eine  gemafsigle 
Demokratie  eingerührt;  es  wurden  mit  den  umliegenden  Orten  Ver- 
träge geschlossen,  und  das  glückliche  Aufblühen  der  jungen  Stadt 
lockte  eine  Menge  ausgezeichneter  Männer  aus  allen  Gegenden  herbei. 
So  kam  gleich  nach  der  Gründung  Empedokles;  es  kam  Protagoras, 
der  auch  für  die  Gesetzgebung  von  Thurioi  thätig  war,  Tisias,  der 
Meister  sicilischer  Redekunst,  Lysias,  des  Kephalos  Sohn,  aus  Athen, 
Herodot  aus  Halikarnass  u.  A.  Ein  reiches,  aber  wohlgeordnetes  Ge- 
meinwesen gestaltete  sich;  die  fruchtbare  Landschaft  begünstigte  den 
Wohlstand,  und  das  Gedeihen  der  Pflanzstadt  war  ein  glänzender  Ruhm 
Athens  und  seines"  grofsen  Staatsmannes138). 

Endlich  gehörte  in  die  Reihe  dieser  Stadtgründungen,  die  unter 
Perikles'  Leitung  zu  Stande  gekommen  sind,  Amphipolis  am  Stryraon. 
Lange  Zeit  hatte  man  nach  den  bei  Drabeskos  erlittenen  Unglücks- 
fallen (S.  140)  jeden  Versuch  aufgegeben,  das  Strymonthal  aufwärts 
in  das  Land  der  kriegerischen  und  freiheitsliebenden  Edoner  vorzu- 
dringen. Man  begnügte  sich  die  Mündung  des  Stroms  in  der  Gewalt 
zu  haben.  Erst  85,  4  (437)  nahm  man  den  Kampf  wieder  auf. 
Man  befestigte  einen  steilen  Hügel,  welchen  der  Strymon  im  Halb- 
kreise um fliefst,  nachdem  er  aus  einem  langgestreckten  See  heraus- 
getreten ist  Hagnon,  des  Nikias  Sohn,  war  der  Führer  der  Ansiedler, 
welche  die  Stadt  Amphipolis  auf  jenem  Hügel  anbauten;  sie  beherrschte 
die  Strafse,  welche  von  Makedonien  her  das  Land  durchschneidet  und 
die  Verbindung  mit  dem  Hellesponte  bildet  Sie  war  so  vortheilhaft 
gelegen,  dass  sie  nur  an  der  Ostseite  einer  Quermauer  bedurfte, 
welche  an  beiden  Enden  den  Strom  berührte.  Auch  diese  Gründung 
bestand  aus  griechischem  Volke  verschiedener  Herkunft,  aber  Athen 
war  der  leitende  Staat,  ihm  kamen  die  Handelsvortheile  vorzugsweise 
zu  Gute18»). 

Durch  diese  Mafsregeln  der  perikleischen  Verwaltung  wurde 


Digitized  by  Google 


GEWERBFLEISS   IN   AT  II  EIN. 


261 


Athens  EinAuss  immer  »eiler  ausgedehnt  und  der  Wohlstand  der 
Stadt  auf  das  Wirksamste  gefördert.  Wohlstand,  Mufee  und  Lebens- 
genuss  sollten  in  Athen  ein  Gemeingut  aller  Bürger  werden,  und 
dieser  Zweck  wurde  so  weit  erreicht,  wie  es  in  menschlichen  Slaats- 
gemeinschaften  möglich  ist.  Die  dem  Lande  eigentümlichen  Hülfs- 
quelien  an  Korn,  Wein,  Oel,  Honig,  Salz  u.  s.  w.  waren  durch  kluge 
Benutzung  immer  ergiebiger  geworden;  die  Hüttenwerke  standen  in 
vollem  Flor  und  die  Marmorberge  Athens  erhielten  erst  ihre  volle 
Bedeutung,  seit  Mittel  und  Neigung  da  waren,  sie  zu  öffentlichen 
Werken  zu  verwenden.  Bei  der  ungemein  dichten  und  stets  zu- 
nehmenden Bevölkerung  des  Landes  bedurfte  es  einer  grofsen  Rührig- 
keit und  Betriebsamkeit,  um  immer  neue  Erwerbsquellen  ausfindig 
zu  machen,  und  die  Athener  haben  ihren  Wohlstand,  um  den  sie 
bald  von  Allen  beneidet  wurden,  dadurch  erworben,  dass  sie  arbeitsam 
und  vorurteilsfrei  waren.  Im  Gegensatze  zu  jener  vornehm thuenden 
Trägheit,  welche  lieber  darben  will,  als  zu  Erwerbsmitteln  greifen, 
die  eines  freien  Hellenen  unwürdig  schienen,  war  in  Athen  der 
MüTsiggang  ein  Laster,  und  wer  die  Arbeit  verschmähte,  welche  der 
Dürftigkeit  abhelfen  konnte,  verunehrle  sich  in  den  Augen  seiner 
Mitbürger.  Der  Gewerbfleifs  erschien  aber  um  so  weniger  unanständig, 
da  das  rein  Mechanische  Sklavenhänden  überlassen  blieb;  die  Auf- 
gabe der  Bürger  war  es,  die  Arbeit  zu  beaufsichtigen,  sie  durch  er- 
findsamen  Geist  zu  vervollkommnen:  den  Werth  derselben  durch 
kaufmännischen  Sinn  zu  erhöhen  und  so  dem  Geschäfte  eine  Aus- 
dehnung zu  geben,  wodurch  es  aus  dem  Bereiche  des  Handwerks 
hervorragte.  Die  Demokratie  wirkte  überhaupt  dahin,  von  einseitigen 
Standesvorurleüen  zu  befreien,  jedem  rechtlichen  Verdienste  seine 
Ehre  zu  geben,  alle  Formen  kastenförmiger  Gebundenheit  zu  beseitigen 
und  so  durch  freie  Coucurrenz  den  Aufschwung  der  Gewerbe  zu 
begünstigen. 

Diesem  Aufschwung  kam  nun  der  freie  Verkehr  zu  Gute,  dessen 
sich  Athen  erfreute.  Es  war  im  Gegensatze  zu  Sparta  eine  offene, 
zugängliche  und  menschenfreundliche  Stadt.  Jene  Gastlichkeit,  die 
seit  alten  Zeiten  einer  der  liebenswürdigsten  Züge  des  attischeu 
Nalionalcharakters  und  einer  der  fruchtbarsten  Keime  der  Gröfse 
Athens  gewesen  ist,  war  ein  Grundsalz  des  Staatslebens  geworden, 
welchen  Themistokles  und  Perikles  mit  außerordentlichem  Erfolge 
angewendet  haben.    Denn  seitdem  Athen  aus  seiner  bescheidenen 


Digitized  by  Google 


262 


VERKEHR  UND  GEWERBE. 


Stellung  hervorgetreten  war,  wurde  es  ein  Mittelpunkt  der  griechischen 
Weit,  und  wer  sich  in  seiner  Kunst  etwas  Besonderes  zutraute,  wusste, 
dass  es  keinen  besseren  Ort  gäbe,  um  Anerkennung  und  Verdienst 
zu  finden. 

Die  Menge  der  in  Athen  domicilirten  Fremden,  der  Schutz- 
genossen  oder  Metöken,  war  seit  Themistokles  (S.  108)  sehr  ange- 
wachsen und  bildete  einen  für  die  Geschichte  der  Stadt  ungemein 
wichtigen  Stand.  Sie  standen  als  Fremde  unter  der  Gerichtsbarkeit  des 
Polemarchen  (I,  298),  sie  waren  vom  Rechte  des  Grundbesitzes  auf 
attischem  Boden  ausgeschlossen  und  leisteten  eine  persönliche  Steuer, 
das  Meloikion  oder  Schutzgeld.  Die  rechtlichen  Unterschiede  machten 
aber  keine  schroffe  Scheidung,  sondern  wurden  im  gesellschaftlichen 
Leben  durch  den  Geist  attischer  Humanität  ausgeglichen. 

Je  gröfser  die  Aufgaben  des  Staats  wurden,  um  so  mehr  wurden 
auch  die  Fremden  in  die  Interessen  desselben  hineingezogen. 
Sie  wurden  zum  Waffendienst  im  Heer  und  auf  der  Flotte  benutzt. 
Reiche  Metöken,  welche  als  Grofshändler  oder  Fabrikanten  viele 
Sklaven  hielten  und  ein  grofses  Haus  machten,  betheiligten  sich  mit 
Hingebung  an  den  Liturgien  und  zeigten  sich,  wenn  man  Geld 
gebrauchte,  zu  Vorschüssen  bereit.  Hatten  sich  Einzelne  von  ihnen 
besonders  verdient  gemacht,  so  wurden  sie  als  'Isotelen'  ausgezeichnet 
und  von  der  Zahlung  des  Schutzgeldes  befreit  Es  fanden  sich  unter 
den  Metöken  Männer  von  hervorragendem  Geiste,  welche  es  grund- 
sätzlich vorzogen,  von  allen  börgerlichen  Geschäften  fern  zu  bleiben 
und  einer  freien  Mufse  zu  pflegen.  Ein  solcher  Metökenstand  musste 
auf  das  ganze  Leben  einen  stillen,  aber  tiefgehenden  Einfluss  üben; 
er  vermehrte  nicht  nur  die  Hülfsmittel  der  Stadt,  er  führte  ihr 
auch  eine  Fülle  fruchtbarer  Keime  allgemein  griechischer  Bildung 
zu;  ein  abgeschlossenes  Stadtbürgerthum,  wie  es  in  den  meisten 
Gemeinden  Griechenlands  festgehalten  wurde,  war  in  Athen  unmöglich. 

Aus  allen  Orten  wurden  die  verschiedensten  Industriezweige 
nach  Athen  eingeführt,  wo  durch  Welteifer  der  Einheimischen  und 
Fremden  und  den  Austausch  der  neuesten  Erfindungen  alle  Gewerb- 
zweige zu  einer  noch  unerreichten  Vollkommenheit  gediehen.  Sie 
blieben  dort  einheimisch,  weil  keine  andere  Stadt  mit  Athen  wett- 
eifern konnte.  Athen  wurde  die  Bildungsschule  für  Industrie  und 
Handwerk,  der  Hauptmarkt  für  alle  höhere  Fabrikation,  wo  die  Preise 
sich  bestimmten  und  der  Geschmack  sich  feststellte.    Wer  Athen 


Digitized  by  Google 


ZERSETZUNG  DER  BÜRGERSCHAFT. 


263 


nicht  kannte,  kannte  Griechenland  nicht,  und  wer  es  kannte,  konnte 
sich  an  andere  Orte  nur  schwer  gewöhnen. 

Die  Anziehungskraft  der  Stadt  hatte  auch  ihre  bedenkliche  Seite. 
Die  Alten  hallen  eine  natürliche  Abneigung  gegen  übergrofse  Städte; 
sie  liebten  eine  mäfsige  und  übersichtliche  Bürgerzahl  und  mussten 
also  dem  Zuzüge  zu  steuern  suchen.  Auch  lag  es  in  dem  familien- 
haften  Charakter  der  alten  Städte  begründet,  dass  man  nichts  mehr 
scheute  als  Vermischung  der  Bürgerschaft  mit  fremdem  Blute,  weil 
das  unvermeidlich  eine  Zerrüttung  der  Familien  und  der  häuslichen 
Gottesdienste,  eine  Veränderung  der  Sitten  und  Lebensgewohnheiten 
zur  Folge  haben  musste.  Das  waren ,  wie  Viele  meinten ,  veraltete 
Gesichtspunkte,  aber  sie  waren  keineswegs  abgethan  und  bedeutungslos. 
Im  Gegentheile;  wo  die  Bürgerschaft  den  Staat  regierte,  kam  es  um  so 
mehr  darauf  an,  den  alten  Stamm  nicht  von  fremdem  Zuwachse 
überwuchern  zu  lassen.  Es  war  also  die  Aufgabe  einer  weisen  Politik, 
ohne  den  freien  Verkehr  in  nachtlieiliger  Weise  zu  beschränken,  das 
attische  Bürgerthum  vor  Zersetzung  und  Entartung  zu  schützen. 
Das  erkannte  Perikles  in  vollem  Mafse,  und  deshalb  ging  er  in  einer 
Zeil,  wo  man  immer  nur  vorwärts  strebte  und  alle  noch  vorhandenen 
Schranken  zu  beseitigen  suchte,  auf  die  ältere  und  strengere  Gesetz- 
gebung Athens  zurück. 

Es  bestand  nämlich  ein  alles  Gesetz,  nach  welchem  nur  die- 
jenigen auf  volles  Bürgerrecht  Anspruch  hatten,  welche  von  Vater- 
und  Mutterseite  attische  Landeskinder  waren ;  denn  nur  die  zwischen 
Bürgersohn  und  Bürgertochter  geschlossene  Ehe  war  eine  vollgültige. 
Diese  Satzung  war  nicht  in  Geltung  geblieben. 

Denn  wenn  auch  gewisse  äufserliche  Unterschiede  zwischen  Voll- 
bürtigen  und  Halbbürtigen  bestanden  (S.  15),  so  übte  man  doch,  was 
die  wesentlichen  Bürgerrechte  betrifft,  keine  strenge  Controle.  In  der 
Zeit  der  Persernoth,  wo  jeder  Zuwachs  an  Kraft  willkommen  war,  war 
am  wenigsten  Veranlassung  dazu  gewesen,  und  was  wäre  aus  Athen 
geworden,  wenn  man  alle  Halbbürtigen,  also  auch  einen  Themistokles 
und  Kimon,  von  dem  Bürgerrechte  hätte  ausschliefsen  wollen !  Anders 
ward  es  in  den  folgenden  Friedenszeiten,  als  immer  mehr  fremdes  Volk, 
Männer  und  Frauen,  nach  Athen  strömte,  von  den  Lustbarkeiten  und 
Festen  wie  von  dem  gewinnreichen  Markte  der  Stadt  angelockt.  Durch 
die  Menge  der  ionischen  Hetären  wurden  uneheliche  Verbindungen 
immer  zahlreicher,  und  gleichzeitig  wurde  das  attische  Bürgerrecht  mit 


Digitized  by  Google 


2B4 


PERIKLES'  BÜRGERGESETZ  (ÖS,  4;  445—  U). 


der  Entwicklung  der  Demokratie  und  dem  steigenden  Ruhme  der 
Stadl  immer  mehr  zu  einem  einträglichen  Privilegium.  Dazu  gehörte 
Antheil  an  den  Landvertheilungen  so  wie  der  Genuss  der  Geschenke, 
welche  von  fremden  Wohllhätern  nicht  selten  der  Bürgerschaft  gemacht 
wurden. 

In  diesen  Zeiten  wurde  eine  sorgfältigere  Beaufsichtigung  des 
Börgerrechts  wünschenswerth,  und  Perikles  war  es,  welcher  die 
Strenge  der  älteren  Gesetzgebung  wiederherstellte;  es  war  eine  der 
ersten  Mafsregeln,  welche  er  durchsetzte,  nachdem  er  seinen  vollen 
Einfluss  erlangt  hatte,  und  wenn  gerade  bei  dieser  Gelegenheit  die 
Kraft  und  Entschlossenheit  seines  Verfahrens  gerühmt  wird,  so  kann 
man  daraus  schliefsen,  welcher  Aufregung  er  begegnen,  welchen  Hem- 
mungen und  Anfeindungen  er  entgegentreten  musste.  Es  war  eine 
volksfreundliche  Malsregel,  insofern  zu  Gunsten  der  echten  Athener 
die  unberechtigten  Theilnehmer  an  den  Vortheilen  ihrer  Gemeinschaft 
zurückgewiesen  wurden,  wenn  eine  neue  Landanweisung  auf  den  Inseln 
im  Werke  war;  es  war  aber  zugleich  eine  Mafsregel  im  Sinne  aristo- 
kratischer Staatsordnung;  denn  sie  ersetzte  die  Thätigkeil,  welche  in 
älteren  Zeiten  der  Areopag  in  Beaufsichtigung  der  Bürgerlisten  und 
Entfernung  unnützer,  unberechtigter  oder  gefahrlicher  Bestandteile 
geübt  halte. 

Das  Gesetz  konnte  nicht  gleich  mit  rücksichtsloser  Strenge  durch- 
geführt werden.  Aber  der  Grundsatz  war  von  Neuem  festgestellt,  und 
als  nun  in  einem  Jahre  grofser  Theurung  (83,  4;  445^)  ein  Korn- 
geschenk von  40,000  Schefleln  aus  Aegypten  einlief,  um  unter  den 
Bürgern  verlheilt  zu  werden,  da  veranlasste  schon  der  Eigennutz  der 
Bürgerschaft,  die  Durchführung  des  perikleischen  Gesetzes  nachdrück- 
lich zu  unterstützen.  Die  Anzahl  derer,  welche  an  der  Spende  Theil 
nahmen,  war  über  14,000;  4760  wurden  ausgestofsen.  Darunter  sind 
nicht  blofe  Halbbürtige  zu  verstehen,  sondern  Nichtbürger,  Fremdlinge 
aller  Art,  die  sich  in  die  Bürgerlisten  eingedrängt  hatten.  Viele  der- 
selben mussten  das  Land  verlassen;  Andere  blieben  als  Schulzver- 
wandte; noch  Andere  endlich,  welche  gegen  ihren  Ausschluss  den 
Rechtsweg  eingeschlagen  hatten,  wurden,  wenn  sie  den  Prozess  verloren 
hatten,  als  Sklaven  verkauft140). 

Nachdem  die  Gefahren  beseitigt  waren,  welche  dem  Staate  aus 
einem  unbeschrankten  Zuströmen  von  Fremden  erwuchsen,  konnte  er 
sich  um  so  unbedenklicher  die  Vortheile  zu  nutze  machen,  welche  sich 


Digitized  by  Google 


FABRIKEN  UND  HANDEL. 


2(35 


daraus  für  alle  Gebiele  des  öffentlichen  Lebens  ergaben.  Die  BlQthe 
der  attischen  Gewerbe  hatte  die  Folge,  dass  die  Erzeugnisse  derselben 
aller  Orlen  gesucht  waren,  wie  z.  B.  die  altischen  Metallarbeiten, 
Lederwaaren,  Lampen,  Gerätbe  jeglicher  Art,  namentlich  Thon geschirr. 
Es  war  einer  der  gröfslen  Jahrmärkte  Griechenlands,  welcher  am 
zweiten  Tage  des  Anthesterienfestes  mit  Thonwaaren  gehalten  wurde. 
Ueber  alle  Küsten  des  Mittelmeers  verbreitete  sich  diese  attische  Waare; 
ja  den  Nil  hinauf  bis  nach  Aethiopien  wurde  sie  durch  phönikische 
Händler  vertrieben.  So  schloss  sich  an  die  Industrie  ein  lebendiger 
Ausfuhrhandel,  der  reichliches  Geld  nach  Athen  brachte  und  die  Er- 
werbsquellen seiner  Bürger  verviehlüligte. 

Zum  Seehandel  hatte  der  ionische  Stamm  von  Natur  einen  ent- 
schiedenen Beruf,  so  dass  es  weniger  als  anderswo  einer  künstlichen 
Belebung  bedurfte.  In  allen  Ständen  war  ein  rastloser  Unternehmungs- 
sinn, und,  wo  grofses  Capital  fehlte,  bildeten  sich  Vereine,  Genossen- 
schaften, um  durch  gemeinsame  Einzahlungen  ein  lohnendes  Geschäft 
mit  Erfolg  betreiben  zu  können.  Der  Staat  versäumte  nichts,  um 
diese  Thäligkeit  zu  fordern;  denn  während  die  aristokratischen  Ver- 
fassungen einem  unruhigen  Unternehmungssinn  ungünstig  waren,  lag 
es  im  Sinne  der  Demokratie,  dass  sich  möglichst  Viele  an  den  See- 
geschäften betheiligten,  weil  dieselben  mehr  als  alles  Andere  den 
Volksreichthum  mehrten,  die  Bürger  selbständig  machten,  den  Gewerb- 
fleils  belebten,  die  Seemacht  forderten  und  den  EinQuss  der  adeligen 
Grundbesitzer  zurückdrängten.  Darum  wurde  der  Handel  ein  Gegen- 
stand der  Staatskunst,  namentlich  in  Athen,  wo  mit  der  Blüthe  des 
Handels  auch  die  Ruhe  des  Landes  und  die  Machtstellung  der  Stadt  auf 
das  Engste  zusammenhingen. 

In  dieser  Hinsicht  waren  auch  Beschränkungen  des  unbedingten 
Freihandels  geboten.  Die  Athener  haben  die  unsicheren  Grundlagen 
ihrer  Seeherrscbaft  niemals  verkannt,  und  weil  sie  die  vielen  Hülfs- 
mittel,  welche  der  Staat  bei  der  Kleinheit  und  Dürftigkeit  der  eigenen 
Landschaft  nöthig  hatte,  um  jeder  Zeit  seiner  Aufgabe  gewachsen  zu 
sein,  mit  ängstlicher  Sorgfalt  im  Auge  behielten,  glaubten  sie  dem 
Handel  von  Athen  nicht  die  Freiheit  der  Bewegung  geben  zu  dürfen, 
welche  seiner  Entfaltung  sonst  am  zuträglichsten  gewesen  wäre.  Was 
also  zu  dem  unentbehrlichen  Staatsbedarfe  in  Krieg  und  Frieden  ge- 
hörte, wie  Getreide,  Bauholz,  Pech,  Flachs  u.  s.  w.,  durfte  überhaupt 
nicht  ausgeführt  werden.   Andere  Artikel,  wie  Oel,  durften  erst  dann 


Digitized  by  Google 


266 


ATHENS  HANDELSPOLITIK 


ausgeführt  werden,  wenn  der  öffentliche  Bedarf  hinreichend  ge- 
sichert war. 

Am  drückendsten  waren  die  Bestimmungen  in  Betreif  des  Korn- 
handels, weil  es  keinen  Staat  gab,  welcher  von  auswärtigem  Korne  so 
abhängig  war,  wie  Athen.  Jede  Stockung  der  Zufuhr,  jede  Steigerung 
der  Marktpreise,  ja  jede  Besorgniss  vor  einer  solchen  war  eine  Ge- 
fahrdung der  Ruhe  und  bürgerlichen  Ordnung.  Wohlfeiles  Brod  war 
das  erste  Interesse  der  Bürgerschaft,  eine  der  wesentlichsten  Aufgaben 
der  Gesetzgebung  und  Verwaltung. 

Deshalb  durfte  hier  der  kaufmännischen  Speculation,  welche  einen 
öffentlichen  Nothstand  in  eigennütziger  Absicht  ausbeuten  konnte,  am 
wenigsten  Spiel rau m  gelassen  werden.  Die  attischen  Rheder  und  Grofs- 
händler,  welche  das  Korn  vom  schwarzen  Meere  holten,  durften  sich 
also  nicht  die  Häfen  aussuchen,  wo  sie  für  ihre  Ladungen  den  besten 
Absatz  zu  erwarten  hatten;  sie  mussten  Alles  nach  Athen  führen. 
Die  Kleinhändler  wiederum  durften  nicht  nach  Belieben  einkaufen, 
sondern  zur  Zeit  nur  eine  bestimmte  Zahl  von  Scheffeln,  und  den 
Scheffel  nur  um  einen  Obolos  theurer  verkaufen,  als  sie  eingekauft 
hatten.  Sie  waren  also  gewissermaßen  Agenten,  denen  von  Staats- 
wegen nur  ein  bestimmter  Prozentsatz  als  Gewinn  erlaubt  war.  Be- 
sondere Beamte  (S.  109)  überwachten  die  Gesetze  des  Korngeschäfts, 
jede  Uebertretung  wurde  wie  ein  Majestätsverbrechen  geahndet.  Denn 
auch  der  Kaufmann  sollte  vor  Allem  Staatsbürger  sein  und  seiner 
Bürgerpflicht  genügen;  es  war  also  ein  Verbrechen,  wenn  er  zu  seinen 
Gunsten  die  Verlegenheit  des  Staats  ausbeuten  wollte. 

Eben  so  gewaltsame  Mafsregeln  wendete  man  an,  um  die  See- 
geschäfte im  Peiraieus  zu  concentriren,  der  von  Natur  keineswegs  so 
gelegen  war,  um  ein  Mittelpunkt  des  Handels  zu  sein.  Darum  durften 
die  Athener  nur  auf  solche  Schiffe  Geld  ausleihen,  welche  bestimmt 
waren  Rückfracht  nach  Athen  zu  bringen;  denn  kein  attisches  Ver- 
mögen sollte  fremden  Handelsplätzen  zu  Gute  kommen.  Auch  den 
Bundesgenossen  wurden  Verträge  abgenöthigt,  nach  welchen  sie  ver- 
pflichtet waren,  gewisse  Waaren  nach  keinem  andern  Hafen  als  nach 
dem  Peiraieus  zu  verschiffen,  und  zwar  nur  in  bestimmten,  vom  Staate 
angewiesenen  Fahrzeugen.  Ein  solches  Gesetz  bestand  z.  B.  in  Be- 
ziehung auf  den  Röthel  der  Insel  Keos,  welcher  ein  auch  für  den 
Schilfbau  wichtiges  Färbematerial  war.  So  scheute  man  keine  Zwangs- 
mafsregeln,  um  den  Peiraieus,  der  unter  allen  Häfen  Anikas  allein 


ATHE.NS  HANDELSPOLITIK 


207 


Stapelrecbt  hatte,  zu  einem  Stapelplatze  von  ganz  Hellas  zu  machen, 
und  die  mit  Athen  verbundenen  Seestädte  gewannen  für  den  Verlust 
ihrer  Selbständigkeit  nicht  einmal  den  Vortheil,  dass  sie  innerhalb 
des  Bundesgebiets  freien  Verkehr  und  Umsatz  hatten.  Sie  konnten 
ihr  Bauholz,  Eisen  und  Kupfer,  ihren  Flachs  und  ihr  Korn  nur  so 
zu  Verkauf  bringen,  wie  es  der  Beherrscher  des  Meeres  ihnen  vor- 
schrieb. 

Wenn  politische  Rücksichten  dem  freien  Aufschwünge  des  Handels 
hart  und  hemmend  entgegentraten,  so  geschah  andererseits  Alles,  um 
denselben  zu  befordern,  und  die  Centralisation  des  Verkehrs  hatte  das 
Gute,  dass  für  den  einen  Stapelplatz  in  desto  grofsartigerem  Mafs- 
stabe  gesorgt  werden  konnte.  Der  Staat  sicherte  durch  seine  Kriegs- 
flotte  die  Pfade  des  Meeres,  und  unter  ihrem  Schutze  waren  die  Kauf- 
fahrer in  den  Gewässern  Lykiens  und  im  Po  mos  so  sicher  wie  an  den 
Küsten  von  Atlika.  Für  die  Interessen  der  Rheder  sorgte  man  durch 
Begünstigung  der  in  kaufmännischen  Unternehmungen  angelegten 
Küpitalien,  welche  bei  Ausschreibung  von  Kriegssteuern  geschont 
wurden,  so  wie  durch  Einrichtung  von  Handelsgerichten,  welche  in 
den  Winlermonaten  safsen  und  zu  rascher  Erledigung  der  Prozesse  ver- 
pflichtet waren,  um  den  Kaufleuten  jeden  Verlust  an  Zeit  und  Ver- 
dienst möglichst  zu  ersparen;  eine  Einrichtung  nach  Vorgang  der 
Aegineten,  von  denen  die  Athener  in  Handelseinrichtungen  viel  gelernt 
haben.    Die  Zölle  waren  gering  (2  Prozent  vom  Werthe). 

Durch  die  Sorge,  welche  der  Staat  für  gutes  Geld  wie  für  rich- 
tiges Mals  und  Gewicht  übernahm,  wurde  der  Geschäftsverkehr  er- 
leichtert und  gesichert.  Der  Doppelstempel,  welcher  in  Athen  sehr  früh 
an  Stelle  der  einseitigen  Münzprägung  eintrat  und  dann  in  Kleinasien 
u.  s.  w.  nachgeahmt  wurde,  erschwerte  die  Falschmünzerei  und 
forderte  dadurch  die  Sicherheit  des  Verkehrs.  Wie  die  anderen  Grofs- 
handelsstädte  der  griechischen  Welt,  Chios,  Samos,  Rhodos,  erkannte 
auch  Athen,  dass  für  den  Kredit  des  Geldes  nichts  wirksamer  sei,  als 
das  Festhalten  am  alten  Prägbilde.  Darum  blieben  auch  auf  dem  atti- 
schen Drachmengeld  Athenakopf  und  Eule  im  Wesentlichen  unver- 
ändert; eben  so  wurde  die  plumpe  Form  des  Geldstücks  beibehalten. 

Zur  Sicherheit  des  Verkehrs  wirkten  auch  die  strengen  Schuld- 
geselze Athens,  weil  sie  dazu  dienten,  den  Kredit  zu  befestigen.  Jede 
Gattung  bürgerlicher  Betriebsamkeit  hatte  Ehre  und  Schutz.  Es 
herrschte  ein  lebhafter  und  erspriefslicher  Geldumsatz;  in  Fabriken 


Digitized  by  Google 


GEISTIGES  LEREN  IN  ATHEN. 


und  Bodmerei,  Waaren-  und  Geldge8chäfl,  Bergwerken,  Mietshäusern 
u.  8.  w.  waren  die  Kapitalien  vorlheilbaft  angelegt.  Niemand  dünkte 
sich  zu  vornehm,  um  sich  am  Geschäfte  zu  betheiligen. 

Für  die  an  auswärtigen  Plätzen  befindlichen  Kaufleute  sorgten  die 
daselbst  ansässigen  Geschäftsträger  (Proxenoi),  welche  vermöge  ihres 
Ehrenamts  als  ölten  Iii  che  Gastfreunde  sich  der  Bürger  des  ihnen  be- 
freundeten Staats  annahmen.  Der  Bürger  Athens  war  aber  auch  ohne 
dies  durch  die  Macht  des  Staats,  der  für  ihn  eintrat,  gegen  jede  Unbill 
gesichert,  und  die  Furcht  vor  den  attischen  Richtern  trug  dazu  bei, 
dass  im  Umkreise  ihrer  Gerichtsbarkeit  Niemand  an  altischem  Eigen- 
thuine sich  zu  vergreifen  wagte.  Je  mehr  der  Wohlstand  Athens  sich 
hob,  um  so  mehr  wurde  die  Stadt  ein  Mittelpunkt  des  weiten  See- 
gebiets und  ihr  Hafen  der  erste  Markt,  wo  die  Waaren  aller  Küsten- 
länder zusammenflössen,  wo  die  Sklaven,  die  Fische  und  Felle  des 
schwarzen  Meers,  die  Bauhölzer  Thrakiens,  das  Obst  Euboias,  die 
Trauben  von  Rhodos,  die  Weine  der  Inseln,  die  Teppiche  von  Milet, 
die  Erze  von  Cypern,  der  Weihrauch  von  Syrien,  die  Datteln  von 
Phönizien,  der  Papyrus  Aegyptens,  das  Silphium  von  Kyrene,  die 
Leckereien  Sicilieus,  das  feine  Schuhwerk  von  Sikyon,  kurz  alle  aus- 
wärtigen Produkte  eben  so  reichlich  wie  die  der  eigenen  Landschaft 
zu  Kauf  standen141). 


Es  knüpf  ten  sich  aber  an  den  reichen  Verkehr,  dessen  sich  Athen 
in  den  perikleischen  Friedensjahren  erfreute,  noch  ganz  andere  Vor- 
theile  als  die  für  Gewerbe  und  Handel;  denn  auch  die  höheren  Geistes- 
richtungen fanden  immer  mehr  ihren  Mittelpunkt  in  Athen,  und 
Niemand  ist  eifriger  bedacht  gewesen  dies  zu  fördern  als  Perikles. 
Darum  lud  er  persönlich  solche  Männer  ein,  von  denen  er  sich  eine  be- 
deutende Wirkung  aur  die  Belebung  wissenschaftlicher  Studien  und 
die  Förderung  einer  höheren  Geselligkeit  versprach.  So  war  auf  seine 
Einladung  der  Syrakusaner  Kephalos  nach  Athen  übergesiedelt,  ein  be- 
güterter angesehener  Mann,  dessen  Vorfahren  in  dem  Kampfe  gegen 
die  Tyrannen  seiner  Vaterstadt  sich  ausgezeichnet  hatten,  und  in  dessen 
Hause  die  edelsten  Studien  mit  Liebe  gepflegt  wurden.  Dreifsig  Jahre 
lebte  er  im  Peiraieus  und  war  als  Mann  und  Greis  das  Musterbild  eines 
frommen  und  weisen  Hellenen.  Er  war  dem  perikleischen  Staate, 
welchem  er  als  Schutzbürger  angehörte,  mit  ganzer  Liebe  zugethan,  so 


Digitized  by  Google 


A> FÄNGE   DER   GESCHI  CHTSCHREinr>*G. 


209 


dass  er  es  sich  zur  Ehre  anrechnete,  kostspielige  Leistungen  für  den- 
selben zu  übernehmen;  sein  gastliches  Haus  war  ein  Sammelort  der 
geistvollsten  Männer1"). 

Aber  auch  ohne  besondere  Aufforderung  fühlten  sich  die  bedeu- 
tenderen Männer  der  Zeit  nach  Athen  gezogen.  Denn  je  weniger  der 
literarische  Verkehr  ausgebildet  war,  um  so  wichtiger  war  der  persön- 
liche Umgang  und  der  mündliche  Austausch  der  Ideen,  namentlich  in 
einer  Zeit,  wie  die  damalige  war,  wo  in  Folge  der  grofsen,  nationalen 
Begebenheiten  die  Geister  nach  allen  Seiten  hin  lebendig  angeregt 
waren  und  ein  wissenschaftliches  Streben  sich  Bahn  brach,  welches 
auf  keinem  Gebiete  bei  dem  Hergebrachten  und  Gewöhnlichen  sich  be- 
ruhigen wollte.  Wie  einst  nach  Sparta  (I,  281),  so  wurden  jetzt  nach 
Athen  alle  neuen  Entdeckungen  gebracht,  welche  der  hellenische  Geist 
in  Kunst  und  Wissenschaft  gemacht  hatte.  Aber  der  Unterschied  war, 
dass  Athen  nicht  blofs  ein  Sammelplatz  hervorragender  Männer, 
sondern  auch  ihre  Heimath  wurde,  und  dass  die  wissenschaftlichen 
Ideen  hier  nicht  blofs  einen  Markt  fanden,  auf  dem  ihnen  Anerkennung 
und  Verbreitung  zu  Theil  wurde,  sondern  auch  einen  Boden,  in  dem 
sie  Wurzel  schlugen,  indem  das  Volk  von  Athen  ein  aufmerksames, 
lernbegieriges,  und  lebendig  auflassendes  Publikum  war. 

Peisistratos  und  die  Pisistratiden  hatten  hier  vorgearbeitet. 
Die  Schriftensammlung,  welche  Athen  ihnen  verdankte,  gewährte  für 
literarische  und  historische  Forschung  Vortheile,  welche  an  keinem 
andern  Orte  zu  finden  waren.  Darum  ist  es  nicht  überraschend, 
wenn  wir  schon  vor  der  perikleischen  Zeit  forschende  Männer  nach 
Athen  wandern  sehen.  Zu  ihnen  gehört  Pherekydes  aus  Leros,  der 
in  Athen  seine  zweite  Heimath  fand;  ein  Mann,  welcher  ganz  in  den 
Ueberlieferungen  der  Vorzeit  lebte  und  darauf  ausging,  die  Masse 
der  Götter-  und  Heroensagen  zu  sichten.  Dabei  fand  er  Gelegen- 
heit, die  Stammväter  derjenigen  Geschlechter,  die  zu  seiner  Zeit  in 
den  Freiheitskämpfen  neuen  Ruhm  gewannen,  in  seinen  Schriften 
hervorzuheben,  und  so  stieg  er  aus  dem  Nebel  heroischer  Vorzeit 
zu  den  glänzenden  Thaten  der  Gegenwart,  vom  Sohne  des  homerischen 
Aias  bis  zu  dem  Sieger  von  Marathon  herab. 

Es  war  natürlich,  dass  die  älteren  Geschichtsforscher,  denen 
auch  Pherekydes  seiner  ganzen  Weise  nach  angehörte,  nur  die 
Sagenkreise  und  Alterthümer  einzelner  Geschlechter,  einzelner  Städte 
und  Landschaften  in  das  Auge  fassten;  es  waren  dies  die  ionischen 


Digitized  by  Google 


270 


HEKATAIOS.      HEROÜOT   VON   HALIK  AIO'ASS. 


Logographen,  wie  man  sie  nannte,  weil  sie  in  ungebundener  Rede 
aufzeichneten,  was  sie  über  die  Gründung  der  Städte,  über  die 
Sogen  der  Vorzeit,  über  Beschaffenheit  und  Einrichtung  verschiedener 
Lander  Bemerkenswertes  gesammelt  und  erforscht  hatten.  So 
schrieben  schon  in  der  Mitte  des  sechsten  Jahrhunderts  K ad  mos  von 
Mitet  und  Akusilaos  von  Argos  über  die  heimathlichen  Alterthümer. 

Viel  tiefer  und  weiter  ging  die  Forschung  des  Hekataios  (I,  61S), 
welcher  schon  in  einer  zu  bewegten  Gegenwart  stand,  als  dass  er 
sich  an  einem  harmlosen  Wiedererzählen  vorzeitlicher  Ueberlieferungen 
hätte  genügen  lassen.  Er  suchte  den  Kreis  der  Lander-  und  Völker- 
kunde über  alle  Küsten  der  benachbarten  Meere  auszudehnen;  er 
verbesserte  die  milesischen  Karten  (I,  499,  620)  und  erforschte  mit 
besonderem  Eifer  die  Einrichtungen  des  ägyptischen  Volks.  Es  war 
ein  wissenschaftlicher  Geist  von  bahnbrechender  Wirksamkeit,  dem 
andere  Landsleute,  wie  Gharon  aus  Lampsakos,  sich  anschlössen. 
Aber  so  mannigfaltig  und  fruchtbar  auch  die  Keime  der  historischen 
Forschung  waren,  welche  sich  unter  den  loniern  entwickelten,  so 
gab  doch  lonien  selbst  keinen  StofT  für  eigentliche  Geschichtschrei- 
bung; es  war  keine  Stadt  da,  welche  mit  Ausdauer  und  Helden- 
sinn grofse  Ziele  verfolgte.  Noch  weniger  konnte  von  einer  Volks- 
geschichte die  Rede  sein,  so  lange  die  Hellenen  in  ihren  vielen 
Stadtgemeinden  diesseits  und  jenseits  des  Wassers  ohne  gemeinsame 
Interessen  neben  einander  dahin  lebten.  Erst  durch  die  Vereinigung 
der  hellenischen  Volkskräfte  gegen  die  Perser  unter  dem  Vortrille 
eines  Staats,  wie  Athen,  konnte  der  Standpunkt  genommen  werden, 
von  welchem  eine  Gesamtgeschichte  der  Hellenen  möglich  war,  und 
diesen  Standpunkt  zuerst  mit  klarem  Blicke  erfasst  zu  haben,  ist 
das  unsterbliche  Verdienst  des  Herodotos  von  Halikarnass,  welcher 
dadurch  die  Sagen-  und  Länderkunde  der  Logographen  zur  Kunst 
der  Geschichtschreibung  erhoben  hat148). 

Schon  seine  Geburtsstadt  war  vorzugsweise  geeignet,  ihm  einen 
freien  und  weiten  Blick  zu  eröflnen;  denn  hier  am  Rande  von 
Karien,  inmitten  eines  belebten  Handelsverkehrs,  konnte  er  Barbaren- 
thum und  Hellenenthum,  dorisches  und  ionisches  Wesen,  bürger- 
liche Freiheit,  städtische  Tyrannis  und  orientalische  Reichs  Verfassung, 
Landmacht  und  Seemacht,  kurz  alle  Gegensätze,  welche  die  Welt 
bewegten,  von  frühester  Jugend  an  besser  kennen  lernen,  als  an 
irgend  einem  andern  Orte. 


Digitized  by  Google 


HERODOT  UND  PAM'ASLS. 


271 


Halikarnassos  war  als  eine  Stadt  der  Dorier  gegründet  und  war 
lange  Zeit  ein  Mitglied  des  dorischen  Städtebundes,  zu  welchem 
Knidos,  Kos  und  die  drei  Städte  der  Rhodier  gehörten.  Ihr  heiliger 
Mittelpunkt  war  der  Tempel  des  Apollo  auf  dem  Vorgebirge  Triopion 
bei  Knidos,  wo  sich  die  sechs  Gemeinden  zu  Opfern  und  Festspielen 
vereinigten  und  die  bei  den  Wettkämpfen  vertheilten  Preisgeßfse 
aufstellten.  Halikarnass  aber  war  ein  Pflanzort  von  Troizen  (I,  115) 
und  hatte  bei  seinem  ionischen  Yolksthum  eine  Abneigung  gegen  die 
Strenge  dorischer  Satzungen.  Als  daher  ein  Bürger  der  Stadt, 
Agasikles,  den  gewonnenen  Dreifuß»  nicht  im  Heiligthum  weihte, 
sondern  mit  nach  Hause  nahm  und  die  Gemeinde  keine  Genug- 
tuung gewährte,  wurde  die  Stadt  von  der  dorischen  Sechsstadt 
ausgeschlossen  und  hatte  seitdem  ihre  eigene  Geschichte. 

Zu  Herodo ts  Zeit  waren,  wie  die  Inschriften  bezeugen,  ionische 
Mundart  und  Schrift  daselbst  in  offiziellem  Gebrauch;  auch  seine 
Familie  war  eine  ionische;  sie  war  eine  der  angesehensten  der 
Bürgerschaft  und  auch  nach  Chios  verzweigt.  Er  wuchs  auf  in 
ehrerbietiger  Anschauung  des  grofsen  Perserreichs,  dem  seine  Vater- 
stadt, als  er  geboren  wurde  (zwischen  490  und  4S0  v.  Chr.),  seit 
zwei  Menschenaltern  angehörte.  Sie  war  aber  zugleich  der  Mittel- 
punkt eines  eigenen  Staats,  welcher  die  umliegende  Küste  mit  der 
vorliegenden  Inselgruppe  Kos,  Nisyros  und  Kalymna  vereinigte,  der 
eine  kleine  Flotte  hatte  und  unter  karischen  Fürsten,  namentlich 
unter  der  hochherzigen  und  staatsklugen  Artemisia  (S.  74)  zu  grofsem 
Wohlstande  gelangt  war.  Das  hellenische  Gemeindeleben  in  Hali- 
karnass war  aber  auch  unter  der  karischen  Dynastie  kräftig  und 
bewegt  genug  gebbeben,  um  für  den  jungen  Herodot  eine  reiche 
Schule  politischer  Erfahrung  zu  werden144). 

Poetische  Anregung  und  Kenntniss  der  hellenischen  Volkssagen 
und  Dichtungen  verdankte  er  seinem  Oheim  Panyasis,  einem  Manne, 
welcher  in  der  Kunde  göttlicher  Wahrzeichen  und  Orakelsprüche  be- 
sonders bewandert  und  zugleich  eiu  Dichter  von  selbständiger  Geistes- 
kraft war;  denn  er  war  im  Stande  das  ionische  Epos  wieder  zu  er- 
wecken, ohne  ein  matter  Nachahmer  Homers  zu  sein ;  er  behandelte 
mit  umfassender  Gelehrsamkeit  den  Sagenkreis  des  Herakles,  welcher 
mehr  als  alle  anderen  Heroen  die  hellenische  und  die  nicht  hellenische 
Welt  mit  einander  verband.  So  wurde  auch  durch  ihn  Herodot  an- 
geleitet, seinen  forschenden  Blick  über  das  Einzelne  und  Oertliche 


Digitized  by  Google 


272 


HERODOT  UM)  H ALIKARNASS. 


hinaus  zu  einem  weiteren  Gesichtskreise  zu  erheben,  und  die  aufser- 
ordentlichen  Thatsachen,  welche  den  jähen  Verfall  des  persischen 
Weltreichs  ankündigten,  richteten  das  Nachdenken  des  heranwachsen- 
den Junglings  dahin,  den  Gesetzen  nachzuforschen,  nach  welchen 
Staaten  mächtig  werden  und  wieder  zu  Grunde  gehen.  Mit  alt- 
gläubigem Sinne  sah  er  die  Götter  herrschen  über  Hellenen  und  Bar- 
baren und  hörte  in  den  Orakeln  ihre  mahnende  Stimme.  Den  Bar- 
baren sind  ihre  Wege  verborgen,  aber  dem  helleren  Auge  der  Hellenen 
enthüllen  sie  sich,  und  Herodot  selbst  setzte  sein  Leben  daran,  ein 
vielbewegtes,  unstates  Wanderleben,  das  ihn  von  Kyrene  bis  Agbatana, 
von  Elephantine  bis  zum  kimmerischen  Bosporos  führte,  aber  zu- 
gleich ein  Leben  voll  innerer  Sammlung,  welches  darauf  gerichtet 
war,  die  bunte  Mannigfaltigkeit  der  menschlichen  Dinge  zu  über- 
blicken und  den  Zusammenhang  in  dem  Gange  ihrer  Entwickelung  zu 
erkennen. 

Indessen  war  es  Herodot  nicht  beschieden,  nur  in  sinniger  Be- 
schaulichkeit die  Welt  zu  betrachten,  sondern  er  ist  persönlich  in  die 
Kämpfe  der  Zeit  hineingezogen  worden.  Es  kam  nämlich  nach  Arte- 
misia,  deren  er  mit  unverkennbarer  Hochachtung  gedenkt,  und  ihrem 
Sohne  Pisindelis  ihr  Enkel  Lygdamis  zur  Regierung  in  Halikarnass. 
Unter  diesem  Fürsten  trat  gegen  die  nationale  Bewegung,  welche  sich 
seit  dem  Tage  von  Mykale  in  den  meisten  Griechen  Städten  der  klein- 
asiatischen Küste  gezeigt  hatte,  eine  durch  Persien  unterstützte  Re- 
action  ein.  Die  Führer  der  Volkspartei,  darunter  Panyasis  und  Herodot, 
wurden  vertrieben.  Sie  fanden  in  Samos  eine  neue  Heimalh,  wo  der 
junge  Mann  die  griechische  Gultur  in  ihrer  höheren  Entwickelung 
kennen  lernte,  und  seine  politischen  Grundsätze  befestigte.  Nach 
wiederholten  Versuchen,  die  Vaterstadt  wiederzugewinnen,  wobei 
Panyasis  durch  Lygdamis  das  Leben  eingebüßt  hat,  gelang  es  den  Ver- 
bannten, die  Heimkehr  zu  erzwingen ;  sie  wurden  durch  einen  feier- 
lichen Vertrag  in  ihre  Grundstücke  wiedereingesetzt,  und  durch  Zu- 
geständnisse von  Seiten  des  Tyrannen  kam  eine  Ausgleichung  der 
Parteien  zu  Stande ,  so  dass  Lygdamis  wenigstens  einen  Theil  seiner 
Gewalt  behielt.  Dann  aber  wurde  er  vertrieben;  in  den  Listen  der 
attischen  Bundesgenossen  erscheint  Halikarnass  bereits  Ol.  81,  3;  454 
als  freie  Stadt >"). 

In  diese  Zeit  fällt  Herodots  wichtigste  Reise,  die  Erforschung  des 
Nilthals. 


Digitized  by  Google 


I1ER0D0T  IN  ATHEN, 


273 


Aegypten  war  die  hohe  SchuJe  für  alle  Hellenen,  welche  das 
Bedürfniss  fühlten,  über  das  Vaterländische  hinaus  ihre  Erkenntniss 
zu  erweitern;  denn  hier  allein  gab  es  eine  Ueberlieferung  gelehrter 
Priesterschaften,  hier  allein  uralte  Geschichtskunde,  und  schon  damals 
wurde  lebhaft  darüber  gestritten,  was  die  Aegypter  vor  den  Hellenen 
voraus  hätten  und  was  von  dort  nach  Hellas  übertragen  sei.  Seit- 
dem das  ägyptische  Reich  sich  auf  Griechen  stützte  (I,  413),  war  die 
Auskundschaftung  des  alten  Wunderlandes  wesentlich  erleichtert. 
Psammetichos  hatte  den  im  Lande  ansässigen  Ioniern  ägyptische 
Knaben  übergeben,  damit  sie  in  griechischer  Schrift  und  Sprache 
unterrichtet  würden,  und  die  gegenseitige  Annäherung  der  beiden 
Völker  diente  dazu,  dass  man  nicht  nur  das  Absonderliche  und 
Aufserord entliehe  des  ägyptischen  Alterthums,  sondern  auch  das 
mit  hellenischer  Ueberlieferung  Uebereinstimmende  sicherer  erkennen 
konnte. 

Herodot  benutzte  zu  seinem  Aufenthalte  in  Aegypten  die  Zeit,  da 
sich  das  Land  nach  dem  grofsen  Aufstande  (S.  173)  wieder  beruhigt 
hatte,  also  die  Zeit  nach  81,  2;  455  und  begann  dann,  in  die 
Heimath  zurückgekehrt,  das  gesammelte  Material  in  Mufse  auszu- 
arbeiten. 

Hier  kam  er  aus  der  Betrachtung  des  Urallen  und  Unveränder- 
ten in  eine  Welt  gährender  Entwickelung,  welche  sich  an  die  T baten 
des  Tbemistokles,  Aristeides  und  Kimon  anschloss,  und  nachdem 
ihm  in  Samos,  dem  Bindcgliede  von  Ionien  und  Athen,  die  Bedeutung 
der  Stadt  aufgegangen  war,  welche  jetzt  den  Mittelpunkt  griechischer 
Geschichte  bildete,  zog  es  ihn  mit  unwiderstehlicher  Macht  aus  dem 
Orient,  dessen  Kraft  gelähmt  war,  aus  Ionien,  das  unfähig  war  sich 
selbst  zu  helfen,  nach  Athen  in  die  Mitte  der  Bürgerschaft,  an  welche 
sich  die  Zukunft  des  ganzen  Volks  anknüpfte. 

Je  mehr  er  als  vielgereister  und  vielbelesener  Mann  im  Stande 
war,  Länder  und  Zeiten  zu  vergleichen,  um  so  deutlicher  wurde  ihm, 
dass  die  Thaten  der  Athener  an  wahrer  Gröfse  und  folgenreicher 
Bedeutung  alles  Frühere  übertrafen,  dass  sie  der  Zeitgeschichte  ihr 
Gepräge  gaben.  Und  wenn  er  nun  das  attische  Leben  nicht  in  wilder 
Gährung  fand,  wie  das  der  ionischen  Republiken,  sondern  bei  voller 
Entfaltung  bürgerlicher  Freiheit  wohlgeordnet  und  von  einem  hervor- 
ragenden Geiste  sicher  und  ruhig  geleitet,  so  musste  er  in  diesem 
den  Genius  der  Zeit  erblicken. 

Curtius,  Or.  Geich.  II.  G.  Aufl.  18 


Digitized  by  Google 


271 


HF.RODOT   DU  PERIKLES. 


Wie  Herodot  dem  Perikles  huldigte,  hat  er  selbst  angedeutet, 
indem  er  des  Traumes  der  Agariste  gedenkt,  welche  kurz  vor  ihrer 
Entbindung  das  Gesicht  halte,  dass  sie  einen  Löwen  gebäre.  Auf 
solche  Weise  wird  die  Geburt  weltgeschichtlicher  Männer*  von  den 
Göttern  angezeigt,  um  sie  in  ihrer  aufserordentlichen  Sendung  zu 
heglaubigen.  Je  zurückhaltender  aber  Herodot  sonst  in  seiner  epischen 
Ruhe  ist,  und  je  deutlicher  aus  seinem  ganzen  Werke  hervorgeht, 
dass  die  Ueberzeugung  von  dem  hohen  Ruhme  Athens  als  der  Stadl, 
die  Hellas  gerettet  hat,  aus  seiner  eigenen  Betrachtung  der  Zeitge- 
schichte hervorgegangen  ist,  um  so  mehr  ist  sein  Werk  die  gröfste 
Verherrlichung  der  Athener,  deren  Thaten  ihn  aus  einem  Ethnogra- 
phen zum  Historiker  gemacht  und  überhaupt  die  hellenische  Ge- 
schichtschreibung hervorgerufen  haben.  Ohne  Zweifel  hat  Herodot 
auch  mit  Perikles  in  persönlichen  Beziehungen  gestanden;  denn  es 
konnte  für  Perikles  keine  gröfsere  Befriedigung  geben,  als  dass  er 
die  politische  Mission  seiner  Vaterstadt  und  seine  eigene  nationale 
Politik  von  einem  Ionier,  und  zwar  von  einem  so  selbständigen  und 
weitausschauenden  Geiste  in  diesem  Grade  anerkannt  sah.  Er  musste 
nichts  mehr  wünschen,  als  dass  es  Herodot  gelänge,  sein  grolses  Werk 
in  der  Weise  zu  Stande  zu  bringen,  dass  die  Ansprüche  der  Athener 
auf  Leitung  der  griechischen  Angelegenheiten  als  das  natürliche  Er- 
gebniss  der  vorangegangenen  Entwicklungen  erscheinen  mussten  und 
dass  seine  Geschichtsanschauung  die  gröfste  Verbreitung  fände.  Darum 
wird  es  auf  Perikles'  Veranstaltung  geschehen  sein,  dass  Herodot  aus 
seinen  ersten  Büchern,  welche  etwa  um  446  in  Athen  zu  Stande 
kamen,  öffentliche  Vorlesungen  daselbst  hielt. 

Auf  Antrag  eines  Atheners,  Namens  Anytos,  wurde  ihm  von  Seiten 
der  Bürgerschaft  ein  Ehrengeschenk  von  10  Talenten  (47,100  M.)  zu- 
erkannt Man  fühlte,  dass  der  Ruhm  am  besten  verbürgt  sei,  der 
keines  anderen  Herolds  bedürfe  als  eines  wahrheitstreuen  Geschicht- 
schreihers. Wie  populär  seine  Bücher  um  441  v.  Chr.  in  Athen 
waren,  zeigt  die  im  Frühling  dieses  Jahres  aufgeführte  Antigone  des 
Sophokles,  in  welcher  eine  Anspielung  auf  Herodot  enthalten  ist,  die 
darauf  berechnet  war,  im  Publikum  sofort  verstanden  zu  werden. 

Herodot  war  aber  noch  zu  jugendlich,  um  sich  bei  dem  zu  be- 
ruhigen, was  er  kennen  gelernt  hatte.  Nachdem  er  in  ganz  Hellas 
und  namentlich  auch  in  Sparta  die  Denkmäler  durchforscht  und  die 
Familientraditionen  gesammelt  hatte,  bot  ihm  die  Gründung  von 


Digitized  by  Google 


HF.LLANIKOS  VON  LESBOS. 


275 


Thurioi  zur  Erweiterung  seiner  Weltkunde  eine  Gelegenheit,  welcher 
er  nicht  widerstehen  konnte.  Seine  Geschichte  der  Freiheitskriege 
war  allmählich  zu  einer  Geschichte  der  attischen  Politik  geworden, 
und  darum  folgte  er  ihr  auch  nach  den  westlichen  Schauplätzen, 
welche  zum  ersten  Male  in  ihren  Kreis  hereingezogen  wurden.  Nach 
432  v.  Chr.  scheint  er  wieder  in  Athen  anwesend  gewesen  zu  sein, 
um  hier  sein  unterbrochenes  Werk  zu  Ende  zu  führen146). 

Durch  die  neue  Epoche  der  griechischen  Geschichtschreibung  ist 
die  ältere  Weise,  die  der  sogenannten  Logographen,  nicht  beseitigt 
worden.  Man  fuhr  fort  die  Ueberlieferungen  der  Vorzeit  zu  ordnen, 
wie  Pherekydes  gethan  halte,  und  machte  die  ersten  Versuche*,  eine 
chronologische  Ordnung  für  die  älteste  Geschichte  herzustellen.  Dazu 
konnten  nur  die  Stammbäume  einzelner  Fürstengeschlechter  benutzt 
werden,  und  namentlich  waren  es  die  Geschlechtsregister  der  attischen 
Neliden,  welche  dazu  verwerthet  wurden,  Stammbäume,  die  in  Athen 
wahrscheinlich  zur  Zeit  der  Pisistratiden  angefertigt  und  mit  einiger 
Sicherheit  bis  etwa  in  den  Anfang  des  neunten  Jahrhunderts  v.  Chr. 
hinaufgeführt  waren. 

Während  Herodot  seine  Rechnungen  an  die  Genealogien  orien- 
talischer Dynastien  und  namentlich  an  die  lydischen  Herakliden  (I,  554) 
anknüpft,  um  danach  die  Zeit  des  griechischen  Herakles  und  des 
troischen  Kriegs  zu  bestimmen,  so  war  es  sein  Zeitgenosse,  Hellanikos 
Ton  Lesbos,  der  zuerst  nach  griechischen  Ilülfsmitteln  ein  chrono- 
logisches System  der  vorgeschichtlichen  Zeit  aufstellte.  Unter  diesen 
Hülfsmitleln  erschienen  ihm  die  attischen  Königslisten  als  die  best- 
geordneten und  brauchbarsten ;  in  ihnen  wurde  die  ganze  Regierungs- 
zeit der  Neliden  bis  zur  Einfuhrung  des  10jährigen  Archontats  (Ol.  7, 
1;  752),  also  von  Alkmaion  rückwärts  bis  Melanthos  auf  397  Jahre 
berechnet.  Die  Ankunft  der  Neliden  wurde,  weil  sie  durch  den  Ein- 
bruch der  Herakliden  veranlasst  war,  als  Zeitbestimmung  für  den 
letzteren  benutzt  und  demgemäfs  das  Jahr  1149  vor  Chr.  dafür  ge- 
wonnen und  zwei  Geschlechter  rückwärts  1209  der  Fall  Trojas  an- 
gesetzt. 

Dadurch  wurde  zugleich  eine  synchronistische  Chronologie  der 
griechischen  Vorzeit  begründet,  und  wenn  dies  auch  nicht  geschehen 
konnte,  ohne  dass  man  im  Eifer  der  Systematik  der  Ueberlieferung 
vielfach  Gewalt  anthat,  indem  man  den  gewünschten  Gleichzeitigkeiten 
zu  Liebe  die  Listen  der  Sagenkönige  und  Heroen  willkürlich  kürzte 

18* 


Digitized  by  Google 


276 


IONS  DENKWÜRDIGKEITEN. 


oder  verlängerte,  so  bezeugte  sich  doch  auch  hierin  der  Trieb  des 
hellenischen  Geistes,  die  Masse  des  Stoffs  zu  beherrschen,  zu  sichten 
und  zu  ordnen,  und  auch  hier  wurde  Athen  eine  Macht  auf  dem 
Gebiete  der  Literatur.  Indessen  erlangte  das  chronologische  System 
des  Hellanikos  keine  nationale  Geltung;  es  bildeten  sich  abweichende, 
peloponnesische  Rechnungsweisen,  an  welche  sich  später  die  alexan- 
drinischen  Chronologen  anzuschließen  für  gut  fanden147). 

Es  entwickelte  sich  aber  unter  dem  Einflüsse  Athens  noch  eine 
dritte  Art  historischer  Beobachtung  und  Darstellung,  das  war  die 
eigentliche  Zeitgeschichte.  Denn  während  Herodot  die  Ereignisse  dar- 
stellt, welche  in  dem  raschen  Entwickelungsgange  bald  zur  Vergangen- 
heit geworden  waren,  und  mit  feinfühlender  Zurückhaltung  es  ver- 
meidet, Zeitgenossen  und  Freunde  näher  zu  schildern  oder  den  idealen 
Charakter  seines  Werkes  durch  Parteifarbung  zu  entstellen:  gab  es 
andere  Schriftsteller  von  ionischem  Geblüt,  die  mit  ionischer  Lebendig- 
keit ins  volle  Leben  der  Gegenwart  hineingriffen  und  die  Eindrücke 
aufzeichneten,  welche  sie  von  den  hervorragendsten  Persönlichkeiten 
des  Tages  empGngen. 

Der  ausgezeichnetste  unter  ihnen  war  Ion  von  Chios,  ein  echter 
lonier,  vielseitig,  geistreich  und  gewandt;  einer  der  Ersten,  der  in 
Versen  und  in  Prosa  schrieb,  in  der  Tragödie  mit  den  Meistern  Athens 
den  Wettkampf  aufnahm  und  auch  die  alte  Geschichte  seiner  Heimath 
darstellte.  Sein  Element  aber  war  die  unmittelbare  Theilnahme  am 
bewegten  Lebeu  und  der  Verkehr  mit  den  bedeutendsten  Zeitgenossen 
in  den  verschiedenen  Städten  Griechenlands.  Denn  auch  in  Sparta 
finden  wir  ihn,  wie  er  an  der  königlichen  Tafel  ein  Preislied  anstimmt 
zu  Ehren  des  Königs  aus  Prokies'  Stamme,  wahrscheinlich  des  Archi- 
damos,  des  Nachfolgers  des  Leotychides  (S.  1 42).  Am  meisten  war 
er  aber  in  Athen  einheimisch  und  zwar  noch  vor  Herodot.  Hier 
hatte  er  Umgang  mit  Aischylos;  hier  stiftete  er  ein  Weihgeschenk, 
von  dessen  Widmung  noch  heute  die  Ueberreste  vorhanden  sind,  und 
schmückte,  wie  wir  vermuthen  dürfen,  während  seiner  Anwesenheit 
die  zu  Ehren  des  Siegers  von  Elon  errichteten  drei  Hermen  am  Markt 
mit  seinen  Versen.  Mit  Kimon  war  er  viel  zusammen ;  er  hörte  ihn 
beim  Male  Lieder  vortragen  und  in  zwangloser  Laune  aus  seinen 
Kriegsthaten  erzählen,  wie  er  z.  B.  die  thrakische  Siegesbeute  (S.  124  f.) 
in  zwei  Hälften  getheilt  und  den  Bundesgenossen  die  Wahl  gelassen 
habe,  ob  sie  die  Gefangenen  haben  wollten  oder  den  Schmuck  der- 


Digitized  by  Google 


10*.  STESJMUKOTOS. 


277 


selben,  den  er  auf  einen  Haufen  zusammengelegt  hatte.  Die  Bundes- 
genossen hätten,  wie  Kimon  vorausgesehen,  nach  der  Hälfte  gegriffen, 
welche  ihr  Auge  reizte,  und  in  der  Stille  den  einfältigen  Feldherrn 
verlacht,  weil  man  mit  den  zur  Arbeit  untauglichen  Persern  nichts 
anfangen  könne.  Nachher  aber  hätte  das  hohe  Lösegeld  den  Athenern 
einen  überreichen  Gewinn  gebracht,  so  dass  man  vier  Monate  lang 
davon  die  Flotte  unterhalten  und  viel  Gold  in  den  Schatz  über- 
geführt habe148). 

Auch  mit  Perikles  kam  Ion  zusammen  und  hörte,  wie  derselbe 
nach  dem  samischen  Feldzuge  in  stolzem  Selbstgefühle  sich  mit 
Agamemnon  verglich,  der  zehn  Jahre  vor  Ilion  gelegen  habe,  während 
es  ihm  gelungeu  sei,  in  wenig  Monaten  den  mächtigsten  Inselstaat  zu 
zwingen.  Die  anmuthigste  Schilderung  aber  giebt  uns  Ion  von  seinem 
Zusammentreffen  mit  Sophokles  auf  Chios  bei  dem  Gastmahle,  welches 
Hermesileos,  der  attische  Proxenos  daselbst,  dem  berühmten  AÜiener 
gegeben  habe.  Da  schildert  er  uns  den  Dichter,  wie  er  gegen  einen 
pedantischen  Schulmeister  einige  Verse  des  Phrynichos  vertheidigt, 
und  wie  er  mit  wohlangelegter  Kriegslist  einem  schönen  Knaben,  der 
als  Mundschenk  aufwartete,  einen  Kuss  abgewinnt,  und  dadurch  den 
Perikles  zu  widerlegen  sucht,  welcher  von  ihm  zu  sagen  pflegte,  er 
sei  zwar  ein  guter  Dichter,  aber  ein  schlechter  Feldherr. 

Solche  Züge,  welche  uns  in  das  tägliche  Leben  der  grofsen 
Männer  Athens  einen  Blick  thun  lassen  und  die  spärlichen  Leber- 
lieferungen  anmuthig  ergänzen,  zeichnete  Ion  in  seinen  historischen 
Denkwürdigkeilen  auf,  indem  er  es  nicht  verschmähte,  auch  die  Aeufser- 
lichkeiten  der  handelnden  Personen,  die  Gestalt  und  das  wallende 
Haar  Kimons,  die  strenge  und  steife  Vornehmheit  des  Perikles  u.  dgl. 
zu  schildern.  Freilich  war  er  kein  unparteiischer  Beobachter;  er 
wird  von  Hause  aus  eine  aristokratische  Richtung  gehabt  haben. 
Darum  hing  er  Kimon  an  und  zog  sich  auch  nach  dem  Sturze  der 
kimonischen  Partei  längere  Zeit  aus  Athen  zurück  (S.  187)*. 

Eine  ähnliche  Stellung  zur  Zeitgeschichte  hatte  Stesimbrotos, 
welcher  als  Bürger  von  Thasos  auch  den  Ioniern  beigezählt  werden 
darf  (S.  5).  Cr  war  gröfstentheils  in  Athen  ansässig  bis  in  die  Zeit  des 
peloponnesischen  Kriegs,  indem  er  nach  Art  der  Sophisten  mit  Unter- 
richt beschäftigt  war,  homerische  Studien  trieb  und  das  Leben  des 
Tbemistokles,  Thukydides  und  Perikles  darstellte;  dabei  behandelte 
er  diesen  wie  Themislokles  mit  unverkennbarer  Missgunst,  während 


278 


PHILOSOPHIE  r>D  SOPHISTIK 


er  den  Sohn  des  Melesias  und  mit  ihm  Kimon  als  die  Vertreter  der 
alten,  guten  Zeit  verehrte.  Bei  ihm  war  also  noch  mehr  als  bei  Ion 
die  Parteistellung  massgebend,  und  so  verdienstlich  es  auch  von  Beiden 
war,  dass  sie,  von  der  inbaltreichen  Gegenwart  angeregt,  eine  bio- 
graphische und  memoirenartige  Zeitgeschichte  begründeten,  so  ist 
dieser  Zweig  griechischer  Geschichtschreibung  doch  von  Anfang  an 
durch  Parteisucht  und  Liebhaberei  für  stadtische  Klatschgeschichten 
entstellt  worden149). 

Vou  allen  Richtungen  des  forschenden  Geistes  war  es  die  Philo- 
sophie, an  welcher  Perikles  den  persönlichsten  Antheil  nahm.  Aber 
er  hütete  sich  wohl  vor  der  Einseitigkeit,  in  welche  die  Pythagoreer 
verfallen  waren;  er  wollte  keinerlei  Art  von  Staatsphilosophie,  keine 
Genossenschaft,  welche  ihren  Grundsätzen  des  Lebens  und  Denkens 
einen  bestimmenden  Einfluss  zueignen  und  eine  Aristokratie  im  Staate 
bilden  wollte.  Er  huldigte  selbst  keinem  einzelnen  Systeme,  weil  er 
fühlte,  dass  sich  dies  mit  dem  Berufe  des  Staatsmanns  nicht  wohl 
vereinigen  lasse.  Er  pflegte  den  Umgang  mit  Anaxagoras,  mit  Zenon, 
Dämon,  Protagoras  wie  seinen  höchsten  Lebensgenuss  und  trug  das 
Seinige  dazu  bei,  dass  alle  seine  Mitbürger,  welche  höhere  Geistes- 
bedürfnisse  empfanden,  Gelegenheit  hatten,  die  neu  eröffneten  Quellen 
der  Weisheit  zu  benutzen,  ohne  sie  an  verschiedenen  und  entlegenen 
Orten  aufsuchen  zu  müssen. 

Aber  es  wurde  mehr  und  Wichtigeres  erreicht.  Die  philoso- 
phische Bildung  wurde  nicht  nur  den  Athenern  und  dadurch  auch 
den  übrigen  Hellenen  zugänglicher  gemacht,  sondern  die  Entwicklung 
der  Erkenntniss  selbst  wurde  in  neue  Bahnen  gelenkt.  Die  For- 
schungen traten  aus  dem  örtlichen  Zusammenhange  der  Schule  heraus 
und  machten  sich  von  den  Beschränkungen  derselben  frei.  Es  be- 
gegneten sich  die  verschiedenartigsten  Richtungen,  um  sich  gegen- 
seitig zu  ergänzen,  zu  berichtigen  und  zu  fördern;  man  wurde  sich 
des  Gemeinsamen  so  wie  der  Gegensätze  in  der  nationalen  Bildung 
bewusst;  die  ganze  Vielseitigkeit  des  geistigen  Volkslebens  trat  erst 
in  Athen  übersichtlich  zu  Tage,  und  dies  war  nicht  das  Ergebniss 
einer  künstlichen  Veranstaltung  oder  einer  zufalligen  Fügung,  sondern 
es  war  die  noth wendige  Folge  der  gesamten  Volksgeschichte,  dass 
Athen  der  Sitz  der  Philosophie,  der  Herd  aller  höheren  Erkenntniss 
wurde.  Hier  trafen  die  Denker  loniens,  die  Schüler  des  Parmenides 
und  des  Empedokles  und  die  Sophisten  zusammen;  der  Trieb  nach 


"WISSENSCHAFTLICHE  STUDIEN. 


279 


Erkenntniss  erwachte  immer  kraftiger,  und  immer  neue  Gegenstande 
wurden  wissenschaftlicher  Betrachtung  unterzogen. 

Freilich  gerieth  der  Wissenstrieb  auf  mancherlei  Abwege;  das 
Streben  nach  Ausbreitung  und  Verallgemeinerung  der  Kenntnisse 
schadete  dem  Ernste  und  der  Gründlichkeit  der  Wissenschaft.  Die 
Sophislik  ging  ja  darauf  aus,  durch  allgemeine  Geistesbildung,  durch 
formale  Denk-  und  Redeübung  die  auf  gründlicher  Kenntniss  und 
Erfahrung  beruhenden  Fachwissenschaften  überflüssig  zu  machen ;  sie 
war  der  Ausdruck  des  Zeitgeistes,  der  Alles  vernunftgemäß  reformiren 
und  in  vornehmem  Klugheitsdünkel  die  herkömmlichen  Ansichten  und 
Gewohnheiten  als  altväterlich  beseitigen  wollte;  so  musste  sie  zu  einem 
eitlen  und  ungründlichen  Vielwissen  verleiten,  wie  es  sich  in  Hippias 
von  Elia,  dem  jüngeren  Zeitgenossen  des  Protagoras,  am  deutlichsten 
dargestellt  hat.  Es  gab  nichts  Grofses  und  nichts  Kleines,  worüber 
die  Sophisten  dieser  Art  nicht  ihr  fertiges  Urteil  hatten;  die  tieferen 
Lebensfragen  der  Philosophie  traten  hinter  einer  inhaltleeren  und 
zungenfertigen  Scheinweisheit  zurück. 

Andererseits  waren  aber  in  der  Sophistik  auch  viele  fruchtbare 
Keime  echter  Wissenschaft  enthalten,  deren  Entfaltung  dem  periklei- 
schen  Athen  wesentlich  zu  Gute  kam.  So  eröffnete  Protagoras  die 
sprachwissenschaftlichen  Studien,  indem  er  den  grammatischen  Bau 
der  Sprache,  die  Formen  der  Wörter,  die  Wendungen  der  Rede 
theoretisch  untersuchte,  ihren  richtigen  Gebrauch  lehrte  und  eine 
wissenschaftliche  Terminologie  begründete.  Jüngere  Sophisten,  wie 
namentlich  Prodikos  von  Keos  und  Hippias,  beide  auch  als  Staats- 
männer in  Athen  thätig,  setzten  diese  Studien  fort.  Prodikos  ver- 
band Denk-  und  Redeübung,  indem  er  die  genaue  Unterscheidung 
sinnverwandter  Wörter  lehrte.  Solche  Studien  mussten  in  weiten 
Kreisen  anregend  wirken;  sie  schärften  das  Sprachgefühl,  trugen  zur 
feineren  Ausbildung  mündlicher  und  schriftlicher  Rede  bei  und  führten 
zu  eingehenderer  Beschäftigung  mit  älteren  Dichterwerken,  zu  literar- 
geschichtlichen  und  philologischen  Forschungen,  wie  die  Arbeiten  des 
Stesimbrotos  über  Homer  bezeugen.  Hippias  stellte  aber  auch  auf 
dem  Gebiete  der  politischen  Geschichte  ganz  neue  Gesichtspunkte 
auf;  er  begann  die  Einrichtungen  der  verschiedenen  Staaten  mit  ein- 
ander zu  vergleichen  und  legte  so  den  Grund  zu  einer  historisch- 
kritischen  Staatswissenschaft. 

Wie  durch  Hippodamos  (S.  199)  Strafsenanlage  und  Städtebau 


Digitized  by  Google 


2S0 


DIE  ASTHONOMIE  IN  ATHEN. 


zu  einem  Gegenstande  der  Wissenschaft  gemacht  worden  war,  so 
wurde  auch  Land-  und  Gartenwirtschaft  theoretisch  behandelt;  die 
Erfahrungen  der  Heilkunde,  welche  bis  dahin  in  den  Heiligthümern 
des  Asklepios  ein  Geheimniss  priesterlicher  Geschlechter  gewesen 
waren,  wurden  veröffentlicht.  Der  Asklepiade  Hippokrates  aus  Kos, 
welcher  auch  zu  Perikles'  Zeit  in  Athen  anwesend  war  und  Ehren- 
bürger der  Stadt  wurde,  kann  als  der  Gründer  einer  medicinischen 
Literatur  angesehen  werden.  Er  war  ein  Forscher  und  Lehrer  im 
gröfsten  Stile,  und  auch  durch  seine  sittliche  Gröfse,  namentlich 
seine  hohe  Uneigennützigkeit ,  von  dem  sophistischen  Zeitgeiste  am 
weitesten  entfernt,  obgleich  auch  er  ein  Schüler  der  Sophisten  ge- 
nannt wird. 

Unter  den  Naturwissenschaften  war  es  besonders  die  Astronomie, 
welche  um  diese  Zeit  in  Athen  einheimisch  wurde.  Welche  Kennt- 
niss  in  diesem  Fache  sich  schon  die  ionischen  Griechen  durch  eigene 
Forschung  wie  durch  Benutzung  orientalischer  Weisheit  angeeignet 
hatten,  beweist  Thaies  von  Milet  (I,  565).  Sein  Zeitgenosse  Phere- 
kydes  war  in  Syros  beschäftigt,  die  Sonnenwende  zu  beobachten. 
Eine  Felshöhle  der  Insel,  die  unter  dem  Namen  der  Sonnenhöhle 
bei  den  Alten  bekannt  war,  scheint  er  dazu  benutzt  zu  haben.  An 
andern  Orlen  waren  es  Felsberge,  welche  dadurch,  dass  sie  den 
Horizont  mit  scharfen  Linien  schneiden,  die  Beobachtung  des  nörd- 
lichsten und  südlichsten  Aufgangspunktes  der  Sonne  sehr  erleichterten. 
So  diente  den  Methymnäern  auf  Lesbos  der  hohe  Lepetymnos,  den 
Einwohnern  von  Tenedos  der  Ida;  hier  machte  Kleostratos,  dort 
Matriketas  astronomische  Forschungen. 

Athen  erwies  sich  nun  auch  in  dieser  Beziehung  als  ein  zur 
Ausbildung  der  Wissenschaften  von  Natur  ausgezeichneter  Ort,  weil 
der  im  Nordosten  der  Stadt  kühn  aufsteigende  Lykabetlos  die  Dienste 
des  Lepetymnos  und  Ida  in  vorzüglichem  Grade  leistete.  Denn 
man  sieht  am  längsten  Tage  die  Sonne  gerade  aus  dem  Winkel  auf- 
steigen, welchen  die  scharfen  Kanten  des  Lykabettos  und  die  dahinter 
liegenden  Berglinien  des  Brilessos  mit  einander  bilden.  Dieser  eigen- 
thümliche  Vorzug  des  attischen  Landes  wurde  erkannt  und  ver- 
werthet,  als  ein  gewisser  Phaeinos  sich  als  Schutzgenosse  in  Athen 
ansiedelte,  die  in  Kleinasien  begonnenen  Himmelsbeobachtungen  dort- 
hin verpflanzte  und  sich  mit  Hülfe  des  Lykabettos  eine  genauere 
Kenntniss  der  Sonnenwende  erwarb160). 


Digitized  byGoogle 


DAS  JAHR  DES  METO*. 


2Si 


Seitdem  war  Athen  auch  ein  Silz  der  Astronomie,  und  zu 
Perikles'  Zeit  wurden  die  Himmelsbeobachtungen  mit  grofsem  Eifer 
betrieben,  namentlich  von  Meton,  einer  der  bekanntesten  Persön- 
lichkeiten des  damaligen  Athens.  Er  tbeilte  die  sophistische  Bildung 
desselben;  er  war  ein  Meister  in  der  Kunst  des  Messens,  welche 
aus  dem  Nillande,  der  Heimath  der  Geometrie,  nach  Griechenland 
gekommen  war,  und  ein  Baukünstler  in  der  Weise  des  Ilippodamos; 
er  legte  Wasserwerke  an,  die  seinen  Namen  berühmt  machten. 
Seinen  eigentlichen  Ruhm  verdankt  er  aber  der  Astronomie,  wo  er 
sich  den  Studien  des  Phaeinos  anscbloss  und,  um  zu  einer  wissen- 
schaftlichen Bestimmung  des  jährlichen  Sonnenlaufs  zu  gelangen, 
ein  Instrument  erfand,  welches  er  Heliotropion  nannte.  Es  muss 
einer  Sonnenuhr  ähnlich  gewesen  sein,  eine  Platte  mit  einem  senk- 
rechten Stifte,  welcher  in  der  Mittagsstunde  des  längsten  Tages  den 
kürzesten  Schalten  warf  und  so  dazu  benutzt  wurde,  den  Tag  der 
sommerlichen  Sonnenwende  zu  bezeichnen.  Dies  Heliotropion  wurde 
Ol.  86,  4  (433)  in  Athen  aufgestellt.  Meton  arbeitete  gemeinschaft- 
lich mit  Euktemon  und  Philippos,  und  von  dem  großartigen  Mafs- 
stabe  ihrer  Arbeiten  zeugt  die  Nachricht,  dass  von  Athen  aus  auch 
auf  den  Cykladen  und  in  Makedonien  und  Thracien  Beobachtungen 
angestellt  wurden.  Auch  gingen  aus  dieser  Schule  sehr  wichtige 
Arbeiten  zur  Verbesserung  des  attischen  Kalenders  hervor. 

Bis  dahin  hatte  man  nur  die  Oktaeteris  (I,  313,  332),  die  Periode 
von  acht  Jahren,  von  welchen  drei  Jahre  dreizehnmonatlich  waren, 
um  so  Mond-  und  Sonnenjahre  auszugleichen.  Da  aber  S  solcher 
Sonnenjabre  noch  immer  nicht  ganz  99  Mondmonate  ausmachen, 
so  konnte  dieser  Zeitkreis  seinem  Zwecke  nicht  genügen;  es  be- 
durfte neuer  Aushülfen,  und  da  man  hiebei  rein  empirisch  verfuhr, 
rissen  immer  neue  Verwirrungen  ein.  Man  hatte  zu  wenig  Zusatz- 
lage eingelegt,  und  daher  kam  es  in  Perikles'  Zeit  häufig  vor,  dass 
die  Monatsanfänge  vor  den  Neumond  zurückwichen.  Meton  und  seine 
Genossen  rechneten  aus,  dass  innerhalb  eines  Zeitkreises  von  6940 
Tagen  eine  richtigere  Ausgleichung  zu  gewinnen  sei.  Das  waren 
235  Monate,  welche  einen  Cyklus  von  19  Jahren  bildeten,  das  so- 
genannte grofse  oder  metonische  Jahr.  Mit  der  Erfindung  dieses 
Schaltcyklus  hängt  die  Aufstellung  eines  neuen  Kalenders  zusammen. 
Meton  stellte  eine  Tafel  auf,  in  welcher  die  Jahre  nach  seinem  Cyklus 
geordnet  und  zugleich  die  Tage  der  Sonnenwende  und  der  Aequi- 


Digitized  by  Google 


2S2 


ATTISCHE  BEREDSAMKEIT 


noctien  so  wie  die  Auf-  und  Niedergänge  von  Sternen,  welche  für 
die  bürgerlichen  Geschäfte  von  Wichtigkeit  waren  oder  für  die 
Witterungsverhältnisse  von  Einfluss  sein  sollten,  aufgezeichnet 
standen. 

Dieser  Kalender  wurde  als  ein  wichtiger  Fortschritt  der  Wissen- 
schaft anerkannt  und  bewundert ;  eine  unmittelbare  Einführung  des- 
selben von  Staatswegen  erfolgte  aber  nicht.  Die  alte  Oktaeteris  galt 
für  eine  durch  die  Religion  geheiligte  Einrichtung  und,  was  sich 
in  der  Bürgerschaft  von  conservativer  Gesinnung  erhalten  hatte, 
sträubte  sich  gegen  die  Neuerung.  Aufserdem  konnte  man  mit 
Hecht  geltend  machen,  dass  der  Kalender  sich  erst  in  der  Erfahrung 
bewähren  müsse,  ehe  man  nach  ihm  das  attische  Jahr  umändere 
und  sich  von  dem  gesamthellenischen  Herkommen  entferne.  Dazu 
kam,  dass  die  Aufstellung  des  Kalenders  an  den  Schluss  der  Friedens- 
jahre, in  die  Zeit  grofser  Gährung  und  leidenschaftlicher  Auflehnung 
gegen  die  perikleische  Staatsleitung  fiel.  So  sehr  also  Perikles 
selbst  wünschen  mochte,  dass  Athen  auch  mit  einem  neu  geordne- 
ten Jahre  allen  andern  Staaten  vorleuchle,  so  blieb  der  alte  Kalender 
mit  all  seiner  Unordnung  dennoch  im  öffentlichen  Gebrauche,  und 
Athen  hatte  zunächst  nur  den  Ruhm  einer  wissenschaftlichen  Ent- 
deckung, welche  allmählich  in  Griechenland  und  Italien  die  viel- 
seitigste Anerkennung  fand161). 

Von  allen  Zweigen  der  Literatur  ist  keiner  mehr  mit  dem  Staats- 
leben verwachsen  als  die  Beredsamkeit. 

Die  Entwickelung  derselben  war  nur  unter  Ioniern  möglich, 
denn  nur  in  diesem  Stamme  war  die  angeborne  Lust  zu  lebendiger 
Mittheilung,  der  Sinn  für  Fluss,  Fülle  und  Glanz  der  Rede  vor- 
handen. Auch  hat  sich  in  den  ionischen  Städten  ohne  Zweifel  die- 
jenige Beredsamkeit  zuerst  entfaltet,  welche  sich  die  Aufgabe  stellt, 
die  Stimmung  der  Bürgerschaft  und  ihre  Entschlüsse  zu  leiten. 
Ihre  wahre  Ausbildung  erhielt  aber  die  griechische  Beredsamkeit  erst 
in  Athen.  Hier  hat  sich  die  öffentliche  Rede  mit  der  Redefreiheit  und 
der  Redepilicht  des  attischen  Bürgers  entwickelt.  Sie  schien  mit 
dem  attischen  Verfassungsleben  so  nahe  zusammenzuhängen,  dass 
man  schon  den  Staat  des  Theseus  als  durch  sie  gegründet  sich 
vorstellte  (I,  332).  Die  Rede  war  aber  eben  deshalb  kein  Gegen- 
stand einer  besonderen  Kunst,  die  vom  öffentlichen  Leben  getrennt 
zu  denken  wäre,  sondern  der  einfache  Ausdruck  praktischer  Er- 


Digitized  by  Google 


SCflRIFTGEBRAUCH.     EKTWICKELUSG  DER  PROSA.  283 


fahrung  und  staatsmännischer  Klugheit;  denn  man  konnte  sich  da- 
mals noch  keinen  Volksführer  denken,  welcher  nicht  zugleich  ein 
in  Krieg  und  Frieden  erprobter  Staatsmann  war  und  sich  durch  sein 
öffentliches  Leben  ein  Anrecht  darauf  erworben  hatte,  dass  die 
Bürgerschaft  auf  sein  Wort  höre.  Je  mehr  nun  die  Rede  eine 
Macht  wurde,  welche  das  Gemeindeleben  beherrschte,  um  so  mehr 
wurde  die  Sprache  selbst  auf  eine  neue  Entwicklungsstufe  gehoben, 
als  Athen  ein  Mittelpunkt  der  Geschichte  wurde,  und  zwar  bildete  sich 
keine  aus  den  Eigenthümlichkeiten  verschiedener  Gegenden  zusammen- 
fliefsende  Mischsprache,  auch  keine  Kunstsprache,  welche  matt  und 
frostig  werden  muss,  so  wie  sie  sich  dem  Boden  des  Volkslhums 
entfremdet,  sondern  es  erwuchs  aus  der  einheimischen  Redeweise 
ein  neues  Idiom,  in  welchem  sich  die  der  hellenischen  Sprache  in- 
wohnende Kraft  erst  vollkommen  entfaltete,  indem  sie  der  Ausdruck 
attischer  Bildung  wurde. 

Die  griechische  Sprache  halte  in  Ionien  eine  vielseitige  Ent- 
wicklung erhallen.  War  doch  aufser  dem  homerischen  und  nach- 
homerischen Epos  und  den  Hymnen  der  ganze  Schatz  elegischer  und 
jambischer  Dichtung  in  ionischer  Mundart  niedergelegt.  In  Ionien  hatte 
man  auch  von  der  Schrift  zuerst  umfassenderen  Gebrauch  gemacht. 
Er  schloss  sich  zunächst  an  die  einheimische  Kunst  an;  denn  die 
epischen  Gesänge,  welche  ohne  Hülfe  der  Schrift  gedichtet  und  Eigen- 
tum des  Volks  geworden  waren,  wurden  mit  Hülfe  derselben  ausge- 
breitet, festgestellt  und  fortgeführt.  In  den  Rhapsodenschulen  ist  Lesen 
und  Schreiben  zuerst  eingerührt  worden;  daher  stellte  man  sich  Homer 
selbst  als  einen  Lesemeisler  vor,  und  als  die  spätem  Epiker,  welche 
nach  dem  Anfange  der  Olympiaden  in  Ionien  thätig  waren,  Arktinos, 
Lesches  u.  A.,  an  die  grofsen  Heldengedichte  ihre  Gedichte  anschlössen, 
in  welchen  sie  den  Inhalt  der  Odyssee  und  llias  zu  ergänzen,  zu  er- 
weitern und  zu  verknüpfen  suchten,  war  der  Gebrauch  der  Schrift  den 
Dichtern  schon  geläufig;  die  Rhapsodik  selbst  erhielt  dadurch  einen 
mehr  wissenschaftlichen  Charakter. 

Dann  aber  begann,  ebenfalls  in  Ionien,  mit  dem  Schriftgebrauche 
eine  ganz  neue  Art  literarischer  Millbeilung,  welche  nicht  darauf  be- 
rechnet war,  eine  hörende  Menge  zu  begeistern,  sondern  die  Ergeb- 
nisse wissenschaftlicher  Forschuug  in  weiteren  Kreisen  zu  verbreiten. 
Die  Philosophen  und  Historiker  schrieben  in  ungebundener  Rede  für 
die  Oeffentüchkeit,  und  im  sechsten  Jahrhundert  verbreitete  sich  die 


Digitized  by  Google 


2S4 


POESIE  L.Mi  MOSA. 


Lust  zum  Schreiben  und  Lesen  mit  grofser  Schnelligkeit  durch  ganz 
Ionien,  wo  besonders  Samos  eine  Schule  für  die  Ausbildung  des 
Schriflwesens  war. 

Indessen  bildete  sich  keine  Prosa  im  Gegensatz  zur  Poesie  aus ; 
es  trat  noch  keine  Scheidung  der  Gattungen  ein.  Die  Umgangssprache 
des  Lebens,  der  frische  Volkston  war  gerade  von  den  Fabeldichtern 
aufgenommen,  und  aus  äsopischen  Erzählungen  gingen  die  Kernsprüche 
des  Volkswitzes  und  der  Volksweisheit  in  die  Literatur  über.  Archi- 
lochos  benutzte  sie  mit  Vorliebe  und  eben  so  Herodot.  Auch  war  man 
so  sehr  gewöhnt  von  den  Dichtern  zu  lernen,  dass  selbst  spekulative 
Philosophen  ihre  Theorien  poetisch  einkleideten,  wie  Xenophanes 
(S.  194),  der  umherreiste  und  seine  Lehren  als  Rhapsode  vortrug.  So 
waren  auch  Herodots  Vorträge  auf  Erwärmung  einer  hörenden  Menge 
berechnet,  und  der  poetische  Charakter  seiner  Darstellung  ist  unver- 
kennbar. In  behaglicher  Breite  eines  epischen  Vortrags  strömt  seine 
Rede  dahin;  seine  Sätze  sind  nur  in  lockerem  Zusammenhange  an  ein- 
ander gereiht,  und  einem  Dichter  gleich  sieht  er  das  Volk  um  sich,  das 
er  durch  die  fesselnde  Erzählung  erfreuen  und  begeistern  will.  Auch 
in  der  Philosophie  ging  die  Sprache  noch  nicht  darauf  aus,  die  Ent- 
wickelung  der  Gedanken  in  scharfer  und  genauer  Form  wiederzugeben, 
lleraklits  Lehren  trugen  das  Gepräge  von  sibyllinischen  Sprüchen ;  er 
hebte  eine  poetische,  mehr  andeutende  als  entwickelnde,  Bildersprache 
und,  von  der  Schwierigkeit  der  Gedanken  abgesehen,  war  auch  der 
Bau  der  Sätze  so  wenig  klar  und  durchsichtig,  dass  man  nicht  mit 
Sicherheit  die  Gliederung  der  Rede  zu  erkennen  wusste. 

So  reich  also  auch  die  Literatur  der  Ionier  war,  so  war  doch 
noch  keine  Prosa  vorhanden;  noch  weniger  in  andern  Gegenden. 
Poesie  und  Prosa  haben  sieb  überhaupt  sehr  spät  als  zwei  ver- 
schiedenartige Gattungen  bei  den  Griechen  entwickelt.  Man  bedenke, 
wie  in  den  Hymnen  Pindars  neben  den  schwungvollsten  Bildern 
Wendungen  und  Gedanken  vorkommen,  welche  einen  ganz  prosaischen 
Ton  haben.  Die  Ausbildung  eines  prosaischen  Stils  war  ein  Fort- 
schritt der  Literatur  in  Athen.  Die  Sprache  war  noch  frisch  und 
jung  genug,  um  das  eigen thümliche  Gepräge  des  attischen  Geistes 
aufzunehmen  und  wiederzugeben,  und  dieser  Geist  bezeugt  sich,  Ionien 
gegenüber,  wie  in  Tracht  und  Sitte  so  auch  in  der  Sprache,  durch 
gröfsere  Einfachheil  und  schlichtere  Form. 

In  Anika  redete  man  eine  Mundart,  welche  eine  gewisse  Mitte 


Digitized  by  Googl 


DIE  ATTISCHE  REDE. 


285 


einnahm  zwischen  den  Dialekten  der  verschiedenen  Stimme  Griechen- 
lands und  deshalb  vorzüglich  geeignet  war,  das  Organ  einer  all- 
gemeinen Verständigung  der  gebildeten  Hellenen  zu  werden.  Denn, 
wenn  auch  dem  Ionischen  nahe  verwandt,  so  hatte  sich  die  attische 
Mundart  doch  von  Manchem  frei  erhalten,  was  sich  auf  den  Inseln 
und  den  jenseitigen  Küsten  an  ionischen  Eigenthümlichkeiten  aus- 
gebildet hatte,  so  namentlich  von  der  Neigung  zu  Vokalauflösungen, 
und  andererseits  sich  Manches  bewahrt,  was  mit  den  Mundarten  des 
europäischen  Festlandes  übereinstimmte,  besonders  den  Gebrauch 
des  langen  A-Lauts,  welcher  sich  nach  R  so  wie  nach  Vokalen  und 
Diphthongen  erhalten  hat,  während  die  Trübung  in  langes  E  bei  den 
Ioniern  durchgeht1"). 

Diese  Mundart  wurde  das  Organ,  in  dem  der  Geist  der  Athener 
sich  ausprägte.  Ihr  energischer  Sinn  scheute  jede  Art  von  Zeilver- 
geudung, ihr  Sinn  für  Mafs  hasste  Schwulst  und  Breite,  ihr  heller 
Verstand  alles  Unklare  und  Verschwommene;  sie  waren  gewohnt,  in 
allen  Dingen  gerade  und  entschlossen  auf  das  Ziel  los  zu  gehen. 
Darum  ist  in  ihrem  Munde  der  Ausdruck  knapper  und  kürzer,  die 
Sprache  ernster,  männlicher  und  kräftiger  geworden.  Die  Wörter 
sind  zu  schärferen  Begriffen  ausgeprägt ;  statt  sinnlicher  Anschaulich- 
keit ist  der  Gedanke  mehr  zu  seinem  Rechte  gekommen;  anstatt 
einfacher  Anreihung  der  Sätze  hat  man  die  verschiedenen  Formen, 
in  welchen  ein  Gedanke  den  anderen  begründet,  bedingt  und  er- 
weitert, durch  feinere  Salzverbindung  ausdrücken  gelernt,  und  da- 
durch sind  in  der  griechischen  Sprache  Kräfte  entwickelt  worden, 
welche  in  der  älteren  Sprache,  derjenigen  der  Poesie  und  des  Gesanges, 
niemals  zum  Vorschein  gekommen  waren.  So  unterschied  sich  schon 
der  philosophische  Vortrag  des  Anaxagoras,  der  in  Athen  seine  Werke 
abfasste,  von  dem  seiner  Vorgänger  durch  eine  schärfere  Gliederung 
der  Rede,  wenn  auch  bei  ihm  noch  die  Gewohnheit  vorherrschte, 
kleine  Sätze  an  einander  zu  reihen. 

Im  Fortschritte  dieser  Entwickelung  bildete  sich  die  attische 
Rede,  wie  sie  in  Perikles'  Munde  eine  Macht  wurde,  welche  den 
Staat  regierte.  Es  war  die  Zeit,  wo  in  Athen  Lesen  und  Schreiben 
schon  allgemein  verbreitet  war,  und  dies  trug  wesentlich  dazu  bei, 
aus  der  Beredsamkeit  ein  Studium  zu  machen.  Denn  ursprünglich 
galt  die  Rede  für  nichts  Anderes  als  den  natürlichen  Ausdruck  der 
gewonnenen  Einsicht;  man  glaubte,  dass  dieselbe  Kraft  des  Geistes 


Digitized  by  Google 


2S6 


STAATS-  UND  GEFUCHTSREDE. 


die  Einsicht  schaffe  und  das  richtige  Wort  gebe;  man  führte  des- 
halb auch  Perikles'  Beredsamkeit  auf  den  Umgang  mit  Anaiagoras 
zurück. 

Das  Aufschreiben  der  Reden  förderte  die  künstlerische  Aus- 
bildung; die  Redner  gewöhnten  sich,  höhere  Forderungen  an  sich  selbst 
zu  stellen;  der  Ausdruck  wurde  gedrungener,  überlegter;  man  fassle 
größere  Gedankenreihen  in  einer  Periode  zusammen.  Perikles  selbst 
hütete  sich,  über  wichtige  Angelegenheiten  aus  dem  Stegreife  öffent- 
lich zu  sprechen.  Dessen  ungeachtet  wurden  die  Reden  keine  schrift- 
stellerischen Werke,  sondern  sie  blieben  durchaus  für  den  prak- 
tischen Zweck  der  Gegenwart  bestimmt  und  auf  die  persönliche 
Wirkung  im  Munde  des  Redners  berechnet.  Die  Schrift  war  nur 
die  Vorübung  der  Rede,  deren  volle  Kraft  durch  keine  Neben- 
zwecke gelähmt  und  durch  keine  rhetorische  Gefallsucht  entnervt 
wurde  m). 

Neben  derjenigen  Beredsamkeit,  welche  dem  Berufe  des  Staats- 
mannes diente  und  mit  den  Mitteln  einer  überlegenen  Bildung  die 
Volksgemeinde  leiten  sollte,  entwickelte  sich  in  Athen  die  gerichtliche 
Rede,  die  von  Anfang  an  schulmätsiger  geübt  wurde  und  mehr  einer 
schriftstellerischen  Arbeit  glich,  indem  sich  eine  Klasse  von  Leuten 
bildete,  welche  für  Andere  Prozessreden  ausarbeiteten.  Denn  es  war 
attisches  Gesetz,  dass  Jeder  seine  Rechtssache  selbst  führen  mussle. 
Wrer  sich  also  von  einem  Sachwalter  die  Rede  machen  liefs,  musste 
sie  selber  vortragen.  Hier  trat  also  die  Persönlichkeit  des  Redners, 
welche  bei  Staatsreden  von  so  grofsem  Gewicht  war,  gänzlich  zurück ; 
er  war  nur  Redenschreiber  (Logograpuos),  und  anstatt  öffentlicher 
Dinge  waren  es  Privatangelegenheiten,  um  die  es  sich  handelte.  Diese 
Gattung  der  Redekunst  trat  nun  auch  mit  der  Sophistik  in  eine  viel 
nähere  Beziehung,  weil  diese  gerade  darauf  ausging,  dem  Geiste  die 
Gewandtheit  zu  geben,  jeden  vorliegenden  Gegenstand  mit  Geschick 
zu  behandeln  und  ihm  die  mannigfachsten  Seiten  der  Betrachtung 
abzugewinnen. 

Dazu  kam  die  angeborene  Redelust  der  Athener  und  ihr  Gefallen 
an  Wortkämpfen,  in  deneu  Einer  den  Andern  an  Schlagfertigkeit 
überbietet.  Diese  Neigung,  welche  sich  ja  auch  auf  der  altischen 
ßühne  so  deutlich  bezeugt,  machte  die  Athener  besonders  geschickt, 
das  Prozessverfahren  und  die  gerichtliche  Rede  kunslmäfsig  auszu- 
bilden. 


Digitizeci  by  Google 


ANTIPHON  UND  THUKYDIDES. 


2S7 


Einer  der  Ersten  von  denen,  welche  dies  Redenschreiben  als  ein 
literarisches  Gewerbe  betrieben,  war  Antiphon  aus  Rhamnus,  der 
Sohn  des  Sophilos,  der  wenig  jünger  als  Perikles  war,  ein  Mann  von 
gewaltiger  Geisteskraft,  so  dass  das  Volk  sich  fürchtete  vor  dem  Ein- 
drucke seiner  Reden,  welche  durch  Scharfsinn,  Witz  und  Gedanken- 
fülle den  Hörenden  überwältigten.  Seine  Thätigkeit  tritt  erst  in  der 
Zeit  des  grofsen  Krieges  deutlich  hervor;  doch  kann  sein  geistiger 
Einfluss  schon  älter  sein.  Er  hat  durch  seine  aufserordentliche  Per- 
sönlichkeit auch  auf  solche  gewirkt,  die  ihm  an  Jahren  fast  gleich 
standen  und  eine  Schule  der  Beredsamkeit  gestiftet,  welche  auf  die 
Ausbildung  der  altischen  Prosa  einen  tiefgreifenden  Einfluss  übte. 

Aus  dieser  Schule  ist  nach  alter  Ueberlieferung  auch  Thukydides 
hervorgegangen,  welcher  die  Kunst  der  Rede  auf  ein  neues  Gebiet 
übertrug,  auf  die  Darstellung  der  Zeitgeschichte,  und  wenn  wir  die 
beiden  Geschichtschreiber,  welche  in  ihrem  Lebensalter  nur  etwa 
30  Jahre  von  einander  entfernt  waren,  Herodot  und  Thukvdides, 
neben  einander  stellen,  so  tritt  uns  die  rasche  und  kräftige  Ent- 
wickelung,  welche  die  griechische  Prosa  in  Athen  gewonnen  hat,  recht 
deutlich  vor  Augen.  Der  grofse  Gegensatz  aber,  in  welchem  die  beiden 
Historiker  zu  einander  stehen  (ein  Gegensatz,  welcher  Thukydides 
selbst  ungerecht  gegen  seinen  Vorgänger  macht),  beruht  vorzugsweise 
darauf,  dass  Herodot  bei  seiner  Darstellung  noch  an  eine  hörende 
Volksmenge  dachte,  während  Thukydides  von  Anfang  an  den  Beifall 
des  grofsen  Publikums  verschmähte;  er  suchte  keinen  fesselnden  Reiz 
auszuüben,  sondern  allein  der  Wahrheit  gerecht  zu  werden;  er  schrieb 
nur,  um  gelesen  zu  werden,  und  zwar  von  Solchen,  welche  den 
öffentlichen  Angelegenheilen  eine  ernste  Theilnahme  zuwendeten  und 
welche  fähig  waren,  mit  gesammeltem  Geiste  und  männlicher  Denk- 
kraft ihm  in  seiner  gedrängten  Darstellung  des  Geschehenen  zu  folgen. 
Aber  bei  aller  Verschiedenheit  hatten  sie  doch  e  i  n  Gemeinsames,  das 
war  ihre  Stellung  zu  Perikles.  Beide  haben  ihn  gekannt  und  seiner 
Gröfse  gehuldigt;  beide  haben  in  der  geistigen  Atmosphäre  seiner 
Wirksamkeit  den  Mittelpunkt  ihres  Lebens  gefunden.  Für  Herodot 
war  das  perikleische  Athen  der  Schlusspunkt  einer  Entwicklung, 
die  er  mit  Bewunderung  begleitete,  für  Thukydides  der  Ausgangs- 
punkt, an  den  er  den  Faden  seiner  Geschichte  anknüpft.  Thukydides 
war  noch  lange  ein  Zeitgenosse  des  Perikles;  in  der  eindringenden 
Betrachtung  seiner  Person  und  seiner  öffentlichen  Thätigkeit  ist  er 


Digitized  by  Google 


2S8 


ATTISCHE  BEREDSAMKEIT. 


zu  einem  Geschichtschreiber  von  staatsmännischem  Urteil  heran- 
gereift; von  Perikles  hat  er  gelernt,  nicht  in  den  Formen  der  Ver- 
fassung, sondern  in  dem  Geiste,  welcher  ein  Gemeinwesen  beseelt 
und  leitet,  das  Heil  der  Staaten  zu  erkennen.  Er  war  auch  ein 
Schüler  des  Anaxagoras,  durch  Bildung  und  Charakter  dem  Perikles 
verwandt;  er  gehörte  zu  der  jüngeren  Generation,  auf  welche  Perikles 
seine  Hoffnung  setzte;  wahrscheinlich  ist  er  auch  seines  näheren 
Umgangs  gewürdigt  worden.  Am  Lebenswerke  desselben  fortzu- 
arbeiten war  ihm  nicht  beschieden;  aber  er  ist  der  treue  Zeuge  von 
der  Wirksamkeit  des  grofsen  Staatsmannes  geworden,  und  er  war 
vor  allen  Zeitgenossen  dazu  berufen,  die  tiefsten  Gedanken  desselben 
mit  vollem  Verständnisse  darzulegen  und  auch  von  der  Beredsamkeit 
desselben  der  Nachwelt  eine  lebendige  Vorstellung  zu  geben164). 

Welche  Macht  die  öffentliche  Rede  in  Athen  war,  zeigt  Niemand 
besser  als  Thukydides,  dem  es  unmöglich  schien  ein  wahres  Bild 
der  Ereignisse  zu  geben,  wenn  er  nicht  die  leitenden  Staatsmänner 
.  redend  seinen  Lesern  vorführt. 

Eine  besondere  Art  öffentlicher  Rede,  welche  im  perikleischen 
Athen  Bedeutung  erlangt  hat,  war  die  Rede  zu  Ehren  der  im  Kampfe 
gefallenen  Bürger.  Durch  ein  eigenes  Gesetz,  welches  aus  der  kimo- 
nischen  Zeit  stammte,  war  mit  der  öffentlichen  Bestattung  eine  solche 
Gedächtnissrede  verbunden,  und  es  war  Sitte,  dem  bestbewährten 
Volksredner  der  letzten  Zeit  durch  den  Auftrag,  im  Namen  der  Ge- 
meinde die  Grabrede  zu  halten,  eine  ehrende  Auszeichnung  und  eine 
Anerkennung  seiner  öffentlichen  Wirksamkeit  zu  geben.  Wortreiche, 
aufgeputzte  Preisreden  waren  nicht  im  Geiste  der  Zeit.  Würdiger 
schien  es,  die  Bürger  in  solchen  Momenten,  wo  sie  sich  durch  schwere 
Verluste  erschüttert  fühlten,  zu  ermuthigen,  ihre  Klage  in  Dank,  ihren 
Schmerz  in  Stolz  und  Freude  umzustimmen,  indem  man  ihnen  die 
hohen  Interessen  des  Staatslebens,  für  welche  ihre  Mitbürger  das 
Leben  gelassen  halten,  vor  die  Augen  führte  und  die  Anwesenden  zu 
gleicher  Opferfreudigkeit  ermunterte. 


Wenn  in  der  Zeit  des  Perserkriegs,  deren  Früchte  in  den  peri- 
kleischen Friedensjahren  zur  Reife  kamen,  alle  Künste  und  Wissen- 
schaften das  kräftigste  Gedeihen  fanden,  so  kann  man  sich  wundern, 
dass  diejenige  Kunst,  welche  sich  allen  geistigen  Bewegungen  am 


Digitized  by  Google 


LYRISCHE  POESIE.  2S9 

■ 

engsten  anzu schlief sen  pflegt,  die  lyrische  Kunst,  nicht  in  gleichem 
Mafse  sich  fortentwickelt  hat,  und  dass  Freiheitskriege,  die  so  national 
und  gerecht  waren  und  nach  schweren  Drangsalen  so  überraschend 
glucklichen  Erfolg  hatten,  keinen  volleren  Wiederhall  in  volkstüm- 
lichen Liedern  gefunden  haben.  Dies  erklärt  sich  aus  verschiedenen 
Umständen. 

Die  Heimath  der  äolischen  Lyrik  stand  der  Bewegung  der  Zeit 
femer,  und  jener  Schwung,  welcher  dort  ein  Jahrhundert  vor  den 
Perserkriegen  die  Gedichte  von  Alkaios  und  Sappho  hervorgerufen 
hatte,  war  ermattet  Die  Chorlyrik  aber  (I,  541)  war  zu  sehr  mit 
dem  Gottesdienste  und  den  älteren  Volkszuständen  verwachsen;  sie 
war  zu  sehr  gewöhnt,  den  alten  Geschlechtern,  deren  Glanz  mehr  der 
Vergangenheit  als  der  Gegenwart  angehörte,  mit  ihrer  Kunst  zu  dienen, 
als  dass  sie  sich  in  die  neue  Zeit  recht  hinein  finden  konnte.  Nament- 
lich war  der  thebanische  Sänger  (S.  52)  mit  seiner  Vaterstadt,  die  von 
den  Freiheitskriegen  nichts  als  Schmach  und  Unglück  erntete,  und  mit 
Delphi,  welches  von  Anfang  an  den  Freiheitsbestrebungen  ungünstig 
war,  so  eng  verbunden,  dass  es  ihm  unmöglich  war,  mit  voller  Un- 
befangenheit die  Gröfse  der  neuen  Zeit  zu  würdigen,  wenn  er  auch 
grofsherzig  und  frei  genug  war,  der  siegreichen  Stadt  der  Athener  seine 
Bewunderung  und  den  Preis  seines  Liedes  nicht  zu  versagen.  Die 
Thebaner  bestraften  Pindar,  weil  er  Athen  die  'Säule  von  Hellas'  ge- 
nannt hatte;  die  Athener  belohnten  ihn  dafür,  indem  sie  darin  mit 
Recht  einen  Triumph  der  guten  Sache  erkannten.  In  Sparta  geschah 
nichts  Namhaftes  für  die  Feier  der  Freiheitskriege.  Seine  Gemeinde- 
verfassung gestattete  keine  Freiheit  geistiger  Bewegung;  sie  gab  zu 
wenig  Wohlbehagen  und  Befriedigung,  als  dass  die  Dichtkunst  hier 
einen  gedeihlichen  Boden  hätte  finden  können. 

In  der  Elegie,  der  ältesten  Weise  griechischer  Lyrik  (I,  201), 
welche  in  ihrer  Beweglichkeit  und  Vielseitigkeit  der  echte  Ausdruck 
des  ionischen  Geistes  ist,  hatte  sich  neben  der  älteren  Gattung,  in 
welcher  zuletzt  Theognis  seine  Parteileidenschaft  und  Solon  seine  staals- 
männische  Weisheit  vorgetragen  hatten,  schon  in  Ionien  eine  andere 
Form  entwickelt,  eine  leichtere  Gattung,  welche  sich  in  harmlosem 
Ton  dem  Leben  anschloss,  das  Lied  froher  Geselligkeit,  das  den 
Freuden  des  Mals  durch  ethische  Gedanken  eine  höhere  Weihe  gab. 
'Trinken,  scherzen  und  gerecht  gesinnt  sein*  sang  Ion  und  brachte 
auch  öffentliche  Angelegenheiten  in  anmuthiger  Form  zur  Sprache. 

Curia«,  Gr.  Gwch.  II.  «.  Aufl.  19 


Digitized  by  Google 


LYRISCHE  POESIE. 


Ion  schloss  sich  in  dieser  Gattung  Dionysios  der  Athener  an,  ein  an- 
gesehener Staatsmann  der  perikleischen  Zeit.  Ja  diese  leichtere  Form 
der  Elegie  war  dem  geistigen  Charakter  der  damaligen  Athener  so 
entsprechend,  dass  auch  Aischylos  und  Sophokles  solche  Elegien 
dichteten.  Das  fünfte  Jahrhundert  war  so  reich  an  Bewegung  und 
Inhalt,  dass  diese  Gelegenheitsdichtung  sich  in  üppiger  Fülle  ent- 
wickelte, und  nur  eine  Nebengattung  derselben  war  das  Epigramm, 
dessen  knappe  Form  ursprünglich  darauf  berechnet  war,  die  Aufschrift 
eines  öffentlichen  Denkmals  zu  sein  und  sich  deshalb  von  allen  Dich- 
tungsarten am  unmittelbarsten  an  die  grofsen  Ereignisse  der  Zeit- 
geschichte anschloss. 

Als  Zeit-  und  Gelegenheitsdichter  im  höchsten  Sinne  des  Worts 
war  Simonides  von  Keos  vor  allen  Andern  in  ganz  Griechenland  an- 
gesehen, so  dass  auch  Sparta  den  Preis  seines  Leonidas  dem  ionischen 
Sänger  übertrug.  Er  hatte  bei  den  Pisistratiden,  so  wie  am  Hof  der 
Skopaden  und  Aleuaden  in  Gunst  gestanden  und  zur  Zeit  der  Kämpfe 
von  Marathon  schon  die  Mitte  der  Sechziger  überschritten.  Aber  mit 
frischer  Begeisterung  folgte  er  den  Athenern  auf  ihrer  Siegeshahn 
und  hat  in  allen  Formen  der  Dichtung,  mit  allen  Mitteln  seines  uner- 
schöpflichen Geistes  dem  Ruhme  der  Stadt  gehuldigt.  Mit  unerreichter 
Meisterschaft  wusste  er  in  kurzen,  bedeutungsreichen  Epigrammen  auf 
Denkmälern  jeglicher  Art  die  Thatsachen  der  Freiheitskriege  zu  ver- 
ewigen, in  Elegien  die  Gefallenen  zu  preisen,  in  schwungvollen  Cran- 
ialen, welche  von  Festchören  aufgeführt  wurden,  die  Schlachttage  von 
Artemision  und  Salamis  zu  feiern. 

Der  Staat  that  das  Seinige,  um  die  Kunst  zu  fördern;  er  gab  durch 
Siegesfesle  den  Dichtern  glänzende  Veranlassungen  sich  zu  bewähren 
und  setzte  Preise  aus  für  die  besten  Kunstleistungen.  Wie  Simonides 
dem  Themistokles  (S.  62),  so  stand  der  geistvolle  Ion  dem  Kimon  zur 
Seite  und  war  für  dessen  Nachruhm  thätig  (S.  276).  Perikles  aber 
that  aus  eigener  Neigung  wie  aus  staatsmännischer  Rücksicht  Alles, 
um  die  Kunst  des  Gesanges  in  Athen  zu  pflegen.  Er  führte  zu 
diesem  Zwecke  die  musischen  Wettkämpfe  bei  den  Panathenäen  ein, 
um  alle  Talente  zu  öffentlichem  Wettkampfe  aufzurufen.  Er  war 
selbst  Ordner  und  Gesetzgeber  auf  diesem  Gebiete  und  bestimmte 
mit  tiefem  Kunstverständnisse  die  Weise,  in  welcher  die  Sänger 
und  Citherspieler  am  Feste  auftreten  sollten.  Wenn  aber  dessen- 
ungeachtet auch  in  dem  perikleischen  Athen  die  lyrische  Dichtung  nicht 


Digitized  by  Google 


DITHYRAMBOS. 


291 


die  Bedeutung  gewann,  wie  man  erwarten  sollte,  und  Simonides 
keine  namhafte  Nachfolge  fand,  so  liegt  der  Hauptgrund  darin,  dass 
eine  andere  mächtigere  und  reichere  Dichtungsart  sich  entfaltete,  in 
welche  die  Lyrik  aufgenommen  wurde,  so  dass  sie  als  besondere  Gat- 
tung zurücktrat 

Von  allen  lyrischen  Dichtungsarien  hatte  nämlich  keine  eine  so 
ausgezeichnete  und  erfolgreiche  Pflege  in  Athen  gefunden,  wie  der 
Dilhyrambo8,  das  Preislied  auf  den  segenspendenden  Gott  Dionysos, 
das  Gedicht,  welches  von  allen  Zweigen  religiöser  Poesie  die  gröfste 
Entwicklungsfähigkeit  zeigte.  Lasos  von  Hermione,  der  Lehrer  Pin- 
dars,  hatte  das  Lied,  das  ursprünglich  nur  ein  Organ  des  enthusias- 
tischen Naturdienstes  war,  zu  einem  kunslmäfeigen  Ghorliede  umge- 
bildet und  demselben  durch  kühne  und  mannigfaltigere  Rhythmen 
so  wie  durch  rauschende  Flötenmusik  solchen  Glanz  verlieben,  dass 
er  den  Ruhm  des  Arion,  als  des  Erfinders  dieser  Gattung  (I,  265), 
verdunkelte.  Lasos  brachte  die  neue  Kunst  aus  dem  Peloponnes 
nach  Athen,  an  den  Hof  der  Pisistratiden  (I,  364).  Es  war  eine 
Zeit,  wo  Alles,  was  auf  den  Dionysosdienst  sich  bezog,  besondere 
Gunst  erfuhr;  der  Dilhyrambos  wurde  an  den  Staatsfesten  eingeführt, 
und  die  reichen  Bürger  wetteiferten  mit  einander  in  der  Ausstattung 
und  Einübung  bachischer  Festchöre,  welche,  fünfzig  Personen  stark, 
um  den  brennenden  Altar  des  Dionysos  ihre  Kreistänze  aufführten; 
man  scheute  keine  Kosten,  um  von  den  ersten  Sangmeistern,  wie 
Pindar  und  Simonides,  neue  Lieder  für  die  altischen  Dionysien  zu 
erhallen.  Simonides  konnte  sich  rühmen,  nicht  weniger  als  sechs 
und  fünfzig  dithyrambische  Siege  in  Athen  gewonnen  zu  haben. 
Aber  hier  blieb  die  Entwickelung  nicht  stehen. 

Der  Dilhyrambos  umfasste  nicht  nur  die  Tonarten  und  Rhythmen 
aller  früheren  Gattungen  der  Lyrik,  sondern  er  enthielt  auch  solche 
Elemente,  welche  über  das  Gebiet  lyrischer  Dichtung  hinauszugehen 
drängten.  Denn  indem  die  Festchöre  den  Gott,  den  sie  verherr- 
lichten, als  einen  nahen  und  gegenwärtigen  betrachteten  und  in 
enthusiastischer  Erregung  alle  Schicksale  desselben,  seine  Verfolgungen 
wie  seine  Siege  gleichsam  mit  erlebten,  so  lag  es  nahe,  diese  Be- 
gebenheiten, an  welche  die  Lieder  anknüpften,  nicht  blofs  als  be- 
kannt vorauszusetzen,  sondern  sie  durch  Erzählung  in  das  Gedächtniss 
zu  rufen  oder  durch  Darstellung  zu  veranschaulichen.  Die  Vorsänger 
des  dithyrambischen  Ghors  unterbrachen  also  die  Gesänge  durch 

19* 


Digitized  by  Google 


292  DAS  ATTISCHE  DRAMA. 

erzählenden  Vortrag,  und  so  wurden  Epos  und  Lied  verbunden. 
Dann  wurde  der  epische  Vortrag  durch  Handlung  und  Kostüm  be- 
lebt; man  sah  den  Gott  selbst  leidend  und  triumphirend  vor  sich; 
der  Chorführer  übernahm  seine  Rolle,  die  Fesltänzer  verwandelten 
sich  in  Satyrn,  die  Begleiter  des  Gottes  und  Genossen  seiner  Schick- 
sale, und  so  erwuchs  aus  der  Verbindung  der  älteren  Dichtungs- 
arten eine  neue,  die  reichste  und  vollkommenste  von  allen,  das 
Drama. 

Die  Hellenen  waren  von  Natur  voll  dramatischer  Anlage.  Eine 
angeborene  Lebendigkeit  drängte  sie,  jeden  Zweifel,  jede  Erwägung 
in  die  Form  einer  Wechselrede  einzukleiden.  So  finden  wir  schon 
bei  Homer  die  Keime  des  Dramas,  welchem  nun  die  ganze  Ent- 
wicklung der  älteren  Kunstweisen  zu  Gute  kam.  Denn  Alles,  was 
an  wohlgeordneten  Rhythmen,  an  wirkungsvollen  Tonweisen,  an 
poetischen  Bildern,  was  in  Tanz  und  Gesang  erfunden  war,  ver- 
einigte sich  hier,  belebt  durch  die  Kunst  der  Mimik,  welche  die 
ganze  Person  zum  Organ  des  künstlerischen  Vortrags  machte,  und 
erwärmt  von  dem  Feuer  bachischer  Fesllust. 

Indessen  musste  der  Kreis  der  Darstellung  ein  sehr  beschränkter 
bleiben,  so  lange  man  durch  den  Cullus  auf  die  Gegenstände  der 
bachischen  Religion  angewiesen  war.  Man  ging  also  einen  Schritt 
weiter,  indem  man  die  Schicksale  des  Dionysos  durch  andere  Gegen- 
stände, die  ebenfalls  ein  lebhaftes  Mitgefühl  zu  erwecken  geeignet 
waren,  ersetzte.  So  strömte,  nachdem  die  Kunstform  erfunden  war, 
eine  Fülle  von  Stoff  und  fruchtbarem  Inhalte  zu;  denn  der  ganze 
Schatz  des  homerischen  und  nachhomerischen  Epos  wurde  aufge- 
schlossen, die  nationalen  Heroen  wurden  in  neuer,  lebendiger  Weise 
dem  Volke  vorgeführt,  ein  weites  Feld  war  der  dramatischen  Kunst 
eröffnet. 

Auch  dieser  Fortschritt  war  schon  aufserhalb  Altika  gemacht 
worden;  denn  in  Sikyon  war  der  Held  Adrastos  vor  der  Zeit  des 
Kleisthenes  an  Stelle  des  Dionysos  getreten  (I,  244),  und  auch  in 
Korinth  hatte  vielleicht  schon  eine  ähnliche  Erweiterung  der  dithy- 
rambischen Gattung  stattgefunden.  Aber  nur  in  Athen  sind  diese 
Anlange  des  Dramas  zu  voller  Entwickelung  gediehen,  und  wie  das 
Epos  das  Spiegelbild  der  heroischen  Vorzeit  ist,  wie  dann  nach  Ab- 
slerben des  Epos  die  Lyrik  drei  Jahrhunderle  hindurch  der  Ent- 
wickelung des  Volks  zur  Seite  geht,  so  ist  das  Drama  diejenige 


Digitized  by  Google 


ENTWICKELUNG  DES  DRAMAS. 


293 


Dicbtungsart,  deren  Entfaltung  beginnt,  so  wie  Athen  der  Mittel- 
punkt der  hellenischen  Geschichte  wird.  Aus  unscheinbaren  An- 
fängen zur  solonischen  Zeit  entstanden,  erwuchs  und  erstarkte  es 
mit  der  Gröfse  der  Stadt  und  hat  die  Geschichte  derselben  durch 
alle  Stufen  ihrer  Entwicklung  begleitet. 

Thespis  hatte  die  attische  Tragödie  begründet  (I,  364),  indem 
er  den  Wechsel  von  Vortrag  und  Gesang,  so  wie  Ko9lüm  und  Bühne 
ordnete.  Solon  wollte,  wie  man  erzählte,  von  der  neuen  Kunst 
nicht  viel  wissen,  weil  er  die  heftige  Erregung  des  Gefühlslebens 
durch  phantastische  Darstellungen  für  nachtheilig  hielt,  die  Tyrannen 
aber  begünstigten  die  Volkslustbarkeit,  wie  Alles,  was  mit  dem  demo- 
kratischen Cultus  zusammenhing;  ihrer  Politik  entsprach  es,  auf 
Rosten  der  Wohlhabenden  den  Bürgern  glänzende  Unterhaltungen 
zu  schaffen;  sie  riefen  den  Chormeister  um  535  v.  Chr.  aus  Ikaria 
in  die  Stadt;  die  Wettkämpfe  tragischer  Chöre  wurden  eingeführt 
und  die  Bühne  bei  der  Schwarzpappel  am  Markte  war  ein  Mittel- 
punkt attischer  Festlust. 

Mit  Herstellung  der  Freiheit  gewannen  alle  bürgerlichen  Feste 
einen  höheren  Schwung,  die  verschiedenen  Gattungen  sonderten  sich; 
die  Tragödie  schied  die  niederen  Elemente  bachischer  Festlust  aus 
und  erhob  sich  zu  gröfserer  Würde ;  so  erhielt  sie  durch  Pratinas  und 
Choirilos  eine  feste  Kunstform,  und  erging  sich  immer  freier  in  der 
Wahl  ihrer  Stoffe.  Darüber  wurde  aber  das  Alte  nicht  aufgegeben; 
die  ländliche  Jugend  wollte  sich  ihren  gewohnten  Mummenschanz 
nicht  nehmen  lassen,  die  Satyrchöre  mussten  dem  Volke  bleiben. 
Man  trennte  aber,  was  nicht  ohne  gegenseitige  Beeinträchtigung  zu- 
sammen gehen  konnte,  und  so  erwuchs  neben  der  Tragödie  das 
Satyrdrama.  Pratinas,  der  aus  Phlius  nach  Athen  einwanderte,  gab 
diesem  Spiele  seine  besondere  Gestalt;  in  ihm  wurde  der  ursprüng- 
liche Charakter  bachischer  Lustbarkeit,  das  Ländlich -bäuerliche,  die 
lustige  Genossenschaft  der  Satyrn  mit  ihren  ausgelassenen  Tänzen 
und  derben  Späfsen  beibehalten.  So  wurden  der  poetischen  Litera- 
tur auch  diese  Elemente  erhalten,  ohne  dass  die  Tragödie  in  ihrer 
weiteren  Entwickelung  durch  dieselben  gestört  und  gehemmt  wurde. 

Derjenige  Zeilpunkt,  da  Athen  als  Grofsmacht  auftrat  und  seine 
Trieren  über  das  Meer  sandte,  um  die  Erhebung  Ioniens  zu  unter- 
stützen, war  auch  für  die  attische  Tragödie  eine  Epoche.  Um  die- 
selbe Zeit  brachen   die  Holzgerüste  zusammen,  von  denen  man 


Digitized  by  Google 


294  AUSBILDUNG  DER  TRAGÖDIE. 

die  Festspiele  des  Pratinas,  Choirilos,  Phrynichos  und  des  jungen 
Aischylos  angeschaut  hatte,  und  das  Drama  hatte  damals  schon  eine 
solche  Bedeutung  in  Athen  gewonnen,  dass  man  einen  großartigen 
Theaterbau  unternahm.  Innerhalb  des  heiligen  Bezirks  des  Dionysos 
am  Südabhange  der  Burg  wurde  eine  ständige  Bühne  aufgemauert 
und  der  Zuschauerraum  mit  seinen  im  Halbkreise  aufsteigenden 
Sitzen  in  den  Felsen  der  Akropolis  hineingebaut,  so  dass  das  Publikum 
zur  Linken  nach  dem  llisos  und  Hymettos,  zur  Rechten  nach  den 
Häfen  blickte. 

Gleichzeitig  ging  der  innere  Ausbau  der  Tragödie  mit  sicherem 
Schritte  vorwärts.  Der  StofT  wurde  mannigfaltiger,  Tanz  und  Musik 
immer  reicher  ausgebildet;  weibliche  Rollen  wurden  den  männlichen 
hinzugefugt.  Dennoch  blieb  bis  zu  den  Perserkriegen  das  Lyrische 
vorherrschend;  Phrynichos,  der  gröfste  Vorgänger  des  Aischylos, 
wurde  seiner  lieblichen  Chorlieder  wegen  noch  am  meisten  bewundert. 
Mit  dem  grofsen  Drama  des  Freiheilskrieges  begann  auch  das  Bühnen- 
drama erst  seine  vollen  Lebenskräfte  zu  entfalten,  und  nirgends  zeigt 
sich  deutlicher  als  hier  die  neugewonnene  Energie,  welche  das  attische 
Leben  nach  allen  Richtungen  hin  durchdrang. 

Die  Bedeutung  der  grofsen  Zeit  in  der  tragischen  Kunst  zum 
Ausdrucke  zu  bringen  war  Aischylos  berufen,  des  Euphorion  Sohn, 
aus  Eleusis,  der  Sprössling  einer  alten  Familie,  durch  welche  er  mit 
einem  der  ehrwürdigsten  Heiligthümer  des  Landes  verbunden  war. 
Darum  nennt  er  sich  auch  selbst  einen  Zögling  der  Demeter  und 
bezeugt  dadurch,  dass  die  ernsten  Tempeldienste  von  Eleusis  nicht 
ohne  nachhaltigen  Einfluss  auf  sein  Gemüth  geblieben  sind.  Als 
Knabe  sah  er  die  Tyrannis  stürzen,  die  den  Familien  des  allen  Land- 
adels besonders  verhasst  war;  zum  Manne  gereifl,  kämpfte  er,  35  Jahre 
alt,  bei  Marathon  und  auf  seinem  Grabsteine  hat  er  selbst  bezeugt, 
dass  er  nicht  auf  seine  Tragödien  stolz  sei,  sondern  auf  seinen  An- 
theil  an  jenem  Ehrentage,  obwohl  er  hier  nur  ein  Bürger  unter 
Bürgern  war,  als  Dichter  aber  eine  unvergleichliche  Stellung  vor 
allen  Zeitgenossen  einnahm.  Denn  er  war  es,  der  mit  schöpferischer 
Kraft  die  attische  Tragödie  begründete,  so  dass  alles  Frühere  nun  un- 
vollkommenen Versuchen  glich. 

Er  führte  den  zweiten  Schauspieler  ein  und  machte  so  das 
Bühnenspiel  zum  wirklichen  Drama;  denn  dadurch  wurde  erst  eine 
lebendige  Wechselrede  möglich.    Der  Dialog,  zu  dem  die  Athener 


Digitized  by  Google 


ORGANISATION  DER  TRAGÖDIE. 


295 


durch  ihre  Gesprächslust,  durch  Geistesgegenwart  und  Schärfe  des 
Verstandes  eine  besondere  Anlage  hatten,  wurde  auf  die  Buhne  über- 
tragen, und  dadurch  ein  ganz  neues  Interesse  geweckt.  Die  Sprache 
des  Dialogs  war  im  Wesentlichen  die  des  täglichen  Lebens,  während 
im  Chorliede  eine  ältere  Lautregel  vorherrschte,  welche  dem  Ohr 
fremdartiger  war  und  deshalb  den  Eindruck  des  Feierlichen  und 
Würdevollen  machte,  wie  es  dem  ältesten  Bestandteile  der  Tragödie, 
dem  religiösen  Kernstücke  derselben  entsprechend  war.  Um  die 
Handlung  kräftiger  hervortreten  zu  lassen,  wurden  die  Chorlieder 
gekürzt,  die  Charaktere  der  handelnden  Personen  schärfer  ausge- 
prägt, Haupt-  und  Nebenrollen  unterschieden;  die  Rollen  der  Neben- 
personen, welche  untergeordneten  Ständen  angehörten,  trugen  im 
Gegensatze  zu  den  heroischen  Gestalten  das  Gepräge  des  niedrigeren 
Volkstons.  Die  Bühne  selbst  erhielt  eine  vollständige  Ausbildung. 
Sie  wurde  durch  Agatharchos,  den  Sohn  des  Eudemos,  einen  sami- 
schen  Künstler,  der  mit  wissenschaftlichem  Sinn  die  Dekorations- 
malerei ausbildete,  als  ein  idealer  Schauplatz  wirkungsvoll  ausge- 
stattet, und  die  Mechanik  wurde  aufgeboten,  um  durch  künstliche 
Vorkehrungen  Schalten  aus  der  Tiefe  zu  heben  und  Gölter  durch 
die  Luft  schweben  zu  lassen;  das  ganze  Schauspiel  gewann  zugleich 
an  feierlicher  Würde  wie  an  geistigem  Gehalt  und  sittlicher  Be- 
deutung 165). 

Während  die  früheren  Dichter  noch  immer  vorzugsweise  darauf 
ausgegangen  waren,  Stimmungen  auszudrücken  und  zu  erwecken, 
sollten  nun  die  Sagen  des  Alterthums  in  grofsem  Zusammenhange 
vollständig  zur  Darstellung  kommen,  und  zu  diesem  Zwecke  wurde 
das  attische  Drama  in  der  Weise  organisirt,  dass  drei  Tragödien  zu 
einem  Ganzen  verbunden  wurden,  um  in  ihnen  nach  einem  Plane 
die  Handlung  der  mythischen  Geschichte  in  ihren  wesentlichen  Ent- 
wicklungsstufen zur  Anschauung  zu  bringen,  und  diesen  drei  Tra- 
gödien, welche  eben  so  viel  Akle  eines  grofsen  Dramas  waren,  folgte 
als  Nachspiel  ein  Satyrdrama.  Nach  dem  erschütternden  Ernsle  der 
Tragödien  führte  es  zum  Schlüsse  wieder  auf  den  volkstümlichen 
Boden  der  Dionysosfeier  zurück,  wo  bei  den  kurzweiligen  Abenteuern, 
deren  Zeugen  und  Theilnehmer  die  Satyrn  waren,  die  Gemüther  der 
Zuschauer  zu  harmloser  Festlaune  zurückkehrten.  Es  war  ein  Zug 
des  gesunden  Volkssinns,  wie  er  sich  auch  in  Vasengemälden  und 
Tempelskulpturen  offenbart,  dass  Scherz  und  Ernst  mit  einander 


296 


DIE  DICHTU.NG   DES  AISCHYLOS. 


verbunden  wurden,  ohne  dass  die  Harmonie  des  Ganzen  dadurch 
gestört  wurde. 

Das  war  das  Vierspiel  oder  die  Tetralogie  des  altischen  Dramas, 
dessen  Organisation,  wenn  auch  nicht  frei  erfunden  von  Aischylos, 
doch  durch  ihn  ihre  künstlerische  Vollendung  empfangen  hat.  Der 
dithyrambische  Chor  wurde  in  Gruppen  von  12  (später  15)  Personen 
getheilt,  damit  so  für  jeden  Theil  der  Tetralogie  ein  besonderer 
Chor  vorhanden  war,  um  die  Handlung  der  Bühnenpersonen  iheil- 
nehmend  zu  begleiten  und  die  Pausen  der  Handlung  mit  Tanz  und 
Gesang  auszufällen.  Der  Platz  des  Chors,  die  Orchestra,  lag 
zwischen  der  Bühne  und  dem  Zuschauerraum;  so  halte  auch  der 
Chor  selbst  eine  ideale  Mittelstellung  zwischen  Publikum  und  Bühnen- 
personen. 

Die  Hellenen  waren  gewohnt,  in  den  Dichtern  ihre  Lehrer  zu 
sehen,  und  es  konnte  keiner  von  ihnen  Geltung  gewinnen,  welcher 
etwa  blofs  durch  Talent,  Phantasie  und  Kunstfertigkeit  zum  Dichter 
berufen  zu  sein  glaubte;  es  bedurfte  einer  inneren  Durchbildung  von 
Herz  und  Verstand,  einer  tiefen  und  umfassenden  Kenntniss  der 
Ueberlieferuug,  einer  klaren  Einsicht  in  göttliche  und  menschliche 
Dinge,  Darum  nahm  der  Dichterberuf  den  ganzen  Menschen  und 
sein  ganzes  Leben  in  Anspruch,  und  keiner  hat  ihn  höher  aufge- 
fasst  als  Aischylos.  Er  führt,  wie  Pindar,  seine  Zuhörer  in  die 
Tiefen  des  Mythos  hinein,  indem  er  den  sittlichen  Emst  desselben 
hervorkehrt  und  ihn  im  Lichte  geschichtlicher  Erfahrungen  beleuchtet. 
Die  Menschheit,  wie  sie  in  dem  Titanen  Prometheus  von  Aischylos 
dargestellt  ist,  die  in  Kampf  und  Noth  ausharrende,  im  Selbst- 
bewusstsein  stolze,  in  erfinderischem  Denken  unermüdliche,  aber 
auch  zur  Unbesonnenheit  und  zu  dünkelhafter  Ueberhebung  ge- 
neigte, ist  die  Generation  seiner  eigenen  Zeitgenossen,  die  rastlos 
vorwärts  strebende;  aber  nur  die  Weisheit  taugt,  welche  von  Zeus 
stammt,  nur  die  Klugheil,  welche  auf  sittlicher  Frömmigkeit  be- 
ruht. So  ist  der  Dichter  ohne  kleinliche  Absichllichkeit  ein  achter 
Lehrer  des  Volks;  in  der  Zeit  des  beginnenden  Zweifels  sucht  er 
die  väterliche  Religion  zu  stützen,  die  Vorstellungen  abzuklären  und 
aus  dem  bunten  Flitter  mythologischer  Fabeln  den  religiösen  Kern 
heilsamer  Wahrheil  herauszuheben;  es  war  der  Dichter  Beruf,  die 
Ueberlieferung  des  Volks  mit  dem  fortschreitenden  Bewusstsein  im 
Einklang  zu  erhalten. 


Digitized  by 


MYTHISCHE  UND  HISTORISCHE  STOFFE. 


297 


Aber  die  Dichter  standen  auch  mitten  im  bürgerlichen  Leben, 
und  in  einer  Stadt,  wie  Athen,  war  es  undenkbar,  dass  Männer, 
welche  bei  öffentlichen  Festen  der  versammelten  Gemeinde  ihre 
Geisteswerke  vorführten,  gegen  die  Fragen  der  Gegenwart  gleich- 
gültig waren.  Sie  mussten  Männer  einer  bestimmten  Partei  sein, 
und  ihre  Ansicht  von  dem,  was  dem  Staate  frommte,  musste,  wenn 
sie  wahr  und  freimüthig  waren,  in  ihren  Werken  sich  erkennen 
lassen.  Freilich  blieb  die  Wahl  des  Stoffs  vorzugsweise  auf  die  Mythen 
beschränkt;  die  Willenskraft  des  Menschen,  sein  Handeln  und  Leiden, 
die  Widersprüche  zwischen  menschlichem  und  göttlichem  Gesetze, 
zwischen  Freiheit  und  Verhängniss,  stellte  man  am  liebsten  an  den 
Charakteren  der  Heroenzeit  dar,  welche  das  Epos  überliefert  hatte; 
sie  waren  die  Vorbilder  des  Menschengeschlechts,  ihre  Leiden  die 
allgemein  menschlichen  Leiden  und  Verwickelungen;  in  ihrer  An- 
schauung sollten  also  die  Zuschauer  ihr  Eigenes  an  Kümmerniss 
und  Sorge  los  werden,  ihr  enges  Selbstbewusstsein  erweitern  und 
so  mit  dem  edelsten  Kunstgenüsse  zugleich  eine  Befreiung  und 
heilende  Läuterung  des  Gemüths  davon  tragen.  Den  vorzeitlichen 
Heroen  entsprach  der  ideale  Charakter,  den  man  der  ganzen  Bühnen- 
welt zu  geben  beOissen  war;  der  ergreifende  Eindruck  war  aber 
darum  kein  geringerer,  wenn  auch  die  Welt,  in  die  man  sich  ver- 
setzt fühlte,  eine  nebelhafte  Vorzeit  war.  Den  kriegerischen  Stücken 
des  Aischylos  merkte  man  doch  den  Geist  des  Marathonkämpfers 
an,  und  wer  seine  'Sieben  gegen  Theben'  angehört  hatte,  fühlte 
sich  von  Eifer  entbrannt,  für  das  Vaterland  die  Waffen  zu  führen. 

Indessen  halte  schon  Phrynichos  gewagt,  Tagesgeschichte  auf  die 
tragische  Bühne  zu  bringen;  sein  'Fall  von  Milet*  und  seine  'Phöni- 
zierinnen' hatten  ohne  Zweifel  eine  politische  Tendenz  (S.  129).  In 
einer  viel  grofsartigeren  Weise  folgte  aber  Aischylos  dem  Beispiele 
seines  Vorgängers,  als  er  vier  Jahre  nach  den  Phönizierinnen  des 
Phrynichos  Ol.  76,  4  (472)  sein  Perserdrama  zur  Aufführung  brachte. 
Er  schildert  die  Niederlage  des  Grefskönigs.  Aber  mit  feinem  Kunst- 
verstande hat  er  nicht  Anika,  sondern  Persien  zum  Schauplatz  der 
Tragödie  gemacht  Also  die  Folgen  der  Schlacht,  ihre  Rückwirkung  auf 
das  feindliche  Reich  wird  uns  in  der  Hauptstadt  desselben  vor  Augen 
geführt.  Dareios  wird  aus  dem  Grabe  beschworen,  um  in  ihm,  dem 
frommen  und  besonnenen  Fürsten,  die  Herrlichkeit  des  unversehrten 
Perserreichs  darzustellen,  während  der  Nachfolger  aller  Würde  beraubt 


Digitized  by  Google 


298  AISCHYLOS. 

aus  Hellas  heimkehrt,  ein  warnendes  Beispiel,  wie  thörichle  Selbst- 
überhebung alle  Herrschergröfse  zu  Grunde  richtet.  Die  Idee  der 
Vergeltung,  welche  durch  die  Perserkriege  im  Gemüth  der  Hellenen 
lebendig  geworden  war,  ist  es,  welche  die  ganze  Dichtung  beseelt. 

Wenn  in  Phrynichos'  Siegestragödie  Themislokles  tot  Allen 
gefeiert  wurde,  wird  bei  Aischylos  nur  flüchtig  auf  ihn  angespielt, 
als  den  Erfinder  einer  schlauen  List.  Dagegen  wird  durch  eine  aus- 
führliche Schilderung  des  Kampfes  auf  Psyttaleia  (S.  80)  des  Aristeides 
Ruhm  gepriesen,  der  wesentlich  zum  salaminischen  Siege  beigetragen 
habe,  und  zwar  im  Land-  und  nicht  im  Seegefecht. 

Die  'Perser'  waren  das  Mittelstück  einer  Trilogie,  das  in  sich 
keinen  Abschluss  hat.  Der  Schatten  des  Dareios  weist  auf  fernere 
Niederlagen,  auf  die  Kämpfe  bei  Piataiai  hin.  Aus  dem  dritten 
Stücke  'Glaukos'  ist  eine  Anspielung  auf  Himera  enthalten.  Das  erste 
Stück  'Phineus'  hatte  seinen  Namen  von  dem  mythischen  Seher, 
welcher  den  Argonauten  die  Fahrt  nach  dem  nordischen  Barbaren- 
lande anzeigt. 

Es  ist  also  in  hohem  Grade  wahrscheinlich,  dass  alle  drei 
Stücke  durch  einen  Gedanken  zusammenhingen,  durch  die  Idee, 
welche  in  allen  denkenden  Zeitgenossen  lebendig  war,  von  dem  grofsen 
Kampfe  zwischen  Barbaren  und  Hellenen,  zwischen  Asien  und  Europa, 
der  in  dem  Argonautenzuge  sein  mythisches  Vorspiel  hatte  und  auf 
den  Schlachtfeldern  Griechenlands  und  Siciliens  seine  glorreiche  Ent- 
scheidung. So  hat  Herodot  den  Perserkrieg  als  Glied  einer  geschicht- 
lichen Entwickelungsreihe  aufgefasst,  so  hat  Pindar  die  Tage  von 
Salamis,  Piataiai  und  Himera  als  gleich  berechtigte  Ehrentage  der 
Hellenen  zusammengestellt  und  die  Persertrilogie  würde  gewiss  nicht 
am  Hofe  Hierons  aufgeführt  sein,  wenn  seine  Ruhmliebe  nicht  volle 
Genugtuung  darin  gefunden  hätte. 

Wie  also  Aischylos  die  mythische  Geschichte  der  Pelopiden  in 
den  drei  Stücken  der  Orestie,  die  des  thebanischen  Königshauses 
und  die  des  thrakischen  Königs  Lykurgos  ebenfalls  in  je  drei  unter 
sich  zusammenhängenden  Dramen  dargestellt,  wie  er  die  Prometheus- 
sage  so  entwickelt  hat,  dass  die  in  den  Einzelstücken  übrig  bleiben- 
den Conflikte  und  Missklänge  innerhalb  eines  gröfsern  Zusammen- 
hangs eine  befriedigende  Auflösung  finden,  so  hat  der  Dichter  Mythus 
und  Geschichte  in  einem  Ganzen  verwoben.  Vorzeit  und  Gegenwart, 
Orient  und  Occident,  Mutterland  und  Colonien  gestalten  sich  zu 


Digitized  by  Google 


AISCHYLOS 


299 


einem  grofsen  Weltgemälde,  zu  einer  Kette  von  Ereignissen,  welche 
durch  Weissagungen  und  wechselseitige  Beziehungen  mit  einander 
zusammenhangen.  Vorwärts  und  rückwärts  schauend,  deutet  der 
Dichter  wie  ein  Prophet  den  Gang  der  Geschichte,  dessen  innere 
Notwendigkeit  sich  dem  Auge  des  Geistes  enthüllt  Er  erhebt  das 
ßewusstsein  seines  Yolks,  indem  er  die  überall  steigende  Macht  der 
Hellenen  und  das  Sinken  der  Barharenmacht  darstellt,  ohne  dass 
eine  Beimischung  von  Hohn  oder  Schadenfreude  den  sittlichen  Adel 
seiner  Dichtung  trübte.  Er  mäfeigt  zugleich  das  Selbstgefühl  des 
Sieges,  indem  er  auf  das  selbstverschuldete  Unglück  der  Perser  hin- 
weist und  auf  die  ewigen  Gesetze  göttlicher  Gerechtigkeit,  deren 
Beachtung  auch  für  das  Glück  der  Hellenen  die  unerlässliche  Bedingung 
sei  »*). 

Auch  in  den  Tragödien  mythischen  Inhalts  fehlte  es  nicht  an 
Aussprüchen,  welche  eine  unmittelbare  Anwendung  auf  die  Gegen- 
wart erlaubten  und  selbst  forderten.  Solche  Beziehungen  gingen 
nicht  aus  frostiger  Absichtlichkeit  hervor,  welche  den  reinen  Eindruck 
der  Poesie  trübte,  sondern  ein  Mann  wie  Aischylos  konnte  nicht 
anders;  er  musste  dem,  was  er  für  das  Heil  des  Staats  und  für  das 
Gepräge  des  besten  Bürgers  hielt,  auch  in  seinen  Dichtungen  Aus- 
druck geben,  wenn  er  nicht  seine  lebendigsten  Gefühle  absichtlich 
zurückdrängen  wollte;  dies  gab  aber  um  so  weniger  einen  Missklang, 
weil  ja  im  Alterthume  die  Grundsätze  sittlicher  und  politischer  Weisheit 
so  nahe  zusammen  fielen.  Das  Publikum  aber,  das  sich  ja  auch 
im  Theater  als  Bürgergemeinde  fühlte,  fasste  rasch  und  unwillkürlich 
Alles  auf,  was  auf  die  Gemeindeverhältnisse  eine  Anwendung  ge- 
staltete und  auf  einen  Staatsmann  wie  Aristeides  sich  bezog  (S.  146). 

Nächst  Aristeides  war  es  Kimon,  dem  Aischylos'  Muse  huldigte. 
Mit  Kimon  vertrat  er  das  gemeinsam  Hellenische,  die  väterliche  Sitte» 
die  Herrschaft  der  Besten,  die  Zucht  der  alten  Zeit,  und  als  daher 
die  Wogen  der  Volksbewegung  immer  höher  gingen  und  auch  das 
letzte  Bollwerk,  den  Areopag,  bedrohten,  da  führte  der  siebzigjährige 
Dichter  seine  Muse  in  den  Kampf  der  Parteien  hinein  und  bot  alle 
Mittel  auf,  um  seinen  Mitbürgern  die  heilige  Würde  des  Areopags, 
als  einer  göttlichen  Stiftung,  an  das  Herz  zu  legen  und  vor  den 
Folgen  unseliger  Zügellosigkeit  zu  warnen  (S.  157  f.).  Die  «Eumeniden' 
des  Aischylos  bezeugen  in  glänzender  Weise,  wie  ein  grofses  Dicht- 
werk ein  Gelegenheits-  und  Tendenzstück  sein  kann,  ohne  dadurch 


Digitized  by  Google 


300 


SOPHOKLES. 


an  durchsichtiger  Klarheit  und  einer  für  alle  Zeiten  mustergültigen 
Erhabenheit  einzubüßen.  Wenn  nun  auch  der  Areopag  als  Gericht 
unangetastet  blieb  (und  gerne  mögen  wir  dem  Gedichte  des  Aischylos 
hierauf  einen  bestimmenden  Einfluss  zuschreiben),  so  fühlte  der 
Dichter  sich  doch  fremd  und  vereinsamt  in  der  Stadt  der  vollendeten 
Demokratie.  Das  war  nicht  die  Freiheit,  für  die  er  in  den  Schlachten 
geblutet  hatte;  die  Zahl  der  Freiheitskämpfer  schmolz  immer  mehr 
zusammen;  die  Orestie  war  das  letzte  Werk,  das  er  in  Athen  auf- 
führte; er  starb  im  sicilischen  Gela. 

Die  Zeit  der  Maralhonkämpfer  war  vorüber;  die  neue,  die  peri- 
kleische  Zeit  fand  in  einem  jüngeren  Geschlechte,  und  auf  der  attischen 
Bühne  in  Sophokles  ihren  Ausdruck. 

Er  war  wie  Aischylos  von  edler  Geburt,  wie  schon  das  Priester- 
thum  des  Heros  Alkon  anzeigt,  das  er  bekleidete;  aber  sein  Vater 
war  ein  Gewerbtreibender,  der  Leiter  einer  grofsen  Waflenfabrik.  In 
dem  erzreichen  Gaue  Kolonos  um  Ol.  70,  4  (496)  geboren,  war  er 
in  der  ländlichen  Anmulh  des  Kephisosthales  aufgewachsen,  unter 
dem  Schatten  heiliger  Oelbäume,  den  Zeugen  ältester  Landesgeschichte, 
aber  zugleich  nahe  der  Hauptstadt  und  nahe  dem  Meer,  das  er  von 
der  Felshöhe  des  Kolonos  überblickte,  wo  er  während  seiner  Knaben- 
zeit die  Hafenstadt  vor  seinen  Augen  aufwachsen  sab.  In  der  ersten 
Blüthe  jugendlicher  Schönheit  tanzte  er  als  Reigenführer  beim  salami- 
nischen  Siegesreste;  zwölf  Jahre  später  trat  er  schon  als  selbständiger 
Dichter  dem  grofsen  Aischylos  gegenüber,  dessen  begeisternde  Kunst 
ihn  in  die  gleiche  Bahn  des  dichterischen  Ruhms  hereingezogen 
halle.  Es  war  ein  Tag  ungewöhnlicher  Aufregung  für  ganz  Athen, 
als  das  Volk  auf  den  Ausgang  des  Wettkampfes  zwischen  dem  auf- 
strebenden Dichterjünglinge  und  dem  bald  sechzigjährigen,  mit  zwie- 
fachem Lorbeer  geschmückten,  Aischylos  harrte.  Es  war  an  demselben 
Dionysosfeste,  als  Kimon  nach  glänzender  Beendigung  des  thrakischen 
Feldzugs  (S.  124)  vom  Peiraieus  herauf  kam  und  in  der  Orchestra 
des  Thealers  sein  Dankopfer  darbrachte;  das  Volk  war  entzückt  über 
pie  Reliquien  des  Theseus,  die  er  heimgebracht  halte,  und  der  Archon 
Apsephion  wählte  unter  froher  Zustimmung  der  versammelten  Bürger 
Kimon  und  seine  Milfeldherrn ,  als  die  würdigsten  Vertreter  der 
zehn  Stämme,  aufserordentticher  Weise  zu  Kampfrichtern.  Der 
Erfolg  war,  dass  die  Triptolemostrilogie  des  Sophokles  den  Preis 
erhielt»*). 


Digitized  by  Google 


DIR  KUNST  DES  SOPHOKLES 


30  t 


Sophokles'  Kunst  stand  nicht  im  Widerspruche  zu  der  seines 
Vorgängers.  Er  blickte  mit  Ehrfurcht  zu  dem  Manne  hinauf,  welcher 
mit  so  ursprünglicher  Geisteskraft  zur  Vollendung  der  tragischen 
Kunst  die  Bahn  gebrochen  hatte.  Seiner  liebenswürdigen  Natur 
waren  Neid  und  Scheelsucht  fremd.  Er  war  aber  ein  selbständiger 
Schüler  des  grofsen  Meisters  und  seiner  ganzen  Begabung  nach  sehr 
verschieden  von  ihm.  Er  war  milder,  schlichter,  ruhiger  und,  was 
seinen  Geschmack  betrifft,  dem  Pathetischen  und  Pomphaften  ab- 
geneigt. Er  mäfsigte  daher  die  Kraft  der  Bühnensprache,  wie  sie 
Aischylos  eingeführt  halte,  und  suchte  die  Charaktere,  ohne  sie  in 
das  Gewöhnliche  herabzuziehen,  menschlicher  darzustellen,  so  dass 
die  Zuhörer  sich  ihnen  verwandter  fühlten.  Dies  steht  in  naher 
Beziehung  zu  der  veränderten  Behandlung  des  tragischen  Stoffs.  In 
tragischer  Sagencomposition  hat  Aischylos  das  Gröfste  geleistet,  was 
aus  griechischem  Geiste  hervorgegangen  ist;  hierin  konnte  er  nicht 
überboten  werden.  Sophokles  erkannte  aber,  dass  die  Sagen  nicht 
immer  von  Neuem  in  gleicher  Breite  dem  Volke  vorgeführt  werden 
dürften,  indem  das  Interesse  daran  sich  allmählich  erschöpfen  musste. 
Es  kam  also  darauf  an,  innerhalb  der  einzelnen  Tragödien  mehr 
Leben  zu  entwickeln,  die  Charaktere  schärfer  aufzufassen  und  das 
psychologische  Interesse  lebhaRer  anzuregen. 

Nachdem  nun  schon  Aischylos  die  Trilogie  in  der  Weise  behandelt 
hatte,  dass  er  sich  nicht  an  den  Verlauf  einer  mythischen  Geschichte 
band,  wurde  die  trilogische  Verbindung  von  Sophokles  wenn  auch  nicht 
völlig  aufgelöst,  doch  so  weit  gelockert,  dass  nun  jede  einzelne  Tra- 
gödie ein  Ganzes  war,  das  in  sich  seinen  Abschluss  halte  und  als 
besonderes  Kunstwerk  beurteilt  sein  wollte.  Dadurch  wurde  gröfsere 
Freiheit  gewonnen;  die  Motive  des  einzelnen  Stücks  konnten  ein- 
gehender behandelt  und  das  poetische  Gemälde  durch  das  Hervortreten 
von  Nebenfiguren  reicher  gegliedert  werden.  So  lässt  Sophokles  in  seiner 
Darstellung  der  Orestessage  die  That  des  Multermordes  und  ihren 
Urheber  zurücktreten  und  giebt  dem  vielbesungenen  Gegenstande  eine 
wesentlich  neue  Fassung,  indem  er  statt  Orestes  seine  Schwester 
Eleklra  zur  Hauptperson  macht,  in  ihrem  Gemülhe  den  ganzen  Hergang 
sich  spiegeln  lässt  und  dadurch  Gelegenheit  gewinnt,  ein  vielbewegtes 
Seelengemälde,  das  Bild  eines  weiblichen  Heldenmuttis  zu  schaffen, 
welchem  wieder  durch  die  Darstellung  der  anders  gearteten  Schwester 
ein  trefflicher  Hintergrund  gegeben  wird. 


Digitized  by  Google 


302  DIE  KUNST  DES  SOPHOKLES. 

Um  diese  Mittel  einer  feineren  und  fortgeschrittenen  Kunst  zur 
Geltung  zu  bringen,  fährte  Sophokles  den  dritten  Schauspieler  ein 
und  machte  dadurch  eine  ungleich  lebhaftere  Handlung,  so  wie  eine 
reichere  Schaltirung  und  Gruppirung  der  Charaktere  möglich.  Auch 
war  Sophokles  der  Erste,  der  obwohl  selbst  ein  Meister  in  Gesang  und 
Tanz,  von  der  eigenen  Darstellung  der  Rollen  zurücktrat.  Seitdem 
trennte  sich  die  Thäligkeit  des  Schauspielers  von  der  des  Dichters,  und 
die  Kunst  des  ersteren  erhielt  eine  selbständigere  Bedeutung.  Dem 
Chore  wurde  eine  ruhigere  Stellung  aufserhalb  der  Handlung  ange- 
wiesen, und  das  Dramatische  trat  nun  bedeutungsvoller  als  der  Kern 
der  Tragödie  hervor.  Aischylos  selbst  erkannte  den  Fortschritt  der 
Kunst  an;  denn  er  nahm  nicht  blofs  die  äußerlichen  Vervollkomm- 
nungen der  Tragödie  an,  sondern  erhob  sich,  durch  den  jüngeren 
Nebenbuhler  gefördert,  selbst  zu  einer  reiferen  Kunst  des  Dramas. 

Sophokles  war  so  wenig  wie  Aischylos  dem  öffentlichen  Leben 
fremd,  aber  er  war  ganz  Dichter  und  hatte  keine  Neigung,  sich  durch 
Staatsgeschäfte  und  Parteitreiben  die  heitere  Ruhe  seines  Geistes 
trüben  zu  lassen.  Ion  (S.  276  f.)  schildert  uns  den  Dichter,  wie  er  ihn 
als  55  jährigen  Mann  und  zwar  als  attischen  Strategen  in  Chios  antraf 
und  in  ihm  den  heitersten  und  liebenswürdigsten  Gesellschafter  fand, 
der  selbst  über  seine  Feldherrn  würde  allerlei  Spafs  machte.  Nichts 
desto  weniger  war  aber  auch  seine  Kunst  getragen  von  der  grofsen 
Zeit,  in  welcher  Athen  seine  Macht  über  alle  Küsten  des  Archipelagus 
ausbreitete;  aber  in  demselben  Mafse  wie  Athen  an  eigener  Geschichte 
und  selbständiger  Politik  vorgeschritten  war,  war  er  auch  mehr 
Athener  und  mehr  attischer  Patriot  als  Aischylos,  dem  das  gemeinsam 
Hellenische  näher  am  Herzen  lag.  Sophokles  trug  dazu  bei,  dass 
a t tische  Stolle  mit  Vorliebe  behandelt  wurden;  sein  'Triplolemos'  feierte 
Anika  als  die  Heimath  höherer  Bildung,  die  sich  von  hier  über  ferne 
Länder  siegreich  ausbreitete;  der  Oedipussage  giebt  er  auf  attischem 
Boden,  in  seinem  Heimalhsgaue  Kolonos,  einen  versöhnenden  Abschluss 
und  den  Standpunkt  des  Atheners  zeigt  auch  die  'Elektra',  indem  als 
Zielpunkt  der  Handlung  der  Sturz  einer  gesetzwidrigen  Herrschaft,  die 
Erkämpfung  der  Freiheil  dargestellt  wird. 

Seine  Tragödien  trugen  vor  allen  andern  Werken  dazu  bei,  der 
Zeit  der  äufseren  Macht  und  Herrlichkeit  Athens  eine  innere,  geistige 
Bedeutung  zu  geben,  wie  es  das  Streben  des  Perikles  war.  Er  suchte, 
wie  dieser,  die  allen  Gottesdienste  und  Sitten  des  Landes,  die  unge- 


Digitized  by  Google 


DIE  ATTISCHE  KOMÖDIE. 


303 


gebliebenen  Satzungen  des  heiligen  Rechts,  in  Ehren  zu  erhalten,  aber 
zugleich  jeden  Fortschritt  geistiger  Bildung  und  jede  Erweiterung  des 
Gesichtskreises  sich  anzueignen.  Die  Sprache  des  Dichters  bezeugt 
eine  ausgebildete  Kraft  des  Verslandes,  welche  sich  im  gedrungenen 
Ausdrucke  oft  bis  an  die  Gränze  der  Faßlichkeit  wagt;  aber  wie  weifs 
er  dabei  deu  Reiz  der  Anmulh  zu  bewahren,  und  welch  ein  Geist 
glücklicher  Harmonie  geht  durch  alle  seine  Werke  hindurch!  Er  war 
ein  Mann  nach  dein  Herzen  des  Perikles,  und  dass  er  zu  diesem  in 
persönlich  nahem  Verhältnisse  stand,  beweist  die  heilere  und  unge- 
zwungene Art,  mit  welcher  der  Staatsmann  den  Dichter  als  seinen 
Milfeldherrn  im  Heerlager  behandelte.  Sophokles  ist  nie  in  dem  Sinne 
Parteimann  und  Parteidichter  gewesen,  wie  Aischylos  es  war,  und  auch 
Phrynichos  es  gewesen  zu  sein  scheint  Aber  seine  Kunst  war  ein 
Spiegel  der  edelslen  Zeitrichtungen,  ein  verklärter  Ausdruck  des  peri- 
kleischen  Athens.  Sein  klares  und  gediegenes  Urteil  über  bürgerliche 
Verhältnisse  tritt  uns  an  allen  Stellen  entgegen,  wo  er  besonnenen  Rath 
als  das  Heil  der  Staaten  preist,  und  das  attische  Volk  wusste  in  ihm 
den  wahren  Dichter  der  Zeit  zu  würdigen;  denn  Keiner  hat  so  viel 
Preise  gewonnen  und  so  ungestört  seinen  Ruhm  genossen,  wie 
Sophokles,  und  erst  als  die  perikleische  Zeit  vorüber  war,  konnte 
Euripides  als  sein  Nebenbuhler  Glück  machen,  welcher,  obwohl  nur  15 
oder  16  Jahre  jünger,  doch  schon  einer  ganz  anderen  Epoche  angehörte; 
aber  auch  ihm  ist  Sophokles  nie  erlegen. 

Neben  der  Tragödie  hat  sich  aus  gleichem  Keime,  d.  h.  aus 
bachischen  Festlichkeiten,  die  Komödie  entwickelt.  Sie  ist  die 
leibliche  Schwester  der  Tragödie,  aber  sie  ist  länger  in  ländlicher 
L'ngebundenheit  aufgewachsen  und  viel  später  in  städtische  Zucht 
und  Pflege  genommen;  daher  hat  sie  auch  den  Charakter  ihres  Ur- 
sprungs treuer  bewahrt.  Ihr  Ursprung  liegt  nämlich  in  den  Lust- 
barkeiten der  Weinlese,  in  dem  Festjubel  der  Landleute  über  den 
neuen  Segen  des  Jahrs,  wie  er  sich  in  allen  Weinländern  wiederholt. 
In  schwärmenden  Maskenzügen  wurde  das  Lob  des  freudebringenden 
Gottes  gesungen  und  daneben  in  trunkenem  Uebermuthe  allerlei 
Spott  und  Scherz  mit  denen  gelrieben,  welche  dem  Zuge  begegneten 
und  Anlass  zu  Neckerei  und  MuthwiUen  darboten;  die  Tagesgeschichte 
wurde  reichlich  ausgebeutet,  und  wer  die  lustigsten  Einfälle  zum 
Besten  gab,  wurde  von  einem  dankbaren  Publikum  herzlich  belacht 
und  gefeiert. 


Digitized  by  Google 


304 


DIE  ATTISCHE  KOMÖDIE. 


So  wurden  die  Herbstfeste  auch  in  Attika,  namentlich  in  dem 
Gaue  lkaria  unweit  Marathon  begangen,  welcher  durch  seinen  Dionysos- 
dienst gleichsam  die  Pflanzstätte  des  ganzen  Dramas  der  Athener 
wurde,  denn  auch  Thespis  war  ja  von  dort  ausgegangen.  Nach 
lkaria  kam  Susarion  der  Megareer;  er  brachte  aus  seiner  Heimath 
den  derben  Witz  der  megarischen  Posse  mit  und  gab  den  Ton  an, 
der  sich  für  die  nächste  Zeit  auch  in  Attika  behauptete.  Aus  seiner 
Schule  stammte  Maison,  der  zur  Pisislratidenzeit  grofse  Geltung 
hatte.  Der  nächste  Schritt  war,  dass  die  ländliche  Schaubühne  nach 
der  Hauptstadt  verlegt,  vom  Staate  als  Bestandteil  der  Dionysosfesle 
anerkannt  und  mit  öffentlichen  Mitteln  unterhalten  wurde.  Das  ist 
nach  den  Perserkriegen  noch  in  der  Zeit  Kimons  geschehen,  und 
der  kräftige  Geist,  welcher  damals  das  Leben  der  Athener  durch- 
drang, bewährte  sich  auch  hier,  indem  er  die  rohe  und  halbfremde 
Posse  zu  einer  wohl  organisirten ,  inhaltsreichen  und  echt  attischen 
Kunstgattung  umgestaltete,  als  deren  Begründer  Chionides  und  Magnes 
der  Ikarier  angesehen  wurden. 

Seit  das  ikarische  Spiel  auf  dem  Schauplatze  der  Tragödie 
Heimatrecht  gewonnen  hatte,  wurden  von  den  fertigen  Formen  des 
tragischen  Dramas  viele  auf  die  jüngere  Gattung  übertragen;  es  wurden 
auch  für  sie  von  Staatswegen  öffentliche  Wettkämpfe,  Preise  und 
Preisgerichte  so  wie  die  Choregie  als  öffentliche  Leistung  (S.  245) 
angeordnet;  sie  erhielt  in  Beziehung  auf  die  Bühne,  auf  Dialog,  Chor, 
Schauspielerzahl  u.  s.  w.  eine  gleichartige  Organisation,  aber  ohne 
dadurch  ihre  Eigenthümlichkeit  einzubüfsen.  Denn  während  die 
Tragödie  die  Zuschauer  in  höhere  Sphären  entrückte  und  mit  allen 
Kunstmitteln  solche  Gestalten  und  Verhältnisse  zur  Anschauung  zu 
bringen  suchte,  welche  über  das  Mafs  des  gewöhnlichen  Lebens  weit 
hinausreichten,  blieb  die  Komödie  mit  der  Gegenwart  und  dem  Alltags- 
leben in  nächster  Verbindung.  Sie  blieb  ungezwungener  im  Tanze, 
in  Verskunst  und  Rede,  wie  in  der  dichterischen  Anlage;  ja  sie 
behielt  so  den  Charakter  eines  auf  den  Moment  berechneten  Gelegen- 
heitsstücks, dass  der  Dichter  den  Chor  benutzte,  um  während  des 
Stücks  den  Zusammenhang  desselben  vollständig  zu  unterbrechen, 
um  seine  persönlichen  Angelegenheiten  oder  brennende  Tagesfragen 
mit  dem  Publikum  in  ausführlichen  'Parabasen'  zu  besprechen. 

Diese  Gattung  dramatischer  Dichtung  konnte  nur  in  der  Luft 
der  Demokratie  gedeihen,  welche  sie  durch  alle  Stadien  ihrer  Ent- 


Digitized  by  Google 


DIE  ATTISCHE  KOMÖDIE. 


Wickelung  begleitet  bat.  Von  ihrem  Ursprung  an  auf  die  verkehrten 
und  lächerlichen  Erscheinungen  im  Menschenleben  gerichtet,  geißelte 
sie  alle  Thorheiten,  Gebrechen  und  Schwächen;  dazu  konnte  es  ihr 
bei  einem  so  vielbewegten  und  durchsichtigen  Gemeindeleben,  wie 
das  der  Athener  war,  an  Stoff  niemals  fehlen,  und  eben  so  wenig 
fehlte  ein  witziges,  geistreiches,  lachlustiges  und  für  jede  Anspielung 
empfängliches  Publikum.  Aber  sie  zog  auch  die  Missbräuche,  Ent- 
artungen und  Widersprüche  des  öffentlichen  Lebens  an  das  Licht. 
Darin  lag  der  Ernst  ihres  Berufs;  denn  ohne  den  Hintergrund  einer 
ernsten  und  patriotischen  Gesinnung  würde  ihr  Scherz  matt,  wir- 
kungslos und  verächtlich  geworden  sein.  Die  Komödiendichter 
wollten  keine  leichtfertigen  Voiksbelustiger  sein,  sondern  Lehrer 
der  Erwachsenen  und  Leiter  des  Volks,  wie  die  Tragödiendichter, 
und  das,  was  sie  in  der  Zeit  fieberhafter  Bewegung  geifsellen,  war 
gerade  das  Neumodische.  Die  Komödie  hatte  einen  aristokratischen 
Charakter;  sie  verlrat  das  Einheimische  gegen  das  Fremde,  sie  rügte 
unerbittlich  jede  falsche  Richtung  in  Leben  und  Kunst,  jeden  Unfug 
und  Missbrauch  von  Gewalt.  Sie  pflegte  das  Andenken  der  Freiheils- 
krieger und  ermunterte,  ihrem  Beispiele  nachzueifern;  sie  schloss 
sich  gerne  an  bedeutende  Tagesbegebenheiten  an,  wie  die  'Thrakerinnen' 
des  Kratinos  an  die  Colonisation  im  thrakischen  Lande. 

Man  begreift,  welche  Anziehungskraft  diese  Gattung  für  geniale 
Köpfe  haben  musste.  Hier  hatten  sie  einen  unbeengten  Schauplatz, 
ihr  Talent  zu  zeigen;  hier  waren  sie  in  Erfindung  und  Behandlung 
der  Fabel  an  keine  Tradition  gebunden.  Phantasie  und  Laune  halten 
volle  Freiheit  und  das  Publikum  sah  die  mit  witzig  ersonnenen 
Attributen  ausgestatteten  Chortanzer  als  Wolken,  Frösche,  Vögel  vor 
sich  aufziehen ;  kein  guter  Einfall,  so  keck  er  war,  brauchte  unter- 
drückt zu  werden.  Alle  Mittel  der  Poesie,  um  durch  erhabenen 
Schwung  zu  begeistern,  durch  Anmuth  zu  entzücken,  durch  Spott 
und  Witz  zu  unterhalten,  durch  lustige  Schwanke  zu  erheitern,  durch 
neue  Wörter  und  Gedanken  zu  überraschen,  standen  dem  Dichter 
zu  Gebote;  unter  dem  Schulze  der  Bühnenfreiheit  konnte  er  die 
Mächtigsten  im  Staat  keck  zur  Rede  stellen,  und  das  zujauchzende 
Volk  erkannte  in  ihm  den  Vertreter  bürgerlicher  Freiheit. 

Freilich,  je  ungebundener  die  Thätigkeit  des  Dichters  nach  Form 
und  Inhalt  war,  um  so  schwieriger  war  die  Kunst.  Der  Dichter 
musste  ein  in  selbständigem  Denken  gereifter  Mann  sein  und  über 

Cartiu»,  Gr.  Owch.  II.    6.  Aufl.  20 


Digitized  by  Google 


306 


I»IE  KOMUOIEMMCHTER. 


alle  göttlichen  und  menschlichen  Dinge  ein  sicheres  Urteil  haben. 
Die  Ansprüche  an  ihn  waren  grofs  und  beim  Beginn  jedes  neuen 
Stücks  fragte  man  sich  ungeduldig:  Was  wird  der  Dichter  heute 
uns  zu  sagen  haben?  Auch  bei  der  gröfslen  Begabung  halte  er 
den  Wechsel  der  Gunst  zu  fürchten,  denn  das  Publikum  liefs  seine 
Lieblinge  fallen,  deren  Verse  in  Aller  Munde  waren,  wenn  die 
sprudelnde  Erfindungsgabe  zu  versiegen  anfing. 

Krale s  und  Kratinos  sind  die  Gründer  der  Komödie  als  einer 
altischen  Kunst.  Kratinos  war  wenig  jünger  als  Aischylos  und  wie 
dieser  ein  urkräftiger,  schöpferischer  Geist,  aber  durch  ungebundenen 
Sinn  und  unerschöpfliche  Laune  zum  Lustspieldichter  geboren  und 
durch  seinen  derben  Wahr  hei  Issinn  dazu  berufen,  die  Komödie  zu 
einer  Macht  im  Staate  zu  machen.  Dies  geschah  um  dieselbe  Zeil, 
als  Perikles  in  Athen  mächtig  wurde,  und  wenn  es  auch  nicht  in 
Kratinos'  Weise  lag,  einer  der  streitenden  Parteien  sich  unbedingt 
anzuschließen,  so  wissen  wir  doch,  dass  er  in  seinen  'Archilochoi' 
(einer  Komödie,  deren  Chor  aus  Spöttern  wie  Archilochos  bestanden 
hat)  gleich  nach  Kimons  Tode  einen  attischen  Bürger  reden  liefs, 
welcher  'den  göttlichen  Mann'  beklagte,  'den  gastfreundlichsten,  den 
besten  aller  Panhellenen,  mit  dem  er  ein  heiteres  Alter  zu  verleben 
gehofTt  habe,  nun  aber  sei  er  zuvor  dahingegangen '.  Dem  gewaltigen 
Kratinos  folgten  Aristophanes  und  Eupoüs,  beide  bei  unverkennbarer 
Geistesverwandtschaft  und  Uebereinsliminung  der  Gesinnung  kunst- 
gerechter, milder,  gemäfsigter.  Aber  nur  der  Erstere  verstand  mit 
diesen  Eigenschalten  einen  Reichthum  schöpferischer  Erfindung  zu 
verbinden,  welcher  hinter  Kratinos  nicht  zurückblieb  m). 

Alle  diese  Männer,  Philosophen  und  Historiker,  Redner  und 
Dichter,  von  welchen  jeder  Einzelne  eine  Epoche  in  der  Entwickelung 
von  Kunst  und  Wissenschaft  bezeichnet,  waren  nicht  nur  Zeilgenossen, 
sondern  lebten  zusammen  in  einer  Stadt,  theils  in  ihr  geboren  und 
durch  den  Ruhm  der  Vaterstadt  von  Jugend  auf  genährt,  theils  durch  ihn 
herbeigezogen;  und  zwar  standen  sie  nicht  äufserlich  nebeneinander, 
sondern  sie  wirkten,  bewusst  oder  unbewusst,  zu  einem  gemeinschaft- 
lichen Werke.  Denn  mochten  sie  dem  grofsen  Staatsmanne,  welcher 
der  Mittelpunkt  der  attischen  Welt  war,  persönlich  nahe  stehen  oder 
nicht,  ja  mochten  sie  selbst  zu  seinen  Widersachern  gehören,  so  haben 
sie  ihn  dennoch  in  seiner  Lebensaufgabe,  Athen  zur  geistigen  Hauptstadt 
Griechenlands  zu  machen,  wesentlich  unterstützen  müssen. 


Digitized  by  Google 


GEISTIGES  LEBEN  IN  ATHEN. 


307 


Hier  gewann,  was  aus  fremden  Landschaften  an  Bildungskeimen 
eingeführt  war,  ein  neues  Leben;  die  ionische  Länder-  und  Völker- 
kunde wurde  zur  Geschichtschreibung,  wie  Herodo t  mit  Athen  in 
Berührung  kam;  aus  dem  peloponnesischen  Dithyrambos  erwuchs 
in  Athen  die  Tragödie,  aus  der  Posse  von  Megara  das  attische  Lust- 
spiel; grofsgriechische  und  ionische  Philosophie  fanden  sich  hier, 
um  sich  gegenseitig  zu  ergänzen  und  die  Entwickelung  einer  attischen 
Philosophie  Torzubereiten;  selbst  die  Sophistik  ist  nirgends  so  ver- 
werthet  worden  wie  in  Athen.  Während  früher  jede  Landschaft, 
jede  Stadt  oder  Insel  ihre  eigen thümliche  Schule  und  Richtung  hatte, 
so  drängten  sich  jetzt  alle  lebenskräftigen  Geistesrichtungen  hier 
zusammen;  die  Orts-  und  Summunterschiede  in  Charakter  und 
Mundart  glichen  sich  aus,  und  gleichwie  das  Drama,  von  allen  Kunst- 
gattungen die  am  meisten  attische,  alle  Kunstweisen  in  sich  auf- 
nahm, um  sie  zu  einem  organischen  Zusammenwirken  zu  vereinigen, 
so  erwuchs  aus  allen  Errungenschaften  des  hellenischen  Geistes  eine 
allgemeine  Bildung,  welche  zugleich  eine  attische  und  eine  national- 
griechische war.  So  sehr  die  andern  Staaten  dem  politischen  Vor- 
range Athens  widerstreben  mochten,  so  konnte  doch  Niemand  ver- 
kennen, dass  hier,  wo  man  Aischylos,  Sophokles,  Herodot,  Zenon, 
Anaxagoras,  Prolagoras,  Krates  und  Kratinos  vereinigt  wirken  sah, 
der  gemeinsame  Herd  aller  höheren  Bestrebungen,  dass  hier  das 
Herz  des  ganzen  Vaterlandes,  Hellas  in  Hellas,  sei. 

So  wenig  uns  auch  ein  Einblick  in  die  persönlichen  Verhältnisse 
dieser  grofsen  Zeitgenossen  vergönnt  ist,  so  können  wir  uns  doch 
aus  einzelnen  Ueberlieferungen  eine  Vorstellung  davon  machen,  wie 
Perikles  mit  den  hervorragendsten  Männern,  und  diese  unter  einander 
verkehrten.  Wir  wissen,  dass  er  zu  einer  Aufführung,  in  welcher 
Aischylos  gesiegt  hat,  den  Chor  ausrüstete.  Wir  kennen  die  Freund- 
schaft von  Herodot  und  Sophokles,  ja  wir  besitzen  noch  heute  den 
Anfang  eines  Gelegenheitsgedichts,  das  der  Dichter  in  seinem  55  sten 
Lebensjahre  an  Herodot  gerichtet  hat,  ein  Sendschreiben  im  elegischen 
Mafse,  welches  der  Zeit  angehört,  da  der  Geschieh tschreiber  nach 
Thurioi  auswanderte  und  dem  genussreichen  Zusammenleben  mit 
den  besten  Männern  Athens  sich  entzogen  hatte.  Sophokles  war 
vorzugsweise  eine  gesellige  Natur,  und  wir  hören,  dass  er  einen  den 
Musen  geweihten  Kreis  kunstverständiger  Männer  gebildet  habe,  der 
seine  regelmäfsigen  Zusammenkünfte  hatte.    Unter  gegenseitiger  An- 

20» 


Digitized  by  Google 


308 


GESUNDHEIT   DES  GEISTIGEN  LEBENS. 


regung  erfolgte  überall  eine  stetige  Fortbildung.  Wie  im  Bau 
des  Trimeters  im  Drama,  so  können  wir  in  jeder  Kunstweise  die 
Epochen  der  Entwickelung  nachweisen.  Wenn  aber  die  griechische 
Kunst  überhaupt  dadurch  so  sichere  Fortschritte  machte,  dass  die 
Jüngeren  nicht  darauf  ausgingen,  durch  Haschen  nach  Originalität 
einen  Vorsprung  zu  gewinnen,  sondern  dass  überall  das  Gute  bei- 
behalten, das  einmal  Bewährte  bereitwillig  angenommen  und  ausge- 
bildet wurde:  so  sehen  wir  auch  in  Athen  die  älteren  Meister  von 
ihren  Jüngern,  Aischylos  von  Sophokles,  Kratinos  von  Aristophanes, 
dankbar  geehrt  und  gepriesen. 

Was  das  geistige  Leben  in  Athen  besonders  auszeichnete,  war 
der  Umstand,  dass  die  hervorragenden  Männer,  so  ernst  sie  auch 
ihren  Beruf  auffassten,  doch  ihre  Meisterschaft  keiner  engherzigen 
Beschränkung  auf  ihr  Fach  verdankten.  Sie  standen  mitten  im 
Gemeindeleben,  und  das  erhielt  sie  gesund,  nährte  und  stärkte  ihren 
Geist  und  verhinderte,  dass  zwischen  dem  bürgerlichen  und  dem 
den  Wissenschaften  und  Künsten  zugewendeten  Leben  eine  nach 
beiden  Seiten  hin  nachtheilige  Entfremdung  eintrat.  Jeder  wollte 
ein  voller  Mensch,  ein  ganzer  Bürger  sein.  Von  den  bedeutenden 
Männern  der  Zeit  finden  wir  die  Meisten  jahrelang  auf  Reisen,  die 
zu  ausgedehnten  Beziehungen  und  zu  erspriefslichem  Austausche 
der  geistigen  Richtungen  führen;  Philosophen  und  Dichter  sind  als 
Staatsmänner,  als  Krieger  und  Feldherrn  thätig;  zu  Unterhandlungen 
mit  anderen  Staaten  waren  Männer  von  nationalem  Ruhme  wie 
Sophokles  sehr  wohl  zu  gebrauchen,  und  auch  diejenigen,  welche 
sich  dem  Musendienste  vorzugsweise  widmeten,  waren  Dichter  und 
Schauspieler  zugleich  und  der  Kunst  des  Gesanges  wie  der  des 
Tanzes  Meister1*8). 

Diese  Vielseitigkeit  war  nur  möglich  bei  der  grofsen  Lebens- 
kraft, welche  die  Zeitgenossen  des  Perikles  auszeichnete,  und  es 
scheint,  als  wenn  die  hohe  Blülhe,  deren  sich  damals  das  hellenische 
Volk  erfreute,  sich  darin  ganz  besonders  deutlich  bezeugte,  dass 
geistige  und  körperliche  Kräfte  sich  so  häufig  in  bedeutendem  Mafse 
vereinigt  fanden.  Wir  bewundern  die  Männer,  welche  sich  bei  un- 
ermüdlicher Arbeit  bis  in  ein  hohes  Greisenalter  die  volle  Kraft  zu 
erhalten  wussten  und  bis  zuletzt  in  der  Vollendung  ihrer  Kunst 
fortschritten. 

Nachdem  Sophokles  113  Dramen  gedichtet  hatte,  soll  er  den 


Digitized  by  Google 


DIE  SCHÖNEN'  KÜNSTE. 


309 


Cbor  des  kolonischen  Oidipus  vorgelesen  haben,  um  zu  beweisen, 
dass  er  nicht,  wie  ihm  nachgesagt  wurde,  aus  Altersschwäche  un- 
fähig sei  sein  Vermögen  zu  verwalten.  Kratinos  war  91  Jahre  alt, 
als  er  seine  *Frau  Flasche'  aufführte  und  mit  diesem  kecken  Lust- 
spiele Aristophanes  besiegte,  der  ihn  schon  als  einen  abgelebten  Gegner 
betrachtet  hatte.  Eben  so  waren  Simonides,  Xenophanes,  Par- 
menides,  Zenon  als  Greise  Musler  von  Kraft  und  Gesundheit.  Ti- 
mokreon  (S.  127  f.)  verband  mit  dem  Dichterberufe  die  Tüchtigkeit 
eines  Athleten.  Polos,  des  Sophokles  Lieblingsschauspieler,  war  im 
Stande,  binnen  vier  Tagen  in  acht  Tragödien  die  Hauptrollen  zu 
übernehmen.  Endlich  zeigt  sich  auch  darin  die  gesunde  Tüchtig- 
keit und  Vielseitigkeit  der  damaligen  Meister,  dass  sie  bei  der  un- 
gemeinen Fruchtbarkeit  an  schöpferischen  Werken  zugleich  über  die 
Aufgaben  und  Mittel  ihrer  Kunst  zu  wissenschaftlicher  Klarheit  zu 
gelangen  strebten,  dass  sie  mit  der  Begeisterung  des  Dichtergemüthes 
volle  Besonnenheit  und  Liebe  zu  theoretischer  Forschung  verbanden. 
$o  war  Lasos,  der  Gründer  des  Dithyrambos  in  seiner  vollendeten 
Form,  zugleich  ein  kritischer  Kopf  und  einer  der  ersten  Schrift- 
steller über  Theorie  der  Musik,  und  Sophokles  schrieb  selbst  über 
den  tragischen  Chor,  um  seine  Ansichten  von  der  Bedeutung  des- 
selben im  Organismus  der  Tragödie  zu  entwickeln.  So  schrieben 
auch  die  ersten  Baumeister  wissenschaftliche  Werke  über  ihre  Kunst, 
Polyklet  entwickelte  die  Zahlentheorie,  auf  welcher  die  plastische 
Symmetrie  beruhe,  und  Agatharchos  die  Grundsätze  der  Optik,  nach 
denen  er  die  Bühnendecoration  eingerichtet  hatte:  er  öffnete  dadurch 
eine  Bahn,  auf  welcher  Demokritos  und  Anaxagoras  die  Lehre  von 
der  Perspective  weiter  entwickelten158*). 


In  Beziehung  auf  die  Kunst  der  Rede  und  Dichtung  wie  auf  die 
Fortschritte  der  Wissenschaft  kann  der  Staat  nur  mittelbar  einwirken, 
indem  er  den  Meislern  Gelegenheit  giebt,  für  öffentliche  Zwecke  wirksam 
zu  sein,  Dichter  von  anerkanntem  Rufe  besoldet  und  Preise  austheilt, 
indem  er  die  Werke  eines  Herodot  dem  versammelten  Volke  vortragen 
lässt,  indem  er  die  Feste  leitet,  an  denen  die  Schauspiele  in  würdigster 
Ausstattung  aufgeführt  werden.  Anders  ist  es  mit  den  bildenden 
Künsten.  Diese  sind  abhängiger  von  äufseren  Umständen;  sie  bedürfen, 
um  Grofses  zu  Stande  zu  bringen,  solcher  Mittel,  wie  sie  nur  der  Staat 


Digitized  by  Google 


310 


THONBILI»EREI  UND  MALEREI 


gewähren  kann;  auch  ist  hier  eine  obere  Leitung  noth wendig,  um  zu 
gemeinsamen  Zwecken  alle  vorhandenen  Kräfte  zusammen  zu  fassen, 
damit  sie  nicht  in  kleinen  Aufgaben  zersplittern1'9). 

Attika  ist  für  die  Pflege  der  Künste  seit  ältester  Zeit  die  günstigste 
Stätte  gewesen.  Seine  Bewohner  hatten  den  Sinn  für  das  Schöne, 
welcher  das  Volk  der  Hellenen  auszeichnet,  in  besonders  hohem  Grade; 
Landschaft  und  Atmosphäre  trugen  dazu  bei,  ihren  Form-  und  Farben- 
sinn auszubilden,  und  der  Boden  lieferte  dem  betriebsamen  Geschlechte 
unvergleichlichen  Stein  zum  Bauen  und  Bilden  so  wie  vorzügliche 
Erde  zum  Modelliren,  zur  Töpferei  und  Thonmalerei. 

Beides  war  ursprünglich  Eins.  Denn  der  Töpfer  suchte  nicht  nur 
durch  Feinheit  der  Technik  und  edle  Form,  sondern  auch  durch  Firnisa 
und  Ornament  seinen  Fabrikaten  einen  höheren  Werth  zu  geben.  Dann 
erfolgte,  wie  der  Betrieb  schwunghafter  wurde,  Theilung  der  Arbeit. 
In  den  grofsen  Werkstätten  wurden  für  die  figürliche  Ausstattung 
eigene  Arbeiter  angestellt.  So  entwickelte  sich  aus  dem  Handwerk  ein 
Kunstzweig,  und  die  ersten  Malernamen,  die  uns  bekannt  werden, 
finden  sich  neben  denen  der  Töpfer  auf  bemalten  Schalen  und  Krügen. 
Diese  Malerei  war  nichts  als  eine  farbig  ausgefüllte  Umrisszeichnung; 
schwarze  Figuren,  welche  sich  von  dem  rothen  Tbongrunde  abhoben. 
So  hatte  man  die  Gefafsmalerei  aus  Korinth  überkommen  und  ahmte 
sie  nach,  indem  man  dieselben  Stoffe  in  gleichem  Stil,  in  gleichen  Fi- 
guren und  Gruppen  wiederholte.  Dann  erfolgte  eine  einfache,  aber 
durchgreifende  Aenderung  der  Technik.  Man  sparte  für  die  Figuren 
den  Thongrund  aus  und  liefe  dieselben  in  leuchtendem  Roth  auf 
schwarzem  Grunde  hervortreten.  Damit  begann  ein  neues  Leben,  ein 
ganz  neuer  Stil  in  Form  und  ßiklschmuck  der  Gefafse,  und  diese 
epochemachende  Reform  ist  in  Athen  zu  Hause. 

Der  Umschwung  erfolgte  um  dieselbe  Zeit,  welche  in  jeder  Be- 
ziehung der  Beginn  einer  neuen  geistigen  Bewegung  war.  Um  500  v.  Chr. 
gab  es  berühmte  Werkstätten,  in  denen  erst  schwarzfigurig  gemalt  und 
dann  nach  einer  kurzen  Zeit  des  Schwankens  rasch  und  entschieden 
zu  dem  neuen  Stil  übergegangen  wurde;  so  namentlich  die  des  Cha- 
chrylion.  Auch  Andokides  malte  noch  in  beiden  Stilen,  und  im  Anfang 
hatten  die  rothen  Figuren  noch  viel  von  dem  steifen  und  gezwungenen 
Charakter  der  altmodischen  Zeichnung. 

Bei  Chachrylion  arbeitete  Euphronios,  der  dann  ein  eigenes  Atelier 
gründete.   Euphronios  und  Duris  wuchsen  in  den  vollen  Segen  der 


Digitized  by  LjOOQIC 


TH0NB1LD.NEREI  UWD  MALEREI 


311 


perikleischen  Zeit  hinein,  und  wir  sehen  an  den  Werken  ihrer  Hand, 
wie  sie  in  Schrift  und  Zeichnung  der  Zeitbewegung  folgten  und  von 
dem  Zwange  eines  veralteten  Formengesetzes  sich  stufenweise  zu 
freierer  Anmuth  erhoben. 

Es  waren  Handwerker,  den  unteren  Ständen  angehörig,  welche 
auch  nicht  correkt  zu  schreiben  verslanden;  auch  viel  eingewanderte 
Leute,  die  sich  durch  ihre  un griechischen  Namen  (Amasis,  Brygos, 
Skythes)  zu  erkennen  gaben.  Aber  die  Fremden  wurden  unter  attischer 
Leitung  allmählich  selbst  Athener  und  die  Handwerker  zu  Künstlern, 
indem  sie  die  Bewegung  der  Zeit  verstanden,  ihren  grofsen  Inhalt  mit 
empfänglicher  Seele  in  sich  aufnahmen  und  rastlos  vorwärts  strebten. 
Im  Verlauf  von  wenig  Olympiaden,  welche  ungefähr  mit  der  Zeit  der 
kimonischen  Feldzuge  zusammenfallen,  war  ohne  Bruch  mit  der  älteren 
Praxis  eine  neue  Kunst  entwickelt,  welche  mehr  als  alle  anderen  Zweige 
antiker  Werkthätigkeit  erkennen  lässt,  was  die  Hellenen  mit  den  be- 
scheidensten Mitteln  der  Technik  zu  leisten  vermochten  und  wie  sie 
das  gewöhnliche  Gerälh  mit  idealem  Leben  ausstatteten.  Der  enge 
Bilderkreis  peloponnesischer  Kunst,  welcher  sich  an  die  Darstellungen 
auf  dem  Kypseloskasten  anschloss,  wurde  verlassen.  Freier  und 
voller  schöpfte  der  Künstlergeist  aus  der  Gölter-  und  Heroenwelt 
wie  aus  dem  Menschenleben;  die  attischen  Sagen  traten  in  den  Vorder- 
grund, und  wenn  wir  die  reiche  Fülle  von  Kampfscenen  und  heiterer 
Fesllust,  von  Mythologie  und  Alltagsleben  in  den  Vasenbildern  des 
Duris,  Euphronios  u.  A.  vor  Augen  haben,  können  wir  nicht  umhin,  sie 
als  Meister  in  ihrer  volkstümlichen  Kunst  anzuerkennen. 

Das  Tbonbild  war  die  Schule  der  Malerei.  Auf  den  unbequemen 
Flächen  der  Gefäfse  lernte  man  das  sichere  Zeichnen,  die  charak- 
teristische Grundlage  der  griechischen  Malerei.  Wie  die  Farbe  auf 
Stein  übertragen  wurde,  zeigen  die  attischen  Grabpfeiler,  auf  denen 
das  Bild  des  Verstorbenen  dargestellt  ist,  eine  farbige  Umrisszeichnung 
von  schlichter,  anmuthigster  Einfachheit,  wie  der  Denkstein  des 
Lyseas  aus  der  Pisistratidenzeit159*). 

Zu  umfangreicheren  Malereien  gab  der  Cultus  Anlass,  namentlich 
bei  Weihgeschenken,  die  an  Begebenheiten  erinnern  sollten,  bei  denen 
eine  gröfsere  Anzahl  von  Personen  mithandelnd  betheiligt  war,  wie 
z.  B.  der  Bau  der  Bosporosbrücke  (I,  606)  oder  die  Prozession  der 
Tempelfrauen,  welche  um  Abwendung  der  Persernoth  zur  Aphrodite 
in  Korinth  flehten.    Der  Cultus  gab  auch  Anlass  die  Wände  der 


Digitized  by  Google 


312 


IMF.   KUNST   HKS  IMMAGNOTOS 


Tempelzellen  mit  Gemälden  auszustatten.  Man  überzog  die  Wände 
oder  Wandtafeln  mit  feinem  Stuck,  der  dann  nach  Art  der  Tafelbilder 
als  Unterlage  der  Farbe  auch  auf  Thongefäfse  übertragen  wurde.  So 
wurde  in  Samos,  Korinlh,  Chalkis,  Paros,  Thasos  u.  a.  0.  die  Maler- 
kunst langsam  weiter  geführt. 

Der  Fortschritt  zu  einer  grofsen  und  monumentalen  Kunst  wurde 
aber  erst  in  Athen  gemacht,  und  zwar  verdankt  die  Stadt  auch 
diesen  Ruhm  ihrer  siegreichen  Flotte.  Denn  als  die  reiche  Insel 
der  Thasier  mit  Athen  den  Kampf  aufzunehmen  wagte,  blühte  dort 
die  Malerei  und  zwar  vorzüglich  in  dem  Hause  des  Aglaophon. 
Aglaophons  Sohn  und  Schüler  war  Polygnotos,  den  wir  mit  Kimon 
in  persönlicher  Verbindung  finden.  Es  ist  daher  in  hohem  Grade 
wahrscheinlich,  dass  es  kein  Anderer  als  Kimon  war,  welcher  Polygnot 
nach  dem  thasischen  Kriege  zur  Uebersiedelung  nach  Athen  veranlasst 
und  dadurch  seinem  Siege  eine  für  attisches  Kuns  lieben  unvergäng- 
liche Bedeutung  verliehen  hat.  Aber  schon  vorher  muss  man  in 
Delphi  das  Augenmerk  auf  Polygnotos  gelenkt  haben ;  denn  das  älteste 
von  ihm  bekannte  Werk  waren  die  grofsen  Wandbilder  in  der  Lesche 
oder  Gasthalle,  welche  die  Knidier  dem  pythischen  Gott  geweiht  hatten. 
Für  diese  Bilder  schrieb  Simonides,  der  schon  vor  dem  Siege  am 
Eurymedon  gestorben  ist,  das  Epigramm.  In  Plalaiai  schmückte  Poly- 
gnotos die  Tempelwände  der  Athena  Areia.  Seine  neue  Heimath  aber 
wurde  Athen,  wo  die  Säulenhalle  am  Stadtmarkte,  welche  Peisianax, 
ein  Verwandter  Kimons,  gebaut  halle,  der  Dioskurentempel  und  das 
heilige  Gemach  bei  den  Propyläen,  das  später  unter  dem  Namen  der 
Pinakothek  bekannt  war,  durch  seine  Werke  weltberühmt  wurden. 
Er  wurde  selbst  Bürger  von  Athen,  und  es  ist  bewundernswürdig, 
wie  rasch  auch  diese  neue  Kunst  sich  in  Athen  einbürgerte.  Allische 
Meister,  Mikon  und  Panainos,  schliefsen  sich  ihm  an,  und  sie  malen 
mit  ihm  an  denselben  Gebäuden,  ohne  dass  ihre  Werke  als  unter- 
geordnete Leistungen  angesehen  werden.  Es  war  eine  attische  Schule 
da,  und  ihr  Einfluss  greift  auch  sofort  in  den  handwerksmäfsigen 
Betrieb  der  Kunst  ein;  denn  wir  sehen  jetzt  den  jüngeren  Vasenstil 
sich  entwickeln,  mit  seiner  ausdrucksvolleren  Gruppirung,  der 
reicheren  Erfindung  und  ansprechenden  Anmuth,  welche  um  so 
wirkungsvoller  ist,  je  mehr  sie  von  einem  strengen  Ernste  getragen 
wird.  Hier  erkennt  man  die  Nachwirkung  der  grofsen  Epoche,  die 
mit  Polygnots  Aufnahme  in  Athen  begann. 


Digitized  by  Google 


DIE   KUNST   DES  POLYGNOTOS. 


313 


Niemals  hat  sich  die  Gastlichkeit  der  Athener  reicher  belohnt; 
denn  zum  Danke  für  das  verliehene  Bärgerrecht  malte  er  ihnen, 
ohne  Geld  zu  nehmen,  die  grofsen  Wandbilder,  welche  ihre  Stadt 
vor  allen  anderen  auszeichneten,  und  machte  ihre  Malerschule  zur 
ersten  in  Hellas. 

Polygnotos  war  in  seiner  Kunst  ein  durchaus  grofsdenkender 
Mann,  und  nichts  lag  ihm  ferner,  als  durch  Farbenreiz  und 
täuschenden  Schein  das  Auge  ergötzen  zu  wollen.  Das  sinnlich 
Wirkende  verschmähte  seine  Kunst;  sie  sollte  nichts,  als  die  Gedanken 
des  Künstlers  in  einfachster  Form  zum  Ausdruck  bringen.  Er  lebte 
aber  mit  seinem  Gemülhe  ganz  in  den  Ueberlieferungen  der  Religion 
und  des  Epos,  und  wie  Pindar  und  Aischylos  suchte  er  den  Inhalt 
derselben  mit  der  Gegenwart  zu  verbinden.  Nach  Analogie  einer 
aeschy leisen en  Trilogie  stellten  die  drei  Gemälde  der  Markthalle, 
welche,  wenn  auch  von  verschiedenen  Händen,  doch  ohne  Zweifel 
nach  einem  Plane  gemacht  wurden,  —  die  Amazonenschlacht,  die 
Zerstörung  Ilions  und  der  Kampf  bei  Marathon  —  die  verschiedenen 
Epochen  des  grofsen  Kampfes  zwischen  Asien  und  Europa  dar.  In 
Plataiai  malte  er  die  Niederlage  der  Freier  im  Hause  des  Odysseus 
mit  deutlicher  Beziehung  auf  die  barbarischen  Eindringlinge,  welche 
bei  Plataiai  ihre  Strafe  gefunden  hatten. 

Polygnot  ist  der  Begründer  einer  Historienmalerei,  deren  hoher 
Stil  niemals  übertreffen  worden  ist.  Das  stolze  Selbstbewusstsein,  das 
die  Zeitgenossen  Kimons  beseelte,  erfüllte  alle  Werke,  die  aus  seiner 
Schule  hervorgingen,  mochten  sie  epische  StofTe  oder  Gegenstande  der 
Zeitgeschichte  behandeln.  Bei  den  letzten  befleifsigle  man  sich  der 
gröfsten  Treue.  So  sah  man  in  der  Schlacht  von  Marathon  Miltiades 
persönlich  dargestellt,  wie  er  voranschreitend  die  Athener  zum  An- 
griffe anfeuerte;  man  sah  die  Perser,  wie  sie  in  die  Sümpfe  gedrängt 
wurden,  den  Kampf  bei  den  Schiffen,  den  Heldentod  des  Kallimachos; 
aber  auch  hier  fehlte  die  Beziehung  auf  die  unsichtbare  Well  nicht, 
indem  die  Schatten  der  Landesheroen  emporstiegen,  um  am  Kampfe 
Theil  zu  nehmen.  Einen  solchen  rein  attischen  Stoff  hatte  Polygnot 
ebenso  wie  den  Kampf  mit  den  Amazonen  attischen  Künstlern  zur 
Ausführung  überlassen. 

Er  selbst  hatte  an  gesamthellenischen  Stoffen  besonderes  Gefallen; 
für  ihn  konnte  also  keine  anziehendere  Aufgabe  gefunden  werden,  als 
die  Ausschmückung  der  delphischen  Halle,  wo  Hellenen  aller  Gegenden 


Digitized  by  Google 


314 


ATTISCHE  BILDKUNST. 


und  Mundarten  als  Genossen  eines  Volkes,  als  Diener  derselben  Götter 
zusammentrafen.  Hier  entfaltete  er  in  vollem  Reichthume  die  home- 
rischen Sagen;  aber  er  begnügte  sich  nicht,  die  Gruppen  in  epischer 
Weise  an  einander  zu  reihen,  sondern,  wie  jede  einzelne  Gruppe  in 
wenig  Personen  klar  und  übersichtlich  gegliedert  war,  so  waren  sie  auch 
alle  wieder  um  gewisse  Mittelpunkte  vereinigt.  Jeder  erkannte  den 
denkenden  Geist,  der  den  StofT  vollkommen  beherrschte,  indem  er 
zugleich  sein  Gemüth  von  den  sittlich  religiösen  Ideen  des  Künstlers 
ergriffen  und  erwärmt  fühlte.  Denn  in  Delphi  trat  die  theologische 
Richtung  Polygnots  bestimmter  hervor.  In  dem  Untergange  Trojas  wie 
in  der  Darstellung  der  Unterwelt  wusste  er  die  den  Wandel  menschlicher 
Dinge  beherrschende  Gerechtigkeit  der  Götter  an  erschütternden  Bei- 
spielen darzustellen.  Wer  die  einfache,  aber  tiefsinnige  Symbolik  des 
Künstlers  verstand,  erkannte  im  Bilde  des  Antenor,  der  die  brennende 
Stadt  ruhig  verliefs,  den  Lohn  der  Gastfreundschaft  und  sah  in  den 
Figuren  der  Eingeweihten  den  Segen  der  Mysterien  ausgedrückt,  welcher 
über  das  Grab  Ii  inausreichte  mb). 

Die  bildende  Kunst  hatte  in  Griechenland  eine  ungleich  reichere 
Vergangenheit  als  die  Malerei.  Während  der  Tyrannenzeit  waren  die 
Werkstätten  der  attischen  Bildner  und  Bauleute  viel  beschäftigt  gewesen, 
in  den  vornehmeren  Familien  regte  sich  der  Ehrgeiz,  durch  reichere 
Stiftungen  bekannt  zu  werden,  und  die  alte  Zunft  der  Dädaliden  blieb 
unausgesetzt  thätig,  in  Holz,  Marmor  und  Elfenbein  der  Religion  zu 
dienen ;  die  Götterbilder  attischer  Künstler,  wie  des  Endoios,  erfreuten 
sich  eines  Ruhms,  welcher  über  die  Gränzen  des  Landes  weit  hinaus- 
ging. Was  sie  auszeichnete,  war  ein  strenger  feierlicher  Stil,  religiöser 
Ernst  und  ruhige  Würde.  In  dieser  Weise  arbeiteten  die  Athener  weiter, 
und  Alles,  was  von  attischen  Bildwerken  aus  der  Zeit  bis  zu  den  Perser- 
kriegen durch  Beschreibung  oder  Ueberreste  bekannt  ist,  zeigt ,  dass 
bei  grofsem  Fleifse  und  ernstem  Streben  nach  Naturwahrheit  im  Ein- 
zelnen, die  Darstellung  im  Ganzen  trocken  und  steif,  unfrei  und  un- 
lebendig blieb  und  lange  Zeit  den  Charakter  alterlhümlicher  Gebunden- 
heit behielt.  In  dieser  Art  sind  die  Athenabilder  von  Marmor,  lang- 
bekleidet, mit  anliegenden  Armen,  feierlich  thronend. 

Charakteristisch  aber  ist  für  die  attische  Schule  der  Basreliefstil, 
welcher  den  Umriss  der  Figuren  als  Silhouette  auf  die  Steinplatte 
zeichnet,  ganz  nach  Arteines  Vasenbildes;  so  besonders  auf  den  schmalen 
Grabpfeilern,  die,  in  einen  Sockel  eingelassen,  als  Denkzeichen  auf  dem 


Digitized  by  Google 


PELOPO>NESISCHE  BILDKUNST 


Grabe  emporragen,  gerade  so  breit  und  hoch,  dass  eine  menschliche 
Figur  in  LebensgrÖfse  darauf  dargestellt  werden  kann.  Das  knappe 
Mafs  ist  für  die  alte  attische  Kunst  kennzeichnend  und  ebenso  eine  ge- 
wisse Unbeholfenheit,  die  sich  lange  erhält,  wie  die  conventioneile 
Behandlung  der  Gesichtszüge  und  des  Haars  zeigt.  Das  grofse  und 
starre  Auge  erscheint  in  voller  Breite  auf  den  Profil  köpfen,  während 
im  Modelliren  der  Wange  sich  schon  eine  feine  Naturbeobachtung  ver- 
räth  und  die  Umrisse  ein  unverkennbares  Streben  nach  individueller 
Wahrheit  kund  geben160). 

Ein  ungleich  regeres  Leben  herrschte  im  Peloponnes,  wo  der  Erz- 
guss  in  voller  Blüthe  stand,  wo  die  Kunst  an  Weihgeschenken  und 
Siegerbildnissen  zu  freierer  und  vielseitigerer  Entwicklung  gelangt  war. 
Die  Kunstschulen  von  Sikyon ,  Aigina  und  Argos  waren  damals  die 
blühendsten  der  griechischen  Welt;  in  Sikyon  die  Schule  des  Kanachos, 
der  um  die  Zeit  der  Perserkriege  fürMilet  und  für  Theben  Apollostatuen 
bildete;  in  Aigina  die  altberühmte  Schule  einheimischer  Erzgiefser 
(I,  531  f.),  welche  mit  dem  Wohlstande  und  der  Macht  der  Insel  immer 
glänzender  sich  aufschwang  und  ihren  Höhepunkt  in  Onatas  erreichte. 

0 na  las  war  ein  Meister  von  hellenischem  Ruhme.  Er  schuf  einen 
Apollokoloss  aus  Erz,  dessen  Postament  in  Pergamon  zu  Tage  gekom- 
men ist,  und  eine  Demeter  für  Phigaleia;  die  letzlere  war  dadurch  aus- 
gezeichnet, dass  er  sich  nicht  wie  die  älteren  Künstler  mit  peinlicher 
Aengstlicbkeit  an  die  geschmacklose  Form  des  Volksglaubens  anschloss, 
sondern  sich  von  der  priesterlichen  Tradition  frei  machte  und  nach 
eigener  Eingebung  die  Form  des  Götterbildes  veredelte.  Seine  volle 
Künsllergröfse  aber  zeigte  sich  in  der  Composition  historischer  Gruppen 
von  gröfserem  Umfang.  So  schuf  er  für  die  Städte  Achajas  ein  Weih- 
geschenk, das  die  griechischen  Helden  darstellte,  welche  das  Loos  ent- 
scheiden liefsen,  wer  von  ihnen  den  Kampf  mit  Hektor  übernehmen 
solle;  im  Auftrage  der  Tarentiner  aber  bildete  er  die  Gefechte  zu  Ross 
und  zu  Fufs,  welche  die  Bürger  mit  den  italikem  bestanden  hatten; 
die  Schutzheroen  Taren  ts  waren  anwesend  zu  sehen.  Ein  anschauliches 
Zeugniss  von  der  Tüchtigkeit  dieser  Schule  sind  die  Bildwerke  des 
Atbenatempels  in  Aigina  (S.  7).  Sie  sind  von  Marmor,  und  lassen 
dennoch  deutlich  erkennen,  dass  es  der  Erzguss  gewesen  ist,  welcher 
die  äginetische  Kunst  zu  den  schlanken  Formen  und  zu  der  ausdrucks- 
vollen Lebendigkeit  der  Bewegung  geführt  hat,  wie  sie  in  jenen  Bild- 
werken uns  entgegentritt,  während  der  Marmor,  der  in  Athen  vor- 


Digitized  by  Google 


316 


kAL  AIIIS.     AGELADAS.      MV  RON. 


herrschend  war,  mehr  zu  solchen  Darstellungen  führte,  in  denen 
eine  ruhige  Harmonie  sich  entfaltete  und  das  Geistige  im  Kopfe  zum 
Ausdruck  kam. 

Gleichzeitig  mit  Onalas  und  zum  Theil  gemeinschaftlich  mit 
ihm  arbeiteten  Ageladas  und  Kaiamis.  Kaiamis  stand  um  die  Zeit 
der  Perserkriege  auf  der  Höhe  seines  Ruhms,  als  die  Bürger  von 
Akragas  bei  ihm  eine  Reihe  betender  Knabengestalten  bestellten  und 
Pindar  eine  von  ihm  gebildete  Statue  des  Zeus  Ammon  in  Theben 
weihte.  Er  war  ein  Meister  in  Erz,  in  Marmor,  in  Silber,  in  Gold  und 
Elfenbein;  gleich  geschickt  in  Darstellung  von  Göttern,  Thieren  und 
Menschen;  ein  Mann,  in  dem  sich  schon  die  ganze  Vielseitigkeit  des 
altischen  Talents  ankündigte,  und  der,  wenn  auch  nicht  nachweislich 
Athener  von  Geburt,  doch  in  Athen  wirksam  war,  wahrend  Ageladas 
in  Argos  an  der  Spitze  einer  berühmten  und  vielbeschäftigten  Kunst- 
schule stand.  Hier  war,  wie  in  Aigina,  Erzguss  die  Hauptsache,  und 
in  Folge  der  zahlreichen  Weihgeschenke,  welche  für  Tarentiner,  Epi- 
damnier,  Messenier  u.  s.  w.  bei  ihm  ausgeführt  wurden,  in  Einzelbildern 
und  Gruppen,  Götterbildern  und  Viergespannen,  erreichte  man  hier 
eine  Vielseitigkeit  und  Gewandtheit  der  Technik  wie  der  Composition, 
welche  auch  aus  entfernteren  Orten  die  strebsamsten  Talente  nach 
Argos  zog,  um  in  Ageladas'  Schule  sich  auszubilden,  und  die  hohe  Be- 
deutung dieses  Meislers  wird  durch  keine  Thatsache  deutlicher  bezeugt, 
als  dadurch ,  dass  nach  alter  Ueberlieferung  drei  der  gröfsten  Künstler 
der  allen  Welt,  Myron,  Polykleitos  und  Pheidias,  aus  seiner  Lehre  her- 
vorgegangen sind. 

Myron  aus  Eleutherai,  dem  Gränzorte  Atlikas  gegen  Böotien,  war 
wohl  der  älteste  unter  ihnen.  Er  brachte  attischen  Geist  mit  in  die 
Werkställe  der  peloponnesischen  Künstler,  attische  Erlindsamkeit  und 
Energie,  welche  sich  nicht  bei  den  herkömmlichen  Motiven  beruhigte, 
sondern  nach  vielen  Seiten  neue  Wege  eröffnete.  Das  dramatische 
Leben,  wie  es  sich  in  der  allischen  Poesie  entfaltete,  beseelte  auch  seine 
Kunst  und  führte  sie  über  die  gewöhnlichen  Siegerbildnisse  hinaus. 
So  stellte  er  Ladas  dar,  den  Sieger  im  Laufe,  wie  er  mit  dem  letzten 
Alhemzuge  auf  der  Lippe  das  Ziel  erreichte,  und  sein  Diskoswerfer  ver- 
anschaulichte in  der  niedergebeugten  Figur  die  höchste  Spannung  aller 
Muskeln,  einen  lebensvollen,  dramatischen  Akt,  dem  man  ansah,  dass 
im  nächsten  Momente  eine  völlig  veränderte  Lage  aller  Glieder  folgen 
müsse.  Man  sieht  die  volle  Sicherheit  der  Schule,  die  er  sich  in  Argos 


Digitized  by  Google 


MYRON.  POLYKLEITOS. 


317 


angeeignet  hatte,  und  zugleich  den  neuen  Gebrauch,  welchen  er  von 
den  Mitteln  derselben  zu  machen  wusste.  Dabei  war  er  nach  Anleitung 
der  attischen  Werkmeister  ein  tüchtiger  Götlerbildner,  während  zugleich 
eine  gewisse  derbe  Natürlichkeit,  worin  man  etwas  von  dem  böotischen 
Naturell  zu  erkennen  glaubt,  ihn  dahin  führte,  dass  er  mit  besonderer 
Liebhaberei  und  besonderem  Glücke  Thiergestalten,  wirkliche  wie  fabel- 
hafte, bildete  und  auch  Scenen  des  gewöhnlichen  Lebens  genreartig 
darstellte. 

Diese  geniale  Vielseitigkeit  hatte  Polykleitos  nicht,  der  aus  Sikyon 
nach  Argos  übergesiedelt  war-,  aber  er  war  eine  in  sich  harmonische 
Künstlernatur,  welche  zur  Anschauung  und  Darstellung  vollendeter 
Schönheit  vorzudringen  rastlos  bestrebt  war  und  deshalb  die  normalen 
Verhältnisse  des  menschlichen  Körpers  wissenschaftlich  zu  erörtern 
und  zugleich  in  mustergültigen  Formen  darzustellen  suchte.  Seine 
Bildnisse  waren  also  meist  in  ruhiger  Hallung  und  von  gröfster  Ein- 
fachheit; um  aber  dabei  die  Gefahr  der  Einförmigkeit  zu  vermeiden, 
machte  er  es  sich  zum  Gesetze,  seine  Standbilder  vorzugsweise  auf 
einem  Fufse  ruhen  zu  lassen,  so  dass  in  der  Darstellung  des  Körpers 
ein  anmuthiger  Gegensatz  zwischen  der  tragenden  und  der  getragenen, 
der  straffer  angespannten  und  der  loseren,  lässigeren  Seite  hervortrat. 
Durch  Abklärung  des  Persönlichen  erhob  er  das  Körperliche  zu  vollen- 
deter Wohlgestalt,  und  an  makelloser  Schönheit;  an  Adel  und  Würde 
sind  Polyklets  Werke  niemals  überboten  worden.  Aber  der  bedeutende 
Inhalt  fehlte;  es  fehlte  dem  Künstler  eine  Vaterstadt  mit  lebendiger 
Geschichte  und  eine  Bürgerschaft,  welche  die  Kunst  als  eine  öffentliche 
Angelegenheit  ansah.  Der  bedeutendste  Auftrag,  der  ihm  zu  Theil 
wurde,  nach  dem  Brande  des  Heraion  (89,  2;  423)  für  den  neuen 
Tempel  des  Eupolemos  das  Goldelfenbeinbild  der  thronenden  Hera  an- 
zufertigen, ist  wahrscheinlich  erst  in  Folge  dessen,  was  inzwischen  in 
Athen  geschehen  war,  ausgeführt  worden. 

Die  attischen  Kunstschulen  waren  von  denen  in  Thasos,  Sikyon, 
Korinth,  Aigina  und  Argos  übertroffen  worden.  Aber  so  sehr  diese 
kleineren  Staaten  geeignet  waren,  unter  günstigen  Umständen  in  ge- 
wissen Richtungen  die  Entwicklung  der  schönen  Künste  zu  hegen  und 
zu  fordern,  so  konnte  die  hellenische  Kunst  doch  nur  dort  zu  voller 
Entfaltung  kommen,  wo  ein  Mittelpunkt  hellenischer  Geschichte,  ein  Sitz 
der  Macht,  ein  Schauplatz  des  Ruhms  war;  denn  die  Künste  folgen  dem 
Siege,  und  ihre  schönste  Aufgabe  ist  es  zu  allen  Zeilen  gewesen,  grofse 


Digitized  by  Google 


318 


DIE  ATTISCHE  KU.NST. 


Erfolge,  welche  menschlicher  Klugheit  und  Tapferkeit  gelungen  sind, 
in  dauernden  Werken  zu  verewigen.  So  hatten  schon  die  Tyrannen 
gedacht  und  jene  glänzenden  Weihgeschenke  gestiftet,  welche  ihr  Glück 
den  kommenden  Geschlechtern  bezeugen  sollten.  Aber  an  diesen  Werken 
halte  das  Volk  keinen  Antheil,  weil  das  Tyrannenglück  auf  Gewalt- 
thäligkeit  beruhte,  und  aus  selbstsüchtigen  Absichten  einzelner  Macht- 
haber keine  volkstümliche  Kunst  erwachsen  konnte.  Jetzt  war  Alles 
anders.  Eine  grofse  nationale  Bewegung  hatte  das  ganze  Volk  ergriffen ; 
ein  freier  Bürgerstaat  hatte  an  der  Spitze  der  Bewegung  gestanden; 
Reichthum  und  Macht  war  ihm  durch  den  Sieg  über  die  Barbaren  zu 
Theil  geworden.  Nun  durfte  es  nicht  dabei  bleiben,  dass  einzelne  Kunst- 
freunde, freigebige  Eupatriden,  wie  Kallias,  des  Hipponikos  Sohn,  der 
bei  Kaiamis  arbeiten  liefs,  Weihgeschenke  stifteten,  sondern  der  Staat 
musste  selbst  als  Auftraggeber  eintreten,  und  die  Bürgerschaft  von  Athen 
war  kunstsinnig  genug,  um  die  Errichtung  grofser  Denkmäler  als  eine 
öffentliche  Angelegenheit  ersten  Ranges  zu  betrachten. 

Für  diese  Epoche  war  allmählich  Alles  vorbereitet.  Attika  war  seit 
der  Tyrannenzeit  mehr  und  mehr  ein  Theil  des  Archipelagus  geworden, 
und  was  unter  ionischem  Himmel  von  glücklichen  Verhältnissen  be- 
günstigt hier  und  dort  gereift  war,  fand  eine  neue  Heimath  in  Athen. 
Marmor  aus  Paros  war  der  erste  plastische  Marmor,  der  dort  verarbeitet 
wurde ;  mit  dem  Stein  kamen  die  Steinarbeiter.  Immer  deutlicher  er- 
kennen wir,  wie  sich  die  Kunstschulen  von  Chios  und  den  Cycladen  schon 
vor  den  Ferserkriegen  in  Attika  einbürgerten.  In  viel  gröfserem  Mafs- 
stab  erfolgte  der  fruchtbare  Zuzug  überseeischer  Techniker  durch  die 
Mafs  regeln  des  Themistokles  (S.  108);  dann  wurde  man  durch  die  Feld- 
züge Kimons  erst  mit  den  Städten  loniens  vertraut  und  lernte  von  ihnen 
den  Stadtmarkt  mit  Marmorhallen  einfassen,  in  deren  schattigen  Gängen 
die  Bürger  sich  ihrer  Mufse  freuen  konnten.  Kimon  und  Perikles  hatten 
im  Grunde  dieselben  Gesichtspunkte  und  konnten  daher  auch  eine  Zeit 
lang  einträchtig  zusammen  gehen;  nur  war  bei  Perikles  die  Kunstliebe 
und  Kunstpflege  mehr  eine  zielbewusste  und  durchdachte  Politik. 
Er  wollte  keine  prahlerische  Schaustellung  des  attischen  Reichthums, 
sondern  sein  Streben  ging  dahin,  dass  die  bildende  Kunst,  welche  mehr 
als  alles  Andere  Hellenen  und  Barbaren  unterschied,  nachdem  sie  in  den 
verschiedensten  Stoffen  die  Technik  ausgebildet  und  ihre  Schule  durch- 
gemacht, in  der  Verherrlichung  Athens  die  Aufgabe  finden  solle,  in 
welcher  Alles,  was  in  griechischen  Lokalschulen  an  Industrie  und  Kunst 


Digitized  by  Google 


PHEIDUS'  FHIHERE  ARBEITEN 


319 


sich  entwickelt  hatte,  zu  vollster  Blüthe  und  mustergültiger  Vollen- 
dung sich  entfalten  sollte.  Für  die  Machtstellung  Athens ,  welche  er 
anstrebte,  war  es  nothwendig,  dass  die  hellenische  Kunst  eine  attische 
werde,  zu  der  sich  alle  früheren  Leistungen  wie  Vorstufen  verhielten. 
Wenn  aber  Perikles  in  diesem  Theile  seiner  slaatsmännischen  Aufgabe 
glücklicher  war  als  in  allen  anderen ,  so  liegt  der  Grund  nicht  blofs  in 
seinen  persönlichen  Gaben ,  sondern  ganz  besonders  in  der  Gunst  der 
Umstände,  welche  ihm  zu  diesem  grofsen  Werke  die  rechten  Männer 
zuführte,  und  zwar  vor  allen  Anderen  den  Pheidias161). 

Pheidias,  des  Charmides  Sohn,  war  um  einige  Jahre  älter  als 
Sophokles.  Er  gehörte  einer  Familie  an ,  in  welcher  mit  dem  Dienste 
der  Athena  Ergane,  der  „Werkmeisterin",  eine  vielseitige  Kunstübung 
erblich  war.  Er  selbst  war  zuerst  Maler,  wie  sein  Bruder  oder  Neffe 
Panainos,  und  wandte  sich  erst  später  ausschließlich  der  Bildkunst  zu, 
die  er  in  allen  ihren  Zweigen  auf  das  Sorgfaltigste  studirte.  Er  ging 
sehr  jung  nach  dem  Peloponnes,  wo  Ruhe  herrschte,  während  man  in 
Attika  um  den  Boden  des  Landes  stritt,  und  gewann  in  der  Werkstätte 
des  Ageladas  die  Anschauung  von  einer  grofsartigen  Kunstthätigkeit 
Nach  seiner  Rückkehr  war  er  bald  einer  der  angesehensten  Künstler, 
so  dass  er  bei  Ausführung  der  Denkmäler,  welche  man  den  Siegern  von 
Marathon  schuldig  geblieben  war,  schon  an  erster  Stelle  mitwirkte. 
Man  benutzte  dazu  auch  die  aus  späteren  Siegen  gewonnenen  Schätze, 
weil  es  den  Athenern  besonders  am  Herzen  lag,  das  Andenken  von 
Marathon  zu  feiern.  Kimon  hatte  ein  persönliches  Interesse,  dies  Be- 
streben zu  fördern.  Denn  nachdem  der  unglückliche  Prozess  seines 
Vaters  in  Vergessenheit  gekommen  war,  tauchte  der  Ruhm  desselben 
wieder  hell  empor,  und  während  Kimon  selbst  und  seinen  Amtsgenossen 
für  die  thrakischen  Siege  kein  anderer  Siegesdank  zu  Theil  wurde,  als 
die  Vergünstigung,  am  Markte  drei  Hermen  mit  Epigrammen  aufstellen 
zu  dürfen,  wurden  zur  Feier  des  Tags  von  Marathon  die  Bronzegruppen 
bestellt,  welche  in  der  Werkstätte  des  Pheidias  für  Delphi  ausgeführt 
wurden.  Es  waren  die  Heroen  der  zehn  attischen  Stämme,  als  Ver- 
treter der  Bürgergeineinde,  neben  ihnen  Kodros,  Theseus  und  als 
Dritter  wahrscheinlich  Philaios,  der  Sohn  des  Aias,  der  Salamis  an 
Athen  gebracht  hatte,  der  Stammvater  der  Philalden,  zu  denen  Miltiades 
und  Kimon  gehörten;  endlich  Miltiades  selbst  neben  Apoll on  und  Athena. 

Glänzender  konnte  das  Andenken  des  Helden  nicht  gesühnt 
werden;  es  war  eine  überschwängliche  Genugthuung.  Um  dieselbe  Zeit 


Digitized  by  Google 


320 


PERIKLES  L'MD  PHEIDIAS. 


ging  auch  der  Erzkoloss  der  Alhena  Promachos,  der  „Vorkämpferin'4, 
aus  der  Hand  desselben  Meisters  hervor,  und  wurde  auf  der  Akropolis 
westlich  von  dem  Tempel  der  Burggöttin  aufgestellt,  ein  herrliches 
Sinnbild  des  vorkämpfenden  Muths,  mit  dem  die  Athener  den  Persern 
zuerst  entgegengegangen  waren.  Auch  aufserhalb  Athens  galt  er  als 
der  erste  Meister  und  erhielt  von  den  Platäern  den  Auftrag,  das 
Kolossalbild  der  Alhena  Areia  herzustellen,  ein  vergoldetes  Holzbild  mit 
Kopf,  Händen  und  Füfsen  aus  pentelischem  Marmor ies). 

So  gab  schon  die  kimonische  Zelt  dem  Künstler  zu  bedeutenden 
Schöpfungen  reichen  Aniass.  Aber  es  waren  immer  noch  einzelne 
Gelegenheitsarbeiten,  auf  Bestellung  ausgeführt,  wie  auch  in  den  Werk- 
stätten des  Ageladas  gearbeitet  wurde,  nur  mit  dem  großen  Unterschiede, 
dass  Pheidias'  Arbeiten  dem  Buhme  des  eigenen  Landes  galten  und  unter 
sich  einen  inneren  Zusammenhang  halten.  Bei  diesen  Werken  reifte 
der  Genius  des  Künstlers  der  perikleischen  Zeil  entgegen,  und  nachdem 
er  schon  innerhalb  und  aufserhalb  seiner  Vaterstadt  die  ehrenvollste 
Anerkennung  sich  verschafft  hatte,  trat  er  nach  Kimons  Tode  in  das 
engste  persönliche  Verhältniss  zu  Perikles;  es  war  ein  Bund  von  zwei 
grofsen  Männern,  der  für  die  Geschichte  der  Kunst  epochemachend 
geworden  ist. 

Denn  Pheidias  halle  in  vollem  Mafse  jene  Vielseitigkeit  geistiger 
Kraft,  welche  seine  Zeitgenossen  auszeichnete.  Er  war  nicht  nur  Maler 
und  Bildbauer,  wie  es  auch  bei  Mikon  der  Fall  war,  dem  Milarbeiler 
Polygnots;  er  beherrschte  alle  Gebiete  der  Kunst,  war  überall  reich  an 
Erfindung.  Er  war  durchdrungen  von  dem  hohen  Berufe  seiner 
Vaterstadt  und  dabei  ein  denkender  Kopf,  ein  Mann,  der  vollen  Anlheil 
an  der  Bildung  der  Zeit  hatte,  welche  bei  ihm  so  wenig  wie  bei  Aischylos 
und  Sophokles  einen  Bruch  mit  der  väterlichen  Ueberlieferung  veran- 
lasst hatle.  Darum  war  er  im  Stande,  auf  die  Ideen  des  Perikles  mit 
vollem  Verständnisse  einzugehen,  wie  er  andererseits  durch  seinen 
weiten,  alle  Kunstzweige  beherrschenden  Blick  befähigt  war,  grofse 
Unternehmungen  mit  sicherer  Hand  zu  leiten,  weil  die  anderen  Künstler 
die  unzweifelhafte  Ueberlegenheit  seines  Geistes  anerkennen  mussten. 
Bei  aller  Freiheit  eines  ungehemmten  Wetteifers  war  er  der  König 
im  Gebiete  der  Kunst,  wie  Perikles  im  Staalsleben;  er  wussle  den 
Künstlern  die  richtige  Stellung  anzuweisen;  herrschend  und  leitend 
stand  er  in  ihrer  Mitte,  ohne  ihren  Buhm  zu  schmälern  oder  ihren 
guten  Willen  zu  beeinträchtigen. 


Digitized  by  Google 


PERIKLES1  PANHELLENISCHK  VERSUCHE. 


321 


Was  Perikles  und  Pheidias  wollten,  war  im  Grunde  eine  helle- 
nische Angelegenheit.  Denn  das  ganze  Vaterland  war  durch  die 
Freiheitskriege  gerettet  worden,  das  ganze  Volk  zu  beiden  Seiten  des 
Meers  neu  vereinigt,  und  doch  war  lange  nicht  geschehen,  was  hätte 
geschehen  müssen,  um  die  grofse  Zeit  der  siegreichen  Volkserhebung 
und  den  Segen,  der  ihr  gefolgt  war,  in  bleibenden  Denkmälern  zu 
bezeugen.  Ein  neues  Geschlecht  war  herangewachsen,  und  viele  der 
zerstörten  Heiligthämer  lagen  noch  immer  in  Schutt;  die  Gelübde 
waren  ungelöst,  und  das  den  Göttern  gebührende  Dankfest  war  durch 
die  Zeiten  gegenseitiger  Spannung  schmählich  unterbrochen  worden. 
Das  Versäumte  nachzuholen  war  also  eine  nationale  Pflicht,  und 
Perikles  unternahm  es,  sie  als  solche  zu  behandeln.  Der  Hellenen- 
bund, der  durch  Athen  gegen  Persien  zu  Stande  gekommen  war, 
sollte  nun  als  ein  Verein  zu  Friedenswerken  wieder  aufleben. 

Zu  dem  Zwecke  wurden  zwanzig  Männer  von  vorgerücktem  Alter, 
welche  selbst  die  Freiheitskriege  mitgemacht  hatten ,  aus  der  Bürger- 
schaft ausgewählt.  In  vier  Gruppen  wurden  sie  ausgesendet,  die  Einen 
zu  den  asiatischen  Ioniem  und  Doriern  und  zu  den  Inselstaaten,  die 
Anderen  nach  dem  Hellespont  und  Thrakien;  die  dritte  Gesandtschaft 
ging  nach  Böotien ,  Phokis  und  dem  Peloponnes ,  die  letzten  endlich 
nach  Euboia  und  Thessalien.  Alle  freien  Staaten  wurden  eingeladen, 
einen  Nalionalcongress  in  Athen  zu  beschicken  und  hier  nach  gemein- 
samer Verständigung  die  Mafsregeln  zu  treffen,  um  die  zerstörten 
Heiligthümer  herzustellen  und  alle  unerfüllten  Gelübde  in  würdiger 
Weise  zu  vollziehen.  Ein  neues,  grofses  Nalionalfest  sollte  gestiftet 
und  für  den  friedlichen  Verkehr  aller  hellenischen  Staaten  zu  Wasser 
und  zu  Lande  neue  Bürgschaft  gewonnen  werden.  Die  Zeit  dieser  Ge- 
sandtschaften wird  nirgends  bestimmt  angegeben;  wahrscheinlich 
schlössen  sie  sich  dem  dreifsigjährigen  Frieden  an,  der  durch  Perikles 
Ol.  83,  3  (445)  zu  Stande  kam,  oder  schon  dem  durch  Kimon  ver- 
mittelten fünfjährigen  Waffenstillstände  (82,  2;  451). 

Auf  jeden  Fall  war  es  eine  Idee,  in  welcher  beide  Staatsmänner 
sich  begegnen  mussten.  Denn  nachdem  sich  in  den  Freiheitskämpfen 
ein  neues  Volksthum  gebildet  hatte  und  namentlich  durch  Themistokles 
der  Grundsatz  rücksichtslos  geltend  gemacht  war,  dass  nur  diejenigen 
wahre  Hellenen  wären,  welche  gegen  die  Perser  im  Felde  gestanden 
hätten,  kam  es  jetzt  darauf  an  diesen  Gegensatz  zu  mildern  und  die 
gerechten  Ansprüche  der  Athener  und  Genossen  auf  besondem  Kriegs- 

Curtini,  Gr.  Gweb.  II.    6.  Aufl.  21 


Digitized  by  Google 


322 


NEUBAUTEN  IN  ATTIKA. 


ruhm  zurücktreten  zu  lassen,  damit  ohne  Eifersucht  alle  Hellenen 
in  versöhnter  Stimmung  den  neuen  Aufschwung  des  gemeinsamen 
Volkslebens  anerkannten.  Wie  Kimon  immer  im  Interesse  von 
ganz  Hellas  seine  Flotte  führte,  so  wollte  auch  Perikles  nichts  lieber, 
als  dass  die  alte  Eifersucht  der  Stämme  sich  beschwichtigte  und  nur 
ein  friedlicher  Wetteifer  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  und  der  Erkennt- 
niss  übrig  bliebe.  Er  hat  sein  Streben  nach  Verwirklichung  eines 
weiteren  Volksthums,  seine  panhellenische  Politik  in  der  Anlage  der 
überseeischen  Colon ien  deutlich  bezeugt  (S.  257  ff.). 

In  diesem  Sinne  trat  also  Athen  zum  ersten  Male  als  nationaler 
Mittelpunkt  auf,  indem  es  eine  Angelegenheit  in  die  Hand  nahm,  welche 
eigentlich  eine  amphiklyonische  war  und  von  Delphi  hätte  ausgehen 
müssen ,  wenn  der  dortige  Bundestag  noch  eine  Macht  gewesen  wäre. 
Was  den  Erfolg  dieser  Mafsregeln  betrifft,  so  begreift  man  leicht,  warum 
die  Gesandten  mit  ausweichenden  oder  ablehnenden  Antworten  heim- 
kehrten. Die  grüfseren  Staaten,  Sparta  vor  allen,  waren  durchaus 
abgeneigt.  Athen  einen  Vortritt  in  nationalen  Angelegenheiten  einzu- 
räumen und  sein  Ansehen  erhöhen  zu  helfen ;  denn  jede  Auffrischung 
der  Kriegserinnerungen  konnte  nur  dazu  dienen,  den  Ruhm  der 
Athener  zu  heben.  Nachdem  also  der  Plan  einer  nationalen  Vereinigung 
hatte  aufgegeben  werden  müssen,  war  es  um  so  gerechtfertigter,  alle 
Mittel  auf  Athen  zu  verwenden,  um  hier  in's  Werk  zu  setzen,  was  man 
zum  Ruhme  des  ganzen  Vaterlands  mit  nationalen  Mitteln  in  großarti- 
gerem Mafsstabe  hatte  erreichen  wollen ,6S). 

Die  Kunstthätigkeit  beschränkte  sich  aber  nicht  auf  Athen.  Alle 
Theile  von  Attika  waren  verwüstet  und  die  heiligen  Stätten  mit  be- 
sonderer Wuth  von  den  Barbaren  verheert  worden.  Im  ganzen  Lande 
sollten  nun  die  Spuren  derselben  verschwinden,  um  an  Stelle  des  Zer- 
störten neue  und  schönere  Bauten  entstehen  zu  lassen.  Manches  war 
schon  in  der  kimonischen  Zeit  geschehen,  jetzt  aber  wurde  das  Begon- 
nene großartiger  und  planmäfsiger  durchgeführt;  wahrscheinlich  ge- 
währte der  Staat  den  einzelnen  Heiligthümern  zu  ihren  eigenen  Mitteln 
noch  besondere  Zuschüsse;  der  Wetteifer  freigebiger  Bürger  kam  dazu, 
und  eine  Reihe  tüchtiger  Baumeister,  Iktinos  an  der  Spitze,  stand  mit 
Perikles  und  Pheidias  in  naher  Verbindung.  Aus  dieser  Zeit  stammen 
die  Bauten  aufSunion,  dem  inselartigen  Vorgebirge ,  das  mit  seinen 
abschüssigen  Felswänden  in  das  Cykladenmeer  vorspringt,  ein  dem 
Schiffervolke  heiliger  Platz  des  Poseidon  und  zugleich  der  Athena. 


Digitized  by  Google 


SIMON.      RHAMMS.  ELEUSIS. 


323 


Ein  passenderer  Ort  konnte  nicht  gefunden  werden,  um  den  Inseln 
gegenüber  Attika  beim  ersten  Anblicke  als  das  gottesfürchtige,  glück- 
liche und  kunstliebende  Land  der  Pallas  Alhena  zu  kennzeichnen. 
Darum  wurde  hier  der  im  Kriege  zerstörte,  ältere  Tempel  aus  Poros- 
stein  in  Marmor  neu  aufgebaut;  eine  stattliche  Thorhalle  führte  in  den 
Tempelhof  hinauf,  wo  die  Tempelhalle,  weithin  sichtbar,  in  heiterer 
Würde  über  der  Brandung  des  Meeres  sich  erhob.  Der  Tempel  war 
der  Mittelpunkt  eines  Festes,  das  alle  vier  Jahre  mit  besonderem 
Glänze  von  Staatswegen  gefeiert  wurde;  ein  Theater,  in  die  Uferhöhen 
hineingebaut,  nahm  das  Volk  auf,  wenn  die  altischen  Trieren  hier 
ihre  Wettkämpfe  ausführten.  Sunion  war  nicht  nur  die  Mittelstation 
zwischen  Athen  und  den  Inseln,  sondern  selbst  ein  volkreicher  Ort 
und  die  Umgegend  wegen  der  Bergwerke  eine  der  belebtesten  von 
ganz  Attika. 

Ganz  anders  das  stille  Rhamnus,  in  einer  versteckten  Schlucht  der 
Diakria,  Euboia  gegenüber,  eine  Stunde  nördlich  von  Maralhon.  Ober- 
halb der  Schlucht  lag  das  Heiligthum  der  Nemesis,  welches  der  ganzen 
Gegend  ihre  Bedeutung  gab.  Hier  wurde,  wie  es  scheint,  neben  dem 
älteren  ein  neuer,  gröfserer  Tempel  errichtet;  das  Marmorbild  der 
Göttin,  das  aus  der  Werkstätte  des  Pheidias  hervorging,  wies  durch 
die  Siegesgöttinnen  an  ihrem  Stirnbande  und  die  mit  Aethiopen  ver- 
zierte Schale  in  ihrer  Hand  auf  die  Niederlage  der  Barbaren  hin.  Ja, 
man  war  so  sehr  gewöhnt,  das  ganze  Werk  mit  Marathon  in  Verbin- 
dung zu  setzen,  dass  man  sogar  erzählte ,  der  Marmorblock  der  rha- 
mnusischen  Nemesis  sei  von  den  Persern  hierher  geschleppt  worden 
und  ursprünglich  bestimmt  gewesen,  ein  persisches  Siegesdenkmal 
zu  werden.  Man  sieht,  wie  die  Idee  der  Vergeltung  der  ethische 
Gedanke  war,  welcher  die  Geraüther  der  Athener  erfüllte  m). 

Am  entgegengesetzten  Ende  von  Attika,  dem  salaminischen 
Schlachtfelde  benachbart,  lag  das  allheilige  Eleusis,  das  neben  Athen 
immer  eine  gewisse  städtische  Geltung  behauptete,  einen  eigenen  Hafen 
und  andere  Gerechtsame  halle.  Der  Neubau  der  eleusinischen  Heilig- 
thümer  nahm  die  Kunst  der  attischen  Baumeister  auf  ganz  besondere 
Art  in  Anspruch.  Hier  lag  die  Aufgabe  vor,  für  den  Cultus  der  grofsen 
Göttinnen,  welcher  eines  der  wichtigsten  Staatsinstitute  war  und  mit 
dem  Staate  an  Ruhm  und  Ansehen  zugenommen  hatte ,  ein  Haus  her- 
zustellen, welches  geräumig  genug  war,  sämtliche  Eingeweihte,  also 
eine  Menge,  wie  sie  sonst  nur  in  offenen  Theatern  und  Stadien  zu- 

21* 

» 


Digitized  by  Google 


324 


die  Hafenstadt. 


sammenkara,  als  eine  Gemeinde  zu  geroeinsamer  Feier  in  sich  zu 
vereinigen.  Der  Bau  wurde  zu  den  bedeutendsten  Werken  der  peri- 
kleischen  Zeit  gerechnet.  Iklinos  führte  die  Leitung  des  Ganzen; 
Koroibos  richtete  das  untere  Stockwerk  ein,  einen  quadratischen  Raum 
am  Nordoslabhange  des  Berges,  mit  sechs  Säulenreihen  im  Inneren. 
Die  Sitzstufen  der  Zuschauer  waren  zum  Theil  im  Felsen  ausgehauen ; 
Metagenes  errichtete  darauf  die  obere  Säulenstellung  mit  den  Gallerien, 
und  Xenokles  erwarb  sich  einen  Namen,  indem  er  für  die  Licht- 
Öffnung  in  der  Mitte  des  Daches  eine  neue  Art  von  kuppeiförmiger 
Bedeckung  erfand.  Nach  aufsen  war  der  Bau  ohne  Hallen,  ernst  und 
abgeschlossen;  nach  allen  Seiten  von  festen  Mauerzügen  umgeben, 
welche  einen  zwiefachen  Tempelhof  einschlössen. 

In  der  mittleren  Ebene  von  Attika  waren  Athen  und  Peiraieus, 
seitdem  Perikles  die  südliche  der  beiden  Parallelmauern  gebaut  hatte 
(S.  234),  zu  einer  Doppelstadt  unzertrennlich  verbunden,  aber  im  Innern 
einander  sehr  unähnlich.  Athen  war  auf  altem  Schutte  eilig  wieder 
aufgebaut,  wie  es  die  Nothdurfl  verlangte,  und  blieb  eine  unordentliche, 
planlos  angelegte  Stadt  mit  engen  und  krummen  Gassen.  Es  war  un- 
möglich, hier  im  Ganzen  etwas  Neues  zu  schaffen.  Anders  war  es  im 
Peiraieus.  Hier  halte  man  freieren  Spielraum;  hier  brauchte  man  mit 
der  Bevölkerung,  die  grofsentheils  aus  Metöken  bestand,  weniger  Um- 
stände zu  machen.  Hier  sollte  nun  nach  Perikles'  Absicht  eine  allen 
Forderungen  der  neuen  Zeit  entsprechende  Normalstadt  geschaffen 
werden  und  so  wurde  auf  seine  Veranlassung  dem  Milesier  Hippodamos 
der  glänzende  Auftrag  zu  Theil,  eine  neue  Hafenstadt  innerhalb  der 
themistokleischen  Ringmauer  aufzubauen,  wie  eine  Colonie,  nach  kunst- 
gerechtem Plane.  Als  feste  P#hkte  dienten  die  Höhe  von  Munichia 
(die  Akropolis  der  Hafenstadt  mit  dem  Heiliglhume  der  Artemis)  und 
die  Häfen.  Von  den  drei  Buchten  war  nur  die  gröfste,  der  eigentliche 
Peiraieus,  zum  Centrum  der  Seestadt  geeignet,  weil  die  beiden  andern 
zu  eng  und  durch  Felshöhen  vom  Binnenlande  gesondert  waren. 

Der  Peiraieushafen  war  in  zwei  Theile  gegliedert ;  rechts  von  der 
Einfahrt  lag  in  einer  kleineren  Bucht  der  Kanlharos,  einer  der  drei 
Trierenhäfen,  mit  94  Schiffshäusern  und  allen  auf  die  Kriegsflotte  be- 
züglichen Einrichtungen.  Der  übrige,  mehr  als  doppelt  so  grofse,  nörd- 
liche Theil  der  Bucht  diente  als  Handelshafen,  welcher  allmählich  immer 
vollständiger  ausgestattet  wurde.  Der  flache  Rand  desselben  wurde 
mit  Dämmen  eingefasst,  die  weit  genug  vorgeschoben  waren,  um  das 


Digitized  by  Google 


PEIRAIEUS. 


325 


Laden  und  Löschen  der  Schiffe  möglichst  zu  erleichtern.  Kleinere 
Dämme  sprangen  in  das  Meer  vor.  um  die  Schifte  nach  Verschiedenheit 
ihrer  Ladungen  in  übersieh tliche  Gruppen  zu  Iheilen.  Hinter  dem 
breiten  Uferrande  erhoben  sich  die  öffentlichen  Hallen,  welche  die 
Bucht  im  Halbkreise  umgaben  ;  vor  allen  ausgezeichnet  die  perikleische 
Getreidehalle,  wo  das  uberseeische  Korn  aufbewahrt  wurde;  dann  die 
Magazine,  in  denen  für  eine  dem  Staate  zu  zahlende  Lagermielhe  die 
Waaren,  auch  die,  welche  weiter  verschifft  werden  sollten,  unter- 
gebracht wurden,  die  Amtslocale  der  Hafenpolizei  und  Zollbeamten, 
das  Deigma  oder  Börsengebäude,  wo  die  Kaufleute  und  Schiflfsherrn 
zusammenkamen,  sich  die  Proben  ihrer  Waaren  vorlegten,  Handels- 
geschäfte und  Verträge  aller  Art  mit  einander  abschlössen,  deren 
Urkunden  bei  den  Geldwechslern  niedergelegt  wurden.  In  demselben 
Gebäude  wurden  auch  die  Handelsgerichte  abgebalten,  und  zwar  vor- 
zugsweise im  Winter,  in  der  Zeit  der  Geschäflsslille.  In  der  Nähe 
waren  öffentliche  Herbergen  und  Gasthöfe,  die  der  Staat  verpachtete, 
und  Kaufläden,  welche  für  die  Bedürfnisse  der  Seefahrer  eingerichtet 
waren. 

Dieser  ganze  Stadttheil  unmittelbar  am  Meere  war  durchaus  für 
den  überseeischen  Verkehr  bestimmt;  er  war  der  Stapelplatz  und  Frei- 
halen für  ganz  Attika,  der  Verkehrsort  für  Einheimische  und  Fremde, 
mit  einem  Heiligthume  der  Aphrodite,  wie  es  an  keinem  Seemarkte 
fehlte.  Dieser  Handelshafen  war  von  dem  Kantharos,  dessen  Bezirk  nur 
die  von  Amtswegen  dort  beschäftigten  und  dem  Staate  verpflichteten 
Personen  betreten  durften,  von  den  Werften,  Schiffshäusern  und  Trieren 
streng  gesondert;  indessen  dienten  die  am  Eingange  der  ganzen  Bucht 
liegenden  Kriegsschiffe  zugleich  dazu,  die  Handelsmarine  so  wie  die 
reichen  Waarenniederlagen  gegen  unvermuthete  Seeangriffe  zusichern. 
Beide  Stadttheile,  der  Handels-  wie  der  Kriegshafen,  waren  Staats- 
eigen tb um  und  der  Staatsregierung  allein  untergeordnet. 

Der  dritte  Theil  war  die  innere  Stadt,  welche  unter  der  stadtischen 
Polizei  des  Peiraieus  stand.  Die  Gränze  desselben  war  durch  Inschrift- 
steine bezeichnet,  von  denen  noch  mehrere  aus  der  Zeit  des  Hippodamos 
erhalten  sind.  Auf  dieser  Linie  verzollte  man  alle  Waaren ,  die  zum 
attischen  Verbrauche  eingingen;  zugleich  wurde  dadurch  das  Getümmel 
der  Fremden  und  des  Seevolks  von  der  inneren  Stadt  des  Peiraieus 
fern  gehalten.  Diese  Stadt  hatte  ihren  besonderen  Markt,  den  4hippo- 
damischen';  von  hier  führte  eine  breite  Strafse  gerade  zu  dem  Heilig- 


Digitized  by  Google 


326 


UNTERSTADT  UND  OBERSTADT. 


thume  der  Artemis  Munichia  hinauf,  an  dem  Theater  vorüber.  An  den 
Abhängen  des  Burghügels  gegen  das  Meer  bauten  sich  die  Häuserreihen 
amphithealralisch  auf  und  gewährten  dem ,  der  zwischen  den  beiden 
Thürmen  (S.  108)  in  das  Hafen ihor  einfuhr  und  den  wohlbewachten, 
Ton  Schiffen  voll  gedrängten,  von  einer  Reihe  glänzender  Säulenballen 
eingefassten  Peiraieus  überschaute,  einen  ungemein  stattlichen  Anblick. 
Es  war  hier  durch  Perikles  eine  Seestadt  geschaffen,  welche  den  späteren 
Anlagen  von  Rhodos  und  selbst  von  Alexandreia  als  Muster  diente. 

Ganz  anders  waren  die  Verhältnisse  in  der  oberen  Stadt.  Hier  war 
ein  durchgreifender  Neubau  unmöglich;  man  musste  sich  also  begnügen, 
die  Umgebungen  der  Stadt  zu  schmücken,  und,  wie  bei  vielen  alten 
Städten,  waren  auch  hier  die  Vorstädte  ungleich  anmuthiger  und 
glänzender  ab  der  Kern  der  Stadt.  Seit  der  Zeit  der  Pisistratiden  hatte 
sich  die  Stadtbevölkerung  immer  mehr  nach  Norden  und  Westen  aus- 
gedehnt (I,  355) ;  ein  Theil  des  alten  Töpfergaus  oder  Kerameikos  war 
längst  ein  Stadtquartier  geworden;  der  andere  Theil  blieb  Vorstadt. 
Zwischen  beiden  lag  das  Doppelthor  oder  Dipylon,  der  natürliche  Aus- 
gang des  ganzen  nördlichen  Stadtgebiets  nach  dem  Thallande  des  Ke- 
phisos,  das  breiteste  und  glänzendste  Thor  der  Stadt;  denn  hier  war 
die  Stirnseite  derselben,  und  es  lag  im  Sinne  der  Alten,  den  Hauptein- 
gang von  Städten  und  Tempelhöfen  so  würdig  wie  möglich  auszustatten. 
Von  hier  ging  der  breite  Fahrweg  aus,  welcher,  die  Höhengruppen  in 
flacher  Curve  umgehend,  die  Hafenstadt  mit  der  Oberstadt  verband,  von 
hier  gerade  gegen  Westen  der  'heilige  Weg',  die  Strafte  nach  Eleusis, 
die  Bahn  der  Festzüge,  welche  mit  Fackelschein  den  Gott  der  Mysterien 
Iakchos  nach  den  Heiliglhümern  der  grofsen  Göttinnen  führten.  Von 
dieser  Strafse  zweigte  wiederum  gleich  aufserhalb  des  Thores  die 
Strafseab,  welche  nach  der  Akademie  führte,  der  baumreichen  Niederung 
am  Kephisos,  der  mit  zahllosen  Wasseradern  den  ganzen  Boden  durch- 
dringt und  eine  Ueppigkeit  der  Vegetation  hervorruft,  welche  mit  den 
dürren  Felshöhen  der  Stadt  einen  so  erquickenden  Gegensatz  bildet, 
dass  hierher  zu  allen  Zeiten  die  nach  Schatten  und  frischer  Luft  ver- 
langenden Städter  sich  hingezogen  fühlten.  Diese  Lieblingsgegend  der 
Athener  nach  Zerstörung  der  früheren  Anlagen  aus  der  Tyrannenzeit 
von  Neuem  zu  schmücken,  hatte  schon  Kimon  sich  angelegen  sein 
lassen;  ihm  verdankte  die  Akademie  die  schönen  Baumpflanzungen, 
welche  zum  Schmucke  des  dortigen  Gymnasiums  dienten. 

Die  Landstrafsen  waren  mit  Grabmonumenten  eingefasst,  welche 


Digitized  by  Google 


DIE  VORSTÄDTE  ATHEISS. 


327 


das  Gedächtniss  der  vorangegangenen  Generationen  lebendig  erhielten, 
vorzugsweise  der  Weg  durch  den  äufseren  Kerameikos.  Denn  hier  war 
der  öffentliche  Begräbnissplatz  für  die  im  Kriege  gefallenen  Bürger. 
Der  grofse  Raum  war  in  Felder  eingelheilt,  die  den  verschiedenen 
Schlachtfeldern  im  In-  und  Auslande  entsprachen.  Zur  Zeit  des  thasi- 
schen  Kriegs,  als  Kimon  in  der  Stadt  mächtig  war,  erfolgte  die  feierliche 
Beisetzung  der  Helden  von  Drabeskos  (S.  140),  die  unter  besonders 
erschütternden  Umständen  gefallen  waren.  Vielleicht  wurde  damals  auf 
Kimons  Anregung  beschlossen,  die  Ueberreste  auch  der  früheren  Ge- 
fallenen heimzuholen,  wie  Kimon  es  mit  den  Gebeinen  des  Theseus  ge- 
than  hatte.  Denn  es  wird  ja  schon  bei  Homer  die  Heimführung  der 
Asche  als  eine  Pietät  gegen  die  Todten  erwähnt.  Die  Gräber  von  Mara- 
thon aber  hat  man  unberührt  gelassen,  weil  die  marathonischen  Helden 
als  Ortsdämonen  angesehen  wurden ,  welche  man  von  dem  durch  sie 
geheiligten  Boden  nicht  trennen  dürfe.  Wenn  von  allen  anderen 
Schlachtfeldern  die  Ueberreste  nach  dem  Kerameikos  geschafft  worden 
sind,  so  konnte  der  grofse  Friedhof  mit  seinen  Grabsäulen  in  der 
Thal  eine  vollständige  Geschichte  der  attischen  Feldzüge  darstellen  m). 

Die  Ostseite  der  Stadt  war  die  stillere  und  abgelegenere.  Hier 
führte  das  Thor  des  Diochares  zum  Lykeion  hinaus,  dem  heiligen  Platze 
des  Apollondienstes  unweit  des  rechten  Uisosufers,  wo  Perikles  nach 
dem  Vorgänge  des  Peisistratos  ein  grofses  Gymnasium  erbauen  liefs. 
Ein  drittes  war  weiter  nördlich,  das  dem  Herakles  heilige  Kynosarges. 
Diese  drei  grofse n  Uebungsräume  für  die  attische  Jugend  waren  durch 
ihre  Hallen,  Ringplätze  und  Stadien,  ihre  Brunnen  und  Baumgruppen 
ein  Hauptschmuck  von  Athen ;  sie  waren  nicht  blofs  die  Tummelplätze 
der  Jugend,  sondern  auch  ein  Lieblingsaufenthalt  der  Männer  und 
Greise,  welche  sich  hier  ihrer  Mufse  freuten.  Je  mehr  sich  die  Lust 
an  geistiger  Bildung  in  allen  Ständen  des  Volks  verbreitete,  um  so  mehr 
wurden  auch  die  vorstädtischen  Gymnasien  zu  ernsten  Zusammen- 
künften geistesverwandter  Bürger,  zu  anregendem  und  belehrendem 
Verkehre  zwischen  Männern  und  Jünglingen  benutzt. 

Aber  auch  innerhalb  Athens  fehlte  es  nicht  an  Gelegenheit  zu  künst- 
lerischen Anlagen.  Der  innere  Kerameikos  war  seit  der  Tyranneuzeit 
Mittelpunkt  des  bürgerlichen  Lebens  und  wurde  es  nach  dem  Sturz  der 
Tyrannen  noch  in  ganz  anderer  Weise.  Denn  es  lag  im  Geiste  der  De- 
mokratie, dass  der  Platz,  wo  die  Bürger  ihren  täglichen  Sammelort 
hatten,  mit  Denkmälern  der  Stadtgeschichte  sich  füllte  und  dass  Alle, 


Digitized  by  Google 


.NEUBAUTEN  AM  KEHAMEIKOS 


welche  sich  als  Freunde  der  Verfassung  bezeugen  wollten,  für  die  Aus- 
stattung der  Agora  thätig  zu  sein  suchten.  Darum  schien  nach  Vertrei- 
bung der  Perser  nichts  dringender  zu  sein  als  die  Erneuerung  des 
Freihcitsdenkmals  auf  der  Terrasse  oberhalb  des  Marktplatzes.  Schon 
Ol.  75,  4;  47^  wurden  die  von  Xerxes  fortgeschleppten  Standbilder 
von  Harmodios  und  Aris togei ton  durch  die  Werke  des  Kritios  und  Ne- 
siotes  ersetzt.  Der  Markt  selbst  aber  erlüelt  jetzt  eine  neue  künstle- 
rische Form;  denn  Kimon  wusste,  dass  er  seinen  Mitbürgern  nichts 
mehr  zu  Liebe  thun  könne,  als  wenn  er  den  Sammelplatz  der  Bürger 
nach  dem  Vorbilde  ionischer  Stadtmärkte  mit  offenen  Hallen  ausstaltete. 

An  der  Westseite  erhoben  sich  nun  die  Marmorhalle  des  Zeus 
Eleutherios  mit  einem  Kolosse  des  Gottes,  dessen  Beiname  diese  Werke 
als  Denkmäler  der  Freiheitskriege  bezeugt,  und  die  Halle  des  Archon- 
König  (I,  298)  oder  'Sloa  Basileios' ,  das  Amtsgebäude,  in  welchem  ein 
Theil  der  solonischen  Gesetze  aufbewahrt  war.  Gegenüber  an  der  Ost- 
seite erbaute  Peisianax,  ein  Verwandter  Kimons,  die  Halle,  welche  dann 
auf  Kimons  Veranstaltung  zur  Gemäldehalle  oder  'Poikile'  wurde.  Im 
Süden  bildeten  die  eigentlichen  Regierungsgebäude  die  Einfassung  des 
Marklraums :  das  Rathhaus  mit  den  Steintafeln  solonischer  Gesetze  vor 
seinem  Eingange,  das  Tholosgebäude  oder  Herdgemach,  wo  die  regie- 
renden Prylanen  ihren  Sitz  hatten,  und  das  Metroon,  welches  in  der 
perikleischen  Zeit  durch  ein  Götterbild  des  Pheidias  geschmückt  wurde, 
das  athenische  Staatsarchiv,  welches  einst  unter  der  Obhut  des  Areo- 
pags  gestanden  hatte  (S.  160).  An  der  Nordseite  blieb  die  Agora  durch 
Hermensäulen  begränzt,  zwischen  denen  die  Slrafse  vom  Dipylon  her 
einmündete.  Auch  den  allerthümlichen  Hermen  wusste  man  jetzt  eine 
geschichtliche  Bedeutung  zu  geben;  drei  derselben  waren  die  mit  Denk- 
versen (S.  319)  ausgestalteten  Siegeszeichen  der  glorreichen  Feldzüge 
in  Thrakien,  auf  denen  weder  Kimon  noch  ein  anderer  mit  Namen  an- 
geführt wurde.  Denn  am  Gemeindeplatze  sollte  nur  die  Gemeinde  selbst 
den  Siegesruhm  haben.  Auch  der  Miltelraum  gewann  allmählich  ein 
anderes  Ansehen.  Er  wurde  durch  Kimon  mit  Platanen  bepflanzt:  an 
Wasserleitungen  und  Brunnen  durfte  es  dabei  nicht  fehlen. 

Unweit  des  Markts  auf  dem  Wege  zur  Burg  war  das  von  Kimon 
gegründete  Heiliglhum  des  Tbeseus,  dessen  Innenwände  mit  drei  Ge- 
mälden aus  dem  Leben  des  Heroen  ausgestattet  waren.  Auf  dem  flachen 
Feldhügel  aber,  der  im  Westen  die  Niederung  des  Kerameikos  überragt, 
wurde  der  Marmortempel  erbaut,  welcher  heute  der  von  allen  griechi- 


Digitized  by 


THESE10.N.      IIERAKLEIUN.  THEATER. 


329 


sehen  Tempeln  besterhaltene  ist.  Man  kennt  ihn  unter  dem  Namen  des 
Theseustempels,  doch  ist  die  wahre  Bedeutung  desselben  noch  immer 
zweifelhaft.  Am  wahrscheinlichsten  ist  es,  darin  das  Herakleion  iu  er- 
kennen, welches  ein  hoch  angesehenes  Heüigthum  des  Gaues  Melite  war. 
Der  Tempel  war  ein  hervorragender  Schmuck  der  Unterstadt  und  kann 
mit  Wahrscheinlichkeit  auch  der  kimonischen  Zeit  zugeschrieben  werden. 
Denn  die  bildliche  Ausstattung  zeigt  wenigstens  in  den  Metopen  unver- 
kennbar die  Absicht,  Theseus  und  Herakles  als  zwei  ebenbürtige  und 
engverbundene  Kampfgenossen  darzustellen,  und  diese  Vereinigung  des 
ionischen  und  des  dorischen  Heros  erscheint  als  ein  Ausdruck  klo- 
nischer Politik,  welche  Sparta  und  Athen  neben  einander  brüderlich 
verbunden  sehen  wollte.  Mit  dieser  Zeit  stimmt  es  auch,  dass  die  Bild- 
werke aus  parischem  Marmor  eingesetzt  sind,  weil  man  damals  noch 
der  Ansicht  war,  dass  dieser  Marmor  allein  zu  gutem  Bildwerk  tauglich 
sei,  während  man  in  den  Tagen,  da  Perikles  die  öffentlichen  Arbeiten 
leitete,  den  pentelischen  Stein  gleichmäfsig  für  Sculptur  und  Architek- 
tur benutzte. 

Ebenso  hatte  der  südöstliche  Stadttheil  wesentliche  Umgestaltun- 
gen erfahren,  namentlich  durch  den  Bau  des  Felstheaters  an  der  Burg 
im  Heiligthum  des  Dionysos;  es  war  eines  der  stattlichsten  Denkmäler 
Athens,  das  mit  der  wachsenden  Herrlichkeit  der  Stadt  immer  reicher 
ausgestattet  wurde  und  schon  durch  seine  Gröfse,  die  auf  30  000  Zu- 
schauer berechnet  war,  jedem  Fremden  anschaulich  machte,  wie  die 
Pflege  der  Künste  eine  Hauplangelegenheit  des  attischen  Staats  sei. 
Hier  wurden  die  beiden  städtischen  Dionysosfeste  mit  Aufführung  von 
Dithyramben,  Tragödien  und  Komödien  gefeiert,  das  Winterfest  der  Le- 
näen  und  das  Frühlingsfest  der  'grofsen  Dionysien'.  Die  Lenäen  waren 
ein  Fest  der  attischen  Bürger.  Zum  Frühling  aber,  wenn  die  See  wieder 
offen  war,  kamen  die  schaulustigen  Gäste  aus  nah  und  fern  und  die 
Bundesgenossen  brachten  ihre  Tribute.  Es  war  ein  Beichsfest,  und  die 
Dramen  eines  Aischylos  und  Sophokles,  eines  Kratinos  und  Aristo- 
phanes  wurden  vor  einem  panhelfenischen  Publikum  aufgeführt,  welches 
sich  dem  Eindruck  nicht  entziehen  konnte,  dass  eine  Stadt,  welche  so 
unvergleichliche  Feste  feiern  könne,  würdig  sei  an  der  Spitze  der  helle- 
nischen Welt  zu  stehen.  Die  Bürger  von  Athen,  welche  im  Namen 
ihrer  Stämme  den  siegreichen  Chor  gestellt  halten,  richtelen  die  Preis- 
dreifüfse  reibenweise  in  der  Umgebung  des  Theaters  auf.  So  bildete 
sich  eine  Strafse  von  Siegesdenkmälern ,  welche  von  der  Nordseite  der 


Digitized  by  Google 


330  OLYMPIEION.     PYTHION.  ODEIOK. 

Burg  um  die  Ostecke  derselben  umbog,  das  sogenannte  Tripodenquartier, 
in  welchem  jedes  Denkmal  ein  Kunstwerk  war  und  durch  seine  Inschrift 
zugleich  eine  Urkunde  zur  Geschichte  der  dramatischen  Poesie  "**). 

Das  grofse  Zeusheiligthum ,  welches  auf  der  Terrasse  am  Iiisos 
von  den  Tyrannen  im  großartigsten  Stile  angelegt  worden  war  (I,  361), 
wurde  nach  dem  Kriege  ohne  Zweifel  auch  wieder  hergestellt,  und 
nach  einer  freilich  unsicheren  Vermuthung  war  Pheidias  in  seiner 
ersten  Zeit  bei  Ausmalung  der  Tempelzelle  beschäftigt  So  viel  aber 
ist  gewiss,  dass  dies  Tempelgebäude  später  liegen  gelassen  wurde; 
das  demokratische  Athen  scheint  keine  Lust  gehabt  zu  haben,  ein 
Bauwerk  auszuführen,  welches  ursprünglich  bestimmt  gewesen  war, 
der  Tyrannis  als  Prachtdenkmal  zu  dienen. 

Dagegen  blieb  in  vollen  Ehren  der  benachbarte  Bezirk  des  pythi- 
schen  Apollon  oberhalb  der  Kallirrhoe,  der  alte  Schauplatz  des  Erndte- 
festes,  der  Thargelia,  an  welchem  Männer-  und  Knabenchöre  in  Tanz 
und  Gesang  wetteiferten.  Auch  hier  wurden  als  Preise  Dreifufse  ver- 
theil l  und,  mit  Inschriften  versehen,  im  Pythion  aufgestellt.  Gegenüber 
lagen  die  Tennen  mit  dem  alten  Odeion  am  Ufer  des  Iiisos.  Ein  neues 
Odeion  baute  Perikles  am  südöstlichen  Abhänge  der  Burg,  neben  dem 
Theater,  ein  rundes,  bedecktes  Gebäude,  welches  für  musikalische  Auf- 
führungen vor  einem  kleineren  Publikum  bestimmt  war.  Das  zeltför- 
mige  Dach  galt  für  eine  Nachbildung  des  Prachtzelts,  welches  König 
Xerxes  einst  auf  altischem  Boden  aufgeschlagen  hatte.  Ja  man  ging  in 
den  beliebten  Beziehungen  auf  die  Perserkriege  so  weit,  dass  man  sich 
erzählte,  zu  den  Balken  des  Daches  seien  die  Mäste  persischer  Schiffe 
verwendet  worden.  Der  Bau  dieses  Odeions  fällt  noch  vor  die  Verban- 
nung des  Thukydides  (S.  187). 

Der  wichtigste  Schauplatz,  auf  dem  Perikles  und  Pheidias  ihre 
schöpferische  Thätigkeit  entfalteten,  war  aber  die  Akropolis  und  erst 
die  letzten  Entdeckungen  haben  darüber,  wie  sich  hier  die  Bauten 
der  Tyrannen,  Kimons  und  seines  Nachfolgers  an  einander  geschlossen 
haben,  ein  unerwartetes  Licht  verbreitet. 

So  vorzüglich  von  Natur  die  Burghöhe  zur  Aufnahme  grofsartiger 
Kunstwerke  geeignet  und  vorbereitet  erscheint,  so  war  sie  doch  in 
ihrem  ursprünglichen  Zustande  auf  ihrer  Oberfläche  sehr  uneben,  zer- 
klüftet und  abschüssig;  der  harte  Fels  machte  viel  Arbeit,  um  gün- 
stigen Baugrund  zu  gewinnen  und  war  für  die  Athener  eine  Schule 
ausdauernder  Geduld. 


Digitized  by  Google 


NEUBAUTEN   AUF   DER  BUHG. 


331 


Hart  neben  dem  Erechtheion,  an  der  südlichen  Seite  desselben, 
wurde  in  der  vorpersischen  Zeit  zuerst  durch  Aufschüttung  und  Fels- 
bearbeitung eine  breitere  Terrasse  hergestellt,  um  auf  derselben  einen 
Prachtbau  aufzurichten,  einen  dorischen  Tempel  mit  6  Säulen  an  den 
Fronten  und  12  an  den  Langseiten;  die  Säulen  aus  Porosstein,  Ge- 
bälk, Metopen  und  Dach  aus  weifsem  Marmor.  Den  Innenraum  bildete 
eine  fast  quadratische  Cella  mit  einer  Vorhalle  nach  Osten  und  ein 
Hinterhaus  mit  zwei  Kammern,  zu  dem  die  westliche  Vorhalle  führte. 

Dieser  Tempel,  welcher  der  Tyrannenzeit  angehört,  wurde  im  Per- 
serbrande zerstört  und  ist  niemals  vollständig  hergestellt  worden;  die 
Säulentrümmer  und  Gebälkstücke  wurden  für  die  neue  Burgmauer  be- 
nutzt und  die  ganze  Akropolis  erhielt  eine  neue  Gestalt.  Denn  oben 
wurde  über  dem  Schutte  des  Brandes  und  den  zu  Boden  geworfenen 
Denkmälern  eine  breitere  Hochfläche  hergestellt,  und  gleichzeitig  errich- 
tete man  an  beiden  Langseiten  der  Burg  neue  Mauern,  um  derselben, 
nachdem  die  alten  Befestigungen  aus  der  Tyrannenzeit  niedergerissen 
waren,  von  Neuem  ein  würdiges  Aussehen  zu  geben  und  geräumige 
Bauplätze  zu  stützen.  Für  diesen  Terrassenbau  hat  Kimon  den 
gröfsten  Eifer  gehabt  und  sein  Andenken  erhielt  sich  besonders  an  dem 
Bau  der  Südmauer,  welche  wesentlich  dazu  beitrug,  von  der  Seeseite 
her  einen  imponirenden  Eindruck  zu  machen.  Diese  'kimonische' 
Mauer  galt  alle  Zeit  hindurch  für  einen  Prachtbau  hellenischer  Be- 
festigung. Kimon  hat  aber  auf  der  neugewonnenen  Hochfläche  für  den 
älteren  sechssäuligen  Tempel  auch  einen  zweiten,  weiter  nach  Süden 
vorgeschobenen  Prachtbau  gegründet  mit  8  Säulen  an  den  Fronten,  von 
dessen  äufseren  Hallen  die  Spuren  noch  erkennbar  sind.  Daran  wurde 
emsig  gearbeitet,  so  lange  Kimon  lebte.  Dann  stockte  der  Bau;  die 
unvollendeten  Säulenstücke  wurden  für  die  Vollendung  der  Südmauer 
benutzt,  und  nun  wurde  auf  dem  von  Kimon  geschaffenen  Baugrunde 
und  über  den  Fundamenten  seines  Tempels  nach  Überwindung 
des  heftigen  Widerspruchs  der  kimonischen  Partei  ein  neuer  Tempel 
errichtet,  der  perikleische  Parthenon  (S.  186).  Von  diesen  drei 
Gebäuden  war  keins  bestimmt,  das  alte  Burgheiligthum  zu  ersetzen 
oder  zu  beseitigen.  Das  am  Nordrande  gelegene  Doppelheiligthum,  wo 
die  Priester  aus  dem  Geschlechte  der  Butaden  den  Dienst  der  unter 
einem  Dach  vereinigten  Gottheiten  versahen,  blieb  nach  wie  vor  die 
heiligste  Stätte  der  Burg;  die  Westhälfle  gehörte  dem  Poseidon-Erech- 
theus,  die  Osthälfte  der  Polias,  neben  welcher  Pandrosos  verehrt  wurde. 


Digitized  by  Google 


332 


POLIASTEMPEL  ODER  ERECHTHEION. 


Hier  lag  die  Aufgabe  vor,  die  ehrwürdigsten  Malstätten  der 
väterlichen  Religion  in  einem  Gebäude  zusammen  zu  fassen.  Daran  ist 
in  verschiedenen  Zeiten  gearbeitet  worden.  Die  kleine,  unscheinbare 
Kapelle  mit  dem  Gnadenbilde  der  Athena  Polias  ist  nach  dem  Perser- 
kriege erweitert  worden,  und  an  die  von  Westen  nach  Osten  ge- 
streckte Doppelcella,  den  Kern  des  Ganzen,  schlössen  sich  in  der  peri- 
kleischen  Zeit  zwei  stallliche  Vorbauten,  die  ionische  Nordhalle  mit 
der  zum  Poseidon -Erechtheus  führenden  Prachtthüre,  und  der  süd- 
liche Vorbau,  dessen  Dach  von  sechs  Jungfrauen  getragen  wird,  die 
sogenannte  Karyatiden  halle.  In  faltenreichem  Festgewande  langsam 
vorschreitend,  vereinigen  sie  auf  vollkommene  Weise  die  Ruhe,  welche 
bei  gebälkstützenden  Figuren  erforderlich  ist,  und  eine  leise  Be- 
wegung, ohne  welche  die  Marmorbilder  slarr  und  leblos  erscheinen 
würden.  Diese  Halle  erstreckte  sich  auf  den  Boden  des  pisistratischen 
Tempels,  dessen  Säulenumgang  also  nach  dem  Perserbrande  nicht 
wieder  hergestellt  worden  ist 16*). 

Bei  dem  Ausbau  des  alten  Burgheiligthums  war  die  Kunst  der 
Architekten  immer  eine  durch  örtliche  Bedingungen  gebundene.  Darum 
wurden  im  Süden  die  drei  .anderen  Tempel  gebaut,  bei  denen  man 
über  den  Raum  frei  verfügen  konnte;  alle  drei  hatten  die  Formen 
heiliger  Architektur,  wie  die  Schatzhäuser  in  Olympia  u.  a.,  weil  es 
zum  Gottesdienste  gehörige  Bauwerke  waren;  aber  es  waren  keine 
Wohnhäuser  von  Gottheiten,  und  bei  keinem  derselben  ist  ein  Cultus- 
bild,  eine  Priesterschaft  oder  ein  regelmäfsiger  Opferdienst  nachzu- 
weisen. Es  waren  Gebäude  dorischen  Stils,  welche  wesentlich  dazu 
dienten,  die  der  Gottheit  geweihten  Gegenstände  sowie  die  zu  den 
grofsen  Staatsfesten  erforderlichen  Gerälhe  aufzubewahren.  Außer- 
dem hatten  schon  die  Pisistratiden  ihrem  Bau  noch  eine  andere 
Bedeutung  gegeben;  denn  wir  Gnden  neben  dem  Schatzraum  eine 
dreischifßge  Cella,  die  zur  Aufstellung  eines  Bildes  bestimmt  war, 
das  die  Burggöttin  in  freierer  und  würdigerer  Weise  darstellte. 
Aufserdem  war  dies  Gebäude  wahrscheinlich  von  Anfang  an  auch 
dazu  bestimmt,  die  für  Staatszwecke  gesammelten  Gelder  als  einen 
bei  der  Burggöttin  deponirten  Schatz  aufzunehmen.  Als  nun  im 
Jahre  454  der  Bundesschatz  von  Delos  nach  Athen  übergeführt  war, 
benutzte  man  für  ihn  das  neu  hergerichtete  Hinterhaus  desselben  Ge- 
bäudes, legte  aber  gleichzeitig  den  Grund  zu  dem  neuen  Tempel,  den 
wir  den  kimonischen  nennen  dürfen,  bis  Perikles  44^  auf  den  Funda- 


Digitized  by  Google 


DER  PARTHENON. 


333 


menten  desselben  den  dritten  Tempel  gründete,  der  in  vollkommener 
Weise  zeigen  sollte,  was  die  attische  Kunst  zu  Ehren  der  Landesgöttin 
leisten  könne 1M*). 

Der  Baumeister,  nach  dessen  Entwürfen  im  Einverständniss  mit 
Perildes  und  Pheidias  der  Parthenon  au  Ige  rührt  wurde,  war  Iktinos; 
Kallikrates,  der  geschäftskundige  Architekt  der  südlichen  Schenkel- 
mauer (S.  234),  stand  ihm  zur  Seile. 

Es  handelte  sich  nicht  um  etwas  wesentlich  Neues  in  Grundriss 
und  Aufbau ;  man  schloss  sich  vielmehr  in  der  Hauptsache  ganz  an 
das  Hergebrachte  an,  die  Einlheilung  des  Gebäudes  in  Bildraum  und 
Schatzraum,  die  dreiscbifßge  Cella,  das  Hinterhaus  und  die  offenen 
Vorhallen  im  Osten  und  Westen,  —  dies  Alles  entsprach  durchaus  dem 
Tempel  der  Pisistratiden.  Dieselbe  Raumeintheilung  zeigt  auch  der 
Tempel  in  Olympia,  das  Werk  des  Libon,  der  10  Jahre  fertig  da 
stand,  als  der  Parthenon  begonnen  wurde,  wie  wir  aus  der  Widmung 
des  tanagräischen  Schildes  wissen  (S.  170).  Auch  ging  man  beim 
Parthenon  nicht  darauf  aus,  durch  kolossale  Verhältnisse  etwas 
Außerordentliches  zu  leisten.  Die  Mafse  blieben  bescheiden,  die 
Hohe  von  der  untersten  Stufe  bis  zur  Giebelspitze  betrug  nur 
65  Fufs.  Wenn  man  aber  die  übliche  Zahl  der  Säulen  an  den 
Tempelfronten  von  6  auf  8  vermehrte,  so  war  hierin  schon  der 
kimonische  Tempel  vorangegangen. 

Dennoch  hatte  der  Parthenon  in  vielen  Stücken  seinen  eigen- 
thümlichen  Charakter.  Vor  Allem  war  das  Augenmerk  darauf  ge- 
richtet, Architektur  und  Plastik  vollständiger  als  es  bisher  geschehen 
war,  mit  einander  zu  verbinden,  die  bildliche  Ausstattung  zu  höherer 
Vollendung  zu  erheben  und  mit  feinem  Verständniss  das  zu  ver- 
einigen, was  an  verschiedenen  Orten  für  den  hellenischen  Tempelbau 
an  künstlerischen  Erfindungen  gemacht  worden  war.  Den  feier- 
lichen Ernst  des  dorischen  Stils  zu  überbieten,  war  unmöglich ;  ja,  man 
kann  sagen,  dass  die  Verengung  der  Frontsäulen  durch  die  damit 
verbundene  Verminderung  der  Intercolumnien  im  Vergleich  zum 
olympischen  Tempel  den  Eindruck  des  Wuchtigen  und  Grofsarligen 
abschwächte.  Aber  eine  reichere  An muth  wurde  erzielt  und  die  gleich - 
mäfsige  Verwendung  des  pentelischen  Marmors  machte  es  möglich,  die 
Werkstücke  mit  vollkommenerer  Technik  zusammen  zu  fügen  und  auch 
die  kleinsten  Bauglieder  sauber  auszuführen.  Man  machte  sich  zugleich 
von  dem  strengen  Schema  des  älteren  Dorismus  frei;  man  nahm  denan- 


Digitized  by  Google 


334 


DER  PARTHENON. 


routhigen  Schmuck  des  Bildfrieses  (Zophoros)  aus  der  ionischen  Kunst 
herüber;  denn  auch  hier  sollten  die  alten  Unterschiede  hellenischer 
Kunstweisen  ausgeglichen  und  zu  einer  höheren  Harmonie  verbunden 
werden;  man  baute  also  nicht  dorisch  noch  ionisch,  sondern  attisch. 

Das  Langhaus  selbst  war  um  50  Fufs  länger  als  das  des  ältesten 
der  drei  Tempelgebäude.  Aus  dem  östlichen  Säulengange  trat  man  in 
eine  Halle  von  sechs  Säulen ,  das  Pronelon.  Von  hier  öffnete  eine 
Erzthör  den  inneren  Raum,  die  100  Fufs  tiefe  Cella,  den  Hekatompedos, 
der  durch  eine  doppelle  Säulenreihe  der  Länge  nach  in  drei  Schiffe 
getheilt  war ;  darüber  erhob  sich  eine  zweite  Säulenstellung,  welche 
eine  obere  Gallerie  und  die  Marmordecke  trug.  Hinter  der  Cella  lag 
der  Opisthodomos,  welcher  im  engeren  Sinne  den  Namen  Parthenon 
führte,  um  ihn  von  dem  Hinterhause  des  pisislralischen  Baus  zu 
unterscheiden;  ein  von  vier  Säulen  getragener  rechteckiger  Raum, 
welcher  sich  nach  der  westlichen  Vorhalle  öffnete. 

Bei  der  bildlichen  Ausstattung  des  Tempels  bewährte  sich  der  Ge- 
nius des  Pheidias  in  seiner  vollen  Bedeutung,  weil  er  hier  als  schaffen- 
der Künstler  thälig  war  und  eine  Welt  lebensvoller  Gestalten,  wie  sie 
Griechenland  noch  nie  gesehen,  aus  seinen  Werkstätten  hervorgehen 
liefs.  Freilich  ist  es  unmöglich,  die  mehr  als  fünfzig  kolossalen  Sta- 
tuen und  die  4000  Quadratfufs  von  Hoch-  und  Flachrelief,  welche  in 
14  Jahren  für  den  Parthenon  ausgeführt  wurden,  als  Werke  von 
Pheidias  anzusehen.  Aber  er  waltete  über  Allem,  er  war  der  geistige 
Urheber  der  reichen  und  sinnvollen  Ausstattung,  und  bei  aller  Ver- 
schiedenheit im  Einzelnen  tragen  die  Sculpturen  alle  den  Stempel 
desselben  Geistes;  man  erkennt  eine  durchgebildete  Schule  und  einen 
inneren  Zusammenhang,  in  welchem  der  leitende  Gedanke  des  Meisters 
unverkennbar  ist,  nach  dessen  Zeichnungen  und  Modellen  das  Einzelne 
ausgeführt  wurde. 

Die  architektonischen  Räume,  welche  mit  Bildwerken  ausgestattet 
wurden,  waren  von  dreierlei  Art,  und  darnach  unterschieden  sich  auch 
die  Bildwerke  nach  Stil  und  Ausführung.  Der  stattlichste  Raum  war 
das  grofse  Dreieck,  welches  die  nach  den  Langseiten  abfallenden  Dach- 
schrägen an  der  Ost-  und  Westfronte  bilden.  Diese  Giebelfelder  pflegten 
mit  kolossalen  Bildwerken  angefüllt  zu  werden  und  so  hatten  schon  die 
Pisistratiden  an  ihrem  Tempelbau  die  Besiegung  der  Giganten  dar- 
stellen lassen.  Die  letzten  Vorbilder  aber  waren  die  beiden  Giebel  in 
Olympia,  der  Weltkampf  des  Pelops  und  der  Kentaurenkampf.  Pheidias 


Digitized  by 


DER  PARTHENON. 


335 


ging  hier  am  kühnsten  über  alles  Hergebrachte  hinaus.  Er  wagte  es, 
die  beiden  bedeutendsten  Thatsachen  der  Athenareligion,  welcher  das 
ganze  Gebäude  gewidmet  war,  darzustellen.  Den  Giebelraum  der  Ost- 
seite füllte  die  Versammlung  der  olympischen  Götter,  eingefasst  von 
den  Gottheiten  des  Tageslichts  und  der  Nacht.  In  der  Mitte  der 
Olympier  erscheint  Athena,  neugeboren,  aber  vollkommen  reif,  schön 
und  wehrhalt,  neben  ihrem  Vater  Zeus  der  leuchtende  Mittelpunkt  der 
grofsen  Versammlung,  zu  dem  von  beiden  Seilen  mit  staunender  Be- 
wunderung die  Gölter  und  Göllinnen  hinschauen.  Der  Westgiebel 
dagegen  ist  durch  die  Gottheiten  attischer  Gewässer,  welche  nach  dem 
Vorgange  des  olympischen  Ostgiebels  in  liegenden  Eckßguren  die 
Darstellung  einschließen,  als  altischer  Boden  bezeichnet.  In  der  Milte 
steht  Athena  neben  Poseidon,  jene  mit  ihrem  Gefolge  attischer  Landes- 
gottheiten, dieser  von  den  Dämonen  des  Wassers  begleitet.  Sie  haben 
um  Athen  mit  einander  gestritten.  Der  Kampf  ist  entschieden ,  der 
wildere  Gott  muss  weichen ;  aber  das  glückliche  Land ,  um  das  die 
unsterblichen  Götter  einander  beneiden,  bat  von  beiden  Seiten  Gaben 
unvergänglicher  Bedeutung  empfangen,  und  auch  der  Streit  ist  ihm 
zum  Segen  geworden. 

Unter  dem  Tempeldache  erstreckt  sich  der  Architrav,  der  an 
beiden  Schmalseilen  mit  goldenen  Schilden  geschmückt  wurde,  und 
darüber  der  Triglyphenfries  (I,  514).  Die  zwischen  den  Triglyphen- 
blöcken  eingelassenen  Metopenlafeln  wurden  sämtlich  mit  Bildwerk 
ausgestattet;  92  Tafeln  von  fast  quadratischer  Fläche,  deren  jede 
eine  in  sich  abgeschlossene  Compositum  forderte.  Pheidias  wählte 
meist  Kampfgruppen,  Kämpfe  der  Gottheiten,  namentlich  der  Athena 
gegen  die  Giganten,  Kämpfe  der  Heroen,  die  als  Vorbilder  der  atti- 
schen Jugend  in  höchster  Kraftanstrengung  mit  den  rohen  Gewalten 
kämpfen,  welche  einem  sittlich  geordneten  Staatsleben  widerstrebten, 
wie  die  der  Ehe  feindlichen  Amazonen  und  die  Kentauren,  die  Friedens- 
störer und  Frauenräuber,  die  Feinde  des  Theseus,  des  Gründers  gesetz- 
licher Ordnung.  Aber  auch  friedliche  Thaten  waren  dargestellt,  Stif- 
tungen heiliger  Satzungen,  auf  denen  das  attische  Religionswesen  beruhte. 

Endlich  zog  sich  innerhalb  des  Säulenurogangs  ein  Fries  entlang, 
welcher  528  Fufs  lang  wie  ein  schmales  Band  die  äufsere  Cellenwand 
umfasste.  Für  einen  solchen  Raum  konnte  keine  angemessenere  Dar- 
stellung ersonnen  werden,  als  die  eines  figurenreichen  Zuges,  welcher 
einen  ununterbrochenen  Zusammenhang  hatte,  eines  Festzugs,  der  in 


336 


OER  PARTHENON. 


unmittelbarer  Beziehung  zu  dem  Gebäude  stand.  Bei  dem  Parthenon 
konnte  man  nur  an  die  Panathenäen  denken,  und  wenn  man  nun  von 
zwei  Seiten  die  Frauen  mit  heiligen  Geräthen,  die  von  Männern  ge- 
führten Opferthiere,  die  Zuge  von  Musikern  mit  Blas-  und  Saiten- 
instrumenten, die  Viergespanne  und  die  Reitergeschwader  heran- 
kommen sieht  und  in  der  Mitte  der  Frontseite  die  Götter  erblickt, 
welche  vom  Olymp  herabgestiegen  sind,  um  sich  als  Zuschauer  an 
dem  Börgerfeste  der  Athener  zu  erfreuen,  so  ist  in  der  Hauptsache 
kein  antikes  Kunstwerk  verständlicher  als  der  Parthenonfries.  Doch 
sehen  wir  keine  Copie  des  in  voller  Ordnung  einherschreitenden 
Festzuges  vor  uns;  jede  Darstellung  dieser  Art  würde  weit  hinter  der 
Wirklichkeit  zurückgeblieben  und  in  eine  langweilige  Feierlichkeit  ver- 
fallen sein.  Man  gab  ihm  also  dadurch  gröfsere  Mannigfaltigkeit  und 
dramatisches  Leben,  dass  man  den  Festzug  noch  im  Werden  dar- 
stellte. Ein  Theil  der  Reiler  rüstet  sich  erst  zum  Zuge,  dienende 
Theilnehmer  werden  von  den  Beamten  noch  unterwiesen,  Festgeräthe 
werden  ausgegeben.  Dadurch  erhielt  der  Künstler  gröfsere  Freiheit 
und  eine  Mannigfaltigkeit  von  Motiven  für  losere  und  geschlossenere 
Gruppen.  Zugleich  hatte  man  den  Vorlheil,  auf  diese  Weise  den 
Eifer  und  Ernst  zur  Anschauung  zu  bringen,  mit  dem  man  das  Fest 
ins  Werk  setzte;  darin  bezeugte  sich  der  Geraeinsinn  der  Bürger  und 
der  religiöse  Sinn,  mit  dem  sie  ihre  Götter  ehrten 187). 

Diese  großartigen  Tempelsculpluren  zeigen  uns  die  attische  Bild- 
kunst, wie  sie  durch  Pheidias  ihren  eigenthümlichen  Charakter  erhallen 
hat,  in  Rundgestalten  so  wie  im  Relief.  Auch  im  Relief  ist  der  Unter- 
schied des  Stils  festgestellt.  Denn  von  den  Metopentafeln  springen  die 
gymnastischen  Gestalten  in  kräftigem  Hochrelief  hervor,  so  dass  sich  die 
Leiber  zum  Theil  ganz  von  der  Rückfläche  ablösen;  im  Friese  dagegen 
heben  sich  die  Gestalten  nur  wenig  von  der  Grundfläche  ab ,  und  das 
Auge  gleitet  an  ihnen  wie  an  einer  Zeichnung  entlang.  Es  ist  der  milde 
Fluss  einer  dem  bürgerlichen  Leben  entlehnten,  aber  durch  religiöse 
Feierlichkeit  erwärmten  und  gehobenen  Darstellung,  während  in  den 
Giebelgruppen  ein  dramatisches  Leben  uns  entgegentritt,  dessen  Be- 
wegung sich  in  einem  bedeutungsvollen  Momente  gipfelt  und  dann 
nach  rechts  und  links  in  die  epische  Ruhe  sitzender  und  lagernder 
Gestalten  austönt. 

Die  altische  Bildkunst  ist  aus  der  Behandlung  des  Marmors  er- 
wachsen; das  fühlt  man  ihr  auch  auf  der  Stufe  an,  welche  sie  im  peri- 


Digitized  by  Google 


ATTISCHE  FHLDKUNST. 


337 


kleischen  Zeitalter  erreicht  hat.  Daher  die  Ruhe  der  Gestalten,  die 
breiten  Formen,  die  volleren  Massen  im  Gegensatze  zu  den  schlankeren 
und  kühneren  Figuren,  wie  sie  aus  den  Kunstschulen  hervorgegangen 
sind,  welche  vorzugsweise  für  den  Erzguss  gearbeitet  haben.  Je  mehr 
aber  der  Marmorstein  den  Künstler  bindet,  um  so  mehr  weist  er  ihn 
darauf  hin,  auch  in  der  Ruhe  Bewegung  und  Leben  auszudrücken.  Die 
Lebendigkeit  der  Marmorbilder  ist  eine  innerlichere,  geistigere;  der  Bild- 
hauer vermag  dem  Gesichte  einen  tieferen  Ausdruck  zu  geben,  bei  dem 
der  Beschauende  theilnehmend  verweilt,  während  bei  dem  Erzbilde  das 
Auge  über  die  glatte  Fläche  hingleitet  und  das  Werk  mehr  nach  dem 
körperlichen  Gesamteindrucke  aufzufassen  pflegt  Die  Kunst  den  Mar- 
mor zu  beseelen  ist  in  Athen  zur  Entfaltung  gekommen.  Man  erkennt 
an  den  Marmorkolossen  noch  die  Strenge  der  Zeichnung,  wie  sie  der 
älteren  Schule  eigen  war,  und  die  scharfe  Gliederung,  aber  jede  Härte 
und  steife  Symmetrie  ist  überwunden;  in  anmuthiger  Nachlässigkeit 
liegen  und  sitzen  die  Gestalten  neben  einander,  die  Gewänder  schmiegen 
sich  in  natürlichen  Massen  und  Fallen  dem  Körper  an;  man  fühlt  den 
Athem,  welcher  die  Glieder  bewegt,  und  spürt  in  den  verklärten  Ge- 
stalten, welche  den  Giebel  füllen,  etwas  von  dem  seligen  Leben  der 
olympischen  Götter.  In  den  Metopen,  welche  Kämpferpaare  darstellen, 
tritt  die  Einwirkung  peloponnesischer  Kunstschulen  deutlicher  zu  Tage. 
Ganz  eigenthümlich  attisch  ist  dagegen  wieder  der  Stil  des  Frieses, 
dessen  Anmulh  darin  besteht,  dass  auch  nicht  die  geringste  Absicht 
auf  Effekt  zum  Vorschein  kommt,  sondern  Alles  vollkommen  schlicht 
und  einfach  dargestellt  wird.  Diese  Art  der  Darstellung,  welche  mit 
wenig  Mitteln  so  viel  erreicht,  war  auch  am  meisten  geeignet,  in  den 
handwerksmäfsigen  Betrieb  der  Kunst  überzugehen,  und  die  unzähligen 
Grabsteine,  welche  Mann  und  Frau,  auch  Eltern  und  Kinder  in  trau- 
licher Gruppe  vereinigen,  zeigen  denselben  Charakter  des  attischen 
Basreliefs,  wie  er  unter  Pheidias'  Augen  in  dem  Parthenonfriese  aus- 
geprägt und  festgestellt  worden  ist.  Was  aber  allen  Gattungen 
attischer  Tempelsculptur  gemeinsam  ist,  das  ist  die  Unterordnung 
derselben  unter  die  Gesetze  der  Architektur.  Denn  wir  finden  hier  wie 
in  der  Tragödie  und  in  den  Gemälden  des  Polygnotos  ein  hohes  Mafs 
geistiger  Freiheit,  dem  ein  ebenso  hohes  Mafs  von  Gebundenheit  das 
Gleichgewicht  hält.  Ueberall  sind  dem  Bildbauer  geometrische  Räume 
vorgezeichnet  von  bestimmter  und  zum  Theil  sehr  unbequemer  Form. 
Aber  dieser  äufsere  Rahmen  wird  nirgends  als  eine  Schranke 

CurtioB,  Gr.  Geech.  II.  6.  AuS.  22 


Digitized  by  Google 


338 


RELIGIÖSE  PLASTIK. 


empfunden;  der  angewiesene  Raum  wird  auf  das  Glücklichste  aus- 
gefüllt, ohne  dass  man  den  Bildwerken  Zwang  und  Beengung  anfühlt. 

Indessen  hatte  die  bildende  Kunst  ein  Recht  darauf,  auch  in  voller 
Unabhängigkeit  aufzutreten,  von  jeder  Dienstbarkeit  frei,  und  eine 
solche  Stellung  war  erforderlich,  wenn  sie  im  Geiste  der  Zeit  die  Ideen 
der  attischen  Religion  zum  Ausdruck  bringen  sollte.  Denn  mit  dem 
nationalen  Bewusstsein  entwickelt  sich  auch  die  Vorstellung  der  Nation 
von  ihren  Göttern;  sie  stattet  dieselben  mit  den  Kräften  und  Vorzügen 
aus,  deren  sie  sich  selbst  bewusst  geworden  ist,  und  die  Kunst  ist 
berufen,  diese  geläuterten  und  inhaltreicheren  Vorstellungen  zu  ver- 
körpern. Die  Kunst  der  perikleischen  Zeit  hatte  dazu  einen  besonderen 
Beruf.  Denn  der  Geist  der  Aufklärung  hatte  den  Volksglauben  er- 
schüttert, und  ein  gedankenloses  Dahinleben  in  den  hergebrachten 
Vorstellungen  war  nicht  mehr  möglich.  Gegen  rohen  Götzendienst 
hatte  sich  das  philosophische  Denken  laut  und  heftig  aufgelehnt.  'Sie 
beten  zu  Bildern'  sagte  Herakleitos,  'als  wenn  Jemand  mit  Häusern 
redete',  und  derselbe  Philosoph  hatte  das  erbliche  Priesteramt,  welches 
er  bekleidete,  seinem  jüngeren  Bruder  abgetreten.  Ein  gefährlicher 
Bruch  stand  bevor,  wenn  nicht  in  zeitgemäfser  Weise  der  väterliche 
Glaube  gereinigt  und  gehoben  wurde,  um  den  sittlichen  und  nationalen 
Gehalt  desselben  zu  retten.  Es  kam  darauf  an,  auch  in  der  Religion 
dem  freien  Gedanken  Raum  zu  geben,  und  die  Ueberlieferung  der  Vor- 
zeit mit  der  neuen  Aufklärung  zu  versöhnen.  Ein  solches  Versöh- 
nungsamt übten  die  grofsen  Dichter  Athens,  der  allgläubige  Aiscby- 
los  und  der  fromme  Sophokles;  mit  ihnen  übereinstimmend  dachte 
auch  Perikles,  der  trotz  seiner  Philosophie  öffentlich  und  zu  Hause 
den  Göttern  eifrig  opferte  und  nie  ohne  Gebet  ein  gröfseres  Geschäft 
begann.  In  gleichem  Sinne  wirkte  auch  Pheidias,  indem  er  die  reli- 
giöse Sculptur,  durch  welche  Attika  seit  alten  Zeiten  ausgezeichnet 
war,  in  eine  neue  Sphäre  erhob,  und  dies  ist  der  Theil  seiner  künstle- 
rischen Thäligkeit,  durch  den  er  bei  Zeitgenossen  und  Nachkommen 
bei  weitem  den  gröfslen  Ruhm  gewonnen  hat 

Freilich  wollten  die  Gölter  die  Formen,  unter  denen  sie  vom  Volke 
seit  aller  Zeit  angebetet  wurden,  nicht  verändert  wissen,  und  Niemand 
konnte  daran  denken,  das  alte  Gnadenbild  der  Athena  durch  neue 
Bilder  zu  verdrängen.  Aber  es  konnten  Gestalten  geschaffen  werden, 
welche  keine  Gegenstände  der  Anbetung  sein  sollten,  wie  die  allen 
formlosen  Holzbilder,  und  doch  religiöse  Werke  waren,  insofern  sie 


Digitized  by  Google 


RELIGIÖSE  PLASTIK.  339 

das  Wesen  der  Gottheit  darstellten  und  die  Gemüther  zur  Frömmigkeit 
stimmten.  Solche  Bilder  war  man  der  Gottheit  schuldig  als  Weih- 
geschenke, durch  welche  die  Bürger  sich  dankbar  erzeigten  für  allen 
Zuwachs  an  Glück  und  Ruhm,  den  sie  unter  dem  Segen  ihrer  Schutz- 
gotlheit  gewonnen  halten.  Hier  mussten  daher  alle  Nittel  der  Kunst, 
auch  in  Erz  und  Edelmetall,  aufgeboten  werden,  um  in  monumentalen 
Prachtwerken  die  Göttin  und  in  der  Göttin  die  Stadt  zu  ehren.  Auch 
im  Erzguss  war  Athen  nicht  zurückgeblieben,  und  wie  sehr  Pheidias 
ein  Meister  desselben  war,  zeigt  am  deutlichsten  die  Statue  der  Athen a, 
die  auf  der  Burg  von  den  Athenern  geweiht  war,  welche  447  als 
Kleruchen  nach  Lemnos  ausgezogen  waren.  Sie  wollten  in  dem 
Weihebilde  ihre  Liebe  zur  Mutterstadt  und  den  unzerstörbaren  Zu- 
sammenhang mit  derselben  bezeugen.  Pheidias  stellte  die  Göttin 
also  mit  unbedecktem  Haupte  in  friedlicher  Anmuth  dar,  und  diese 
'Lemnierin',  wie  man  sie  im  Volksmunde  nannte,  war  das  populärste 
Werk  des  grofsen  Meisters,  das  durch  die  edelste  Symmetrie,  den 
zarten  Umriss  der  Wangen  und  weiblichen  Liebreiz  bis  in  späte 
Zeiten  berühmt  war. 

Auch  dies  Werk  schloss  sich  an  die  Geschichte  der  Stadt  an. 
Aber  in  ganz  anderem  Sinne  war  dies  bei  den  Werken  der  Fall, 
welche  im  Auftrage  der  Gemeinde  als  Prachtwerke  monumentaler 
Plastik  von  Pheidias  ausgeführt  wurden,  um  die  Stadtgottheit  als 
solche  im  Bilde  zu  veranschaulichen. 

So  entstand  die  Athena  Promachos,  ein  Erzkoloss  über  50  Fufs 
hoch.  Er  stand  auf  der  Burg  unter  freiem  Himmel,  zwischen  dem 
Burgthore  und  dem  alten  Athenatempel  auf  einem  mächtigen  Fufsge- 
stelle;  es  war  die  kriegerische  Göttin  mit  Lanze  und  vorgestrecktem 
Schilde;  die  goldene  Lanzenspitze  und  der  Helmbusch  waren  die  ersten 
Wahrzeichen,  an  denen  man,  von  Sunion  heranfahrend,  die  attische 
Burg  erkannte.  Entschlossener  Kriegsmuth,  der  jedem  Feinde  ent- 
gegentritt, war  in  dem  Bilde  der  Göttin  ausgeprägt;  sie  war  das  Ideal, 
welchem  das  Geschlecht  der  Marathonkämpfer  nacheiferte;  aus  der 
marathonischen  Beute  war  das  Standbild  geweiht  worden  um  die  Zeit, 
da  Aristeides  starb  und  Perikles  anfing  Geltung  zu  erlangen. 

Die  Promachos  war  die  Göttin  des  kimonischen  Athens,  die 
'Vorkämpferin'  von  Hellas.  In  der  perikleischen  Zeit  erweiterte  und 
vertiefte  sich  die  Staatsidee  und  damit  auch  die  Vorstellung  von  der 
Schutzgöttin  des  Staats.    Es  war  also  schon  mit  dem  Entwürfe  des 

22* 


Digitized  by  Google 


340 


ATHENA  PARTHE.NOS. 


Parthenon  der  Plan  entstanden,  im  Innern  desselben  ein  neues  Bild 
der  Athena  aufzurichten,  und  die  breitere  Raumanlage,  welcher  die 
kimonische  Gründung  geopfert  wurde,  hängt  gewiss  mit  diesem  Vor- 
haben zusammen.  Alle  Mittel  sollten  aufgeboten  werden,  um  hier  ein 
kolossales  Prachtwerk  herzustellen,  welches  staunende  Bewunderung 
erweckte  und  von  dem  Reichlhume  der  grofsen  Handelsstadt,  von  der 
Hlüthe  der  Künste  und  dem  religiös-politischen  Sinne,  der  in  den  Bür- 
gern lebte,  ein  volles  Zeugniss  gab.  Darum  verschmähte  man  die  ein- 
fachen Stoffe  und  wählte  die  glänzendste  aller  Gattungen  plastischer 
Darstellung,  die  Goldelfenbeinarbeit.  Werke  dieser  Art  gingen  über  das 
engere  Gebiet  der  Plastik  weit  hinaus.  Denn  wenn  auch  dem  Bildhauer 
die  Hauptaufgabe  blieb,  indem  er  die  Idee  des  Ganzen  fasste  und  in 
körperliche  Formen  zu  gestallen  hatte,  so  war  es  doch  auch  eine  archi- 
tektonische Aufgabe,  das  feste  Gerüste  herzustellen,  welches  den  Holz- 
kern des  Kolosses  bildete,  die  vielerlei  und  vielartigen  Theile  desselben 
zweckmäfsig  und  dauerhaft  zu  verbinden  und  das  Ganze  so  aufzustellen, 
dass  alles  zusammenwirkte,  das  großartige  Götterbild  voll  zur  An- 
schauung zu  bringen.  Endlich  beruhte  der  Gesamteindruck  des  Kunst- 
werks wesentlich  auch  auf  der  Pracht  und  Harmonie  der  Farben.  Der 
milde  Glanz  der  Elfenbeinplatten,  welche  die  nackten  Theile  bildeten, 
wurde  durch  den  Schimmer  des  Goldes  gehoben ;  die  Wahl  der  bunten 
Edelsteine  für  die  Augen ,  die  Färbung  der  Wangen  und  Haare ,  die 
Verkeilung  von  Licht  und  Schatten  in  der  Anordnung  des  Gewandes, 
dies  und  Anderes  verlangle  den  Kunstversland  eines  Malers. 

Ein  solches  plastisches,  tektonisches  und  malerisches  Kunstwerk 
war  die  Athena  des  Pheidias,  welche  vorzugsweise  als  Jungfrau,  'Par- 
thenos',  aufgefasst  wurde,  als  die  keusche,  unnahbare  Tochter  des 
Zeus,  in  welcher  des  Vaters  Weisheit  und  Denkkraft  sich  persönlich 
darstellt.  Sie  ist  die  heimatliche  Göttin;  darum  sah  man  die  Burg- 
schlange, das  Sinnbild  des  Einheimischen,  zu  ihrer  Linken  sich  empor- 
ringeln ;  sie  ist  die  kriegerische  Göttin  mit  Helm ,  Schild  und  Speer, 
und  die  siegverleihende  mit  einem  Standbilde  der  Nike  auf  der  ausge- 
streckten Rechten;  aber  ruhig  und  friedlich  steht  sie  da,  nicht  kampf- 
lustig und  herausfordernd,  sondern  still  und  gesammelt  vor  sich  hin- 
blickend ,  sich  selbst  genügend ,  mit  milden  und  klaren  Gesichtszügen ; 
der  Helm,  unter  dem  das  volle  Haar  hervorquillt,  ist  mil  den  Symbolen 
von  Sphinx  und  Greifen  ausgezeichnet,  welche  Denkkraft  und  Scharf- 
blick bedeuten.  Diese  Athena  war  aber  keine  allegorische  Figur,  den 


Digitized  by  Google 


PARTHE.NOS.  PANATHENÄEN. 


341 


Kolossen  ähnlich,  welche  man  in  alten  und  neuen  Zeiten  als  Personi- 
ficationen  einer  Landschaft  oder  einer  Stadt  aufgerichtet  hat,  sondern 
einer  Gottheit  Bild,  die  von  Anfang  her  des  Staates  Schutzgöttin  ge- 
wesen war,  und  dies  Gottesbild  dachte  man  sich  mit  allen  Vorzögen 
ausgestattet,  deren  Athen  sich  bewusst  war,  mit  allen  Tugenden, 
welche  den  altischen  Börger  auszeichnen  sollten.  Darum  ist  denn 
auch  die  Parthenos  des  Pheidias,  wie  kein  anderes  seiner  Bildwerke, 
in  die  volkstümliche  Kunst  ubergegangen,  und  während  wir  an  den 
älteren  Urkunden-  und  Weihreliefs  die  Gestalt  der  kämpfenden 
'Göttin  vorherrschend  finden,  wie  sie  auf  den  panathenäischen  Preis- 
amphoren erscheint,  die  dem  alterthömlichen  Typus  treu  bleiben, 
tritt  auf  den  jüngeren  die  Idee  der  friedlichen  Göttin,  welche  der 
Parthenos  zu  Grunde  liegt,  in  den  Vordergrund188). 

Indem  es  nun  Pheidias  gelang,  in  solcher  Weise  dem  Volke 
seine  Götter  zur  Anschauung  zu  bringen  und  hierbei  den  Besten  des 
Volks  für  alle  Zeit  zu  genügen ,  wurde  er  ein  Gesetzgeber  im  Gebiete 
der  religiösen  Kunst;  der  Künstler  gewann  das  Ansehen  eines  Theo- 
logen, der  die  väterliche  Religion  vertieft  und  veredelt  habe;  seine 
Werke  waren  wie  Offenbarungen  des  Göttlichen  und  erlangten  eine 
allgemeine  Anerkennung,  weil  er  nicht  willkürlich  und  nach  per- 
sönlichem Geschmack  neuerte,  sondern  aus  dem  Volksgeisle  heraus 
und  in  vollem  Einklang  mit  den  Dichtern  des  Volks.  Darum  waren 
seine  Werke,  wiewohl  echt  attisch,  zugleich  national;  die  attische 
Kunst  war  auch  hier  nur  die  Vollendung  der  früheren  Stufen,  und  es 
war  die  gröfste  Genugthuung  für  die  Bestrebungen  des  perikleischen 
Athens,  dass  seine  Künstler  auch  nach  Olympia  berufen  wurden  und 
dass  dort  aus  attischen  Werkstätten  das  Bild  des  Zeus  hervorging, 
welches  noch  prachtvoller  ausgestaltet  war  als  das  der  Parthenos  und 
als  Ideal  des  hellenischen  Zeus  bei  allen  Hellenen  mustergültig  wurde. 

Der  Parthenon  stand  in  engster  Beziehung  zu  dem  Feste  der 
Panathenäen,  welches  mit  dem  Staate  zugleich  stufenweise  an  Glanz 
und  Würde  gestiegen  war.  In  der  alten  Eupatridenstadt  waren  es  nur 
ritterliche  Festspiele  gewesen,  die  zu  Ehren  der  Göttin  gehalten 
wurden;  dann  traten  die  gymnastischen  dazu  (I,  359);  darauf  folgten 
die  durchgreifenden  Reformen  der  Pisistratiden,  welche  die  *grofsen 
Panathenäen'  stifteten  und  die  Kunst  der  Rhapsoden  heranzogen. 
Diese  Einrichtungen  blieben  nach  Herstellung  der  Verfassung;  ja  man 
feierte  nun  an  jenem  Feste  zugleich  den  Jahrestag  des  Tyrannen- 


Digitized  by  Google 


3  42 


DIE  PANATH E!SÄEN. 


mordes  und  das  Andenken  von  Harmodios  und  Aristogeiton.  Neue 
Festlichkeiten  traten  hinzu,  die  den  älteren  vorgeschoben  wurden,  und 
zuletzt  führte  Perikles  als  Festordner  die  Wettkämpfe  in  den  musi- 
kalischen Leistungen  ein.  Seitdem  bestand  wahrscheinlich  ein  sechs- 
tägiger Cyklus  von  Feierlichkeiten,  an  denen  sich  alle  Stande  der 
Bürgerschaft  betheiligen  und  alle  Kunstfertigkeiten,  die  im  Staate 
blühten,  sich  zeigen  konnten. 

Den  Anfang  machten  die  Aufführungen  im  Odeion,  wo  die  Meister 
des  Gesanges  und  der  Recitation,  des  Citber-  und  Flötenspiels  sich 
hören  liefsen ,  während  die  Chorgesänge  im  benachbarten  Theater  auf-* 
geführt  wurden.  Dann  folgten  die  gymnastischen  Spiele,  wozu  aufser 
den  gewöhnlichen  Wettkämpfen  im  Stadion,  Lauf,  Ringkampf  u.  s.  w. 
auch  der  Fackellauf  gehörte,  der  in  mondloser  Nacht  vor  dem  Dipylon 
(S.  326)  gehalten  wurde  und  ein  Glanzpunkt  der  ganzen  Feier  war. 
Die  meisten  dieser  Spiele  wurden  in  verschiedenen  Alterstufen  auf- 
geführt, von  Knaben,  Jünglingen  und  Männern,  und  zwar  traten  die 
Kämpfer  tbeils  im  eigenen  Namen  auf,  theils  im  Namen  der  Stamme. 
Die  Ersteren  empfingen  als  Siegespreise  bemalte  Thongefäfse  mit  atti- 
schem Oel,  das  von  den  heiligen  Oelbäumen  der  Akademie,  den 
4Moriai\  gewonnen  war,  und  zwar  wurden  den  einzelnen  Siegern  6  bis 
140  solcher  Preisamphoren  zuerkannt;  die  Anderen  erhielten  nur 
Ehrengaben ,  welche  im  Namen  des  siegreichen  Stammes  der  Göttin 
zu  Ehren  verwendet  wurden.  Auch  darin  wetteiferten  die  zehn 
Stämme  der  Bürgerschaft  unter  einander,  welcher  aus  seiner  Mitte  die 
schönsten  und  kräftigsten  Männer  und  Greise  stellen  könnte. 

Unweit  des  Peiraieus  war  der  Hippodrom,  wo  mit  Reitpferden 
und  Viergespannen  gekämpft  wurde ;  vor  dem  Peiraieus  aber  fanden 
Wettfahrten  der  Trieren  statt,  und  dem  Stamme,  dessen  Kriegsschiffe 
sich  am  Besten  bewährt  hatten,  wurde  Geld  ausgezahlt,  um  Opferstiere 
zum  Dankfeste  anzuschaffen.  Nach  Beendigung  aller  Festspiele  wurde 
dann  zum  Beschlüsse  der  grofsen  Panathenäen  am  drittletzten  ifeka- 
tombaion,  dem  heiligen  Tage  der  Athena,  die  Prozession  unternommen, 
welche  mit  Aufgang  der  Sonne  im  Kerameikos  sich  versammelte,  um 
auf  die  Burg  zu  ziehen.  Wie  an  den  kleinen  Panathenäen  der  Göttin 
jährlich  ein  Gewand  dargebracht  wurde,  welches  unter  priesterlicher 
Aufsicht  von  attischen  Mädchen  gewebt  war,  um  das  alte  Holzbild  am 
Geburtslage  der  Göttin  neu  zu  bekleiden,  so  wurde  auch  an  den  grofsen 
Panathenäen  ein  Prachtgewand,  als  Segel  an  einem  Rollschifle  befestigt, 


Digitized  by  Google 


DIE  FANA-rHENAEX. 


343 


hinaufgefahren,  ein  Gewand,  welchem  die  Tbaten  der  Göttin  einge- 
wirkt waren,  aber  auch  Begebenheiten  vaterländischer  Geschichte 
und  selbst  die  Bildnisse  von  Bürgern,  welche  sich  uro  die  Vaterstadt 
verdient  gemacht  hatten.  Diesem  Feierzuge  schlössen  sich  nun  die 
Sieger  der  vorigen  Tage  an;  die  schönsten  und  kräftigsten  Athener 
aller  Alterstufen,  zu  Wagen,  zu  Pferde  und  zu  Fufs,  in  glänzender 
Ausstattung,  bekränzt  und  in  feierlicher  Ordnung;  es  war  die 
Auswahl  der  Börgerschaft,  welche  sich  der  Gottheit  des  Staats  dar- 
stellte. 

Aber  auch  die  Macht  des  Staats  offenbarte  sich  im  Panathenäen- 
zuge.  Denn  den  Bürgern  folgten  die  Schutzgenossen,  die  gewisse 
Dienstleistungen  übernahmen,  indem  sie  Sonnenschirme,  Sessel, 
Prachtgefafse,  Näpfe,  Krüge  u.  s.  w.  tragen  mussten;  sie  wurden  so  an 
ihre  Unselbständigkeit  erinnert,  aber  sie  durften  Theil  nehmen  an  dem 
Feste  des  Staats,  zu  dessen  Blüthe  sie  wesentlich  beigetragen  hatten. 
Alle  Tochterstädte  Athens  wurden  durch  Gesandtschaften  vertreten, 
welche  der  Göttin  Rinder  und  Schafe  darbrachten;  auch  Gesandle 
fremder  Städte  pflegten  um  diese  Zeit  nach  Athen  geladen  zu  werden, 
um  bei  der  glänzendsten  Schaustellung  der  Macht  und  des  Reichthums 
Athens  anwesend  zu  sein,  und  überhaupt  kam,  wer  Athen  kennen  . 
lernen  wollte,  am  liebsten  zur  Zeit  der  grofsen  Panathenäen. 

Für  dieses  Fest  hatte  Perikles  das  Odeion  gebaut  (S.  330);  für 
dasselbe  Fest  baute  er  den  Parthenon  und  es  war  die  glänzendste  Pan- 
athenäenfeier ,  welche  Athen  jemals  erlebt  hat,  als  Ol.  85,  3  (43%) 
unter  dem  Archon  Theodoros  die  Parthenos  des  Pheidias  vollendet 
war  und  zum  ersten  Mal  dem  versammelten  Volke  sichtbar  wurde. 

«  Nach  den  Panathenäen  wurde  auch  die  Finanzverwaltung  ge- 
ordnet; denn  von  einem  Jahresfest  zum  andern  hatten  die  vom  Volke 
ernannten  Schatzmeistercollegien  ihre  Rechnungen  einzureichen,  wie 
es  durch  das  Gesetz  von  Ol.  86,  2;  43%  (S.  252)  angeordnet  war. 
Mit  dem  folgenden  Jahr  beginnen  die  nach  vierjährigen  Perioden  zu- 
sammengestellten Urkunden,  die  doppelten  Inventare  über  die  beiden 
Schatzabtheilungen,  die  sogenannten  Uebergab-Urkunden,  welche,  auf 
Marmorpfeiler  geschrieben,  bei  dem  Parthenon  aufgestellt  wurden,  um 
zu  öffentlicher  Kenntniss  zu  bringen,  was  nach  Ablauf  von  vier  Verwal- 
tungsjahren im  Schatzbause  vorhanden  und  den  Nachfolgern  im  Amte 
zugezählt  und  zugewogen  worden  war.  Von  diesen  Urkunden  sind  die 
auf  den  Schatz  der  Athena  bezüglichen  von  434  bis  407  v.  Chr.  ziemlich 


Digitized  by  Google 


344 


DER  I'AKTHENON  ALS  SCHATZ-  UND  FESTHAUS. 


vollständig  erhalten  und  geben  die  Benutzung  der  verschiedenen  Räum- 
lichkeiten des  Parthenon  an. 

Es  waren  drei  Räume  und  über  jeden  derselben  wurden  besondere 
lnvenlare  geführt.  In  der  Vorzelle  (Pronelon),  deren  Säulen  vergittert 
waren,  standen  goldene  und  silberne  Schalen,  Weihebecken,  Lampen 
und  andere  Prachtgerät  he.  In  der  Cella  waren  um  das  Bild  der  Par- 
thenos  die  der  Göttin  dargebrachten  Weihegeschenke  vereinigt,  Stand- 
bilder, kostbare  Kränze  u.  dgl.  Der  dritte  Raum  war  ein  Magazin,  in 
welchem  die  verschiedenartigsten  Gegenstände,  die  nicht  zum  An- 
schauen bestimmt  waren ,  Geräthe  aller  Art,  Möbel,  Kleider,  Kostbar- 
keilen, Urkunden  gelagert  waren.  Der  eigentliche  Schatzraum  aber 
blieb  nach  wie  vor  das  Hinterhaus  des  pisistratischen  Gebäudes,  der 
„Opisthodom",  wie  er  offiziell  genannt  wurde,  und  nachdem  bestimmt 
worden  war,  dass  mit  dem  Schatze  der  Athena  auch  die  der  anderen 
Gottheiten  und  Heroen  des  Landes,  der  Artemis  von  Agrai,  des  deli- 
schen  A  pol  Ion,  der  Dioskuren,  des  Theseus,  des  llisos  u.  A.  vereinigt 
werden  sollten,  wurde  durch  das  Gesetz  von  43%  angeordnet,  dass  von 
den  beiden  Kammern,  die  jetzt  im  Grundrisse  wieder  sichtbar  sind,  die 
südliche  dem  Schatze  der  Athena  vorbehalten  bleibe,  die  nördliche  den 
Schätzen  der  'anderen  Götter'  eingeräumt  werde.  Das  war  der  Ab- 
schluss  der  perikleischen  Einrichtungen,  welche  Cultus  und  Architektur 
in  so  merkwürdiger  Weise  mit  der  Finanzverwallung  verbanden. 

Von  den  drei  Räumen  des  Parthenon  war  die  Cella  auch  für  die 
Festlichkeiten  der  Panathenäen  das  wichtigste  Lokal.  Denn  hier  safsen 
zu  den  FüCsen  der  Parthenos  die  Staatsbeamten  und  Kampfrichter; 
hier  empfingen  angesichts  der  Göttin  die  Sieger  ihre  Kränze  und  Ehren- 
gaben; eine  auserwählte  Festversammlung  füllte  den  unteren  Ra^m, 
während  von  den  Gallerien  Preis-  und  Feiergesänge  herabtönten.  Die 
Beziehungen  auf  den  Wettkampf,  der  die  Seele  des  perikleischen  Athens 
war,  treten  uns,  wie  im  Tempel  zu  Olympia,  so  auch  im  Parthenon 
überall  entgegen.  Dahin  gehört  nicht  nur  das  Bild  der  Nike,  welche 
von  der  Hand  der  Parthenos  den  Siegern  entgegenschwebte,  sondern 
auch  die  Preisgefäfse  auf  der  Höhe  des  Tempelgiebels  und  die  Schilder 
an  seinem  Architrav.  Die  Giebelfelder  zeigen  Athena  als  die  im  Himmel 
wie  auf  Erden  vorleuchlende  und  siegreiche  Göttin ;  in  den  Metopen 
sind  die  Heroen  in  siegreichen  Kämpfen  dargestellt,  im  Friese  die 
Athener  selbst  im  verklärten  Abbilde  des  Panalhenäenzuges,  als  die  Er- 
sten der  Hellenen  in  Frömmigkeit  und  jeder  menschlichen  Tüchtigkeit. 


Digitized  by  Google 


DIE   FORMEN  DES  ATHE.NAMENSTES 


345 


So  hängt  der  Bau,  welcher  anschaulicher  als  alles  Andere  den 
Geist  der  perikleischen  Stadt  kennzeichnet,  mit  den  greisen  Pan- 
athenäen  zusammen.  Es  war  ein  Cultus,  dessen  Mittelpunkt  der  Staat 
war,  ein  Fest,  welches  mit  Allem,  was  dazu  gehörte,  wesentlich 
politischer  Natur  war.  Es  blieb  also  der  Poliastempel  nach  wie  vor  das 
eigentliche  Heiligthum,  der  Mittelpunkt  des  Athenadienstes,  die  Opfer- 
stätte der  Priester  und  der  Bürger,  mit  den  Gräbern  der  Landesheroen, 
mit  dem  Gemache  des  schlangenförmigen  Erichthonios,  mit  dem  Oel- 
baume  und  dem  Brunnen  des  Poseidon.  Er  blieb  immer  vorzugsweise 
der  'Tempel  auf  der  Burg',  und  seinem  urallen  Holzbilde  galten  die 
eigentlich  religiösen  Burgfeste,  die  Kallynterien  und  Plynterien,  an 
denen  das  Heiligthum  gereinigt  wurde,  so  wie  die  jährigen  Panathenäen, 
wo  das  unter  priesterlicher  Aufsicht  gefertigte  Gewand  der  Athena  als 
Geburtstagsgabe  dargebracht  wurde. 

Neben  der  Polias  wurde  Pandrosos  verehrt,  die  Nymphe  des 
Thaus,  welche  mit  Athena  verschmolzen  war  und  an  das  auf  Natur- 
leben bezügliche  Wesen  der  Göttin  erinnerte,  das  hinter  der  ethisch- 
politischen Bedeutung  derselben  mehr  und  mehr  zurückgetreten  war. 
Neben  dem  Parthenon  hatte  Athena  ein  Heiligthum  als  Ergane,  d.  h. 
als  Meisterin  weiblicher  Kunstarbeit;  sie  hatte  am  Burgaufgange  als 
Athena-Nike  ein  uraltes  Holzbild  und  wurde  daselbst  als  Göttin  des 
Siegs  und  des  durch  Tapferkeit  erföchte nen  Friedens  verehrt.  Als 
speerschwingende  Kriegsgötlin  hiefs  sie  Promachos,  als  Burgwächteria 
Kleiduchos,  die  'Schlüsselhalterin';  sie  wurde  als  mütterliche,  kinder- 
pflegende Gottheit,  als  Stifterin  der  Oelzucht,  als  Spenderin  des  Erd- 
segens, als  Erlinderin  des  Pflugs  und  der  Rosslenkung,  als  Hygieia 
oder  Ifeilgöttin  verehrt.  Der  Athena  Hygieia  weihte  Perikles  selbst 
einen  Altar  auf  der  Burg,  nachdem  sie  ihm  im  Traume  das  rettende 
Heilmittel  für  einen  seiner  Werkführer  angegeben  hatte,  welcher  beim 
Baue  zu  Schaden  gekommen.  So  dachte  man  sich  die  Göttin  persön- 
lich an  Allem  betheiligt,  was  unter  Perikles  auf  der  Burg  zu  ihren 
Ehren  geleistet  wurde. 

Jede  Bürgergemeinde  in  Griechenland  hatte  ihre  Schutz-  und 
Burggottheit;  aber  nirgends  ist  der  Cultus  derselben  in  so  grofsar- 
tiger  Weise  durchgeführt  worden,  und  einen  charakteristischen  Zug 
des  attischen  Cultus  erkennen  wir  darin,  dass  dabei  der  altpelasgische 
Zeus  immer  in  vollen  Ehren  geblieben  ist.  Vater  und  Tochter  sind 
Eins,  nicht  nur  im  öffentlichen  Cultus,  sondern  auch  im  Volks- 


Digitized  by  Google 


346 


DIE  PROPYLÄEN. 


hewusstsein,  so  dass  auch  beim  Gastmahle  gesungen  wurde:  'Herrin 
Alhena,  halt'  aufrecht  unsere  Stadt  und  die  Bürger,  ohne  Leid,  ohne 
Aufruhr  und  vorzeitiges  Sterben,  du  und  der  Vater!'"9). 

Um  die  der  Burggöttin  neu  geweihte  Akropolis  auf  eine  des  Staats 
würdige  Weise  zur  Vollendung  zu  bringen,  bedurfte  es  zuletzt  noch 
eines  neuen  Eingangsthores,  welches  den  ganzen  Burgbezirk  als  einen 
heiligen  Festraum  der  Athena  bezeichnete.  Das  war  nach  dem  Odeion 
und  dem  Parthenon  der  dritte  grofse  Bau  des  Feinkies:  die  Thorhallen 
oder  'Propyläen'  nebst  der  Aufgangstreppe.  Der  Baumeister  war 
Mnesikles.  Seine  Aurgabe  war,  das  westliche  Ende  des  Burgfelsens, 
wo  derselbe  allein  zuganglich  ist,  mit  einem  Gebäude  zu  überspannen, 
welches  bestimmt  war,  den  Burgraum  an  seiner  schmälsten  Stelle  ab- 
zuschließen, aber  zugleich  in  feierlicher  Weise  zu  eröffnen.  Eine 
dorische  Säulenreihe  mit  tempeiförmigem  Giebel  empfing  den  Herauf- 
steigenden; dann  trat  man  in  eine  Halle  von  50  Fufs  Tiefe,  deren 
prachtvolle  Marmordecke  von  sechs  ionischen  Säulen  getragen  wurde. 
Diese  Halle  wurde  durch  eine  Quermauer  geschlossen,  welche  mit  fünf 
Gitterthoren  den  Verschluss  der  Burg  bildete.  Aus  ihnen  trat  man 
wieder  in  eine  sechssäulige  dorische  Halle  und  durch  sie  auf  den  inne- 
ren Raum  der  Burg.  Von  dem  Mittelbau,  dem  eigentlichen  Thorgange, 
sprang  rechts  und  links  ein  Flügel  vor,  um  den  Abschluss  des  Burg- 
felsens zu  vervollständigen;  der  nördliche  umfasste  den  für  Gemälde 
bestimmten  Raum,  die  Pinakothek.  Beide  Flügel  öffneten  sich  mit 
Säulenhallen  nach  der  breiten  Freitreppe,  welche  in  gemächlicher 
Steigung  zur  Tborhalle  hinan  führte  und  die  Oberstadt  mit  der  Unter- 
stadt verband.  Rechts  von  diesem  Aufgange  trat  die  kimonische 
Mauer  mit  einer  thurmartigen  Bastion,  die  das  Heiligthum  der  Athena- 
Nike  trug,  gegen  die  Treppe  vor;  sonst  war  Alles  entfernt,  was  an  die 
alte  Festung  erinnerte.  Mit  gastlichen  Säulengängen,  welche  weithin 
in  die  Ebene  hinahglänzten,  erschloss  sich  die  Akropolis  Allen,  welche 
die  Tempel  und  Feste  der  Athener  besuchen  wollten;  sie  erhob  sich 
aus  der  Unterstadt,  wie  die  Krone  des  Ganzen,  wie  ein  grofses 
Weihgeschenk,  mit  ihren  Kolossen,  Tempeln  und  Hallen,  und  wie 
ein  Geschmeide  glänzte  an  ihrer  Stirnseite  der  Marmorbau  der 
Propyläen170). 

Als  die  Propyläen  gebaut  wurden,  war  Pheidias  von  Athen  ab- 
wesend. 

Ein  Ruhm,  wie  der  seinige  nach  Vollendung  des  Parthenon,  war 


Digitized  by  Google 


ATTISCHE  KUNST  IN  HELLAS 


347 


noch  keinem  griechischen  Bildhauer  zu  Theil  geworden,  und  es  musste 
als  ein  Triumph  der  perikleischen  Politik  gelten,  dass  Athen  jetzt 
nicht  nur  als  die  hohe  Schule  der  bildenden  Künste  angesehen  wurde, 
sondern  dass  seine  Meister  auch  nach  auswärts  berufen  wurden,  wo 
ein  Staat  die  Mittel  halte  und  sich  verpflichtet  fühlte,  etwas  den 
Ansprüchen  der  Gegenwart  Entsprechendes  in  öffentlichen  Bau-  und 
Bildwerken  herzustellen. 

So  finden  wir  attische  Künstler  an  hervorragenden  Plätzen  der 
verschiedensten  Gegenden  thätig,  unter  anderen  in  Delphi,  wo  man 
ja  von  jeher  bestrebt  gewesen  war,  die  besten  Kräfte  aus  allen  Land- 
schaften heranzuziehen.  An  dem  von  Spintharos  erbauten  Tempel 
(I,  5 IS)  wurden  die  Giebelfelder  von  zwei  Athenern  ausgeführt. 
Praxias  wurde  zuerst  berufen,  nach  dessen  Tode  Androsthenes  das 
grofee  Werk  vollendete.  Im  östlichen  Giebel  sah  man  Apollon  nebst 
Artemis  und  Leto,  von  den  Musen  umgeben,  im  Westen  Dionysos 
mit  den  Thyiaden,  entsprechend  dem  delphischen  Festjahre,  dessen 
Sommer  der  Apollodienst  erfüllte,  während  die  winterliche  Hälfte 
dem  Dienst  des  Dionysos  geweiht  war.  Beide  Künstler  waren 
Pheidias'  Zeitgenossen,  aber  nicht  seine  Schüler.  Man  sieht,  dass 
auch  die  älteren  Schulen  auswärtige  Geltung  erlangten  und  nament- 
lich den  delphischen  Behörden  genehm  waren.  Praxias  war  ein 
Schüler  von  Kaiamis  (S.  316),  und  sein  Nachfolger  arbeitete  in  der 
Weise  des  sonst  unbekannten  Eukadmos. 

Auffallender  ist,  dass  auch  bei  Doriern  und  Peloponnesiern  die 
attische  Kunst  volle  Anerkennung  fand.  Polyklets  gröfste  Werke 
wurden  schon  unter  Einfluss  von  Athen  vollendet,  und  es  scheint, 
als  ob  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  die  alte  Eifersucht  der  Stämme 
sich  beruhigte.  Half  doch  Pheidias  selbst  dem  Megareer  Theokosmos 
bei  der  Ausführung  eines  Zeusbildes;  von  seinen  Schülern  ar- 
beitete Thrasymedes  für  Epidauros,  Agorakrilos  für  Koroneia  in  Bö- 
otien  und  der  Baumeister  des  Parthenon,  Iktinos,  wurde  von  den 
Phigaleern  in  Südarkadien  mit  dem  Baue  ihres  Apollotempels  be- 
auftragt1"). 

Mit  dem  dreifsi&jährigen  Frieden  (S.  181)  war  eine  gewisse  Be- 
ruhigung eingetreten,  so  dass  an  panhellenische  Werke  gedacht  werden 
konnte,  und  nachdem  manche  Pläne  dieser  Art  gescheitert  waren, 
musste  es  für  Perikles  eine  besondere  Genugtuung  sein,  dass  sein 
Freund  Pheidias  mit  Panainos  nach  Elis  berufen  wurde,  um  in  dem 


Digitized  by  Google 


348 


DER   ZEUSTEMPEL  ZU  OLYMPIA. 


heiligen  Mittelpunkt  der  dorischen  Halbinsel  das  Bild  des  Zeus  mit 
allen  Mitteln  der  in  Attika  entfalteten  Kunst  herzustellen,  und  dass 
dafür  die  in  Olympia  gesammelten  Tempelschätze  benutzt  wurden,  auf 
welche  man  sich  in  Sparta  für  den  Fall  eines  Krieges  mit  Athen 
Rechnung  machte. 

Elis  hatte  sich  gleich  nach  dem  Perserkriege  vom  Einfluss  Spartas 
gelöst  (S.  165),  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  Neubau 
des  Zeustempels  mit  der  Epoche  zusammenhängt,  da  die  ganze  Land- 
schaft sich  zuerst  um  eine  Hauptstadt  einigte  und  man  nun  auch  in 
der  Ausstattung  von  Olympia  Gröfseres  zu  leisten  suchte,  um  dem 
peloponnesischen  Heiligthume  mehr  und  mehr  das  Ansehen  eines 
gesamthellenischen  zu  geben. 

Nachdem  man  also  den  Bau  des  Tempels  aus  einheimischem 
Kalkstein  durch  einen  einheimischen  Künstler,  Libon,  hergestellt 
hatte  (S.  333),  berief  man,  wie  in  Delphi,  auswärtige  Meister  für 
diejenigen  Arbeiten,  welche  plastisches  Compositionstalent  ver- 
langten, also  vor  Allem  für  die  Ausfüllung  der  Giebelfelder,  die  für  je 
21  Kolossalßguren  Raum  hatten.  Als  die  Schöpfer  derselben  kannte 
man  in  Olympia  Paionios  aus  Mende  an  der  thrakischen  Küste  und 
Alkamenes,  den  Athener.  Im  Ostgiebel  stellte  Paionios  die  bevor- 
stehende Wettfahrt  von  Oinomaos  und  Pelops  dar,  deren  Erfolg  über 
das  Schicksal  der  Landschaft  entscheiden  sollte,  im  Westgiebel  Alka- 
menes den  Kampf  der  Lapithen  und  Kenlauren  bei  der  Hochzeit  des 
Peirithoos.  Beide  Bildhauer  müssen  also  um  Ol.  80  (461)  berühmte 
Meister  gewesen  sein ,  beide  ursprünglich  von  Pheidias'  Schule  unab- 
hängig. Ein  Zusammenhang  ihrer  Kunst  mit  Athen  ist  aber  unver- 
kennbar. Attischer  Marmor  ist  neben  dem  parischen  angewendet.  Die 
Eckfiguren  des  Ostgiebels  entsprechen  den  Wassergottheiten  im  Parthe- 
nongiebel und  scheinen  ihnen  als  Vorbilder  gedient  zu  haben.  Das 
Motiv  des  Westgiebels  wurde  gewählt,  um  Theseus  zu  verherrlichen 
als  den  Beistand  in  der  Noth ;  in  den  Kampfgruppen  aber  können  wir 
die  Uebereinstimmung  mit  den  rolhGgurigen  Vasen  von  Athen  er- 
kennen und  hier  deutlicher  als  anderswo  nachweisen,  dass  die  Malerei 
der  Plastik  in  lebensvoller  Gomposition  vorangegangen  ist,  und  ihr 
den  Muth  zu  bewegterer  Gruppirung  gegeben  hat. 

Ost- und  Westgiebel  zeigen  hierin  einen  sehr  merkwürdigen  Unter- 
schied. An  der  Ostseile  herrscht  noch  eine  unverkennbare  Gebunden- 
heit des  Stils,  ein  steifer  Parallelismus  neben  einander  aufgestellter 


Digitized  by  Google 


DAS  ZEUSBILD  ZU  OLYMPIA. 


349 


Figuren;  im  Westgiebel  aber  entfaltet  sieb  innerbalb  des  architektoni- 
schen Dreiecks  eine  überraschende  Fülle  von  dramatischem  Leben  und 
ein  kecker  Naturalismus,  welcher  in  den  Köpfen  nach  scharfer  Charak- 
teristik strebt.  Man  erkennt  hier  eine  jugendliche  Kraft,  die  das  Her- 
gebrachte ungeduldig  durchbricht  und  lieber  zu  viel  als  zu  wenig  giebt. 
Die  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts  v.  Chr.  erscheint  hier  recht  deut- 
lich als  eine  Zeit  des  Uebergangs ,  in  welcher  treue  Anhänglichkeit  an 
das  Ueberlieferte  mit  ungestümem  Vorwärtsdrängen  nach  gesteigerter 
Lebendigkeit  sich  begegnen.  Eis  sind  die  Vorstufen  des  Parthenon, 
wo  epische  Ruhe  und  dramatisches  Leben  sich  zu  einer  höheren  Har- 
monie verschmelzen. 

Die  Eleer  wollten  aber  nicht  nur  Giebelgruppen  von  hervorragen- 
den Künstlern  besitzen,  wie  die  Delphier,  sondern  auch  das  Innere  des 
Zeustempels  so  ausgestattet  sehen,  dass  er  dem  Parthenon  eben- 
bürtig erscheine.  Beide  Gebäude  waren  sich  aber  darin  gleich,  dass 
sie  nicht  Culttempel  waren,  sondern  Fest-  und  Schatzhäuser.  Denn 
der  Mittelpunkt  des  Gottesdienstes  in  Olympia  war  nicht  der  Tempel, 
sondern  der  grofse  Aschenaltar,  welcher  nordöstlich  vom  Tempel 
stand  und  vollständig  unabhängig  von  demselben  war.  Im  Tempel 
aber  fand  die  feierliche  Kränzung  der  Sieger  statt,  und  hier  sollte  sich 
nun  als  Weihgeschenk  der  Eleer  in  der  100  Fufs  langen  Tempelzelle 
ein  Prachtbild  des  Zeus  erheben,  das  an  Glanz  und  Reichthum  die 
Partbenos  noch  überbieten  sollte. 

Zu  diesem  Zwecke  wurde  Pheidias  berufen,  nachdem  dieParthenos 
geweiht  war  (438) ,  und  übernahm  mit  Panainos  gemeinschaftlich  das 
grofse  Werk,  welches  ihm  von  den  Tempelbehörden  für  eine  bestimmte 
Summe  vertragsmäfsig  übergeben  war.  Es  wurde  ihm  eine  Werkstätte 
eingerichtet,  in  welcher  er  sich  mit  einer  ganzen  Colonie  seiner  Arbeiter 
niederliefs,  wie  einst  Balbykles  in  Amyklai  (1, 579),  um  die  gröfste  Auf- 
gabe zu  übernehmen,  welche  der  hellenischen  Plastik  gestellt  werden 
konnte;  denn  es  galt  mit  allen  Mitteln  der  in  Athen  gereiften  Kunst  aus 
Gold  und  Elfenbein  den  Vater  der  Gölter  und  Menschen,  den  höchsten 
Lenker  der  Völkergeschicke,  welcher  bildlos  angebetet  wurde,  nun  im 
Bilde  so  darzustellen,  dass  die  besten  Hellenen  darin  den  Ausdruck  ihrer 
Gefühle  erkannten. 

Es  war  ein  Sitzbild  von  acht-  bis  neunfacher  Menschen gröfse,  für 
welches  auch  das  mächtige  Gotteshaus  als  eine  zu  enge  Behausung  er- 
schien. Es  stand  frei  im  Mittelschiffe  auf  einem  Postament,  das  ein 


Digitized  by  Google 


350 


UAS  ZECSUILI)  ZU  OLYMPIA. 


Drittel  der  Cellalänge  einnahm.  In  seinem  Haupte  waren  Allmacht  und 
Gnade,  Hoheit  und  leutselige  Milde  vereinigt;  die  Locken  waren  die 
des  homerischen  Zeus,  bei  deren  Bewegung  der  Olymp  erbebte.  Das 
goldene  Gewand ,  das  die  unteren  Theile  bedeckte,  liefs  die  gewaltige 
Brust  frei;  in  der  Linken  hielt  er  das  Adlerscepter;  auf  der  Rechten 
trug  er  das  Bild  der  Siegesgöttin,  wie  die  Parthenos.  Denn  auch  er  war 
hier  nicht  nur  selbst  als  bekränzter  Sieger  gedacht,  der  alle  Feinde 
niedergeworfen,  sondern  als  der  Siegverleibende,  weil  vor  seinem  Ange- 
sicht und  in  seinem  Namen  die  olympischen  Siegeskranze,  die  höchsten 
Preise  hellenischer  Tüchtigkeit,  ausgelheilt  wurden.  Der  Thronsessel 
schimmerte  von  Gold  und  Edelgestein  und  war  mit  runden  oder  halb- 
runden  Figuren  ausgestattet,  welche  die  von  Zeus  ausgehenden  Gerichte 
so  wie  Kampfscenen  und  Siegesgöttinnen  darstellten,  während  Chariten 
und  Hören  die  Rücklehne  krönten,  und  die  Füfse  auf  einem  Schemel 
ruhten,  dessen  Vordersaum  einen  Amazonenkampf  darstellte.  Das 
Postament  von  etwa  zwölf  Fufs  Höhe  war  mit  vergoldetem  Metallrelief 
überzogen  und  stellte  den  von  Helios  und  Selene  eingefassten  Kreis 
der  Olympier  dar,  welche  die  aus  dem  Meer  aufsteigende  Aphrodite 
begrüfsen.  Innerhalb  der  Cella  aber  wurde  vor  dem  Bilde  ein  beson- 
derer Raum  eingerichtet,  eine  Art  Vorhof,  nach  dem  Bilde  hin  offen, 
nach  den  anderen  Seiten  durch  wandartige  Schranken  geschlossen, 
welche  von  Säule  zu  Säule  reichten.  Diese  Wände  schmückte  Panainos 
an  den  Innenseiten  mit  neun  Gemälden  von  je  zwei  Figuren;  es  waren 
Scenen  aus  der  Heroen  weit,  symmetrisch  angeordnet  Das  Ganze  diente 
dazu,  dass  in  einem  künstlerisch  eingehegten  Räume  das  Gemülh  sich 
sammle,  um  das  grofse  Kunstwerk  anzuschauen;  ein  Beweis,  wie  uner- 
müdlich die  attische  Kunst  vorwärts  ging,  um  in  immer  neuer  Weise 
Architektur,  Plastik  und  Malerei  harmonisch  zu  verbinden.  Als  Pantarkes 
Ol.  86  unter  den  Knaben  siegte,  arbeitete  Pheidias  an  dem  Zeusbilde 
(436  v.  Chr.)  und  stellte  ihn  am  Throne  dar,  wie  er  sich  die  Sieges- 
binde umlegte. 

So  war  die  reifste,  reichste  und  grofsartigste  Frucht  attischer 
Kunst  in  Elis  zu  Stande  gekommen,  ein  Gottesbild,  von  dem  man  sagte, 
dass  es  die  Vorstellung  der  Hellenen  von  ihrem  höchsten  Gotte  erhöht 
und  verklärt  habe;  das  gemeinsame  Werk  des  Phefdias  und  seines  Ge- 
nossen Kolotes,  eines  auserwählten  Meisters  der  Goldelfenbeinarbeit,  der 
auch  den  in  gleicher  Kunstweise  ausgeführten  Tisch  hergestellt  hatte, 
welcher  dazu  bestimmt  war,  dass  die  Siegerkränze  aus  den  Zweigen 


Digitized  by  Google 


ATTISCHE  Kl'NST   IN  ELIS. 


35  t 


des  wilden  Oelbaums  vor  der  Verlheilung  darauf  gelegt  wurden.  Auch 
Panainos  arbeitete  mit  Kolotes  gemeinschaftlich  an  einer  Athenastalue 
in  Elis.  Pheidias  selbst  aber  schuf  noch  eine  Aphrodite  Urania,  welche 
den  Fufs  auf  eine  Schildkröte  stellte.  So  wurde  in  der  Werkstätte  des 
Pheidias  von  ihm  und  seinen  Freunden  für  Olympia,  für  die  Stadt  Elis 
wie  für  die  Hafenstadt  Kyllene  gearbeitet,  und  die  WerkJeute  von  Elis 
bildeten  sich  nach  den  Vorbildern  und  unter  Anleitung  attischer  Meisler. 

Zu  dieser  Genossenschaft  dürfen  wir  auch  Paionios  zählen,  welcher 
nach  Vollendung  seines  Giebelfeldes  in  Zusammenhang  mit  Elis  blieb; 
denn  hier  war  noch  Geld  und  Ruhm  zu  gewinnen ,  als  die  Stadt  des 
Perikles  schon  von  inneren  und  äufseren  Kämpfen  ergriffen  war. 

Paionios  erhielt  von  den  Messeniern  in  Naupaktos  den  Auftrag, 
aus  dem  Zehnten  ihrer  Kriegsbeute  eine  Siegesgöttin  in  Marmor  auf- 
zustellen. Sie  wurde — wahrscheinlich  mit  stillschweigender  Beziehung 
auf  den  während  der  Ausführung  eingetretenen  Sieg  bei  Sphakteria  — 
in  ganz  ungewöhnlicher  Weise  auf  einem  tburmhohen  dreieckigen 
Marmorsockel  vor  der  Ostseite  des  Zeustempels  aufgestellt,  ein  Werk 
von  genialer  Kühnheit,  in  welchem  Nike  mit  ausgespannten  Flügeln 
durch  die  Luft  niederschwebend  dargestellt  war,  um  den  in  der  Altis 
versammelten  Hellenen  die  Gro&thaten  der  Messenier  zu  verkünden. 
Es  ist  vielleicht  erst  um  422  v.  Chr.  vollendet  worden. 

Auch  Nachkommen  des  Pheidias  blieben  in  Olympia,  mit  dem 
Ehrenamt  der  'Phädrynten'  bekleidet,  welche  für  die  Erhaltung  des 
Zeuskolosses  zu  sorgen  hatten.  Nicht  blofs  in  fernen  Colonien,  wie  es 
Perikles  versucht  hatte  (S.  321),  sondern  im  Mutterlande  selbst,  im 
dorischen  Peloponnes  trat  eine  Verschmelzung  dessen  ein,  was  in  den 
verschiedenen  Stämmen  und  Städten  gereift  war,  und  diejenigen 
Staaten,  welche  sich  am  engsten  zu  Sparta  gehalten  hatten,  wie  Elis 
und  Arkadien,  wendeten  die  reichsten  Mittel  darauf,  Athen  nachzueifern 
und  Kunstwerke  attischer  Meister  bei  sich  ausführen  zu  lassen. 

Perikles  war  unermüdlich,  immer  neue  Mittel  und  Wege  ausfindig 
zu  machen,  um  Athen  und  Hellas  mit  einander  zu  verschmelzen,  und 
seiner  nationalen  Politik  dürfen  wir  es  auch  zuschreiben ,  dass  wie  der 
panhellenische  Zeus,  so  auch  die  Religion  der  Demeter  benutzt  wurde, 
um  die  griechischen  Stämme  und  Städte  zu  einigen.  Eleusis  war  mit 
Athen  an  Ansehen  gestiegen  und  unter  den  attischen  Gottesdiensten 
batle  der  der  Demeter  am  meisten  einen  allgemein  volkslhümlichen 
Charakter.  Die  delphische  Priesterschaft  wurde  dafür  gewonnen,  ihm 


Digitized  by  Google 


352 


EL  EIS  INISCHER  DEMETERDIENST. 


eine  nationale  Bedeutung  zu  geben.  Von  Delphi  erging  die  Weisung 
an  Athen,  man  sollte  bedacht  sein,  die  heiligen  Stätten,  von  wo  Tri- 
ploleraos  die  Segnungen  des  Ackerbaus  verbreitet  hatte,  dadurch  zu 
ehren,  dass  die  alten  Verpflichtungen  erneuert  würden,  welche  man  der 
Göttin  schuldig  geblieben  sei.  Auf  Grund  der  delphischen  Mahnung 
wurde  von  Rath  und  Bürgerschaft  beschlossen,  dass  der  Zehnte  der 
Kornerndte  von  Weizen  und  Gerste  wieder  an  die  Göttin  von  Eleusis 
abgegeben  werde.  Für  die  attischen  Gaue  und  alle  dem  attischen  Herr- 
schaftsgebiete angehörigen  Staaten  war  dies  eine  Verpflichtung,  deren 
Versaumniss  straffällig  war.  Die  übrigen  Hellenen  aber  wurden  aufge- 
fordert, sich  dieser  Verpflichtung  freiwillig  anzuschliefsen,  und  es  wurde 
bestimmt,  dass  vom  Ertrage  des  Kornzehnten  Weihgeschenke  errichtet 
werden  sollten  mit  der  Inschrift  'Die  Hellenen  weihen  dies  vom  Zehnten 
an  die  Demeter1.  Lampon,  der  Seher,  war  an  dieser  Mafsregel  beson- 
ders betheiligt;  auf  seinen  Antrag  wurden  über  diesen  Beschluss  Slein- 
urkunden  errichtet,  von  denen  eine  uns  erhalten  ist.  Durch  diesen  Be- 
schluss wurde  auch  dem  Eleusinion  am  Fufse  der  Akropolis  eine  neue 
Bedeutung  gegeben;  denn  hier  sollten  die  Weihebilder  für  Demeter 
aufgestellt  werden  und  die  Auftrage  zu  diesen  Werken  im  Einverständ- 
niss  mit  dem  heiligen  Rath  von  Eleusis  durch  die  Bürgerschaft  von 
Athen  erfolgen.  So  wurde  auch  diese  Mafsregel  benutzt,  die  Stadt  der 
Athener  mit  neuen  Kunstwerken  auszustatten  und  der  attischen  Kunst 
in  Griechenland  eine  nationale  Bedeutung  zu  geben ,TI). 

Athen  war  in  der  kurzen  Frist  der  perikleischen  Friedensjahre 
eine  andere  Stadt  geworden,  und  wenn  man  die  erstaunliche  Mannig- 
faltigkeit künstlerischer  Thätigkeit  überblickt,  die  sich  dort  entfaltet 
hat,  so  begreift  man,  welchen  Einfluss  sie  auf  das  ganze  soziale  und 
gewerbliche  Treiben  der  Bürgerschaft  haben  musste. 

Schon  der  Transport  des  Rohmaterials  veranlasste ,  dass  in  jener 
erfindungsreichen  Zeit  auch  die  Wissenschaft  der  Mechanik  grofse  Fort- 
schritte machte,  und  auf  diesem  Gebiet  erwarb  sich  vor  allen  Zeil- 
genossen Artemon  einen  Namen  (S.  241).  Alle  Handarbeiter,  welche  zu 
den  grofsen  Kunstleistungen  in  Beziehung  standen,  die  Bau-  und  Zim- 
merleule,  Bildhauer,  Schmiede,  Erzgiefser,  Steinmetzen,  Färber,  die 
Goldarbeiter,  welche  das  Metall  zum  Ueberzuge  des  Holzes  verarbeite- 
ten und  die  Elfenbeinarbeiter,  welche  den  spröden  Stoff  so  geschmeidig 
zu  machen  wussten,  dass  er  sich  wie  eine  Haut  an  den  Holzkern  an- 
schmiegte, die  Maler,  Holzschnitzer,  Teppichwirker,  die  Gold-  und 


Digitized  by  Google 


KUNSTLBBEK  Uf  ATHEN.  353 

Silbersticker,  die  Steinschneider  u.  s.  w.  Alle  hatten  ihren  Antheil  an 
der  glänzenden  Entwicklung  menschlicher  Kunstfertigkeil.  Auch  die 
bescheidene  Kunst  mit  der  Nadel  und  dem  Webschiffe  wurde  in  Athen 
zur  höchsten  Vollendung  gebracht;  auch  sie  wurde  hier  eine  öffentliche 
Kunst,  indem  sie  für  das  Prachtgewand  der  Burggöttin,  den  Peplos  der 
Athena,  unentbehrlich  war.  Jede  Gattung  des  Kunstbandwerks  wurde 
von  einem  höheren  Leben  beseelt;  in  Terracotten  und  Grabreliefs  er- 
kennt man  trotz  der  handwerksmäßigen  Ausführung  den  feinen  Form- 
sinn, die  Klarheit  des  Vortrags,  die  Ruhe  und  Heiterkeit,  die  geistige 
Wurde,  welche  den  Arbeiten  des  Pheidias  eigen  war.  Seine  Werkstätten 
waren  eine  Schule  des  Volks  von  umfassender  und  dauernder  Wirkung. 

Bis  dahin  waren  alle  künstlerischen  Gewerbe  in  einheimischen  Fa- 
milien gepflegt,  welche  von  Vater  auf  Sohn  die  ererbte  Technik  fort- 
pflanzten. Diese  Art  der  Kunstpflege  finden  wir  in  der  Musik  und  Poesie, 
wie  die  Familien  des  Simonides,  Bakchylides,  Pindaros,  Stesichoros, 
Sophokles  u.  A.  beweisen,  und  ebenso  in  allen  bildenden  Künsten.  Hier 
hatte  der  Familienzusammenhang  einen  besonders  wichtigen  Einfluss, 
indem  er  die  sicher  und  stätig  fortschreitende  Vervollkommnung  der 
Technik  wesentlich  unterstützte;  ja  sie  war  nur  auf  diese  Weise  möglich. 

Die  Zeit  des  Perikles  war  auch  in  dieser  Beziehung  eine  rechte 
Übergangszeit,  indem  die  Schranken  jener  familienhaften  Ueberliefe- 
rung,  so  weit  sie  hemmend  wirken  konnten,  gebrochen  wurden ;  denn 
die  freiste  Concurrenz  wurde  nicht  nur  innerhalb  der  Bürgerschaft  er- 
öffnet, sondern  auch  von  aufsen  kamen  die  Künstler  herbei,  um  sich 
an  dem  Wetteifer  des  Talents  in  Athen  zu  betheiligen.  Schon  mit  Po- 
lygnotos,  dem  Thasier,  gleichzeitig  arbeiteten  in  Athen  Agatharchos  aus 
Samos,  Nikanor  und  Arkesilas,  zwei  Maler  aus  Paros,  und  dann  kamen 
von  derselben  Marmorinsel,  welche  an  tüchtigen  Bildhauern  immer  be- 
sonders fruchtbar  war,  Agorakritos,  einer  der  Lieblingsschüler  des  Phei- 
dias, Kolotes,  welchen  der  Meister  als  einen  seiner  geschicktesten  Mit- 
arbeiter schätzte,  Thrasymedes,  Lokros,  Aristandros,  der  Vater  des 
Skopas.  Alle  fanden  in  Athen  eine  neue  Heimath  und  eine  ruhmvolle 
Thütigkeit,  und  deshalb  darf  man  wohl  sagen,  dass  sich  niemals  unter 
günstigeren  Bedingungen  ein  nationales  Kunstleben  entfaltet  hat. 

Frei  erwachsen  an  den  verschiedensten  Orten  des  Vaterlandes, 
bei  Doriern  und  Ioniem,  wurden  die  Künste  hier  zum  ersten  Male  zu 
großartigen  Leistungen  vereinigt,  unter  der  Pflege  des  reichsten  Staats, 
unter  der  Obhut  des  erleuchtetsten  Kenners,  der  Jahre  lang  mit  unbe- 

Cartini,  Gr.  Ge«ch.  II.  6.  Aufl.  23 


Digitized  by  Google 


354  WIRKUNG  OES  ATTISCHEN  KUNSTLEDENS. 

schränkten»  Willen  über  die  Staatsmittel  verfügte,  unter  der  Leitung 
eines  überlegenen  Geistes,  welcher  alle  Gebiete  der  bildenden  Kunst 
beherrschte.  Im  perikleischen  Athen  war  es  möglich,  dass  mit  dem 
wohlthätigen  Einflüsse  fester  Oberleitung  ein  allgemeiner  Wetteifer 
sich  vereinigte,  und  die  vom  Staate  anbefohlenen  Arbeiten  in  frei- 
willigem Enthusiasmus  ausgeführt  wurden,  der  sich  nicht  auf  die 
Künstlerwelt  beschränkte.  Denn  dem  rührigen  und  erwerblustigcn 
Volke  der  Athener  gefiel  die  Betriebsamkeit,  welche  die  perikleischen 
Bauten  veranlassten.  Alle  Stände  waren  bei  dem  öffentlichen  Kunst- 
leben betheiligt,  von  dem  Künstler  an,  der  in  der  Einsamkeit  seine 
Gedanken  reift  und  seine  Pläne  entwirft,  durch  alle  Klassen  der  Kauf- 
leute, Gewerbleute  und  Handarbeiter  bis  zu  den  Bergleuten  und  Wege- 
bauern, den  Wagnern  und  Seilern,  den  Bhedern  und  Fuhrleuten,  welche 
dafür  zu  sorgen  halten,  die  unzähligen  Marmorblöcke  auf  die  Höhe  der 
Burg  zu  fördern.  Aller  Verdienst  geht  vom  Staate  aus,  Alle  werden  in 
seine  Zwecke  verflochten.  Die  Kapilalisten  sind  zufrieden,  weil  zum  An- 
legen des  Geldes  in  vortheilhaften  Geschäften  immer  mehr  Gelegenheit 
sich  darbietet;  sie  können  für  ihre  Häuser,  ihre  Schiffe,  ihre  Sklaven 
immer  höheren  Mielhzins  erhalten.  Die  Landleute, sind  zufrieden,  weil 
die  Preise  des  Bodens  und  seiner  Früchte  im  Steigen  sind.  Auch  die 
ganz  Unbemittelten  werden  vom  Staate  versorgt  und  zwar  nicht  als 
Stadtarme,  sondern  als  Bürger,  welche  an  den  öffentlichen  Unterneh- 
mungen thätigen  Antheil  nehmen  und  bei  der  Höhe  des  Tagelohns  rasch 
auf  einen  ihren  Talenten  entsprechenden  Verdienst  rechnen  können. 
Die  perikleischen  Bauten  trugen  also  wesentlich  dazu  bei,  eine  glückliche 
Verkeilung  des  Geldes  unter  der  freien  Bevölkerung  zu  begünstigen. 

An  die  öffentlichen  Werke  schloss  sich  eine  bürgerliche  Kunst,  die 
Kunst  im  Hause.  Die  Malerei  des  Agatharchos  war  besonders  geeignet, 
wohlhabenden  Bürgerhäusern  durch  Dekoration  der  Zimmerwände 
einen  künstlerischen  Schmuck  zu  geben.  Das  Haus  des  Morychos  in  der 
Nähe  des  Olympieion  war  eines  der  ersten  Häuser  in  Athen,  das  sich 
durch  vornehme  Ausstattung  auszeichnete.  So  wurde  derKunstindustrie 
neuer  Verdienst  eröffnet.  Die  Erzgeräthe  zeugten  von  geschmack- 
voller Einrichtung  und  die  Speisesäle  erhielten  kunstvolle  Felderdecken. 

Der  allgemeine  Wohlstand  wurde  also  in  dem  Grade  gefördert, 
dass  die  Menge  des  Volks  schon  deshalb  der  perikleischen  Politik 
freudig  zugestimmt  haben  würde,  wenn  sie  auch  nicht  zugleich  von 
dem  Gefühle  durchdrungen  gewesen  wäre ,  dass  jene  Werke  mehr  als 


Digitized  by  Google 


DIE   WIRKUNGEN   DES  ATTISCHEN  KUNSTLEBENS. 


355 


alles  Andere  zum  Ruhme  der  Vaterstadt  beitrügen.  Ein  höherer  Pa- 
triotismus theilte  sich  den  Bürgern  mit,  wenn  sie  ihre  Vaterstadt  vor 
allen  anderen  Städten  mit  den  edelsten  Kunstwerken  ausgestattet 
sahen;  und  wenn  diese  Kunstwerke  bei  aller  Pracht  eine  edle  Einfach- 
heit besaßen,  wenn  sie  durchgängig  von  erhebenden  Gedanken  durch- 
drungen, von  Mafs  und  Ordnung  erfüllt,  voll  Klarheit  und  Würde 
waren,  so  konnten  sie  nicht  anders  als  bildend  und  läuternd  auf  die 
Gemüther  derer  einwirken,  welche  Zeugen  ihrer  allmählichen  Vollen- 
dung waren  und  das  Vollendete  täglich  vor  Augen  hatten.  Denn  es 
lag  eine  Kraft  in  ihnen,  welche  den  Menschen  über  die  Enge  seiner 
persönlichen  Verhältnisse  erhob  und  ihn  nöthigte,  von  dem  Staate,  der 
Solches  schaffen  konnte,  und  dem  eigenen  Bürgerberufe  grofs  und 
würdig  zu  denken.  Dieser  Bürgerstolz  ruhte  auf  gutem  Grunde.  Denn 
so  viel  Neues  auch  in  der  perikleischen  Zeit  geschaffen  wurde,  so  war 
doch  Alles  allmählich  erwachsen  und  der  Kern  der  Bürgerschaft  nicht 
wesentlich  verändert;  die  bewegenden  Kräfte  fanden  ein  heilsames 
Gegengewicht  in  der  Anhänglichkeit  an  das  üeber lieferte.  Der  uralte 
Zeusdienst  ist  nirgends  so  in  Ehren  geblieben ,  wie  bei  den  Athenern, 
und  ihr  conservati?er  Sinn  bezeugt  sich  auch  in  Sprache  und  Schrift. 
Des  lebendigsten  Seeverkehrs  ungeachtet  haben  sie  den  alten  Hauch- 
laut H  als  solchen  festgehalten  und  sich  länger  als  die  Insulaner  der 
beiden  Zeichen  für  die  Doppelkonsonanten  enthalten,  welche  den  phö- 
nikischen  Buchstaben  angereiht  worden  sind.  Treuer  Familiensinn  ist 
besonders  in  den  attischen  Grabsteinen  bezeugt.  Die  lebende  Gene- 
ration fühlte  sich  mit  den  vorangegangenen  in  ununterbrochenem  Zu- 
sammenhange und  in  jedem  Bürgerhause  fühlte  man  es  als  eine  heilige 
Verpflichtung,  die  Almen  zu  ehren;  denn  kein  Zweifel  trübte  die  Ueber- 
zeugung,  dass  die  Bande  des  Bluts  das  Grab  überdauern,  und  die  My- 
sterien der  Demeter  gaben  dem  angestammten  Volksbewusstsein  eine 
religiöse  Beglaubigung. 

Perikles ,  Pheidias  und  Polygnotos,  wie  Aischylos  und  Sophokles 
thaten  Alles,  um  diese  einheimische  Grundlage  attischer  Gultur  zu 
pflegen,  damit  unter  den  Bürgern  kein  Riss  zwischen  Altem  und  Neuem 
entstehe. 

Aber  auch  die,  welche  nicht  als  Altathener  die  Stadt  anschauen 
und  lieben  konnten,  auch  die  Unterlhanen  und  die  Fremden  konnten 
sich  dem  Eindrucke  der  Herrlichkeit  Athens  nicht  entziehen;  die  Einen 
mussten  es  leichter  Gnden,  einer  solchen  Stadt  zu  gehorchen;  die 

23* 


Digitized  by  Google 


356 


DIE  WIRKUNGEN   DES  ATTISCHEN  KUNSTLEBENS. 


Andern  mussten  erkennen,  dass  Alles,  was  die  Hellenen  auszeichnete, 
Geistesbildung  und  edle  Kunst,  hier  seine  volle  Entwicklung  gefunden 
habe,  und  wer  hiefür  Sinn  hatte,  der  musste  Athen  als  die  Hauptstadt 
Griechenlands  und  sich  in  gewissem  Sinne  selbst  als  Athener  fühlen. 

Das  war  es,  was  Perikles  erstrebte;  Athen  sollte  sich  würdig 
zeigen ,  über  Hellenen  zu  herrschen ,  und  die  Verwendung  der  Büttel 
zu  diesem  Zwecke  war  keine  Verschwendung;  denn  sie  hat  nicht 
blofs  für  die  Gegenwart  Wohlstand  und  Zufriedenheit  verbreitet, 
sondern  es  ist  in  jenen  Kunstwerken  ein  unveräusserlicher  Schatz  für 
Athen  gewonnen  worden,  ein  Kapital,  von  dessen  Zinsen  die  Stadt  bis 
in  die  spätesten  Zeiten  gezehrt  hat,  so  dass  kein  Staatsmann  materielle 
Vortheile  von  dauerhafterer  Bedeutung  seiner  Stadt  verschallt  hat  als 
Perikles.  Er  dachte  aber  auch  an  den  zukünftigen  Ruhm  der  Stadt; 
er  wollte,  dass  Denkmäler  ihrer  Gröfse  vorhanden  wären,  welche  ihre 
Geschichte  überlebten,  und  dass  die  Akropolis  noch  in  späten  Jahr- 
hunderten Zeugniss  ablege  von  dem  Zeitalter  des  Perikles. 

An  den  Propyläen  ist  begonnen  worden ,  ehe  der  Parthenon  ganz 
fertig  war.  Denn  43%  (86,3),  also  im  vierten  Jahre  nach  der 
Weihe  der  Parthenos,  wurden  noch  Gelder  für  die  Giebelstatuen  an- 
gewiesen; vierzehn  Jahre  nach  dem  Beginn  des  Tempelbaues  ist  der- 
selbe vollendet  worden. 

Bei  den  Propyläen  war  Perikles  nicht  so  glücklich  wie  beim  Par- 
thenon. 2012  Talente  (gegen  9#  Mill.  Reichsmark)  sind  im  Ganzen 
dafür  ausgegeben  worden,  aber  der  Bauplan  des  Mnesikles  ist  niemals 
durchgeführt.  Zwei  Seitenflügel  von  gleicher  Breite  sollten  sich  an 
den  Mittelbau  anschließen  und  an  der  inneren  Seite  eine  Säulenhalle 
sich  von  einem  Burgrande  zum  andern  erstrecken.  Die  Ausführung 
stiefs  auf  den  Widerstand  der  Priesterschaften,  welche  von  dem  Terrain 
der  brauronischen  Artemis  und  der  Athena  Nike  nichts  hergeben 
wollten.  Perikles  musste  also  die  Ausführung  des  Ganzen  auf  bessere 
Zeiten  aufschieben;  der  Südflügel  wurde  eingezogen  und  der  innere 
Hallenbau  unterblieb.  Auch  der  verkümmerte  Bauplan  ist  nie  zur 
Vollendung  gelangt  Im  dritten  Baujahre  wurden  die  außerordent- 
lichen Ausgaben  für  Bauzwecke  auf  jährlich  10000  Drachmen  be- 
schränkt. Im  vierten  und  fünften  wurde  mit  steigender  Hast  gearbeitet, 
und  ehe  die  Glättung  des  Marmors  am  Fufsboden  und  an  den  Wänden 
ausgeführt  war,  brach  der  Krieg  aus,  welcher  die  Mittel  des  Staats 
vollständig  in  Anspruch  nahm175). 


Digitized  by  Google 


VIERTES  BUCH. 


DER  PELOPONNESISCHE  KRIEG. 


L 

DER  KRIEG  BIS  ZUM  TODE  DES  PERIKLES. 


In  dem  Segen  der  Friedensjahre,  welchen  die  Athener  Perikles  ver- 
dankten, lag  zugleich  der  Keim  eines  unvermeidlichen  Kriegs.  Die 
eidgenössischen  Gemeinden  konnten  die  Vernichtung  ihrer  Selbstän- 
digkeit nicht  verschmerzen;  den  Megareem  und  Böotiern  war  der 
Glanz  Athens  ein  Aergerniss ;  ebenso  den  Peloponnesiern  und  nament- 
lich den  Spartanern,  deren  Eifersucht  schon  durch  den  ersten  Auf- 
schwung Athens  nach  Vertreibung  der  Pisistratiden  so  heftig  gereizt 
worden  war.  Mit  welchen  Augen  mussten  sie  jetzt  erst  nach  Athen 
hinüberblicken!  Indessen  Uelsen  sie  es  bei  einem  unthätigen  Grollen 
bewenden,  und  so  bilter  sie  es  auch  empfanden,  immer  mehr  aus 
ihrer  hervorragenden  Stellung  herausgedrängt  zu  werden,  so  gingen 
doch  aus  dieser  Stimmung  keine  Entschlüsse  hervor.  Athen  aber  ver- 
mied es  auf  das  Sorgfältigste,  irgend  einen  Anlass  zu  Feindseligkeiten 
zu  geben,  und  seit  der  Zeit,  da  Perikles  die  Verwendung  der  Geld- 
mittel in  seiner  Hand  hatte,  soll  sogar  eine  jährliche  Summe  von 
zehn  Talenten  verwendet  worden  sein,  um  der  Kriegspartei  in  Sparta 
entgegen  zu  arbeiten.  So  unsicher  diese  Nachri  cht  erscheint,  so  ist 
es  doch  sehr  wahrscheinlich,  dass  Perikles,  nachdem  er  einmal  durch 
Bestechung  die  Vaterstadt  gerettet  hatte  (S.  179),  auch  bei  anderen 
Gelegenheiten  die  gröfste  Schwäche  des  Feindes,  die  Geldliebe  seiner 
Staatsmänner,  verwerthet  habe,  nicht  um  den  Frieden  zu  erkaufen, 
sondern  um  den  Anfang  des  Kriegs  in  der  Hand  zu  haben.  Zu  diesem 
Zwecke  musste  er  persönlichen  Einfluss  in  Sparta  haben,  wo  er 
die  Stimmungen  immer  hin  und  her  schwanken  sah.  Eine  feste, 


Digitized  by  Google 


360 


DIE  LAGE  VON  KOIUNTH. 


unabhängige  und  rastlose  Politik  hatten  unter  den  Feinden  Athens 
nur  die  Korinther;  denn  was  in  Sparta  Ehrensache  war,  das  war  für 
Korinth  eine  Lebensfrage 1). 

Korinth  war  eine  Handelsstadt,  welche  ohne  Flotte  und  Colonien 
nicht  bestehen  konnte.  Sie  musste  auf  jeden  Staat  eifersüchtig 
sein,  der  ihr  das  Meer  streitig  machte  und  ihre  Seeverbindungen  ge- 
fährdete. Um  Aigina  zu  demüthigen,  hatten  die  Korinther  einst  Athen 
unterstützt  (S.  31);  um  so  gröfser  war  ihr  Aerger,  als  sie  die  gering 
geschätzten  Anfange  der  attischen  Flotte  in  wenig  Jahren  so  gewaltig 
anwachsen  sahen,  dass  sie  vollständig  überflügelt  wurden.  Umsonst 
hatten  sie  in  den  Perserkriegen  den  Siegeslauf  Athens  zu  hemmen 
gesucht  (S.  75);  umsonst  gegen  den  Mauerbau  Protest  eingelegt 
(S.  105);  ihre  Lage  verschlimmerte  sich  immer  mehr.  Denn  seit  der 
Gründung  der  attischen  Bundesgenossenschaft  sahen  sie  sich  nicht  nur 
von  allen  Früchten  hellenischer  Seesiege  ausgeschlossen,  sondern  ihre 
eigenen  Colonien,  namentlich  Potidaia,  gingen  an  Athen  verloren; 
ihr  Einfluss  im  Archipelagus  war  vernichtet,  ihr  asiatischer  Handel 
gänzlich  zerstört  Als  nun  vollends  Megara  und  Acbaja  den  Athenern 
ihre  Häfen  öffneten  und  Naupaktos  durch  die  Messenier  ein  attischer 
Wallenplatz  wurde  (S.  173),  da  waren  sie  in  ihren  eigensten  Ge- 
wässern nicht  mehr  die  Herren.  Auch  waren  die  Messenier  durchaus 
nicht  Willens,  sich  ruhig  zu  verhalten;  sie  machten  ihre  neue  Stadt 
zu  einem  Kriegshafen  und  unternahmen  gleich  nach  ihrer  Ansiede- 
lung einen  Eroberungszug  nach  Westen,  nach  der  Achelooslandschaft, 
welche  durch  ihre  Fruchtbarkeit  ausgezeichnet  war,  und  wo  sie 
der  korinthischen  Macht  am  meisten  Abbruch  thun  konnten  (f,  255). 
Es  war  gewiss  im  Einverständniss  mit  Athen,  wenn  sie  zum  Ziele 
ihrer  Unternehmungen  Oiniadai  wählten,  eine  durch  Mauern  und 
Sümpfe  feste  Stadt  im  unteren  Acheloosthale ,  welche  sich  von  jeher 
den  Korinthern  treu  und  den  Athenern  feindlich  gezeigt  hatte.  Sie 
eroberten  die  Stadt  und  hielten  sich  ein  Jahr^  lang  in  derselben ,  bis 
sie  durch  ein  Heer  der  umwohnenden  Stämme  Akarnaniens  gezwungen 
wurden ,  den  Platz  wiederum  zu  räumen.  Gleich  darauf  erschien  eine 
attische  Flotte  unter  Perikles  an  der  Acheloosmündung  (S.  173);  sein 
Versuch,  Oiniadai  zu  nehmen,  misslang  freilich,  aber  die  Korinther 
sahen  sich  fortwährend  in  ihren  unentbehrlichsten)  Golonialgebieten 
bedroht;  sie  befanden  sich  in  einem  förmlichen  Belagerungszu- 
stande*). 


Digitized  by  Google 


DIE  POLITIK   VO.N  K0IU3TU 


3(51 


Durch  den  dreißigjährigen  Frieden  erhielten  sie  endlich  freiere 
Bewegung;  sie  athmeten  nieder  auf.  Aber  sie  wussten  sehr  gut,  dass 
Athen  die  erste  Gelegenheit  benutzen  würde,  im  westlichen  Meere  von 
Neuem  Macht  zu  gewinnen.  Dazu  kam,  dass  die  achäischen  Städte 
unzuverlässig  waren;  auch  Akarnanien  war  missgünstig  gegen  Korinth, 
das  seine  Küsten  zu  beherrschen  suchte,  und  neigte  sich  den  Athenern 
zu;  die  Insel  Zakynthos  hatte  sich  dem  peloponnesiscben  Bunde  von 
jeher  feindlich  erwiesen;  Naupaktos  aber  lag  einem  Wachtposten  gleich 
am  Eingange  des  korinthischen  Golfs,  und  man  wusste,  was  man  von 
den  Messeniern  zu  erwarten  habe,  die  zu  Lande  wie  zu  Wasser  gleich 
unternehmungslustig  waren,  die  Todfeinde  Spartas  und  seiner  Bundes- 
genossen, den  Athenern  rückhaltlos  ergeben.  Es  kam  also,  wie  man 
in  Korinth  wohl  erkannte,  Alles  darauf  an,  die  Küstenstädte  und 
Inseln,  welche  dem  peloponnesischen  Interesse  treu  geblieben  waren, 
an  sich  zu  ziehen  und  den  Zusammenhang  mit  den  Colonien  wiederum 
herzustellen.  Kurz,  Korinth  war  der  einzige  Staat,  welcher  mit 
wachsamem  Auge  allen  Bewegungen  Athens  folgte,  und  im  Stillen 
unausgesetzt  thätig  war,  mit  Delphi  und  Theben  so  wie  mit  den 
argivisehen  Seestädten  in  Einverständniss  zu  bleiben.  Es  schloss 
Megara,  das  15  Jahre  entfremdet  gewesen  war,  so  eng  wie  möglich 
an  sich  an,  pflegte  seine  Verbindungen  mit  Elis  und  den  ionischen 
Inseln  und  suchte  sich  für  alle  Fälle  an  Sparta  und  dem  pelopon- 
nesischen Bunde  einen  Rückhalt  zu  sichern.  Es  konnte  keine  an- 
dere Absicht  haben,  als  durch  Vereinigung  der  vereinzelten  Kräfte  eine 
Seemacht  zu  gründen,  welche  wenigstens  in  den  westlichen  Meeren 
der  attischen  Macht  entgegen  zu  treten  vermochte;  es  musste  darauf 
ausgehen,  hier  eine  Hegemonie  zu  gewinnen  und  von  den  Beziehungen 
zu  seinen  westlichen  Colonien  und  Bundesgenossen  alle  fremden  Ein- 
mischungen fern  zu  halten.  Darum  hatten  die  Korinther  auch  im  sami- 
schen  Kriege  (S.  240)  gegen  die  Einmischung  der  Peloponnesier  ge- 
stimmt, weil  sie  den  Grundsatz  der  Nicht-Einmischung,  welchen  die 
Athener  für  sich  geltend  machten,  auch  für  ihre  Seepolitik  anerkannt 
sehen  wollten. 

Bei  Durchführung  dieser  Politik  fehlte  es  ihnen  nicht  an  wichtigen 
Stützpunkten.  Dazu  gehörte  vor  Allem  die  volkreiche  und  kriegerische 
Stadt  der  Ambrakioten,  welche  treu  zu  Korinth  hielt  und  mit  der  Insel 
Leukas  (Santa  Maura)  und  Anaktorion  zusammen  den  ambrakischen 
Golf  (Mb.  von  Arta)  beherrschte.  Auch  im  akarnanischen  Lande  war 


Digitized  by  Google 


362 


KORINTH  UM»  KERKYRA. 


aufser  Anaktorion  Oiniadai  treu  gesinnt,  und  von  den  anderen  Völkern 
des  Festlandes  die  Aetoler  und  Epiroten.  Kein  Staat  aber  stand  der 
Politik  der  Koriniher  hemmender  im  Wege,  als  Kerkyra,  welches  in 
den  Kämpfen  mit  Epiroten  und  Illyriem  frühzeitig  eine  grofse  Selb- 
ständigkeit gewonnen  hatte,  so  dass  es  seit  Menschengedenken  immer 
mit.  Trotz  den  Korinthern  gegenüber  gestanden  hatte.  Es  hatte  sich 
zuerst  unter  den  Bacchiaden  und  dann  nach  der  Blüthezeit  Periandcrs 
zum  zweiten  Male  von  Korinth  losgerissen;  es  hatte  sich  allen  Pietäts- 
pflichten  einer  Tochterstadt  längst  entzogen  und  war  mit  einer  Flotte 
von  120  Trieren  jeden  Augenblick  bereit,  seine  volle  Selbständigkeit 
zu  vertreten. 

Die  Kerkyräer  waren  in  der  griechischen  Welt  wenig  beliebt.  Sie 
waren  in  Folge  ihres  rasch  erworbenen  Glücks  übermüthig  und  geld- 
stolz; sie  waren  hart  und  ungastlich,  wenn  fremde  Schiffe  bei  ihnen 
Zuflucht  suchten ;  sie  liefsen  sich  selbst  wenig  in  fremden  Häfen  sehen. 
Mit  egoistischer  Handelspolitik  hüteten  sie  argwöhnisch  das  Seegebiet, 
in  dessen  Mittelpunkte  sie  wohnten ,  kümmerten  sich  nicht  um  natio- 
nale Interessen  und  hielten  eine  bewaffnete  Neutralität  für  die  vortbeil- 
hafteste  Stellung,  um  die  Gunst  ihrer  Lage  zwischen  den  griechischen, 
illyrischen  und  sicilischen  Küsten  ausbeuten  zu  können.  So  wie  nun 
also  Korinth  mit  der  Absicht,  seine  See-  und  Colonialherrschaft  zu 
heben,  deutlicher  hervortrat,  war  eine  Erneuerung  der  alten  Fehde 
unvermeidlich.  Dazu  kam,  dass  mehrere  Küstenslädte  einst  von  beiden 
Staaten  gemeinschaftlich  gegründet  worden  waren  und  die  gemischten 
Bevölkerungen  schon  zu  mancherlei  Reibungen  geführt  hatten.  So  war 
es  namentlich  über  die  Metropolitanrechte  in  Leukas  zu  einem  Streite 
gekommen,  welchen  Themistokles  als  erwählter  Schiedsrichter  zu 
Gunsten  Kerkyras  geschlichtet  hatte.  Ernstere  Verwickelungen  konnten 
nicht  ausbleiben;  sie  kamen  schneller,  als  man  erwartete8). 

Fünfzehn  Meilen  nördlich  vom  akrokeraunischen  Vorgebirge,  das 
die  Gränze  des  ionischen  und  adriatischen  Meeres  bildet,  lag  auf  einer 
vorspringenden  Landzunge  die  Stadt  Epidamnos  (das  spätere  Dyr- 
rhachium,  jetzt  Durazzo),  von  Kerkyra  gegründet  um  die  Zeit,  als 
Periander  zur  Herrschaft  kam  (I,  265).  Sie  war  durch  den  illyrischen 
Handel  grofs  und  reich  geworden,  voll  von  Sklaven  und  gewerbtrei- 
benden  Fremden.  Trotzdem  hatten  sich  die  Geschlechter  im  Regiment 
erhalten  und  bildeten  einen  strenge  abgeschlossenen  Herrenstand,  aus 
dessen  Mitte  ein  Staatsoberhaupt  erwählt  wurde,  welches  mit  fast 


Digitized  by  Google 


AUFSTAND   IN  EPIDAMNOS. 


363 


königlicher  Gewalt  die  Verwaltung  beherrschte.  Dieser  städtische  Erb- 
adel betrieb  selbst  den  Land-  und  Seehandel,  und  zwar  in  Form  einer 
Handelsgesellschaft,  welche  mit  einem  gemeinsamen  Capital  und  auf 
gemeinschaftliche  Rechnung  arbeitete  (I,  261).  Der  Großhandel  war 
also  ein  Monopol  der  Geschlechter,  die  Gewerbe  wurden  durch  öffent- 
liche Sklaven  besorgt;  die  Bürger  waren  auf  Ackerbau,  Küstenschiff- 
fahrt  und  Kleinhandel  beschränkt,  um  auf  diese  Weise  um  so  leichter 
in  politischer  Abhängigkeit  erhalten  zu  werden.  Diese  Verhältnisse 
blieben  lange  Zeit  unverändert  und  sind  wohl  nicht  eher  erschüttert 
worden,  als  bis  die  äulsere  Lage  der  Stadt  durch  Anfeindungen  der 
Illyrier  gefährdet  wurde  und  deshalb  die  ganze  Gemeinde  zu  ange- 
strengteren Diensten  aufgeboten  werden  musste. 

Die  erste  Neuerung  war  die  Einsetzung  eines  grösseren  Raths, 
wodurch  die  ausschliesslichen  Regierungsrechte  des  Herrenstandes  auf- 
gehoben wurden.  Indessen  konnten  vereinzelte  Zugestandnisse  keinen 
Frieden  schaffen ;  die  Stadt  litt  unter  einer  unhaltbaren  Mischung  aristo- 
kratischer und  demokratischer  Einrichtungen ,  und  endlich  brach  ein 
Aufstand  aus,  in  Folge  dessen  die  Adelsgeschlechter  aus  Epidamnos 
vertrieben  wurden.  Sie  schlössen  sich  den  Illyriern  an,  um  mit  ihrer 
Hülfe  die  Vaterstadt  wieder  zu  erobern,  und  die  neu  eingerichtete 
Börgergemeinde  gerieth  in  grofse  Bedrangniss.  Sie  suchte  also  auch 
auswärtige  Hülfe  und  wendete  sich  zunächst  nach  Kerkyra.  Hier  fand 
sie  aber  die  Stimmung  sehr  ungünstig.  Denn  Kerkyra  selbst  litt,  wie 
die  meisten  griechischen  Staaten  zu  dieser  Zeit,  an  Uebervölkerung  und 
politischer  Gährung;  die  regierenden  Familien,  welche  eifrig  bestrebt 
waren,  den  wachsenden  Ansprüchen  der  Gemeinde  entgegenzutreten, 
missbilligten  die  Revolution  in  Epidamnos  und  die  Gesandten  gingen 
auf  Gebeifs  des  delphischen  Gottes  nach  Korinlh4). 

Hier  war  man  sofort  entschlossen,  die  Gelegenheit  zu  ergreifen; 
denn  die  Verhältnisse  konnten  nicht  günstiger  liegen,  um  die  Hegemonie 
Korinths  im  ionischen  Meere  wieder  aufzurichten.  Unter  Autorität  von 
Delphi  konnte  man  eine  hellenische  Bürgergemeinde,  die  von  ihrer 
Mutterstadt  verlassen  war,  gegen  die  Barbaren  und  die  mit  ihnen  ver- 
bündeten Parteigänger  in  Schutz  nehmen;  zugleich  hoffte  man  in 
Epidamnos  einen  festen  Punkt  von  gröfster  Wichtigkeit  zu  gewinnen, 
und  sagte  darum  auch  nur  unter  der  Bedingung  Hülfe  zu,  dass  korin- 
thische Ansiedler  und  korinthische  Besatzung  bei  den  Epidamniern 
Aufnahme  fanden.  Dann  schickte  man  sofort  auf  dem  Landwege  ein 


Digitized  by  Google 


364 


FEHDE  DER  KERKYRÄER  UND  KORINTH  Efl. 


Heer  über  Apollonia  nach  Epidamnos,  um  die  Burgergemeinde  zu 
starken  und  der  bedrängten  Stadt  aufzuhelfen. 

Dieser  Schritt  war  die  Losung  zum  Kriege;  denn  die  Kerkyräer 
waren  nicht  gesonnen,  ihre  Pflanzstadt  in  feindliche  Hände  übergehen 
zu  lassen.  Sie  legten  sich  mit  40  Schiffen  vor  Epidamnos  und  drohten 
mit  allen  Gewaltmitteln,  wenn  die  neuen  Ansiedler  nicht  unverzüg- 
lich entlassen  würden.  Aber  die  Stadt  verliefs  sich  auf  Korinth,  wel- 
ches 30  Kriegsschiffe  bemannte  und  gleichzeitig  einen  Aufruf  erliefs, 
sich  an  einer  gröfseren  Niederlassung  in  Epidamnos  in  Person  oder  mit 
Geld  zu  betheiligen;  es  bot  alle  seine  Bundesgenossen  auf  und  ver- 
schaffte sich  Geldvorschüsse  von  Theben  und  Phlius,  so  dass  die 
Kerkyräer,  von  dieser  Thatkraft  überrascht,  ernstliche  Ausgleichungs- 
versuche machten.  Denn  sie  waren  ihrerseits  durchaus  abgeneigt, 
fremde  Verbindungen  zu  suchen,  und  gingen  so  weit,  Delphi  die  Ent^ 
Scheidung  des  Streits  anheimgeben  zu  wollen.  Im  Weigerungsfalle 
gaben  sie  den  Korinthern  zu  verstehen,  dass  sie  Schritte  thun  würden, 
mit  denen  beiden  Staaten  nicht  gedient  sein  könne. 

Korinth  war  aber  nicht  mehr  einzuschüchtern  noch  aufzuhalten. 
Es  erklärte  den  Krieg  und  liefe  eine  Flotte  von  75  Schiffen  an  der  Küste 
hinauf  nach  Epidamnos  fahren.  Die  Mündung  des  ambrakischen  Meers 
betrachteten  die  Kerkyräer  als  die  Gränze  ihres  Territoriums;  hier 
forderten  sie  also  noch  einmal  Rückkehr  der  Flotte,  gingen  dann,  als 
ihre  Vorstellungen  erfolglos  blieben,  sofort  mit  allen  Schiffen,  die  sie  zu 
Hause  hatten,  in  See  und  besiegten  die  Korinther  vollständig.  An  dem- 
selben Tage  ergab  sich  Epidamnos,  und  nun  beherrschten  die  Kerky- 
räer das  ganze  ionische  Meer,  so  dass  bis  Eh's  hinunter  die  Küsten  der 
feindlichen  Bundesgenossen  geplündert  wurden.  Das  geschah  Ol.  S6, 
2  (Herbst  435  oder  Frühjahr  434). 

So  war  aus  dem  Bürgerzwiste  in  den  Ringmauern  eines  illyrischen 
Küstenorts  ein  hellenischer  Krieg  entbrannt,  welcher  nicht  mehr  auf 
ein  bestimmtes  Gebiet  begränzt  werden  konnte.  Denn  keiner  der 
kriegführenden  Staaten  war  gesonnen  nachzugeben,  und  keiner  von 
ihnen  konnte  darauf  rechnen,  mit  seinen  Mitteln  als  Sieger  aus  dem 
Kriege  hervorzugehen.  Zwei  ganze  Jahre  gingen  hin  mit  Werbungen, 
Rüstungen  und  auswärtigen  Verhandlungen:  denn  die  Kerkyräer  säum- 
ten nicht  ihre  Drohung  wahr  zu  machen,  und  auch  die  Korinther 
mussten  nun  zu  ihren  ärgsten  Feinden  Gesandte  schicken ,  um  eine 
Vereinigung  derselben  mit  Kerkyra  zu  verhindern.    So  gelangte  die 


Digitized  by  Google 


GESANDTSCHAFTEN  IN  ATHEN 


365 


Sache  der  beiden  kriegführenden  Parteien  vor  die  Bürgerschaft  von 
Athen. 

Die  Gesandten  Kerkyras  sprachen  sehr  offen.  Sie  wären  ihren 
Grundsätzen  zu  Folge  am  liebsten  allen  Verbindungen  fern  geblieben, 
and  nur  die  Noth  habe  sie  in  die  attische  Burgerversammlung  geführt. 
Wie  aber  die  Dinge  jetzt  lägen ,  so  lasse  sich  für  Athen  gar  keine  gün- 
stigere Lage  denken.  Den  Athenern  nämlich  müsse  es  ohne  Zweifel 
am  liebsten  sein ,  wenn  keine  Flotte  aufser  der  attischen  vorhanden 
wäre.  Nun  sei  aber  die  zweite  Seemacht  von  Hellas  bereit,  sich  frei- 
willig anzuschliefsen ,  also  die  größte  Machterweiterung  sei  ohne 
jegliche  Gefahr  zu  erreichen.  Eine  Stärkung  der  Macht  müsse  aber 
jetzt  doppelt  willkommen  sein;  denn  alle  Welt  wisse,  dass  der  allge- 
meine Krieg  schon  so  gut  wie  ausgebrochen  sei.  Frage  man  aber 
nach  dem  Rechte,  so  könne  von  einer  Verletzung  desselben  keine  Rede 
sein,  wenn  Athen  die  Kerkyräer  unterstützte.  Denn  ihr  Pietatsverbält- 
niss  zu  der  Mutterstadt  sei  durch  blutige  Fehden  längst  aufgelöst; 
auch  das  heiligste  Anrecht  werde  durch  Missbrauch  verwirkt  Kerkyra 
sei  vollkommen  frei  und  könne  sich  anschließen,  wem  es  wolle. 

Während  so  die  Kerkyräer  ihrer  eigenen  Politik  gemäfs  den 
Gesichtspunkt  des  Vortheils  unumwunden  in  den  Vordergrund  stellten, 
verweilten  die  Korinther  um  so  lieber  bei  dem  des  Colonialrechts.  Die 
treue  Gesinnung  ihrer  übrigen  Golonien  bezeuge,  dass  es  nicht  die 
Schuld  der  Mutterstadt  sei,  wenn  das  Verhältniss  zu  Kerkyra  von  jeher 
ein  schlechtes  gewesen  sei.  Der  unfriedliche  Geist  der  Kerkyräer  sei 
aller  Welt  bekannt,  und  ihre  in  letzter  Stunde  gemachten  Vermitt- 
lungsvorschläge seien  nicht  annehmbar  gewesen,  da  sie  inzwischen  im 
Besitze  aller  Vortheile  geblieben  wären.  Diese  Erwägungen  hatten 
für  Athen  wenig  Bedeutung;  auch  die  Ansprüche  auf  Dankbarkeit  von 
Seiten  Korinths  konnten  keinen  Eindruck  machen.  Wichtiger  war  die 
Berufung  auf  die  bestehenden  Verträge.  Die  Gesandten  wiesen  darauf 
hin ,  dass  Korinth  als  Mitglied  der  peloponnesischen  Eidgenossenschaft 
auch  mit  Athen  im  Bundes  verhältniss  stehe;  die  höchste  Spannung 
der  Bundesverhältnisse  sei  freilich  vorhanden,  aber  noch  könne  das 
Schlimmste  vermieden  und  unabsebliches  Leid  von  Hellas  abgewendet 
werden.  Auch  möge  man  bedenken,  dass  auf  die  Dauer  nützlich  nur 
das  Gerechte  sei. 

So  warben  die  beiden  Seemächte  zweiten  Ranges  um  die  Gunst 
der  ersten ;  die  eine  verlangte  Bündniss,  die  andere  nur  Neutralität  Bei 


Digitized  by  Google 


366 


ATHENS  BUND  MIT  KEHKYRA. 


einer  nur  auf  den  Vorlheil  bedachten  Politik  konnte  die  Wahl  nicht 
zweifelhaft  sein.  Wenn  dennoch  die  Entscheidung  schwankte,  ja  die 
erste  Volksversammlung  den  Korinthern  gunstig  war,  so  erkennt  man 
daraus,  wie  sehr  man  in  Athen  Bedenken  trug,  den  entscheidenden 
Schritt  zu  thun ,  mit  dem  die  Verträge  zerrissen  waren  und  der  Frie- 
denszustand zu  Ende  ging.  Gewiss  hätte  man  am  liebsten  Korinth  und 
Kerkyra  ihre  Sache  unter  sich  ausfechten  lassen ,  wenn  man  darauf 
hätte  rechnen  können,  dass  beide  Theile  dabei  ihre  Kräfte  und  Geld- 
mittel erschöpfen  würden.  Korinth  schien  aber  durch  seine  Verbindun- 
gen und  seine  Rüstungen  augenblicklich  im  Vortheile  zu  sein,  und  der 
Gedanke  war  den  Athenern  unerträglich ,  dass  möglicher  Weise  durch 
Vernichtung  der  Selbständigkeit  Kerkyras  eine  peloponnesische  See- 
macht erwachsen  könnte,  welche  im  Stande  wäre,  ihnen  die  Spitze  zu 
bieten  und  ihre  Machterweiterung  nach  Westen  zu  hemmen.  Diese 
Erwägung  war  entscheidend,  und  in  der  zweiten  Versammlung  beschloss 
die  Bürgerschaft,  zwar  nicht  die  Kerkyräer,  wie  von  diesen  beantragt 
war,  förmlich  in  die  attische  Bundesgenossenschaft  aufzunehmen  und 
mit  ihnen  gemeinschaftliche  Sache  gegen  Korinth  zu  machen;  aber 
es  wurde  doch  ein  Bündniss  zu  gegenseitigem  Schutze  mit  ihnen 
geschlossen,  so  dass  beide  Staaten  sich  verpflichteten,  jeden  Angriff, 
welcher  auf  sie  oder  ihre  Bundesgenossen  erfolgen  sollte,  mit  ver- 
einigter Macht  abzuwehren.  So  glaubte  man  sich  in  dem  aus- 
gebrochenen Kriege  möglichst  vortheilhaft  gestellt  zu  haben,  ohne  sich 
eines  Friedensbruchs  schuldig  zu  machen.  Denn  wie  vorsichtig  man 
in  dieser  Beziehung  zu  Werke  ging,  erhellt  auch  daraus,  dass  man  nach 
Abreise  der  Gesandten  nur  zehn  Schiffe  in  das  ionische  Meer  schickte; 
auch  war  es  wohl  nicht  ohne  Absicht,  dass  man  an  die  Spitze  dieses 
Geschwaders  Lakedaimonios,  den  Sohn  Kimons  (S.  145),  stellte,  von 
dem  man  erwarten  konnte,  dass  er  zu  vorschnellen  Schritten  gegen  die 
Peloponnesier  am  wenigsten  geneigt  sein  werde*). 

Indessen  war  ein  Bündniss  geschlossen,  durch  welches  die 
griechischen  Staatenverhältnisse  wesentlich  verändert  wurden,  und 
die  Korinther  rüsteten  nun  um  so  eifriger,  um  der  vergröfserten 
Gefahr  gewachsen  zu  sein.  Sie  hatten  endlich  eine  stattliche  Kriegs- 
flotte von  150  Trieren  beisammen,  mit  der  sie  im  Frühjahre  432 
(Ol.  86,  4)  siegesmuthig  ausliefen,  um  den  Feind  in  seinem  Meere 
aufzusuchen. 

Diesmal  fuhren  sie,  ohne  Widerstand  zu  finden,  vor  der  Mündung 


Digitized  by  Google 


SEESCHLACHT   HEI   SYBOTA    (86,  4;  432). 


367 


des  ambrakischen  Meerbusens  vorüber,  an  der  Küste  von  Epeiros 
entlang,  und  schlugen  vor  dem  Eingange  des  Sundes  von  Kerkyra 
bei  dem  Vorgebirge  Cheimerion,  wo  die  Landbevölkerung  ihnen  Zuzug 
und  mancherlei  Vorschub  leistete,  ein  Lager  auf,  in  dessen  Schutze 
die  Schiffe  lagen.  Die  Kerkyräer  hielten  mit  110  Trieren  bei  den 
Felsinseln  Sybota,  welche  dem  südlichen  Ende  ihrer  Insel  gegenüber 
vor  der  Küste  des  Festlandes  gelegen  sind.  In  diesem  Sunde  kam 
es  zur  Schlacht,  der  gröfsten  Schlacht,  welche  bis  dahin  zwischen 
griechischen  Schiffen  geliefert  worden  war.  Die  Korinther  hatten 
die  kleineren  Contingente  ihrer  Bundesgenossen  in's  Mitteltreffen,  die 
Megareer  und  Ambrakioten  auf  den  rechten  Flügel  gestellt;  sie  selbst 
bildeten  mit  ihren  90  wohlgeübten  Trieren  den  linken,  wo  ihnen 
die  Kerkyräer  selbst  und  aufser  diesen  die  attischen  Schiffe  gegen- 
über standen,  welche  strengen  Befehl  hatten,  sich  beobachtend  zu 
verhalten  und  nur  eine  unmittelbare  Gefahrdung  der  Insel  kräftig 
abzuwenden.  In  dieser  Absicht  blieben  sie  den  Kerkyräern  zur  Seite, 
als  Zuschauer  des  Kampfes,  der  ihnen  ein  unerwartetes  Schauspiel 
darbot.  Denn  die  Westgriechen  hatten  noch  ganz  die  alte,  kunst- 
lose Art  des  Seegefechts  und  verstanden  nichts  von  den  schnellen 
Bewegungen  der  Trieren,  wodurch  es  möglich  war,  ohne  Blutver- 
giefsen  die  feindlichen  Schiffe  zu  entwaffnen  und  lahm  zu  legen. 
Schiff  drängte  sich  an  Schiff;  von  Verdeck  zu  Verdeck  fochten,  wie 
in  einer  Landschlacht,  die  Hopliten,  Bogenschützen  und  Wurfspiefs- 
träger  gegen  einander,  und  die  Schiffe  konnten  im  wüsten  Gedränge 
gar  nicht  wieder  von  einander  los  kommen. 

Endlich  wurde  der  rechte  Flügel  der  Korinther  in  Masse  zum 
Weichen  gebracht  und  nun  von  den  Kerkyräern  unbesonnener  Weise 
bis  Cheimerion  verfolgt,  so  dass  die  siegreichen  Schiffe,  deren  Mann- 
schaften nur  die  Plünderung  des  Lagers  im  Auge  hatten,  sich  ganz 
vom  Schlachtfelde  entfernten.  Hier  aber  wurden  sie  um  so  mehr 
vermisst,  weil  der  linke  Flügel  der  Korinther  inzwischen  entschei- 
dende Vortheile  gewonnen  hatte  und  diese  so  energisch  verfolgte, 
dass  es  den  attischen  Schiffen  unmöglich  wurde,  unparteiisch  zu 
bleiben.  Sie  wurden  handgemein  mit  den  Korinthern  und  zogen  sich 
dann  mit  den  Kerkyräern  vor  der  Ue hermacht  an  die  Küste  der 
Insel  zurück.  Die  Koriniher,  welche  sich  vollkommen  siegreich 
wähnten,  kreuzten  im  Sunde,  suchten  in  blinder  Wuth  so  viel  wie 
möglich  an  Schiflsvolk  zu  tödten,  wobei  sie  sich  im  Getümmel  auch 


Digitized  by  Google 


308 


SEESCHLACHT  HEI    SYBOTA    {%&,  4;  432). 


an  eigenen  Schiffen  vergriffen,  und  fuhren  dann  an  die  Küste  des 
Festlandes  zurück,  wohin  das  Landheer  der  Epiroten  nachgerückt 
war,  die  schon  auf  den  Fall  der  stolzen  Kerkyra  lauerten.  Dann 
gingen  die  Korinther,  nachdem  sie  ihre  Todten  und  ihre  Schiffstrümmer 
in  Sicherheit  gebracht  hatten,  von  Neuem  vor,  entschlossen  wo 
möglich  noch  vor  des  Tages  Ende  die  volle  Entscheidung  herbei- 
zuführen. Zum  zweiten  Male  fuhren  die  Flotten  mit  allen  noch 
kampffähigen  Schiffen  gegen  einander;  das  Schlachtgeschrei  ertönte 
wiederum  auf  beiden  Seiten  —  da  wichen  plötzlich  die  Korinther 
zurück  und  gaben  den  Kampf  auf.  Der  Grund  war,  dass  in  diesem 
Augenblick  ein  Geschwader  sichtbar  wurde,  in  welchem  sie  attische 
Trieren  erkannten.  Man  hatte  nämlich  bei  der  Nachricht  vom  Aus- 
zuge der  Korinther  20  Schiffe  unter  Glaukon  und  Drakontides  nach- 
geschickt, da  man  die  Unzulänglichkeit  der  ersten  Sendung  schon 
dem  Perikles  zum  Vorwurfe  gemacht  hatte.  Ihr  Anblick  genügte, 
um  den  Korinthern  allen  Muth  zu  nehmen.  Im  Augenblick  der 
höchsten  Gefahr  war  die  Flotte  der  Kerkyräer  gerettet,  und  am 
nächsten  Morgen  zogen  diese  mit  nunmehr  dreifsig  attischen  Trieren 
gegen  Sybota  vor,  um  eine  neue  Schlacht  anzubieten.  Die  Korinther 
aber  wichen  jedem  Kampfe  aus  und  zogen,  da  die  Athener  sich  ent- 
schieden weigerten  einen  Angriff  auf  sie  zu  machen,  unangefochten 
nach  Hause.  Die  blutige  Schlacht  war  also  an  sich  ohne  alle  Ent- 
scheidung, und  beide  Parteien  glaubten  sich  berechtigt,  Siegeszeichen 
aufzurichten;  aber  dennoch  hat  dieser  Kampf  die  weitgreifendsten 
Folgen  gehabt.  Denn  im  Sunde  von  Kerkyra  haben  attische  und 
peloponnesische  Schiffe  zuerst  mit  einander  gekämpft;  thatsächlich 
ist  der  Friede  gebrochen  und  die  Wuth  der  Leidenschaften  entfesselt. 
Die  Korinther  konnten  es  den  Athenern  nie  vergessen,  dass  sie  ihnen 
den  schwer  errungenen  Sieg  aus  den  Händen  entwunden  haben,  und 
einem  offenen  Feinde  gegenüber  müssen  nun  auch  die  Athener  ent- 
schlossener und  rücksichtsloser  auftreten9). 


Nun  erfolgten  neue  Verwickelungen  an  der  entgegengesetzten  Seite 
des  hellenischen  Festlandes,  in  Thrakien,  wo  der  Küste  Makedoniens  und 
Thessaliens  gegenüber  die  lange  Halbinsel  Pallene  in's  Meer  ausläuft 

Auf  der  schmalen  Landenge,  welche  Pallene  mit  dem  thrakischen 
Continente  verbindet,  lag  Potidaia,  von  zwei  Meeren  bespült,  wie  seine 


Digitized  by  Google 


ABFALL  VON  PÜTIHAlA  (87,1;  432). 


369 


Mutterstadt  Korinlh;  eine  tapfere  Börgergemeinde,  welche  gleich  nach 
der  salaminischen  Schlacht  von  den  Persern  abgefallen  war,  die  Be- 
lagerung von  Ärtabazos  mit  Hülfe  der  Meerfluth  standhaft  abgewehrt 
und  dann  mit  den  Korinthern  bei  Plataiai  gekämpft  hatte.  Sie  war  in 
die  attische  Bundesgenossenschaft  eingetreten,  aber  ohne  ihr  Verhältniss 
zu  Korinth  aufzulösen ;  denn  sie  erhielt  jährlich  von  dort  einen  Ober- 
beamten (Epidemiurgos) ,  welcher  Ehren  halber  an  der  Spitze  der 
Gemeinde  stand. 

Nach  dem  Tage  von  Sybota  war  eine  solche  Doppelstellung  nicht 
mehr  aufrecht  zu  erhalten,  um  so  weniger,  da  der  makedonische  König 
Perdikkas  den  Athenern  feindlich  war  und  Korinth  anreizte  den  attischen 
Interessen  entgegenzuarbeiten.  An  der  empfindlichsten  Stelle  des  atti- 
schen Machtgebiets  drohte  Potidaia  ein  Mittelpunkt  feindlicher  Bestre- 
bungen zu  werden;  also  durfte  man  nicht  zaudern.  Die  Flotte,  welche 
gegen  Perdikkas  die  Kästen  des  thrakischen  Meeres  zu  sichern  hatte, 
erhielt  sofort  den  Auftrag,  von  den  Potidäaten  Niederreifsung  ihrer 
Ringmauern,  Rücksendung  der  korinthischen  Beamten  und  Stellung 
von  Geiseln  zu  verlangen.  Die  erschrockenen  Potidäaten  schickten  ihre 
Boten  gleichzeitig  nach  Athen  und  nach  dem  Peloponnes;  dort  fanden 
sie  kein  Gehör,  hier  wurde  ihnen  sichere  Aussicht  auf  Unterstützung 
gewährt.  Die  Folge  war  ein  offener  Abfall,  zu  dem  sie  sich  um  so  muthi- 
ger  entschlossen,  da  die  umliegenden  Seestädte  der  Chalkidike  (I,  418) 
und  die  Bottiäer  am  thermäischen  Meerbusen  (Mb.  von  Thessalonich) 
zum  Anschlüsse  bereit  waren. 

Perdikkas  schürte  das  Feuer  und  veranlasste  die  Chalkidier  ihre 
kleinen  Küstenorte,  welche  einzeln  gegen  Athen  nicht  gehalten  werden 
konnten,  zu  verlassen,  um  weiter  hinauf  im  Binnenlande  bei  Olynthos, 
anderthalb  Meilen  oberhalb  Potidaia,  eine  Gesamtstadt  zu  gründen. 
Korinth  entwickelte  seinerseits  die  eifrigste  Thätigkeit,  und  schon  am 
vierzigsten  Tage  nach  Abfall  von  Potidaia  traf  Aristeus,  Adeimantos' 
Sohn,  ein,  um  die  Verteidigung  der  Stadt  zu  übernehmen,  die  ihm 
durch  persönliche  Beziehungen  besonders  am  Herzen  lag.  Eine  Menge 
Freiwilliger  hatte  sich  angeschlossen,  so  dass  er  ein  Heer  von  2000 
Mann  bei  sich  hatte.  Inzwischen  waren  auch  die  Athener  nicht  säumig. 
Sie  hatten  auf  die  Nachricht  vom  Abfalle  vierzig  Schiffe  unter  dem 
Feldherrn  Kahlas  mit  2000  Schwerbewaffneten  in  die  thrakischen  Ge- 
wässer nachgeschickt.  Die  Geschwader  vereinigten  sich  in  Makedonien. 
Für  ein  doppeltes  Kriegstheater  waren  aber  die  Streitkräfte  nicht  aus- 

Cnrtio»,  Gr.  Gcach.  II.  6.  Aufl.  24 


Digitized  by  Google 


370  KRIEG  IN  DER  CHALK1MKE  (87,  1;  4S2). 

reichend;  als  daher  Aristeus'  Ankunft  bekannt  wurde,  konnten  die 
Athener  nicht  anders  als  sich  mit  Perdikkas  verstandigen  und  Makedo- 
nien räumen,  um  gegen  Potidaia  freie  Hand  zu  haben.  Die  Jahreszeit 
trieb  zur  Eile,  und  nachdem  sie  einen  vergeblichen  Versuch  gemacht 
hatten,  Strepsa,  einen  wichtigen  Knotenpunkt  der  makedonisch-thra- 
kischen  Slrafsen,  durch  einen  Handstreich  zu  nehmen,  zogen  die 
Truppen  neben  der  Flotte  her  auf  dem  Küstenwege  gegen  Potidaia. 

Perdikkas  hatte  den  Vertrag,  durch  welchen  er  sich  die  Athener 
aus  dem  Lande  geschafft,  auf  der  Stelle  wieder  gebrochen,  und  um  sich 
dem  chalkidischen  Kriege,  dem  er  für  die  Entwickelung  der  thrakischen 
Verhältnisse  eine  entscheidende  Bedeutung  beimafs,  ganz  hingeben  zu 
können,  hatte  er  seinen  Vertrauten,  Iolaos,  als  Regenten  in  Makedonien 
eingesetzt  und  führte  selbst  die  Reiterei  der  aufständischen  Städte.  Das 
Fufsvolk  befehligte  Aristeus.  So  standen  die  Truppen  zum  Schutze  von 
Potidaia  vor  der  Stadt  auf  der  Landenge,  die  Athener  erwartend,  um 
ihnen  den  schmalen  Zugang  zur  pallenischen  Halbinsel  zu  wehren. 

Die  Athener  standen  zwischen  zwei  Feinden;  denn  sie  hatten 
Olyuthos  im  Rücken,  als  einen  zweiten  Waffenplatz,  der  durch  Signale 
mit  Potidaia  in  Verbindung  stand.  Dennoch  griffen  sie  an,  denn  die 
Gefahr  wuchs  mit  jeder  Stunde.  Der  Kampf  war  ungleich.  Die  Ko- 
rinther fochten  vorzüglich;  sie  trieben  ihre  Gegner  bis  hart  unter  die 
Mauern  von  Olyntbos.  Auf  dem  anderen  Flügel  aber  waren  die  Athener 
vollständig  siegreich;  die  ihnen  gegenüberstehenden  Potidäaten  und 
Peloponnesier  flohen  nach  den  Thoren  von  Potidaia,  und  so  kam  es» 
dass  Aristeus  sich,  als  er  von  der  Verfolgung  umkehrte,  von  beiden 
Städten  abgeschnitten  sah.  Er  war  rasch  entschlossen,  sich  nach  Poti- 
daia durchzuschlagen,  und  es  gelang  ihm  wirklich  in  heldenmüthigem 
Kampfe  auf  dem  schmalen  Meerdamme,  durch  die  überschlagenden 
Wellen  und  durch  die  Geschosse  der  Feinde  hindurch  das  Stadtthor 
glücklich  zu  erreichen.  Die  Olynthier  waren  bei  der  raschen  Entschei- 
dung des  Kampfes  gar  nicht  dazu  gekommen,  Antheil  an  demselben  zu 
nehmen.  Dennoch  hatten  die  Athener  150  Mann  verloren,  darunter 
ihren  Feldherrn  Kallias;  aber  unverzüglich  warfen  sie  einen  Wall  auf, 
um  Potidaia  gegen  den  Isthmos  und  Olynth  abzusperren,  und  als  neuer 
Zuzug  unter  Phormion  ankam,  zogen  sie  einen  zweiten  Querwall  gegen 
Pallene,  so  dass  nun,  da  die  Flotte  in  zwei  Abtheilungen  beide  Meer- 
seilen hütete,  die  Einschliefsung  vollständig  war.  Hülfe  war  nur  noch 
von  aufsen  zu  hoffen.  Aristeus  schlüpfte  also  durch  die  Wachtschiffe 


Digitized  by  Google 


KOTUNTH   LND  SPAKTA. 


hinaus,  um  durch  Streifzüge  den  Athenern  Abbruch  zu  thun  und  die 
Peloponnesier  durch  Botschaften  in  Bewegung  zu  setzen,  während  Phor- 
mion  mit  dem  bei  der  Belagerung  entbehrlichen  Theil  des  Heers  die 
kleineren  chalkidischen  und  bottiäischen  Plätze,  welche  abgefallen 
waren,  wieder  zu  gewinnen  suchte7). 


So  war  schon  der  zweite  Krieg  ausgebrochen,  in  dem  Pelopon- 
nesier und  Athener  zu  Land  und  Wasser  in  blutigen  Kämpfen  zu- 
sammen gestofsen  waren.  Aber  noch  immer  that  man,  als  wenn  Frieden 
in  Griechenland  herrsche  und  als  ob  die  attisch-korinthische  Fehde 
eine  Sonderangelegenheit  der  beiden  Staaten  sei,  bei  welcher  die  Ver- 
träge fortbestehen  könnten;  darum  hatten  die  Korinther  keine  wichti- 
gere Aufgabe,  als  diesem  Scheinfrieden  ein  Ende  zu  machen.  Sie 
hatten  in  zwei  Meeren  für  ihr  mutierstädtisches  Recht  heldenmüthig 
gestritten;  jedesmal  war  der  Erfolg  ihnen  wieder  entrissen  worden, 
weil  die  vereinzelten  Contingente  der  Bundesgenossen  nicht  Stand 
gehalten  hatten.  Sie  bedurften  also  der  schlagfertigen  Macht  Athens 
gegenüber  eines  kräftigeren  Rückhalts;  der  peloponnesische  Bund 
musste  aus  seiner  trägen  Ruhe  herausgerissen  und  in  die  Waffen  ge- 
rufen werden;  die  korinthische  Sache  musste  Bundessache  werden; 
nur  ein  allgemeiner  Krieg  konnte  Korinth  retten. 

Also  wurde  der  Winter  benutzt,  Sparta  zu  bearbeiten,  wo  in  Folge 
der  letzten  Ereignisse  grofse  Aufregung  herrschte,  und  das  Erste,  was 
Sparta  that,  die  erste  Malsregel,  mit  der  es  sich  aus  seiner  Schlaffheit 
ermannte  und  wieder  als  Hüter  des  nationalen  Rechts  und  als  Schieds- 
richter in  allgemein  hellenischen  Angelegenheilen  auftrat,  zugleich  aber 
auch  sein  erster  feindlicher  Akt  gegen  Athen  war  ein  öffentlicher  Erlass, 
in  welchem  es  Alle,  die  wider  Athen  zu  klagen  hätten,  aufforderte,  ihre 
Beschwerden  vorzubringen;  man  wolle  darüber  beschliefsen  und  die 
Beschlüsse  den  Verbündeten  zur  Annahme  vorlegen.  Die  Verhandlung 
vor  der  spartanischen  Bürgerschaft  erfolgte  im  November  oder  De- 
cember,  unmittelbar  nach  der  Einscbliefsung  von  Potidaia. 

Die  Hauptbeschwerdet'ührer  waren  die  Aegineten  und  dieMegareer. 
Jene  klagten  in  heimlichen  Botschaften  darüber,  dass  die  Athener 
ihnen  die  in  den  Verträgen  versprochene  Selbständigkeit  vorenthielten ; 
die  Megareer,  dass  die  Athener  gegen  sie  eine  Handelssperre  verhängt 
hätten,  welche  sie  von  allen  Häfen  und  Märkten  des  attischen  Herr- 

24* 


Digitized  by  Google 


372 


VERHANDLUNGEN  IN  SPARTA. 


schaftsgebietes  ausschlösse  und  den  Wohlstand  ihres  Landes  voll- 
ständig zu  Grunde  richtete.  Diese  Mafsregel  ist  wahrscheinlich  im 
Sommer  432  gleich  nach  der  Schlacht  bei  Sybota  von  den  Athenern 
ausgegangen,  und  zwar  auf  persönliche  Veranlassung  des  Perikles, 
welcher  nach  der  offenen  Parteinahme  Megaras  für  Korinth  eine 
Demüthigung  und  Züchtigung  des  kleinen  Staats  für  angemessen 
hielt,  Man  wollte  nicht,  dass  die,  welche  gegen  Athen  gefochten, 
ohne  von  ihm  gereizt  zu  sein,  Tag  für  Tag  auf  dem  Stadtmarkte 
von  Athen  verkehren  und  verdienen  sollten:  man  hoffte  wohl  auch, 
auf  diese  Weise  den  Sturz  der  Partei  herbeiführen  zu  können,  welche 
jetzt  die  Politik  von  Megara  leitete  und  den  attischen  Interessen  im 
höchsten  Grade  hinderlich  war.  Endlich  schien  es  eine  Pflicht  der 
Vorsicht  zu  sein,  allen  feindlichen  Umtrieben  und  verräterischen 
Verbindungen  hier  bei  Zeiten  vorzubeugen.  Von  einer  bestimmten 
Rechtsverletzung  konnte  aber  in  beiden  Fällen  keine  Rede  sein;  denn 
die  in  älteren  Vertragsurkunden  vorkommenden  Ausdrücke  über  Selb- 
ständigkeit der  hellenischen  Staaten  und  über  gegenseitige  Freiheit 
des  Verkehrs  waren  viel  zu  allgemeiner  Art,  als  dass  den  Athenern 
ein  Vertragsbruch  nachgewiesen  werden  konnte8). 

Darum  legten  auch  die  Korinther,  die  überall  das  Feuer  schürten 
und  sich  an  dem  Tage,  da  die  Beschwerden  in  der  Bürgerschaft  ver- 
handelt wurden,  die  letzte  Rede  vorbehalten  hatten,  auf  die  einzelnen 
Punkte  wenig  Werth  und  gingen  nur  darauf  aus,  die  Lage  von  Hellas 
im  Ganzen  so  darzustellen,  dass  Ehre  und  Pflicht  von  Sparta  ein  ent- 
schlossenes Vorgehen  verlange.  Nicht  ohne  Ironie  rühmten  sie  das 
wackere  Wesen  und  den  braven  Sinn  der  Spartaner,  die  ruhig  ihren 
Weg  gingen  und  keine  Vorstellung  davon  hätten,  wie  es  draufsen  in 
der  Welt  aussähe.  Und  doch  liege  für  Jeden,  der  sehen  wolle,  offen 
am  Tage,  wie  Athen  unablässig  um  sich  greife  und  eine  immer 
drohendere  Stellung  gegen  den  Peloponnes  einnehme;  es  sei  also 
lächerlich,  da  noch  in  einzelnen  Punkten  erörtern  zu  wollen,  ob  die 
Athener  den  Peloponnesiern  Schaden  zufügten  oder  nicht.  Ueber  den 
Charakter  der  Athener  müsse  man  doch  endlich  im  Klaren  sein.  Sie 
hätten  immer  etwas  Neues  vor  und  gingen  bei  der  Ausführung  jedes- 
mal über  die  ursprünglichen  Absichten  hinaus.  Während  die  Spar- 
taner nicht  aus  ihrer  Stadt  herauszubringen  wären,  seien  die  Athener 
nirgends  lieber  als  auf  fremdem  Boden.  Absicht  und  That,  Hoffnung 
und  Besitz  sei  für  sie  so  gut  wie  Eins;  unthätige  Ruhe  aber  hassten 


Digitized  by  Google 


KORI.NTH   DBAXJT  ZUM  KRIEG. 


37  3 


sie  mehr  als  alle  Mühseligkeiten  und  wüssten  sich  immer  neue  Hülfs- 
mittel  des  Kriegs  und  Siegs  anzueignen ,  während  in  Sparta  Alles  ver- 
altet sei.  Sie  seien  der  Art,  dass  sie  weder  selbst  Ruhe  halten  noch 
Andere  in  Ruhe  lassen  könnten,  und  wenn  es  so  fortgehe,  gerathe 
unzweifelhaft  ganz  Hellas  unter  ihre  Herrschaft.  Bei  dem  Allen 
sehe  man  die  Spartaner,  die  berufenen  Hüter  der  Freiheit  von 
Hellas,  in  vornehmer  Ruhe  bleiben;  aber  diese  Ruhe  sei  im  Grunde 
nichts  als  Abstumpfung  und  Trägheit.  'Verharrt  ihr  Spartaner', 
schlössen  sie,  in  eurer  Zauderpolitik,  so  löst  ihr  den  Bund  auf, 
dessen  Glieder  ihr  nicht  schützt,  und  zwingt  uns,  anderweitige  Ver- 
bindungen zu  suchen.' 

Die  Rede  der  Korinther  war  ein  unumwundenes  Tadelsvotum 
gegen  die  spartanische  Bundesleitung  in  Anwesenheit  der  Bundesge- 
nossen. So  konnten  nur  die  reden ,  welche  dem  Bunde  unentbehrlich 
waren  und  deren  geistige  Ueberlegenheit  im  Versländniss  der  poli- 
tischen Verhältnisse  nicht  verkannt  werden  konnte.  Auch  hatten  sie 
längst  ihren  Anhang  unter  den  Beamten.  Es  konnte  daher  auf  die 
Entscheidung  keinen  grofsen  Einfluss  haben,  dass  Gesandte  von  Athen, 
welche  gerade  in  Sparta  anwesend  waren ,  um  Gehör  bei  der  Bürger- 
schaft baten ;  es  waren  Männer,  welche  in  die  Grundsätze  perikleischer 
Politik  vollständig  eingeweiht  waren  und  es  jetzt  für  ihre  Pflicht 
hielten,  ein  freimüthiges  und  ernstes  Wort  zu  reden. 

'Macht,  die  dem  Unwürdigen  zu  Theil  wird,  sagten  sie,  mag  mit 
'Recht  Erbitterung  und  Neid  hervorrufen.  Wir  aber  haben  unsere 
'Stellung  durch  vorkämpfende  Tapferkeit  in  den  Perserkriegen  uns 
'redlich  verdient,  und  die  Hegemonie  zur  See  haben  wir  übernommen, 
'weil  Sparta  freiwillig  zurücktrat.  Sie  festzuhalten,  verlangt  Ehre 
'und  Sicherheit.  Ein  solches  Festhalten  ist  aber  nicht  thunlich  ohne 
'Anwendung  von  Mitteln,  welche  den  kleinen  Staaten  nicht  immer 
'gefallen.  Wer  aber  kann  verlangen,  dass  wir  die  einzelnen  Staaten, 
'wenn  sie  in  übler  Stimmung  sind,  aus  purer  Gutmüthigkeit  wieder 
'entlassen,  nachdem  wir  unsere  ganze  Stadt  darauf  eingerichtet  haben, 
'an  der  Spitze  einer  solchen  Verbindung  zu  stehen?  Das  hiefse,  uns 
'selbst  aufgeben.  Unter  den  Persern  klagten  die  Städte  nicht,  da 
'sie  voller  Willkür  preisgegeben  waren ;  über  die  Athener  klagen  sie, 
'weil  sie  ihnen  gegenüber  Ansprüche  auf  Gleichheit  machen.  Unsere 
'Mäfsigkeit  erkennen  sie  nicht  an  und  beschweren  sich  nur  über  Ein- 
'bufse  an  freier  Selbstbestimmung,  die  bei  jeder  Hegemonie  unver- 


Digitized  by  Google 


374 


KRIEGSBESCHLISS  IN  SPARTA   (87,  1;  «2). 


'meidlich  ist,  und  Euch  würde  ganz  dasselbe  Loos  treffen,  wenn  Ihr 
'die  Seeherrschaft  festgehalten  hättet.  Dies  Alles  sagen  wir  nicht, 
'um  uns  hier  zu  verantworten ,  denn  Ihr  seid  unsere  Richter  nicht, 
'sondern  nur  um  den  Unkundigen  Aufklärung  zu  geben  und  um 
'Euch  zu  warnen,  ehe  Ihr  durch  Bruch  der  Verträge  uns  zwingt, 
(um  unsere  Existenz  gegen  Euch  zu  kämpfen.' 

Nun  traten  alle  Fremden  ab;  die  Bürgerschaft  blieb  mit  ihren 
Beamten  allein.  Wenn  jetzt  der  beantragte  Beschluss  abgelehnt  wurde, 
so  war  die  ganze  Sache  abgethan  und  kam  gar  nicht  vor  die  Bundes- 
genossen. Die  Gemüther  waren  aber  so  erhitzt  und  die  Ephoren  so 
sehr  im  Interesse  Korinths,  dass  eine  eigentliche  Friedenspartei  sich 
gar  nicht  geltend  machen  konnte.  Auch  die,  welche  Frieden  wollten, 
warnten  nur  vor  übereilten  Beschlüssen,  verlangten  vorläufige  Unter- 
handlung und  wiesen  auf  die  Unzulänglichkeit  der  Rüstungen  hin.  Ihr 
Sprecher  war  der  alte  König  Archidamos  (S.  142).  Als  Gastfreund  des 
Perikles  musste  er  besonders  vorsichtig  sein;  doch  vertrat  er  frei- 
müthig  und  durch  die  herrschende  Stimmung  unbeirrt  die  spartanische 
Politik  und  forderte  dringend  auf,  sich  wohl  zu  besinnen ,  ehe  man 
vorzeitig  einen  Krieg  beginne,  dessen  Ende  nicht  abzusehen  sei. 

Die  ernsten  Königsworte  blieben  nicht  ohne  Wirkung.  Aber  um 
so  hastiger  sprang  nun  der  Ephore  Slhenelafdas  auf;  in  stürmischer 
Rede  schalt  er  jeden  Aufschub  des  gerechten  Kriegs  als  unverantwort- 
liche Saumseligkeit  und  ergriff  dann  die  ungewöhnliche  Marsregel, 
dass  er  bei  der  Abstimmung,  die  sonst  nur  durch  Zuruf  erfolgte,  die 
Bürgerschaft  in  zwei  Haufen  auseinander  treten  liefs,  um  sie  zu  einer 
entschlosseneren  Kundgebung  zu  zwingen.  Dadurch  wurden  manche 
der  Besonneneren  eingeschüchtert,  und  eine  ansehnliche  Mehrzahl 
erklärte  sich  dafür,  die  Verträge  seien  von  Seiten  der  Athener 
gebrochen 9). 

So  kam  in  Sparta  der  Beschluss  zu  Stande,  der  über  das  Schick- 
sal Griechenlands  entscheiden  sollte,  unter  dem  Einflüsse  einer  leiden- 
schaftlichen Partei  und  einer  aufgeregten  Tagesstiromung.  Seit  dem 
zweiten  Perserkriege  hatte  Sparta  so  gut  wie  nichts  gethan.  Es  hatte 
keine  Besitzungen  oder  Bundesgenossen  gewonnen,  keine  neue  Hilfs- 
quelle eröffnet,  keine  Verbesserung  seiner  staatlichen  Einrichtungen 
getroffen ,  es  war  nur  rückwärts  gegangen ;  denn  es  hatte  durch  Erd- 
beben, Aufstände  und  Kriege  an  Volksmenge  eingebüfst,  und  noch 
mehr  hatte  es  an  nationalem  Ansehen  verloren  durch  die  Politik, 


Digitized  by  Google 


MOTIVE  DER  KRIEGSPARTEI.  375 

welche  es  seit  mehreren  Menschenaltern  befolgte.  Wenn  man  an  den 
Zug  des  Anchimolios  (I,  369),  an  die  beiden  Feldzöge  des  Kleomenes, 
an  die  Schmach  des  Pausanias,  an  den  Verlust  der  Hegemonie,  an  den 
dritten  messenischen  Krieg,  an  die  erfolglose  Schlacht  bei  Tanagra, 
an  die  schimpfliche  Rückkehr  des  Pleistoanax,  an  die  unterbliebene 
Unterstützung  der  Thasier,  der  Aegineten,  der  Samier  denkt,  so 
begreift  man,  dass  der  Rückblick  auf  eine  solche  Vergangenheit  eine 
leidenschaftliche  Erbitterung  bei  allen  denen  hervorrufen  musste, 
welchen  die  Ehre  des  Staats  am  Herzen  lag.  Nun  sollte  auf  einmal 
Alles  gut  gemacht  werden;  nun  wurde  geltend  gemacht,  dass  Sparta 
niemals  auf  seine  Vorrechte  verzichtet,  dass  es  sich  grundsätzlich 
nichts  vergeben  habe.  Wie  bei  dem  Uebergange  der  Hegemonie  zur 
See  an  Athen,  so  habe  es  auch  in  den  späteren  Traktaten  immer  nur 
die  gegenwärtigen  Verhältnisse  vorläufig  anerkannt.  Nun  sollte  nach 
älterem  Staatsrechte  Sparta  auf  einmal  wieder  die  alleinige  Grofsmacht 
in  Hellas  sein,  die  oberste  Instanz  in  allen  griechischen  Angelegen- 
heiten. Weil  Sparta  es  langst  verlernt  hatte,  eine  vernünftige  und  feste 
Politik  zu  verfolgen,  zeigte  es  sich  auch  jetzt  durchaus  haltungslos  und 
ging,  von  Korinth  aufgehetzt,  aus  einer  furchtsamen,  berechnenden 
und  den  Schein  des  Rechts  ängstlich  hütenden  Stellung  urplötzlich  in 
eine  bastige  Kriegslust  über,  welche  kein  Mafs  hielt,  keine  Vernunft 
annahm,  kein  Recht  achtete.  Denn  eine  unverantwortliche  Uebereilung 
war  es  doch,  dass  man  an  eine  Prüfung  der  Rechtsfragen,  wie  die 
Verträge  sie  verlangten,  gar  nicht  dachte.  Ja,  schon  in  der  Frage- 
stellung der  Ephoren,  'ob  Athen  den  Peloponnesiern  Schaden  zufüge 
und  die  Verträge  gebrochen  habe',  lag  eine  absichtliche  Unklarheit. 
Denn  das  Erstere  konnte  allerdings  Niemand  in  Abrede  stellen,  wenn 
man  an  Potidaia,  Epidamnos,  Kerkyra  und  Megara  dachte,  aber  das 
Zweite  lieis  sich  nicht  erweisen.  Denn  Niemand  konnte  aus  den  Ver- 
trägen Athen  das  Recht  streitig  machen,  seine  abgefallenen  Rundesorte 
zu  züchtigen,  und  eben  so  wenig  war  das  Bündniss  mit  Kerkyra  etwas 
Vertragswidriges,  da  ja  die  Insel  kein  vom  peloponnesischen  Runde 
abgefallener  Staat  war. 

Während  also  die  den  Athenern  vorgeworfenen  Rechtsverletzun- 
gen durchaus  unerweislich  waren,  brach  man  in  Sparta  offenbar  das 
Recht,  indem  man  sich  erlaubte,  einem  hellenischen  Staate,  mit  dem 
man  in  beschworenen  Verträgen  stand,  Vertragsbruch  Schuld  zu  geben 
und  dies  als  Thatsache  öffentlich  hinzustellen,  ohne  zuvor  eine  Ver- 


Digitized  by  Google 


376 


MOTIVE  DF.H   K  lUEGSI'ARTEI 


ständigung  darüber  mit  ihm  versucht  zu  haben.  Aber  man  wollte 
keine  Verständigung ;  die  Kriegspartei  trieb  vorwärts  und  drängte  zu 
Halsregeln,  welche  jedes  Einlenken  unmöglich  machen  sollten.  Und 
wenn  man  nach  den  Gründen  forscht,  welche  jetzt  gerade  einen  so 
unerhörten  Kriegseifer  hervorriefen,  so  war  die  Verbindung  zwischen 
Athen  und  Kerkyra  gewiss  die  Hauptursache.  Denn  dies  war  ein 
Ereigniss,  welches  denen  keine  Ruhe  liefe,  die  Athen  hassten,  die 
Sparta  als  das  einzig  rechtmäfsige  Haupt  von  Hellas  betrachteten  und 
die  ganze  Entfaltung  der  attischen  Macht  nur  wie  eine  ordnungswidrige 
Unterbrechung  der  griechischen  Staatenordnung  ansahen.  Wenn 
Athen  und  Kerkyra  die  korinthische  Seemacht  vernichteten,  so  war 
für  die  peloponnesischen  Küsten  kein  Schutz  mehr  vorhanden  und 
gar  keine  Aussicht,  das  übermüthige  Athen  jemals  zu  demüthigen. 
Kerkyra  war  aber  zugleich  die  Schwelle  des  sicilischen  Meers,  und 
je  mehr  sich  nach  dieser  Seite  der  Einfluss  Athens  ausdehnte,  in 
demselben  Mafee  wurden  die  Verbindungen  mit  den  dorischen  Golonien 
jenseits  des  Meers  gefährdet  und  der  Peloponnes  durch  die  an- 
wachsende Macht  Athens  allmählich  von  allen  Seiten  umstellt  Diese 
Besorgnisse  waren  die  eigentliche  Triebfeder  der  Kriegspartei,  und 
sie  hatte  in  der  Hauptsache  gewonnen,  als  die  spartanische  Bürger- 
schaft sich  durch  ihren  Bescbluss  gebunden  hatte  und  nun  die 
Bundesgenossen  auf  einen  nahen  Termin  einberufen  wurden ,  um  auf 
allgemeiner  Tagsatzung  einen  Gesamtbeschluss  wegen  des  Kriegs  zu 
fassen. 

Die  korinthischen  Gesandten  waren  inzwischen  von  Stadt  zu 
Stadt  gereist,  um  die  peloponnesischen  Bürgergemeinden  einzeln  zu 
bearbeiten,  und  die  Rede,  welche  sie  in  der  Versammlung  der  Ab- 
geordneten hielten,  zeigt  deutlich  genug,  dass  sie  noch  immer  mit 
einer  sehr  starken  Abneigung  gegen  den  Krieg  zu  kämpfen  hatten, 
namentlich  bei  den  Binnenländischen,  die  nicht  einsehen  wollten, 
warum  sie  für  überseeische  Golonien  in  das  Feld  rücken  sollten.  Die 
Koriniher  suchten  ihnen  also  zu  beweisen,  dass  Athens  zunehmende 
Macht  auch  ihre  Interessen  gefährde,  indem  der  Wohlstand  der  Gebirgs- 
bewohner auf  dem  Austausche  zwischen  Oberland  und  Küste  beruhe, 
und  dieser  vortheilhafte  Tauschverkehr  werde  gestört  werden,  wenn 
die  Athener  im  peloponnesischen  Meere  Gewalt  gewännen. 

So  sprachen  die  Korinther  im  Interesse  ihrer  Stadt  als  des 
ersten  Handelsplatzes  und  Ausfuhrorts  der  Halbinsel.    In  vollem 


Digitized  by  Google 


PELOPONNESISCHER  KRlEGSBESCHLL'SS    (87,  1;  432). 


377 


Widerspruche  mit  der  Politik  des  Perikles  schilderten  sie  Athen  als 
unersättlich  in  Eroberungen;  es  gäbe  also  keinen  gerechteren  und 
keinen  noth wendigeren  Krieg,  als  wenn  man  die  Einen  der  Hellenen 
aus  der  Knechtschaft  befreie,  die  Anderen  vor  Knechtschaft  bewahre. 
Zugleich  suchten  sie  die  Besorgnisse  wegen  eines  unglücklichen  Aus- 
ganges zu  beseitigen ,  indem  sie  auf  die  unsicheren  Grundlagen  der 
attischen  Macht  hinwiesen,  die  auf  Geld  beruhe  und  deshalb  auch 
durch  Geld  gestürzt  werden  könne.  Geldmittel  könne  man  sich  aber 
durch  Anleihe  aus  den  Tempelschätzen  von  Delphi  und  Olympia  ver- 
schaffen und  durch  höhere  Löhnung  den  Athenern  ihre  Matrosen  ab- 
wendig machen ;  Abfall  der  Bundesgenossen  werde  die  altische  Macht 
vollends  erschüttern,  während  die  ihrige  nicht  auf  Miethlingen,  sondern 
auf  dem  freien  Willen  einheimischer  Krieger  beruhe;  es  komme  also 
nur  auf  Opferbereitschaft  und  einmüthiges  Handeln  an ,  um  in  dem 
unvermeidlichen  Kampfe  des  herrlichsten  Sieges  gewiss  zu  sein. 

Inzwischen  hatten  die  Spartaner  auch  vom  delphischen  Orakel 
eine  entschiedene  Erklärung  zu  Gunsten  der  peloponnesischen  Sache 
erlangt;  ein  Erfolg,  der  in  Beziehung  auf  die  öffentliche  Meinung  nicht 
bedeutungslos  war,  und  so  kam  es  dazu,  dass  durch  die  Verbindung 
Spartas  und  Korinths  auf  der  peloponnesischen  Tagsalzung  die  Mehr- 
heit der  Stimmen  für  den  Krieg  gewonnen  wurde.  Dieser  Abstim- 
mung folgte  unmittelbar  der  Beschluss,  eine  allgemeine  Rüstung  vor- 
zunehmen und  so  wie  die  Abgeordneten  in  ihre  Gaue  heimkehrten, 
war  es  im  ganzen  Peloponnes  mit  der  Ruhe  vorbei.  Die  Städte, 
grofs  und  klein,  wurden  zu  Waffenplätzen;  die  Hirten  und  Bauern 
wurden  einberufen  und  eingeübt.  Die  Korinther  thaten  das  Mögliche, 
um  die  Rüstungen  zu  fördern,  denn  sie  waren  in  steigender  Angst 
um  Potidaia10). 


Nachdem  der  spartanische  Antrag  auf  Kriegsbereitschaft  zum 
Bundesbeschlusse  erhoben  worden  war,  begann  Sparta  als  Vorort  des 
Bundes  die  Verhandlungen  mit  Athen.  Dass  denselben  keine  ernst- 
liche Friedensabsicht  zu  Grunde  lag,  geht  schon  daraus  hervor,  dass 
sie  begonnen  wurden,  als  der  Krieg  beschlossen  war;  die  Verhand- 
lungen hatten  also  keinen  anderen  Zweck,  als  dass  man  für  den 
Beginn  der  Feindseligkeiten  scheinbare  Veranlassungen  herbeiführen 
wollte.  Man  wollte  Athen,  das  vollkommen  ruhig  seine  Stellung  be- 


Digitized  by  Google 


378 


VERHANDLUNGEN  MIT   ATHEN    (87.  1;  432). 


hauptete,  reizen;  man  suchte  Händel,  ohne  doch  unmittelbar  den 
Ausbruch  des  Krieges  zu  wollen;  denn  Sparta  wollte  Zeit  gewinnen, 
um  zu  rösten.  Darum  schickte  man  Gesandte  hin  und  her,  brachte 
Forderungen  und  Beschwerden  vor,  welche  unter  sich  und  mit  den 
früheren  Klagepunkten  zum  Tbeile  in  gar  keinem  Zusammenhange 
standen;  nur  das  Eine  war  allen  gemeinsam,  dass  Sparta  den  Athenern 
wieder  mit  Ansprüchen  auf  vorörtliche  Rechte  entgegentrat,  wie  sie 
ihm  selbst  gegen  die  peloponnesischen  Staaten  nicht  zustanden,  mit 
Ansprüchen,  die  auf  jeden  Fall  längst  verjährt  und  durch  spätere  Ver- 
träge vollständig  aufgehoben  waren. 

So  schickten  sie  zuerst  Gesandte  und  liefsen  darüber  Beschwerde 
erheben ,  'dass  in  Athen  das  heilige  Recht  verletzt  und  die  Stadt  eine 
schuldbefleckte  sei,  weil  man  das  Geschlecht  der  Alkmäoniden  in 
der  Gemeinde  dulde,  welches  an  schutzflehenden  Bürgern  gefrevelt 
habe  (I,  306).  Als  nämlich  Athen  einst  in  der  Gewalt  des  Königs 
Kleomenes  war,  hatte  dieser  die  Alkmäoniden  vertrieben  (I,  380);  daran 
knüpfte  man  an  und  verlangte  von  Neuem  die  Ausweisung,  indem 
man  sich  den  Anschein  gab,  als  sei  Sparta  für  die  Aurrechterhal- 
tung des  heiligen  Rechts  in  ganz  Hellas  verantwortlich.  Dieser 
religiöse  Eifer  stand  den  Spartanern  sehr  übel  an,  da  sie  selbst  gegen 
die  Schützlinge  des  Poseidon  viel  ärger  gefrevelt  hatten  (S.  142), 
während  die  Blutschuld  der  Alkmäoniden  eine  längst  gesühnte  war. 
Es  lag  aber  der  anmafsenden  Forderung  eine  persönliche  Absicht  zu 
Grunde,  welche  nicht  schwer  zu  erkennen  war.  Der  Mann,  auf  dem 
die  Macht  Athens  vorzugsweise  beruhte,  war  ja  von  mütterlicher 
Seite  Alkmäonide,  und  die  glühendsten  Bewunderer  des  Perikles 
konnten  seiner  Gröfse  kein  glänzenderes  Zeugniss  ausstellen,  als  es 
die  Spartaner  thalen,  indem  sie  ihre  ersten  Anträge  gegen  ihn 
richteten  und  so  zu  erkennen  gaben,  dass  sie  Athen  nicht  fürchteten, 
wenn  Perikles  vom  Staatsruder  entfernt  wäre.  Zugleich  lag  in  der 
Forderung  die  tückische  Nebenabsicht,  die  Feinde  des  groben  Staats- 
mannes, namentlich  die  priesterliche  Partei,  aufzuregen  und  ihnen 
Gelegenheit  zu  geben,  denselben  als  den  Friedensstörer  anzugreifen. 

Nachdem  diese  Forderung  durch  die  Gegenforderung  erledigt  war, 
dass  Sparta  zuvor  die  im  eigenen  Lande  begangenen  Frevel,  nämlich 
die  an  den  Heloten  und  die  an  Pausanias  im  Athenatempel  (S.  132) 
begangene  Blutschuld,  sühnen  solle,  kamen  neue  Staatsboten  und  ver- 
langten, dass  man  die  Blokade  von  Potidaia  aufheben,  Aigina  freigeben 


Digitized  by  Google 


FRIEDENS-  UND  KRIEGSPARTEI   IM  ATHEN. 


379 


und  den  Megareern  den  Verkehr  wieder  gestatten  solle.  Wenn  man 
den  letzten  Punkt  in  dem  Grade  betonte,  dass  man  davon  die  ganze 
Kriegsfrage  abhängig  machte,  so  war  der  Grund  wiederum  kein  anderer, 
als  Perikles  zu  stürzen.  Denn  die  Aufhebung  des  'megarischen  Volks- 
beschlusses' wäre  eine  Niederlage  seiner  Politik  gewesen ,  und  es  sollte 
ein  gehässiges  Licht  auf  ihn  werfen,  dass  um  eine  so  geringfügige  An- 
gelegenheit ganz  Hellas  in  Bürgerkrieg  gestürzt  würde.  Auch  diese  For- 
derung wies  man  einfach  zurück,  indem  man  das  Verfahren  gegen 
Megara  durch  die  von  dorther  erfolgten  Gebietsverletzungen  rechtfer- 
tigte. Endlich  kam  eine  Gesandtschaft,  welche  sich  als  die  letzte  an- 
kündigte; drei  angesehene  Männer  übergaben  das  Ultimatum  Spartas. 
Nach  einem  versöhnlichen  Eingange,  in  dem  von  ernster  Friedensliebe 
die  Rede  war,  wurde  unumwunden  verlangt,  Athen  solle  seinen  Bundes- 
genossen die  Selbständigkeit  zurückgeben.  Das  war  die  Forderung,  für 
welche  die  Spartaner  unter  den  Hellenen  am  meisten  Anklang  zu  finden 
hofften,  die  Forderung,  welche  als  die  uneigennützigste  und  grofsher- 
zigste  erscheinen  musste;  darum  wählten  sie  diese  in  der  letzten  Stunde 
als  Kriegsloosung. 

Nun  rückte  also  die  Entscheidung  unabweislich  an  die  Athener 
heran;  die  Bürgerschaft  wurde  berufen;  in  voller  Versammlung  sollten 
die  streitenden  Ansichten  noch  einmal  zur  Sprache  kommen,  damit 
die  Lage  der  Dinge  allen  Athenern  zu  klarem  Bewusstsein  gebracht 
werde.  Gewiss  wusste  man  das  Glück  des  Friedens  zu  schätzen  in 
Athen,  welches  im  vollsten  Genüsse  seiner  Segnungen  stand;  man 
fühlte  wohl,  dass  man  zunächst  nur  verlieren  könne.  Auiserdem  war 
Alles,  was  gegen  Perikles  war,  für  den  Frieden;  denn  seine  Macht 
konnte  nur  steigen ,  wenn  die  Zeit  der  Bedrängniss  und  Gefahr  eine 
einheitliche  Staatsleitung  mehr  als  je  nöthig  machte.  Darum  waren 
die  Stimmen  getheilt,  und  auch  die  Friedensparlei  stellte  ihre  Redner, 
die  wenigstens  dafür  sich  aussprachen,  dass  man  wohl  den  megarischen 
Volksbeschluss  preisgeben  könne,  um  die  Schrecknisse  des  Bürger- 
krieges zu  vermeiden,  und  dass  man  auf  diese  Grundlage  hin  noch 
einmal  eine  Verständigung  zu  erreichen  versuchen  solle.  Zuletzt  trat 
Perikles  vor  die  Bürgerschaft. 

'Er  wisse  wohl,  sprach  er,  den  Ernst  der  Lage  zu  würdigen,  und 
leichtsinnig  dürfe  man  nicht  einen  Krieg  beschliefsen,  dessen  Wechsel- 
te aufser  aller  menschlichen  Berechnung  lägen.  Aber  man  solle 
'doch  nicht  wähnen,  dass  es  sich  um  einzelne  Verordnungen  handle. 


Digitized  by  Google 


3S0 


HEDE  DES  PERIKLES 


'Haben  wir,  sagte  er,  in  einem  Punkte  nachgegeben,  so  kommt  eine 
'andere  Forderung,  eine  gleich  ungerechte,  aber  härtere,  und  wir  haben 
'unser  gutes  Recht  aufgegeben.  Und  warum  sollen  wir  uns  fugen? 
'Aus  Furcht  oder  Schwäche?  Wozu  haben  wir  denn  unsern  Schatz, 
'unsere  Flotte,  unsere  Mauern?  Einen  verächtlichen  Gegner  haben  die 
'Peloponnesier  sicherlich  nicht,  und  sie  haben  niemals  dazu  getaugt, 
'langwierige  und  überseeische  Kriege  zu  fuhren.  Ihre  Kriegssteuern, 
'zu  den  einzelnen  Feldzügen  erhoben,  können  nicht  lange  vorhalten ; 
'ihre  ganze  Bundesverfassung  ist  durchaus  mangelhaft  und  zu  kräftigem 
'Handeln  ungeeignet.  Von  den  vielen  Mitgliedern  glauben  die  Einzelnen, 
'dass  es  auf  sie  nicht  gerade  ankomme,  und  so  geht  das  Ganze  lahm; 
'alles  Kriegsglück  hängt  aber  von  der  raschen  Benutzung  des  Augen- 
blicks ab.  Das  Meer  ist  unser,  das  bedeutet  in  Hellas  viel,  und  wenn 
'die  Korintber  es  ihren  Bundesgenossen  als  eine  leichte  Sache  vor- 
spiegeln, uns  auf  dem  Meere  die  Spitze  zu  bieten,  so  hat  das  bei  den 
'Peloponnesiern,  die  meistens  Landbauer  und  Viehzüchter  sind,  gute 
'Weile;  denn  so  nebenbei  lässt  sich  keine  Seemacht  herrichten. 
'Euer  Land  können  sie  verwüsten;  ihr  bedürft  desselben  nicht;  ja, 
'es  ist  nur  ein  Hinderniss  eurer  völligen  Sicherheit,  und,  wenn  ihr 
'mir  folgtet,  so  legtet  ihr  selbst  eure  Felder  wüste,  um  ihnen  zu  zeigen, 
'dass  ihr  um  Aecker  und  Höfe  eure  Freiheit  nicht  hingebt.  Darum  ist 
♦eure  Kriegsflotte  den  Feinden  viel  gefährlicher,  als  ihr  Landheer  euch. 
'Denn  was  ihnen  das  wichtigste  ist,  der  Grundbesitz,  ist  euren  Angriffen 
'blofsgeslellt,  während  sie  nur  das  für  uns  Unwichtige  erreichen  können. 
'Ist  aber  eure  Lage  eine  so  günstige,  was  soll  es  denn  frommen,  einen 
'unvermeidlichen  Krieg  kleinmüthig  hinaus  zu  schieben?  Denn  es 
'handelt  sich  darum,  ob  wir  uns  gutwillig  unterwerfen,  oder  zur  Er- 
'haltung  unserer  Selbständigkeit  den  Gefahren  des  Kriegs  muthig  ent- 
gegen gehen.  Also  erklären  wir  noch  einmal,  dass  wir  bereit  sind, 
'in  allen  Streitpunkten  uns  einer  schiedsrichterlichen  Entscheidung 
'nach  dem  Wortlaute  der  Verträge  zu  unterwerfen.  Befehlen  lassen 
'wir  uns  nicht;  wir  stellen,  wie  es  zwischen  gleichberechtigten  Staaten 
'üblich  ist,  eine  Forderung  gegen  die  andere.  Wollen  die  Lakedä- 
'monier  ihre  Gränz-  und  Hafensperre  aufheben,  so  wollen  wir  die 
'Megareer  bei  uns  zulassen.  Wir  wollen  auch  von  unsern  Bundes- 
genossen allen  denen,  welche  zur  Zeit  des  dreißigjährigen  Friedens 
'selbständig  waren,  die  Selbständigkeit  zurückgeben,  aber  dann  soll 
'auch  im  Peloponnes  kein  Staat  angehalten  werden,  sich  den  in 


Digitized  by  Google 


LETZTE  AMTWORT  ATHENS. 


381 


'Sparta  geltenden  Grundsätzen  anzubequemen.  Dies  sei  unsere 
'Antwort  Wir  fangen  keinen  Krieg  an,  werden  aber  Jeden,  der 
'uns  angreift,  zurückweisen;  denn  unsere  Loosung  darf  keine 
'andere  sein,  als  dass  wir  die  Macht  des  Staats,  den  unsere  Väter 
'grofs  gemacht  haben,  unseren  Nachkommen  unvermindert  über- 
leben'. 

Der  Weisheit  und  Ueberzeugungskraft  dieser  Rede  konnte  Keiner 
widersprechen.  Punkt  für  Punkt  wurde  die  Antwort  beschlossen, 
wie  Perikles  sie  in  Vorschlag  gebracht  hatte;  es  war  eine  endgültige 
Antwort;  aller  weitere  Gesandtschaftsyerkehr  zwischen  Sparta  und 
Athen  wurde  nach  Perikles'  Willen  abgebrochen.  Der  bürgerliche 
Verkehr  ging  noch  eine  Weile  fort,  aber  nur  mit  ängstlicher  Vorsicht 
Die  Verträge  galten  für  aufgehoben;  es  gab  kein  Bundesrecht  mehr  in 
Hellas11). 

Die  Spartaner  hatten  von  den  vielen  Hin-  und  Hersendungen 
allerdings  den  Vortheil,  dass  sie  ihre  Rüstungen  in  Mufse  hatten  voll- 
enden können,  und  man  könnte  fragen,  warum  doch  die  Athener,  die 
lange  gerüstet  waren,  ihrem  Gegner  diesen  Vortheil  überliefsen,  warum 
sie  nicht  früher  auf  entschiedene  Erklärungen  drangen  und,  wenn  der 
Krieg  unvermeidlich  war,  rascher  vorgingen  ?  Perikles  legte  aber  das 
gröfste  Gewicht  darauf,  dass  das  Recht  offenkundig  auf  Seite  der 
Athener  wäre.  Ganz  Hellas  sollte  Zeuge  sein,  dass  sie,  die  immer  als 
die  Neuerer  und  Unruhstifter  verschrieen  wurden,  bis  zuletzt  an  den 
Verträgen  fest  hielten;  sie  wollten  die  Angegriffenen  sein,  wenn  auch 
Kriegsvortheile  dabei  verloren  würden.  Und  zwar  war  dies  kein 
pedantischer  Eigensinn,  sondern  die  wirksamste  und  klügste  Politik, 
wie  der  Erfolg  zeigte.  Denn  wenn  dem  gewaltigen  Aufschwünge, 
welchen  Sparta  genommen  hatte,  um  alles  Versäumte  nachzuholen, 
um  an  die  glorreichste  Zeit  seiner  älteren  Geschichte  wieder  anzu- 
knüpfen und  wie  damals  die  Gewaltherren,  so  jetzt  den  Gewaltstaat  zu 
stürzen,  der  mit  tyrannischer  Obmacht  so  viele  hellenische  Gemeinden 
niederhalte,  wenn  diesem  energischen  Aufschwünge  die  spätere  Krieg- 
führung sehr  wenig  entsprach  und  von  den  grofsartigen  Projekten 
nichts  zu  Stande  kam,  so  lag  ein  Hauptgrund  in  dem  klugen  Verhalten 
des  Perikles.  Hätte  man  sich  in  Athen  zu  vorschnellen  Aeufserungen 
der  Erbitterung  und  feindseligen  Mafsregeln  hinreifsen  lassen,  so 
würde  man  dadurch  der  Kriegspartei  in  Sparta  den  gröfsten  Vorschub 
geleistet  haben ,  welche  nichts  mehr  verdross  als  die  leidenschaftslose 


Digitized  by  Google 


3S2 


PELOPON>'ESISCHE  KRIEGSPLÄNE. 


Haltung  der  Athener  und  ihr  ruhiges  Beharren  auf  dem  Rechtsboden 
der  Verträge.  Dadurch  schob  man  dem  Gegner  die  Schuld  des 
Friedensbruchs  zu,  und  die  Partei  der  Bedenklichen,  die  in  Sparta 
immer  sehr  grofs  war,  mit  König  Archidamos  an  ihrer  Spitze,  der  den 
heifsblütigen  Ephoren  gegenüber  die  Einhaltung  des  vertragsmäfsigen 
Rechtswegs  verlangt  hatte,  konnte  sich  nicht  darüber  beruhigen,  dass 
der  Krieg  von  spartanischer  Seite  ein  ungerechter  war.  Dadurch 
wurde  der  Eifer  in  Ausführung  der  Kriegspläne  von  Anfang  an  gelähmt. 
Es  fehlte  der  Muth  eines  guten  Gewissens. 

Die  Lakedämonier,  von  denen  der  Angriff  ausging,  mussten  sich 
allerdings  längst  einen  Kriegsplan  gemacht  haben.  Sie  hatten  dabei 
die  Wahl,  ob  sie  mit  ihren  vorhandenen  Kriegsmitteln  und  ihrer  her- 
kömmlichen Kriegsführung  auszukommen  gedächten  oder  neue  Wege 
versuchen  wollten.  Das  Letztere  war  die  Ansicht  der  Korinther, 
welche  allein  unter  allen  Peloponnesiern  von  der  Macht  Athens  einen 
Begriff  hatten.  Sie  wussten,  dass  Athen  nur  zur  See  mit  Erfolg 
bekämpft  werden  könne;  darum  müsse  man,  selbst  auf  die  Gefahr  hin, 
Anfangs  Niederlagen  zu  erleiden,  zur  See  den  Athenern  entgegen- 
treten; denn  nur  so  sei  man  im  Stande,  die  Bundesgenossen  zum 
Abfalle  zu  ermuthigen  und  den  Athenern  die  Geldzuflüsse  sowohl  wie 
die  Lebensmittel  abzuschneiden.  Allmählich  werde  sich  schon  eine 
Flotte  bilden,  welche  im  Sunde  sei,  ihnen  die  Spitze  zu  bieten.  Zu 
diesem  Zwecke  müsse  man  Alles  in  Bewegung  setzen,  die  Tempel- 
schätze in  Anspruch  nehmen  und  keine  Hülfe  verschmähen.  Hatte 
doch  in  Sparta  selbst  König  Archidamos  es  unumwunden  ausge- 
sprochen, dass  man,  um  einen  Staat  wie  Athen  zu  zwingen,  sich  nicht 
scheuen  dürfe,  auch  bei  den  Persern  Unterstützung  zu  suchen,  was 
freilich  mit  dem  nationalen  Programme  Spartas  und  den  politischen 
Grundsätzen  eines  dorischen  Staats  in  seltsamem  Widerspruche  stand. 
Vor  Allem  aber  musste  man  die  Bundesgenossenschaft  zu  erweitern 
und  über  die  Grenzen  auszudehnen  suchen,  welche  dieselbe  seit  den 
letzten  Traktaten,  d.  h.  seit  dem  dreifsigjährigen  Friedensschlüsse 
hatte.  Man  erneuerte  die  Beziehungen  alter  Stammverwandtschaft, 
man  zog  die  überseeischen  Pflanzorte  heran;  man  scbloss  Verträge  mit 
den  Städten  in  Sicilien  und  Grofsgriechenland;  man  rechnete  auf  ihre 
Subsidien  und  dachte  ernstlich  daran,  eine  Bundesflotte  von  500 
Trieren  zusammenzubringen,  von  denen  die  Golonien  in  Italien  und 
Sicilien  200  stellen  sollten;  einstweilen  aber  sollten  sie  nicht  in  den 


Digitized  by 


KRIEGSPLANE  SPARTAS.  383 


Kampf  eintreten,  sondern  die  Athener  ruhig  zulassen,  wenn  sie  mit 
einzelnen  Schiffen  kämen13). 

Eine  zweite  Angriffs  weise,  von  der  man  sich  Erfolg  versprechen 
konnte,  war  die  Anlage  eines  festen  Platzes  in  Anika,  von  wo  aus 
man  den  Feind  unausgesetzt  bedrängen,  die  flüchtigen  Sklaven  an 
sich  ziehen  und  mit  der  Partei  der  Unzufriedenen  in  der  Hauptstadt 
in  Verkehr  treten  konnte.  Diese  Kriegführung  war  den  Doriern  nicht 
fremd;  denn  so  hatten  ihre  Vorfahren  selbst  die  älteren  Staaten  der 
Halbinsel  überwunden  (I,  108 f.).  Allein  auch  zu  solchen  Unter- 
nehmungen zeigten  sich  die  Lakedämonier  nicht  entschlossen  genug, 
und  da  auch  die  mit  den  überseeischen  Bundesgenossen  in  Aussicht 
genommenen  Verträge  nicht  verwirklicht  wurden,  so  kamen  die 
Spartaner  nach  dem  hastigen  Auflodern  des  ersten  Kriegseifers,  nach 
ihren  ausgedehnten  Rüstungen  und  hochQiegenden  Machtplänen  doch 
am  Ende  dahin  zurück,  sich  vorzugsweise  auf  ihre  eigene  Landmacht 
zu  verlassen,  indem  sie  sich  dem  Glauben  hingaben,  durch  jährliche 
Sommerfeldzüge  die  Widerslandskraft  Athens  überwinden  zu  können. 
Man  konnte  sich  nicht  vorstellen,  dass  die  Athener  ihre  Jahresernten 
gleichgültig  preisgeben  und  ruhig  innerhalb  ihrer  Mauern  sich  halten 
würden;  wenn  sie  aber  zur  Abwehr  auszögen,  rechnete  man  darauf, 
sie  zu  schlagen,  und  hoffte,  dass  eine  Niederlage  der  Athener  im 
eigenen  Lande  den  Abfall  der  Bundesgenossen  zur  unausbleiblichen 
Folge  haben  werde. 

Auf  der  andern  Seite  hatte  Perikles  die  Verhältnisse  mit  klarem 
Blicke  erwogen;  ihm  lag  nichts  ferner  als  dünkelhafte  Ueberschätzung 
der  eigenen  Macht,  und  gewiss  sah  er  die  Lage  Athens  ernster  an,  als 
er  in  seinen  Reden  zu  erkennen  gab,  weil  es  ihm  hier  vor  Allem 
darauf  ankommen  musste,  die  Bürger  mit  Muth  und  Selbstvertrauen 
zu  erfüllen.  Trotz  aller  Saumseligkeit  und  trotz  der  augenfälligen 
Mängel  seiner  Bundesverfassung  war  Sparta  dennoch  ein  gewaltiger 
Feind.  Der  ganze  Peloponnes  stand  zu  ihm  mit  Ausnahme  von  Argos 
und  Achaja,  und  auch  von  achäischen  Städten  hielt  sich  Pellene,  die 
Nachbarstadt  Sikyons,  mit  ihren  tapferen  Bürgern  zu  Sparta.  Die 
Spartaner  wurden  noch  immer  in  ganz  Griechenland  als  Helden  an- 
gesehen, auf  denen  der  Geist  des  Leonidas  ruhte,  und  der  Name  der 
Peloponnesier  galt  nach  alter  Gewohnheit  als  ein  Ehrenname.  Aufser- 
halb  der  Halbinsel  waren  die  Böotier  die  unversöhnlichen  Feinde 
Athens.   Bei  ihrer  niedrigeren  Bildungsstufe  und  trägeren  Geistes- 


Digitized  by  Google 


3S4 


BUNDESGENOSSEN  SPARTAS 


anläge  wurden  sie  von  den  Athenern  gering  geschätzt  und  bespöttelt; 
aber  es  war  ein  derber  Volksschlag  von  grofser  Thatkraft  und 
soldatischer  Tüchtigkeit;  ein  Volk,  das  seine  Geschichte  erst  beginnen 
wollte,  nachdem  es  in  den  Perserkriegen  nur  Unglück  und  Unehre 
eingeerntet  hatte.  Zu  diesem  Zwecke  suchte  Theben  die  Kräfte  des 
Landes  zu  vereinigen,  und  die  kühnen  Plane  der  dortigen  Oligarchen 
fanden  in  der  allgemeinen  Erbitterung,  welche  wegen  Plataiai,  wegen 
der  attischen  Besetzung  von  Oropos  und  von  Euboia  und  wegen  der 
früheren  Eroberungsversuche  Athens  in  der  ganzen  Landschaft 
herrschte,  kräftige  Unterstützung,  namentlich  in  den  Städten  Tanagra, 
Orchomenos,  Kopai  u.  a.,  in  denen  sich  ein  strenges  Adelsregiment 
erhalten  hatte.  Freilich  hatten  die  Böolier  keine  gemeinsame  Heeres- 
ordnung, aber  die  Gontingente  der  einzelnen  Städte  waren  im 
geschlossenen  Reihenkampfe  ausgezeichnet;  in  den  Gymnasien  wurde 
eine  hohe  Ausbildung  des  Körpers  erzielt,  und  die  edlen  Familien 
stellten  auserwählte  Kriegsschaaren ,  in  denen  zwei  und  zwei,  durch 
Freundschaft  verbunden,  unzertrennlich  zusammen  kämpften.  Wie 
die  Böotier  waren  auch  die  opuntischen  Lokrer  von  Anfang  an  ent- 
schlossen, die  Sache  der  Peloponnesier  zu  der  ihrigen  zu  machen; 
denn  bei  ihnen  war  die  Erinnerung  der  attischen  Gewaltherrschaft, 
welche  sie  selbst  erduldet  hatten  (S.  173),  noch  lebendig,  und  eben 
so  sehr  die  Erbitterung  über  die  Besetzung  von  Naupaktos,  durch 
welche  auch  sie  sich  geschädigt  sahen.  Durch  die  Lokrer  war  Attika 
im  Rücken  bedroht,  und  nicht  nur  Attika,  sondern  auch  Euboia;  sie 
waren  außerdem  im  Stande,  durch  Reiterei  die  spartanische  Heeres- 
macht zu  ergänzen.  Auch  Phokis  hielt  sich  trotz  seiner  Feindschaft 
mit  Delphi  zu  den  Peloponnesiern,  wahrscheinlich  aus  Hass  gegen 
Thessalien,  das  mit  Athen  verbündet  war,  und  in  Folge  der  aristo- 
kratischen Verfassungen,  die  seit  Abschluss  des  dreifsigjährigen 
Friedens  in  Phokis  wie  in  Böotien  vorherrschten. 

Endlich  fehlte  es  auch  zu  einer  Seemacht  den  Peloponnesiern 
nicht  an  dem  nöthigen  Material,  da  Korinth  mit  seinen  Golonien 
Ambrakia  und  Leukas,  ferner  Megara,  Sikyon,  Pellene,  Elis,  Epi- 
dauros,  Troizen,  Hermione  Schiffe  und  Seevolk  stellen  konnten;  die 
Spartaner  selbst  richteten  ihre  Schiffswerften  in  Gytheion  wieder 
ein  und  begannen  von  Neuem  Kriegsschiffe  zu  bauen,  nachdem  sie 
seit  dem  Verralhe  des  Pausanias  auf  alle  Seeherrschaft  verzichtet 
und  nach  den  Grundsätzen  des  Hetoimaridas  (S.  116)  von  jeder 


Digitized  by  Google 


DIE  VORTH  EILE  DER  PELOPOJWESIER.  385 

Einmischung  in  die  überseeischen  Angelegenheiten  sich  fern  gehalten 
halten. 

Ihre  eigentliche  Starke  lag  aber  in  der  Uebermacht  des  Land- 
heers. Denn  der  Peloponnes  war  im  Ganzen  volkreicher  als  je  zuvor 
und  konnte  trotz  der  Neutralität  von  Argos  und  Achaja  mit  Einschluss 
der  Hälfstruppen  60,000  Schwerbewaffnete  ausrücken  lassen.  Daneben 
hatten  die  Peloponnesier  den  Vortheil,  dass  ein  Hauptstaat  ihres 
Bundes,  das  mächtige  und  vor  allen  Andern  thätige  Korinth,  unmittel- 
bar am  Thore  der  Halbinsel  lag,  als  ein  auserwählter  Waffenplatz,  und 
dass  sie  die  Pässe  des  Festlandes  in  ihrer  Gewalt  hatten. 

Die  allergröfste  Gefahr  für  Athen  lag  aber  darin,  dass  es  nicht  nur 
von  offenen  Feinden  auf  allen  Seiten  umgeben,  sondern  im  eigenen 
Lager  von  Verrath  und  Untreue  überall  bedroht  war.  Die  pelopon- 
nesischen  Staaten  hatten  keinen  anderen  Mittelpunkt  als  Sparta ;  sie 
waren  von  Natur  darauf  angewiesen,  in  Glück  und  Unglück  zusammen 
zu  halten,  sie  waren  durch  eine  lange  Geschichte,  durch  gemeinsame 
Interessen,  durch  Sitte  und  Stammverwandtschaft  unauflöslich  unter 
einander  verbunden.  Athens  Bundesgenossen  dagegen  lauerten  nur 
auf  Gelegenheit,  das  lästige  Joch  abzuschütteln;  zu  freier  Selbständig- 
keit unfähig,  wollten  sie  dennoch  dem  Starken  nicht  gehorchen.  Sie 
konnten  als  Hellenen  den  Verlust  der  Unabhängigkeit  nicht  ver- 
schmerzen, und  ihre  Erbitterung  war  durch  böswillige  Aufregung  zu 
einer  fieberhaften  Hitze  gestiegen.  Während  die  Einen  sich  losmachen 
wollten,  glaubten  die  Anderen  in  letzter  Stunde  ihre  bedrohte  Selb- 
ständigkeit sichern  zu  müssen.  Eine  gerechte  und  billige  Beurteilung 
der  Verhältnisse  war  nirgends  zu  hören.  Was  Athen  zum  Ruhme  des 
griechischen  Namens  in  Krieg  und  Frieden  gethan  hatte,  daran  dachte 
Niemand;  alle  Anerkennung  und  Dankbarkeit  war  in  Hass  um- 
geschlagen; der  Glanz  der  Hauptstadt,  welcher  die  Unlust  des 
Gehorchens  mildem  sollte,  war  nur  ein  Gegenstand  des  Aergers,  und 
je  unklarer  und  launenhafter  der  allgemeine  Widerwille  war,  um  so 
schwerer  war  er  zu  bekämpfen.  Alte  Abneigung  der  Dorier  gegen  die 
Ionier,  Hass  der  Aristokraten  gegen  die  Volksherrschaft,  Neid  der 
Armuth  gegen  den  Reichthum,  Missgunst  geistiger  Beschränktheit 
gegen  hervorragende  Bildung  und  glänzende  Verdienste  —  alle  diese 
Triebe  wirkten  zusammen. 

Darin  also  lag  Spartas  gröfster  Vortheil,  dass  ihm  die  allgemeine 
Stimmung  der  Hellenen  in  solchem  Grade  zu  Gute  kam.  Man 

Cortio»,  Gr.  Qetcb.  IL  fl.  Aufl.  25 


Digitized  by  Google 


386  DIE  VORTHEILE  DER  PELOPONKES1ER. 

• 

wünschte  ihm  den  Sieg.  Jeder  Erfolg  seiner  Waffen,  jeder  Unfall  der 
Athener  musste  ihm  neue  Bundesgenossen  zuführen  von  Seiten  derer, 
welche  sich  von  offener  Parteinahme  noch  ängstlich  zurückhielten. 
Aller  Orten  war  das  leichtbewegte  Volk  von  der  eitlen  Hoffnung  erfüllt, 
Sparta  werde  allen  Hellenen  eine  neue  glückliche  Zeit  der  Freiheit 
zurückbringen. 

Dabei  war  die  Menge  der  Hellenen  über  Sparta  in  völliger  Täu- 
schung ;  man  kannte  es  gar  nicht.  Man  wusste  nicht,  wie  der  lykur- 
gische Staat  immer  mehr  zu  einer  selbstsüchtigen  Aristokratie  gewor- 
den war,  in  welcher  engherzige  Familieninteressen  mafsgebend  waren; 
man  sah  nicht  oder  wollte  nicht  sehen ,  dass  Sparta  in  seiner  Macht- 
sphäre eben  so  despotisch  verfuhr,  wie  Athen,  dass  es  nach  seinem 
Nutzen  allein  die  Bundesverhältnisse  regelte  und  die  freie  Entwickelung 
des  Verfassungslebens  hemmte.  Es  hatte  ihm  nur  an  Muth  und  Geist 
gefehlt,  um  eine  gleiche  Herrschaft,  wie  Athen,  herzustellen.  Aber  der 
Umstand,  dass  die  Spartaner  sich  keine  Tribute  zahlen  liefsen,  ge- 
nügte, um  sie  als  Vertreter  der  Freiheil  gegen  den  Despotismus  Athens 
anzusehen.  Diese  Täuschung  wurde  nun  zu  ihrem  Nutzen  auf  das 
Wirksamste  ausgebeutet.  Es  sollte  gar  nicht  von  einem  Kriege  die 
Rede  sein,  in  welchem  sich  zwei  Mächte  gleichberechtigt  gegenüber 
stehen,  sondern  Spartas  Sache,  sagte  man,  sei  Volkssache,  die  heilige 
Sache  des  Rechts;  Athen  sei  die  revolutionäre  Macht,  welche  das  hel- 
lenische Recht  umgeslofsen  habe.  Also  konnte  Sparta  es  wie  eine 
Pflicht  betrachten,  dass  man  seine  Sache  fördere;  wer  sie  hinderte,  be- 
ging ein  nationales  Verbrechen  und  trug  eine  Mitschuld  an  der  Ver- 
nichtung der  Volksrechte.  Nicht  Sparta,  sondern  Hellas,  von  Sparta 
geführt,  kriegte  gegen  Athen. 

So  stellte  man  also  ganz  ähnliche  Gegensätze  auf,  wie  zur  Zeit 
der  Freiheitskriege ;  es  gab  wieder  eine  nationale  oder  Patriotenpartei 
und  eine  entgegenstehende.  Aber  die  Stellungen  hatten  sich  umgekehrt. 
Die  damaligen  Führer  der  Nationalen  waren  jetzt  die  'Verräther*,  und 
diejenigen  Staaten ,  welche  griechischen  Boden  den  Barbaren  preisge- 
geben hatten ,  standen  nun  auf  Seiten  der  'Befreier',  als  Vertreter  des 
hellenischen  Rechts,  ohne  ihre  Ueberzeugungen  verändert  zu  haben. 
Denn  überall,  wo  Adelsfamilien  sich  noch  eine  Macht  bewahrt  hatten, 
in  Megara,  in  Böotien,  in  Thessalien,  Lokris,  Phokis  u.  s.  w.  schlössen 
sich  diese  auf  das  Engste  an  Sparta  an,  weil  sie  Athen  als  den  Herd 
der  Demokratie  hasslen,  und  so  hatten  die  Peloponnesier  eben 


Digitized  by  Google 


ME  KRIEGSMITTEL  ATHENS. 


387 


sowohl  den  unklaren  Freiheitsschwindel  unterdrückter  Bürgergemein- 
den, wie  den  Ehrgeiz  und  die  Herrschsucht  der  Aristokraten  zu  ihren 
Bundesgenossen 

Dessen  ungeachtet  war  es  Perikles  vollkommen  klar,  dass  Athen 
den  Frieden  nicht  durch  feige  Zugestandnisse  erkaufen  dürfe.  Denn, 
wenn  die  Stadt  nicht  freiwillig  von  ihrer  Höhe  herabsteigen  wollte,  so 
war  der  Krieg  unvermeidlich,  und  es  war  keine  Aussicht,  dass  Athen 
an  Hülfsmitteln  und  Wehrkraft  gewinnen  sollte.  Dreihundert  schnell- 
rudernde Trieren  waren  kriegsbereit,  genügend  um  in  verschiedenen 
Geschwadern  die  Seezufuhr  zu  decken,  die  Bundesgenossen  in  Obacht 
zu  halten  und  die  feindlichen  Küsten  zu  brandschatzen.  Transport- 
schiffe und  Hülfsboote  waren  in  entsprechender  Zahl  vorhanden.  29,000 
Mann  Fufsvolk  waren  schlagfertig;  davon  16,000  für  den  Besatzungs- 
dienst in  Athen  und  den  festen  Plätzen,  zu  dem  auch  die  Wohlhabenden 
der  Metöken  herangezogen  wurden;  13,000  bildeten  die  Feldarmee. 
Dies  waren  Alle  Schwerbewaffnete.  Dazu  kamen  1200  Reiter  und  ein 
Corps  von  1600  Bogenschützen,  das  aus  ärmeren  Bürgern  und  Gewor- 
benen bestand.  Das  Heer  war  kriegsgewohnt  und  in  bestem  Zustande; 
auch  die  Flottenmacht  beruhte  nicht,  wie  die  Korinther  es  darzustellen 
liebten,  auffeilen  Söldlingen,  sondern  Bürger  führten  die  Trieren  und 
verlheidigten  den  Bord  jedes  Schiffes  wie  ein  Stück  ihres  vaterländischen 
Bodens.  Auch  die  Schutzbürger,  welche  die  Ehre  des  Waffendienstes 
theilten,  waren  zuverlässig  und  mit  den  Interessen  des  Staats  ver- 
wachsen. Athen  hatte  eine  Menge  von  Bürgern,  welche  zu  selbstän- 
digen Commandos  befähigt  waren,  während  Sparta  keine  Gelegenheit 
gehabt  hatte,  Feldherrn  zu  bilden. 

Der  Staatshaushalt  war  in  musterhafter  Ordnung.  Auf  den  Marmor- 
pfeilern, welche  den  Burgtempel  umgaben,  hatte  man  den  Bestand  des 
Schatzes  klar  vor  Augen  so  wie  die  jährlichen  Einkünfte  an  Tribut. 
Genaue  Controle  war  auf  diesem  Gebiete  der  erste  Gesichtspunkt  atti- 
scher Staatsweisheit,  und  mit  Rücksicht  auf  den  bevorstehenden  Krieg 
war  Perikles  gerade  in  den  letzten  Jahren  eifrigst  bestrebt  gewesen,  die 
Geldkräfte  des  Landes  immer  völliger  zur  Verfügung  des  Staats  zu 
stellen  (S.  252). 

Der  Reservefonds  enthielt  nach  Abzug  dessen,  was  die  Propyläen 
nebst  anderen  Bauten  und  die  Belagerung  von  Potidaia  gekostet  hatten, 
noch  6000  Talente  (zu  4715  Mark),  von  denen  1000  Talente  als  eiser- 
ner Fonds  ausgeschieden  waren.  Das  ungemünzte  Gold  und  Silber  auf 

25* 


Digitized  by  Google 


388 


DIE  HLLFSMITTEL  ATHENS. 


der  Burg  in  Wertbgegenständen  aller  Art  belief  sich  auf  500  Talente; 
einen  gleichen  Werth  hatte  der  Goldmantel  der  Parthenos,  aber  den 
man  im  Nothfall  verfügen  konnte.  Dazu  kamen  als  laufende  Jahresein- 
künfte die  600  Talente  der  Tribute.  Dabei  waren  die  regelmäßigen 
Einkünfte,  welche  die  Stadt  an  Domänen,  Zöllen,  Steuern  u.  s.  w.  hatte, 
nicht  gerechnet,  weil  sie  nicht  in  bestimmter  Summe  angegeben 
werden  konnten,  und  eben  so  wenig  die  heiligen  Schätze,  welche  noch 
nicht  auf  der  Burg  vereinigt  waren.  Eine  finanzielle  Leistungsfähigkeit 
dieser  Art  war  noch  von  keinem  Staate  Griechenlands  erreicht  worden. 
Sie  war  wesentlich  das  Werk  des  Perikles ,  und  er  konnte  mit  gutem 
Gewissen  seine  Mitbürger  darauf  hinweisen,  um  ihnen  Muth  einzu- 
sprechen, wenn  der  Krieg  unvermeidlich  war. 

Sein  Friedensregiment  war  keine  Zeit  der  Erschlaffung  gewesen, 
sondern  der  umsichtigen  Rüstung.  Athen  und  der  Peiraieus  war  eine 
unangreifbare  Festung;  für  Kriegsvorräthe  aller  Art  war  gesorgt;  die 
Zeughäuser  waren  mit  Waffen,  Geschossen  und  Maschinen  angefüllt; 
die  Flotte,  nach  Unterwerfung  von  Samos  gefürchteter  als  je  zuvor, 
war  in  allen  Theilen  des  Meers,  in  allen  Sunden  und  Hafenbuchten  zu 
Hause;  sie  war  durch  Hau  und  Ausrüstung  der  Schiffe  so  wie  durch 
die  liebung  des  Seevolks  auch  bei  gleicher  Zahl  allen  anderen  Ge- 
schwadern weit  überlegen.  Das  Bundesgebiet  war  durch  Flottenstatio- 
nen, Besatzungen  und  Kleruchien  allmählich  zu  einem  Reich  geworden 
und  in  dem  weiten  Gebiete  desselben  wurden,  wenn  es  das  Bedürfniss 
forderte,  auch  See-  und  Landtruppen  ausgehoben.  Als  selbständige 
Bundesgenossen  hatte  Athen  Lesbos  und  das  treue  Chios.  Aufserhalb 
des  eigentlichen  Bundesgebiets  hatte  sich  seine  Machtsphäre  nach 
Westen  erweitert.  Den  korinthischen  Golf  beherrschte  es  durch  Nau- 
paktos,  die  mächtigsten  Flottenstaaten  des  jenseitigen  Meers,  Kerkyra 
und  Zakynthos  waren  durch  die  Feindschaft  mit  Korinth  an  Athen  ge- 
bunden. Mit  dem  kriegstüchtigen  Volk  der  Akarnanen  stand  es  in 
freundlichen  Beziehungen,  eben  so  mit  Kephallenia,  so  dass  es  jetzt 
auch  das  ionische  Meer  als  sein  Gebiet  ansehen  konnte  und  die  wich- 
tigsten Waffenplätze  gegen  die  peloponnesische  Westküste  in  Händen 
hatte.  Im  nordischen  Festlande  endlich  hatte  es  die  alte  Bundesge- 
nossenschaft mit  den  Thessaliern  erneuert ,  welche  es  mit  Reiterei 
unterstützen  konnten14). 

Wenn  nun  diese  Fülle  von  Hülfs mittein  durch  einmüthiges  Ver- 
trauen einer  patriotischen  Bürgerschaft  der  Weisheit  eines  Staats- 


Digitized  by  Google 


DIE  STELLUNG  DES  PERIKLES. 


3S9 


manns  und  Feldherrn,  wie  Perikles  war,  anvertraut  wurde,  so  konnte 
man  in  der  That  auch  einem  furchtbaren  Feinde  gegenüber  der  Zu- 
kunft ruhig  entgegen  sehen.  Mit  einem  kleinen  Heere  durften  die 
Peloponnesier  nicht  kommen,  mit  einem  grossen  aber  konnten  sie  nur 
kurze  Zeit  in  Attika  sich  halten ,  wenn  Heerden  und  Mundvorrath  in 
Sicherheit  gebracht  waren.  Athen  war  darauf  eingerichtet,  seine  Land- 
schaft entbehren  zu  können.  An  eine  Belagerung  war  nicht  zu  denken, 
da  die  Peloponnesier  aufser  Stande  waren ,  die  Zufuhr  abzuschneiden. 
Die  Gränzen  waren  durch  Festungen  gesichert ,  welche  das  Landvolk 
aufnehmen  konnten.  Perikles  hatte  seine  Friedenswerke  wie  seine 
Kriegsrüstungen  vollendet;  durch  Aufschub  konnte  nur  verloren 
werden.  Denn  erstens  konnte  keine  günstigere  Gelegenheit,  einen  ge- 
rechten Vertheidigungskrieg  zu  führen,  eintreten;  dann  war  jedes 
Zeichen  von  Furcht  schon  eine  Niederlage  und  eine  Ermuthigung  für 
die  Feinde.  Endlich  fehlte  es  auch  nicht  an  Anzeichen,  die  ein 
längeres  Warten  bedenklich  erscheinen  liefsen,  selbst  wenn  auch  ohne 
Verletzung  der  Ehre  Athens  ein  Aufschub  des  Kriegs  hätte  erreicht 
werden  können.  Denn  das  durfte  und  musste  sich  Perikles  sagen, 
dass  der  Erfolg  des  Kriegs  zum  grofsen  Theile  davon  abhing,  wie  weit 
die  Bürgerschaft  ihm  ihr  volles  Vertrauen  erhielt,  und  wie  weit  er  die 
Körper-  und  Geisteskraft  behauptete,  um  sie  nach  seinem  Willen 
lenken  zu  können. 

Was  den  ersteren  Punkt  betrifft,  so  war  der  Widerspruch  gegen 
Perikles  niemals  ganz  beseitigt,  sondern  nur  zurückgedrängt  worden. 
Die  Grundeigentümer  sahen  sich  durch  einseitige  Bevorzugung  der 
See-  und  Handelsinteressen  verletzt;  die  priesterliche  Partei  hasste 
den  Freidenker,  die  alte  Aristokratie  war  unversöhnlich  geblieben,  und 
eben  so  wenig  konnten  die  eifrigen  Freunde  der  Demokratie  mit  einem 
Manne  zufrieden  sein,  welcher  die  Grundsätze  derselben  tatsächlich 
authob.  Die  Einen  hofften  in  der  Stille,  dass  mit  dem  Sturze  des 
Perikles  auch  das  demokratische  System ,  auf  welches  er  seine  Macht 
gebaut  hatte,  fallen,  die  Anderen,  dass  es  dann  erst  recht  zur  Wahrheit 
werden  würde.  Wenn  nun  beide  Parteien  zu  ihrem  nächsten  Zwecke 
sich  verbanden,  so  musste  dies  von  bedenklichen  Folgen  sein.  Noch 
stand  Perikles  in  unerscbüttertem  Ansehen;  seine  erfolgreiche  Thälig- 
keit  nach  innen  und  aufsen,  die  entschlossene  und  klare  Folgerichtig- 
keit seiner  Politik  war  über  jeden  Angriff  erhaben.  Lebhafte  Aner- 
kennung fehlte  ihm  nicht;  selbst  neue  Ehren,  die  noch  keinem  Bürger 


Digitized  by  Google 


390 


ANFEINDUNG  DES  PERIKLES. 


zu  Tiicil  geworden,  wie  der  von  Staatswegen  zuerkannte  Olivenkranz, 
schmückten  sein  Haupt;  es  war  der  Siegesdank  für  den  im  Dienste  der 
Staatsgöttin  ruhmreichen  Staatsmann,  den  Helden  des  Friedens. 

Derselbe  Mann  wurde  aber  auch  verläumdet  und  verspottet.  Die 
eigenen  Söhne  machten  sich  über  seine  Beschäftigung  mit  sophisti- 
schen Denkübungen  lustig;  sein  Stolz  verletzte,  sein  Ansehen  war  den 
Bürgern  lästig.  Je  weniger  man  ihm  offen  entgegenzutreten  wagte,  um 
so  mehr  wurde  an  seinen  Mafsregeln  getadelt,  und  die  lautersten  Ab- 
sichten wurden  schändlich  gemissdeutet.  So  z.  B.  wurde  in  der  kerky- 
räischen  Angelegenheit  über  die  Flotte  von  10  Schiffen  gespottet  und 
dieser  'halben  Mafsregel'  die  Absicht  untergeschoben ,  dass  sie  blofs 
darauf  angelegt  sei ,  dem  Lakedaimonios  einen  Streich  zu  spielen  und 
ihn  selbst  mit  seinen  Parteigenossen  in  Missachtung  zu  bringen 
(S.  366).  Auch  die  tückische  Anfeindung,  welche  von  Sparta  ausging 
(S.  378),  fand  ihren  Boden  in  Athen ;  denn  nur  so  ist  es  zu  erklären, 
dass  Herodot  um  diese  Zeit  sich  veranlasst  sah,  in  seinem  Werke  nach- 
träglich für  das  Haus  der  Alkmäoniden  einzutreten  und  die  hohen  Ver- 
dienste dieses  Geschlechts  um  die  Sache  der  bürgerlichen  Freiheit  den 
Athenern  in  das  Gedächtniss  zu  rufen.  Man  sieht  also,  dass  nicht  blofs 
die  alte  Blutschuld  wieder  aufgewärmt  wurde,  sondern  auch  andere  Ver- 
dächtigungen gegen  die  loyale  Gesinnung  des  Hauses  und  seiner  Ange- 
hörigen Anklang  fanden. 

Perikles  konnte  man  persönlich  nichts  anhaben,  aber  schlimm 
war  es,  dass  seine  Umgebung  nicht  immer  von  der  besten  Art  war.  Er 
war  in  dem  Grade  der  Erste  in  Athen,  dass  Männer  von  selbständigem 
Charakter  sich  nicht  immer  bereit  fanden,  die  Organe  seiner  Thätigkeit 
zu  sein.  Um  so  mehr  drängten  sich  Leute  untergeordneter  Art  an  ihn 
heran,  um  mit  Verzicht  auf  selbständige  Thätigkeit  allerlei  persönliche 
Vortheile  für  sich  zu  erreichen.  Einer  von  diesen  war  Metiochos  oder 
Metichos,  ein  Rhetor  und  Architekt,  der  auch  das  Feldherrnamt  mit 
Perikles  getheilt  hat  und  dem  Grundgesetz  der  Demokratie  zuwider 
mehrere,  wenn  auch  kleinere,  doch  einflussreiche  Aemter  zugleich  be- 
kleidete; deshalb  hörte  man  auf  den  Gassen  die  Spotlverse  absingen: 
Metichos  ist  Trappenführer,  Wegebauherr  Metichos, 
Metichos  sorgt  für's  Gebäck  und  Metichos  für  Korn  und  Mehl, 
Metichos  ist  aller  Orten,  Metichos  wird's  übel  gehn! 
Zu  diesem  Anhange  des  Perikles  gehörte  Charinos ,  welcher  den  mega- 
rischen  Volksbeschluss  abfasste ,  und  Menippos ,  dessen  sich  Perikles 


Digitized  by  Google 


VERSPOTTUNG  DES  PERIKLES. 


391 


mehrmals  als  seines  Unterfeld herrn  bediente.  In  noch  üblerem  Rufe 
stand  der  reiche  und  üppige  Pyrilampes,  des  Antiphon  Sohn,  der  sich 
ein  Vogelhaus  eingerichtet  hatte,  welches  zu  den  Sehenswürdigkeiten 
von  Athen  gehörte  und  am  ersten  jedes  Monats  Einheimischen  wie 
Fremden  gezeigt  wurde.  Besonders  viel  that  er  sich  auf  seine  Pfauen 
zu  Gute,  die  damals  in  Griechenland  noch  unbekannt  waren,  und  er 
lieferte  davon,  wie  man  sich  erzählte,  dem  Perikles,  welcher  sie  als 
Liebesgescbenke  für  seine  Buhlerinnen  verwende. 

Solche  Stadtgeschichten  griff  die  Komödie  auf,  der  nichts  will- 
kommener war,  um  die  Lachlust  der  Athener  zu  befriedigen,  als  wenn 
sie  ihnen  den  erhabenen  'Olympier*  vorführen  konnte,  wie  er  auf 
Wegen  menschlicher  Schwäche  wandelte.  Darum  würzte  sie  ihre 
Stücke  mit  offeneren  oder  versteckteren  Anspielungen  auf  den  Ge- 
flügelhof des  Pyrilampes,  und  auf  die  Frau  des  Menippos,  die  ihrem 
Manne  zur  Feldherrnwürde  verholfen  haben  sollte,  so  wie  auf  die 
schönen  Albanerinnen,  von  denen  das  Gerede  ging,  dass  sie  in  Pheidias' 
Werkstätten  aus-  und  eingingen  und  dort  gelegentlich  mit  dem  kunst- 
sinnigen Staatsoberhaupte  bekannt  würden.  Einen  'Fürsten  der  Sa- 
tyrn1 nannte  Hermippos  den  Perikles  mit  Hinblick  auf  die  unwürdigen 
und  charakterlosen  Menschen ,  welche  ihn  umgaben ;  auch  der  Spott- 
name der  'neuen  Pisistratiden'  war  eine  Erfindung  der  Komödie,  durch 
welche  sie  den  Anhang  des  Perikles  mit  den  Hofleuten  eines  Tyrannen 
verglich.  Auch  der  kimonisch  gesinnte  Kratinos  (S.  306)  schonte  seiner 
nicht.  Die  Anfeindungen  wurden  so  zügellos,  dass  man  die  Wahrung 
des  öffentlichen  Interesses  nicht  den  Beamten  überlassen  wollte, 
welche  die  Festfeier  leiteten  und  dafür  ve  rant  wortlich  waren  t  sondern 
ein  besonderes  Gesetz  für  nöthig  hielt,  um  den  Ausschreilungen  der 
Bühne  zu  steuern.  Es  galt  besonders  dem  Schutz  einzelner  Bürger, 
welche  nicht  mehr  unter  ihren  Namen  oder  durch  ihre  Porträtmaske 
gekennzeichnet,  dem  Spott  preisgegeben  werden  sollten.  Das  Gesetz 
wurde  unter  dem  Archontat  des  Murychides  gegeben,  85,  1 ;  440,  als 
Perikles  nach  Unterwerfung  der  Samier  auf  der  Höhe  seines  Einflusses 
stand.  Also  muss  auch  diese  Gesetzgebung  wesentlich  durch  ihn  ver- 
anlasst worden  sein.  Sie  erhielt  sich  aber  nur  bis  in  das  dritte  Jahr. 

Viel  ernsterer  Art,  als  diese  Reibungen  mit  dem  Publikum  und  der 
Bühne,  waren  die  Angriffe  auf  seine  Politik,  welche  von  den  allen  und 
neuen  Feinden  derselben  ausgingen.  Die  alten  Anklagen  wurden  wieder 
laut:  Vergeudung  des  Staatsguts,  Begünstigung  der  Freigeisterei  und 


Digitized  by  Google 


392  ANGRIFFE  AUF  PHEIDIAS. 

anderer  verderblicher  Richtungen,  welche  dem  väterlichen  Herkommen 
widersprächen.  Zunächst  aber  wendeten  sich  diese  Angriffe  nicht  un- 
mittelbar gegen  Perikles ,  sondern  gegen  diejenigen  Personen,  welche 
als  die  hervorragendsten  und  ihm  zunächst  stehenden  Vertreter  jener 
Richtungen  angesehen  wurden,  gegen  Pheidias,  Anaxagoras  und 
Aspasia15). 

Wer  sollte  nicht  denken,  dass  über  einen  Mann,  dessen  Thätigkeit 
eine  so  offenkundige  und  so  unvergleichlich  ruhmvolle  gewesen  ist, 
wie  die  des  Pheidias,  eine  sichere  Ueberlieferung  vorliege,  welche  uns 
in  Stand  setzte,  ihn  Schritt  für  Schritt  bis  an  sein  Ende  zu  begleiten? 
Und  doch  ist  es  anders.  Es  konnten  sich  vielmehr  schon  im  Alterthum 
zwei  ganz  verschiedene  und  einander  widersprechende  Erzählungen 
von  den  letzten  Schicksalen  des  Meisters  bilden. 

Nach  der  einen  Ueberlieferung  soll  Pheidias  schon  als  Flüchtling 
nach  Elis  gekommen,  dort  von  Neuem  nach  Vollendung  des  Zeusbildes 
wegen  Unterschleif  angeklagt,  verurteilt  und  von  den  Eleern  hinge- 
richtet worden  sein.  Nach  der  anderen  ist  er  von  Olympia,  wo  Ange- 
hörige seiner  Familie  als  Phädrynlen  des  Zeus  (S.  351)  ansässig 
blieben,  nach  Athen  zurückgekehrt  und  hier  sofort  den  Anfechtungen 
anheimgefallen,  welche  Perikles  und  seinen  Freunden  bereitet  wurden. 

Wir  folgen  der  letzteren  Ueberlieferung  und  sehen  den  hochbetagten 
Künstler ,  nachdem  es  ihm  vergönnt  war,  auf  den  Koloss  des  olympi- 
schen Gottes  seinen  Namen  zu  setzen,  in  vollem  Ruhme  nach  Athen 
heimkehren,  als  hier  die  Parthenongiebel  eben  vollendet  waren  und 
der  Propyläenbau  sich  seiner  Vollendung  näherte  (S.  356).  Perikles 
hatte  denselben  nicht  durchführen  können ,  wie  er  ihn  mit  Mnesikles 
entworfen  halte.  Die  priesterliche  Partei  hatte  dabei  in  Verbindung  mit 
den  Unzufriedenen  im  Kreise  der  Conservativen  wie  der  Demokraten 
ihre  Macht  erprobt,  und  Perikles  konnte  weiteren  Angriffen  auf  seine 
Stellung  entgegensehen;  er  musste  dabei  Pheidias  zur  Seite  haben, 
und  dieser  war  entschlossen,  treu  und  tapfer  bei  dem  Freunde  auszu- 
harren. 

Auf  Pheidias  wurden  die  Angriffe  gerichtet,  welche  Perikles  galten, 
und  man  kann  aus  dem,  was  überliefert  ist,  noch  deutlich  erkennen, 
welche  Mittel  in  Bewegung  gesetzt  werden  mussten,  um  die  Stellung 
eines  Mannes  zu  erschüttern,  welcher  ein  Jahrzehent  hindurch  in 
seiner  Staatsleitung  keinem  hemmenden  Widerspruch  begegnet  war. 
Ein  untergeordneter  Künstler ,  Menon  mit  Namen,  wurde  veranlasst, 


Digitized  by  Google 


ANGRIFFE  AUF  PHEJDIAS 


393 


sich  an  den  Marktaltären  niederzusetzen,  wie  die  zu  thun  pflegten, 
welche  sich  in  den  Schutz  der  Gemeinde  stellten,  um  ohne  Gefahr  für 
ihre  Person  gegen  hervorragende  Bürger  eineAnklage  zu  erheben.  Diese 
Angelegenheit  wurde  wie  eine  Staatsaction  behandelt.  Ein  gewisser 
Glykon  beantragte  bei  Rath  und  Bürgerschaft,  dass  dem  Schutzflehen- 
den volle  Sicherheit  verbürgt  werde,  und  nun  beschuldigte  dieser  den 
Pheidias,  dass  bei  dem  Parthenosbilde,  nach  dessen  Vollendung  er 
Athen  verlassen  habe,  falsche  Rechnung  abgelegt  und  bei  ihrem  Gold- 
mantel öffentliches  Geld  unterschlagen  worden  sei. 

Auf  diesen  Angriff  war  man  vorbereitet;  der  Mantel  war  ein  Tbeil 
des  Staatsschatzes  (S.  251)  und  auf  Perikles'  Veranstaltung  hatte  man 
die  Einrichtung  getroffen,  dass  derselbe  ohne  Beschädigung  der  Bild- 
werke abgenommen  werden  konnte.  Er  wurde  gewogen  und  den 
Rechnungen  gemäfs  vollwichtig  gefunden. 

Die  feindliche  Partei  halte  aber,  nachdem  der  erste  Angriff  ge- 
scheitert war,  schon  einen  zweiten  vorbereitet,  eine  arglistig  ersonnene 
Denunciation,  in  der  sich  noch  deutlicher  die  Intrigue  einer  der  periklei- 
schen  Staatsleitung  seit  lange  feindlichen  Priesterpartei  zu  erkennen 
giebt,  eine  Anklage  wegen  Gottlosigkeit.  Es  wurde  nämlich  darauf 
hingewiesen,  dass  in  der  Amazonenschlacht  am  Schilde  der  Parthenos 
zwei  Figuren  zu  erkennen  seien,  welche  die  Züge  von  Perikles  und 
Pheidias  trügen.  Die  Thalsacbe  war  richtig.  Der  Künstler  hatte  sich 
selbst  als  einen  kahlköpfigen  Alten  dargestellt,  der  mit  zwei  Händen  über 
seinem  Kopfe  einen  Felsblock  hob ,  Perikles  aber  in  der  edlen  Gestalt 
eines  Speerwerfers,  und  zwar  so,  dass  er  mit  der  eigenen  Hand  die 
Mitte  des  Gesichts  verdeckte;  aber  auch  so  erschien  die  Aehnlichkeit 
unverkennbar.  Darin  wurde  eine  die  Heiligkeit  des  Tempels  ver- 
letzende Selbstsucht  anerkannt;  die  Bürgerschaft  verlangte  persönliche 
Haft,  ein  Zeichen,  dass  man  dem  Gegenstande  der  Anklage  den  Cha- 
rakter staatsgefährlicher  Umtriebe  zu  geben  wusste,  und  während  der 
lügnerische  Angeber  als  ein  Wohlthäter  der  Stadt  gefeiert  wurde, 
wanderte  Pheidias,  der  den  Ruhm  seiner  Vaterstadt  mit  glänzen- 
derem und  unbestrittenerem  Erfolge  als  irgend  einer  seiner  Zeitge- 
nossen begründet  hatte,  als  Verbrecher  in  das  Getan  gniss.  Nach  der 
gewöhnlichen  Ueberlieferung  ist  er  hier  gestorben,  ehe  die  Unter- 
suchung zu  Ende  geführt  war,  von  Alter  und  Gram  gebeugt,  und  auch 
nach  seinem  Tode  ruhte  die  giftige  Missgunst  nicht,  sondern  sprengte 
das  Gerücht  aus ,  Perikles  selbst  habe  seinen  Freund  aus  dem  Wege 


Digitized  by  Google 


394 


AMJR1FFE  AUF  AXAVAGORAS  U.ND  ASI'ASIA. 


räumen  lassen,  um  die  weitere  Untersuchung  zu  verhindern  und 
schlimmen  Enthüllungen  vorzubeugen16). 

Ein  neuer  Angriff  traf  Anaxagoras,  der  lange  Jahre  ruhig  in  Athen 
gelebt  hatte,  eingezogen  und  unbescholten,  ohne  Ehrgeiz,  ganz  seinen 
philosophischen  und  mathematischen  Studien  hingegeben,  nicht  ein- 
mal beflissen,  eine  Schule  zu  gründen.  Aber  er  war  der  vertrauteste 
Freund  des  Perikles,  und  diesen  konnte  man  nicht  schmerzlicher 
kränken,  als  indem  man  seinen  Anaxagoras  verfolgte.  Zu  diesem 
Zwecke  verbanden  sich  Männer  der  verschiedensten  Parteifarbe,  ehr- 
liche Anhänger  väterlicher  Religion  und  Sitte,  wie  Thukydides,  des 
Melesias  Sohn,  der  seiner  alten  Gesinnung  treu,  aus  der  Verbannung 
zurückgekehrt,  von  Neuem  als  Gegner  des  Perikles  auftrat,  und 
andererseits  die  Vorkämpfer  unbeschränkter  Volksherrschaft,  wie 
Kleon,  denen  es  nur  darum  zu  thun  war,  die  Autorität  des  Perikles  zu 
stürzen.  Das  Hauplorgan  des  religiösen  Fanatismus  war  Diopeithes, 
ein  Priester  und  Volksredner  von  leidenschaftlichem  Temperament,  der 
mit  dem  verstellten  Wahnsinne  eines  Gottbegeisterten  die  Augen  der 
Menge  auf  sich  zog,  Orakelsprüche  mit  gellender  Stimme  vortrug  und 
das  Volk  aufregte.  Er  setzte  den  Beschluss  durch,  dass  alle  diejenigen, 
welche  die  Landesreligion  verläugneten  und  über  die  göttlichen  Dinge 
philosophirten,  als  Staatsverbrecher  belangt  werden  sollten.  Nun  halte 
man  gegen  die  philosophischen  Freunde  des  Perikles  die  Waffe  in 
Händen.  Dämon  (S.  207  f.)  wurde  verbannt,  und  Anaxagoras  in  einen 
peinlichen  Prozess  verwickelt,  so  dass  Perikles  die  Unmöglichkeit  er- 
kennen musste,  die  Freisprechung  durchzusetzen.  In  voller  Treue  be- 
kannte er  sich  zu  ihm,  aber  er  musste  sich  glücklich  schätzen ,  dass  er 
sein  Leben  zu  retten  vermochte;  er  musste  ihm  selbst  anrathen,  Athen 
zu  verlassen,  und  mit  tiefem  Schmerze  sah  er  den  greisen  Philosophen 
nach  Lampsakos  auswandern. 

Durch  diesen  Erfolg  ermuthigt,  rückte  die  feindliche  Partei 
kecker  gegen  Perikles  vor  und  richtete  den  nächsten  Angriff  gegen 
seine  Hausgenossin,  gegen  Aspasia,  welche  auf  der  komischen  Bühne 
als  die  Hera  des  olympischen  Zeus,  als  die  neue  Omphale,  die 
den  gewaltigen  Herakles  gebändigt  habe,  und  als  Deianeira  ver- 
spottet worden  war.  Jetzt  wurde  aus  dem  Scherze  Ernst.  Der 
Komödienscbreiber  Uermippos  wurde  zum  öffentlichen  Ankläger  und 
rief  die  stolze  Milesierin  zur  Verantwortung  vor  die  Geschworenen 
wegen  Gottlosigkeit  und  wegen  ihrer  Versündigung  gegen  Ehrbarkeit 


Digitized  by  Google 


ANGRIFFE  AUF  PERIKLES  (87,  1;  481).  395 

und  Sitte,  indem  er  sie  beschuldigte,  dass  sie  freigeborene  Frauen  zu 
schmählichem  Gewerbe  in  ihr  Haus  locke.  Hier  konnte  Penkies  nicht 
nachgeben.  Sein  ganzes  Ansehen  legte  er  in  die  Wagschale;  er  wollte 
mit  ihr  stehen  oder  fallen.  Er  trat  als  ihr  Sachwaller  vor  das  Volk, 
aber  er  war  nicht  mehr  der  stolze,  siegesbewusste,  ruhige  Staatsmann, 
sondern  mit  vielen  Thränen  beschwor  er  die  Richter,  ihm  eine  solche 
Kränkung  zu  ersparen,  und  so  erlangte  er  die  Freisprechung  seiner 
Freundin  von  der  peinlichen  Anklage,  welche  aus  Feindschaft  wider 
ihn  erhoben  war  und  deshalb  als  Parteifrage  behandelt  wurde17). 

Endlich  wurde  unmittelbar  gegen  Perikles  vorgegangen.  Seine 
Gegner  beschuldigten  ihn  der  Unterschlagung  öffentlicher  Gelder. 
Auf  Antrag  des  Drakontides  —  wohl  desselben,  der  das  Geschwader 
nach  Kerkyra  führte  (S.  368)  —  wurde  beschlossen,  dass  Perikles 
vollständige  Rechnung  über  die  Staatsgelder,  welche  durch  seine  Hand 
gegangen  wären,  bei  den  Prytanen  einzureichen  habe,  und  dass  über 
seine  Schuld  oder  Unschuld  in  feierlicher  Weise  auf  der  Rurg  am 
Altare  der  Athena  gerichtet  werde,  um  die  Richter  um  so  mehr  an- 
zuhalten, dass  sie,  von  allen  persönlichen  Rücksichten  unbeirrt,  der 
Heiligkeit  ihres  Eides  gedenken  sollten.  Dies  Verfahren  wurde  in- 
dessen auf  Hagnons  Antrag  wieder  umgeändert  und  zwar  dahin,  dass 
die  Sache  vor  einem  Gerichtshöfe  von  1500  Geschworenen  entschieden 
werde;  ihrem  Ermessen  wurde  es  dabei  anheimgegeben,  ob  die  Sache 
als  ein  Prozess  wegen  Unterscbleifs  oder  wegen  Restechung  oder  im 
Allgemeinen  wegen  Beeinträchtigung  des  Staatswohls  behandelt  werden 
sollte 

Wenn  auch  diesmal  der  Angriff  der  Feinde  misslang,  so  beweisen 
diese  Thalsachen  doch  zur  Genüge,  wie  bedenklich  Perikles"  Stellung 
geworden  war,  seitdem  die  conservative  Partei  der  alten  Aristokraten 
mit  der  neuen  Demokratenpartei,  die  sich  während  der  Friedensjahre 
gebildet  hatte,  gemeinschaftliche  Sache  gegen  ihn  machte  und  priester- 
licher Fanatismus  die  Erbitterung  unablässig  zu  steigern  suchte.  Diese 
Bestrebungen  blieben  nicht  ohne  Erfolg;  denn  bei  aller  Klugheit  hatte 
Perikles  es  doch  nicht  vermeiden  können,  dass  seine  ganze  Stellung 
im  Staate  und  namentlich  auch  sein  Leben  mit  den  Künstlern,  den 
Philosophen  und  den  ionischen  Frauen  an  das  Wesen  der  Tyrannis 
erinnerte  und  deshalb  vielfältigen  Anstofs  gab. 

Diese  Kämpfe,  welche  Perikles  für  sich  und  seine  Freunde  zu 
bestehen  hatte,  fallen  in  das  Jahr  87,  V2  (431),  also  in  dieselbe  Zeit, 


Digitized  by  Google 


396 


PER1KLES  WÜNSCHT  DEN  KRIEG. 


da  die  Lakedäraonier  ihre  Gesandtschaften  schickten,  und  wir  können  . 
nicht  bezweifeln,  dass  man  in  Sparta  von  der  Veränderung,  welche 
in  der  Stimmung  der  Bürgerschaft  vorgegangen  war,  wohl  unterrichtet 
war,  und  dass  man  wahrscheinlich  nicht  ohne  Mitwirkung  der 
aristokratischen  Partei  in  Athen  die  Forderung  auf  Ausweisung  der 
Alkmäoniden  stellte. 

Perikles  selbst  war  aus  allen  persönlichen  Anfeindungen  sieg- 
reich hervorgegangen,  aber  er  konnte  sich  die  Schwierigkeiten  seiner 
Stellung  nicht  verhehlen.  Denn  die  Parteien  der  Gegner  bildeten  eine 
Macht  im  Staate  und  konnten  sich  jeder  Zeit  zu  neuem  Angriffe  ver- 
einigen. Darum  war  er  auch  in  Beziehung  auf  seine  Person  der 
Meinung,  dass  der  einmal  unvermeidliche  Krieg  nicht  zu  besserer  Zeit 
ausbrechen  könne;  er  konnte  erwarten,  dass  gemeinsame  Gefahr  die 
Aufmerksamkeit  von  den  inneren  Angelegenheiten  ablenken,  die 
Stärke  seiner  Gegner  unschädlich  machen,  den  Gemeinsinn  stärken 
und  seine  Unentbehrlichkeit  den  Athenern  deutlich  machen  werde. 
So  ungerecht  also  auch  die  Anschuldigung  der  Komödiendichter  war, 
die  den  ganzen  Krieg  auf  Rechnung  des  Perikles  schoben ,  welcher, 
um  sich  aus  seinen  Verlegenheiten  zu  befreien,  *den  megarischen 
Volksbeschluss  wie  einen  Funken  in  das  mit  Brennstoff  angefüllte 
Hellas  hineingeschleudert  habe' :  so  ist  der  Zusammenhang  des  Kriegs 
mit  den  erwähnten  Staatsprozessen  doch  nicht  zu  läugnen;  denn  diese 
haben  nicht  nur  die  Feinde  des  Perikles  in  Sparta  ermuthigt,  sondern 
auch  ihn  selbst  entschlossener  gemacht,  den  Krieg  anzunehmen,  von 
dem  er  die  Hoffnung  liegte,  dass  er  bald  und  glücklich  zu  Ende 
geführt  sein  werde.  Die  schwüle  Atmosphäre  konnte  nicht  besser  als 
durch  einen  gerechten  Kampf  gereinigt  werden,  wenn  Perikles  auch 
keinen  Augenblick  verkennen  konnte,  dass  der  Krieg  ihm  persönlich 
wieder  neue  Gefahren  bereiten  würde.  Denn  er  sah,  wie  seine  Reden 
beweisen,  mit  voller  Klarheit,  dass  jedes  unerwartete  Unglück  seinen 
Sturz  veranlassen  könne;  er  kannte  die  Unbeständigkeit  und  Ungeduld 
der  Athener,  er  wusste,  dass  er  sein  Kriegssystem  nicht  durchführen 
könne,  ohne  den  Bürgern  die  gröfsten  Opfer  aufzulegen.  Sie  mussten 
Selbstüberwindung  genug  haben,  um  mit  Gleichmuth  den  Feinden 
ihre  Aecker  preiszugeben;  denn  nur  so  konnte  es  erreicht  werden, 
dass  die  Peloponnesier  sich  in  vergeblichen  Anstrengungen  erschöpften 
und  zum  Frieden  gezwungen  sähen.  Um  diesen  Kriegsplan  durch- 
zuführen, bedurfte  es  eines  Mannes  von  unerschütterlicher  Ruhe  und 


Digitized  by  Google 


PER1KLES  WÜNSCHT  DEN  KRIEG. 


397 


bewährtem  Ansehen,  eines  Staatsmanns  und  Feldherrn,  welcher  ohne 
Widerspruch  der  Erste  unter  seinen  Mitbürgern  war.  Perikles  durfte 
sich  sagen,  dass  das  Gelingen  an  seine  Person  geknüpft  sei;  darum 
musste  er,  und  zwar  nicht  aus  Selbstsucht,  sondern  aus  reinster  Vater- 
landsliebe wünschen,  dass  der  Krieg  beginnen  möchte,  so  lange  er 
noch  die  volle  Kraft  habe,  Athen  zu  leiten19). 


So  lagen  sich  die  beiden  Staaten  kriegsbereit  und  kriegsent- 
schlossen gegenüber,  ohne  dass  es  zum  Angriffe  kam.  Athen  wollte 
grundsätzlich  nur  abwehrend  verfahren,  Sparta  scheute  sich  vor  dem 
entscheidenden  Schritte.  Im  ganzen  Volke  aber  harrte  man  mit  ängst- 
licher Spannung,  was  die  nächste  Zukunft  bringen  werde,  die  Einen 
ungeduldig  vorwärtsdrängend,  die  Anderen  von  trüben  Ahnungen 
erfüllt.  Denn  die  junge  Mannschaft  diesseits  und  jenseits  des  Isthmos, 
im  Frieden  herangewachsen  und  unbekannt  mit  den  Schrecken  eines 
Bürgerkriegs,  hatte  ein  unbestimmtes  Verlangen  nach  Veränderung 
eines  Zustandes,  welcher  ihr  unerträglich  war,  ein  Verlangen  nach 
endlicher  Entscheidung,  bei  welcher  sich  die  Kräfte  messen  können. 
Ihr  schien  es  besser,  dass  der  Gegensau  der  Parteien  im  ofTenen  Felde 
durchgefochten  werde,  als  dass  er  noch  länger  wie  ein  schleichendes 
Gift  am  Leben  des  Volkes  zehre.  Die  Erfahreneren  und  Bedächtigeren 
aber  erwogen  wohl  die  unabsehbaren  Folgen,  die  das  erste  blutige 
Zusammentreffen  der  beiden  Grofsstaaten  nach  sich  ziehen  müsse, 
und  ihre  bangen  Erwartungen  fanden  Ausdruck  und  Bestätigung  in 
den  düsteren  Orakelsprüchen,  welche  im  Munde  des  Volks  umgingen; 
böse  Vorzeichen  aller  Art  wurden  gesucht  und  gefunden,  schreckende 
Naturereignisse  traten  ein,  namentlich  ein  Erdbeben  auf  Delos,  das 
erste  nach  genauer  Erkundigung,  welches  die  heilige  Insel  betroffen 
hatte,  die  man  unerschütterlich  im  Meeresgrunde  befestigt  dachte; 
die  Kunde  davon  steigerte  die  angstvolle  Spannung80). 

Da  erfolgte  der  Ausbruch  des  Kriegs  auf  eine  durchaus  uner- 
wartete Weise,  weder  von  Sparta  noch  von  Athen,  sondern  von 
Theben. 

Theben  hatte  die  merkwürdigsten  Schwankungen  durchgemacht. 
Eine  demokratische  Partei  hatte  sich  des  Regiments  bemächtigt ,  um 
die  Stadt  zur  Hauptstadt  von  Böotien  zu  machen  (S.  169).  Dadurch 
waren  die  böotischen  Landstädte  zu  einer  Verbindung  mit  Athen 


Digitized  by  Google 


398 


AUSBRUCH   DES   KRIEGS  (8T.  1;  431). 


gedrängt  worden,  welche  durchaus  unnatürlich  war  und  durch  den 
blutigen  Tag  von  Koroneia  wieder  zerrissen  wurde  (S.  178).  Diese 
Kämpfe  halten  nur  dazu  beigetragen,  die  leidenschaftliche  Erbitterung 
gegen  Athen  zu  steigern;  man  konnte  es  der  Stadt  nicht  vergessen, 
dass  sie  den  verwegenen  Versuch  gemacht  hatte,  Böotien  dem 
attischen  Staate  einzuverleiben,  und  nachdem  auch  in  Theben  die 
aristokratische  Partei  wieder  fester  als  je  zuvor  am  Ruder  war,  hatte 
sie  keinen  anderen  Gedanken  als  alle  Stützpunkte  attischer  Politik  in 
Böotien  zu  vernichten  und  Alles  auszurotten,  was  daselbst  an  Sym- 
pathie für  Athen  vorhanden  war.  Der  einflussreichste  Mann  in  Theben, 
der  Führer  der  oligarchischen  Partei,  war  Eurymachos,  des  Leontiadas 
Sohn,  ein  geschworener  Feind  der  perikleischen  Politik.  Er  wollte 
seine  Vaterstadt,  die  als  Vorort  an  der  Spitze  des  böotischen  Städte- 
bundes  stand,  durch  eine  kühn  vorgehende  Politik  wieder  zur  Haupt- 
stadt des  Landes  erheben,  und  dazu  schien  ihm  nichts  geeigneter,  als 
ein  Handstreich  gegen  Plataiai. 

Die  platäische  Mark  war  durch  die  Verträge  als  ein  heiliges  Gebiet 
anerkannt  (S.  92);  die  Stadt  war  mit  Athen  auf  das  Engste  verbunden 
und  wurde  demokratisch  regiert;  sie  trennte  zugleich  die  Thebaner 
von  dem  peloponnesischen  Bundesgebiete,  das  jenseits  des  Kithairon 
anfing,  und  war  ihnen  in  jeder  Beziehung  ein  Dorn  im  Auge.  Denn 
seit  den  Freiheitskriegen  ruhte  ein  besonderer  Glanz  auf  dem  Namen 
der  Platäer;  sie  hatten  mit  Sparta  wie  mit  Athen  ehrenvolle  .Familien- 
verbindungen, und  wenn  auch  die  nationalen  Einrichtungen,  welche 
Aristeides  gegründet  hatte,  namentlich  die  eidgenössischen  Versamm- 
lungen in  Plataiai,  niemals  in's  Leben  getreten  waren,  so  hatten  doch 
die  Bürger  der  Stadt  von  ihrem  Antheile  an  der  Siegesbeute  herrliche 
Tempel  und  Weih  gesehen  ke  gestiftet;  Pheidias  und  Polygnot  hatten 
ihr  Heiligthum  der  Kriegsgöttin  Athena  ausgeschmückt  (S.  312),  und 
die  Feste  Zeus  des  Befreiers,  so  wie  die  jährlichen  Todtenfeste  zum 
Andenken  der  gefallenen  Helden  erhielten  den  Ruhm  der  Stadt 
lebendig,  deren  Bürger  auch  nach  den  Freiheitskriegen  immer  an 
der  Seite  der  Athener  gewesen  waren,  wo  es  galt  etwas  Ruhrawürdiges 
auszuführen. 

Das  waren  Gründe  genug,  dem  Neide  und  Hasse  der  Thebaner 
immer  neue  Nahrung  zu  geben.  So  lange  aber  die  beiden  Grofsstaaten 
zusammenhielten,  glaubte  man  an  keine  Veränderung  der  Territorial- 
verhältnisse denken  zu  können.    Jetzt  aber  schien  die  Gelegenheit 


ÜBERFALL  VON  PLATAIAI   {%  APRIL  431;  87,  1). 


399 


günstig,  um  die  gehasste  Nachbarstadt  zu  überwältigen.  Wenn  die 
anderen  Verträge  gelöst  waren,  warum  sollten  die  platäiscben  bestehen 
bleiben?  Je  früher  der  Angriff  ausgeführt  wurde,  um  so  mehr 
Aussicht  auf  Erfolg  hatte  man,  und  war  der  Handstreich  einmal  ge- 
lungen, so  konnte  man  der  Billigung  Spartas  gewiss  sein,  welches  für 
seine  Kriegführung  keinen  gröfseren  Vortheil  gewinnen  konnte,  als 
wenn  es  an  den  attischen  Gränzen  einen  befreundeten  Waffenplatz 
hatte,  wie  einst  schon  Tanagra  dazu  bestimmt  war  (S.  170). 

Eurymachos  also  knüpfte  mit  oligarchischen  Parteigängern  in 
Plataiai  ein  Einverständniss  an,  rüstete  in  aller  Sülle  ein  Heer  und 
schickte  eines  Abends  (es  war  im  Anfang  April,  kurz  vor  Neumond) 
dreihundert  Schwerbewaffnete  nach  Plataiai  voraus,  welchen  durch 
verräterische  Hand  die  Thore  geöffnet  wurden,  und  ehe  noch  die 
Bürger,  die  sich  nach  einem  öffentlichen  Feste  friedlich  zur  Ruhe 
gelegt  hatten,  von  dem  schändlichen  Friedensbruche  etwas  ahnten, 
standen  die  feindlichen  Truppen  auf  ihrem  Markte  unter  dem  Befehl 
von  zwei  Bundesfeldherren  (Böotarchen),  Pythangelos  und  Diem- 
poros. 

Als  die  Thebaner  sich  im  Besitze  der  Stadt  wähnten,  wünschten 
sie  ihrer  schlechten  Sache  einen  besseren  Anstrich  zu  geben,  indem 
sie  sich  weigerten,  dem  Wunsche  der  Verräther  zu  willfahren  und  die 
Häupter  der  Demokraten  zu  ergreifen;  sie  versuchten  vielmehr  den 
Weg  der  Ueberredung  und  hofften  von  den  erschreckten  Bürgern 
eine  Erklärung  zu  erlangen,  dass  sie  bereit  wären,  sich  dem  böotischen 
Städtebunde  unter  Thebens  Hegemonie  anzuschliefsen.  Dann  würde, 
wie  sie  hofften,  bei  ihrer  geringen  Truppenmacht  der  Anschluss  der 
Stadl  als  ein  freiwilliger  erscheinen,  und  man  konnte  dann  die  Sache 
so  darstellen,  als  wenn  die  Platäer  nur  auf  eine  Gelegenheit  gewartet 
hätten,  um  sich  von  der  unnatürlichen  Verbindung  mit  Athen  los- 
zumachen. 

Und  wirklich  begann  man  schon  mit  den  eingedrungenen 
Feinden  zu  unterhandeln.  Aber  während  der  Unterhandlung  merkte 
man,  wie  unbedeutend  die  Zahl  der  Thebaner  sei,  und  enlschloss  sich 
rasch  zum  Kampfe.  Die  Bürger  durchbrachen  die  Wände  ihrer  Häuser, 
um  sich  heimlich  zu  gemeinsamem  Angriffe  zu  vereinigen,  und  als  die 
Thebaner  ihres  Erfolgs  vollkommen  sicher  zu  sein  glaubten,  wurden 
sie  plötzlich,  nachdem  sie  die  Nacht  hindurch  in  strömendem  Regen 
gestanden  hatten,  gegen  Tagesanbruch  mit  solcher  Erbitterung  über- 


Digitized  by  Google 


400 


BLUTBAD   IN  PLATAIAI. 


fallen,  dass  sie  nach  hartnäckigem  Widerstande  ihr  Heil  in  der  Flucht 
suchen  mussten. 

Dabei  begann  aber  erst  recht  die  Noth.  Sie  verirrten  sich  in  den 
engen  und  schmutzigen  Gassen,  welche  mit  Karren  gesperrt  waren ;  sie 
wurden  in  der  Stadt  umhergejagt,  ohne  einen  Ausweg  zu  finden,  denn 
auch  das  Thor,  durch  welches  sie  hereingekommen  waren,  das  einzige 
offene,  war  von  einem  Platäer  verriegelt  worden.  Die  Mehrzahl  der 
Unglücklichen  wurde  getödtet;  Wenige  retteten  sich  von  den  Stadt- 
mauern hinab;  180  mussten  sich  auf  Gnade  und  Ungnade  ergeben. 
Dies  Alles  war  geschehen,  ehe  das  thebanische  Heer  herankam,  das 
durch  den  angeschwollenen  Asopos  aufgehalten  war.  Die  Thebaner 
suchten  nun  im  platäischen  Gebiete  Gefangene  zu  machen,  um  sie  zur 
Auslösung  ihrer  Landsleute  zu  benutzen,  zogen  sich  aber  dann  zurück, 
nachdem,  wie  sie  behaupteten,  die  Rückgabe  der  Gefangenen  ihnen 
eidlich  zugesagt  worden  war.  Während  dessen  beeilten  sich  die  Platäer, 
Alles,  was  auf  dem  Felde  war,  in  die  Stadt  zu  retten,  und  nachdem 
dies  geschehen,  tödteten  sie  sämtliche  Thebaner,  die  in  ihrer  Gewalt 
waren.  Der  Bote,  welchen  Perikles  schickte,  um  von  voreiligen 
Schritten  auf  das  Dringendste  abzumahnen,  kam  zu  spät.  Das  Schreck- 
liche war  geschehen.  Die  Platäer  leugneten  ihrerseits,  ein  bindendes 
Versprechen  in  Betreff  der  Gefangenen  gegeben  zu  haben ;  es  ist  sehr 
möglich,  dass  eine  ruhige  Uebereinkunfl  nicht  zu  Stande  gekommen 
war.  Auf  jeden  Fall  war  aber  diese  That  eben  so  unmenschlich  wie 
un weise;  denn  die  lebenden  Thebaner  wären  für  Plataiai  und  seine 
Verbündeten  ein  unschätzbarer  Besitz  gewesen,  während  ihr  Tod  nur 
die  Folge  hatte,  dass  jeder  Gedanke  an  Versöhnung  für  immer  beseitigt 
war.  Mit  Verrath  und  Mord  hat  in  jener  schauerlichen  Nacht  der 
Krieg  in  Griechenland  begonnen.  Der  Anfang  zeigte  jedem  Einsich- 
tigen, was  von  dem  Verlaufe  desselben  zu  erwarten  wäre11). 

So  wie  die  böotischen  Ereignisse  in  Sparta  kund  wurden,  gingen 
die  Boten  aus,  um  das  peloponnesische  Heer  und  das  der  übrigen 
Bundesgenossen,  zwei  Drittel  der  vollen  Heeresstärke,  nach  dem 
Isthmos  zu  entbieten.  Hier  übernahm  Archidamos  den  Oberbefehl 
der  Truppen;  es  war  das  ansehnlichste  Heer,  das  jemals  zusammenge- 
kommen war,  um  über  die  Landenge  vorzugehen.  Archidamos  blieb 
seinem  Charakter  treu.  Er  ging  nicht  darauf  aus,  den  Kriegsmuth  zu 
entflammen,  vielmehr  tbat  er  Alles,  um  die  hochgehenden  Hoffnungen 
seiner  Truppen  herabzu stimmen;  denn  er  verhehlte  seine  Ueberzeu- 


DIE   VORKEHRUNGEN  DES  PERIKLES. 


401 


gung  von  der  gefährlichen  Macht  des  Gegners  auch  jetzt  nicht  und 
verleugnete  nicht  die  Unlust,  welche  er  noch  immer  empfand,  den 
Feldzug  wirklich  zu  beginnen.  Erst  als  Melesippos ,  den  er  als  letzten 
Friedensboten  nach  Athen  entsandt  hatte,  vor  den  Thoren  der  Stadt 
abgewiesen  war,  rückte  er  langsam  durch  Megaris  vor. 

Jetzt  kam  das  von  Perikles  entworfene  Vertheidigungssystem  zur 
Anwendung,  und  damit  trat  er  selbst,  als  Feldhauptmann  der  Stadt, 
mit  seinen  Amtsgenossen,  welche  nur  die  Werkzeuge  seiner  Absichten 
waren,  kraftvoller  und  unumschränkter  als  je  an  die  Spitze  der  öffent- 
lichen Angelegenheiten;  es  bedurfte  ausserordentlicher  Mafsregeln, 
deren  energische  Durchführung  keinem  Anderen  möglich  gewesen  wäre. 

Die  Bundesgenossen  wurden  aufgeboten,  hundert  Schiffe  im  Pei- 
raieus  segelfertig  gemacht,  die  festen  Plätze  des  Landes  in  Kriegsbe- 
reitschaft gesetzt,  die  Truppen  im  Waffendienst  geübt,  namentlich  die 
Reiterei,  die  mit  den  Thessaliern  zusammen  im  freien  Felde  verwendet 
werden  sollte.  Die  Bürgerreiterei  war  auf  zehn  Geschwader  von  je 
hundert  Mann  vermehrt  worden;  sie  wurde  jährlich  aus  den  vor- 
nehmsten und  reichsten  Familien  ausgehoben  und  war  die  einzige 
stehende  Landtruppe  der  Athener ;  es  war  die  Blüthe  der  Jugend ,  der 
Schmuck  und  Stolz  der  Stadt,  auf  welchen  Perikles  grofsen  Werth 
legte.  Zugleich  erging  der  Befehl  an  das  Landvolk,  mit  Frauen  und 
Kindern  eine  sichere  Zuflucht  aufzusuchen.  Wie  zur  Zeit  der  Perser- 
noth  flüchtete  Alles  von  Haus  und  Hof;  aber  diesmal  nicht  auf  die 
Inseln  und  die  jenseitigen  Küsten,  sondern  für  die  grofse  Mehrzahl 
war  Athen  selbst  wie  eine  rettende  Insel,  und  in  dichten  Zügen 
drängten  sich  viele  Tage  lang  die  Landleute,  mit  ihren  Habseligkeiten 
beladen,  in  die  Stadtthore  und  die  engen  Gassen  herein,  während  die 
Heerden  über  das  Meer  gebracht  wurden,  meistens  nach  Euboia. 

Es  war  ein  schweres  Opfer  für  die  an  ländliche  Unabhängigkeit 
gewöhnten  Grundbesitzer,  von  ihren  Höfen,  Feldern  und  Weinbergen, 
von  allen  ihren  Einrichtungen,  welche  nach  dem  Perserkriege  erst  vor 
Kurzem  wieder  vollständig  hergestellt  waren ,  auf  ungewisse  Zeit  Ab- 
schied zu  nehmen ;  sie  schieden  zugleich  von  ihren  Heiligthümern  und 
Grabstätten  und  von  allen  glücklichen  Lebensgewohnheiten;  es  war 
ein  bitteres  und  demüthigendes  Gefühl,  dies  Alles  ohne  Kampf  preis- 
geben zu  müssen. 

Innerhalb  der  Stadtmauern  wurde  nach  Möglichkeit  Raum  ge- 
schafft, und  die  Gastfreundschaft  erleichterte,  wie  sie  konnte.  Aber 

Cortiu»,  Or.  Ge»ch.  II.  G.  Aufl.  26 


Digitized  by  Google 


402 


ARCHIDAMUS  1>  ATTIKA  (87,  2;  4SI  JUM). 


die  Notb  drängte,  auch  heilige  Räume,  wie  gemeine,  zu  benutzen,  und 
warnenden  Orakeln  zum  Trotze  wurde  auch  das  sogenannte  Pelargikon 
unter  der  Burg  zu  Wohnplätzen  verwendet.  Wohlhabende  Landleute 
mussten  sich  mit  ihrem  Gesinde  in  den  Thürmen  der  Ringmauer  ein- 
nisten; zwischeu  den  drei  Hafenmauern,  und  wo  sonst  leerer  Platz 
war,  wurden  Zelte,  Hütten  und  Lagerstätten  nolhdürftig  eingerichtet. 
Perikles  wusste,  dass  Archidamos  noch  immer  auf  seinen  Sturz  hoffte. 
Die  letzte  Sendung  war  nur  darauf  berechnet  gewesen,  der  Gegenpartei 
in  Athen  noch  einmal  Gelegenheit  zu  geben,  sich  zu  rühren.  Eine  neue 
List  war  zu  befürchten.  Archidamos  konnte  auf  den  Gedanken  kommen, 
Perikles,  seines  Gastfreundes,  Güter  zu  schonen,  um  auf  diese  Weise 
Misstrauen  zu  erregen;  Perikles  erklärte  deshalb,  dass  seine  Güter, 
wenn  der  Feind  sie  verschone,  Eigenthum  des  Volkes  sein  sollten.  In 
der  Stadt  selbst  sorgte  er  für  Handhabung  der  strengsten  Ordnung;  alle 
Bürgerversammlungen  waren  untersagt;  ehe  der  Feind  sich  gezeigt 
hatte,  war  Athen  im  Belagerungszustande.  Es  durfte  jetzt  nur  Ein 
Wille  herrschen ;  denn  die  Feinde  im  eigenen  Lager,  welche  jede  Noth, 
jede  Verlegenheit,  jede  Verletzung  alter  Sitte  ausbeuteten,  um  Perikles 
zu  schaden,  waren  gefahrlicher  als  der  äulsere  Feind,  mit  dem  sie 
dasselbe  Ziel  verfolgten.  So  viel  auch  Perikles  in  seinem  vielbewegten 
Leben  an  Noth  und  Gefahr  durchgemacht  hatte,  jetzt  begann  doch 
seine  schwierigste  Aufgabe  "). 

Die  vorbereiteten  Mafsregeln  wurden  ihm  durch  die  Langsamkeit 
des  feindlichen  Feldherrn  erleichtert,  dessen  Verfahren  sich  daraus  er- 
klärt, dass  er  zunächst  im  Einverständnisse  mit  den  Thebanern  han- 
delte. Denn  während  diese  das  Gebiet  von  Plalaiai  verwüsteten,  rückten 
die  Peloponnesier  an  der  andern  Seite  des  Kilhairon  entlang  und 
griffen  Oinoe  an,  die  attische  Gränzfestung,  welche  am  Fufse  des  Ge- 
birges lag  bei  den  Quellen  des  Kephisosbaches,  der  nach  Eleusis  hin- 
unter fliefst.  Die  Spartaner  folgten  auch  hier  älterer  Tradition.  Denn 
schon  zur  Zeit  des  Königs  Kleomenes  (I,  386)  war  mit  den  Böoliern 
ein  Angriff  auf  Oinoe  verabredet,  weil  dieser  Platz  an  dem  Wege  nach 
Theben  lag  und  also  zur  Verbindung  mit  dem  Peloponnes  eben  so 
wohl  gelegen  war  wie  zur  Beherrschung  der  eleusinischen  Ebene. 

Indessen  bewährten  sich  die  perikleischen  Vorkehrungen;  der 
Platz  hielt  sich  trotz  der  angestrengtesten  Bemühungen  des  Archida- 
mos, so  dass  dieser  die  ganze  Sache  aufgab  und  die  Truppen  aus  dem 
Gebirge  in  die  Ebene  hinabführte,  wo  die  Junisonue  inzwischen  das 


Digitized  by  Google 


AUFREGUNG  DER  BÜRGERSCHAFT.  403 

Getreide  gereift  hatte.  Es  waren  elf  Wochen  seit  dem  Ueberfalle  von 
Plataiai  vergangen,  als  sich  die  Truppen  beutegierig  über  die  wohlge- 
pflegten Fluren  ergossen.  Das  feste  Eleusis  blieb  ungefährdet.  Dann 
rückte  man  gegen  Athen  selbst  vor,  aber  nicht  auf  der  geraden  Straf se 
durch  die  Schlucht  des  Pythion,  sondern  weiter  nördlich  durch  die 
breitere  Einsattelung,  welche  den  Aigaleos  vom  Parnes  trennt  und 
nach  dem  oberen  Theile  der  athenischen  Ebene  führt,  wo  Acharnai  der 
Hauptort  war.  Dies  war  der  bevölkertste  Gau  von  Attika ,  der  sich 
durch  einen  derben  kräftigen  Menschenschlag  auszeichnete  und  ein  sehr 
beträchtliches  Contingent  zum  attischen  Landheere  stellte;  es  waren 
Kohlenbrenner,  die  am  Parnesgebirge  ihr  Geschäft  trieben,  und  Wein- 
bauern. 

Hier  rechnete  Archidamos  mit  Bestimmtheit  auf  eine  bedeutende 
Wirkung  seiner  Kriegführung.  Denn  jetzt  konnte  man  von  den  Mauern 
der  Stadt  die  Wachtfeuer  der  Truppen  sehen ,  welche  in  den  Feldern 
und  Weinbergen  lagerten,  und  den  kriegstüchtigsten  Einwohnern 
wurde  zugemuthet,  ruhige  Zuschauer  zu  bleiben,  wenn  ihre  Häuser 
und  Hofgebäude  in  Flammen  aufgingen.  Wohl  war  der  Schaden  nicht 
so  grofs,  wie  man  es  sich  nach  dem  Mafsstabe  neuerer  Zeiten  vorstellt. 
Denn  die  Häuser  waren  meist  nur  von  Lehm,  und  alle  Privatwohnungen 
sparsam  eingerichtet.  Aber  der  Frieden  hatte  doch  den  Luxus  geför- 
dert, und  es  waren  an  vielen  Orten  geschmackvolle  Villen  und  behag- 
liche Landsitze  entstanden,  so  dass  Archidamos  in  dem  Erfolge  seiner 
Mafs regeln  sich  nicht  getäuscht  sah. 

Die  Bürger  murrten  und  lärmten;  besonders  die  Grundbesitzer, 
welche  ohnehin  die  schwersten  Kriegslasten  zu  tragen  hatten  und  nun 
ihren  Ruin  vor  Augen  sahen.  Denn  was  sollte  aus  ihnen  werden, 
wenn  sich  diese  Einfälle  Jahr  für  Jahr  wiederholten  und  man  dabei 
verharrte,  nichts  zum  Schutze  der  Felder  zu  thun?  Hätte  Perikles 
eine  Versammlung  auf  der  Pnyx  gestattet,  es  wäre  vielleicht  zu  den 
unbesonnensten  Beschlüssen  gekommen.  Statt  dessen  sah  man  nun 
auf  Strafsen  und  Plätzen  das  Volk  sich  zusammenrotten ,  um  Perikles 
zu  schmähen,  den  Urheber  des  Elends,  den  Feigen,  den  Verrätber. 
Das  sei,  hiefs  es,  doch  das  Uebermafs  von  Tyrannei,  dass  Einer  die 
Macht  habe,  ein  ganzes  Volk  in  den  Mauern  einzusperren  und  den  Bür- 
gern das  Recht  zu  nehmen,  ihre  eigenen  Aecker  zu  verlheidigen ! 

Eine  Probe  dieser  Schmähungen  ist  in  dem  Bruchstücke  einer 
Komödie  des  Hermippos  erhalten:  *0  du  Satyrn-Fürst,  so  willst  du 

2C* 


Digitized  by  Google 


404 


FLOTTENZÜGE  DER  ATHENER  (87,  «;  4SI  SOMMER) 


'denn  nie  aufheben  den  Speer«  du  vermaßest  doch  sonst  mit  gewal- 
'tigem  Wort  dich  als  Kriegsfeidherrn,  wo  ist  dein  Muth  nun  geblieben? 
4Du  knirschest  vor  Wuth,  wenn  Einer  am  Stein  sein  Messer  sich 
'schärft,  seit  Kleon,  der  Wilde,  dich  zauste.'  Kleon,  der  Lederfabrikant, 
in  Verbindung  mit  Gleichgesinnten,  beutete  also  die  Gelegenheit  aus, 
um  sich  als  Stimmführer  der  Unzufriedenen  eine  Bedeutung  zu  ver- 
sebaffen. Perikles  liefe  nur  die  Reiterei  hinaus,  und  es  war  gewiss  ein 
Grund  neuer  Verstimmung,  dass  nur  dieser  aristokratischen  Truppe 
die  Ehre  zu  Theil  wurde,  sich  mit  den  Feinden  zu  messen  und  in  glück- 
lichen Gefechten  die  nächsten  Fluren  um  die  Stadt  beschützen  zu 
können.  Gleichzeitig  bemannte  Perikles  eine  stattliche  Flotte  von 
hundert  Schiffen  mit  den  besten  Truppen ,  aber  er  selbst  blieb  daheim 
auf  dem  schwierigeren  Posten,  wo  ihn  Niemand  ersetzen  konnte.  Fest 
und  sicher  hielt  er  das  Steuer  des  Staats  in  der  Hand;  kein  Poltern 
veranlasste  ihn  wider  seine  Ueberzeugung  zu  handeln  und  Kürgerleben 
im  offenen  Felde  zu  opfern.  'Lasst  eure  Bäume',  rief  er  den  Athenern 
zu,  nur  abhauen,  die  wachsen  bald  wieder;  die  Menschen  nicht!'  Un- 
erschüttert ruhig  stand  er  über  der  gährenden  Menge. 

Um  dieselbe  Zeit,  als  die  Flotte  vom  Peiraieus  auslief,  verlief» 
Archidamos  das  attische  Gebiet,  nachdem  sein  Heer  vier  bis  fünf 
Wochen  lang  den  ganzen  Norden  der  Landschaft  bis  Euboia  hin  ver- 
wüstet hatte;  wie  ein  Heuschreckensch  warm  zog  es  wieder  ab,  nach- 
dem die  Fluren  abgeweidet  waren.  Wahrscheinlich  wirkte  darauf  auch 
der  Anblick  der  Flotte,  die  man  nach  dem  Peloponnes  steuern  sah, 
weil  die  Truppen  ihrer  schutzlosen  Dörfer  und  Familien  in  der  Heimath 
gedachten*8). 

Der  Best  der  guten  Jahreszeit  gehörte  den  Athenern.  Ihre 
Flotte  ging  um  den  Peloponnes  herum  und  griff  Melhone  (Modon)  an, 
einen  der  wichtigsten  Hafenplätze  auf  der  Südspitze  der  messenischen 
Halbinsel  (I,  203  f.),  der  Inselgruppe  der  Oinussen  gegenüber.  Der 
Angriff  misslang  durch  die  Geistesgegenwart  des  Brasidas,  der  sich 
rasch  in  den  bedrohten  Ort  hineinwarf,  und  die  Athener,  welche  sich 
mit  50  kerkyräischen  Schiffen  vereinigt  hatten,  zogen  nun  an  der 
Westküste  des  Peloponnes  entlang,  wo  die  reichen  Grundbesitzer  von 
Klis  für  die  Verwüstungen  des  attischen  Landes  büfeen  mussten.  Dann 
nahmen  sie  zwei  korinthische  Plätze  an  der  Küste  von  Akarnanien  und 
erlangten  den  freiwilligen  Beitritt  der  Insel  Kephallenia,  welche  mit 
ihren  vier  Städten  der  altischen  Bundesgenossenscbaft  sich  anschloss. 


Digitized 


AUSTREIBUNG  DER  AEGI.NETEN.  MEGARA 


405 


Gleichzeitig  war  ein  Geschwader  von  36  Schiffen  durch  den  Kanal 
von  Euboia  gegen  Norden  gegangen,  um  die  Lokrer  zu  züchtigen. 
Zwei  ihrer  Städte  wurden  zerstört,  ihre  Kästen  gebrandschatzt  und 
auf  der  kleinen  Insel  Atalante  Verschanzungen  aufgeworfen,  welche 
attische  Besatzung  erhielten,  um  die  Lokrer  in  Obacht  zu  halten.  End- 
lich wurde  beschlossen,  die  Aeginelen  sämtlich  von  ihrer  Insel  zu  ver- 
treiben ;  hatten  sie  doch  durch  heimliche  Angehereien  vor  Allen  dazu 
beigetragen,  den  Peloponnes  gegen  Athen  aufzuhetzen;  Perikles  be- 
durfte aufserdem  einer  neuen  Landanweisung  zur  Beruhigung  der 
Bürgerschaft ,  und  endlich  erschien  ihm  aus  militärischen  Rücksichten 
nichts  nothwendiger,  als  sich  der  Insel  zu  versichern,  welche  auf 
halbem  Wege  nach  dem  Peloponnes  gelegen,  als  Flottenstation  den 
Athenern  eben  so  nützlich  als  gefährlich  werden  konnte.  Darum 
wurden  die  Grundstücke  unverzüglich  an  attische  Bürger  ausgethan 
und  die  alten  Aegineten  mit  Weib  und  Kind  an  die  peloponnesischen 
Küsten  ausgesetzt. 

Nächst  den  Aegineten  waren  die  Megareer,  als  Ankläger  Athens, 
am  meisten  verbasst.  Zu  ihrer  Züchtigung  rückte  Perikles  selbst  als 
Feldhauptmann  aus  mit  10,000  schwerbewaffneten  Bürgern,  3000 
Schutzbürgern  in  gleicher  Rüstung  und  einem  grofeen  Haufen  Leicht- 
bewaffneter. Ihm  war  die  Gelegenheit  willkommen,  das  attische  Land- 
heer in  voller  Stärke  in's  Feld  zu  führen  und  zugleich  der  Welt  zu 
zeigen,  wie  übel  diejenigen  berathen  seien,  welche  sich  auf  Spartas 
Schutz  verliefsen.  Die  peloponnesischen  Contingente  waren  längst  in 
ihre  Städte  und  Dörfer  heimgekehrt,  und  auch  die  Korinther  sahen 
ruhig  zu,  wie  man  ihr  Nachbarland  so  gründlich  verwüstete,  dass  bis  an 
die  Mauern  der  Stadt  alle  Gartenpflanzungen  vernichtet  wurden.  Ja,  es 
erfolgte  um  diese  Zeit  auf  Antrag  des  Gharinos  ein  neuer  'mega- 
rischer  Volksbeschluss',  in  welchem  den  Megareern  auf  ewige  Zeiten 
unversöhnliche  Fehde  angekündigt  und  über  jeden  auf  attischem  Boden 
Betroffenen  Todesstrafe  verhängt,  den  attischen  Feldherrn  aber  im 
Amtseide  die  Verpflichtung  auferlegt  wurde,  jährlich  zweimal  einen 
Einfall  in  Megaris  zu  machen.  Es  war  zugleich  die  Strafe  für  die 
Tödtung  des  Herolds  Anlbemokritos,  welcher  in  öffentlichem  Auftrage 
zu  den  Megareern  geschickt  und  von  diesen  erschlagen  worden  war ;  es 
war  endlich  wohl  auch  eine  strategische  Mafsregel,  um  durch  voll- 
ständige Verwüstung  des  Gränzlandes  den  Peloponnesiern  künftige 
Feldzüge  zu  erschweren. 


Digitized  by  Google 


4  06 


BUND  MIT  KÖNIG  SITALKES  (87.  8;  431). 


In  ähnlicher  Absicht  wurden  auch  andere  Malsregeln  getroffen. 
Eine  sorgfaltige  Bewachung  des  ganzen  Landes  wurde  angeordnet  und 
bis  auf  Salamis  ausgedehnt,  um  von  hier  jede  Bewegung  an  der  me- 
garischen  Küste  beobachten  und  nach  dem  Peiraieus  durch  Signale 
melden  zu  können;  es  wurde  beschlossen,  die  alten  Trieren  nicht  wie 
sonst  bei  Seile  zu  schieben ,  sondern  zu  Transportschiffen  umzubauen, 
um  wirksamere  Angriffe  auf  Feindesland  machen  zu  können ;  es  wurde 
verordnet,  dass  zum  Schulze  des  Landes  die  hundert  besten  Trieren 
mit  ihren  zugewiesenen  Trierarchen  stets  bereit  bleiben  sollten,  um 
für  den  Fall  eines  Seeangriffs  Athen  und  Atlika  zu  vertheidigen ;  und 
zu  gleichem  Zwecke  wurden  1000  Talente  als  Reservefonds  niederge- 
legt, mit  der  Bestimmung,  dass  Todesstrafe  darauf  stehe,  wenn  Jemand 
das  Volk  bereden  wolle,  diese  Schalzabtheilung  zu  einem  andern 
Zwecke  anzugreifen.  So  wollte  Perikles  erreichen,  dass  auch  über 
die  Zeit  seiner  Macht  und  seines  Lebens  hinaus  die  Republik  sich  selbst 
Gewalt  anthue,  um  sich  vor  leichtsinnigen  Schritten  zu  hüten. 

Endlich  war  man  auch  in  diplomatischen  Verhandlungen  thätig 
und  benutzte  dazu  die  entlegeneren  Städte  der  Bundesgenossen,  welche 
mit  ausländischen  Reichen  in  Beziehungen  standen.  Besonders  nütz- 
lich erwies  sich  Abdera  an  der  Südseile  von  Thrakien,  eine  Stadt,  deren 
Reichthum  und  Kunstliebe  durch  eine  Reihe  herrlicher  Silbermünzen 
bezeugt  ist.  Ein  angesehener  Bürger  der  Stadt,  Namens  Nymphodoros, 
hatte  seine  Schwester  an  Sitalkes,  den  König  der  Odrysen,  ver- 
lieiratheL  Das  Reich  dieses  Thrakerkönigs  war  bis  gegen  die  Seeküste 
vorgeschoben  und  er  strebte  darnach,  durch  hellenische  Verbindungen 
seine  Macht  und  seinen  Einfluss  zu  vergröfsern.  Den  Athenern  war 
aber  jede  Stärkung  ihrer  Macht  in  dieser  Gegend  doppelt  wichtig,  weil 
Potidaia  noch  immer  ihrer  Belagerung  trotzte  und  die  Städte  der 
Chalkidike  im  Aufstände  verharrten.  Nymphodoros  wurde  zum  Proxe- 
nos  Athens  ernannt,  und  es  gelang  ihm  wirklich,  den  mächtigen 
Thrakerkönig  zum  Bundesgenossen  der  Stadt  zu  machen;  er  vermittelte 
zugleich  eine  Versöhnung  mit  Perdikkas,  dem  Therme  (das  spatere 
Thessalonike)  zurückgegeben  wurde,  und  so  gewann  Athen  auf  einmal 
freie  Hand  in  diesem  so  wichtigen  Coloniallande  und  konnte  einer 
baldigen  Beendigung  der  gefährlichsten  aller  bisher  entbrannten  Fehden 
entgegensehen"). 

Als  das  erste  Kriegsjahr  zu  Ende  ging,  musste  die  Stimmung  der 
Peloponnesier  eine  sehr  gedrückte  sein.  Auf  ihnen  lastete  die  Verant- 


d  by  Googl 


PERIKLES'  LEICHENREDE  (87,  2;  481). 


407 


wortlichkeit  für  den  Beginn  des  einheimischen  Kriegs,  dessen  Spuren 
dem  Boden  des  Vaterlandes  schon  tief  eingeprägt  waren;  ihre  Absichten 
auf  den  Sturz  desPerikles  waren  misslungen,  ihre  ganze  Kriegführung 
erwies  sich  als  unzulänglich.  Die  Unnahbarkeit  der  feindlichen  Stadt, 
ihre  Beherrschung  des  Meers,  die  Energie  ihrer  Politik  hatte  sich  von 
Neuem  bewährt.  Der  Peloponnes  war  durch  den  Beitritt  von  Kephal- 
lenia  den  attischen  Angriffen  noch  mehr  bloßgestellt;  die  Korinther 
mussten  in  Thrakien  alle  ihre  Hoffnungen  aufgeben,  und  wenn  sie 
auch  mit  ihren  Schiffen  an  der  Küste  Akarnaniens  nach  Entfernung 
der  Athener  einige  Vortheile  gewonnen  hatten ,  so  waren  sie  doch  im 
Ganzen  in  ihren  Erwartungen  bitter  getäuscht.  Perikles  dagegen  wurde 
nach  allen  Anfechtungen  die  Genugtuung  zu  Theil,  dass  ihm,  als  dem 
bewährten  Staatsmanne,  das  Ehrenamt  übertragen  wurde,  bei  der  feier- 
lichen Bestattung  der  im  ersten  Kriegsjahre  gefallenen  Börger  im  Namen 
des  Staats  die  Leichenrede  zu  halten. 

Es  war  der  Gefallenen  nur  eine  kleine  Anzahl.  Um  so  eher 
konnte  Perikles  von  dem  gewöhnlichen  Gange  solcher  Reden  abweichen 
und  von  den  Todten,  welche  der  Staat  schon  durch  das  Leichenbe- 
gängniss  und  die  Sorge  für  die  Hinterbliebenen  ehrte,  auf  die  Ge- 
meinschaft der  Lebenden  übergehen  und  den  Staat  selbst  schildern,  für 
welchen  die  Bürger  in  den  Tod  gegangen  wären.  Und  es  ist  in  der 
That  eines  der  grofsartigsten  Schauspiele,  wenn  wir  uns  die  attische 
Bürgerschaft  in  voller  Zahl  an  den  Gräbern  des  Kerameikos  um 
Perikles  vereinigt  denken,  der  von  einem  Gerüste  zu  ihnen  redete. 
Noch  hatten  sie  im  frischen  Gedächlniss  die  unsägliche  Noth  des 
Krieges;  rings  um  sie  her  lagen  die  verödeten  Felder  und  ausgebrannten 
Höfe ;  ein  gleicher  Nothstand  war  in  wenig  Monaten  von  Neuem  vor- 
auszusehen, und  während  dieser  Zeit,  die  Allen  empfindliche  Verluste 
brachte,  mussten  sie  nicht  nur  auf  jede  Annehmlichkeit  des  Lebens, 
sondern  auch  auf  den  Genuss  ihrer  theuersten  Rechte  und  Freiheiten 
Verzicht  leisten.  Und  dennoch  drängen  sie  sich  um  den  Mann,  der 
ihr  Schicksal  in  Händen  hatte,  und  hören  mit  Begeisterung  auf  die 
Rede,  in  welcher  er  ihnen  die  Herrlichkeit  ihrer  Stadt  vor  Augen  stellt, 
die  ein  Vorbild  aller  Hellenen  sei.  Mit  edler  Unbefangenheil  rühmt  er 
ihre  Verfassung,  die  zwar  im  vollen  Sinne  eine  volksherrschaftliche  sei, 
jndem  sie  das  Wohl  des  ganzen  Volkes  bezwecke  und  allen  Bürgern 
gleiche  Rechte  gewähre,  aber  eben  dadurch  geeignet  sei,  die  Besten 
unter  ihnen  in  die  ersten  Stellen  des  Staats  gelangen  zu  lassen.  Er 


Digitized  by  Google 


408 


ZWEITER  EINFALL  (»7,  «;  430  MAI). 


preist  die  hohen  geistigen  Genüsse,  welche  die  Stadt  darbiete,  die  freie 
Liebe  der  Bürger  zur  Tugend  und  Weisheit,  ihre  allgemeine  Theil- 
nahme  am  Wohle  des  Staats,  die  edle  Gastlichkeit  derselben,  die 
Mäfsigkeit  und  Tüchtigkeit,  welche  der  Friede  und  die  Liebe  zum 
Schönen  nicht  erschlafft  habe ,  so  dass  die  Stadt  der  Athener  unter 
allen  Umstanden  ein  Gegenstand  gerechter  Bewunderung  für  Mit-  und 
Nachwelt  sein  werde. 

So  stellte  Perikles  den  Bürgern  die  Beschaffenheit  ihres  Staats 
vor  Augen  und  schilderte  ihnen  das  Yolk  von  Athen,  wie  es  sein  sollte. 
Ihr  besseres  Selbst  hielt  er  ihnen  vor,  um  sie  zu  stärken  und  über 
sich  selbst  zu  erheben,  um  sie  zur  Selbstverleugnung,  zur  Sündhaftig- 
keit und  zu  besonnener  Tapferkeit  zu  erwecken.  Mit  neuem  Lebens- 
muthe  kehrten  sie  von  den  Gräbern  heim  und  gingen  den  weiteren 
Schickungen  entgegen.  Als  daher  zum  zweiten  Male  Archidamos  in 
Attika  einrückte,  hatten  sie  sich  schon  besser  in  das  Unvermeidliche 
gefunden.  Die  im  vorigen  Jahre  verwüsteten  Felder  waren  nicht 
wieder  bebaut  worden,  und  so  mussten  die  Spartaner  durch  die  besten 
Fluren  rasch  hindurchziehen ,  um  in  den  östlichen  Strichen  der  Land- 
schaft bis  Cap  Sunion  hinunter  Unterhalt  zu  finden.  Man  gewann 
bereits  mehr  Vertrauen  zu  dem  Systeme  des  Perikles  und  lernte  ver- 
schmerzen, was  im  vorigen  Jahre  noch  unerträglich  schien. 


Da  brach  ein  neues  Unglück  herein,  eine  aufserhalb  aller  mensch- 
lichen Berechnung  liegende  Noth. 

Man  hatte  schon  längere  Zeit  von  bösen  Krankheiten  gehört, 
welche  in  Aegypten  und  den  asiatischen  Satrapien  wütheten  und  bis 
nach  Lern n os  vorgedrungen  waren.  Auch  im  Westen ,  in  Sicilien  und 
Italien,  waren  um  dieselbe  Zeit  furchtbare  Sterbejahre,  und  die  Ur- 
sache lag,  wie  man  später  nachzuweisen  glaubte,  in  einer  Reihe  feuch- 
ter Winter,  in  denen  sich  viel  Wasser  auf  und  unter  der  Erdoberfläche 
angesammelt  habe.  Dadurch  sei  die  Luft  verpestet  und  die  Landes- 
frucht verdorben  worden.  Auch  die  jährlichen  Nordwinde,  die  Etesien, 
welche  die  Atmosphäre  reinigen,  waren  ausgeblieben.  So  soll  um  jene 
Zeit,  als  der  Krieg  ausbrach,  der  die  gesellschaftliche  Ordnung  der 
griechischen  Welt  auflöste,  auch  die  natürliche  Ordnung  gestört 
worden  sein;  eine  Ansicht,  die  damals  weit  verbreitet  war;  denn 


Diglüzed  by  Google 


DIE  ATTISCHE  PEST    SOMMER  430;  87, 


409 


man  glaubte,  dass  niemals  so  viel  schreckende  Naturereignisse  ein- 
getreten seien,  wie  seit  Anfang  des  Kriegs96). 

Attika,  sonst  durch  Gesundheit  und  frische  Luft  vor  allen  Land- 
schaften ausgezeichnet,  erfuhr  zum  ersten  Male  die  Gefahren,  denen 
ein  belebter  Seeplatz  ausgesetzt  ist  Denn  kaum  war  die  Schiffahrt 
eröffnet,  so  zeigten  sich  die  ersten,  ängstigenden  Sterbefälle.  Sie 
kamen  an  verschiedenen  Punkten  Griechenlands  vor,  aber  sie  blieben 
dort  einzeln  und  verschwanden  wieder.  In  Attika  aber  fand  die  Krank- 
heit einen  vorbereiteten  Boden,  auf  dem  sie  sich  einnistete  und  in 
unerhörter  Weise  ausbreitete.  Die  ganze  Bevölkerung  hatte  sich  so 
eben  wieder  in  die  Mauern  geflöchtet.  Eine  Menge  von  Menschen  war 
eng  zusammengedrängt,  die  aus  allen  Gewohnheiten  herausgerissen 
waren,  die  in  Sorge,  Aufregung  und  vielfacher  Kümmerniss  lebten,  im 
Freien  schliefen,  und  für  Bewegung,  gute  Nahrung  und  Reinlichkeit 
nicht  gehörig  sorgen  konnten.  Im  Peiraieus,  der  besonders  voll- 
gedrängt war,  waren  die  Wasserwerke  noch  unvollendet;  es  gab  nur 
Cisternenwasser.  Nun  kam  die  Sommerhitze  dazu.  So  geschah  es, 
dass  bald  in  der  Ober-  und  Unterstadt  die  Seuche  zur  vollen  Herr- 
schaft kam.  Die  anderen  Krankheiten  verschwanden.  Alle  Stande 
ohne  Unterschied  von  Alter  und  Geschlecht  wurden  ergriffen,  und 
überall  waren  die  Krankheitserscheinungen  dieselben.  Es  war  ein 
typhöses  Fieber,  ähnlich  den  Fiebern,  welche  als  Folge  von  Kriegsnoth 
in  Lagern  und  Städten  vorkommen.  Das  Leiden  trat  plötzlich  mit 
Kopfhitze  und  Entzündung  der  Augen  ein.  Dann  wurden  die  inneren 
Organe  ergriffen ;  Zunge  und  Mundhöhle  schwollen  an ,  ein  schmerz- 
hafter Husten  stellte  sich  ein,  galliges  Erbrechen  und  ein  anhaltendes, 
qualvolles  Würgen.  Auf  der  Haut  zeigten  sich  Bläschen  und  Geschwüre. 
Von  aufsen  fühlte  man  dem  Körper  keine  Hitze  an ,  aber  die  innere 
Gluth  war  so  grofs,  dass  die  Kranken  alle  Kleider  von  sich  warfen  und 
Einzelne  sich  wie  wahnsinnig  in  die  Brunnen  stürzten.  An  dieser 
inneren  Hitze  gingen  die  Meisten  zu  Grunde  nach  sieben  oder  neun 
Tagen,  ohne  dass  äufserlich  ihr  Körper  verfiel.  Andere  überdauerten 
den  ersten  Anfall  und  starben  dann  in  Folge  von  Durchfall  und  Ent- 
kräftung. Noch  Andere  kamen  wohl  mit  dem  Leben  davon,  aber  es 
blieb  eine  Geistesschwäche  zurück,  oder  sie  überlebten  die  Krankheit 
nur  nach  Verlust  einzelner  Gliedmafsen. 

Die  Wissenschaft  war  nicht  müfsig.  Hippokrates  selbst  (S.  280) 
erforschte  die  Krankheit.  Auch  hat  er,  wenigstens  im  späteren  Ver- 


Digitized  by  Google 


410 


WIRKUNG  DER  PEST. 


laufe  derselben,  den  Athenern  seine  Erfahrungen  zu  Gute  kommen 
lassen ,  indem  er  namentlich  durch  Feuer  die  Atmosphäre  zu  reinigen 
suchte:  ein  Verfahren,  auf  welches  ihn  die  Beobachtung  geleitet  haben 
soll,  dass  von  allen  Bürgern  der  Stadt  die  Schmiede  am  meisten 
verschont  blieben.  Zunächst  aber  waren  alle  Heilmittel,  die  man  bei 
Priestern  und  Aerzten  suchte,  vollkommen  wirkungslos.  In  dumpfer 
Verzweiflung  liefs  man  das  Uebel  walten.  Die  Ansteckung  war  so 
grofs,  dass  Freunde  und  Verwandte  ihre  Kranken  im  Stiche  liefsen 
und  dass  auch  die  den  Griechen  so  heilige  Sitte  des  Begräbnisses  ver- 
absäumt wurde.  Schaarenweise  sah  man  Sterbende  und  Todte  um  die 
Brunnen  herumliegen,  wo  sie  die  letzte  Erquickung  gesucht  hatten; 
heilige  Plätze  wurden  zum  ersten  Male  durch  Leichen  verunreinigt 
Während  andere  Nolhstände  das  Volk  zu  einigen  pflegen,  löste  diese 
Noth  die  Bande  der  Familie  wie  die  bürgerlichen  Bande.  Man  wurde 
gleichgültig  gegen  Gesetz  und  Ordnung,  stumpf  gegen  Ehre  und 
Pflicht;  man  grollte  Göltern  und  Menschen.  Nach  Verschiedenheit 
der  Gemüthsart  gaben  die  Einen  sich  einem  finstern  Missmuthe  hin 
und  sahen  sich  den  Strafen  unversöhnlicher  Mächte  preisgegeben, 
während  die  Anderen  sich  in  ungezügelter  Frechheit  alleji  schlechten 
Trieben  überliefsen  und  in  mafslosem  Genüsse  Betäubung  oder  Zer- 
streuung suchten*4). 

Die  Lage  der  Athener  war  in  der  That  furchtbar.  Während  man 
sonst  bei  allen  Krankheiten  zuerst  durch  Luftveränderung  und  Flucht 
in's  Gebirge  sich  zu  helfen  suchte,  sah  man  sich  nun  bei  der  steigen- 
den Hitze  innerhalb  der  Mauern  eingesperrt;  die  Landschaft  durch- 
zogen die  Peloponnesier,  um  den  letzten  Best  des  ländlichen  Wohl- 
standes zu  vernichten,  während  im  Innern  der  schlimmere  Feind 
wülbete,  dem  die  Menschen  wie  wehrlose  Schlachtopfer  rettungslos 
erlagen.  Aller  Verkehr  stockte,  die  Preise  der  Lebensmittel  stiegen; 
die  Armen  litten  doppelte  Noth,  während  den  Beichen  all  ihr  Geld  und 
Gut  nichts  half. 

Der  Partei wuth  war  kein  Mittel  zu  schlecht,  um  es  nicht  zum 
Sturze  eines  verhassten  Gegners  anzuwenden;  auch  die  gegenwärtige 
Noth  wurde  zur  Waffe  gegen  Perikles.  Die  spartanische  Partei  beutete 
den  Aberglauben  der  Menge  aus  und  wies  in  der  Pest  die  Hand  des 
Apollon  nach ,  der  sich  durch  sein  Orakel  nicht  vergeblich  zum 
Bundesgenossen  Spartas  erklärt  habe;  er  helfe  der  guten  Sache,  darum 
sei  auch  der  ganze  Peloponnes  von  der  Seuche  verschont  geblieben. 


Digitized  by  Google 


WIRKUNG  DER  PEST.     PERIKLES'  SEEZUG  (480  ;  87,  S).  411 

Es  möge  doch  mit  der  Alkmäonidenschuld ,  die  auf  dem  ersten  Manne 
des  Staats  liege,  nicht  so  leicht  zu  nehmen  sein.  Und  wo  auch  eine 
solche  Auflassung  keinen  Eingang  fand,  da  hiefs  es  doch,  die  Pest  sei 
die  Folge  des  Kriegs,  der  Krieg  aber  die  Schuld  des  Perikles.  Also 
derselbe  Mann,  sagte  man,  der  die  Bürger  um  alle  Freiheiten  gebracht 
hat,  der  hochtönende  Reden  zum  Preise  der  Demokratie  hält,  während 
er  sie  nur  zu  einer  verfassungswidrigen  Selbstherrschaft  benutzt,  er 
ist  auch  der  Urheber  der  gegenwärtigen  Noth ,  und  ihm  mag  es  ganz 
recht  sein,  wenn  durch  Pest  und  Kriegsnoth  die  Bürgerschaft  auf- 
gerieben wird,  damit  er  um  so  vollständiger  seine  ehrgeizigen  Pläne 
erreichen  könne. 

Die  Gegner  des  Perikles  benutzten  die  Zeit,  da  er  selbst,  als 
Feldherr,  mit  einer  Flotte  von  150  Trieren  nach  Epidauros  abging. 
Epidauros  widerstand,  aber  die  ganze  Küste  von  Argolis,  so  weit  es  im 
Bunde  mit  Sparta  war,  die  reichen  Landschaften  von  Troizen  und 
Hermione  wurden  wüste  gelegt  und  Prasiai  genommen ,  um  als  fester 
Platz  an  der  lakonischen  Gränze  den  Athenern  zu  dienen.  Als  die 
Flotte  heimkehrte,  waren  die  Peloponnesier  so  eben  wieder  abgezogen, 
nachdem  sie  volle  vierzig  Tage  lang  im  Lande  gehaust  hatten.  Die 
Angst  hatte  sie  am  Ende  fortgetrieben,  als  sie  von  der  immer  steigen- 
den Sterblichkeit  hörten  und  den  Qualm  der  Scheiterhaufen  über  der 
unglücklichen  Stadt  liegen  sahen.  Den  Befehl  der  Flotte  übernahmen 
die  beiden  Mitfeldherrn  des  Perikles,  Hagnon  (S.  260)  und  Kleopom- 
pos;  er  selbst  blieb  in  der  Stadt  zurück,  wo  nun  die  schwierigste  Auf- 
gabe seiner  wartete. 

Er  fand  die  Lage  ganz  verändert;  die  Umtriebe  seiner  Gegner 
waren  nur  zu  erfolgreich  gewesen,  er  hatte  das  Volk  nicht  mehr  in 
seiner  Hand.  Aus  verstecktem  Grolle  war  offener  Widerspruch  gewor- 
den; man  hatte  sogar  seinen  Befehlen  zum  Trotz  Bürgerversammlungen 
gehalten,  und  die  Partei  der  Widersacher ,  welche  jetzt  Frieden  um 
jeden  Preis  erstrebte,  hatte  es  durchgesetzt,  dass  Gesandte  nach  Sparta 
geschickt  wurden ,  um  zu  unterhandeln.  In  Sparta  wusste  man  diesen 
Zeilpunkt  nicht  zu  benutzen;  wahrscheinlich  hielt  man  Perikles  schon 
für  gestürzt,  Athen  für  verloren  und  kannte  kein  Mafs  in  seinen  For- 
derungen; kurz,  die  Verhandlungen  zogen  sich  in  die  Länge,  und  nun 
wendete  sich  der  volle  Verdruss  in  offenen  Angriffen  gegen  Perikles. 
Er  musste  eine  Versammlung  berufen,  um  sich  und  seine  Politik  zu 
vertheidigen.   Er  that  es,  aber  nicht  in  schmeichelnder  oder  nach- 


Digitized  by  Google 


412 


PER1KLES'  RECHTFERTIGUNG. 


giebiger  Art,  sondern  stolzer  und  fester,  strenger  und  selbstbewusster 
als  je  zuvor,  trat  er  ihnen  gegenüber.  Niemals  hat  er  seine  Ueber- 
legenheit  und  seinen  persönlichen  Beruf,  der  Erste  zu  sein,  so  ein- 
fach und  würdig,  so  frei  von  falscher  Bescheidenheit  seinen  Mit- 
bürgern dargelegt,  als  in  der  Stunde  der  höchsten  Gefahr;  sie  sollten 
fühlen,  dass  sie  ihn  schmähten  und  verkannten,  weil  sie  seiner  nicht 
mehr  würdig  waren. 

'Was  habt  ihr  mir  vorzuwerfen  ?'  rief  er  ihnen  zu.  'Ich  bin  der- 
selbe geblieben,  ihr  seid  die  Schwankenden;  nicht  den  Muthigen  trifft 
'der  Tadel,  sondern  den  Kleinmütbigen  und  Kurzsichtigen.  War  der 
'Kriegsbeschluss  ein  Fehler,  so  habt  ihr  gleiche  Schuld,  wie  ich;  ihr 
'durftet  aber  nicht  anders  handeln.  Thorheit  und  Verblendung  ist  es, 
'einen  glücklichen  Frieden  leichtsinnig  zu  brechen;  aber  eine  Herr- 
' schaft,  wie  die  eurige,  freiwillig  aufzugeben,  ist  nicht  nur  schimpflich, 
'sondern  es  ist  auch  unmöglich,  ohne  euch  den  gröfsten  Gefahren  preis- 
zugeben. Warum  verzagt  ihr?  Euch  gehört  das  Meer;  alle  Küsten 
'und  Häfen  sind  euer;  es  steht  nur  bei  euch,  wenn  ihr  wollt,  eure  Herr- 
'schaft  noch  weiter  auszudehnen;  denn  kein  König,  kein  Volk  der  Erde 
'wagt  euren  Trieren  entgegen  zu  treten.  Und  ihr  härmt  euch  um  eure 
'Gütchen  und  Wirtschaftsgebäude?  Wohl  ist  zu  der  Kriegsnoth,  auf 
'die  wir  gefasst  sein  mussten,  eine  unerwartete  getreten  und  hat  eure 
'Sündhaftigkeit  auf  die  schwerste  Probe  gestellt  Euren  Schmerz  ehre 
'ich,  aber  euer  Kleinmuth  ist  nicht  gerechtfertigt,  und  keine  Noth  darf 
'euch  so  weit  beugen,  dass  ihr  mit  Schanden  preisgebt,  was  eure  Väter 
'mit  Ehren  errungen  haben ;  vielmehr  gilt  es,  in  dem  Gedanken  an  das 
'blühende  Gemeinwesen  das  häusliche  Elend  standhaft  zu  tragen;  lasst 
'ihr  jenes  verfallen ,  so  ist  ja  doch  auch  für  den  Einzelnen  ein  glück- 
licher Zustand  undenkbar.' 

Noch  einmal  gelang  es  Perikles  die  gesunkene  und  ihm  entfrem- 
dete Bürgerschaft  zu  sich  empor  zu  heben.  Sie  beschloss  alle  Unter- 
handlungen abzubrechen  und  den  Krieg  nach  seinem  Plane  fortzusetzen. 
Aber  seine  Feinde  ruhten  nicht  und  setzten  Alles  daran,  dass  die  Auf- 
regung, die  sie  so  emsig  geschürt  hatten,  nicht  wirkungslos  vorüber- 
gehe. Der  geringe  Erfolg  der  Seezüge  dieses  Jahrs  war  ihnen  günstig. 
Von  Potidaia  kehrte  die  Flotte,  die  Perikles  seinen  Mitfeldherrn  über- 
geben halte,  in  trübseligem  Zustande  nach  Athen  zurück;  anstatt  den 
Fall  der  Stadt  endlich  herbeizuführen,  hatte  sie  dem  Belagerungsheere 
nur  das  Unheil  der  Seuche  mitgebracht;  von  viertausend  Kriegern  war 


Digitized  by  Google 


PERIKLES  VERURTEILT  (E.M>E  87,  2;  430). 


413 


in  wenig  Wochen  über  ein  Viertheil  hingerafft  worden.  Jeder  Misser- 
folg wurde  Perikles  aufgebürdet  und  es  scheint,  dass  er  noch  während 
seines  Amtsjahrs  (87,  2 ;  430)  durch  ein  ausserordentliches  Verfahren 
vor  Gericht  gezogen  wurde,  indem  Simmias,  Lakraiidas  und  Kleon 
einen  Recbenschaftsprozess  gegen  ihn  anhängig  machten.  Es  wurden 
ihm  Nachlässigkeiten  in  der  Verwaltung  von  Staatsgeldern  vorgeworfen, 
die  Oberrechenbehörde  fand  die  Belege  nicht  in  Ordnung,  er  wurde 
in  eine  hohe  Geldstrafe  verurteilt,  die  er  nicht  aufzubringen  vermochte. 
Perikles  blieb  also  vom  Amte  suspendirt  und  war  auf  einmal  aller 
Macht  entkleidet;  ja  er  hatte  als  Staatsschuldner  nicht  einmal  die 
Ehrenrechte  des  gewöhnlichen  Bürgers  und  musste  sich  jeder  öffent- 
lichen Thätigkeit  enthalten  "0- 

Er  zog  sich  in  das  Privatleben  zurück.  Aber  hier  wartete  seiner 
neues  Herzeleid;  denn  es  sollte  ihm,  dem  betagten  Manne,  welcher  sein 
ganzes  Leben  rastlos  dem  öffentlichen  Besten  gewidmet  hatte,  nicht 
vergönnt  sein,  bei  den  Seinen  oder  im  engsten  Kreise  treuer  Genossen 
für  die  wankelmüthige  Gesinnung  der  Menge  Trost  und  Entschädigung 
zu  finden.  Die  Seuche  räumte  fürchterlich  in  seiner  nächsten  Umgebung 
auf.  Von  den  beiden  Söhnen,  welche  ihm  seine  Gattin  geboren  hatte 
(S.  229),  starb  der  ältere,  ohne  dass  eine  Versöhnung  eingetreten  war; 
eine  ihm  nahe  verbundene  Schwester  wurde  ihm  entrissen;  dann  eine 
Reihe  von  Männern,  welche  die  Werkzeuge  seiner  Thätigkeit  waren 
und  die  Vertrauten  seiner  Verwaltung.  Ein  wehmüthiges  Gefühl  der 
Vereinsamung  überkam  den  Schwergeprüften;  aber  er  blieb  uner- 
schültert  und  kräftig,  ruhig  und  voll  Gleichmuth;  seine  Feinde  konnten 
ihm  keine  schwache  Stunde  nachweisen.  Da  ergriff  die  Seuche  auch 
seinen  jüngeren  Sohn,  den  er  mit  einem,  Athens  Seeherrschaft  andeu- 
tenden, Heroennamen  Paralos  genannt  hatte,  und  als  er  ihm  den  Todten- 
kranz  um  die  Schläfe  legte,  da  brach  das  Vaterherz,  und  zum  ersten 
Male  sahen  die  Athener  den  hohen  Mann  von  der  Wucht  des  Schmerzes 
überwältigt  und  laut  jammernd  über  das  Unglück  seines  Hauses. 

Inzwischen  suchten  seine  Gegner  den  Staat  zu  lenken,  aber  es 
ging  nicht;  sie  waren  planlos,  unentschlossen  und  ohnmächtig.  Je 
öfter  sie  vor  die  Bürgerschaft  traten,  um  so  mehr  wurde  man  des 
Unterschieds  inne,  welcher  zwischen  ihnen  und  Perikles  bestand ;  man 
hatte  sich  daran  gewöhnt,  von  einem  kräaigen  Willen  gelenkt  zu 
werden,  und  so  geschah  es,  dass  sich  das  Murren  wider  Perikles  in 
Sehnsucht  nach  ihm  umwandelte.  Man  fühlte  sich  verlassen  und  ver- 


Digitized  by  Google 


414 


PERIKLES  WIEDER  FELDHERR  (87,  3;  480). 


waist,  und  der  erste  Trost,  welcher  dem  tiefgebeugten  Manne  von 
seinen  Freunden  gebracht  werden  konnte,  war  die  Meldung  von 
der  Umsümmung  der  Bürger,  von  ihrer  Reue,  von  ihrem  Verlangen 
nach  ihm. 

Er  hielt  sich  eine  Zeitlang  scheu  von  der  Oeffentlichkeit  zurück ; 
aber  immer  dringender  wurde  die  Stimme  der  Bürger;  das  Schiff  des 
Staats  schwankte  ohne  sichere  Leitung,  und  endlich  liefs  sich  der  greise 
Staatsmann  noch  einmal  bewegen,  das  Steuer  in  die  Hand  zu  nehmen. 
Die  vollständigste  Ehrenerklärung  wurde  ihm  zu  Theil  und  die  Ober- 
feldherrnwürde  mit  ausgedehnten  Vollmachten  von  Neuem  in  seine 
Hand  gegeben.  Als  Unterpfand  des  wiedergekehrten  Vertrauens  ver- 
langte er  die  Annahme  eines  Antrags,  durch  welchen  sein  eigenes  Ge- 
setz, dass  nur  die  Kinder  aus  rechlmäfsiger  Bürgerehe  als  Bürgersöhne 
gelten  sollten  (S.  263  f.),  aufgehoben  wurde.  Man  wusste  wohl,  dass  er 
dabei  zunächst  an  sein  Haus  dachte  und  für  einen  Sohn  von  Aspasia 
die  Anerkennung  wünschte;  denn  das  Aussterben  des  Hauses  war  für 
einen  Hellenen  das  schwerste  Unglück,  welches  ihn  treffen  konnte. 
Indessen  ist  wohl  anzunehmen,  dass  Perikles  nach  den  Verheerungen 
der  Pest  überhaupt  eine  Umänderung  und  Milderung  jenes  Gesetzes 
für  angemessen  hielt"). 

Ihm  kam  zu  Gute,  dass  die  Erbitterung  gegen  Sparta  durch  einen 
unerwarteten  Zwischenfall  neue  Nahrung  erhalten  hatte.  Gegen  Ende 
des  Sommers  wurde  nämlich  eine  peloponnesische  Gesandtschaft  nach 
Persien  geschickt,  um  durch  Vermittelung  des  Pharnakes,  des  Satrapen 
in  Kleinasien,  den  Grofskönig  zur  Unterstützung  der  peloponnesischen 
Sache  zu  veranlassen. 

An  der  Spitze  der  Gesandtschaft  stand  Aristeus,  des  Adeimantos 
Sohn  (S.  370),  der  dieselbe  gewiss  vor  allen  Anderen  betrieben  hatte, 
vor  Allem  um  Polidaia  zu  retten ;  denn  die  Korinther  waren  daselbst 
durch  Phormion  dergestalt  eingesperrt,  dass  ihre  Schiffe  nicht  aus- 
noch  einfahren  konnten.  Aufserdem  gingen  drei  Spartaner  und  ein 
Tegeate  von  Am  Uwegen  mit. 

Unterwegs  sollte  Sitalkes,  der  nach  dem  Grofskönige  der  mäch- 
tigste Barbarenfürst  war,  den  Athenern  abwendig  gemacht  werden, 
aber  statt  dessen  wussten  es  die  Athener  durch  ihren  Ehrenbürger 
Sadokos,  des  Sitalkes  Sohn,  durchzusetzen,  dass  die  Gesandtschaft,  wie 
sie  im  Begriffe  war  über  den  Hellespont  zu  fahren,  ergriffen  und  den 
Athenern  ausgeliefert  wurde.   Als  sie  nach  Athen  eingebracht  wurden. 


JT~*  — — - 


Digitized  by  Google 


HINRICHTUNG  DES  GESANDTEN.     DRITTES  KRIEGSJABR.  415 

war  die  Wulh  des  Volkes  nicht  zu  zugein,  und  namentlich  war  der  Hass 
gegen  Aristeus,  den  gefahrlichsten  aller  Peloponnesier,  den  Anstifter 
des  Abfalls  von  Potidaia,  Schuld  daran,  dass  man  sie  am  nämlichen 
Tage  unverbörter  Sache  hinrichten  liefs.  Die  Lakedä  monier  erkannten 
in  diesem  furchtbaren  Ereignisse  den  Fluch  des  Tallhybios,  welcher 
ihnen  noch  darüber  grolle,  dass  sie  einst  die  Gesandten  des  Königs 
Dareios  gelödtet  hatten.  Xerxes  hatte  es  verschmäht,  an  den  ihm  aus- 
gelieferten Herolden  Rache  zu  nehmen ;  sie  waren  unverletzt  zurückge- 
kommen und  nun ,  meinte  man,  würde  an  ihren  Söhnen,  Nikolaos  und 
Aneristos,  die  Nemesis  vollzogen. 

Wenn  die  That  der  Athener  auch  durch  die  landesverrälherischen 
Absichten  der  Gesandtschaft  und  durch  ähnliche  Gewaltlhaten  von 
Seiten  Spartas  entschuldigt  werden  konnte,  so  kann  man  doch  kaum 
glauben,  dass  sie  nach  wiederhergestelltem  Ansehen  des  Perikles  erfolgt 
sei.  Jetzt  aber  erschienen  alle  Friedensaussichten  auf  immer  vernichtet, 
und  um  so  leichter  konnten  die  Anhänger  des  Perikles  durchdringen, 
welche  den  Krieg  mit  voller  Energie  fortgesetzt  wissen  wollten.  Nach 
einer  Zeit  der  Erschlaffung  trat  in  der  That  eine  neue  Anspannung 
ein,  als  Perikles  wieder  am  Ruder  war. 

Pbormion  wurde  mit  zwanzig  Schiffen  ausgeschickt,  um  den  ko- 
rinthischen Meerbusen  in  Obacht  zu  halten,  Meiesander  mit  sechs  nach 
Karien  und  Lykien.  Die  Belagerung  von  Potidaia  wurde  mit  neuem 
Eifer  aufgenommen,  und  im  Winter  musste  sich  die  Stadt  ergeben; 
ihre  Widerstandskraft  war  durch  die  äufserste  Hungersnolh  gebrochen, 
nachdem  sie  sich  über  zwei  Jahre  gehalten  hatte;  auch  die  Belagerer 
befanden  sich  bei  der  rauhen  Jahreszeit  in  einem  so  übelen  Zustande, 
dass  sie  den  Bürgern,  um  nur  zum  Ziele  zu  kommen,  zum  Aerger  der 
Athener  freien  Abzug  bewilligten.  Die  Stadl  wurde  von  attischen  An- 
siedlern neu  bevölkert.  Es  war  ein  grofser  Gewinn ,  aber  ein  schwer 
erkaufter.  Die  Möglichkeit  eines  erfolgreichen  Widerstandes  war  den 
Bundesgenossen  gezeigt  worden  und  viele  solcher  Belagerungen  konnten 
auch  die  attischen  Finanzen  nicht  ertragen19). 

Im  Frühlinge  des  dritten  Kriegsjahrs  zeigten  die  Peloponnesier 
keine  Lust,  das  verödete  und  verpestete  Attika  von  Neuem  heimzu- 
suchen; sie  rückten  vielmehr  unter  Archidamos  vor  Plataiai,  während 
um  dieselbe  Zeit  eine  attische  Flotte  nach  Thrakien  ging,  wo  die 
Stämme  oberhalb  Potidaia  noch  immer  in  Aufstand  waren  und 
namentlich  Olynthos  ein  gefährlicher  Waffenplatz  geblieben  war. 


Digitized  by  Google 


416  PHORMION  IM  KORINTHISCH  EN  GOLF  (87.  %\  4M). 

Unweit  Olynthos  lag  Spartolos,  vor  dessen  Mauern  es  zu  einem 
Kampfe  kam,  in  dem  die  Athener  bedeutende  Verluste  erlitten. 

Ein  dritter  Kriegsschauplatz  war  Akarnanien,  eine  Landschaft, 
welche  beiden  Parteien  ein  günstiges  und  wichtiges  Terrain  für  ihre 
Politik  zu  sein  schien,  ein  Land  von  grofser  Fruchtbarkeit,  mit  vielen 
festen  Plätzen,  aber  ohne  entwickeltes  Städteleben,  ohne  festen 
Zusammenhang  und  gemeinsame  Oberleitung.  Eis  waren  Gruppen 
selbständiger  Gemeinden,  deren  Sympathien  zwischen  Sparta  und 
Athen  gelheilt  waren,  wenn  auch  die  Mehrheit  attisch  gesinnt  war. 
An  SlofT  zur  Fehde  fehlte  es  also  nicht.  Der  Anstofs  zum  Kriege  ging 
von  Ambrakia  aus,  der  unternehmendsten  unter  allen  korinthischen 
Tochterstädten,  welche  die  Lage  der  Dinge  für  günstig  hielt,  um  das 
Nachbarland  der  Akarnanen  sich  zu  unterwerfen. 

Zu  diesem  Zwecke  verbanden  sich  die  Ambrakioten  mit  den 
Völkerschaften  von  Epeiros  und  zogen  mit  einem  gewaltigen  Heere 
das  Acheloostbal  hinab  gegen  Stratos,  die  Hauptstadt  der  Akarnanen, 
während  verabredeter  Malsen  auch  die  Peloponnesier  zu  Lande  wie 
zur  See  die  Unternehmung  unterstützten;  denn  man  hoffte  nicht 
nur  Akarnanien  von  Athen  losreißen,  sondern  auch  die  Inseln 
Kephallenia  und  Zakynlhos,  ja  selbst  Naupaktos  nehmen  und  den 
korinthischen  Meerbusen  wieder  frei  machen  zu  können.  Deshalb 
hatten  sich  tausend  Schwerbewaffnete  aus  Sparta  unter  dem  Adalirale 
Knemos  mit  den  Ambrakioten  zum  Angriffe  auf  Stratos  vereinigt 
Aber  derselbe  misslang  wegen  des  Mangels  an  Leitung  und  der  un- 
vernünftigen Beutelust  der  nordischen  Bundesgenossen  vollkommen, 
obgleich  Phormion  sich  aufser  Stande  sah,  der  bedrängten  Stadl  zu 
Hülfe  zu  kommen,  denn  eine  korinthisch -sikyonische  Flotte  von 
37  Schiffen  war  im  Anzüge  und  suchte  heimlich  über  den  Golf  zu 
fahren.  Dies  vereitelte  nicht  bloß  der  kluge  und  wachsame  Phormion, 
sondern  griff  unvermuthet  die  feindliche  Flotte  auf  hoher  See  mit 
solcher  Ueberlegenheit  seemännischer  Taktik  an,  dass  er  ohne  eigenen 
Verlust  die  fast  doppelte  Zahl  der  feindlichen  Schiffe  in  Verwirrung 
brachte,  zwölf  Trieren  nahm  und  eine  Menge  Gefangener  fortführte. 
Es  war  der  glänzendste  Sieg,  der  Athen  in  diesem  Kriege  zu  Theil 
geworden  war. 

Phormion  wusste,  dass  die  Gefahr  nicht  vorüber  sei.  Er  bat 
dringend  um  Verstärkung.  Zwanzig  Schiffe  wurden  ausgerüstet,  aber, 
durch  falsche  Vorspiegelungen  verleitet,  schickte  man  sie  erst  nach 


Digitized  by  Google 


PHORMKWS  ZWEITER  SEESIEG. 


417 


Kreta,  um  Kydonia  zu  nehmen;  ein  Handstreich,  welcher  gänzlich 
misslang.  Aufserdem  wurde  die  Fahrt  durch  Nordwinde  verzögert 
und  die  kostbarste  Zeit  ging  verloren.  Auch  die  Kerkyräer  zeigten 
sich  bei  diesen  Kämpfen  theilnahmlos,  während  sie  doch  früher  so 
grofses  Gewicht  auf  ihre  Bundesgenossenschati  gelegt  hatten.  Da- 
gegen brachten  die  Lakedämonier,  voll  Entrüstung  über  die  zwie- 
fache Vereitelung  ihrer  Pläne  in  kürzester  Zeit  eine  neue  Flotte  von 
77  Schiffen  zusammen.  Phormion  sah  sich  in  der  bedenklichsten  Lage, 
weil  die  feindliche  Flotte  nicht  nur  beinahe  um  das  Vierfache  über- 
legen war,  sondern  diesmal  auch  von  klugen  Führern  geleitet  wurde. 
Denn  Knemos  hatte  Brasidas  (S.  404)  zur  Seite,  welcher  die  Ueber- 
zahl  sehr  geschickt  zu  benutzen  wusste,  indem  er,  um  ein  Gefecht 
auf  hober  See  zu  vermeiden,  durch  einen  verstellten  Angriff  auf 
Naupaktos  die  attischen  Trieren  in  die  Lage  brachte,  dass  sie  hart  am 
Ufer,  wo  sie  keine  freie  Bewegung  hatten,  plötzlich  überfallen  und 
neun  von  ihnen  abgeschnitten  wurden,  während  die  übrigen  elf  nach 
Naupaktos  entkamen.  Indessen  wurden  die  eingeschlossenen  Trieren 
zum  Theil  noch  gerettet  durch  den  wunderbaren  Muth  der  Messenier, 
die  zu  Lande  den  Athenern  folgten  und  trotz  der  schweren  Rüstung 
in  das  Wasser  stiegen,  die  Schiffe  erkletterten  und  sie  vertheid igten. 
Die  entkommenen  Schiffe  aber  machten  vom  Hafen  aus  gegen  ihre 
Verfolger  einen  neuen,  entschlossenen  Angriff  und  begannen  ein  so 
glückliches  Gefecht,  dass  sie  nicht  nur  die  verfolgende  Abtheilung  der 
feindlichen  Flotte  vollständig  in  die  Flucht  schlugen,  sondern  auch 
ihre  eigenen  Schiffe  wieder  befreiten,  mehrere  der  feindlichen  nahmen 
und  die  ganze  peloponnesische  Flotte  zwangen,  sich  in  ihren  Hafen 
Panormos  zurückzuziehen.  Bald  nachher  kam  auch  das  verspätete 
Geschwader  aus  Kreta  und,  wie  nun  die  Sommerzeit  zu  Ende  ging, 
waren  alle  Unternehmungen  der  Peloponnesier  zu  Lande  wie  zu 
Wasser  vollständig  vereitelt,  die  Siegeskraft  der  attischen  Schiffe  in 
bewunderungswürdiger  Weise  bewährt,  und  trotz  aller  Anstrengungen 
der  Feinde  der  korinthische  Golf  sicherer  als  je  zuvor  in  den  Händen 
der  Athener80). 

An  allen  diesen  Kämpfen  in  den  östlichen  und  westlichen  Ge- 
wässern hatte  Perikles  keinen  persönlichen  Antheil.  Auch  in  Athen 
selbst  war  er  nicht  mehr  der  Alte.  Die  verkehrte  Unternehmung 
gegen  Kydonia  beweist,  dass  Dinge  geschehen  konnten,  welche  seiner 
Art  den  Staat  zu  leiten  durchaus  zuwiderliefen.    Zu  einer  peri- 

Curtiu»,  Gr.  G««eh.  II.   «.  Anfl.  27 


Digitized  by  Google 


418 


PEHIKI.ES'  TOD  (W,  4;  «9  HERBST) . 


kleischen  Staatsleitung  gehörte  eine  volle  Gesundheit  des  Leibes  und 
der  Seele;  aber  seine  Kraft  war  gebrochen  und  der  Kern  seines  Lebens 
angegriffen.  Noch  immer  wüthete  die  Krankheit  in  Athen,  und 
nachdem  sie  sein  Haus  und  seinen  Freundekreis  verödet  hatte,  ergriff 
sie  auch  ihn,  aber  nicht  auf  einmal,  sondern  wie  ein  heimliches  Gift 
zehrte  sie  langsam  an  seinem  Marke  und  warf  ihn  endlich  auf  das 
Krankenbett.  Auch  die  hohe  Kraft  des  Willens  war  gebrochen,  und 
um  den  Freunden  zu  zeigen,  was  aus  dem  grofsen  Perikles  geworden 
sei,  wies  er  sie  auf  das  Amulet  hin,  welches  abergläubische  Frauen 
ihm  als  Schutzmittel  umgehängt  hatten.  Da  lag  er,  von  den  besten 
seiner  Mitbürger  umgeben,  welche  sich  mit  trostlosen  Blicken  fragten, 
was  aus  Athen  ohne  Perikles  werden  solle,  und  während  sie  ihn  schon 
bewussüos  glaubten  und  wie  zu  seinem  Andenken  von  den  herrlichen 
Thaten  des  Mannes  redeten,  da  erhob  er  sich  noch  einmal  und  fragte 
sie,  warum  sie  doch  das  Beste  verschwiegen,  nämlich  dass  um  seinet- 
willen kein  Athener  ein  Trauerkleid  angelegt  habe!  Also  nicht  seinen 
hohen  Geist,  nicht  die  Herrscherkraft  seines  Worts,  nicht  sein  Feld- 
hermglück hielt  er  für  das  Beste  an  sich,  sondern  seine  Mäfsigung, 
seine  Selbstbeherrschung  und  vorsichtige  Besonnenheit;  er  konnte  sich  * 
das  Zeugniss  geben,  dass  auch  die  giftigsten  Anfeindungen  ihn  niemals 
verleitet  hatten,  sich  in  Zornaufwallung  an  seinen  Feinden  zu  rächen. 

Zwei  Jahre  und  sechs  Monate  hatte  der  Krieg  gedauert,  als 
Perikles  starb.  Er  wurde  im  äufseren  Kerameikos  bestattet,  rechts 
von  der  Heerstrafse,  die  zu  den  Häfen  führte,  nahe  bei  dem  grofsen 
Friedhofe  der  für  das  Vaterland  gefallenen  Athener.  Sein  Bild  blieb 
der  Nachwelt  in  trefflichen  Darstellungen  erhalten;  die  vorzüglichste 
war  von  der  Hand  des  Kresilas,  welcher  darin  seine  Kunst  bewährte, 
einen  edlen  Mann  wahrheitsgetreu  darzustellen  und  doch  die  geistige 
Persönlichkeit  noch  deutlicher  auszudrücken,  als  die  Körperformen 
selbst  es  vermocht  hatten.  Die  Tiefe  des  sittlichen  Ernstes,  der  uner- 
schütterliche Muth  des  Staatsmanns  und  Feldherrn,  die  königliche 
Ruhe  des  Weisen  treten  uns  auch  in  der  erhaltenen  Nachbildung  un- 
verkennbar entgegen;  die  überlegene  Denkkraft  zeigt  sich  in  Auge 
und  Stirn ,  während  man  den  zartgeformten  Lippen  die  Anmuth  der 
Hede  anzusehen  glaubt,  welche  ihnen  einst  entflossen  ist31). 

Niemand  wird  von  Perikles  behaupten  wollen,  dass  er  durchaus 
neue  Gesichtspunkte  attischer  Staatsverwaltung  aufgestellt  habe;  er 
knüpfte  vielmehr  in  allen  wesentlichen  Punkten  an  die  ältere  Ge- 


Digitized  by  Google 


PEfilKLES'  STAATSVERWALTUNG. 


419 


schichte  der  Stadt  an,  und  sein  ganzes  Streben  ging  nur  dahin,  Athens 
Gröfse  auf  den  gegebenen  Grundlagen  zu  erhalten,  zu  befestigen  und 
in  würdigster  Weise  darzustellen.  Wenn  Perikles  das  Seine  thal,  um 
die  Bürgerschaft  von  dem  Einflüsse  bevorzugter  Stande  immer  mehr 
zu  befreien  und  den  Antheil  aller  Staatsbürger  an  den  öffentlichen 
Angelegenheiten  zu  fördern,  so  trat  er  in  die  Fufstapfen  von  Solon 
und  Kleistheues.  Wenn  er  aber  von  der  Ansicht  ausging,  dass  sich 
auf  dem  Meere  entscheiden  müsse,  welcher  Staat  der  herrschende  in 
Griechenland  sein  werde,  und  von  den  Athenern  verlangte,  dass  sie 
die  Landschaft  preisgeben  und  ihre  Stadt  wie  eine  Insel  vertheidigen 
sollten,  so  waren  dies  ja  die  Gedanken  des  Themistokles,  dessen 
Scharfblick  die  wahren  Grundlagen  der  attischen  Macht  zuerst  erkannt 
hatte.  Aber  wie  sehr  unterschied  er  sich  von  ihm  in  der  Wahl  der 
Mittel  und  in  der  Vielseitigkeit  seiner  Politik!  Denn  in  der  sittlichen 
Auffassung  seines  Berufs  war  er  der  treuste  Nachfolger  des  Ari- 
steides;  alle  gegen  seinen  Charakter  gerichteten  Angriffe  sind  ge- 
scheitert, und  der  grofse  Geschichtschreiber  seiner  Zeit,  welcher  zu- 
gleich der  strengste  und  wahrhaftigste  Sittenrichter  ist,  hat  ihn  von 
jedem  Vorwurfe  des  Eigennutzes  frei  sprechen  können.  Wenn  er  aber 
die  wahre  Gröfse  Athens  nicht  in  den  Mauern  und  Schiffswerften 
suchte,  sondern  in  der  hervorragenden  Geistesbildung,  und  deshalb 
alle  höheren  Richtungen  hellenischer  Bildung  in  Athen  einbürgerte, 
um  hierin  seiner  Vaterstadt  einen  unbestrittenen  Vorrang  zu  sichern,  so 
waren  das  ja  schon  die  Gedanken  Solons  gewesen,  welche  dann  von 
den  Pisistratiden  mit  ruhmwürdigem  Eifer  verfolgt  worden  waren. 
Auch  von  anderen  Staaten  nahm  er  auf,  was  nachahmungswürdig  war, 
wie  er  z.  B.  in  der  Gründung  überseeischer  Städte  korinthische  Staats- 
klugheit zum  Muster  nahm.  Kurz ,  Perikles'  Bedeutung  besteht  recht 
eigentlich  darin,  dass  er  alle  grofsen  und  fruchtbaren  Ideen  früherer 
Zeiten  in  sich  vereinigte,  aber  geläutert,  geordnet  und  in  grofsartigem 
Zusammenhange.  Die  Gröfse  Athens,  für  welche  er  bis  an  sein  Ende 
gestrebt  hat,  ohne  sich  weder  durch  Glück  noch  durch  Unglück  irre 
machen  zu  lassen,  sie  war  also  nicht  eine  von  ihm  ersonnene,  sie  war 
kein  aus  philosophischen  Theorien  gebildetes  Ideal,  sondern  die  Ent- 
fallung und  Blüthe  dessen,  wozu  die  Athener  von  Natur  geschaffen 
waren,  und  das  Ziel,  welches  die  Vergangenheil  forderte,  ein  Ziel,  das 
Athen  erreichen  musste,  wenn  es  nicht  sich  selbst  und  seinem  ge- 
schichtlichen Berufe  untreu  werden  wollte. 

27* 


Digitized  by  Google 


420 


nÜCKW.lCK  AUF 


Wer  will  behaupten ,  dass  er  vollkommen  selbstlos  seine  Lebens- 
aufgabe erfüllt  habe?  Wenn  aber  Perikles  ohne  Selbstüberhebung  sich 
sagen  konnte,  dass  er  zur  Leitung  des  Staats  vor  allen  Athenern 
berufen  sei,  so  war  es  kein  gemeiner  Ehrgeiz,  der  ihn  antrieb,  diese 
Stellung  mit  aller  Energie  zu  erstreben.  Dazu  musste  er  das  Vertrauen 
des  Staatsoberhaupts,  d.  h.  des  Demos  von  Athen,  haben;  der  geborene 
Aristokrat,  der  mit  Misstrauen  angesehen  wurde,  musste  ein  Mann 
des  Volks  werden,  wenn  seine  Ideen  von  der  Gröfse  Athens  nicht 
Träume  bleiben  sollten.  Dazu  konnte  er  nur  durch  demagogische 
Mittel  gelangen,  indem  er  sich  der  Reformpartei  anschloss  und  der 
Menge  Vortheile  verschaffte,  welche  an  sich  nicht  unberechtigt  waren, 
aber,  wie  er  sich  nicht  verhehlen  konnte,  manche  Gefahren  mit  sich 
führten,  indem  sie  Ansprüche  weckten,  die  sich  steigern  und  ver- 
vielfältigen mussten  und  das  Volk  zur  Genusssucht  und  zum  Müßig- 
gänge verleiteten.  Perikles  war  hier,  wenn  er  seinen  Lebensberuf 
erfüllen  wollte,  in  der  Auswahl  der  Mittel  nicht  frei.  Ist  er  hier  weiter 
gegangen,  als  er  verantworten  konnte?  Trifft  ihn  eine  Mitschuld  an 
der  Entartung  des  Demos,  die  mit  den  Festgeldern  und  Löhnungen 
zusammenhängt?  Täuschte  er  sich  in  dem  Gedanken,  dass  er  die  Übeln 
Folgen  wieder  gut  machen  könnte,  wenn  er  auf  diesem  allein  mög- 
lichen Wege  die  Herrschaft  erlangt  habe?  Diese  Fragen  zu  beant- 
worten sind  wir  aufeer  Stande,  da  wir  über  Anfang  und  Fortgang  des 
Löhnungwesens  zu  mangelhaft  unterrichtet  sind. 

Noch  weniger  sind  wir  im  Stande,  über  Perikles  als  Feldherrn  zu 
richten.  Hier  haben  die  scharfen  Augen  seiner  Gegner  am  wenigsten  zu 
tadeln  gefunden,  und  wer  sich  in  der  Republik  so  lange  unangefochten 
an  der  Spitze  des  Heerwesens  gehalten  hat,  der  muss  auch  auf  diesem 
Gebiet  als  der  Erste  gegolten  haben,  und  zwar  wurde  den  Fehlern 
gegenüber,  zu  welchen  eine  Demokratie  vorzugsweise  neigt,  an  Perikles 
vor  Allem  die  höchste  Besonnenheit  und  Vorsicht  gerühmt  Ob  darunter 
bei  aller  persönlichen  Tapferkeit  in  einzelnen  Fällen  die  Kühnheit  des 
Entschlusses  gelitten  habe,  welche  gröfsere  Erfolge  hätte  erzielen  können, 
wer  will  darüber  heute  zu  Gericht  sitzen,  da  kein  Kampf  so  genau 
beschrieben  ist,  dass  wir  die  Taktik  des  Feldherrn  zu  beurteilen  im 
Stande  sind  ?  Dass  aber  die  einseilige  Seepolitik  ihm  nicht  zum  Vorwurf 
gemacht  werden  könne,  dafür  zeugen  die  schweren  Unglücksfalle,  welche 
nach  kurzen  Erfolgen  mit  allen  Unternehmungen  verbunden  waren,  die 
eine  Continental-Herrschaft  in  Mittelgriechenland  zu  ihrem  Ziele  hatten. 


Digitized  by  Google 


■ 


PERIKLES'  STAATSVERWALTUNG.  421 

Am  meisten  könnte  man  berechtigt  seint  eine  Schwäche  des 
Staatsmannes  darin  zu  erkennen,  dass  er  in  seiner  panhellenischen 
Politik  sich  getäuscht  habe. 

Mit  prophetischem  Blick  erkannte  er  vor  allen  seinen  Zeit- 
genossen, dass  die  Eifersucht  der  hellenischen  Volksstämme  unter 
einander  ihre  Beruhigung  finden  müsse  und  dass  in  attischer  Bildung 
das  gemeinsam  Hellenische  einen  Ausdruck  finden  werde,  dem  die  all- 
gemeine Anerkennung  nicht  fehlen  könne.  Er  hatte  zu  dem  nationalen 
Sinne  der  Hellenen  das  Vertrauen ,  dass  sie  auch  ohne  ziellose  Fort- 
setzung der  Perserkriege  sich  immer  mehr  als  ein  Ganzes  fühlen  und 
dass  in  den  überseeischen  Colonien  die  feindlichen  Gegensätze  sich 
allmählich  ausgleichen  würden.  Er  selbst  war,  wie  kein  Anderer, 
zugleich  Hellene  und  Athener,  und  was  in  seinem  Bewusstsein  sich 
harmonisch  verbunden  hatte,  verleitete  ihn  wohl  zu  dem  Glauben,  dass 
das,  was  in  der  That  das  höchste  Ziel  und  die  einzige  Rettung 
nationaler  Entwickelung  war,  leichter  und  schneller  erreichbar  sei,  als 
es  die  realen  Verhältnisse  gestatteten.  Wenn  Perikles  sich  in  diesem 
panhellenischen  Optimismus  getauscht  hat,  so  dürfen  wir  ihn  des- 
wegen doch  nicht  als  einen  kurzsichtigen  Staatsmann  anklagen ;  denn 
eine  höhere  Aufgabe  konnte  er  sich  nicht  stellen,  und  das  schöne  Ver- 
trauen, mit  dem  er  sein  Werk  durchführte,  so  weit  es  menschliche 
Kräfte  vermochten,  war  die  Quelle  seiner  Kraft  und  seines  bis  ans 
Ende  ausharrenden  Muthes.  Und  wer  wagt  es,  den  Wunsch  aus- 
zusprechen, Perikles  möchte  nüchterner  und  kleinmüthiger  gewesen 
sein  während  der  Jahre,  in  welchen  er  unbedingt  über  die  Hülfs- 
mittel  der  Stadt  gebot? 

Perikles  hat  ohne  Verfassungsbruch  die  bestehende  Demokratie 
so  umgestaltet,  dass  der  Schwerpunkt  der  Macht  den  Aemtern  zurück- 
gegeben wurde,  welche  nicht  durch  den  Zufall  des  Looses,  sondern 
durch  das  Vertrauen  der  Gemeinde  besetzt  wurden.  Er  hat  dieselben 
so  an  seine  Leitung  gewöhnt,  dass  sie  ihn  Jahr  aus  Jahr  ein  zu  ihrem 
Feldhauptmann  erwählten,  als  könnte  es  gar  nicht  anders  sein,  und 
während  er  diese  einzig  artige  Stellung  einnahm,  hat  er  sich  aller 
Anfeindungen  ungeachtet  zu  keinem  Missbrauche  seiner  Macht  ver- 
leiten lassen.  Er  beherrschte  seine  Mitbürger,  indem  er  sie  zu  sich 
emporhob  und  sie  immer  höher  von  ihrer  Stadt  denken  lehrte.  Je 
mehr  bei  wachsenden  Schwierigkeiten  und  Gefahren  seine  Politik  sich 
bewährte,  um  so  mehr  konnte  er  hoffen,  dass  man  die  Unentbehrlich- 


Digitized  by  Google 


422  RÜCKBLICK  AUF 

keit  seiner  Person  erkennen  werde,  da  die  Majoritäten  grofser  Bürger- 
Versammlungen  unfähig  waren,  die  verwickelten  Verhältnisse  eines 
weitläufigen  Reichs  zu  überblicken  und  in  kritischen  Fällen  rasch  zu 
handeln. 

Aber,  fragt  man,  wie  sollte  sich  ein  solches  Regiment  auf  die 
Dauer  erhalten,  wie  sollte  es  nach  Perikles  von  einem  Andern  über- 
nommen werden  können?  Gewiss  hat  Perikles  dies  Jahre  lang  vorbe- 
dacht, und  unter  den  Vertrauten,  welche  um  ihn  standen,  bis  die 
Seuche  ihn  vereinsamte,  waren  gewiss  Männer,  welche  ihm  geeignet 
schienen  sein  Werk  fortzusetzen.  Aber  auch,  wenn  er  in  keiner  Weise 
darauf  rechnen  konnte,  dass  die  Gröfse  Athens  eine  dauerhafte  sein 
würde,  durfte  dies  ihn  abhalten,  an  die  Verwirklichung  des  vorgesteck- 
ten Ziels  seine  volle  Kraft  zu  setzen?  Um  so  mehr  galt  es,  mit 
entschlossener  Thatkraft  die  Gegenwart  zu  benutzen ,  welche  so  nie- 
mals wiederkehren  konnte.  Er  wusste,  dass  der  Inhalt  einer  grofsen 
Zeit  nicht  von  der  Dauer  derselben  abhängig  sei ;  er  wusste ,  dass  es 
ein  ewiger  Besitz  seiner  Stadt  und  seines  Volks  sein  würde,  wenn  das 
höchste  Ideal  einer  hellenischen  Gemeinschaft  in  Athen  verwirklicht 
würde.  Sein  Streben  war  ein  hohes  Wagen,  aber  zugleich  von  voller 
Besonnenheit  getragen,  und  darum  ist  sein  Lebenswerk,  so  wehmüthig 
auch  sein  Ende  war,  von  einem  unvergänglichen  Erfolge  gekrönt 
worden. 

Freilich  ist  dieser  Erfolg  nicht  gleich  zu  Tage  getreten;  denn 
niemals  ist  wohl  ein  grofser  Staatsmann  ungerechter  beurteilt  und 
auch  von  den  Besten  seines  Volks  mehr  verkannt  worden,  als  Perikles. 
Die  Stimmen  der  Zeitgenossen  zeigen,  wie  widerwillig  man  seine  Gröfse 
anerkannte  und  wie  man  sich  dem  lästigen  Gefühle  unbedingter  Be- 
wunderung durch  hämische  Ausstellungen  und  Verleumdungen  zu  ent- 
ziehen suchte.  In  der  aufgeregten  Zeil,  welche  dem  Kriege  vorausging, 
war  eine  unbefangene  Würdigung  seiner  Verdienste  unmöglich.  Alle 
Parteien  waren  gegen  ihn,  und  seine  Verunglimpfung  war  das  Einzige, 
worin  Aristokraten  und  Demokraten  sich  begegneten.  Nachdem  aber 
der  Krieg  begonnen  und  eine  so  ungünstige  Wendung  genommen  hatte, 
warf  man  die  Schuld  auf  ihn  als  den  Anstifter  des  Kriegs,  ohne  zu  be- 
denken, dass  das  Missgeschick  eine  Folge  von  Ereignissen  war,  die 
auch  der  weiseste  Staatsmann  nicht  in  Anschlag  bringen  konnte. 

Auch  von  der  nachfolgenden  Generation  ist  Perikles  nicht  unbe- 
fangen beurteilt  worden.  Denn  man  machte  ihn  für  alle  Missbräuche 


Digitized  by  Google 


PERIKLES'  STAATSVERWALTUNG. 


423 


der  entarteten  Demokratie  verantwortlich,  indem  man  die  Demagogen 
als  seine  Nachfolger  ansah ,  deren  Haltung  und  Wirksamkeit  das  volle 
Gegentheil  perikleischer  Staatsleitung  war,  wie  wir  sie  kennen  gelernt 
haben.  So  ist  er  von  Geschichtschreibern  und  Philosophen,  auch  von 
Piaton  und  Aristoteles  verkannt  worden.  Um  so  dankbarer  sind  wir 
dem  Einen,  der  es  uns  möglich  macht,  aller  Entstellungen  ungeachtet 
die  ursprunglichen  Züge  des  Bildes  wieder  zu  erkennen ;  um  so 
erfreuender  ist  die  Aufgabe,  an  der  Hand  des  Thukydides  allen  Spuren, 
welche  der  grofse  Geist  der  Geschichte  seines  Volks  eingedrückt  hat, 
mit  Bewunderung  nachzugehen39). 


Digitized  by  Google 


II. 

DER  KRIEG  BIS  ZUM  FRIEDEN  DES  NIKIAS. 


Im  ganzen  Verlaufe  des  Kriegs  ist  kein  verhängnissvolleres  Ereignis* 
eingetreten,  als  die  attische  Pest  und  der  durch  sie  herbeigeführte  Tod 
des  Perikles.  Denn  wenn  auch  die  äußere  Stellung  eine  Zeitlang 
dieselbe  blieb,  so  war  Athen  doch  im  Innern  wesentlich  verändert. 

Die  Stadt  war  durch  den  Menschenverlust  erschöpft  Aus  den 
dienstpflichtigen  Klassen  allein  waren  4400  Mann  des  Fufsvolks  und 
300  Reiter  der  Seuche  erlegen.  Die  Bürgerschaft  war  in  ihrem  inner- 
sten Kerne  angegriffen.  Viele  Häuser,  in  denen  sich  noch  alte  Zucht 
und  Sitte  erhalten  hatte,  waren  ausgestorben  und  der  lebendige  Zu- 
sammenhang mit  den  Tagen  des  Aristeides  und  Kimon  zerrissen.  Die 
reifen  Männer,  welche  die  Pest  überlebten ,  blieben  wohl  dieselben ; 
aber  die  aufwachsende  Generation  war  eine  andere.  Der  hochherzige 
Sinn  fehlte  und  der  feste  Glaube  an  die  Zukunft  der  Stadt.  Die  Zeiten 
waren  aber  nicht  dazu  angethan,  dass  die  Aufregung  sich  legte  und  der 
alte  Bürgersinn  wieder  erstarkte.  Denn  der  Krieg,  der  immer  heftiger 
entbrannte ,  hatte  nicht  nur  den  alten  Ilellenenbund  in  zwei  feindliche 
Heerlager  gespalten,  sondern  er  zerriss  auch  jede  einzelne  Gemeinde  in 
Parteien  von  unversöhnlichem  Gegensatze.  Dadurch  wurden  alle  Bürger- 
schaften zerrüttet;  überall  wurden  die  Leidenschaften  aufgeregt  und 
die  Triebe  der  Selbstsucht  entfesselt.  Die  Zeit  war  vorüber,  für  welche 
Herodot  seine  Geschichte  geschrieben  hatte,  das  Geschlecht,  welchem 
die  Gröfse  Athens  zugleich  der  Ruhm  von  Hellas  war.  Was  die  Liebe 
zum  gemeinsamen  Vaterlande  an  sittlicher  Kraft  und  Weibe  gegeben 
hatte ,  verlor  seine  Bedeutung ,  und  die  Tugenden ,  die  im  hellenischen 
Vaterlandsgefühl  ihre  Wurzel  hatten,  starben  allmählich  ab. 


Digitized  by  Google 


UMWANDLUNG  DER  BÜRGERSCHAFT.  425 

In  dieser  Atmosphäre  wuchs  das  neue  Geschlecht  heran.  Daher 
die  weit  verbreitete  Klage  über  Entartung  der  Jugend,  über  missrathene 
Biirgersöhne.  Perikles  war  nicht  der  Einzige  unter  den  grofsen  Hel- 
lenen, der  solche  Erfahrungen  in  seinem  Hause  machte.  Auch  die 
Nachkommen  des  Themistokles ,  des  Aris leides,  des  Thukydides,  des 
Sohnes  desMelesias,  waren  traurige  Beispiele  der  Entsittlichung;  ebenso 
die  Söhne  des  grofsen  Bildners  Polykleitos,  welche  nach  Athen  über- 
gesiedelt waren.  Das  von  den  Vorfahren  langsam  gesammelte  und 
haushälterisch  verwaltete  Vermögen  wurde  in  leichtsinniger  Genuss- 
sucht verthan;  die  edelsten  Häuser  der  Stadt  kamen  in  Verfall  und  Un- 
ehre. So  jenes  erlauchte  Geschlecht,  in  welchem  das  Amt  der  Herolde 
und  Fackelträger  in  den  eleusinischen  Mysterien  erblich  war,  das  Ge- 
schlecht, welchem  Kallias  angehörte,  der  stolze  Gegner  der  Pisistratiden, 
dessen  Enkel  Kallias  bei  Marathon  kämpfte  und  Gesandter  in  Susa  war. 
Ihm  folgte  Hipponikos  (S.  229),  der  600  Sklaven  in  den  Bergwerken 
hielt  und  an  Glanz  des  Reichthums  alle  Zeitgenossen  überstrahlte,  der 
Letzte,  der  die  Ehre  des  Geschlechts  aufrecht  erhielt.  Denn  sein  Sohn, 
der  dritte  Kallias,  begann  bald  nach  Perikles'  Tode  die  tollste  Wirt- 
schaft im  väterlichen  Hause  und  verschleuderte  mit  Buhlerinnen,  So- 
phisten und  nichtsnutzigen  Schmarotzern  in  kurzer  Zeit  das  ererbte 
Gut,  so  dass  er,  der  Träger  der  heiligsten  Priesterwürden,  auf  der  ko- 
mischen Bühne  als  ein  Bild  des  entarteten  Athens  zur  Schau  gestellt 
werden  konnte"). 

Dazu  kam ,  dass  nach  dem  grofsen  Menschenverluste  die  frühere 
Strenge  in  Beziehung  auf  das  attische  Bürgerrecht  aufgegeben  worden 
war.  Perikles  selbst  hatte  dazu  den  Anlass  gegeben  (S.  414),  und  die 
Folge  war,  dass  eine  Menge  fremder  Bestandteile  in  die  Bürgerschaft 
eindrang  und  die  Familienverhältnisse  durch  die  Aufnahme  vieler  un- 
ehelicher Kinder  noch  mehr  zerrüttet  wurden.  Ferner  waren  durch 
Kriegsnoth  und  Krankheit  die  Bürger  von  den  gymnastischen  Uebungen 
entwöhnt  worden,  welche  so  wesentlich  dazu  beigetragen  hatten,  die 
männliche  Jugend  an  Leib  und  Seele  gesund  zu  erhalten.  Die  öffent- 
lichen Uebungsplätze  vor  der  Stadt  verödeten,  während  auf  dem  Markte 
vom  Morgen  bis  Abend  eine  geschwätzige  Menge  sich  immer  dichter 
zusammendrängte.  Denn  viele  Einwohner  von  Attika,  welche  durch 
die  Kriegs  Verhältnisse  aus  ihren  Beschäftigungen  herausgerissen  waren, 
hatten  sich  an  ein  müfsiggängerisches  und  leichtfertiges  Sladtleben 
gewöhnt;  das  ganze  Verhällniss  von  Stadt  und  Land  hatte  sich  geändert. 


Digitized  by  Google 


426 


VERÄNDERUNG  DER  RUR GERSCHAFT 


Die  alten  Athener  liebten  das  Landleben,  und  wer  es  irgend  haben 
konnte,  der  fühlte  sich  draufsen  auf  seinem  Gutchen  wohler  und  mehr 
zu  Hause  als  in  den  Mauern  der  Stadt.  Darum  waren  ihnen  die  länd- 
lichen Einrichtungen  im  Ganzen  behaglicher  als  die  Stadtwohnungen, 
und  viele  Bürger  kamen  kaum  zu  den  Festen  herein.  Jetzt  war  (ins 
anders  geworden.  Die  Grundslücke,  die  man  von  den  Vorfahren  ererbt 
und  durch  verständigen  Haushalt  von  Jahr  zu  Jahr  verbessert  halte, 
waren  mit  ihren  Anlagen  und  Einrichtungen  zerstört  Die  alten  Lebens- 
gewohnheiten und  Lebensfreuden  waren  den  Besitzern  für  immer  ver- 
leidet; denn  wie  war  es  möglich,  wieder  Vertrauen  zur  Zukunft  zu 
gewinnen!  Das  wohlthuende  Gleichgewicht  zwischen  Land-  und  Stadt- 
leben hörte  auf;  viele  Landleule  kehrten  nicht  wieder  zum  Pfluge 
zurück,  sondern  blieben  in  der  Stadt,  wo  sie  im  Wechsel  der  Genüsse 
und  in  der  Aufregung  des  Parteitreibens  die  Un behaglich keit  ihrer 
Existenz  zu  vergessen  suchten,  und  so  bildete  sich  in  Athen  eine  unzu- 
friedene und  unruhige,  eine  pöbelartige  Menge,  wie  sie  das  ältere  Athen 
nicht  gekannt  hatte.  Dazu  kam,  dass  mit  Beginn  des  Kriegs  alle 
gröfseren  Bauunternehmungen  aufgegeben  waren;  der  Tagelohn  war 
rasch  gesunken.  Handel  und  Wandel  stockten.  Um  so  mehr  wurde  die 
Theilnahme  an  den  öffentlichen  Angelegenheiten  ein  Zeitvertreib  der 
unbeschäftigten  Menge,  und  es  entwickelte  sich  in  der  ungesunden 
Atmosphäre  der  eingeschlossenen  Stadt  eine  neugierige  Nichtsthuerei, 
eine  faule  Geschwätzigkeit,  welche  von  den  allen  Gegnern  der  Demo- 
kratie bald  als  ein  Kennzeichen  des  attischen  Bürgers  angesehen 
werden  konnte. 

So  wurde  binnen  kurzer  Zeit  aus  der  Bürgerschaft  Athens  eine 
haltungslose  Menge,  die  sich  von  unklaren  Stimmungen  beherrschen 
liefs,  eine  Menge,  welche  zwischen  Ueberhebung  und  Mutlosigkeit, 
zwischen  Unglauben  und  abergläubischer  Aufregung  hin-  und  her- 
schwankte. Die  altbürgerliche  Gesinnung,  welche  der  sophistischen 
Aufklärung  Widerstand  geleistet  halte,  war  machtlosgeworden,  und 
deshalb  verbreitete  sich  unaufhaltsam  der  Abfall  von  der  väterlichen 
Religion,  die  Zweifel-  und  Spottlust  und  die  Verachtung  der  Götter. 
Die  Religion  war  aber  auch  die  Grundlage  des  sittlichen  Lebens;  denn 
sie  war  bei  den  Griechen  in  hervorragendem  Grade  eine  Religion  des 
Gewissens,  wie  die  Idee  der  Erinys  am  deutlichsten  zeigt,  welche  bei 
den  allen  Athenern  eine  so  hohe  Geltung  hatte.  Um  so  gefahrlicher 
war  für  das  ganze  bürgerliche  Leben  die  Abnahme  der  Gottesfurcht. 


Digitized  by  Google 


VERÄNDERUNG  DER  VOLKSLEITUNG. 


427 


Andererseits  suchte  man  in  dem  Gefühle  geistiger  Leere  doch 
wieder  nach  religiösem  Tröste  und  liefs  sich  dann  an  den  öffentlichen 
Einrichtungen  des  Gottesdienstes  nicht  genügen,  sondern  wandte  sich 
zu  absonderlichen  Heilsgebräuchen,  die  aus  vergessenen  Ueberliefe- 
rungen  hervorgesucht  oder  aus  der  Fremde  eingeführt  wurden ,  und 
vereinigte  sich  zu  Privatmysterien,  in  denen  neue  Sühnmitlei  und 
Ceremonien  angewendet  wurden.  Durch  den  Seeverkehr  mit  den 
jenseitigen  Küsten  und  durch  zahlreiche  Einwanderungen  waren 
fremdländische  Gottesdienste  herübergekommen,  namentlich  solche, 
die  mit  sinnlich  aufregender  Feier  und  rauschender  Musik  verbunden 
waren.  So  der  phönikische  Adonisdienst  aus  Cypern,  der  Dienst 
des  phrygischen  Sabazios,  der  thrakischen  Bendis  und  Kotytto. 
Fremde  Priester,  welche  religiöse  Verbindungen  stifteten ,  ausländische 
Wahrsager  erlangten  den  gröfsten  Einfluss.  Umsonst  eiferte  die 
Komödie  gegen  das  Unheil,  das  damit  in  das  Land  kam.  Das  alte 
Herkommen  war  überall  erschüttert;  selbst  der  allgemeine  hellenische 
Grufs  des  'Chaire'  (Freude  mit  dir!)  wurde  jetzt  altmodisch  und 
durch  andere,  gesuchtere  Ausdrucksweisen  ersetzt3*). 

Diese  sittliche  Veränderung  der  attischen  BürgerschaR  halte  sich 
schon  zu  Perikles'  Lebzeiten  vorbereitet,  aber  er  war  doch  bis  zu  den 
Tagen  seiner  letzten  Krankheit  der  Mittelpunkt  des  Staats  geblieben; 
das  Volk  war  immer  wieder  zu  ihm  zurückgekehrt  und  hatte  in  der 
Unterordnung  unter  das  persönliche  Ansehen  des  grofsen  Mannes  seine 
eigene  Haltung  immer  wieder  zu  gewinnen  gewusst.  Nun  war  die 
Stimme  verstummt,  welche  die  unruhige  Bürgerschaft  auch  wider  ihre 
Neigung  zu  beherrschen  vermocht  hatte.  Eine  andere  Autorität  war 
nicht  vorhanden,  keine  Aristokratie,  kein  Beamtenstand,  kein  Collegium 
sachverständiger  Staatsmänner,  nichts  war  da,  was  der  Bürgerschaft 
einen  Halt  geben  konnte.  Man  empfand  den  Mangel,  die  Leere;  man 
sehnte  sich  wieder  nach  ihm  zurück,  dem  Vielgeschmähten,  und  der 
Dichter  Eupolis  liefs  den  alten  Feldherrn  Myronides  in  die  Unterwelt 
steigen,  um  Perikles  zurückzuholen,  damit  das  Bürgerheer  nicht  von 
verweichlichten  Jünglingen  geführt  werde.  Aus  der  Komödie  sehen 
wir,  wie  klar  man  in  Athen  den  raschen  Umschwung  im  öffentlichen 
Leben  erkannte,  welcher  während  des  archidamischen  Kriegs  erfolgte. 
Sie  zeigt  uns  im  treuen  Spiegelbild  die  veränderte  Stadt,  die  der 
Palästra  entwöhnte  Jugend  in  ihrer  sophistischen  Altklugbeit,  ihrer 
Leppigkeit  und  Grofsthuerei ,  das  erschlaffende  Ehrgefühl  unter  den 


Digitized  by  Google 


428 


IUE  NEUE  DEMAGOGIE. 


Bürgern,  die  Dienstscheu  der  Männer,  die  einreibende  Zuchtlosigkeit 
der  Mannschaften,  welche  ihren  Führern  entgegensprechen,  die  krank- 
hafte Prozesssucht  der  Alten,  welche  in  den  Sitzungen  der  Geschworenen 
ihren  Unterhalt  und  Zeitvertreib  finden.  Der  Verfall  trat  mit  er- 
schreckender Plötzlichkeit  ein  und  schon  von  Aristophanes  wird  die 
Blüthe  der  Stadt  in  Krieg  und  Frieden  als  eine  Vergangenheit  betrachtet, 
wenn  er  von  den  Athenern  sagt: 

Tüchtig  einst  im  Männerreigen,  tüchtig  einst  im  Männerkampf. 

Die  volle  Selbständigkeit,  deren  Verlust  die  Bürgerschaft  be- 
klagt hatte,  war  ihr  zurückgegeben,  aber  sie  bedurfte  mehr  als  je  der 
Führung,  und  je  mehr  sich  inzwischen  Redefertigkeit  und  sophistische 
Gewandtheit  in  Athen  verbreitet  hatte,  um  so  gröfser  war  die  Zahl 
derer,  welche  sich  nun  als  Volksredner  und  Stimmführer  vordrängten. 
Da  aber  Keiner  unter  den  Vielen  im  Stande  war,  in  der  Weise  des 
Perikles  die  Menge  zu  leiten,  so  entwickelte  sich  nothwendig  eine 
andere  Art  der  Volksleitung  oder  Demagogie. 

Perikles  stand  über  der  Menge.  Er  herrschte,  indem  er  das  Edle 
und  Thatkräftige  in  den  Bürgern  anregte;  sie  wurden  durch  den  Ernst, 
mit  dem  er  sie  behandelte,  und  durch  die  sittlichen  Forderungen, 
welche  er  an  sie  stellte,  über  sich  selbst  erhoben;  sie  schämten  sich, 
ihre  Schwächen  und  niederen  Gelüste  vor  ihm  laut  werden  zu  lassen. 
Seine  Nachfolger  mussten  zu  anderen  Mitteln  greifen ;  sie  benutzten, 
um  Einfluss  zu  erlangen ,  nicht  sowohl  die  starken ,  als  die  schwachen 
Seiten  der  Bürgerschaft;  sie  machten  sich  beliebt,  indem  sie  den 
Bürgern  nach  dem  Munde  redeten  und  ihren  niedrigen  Neigungen  Be- 
friedigung zu  verschaffen  suchten.  So  wurden  die  Demagogen  aus 
Führern  und  Berathern  des  Volks  die  Diener  und  Schmeichler  desselben. 
Da  nun  in  dieser  Weise  der  Volksführung  nicht  Wenige  mit  einander 
wetteifern  konnten,  so  verdrängte  Einer  den  Anderen;  es  trat  ein 
rascher  Wechsel  einflussreicher  Persönlichkeiten  ein,  und  dadurch 
wurde  zugleich  eine  folgerechte  Leitung  der  öffentlichen  Angelegen- 
heiten nach  festen  Gesichtspunkten  unmöglich. 

Mit  dieser  Wendung  der  Dinge  hängt  eine  andere  wesentliche  Ver- 
änderung nahe  zusammen. 

Die  attische  Aristokratie  war,  als  Macht  im  Staate,  längst  ge- 
brochen, und  der  Adel  halte  keinerlei  Vorrechte  innerhalb  der  bürger- 
lichen Gesellschaft.  Indessen  kann  man  nicht  sagen,  dass  derselbe  alle 
Bedeutung  für  das  öffentliche  Leben  verloren  hätte,  und  man  braucht 


Digitized  by 


DIE  NEUE  DEMAGOGIE 


429 


nur  die  Reibe  der  Männer  zu  mustern,  welche  in  und  außerhalb  Athen 
während  des  fünften  Jahrhunderts  v.  Chr.  in  Wissenschaft  und  Kunst 
sich  am  glänzendsten  hervorgethan  haben,  wie  Herakleitos,  Anaxagoras 
und  Parmenides,  Pindaros  und  Aischylos,  Sophokles,  Herodotos  und 
Thukydides,  um  sich  zu  überzeugen,  dass  die  alten  Geschlechter  der 
Nation  noch  immer  besonders  fruchtbar  an  ausgezeichneten  Kräften 
geblieben  und  dass  der  ererbte  Wohlstand  so  wie  die  höhere  Bildung 
und  Geistesrichtung,  welche  in  angesehenen  Bürgerhäusern  herrschten, 
noch  immer  nicht  unwirksam  waren,  um  die  angeborenen  Talente 
glücklich  zu  entwickeln  und  Persönlichkeiten  auszubilden,  welche  unter 
den  Zeitgenossen  hervorragten.  Auch  die  Staatsmänner,  welche  sich 
bis  dahin  in  der  Leitung  des  attischen  Staats  gefolgt  waren,  gehörten 
alten  Familien  an,  und  Perikles  selbst  hat  seine  aristokratische  Herkunft 
und  Gesinnung  niemals  verleugnet,  wenn  er  auch  sein  Adelsrecht  auf 
andere  Vorzüge,  als  auf  den  der  Geburt,  zu  gründen  wusste. 

Jetzt  wurde  es  anders.  Jetzt  drängten  sich  auch  Leute  aus  dem 
niederen  Bürgerstende  vor,  um  eine  politische  Rolle  zu  spielen,  Leute 
des  Gewerb-  und  Handwerkersundes,  welcher  sich  in  Athen  an  Bildung 
und  Wohlstand  so  kräftig  gehoben  hatte.  Aber  darum  waren  die  alten 
Vorurteile  nichts  weniger  als  beseitigt,  und  es  war  den  Anhängern  alter 
Sitte  noch  immer  anstöfsig,  wenn  Leute,  die  ein  bürgerliches  Geschäft 
trieben,  die  in  den  Werkstätten  grofe  geworden  waren  und  einer  freien 
Erziehung  durch  Musik  und  Gymnastik  entbehrten,  in  den  Volksver- 
sammlungen das  Wort  führen  und  einflussreiche  Staatsämter  bekleiden 
wollten.  Diese  Leute  waren  ihrerseits  vor  den  Aristokraten  sehr  im 
Vortheile;  denn  es  wurde  ihnen  leichter,  die  Menge  zu  behandeln  und 
mit  ihr  fertig  zu  werden;  sie  standen  dem  geroeinen  Manne  näher  und 
gingen  nicht  darauf  aus,  ihn  aus  seinen  gewöhnlichen  Anschauungen 
und  Stimmungen  herauszureifsen.  Ihnen  kam  daher  die  Menge  mit 
Vertrauen  und  Nachsicht  entgegen;  ihr  gefielen  die  Männer,  welche 
nicht  besser  sein  wollten ,  als  der  grofse  Haufen ,  und  vor  denen  man 
nicht  das  peinliche  Gefühl  der  Unterordnung  halte ,  wie  vor  einem 
Perikles.  Wenn  nun  die  Bürgerschaft  selbst  im  Laufe  der  Kriegsjahre 
eine  wesentlich  andere  geworden  war,  und  die  Führer,  welche  aus  ihrer 
Mitte  auftraten,  ihren  Sitten  und  Stimmungen  sich  anzubequemen  be- 
flissen waren,  so  musste  natürlich  auch  die  Behandlung  der  öffent- 
lichen Geschäfte  einen  anderen  Charakter  annehmen. 

Die  Versammlungen  der  Bürgerschaft,  in  welchen  die  Leute  der 


Digitized  by  Google 


430 


FELDHERRN  UND  VOLKSREDNER. 


vierten  Klasse  etwa  zwei  Drittel  der  Menge  bildeten,  wurden  voller, 
lauter  und  zuchtloser,  die  Berathungen  leidenschaftlicher  und  tumul- 
tuarischer,  weil  die  Leitung  eines  überlegenen  Geistes  fehlte;  deshalb 
betheiligte  sich  die  ganze  Menge  unmittelbarer  an  den  Verhandlungen 
und  gab  ohne  Scheu  ihre  augenblicklichen  Stimmungen,  ihre  Gunst 
und  Ungunst,  ihr  Behagen  und  ihre  Ungeduld  deutlich  zu  erkennen. 
Die  wichtigsten  Angelegenheiten  wurden  eilig  und  mit  Leidenschaft- 
lichkeit bebandelt;  persönliche  Motive  traten  an  Stelle  sachlicher 
Grunde.  Der  Gegensatz  der  Partei  drängte  sich  in  alle  Verhältnisse; 
mit  der  Harmlosigkeit  des  Gemeindelebens  war  es  vorbei;  der  Alt- 
bürgerliche wurde  als  Zopfathener  verspoltet,  der  Bedächtige  als  Ver- 
fassungsfeind verdächtigt,  das  Schlichte  und  Einfache  als  Einfalt  ver- 
lacht. So  traten  alle  Schattenseiten  des  öffentlichen  Lebens  grell  zu 
Tage,  und  die  Folge  war,  dass  den  verständigen  Bürgern,  welche  dabei 
blieben,  dass  Sachkenntniss  und  Besonnenheit  das  erste  Erforderniss 
politischer  Thätigkeit  sei,  alle  öffentlichen  Geschäfte  gründlich  ver- 
leidet wurden.  Viele  Bürger  von  hervorragender  Bildung  und  unab- 
hängiger Lebensstellung  hielten  sich  nun  von  den  Volksversammlungen 
fern,  weil  sie  die  allein  wirksamen  Mittel  des  Erfolgs  nicht  anwenden 
mochten;  sie  zogen  sich  von  der  praktischen  Politik  in  ein  beschau- 
liches Leben  zurück,  da  sie  sich  aufser  Stande  sahen,  an  dem  Gang  der 
Dinge  etwas  zu  ändern ,  und  so  nahm  nicht  nur  bei  den  Aristokraten, 
über  die  schon  Perikles  ärgerlich  war,  dass  er  sie  mit  dem  Geist  der 
attischen  Verfassung  nicht  auszusöhnen  vermochte,  sondern  auch  im 
weiteren  Kreise  der  besonnenen  Athener,  die  Aemterscheu  immer 
mehr  überhand.  Die  Folge  war,  dass  die  besten  Kräfte  dem  Staat  ent- 
zogen wurden  und  den  neuen  Demagogen  das  Feld  immer  vollstän- 
diger überlassen  blieb. 

Indessen  waren  die  neuen  Volksführer  doch  nicht  zu  jedem 
Dienste  in  gleichem  Grade  brauchbar.  Denn  wenn  sie  auch  die  Redner- 
bühne mit  Talent  und  Glück  beherrschten,  so  hatten  sie  doch  zur 
Truppenführung  in  der  Regel  weder  Beruf  noch  Lust.  Dazu  bedurfte  es 
einer  andern  Vorbereitung  und  anderer  Eigenschaften,  und  darum 
blieben  die  militärischen  Aemter  vielfach  in  den  Händen  von  Männern, 
die  aristokratischen  Familien  angehörten,  wie  Nikias,  Euryniedon, 
Laches,  Hippokrates  u.  A.  Darin  bestand  also  eine  der  wichtigsten 
Veränderungen,  welche  um  diese  Zeit  eintraten,  dass  sich  das  Feld- 
herrnamt von  dem  des  Volksführers  trennte.  Denn  früher  hatte  man 


Digitized  by 


FELIU1ERRN  PROZESSE, 


431 


sich  kaum  einen  Staatsmann  denken  können,  welcher  nicht  zugleich 
im  Felde  sich  bewährt  hatte,  und  Perikles  war  das  leuchtende  Vorbild 
des  in  Rath  und  That,  mit  Wort  und  Schwert,  auf  der  Flotte  wie  auf 
der  Pnyx  gewaltigen  Führers.  Jetzt  durften  auch  Solche,  welche  keine 
Kriegsehre  gewonnen  und  niemals  ihr  Leben  eingesetzt  hatten,  vor  dem 
Volke  über  Kriegführung  reden,  und  die  Männer,  welche  draufsen  Noth 
und  Gerahr  bestanden,  ihrem  Urteile  unterwerfen  und  zur  Verant- 
wortung ziehen. 

Dazu  kam,  dass  die  Feldherrn  auf  strenge  Mannszucht  halten 
mussten  und  sich  dadurch  bei  einer  Bürgerschaft,  welche  sich  der 
Zucht  immer  mehr  zu  entziehen  suchte,  unbeliebt  machten ,  um  so 
mehr,  da  im  Laufe  des  Kriegs  auch  die  Bürger  der  untersten  Ver- 
mögensklasse,  die  Theten,  als  vollgerüstete  Krieger  zum  Dienste  heran- 
gezogen wurden.  An  mancherlei  Reibung  konnte  es  also  nicht  fehlen, 
und  die  Volksredner  waren  in  der  Regel  bereit,  gegen  die  Feldherrn 
Partei  zu  nehmen.  So  musste  denn  aus  der  Trennung  der  beiden  ein- 
flussreichsten aller  öffentlichen  Stellungen  eine  Verfeindung  derselben 
entstehen,  und  dies  Missverhällniss  zwischen  Feldherrn  und  Volks- 
rednern wurde  der  Keim  des  gröfsten  Unglücks  für  Athen.  Das  Feld- 
herrnamt  wurde  zu  einem  Märtyrerlhume,  und  die  tapfersten  Männer 
fühlten  sich  durch  die  Aussicht,  vor  feigen  Demagogen  und  einer 
launenhaften  Volksmenge  über  ihre  Feldzüge  Rede  stehen  zu  sollen, 
in  der  Freudigkeit  des  Wirkens  überall  gestört  und  in  ihren  Erfolgen 
gehemmt36). 

Es  fehlte  den  Athenern  nicht  an  bewährten  Feldherrn.  Noch 
stand  Phormion,  des  Asopios  Sohn,  in  voller  Kraft,  der  im  samischen 
Kriege  neben  Perikles  eine  bedeutende  Wirksamkeit  gehabt,  vor 
Potidaia  befehligt  und  zuletzt  im  krisäischen  Meerbusen  Siege  erfochten 
halte,  welche  zu  den  glänzendsten  der  attischen  Kriegsgeschichte  ge- 
hören. Er  war  ein  Kriegsmann  von  altem  Schrot  und  Korn,  ein  Mann 
nach  Art  des  Myronides,  kurz  von  Worten,  entschlossen  und  streng, 
ein  Muster  von  Genügsamkeit  und  untadeliger  Sitte.  Und  dennoch  hat 
auch  er  schon  einen  Prozess  zu  bestehen  gehabt,  in  welchem  er  von 
dem  Volksgerichte  zu  einer  Geldbufse  von  10,000  Drachmen  verurteilt 
wurde,  die  der  uneigennützige  und  gänzlich  mittellose  Mann  nicht  auf- 
bringen konnte.  Die  Folge  war,  dass  er  seiner  bürgerlichen  Ehren  be- 
raubt wurde  und  sich  aufs  Land  zurückzog.  Wie  Phormion,  so  haben 
auch  die  anderen  namhaften  Feldherrn,  welche  neben  ihm  oder  nach 


Digitized  by  Google 


432 


DIE  NEUEN  DEMAGOGEN. 


ihm  attische  Truppen  geführt  haben,  Xenophon,  Laches,  Pythodoros, 
Paches,  Demosthenes,  Sophokles,  Eurymedon ,  ähnliche  Kämpfe  mit 
den  Volksrednern  zu  bestehen  gehabt,  oder  waren  von  ihnen  ange- 
feindet und  wurden  durch  die  immer  drohenden  Gefahren  verhindert, 
ihre  volle  Thatkraft  zu  entfalten M). 

In  der  Heerführung  konnte  Perikles  durch  Männer  aus  der  alten 
Kriegsschule  einigermafsen  ersetzt  werden,  obwohl  auch  hier  die  feste 
Durchführung  bestimmter  Kriegspläne  aufhörte,  wie  sie  nur  möglich 
war,  wenn  die  Feldherrnwürde  Jahre  lang  einem  Manne  anvertraut 
war  (S.  226).  Auf  der  Rednerbühne  war  der  Contrast  viel  gröfser. 
Hier  that  sich  zuerst  ein  gewisser  Eukrates  hervor,  ein  plumper  und 
ungebildeter  Mann,  der  auf  der  komischen  Bühne  als  der  'Eber'  oder 
der  'Bär  aus  Melite'  (das  war  der  Gau ,  dem  er  angehörte)  verspottet 
wurde,  ein  Werghändler  und  Mühlenbesitzer,  der  sich  nur  kurze  Zeit 
als  Wortführer  geltend  machte.  Der  Nachfolger,  der  ihn  verdrängte, 
war  Lysikles,  der  sich  durch  Viehhandel  Vermögen  erworben  hatte. 
Dass  dies  kein  Mann  von  gewöhnlicher  Art  war ,  lässt  sich  daraus  ab- 
nehmen, dass  Aspasia  nach  Perikles'  Tode  sich  mit  ihm  vermählte,  und 
dass  er  durch  ihren  Umgang  sich  zum  Redner  ausgebildet  haben  soll. 
Er  muss  also  schon  zu  Perikles'  Lebzeiten  in  ihrer  und  seiner  Nähe 
gewesen  sein.  Es  scheint  auch,  dass  er  wieder  die  kriegerische  Thätig- 
keit  mit  der  Volksleitung  verbinden  wollte;  denn  er  war  im  Jahre  nach 
dem  Tode  des  Perikles  Feldherr  in  Karien  und  kam  hier  um's  Leben. 

Nun  kamen  die  Demagogen  in  die  Höhe,  welche  in  der  Oppo- 
sition gegen  Perikles  sich  bekannt  gemacht  hatten,  und  unter  ihnen 
war  Kleon  der  Erste,  welcher  im  Stande  war  längere  Zeit  Einfluss  zu 
behaupten ,  so  dass  in  seiner  Handlungsweise  während  der  folgenden 
Kriegsjahre  der  Charakter  der  neuen  Demagogie  sich  erst  vollständig 
ofTenbart87). 

Natürlich  fehlte  es  bei  der  Veränderung ,  welche  in  der  Leitung 
der  öffentlichen  Geschäfte  vor  sich  ging,  in  Athen  selbst  nicht  an 
Widerspruch.  Es  waren  ja  noch  immer  nicht  alle  Unterschiede  der 
bürgerlichen  Kreise  ausgeglichen.  Durch  Geburt,  Wohlstand  und 
feinere  Bildung  fühlten  sich  Viele  in  einem  nothwendigen  Gegensatze 
gegen  die  grofse  Menge,  welche  sich  mit  Wohlbehagen  ihren  neuen 
Führern  hingab,  und  die  religiösen  Einrichtungen  sowohl  wie  der 
Waffendienst  trugen  dazu  bei,  inmitten  der  vollendeten  Demokratie 
aristokratische  Richtungen  zu  erhalten.    Denn  nicht  nur  blieben  die 


Digitized  by  Google 


DIE  ARISTOKRATISCHEN  KREISE. 


433 


heiligsten  Priesterthümer  des  Staats  ein  erbliches  Vorrecht  gewisser 
Familien,  welche  dadurch  einen  besonderen  Glanz  voraus  hatten, 
sondern  auch  zu  solchen  religiösen  Diensten,  welche  jährlich  wechselten 
(wie  z.  B.  zu  dem  Amte  der  Arrhephoren,  welche  gleichsam  als  Ver- 
treterinnen der  Gemeinde  unter  Aufsicht  der  Priesterin  den  Dienst  bei 
der  Stadlgöttin  auf  der  Burg  versahen,  und  zu  dem  Reigen  der  Oscho- 
phoren  oder  Rebenträger,  welche  die  durch  Theseus  aus  Kreta  ge- 
rettete Jugend  der  Stadt  darstellten),  wurden  nur  Töchter  und  Söhne 
aus  vornehmen  und  reichen  Häusern  ausgewählt.  Auch  pflegte  man 
zu  auswärtigen  Vertretern  der  Stadt  nach  wie  vor  Männer  aus  vor- 
nehmen Familien  zu  wählen.  Endlich  hatte  in  derselben  Zeit,  in 
welcher  der  Waffendienst  im  Ganzen  an  Ehre  verloren  hatte,  der 
Reiterdienst  an  Bedeutung  gewonnen.  Die  Reiter  waren  in  Athen  die 
einzige  stehende  Truppe;  nach  der  Art  ihrer  Aushebung  (S.  401)  bil- 
deten sie  eine  Genossenschaft,  in  welcher  ein  aristokratischer  Standes- 
geist sich  erhalten  musste.  Die  Zahl  der  attischen  Reiter  war  vor  dem 
Kriege  auf  1000  Mann  erhöht  worden,  und  es  ist  aller  Grund  anzu- 
nehmen, dass  Perikles  das  Corps,  welches  er  am  Parthenon  in  so 
glänzender  Weise  darstellen  liefs,  begünstigt  und  gepflegt  hat,  um  in 
ihm  ein  Gegengewicht  gegen  die  Masse  zu  gewinnen. 

Der  Widerspruch,  welcher  von  diesen  aristokratischen  Kreisen 
aus  der  neuen  Demokratie  entgegentrat,  war  zwiefacher  Art.  Denn 
erstens  gab  es  in  den  vornehmen  Familien  noch  immer  grund- 
sätzliche Feinde  der  Verfassung,  welche  nur  in  einer  vollständigen 
Umkehr  Heil  und  Rettung  sahen.  Diese  zogen  sich  entweder  in 
tiefer  Verstimmung  von  allen  öffentlichen  Dingen  zurück,  oder  sie 
suchten  in  heimlichen  Genossenschaften  ihre  politischen  Grundsätze 
zu  befestigen  und  sich  für  kommende  Gelegenheiten  zu  offener  Tbätig- 
keit  vorzubereiten.  Das  war  die  revolutionäre  Partei,  welche  sich  in 
den  Tagen  von  Marathon,  von  Plataiai  und  Tanagra  (S.  25, 109 f.,  160) 
bereit  gezeigt  halte,  die  Vaterstadt  den  Feinden  zu  verrathen,  wenn 
durch  ihre  Hülfe  nur  die  Demokratie  gestürzt  würde;  eine  Partei, 
welche  sich  zum  Sturze  des  Perikles  mit  der  Masse  und  ihren  Führern 
verbunden  hatte  und  auch  jetzt  fortfuhr,  unter  dem  gleifsenden 
Scheine  von  Religion  und  höherer  Politik  die  zu  Recht  bestehende 
Verfassung  zu  bekämpfen.  Ihr  waren  die  Ausartungen  derselben  nicht 
unwillkommen,  weil  ihre  heimlichen  Hoffnungen  durch  eine  steigende 
Verwirrung  des  Staats  genährt  wurden. 

Curtlu«,  Or.  Getcb.  II.   6.  Aufl.  28 


Digitized  by  Google 


434 


DIE  PARTEI  DER  GENÄSSIGTEN. 


Viel  gröfser  war  die  andere  Partei,  die  Partei  derer,  welche  von 
Hause  aus  auch  keine  Demokraten  waren,  es  aber  dennoch  nicht  über 
sich  gewinnen  konnten,  in  das  Oligarchenlager  überzugehen.  Sie 
erkannten  die  Verfassung  als  zu  Recht  bestehend  an,  suchten  aber 
ihren  Missbräuchen  entgegenzutreten  und  dem  unbeschränkten  Ein- 
flüsse der  neuen  Volksredner  entgegenzuarbeiten.  Die  Stellung  dieser 
Männer  war  eine  ungemein  schwierige,  weil  ihre  Aufgabe  vor  Allem 
die  war,  zu  steuern,  zu  mäüsigen  und  die  Stimme  der  Besonnenheit 
geltend  zu  machen,  während  die  Demagogen  mit  kühnen  Projekten 
auftraten,  glänzende  Erfolge  der  Menge  vorspiegelten  und  bestimmte 
Ziele,  welche  den  Wünschen  derselben  entsprachen,  mit  leidenschaft- 
licher Wärme  verfolgten.  Je  mehr  nun  die  Bürgerschaft  von  den  neuen 
Volksrednem  verwöhnt  war,  um  so  schwieriger  musste  es  den  Führern 
der  Gemäfsigten  werden,  Einfluss  zu  erlangen.  Sie  waren  gezwungen, 
auch  ihrerseits  um  die  Gunst  der  Menge  zu  werben;  von  lauernden 
Feinden  umgeben,  mussten  sie  ängstlich  Alles  vermeiden,  was  irgend 
zu  ihrer  Verdächtigung  benutzt  werden  konnte;  sie  mussten  Frei- 
gebigkeit und  volksfreundliche  Gesinnung  zur  Schau  tragen  und  auf 
allerlei  Umwegen  ihre  Ziele  zu  erreichen  suchen.  Endlich  lag  es  auch 
in  der  Natur  der  Verhältnisse,  dass  diejenigen,  deren  gemeinsame 
Absicht  es  war,  den  Missbräuchen  der  Verfassung  zu  steuern,  kein  so 
bestimmtes  Programm  haben  konnten,  wie  es  nölhig  ist,  um  eine 
politische  Partei  zu  vereinter  Thätigkeit  fest  und  dauernd  zusammen- 
zuhalten; eine  grofse  Zahl  ihrer  Mitglieder,  die  wohlhabenden  und 
ruhigen  Bürger  Athens,  waren  von  Hause  aus  zu  einer  lebhaften 
Parteinahme  nicht  geeignet,  und  Männer,  wie  Diodotos,  der  Sohn  des 
Eukrates,  obgleich  von  tapferer  Gesinnung  und  von  grofsen  Redner- 
gaben, nahmen,  soweit  die  Ueberlieferung  die  innere  Politik  Athens 
erkennen  lässt,  nur  ganz  vorübergehend  an  den  öffentlichen  Angelegen- 
heiten thätigen  Antheil.  Je  schwieriger  also  die  Stellung  dieser  Partei 
war,  um  so  mehr  kam  es  auf  ihre  Leitung  an. 

Die  Wahl  war  hier  nicht  schwer;  denn  unter  den  wohlhabenden 
und  gemäfsigten  Bürgern  war  Nikias,  des  Nikeralos  Sohn,  damals  eine 
hervorragende  Persönlichkeit,  so  dass  sich  um  ihn  nach  Perikles'  Tode 
alle  diejenigen  vereinigten,  welche  die  gefährliche  Wendung  der  öffent- 
lichen Dinge  erkannten. 

Nikias  war  der  reichste  Mann  in  Athen.  Er  hatte  grofse  Be- 
sitzungen in  Laurion  (S.  32),  wo  tausend  Sklaven  für  ihn  in  den 


Digitized  by  Google 


MK.IAS,  DES  MKEIIATOS  SOH>. 


435 


Silberschachten  arbeiteten.  Dabei  war  er  im  vollen  Besitze  attischer 
Bildung,  des  Staatswesens  kundig  und  der  Rede  mächtig,  wenn  er 
auch  kein  geborener  Redner  war;  ein  Mann  von  tadelloser  Ehren- 
haftigkeit und  bewährter  Tüchtigkeit,  den  auch  die  Komödie  meistens 
mit  Achtung  behandelte.  Er  war  noch  neben  Perikles  Feldherr  ge- 
wesen und  von  ihm  mehrfach  hervorgezogen  und  empfohlen  worden. 
Die  Flotte  konnte  keiner  sichereren  Hand  anvertraut  werden;  darum 
war  er  nach  Perikles'  Tode  fünf  Jahre  nach  einander  Feldherr.  Er 
war  nach  Kimons  Vorbilde  ein  freigebiger  Mann;  er  sehmückte  die 
Stadt  mit  ausgezeichneten  Weihgeschenken,  und,  wenn  die  Reihe  an 
ihn  kam,  so  benutzte  er  die  Liturgien,  um  dem  Volke  die  aufser- 
ordentlichsten  Schauspiele  vorzuführen.  Den  Armen  spendete  er 
reichlich,  aber  nicht  blofs  aus  Gutmüthigkeit  und  mildem  Sinne, 
sondern  auch  aus  Aengstlichkeit  und  Besorgniss;  er  suchte  nicht 
blofs  seine  Freunde  warm  zu  halten,  sondern  auch  Abgeneigte  zu 
gewinnen,  die  ihm  etwa  schaden  könnten.  Man  merkte  die  Absicht- 
lichkeit; aber  das  Volk  hatte  sein  Wohlgefallen  daran,  weil  es  daraus 
sehen  konnte,  wie  viel  dem  mächtigen  Nikias  auf  die  Meinung  der 
Menge  ankam.  Auch  in  seinem  öffentlichen  Wirken  war  es  ihm 
um  einen  gewissen  Schein  zu  thun;  er  zog  sich,  wie  Perikles,  von 
dem  geselligen  Verkehre  zurück;  seine  Anhänger  waren  bemüht, 
den  Ruf  seiner  unablässigen  Arbeitsamkeit  zu  verbreiten  und  zu- 
dringliche Besucher  von  seiner  Thüre  abzuweisen.  Er  war  gemessen 
und  feierlich  in  seinem  Benehmen;  er  verleugnete  seine  Ueber- 
zeugungen  nicht,  aber  sprach  sich  ungern  aus,  weil  er  von  Natur 
scheu  war  und  immer  besorgte,  in  Wort  oder  That  sich  etwas  zu 
vergeben;  es  fehlte  ihm  der  Muth,  seine  Person  einzusetzen.  Auch 
war  er  ohne  Ehrgeiz  und  wurde  mehr  durch  die  Verhältnisse,  als 
durch  eigenen  Trieb  dazu  gebracht,  eine  hervorragende  Stellung 
einzunehmen.  Als  er  in  dieselbe  eintrat,  war  er  kränklich  und  nicht 
mehr  jung;  den  angeborenen  Mangel  an  Entschlossenheit  konnte  er 
nicht  mehr  überwinden;  auch  als  Feldherr  suchte  er  seine  Haupt- 
stärke darin,  jeden  Unfall  zu  vermeiden.  Je  mehr  es  ihm  aber  an 
entschlossener  Selbstbestimmung  fehlte,  um  so  mehr  suchte  er  nach 
äufseren  Haltpunkten.  Denn  anstatt  wie  Perikles  mit  freiem  Geiste 
dem  Volke  gegenüber  zu  stehen  und  alle  Einflüsse  des  Aberglaubens, 
wo  sie  sich  geltend  machten,  zu  vernichten,  war  er  selbst  in  hohem 
Grade  von  solchen  Einflüssen  abhängig;  die  Abneigung  gegen  moderne 

«8» 


Digitized  by  Google 


436 


DIE  MACHT  DES  GELDES 


Freigeisterei  hatte  bei  ihm  das  Gegentheil  hervorgerufen;  denn  io 
ängstlicher  Weise  achtete  er  auf  Vorzeichen  aller  Art  so  wie  auf  die 
Aussprüche  der  Wahrsager,  deren  er  immer  einen  als  Hausgenossen 
bei  sich  hatte.  Dadurch  gelang  es  Menschen  von  verächtlichem 
Charakter,  wie  Diopeithes,  Macht  aber  ihn  zu  gewinnen.  In  seiner 
politischen  Ueberzeugung  war  er  durchaus  verfassungstreu  und  loyal 
gesinnt,  wohlmeinend  gegen  das  Volk  und  ein  Feind  aller  heimlichen 
Umtriebe.  Er  wollte  Sparta  gegenüber  seiner  Stadt  nichts  vergeben, 
aber  er  sah  den  Krieg  als  ein  Unglück  an  und  hielt  einen  ehren- 
vollen Frieden  für  möglich»8). 

Man  sieht  leicht,  dass  Nikias  keine  solche  Persönlichkeit  war. 
welche  die  gro&en  Schwierigkeiten,  mit  denen  die  Partei  der  Ge- 
mäfsigten  zu  kämpfen  hatte,  überwinden  konnte.  Indessen  hatte  die 
Bürgerschaft  noch  Urteil  genug,  um  zu  erkennen,  dass  neben  den 
neuen  Demagogen  Männer  wie  Nikias  ihr  im  höchsten  Grade  nützlich 
wären;  sie  fühlte  doch  das  Bedürfnis  nach  Männern,  welche  ihr 
eine  unwillkürliche  Hochachtung  einflößten;  darum  bewahrte  sie 
ihm  immer  ihr  Zutrauen  und  schätzte  ihn  als  einen  treuen  Rathgeber. 
Auch  konnte  ihm  nicht  leicht  ein  Anderer  seine  Stellung  streitig 
machen,  weil  eine  solche  Vereinigung  von  Charakter  und  Verdienst 
mit  edler  Geburt  und  Reichthum  sich  sonst  nicht  vorfand.  Die 
Macht  des  Geldes  war  aber  in  Athen  eine  sehr  bedeutende,  und  aller 
demokratischen  Gleichheit  ungeachtet  konnten  tapfere  Feldherrn,  wie 
La  mach  os,  ihrer  Mittellosigkeit  wegen  nicht  zu  dauerndem  Ansehen 
gelangen.  Nikias  seihst  betrachtete  sein  Vermögen  als  das  Fundament 
seiner  Macht  und  war  in  Verwaltung  desselben  ungemein  gewissen- 
haft; er  verschmähte  keinen  Gewinn  und  vermiethete  seine  Sklaven 
um  Tagelohn  Anderen  zur  Arbeit.  Seines  Reichthums  wegen  war 
er  Parteihaupt  geworden,  und  es  stellte  sich  jetzt  schroffer  als  zuvor 
der  Gegensatz  der  Armen  und  Reichen  in  Athen  heraus;  denn  die, 
welche  viel  zu  verlieren  hatten,  hatten  am  meisten  Interesse  dabei, 
einer  unbesonnenen  Staatsleitung  entgegenzuarbeiten.  Diese  Spaltung 
war  ein  neuer  Keim  von  Missgunst  und  Misstrauen;  denn  wenn  die 
Partei  des  Nikias  sich  unbesonnenen  Kriegsplänen  widersetzte,  so 
entstand  gleich  der  Verdacht,  dass  sie  aus  selbstsüchtigen  Beweg- 
gründen einer  energischen  Kriegführung  entgegen  wäre,  weil  die 
Kriegslasten  vorzugsweise  auf  ihren  Mitgliedern  ruhten.  Die  Redner 
aber,  welche  die  Vertreter  der  Menge  waren,  beuteten  zu  ihrem 


Digitized  by  Google 


AUSDEH.M'.NQ  DES  KRIEGS. 


437 


Vortheile  dies  Misstrauen  aus  und  suchten  durch  Anfeindung  der 
wohlhabenden  Bürger  ihre  eigene  Popularität  zu  heben. 


Während  sich  so  die  inneren  Verhältnisse  Athens  gestalteten, 
ging  der  Krieg  ununterbrochen  vorwärts  und  entbrannte  immer 
heftiger.  Denn  nachdem  die  kriegführenden  Staaten  in  den  ersten 
Jahren  nur  Versuche  gemacht  hatten,  wie  sie  einander  beikommen 
könnten,  fingen  sie  jetzt  an,  ihre  Erfahrungen  zu  wirksameren  An- 
griffen zu  benutzen. 

Die  Peloponnesier  hatten  schon  zur  See  den  Athenern  die  Spitze 
zu  bieten  gesucht,  und  da  sie  zu  Lande  aufser  Stande  waren,  eine 
Feldschlacht  zu  erzwingen  und  in  altspartanischer  Weise  zu  siegen,  so 
hatten  sie  gegen  ihre  Gewohnheit  eine  regelmäßige  Belagerung  be- 
gonnen, um  die  treusten  Bundesgenossen  Athens,  die  Platäer,  zu  züch- 
tigen und  einen  festen  Waffenplatz  im  Rücken  des  Feindes  zu  ge- 
winnen. Die  Noth,  welche  Athen  zu  bestehen  gehabt  hatte,  ermulbigte 
zu  kräftigerer  Kriegsführung  und  Männer,  wie  Brasidas  (S.  404), 
hatten  schon  Gelegenheit  gehabt,  sich  durch  Tüchtigkeit  hervorzuthun. 

Gleichzeitig  dehnte  sich  die  Belheiligung  am  Kriege  immer  weiter 
aus.  Denn  aufser  Anika  und  Böotien  war  nun  auch  Akamanien 
Kriegsschauplatz  geworden;  auch  die  Völkerschaften  des  Nordens, 
welche  bis  dahin  der  griechischen  Staatengeschichte  gänzlich  fern 
geblieben  waren,  wurden  nun  zum  ersten  Male  in  die  Verwickelung 
hereingezogen,  und  ihren  Stammhäuptern  ging  die  Ahnung  auf,  dass 
der  Zwiespalt  der  Griechenstädte  ihnen  die  Möglichkeit  gebe,  Einfluss 
zu  gewinnen  und  Beute  zu  machen.  So  waren  epirotische  Stämme 
vom  adriatischen  Meere  her  unter  ihren  Häuptlingen  das  Acheloos- 
thal  herunter  gekommen,  um  den  Ambrakioten  gegen  die  Akarnanen 
zu  helfen  (S.  416);  der  Odrysenkönig  hatte  schon  in  sehr  wirksamer 
Weise  für  Athen  Partei  genommen,  während  der  schlaue  Perdikkas 
immer  auf  der  Lauer  lag,  um  zu  seinem  Vortheile  die  Verhältnisse 
auszubeuten,  und  kein  Bedenken  trug,  während  er  mit  Athen  im 
Bunde  stand,  den  Feinden  Athens  Hülfstruppen  nach  Akarnanien  zu 
schicken.  Unter  den  Bundesgenossen  gährte  es,  auf  den  Inseln  wie 
auf  der  Küste  Kleinasiens,  und  von  Pissuthnes,  der  arkadische  Söldner 
im  Dienste  hatte,  wusste  man,  was  er  für  ehrgeizige  Pläne  hegte 
(S.  239).  In  Hellas  selbst  stieg  aber  die  Erbitterung,  sowohl  zwischen 


Digitized  by  Google 


438 


SITA LK ES*  KRIEGSZTG  (87,  4;«%). 


den  Parteien ,  welche  in  den  einzelnen  Gemeinden  einander  gegen- 
über standen ,  als  auch  zwischen  den  kriegführenden  Staaten,  und  bei 
dem  gesteigerten  Eifer,  dem  Gegner  Schaden  zuzufügen,  gönnte  man 
sich  nun  auch  im  Winter  keine  Ruhe. 

So  machten  die  Peloponnesier  nach  den  Kämpfen  im  korin- 
thischen Golfe  noch  im  Spätjahre  429  (87,  4)  unter  Knemos  und 
Brasidas  einen  Angriff,  der  an  Kühnheit  Alles  übertraf,  was  sie  bis 
dahin  unternommen  hatten.  Die  Mannschaft  von  40  Schiften  wurde 
bei  Korinlh  ausgesetzt;  jeder  Matrose  nahm  sein  Ruder,  sein  Sitz- 
polster und  seinen  Riemen  mit  sich,  und  so  wanderten  die  Leute 
quer  über  die  Landenge,  zogen  in  aller  Eile  vierzig  Schiffe  aus  den 
Schiffshäusern  von  Nisaia  und  steuerten  nun  gerades  Weges  nach  dem 
Peiraieus,  von  dem  man  wusste,  dass  er  von  der  Meerseite  offen  war. 
Die  Schiffe  waren  unterwegs,  Alles  war  günstig;  da  wurde  den  Pelo- 
ponnesiern  vor  ihrer  eigenen  Kühnheit  bang,  und  statt  den  Augen- 
blick zu  benutzen,  landeten  sie  in  Salamis,  nahmen  die  dortigen 
Schiffe,  drei  an  der  Zahl,  und  verheerten  die  Insel.  Nun  wurden 
die  Athener  durch  Feuerzeichen  alarmirt;  es  war  ein  ungeheurer 
Schrecken,  als  sie  sich  urplötzlich  in  ihrem  eigensten  Seegebiete 
überfallen  sahen,  aber  sie  kamen  mit  dem  Schrecken  davon  und 
zogen  sich  daraus  die  Lehre,  ihren  Hafen  in  Zukunft  besser  zu  hüten. 

Auch  im  Norden  des  ägäischen  Meeres  begann  mit  Eintritt  des 
Winters  neuer  Kriegslärm.  Perdikkas  nämlich  hatte  die  Ver- 
sprechungen, mit  denen  er  sich  dem  Bunde  der  Odrysen  und  Athener 
angeschlossen,  nicht  gehalten;  Sitalkes  sammelte  deshalb  ein  üeer  von 
100,000  Mann  Fufsvolk  und  50,000  Reitern,  um  in  Makedonien  ein- 
zurücken. Bis  nach  den  Therm opylen  hin  erzitterte  Alles  vor  dem 
Barbarenheere,  welches  die  streitbarsten  Völkerschaften  des  Nordens 
vereinigte,  und  die  Feinde  Athens  glaubten  nicht  anders,  als  dass  es 
auf  ihre  Unterwerfung  abgesehen  sei.  Sitalkes'  nächste  Absicht  war, 
den  Prätendenten  Amyntas  auf  den  makedonischen  Thron  zu  setzen, 
und  er  rechnete  dabei  auf  die  Unterstützung  der  Athener,  welche  ihn 
zu  dem  ganzen  Kriegszuge  veranlasst  hatten.  Mit  unwiderstehlicher 
Macht  überzog  er  die  chalkidischen  Städte  und  rückte  bis  zum 
Axiosflusse  vor,  aber  die  attischen  Schiffe  blieben  aus,  und  nun 
änderte  sich  plötzlich  die  ganze  Lage  der  Dinge.  Die  den  Athenern 
feindliche  Partei,  an  deren  Spitze  Seulhes,  der  Neffe  des  Sitalkes, 
stand,  gewann  die  Oberhand;  die  Beschwerden  des  Winters  traten 


Digitized  by  Google 


VIERTES   KR1EGSJAHR  (87,  4;  428  SOMMER). 


439 


ein,  und  Perdikkas  beeilte  sich,  diese  Umstände  zu  Friedensvorschlägen 
zu  benutzen,  welche  sofort  angenommen  wurden.  Seuthes  wurde  des 
Königs  Schwager,  das  grofse  Thrakerheer  löste  sich  auf,  und  damit 
hatte  die  vielverheifsende  Verbindung  zwischen  Athen  und  dem 
Odrysenreiche  für  alle  Zeil  ein  Ende.  Möglicher  Weise  ist  das  Aus- 
bleiben der  allischen  Schiffe  nur  durch  Fahrlässigkeit  veranlasst  oder 
durch  Mangel  an  gehöriger  Verständigung,  wenn  man  nicht  annehmen 
will,  dass  die  Athener  schon  bei  der  ersten  Kraftentwickelung  ihres 
neuen  Bundesgenossen  auf  denselben  eifersüchtig  geworden  seien 
und  ihn  absichtlich  im  Stiche  gelassen  haben.  Auf  jeden  Fall  aber 
zeigte  sich  schon  hier  ein  Mangel  an  rechtzeitiger  Energie,  wie  er  nach 
Perikles'  Tode  hervortreten  musste"). 

Endlich  war  auch  auf  dem  akarnanischen  Kriegsschauplatze  keine 
Winterruhe,  sondern  Phormion  landete  gleich  nach  Auflösung  der 
peloponnesischen  Flotte  in  Astakos,  trieb  aus  verschiedenen  Städten 
Akarnaniens  die  den  Athenern  feindliche  Partei  aus  und  wollte  auch 
Oiniadai  nehmen,  den  Hauptsitz  dieser  Partei;  aber  der  angeschwollene 
Acheloos,  welcher  die  Stadt  wie  ein  See  umringle,  machte  jeden  An- 
griff unmöglich.  Phormion  kehrte  also  nach  Naupaktos  zurück  und 
brachte  von  dort  mit  Eintritt  des  Frühjahrs  die  genommenen  SchifTe 
und  die  Gefangenen  nach  Athen. 

Gleich  nach  der  Rückkehr  wurde  Phormion  angeklagt  und  zu 
einer  ihm  unerschwinglichen  Geldbufse  verurteilt  (S.  431);  bald  darauf 
muss  er  gestorben  sein;  denn  .als  die  Akarnanen  im  folgenden  Sommer 
nach  Athen  kommen,  erbitten  sie  sich  einen  Sohn  oder  Anverwandten 
Phormions  als  Feldherrn.  Asopios  geht  mit  einem  Geschwader  nach 
Akarnanien.  Nach  einem  vergeblichen  Angriffe  auf  Oiniadai  macht  er 
einen  Zug  nach  Leukas  und  fällt  hier  in  einem  blutigen  Kampfe40). 

Derselbe  Sommer  (es  war  der  des  vierten  Kriegsjahrs)  brachte  ein 
Ereigniss  zur  Reife,  welches  sich  Jahre  lang  vorbereitet  hatte.  Denn 
schon  vor  Ausbruch  des  ganzen  Kriegs  hatten  sich  die  Lesbier,  welche 
neben  Chios  die  einzigen  noch  freien  Bundesgenossen  Athens  waren, 
heimlich  mit  Sparta  in  Verbindung  gesetzt,  und  zwar  gingen  diese  Ver- 
handlungen von  Mylilene  aus,  der  gröfsten  unter  den  fünf  Städten  von 
Lesbos.  Der  Küste  Kleinasiens  nahe  gegenüber,  lag  sie  auf  einer 
Höhe,  welche  gegen  den  Meersund  vorspringt  und  von  zwei  Hafen- 
buchten eingefasst  ist,  einer  nördlichen  (Maloeis)  und  einer  südlichen; 
die  letztere  war  der  eigentliche  Kriegshafen.    Beide  Buchten  aber 


Digitized  by  Google 


440 


DER  ABFALL   VON  MYHLE. NE. 


waren  durch  einen  Kanal  verbunden,  der  mitten  durch  die  Stadt  floss. 
Schönheit  und  Festigkeit  der  Lage  waren  mit  allen  Vortheilen  des 
Seeverkehrs  hier  in  seltener  Weise  vereinigt 

Wenn  schon  diese  städtische  Einrichtung  von  dem  grofsarügen 
Sinne  der  Bürger  zeugt,  so  noch  vielmehr  die  Geschichte  der  Stadt. 
Denn  sie  hatten  sich  an  dem  Wohlstande  eines  blähenden  Seeplatzes 
nicht  genügen  lassen ,  sondern  über  die  Gränzen  ihres  Gebiets  hinaus 
eine  Herrschaft  aufgerichtet,  und  zwar  zunächst  auf  der  eigenen  Insel. 
Hier  hatten  sie  nach  einander  Antissa,  Eresos  und  Pyrrha  unterworfen 
und  die  drei  Stadtgebiete  ihrem  Gebiete  einverleibt.  Dann  hatten  sie, 
wie  Samos  und  Thasos ,  auch  auf  dem  gegenüberliegenden  Festlande 
einen  ansehnlichen  Besitz  zu  erwerben  und  behaupten  gewusst.  Hier 
waren  ja  die  wichtigsten  Plätze  einst  von  Lesbos  aus  gestiftet  worden 
(I,  114),  namentlich  Assos  und  Gargaros;  das  leidenschaftliche  Streben 
der  Mytilenäer  ging  nun  dahin,  auf  Insel  und  Festland  ihre  herrsch- 
süchtige Politik  weiter  zu  verfolgen,  und  hier  wie  dort  stand  ihnen 
Athen  im  Wege. 

Alle  Gegensätze,  welche  die  griechische  Welt  in  Spannung  hielten, 
waren  hier  wirksam.  Denn  erstens  herrschte  in  Mytilene  eine  ge- 
schlossene Zahl  vornehmer  und  reicher  Familien ;  sie  hatten  durch 
Energie  und  Klugheit  die  Stadt  grofs  gemacht,  sie  hatten  der  Masse  der 
Bürger  gegenüber  ihre  Privilegien  festgehalten  und  hassten  darum  das 
demokratische  Athen.  Unwillig  gaben  sie  ihre  Schiffe  her,  um  der 
Macht  Athens  zu  dienen  und  waren  voll  Besorgniss,  über  kurz  oder 
lang  ihr  einheimisches  Regiment  von  dortaus  gefährdet  zu  sehen. 

Ferner  waren  die  Städte  des  Festlandes,  die  alten  Pflanzstädte  der 
Lesbier,  gröfstentheils  attische  Tributstädte  geworden.  Auf  diesem 
Boden  herrschte  eine  alte  Eifersucht  zwischen  Athen  und  Lesbos, 
welche  schon  in  der  Pisistratidenzeit  zu  blutigen  Kämpfen  geführt 
hatte  (I,  350  f.).  Die  alten  Vorgänge  waren  nicht  vergessen,  und  alle 
Pläne  auf  Vergröfserung  des  festländischen  Besitzes  waren  jetzt 
natürlich  mehr  als  je  durch  die  Macht  Athens  unausführbar  geworden. 

Viel  empfindlicher  und  brennender  aber  war  der  dritte  Punkt,  wo 
Mytilene  sich  durch  Athen  beeinträchtigt  sah,  das  war  die  Beherrschung 
der  eigenen  Insel.  Denn  die  Vereinigung  derselben  zu  einem  Gebiete 
und  Gesamtstaate  wurde  seit  Jahren  gehindert  durch  den  Widerstand 
von  Methymna,  der  zweitgröfsten  Stadt  auf  Lesbos,  welche  an  der 
Nordküste  der  Insel,  Troas  gegenüber,  lag,  demokratisch  regiert  wurde 


Digitized  by  Google 


DER  ABFALL  VON  MYTILEXE. 


441 


und  treu  zu  Athen  hielt,  weil  es  in  dieser  Verbindung  die  einzige 
Bürgschaft  seiner  dauernden  Selbständigkeit  besafs. 

Endlich  kam  zu  diesen  Gegensätzen,  welche  aus  politischen  Grund- 
sätzen und  Plänen  erwuchsen,  noch  der  alte  Gegensatz  der  Stämme, 
welcher  ja  durch  den  gegenwärtigen  Krieg  aller  Orten  wieder  aufgeregt 
worden  war.  Wie  auf  dem  Festlande  die  Böotier,  so  waren  es  im 
Archipelagus  die  Lesbier,  in  welchen  die  alte  Eifersucht  des  äoliscben 
Stammes  gegen  die  attischen  lonier  wieder  hervorbrach;  es  war  ein 
gleichzeitiger  Versuch,  auf  altäolischem  Stammgebiete,  in  Asien  wie 
in  Europa,  eine  selbständige  Macht  aufzurichten.  Auch  standen  die 
beiderseitigen  Bestrebungen  in  unmittelbarem  Zusammenhange.  Die 
oligarcbischen  Grundsätze,  welche  in  Theben  wie  in  Mytilene 
herrschten,  hatten  eine  Annäherung  zwischen  beiden  Staaten,  eine  Er- 
neuerung des  gemeinsamen  Stammgefühls  und  ein  gemeinsames  poli- 
tisches Handeln  veranlasst.  Nachdem  also  die  ersten  Anknüpfungen, 
welche  Mytilene  schon  vor  dem  peloponnesischen  Kriege  in  Sparta  ver- 
sucht hatte,  erfolglos  geblieben  waren,  regten  die  Tbebaner  nach  Aus- 
bruch des  Kriegs  neue  Unterhandlungen  an ;  sie  erkannten ,  dass  der 
peloponnesische  Bund  kaum  einen  wichtigeren  Zuwachs  erhalten 
könne,  als  durch  den  Beitritt  von  Mytilene.  Sie  hofften  jetzt  auch  bei 
Sparta  eine  gröfsere  Bereitwilligkeit  und  Entschlossenheit  zu  finden ; 
ihre  Stammgenossen  selbst  aber  fanden  sich  bereit,  den  entscheiden- 
den Schritt  zu  thun.  Es  war  ihr  Interesse,  nicht  zu  zaudern;  sie 
wussten  nicht ,  wie  lange  das  gegenwärtige  System  gegen  die  Demo- 
kratie der  eigenen  Insel  noch  zu  halten  sei,  sie  glaubten  durch 
längeres  Warten  nur  verlieren,  nicht  gewinnen  zu  können41). 

Die  regierenden  Familien  wussten,  wie  sehr  Athen  durch  die  Pest 
gelitten,  wie  die  Belagerung  Potidaias  seine  Finanzen  erschöpft  habe, 
und  wie  die  Flotte  an  verschiedenen  Punkten  gleichzeitig  in  Anspruch 
genommen  sei.  Der  kecke  Versuch  Spartas,  Athen  an  seinen  eigenen 
Küsten  anzugreifen,  hatte  den  Muth  der  Mytilenäer  gesteigert;  sie 
rechneten  auf  die  Unzufriedenheit  in  Aeolis  und  lonien,  sie  standen 
wahrscheinlich  auch  mit  Pissuthnes  in  Verbindung  und  beschlossen 
mit  aller  Umsicht  und  Energie  den  Abfall  vorzubereiten.  Sie  bauten 
neue  Schiffe,  warfen  Dämme  auf,  welche  ihre  Häfen  sicherten,  sie 
füllten  ihre  Kornspeicher  und  liefsen  skythische  Bogenschützen  werben. 

So  vorsichtig  aber  auch  die  Mytilenäer  hiebei  zu  Werke  gingen, 
so  war  es  ihnen  doch  unmöglich,  ihre  Pläne  geheim  zu  halten.  Die 


Digitized  by  Google 


442 


DER  ABFALL  VON  MYT1LE.NE. 


Eifersucht  von  Tenedos  und  Methymna,  sowie  die  Spaltung  der  Par- 
teien in  der  Stadt,  wo  die  Verhältnisse  sehr  gespannt  waren,  kamen  den 
Athenern  zu  Gute.  Ein  Bärger  von  Mylilene,  Doxandros,  der  für  seine 
Söhne  um  zwei  vornehme  Erbtöchter  geworben  hatte  und  schnöde 
zurückgewiesen  worden  war,  rächte  sich  an  den  Aristokraten,  indem 
er  ihre  Absichten  den  Athenern  verrietb,  mit  denen  er.  in  Gastfreund- 
schaft stand.  Es  zeigte  sich  auch  hier,  wie  wichtig  diese  Proxenoi  für 
Athen  waren,  indem  sie  unter  der  Hand  und  ohne  amtlichen  Auftrag 
die  Stimmung  der  Bundesstädte  beobachteten  und  von  gefährlichen 
Bewegungen  rechtzeitige  Meldung  nach  Athen  gelangen  Uelsen.  So 
erhielt  man  um  dieselbe  Zeit,  als  Archidamos  zum  dritten  Male  gegen 
Attika  vorrückte,  d.  h.  um  Anfang  des  vierten  Kriegssommers,  in 
Athen  die  Gewissheit,  dass  ein  neuer  und  gefahrlicher  Seekrieg  un- 
vermeidlich sei. 

Nachdem  man  sich  lange  gesträubt  hatte,  die  gemeldete Thatsache 
zu  glauben,  versuchte  man  durch  Gesandtschaften  die  Mytilenäer  von 
ihrem  Vorhaben  abzubringen,  aber  vergeblich,  und  so  musste  man  sich 
endlich  entschliefsen,  Ernst  zu  machen.  Es  wurden  also  die  lesbischen 
Schiffe,  die  bei  der  Flotte  waren,  sofort  mit  Beschlag  belegt,  und  vierzig 
Trieren  unter  Klelppides  ausgeschickt  Aber  es  fehlte  die  Energie,  wie 
sie  beim  Abfall  von  Samos  ein  Perikles  bewährt  halte.  Denn  nicht  nur 
wurde  die  Ueberrumpelung,  zu  der  man  ein  vorslädtisches  Apollonfest 
benutzen  wollte,  vereitelt,  sondern  es  gelang  sogar  den  Behörden  der 
aufrührerischen  Stadt,  durch  schlaue  Unterhandlungen  den  attischen 
Flottenführer  von  einem  raschen  Angriffe  zurückzuhalten  und  den  ge- 
wonnenen Waffenstillstand  zur  Vollendung  ihrer  Rüstungen,  wie  auch 
zu  einer  Sendung  nach  Sparta  zu  benutzen.  Es  war  ein  Glück  für 
Athen,  dass  die  Spartaner  noch  viel  unentschlossener  waren.  Denn 
anstatt  auf  eigene  Verantwortung  rasch  zu  handeln,  so  lange  die  be- 
drohte Stadt  noch  zugänglich  war,  beschieden  sie  die  Gesandten  nach 
Olympia,  wo  gerade  das  grofse  Fest  bevorstand ,  welches  durch  den 
Krieg  zu  einem  rein  peloponnesischen  geworden  war  und  zur  Er- 
ledigung von  Bundesangelegenheiten  benutzt  wurde. 

In  Olympia  hielten  die  Mytilenäer  eine  Rede,  welche  ihrem  kühnen 
und  männlichen  Sinne  alle  Ehre  machte.  Sie  klagten  nicht  über 
schlechte  Behandlung,  durch  welche  sie  gezwungen  wären  auswärtige 
Hülfe  zu  suchen;  sie  schmähten  auch  nicht  auf  attische  Tyrannei;  sie 
erklärten  nur,  dass  ihre  Selbständigkeit  eine  mehr  scheinbare,  als 


Digitized  by  Google 


DIE  LESBIER  VX  OLYMPIA  (88,  1;  4M  JULI). 


443 


wirkliebe,  eine  unsichere  und  von  der  Gnade  Athens  abhängige  sei. 
Dieser  Zustand  sei  ihnen  unerträglich;  sie  wollten  nicht  einem  Bunde 
angehören,  welcher  seinen  ursprünglichen  Charakter  so  vollständig 
verändert  habe,  sie  wollten  nicht  Athen  als  Werkzeuge  dienen,  um 
seine  selbstsüchtige  Herrschaft  zu  stützen.  Es  war  die  stolze  Sprache 
einer  Aristokratie,  welcher  die  Abhängigkeit  von  der  Bürgerschaft  in 
Alben  unleidlich  war.  Sie  kamen  nicht  mit  leeren  Händen,  sondern 
wie  die  Kerkyräer  den  Athenern,  so  machten  sie  den  Peloponnesiem 
klar,  dass  diese  ihr  Bündniss  als  einen  unschätzbaren  Gewinn  ansehen 
müssten,  weil  es  ihnen  den  wohlgelegensten  Waffenplatz,  Geld  und 
Schiffe  gegen  Athen  verschaffe,  weil  es  die  Mittel  gewähre,  Athen  nicht 
blofs  in  Altika,  wo  man  ihm  am  allerwenigsten  anhaben  könne,  son- 
dern an  den  Punkten  anzugreifen,  wo  es  am  meisten  zu  fürchten  habe. 
Durch  die  Aufforderung  der  Böotier  seien  sie  zu  einem  früheren  Ab- 
falle, als  sie  beabsichtigt  hätten,  veranlasst  worden;  deshalb  hätten  sie 
um  so  gerechteren  Anspruch  auf  schleunige  Bundeshülfe;  von  der 
Thatkraft,  mit  welcher  sie  ausgeführt  werde,  sei  das  Ansehen  Spartas 
abhängig. 

Der  nächste  Erfolg  der  Rede  war  vollständig.  Die  Mytilenäer 
wurden  als  Mitglieder  des  peloponnesischen  Bundes  aufgenommen  und 
schleunige  Bundeshülfe  versprochen.  Ein  neuer  Angriff  zu  Wasser 
und  zu  Lande  sollte  sofort  gegen  Athen  ausgeführt  werden ;  die  Spar- 
taner standen  auch  in  kürzester  Zeit  mit  ihrem  Heere  wieder  am  Isth- 
mos  und  legten  Hand  an ,  um  die  in  Lechaion  liegenden  Trieren  nach 
dem  jenseitigen  Hafen  hinüberzubringen.  Aber  die  anderen  Pelopon- 
nesier  kamen  nicht  zur  Stelle;  sie  waren  bei  der  Erndte  beschäftigt 
und  im  höchsten  Grade  unlustig,  in  demselben  Sommer  zum  zweiten 
Male  auszurücken.  Die  Athener  dagegen  erkannten  in  vollem  Mafse 
die  Bedeutung  des  Augenblicks.  Sie  mussten  jetzt  zeigen,  dass  ihre 
Macht  ungebrochen  sei  und  dass  sie  an  den  verschiedensten  Plätzen 
bereit  seien,  ihren  Feinden  zu  begegnen.  Die  Spartaner  sahen  zu  ihrem 
Erstaunen  eine  Flotte  von  hundert  Trieren  am  Isthmos  erscheinen, 
welche  alle  Pläne  daselbst  sofort  vernichtete;  gleichzeitig  vernahmen 
sie,  dass  eine  zweite  Flotte  die  lakonischen  Küsten  brandschatze.  Es 
waren  die  dreifsig  Trieren  des  Asopios  (S.  439),  welcher  zwölf  davon 
mitnahm  nach  Akarnanien,  die  andern  zurückfahren  liefs.  Anstatt 
endlich  die  Schiffe  von  Mylilene  abzurufen,  wie  die  Feinde  erwartet 
hatten,  wurde  ihre  Zahl  verstärkt. 


Digitized  by  Google 


441 


PACHES  VOR  MYTILENE  (M,  1;  4M  HERBST). 


Die  Mylilenäer  hatten  inzwischen  die  Zeit  benutzt,  um  skh  auf 
ihrer  Insel  kampfluchtiger  zu  machen.  Ihr  Angriff  auf  Methymna  war 
misslungen,  aber  die  abhängigen  Städte  wurden  neu  befestigt;  man 
war  entschlossen,  jeden  einzelnen  Platz  zu  halten.  Da  erschien  Paches 
am  Anfang  des  Herbstes  mit  1000  Hopliten;  die  aufrührerische  Stadt 
wurde  an  der  Landseile  ummauert,  und  als  der  Winter  eintrat,  war 
sie  rings  umschlossen  und  von  aller  Hülfe  abgeschnitten41). 

Inzwischen  hatte  die  Unternehmung  gegen  Plataiai,  welche  im 
dritten  Kriegsjahre,  während  die  Pest  in  Athen  herrschte,  begonnen 
war,  eine  ganz  andere  Wendung  genommen,  als  die  Spartaner  erwartet 
hatten.  Denn  als  sie  sich  mit  dem  ganzen  Bundesheere  vor  der  kleinen 
Stadt  zeigten,  hoffte  man  durch  Unterhandlung  zum  Ziele  zu  kommen, 
und  als  die  Platäer  sich  auf  die  feierlich  verbürgte  Unverletzlichkeit 
ihres  Gebiets  beriefen,  erhielten  sie  die  arglistige  Antwort,  dass  man 
nichts  Anderes  wolle,  als  ihnen  die  volle  Selbständigkeit  geben,  welche 
ihnen  zukomme;  jetzt  aber  wären  sie  nicht  frei  und  unabhängig;  sie 
sollten  daher  nur  von  dem  attischen  Bündnisse  abtreten  und  voll- 
kommen neutral  bleiben.  Die  Platäer  wiesen  auf  ihre  Lage  hin,  welche 
sie  nöthige,  an  einen  grdfseren  Staat  sich  anzuschließen ;  auch  sei  ja 
der  Anschluss  an  Athen,  der  ihnen  jetzt  als  Verbrechen  ausgelegt 
werde,  auf  Spartas  ausdrückliche  Weisung  erfolgt  (I,  383).  Die  Tren- 
nung von  Athen  sei  ja  nichts  Anderes,  als  eine  Auslieferung  der  Stadt 
an  ihre  gehässigsten  Feinde.  Archidamos  brach  diese  Erörterungen  ab, 
welche  für  jeden  Spartaner,  in  dem  noch  eine  Spur  von  ehrenhafter 
Gesinnung  war,  peinlich  genug  sein  mussten;  er  wies  die  Platäer  auf 
ihre  unter  allen  Umständen  gefährliche  Lage  hin  und  machte  ihnen 
den  Vorschlag,  sie  sollten  auswandern  und  ihm  für  die  Zeit  des  Kriegs 
ihr  Stadtgebiet  übergeben;  ihre  unbewegliche  Habe  solle  genau  ver- 
zeichnet und  nach  Beendigung  des  Kriegs  mit  dem  Grund  und  Boden 
unverkürzt  zurückgegeben  werden. 

Der  Vorschlag  war  von  Seiten  des  Königs  gewiss  ehrlich  gemeint; 
er  schien  um  so  mehr  gerechtfertigt,  als  die  Kinder  und  Frauen  und 
alles  Volk  bis  auf  400  Bürger  schon  nach  Attika  ausgewandert  waren; 
Sparta  wollte  sich  selbst  verpflichten ,  für  die  Ernährung  der  Bürger- 
schaft während  des  Exils  Sorge  zu  tragen.  Man  begreift  leicht,  dass 
die  Platäer  diesen  Vorschlag  nicht  ohne  Weiteres  abwiesen;  sie  legten 
ihn  den  Athenern  zur  Begutachtung  vor.  Die  Athener  verwarfen  ihn 
und  verbieten  thätige  Hülfe. 


Digitized  by  Google 


UMMAUBRÜISG  VON  PLATAIAI  (88,  1;  438  SEPT.).  445 

In  Folge  dessen  schwankten  die  Platäer  keinen  Augenblick ;  sie 
erklärten  ihren  Feinden  von  der  Hauer  herab ,  dass  sie  entschlossen 
wären,  dem  Bunde  mit  Athen  unter  allen  Umstanden  treu  zu  bleiben, 
und  rüsteten  sich  zur  entschlossensten  Verteidigung.  Archidamos 
rousste  nun  Ernst  machen.  Nachdem  er  durch  feierliche  Anrufung 
aller  Götter  und  Heroen  des  Landes  sein  Gewissen  zu  beruhigen  und 
alle  Schuld  des  Kriegs  auf  die  Platäer  zu  wälzen  gesucht  hatte,  liefe  er 
die  Abhänge  des  Kithairon,  an  denen  die  Stadt  gelegen  war,  abholzen, 
Pallisaden  machen  und  mit  Hülfe  derselben  einen  Wall  aufführen,  um 
von  der  Höhe  desselben  die  Yertheidiger  der  Stadtmauer  anzugreifen. 
Man  wollte  um  jeden  Preis  eine  lange  und  kostspielige  Belagerung  ver- 
meiden und  liefe  die  Soldaten  Tag  und  Nacht  an  der  Schanze  arbeiten. 
In  siebzig  Tagen  war  sie  fertig.  Aber  die  Platäer  erhöhten  dagegen 
ihre  Mauern  und  Brustwehren,  zerstörten  durch  unterirdische  Gänge 
die  feindlichen  Erdarbeiten  und  bauten  hinter  dem  bedrohten  Stücke 
ihrer  Mauer  eine  zweite  Mauer,  um  sich  hinter  dieselbe  zurückziehen 
zu  können.  Ebenso  wussten  sie  die  Mauerbrecher  unschädlich  zu 
machen,  indem  sie  die  Köpfe  derselben  zerschmetterten  oder  durch 
Schlingen  den  Stöfs  abfingen.  Endlich  wurde  von  den  Belagerern  die 
Macht  des  Feuers  aufgeboten,  indem  sie  den  Raum  zwischen 
Mauer  und  Schanze  mit  brennbaren  Stoffen  anfüllten  und  einen  Brand 
hervorriefen,  der  durch  Qualm  und  Gluth  die  ganze  Stadt  und  ihre 
Yertheidiger  zu  vernichten  drohte;  aber  in  der  höchsten  Noth 
brachte  ihnen,  wie  erzählt  wird,  ein  Gewitterregen  unerwartete 
Rettung. 

Nun  mussle  Archidamos,  der  sich  schon  mit  dem  Widerwillen 
eines  alten  Spartaners  zu  den  Schanzarbeiten  und  zur  Anwendung  von 
Belagerungsmaschinen  entschlossen  hatte,  jeden  Gedanken  aufgeben, 
mit  Gewalt  die  kleine  Schaar  plataischer  Bürger  zu  besiegen;  man 
musste  sich  bequemen,  die  ganze  Stadl  mit  einem  Walle  zu  umgeben, 
um  sie  auszuhungern.  Die  abschüssige  Lage  der  Stadt  erschwerte  die 
Arbeit,  aber  man  scheute  keine  Mühe ;  die  Erbitterung  hatte  sich  wäh- 
rend des  Kampfes  gesteigert,  und  die  Thebaner  thaten  das  Ihrige,  um 
das  Werk  nicht  in  Stocken  gerathen  zu  lassen.  Eine  doppelte  Mauer 
wurde  nun  um  die  ganze  Stadt  gebaut,  mit  einem  Graben  gegen  die 
belagerte  Stadt  und  einem  Graben  gegen  aufeen;  die  Mauern  waren  in 
gleichen  Abständen  mit  Thürmen  versehen;  der  Gang  zwischen  den 
Mauern,  der  16  Fufe  Breite  hatte,  war  bedeckt  und  bildete  gleichsam 


Digitized  by  Google 


446 


DURCHBRUCH  DER  PLATÄER  (88,  1;  438  DEC). 


ein  grofses  Wachthaus,  das  die  feindliche  Stadt  umringte.  Gegen  Mitte 
September  war  das  ungeheure  Werk  vollendet;  die  Mehrzahl  der 
Truppen  konnte  entlassen  werden;  die  Bewachung  der  Ringmauer 
wurde  zwischen  peloponnesischen  und  thebanischen  Truppen  getheilt; 
jede  Schaar  hatte  ihren  angewiesenen  Platz;  ein  Corps  von  drei- 
hundert diente  als  Reserve  für  unvorhergesehene  Fälle. 

Ein  volles  Jahr  hatten  die  Platäer  in  ihrem  Gefängnisse  ausge- 
harrt, von  jedem  Verkehre  abgeschnitten,  ohne  UolTnung  auf  Entsatz, 
von  Feinden  umlauert,  die  nach  ihrem  Blute  lechzten.  Die  Lebens- 
mittel begannen  zu  mangeln.  Deshalb  beschlossen  die  Tapfersten  einen 
Durchbruch  zu  wagen.  Nachdem  man  sich  mit  Leitern  versehen, 
welche  die  Höhe  der  feindlichen  Mauern  hatten ,  benutzte  man  eine 
stürmische  und  rauhe  Decembernacht,  da  man  voraussetzen  konnte, 
dass  sich  die  Wachtposten  in  die  Thürme,  die  ihnen  als  Schilderhäuser 
dienten,  zurückgezogen  haben  würden. 

Zweihundert  und  zwanzig  Männer  verlassen  die  Stadt;  sie  sind 
leicht  bewaffnet  und  nur  am  linken  Fufse  mit  einem  Schuh  versehen, 
der  für  den  Fall  eines  Gefechts  fesleren  Stand  gewährte;  den  rechten 
Fufs  tragen  sie  blofs,  um  leichter  durch  den  Schlamm  zu  kommen. 
In  mäfsiger  Entfernung  von  einander,  um  jedes  WatTengeräusch  zu 
vermeiden,  übersteigen  sie  den  Graben,  erklimmen  die  Mauer,  indem 
Einer  dem  Andern  den  Schild  hinaufreicht;  die  Wachtposten  in  den 
nächsten  Thürmen  zur  Rechten  und  zur  Linken  werden  getßdtet;  Alles 
gelingt  ohne  Geräusch ,  die  Platäer  sind  im  Besitz  eines  Mauerstücks 
mit  zwei  Thürmen,  welche  besetzt  werden ;  die  Meisten  sind  glücklich 
oben.  Da  fällt  ein  Ziegel  von  der  Mauer,  und  die  Besatzung  wird  alar- 
mirt.  Sieben  Platäer  kehren  um,  weil  sie  Alles  verloren  geben.  Aber 
während  die  Feinde  in  völliger  Ungewissheit  über  den  Vorgang  bleiben 
und  Keiner  sich  getraut,  seinen  Posten  zu  verlassen,  steigt  Einer  der 
Tapfern  nach  dem  Andern  die  äufsere  Mauer  hinunter;  zuletzt  ver- 
lassen auch  die,  welche  die  Thürme  gehütet  hatten,  ihren  Posten  und 
gelangen  glücklich  an  den  äufsern  Graben.  Dieser  ist  voll  Wasser  und 
mit  dünnem  Eise  bedeckt.  Dadurch  wird  der  Uebergang  verzögert, 
und  ehe  noch  Alle  hinüber  sind,  sehen  sie  Mannschaft  mit  Fackeln 
herbeieilen;  es  ist  das  Streif korps  der  Dreihundert,  welches  sie  am 
Graben  erreichte.  Aber  die  Fackeln  sind  den  Verfolgern  hinderlich, 
indem  sie  diese  blenden,  den  Platäern  aber  den  Kampf  erleichtern. 
Nur  ein  Bogenschütze  wird  gefangen.    Die  Andern  kommen  sämtlich 


Digitized  by  Google 


VIERTER  EINFALL  IN  ATTIKA  (»8,  1;  417). 


447 


hinüber  und  schlagen  den  Weg  nach  Theben  ein,  weil  sie  voraussetzen, 
dass  sie  auf  der  attischen  Strafse  verfolgt  werden  würden.  Erst  bei 
Erythrai  wenden  sie  sich  rechts  in's  Gebirge  und  kommen  am  Morgen 
nach  Athen,  um  dieselbe  Zeit ,  als  ihre  Kameraden  Herolde  an  die  Be- 
lagerer schickten,  um  sich  die  Leichen  der  Ihrigen  auszubilten,  welche 
sie  sämtlich  für  verloren  hielten.  Niemals  ist  tapferer  Muth  und 
kluge  Entschlossenheit  herrlicher  belohnt  worden.  Zugleich  war  den 
Zurückgebliebenen  jetzt  die  Möglichkeit  gegeben,  mit  ihrem  Mund- 
vorrath  länger  auszuharren48). 

So  war  im  Anfange  des  fünften  Kriegsjahres  das  Interesse  an  zwei 
Belagerungen  geknüpft;  beide  Belagerungen  waren  mit  den  schwersten 
Opfern  für  die  Belagerer  verbunden;  in  beiden  Plätzen  hoffte  man 
noch  immer  auf  die  versprochene  Hülfe  und  in  beiden  gleich  vergeblich. 

Freilich  wurde  im  Frühjahre  die  peloponnesische  Flotte  endlich 
fertig,  und  Alkidas  fuhr  mit  42  Segeln  von  Gytheion  in  das  ägäische 
Meer  hinaus.  Es  war  das  erste  Mal  seit  Gründung  des  attischen  See- 
bundes, dass  peloponnesische  Kriegsschiffe  sich  in  den  Gewässern 
zeigten,  welche  Athen  als  sein  Herrschaftsgebiet  ansah.  Um  diesem 
Seezuge  noch  mehr  Nachdruck  zu  geben,  rückte  gleichzeitig  das  Land- 
heer der  Peloponnesier  unter  Kleomenes  in  Attika  ein;  er  war  der 
Vormund  seines  Neffen  Pausanias,  des  Sohnes  des  Pleistoanax,  und 
in  der  Heerführung  des  Archidamos  Nachfolger,  der  nach  42 jähriger 
Regierung  kurz  zuvor  gestorben  war. 

Dieser  vierte  Heerzug  war  für  die  Athener  besonders  verderblich, 
weil  er  sich  so  lange  wie  möglich  im  feindlichen  Lande  zu  halten 
suchte,  denn  man  hoffte  die  Nachrichten  von  den  glücklichen  Erfolgen 
des  Alkidas  in  Attika  abwarten  zu  können.  Aber  diese  Erwartungen 
erwiesen  sich  bald  als  gänzlich  unbegründet.  Denn  der  spartanische 
Admiral  that  aus  Ungeschick  und  Feigheit  Alles,  was  geschehen  konnte, 
um  den  Zweck  seiner  Unternehmung  zu  vereiteln.  Aengstlich  kreuzte 
er  zwischen  den  Cykladen  umher,  während  die  Noth  in  Mytilene  den 
höchsten  Grad  erreicht  hatte.  Man  konnte  hier  nicht  länger  warten, 
und  deshalb  gab  der  Spartaner  Salaithos,  welcher  sich  einige  Monate 
zuvor  in  die  Stadt  hereingeschlichen  hatte ,  um  die  nahende  Hülfe  zu 
melden,  der  Regierung  den  Rath,  ihr  letztes  Heil  in  einem  Ausfalle  zu 
suchen.  Zu  dem  Ende  wurden  alle  Waffenrüstungen  vertheilt,  welche 
im  Besitze  der  Stadt  waren,  auch  an  die  unteren  Bürgerklassen,  welche 
in  dem  aristokratischen  Staate  bis  dahin  nur  als  Leichtbewaffnete  ge- 


Digitized  by  Google 


44S 


ÜBERGABE  VOPf  MYTILENE  (W,  8;  427). 


dient  hatten.  Aber  kaum  war  dies  geschehen,  so  erklärte  sich  das  Volk 
gegen  die  Regierung;  es  verlangte,  dass  alle  Kornvorräthe  geöffnet 
werden  sollten,  und  drohte,  sofort  mit  den  Athenern  in  Unterhandlung 
zu  treten.  Den  regierenden  Herren  blieb  unter  diesen  Umständen  nichts 
übrig,  als  gemeinschaftlich  mit  dem  Volke  zu  bandeln  und  die  Unter- 
handlungen mit  Paches  zu  beginnen;  sonst  wären  sie  allein  als  Urheber 
des  Aufstandes  ausgeliefert  worden.  Paches  versprach,  bis  die  Ent- 
scheidung von  Athen  eingeholt  sei,  Keinen  zu  binden,  zu  knechten 
oder  zu  tödten.  Trotzdem  safsen  die  Oligarcben,  als  die  Athener  ein- 
rückten ,  angstvoll  auf  den  Stufen  der  Altäre ;  sie  fühlten  sich  weder 
vor  ihren  Mitbürgern  noch  vor  den  Feinden  ihres  Lebens  sicher  und 
wurden  dann  nach  Tenedos  in  Gewahrsam  gebracht. 

Sieben  Tage  waren  seit  Uebergabe  von  Mytilene  verflossen ,  da 
kam  Alkidas  und  ankerte  Lesbos  gegenüber  in  der  Nähe  von  Erythrai. 
Der  Hauptzweck  war  verfehlt ;  aber  nichts  desto  weniger  war  es  ein 
aufserordentliches  Ereigniss,  dass  an  der  ionischen  Küste  eine  pelopon- 
nesische  Flotte  lag.  War  man  einmal  so  weit  gekommen,  so  musste 
man  zu  erreichen  suchen,  was  noch  möglich  war.  Auch  fehlte  es  in 
der  Umgebung  des  Admirals  nicht  an  Rathgebern,  welche  die  Bedeutung 
des  gegenwärtigen  Moments  vollkommen  erkannten.  Teutiaplos,  der 
Eleer,  verlangte,  dass  man  unverzüglich  die  Athener  in  Mytilene  über- 
fallen solle,  ehe  sie  auf  einen  Angriff  gefasst  wären.  Und  dann  kamen 
ionische  Flüchtlinge  und  Lesbier  auf  die  Flotte  und  drangen  in  Alkidas, 
etwas  Entscheidendes  zu  thun.  Er  solle  sich  in  einer  ionischen  Stadt 
oder  im  äolischen  Kyme  festsetzen ,  die  Unzufriedenen  an  sich  ziehen, 
die  von  Sparta  verkündete  Politik  zur  Wahrheit  machen  und  die  Frei- 
heit der  hellenischen  Städte  in  Ionien  und  Aiolis  verkünden.  Eine 
altische  Flotte  war  nicht  zur  Stelle,  Gährung  herrschte  aller  Orten.  Die 
Perser  waren  geschäftig,  die  gegen  Athen  herrschende  Aufregung  aus- 
zubeuten und  ihre  Macht  an  einzelnen  Küstenpunkten  wieder  herzu- 
stellen; Kolophon  war  ihnen  mit  Hülfe  einer  einheimischen  Partei 
schon  im  Sommer  430  (Ol.  87,  3)  wieder  zugefallen,  und  auch  aus 
Nolion,  dem  Hafen  der  Kolophonier,  waren  die  attisch  gesinnten  Bürger 
mit  Gewalt  verdrängt  worden.  Pissuthnes  hatte  durch  seine  arkadi- 
schen Söldner  dabei  geholfen,  derselbe  Satrap,  der  schon  im  sa mischen 
Kriege  seine  Feindschaft  gegen  Athen  und  seine  Bereitwilligkeit,  sich 
in  die  griechischen  Angelegenheilen  einzumischen,  gezeigt  hatte.  Wenn 
also  der  spartanische  Feldherr  sich  mit  ihm  in  Einverständniss  setzte, 


Digitized  by  Google 


VERHANDLUNG   ÜBER  MYTILENE. 


449 


so  konnte  Athen  auf  die  allergefahrlichste  Weise  bedroht  werden.  Aber 
Alkidas  ging  auf  nichts  ein.  Er  fuhr  ängstlich  an  der  Küste  entlang 
und  verrichtete  keine  anderen  Thaten,  als  dass  er  harmlose  Ionier  auf- 
greifen und  hinrichten  liefs,  bis  ihn  die  samischen  Oligarchen,  welche 
beim  letzten  Aufstand  aus  Samos  vertrieben  in  Anaia  sich  niederge- 
lassen hatten,  daran  erinnerten ,  dass  dies  wohl  nicht  das  richtige  Ver- 
fahren sei,  ihn  als  einen  Befreier  von  Hellas  zu  empfehlen.  So  wie  er 
aber  vermuthen  konnte,  dass  man  ihm  von  Athen  aus  auf  der  Spur 
sei,  ging  seine  ziellose  Fahrt  in  angstvolle  Flucht  über,  so  dass  er  quer 
über  das  Meer  nach  Hause  eilte  und  erst  glücklich  war,  wie  er  die 
peloponnesischen  Küsten  wieder  vor  Augen  hatte.  Die  Athener  sahen 
sich  also  ohne  ihr  Zuthun  aus  aller  Noth  befreit  und  konnten  ihre 
Flotte  sogleich  benutzen ,  um  auch  in  Kleinasien  ihr  volles  Ansehen 
wiederherzustellen;  die  Stadt  Notion,  wo  eine  Zeit  lang,  durch  eine 
Mauer  getrennt,  die  beiden  feindlichen  Bürgerparteien,  die  attische  und 
die  persisch  gesinnte,  neben  einander  gehaust  hatten,  wurde  mit  Arg- 
list und  Gewalt  unter  die  Botmäfsigkeit  Athens  zurückgeführt;  end- 
lich vollendete  Paedes  ohne  Mühe  die  Unterwerfung  der  Insel  Lesbos 
und  schickte  die  lesbischen  Aristokraten  so  wie  den  Spartaner  Salai- 
thos,  der  in  einem  Verstecke  aufgefunden  war,  nach  Athen,  damit 
sie  dort  ihr  Urteil  empfingen44). 

Als  die  Unglücklichen  im  Peiraieus  ausgeschifft  wurden,  war  die 
Bürgerschaft  in  fieberhafter  Aufregung,  und  der  Prozess,  welcher  nun 
begann,  zeigt  deutlich,  welche  Veränderung  die  letzten  Jahre  in  den 
Öffentlichen  Verhältnissen  Athens  hervorgebracht  hatten. 

Die  Gründe  der  Aufregung  liegen  nicht  fern.  Die  Belagerung  der 
abtrünnigen  Stadt  hatte  aufserordentliche  Opfer  verlangt;  der  Schatz 
war  bis  auf  den  Reservefonds  erschöpft,  und  zum  ersten  Male  musste 
eine  Vermögenssteuer  ausgeschrieben  werden,  um  zur  Fortführung  der 
Belagerung  eine  Summe  von  200  Talenten  aufzubringen.  Wenn  diese 
Mafsregcl  schon  eine  grofse  Bestürzung  hervorgerufen  hatte,  da  man 
bei  Anfang  des  Kriegs  auf  den  Schatz  vorzugsweise  die  Hoffnung  des 
Siegs  gegründet  hatte,  so  war  die  Erbitterung  gegen  die  Abtrünnigen 
um  so  gröfser.  Die  gefahrliche  Lage  ihres  Staats  war  den  Athenern 
in  erschreckender  Weise  vor  Augen  getreten.  Persien  bedrohte  ihre 
Bundesorte,  eine  feindliche  Flotte  hatte  sich  in  Ionien  gezeigt,  und  es 
war  nur  der  gänzlichen  Unfähigkeit  ihres  Führers  zuzuschreiben,  dass 
sich  an  den  Abfall  von  Lesbos  keine  Erhebung  des  ionischen  und 

Curti»,  Gr.  G«»ch.  II.  6.  Aufl.  29 


Digitized  by  Google 


450 


DIE  STELLUNG  KL  EONS. 


äolischen  Festlandes  angeschlossen  hatte.  Zu  dieser  Angst  um  die 
überseeischen  Besitzungen  kam  nun  die  Erbitterung  über  die  neue 
Verheerung  des  eigenen  Landes  und  die  schwere  Sorge  um  Plataiai. 
In  dieser  vielfachen  Aufregung  hatte  die  Bürgerschaft  keinen  Führer, 
der  die  Macht  oder  den  Willen  hatte,  sie  zu  beruhigen,  sondern  ihre 
Redner  waren  nur  darauf  aus,  diese  Stimmungen  zu  nähren  und  die 
Leidenschaftlichkeil  zu  steigern;  vor  allen  Kleon,  der  damals  am 
meisten  Einfluss  hatte45). 

Kleons  Vater  Kleainetos  war  ein  Fabrikbesitzer  und  unterhielt 
eine  Menge  Sklaven,  welche  Felle  gerbten  und  Lederwaaren  bereiteten; 
ein  Gewerbzweig,  welcher  in  Athen  sehr  blühend,  aber  wenig  geachtet 
war.  Die  Umgebung,  in  welcher  Kleon  aufwuchs,  war  nicht  geeignet, 
ihm  eine  höhere  Bildung  zu  geben;  er  hatte  ein  plumpes  und  gemeines 
Aussehen,  eine  rauhe  Stimme  und  eine  polternde  Art  zu  sprechen.  In 
rohem  Kraftgefühle  that  er  sich  etwas  darauf  zu  Gute,  nichts  Anderes 
zu  sein  als  ein  Mann  des  Volks,  und  er  war  der  geborene  Wortführer 
gegen  alle  diejenigen,  welche  im  Besitze  einer  höheren  Bildung  der 
Menge  vornehm  gegenübertraten.  So  hatte  er  Perikles  angefeindet 
und  sich  selbst  mit  Männern,  wie  Diopeithes  und  Thukydides,  zum 
Angriffe  auf  die  philosophischen  Freunde  des  Perikles  verbunden 
(S.  394).  Die  Genugtuung,  welche  die  Bürger  dem  gekränkten 
Staatsmanne  gaben,  war  eine  Niederlage  für  Kleon,  in  Folge  deren  er 
sich  in  der  nächsten  Zeit  stiller  hielt.  Dann  trat  er  von  Neuem  in  den 
Vordergrund  und,  nachdem  Eukrates  bei  Seite  geschoben  und  Lysikles 
im  Maiandrosthale  gefallen  war  (S.  432),  konnte  er  sich  als  den  ersten 
Mann  in  Athen  ansehen. 

Unter  den  Mitteln,  welche  Kleon  angewendet  hat,  um  sich  die 
Volksgunst  in  solchem  Grade  zu  erwerben,  war  die  Erhöhung  des 
Richtersolds,  die  wahrscheinlich  auf  seinen  Antrag  erfolgt  ist,  eine  der 
wirksamsten.  Man  kann  zugeben,  dass  sie  durch  die  Verteuerung  der 
Lebensmittel,  welche  seit  Beginn  des  Kriegs  stattgefunden  haben  muss, 
einigermafsen  gerechtfertigt  werden  konnte;  auf  jeden  Fall  ist  die  Be- 
deutung der  ganzen  Einrichtung  seitdem  eine  wesentlich  andere  ge- 
worden. Denn  ein  Sitzungsgeld  von  drei  Obolen  oder  einer  halben 
Drachme  (38  Pf.)  war  für  den  armen  Athener  immer  ein  lockender 
Gewinn.  Dafür  liefsen  sie  schon  ihre  Hand  wer  ksgeräthe  liegen  und 
drängten  sich  zu  den  Gerichten;  namentlich  die  älteren  Leute,  welche 
keinen  Waffendienst  mehr  leisten  konnten,  und  denen  der  bequeme 


Digitized  by  Google 


GERICHTE  UND  SYKOPflANTEN. 


451 


Erwerb  sehr  willkommen  war;  auch  von  den  Landleuten  fand  Mancher 
darin  einen  Ersatz  für  den  Ertrag  seiner  Felder,  um  den  die  Kriegs- 
noth  ihn  gebracht  halle ,  und  so  geschah  es,  dass  das  Richterpersonal 
der  grofsen  Mehrzahl  nach  aus  unbemittelten  Leuten  bestand.  Als  Ge- 
schworene versafsen  sie  die  besten  Tagestunden,  durch  die  Aufregung, 
welche  das  Anhören  der  Prozesse  erweckte,  aufs  Angenehmste  unter- 
halten ,  in  behaglichem  Selbstgefühle  und  vollem  Genüsse  der  Macht, 
welche  ihnen  die  Stellung  der  attischen  Gerichtshöfe  über  Leben  und 
Eigenthum  so  vieler  Tausende  gab.  War  die  Sitzung  zu  Ende,  deren 
Länge  nach  der  Geduld  der  Geschworenen  eingerichtet  wurde,  so 
konnten  sie  sich,  ohne  für  weiteren  Erwerb  Sorge  zu  tragen,  für 
ihre  drei  Obolen  bei  Bad  und  Mahlzeit  von  ihrer  öffentlichen  Thälig- 
keit  erholen. 

Man  begreift  also  die  Dankbarkeit,  welche  die  Athener  dem 
Urheber  dieser  Solderhöhung  erwiesen.  Kleon  war  der  Held  des  Tags, 
der  Liebling  und  Wohlthäler  des  Volks,  der  gefeierte  Gerichtspatron, 
und  je  mehr  nun  die  Gerichts wuth  der  Athener,  welche  schon  Kra- 
tinos  verspottet  hatte,  im  Zunehmen  war,  um  so  mehr  stieg  auch  die 
Macht  des  Kleon.  Denn  man  hatte  längst  die  Erfindung  gemacht,  die 
Gerichte  zu  politischen  Parteizwecken  zu  benutzen ,  indem  man  her- 
vorragende Männer  mit  peinlichen  Anklagen  verfolgte.  Nun  aber  kam 
das  Geschäft  der  Aufpasser  oder  'Sykophanten'  erst  recht  in  Auf- 
schwung; es  bildete  sich  eine  eigene  Menschenklasse,  welche  ein  Ge- 
werbe daraus  machte,  Stoff  zu  Anklagen  zusammenzutragen  und  ihre 
Mitbürger  vor  Gericht  zu  ziehen.  Diese  Angebereien  waren  aber  vor- 
zugsweise gegen  Solche  gerichtet,  welche  durch  Reichthum,  Geburt 
und  Verdienste  hervorragten  und  deshalb  Anlass  zu  Verdacht  gaben ; 
denn  die  Angeber  wollten  sich  als  eifrige  Volksfreunde  und  wachsame 
Hüter  der  Verfassung  geltend  machen.  Je  deutlicher  aber  die  Mangel 
der  Verfassung  hervortraten ,  je  wilder  und  unordentlicher  es  in  den 
Versammlungen  herging,  je  mehr  sich  die  Partei  der  Gemäfsigten  von 
dem  grofsen  Haufen  absonderte  und  die  Gebildeteren  vom  öffentlichen 
Leben  zurücktraten,  um  so  argwöhnischer  wurde  das  Volk,  um  so 
mehr  griff  die  Furcht  vor  Verrath ,  die  Angst  vor  verfassungsfeind- 
lichen Bestrebungen  um  sich;  überall  witterte  man  Umtriebe  und  Ver- 
schwörung ,  und  die  Volksredner  beredeten  die  Bürgerschaft ,  keinem 
Beamten,  keinem  Bevollmächtigten,  keiner  Commission  zu  trauen, 
Alles  in  voller  Versammlung  zu  verhandeln,  die  ganze  Verwaltung  an 

29* 


Digitized  by  Google 


452 


KLEONS  MACHT   IN  ATHEN 


sich  zu  ziehen.  Von  diesem  allgemeinen  Misstrauen  lebten  die  Sy- 
kophanten  und  beuteten  es  aus,  um  sich  wichtig  zu  machen.  Ohne 
Scham  machten  sich  junge  namenlose  Menschen,  die  zum  Theile  nicht 
einmal  von  attischem  Geblute  waren,  an  die  Veteranen  der  Perser- 
kriege, und  man  erlebte  es,  dass  Feldherm,  welche  ihr  Leben  vielfach 
für  die  Stadt  eingesetzt  und  ihre  Flotte  zum  Siege  geführt  hatten ,  als 
Greise  von  böswilligen  Anklägern  verfolgt  und  von  den  Volksgerich len 
verurteilt  wurden.  Das  Gewerbe  der  Sykophanten  wurde  auch  nur  um 
schändlicher  Gewinnsucht  willen  betrieben;  sie  drohten  mit  Anklagen, 
um  dadurch  von  Schuldigen  und  Unschuldigen  Geld  zu  erpressen; 
denn  auch  unter  denen,  die  sich  schuldlos  fühlten,  waren  Viele,  welche 
einen  Staatsprozess  mehr  als  alles  Andere  scheuten,  weil  sie  zu  einem 
Geschworenengerichte  kein  Vertrauen  hatten,  welches  so  häufig  in 
leidenschaftlicher  Stimmung  war  und  meistens  in  seiner  eigenen  Sache 
richtete. 

In  dieser  Sykophantenkunst  war  Klcon  selbst  ein  Meister,  und  sie 
war  für  ihn  eines  der  wirksamsten  Mittel,  um  seine  Macht  zu  gründen. 
Sie  gab  ihm  Gelegenheit,  Alle,  die  ihm  gefahrlich  schienen,  zu  be- 
seitigen, andersgesinnte  Redner  aus  dem  Felde  zu  treiben  und  ihnen 
die  öffentliche  Thäügkeit  zu  verleiden;  er  wusste  bei  seiner  Gewalt 
über  das  Volk  und  bei  seiner  völligen  Rücksichtslosigkeit  Alles  einzu- 
schüchtern und  solche  Furcht  um  sich  zu  verbreiten ,  dass  Niemand 
mit  ihm  sich  zu  messen  wagte  und  ihm  in  feiger  Servilität  der  Hof  ge- 
macht wurde.  Das  höchste  Gut  der  Athener,  das  freie  Wort,  war  that- 
sächlich  ihnen  genommen.  Mit  ehrlichen  Mitteln  war  gegen  ihn  nicht 
aufzukommen;  für  Geld  war  er  zu  gewinnen,  und  er  wusste  seine 
Macht  zu  benutzen,  um  ein  ansehnliches  Vermögen  zu  erwerben 46). 

Was  also  Kleon  im  Staat  erstrebte  und  was  er  durch  seine 
Energie  wie  durch  eine  angeborene  Redner-  und  Herrschergabe  glück- 
lich erreichte,  war  wieder  ein  persönliches  Regiment,  ohne  welches  in 
schwierigen  Zeiten  die  Demokratie  gar  nicht  zu  denken  war.  Als  er 
sein  Ziel  erreicht  hatte,  änderte  er  in  einigen  Stücken  sein  Wesen. 
Er  zog  sich  aus  der  Gemeinschaft  früherer  Genossen  zurück  und  ge- 
wann dadurch  das  Recht,  alle  geheimen  Verbindungen  zu  politischen 
Zwecken  um  so  heftiger  zu  verfolgen.  Auch  war  seine  eigene  Politik 
nicht  der  Art,  dass  er  solcher  Hülfe  bedurfte,  um  ihr  Anerkennung  zu 
verschaffen.  Denn  er  verfolgte  keine  ferneren  Ziele,  für  welche  ein  Zu- 
sammenhalten aller  Parteigenossen  nöthig  war;  vielmehr  suchte  er  nur 


Digitized  by  Google 


KLEO>S  POLITIK. 


453 


die  Majorität  der  Börgerschaft  immer  fester  an  seine  Person  zu  ketten 
und  die  einzelnen  Tagesfragen  zu  diesem  Zwecke  auf  das  Geschickteste 
auszubeuten. 

Bei  der  Stellung,  welche  Kleon  zum  Volke  einnahm,  konnte  man 
erwarten,  dass  er  sich  berufen  fühlte,  die  Interessen  der  niedrigeren 
Bürgerklassen  zu  vertreten,  welche  bis  dahin  nicht  zu  ihrem  Rechte 
gekommen  wären.  Aber  solche  Gesichtspunkte  lassen  sich  nicht  nach- 
weisen. Wenn  überhaupt  im  höheren  Sinne  des  Worts  von  einer 
Politik,  welche  Kleon  verfolgte,  die  Rede  sein  kann,  so  war  es  keine 
andere,  als  dass  er  die  friedliche  Beendigung  des  Kriegs  mit  Sparta  von 
Jahr  zu  Jahr  unmöglicher  und  den  Riss  zwischen  den  griechischen 
Staaten  immer  unheilbarer  zu  machen  suchte.  Was  aber  bei  einer 
solchen  Politik  das  nächste  Augenmerk  eines  Staatsmanns  sein  musste, 
die  Kräfte  des  Gemeinwesens  auf  alle  Weise  zu  stärken ,  die  Kriegs- 
mittel desselben  durch  weisen  Haushalt  zusammenzuhalten  und  die 
Fundamente  seiner  Macht  zu  befestigen ,  das  war  Kleons  Sorge  nicht, 
sondern  er  schwächte  Athen,  indem  er  in  der  schwersten  Kriegszeit 
den  Gerichtssold  dergestalt  erhöhte,  dass  die  jährliche  Ausgabe  dafür 
auf  150  Talente  (c.  700,000  M.)  berechnet  werden  konnte,  während 
die  Summe  der  jährlichen  Staatseinkünfte  beim  Anfang  des  Kriegs  nur 
tausend  Talente  betrug.  Die  Folge  war,  dass  man  die  Einkünfte  von 
den  Bundesgenossen  auf  alle  Weise  zu  steigern  suchte.  Das  war  aber 
ohne  einen  schroffen  Terrorismus  nicht  möglich,  welcher  scheinbar 
die  Macht  der  Stadt  vergröfserte,  in  der  That  aber  die  Grundfesten 
derselben  erschütterte,  und  zwar  in  einer  Zeit,  da  der  Staat  sich  immer 
tiefer  in  die  Gefahren  des  unheilvollen  Kriegs  verwickelte. 

kleon  konnte  sich  über  die  Lage  der  Dinge  nicht  täuschen,  aber 
er  war  weit  entfernt,  die  Gefahren  derselben  den  Bürgern  klar  zu 
machen,  um  eine  entsprechende  Kraftanstrengung  und  Opferbereit- 
schaft in  Anspruch  zu  nehmen,  wie  es  die  Pflicht  eines  gewissenhaften 
Staatslenkers  sein  musste;  sondern  er  täuschte  die  Masse  der  Bürger- 
schaft über  die  Macht  des  Staats,  er  verleitete  sie  die  Einkünfte  des- 
selben und  die  Vorlheile  ihrer  unbeschränkten  Herrschaft  zu  geniefsen. 
Er  unterhielt  ihren  Kriegseifer,  indem  er  ihnen  die  Besiegung  der 
Gegner  als  einen  gewissen  Erfolg  vorstellte  und  damit  zugleich  neue 
Erweiterungen  ihrer  Vortheile  und  Genüsse.  Orakel  wurden  in  Umlauf 
gesetzt,  in  denen  von  einer  Unterwerfung  des  ganzen  Peloponnes  die 
Rede  war  und  von  einem  Gerichtssolde  von  fünf  Obolen,  welcher  einst 


Digitized  by  Google 


454 


KLEOJN  UND  PERIKLES 


aus  Arkadien  den  Athenern  zufallen  werde.  Das  war  die  Politik 
Kleons,  und  dazu  bedurfte  er  nicht  der  Unterstützung  politischer 
Genossenschaften,  weil  sie  an  sich  dem  grofsen  Haufen  sehr  mund- 
gerecht war47)« 

Wenn  aber  Kleon  seine  früheren  Verbindungen  löste,  so  hängt 
dies  auch  damit  zusammen,  dass  er  nun  selbstgewisser  und  machlbe- 
wusster  vor  dem  Volke  auftreten  und  den  Abstand  zwischen  sich  und 
denen ,  die  früher  in  der  Opposition  gegen  Perikles  Seinesgleichen  ge- 
wesen waren ,  fühlen  lassen  wollte.  Er  selbst  hatte  Perikles  Manches 
abgesehen,  was  er  in  seiner  Weise  nachmachte.  Auf  der  Rednerbühne 
freilich  war  er  in  allen  Stücken  sein  volles  Gegenbild.  Denn  während 
Perikles  mit  unerschütterlichem  Gleichmuthe  dem  Volke  gegenüber 
trat  und  auch  im  Feuer  der  Rede  das  Gleichmafs  der  Stimme  und  die 
ruhigste  Haltung  bewahrte,  so  dass  selbst  der  Mantelwurf  unverändert 
derselbe  blieb,  sah  man  Kleon,  wenn  er  redete,  in  heftigster  Bewegung 
auf  und  nieder  gehen;  einem  Ringer  gleich  sah  man  ihn  die  Arme  ent- 
blöfsen ;  das  Gewand  wurde  hin  und  her  geworfen  und  die  Stärke 
*  seiner  lauten  Stimme  bis  zum  äufsersten  Mafse  angestrengt  Perikles 

war  seinen  Mitbürgern  ein  Vorbild  der  Ruhe,  weil  er  bei  jeder  öffent- 
lichen Angelegenheit  die  besonnenste  Erwägung  verlangte;  Kleon  fühlte 
sich  am  meisten  an  seinem  Platze,  wenn  das  Volk  in  fieberhafter  Auf- 
regung war  und  er  benutzte  alle  Mittel,  dieselbe  zu  nähren  und  zu 
steigern.  Perikles  hatte  immer  die  Sache  im  Auge;  Kleons  Meister- 
schaft bestand  darin,  durch  Schmähung  der  Gegner  seine  eigene  Person 
zu  heben.  Perikles  suchte  durch  Vernunftgründe  zu  wirken  und  jede 
Einwirkung  unklarer  Stimmungen  zu  beseitigen ;  Kleon  benutzte  die 
Leichtgläubigkeit  des  grofsen  Haufens,  um  ihn  durch  aufregende  Mel- 
dungen aller  Art,  namentlich  durch  Weissagungen,  erdichtete  Orakel- 
sprüche u.  dgl.  in  die  heftigste  Aufregung  zu  versetzen.  Je  leiden- 
schaftlicher die  Stimmung  war,  um  so  sicherer  hatte  er  die  Bürger- 
schaft in  seiner  Hand ,  um  so  mehr  fühlte  er  sich  als  ihren  geborenen 
Vertreter  und  um  so  siegsbewusster  tönte  seine  Stimme  über  die 
lärmende  Menge  hin.  Trotzdem  war  Kleon  klug  genug,  auch  die  Mittel 
anzuwenden,  deren  Wirksamkeit  er  selbst  an  Perikles  wahrgenommen 
hatte,  und  darin  bewährte  er  sein  aufserordentliches  Talent,  dass  er 
nicht  immer  einem  schlauen  Sklaven  gleich,  der  seinen  launischen 
Herrn  zu  beherrschen  weifs,  dem  Volke  nach  dem  Munde  redete, 
sondern  er  sagte  ihm  auch  mitunter  derbe  Wahrheiten  und  wusste 


Digitized  by  Google 


DIE  BERATHUINGE.N  ÜBER  MYTILE3E. 


455 


unter  Umständen  mit  grofsem  Glücke  den  Ton  perikleischer  Bered- 
samkeit anzuschlagen.  Dazu  bot  sich  ihm  in  der  myülenäischen  An- 
gelegenheit eine  besonders  günstige  Gelegenheit  dar. 

Als  die  Gefangenen  eingebracht  wurden,  beherrschte  die  Menge 
nur  ein  Gefühl,  der  Durst  nach  Rache,  und  dadurch  wurde  jede  ver- 
nünftige Erwägung  ausgeschlossen.  Der  Gegenstand  der  höchsten 
Wuth  war  Salaithos.  Was  ihn  betraf,  so  wagte  Niemand  ein  Wort  der 
Milde  oder  eine  Rücksicht  der  Vernunft  geltend  zu  machen,  obwohl 
der  vornehme  Spartaner,  wenn  er  als  Geisel  festgehalten  wurde,  von 
grofsem  Nutzen  sein  konnte  und  selbst  die  Rettung  der  Platäer  in  Aus- 
sicht stellte,  wenn  man  ihm  das  Leben  schenkte.  Er  wurde  sofort 
hingerichtet,  üeber  die  Mytilenäer  wurde  in  der  Bürgerschaft  berat- 
schlagt, und  verschiedene  Anträge  wurden  gestellt.  Die  Einen  redeten 
der  Milde  das  Wort,  die  Anderen  verlangten,  dass  die  ganze  waffen- 
fähige Mannschaft  der  Insel  getödtet,  die  übrigen  Einwohner  als 
Sklaven  verkauft  werden  sollten.  Im  Sinne  der  Ersteren  sprach  Dio- 
dotos,  der  Sohn  des  Eukrates,  der  Wortführer  der  Gemäßigten,  welche 
zwischen  Schuldigen  und  Unschuldigen  einen  Unterschied  machen 
wollten. 

Man  wusste  ja,  dass  in  Mytilene  nur  die  Regierungspartei  den 
Aufstand  erregt,  dass  der  gröfsere  Theil  der  Bevölkerung  daran  voll- 
kommen unbetheiligt  war,  ja  dass  er  sogar  von  dem  Augenblicke  an, 
da  er  die  Waffen  in  der  Hand  hatte ,  die  Regierung  zur  Unterhandlung 
mit  Athen  gezwungen  halle.  Man  sollte  denken,  diese  Erwägung 
hätte  auch  bei  der  leidenschaftlichsten  Erregung  Eingang  finden  und 
die  Beschlüsse  der  Bürgerschaft  bestimmen  müssen.  Allein  das  Ge- 
gentheil  fand  statt.  Kleon  hatte  die  Parole  gegeben ,  dass  man  das 
Kriegsrecht  in  seiner  unbedingtesten  Härte  geltend  machen  müsse. 
Ein  zweiter  Aufruhr  dieser  Art  könne  die  Herrschaft  Athens  und  alle 
Vorlheile,  welche  sie  den  Bürgern  gewähre,  vernichten.  Darum  müsse 
ein  schreckendes  Beispiel  gegeben  und  kein  Unterschied  zwischen  den 
Mytilenäern  gemacht  werden.  Dieser  Beschluss  ging  durch,  und  un- 
verzüglich wurde  die  Triere  abgefertigt,  welche  segelfertig  im  Peiraieus 
lag,  um  Paches  die  entsprechende  Instruction  zu  überbringen. 

Aber  kaum  hatte  sich  die  Bürgerschaft  getrennt,  so  machte  sich 
in  der  öffentlichen  Meinung  eine  Gegenströmung  bemerklich.  Viele, 
die  in  der  tobenden  Volksversammlung  nicht  Muth  und  Kraft  genug 
gehabt  hatten,  der  Stimme  ihres  Gewissens  zu  folgen,  waren  nun,  ein- 


Digitized  by  Google 


456 


DIE  BERATH UNGEN  ÜBEN  MYTILEKE. 


zein  genommen,  ruhigeren  Erwägungen  zugänglich  und  erschraken 
über  ihre  Theilnahme  an  einer  so  entsetzlichen  That. 

Die  Führer  der  Minorität  benutzten  diese  Stimmung;  die  Myti- 
lenäer,  welche  als  Gesandte  in  Athen  anwesend  waren,  verbanden  sich 
mit  ihnen  zu  eifrigster  Thätigkeit,  und  so  gelang  es,  die  Prytanen  zu 
bewegen,  dass  sie  am  anderen  Tage  eine  neue  Versammlung  beriefen, 
obgleich  es  gegen  die  Grundsätze  des  altischen  Staatsrechts  war,  über 
einen  durch  Volksbeschluss  erledigten  Gegenstand  von  Neuem  ab- 
stimmen zu  lassen.  Die  neue  Beralhung  war  ein  Angriff  auf  die  All- 
gewalt des  Kleon;  er  mussle  seine  ganze  Beredsamkeit  aufbieten,  um 
den  ersten  Beschluss  aufrecht  zu  erhalten,  er  musste  zugleich  die 
günstige  Gelegenheit  benutzen  ,  als  Vertreter  der  Gesetze  sich  geltend 
zu  machen,  den  Abfall  von  seiner  Meinung  als  Schwäche  und  Wankel- 
muth  darzustellen  und  die,  welche  sich  vorzugsweise  für  die  Gebildeten 
ausgäben,  als  die  Verführer  des  Volks  zu  schelten. 

Da  zeige  sich ,  sagte  er ,  von  Neuem ,  was  er  so  oft  gesagt  habe, 
wie  unfähig  eine  Demokratie  sei,  andere  Staaten  zu  regieren,  denn 
nichts  sei  verkehrter,  als  die  Gemüthlichkeit,  wie  sie  unter  Mitbürgern 
herrsche,  auf  die  auswärtigen  Verhältnisse  zu  übertragen.  Man  müsse 
denMuth  haben,  allen  gutmüthigen  Täuschungen  zu  entsagen.  Die 
Herrschaft  im  Archipelagus  sei  eine  Gewaltherrschaft,  die  sogenannten 
Bundesgenossen  seien  nichts,  als  lauernde  Feinde;  da  sei  für  Milde  und 
Nachsicht  kein  Dank  zu  gewinnen;  das  Schlimmste  aber  sei  Schwäche 
und  Wankelmuth.  Die  Gesetze  verböten  wohlweislich  die  Erneuerung 
abgeschlossener  Verhandlungen,  aber  was  kümmerten  sich  die  Athener 
um  Herkommen  und  Gesetze !  Dazu  wären  sie  viel  zu  klug  und  ge- 
bildet. Der  Staat  aber  wäre  besser  daran,  wenn  sie  weniger  klug  und 
dafür  treuer  den  Gesetzen  wären;  besser  mangelhafte  Gesetze,  die  be- 
folgt würden,  als  die  besten  Gesetze,  die  nicht  zur  Ausführung  kommen. 
'Ich  bin  immer  derselbe',  sagte  er  dann  mit  unverkennbarer  Aneig- 
nung einer  Wendung,  welche  in  Perikles'  Munde  oft  eine  mächtige 
Wirkung  zur  Folge  gehabt  halte.  'Ihr  Athener  aber  lasst  euch  immer 
'wieder  an  dem  für  Recht  Erkannten  irre  machen,  weil  ihr  den  Reden 
'zuhört,  als  wenn  ihr  im  Schauspiele  säfset,  und  die  Kunst  der  Redner 
'ist  es,  die  euch  beschäftigt,  nicht  die  Lage  der  Dinge.  Die  Mylilenäer 
'haben  ohne  alle  Ursache  den  verderblichsten  Aufruhr  begonnen  und 
'alle  Mittel  aufgeboten,  euren  Staat  zu  vernichten.  Darum  komme  als 
'gerechte  Strafe  die  Vernichtung  über  sie.  Gutherzige  Milde  wird  nur 


Digitized  by  Google 


KLEOÜ  ÜJtD  DIODOTOS. 


457 


'neuen  Abfall  zur  Folge  haben  und  neuen  Verlust  an  Menschen  und 
'Geld;  eure  arglistigen  Feinde  aber  werden,  wenn  sie  siegen,  eure 
'Milde  euch  schlecht  belohnen.' 

Dieser  klugberechne ten  Rede,  welche  scheinbar  das  Volk  meisterte, 
in  Wahrheit  aber  nur  seiner  Rachbegier  und  seinem  Hasse  schmei- 
chelte, trat  Diodotos,  derselbe,  welcher  schon  in  der  ersten  Volksver- 
sammlung wider  Kleon  gesprochen  halte,  männlich  und  fest  entgegen. 
Nicht  mit  entlehnten  Wendungen  perikleischer  Beredsamkeit,  sondern 
im  Geiste  derselben  vertrat  er  das  besonnene  Wort  als  das  Heil  des 
Staats  und  bezeichnete  diejenigen,  welche  das  Volk  zu  unüberlegten 
Handlungen  drängten,  als  die  Feinde  des  Staats,  deren  Rathschläge  der 
Art  wären,  dass  sie  eine  eingehende  Prüfung  derselben  scheuen 
müssten,  und  welche  zu  dem  Mittel  dreister  Verleumdung  griffen,  um 
alle  Staatsmänner  entgegenstehender  Ansichten  von  der  Rednerbühne 
zu  verscheuchen.  Diodotos  will  die  Mytilenäer  nicht  vertheidigen ,  er 
will  keine  Rührung  hervorrufen.  Auch  soll  die  Angelegenheit  nicht 
als  ein  Rechtshandel  aufgefasst  werden,  sondern  als  eine  politische 
Frage,  von  welcher  Ilass  und  Leidenschaft  fern  zu  hallen  ist.  Es 
handle  sich  überhaupt  nicht  um  einen  einzelnen  Fall,  sondern  um  die 
Politik  des  Staats  im  Ganzen  und  um  das,  was  für  die  Zukunft  das 
Heilsame  sei;  Kleons  Abschreckungstheorie  sei  verkehrt  und  unpoli- 
tisch. Mafslose  Strenge  werde  neuen  Abfällen  nicht  vorbeugen,  son- 
dern nur  dazu  führen,  dass  die  Gegenwehr  um  so  verzweifelter,  die 
Unterwerfung  um  so  kostspieliger  und  der  Ruin  der  Bundesgenossen, 
deren  Wohlfahrt  die  Grundlage  der  attischen  Macht  sei,  um  so  voll- 
ständiger werde.  Durch  Hass  und  Leidenschaft  werde  man  sich  die 
attisch  gesinnte  Partei  an  allen  Orten  entfremden;  Gerechtigkeit  und 
Grofsmuth  sei  das  einzige  Mittel,  neuen  Abfall  zu  verhüten. 

Unter  ungeheurer  Aufregung  wurde  endlich  durch  Handaufheben 
abgestimmt  und  eine  geringe  Mehrheit  entschied  zu  Gunsten  Diodotos'. 
Die  Partei  der  Gemässigten  hatte  diesmal  den  Terrorismus  des  Dema- 
gogen gebrochen  und  von  einer  entsetzlichen  Blutschuld  das  Gewissen 
und  die  Ehre  der  Stadt  befreit.  Aber  nun  kam  es  darauf  an,  dass  der 
neue  Beschluss  für  die  Verurteilten  nicht  wirkungslos  sei.  Die  Gefahr 
war  grofs ;  das  Schiff  mit  dem  Blutbefehle  hatte  einen  Vorsprung  von 
24  Stunden.  Es  geschah,  was  möglich  war;  die  mytilenäischen  Ge- 
sandten versahen  die  Besatzung  des  zweiten  Schiffs  mit  Vorräthen, 
setzten  ihr  grofse  Belohnungen  aus  und  erreichten  es,  dass  auf  der 


Digitized  by  Google 


458 


BESTRAFUNG  MYTILENES  (88,  1;  427). 


ganzen  Fahrt  bis  Lesbos  unablässig  gerudert  wurde.  Das  Wetter  war 
günstig;  die  Mannschaft  des  ersten  Schiffs  war  zum  Glück  weniger 
eifrig  gewesen  und  so  gelang  es,  dass  die  Botschaft  der  Gnade  recht- 
zeitig ankam ,  um  einer  Menge  von  vielen  tausend  unschuldigen  My ti- 
lenäern  das  Leben  zu  retten. 

Auch  so  war  der  Ausgang  des  Kriegs  blutig  genug;  denn  über 
tausend  waren  es,  welche  auf  Kleons  Antrag  hingerichtet  wurden.  Es 
war  die  Gesamtzahl  derer,  welche  als  engere  Bürgerschaft  die  Regie- 
rung der  Stadt  in  Händen  gehabt  hatten ;  mit  ihr  war  die  ganze  Aristo- 
kratie vernichtet.  Die  Insel  wurde  als  Siegesbeute  behandelt;  alle 
Kriegsschiffe  wurden  ausgeliefert,  die  Befestigungen  zerstört;  die  Län- 
dereien aller  Inselstädte  mit  Ausnahme  von  Methymna,  das  seine  Selb- 
ständigkeit und  seine  Flotte  behielt,  wurden  eingezogen  und  daraus 
3000  Landloose  gemacht,  von  denen  300  als  Zehnter  den  Göttern  zu- 
gewiesen, die  übrigen  an  attische  Bürger  ausgetheilt  wurden.  Indessen 
blieben  die  alten  Besitzer  auf  ihrem  Grund  und  Boden  und  zahlten  den 
neuen  Eigentümern  von  jedem  Landstücke  ein  jährliches  Pachtgeld 
von  2  Minen  (150  M.).  Ein  Theil  der  Athener  blieb  als  Besatzung 
dort;  die  Mehrzahl  kehrte  nach  Athen  zurück  und  bezog  dort  die 
Rente  ihrer  überseeischen  Besitzungen.  Eine  Anzahl  von  Städten  an 
der  troischen  Küste,  (der  sogenannten  Akte) ,  welche  von  den  Mytile- 
näern  abhängig  gewesen  waren  und  ihnen  gesteuert  hatten,  traten 
nun  als  selbständige  Städte  in  den  attischen  Bund  und  zahlten  ihren 
Tribut  nach  Athen48). 

Die  Peloponnesier  hatten  für  das  Unglück  von  Mytilene  und  die 
Schmach,  welche  ihnen  daraus  erwuchs,  keinen  anderen  Trost  als  die 
Aussicht  auf  den  bevorstehenden  Fall  von  PlataiaL 

Zweihundert  Platäer  und  fünfundzwanzig  Athener  waren  in  der 
Stadt  zurückgeblieben  und  hielten  sich  bis  in  den  Sommer  hinein.  Da 
gingen  die  letzten  Lebensmittel  aus,  und  keine  Hülfe  zeigte  sich.  Wohl 
fragt  man  mit  Recht,  warum  denn  die  Athener  nichts  thaten,  um  die 
Unglücklichen  zu  retten,  welche  nur  im  Vertrauen  auf  die  zugesagte 
Bundeshülfe  alle  günstigen  Anerbietungen  des  Archidamos  zurückge- 
wiesen hatten?  Konnten  doch  die  Athener  über  eine  Landmacht  von 
13,000  Schwerbewaffneten  gebieten  und  alljährlich  in  Megara  ein- 
fallen; sollte  es  ihnen  unmöglich  gewesen  sein,  die  Bürger  zu  retten, 
wenn  sie  auch  die  Stadt  nicht  zu  halten  vermochten? 

Die  Uiithätigkeit  der  Athener  lässt  sich  in  der  That  nur  daraus 


Digitized  by  Google 


ÜDERGABE  VON  PLATAlAl. 


459 


erklären,  dass  sie  immer  einseiliger  ihre  ganze  Aufmerksamkeit  dem 
Meere  zuwendeten  und  sich  dadurch  ganz  entwöhnt  hatten,  zu  Lande 
etwas  Entschlossenes  zu  wagen.  Ein  stehendes  Landheer  war  ja  nicht 
da;  es  bedurfte  also  zu  jedem  Auszuge  einer  gunstigen  Stimmung  und 
einer  dringenden  Veranlassung;  sittliche  Verbindlichkeiten,  wie  sie  hier 
obwalteten,  traten  im  demokratischen  Athen,  wie  es  jetzt  war,  aber 
immer  mehr  zurück.  Dazu  kamen  die  schlimmen  Erfahrungen,  welche 
man  auf  böo  tischen  Feldzügen  gemacht  hatte;  auch  hatten  die  The- 
baner  gewiss  das  Mögliche  gelhan,  um  jeden  Zuzug  zu  erschweren 
und  ihres  Schlachtopfers  gewiss  zu  sein.  Endlich  konnten  die  Athener 
die  Ueberzeugung  hegen,  dass  sie  nach  Uebergabe  der  Stadt  bald  Ge- 
legenheit haben  würden,  die  braven  Platäer  aus  den  Händen  der  Spar- 
taner wieder  auszulösen;  denn  wie  konnte  man  voraussetzen,  dass  die 
Platäer  anders  als  wie  Kriegsgefangene  behandelt  werden  würden!  Am 
wenigsten  zu  erklären  und  zu  entschuldigen  bleibt  freilich  immer,  dass 
man  bei  der  Behandlung  der  Mytilenäer  und  namentlich  des  Salaithos 
(S.  455)  gar  keine  Rücksicht  auf  das  Schicksal  der  Platäer  nahm, 
welche  doch  drei  und  neunzig  Jahre  lang  mit  beispielloser  Treue  unter 
den  schwierigsten  Verhältnissen  an  der  attischen  Bundesgenossenschaft 
fest  gehalten  hatten. 

Indessen  hatten  die  Feinde,  welche  blutdürstig  auf  den  Fall  der 
Stadt  lauerten,  während  der  langen  Belagerungszeit  ganz  andere  Pläne 
ausgebrütet,  als  man  auch  in  diesen  Kriegszeiten  für  möglich  gehalten 
hatte,  und  sie  sollten  nun  verwirklicht  werden. 

Ein  Angriff  auf  die  Mauern  überzeugte  die  Belagerer,  dass  die  von 
Hunger  entkräftete  Besatzung  zu  jedem  Widerstande  unfähig  wäre.  Sie 
hüteten  sich  aber,  mit  Gewalt  einzudringen,  sondern  liefsen  durch 
einen  Herold  zur  Uebergabe  auffordern;  denn  auch  jetzt  noch  sollte 
der  Schein  gewahrt  werden,  als  wenn  die  Stadt  sich  freiwillig  der  pelo- 
ponnesischen  Sache  angeschlossen  habe!  Man  wollte  nämlich  auch  für 
den  Fall,  dass  etwa  in  künftigen  Verträgen  die  Rückgabe  der  mit  Waffen- 
gewalt genommenen  Städte  ausgemacht  werden  sollte,  des  Besitzes  von 
Plataiai  gewiss  sein.  Auf  das  feierliche  Versprechen,  dass  Keinem  wider 
Recht  ein  Leid  geschehen  sollte,  ward  die  Stadt  übergeben.  Und 
allerdings  wurde  nun  ein  Gericht  eingesetzt,  ein  Gericht  aus  fünf 
Spartanern,  die  dazu  von  Sparta  gesandt  wurden;  unter  ihnen  war 
Aristomenidas,  von  dem  wir  wissen,  dass  er  ein  Parteigänger  der 
Thebaner  war.  Ebenso  wird  es  mit  den  Andern  gewesen  sein.  Denn 


Digitized  by  Google 


4G0 


VERHANDLUNGEN  ÜBER  DIE  PL  ATA  KI'.. 


das  ganze  Rech U verfahren  war  nur  eine  schnöde  Verhöhnung  aller 
Rechlsgrundsätze,  eine  unwürdige  Komödie,  die  nach  arglistiger 
Verabredung  zwischen  Theben  und  Sparta  mit  dem  Leben  der 
Unglücklichen  gespielt  wurde.  Statt  eines  kriegsrechtlichen  Verhörs 
wurde  ihnen  blofs  die  Frage  vorgelegt,  ob  sie  im  Laufe  des  Kriegs 
den  Peloponnesiern  und  ihren  Bundesgenossen  etwas  Gutes  erwiesen 
hätten;  die  bekannte  Frage  der  Spartaner  (S.  375),  welche  auf  dem 
von  ihnen  ersonnenen  Grundsatze  beruhte,  dass,  wer  wider  Sparta 
sei,  als  Vaterlandsverräter  gelten  müsse. 

Diese  Fragestellung  rousste  den  Platäern  jede  Täuschung  be- 
nehmen. Dennoch  erprobten  sie  noch  einmal  die  Kraft  des  Wortes. 
Lakon,  dessen  Name  schon  an  die  engen  Familienverbindungen  zwi- 
schen Sparta  und  Plataiai  erinnerte,  welche  aus  der  Zeit  des  Pausanias 
stammten,  und  Astymachos  waren  die  Sprecher.  Sie  konnten  nicht 
blofs  die  Verdienste  ihrer  Stadt  um  das  gesamte  Vaterland  hervor- 
heben, sondern  auch  des  Zuzugs  gedenken,  welchen  sie  den  Spartanern 
im  üelotenkriege  geleistet  hätten;  ihr  Bundesverhällniss  zu  Athen  sei 
auf  Sparlas  Anweisung  geschlossen,  ihre  Feindschaft  mit  Theben  durch 
thebanischen  Angriff  verursacht,  der  mitten  im  Frieden  und  gar  in  fest- 
licher Zeit  erfolgt  sei.  Sie  wiesen  die  Spartaner  hin  auf  die  Gräber 
ihrer  Väter,  die  in  platäischem  Boden  ruhten  und  alljährlich  mit 
Opferspenden  aus  den  Früchten  desselben  geehrt  würden.  Diese 
heiligen  Dienste  würden  zerstört  und  die  Ueldengräber  entweiht,  wenn 
die  Bundesgenossen  der  Meder  die  platäische  Mark  beherrschten.  Sie 
hielten  Sparta  die  Pflicht  vor,  sich  einen  guten  Namen  bei  den  Hellenen 
zu  erhalten,  sie  erinnerten  endlich  an  die  letzte  feierliche  Verabredung; 
denn  wenn  sie,  statt  vertragsmäfsig  gerichtet  zu  werden,  der  Rache 
ihrer  Feinde  preisgegeben  werden  sollten,  so  wollten  sie  lieber  in  ihre 
Ringmauer  zurückkehren,  um  dort  Hungers  zu  sterben. 

Niemals  ist  wohl  eine  gerechte  Sache  in  würdigerer  Weise  ver- 
treten worden,  und  obwohl  das  Urteil  lange  vor  diesem  Schein prozesse 
entschieden  war,  besorgten  dieThebaner  dennoch,  dass  .die  Rede  einen 
Eindruck  machen  könnte.  Nachdem  also  ihren  Feinden  gegen  die  Ver- 
abredung das  Wort  gegeben  war,  verlangten  auch  sie  das  Wort  und 
stellten  einen  Redner  aus  ihrer  Milte,  welcher  die  Ansprüche  wie  die 
Beschuldigungen  ihrer  Gegner  als  nichtig  erweisen  sollte.  Ihr  Angriff 
auf  Plataiai,  liefsen  sie  ihn  sagen,  sei  durch  angesehene  Bürger  dieser 
Stadt  veranlasst  worden,  und  er  habe  nichts  als  eine  friedliche  Zurück- 


Digitized  by  Google 


VERHANDLUNGEN  ÜBER  DIB  PLATAER. 


461 


führung  der  abtrünnigen  Gemeinde  zur  Absicht  gehabt.  Denn  die  Unter- 
ordnung von  Plataiai  unter  die  Hauptstadt  des  Landes  sei  das  normale 
Verhältniss;  Plataiai  sei  eine  Tochterstadt  Thebens  (also  auch  hier 
wurden  Colonialrechte  geltend  gemacht),  ihre  Abtrennung  daher  ein 
Abfall.  Durch  den  unnatürlichen  Anschluss  an  eine  fremde  Stadt  seien 
die  Plataer  von  Athen  abhängig  geworden;  ihre  Haltung  im  Perser- 
kriege sei  also  nicht  ihr  Verdienst,  und  eben  so  wenig  könne  man  das 
jetzige  Theben  für  seine  damalige  Politik  verantwortlich  machen.  Das 
seien  abgethane  Dinge;  seitdem  habe  sich  Alles  umgekehrt.  Denn  seit 
an  Stelle  der  Perser  die  Athener  als  Feinde  griechischer  Freiheit  auf- 
getreten seien,  da  hätten  sich  die  Plataer  dazu  hergegeben,  die  Ge- 
nossen Athens  bei  jeder  Ungerechtigkeit  gegen  griechische  Staaten, 
gegen  Aigina  u.  s.  w.  zu  sein.  Ihre  Ehrenlhaten  hätten  sie  unfreiwillig, 
ihre  Scbandlhaten  freiwillig  begangen,  während  die  Thebaner  mit  aller 
Aufopferung  der  attischen  Eroberungspolitik  widerstanden  und  bei 
Koroneia  die  Unabhängigkeit  Mittelgriechenlands  wieder  hergestellt 
hätten.  Das  werde  Sparta,  die  Hüterin  des  Rechts,  anzuerkennen 
wissen  und,  durch  schwungvolle  Reden  unbeirrt,  ohne  weichliche 
Schwäche,  den  Einen  die  verdiente  Anerkennung,  den  Anderen  die  ge- 
rechte Strafe  zu  Theil  werden  lassen. 

Merkwürdig  ist  die  Rede  besonders  dadurch,  dass  zwei  gleich- 
berechtigte Kriegsparteien  gar  nicht  anerkannt  werden;  hier  finden  wir 
die  peloponnesische  Kriegstheorie  also  vollkommen  durchgeführt,  dass 
freiwilliger  Anschluss  an  Athen  eine  Auflehnung  gegen  Hellas  und  als 
ttundesverrath  zu  bestrafen  sei.  Bundestreue  gegen  Athen  wird  nur  als 
Mitschuld  an  seinen  Verbrechen  angesehen. 

Durch  diese  Rede  war  der  Eindruck  der  früheren  verwischt.  Die 
Spartaner  waren  nicht  gesonnen,  eine  ihnen  so  vorteilhafte  und  von 
ihnen  selbst  aufgestellte  Ansicht  der  Staatenverhältnisse  zurückzu- 
weisen; sie  nahmen  die  Blutschuld  auf  sich,  welche  die  Rachsucht 
Thebens  auf  ihr  Haupt  wälzte.  Das  ganze  Gerichtsverfahren  kehrte  zu 
der  ersten  Frage  zurück,  ob  die  Angeklagten  nachweisen  könnten,  für 
Sparta  und  seine  Bundesgenossen  etwas  Nützliches  gelhan  zu  haben, 
und  da  diese  Frage  Keiner  bejahen  konnte,  so  wurden  alle  200  Plataer 
und  aufserdem  die  25  Athener  vor  den  Augen  ihrer  Feinde  Einer  nach 
dem  Andern  hingerichtet.  Die  Frauen  wurden  Sklavinnen.  Stadt  und 
Gebiet  wurden  den  Thebanern  übergeben ,  welche  Leute  ihrer  Partei 
aus  Megara  und  aus  der  früheren  Bürgerschaft  von  Plataiai  vorläufig 


Digitized  by  Google 


462 


PARTEIUNG  IN  KERKYRA. 


dorl  wohnen  liefsen.  Später  wurde  die  ganze  Stadt  mit  Ausnahme  der 
Heiligthümer  von  Grund  aus  zerstört  und  die  Reisenden,  welche  des 
Wegs  kamen,  fanden  auf  dem  Öden  Räume  keine  andere  Wohnung  als 
eine  mit  dem  Heralempel  verbundene  Herberge49). 


Inzwischen  war  die  spartanische  Flotte  auf  ihrer  Flucht  vor  den 
attischen  WachtschifTen  (S.  449)  bis  nach  Kreta  hinunter  verschlagen 
worden  und  hatte  sich  erst  allmählich  wieder  an  der  peloponnesischen 
Küste  zusammengefunden,  wo  eine  neue  Bestimmung  ihrer  wartete. 
Die  Spartaner  wollten  nämlich  die  einmal  gemachten  Rüstungen 
benutzen,  um  sich  während  der  Zeit,  da  das  Augenmerk  ganz  nach 
den  kleinasiatischen  Gegenden  gerichtet  war,  rasch  auf  die  entgegen- 
gesetzte Meerseite  zu  werfen,  wo  augenblicklich  keine  feindliche 
Macht  vorhanden  war,  abgesehen  von  einem  Geschwader  von  zwölf 
Kriegsschiffen  auf  der  Station  Naupaktos. 

Zu  diesem  Zwecke  wurde  Brasidas  dem  unfähigen  Admiral  an 
die  Seite  gestellt.  Er  war  es  ohne  Zweifel,  welcher  zu  diesem 
neuen  Entschlüsse  die  spartanischen  Behörden  vermocht  und  sich 
deshalb  mit  den  Korinthern  verständigt  hatte.  Denn  diese  bewiesen 
sich  auch  jetzt  als  die  einzigen  Peloponnesier,  welche  eine  bestimmte 
Politik  mit  Energie  und  Klugheit  verfolgten  und  jeden  Vortheil  zu 
benutzen  wussten.  Sic  hatten  noch  vom  epidamnischen  Kriege  her 
250  angesehene  Kerkyräer  als  Kriegsgefangene,  und  weit  entfernt, 
dieselben  nach  Art  der  Spartaner  und  Thebaner  einer  rohen  Rach- 
gier preiszugeben,  hatten  sie  Alles  gethan,  diese  Männer  für  sich  zu 
gewinnen,  die  Abneigung  gegen  Athen  in  ihnen  zu  nähren  und  die 
gemeinschaftlichen  Interessen  der  Kerkyräer  und  Peloponnesier  ihnen 
deutlich  zu  machen;  sobald  sie  aber  gewiss  waren,  dass  die  Ge- 
fangenen ihnen  als  Werkzeuge  ihrer  Politik  in  der  Heimalh  dienen 
würden,  hatten  sie  dieselben  unbeschädigt  entlassen.  Gleichzeitig 
hatten  sie  Sparta  von  dem  zu  erwartenden  Umschwünge  der  Ver- 
hältnisse in  Kerkyra  benachrichtigt  und  zur  Unterstützung  desselben 
durch  die  Flotte  dringend  aufgefordert. 

In  Kerkyra  war  inzwischen  mit  dem  Anschlüsse  an  Athen  die 
demokratische  Partei  an  das  Ruder  gekommen,  und  um  so  eifriger 
waren  nun  die  entlassenen  Kriegsgefangenen,  welche  den  früher 
regierenden  Familien  der  reichen  Kapitalisten  angehörten;  denn  die 


Digitized  by  Google 


BL'RGERFEHDB  IN  KERKYRA  (SS.  «i  427). 


463 


peloponnesischen  Interessen  fielen  mit  ihren  eigenen  Sundesinteressen 
zusammen.  Sie  gingen  von  Haus  zu  Haus,  um  ihre  Mitbürger  zu 
gewinnen;  die  ganze  Bürgerschaft  wurde  in  die  heftigste  Aufregung 
versetzt;  auf  allen  Strafsen  und  Plätzen  wurde  über  Politik  gehadert, 
und  als  um  dieselbe  Zeit  eine  attische  und  eine  korinthische  Triere 
ankamen,  beide  mit  Abgeordneten  ihrer  Staaten,  so  wurde  in  ihrem 
Beisein  der  Beschluss  gefasst,  dass  man  zwar  die  Verträge  mit  Athen 
aufrecht  erhalten,  aber  zugleich  mit  den  Peloponnesiern  wieder  freund- 
schaftliche Beziehungen  anknüpfen  wolle.  Eis  lässt  sich  denken,  dass 
das  Schicksal  von  Mytilene  einen  grofsen  Schrecken  verursacht  halte, 
und  dass  die  Bürgerschaft  deshalb  eifrig  wünschte,  sich  eine  möglichst 
freie  Stellung  zwischen  den  kriegführenden  Parteien  zu  sichern.  In- 
dessen war  dies  eine  halbe  Mafsregel,  die  gar  nicht  durchzuführen  war, 
und  welche  den  korinthischen  Parteigangern  auch  nicht  genügen 
konnte.  Sie  mussten  also  zu  schärferen  Mitteln  greifen,  um  die 
regierende  Partei  zu  stürzen. 

An  der  Spitze  der  letzteren  stand  Peithias,  der  Gastfreund 
Athens;  er  war  Mitglied  des  Raths  und  der  einflussreichste  Staats- 
mann. Er  wurde  also  verrä Iberischer  Verbindungen  mit  den  Athenern, 
denen  er  die  Insel  ausliefern  wolle,  angeklagt;  aber  Peithias  verstand 
es,  sich  von  jedem  Verdachte  zu  reinigen.  Dabei  liefe  er  es  aber  nicht 
bewenden,  sondern  griff  nun  seinerseits  fünf  der  reichsten  Mitbürger, 
welche  die  Gegenpartei  führten,  an  und  zwar  mit  der  Anklage,  dass 
sie  aus  heiligen  Waldungen  Holzpfahle  für  ihre  Weinberge  hätten 
sclüagen  lassen.  Sie  wurden  verurteilt;  auch  die  erbetene  Erleich- 
terung in  Abzahlung  der  Bufee  wurde  ihnen  abgeschlagen. 

Es  war  eine  Niederlage  der  ganzen  Partei,  und  Peithias  war  ent- 
schlossen, dieselbe  zu  benutzen,  um  noch  vor  seinem  Austritte  aus 
dem  Rath  an  Stelle  der  bisherigen  Vertrage  ein  vollständiges  Bundes- 
verhältniss  mit  Athen  zu  Stande  zu  bringen.  Da  griffen  seine  Gegner 
zu  Gewaltmitteln;  sie  stürmten  mit  Dolchen  in  das  Rathhaus,  lödteten 
Peithias  nebst  einer  grofsen  Zahl  seiner  Amtsgenossen,  traten  dann 
vor  das  Volk  und  rechtfertigten  ihre  Tbat  als  ein  notwendiges  Mittel, 
um  Kerkyra  vor  drohender  Knechtschaft  zu  bewahren.  Die  alte  Neu- 
tralitätspolitik sollte  nun  wieder  eingeführt  werden  und  fremde  Schiffe 
sollten  nur  einzeln  in  die  Häfen  zugelassen  werden ;  zugleich  schickte 
die  neue  Regierung  Abgeordnete  nach  Athen,  um  das  Geschehene  dort 
im  günstigsten  Lichte  darzustellen. 


Digitized  by  Google 


464 


DIE  KÄMPFE  IN  KEIlKYRA. 


Aber  diese  Schreckensherrschaft  der  Aristokraten,  die  sich  durch 
Anwesenheit  der  korinthischen  Triere  ermulhigt  fühlten,  war  von 
kurzer  Dauer;  ihre  blutige  That  liefs  sich  nicht  beschönigen  noch  ver- 
gessen machen.  Die  ganze  Bürgerschaft  trennte  sich  in  zwei  Heerlager. 
Die  Vornehmen  besetzten  den  Markt,  um  den  herum  ihre  Häuser  und 
Waarenräume  lagen,  nebst  dem  Hafen,  der  dem  Festlande  gegenüber 
lag,  von  wo  sie  Zuzug  erwarteten;  das  Volk  besetzte  die  Burg  und  den 
anderen  Hafen.  Beide  Parteien  warben  die  Sklaven  für  sich,  die  aber 
vorzugsweise  der  Volkspartei  sich  anschlössen ;  die  Andern  verstärkten 
sich  durch  Miethstruppen  aus  Epeiros;  auch  die  Weiber  nahmen  in 
fanatischer  Wuth  am  Kampfe  Theil,  der  mitten  in  der  Stadt  ent- 
brannte. Denn  die  Volksmenge  drang  gegen  den  Markt  vor,  so  dass 
die  Aristokraten,  um  sich  zu  schützen,  die  ganze  Umgebung  desselben 
in  Brand  steckten.  Eine  Menge  von  Kaufmannsgütern  ging  in  Flammen 
auf,  und  als  die  Volkspartei  die  Oberhand  gewann,  fuhren  die  Korinther 
ab  und  die  Miethstruppen  zogen  sich  zurück. 

Statt  dessen  trifft  nun  Nikostratos  mit  den  12  Trieren  und  500 
Messeniern  aus  Naupaktos  ein.  Er  erlangt  einen  Stillstand  der  Bürger- 
fehde; die  zehn  Anstifter  der  Revolution,  die  sich  schon  geflüchtet 
hatten,  werden  zum  Tode  verurteilt,  und  Kerkyra  in  die  attische  Bun- 
desgenossenschaft aufgenommen.  Um  die  demokratische  Regierung 
zu  sichern,  erklärt  Nikostratos  sich  bereit,  fünf  seiner  Schiffe  zurück- 
zulassen und  statt  ihrer  firnf  kerkyräische  mitzunehmen.  Zur  Be- 
satzung derselben  werden  nun  lauter  Bürger  ausgewählt,  die  als 
Athenerfeinde  bekannt  waren.  Diese  weigern  sich ;  denn  sie  glauben 
nicht  anders,  als  dass  es  nur  darauf  abgesehen  sei ,  sie  der  Rache  der 
Athener  auszuliefern.  Sie  flüchten  sich  von  einer  heiligen  Statte  zur 
anderen.  Die  Wuth  des  Volks  steigt  mit  jedem  Tage  und  nur  durch 
Vermittlung  der  Athener  wird  ein  neues  Blutbad  vermieden. 

Während  dieser  furchtbaren  Spannung  kommt  endlich  die  Flotte 
des  Alkidas  und  Brasidas  in  Sicht,  welche  nach  dem  korinthischen 
Plane  bestimmt  war,  den  Umsturz  der  kerkyräischen  Regierung  zu 
unterstützen  (S.  462).  In  wilder  Angst  stürzen  die  Bürger  zu  den 
Schiften;  ohne  gehörige  Vorbereitung,  ohne  Plan  und  taub  gegen  den 
Rath  der  Athener,  gehen  sie  mit  einzelnen  Schiften  den  Feinden  ent- 
gegen. Die  Folge  war,  dass  sie  unglücklich  fochten  ;  dreizehn  Schifte 
wurden  genommen  und  die  übrigen  nur  durch  die  ruhige  Uner- 
schrockenheit  des  Nikostratos  gerettet,  welchem  die  Spartaner  bei 


Digitized  by 


AUSGANG  DER  FEHDEN  IN  KERKYRA. 


465 


aller  Uebermacbt  nichts  anhaben  konnten.  Die  ganze  Stadt  war  in 
peinlicher  Angst ;  die  Gefahr  war  grofs,  wenn  Alkidas  den  Muth  hatte, 
Brasidas'  Rath  zu  folgen  und  die  Stadt  unverzüglich  anzugreifen.  Statt 
dessen  machte  der  Admiral  eine  ganz  unnütze  Landung  am  südlichen 
Theüe  der  Insel,  und  damit  war  der  entscheidende  Moment  versäumt; 
denn  in  der  nächsten  Nacht  sah  man  die  Feuersignale  einer  grofsen 
Flotte.  Es  war  Euryniedon ,  der  Sohn  des  Thukles ,  der  auf  die  erste 
Kunde  von  den  Vorgängen  in  Kerkyra  mit  60  Schiffen  von  Athen  auf- 
gebrochen war.  Nun  war  Alkidas  auf  nichts  bedacht,  als  glücklich 
davon  zu  kommen,  und  sein  eiliger  Rückzug  entschied  die  Angelegen- 
heiten der  Kerkyräer. 

Die  Angst,  welche  die  Bürger  ausgestanden  hatten,  ging  nun  un- 
aufhaltsam in  die  grausamste  Rachsucht  über;  von  den  Aristokraten, 
die  in's  Heraion  geflohen  waren,  wurden  fünfzig  beredet,  sich  zur  Un- 
tersuchung zu  stellen  und  dann  sofort  hingerichtet;  die  auf  heiligem 
Boden  Zurückgebliebenen  tödteten  sich  gegenseitig.  Sieben  Tage  hin- 
durch wüthete  auf  der  Insel  der  entfesselte  Parteihass,  der  während 
des  Blutvergiefsens  immer  mehr  sich  steigerte;  die  angeborene  Roh- 
heit des  Inselvolks  offenbarte  sich  in  vollem  Mafse;  die  Betheiligung 
der  vielen  freigelassenen  Sklaven  kam  dazu,  ein  Schauspiel  des  Ent- 
setzens zu  veranlassen,  wie  es  in  Griechenland  noch  nicht  erlebt  war. 
Alle  bösen  Leidenschaften  kamen  zum  vollen  Ausbruche.  Unter  dem 
Vorwande  volksfeindlicher  Bestrebungen  wurden  Alle  ermordet,  die 
man  zu  verdächtigen  wusste;  die  Schuldner  entledigten  sich  ihrer 
Gläubiger,  Kinder  vergriffen  sich  an  ihren  Ellern.  Keine  Bande  des 
Bluts  galten  mehr,  keine  Scheu  vor  dem  Heiligen  war  vorhanden. 
Dennoch  wurde  kein  vollständiger  Sieg  der  Volkspartei  erzielt.  Fünf- 
hundert entschlossene  Männer  der  Gegenpartei  verschanzten  sich  auf 
dem  Festlande,  schnitten  der  Stadl  die  Zufuhr  ab,  gingen  später  sogar 
auf  die  Insel  zurück,  verbrannten  ihre  Schifle  und  setzten  sich  auf  der 
Berghöhe  von  Islone  fest,  um  von  hier  das  platte  Land  zu  brand- 
schatzen 60). 

So  war  für  die  Peloponnesier  auch  diese  mit  so  grofser  Schlau- 
heit von  Seilen  Korinlhs  vorbereitete  Unternehmung  auf  Kerkyra  gänz- 
lich verunglückt,  eben  so  wie  der  Seezug  nach  Mylilene;  hier  wie  dort 
war  der  günstige  Moment  versäumt,  hier  wie  dort  nur  Schande  ge- 
emdtet  und  die  Partei,  welche  auf  Sparta  gehofft  hatte,  dadurch  in 
das  gröfste  Elend  gebracht,  ja  so  gut  wie  vernichtet.    Zu  Lande  war 

Curtiu»,  Gr.  Gwcb.  II.  «.  Aull.  30 


Digitized  by  Google 


Am 


SITTLICHE   FOLGEN   DES  KHIF.GS. 


ebenfalls  nach  sechs  Feldzügen  trotz  der  aufserordenüichen  Schwächung, 
welche  Athen  durch  die  Krankheit  erlitten  hatte,  nichts  erlangt  als  die 
Vernichtung  der  kleinen  Stadt  Plataiai.  Die  Spartaner  hatten  an  Ach- 
tung und  Vertrauen  nur  verloren;  ihre  Verheifsungen  waren  alle  uner- 
füllt geblieben,  ihre  Anstrengungen  überall  erfolglos. 

Nur  ein  Resultat  des  Kriegs  lag  unzweifelhaft  vor,  das  war  die 
mit  entsetzlicher  Schnelligkeit  um  sich  greifende  Verwilderung  des 
hellenischen  Volks.  Alles  Böse  der  menschlichen  Natur,  das  bis  dahin 
durch  Religion,  Gewissen  und  Vernunft  gebunden  gehalten  wurde, 
brach  unverhalten  und  ohne  Scheu  hervor.  Denn  da  allgemeine  Ge- 
setze der  Humanität  den  Alten  unbekannt  waren,  so  beruhte  ihr  sitt- 
liches Verhalten  vorzugsweise  auf  den  Verpflichtungen  gegen  Staat  und 
Volk.  Das  Gefühl  eines  bruderlichen  Verhältnisses  vereinigte  Alle, 
welche  gleiche  Sprache,  Sitte  und  Gottesverehrung  hatten ,  und  der 
Hellene  hatte  ein  Recht  darauf,  von  jedem  Volksgenossen  sich  alles 
Guten  zu  versehen.  Mit  der  Auflösung  dieses  Bandes,  welches  Phei- 
dias  in  Olympia  von  Neuem  zu  knüpfen  gesucht  hatte,  war  die  ganze 
Sittlichkeit  des  Volks  untergraben  und  jede  Haltung  verloren.  Die 
Verfeindung,  die  den  Kampf  hervorgerufen,  hatte  sich  im  Kampfe 
furchtbar  gesteigert.  Die  fromme  Scheu,  Hellcnenblut  zu  vergiefsen, 
war  wie  ausgelöscht.  Selbst  ohne  Rücksicht  auf  Gewinn  und  Nutzen 
wurden  die  Gefangenen  einer  erbarmungslosen  Rachsucht  geopfert, 
und  gegen  die  Spartaner,  welche  auf  ihrem  ruhmlosen  Zuge  längs  der 
Küste  Kleinasiens  wehrlose  Einwohner  tödtcten,  welche  dann  nach 
langem  Vorbedachte  den  ganzen  Ueberrest  einer  hellenischen  Gemeinde 
erwürgten  und  den  ehrlosen  Treubruch  noch  durch  heuchlerische 
Formen  rechtlicher  und  religiöser  Gebräuche  zu  verstecken  suchten, 
erscheint  selbst  der  Zorn  der  Athener  über  den  vcrrätherischen  Abfall 
ihrer  Bundesgenossen  menschlich  und  ihre  schnelle  Reue  liebens- 
würdig. 

Nun  griff  aber  die  Verfeindung  immer  mehr  um  sich,  und  die 
grofse  Spaltung  des  Hellenenvolks  wiederholte  sich  in  jeder  Gemeinde. 
Denn  so  günstig  auch  im  Anfange  des  Kriegs  die  Lage  der  Spartaner 
war,  so  war  ihnen  doch  nichts  weniger  gelungen,  als  die  vollen  Sym- 
pathien der  Hellenen  sich  zu  gewinnen,  sondern  in  jedem  Gemein- 
wesen, welches  ein  politisches  Leben  hatte,  traten  sich  immer  schroffer 
eine  lakedämonische  und  eine  attische  Partei  gegenüber,  und  dieser 
Gegensatz  blieb  nicht  ein  rein  politischer,  sondern  es  verband  sich  da- 


Digitized  by  Google 


SITTLICHE   FOLGEN   DES  KRIEGS. 


467 


mit,  was  sonst  in  den  Gemeinden  an  Hass,  Missgunst  und  Neid  vor- 
handen war;  alle  selbstsüchtigen  Begierden  wurden  in  diesen  Gegen- 
satz hereingezogen,  alle  Unzufriedenheit,  welche  aus  Zerrüttung  häus- 
licher Verhältnisse  entspringt;  die  Vornehmen  und  Geringen,  die 
Armen  und  Reichen  traten  sich  feindselig  gegenüber;  der  Riss  ging 
immer  tiefer  in  Gemeinde  und  Familie,  und  die  aus  so  verschieden- 
artigen, trüben  und  unklaren  Motiven  vereinigten  Parteien  stellten  sich 
so  feindlich  einander  gegenüber,  dass  hinter  dem  Parteiinteresse  das 
Gemeinwohl  vollständig  zurücktrat.  Der  Gemeinsinn  der  Bürger  ging 
zu  Grunde,  und  da  in  dem  Gemeindeleben  die  Tugenden  der  Hellenen 
wurzelten ,  so  wurde  der  Charakter  des  ganzen  Volks  wesentlich  ver- 
ändert, um  so  mehr,  da  Familiensinn  und  Religion  nicht  im  Stande 
waren ,  der  Auflösung  des  bürgerlichen  Lebens  Einhalt  zu  thun.  Die 
Leidenschaft  wurde  frei  gegeben  und  der  Mafsstab  des  sittlichen  Ur- 
teils allmählich  ganz  verändert.  Die  Tugenden  der  Hellenen  kamen  in 
Missachtung;  wer  früher  bewundert  war,  wurde  nun  verlästert.  Fried- 
fertigkeit und  Besonnenheit  wurden  als  Schwäche  und  Stumpfsinn  an- 
gesehen, Mäfsigung  als  Feigheit  und  Schläfrigkeit  des  Geistes,  Ueber- 
legung  als  Selbstsucht,  Gewissenhaftigkeit  als  Einfalt,  rücksichtsloser 
Hass  dagegen  als  männlicher  Muth.  Die  Menschen  wurden  geschätzt 
nach  dem ,  was  sie  durchsetzten ;  darum  wurden  Treubruch  und  Arg- 
list gut  geheifeen,  wenn  sie  den  Parteiinteressen  Nutzen  brachten; 
dem  Ehrgeize  gestattete  man  die  Benutzung  jedes  Mittels,  und  die 
Parteigenossenschaft  galt  für  ein  stärkeres  Band,  als  langjährige 
Freundschaft,  Dankbarkeit  und  ßlutsgemeinschaft. 

Von  dieser  Zerrüttung  des  geselligen  Lebens  waren  die  Ereignisse 
in  Kerkyra  ein  erschreckendes  Beispiel;  hier  traten  die  Symptome  der 
Krankheit,  welche  das  griechische  Volksleben  ergriffen  hatte  und  sich 
epidemisch  von  Stadt  zu  Stadt  verbreitete ,  zum  ersten  Male  in  voller 
Stärke  auf,  und  die  denkenden  Zeitgenossen  wurden  mit  Entsetzen 
inne,  an  welchen  Wendepunkt  die  Geschichte  ihres  Volks  gelangt  sei. 
Herodot  hat  um  diese  Zeit  sein  Werk  liegen  lassen,  da  die  Hoffnungen, 
in  denen  es  unternommen  wurde,  sich  so  wenig  erfüllten;  Thukydides 
hat  mit  stärkerem  Geiste  den  trüben  Erfahrungen  Stand  gehalten  und 
die  pathologische  Betrachtung  nicht  gescheut ,  zu  welcher  die  Zeitge- 
schichte mehr  und  mehr  werden  musste"). 


30* 


Digitized  by  Google 


408 


GRÜNDUNG  VON  HERAKLEIA  (M,  8;  416). 


Nach  dem  trägen  Gange  der  kriegerischen  Unternehmungen  in 
den  ersten  fünf  Jahren  bereiteten  sich  im  sechsten  Kriegssoromer 
gröfsere  Unternehmungen  vor  und  entscheidendere  Ereignisse.  Beide 
Parteien  suchten  neue  Stützpunkte;  in  beiden  Staaten  gelangten  kräf- 
tigere Persönlichkeiten  zu  einflussreicher  Stellung.  Sparta  erkannte 
den  Werth  des  Brasidas;  Athen  erholte  sich  allmählich  von  den  Folgen 
der  Pestilenz,  nachdem  sie  noch  einmal  (Ol.  88,  2;  427)  schwer  auf 
der  Stadt  gelegen  hatte,  und  der  Vertreter  des  ermuthiglen  Staats  war 
Demosthenes,  des  Alkisthenes  Sohn. 

Dass  Attika  selbst  von  einem  neuen  Heerzuge  verschont  blieb, 
verdankte  es  einem  Erdbeben,  welches  die  schon  am  Isthmos  ver- 
sammelten Peloponnesier  zurückschreckte.  Es  waren  Erderschütterun- 
gen, welche  ganz  Mittelgriechenland  betrafen  und  von  Meerfluthen 
begleitet  waren,  die  besonders  in  den  engen  Meersunden,  an  den 
Küsten  von  Euboia  und  dem  gegenüberliegenden  Gestade,  durch  Ueber- 
schwemmung  vielfachen  Schaden  anrichteten.  Die  Peloponnesier  aber 
suchten  sich  durch  eine  andere  Unternehmung  zu  entschädigen. 

Die  alte  Stadt  Trachis,  vor  den  Thermopylen  am  Oeta  gelegen 
(S.  65),  war  von  den  ötäischen  Völkerschaften  zu  Grunde  gerichtet. 
Ihre  Bewohner,  welche  zuerst  an  Athen  gedacht  hatten,  wendeten  sich 
dann  um  Hülfe  nach  Sparta,  das  ihnen  zuverlässiger  erschien  und  durch 
alte  Ueberlieferungen  mit  ihrer  Heimath  verbunden  war  (I,  102). 
Ihrem  Hülfsgesuche  schlössen  sich  die  Dorier  an,  die  zwischen  Parnass 
und  Oeta  wohnenden,  die  in  derselben  Bedrängniss  waren.  In  Sparta 
erkannten  die  weiter  blickenden  Bürger,  unter  denen  gewiss  Brasidas 
vor  allen  Andern  das  Wort  führte,  die  ungemein  günstige  Lage  von 
Trachis.  Es  war  ein  Waflenplatz  nach  zwei  Seiten  hin,  wie  man  ihn 
nicht  besser  wünschen  konnte;  einmal  gegen  Euboia  und  die  dortigen 
Besitzungen  und  SchiiTsstalionen  der  Athener,  und  dann  für  alle  Unter- 
nehmungen gegen  Norden,  nach  den  thrakischen  Colonien,  worauf 
Brasidas  vorzugsweise  sein  wachsames  Auge  gerichtet  halte.  Das  del- 
phische Orakel  gab  seinen  Segen  dazu,  obgleich  diese  Kriegsstalion 
sehr  wenig  im  Sinne  seiner  alten  Colonisationspolitik  war,  und  so 
wurde  auf  einmal  ein  kräftiger  Anlauf  genommen.  Es  erfolgte  ein  Auf- 
ruf an  alles  griechische  Volk,  mit  Ausnahme  der  lonier  und  Achäer, 
sich  an  der  Neugründung  von  Trachis  zu  betheiligen.  Viertausend 
Peloponnesier,  sechstausend  Nichtpeloponnesier,  besonders  Böotier, 
leisteten  dem  Aufruf  Folge.    Unter  dem  Namen  ilerakleia'  wurde  die 


Digitized  by  Google 


FELDZÜGE  DES  MKIAS  (8t.  S;  436). 


469 


Stadt  neu  aufgebaut  und  ummauert,  an  den  Thermopylen  ein  Hafen- 
platz nebst  einer  Befestigung  des  Passes  angelegt.  Die  Macht  der 
Dorier  schien  an  den  alten  Stammsitzen  des  Volks  neu  aufzublühen, 
und  die  Athener  sahen  sich  an  den  gefahrlichsten  Punkten  ihrer  aus- 
wärtigen Herrschaft  sehr  ernstlich  bedroht.  Indessen  hatte  die  junge 
Stadt  kein  Gedeihen.  Die  der  Stadt  zunächst  wohnenden  Völker- 
schaften, die  Aenianen,  Doloper,  Malier,  von  den  Thessaliern  aufge- 
wiegelt, bedrängten  sie  durch  unausgesetzte  Feindseligkeiten,  und  die 
Spartaner  thaten  das  Ihre,  um  durch  Missbrauch  ihrer  Amtsgewalt  und 
Ungeschick  aller  Art  ihr  eigenes  Werk  zu  beeinträchtigen,  so  dass  die 
Athener  jeder  Mühe,  der  von  dort  drohenden  Gefahr  zu  begegnen, 
überhoben  wurden"). 

Um  so  kräftiger  konnten  sie  ihre  eigenen  Pläne  durchfähren,  um 
zu  Lande  wie  zu  Wasser  ihre  Macht  zu  erweitern.  Nikias,  welcher 
nach  dem  Falle  von  Mytilene  durch  den  Sieg  der  gemäfsigten  Partei  an 
Einfluss  gestiegen  war,  hatte  noch  in  demselben  Sommer  einen  glück- 
lichen Zug  nach  der  Insel  Minoa  gemacht,  das  mit  Nisaia  zusammen 
eine  peloponnesische  Küstenstation  war,  welche  von  Salamis  aus  in 
Obacht  gehalten  werden  musste.  Zu  grösserer  Sicherheit  wollte  Nikias 
den  megarischen  Hafen  selbst  in  seiner  Gewalt  haben  und  legte  deshalb 
ein  Kastell  auf  Minoa  an.  Das  Jahr  darauf  (88,  3;  426)  führte  er  ein 
Geschwader  von  60  Schiffen  nach  Melos,  um  diese  durch  ihre  Lage 
und  ihre  Häfen  wichtige  Insel  zum  Anschlüsse  an  die  attische  Bundes- 
genossenschaft  zu  zwingen;  denn  seit  die  Peloponnesier  eine  Flotte 
hatten,  schien  es  um  so  noth wendiger  zu  sein,  im  ägaischen  Insel- 
meere keine  feindliche  Macht  bestehen  zu  lassen  und  das  Gebiet  atti- 
scher Seeherrschaft  vollständiger  abzurunden.  Es  gelang  aber  nicht, 
Melos  zu  zwingen,  und  Nikias  wendete  sich  rasch  nach  dem  euböi- 
schen  Meere,  schiffte  seine  2000  Hopliten  bei  Oropos  aus  und  ver- 
einigte sich  im  Gebiete  von  Tanagra  mit  dem  attischen  Landheere, 
welches  unter  Hipponikos  (S.  425)  und  Eurymedon  in  Böotien  ein- 
fiel. Die  Tanagräer  wurden  nebst  den  thebanischen  Hülfsvölkern  ge- 
schlagen; es  war  ein  Rachezug  für  Plataiai,  welcher  die  Böotier  aus 
ihrer  Sicherheit  aufschreckte58). 

GrÖfsere  Pläne  verfolgte  mit  seinem  Geschwader  Demosthenes, 
der  gleichzeitig  mit  Nikias  ausgelaufen  war,  ein  Mann,  welcher  vortreff- 
lich geeignet  schien,  die  Thätigkeit  seines  Amtsgenossen  zu  ergänzen. 
Er  war  ein  kühner  und  weitblickender  Mann,  kühn  als  Feldherr  und 


Digitized  by  Google 


470 


DEMOSTHEIS'ES'  KRIEGSPLÄNE. 


Staatsmann,  unerschöpflich  an  Rath  und  voll  neuer  Ideen.  Ihm  ward 
es  klar,  dass  Athen  mit  seinen  Bürgersoldaten  allein  nicht  siegen 
könne,  sondern  dass  es  lernen  müsse,  seine  Bundesgenossen  besser  zu 
benutzen.  Sein  Kriegseifer  war  gleichmäfsig  gegen  Theben,  wie  gegen 
Sparta  gerichtet;  er  war  der  erste  Taktiker  der  Athener,  der  die  ver- 
schiedenen Terrainverhältnisse,  Jahreszeiten  und  Waffengattungen  zu 
benutzen  wusste;  er  lernte  zuerst  den  Nutzen  leichtbewaffneter 
Truppen  würdigen  und  entwickelte  in  seinen  Kriegsanschlägeii  eine 
Combinalionsgabe,  wie  sie  nur  im  Kriege  selbst  gereift  werden  konnte. 
Durch  einzelne  Unfälle  ungebeugt,  wusste  er  auch  die  Truppen  mit 
seinem  Muthe  zu  erfüllen  und  ihr  Vertrauen  zu  gewinpen;  er  stand 
überhaupt  dem  gemeinen  Manne  näher,  als  der  vornehm  steife 
Nikias. 

Demosthenes'  Gedanken  waren  auf  das  westliche  Kriegstheater 
gerichtet.  Nach  dem  Vorgange  des  Phormion,  im  Einverständnisse  mit 
den  tapferen  und  unternehmenden  Naupaktiern,  in  Verbindung  mit  den 
Akarnanen  und  Kerkyräern  wollte  er  die  Macht  der  Korinther  in  den 
westlichen  Landschaften  zerstören  und  den  Athenern  eine  continentale 
Bundesgenossenschaft  erwerben,  aufweiche  sie  seit  dem  dreifsigjährigen 
Frieden  verzichtet  hatten.  Er  war  es  also,  der  die  alte  Politik  des 
Myronides  und  Tolmides  (S.  167, 178)  erneuerte,  und  wir  dürfen  wohl 
voraussetzen,  dass  der  schmachvolle  Untergang  von  Plataiai  in  vielen 
Patrioten,  denen  die  Ehre  der  Stadt  am  Herzen  lag,  den  Gedanken  er- 
weckte, dass  Athen  einer  Stärkung  seiner  Landmacht  dringend  be- 
dürfe und  dass  das  eigene  Bürgerheer  nicht  ausreiche,  um  den  feind- 
seligen Nachbarn  gewachsen  zu  sein.  Um  den  Akarnanen  gefällig  zu 
sein,  bekriegte  Demosthenes  zunächst  mit  Hülfe  der  andern  westlichen 
Bundesgenossen  die  Leukadier,  die  korinthisch  gesinnt  waren  und 
deren  Gebiet,  halb  Insel,  halb  Continent  (denn  die  Korinther  hatten 
es  vor  Zeiten  durch  einen  Durchstich  zur  Insel  gemacht),  den  Akar- 
nanen in  ihrer  Machtstellung  besonders  gefahrlich  war.  Die  Insel 
wurde  verheert,  das  Volk  in  die  feste  Stadt  zusammengedrängt,  und 
die  Akarnanen  verlangten  nun,  man  solle  sofort  eine  Belagerung  be- 
ginnen, weil  die  Stadt  aufser  Stande  sei,  sich  zu  halten.  Allein  Demo- 
sthenes hatte  keine  Lust,  Schanzen  und  Mauern  aufzuwerfen,  um  so 
weniger,  da  die  Akarnanen  gewiss  nicht  geneigt  waren,  eine  attische 
Besatzung  sich  hier  festsetzen  zu  lassen.  Statt  dessen  reizte  seinen 
feurigen  Geist  der  Plan,  welchen  die  Messenier  in  ihm  angeregt  hatten, 


Digitized  by  Google 


DEMOSTUEXES  IJ*  AETOLIEN   (d8,  8}  486). 


471 


nämlich  das  ätolische  Volk,  von  dem  Naupaklos  unaufhörlich  be- 
drängt wurde,  zu  unterwerfen. 

Dies  grofse  Volk  war  bis  dahin  noch  gar  nicht  an  den  griechi- 
schen Händeln  betheiligt  gewesen,  und  sein  Land  war  den  Hellenen 
ganz  fremd  geblieben  oder  vielmehr  fremd  geworden.  Denn  ursprüng- 
lich waren  ja  die  Aeloler  desselben  Geschlechts  wie  die  Lokrer  und  die 
Einwohner  von  Elis  (I,  107),  aber  sie  waren  durch  Zuwanderung  von 
Norden  barbarisirt  und  der  griechischen  Cultur  gänzlich  entfremdet 
worden;  sie  redeten  eine  unverständliche  Mundart,  lebten  ohne  um- 
mauerte Städte  in  loser  Gaugenossenschafl  und  wohnten  weit  aus  ein- 
ander vom  Acheloos  bis  in  die  Nähe  von  Thermopylai.  Demoslhenes 
hoffte  daher,  durch  rasches  Vorgeben  der  Vereinigung  der  Stämme  zu- 
vorzukommen, und  seine  Pläne  gingen  weit  über  das  nächste  Ziel  hin- 
aus; denn  er  rechnete  auf  die  günstige  Stimmung  der  ozolischen  Lokrer 
und  der  angränzenden  Phokeer;  ja  er  sah  sich  im  Geiste  schon  an  der 
Spitze  einer  grofsen  con  Linen  Laien  Heeresmacht,  zu  welcher  ganz  West- 
griechenland sich  vereinigen  sollte,  und  gedachte  mit  dieser  vom  Par- 
nasse  her  in  Böotien  eindringen  zu  können,  um  hier  ohne  ein  Aufge- 
bot altischer  Bürger  die  Macht  Thebens  zu  Boden  zu  werfen. 

Demosthenes  unterschätzte  die  Schwierigkeiten  eines  ätolischen 
Feldzugs;  er  baute  so  blind  auf  sein  WalTenglück,  dass  er  nicht  ein- 
mal auf  den  Zuzug  der  Lokrer  wartete  und  sich  auch  dadurch  nicht 
abschrecken  liefs,  dass  die  Akarnanen ,  welche  über  die  Nichtachtung 
ihrer  Wünsche  erzürnt  waren,  ihre  Bundeshülfe  entzogen.  Er  drang 
nach  einigen  glücklichen  Erfolgen  bis  Aigition  vor,  das  zwei  Meilen 
vom  Meere  lag.  Hier  begann  schon  die  Noth.  Denn  die  Aeloler,  welche 
viel  mehr  Zusammenhang  zeigten,  als  man  erwartet  hatte,  hielten  in 
grofser  Zahl  die  Höben  besetzt  und  fugten  den  Alhenern,  ohne  sich 
mit  ihnen  in  geordneten  Kampf  einzulassen,  die  gröfsten  Verluste  zu. 
Es  fehlte  Demosthenes  an  leichten  Truppen,  um  sich  der  feindlichen 
Bogenschützen  zu  erwehren.  Zuletzt  blieb  nichls  übrig,  als  ein  schleu- 
niger Rückzug.    Aber  dieser  brachte  neues  Verderhen. 

Der  Naupaktier,  welcher  als  Führer  gedient  hatte ,  war  gefallen. 
Durch  Sümpfe,  pfadlose  Berggegenden  und  brennende  Wälder  kam 
Demoslhenes  mit  Mühe  an  die  Küste  zurück;  sein  Amisgenosse 
Prokies,  120  Bürger  mit  ihm  waren  nutzlos  geopfert.  Der  ganze  Feld- 
zug hatte  keine  anderen  Folgen,  als  dass  die  Akarnanen  gegen  Athen 
verstimmt  waren,  das  ganze  Volk  der  Aeloler  aber  in  feindseliger 


Digitized  by  Google 


472 


I'ELOPOMXESIEIl   AM   ACHEI.OOS   (83,  3;  425). 


Aufregung  sofort  mit  Korinth  und  Sparta  in  Verbindung  trat.  Wahr- 
scheinlich waren  es  die  Korinther,  welche  auch  hier  wieder  rasch  bei 
der  Hand  waren,  um  die  Lage  der  Dinge  zu  ihrem  Yorlheile  auszu- 
beuten; sie  werden  die  Aetoler  aufgehetzt  und  das  verhasste  Naupaktos 
zum  Zielpunkte  einer  Unternehmung  gemacht  haben ,  die  mit  grofser 
Schnelligkeit  in's  Leben  gerufen  wurde.  Denn  noch  in  demselben 
Sommer  sammelte  sich  ein  peloponnesisches  Heer  von  dreitausend 
Schwerbewaffneten,  darunter  500  aus  dem  neugegründeten  Herakleia, 
am  Parnasse.  Eine  Proklamation ,  von  Delphi  aus  erlassen ,  forderte 
die  Lokrer  zum  Anschlüsse  an  das  peloponnesische  Bündniss  auf;  die 
lokrischen  Städte  stellten  Geiseln,  Sparta  war  mächtiger  als  je  im 
Herzen  Mittelgriechenlands.  Das  mächtige  Bundesheer  rückte  gegen 
den  korinthischen  Meerbusen  vor,  und  Naupaktos  schwebte  in  der 
gröfsten  Gefahr.  Zum  Glücke  war  Demosthenes,  nachdem  er  die 
Schiffe  mit  den  Gefallenen  heimgeschickt  hatte,  selbst  in  der  Stadt 
zurückgeblieben ,  weil  er  mit  gutem  Grunde  Bedenken  getragen  halte, 
sich  nach  dem  Ausgange  seines  ätolischen  Feldzugs  in  Athen  zu  zeigen. 
Die  Akarnanen  schlössen  sich  ihm  wiederum  an,  und  so  wurde 
Naupaktos  gerettet"). 

Als  der  Sommer  zu  Ende  ging ,  stand  das  grofse  Peloponnesier- 
heer  am  Acheloos ,  ohne  Ziel  und  Kriegsplan.  Aber  seine  Anwesenheit 
diente  dazu,  die  Parteiungen  in  den  umliegenden  Landschaften  zu 
neuem  Brande  anzufachen.  Die  Ambrakioten  glaubten  die  Gelegenheit 
benutzen  zu  müssen,  um  gegen  ihre  alten  Feinde,  die  Amphilochier 
und  Akarnanen,  einen  Streich  auszuführen  (S.  416).  Sie  besetzten 
Olpai,  einen  festen  Küstenpunkt  im  amphilochischen  Gebiete  mit 
dreitausend  Hopliten;  zweitausend  Mann  liefsen  sie  nachkommen,  und 
Miethstruppen  aus  den  benachbarten  Kriegsstämmen  wurden  auf- 
geboten. Gleichzeitig  gfng  der  spartanische  Feldherr  Eurylochos  über 
den  Acheloos  und  vereinigte  sich  glücklich  mit  dem  Heere  der 
Ambrakioten,  so  dass  nun  auf  einmal  das  Ufer  des  ambrakischen 
Meerbusens  der  Schauplatz  eines  gewaltigen  Kriegsgetümmels  wurde. 

Die  Akarnanen  boten  rasch  ihre  Truppen  auf;  sie  beriefen  Demo- 
sthenes als  Feldherrn  und  bewogen  auch  Aristoteles  und  Hierophon, 
weiche  ein  attisches  Geschwader  von  zwanzig  Schiffen  in  den  pelo- 
ponnesischen  Gewässern  befehligten,  zur  Hülfsleistung.  Demosthenes 
brannte,  seine  Niederlage  wieder  gut  zu  machen  und  war  trotz  Ein- 
tritt des  Winters  gleich  nach  Eurylochos  mit  messenischen  Hopliten 


Digitized  by  Google 


DEMOSTHENES*  SIEG  BEI  OLPAI  (88,8;  42%). 


473 


und  sechzig  attischen  Bogenschützen  vor  Olpai.  Die  Uebermacht  der 
Peloponnesier  und  Ambrakioten  war  nicht  unbedeutend;  aber  Demo- 
sthenes  verstand  mit  überlegenem  Feldhermtalente  die  Oertlichkeit  so 
wohl  zu  benutzen ,  dass  er  im  offenen  Felde  einen  vollständigen  Sieg 
über  die  Spartaner  erfocht.  Eurylochos  selbst  fiel  im  Gefechte,  und 
die  mit  den  Ambrakioten  eingeschlossenen  Peloponnesier  geriethen  in 
eine  hoffnungslose  Niedergeschlagenheit,  so  dass  sie  nur  an  ihre  eigene 
Rettung  dachten. 

Diese  Stimmung  benutzte  Demostbenes,  um  mit  dem  Feldherrn 
Menedaios  einen  Sondervertrag  abzuschliefsen ,  worin  er  ihm  und 
seinen  Truppen  ungehinderten  Abzug  zusagte.  Er  glaubte  keinen 
grofseren  Gewinn  erreichen  zu  können,  als  wenn  er  den  Ambra- 
kioten, welche  diesen  Kampf  so  überm üth ig  begonnen  hatten,  die  Hülfe 
entzog  und  zugleich  aller  Welt  zeigte,  wie  rücksichtslos  Sparta  seine 
Bundesgenossen  preisgebe.  Und  in  der  That  konnte  die  Ehre  der 
Spartaner  durch  keine  Niederlage  mehr  gekränkt  werden,  als  durch 
das,  was  jetzt  geschah.  In  Folge  einer  entehrenden  Uebereinkunft 
entfernten  sich  die  Peloponnesier  einzeln  aus  der  eingeschlossenen 
Feste;  sie  stahlen  sich  von  ihren  Waffenbrüdern  weg  und  entliefen 
ihnen  dann,  da  sie  von  ihnen  verfolgt  wurden,  in  ofTener  Flucht. 

Inzwischen  nahte  sich  Zuzug  aus  Ambrakia ,  der  durch  amphi- 
lochisches Gebiet  gegen  die  Küste  vorrückte.  Demosthenes  benutzte 
den  Umstand,  dass  er  amphilochische  Truppen  bei  sich  hatte,  und 
legte  in  dem  Passe  von  Idomene  einen  Hinterhalt,  der  vollständig  seiner 
Absicht  entsprach.  Die  ganze  Mannschaft  wurde  aufgerieben,  und  die 
Ambrakioten  erhielten  durch  die  zwiefache  Niederlage  und  den  Verrath 
der  Bundesgenossen  einen  solchen  Schlag,  dass  sie  gänzlich  entkräftet 
und  widerstandlos  waren.  Demosthenes  wollte  Ambrakia  selbst  nehmen, 
um  ein  für  allemal  den  korinthischen  Einfluss  an  diesem  wichtigen 
Meerbusen  zu  vernichten.  Aber  die  Akarnanen  hinderten  ihn  daran; 
ihnen  war  es  lieber ,  ihre  alten  Feinde ,  nachdem  die  Kraft  derselben 
gebrochen  war,  als  die  Athener  zu  Nachbarn  zu  haben. 

Von  der  Eifersucht,  mit  welcher  die  Westgriechen  den  Einfluss 
Athens  abwehrten,  zeugt  auch  der  Umstand,  dass  sie  sich  beeilten, 
ohne  fremde  Vermittelung  ihre  Verhältnisse  zu  ordnen.  Denn  nachdem 
Ambrakia  auf  den  Besitz  des  amphilochischen  Gebiets  verzichtet  hatte, 
wurde  ein  hundertjähriger  Friede  zwischen  den  Akarnanen  und  Am- 
brakioten geschlossen;  alle  Nachbarfehden  sollten  beendet  sein;  man 


Digitized  by  Google 


471 


FESTFEIER  IN  DELOS  (88,  8}  42fi  FRÜHJAHR). 


wollte  sich  gegenseitig  gegen  jeden  Angriff  beistehen ;  nur  sollten  die 
Einen  niemals  wider  Athen,  die  Anderen,  d.  h.  die  Ambrakioten,  nie 
wider  die  Peloponnesier  zu  HölTsleistungen  verpflichtet  sein.  Es 
wurden  also  doch  auf  beiden  Seiten  die  alten  Beziehungen  Test- 
gehalten,  und  so  konnte  es  geschehen,  dass  die  Korinther  später 
wiederum  eine  Besatzung  nach  Ambrakia  legten.  Trotzdem  war  die 
Wirkung  der  letzten  Kriegserfolge  eine  außerordentliche.  Die  attischen 
Truppen  hatten  sich  von  Neuem  auch  im  Landkampfe  glänzend  be- 
währt; Demosthenes  kehrte  noch  im  Winter  nach  Athen  zurück,  und 
die  300  von  ihm  erbeuteten  Waffenrüstungen  erglänzten  an  den 
Tempeln  der  Vaterstadt **). 

Inzwischen  waren  auch  durch  eine  gottesdienstliche  Feier  die  Ge- 
müther der  Bürger  zu  neuer  Freudigkeit  erhoben.  Denn  mitten  in  den 
blutigen  Kriegswirren  hatte  man  beschlossen ,  dem  Apollon  in  Delos 
eine  grofsartige  Huldigung  darzubringen;  eine  Huldigung,  welche  ohne 
Zweifel  mit  dem  vollständigen  Aufhören  der  Pest,  welche  bis  in's 
fünfte  Kriegsjahr  angedauert  hatte,  zusammenhängt.  Sie  bestand  darin, 
dass  man  die  ganze  Insel  von  Neuem  dem  gnadenreichen  Gölte 
heiligte,  alle  Todtenkisten  aus  derselben  entfernte,  und  fortan  Rheneia 
zur  alleinigen  Grabstätte  bestimmte.  Es  war  eine  Vervollständigung 
dessen,  was  einst  Peisistratos  unternommen  (I,  353),  und  es  war  auch 
wohl  die  Absicht,  durch  glänzende  Erneuerung  der  delischen  Feier  die 
Macht  Athens  im  Inselmeere  zu  befestigen,  der  ionischen  Welt,  welche 
von  den  peloponnesischen  Festen  ausgeschlossen  war,  einen  festlichen 
Mittelpunkt  zu  geben  und  dieselbe  an  Athen  immer  enger  anzu- 
schliefsen.  Aber  gewiss  war  der  Hauptzweck  ein  sittlich-religiöser.  Man 
wollte  die  Gemüther  der  Bürger  beruhigen  und  erheben.  Die  feierliche 
Entsühnung  von  Delos  sollte,  wie  die  von  Athen  zu  Solons  Zeit  (1,310), 
nach  trüben  und  zerrissenen  Zuständen  der  Anfang  einer  neuen, 
besseren  Zeit  sein;  deshalb  wurde  die  Apollonfeier  neu  geordnet  und 
ein  neues,  alle  vier  Jahre  zu  feierndes  Frühlingsfest  eingerichtet;  die 
alten  Wettkämpfe  homerischen  Angedenkens  wurden  wieder  herge- 
stellt; eine  neue  Zuthat  zu  Ehren  des  Gottes  war  das  Wettrennen. 
Ohne  Zweifel  war  es  die  Partei  der  Gemäfsigten,  welche  diese  delische 
Angelegenheit  in  Athen  betrieben  hat,  um  die  alten  Ueberlieferungen 
des  Volks,  welche  immer  mehr  in  Vergessenheit  geriethen,  und  den 
religiösen  Sinn  wieder  kräftig  anzuregen.  Darum  sehen  wir  auch 
Nikias  mit  ganz  besonderem  Eifer  an  dem  delischen  Feste  sich  be~ 


Digitized  by  Google 


SIEBENTES  KRIEGSJAHR   («8.  H;  425). 


475 


theiligen,  und  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  es  die  erste  Feier  des- 
selben war,  bei  welcher  Nikias  als  Fuhrer  der  attischen  Festgesandt- 
schafl  (S.  246)  sich  durch  aufserordentliche  Freigebigkeit  auszeichnete. 
Er  liefs  nämlich  in  einer  Nacht  den  vier  Stadien  breiten  Meersund 
zwischen  Rheneia  und  Delos  (I,  590)  überbrücken,  so  dass  am  anderen 
Morgen  die  Menge  staunte,  als  sie  eine  mit  Teppichen,  Kränzen,  Ge- 
mälden und  kostbaren  Geräthen  ausgestattete  ProzessionsstraXse  vor 
sich  sah,  auf  welcher  die  Athener  ihren  Einzug  auf  die  Insel  hielten. 
Aufserdem  machte  er  Schenkungen  von  Grundstücken,  stiftete  neue 
Weibgeschenke  und  that  Alles ,  um  den  Hellenen  zu  zeigen,  dass  in 
Athen  weder  die  Ehrerbietung  gegen  die  Götter  erloschen  sei  noch  die 
Mittel  fehlten,  sie  würdig  zu  ehren50). 

Während  Nikias  durch  Friedensfeste  die  Gemüther  zu  beruhigen 
suchte,  waren  Demosthenes'  Gedanken  unablässig  darauf  gerichtet, 
dem  Kriege  eine  kräftige  Wendung  zu  geben;  der  schleppende  Gang 
desselben,  bei  dem  die  Hülfsmittel  sich  nutzlos  verzehrten ,  war  ihm 
unerträglich;  er  suchte  nach  neuen  Angriflsweisen ,  um  die  feindliche 
Macht  in  ihrem  Kerne  zu  fassen.  Dazu  waren  ihm  die  Erfahrungen, 
welche  er  auf  den  westlichen  Feldzügen  gemacht  hatte,  nicht  ohne 
Nutzen.  Namentlich  hatte  er  hier  die  Tüchtigkeit  der  Messenier  erprobt, 
so  wie  ihren  Unternehmungssinn  und  ihren  unauslöschlichen  Spartaner- 
hass  kennen  gelernt.  So  wenig  die  Ausgewanderten  ihre  Mundart  ver- 
lernt hatten ,  so  wenig  hatten  sie  auch  ihre  Heimath  vergessen.  In 
Altmessenien  selbst  lebten  noch  die  Ueberreste  desselben  Stammes; 
das  Land  war  grufstentheils  verödet;  denn  die  Spartaner  hatten  nicht 
verstanden ,  ihre  Eroberung  zu  verwerthen ;  die  ganze  Westküste  war 
menschenleer,  der  Hafen  von  Pylos  (Mb.  von  Navarin),  der  beste  der 
ganzen  Halbinsel,  verwahrlost,  unbewohnt  und  unbenutzt  (I,  204). 
Diese  Verhältnisse  zu  Gunsten  Athens  auszubeuten,  war  also  ein  nahe 
liegender  Gedanke,  und  ohne  Zweifel  war  in  dem  Verkehre  des  Demo- 
sthenes mit  den  Messeniern  der  Plan  gereift,  jenen  Hafen  in  die 
Gewalt  der  Athener  zu  bringen,  Spartas  Hausmacht  an  der  ver- 
wundbarsten Stelle  anzugreifen  und  die  messenische  Provinz  auf- 
zuwiegeln. 

Demosthenes  hielt  seinen  Plan  geheim.  Er  war  augenblicklich 
ohne  Amt;  denn  bei  der  letzten  Feldberrnwahl  waren  seine  akarna- 
nischen  Siege  in  Alben  noch  nicht  bekannt  gewesen.  Er  benutzte  die- 
selben jetzt,  um  sich  einen  besonderen  Vertrauensposten  vom  Volke 


Digitized  by  Google 


470 


DEMOSTHENES   IN  PYLOS. 


geben  zu  lassen,  als  im  Frühjahre  Eurymedon  und  Sophokles  nach  dem 
sicilischen  Meere  mit  vierzig  Schiffen  ausgesandt  wurden  und  zugleich 
den  Auftrag  erhielten,  den  noch  immer  bedrängten  Kerkyräern  gegen 
die  Aristokraten  Beistand  zu  leisten  (S.  465).  Demosthenes  begleitete 
die  Flotte  als  Commissar  des  Volks  und  erhielt  den  Auftrag,  auf  der 
Fahrt  die  Besetzung  passender  Küstenpunkte  in  Vorschlag  bringen  zu 
dürfen.  Als  nun  die  Schifle  um  die  südlichen  Vorgebirge  der  Halbinsel 
herum  waren  und  am  messenischen  Küstengebirge  entlang  fuhren,  rief 
Demosthenes  die  Feldherrn  und  zeigte  ihnen  den  verlassenen  Flotten- 
hafen mit  seinen  zwei  schmalen  Eingängen  und  dem  Vorgebirge 
Koryphasion ,  welches  sich  oberhalb  der  nördlichen  Einfahrt  800  Fufs 
hoch  mit  steilen  Felsen  erhebt  und  die  ganze  Gegend  beherrscht.  Er 
schlug  ihnen  vor,  die  Höhe  zu  besetzen,  welche  mit  geringer  Mühe 
befestigt  und  leicht  vertheidigt  werden  könne;  die  Besatzung  finde 
Quellwasser  auf  dem  Berge;  er  selbst  wolle  mit  sechs  Schiften  den 
Platz  einrichten  und  halten. 

Die  Feldherrn  weigern  sich  anzuhalten;  Denn  der  verwegene 
Demosthenes  mit  seinen  abenteuerlichen  Plänen  war  bei  der  Partei  der 
Vornehmen  wenig  beliebt;  in  seiner  jetzigen  Stellung,  die  er  gewisscr- 
mafsen  als  Vertrauensmann  des  Volks  hatte  und  die  allem  Herkommen 
widersprach,  war  er  ihnen  doppelt  lästig.  Die  Flotte  geht  vorüber.  Da 
bricht  ein  Sturm  los,  und  wider  Willen  sehen  die  Feldherrn  sich  ge- 
zwungen umzukehren  und  in  dem  wohl  geschlossenen  Hafen  von  Pylos 
besseres  Wetter  abzuwarten.  Demosthenes  erneuert  seine  Vorschläge, 
aber  ohne  Erfolg.  Da  hätte  man  viel  zu  thun,  heifst  es,  wenn  man  alle 
verödeten  Küstenpunkte  der  Halbinsel  besetzen  wollte!  Auch  die 
unteren  Befehlshaber  und  die  Mannschaften  zeigen  keine  Lust.  Aber 
das  Unwetter  hält  an,  und  die  Langeweile  des  SchifTsvolks  kommt 
Demosthenes  zu  Gute.  Auf  einmal  erbieten  sie  sich  aus  freien  Stücken 
den  Berg  zu  befestigen,  und  nun  bewährt  sich  im  vollen  Mafse  das 
rührige  und  anstellige  Wesen  der  Athener.  Denn  da  sie  ohne  Geräthe 
zum  Behauen  und  Versetzen  der  Steine  waren,  suchten  sie  aus  den 
Trümmern  des  Felsgesteins  und  älteren  Bauten  alles  brauchbare 
Material  zusammen,  luden  sich  einander  die  nasse  Lehmerde  auf  den 
Rücken,  indem  sie  dieselbe  mit  rückwärts  zusammengelegten  Händen 
festhielten,  stiegen  die  steilen  Klippen  unverdrossen  auf  und  nieder 
und  brachten  unter  Aufsicht  des  Demosthenes  nach  sechs  Tagen  die 
alte  Burghöhe  in  einen  vertheidigungsfahigen  Zustand.   Die  Flotte 


Digitized  by  Google 


[>EMOSTHE.\ES  IN  PYLOS  (96,  42*). 


477 


steuerte  weiter  nach  Kerkyra,  und  Demosthenes  blieb  mit  fünf  Schiffen 
im  feindlichen  Lande  zurück. 

Die  Athener  spürten  sehr  bald  die  heilsame  Wirkung  dieses 
kühnen  Handstreichs;  denn  König  Agis,  welcher  so  eben  wieder  in 
Attika  eingefallen  war  (es  war  der  fünfte  Einfall  der  Spartaner),  zog 
in  Folge  der  messenischen  Nachrichten  nach  vierzehntägigem  Aufent- 
halte in  den  Peloponnes  zurück;  zugleich  wurde  aber  auch  die  Flotte, 
welche  noch  einmal  versuchen  sollte ,  die  peloponnesische  Partei  in 
Kerkyra  zu  stützen,  zurückbeordert,  um  dem  frechen  Unternehmen  in 
Pylos  ein  rasches  Ende  zu  machen,  und  Demosthenes  sah  nun  von 
seiner  öden  Meerburg  aus  drei  und  vierzig  Kriegsschiffe  in  den  Hafen 
einlaufen,  während  der  ganze  Strand  mit  Kriegsvölkern  sich  anfüllte, 
welche  von  Sparta  eiligst  herübergeschickt  waren.  Aber  er  verzagte 
nicht,  sondern  handelte  mit  entschlossener  Geistesgegenwart.  Nachdem 
er  noch  zwei  SchifTe  abgesendet  hatte,  um  die  attische  Flotte  zu 
schneller  Hülfsieist ung  zu  entbieten,  vertheilte  er  seine  kleine  Mann- 
schaft auf  die  Schanzen  und  stieg  dann  selbst  mit  sechzig  auser- 
wählten Kriegsleuten  und  einer  Anzahl  von  Bogenschützen  an  den 
Strand  hinunter,  wo  die  einzige  Gefahr  drohte.  Denn  die  guten 
Landungspunkte  waren  hinreichend  verschanzt;  es  kam  also  ö>rauf  an, 
die  Stelle  zu  sichern ,  wo  man  der  Untiefen  wegen  eine  höhere  Ver- 
schanzung für  unnöthig  gehalten  hatte.  Hier  musste  jeder  Landungs- 
versuch abgewehrt  werden;  denn  so  wie  die  Feinde  auf  dem  Berge 
Fufs  fassten,  war  Burg  und  Mannschaft  unrettbar  verloren. 

Die  Peloponnesier  besetzten  zuerst  die  Insel  Sphakteria,  welche 
sich  zwischen  der  nördlichen  und  südlichen  Einfahrt  des  Hafens  hin- 
streckt, um  dadurch  die  ganze  Hafengegend  sicher  zu  beherrschen, 
und  ruderten  dann  auf  die  unverschämte  Uferstelle  hin,  wo  die  kleine 
Mannschaft  der  Athener  in  Reih  und  Glied  aufgestellt  war;  sie  sollte 
für  die  Frechheit  büfsen,  mit  der  sie  sich  auf  peloponnesischem 
Boden  festgesetzt  hatte. 

Beim  Angriffe  zeigten  sich  aber  unerwartete  Schwierigkeiten. 
Denn  nur  wenig  SchifTe  konnten  zugleich  heranfahren,  und  auch 
diese  waren  jeden  Augenblick  in  Gefahr,  auf  dem  felsigen  Grunde 
aufzulaufen.  Die  Ungeschicklichkeit  und  Wasserfurcht  der  Pelopon- 
nesier kam  dazu,  um  jeden  Erfolg  zu  vereiteln.  Umsonst  eiferte 
Brasidas,  er  konnte  die  Aengstlichkeit  seiner  Leute  nicht  überwinden; 
umsonst  trieb  er  sein  eigenes  Schilf  auf  die  Klippen  von  Koryphasion 


Digitized  by  Google 


47S 


WAFFENSTILLSTAND 


und  stieg,  um  das  Beispiel  zu  geben,  selbst  von  der  SchifTsieiter  in 
die  Brandung  hinunter.  Von  den  Geschossen  getroffen  taumelte 
er  bewusstlos  zurück.  Die  Athener  aber  standen  wie  eine  Mauer,  und 
nach  zwei  Tagen  gaben  ihre  Gegner,  anstatt  mit  immer  frischen 
Truppen  vorzugehen  und  so  die  kleine  Schaar  zu  ermüden,  den 
Kampf  auf,  und  schickten  nach  Asine,  um  Holz  zu  Belagern  ngs- 
gerälhen  zu  holen  und  an  besseren  Landungsplätzen  den  Angriff 
erneuern  zu  können. 

Damit  war  der  entscheidende  Moment  versäumt  Denn  während 
dieser  Pause  kamen  die  Athener  von  den  ionischen  Inseln  heran  mit 
fünfzig  Kriegsschiffen;  darunter  waren  vier  von  Chios;  auch  Wacht- 
schiffe  von  Naupaktos  hatten  sich  dem  Zuge  nach  Messenien  an- 
geschlossen. Nun  boten  die  Athener  draufsen  im  offenen  Meere  eine 
Seeschlacht  an,  drangen  dann  durch  beide  Eingänge  in  den  Hafen  ein, 
überfielen  die  noch  ungeordneten  Schiffe  der  Peloponnesier  und 
trieben  sie  auf  das  Ufer.  Darauf  rückten  diese  noch  einmal  und  zwar 
mit  beispiellosem  Kampfeifer  vor;  denn  es  war  ihnen  plötzlich  klar 
geworden,  dass  es  sich  ja  um  das  Leben  aller  auf  der  Insel  aus- 
gesetzten Spartaner  handele.  Ein  furchtbarer  Flottenkampf  entspann 
sich;  das  Ende  war,  dass  die  Athener  den  Hafen  behaupteten,  und 
wenn  sich  auch  das  Landheer  durch  Zuzug  aus  dem  ganzen  Felo- 
ponnes  fortwährend  vergröfserte,  so  war  es  doch  aufser  Stande,  den 
abgesperrten  Spartanern,  die  man  so  nahe  vor  Augen  hatte,  Bei- 
stand zu  leisten  oder  auch  nur  Mundvorrath  auf  die  öde  Felsinsel  zu 
bringen. 

Als  dieser  Stand  der  Dinge  nach  Sparta  gemeldet  wurde,  be- 
schloss  man,  die  Behörden  der  Stadt  selbst  nach  Pylos  zu  senden,  um 
daselbst  mit  unbedingter  Vollmacht  zu  handeln.  Sie  fanden  nichts  zu 
thun  als  einen  Waffenstillstand  zu  schiiefsen  und  zwar  unter  Bedin- 
gungen, welche  für  die  Peloponnesier,  die  am  Ufer  ihres  eigenen 
Landes  mit  voller  Land-  und  Seemacht  zur  Stelle  waren,  unglaublich 
hart  und  demütbigend  waren.  Alle  Trieren  Spartas,  sechzig  an  der 
Zahl,  wurden  den  Athenern  auf  die  Dauer  des  Waffenstillstandes  über- 
geben, und  dafür  wurde  nichts  gewährt,  als  dass  den  Spartanern 
auf  Sphakteria  täglich  in  bestimmten  Rationen  Mundvorrath  zugeführt 
werden  durfte;  die  Insel  selbst  sollte  unter  strengster  Bewachung 
bleiben,  bis  in  Athen  über  Krieg  und  Frieden  ein  Beschluss  gefasst 
worden  wäre6')- 


Digitized  by  Google 


FRIEI)E.\SüESANDTSCeAFT  IH  ATHEN  (it.  4;  426). 


470 


Die  Ueberra schling  der  Athener  war  aufserordentlich ,  als  die 
Schiffe  einliefen,  welche  die  Kunde  von  den  Erfolgen  in  Pylos,  und 
zugleich  die  obersten  Beamten  Spartas  nach  dem  Peiraieus  brachten. 
Die  Spartaner  wollten  Frieden  und  rechneten  mit  Sicherheit  darauf, 
dass  er  zu  Stande  käme.  Nur  im  Hinblicke  darauf  halten  sie  sich  die 
Bedingungen  des  Waffenstillstandes  gefallen  lassen.  Die  Unabseh- 
barkeit des  Kriegs  war  ifonen  immer  deutlicher  geworden;  sie  hatten 
im  Grunde  nichts  als  Schande  und  Schaden  davon  getragen  und  hatten 
wenig  Gewinn  in  Aussicht.  Mit  ihren  Bundesgenossen  standen  sie  in 
schlechtem  Verhältnisse;  neuerdings  war  zu  allem  Seeunglücke  die 
Niederlage  ihrer  Landtruppen  gekommen,  und  als  nun  der  unersetz- 
liche Verlust  von  420  spartanischen  Männern  drohte,  da  hörte  jedes 
Bedenken  auf.  Dies  Unglück  schien  ihnen  noch  der  ehrenvollste 
Anlass  zu  sein,  um  sich  zu  einem  Friedensgesuche  zu  bequemen; 
sie  handelten  ohne  Rücksprache  mit  den  Bundesgenossen,  denn  sie 
wollten  rasch  zum  Ziele  gelangen. 

Die  Rede  der  Gesandten  war  eindringend  und  überzeugend.  Sie 
zeigten,  dass  die  Athener  niemals  unter  günstigeren  Verhältnissen 
Frieden  schließen  könnten.  Ein  rechtschaffener  und  ehrlicher  Friede 
komme  am  ersten  zu  Stande,  wenn  man  nicht  darauf  ausgehe,  einem 
überwältigten  Feinde  unerträgliche  Bedingungen  aufzuzwingen,  welche 
ihn  zur  Gegenwehr  der  äufsersten  Verzweiflung  drängten.  Spartas 
Macht  sei  nicht  gebrochen,  aber  es  wünsche  ehrlich  den  Frieden  und 
werde  sich  den  Athenern  um  so  aufrichtiger  zu  neuer  Bundesgenossen- 
schaft verpflichtet  fühlen,  je  mehr  diese  mit  Edelmuth  und  Mäfsigung 
verführen.  Sie  möchten  den  Wechsel  des  Kriegsglücks  erwägen,  welchen 
sie  oft  erfahren  hätten. 

Der  Erfolg  entsprach  dem  Wunsche  der  Redner  nicht.  Denn  das 
attische  Volk  war  von  seinem  Glücke  so  berauscht,  dass  es  jede  Ver- 
handlung für  überflüssig  hielt;  man  glaubte  Alles  in  Händen  zu  haben. 
Ein  mafsloser  Uebermulh  hatte  die  Bürgerschaft  ergriffen,  und  ehe 
demselben  durch  vernünftige  Redner  entgegengetreten  werden  konnte, 
drängle  Kleon  sich  vor,  um  diese  Stimmung  zu  benutzen  und  seine 
Person  wieder  zu  voller  Geltung  zu  bringen ;  denn  zu  einer  dauernden 
und  unangefochtenen  Leitung  der  öffentlichen  Angelegenheiten  nach 
Art  des  Perikles  hatte  er  es  doch  nicht  bringen  können58). 

Trotz  des  Terrorismus,  welchen  Kleon  in  der  Volksversammlung 
ausübte,  trat  ihm  in  Athen  selbst  noch  immer  ein  unüberwindlicher 


Digitized  by  Google 


480 


KLEON  UND  ARISTOPHANES. 


Widerspruch  entgegen,  und  zwar  am  unverholensten  von  der  komi- 
schen Bühne.  Denn  während  die  Tragödie  ihrem  Berufe  treu  blieb,  die 
Gemüther  aus  der  trüben  Gegenwart  in  das  Gebiet  einer  idealen  Welt 
zu  versetzen,  gewann  die  Komödie  erst  in  diesen  Jahren  ihre  volle  Be- 
deutung, indem  sie  die  Gebrechen  der  Zeit  geifselte  und  das  freie  Wort, 
das  auf  der  Bednerbühne  so  gut  wie  verstummt  war,  auf  der  Bühne 
den  Athenern  zu  erhalten  wusste.  Seit  Ausbildung  der  demokratischen 
Institutionen,  bei  welchen  eine  consequente  Leitung  des  Staats  ohne 
das  Vorherrschen  einer  Persönlichkeit  unmöglich  war,  finden  wir  die 
Komödie  immer  in  der  Opposition.  So  war  Perikles  von  Kratinos, 
Hermippos,  Telekleides  u.  A.  angegriffen  worden,  und  nach  seinem 
Tode  wurde  er  von  Aristophanes  für  den  ganzen  Krieg  verantwortlich 
gemacht.  Während  der  Kriegszeiten  eiferte  Aristophanes  gegen  Alles, 
worin  er  verderbliche  Zeitrichtungen  erkannte,  und  griff  namentlich 
die  Politik  Kleons  in  ihrem  Kern  an.  Der  Mangel  an  Ueberlegung,  die 
leichtfertige  Behandlung  der  Staatsangelegenheiten,  der  Unfug  des  Ge- 
richtswesens, die  Willkür  der  Beamten,  die  schmähliche  Bedrückung 
der  Bundesgenossen  (welche  er  in  seinen  (Babyloniern'  als  arbeitende 
Mühlknechte  darstellte)  —  das  waren  die  Schäden  der  entarteten 
Demokratie,  die  er  mit  ernstem  Zorne  angriff,  ohne  dass  er  die 
Absicht  hatte,  die  zu  Becht  bestehende  Verfassung  selbst  in  Miss- 
achtung zu  bringen  und  den  Bürgern  zu  verleiden.  Freilich  dürren 
bei  einem  Komödiendichter  die  einzelnen  Ausdrücke  nicht  auf  die 
Goldwage  gelegt  werden,  und  wir  werden  auch  zugeben,  dass  persön- 
liche Erbitterung  den  Stachel  seiner  Worte  geschärft  hat;  im  Ganzen 
aber  ist  die  Ueberzeugungstreue  des  Dichters  unverkennbar  und  wir 
müssten  ihn  für  einen  gewissenlosen  Menschen  halten,  wenn  nicht 
seiner  Darstellung  volle  Wahrheit  zu  Grunde  läge. 

Seines  Wahrheitsinns  wegen  war  er  von  den  Bundesgenossen  be- 
wundert, die  in  Athen  sich  herandrängten,  um  den  Dichter  zu  sehen, 
welcher  den  Muth  hatte,  bei  offenen  Bürgerfesten  'dem  athenischen 
Volk  aufrichtig  zu  sagen,  was  Becht  ist';  weil  er  die  Wahrheit  sagte, 
wurde  er  von  Kleon  auf  das  Bitterste  gehasst,  und  da  das  Gesetz, 
welches  wenig  Jahre  hindurch  die  Freiheit  der  Bühne  beschränkt  hatte 
(S.  391),  wieder  aufgehoben  war,  musste  Kleon  andere  Mittel  er- 
greifen, um  sich  an  seinem  kecken  Widersacher  zu  rächen.  Er  ver- 
klagte ihn  gleich  nach  Aufführung  der  'Babylonier'  (März  426;  88,  2) 
bei  dem  Bathe,  dass  er  an  dem  grofsen  Staatsfeste  der  Dionysien  in 


Digitized  by  Google 


FRIEDENSVERHANDLUNGEN  (JULI  ODER  AUG.  41B).  4SI 


Anwesenheit  so  vieler  Fremden  und  Bundesgenossen  auf  eine  höchst 
unpatriotische  und  gefährliche  Weise  die  Politik  der  Stadt  verhöhnt 
habe.  Die  Anklage  war  in  der  That  nicht  ohne  alle  Berechtigung,  aber 
die  Richter  liefsen  sich  nicht  bestimmen,  der  Komödie  das  Recht  zu 
bestreiten,  die  Seiten  des  öffentlichen  Lebens,  welche  sie  als  Miss- 
bräuche ansah,  als  solche  darzustellen;  sie  erkannten  darin  kein  Ver- 
brechen gegen  die  Interessen  des  Staats,  und  die  darauf  gerichtete 
Klage  wurde  abgewiesen.  Kleon  versuchte  einen  anderen  Weg,  dem 
kecken  Widersacher  beizukommen,  indem  er  ihm  die  echtbürgerliche 
Herkunft  streitig  machte,  eine  Anklage,  in  deren  Behandlung  die  Sy- 
kophantenkunst  sehr  geübt  war.  Aber  auch  dieser  Versuch,  die  lästige 
Opposition  zu  beseitigen,  misslang  ihm.  Dazu  kam,  dass  er  um  die- 
selbe Zeit  mit  ganzen  Kreisen  der  bürgerlichen  Gesellschaft  in  Streit 
gerieth,  namentlich  mit  den  aristokratischen  Kreisen,  welche  in  den 
Reitergeschwadern  vertreten  waren,  der  einzigen  Truppe,  welche 
immer  zusammen  blieb  und  nach  dem  perikleischen  Kriegsplane 
allein  Gelegenheit  hatte,  sich  im  Felde  mit  dem  Feinde  zu  messen 
(S.  401).  Kleon  hatte  wahrscheinlich  im  Rathe  der  Fünfhundert  ihre 
Leistungen  bemängelt  und  sie  dadurch  erbittert.  Deshalb  trat  sie  als 
politische  Partei  auf  und  verband  sich  mit  Aristopbanes,  welcher  nun 
entschiedener  gegen  den  Demagogen  vorzugehen  entschlossen  war"). 

Um  so  eifriger  ergriff  Kleon  die  erste  Gelegenheit,  welche  sich 
darbot,  nämlich  die  Ankunft  der  Gesandten  Spartas,  um  sich  wieder 
als  den  ersten  Mann  des  Staats  in  vollem  Ansehen  geltend  zu  machen. 
Er  hatte  gleich  eine  der  herrschenden  Stimmung  entsprechende  Ant- 
wort fertig,  welche  man  den  Gesandten  geben  sollte.  Es  war  die  For- 
derung, dass  die  Männer  auf  Sphakteria  sämmtlich  als  Gefangene  nach 
Athen  gebracht  und  die  früheren  Besitzungen  der  Athener  im  Pelo- 
ponue8  und  in  Megaris,  Nisaia,  Pegai,  Troizen  und  ganz  Achaja  sofort 
zurückgegeben  werden  sollten.  Wenn  dies  geschehen  sei,  dann  möge 
man  die  Gefangenen  abholen  und  über  einen  Waffenstillstand  be- 
liebiger Dauer  verhandeln. 

Man  sollte  erwarten,  dass  nach  dieser  Antwort  jede  Verhandlung 
abgebrochen  worden  sei,  denn  Schlimmeres  konnte  ja  auch  eine  völlige 
Niederlage  nicht  bringen.  Indessen  wiesen  die  Gesandten  auch  diese 
Antwort  nicht  unbedingt  zurück,  sondern  verlangten,  dass  man  Männer 
auswähle,  mit  denen  sie  weiter  verhandeln  könnten.  In  Sparta  hatte 
man  nicht  übel  Lust,  auf  ein  Programm  einzugehen,  über  welches  man 

Cortioe,  Gr.  Gweh.  II.  6.  Aufl.  31 


Digitized  by  Google 


482 


FRIEDENSVERHANDLUNGEN  (JULI   ODER   AUG.  425). 


auf  eine  Verständigung  hoffen  konnte.  In  Sparta  waren  Viele,  denen 
die  Agitation  der  Mittel-  und  Kleinstaaten,  welche  den  Vorort  in  den 
verderblichen  Krieg  gehetzt  hatten,  im  höchsten  Grade  lästig  war; 
man  fühlte  sich  unfrei  und  einer  stetigen  Controle  unterworfen,  von 
unbequemen  Ansprüchen  umdrängt,  denen  man  nie  genügen  konnte 
und  wollte.  Man  wünschte  im  Grunde  nichts  mehr,  als  innerhalb  des 
Kreises  der  peloponnesischen  Hegemonie  eben  so  frei  zu  sein  wie  Athen 
in  seinem  Gebiet,  und  dies  führte  die  Spartaner  dahin,  dass  sie  mit 
Athen  verhandelten,  wie  ein  Grofsstaat  mit  dem  andern.  Darauf  ging 
man  aber  in  den  Kreisen  der  gemäfsigten  Athener  nicht  ungern  ein; 
man  erkannte  darin  den  einzigen  Weg  zum  Frieden  zu  gelangen,  man 
sah  darin  eine  zeitgemäfse  Erneuerung  der  kimonischen  Politik  und 
hoffte  dabei  auf  eine  Stärkung  der  conservativen  Interessen.  Wir 
wissen,  dass  Archeptolemos  als  ein  Vertreter  dieser  Parteirichtung  in 
Sparta  verhandelt  hat  und  einen  annehmbaren  Frieden  seinen  Mit- 
bürgern anbieten  konnte. 

Solche  Verhandlungen  aber,  in  welchen  Sparta  sich  von  seinen 
Bundesgenossen  losmachen  wollte,  konnten  natürlich  nicht  in  öffent- 
lichen Volksversammlungen  besprochen  werden.  Deshalb  erfolgte  der 
Vorschlag  einer  kommissarischen  Behandlung.  Kleon  aber  hatte  in 
seinem  Interesse  guten  Grund  diesen  Projekten  mit  aller  Energie  ent- 
gegen zu  arbeiten ;  denn  ihr  Gelingen  würde  ein  Sieg  der  Gemäfsigten 
und  eine  dauernde  Stärkung  ihres  Einflusses  gewesen  sein.  Er  benutzte 
gerade  den  Antrag  auf  kommissarische  Behandlung  in  geschickter 
Weise  zu  den  heftigsten  Ausfällen.  Da  sähe  man,  sagte  er,  wieder  recht 
deutlich,  dass  von  Seiten  Spartas  nichts  ehrlich  gemeint  sei.  Es  sei 
nur  darauf  abgesehen ,  mit  den  vornehmen  Herren ,  den  alten  Feinden 
der  Volksherrschaft,  ein  heimliches  Abkommen  zu  treffen,  um  das  gut- 
müthige  Volk  zu  tauschen;  was  lauter  und  rechtmäfsig  sei,  brauche 
die  Oeffentlichkeit  nicht  zu  scheuen.  So  erreichte  Kleon  nach  harten 
Kämpfen  vollständig  seinen  Zweck. 

Dreimal,  wie  Aristophanes  sagt,  wurde  der  Friedensantrag  in  der 
Bürgerschaft  gestellt  und  dreimal  verworfen.  Die  Gesandten  reisten  ab 
und  die  Gelegenheit  eines  ehrenvollen  Friedens,  bei  dem  zugleich  eine 
vollständige  Auflösung  der  ganzen  peloponnesisch-böotischen  Bundes- 
genossenschafl  in  Aussicht  stand,  war  verscherzt.  Die  wichtigste  An- 
gelegenheit war  wieder  in  roher  Weise  und  mit  unverantwortlichem 
Leichtsinn  abgethan  worden.    Deshalb  war  Kleons  Stellung  zum 


Digitized  by  Google 


NEUER  KAMPF  IN  PYL08  («8.  4;  4M). 


483 


Kriege  in  den  Augen  seiner  Mitbürger  von  jetzt  an  eine  andere.  Für 
den  Anfang  desselben  konnte  er  nicht  verantwortlich  gemacht  werden; 
dafür  aber,  dass  im  siebenten  Kriegsjahre  die  Friedensverhandlungen 
scheiterten  und  für  alle  Folgen  davon,  —  dafür  fallt  nach  Aristo- 
phanes  die  Schuld  auf  sein  Haupt60). 

Im  Meerbusen  von  Pylos  begann  also  nach  einer  zwanzigtägigen 
Pause  der  Krieg  von  Neuem  und  zwar  damit,  dass  die  Feldherrn  Athens 
sich  weigerten,  die  ausgelieferten  Schiffe  wieder  zurückzugeben.  Aber 
trotz  dieses  Gewallstreichs,  welcher  dadurch,  dass  die  Peloponnesier 
ihrerseits  die  Bestimmungen  des  Waffenstillstandes  verletzt  haben 
sollten,  nothdürflig  entschuldigt  werden  konnte,  änderte  sich  bald  in 
sehr  empfindlicher  Weise  die  günstige  Lage  der  Athener.  Denn  die 
von  Tag  zu  Tage  erwartete  Uebergabe  der  eingeschlossenen  Spartaner 
fand  nicht  statt  Sie  hatten  sich  mehr  Mundvorrath  aufgespart,  als 
man  dachte,  und  die  Heloten,  durch  hohe  Versprechungen  angetrieben, 
wussten  mit  grofeer  Kühnheit  und  Geschicklichkeit  heimlich  auf  die 
Insel  zu  gelangen.  Dagegen  machte  sich  bei  den  Athenern  der  Mangel  an 
Quellwasser  in  der  peinlichsten  Weise  fühlbar;  der  Wachdienst  um  die 
Insel  herum  war  äufserst  beschwerlich;  man  fürchtete,  dass  die 
schlechte  Jahreszeit  herankommen  werde,  die  Stimmung  wurde  immer 
unzufriedener,  und  statt  der  Siegeskunde  und  vollen  Siegesbeute,  der 
man  in  Athen  von  Stunde  zu  Stunde  entgegensah,  kamen  Meldungen 
an,  welche  den  ganzen  Erfolg  in  Pylos  als  zweifelhaft  erscheinen 
liefsen  und  wiederum  neuen  Zuzug  verlangten. 

Nun  schlug  die  Stimmung  der  Bürger  vollständig  um;  sie  em- 
pfanden die  bitterste  Reue  über  ihr  unverstandiges  Benehmen,  und 
Kleon  musste  alle  Mittel  aufbieten,  um  einer  vollständigen  Niederlage 
zu  entgehen.  Zunächst  bestritt  er  die  Wahrheit  dessen,  was  aus  Pylos 
gemeldet  war;  als  er  aber  dann  vom  Volke  aufgefordert  wurde,  sich  in 
Begleitung  des  Theagenes  (der  wahrscheinlich  zur  Partei  der  Vor- 
nehmen gehörte)  von  dem  Zustande  der  Flotte  persönlich  zu  über- 
zeugen, entgegnete  er  sehr  vernünftig,  dass  solche  Sendungen  ein  reiner 
Zeitverlust  seien;  wenn  die  Feldherrn  Männer  wären,  so  würden  sie 
leicht  im  Stande  sein,  durch  einen  kühnen  Handstreich  der  peinlichen 
Lage  in  Pylos  ein  Ende  zu  machen.  Das  war  nichts  als  ein  Ausfall  auf 
Nikias,  welcher  das  Feldherrnamt  bekleidete;  und  dieser  wollte  nun  die 
Gelegenheit  nicht  unbenutzt  lassen,  um  den  verhassten  Demagogen  für 
seine  Großsprecherei  büfsen  zu  lassen;  er  verzichtete  also  in  seinem 

31* 


Digitized  by  Google 


484 


KLEONS  COMMANDO  IX  TVLOS. 


und  seiner  Collegen  Namen  auf  das  Feldherrnamt  und  trug  darauf  an, 
dasselbe  kleon  zu  übertragen.  Kleon  machte  Ausflüchte,  aber  die 
Bürgerschaft,  welche  an  diesem  ungewöhnlichen  Hergange  Gefallen 
fand,  liefe  ihn  nicht  los,  so  dass  er  sich  endlich  fügen  musste  und  nun 
auch  alsbald  seine  alte  Keckheit  wieder  erlangte,  so  dass  er  dem  Volke 
versprach,  innerhalb  zwanzig  Tagen  die  Spartaner  von  Sphakteria  nach 
Athen  zu  bringen  oder  sie  dort  zu  tödten.  Er  liefs  sich  die  Vollmacht 
geben,  Demosthenes  zum  Mitfeldherrn  zu  nehmen;  denn  von  ihm 
wusste  er,  dass  er  schon  langst  darauf  gedrungen  hatte,  die  Insel  mit 
Gewalt  zu  nehmen. 

Das  Glück  begünstigte  ihn  in  aufserordentlicher  Weise.  Denn  als 
er  bei  der  Flotte  ankam,  war  die  Stimmung  der  Truppen,  welche  bei 
der  Belagerung  alle  Mühseligkeiten  eines  belagerten  Heeres  zu  tragen 
hatten,  entschieden  für  einen  entschlossenen  Angriff;  dazu  kam,  dass 
die  Holzungen  auf  Sphakteria,  welche  einen  Angriff  bis  dahin  ungemein 
gefährlich  gemacht  hatten,  inzwischen  niedergebrannt  waren.  Demo- 
sthenes hatte  den  Plan  des  Angriffs  schon  lange  fertig;  als  er  daher 
durch  Kleon  freie  Hand  bekam  und  aufserdem  frische  Truppen, 
namentlich  Leichtbewaffnete  und  Bogenschützen,  zur  Verfügung  hatte, 
so  wurde  rasch  an's  WerK  gegangen. 

Die  Spartaner  hatten  die  Insel  wie  eine  Festung  besetzt.  Am  Ufer- 
rande hatten  sie  ihre  Vorposten  ausgestellt;  in  der  mittleren  Senkung, 
welche  ein  kleiner  Quell  bewässert,  war  ihr  Hauptquartier.  Von  hier 
erhebt  sich  der  Boden  gegen  Norden  zu  dem  festesten  Punkte,  dem 
Gipfel  der  ganzen  Felsinsel,  wo  mit  Hülfe  älterer  Befestigungsreste 
eine  engere  Verschanzung  eingerichtet  war.  Nachdem  die  Vorposten 
überwältigt  waren,  gingen  die  in  kleinere  Gruppen  verlheilten  Mann- 
schaften des  Demosthenes  auf  die  mittlere  Höhe  hinauf,  indem  sie  durch 
Pfeile,  Steine  und  Wurfspiefse  dem  zusammengedrängten  Haufen  der 
Feinde  von  allen  Seiten  zusetzten.  Die  Gegenwehr  war  durch  den 
Waldbrand,  der  jede  Schutzwehr  vernichtet  hatte,  und  zugleich  durch 
den  unerträglichen  Aschenstaub  in  hohem  Grade  erschwert.  Die  Spar- 
taner wichen  endlich  auf  den  Gipfel  zurück,  zum  tapfersten  Kampfe 
entschlossen.  Dieser  Punkt  war  nicht  zu  zwingen.  Der  gröfste  Theil 
des  Tages  war  vorüber;  die  Athener  erschöpft  von  Sonnengluth  und 
Durst;  auch  Demosthenes  wusste  keinen  Rath. 

Da  bewährte  sich  die  Klugheit  seiner  messenischen  Freunde  und 
ihres  Führers  Komon.  Sie  hatten  unter  den  senkrechten  Felsen  der 


Digitized  by  Google 


I  HERGÄBE  VON  8PHAKTERIA  (88,  4;  432  ADG.). 


485 


Nordspilze  einen  Platz  ausfindig  gemacht,  wo  es  auch  ohne  Pfad  mög- 
lich war  hinaufzuklettern.  Auf  diese  Weise  kamen  sie  den  Spartanern 
in  den  Röcken,  und  als  diese  sich  nun  von  vorne  und  hinten  ange- 
griffen sahen,  gingen  sie  endlich  auf  die  Vorschläge  des  Kleon  und  De- 
mosthenes  ein  und  ergaben  sich  ihnen,  292  an  der  Zahl,  darunter 
120  spartanische  Bürger,  nachdem  sie  72  Tage  auf  der  Insel  einge- 
schlossen gewesen  waren.  Sie  wurden  nach  Athen  in  Verwahrsam  ge- 
bracht, indem  man  erklärte,  dass  sie  bei  dem  ersten  Einfalle  in  Atüka 
hingerichtet  werden  wurden.  Dagegen  wurde  eine  Abtheilung  von 
Messeniern  nach  Pylos  gelegt,  die  von  hier  aus  mit  grofsem  Erfolge 
Streifzüge  durch  die  Umlande  anstellten.  Zu  der  Plage  der  Ver- 
heerungen kam  die  Unsicherheit  im  eigenen  Lande,  die  Angst  vor 
inneren  Aufständen.  Die  Heloten  fingen  an  überzulaufen;  die  ganze 
Noth  messenischer  Kriege  drohte  von  Neuem.  Aufserdem  war  die 
Flotte  verloren,  und  die  Rücksicht  auf  die  Gefangenen  verbinderte  jede 
kräftige  Benutzung  des  Landheers;  man  war  also  auf  einen  Ver- 
teidigungskrieg angewiesen,  der  keinen  Ruhm  und  keinen  Erfolg  dar- 
bot. Das  Allerschlimmste  aber  war  der  Verlust  an  Achtung  bei  den 
Hellenen.  Dass  Enkel  des  Leonidas  mit  den  Waffen  in  der  Hand  sich 
ergeben  konnten,  galt  bis  dahin  für  eine  Unmöglichkeit;  das  Ver- 
trauen der  Bundesgenossen  war  aber  schon  durch  den  Verrath, 
welchen  Menedalos  verübt  halle  (S.  473),  vollständig  erschüttert,  und 
die  engherzige  Selbstsucht  der  spartanischen  Politik  bei  allen  Griechen 
eine  offenkundige  Thalsache. 

Unter  diesen  Umständen  war  Sparta  selbst  des  Kriegs  so  müde, 
dass  es  von  Neuem  mit  Athen  Unterhandlungen  anknüpfte.  Aber  hier 
war  Kleon  mächtiger,  denn  je  zuvor,  der  Held  des  Tages  und  derWohl- 
thäter  der  Stadt,  die  durch  ihn  von  langjähriger  Kriegsnoth  befreit  war. 
Zum  Andenken  seiner  Waffen that  war  ein  Standbild  der  Siegesgöttin 
auf  der  Burg  geweiht,  ihm  selbst  lebenslängliche  Speisung  im  Pryta- 
neion,  die  höchste  Staatsehre,  zuerkannt;  kurz,  er  war  auf  dem  Gipfel 
von  Macht  und  Ehre ,  von  der  Menge  bewundert  und  gefürchtet,  und, 
wie  ein  Tyrann,  von  einer  Schaar  von  Schmeichlern  umringt;  er  ge- 
traute sich  selbst  den  Bürgern  mit  Uebermuth  zu  begegnen,  konnte 
man  ihn  doch  auf  der  komischen  Bühne  darstellen ,  wie  er  eines  Gast- 
mahls wegen  die  Verhandlungen  der  versammelten  Bürgerschaft  ver- 
tagte. Nikias  hatte  dagegen  in  gleichem  Mafse  von  seinem  Ansehen 
eingebüßt,  nicht  nur  bei  seinen  Gegnern,  sondern  auch  bei  seinen 


Digitized  by  Google 


486 


ATHENS  FINANZLAGE. 


politischen  Freunden.  Denn  diese  konnten  es  ihm  nicht  vergessen 
dass  er  so  unzeilig  auf  sein  Feldherrnamt  verzichtet  hatte  und  dadurch 
selbst  die  Ursache  gewesen  war,  Kleons  Macht  auf  solche  Höhe 
zu  bringen.  Die  Partei  der  Gemäßigten  war  in  sich  zerfallen  und 
machtlos;  den  Friedensanträgen  Spartas  wurden  immer  höhere 
Forderungen  entgegengestellt,  und  alle  Unterhandlungen  zerschlugen 
sich61). 


Bei  den  umfassenden  Rüstungen,  welche  zur  Fortsetzung  des 
Kriegs  nöthig  wurden,  kam  es  vor  Allem  auf  Herbeischaffung  der  Geld- 
mittel an.  Denn  bei  den  ungeheuren  Ansprächen  der  Kriegsjahre  er- 
wies sich  auch  die  perikleische  Geldwirthschaft  (S.  387  f.)  völlig  unge- 
nügend. Anfangs  hatte  man,  um  den  Staatsschatz  möglichst  zu  schonen, 
bei  dem  Tempel  geborgt;  so  für  die  Unternehmungennach  Kerkyra 
und  Makedonien.  Dann  'rousste  man  die  eigenen  Bestände  angreifen. 
Ol.  88,  1 ;  428  waren  beide  Quellen  erschöpft,  sowohl  die  Schätze  der 
Athena  und  die  der  anderen  Götter,  als  auch  die  Staatsgelder  mit  Aus- 
nahme der  zurückgelegten  tausend  Talente.  An  Rückzahlung  und  Ver- 
zinsen der  Anleihen  konnte  nicht  mehr  gedacht  werden;  man  fing 
sogar  an,  die  jährlichen  Tempeleinkünfte  in  Anspruch  zu  nehmen.  Mit 
seinem  eigenen  Jahreseinkommen  konnte  der  Staat  nicht  weit  reichen, 
wenn  eine  einzige  Belagerung,  wie  die  von  Potidaia,  2000  Talente 
(gegen  9!^  Millionen  Mark)  verschlang.  Die  Belagerung  von  Mytilene 
machte  dies  noch  deutlicher. 

Man  musste  sich  in  anderer  Weise  zu  helfen  suchen.  Das  Erste 
war,  dass  man  eine  direkte  Besteuerung  des  bürgerlichen  Vermögens 
ausschrieb.  Es  war  eine  Malsregel,  welche  mit  dem  herrschenden  Re- 
gierungssystem in  sofern  stimmte,  als  sie  die  Kriegslasten  auf  die 
Schultern  der  Besitzenden  wälzte,  während  die  Armen  unbelästigt 
blieben.  Bei  Aristophanes  droht  der  Demagoge  seinem  Widersacher, 
er  wolle  schon  dafür  sorgen,  dass  er  in  die  Liste  der  Reichen  einge- 
tragen würde,  damit  er  von  den  Steuern  gehörig  mitgenommen  werde. 
Die  Belagerung  von  Mytilene  veranlasste  die  erste  Kriegssteuer,  welche 
nicht  mehr  als  200  Talente  einbrachte. 

Das  zweite  Mittel  war  Erhöhung  der  Tribute. 

Bald  nach  Kleons  Rückkehr  von  Pylos  wurden  unter  dem 
Archonten  Stratokies  durch  Thudippos,  einen  sonst  unbekannten 
Staatsmann,  die  einleitenden  Mafsregeln  zu  einer  neuen  Schätzung  be- 


Digitized  by  Google 


NEUE  SCHÄTZUNG  (88,  4;  488).  487 

antragt  und  ein  Volksbesch) uss  in  der  zweiten  oder  dritten  Prytanie 
des  Jahres  88,  4;  425  angenommen,  nach  welchem  die  Tribute  im 
Ganzen  auf  das  Doppelte  erhöht  wurden.  Die  Bündnisse  (S.  248  f.) 
wurden  aufgelöst  und  auch  solche  Städte,  die  noch  nie  eine  Steuer  ge- 
zahlt halten,  auf  die  Listen  gesetzt,  wenn  sie  ihrer  geographischen 
Lage  nach  zu  dem  Gebiet  gehörten,  das  die  Athener  als  ihr  Territorium 
ansahen.  Ebenso  wurden  als  tributpflichtig  auch  alle  diejenigen 
Städte  auf  den  Listen  verzeichnet,  welche,  sei  es  wegen  Abfall  vom 
Bunde,  sei  es  aus  anderen  Gründen,  ihre  Beiträge  zur  Zeit  nicht  mehr 
einlieferten. 

Durch  die  rücksichtslose  Vernichtung  aller  früheren  Verein- 
barungen und  den  eigenmächtigen  Eingriff  in  die  Bundesverhältnisse 
war  ein  neues  Prinzip  der  Souveränität  der  athenischen  Bürgerschaft 
aufgestellt;  das  ganze  Bundesgebiet  wurde  noch  mehr  als  früher  wie 
ein  Reich  eingerichtet  und  im  Gesetze  selbst  wird  die  frühere  Zeit 
als  die  'alte  Herrschaft'  bezeichnet:  das  finanzielle  Resultat  aber  war 
eine  Steigerung  der  Gesamteinnahme  an  Tributen  auf  1200  oder  1300 
Talente"). 

Man  begreift,  welche  Aufregung  diese  Neuerung  in  der  Stadt  und 
im  ganzen  Umkreise  des  ägäischen  Meers  hervorrief.  Die  conservative 
Partei  hatte  seit  den  Tagen  Kimons  die  selbstsüchtige  Behandlung  der 
Bundesgenossen  grundsätzlich  bekämpft  (S.  185),  und  in  ihrem  Sinne 
hatte  Aristophanes,  ehe  noch  von  einer  systematischen  Bedrückung 
die  Rede  sein  konnte,  das  traurige  Loos  der  abhängigen  Städte  in 
seinen  'Babyloniern'  dargestellt.  Wie  lebhaft  musste  jetzt  der  Wider- 
spruch sein !  Man  schalt  die  Neuerung  gewissenlos,  unberechtigt,  un- 
weise. Aber  es  fehlte  der  Opposition  an  Nachdruck  und  Zusammen- 
hang. Wer  den  Krieg  fortgesetzt  sehen  wollte,  musste  die  Noth wendig- 
keit einer  Vermehrung  der  Geldmittel  einräumen ;  darum  stimmten 
auch  Manche  von  der  Partei  des  Nikias  für  das  Gesetz.  Die  demo- 
kratische Politik  aber  ging  mit  vollen  Segeln  vorwärts;  denn  ihr  Wort- 
führer hatte  es  ja  deutlich  ausgesprochen ,  dass  man  den  Muth  haben 
müsse,  aller  Gefühlspolitik  zu  entsagen;  es  sei  Thorheit,  auf  Sym- 
pathie zu  rechnen,  wo  nur  die  Macht  des  Stärkeren  herrsche.  Man 
dürfe  keinen  andern  Gesichtspunkt  haben  als  die  Macht  der  Stadt. 
Neue  Orakelsprüche  wurden  in  Umlauf  gesetzt,  welche  dem  Demos 
von  Athen  verkündeten,  dass  er  einem  königlichen  Adler  gleich  über 
Land  und  Meer  herrschen  solle. 


Digitized  by  Google 


488 


NEUE  SCHÄTZUNG  (M.  4;  4M). 


Gegen  die  Annahme  des  Reformgeselzes  war  alle  Verstimmung 
machtlos  gewesen;  die  Durchführung  hatte  aber  mit  zahlreichen 
Schwierigkeiten  zu  kämpfen.  Es  wurden  von  Seiten  der  Städte  alle 
Mittel  versucht,  um  ihr  Schicksal  zu  mildern.  Die  Mitglieder  der 
Schätzungscommissionen  wurden  bestochen,  um  günstigere  Salze  zu 
erlangen,  und  die  Verschiedenheit  der  neuen  Tribute  im  Verhältnis« 
zu  den  frühern  zeigt,  dass  allerlei  besondere  Erwägungen  bei  den 
einzelnen  Bundesgenossen  stattgefunden  haben.  Eine  Reihe  von  ge- 
richtlichen Verhandlungen  wurde  durch  die  Beschwerden  der  Städte 
veranlasst,  welche  sich  über  ihr  Vermögen  besteuert  glaubten,  und  es 
ist  wahrscheinlich,  dass  Antiphon's  Reden  über  den  Tribut  der  Lindier 
und  der  Samothrakier  bei  solchen  Gelegenheilen  gehalten  worden  sind. 
Die  Vermehrung  der  Gerichtsverhandlungen  diente  dazu,  die  Erhöhung 
des  Gerichtssoldes  zu  rechtfertigen,  welche  nach  der  Einnahme  von 
Sphakteria  erfolgt  ist,  und  die  neuen  Kosten,  welche  dem  Staate  daraus 
erwuchsen,  wurden  auf  die  vermehrten  Einnahmen  berechnet.  So 
standen  die  beiden  eingreifenden  Neuerungen,  zwei  Haupterfolge  der 
Politik  Kleons,  in  nahem  Zusammenhang  unter  einander. 

Was  die  Durchführung  der  Schätzung  betrifft,  so  wurden  in  jeden 
der  vier  Bezirke  des  bundesgenössischen  Gebiets  (S.  243  f.)  je  zwei 
Gommissare  (Taktai)  gesendet.  Die  hohen  Strafbestimmungen  des 
betreffenden  Gesetzes  gegen  alle  Beamten,  durch  deren  Schuld  die  Aus- 
führung verschleppt  wurde,  zeigen,  wie  energisch  man  vorging.  Be- 
sondere Gommissare  (Epimeletai)  sollen  die  Einzahlung  überwachen  und 
die  Einwohner  der  Bundesstädte  vor  Gericht  ziehen,  welche  ihre  Vater- 
stadt anstiften  wollen ,  ihren  Verbindlichkeiten  nicht  zu  genügen.  Man 
suchte  auch  die  ferneren  Küstengebiete  mit  strafferen  Banden  heranzu- 
ziehen. Ein  Geschwader  der  zum  Eintreiben  der  Tribute  beorderten 
Kriegsschiffe  unter  Demodokos,  Aris leides  und  Lamachos  wurde  in 
die  ponlischen  Gegenden  geschickt.  Lamachos  verlor  seine  Schiffe  in 
einem  Unwetter  bei  Herakleia;  es  werden  aber  verschiedene  Städte  des 
Pontos,  darunter  auch  Nymphaion ,  auf  der  taurischen  Halbinsel  beim 
Eingang  in  den  Bosporos  auf  der  Liste  von  88,  4  (42%)  unter  den 
tributzahlenden  Bundesgenossen  aufgeführt  Vor  Ol.  89,  1  kann  aber 
das  Gesetz  des  Thudippos  nicht  durchgeführt  worden  sein;  die  Ver- 
handlungen schlössen  mit  der  Vereidigung  der  Bundesgenossen  auf 
den  neuen  Tarif"). 


Digitized  by 


ZUG  GEGEN  KOniMH   (S8,  4}  4M). 


489 


Inzwischen  gingen  die  auswärtigen  Unternehmungen  energisch 
Torwarts ,  indem  man  nach  der  von  Demosthenes  glänzend  eröffneten 
Kriegsweise  im  Peloponnes  Eroberungen  zu  machen  und  feste  Waffen- 
plätze anzulegen  suchte.  Es  war  dieselbe  Kriegsweise,  mit  welcher  die 
Dorier  einst  die  Halbinsel  erobert  hatten,  und  der  erste  Punkt,  auf  den 
man  das  Augenmerk  richtete,  war  wirklich  der  Standort  eines  dorischen 
Heerlagers  gewesen,  nämlich  der  Hügel  Solygeios,  eine  halbe  Meile 
Tom  Isthmos  entfernt,  zwischen  Korinth  und  Epidauros.  Ein  offenes 
korinthisches  Dorf  lag  auf  der  Höhe,  welche  leicht  verschanzt  und  durch 
Mauern  mit  dem  nahen  Meere  verbunden  werden  konnte.  Man  wollte 
also  auch  die  zweite  Macht  der  Halbinsel,  die  man  in  ihrem  Seegebiete 
mehr  und  mehr  eingeengt  hatte,  in  ihrem  eigenen  Landgebiete  angreifen. 
Es  war  ein  kühner  Plan,  welcher  in  einem  so  reichen  und  mit  Sklaven 
überfüllten  Staate,  wie  der  korinthische  war,  grofse  Vortheile  versprach. 
Nikias  landete  unweit  Kenchreai  mit  80  Trieren ;  eigene  Transport- 
schiffe führten  attische  Reiterei  hinüber,  die  sich  mit  grofsem  Eifer 
betheiligte.  Indessen  waren  die  Koriniher  von  Argos  aus  gewarnt 
und  hatten  Solygeios  besetzt.  Auf  dem  abschüssigen  Boden  zwischen 
Dorf  und  Meer  kam  es  zu  einem  blutigen  Kampfe.  Die  Athener  waren 
siegreich  durch  die  Tapferkeit  der  Reiter,  aber  die  Unternehmung 
selbst  war  vereitelt.  Statt  dessen  gelang  ihnen  die  Besetzung  der  vul- 
kanischen Halbinsel  Methone,  welche  vom  trözenischen  Lande  aus 
gegen  Aigina  vorspringt  und  nur  durch  eine  schmale  Landenge  mit 
dem  Festlande  verbunden  ist.  Diese  Landenge  vermauerten  sie  und 
gewannen  so  gegen  Epidauros  und  Troizen  einen  ausgezeichneten 
Waffenplatz,  der  dem  Peiraieus  gegenüber  lag  und  durch  Feuerzeichen 
leicht  mit  ihm  in  Verbindung  gesetzt  werden  konnte. 

Inzwischen  war  die  Flotte  des  Eurymedon  und  Sophokles  (S.  465) 
nach  Kerkyra  weiter  gegangen  und  hatte  hier  in  Verbindung  mit  den 
Kerkyräern,  welche  durch  die  Besatzung  von  Istone  noch  immer  schwer 
bedrängt  wurden,  die  Raubfeste  genommen.  Die  Parteigänger,  welche 
dort  verschanzt  gewesen  waren,  übergaben  sich  der  Gnade  des  attischen 
Volks.  Da  jedoch  die  Flottenführer,  welche  schon  in  Pylos  alle  Waffen- 
ehre Anderen  hatten  überlassen  müssen,  keine  Lust  hatten,  die  ge- 
fangenen Aristokraten,  die  erbittertsten  Feinde  der  attischen  Politik, 
durch  Andere  im  Triumph  nach  Athen  einbringen  zu  lassen  (denn  sie 
selbst  mussten  weiter  nach  Sicilien),  so  begünstigten  sie  die  Arglist 
der  Kerkyräer,  welche  nichts  mehr  fürchteten,  als  die  mögliche  Be- 


Digitized  by  Google 


490 


NEUES  BLUTBAD   IN  KERKYRA  (68,  4;  425). 


gnadigung  ihrer  Mitbürger  in  Athen,  und  deshalb  tückischer  Weise  die 
Gefangenen  zu  einem  Fluchtversuche  verleiteten.  Dieser  Versuch  wurde 
dann  den  Feldherrn  verrathen  und  von  diesen  benutzt,  um  die  Vertrüge 
für  aufgehoben  und  den  attischen  Schutz  für  erloschen  zu  erklären. 
Die  ganze  Schaar  der  Unglücklichen  wurde  der  Wuth  des  Volks  preis- 
gegeben und  ein  Blutgericht  an  ihnen  vollzogen,  das  an  ausschweifender 
Rachsucht  Alles  überbot,  was  bis  dahin  auf  der  Insel  vorgefallen  war. 
Die  Ruhe  kehrte  nicht  eher  zurück,  als  bis  die  Parteiwuth  ihre  letzten 
Opfer  verschlungen  hatte;  es  war  eine  Ruhe  der  Erschöpfung  nach 
gesättigter  Rachgier.  Die  Weiber  der  Ermordeten  wurden  Sklavinnen. 
Damit  war  die  letzte  Hoffnung  der  Korinther,  ihre  Herrschaft  im  ioni- 
schen Meere  wieder  herzustellen,  für  immer  vereitelt,  und  um  die 
Niederlage  Korinths  zu  vervollständigen,  eroberten  die  Athener  noch 
vor  Ablauf  des  Jahres  mit  den  Akarnanen  zusammen  das  wichtige 
Anaktorion  am  Eingange  des  ambrakischen  Meerbusens.  Die  Stadt 
wurde  aus  sämtlichen  Städten  Akarnaniens  neu  kolonisirt 64). 

Je  mehr  die  Spartaner  und  ihre  Bundesgenossen  gelähmt  und  in 
ihren  Kriegsmitteln  beschränkt  wurden,  um  so  rüstiger  gingen  die 
Athener  vorwärts;  sie  waren  es,  die  jetzt  allein  einen  Angriffskrieg 
führten,  sie  konnten  jetzt  frei  über  ihre  Streitkräfte  verfügen ,  da  sie 
zu  Hause  nichts  zu  fürchten  hatten,  und  der  Gedanke,  dass  eine  Be- 
zwingung der  Halbinsel  möglich  sei,  steigerte  die  Tbatkraft  zu  immer 
gröfseren  Unternehmungen,  welche  zugleich  von  einer  richtigen  Kennt- 
niss  des  feindlichen  Landes  zeugten. 

Die  Insel  Kytbera  (Cerigo) ,  die  südliche  Fortsetzung  der  pelopon- 
nesischen  Gebirge,  war  von  jeher  der  unzuverlässigste  Theil  von  Lake- 
daimon  gewesen,  weil  sie  bei  ihrer  günstigen  Handelslage  und  ihrer 
von  alter  Zeit  her  gemischten  Bevölkerung  den  dorischen  Satzungen 
am  hartnäckigsten  widerstrebte  und  eine  strenge  Gränzsperre  unmöglich 
machte.  Sie  wurde,  wie  ein  erobertes  Land,  von  einem  besonderen 
Statthalter  und  einer  spartanischen  Besatzung  im  Zaume  gehalten. 
Der  weise  Chilon  hatte  darum  den  Spartanern  gesagt,  die  Götter 
könnten  nichts  Besseres  für  Sparta  thun,  als  wenn  sie  Kythera  in's  Meer 
versinken  liefsen,  und  Demaratos  konnte  Xerxes  keinen  besseren  Rath 
geben,  als  dass  er  seinen  Krieg  gegen  Sparta  mit  einer  Besetzung  von 
Kythera  beginnen  solle  (S.  96).  Die  gefahrliche  Küsteninsel  wurde 
nochf gefährlicher,  als  sich  während  des  peloponnesischen  Kriegs  eine 
demokratische  Partei  daselbst  bildete,  welche  mit  Athen  und  namentlich 


Digitized  by  Google 


ACHTES  KRIEGSJAHR.     KYTHBRA,  THTRBA  (88,  4;  419).  491  • 


mit  Nikias  in  Unterhandlung  trat.  So  gelang  es  diesem,  als  er  um  die 
Sommerzeit  des  achten  Kriegsjahres  mit  sechzig  Trieren  und  zwei- 
tausend Schwerbewaffneten  in  Kythera  landete,  die  beiden  Inselstädte 
ohne  Schwierigkeit  zu  nehmen,  eine  Besatzung  zurückzulassen  und  das 
ganze  Eiland  in  die  attische  Bundesgenossenschaft  aufzunehmen. 

Unmittelbar  darauf  wurden  die  schutzlosen  Kästenstädte  Lakoniens 
geplündert  und  dann*  eine  Landung  in  Kynuria,  dem  Gränzlande 
zwischen  Sparta  und  Argos,  gemacht,  die  zu  blutigen  Auftritten  Anlass 
gab.  Hier  waren  nämlich  die  vertriebenen  Aegineten  (S.  405)  ange- 
siedelt, denen  die  Spartaner  die  Stadt  Thyrea  ubergeben  hatten,  um  sie 
als  einen  Gränzposten  ihrer  Landschaft  zu  benutzen.  Sieben  Jahre 
hatten  sie  hier  gesessen  und  waren  beschäftigt,  mit  Hülfe  lakedämo- 
nischer Truppen  einen  wohlgelegenen  Küstenplatz,  10  Stadien  von 
Thyrea,  zu  befestigen.  Bei  diesem  Baue  wurden  sie  von  der  attischen 
Flotte  überrascht,  und  da  die  Spartaner  nicht  den  Muth  hatten,  den 
Küstenplatz  verlbeidigen  zu  helfen,  sondern  sich  in  das  Gebirge  zurück- 
zogen, so  wurde  Thyrea  ohne  Schwierigkeit  genommen  und  die  Schaar 
der  Aegineten  getödtet  oder  in  die  Gefangenschaft  geschleppt. 

Mit  reicher  Beute  kehrte  Nikias  heim,  nachdem  er  die  Meerherr- 
schaft  Athens  um  eine  wichtige  und  reiche  Insel  vergröfsert  hatte. 
Ueber  die  gefangenen  Aegineten  safs  das  Volk  zu  Gericht  und  verur- 
teilte sie,  als  unversöhnliche  Feinde  der  Stadt,  zum  Tode;  es  war  eine 
blutige  Vergeltung  für  die  Hinrichtung  der  Platäer,  die  das  Beispiel 
gegeben  hatte,  politische  Gegner  als  Verbrecher  zu  strafen.  Der  mit 
den  Aegineten  gefangene  Spartaner  Tantalos  aber  wurde  zu  den 
Männern  von  Sphakteria  in  Verwahrsam  gebracht.  Die  oligarchisch 
Gesinnten,  welche  Nikias  aus  Kythera  nach  Athen  geführt  hatte, 
wurden  auf  verschiedenen  Inseln  untergebracht  und  für  Kythera  selbst 
ein  jährlicher  Tribut  von  4  Talenten  (18860  Mark)  festgestellt.  Nach 
Besetzung  von  Minoa,  Pylos,  Methone,  Kythera  und  Thyrea  war  der 
ganze  Peloponnes  in  einem  vollständigen  Belagerungszustande65). 

Nachdem  die  Athener  eine  Zeitlang  mit  unverändertem  Kriegs- 
glücke  den  Peloponnes  bekämpft  hatten,  gingen  ihre  Pläne  weiter;  sie 
glaubten  dem  kühnen  Demosthenes,  dass  die  Zeit  gekommen  sei,  nun 
auch  gegen  ihre  Feinde  in  Mittelgriechenland  wieder  energisch  vorzu- 
gehen, und  auch  hier  wie  im  Peloponnes  Waffenplätze  zu  gewinnen, 
um  gegen  die  Bundesgenossen  Spartas  entscheidende  Schläge  auszu- 
fuhren. 


Digitized  by  Google 


492 


KRIEGSPLANE  in  mitteix.riecüenland.  megara. 


Böotien  war  jetzt  die  gefahrlichste,  ja  die  allein  gefahrliche  Macht. 
Es  kam  darauf  an,  diese  Landschaft  vom  Peloponnes  zu  isoliren  und 
die  Macht,  welche  man  in  Westgriechenland  hatte,  zu  benutzen,  um 
von  verschiedenen  Seiten  und  mit  allen  jetzt  verfügbaren  Streitkräften 
das  verhasste  Theben  zu  demüthigen.  Zu  diesem  Zwecke  bot  sich  zu- 
nächst in  Megara  eine  günstige  Gelegenheit  dar. 

Dies  unglückselige  Ländeben  hatte  von  allen  Theilen  Griechen- 
lands am  furchtbarsten  unter  derGeifsel  des  Bürgerkriegs  zu  seufzen; 
ja  man  begreift  kaum,  wie  bei  den  jährlichen  Verheerungen  desselben 
und  bei  der  fortwährenden  Blokade  der  Seeküsten  der  kleine  Staat 
überhaupt  noch  fortbestehen  konnte.  Aber  bei  all  dieser  Noth  und 
dem  Mangel  an  den  notwendigsten  Lebensbedürfnissen  (selbst  seiner 
Salinen  war  es  durch  die  Besetzung  von  Minoa  beraubt  worden) ,  ent- 
spann sich  in  Megara  selbst  ein  neuer  Parteizwist ,  welcher  die  Folge 
hatte,  dass  eine  Anzahl  der  heftigsten  Aristokraten  ausgestofsen  wurde. 
Diese  bemächtigten  sich  der  westlichen  Hafenstadt  Pegai,  sperrten  nun 
auch  von  dieser  Seite  jede  Zufuhr  ab  und  verheerten  das  ausgesogene 
Ländchen.  Die  Folge  war,  dass  sich  eine  Partei  bildete,  welche  mit 
den  attischen  Feldheim  Demosthenes  und  Hippokrates,  dem  Sohne 
Ariphrons,  in  Unterhandlung  trat;  denn  sie  wollten  lieber  die  Athener 
in  ihrer  Stadt  haben,  als  die  Verbannten. 

Der  Verrath  wurde  mit  aller  Umsicht  vorbereitet;  attisches 
Schiffsvolk  landete  unvermerkt  und  drang,  von  Demosthenes  geführt, 
in  das  geöffnete  Thor  der  langen  Mauern  ein,  welche  Nisaia  und  Megara 
verbanden.  Dann  kam  zur  rechten  Zeit  das  Landheer  von  Eleusis 
an  ;  die  peloponnesische  Besatzung  von  Nisaia  musste  sich  ergeben  und 
auch  die  Hauptstadt  würde  gefallen  sein,  wenn  nicht  Brasidas,  der 
mit  Truppensammlung  in  der  Nähe  des  Islhmos  beschäftigt  war,  ein 
Heer  von  6000  Peloponnesiern  und  Böotiern  zusammengebracht  hätte. 
Die  beiden  Heere  standen  sich  in  der  Ebene  gegenüber,  aber  die 
Athener  hatten  nicht  Lust,  um  den  Besitz  von  Megara  eine  entschei- 
dende Landschlacht  zu  wagen.  Die  Stadt  kam  dadurch  in  die  Hände 
der  verbannten  Partei,  welche  ihr  oligarchisches  Schreckensregiment 
damit  eröffnete,  dass  sie  hundert  Männer  von  den  athenisch  Gesinnten 
zum  Tode  verurteilen  Hefa,  ein  Bluturteil,  welches  sie  durch  An- 
ordnung offener  Abstimmung  zu  erzwingen  wusste.  Nisaia,  das  keine 
Viertelmeile  entfernt  lag,  blieb  attisch;  aber  der  Plan  einer  Besetzung 
von  Megaris  und  einer  Absperrung  des  Istbmos  war  misslungen. 


Digitized  by  Google 


ANGRIFF  AUF  DüOTIE*   (89,  1;  424). 


493 


Nichts  desto  weniger  setzte  Demosthenes  seine  kühnen  Unter- 
nehmungen unverzagt  fort  und  veranstaltete  im  Spätherbste  mit 
Hippokrates  einen  Angriff  auf  Böotien  in  gröfstem  Maßstäbe.  Denn  zu 
gleicher  Zeit  sollte  erstlich  von  Naupaktos  eine  Landung  an  der  Küste 
des  Landes  gemacht,  zweitens  vom  Parnasse  aus  (wo  man  auf  die 
Unterstützung  der  Phokeer  rechnen  konnte)  Chaironeia  besetzt  und 
endlich  noch  am  euböischen  Meere  ein  fester  Küstenpunkt  angelegt 
werden,  um  die  ganze  Landschaft  mit  attischen  Waffenplätzen  zu  um- 
ringen und  so  die  Widerstandskraft  Thebens  allmählich  zu  ermüden, 
wie  es  mit  Sparta  schon  gelungen  war.  Auch  nach  Euboia  hatte  man 
in  demselben  Jahre  einen  Kriegszug  unternommen ,  und  aus  dem  Ge- 
winn desselben  eine  Kornspende  versprochen,  die  aber  sehr  unter  der 
Erwartung  der  Bürger  von  Athen  blieb. 

Diese  kriegerischen  Mafsregeln  gegen  Theben  zu  unterstützen, 
waren  gleichzeitig  mit  den  demokratischen  Parteigängern  und  allen 
Feinden  der  thebanischen  Hegemonie  heimliche  Unterhandlungen  an- 
geknüpft worden,  welche  das  Gelingen  zu  verbürgen  schienen.  Aber 
gerade  in  diesem  Parteitreiben  und  in  den  verrätherischen  Verbin- 
dungen, welche  nun  immer  mehr  bei  allen  Kriegsunternehmungen  den 
Ausschlag  geben  sollten,  lag  die  Schwäche  des  Kriegsplans,  weil  man 
genöthigt  war,  vielerlei  fremde  und  unzuverlässige  Personen  in  da» 
Geheimniss  hereinzuziehen.  Theben  wurde  gewarnt,  und  als  Demo- 
sthenes mit  den  akarnanischen  Bundesgenossen  vor  Siphai,  dem  Hafen- 
orte der  Thespieer,  erschien,  fand  er  denselben  zur  Vertheidigung  voll- 
ständig ausgerüstet,  und  ebenso  wurde  die  Ueberrumpelung  von 
Chaironeia  vereitelt.  Aufserdem  hatte  man  sich  in  der  Berechnung  der 
Zeit  geirrt  Der  rastlose  Demosthenes  war  zu  früh  gekommen,  so  dass 
die  Böotier,  ehe  sie  von  der  Ostseite  angegriffen  waren,  gegen  ihn 
ihre  Gränzen  vertheidigen  und  dann  wieder  ihre  ganze  Macht  gegen 
Hippokrates  verwenden  konnten. 

Dieser  nämlich  hatte  inzwischen  alle  waffenfähige  Mannschaft, 
über  die  Athen  verfügen  konnte,  auch  Schutzgenossen  und  Fremde, 
aufgeboten,  um  über  Oropos  in  das  Gebiet  der  Tanagräer  einzurücken 
und  hier  an  der  Küste,  Eretria  gegenüber,  Delion  zu  besetzen,  einen 
Tempelort  des  Apollon.  der  das  Meer  unmittelbar  überragte  und  für  die 
Verbindung  mit  Euboia  eben  so  wohl  gelegen  war,  wie  zur  Be- 
herrschung des  Asoposthals.  Aufser  den  Schwerbewaffneten  waren 
20,000  Mann  dabei,  welche  mit  Geräthen  für  Schanzarbeiten  versehen 


Digitized  by  Google 


494 


SCHLACHT   BEI   DELIO>   (89,  l;  424). 


waren.  Ganz  AÜien  war  in  Bewegung,  um  in  dem  langen,  erbitterten 
Kampfe  mit  Böotien  endlich  etwas  Entscheidendes  auszuführen  und 
das  wichtige  Küstenland  am  Asopos  in  attische  Gewalt  zu  bringen. 
Da  der  Tempelort  gänzlich  verwahrlost  und  in  Verfall  gerathen  war, 
glaubte  man  wohl  um  so  weniger  ein  Unrecht  zu  tbun,  wenn  man  ihn 
besetzte,  da  man  diesen  Gewaltschritt  später  durch  Wiederherstellung 
des  Heiligthums  sühnen  konnte. 

Am  dritten  Tage  nach  dem  Ausmarsche  begann  die  Verschanzung 
und  am  fünften  Tage  war  ein  vertheidigungsfähiger  Waflenplatz  mit 
Wall  und  Graben  hergestellt.  Hippokrates  blieb  in'Delion,  um  die 
Vollendung  des  Werks  zu  beaufsichtigen ;  das  Heer  kehrte  zurück,  und 
Alles  schien  nach  Wunsch  gelungen  zu  sein.  Inzwischen  hatten  sich 
aber  die  Böotier  bei  Tanagra  gesammelt,  und  obgleich  die  meisten  der 
Führer  abgeneigt  waren,  mit  den  Athenern,  welche  schon  wieder  an 
der  Gränze  waren,  den  Kampf  zu  suchen,  so  überwog  doch  die 
Stimme  des  Pagondas,  welcher  unter  den  elf  Böotarchen  gerade  an 
der  Reihe  war  das  Commando  zu  führen.  Er  war  ein  thebanischer 
Aristokrat,  ein  Mann  von  entschlossener  Tbatkraft  und  eindringender 
Beredsamkeit  Er  wusste  die  Truppen  zu  überzeugen,  dass  man  die 
Athener  nicht  aus  dem  Lande  heraus  lassen  dürfe,  ohne  dass  sie  für 
ihren  frechen  Einbruch  Bufse  zahlten.  Er  wusste  zugleich  die  günstige 
Gelegenheit  wahrzunehmen,  um  das  abziehende  Heer  durch  einen 
Flankenangriff  zu  überraschen.  Hippokrates  eilte  zum  Heere,  das  eine 
halbe  Stunde  von  Delion  Halt  gemacht  hatte.  In  den  Schluchten  des 
Gebirges  trafen  die  Truppen  zusammen.  Den  7000  schwerbewaffneten 
Bootiern  war  die  attische  Macht  an  Zahl  gewachsen ;  aber  die  Masse 
der  Leichtbewaffneten  war  schon  weit  nach  Athen  voraus.  Außerdem 
hatten  die  Böotier  den  Vortheil  des  Angriffs,  den  sie  versteckt  vorbe- 
reiten konnten.  Es  entspann  sich  ein  furchtbarer  Kampf.  Den  Einen 
schwebte  der  Sieg  von  Koroneia ,  den  Andern  der  von  Oinophyta  vor 
Augen.  Die  Athener  warfen  glücklich  den  linken  Flügel  der  Feinde, 
aber  auf  der  andern  Seite  erlangte  die  Wucht  der  the Dänischen 
Phalanx,  welche  25  Mann  tief  aufgestellt  war,  einen  vollständigen  Sieg, 
so  dass  auch  der  siegreiche  Flügel  der  Athener  in  die  allgemeine  Flucht 
hereingezogen  wurde.  Die  Reiterei  wurde  in  wirksamster  Weise  be- 
nutzt, und  obgleich  der  Kampf  erst  Nachmittags  begonnen  hatte  und 
die  Nacht  den  Flüchtenden  günstig  war,  so  blieb  doch  Hippokrates 
selbst  mit  fast  tausend  Bürgern  auf  der  Wahlstätte. 


Digitized  by 


BRASIDAS'  KRIEGSPOLITIK 


495 


Siebzehn  Tage  lagen  sie  daselbst  unbestattet;  ein  unerhörter  Fall 
in  der  Geschichte  des  Kriegs;  denn  bei  aller  Verwilderung  war  doch 
das  Recht  der  Todten  den  Griechen  heilig  geblieben,  und  noch  niemals 
war  die  Bestattung  von  Seiten  des  Siegers  an  Bedingungen  geknöpft 
worden.  Aber  die  Böotier,  welche  das  Schlachtfeld  inne  hatten, 
weigerten  sich  die  Leichen  herauszugeben,  bis  DeJion  geräumt  wäre, 
indem  sie  jetzt  auf  einmal  eine  grofse  Gottesfurcht  zur  Schau  trugen 
und  im  Namen  Apollons  solche  Forderung  zu  stellen  sich  berechtigt 
fühlten.  Das  Ende  dieses  widerwärtigen  Streits  wurde  dadurch  herbei- 
geführt, dass  die  Böotier  mit  korinthischer  Hülfe  Delion  eroberten. 
Der  gröfsere  Theil  der  Besatzung  rettete  sich  aus  der  brennenden  Feste 
auf  die  Schiffe;  200  wurden  zu  Gefangenen  gemacht.  So  war  der 
Kriegsplan  gegen  Böotien  auf  allen  Punkten  gescheitert  und  der  sieges- 
stolze Sinn  der  Athener  durch  eine  schwere  Niederlage  auf  das  Tiefste 
gedemüthigt;  denn  sie  erkannten,  was  für  feindliche  Mächte  noch  un- 
bezwungen  ihnen  gegenüberstanden66). 

Aber  auch  Sparta  ermannte  sich  von  Neuem.  Sein  Unglück  hatte 
begonnen ,  als  Brasidas  im  pylischen  Hafen  zu  Boden  sank  (S.  478) ; 
sein  Geschick  wendete  sich ,  als  dieser  Held  genas  und  nun  keinen 
andern  Gedanken  im  Sinne  trug ,  als  seine  Vaterstadt  an  ihren  über- 
müthigen  Feinden  zu  rächen. 

Brasidas ,  der  Sohn  des  Tellis ,  gehörte  wie  Demosthenes  zu  den 
Männern,  welche  im  Kriege  selbst  zu  Feldherrn  gereift  waren  und 
sich  aus  den  Erfahrungen  desselben  ihre  Kriegspolitik  gebildet  hatten. 
Er  war  ein  glühender  Patriot  und  begeistert  für  den  Beruf  seiner 
Vaterstadt,  an  der  Spitze  der  Hellenen  zu  stehen,  aber  das  volle  Gegen- 
bild der  damaligen  Spartaner,  eben  so  entschlossen  und  that kräftig, 
wie  diese  lahm  und  schwerfällig  waren,  ein  Mann  von  altspartanischer 
Ehrliebe  und  Rechtschaffenheit  und  eben  darum  ein  entschiedener 
Gegner  der  oligarchischen  Kreise,  aus  denen  die  Ephoren  gewählt 
wurden,  welche  durch  eine  eben  so  unredliche  wie  unverständige  und 
gedankenlose  Politik  Sparta  in  Unglück  und  Unehre  verkommen 
liefsen.  Er  erkannte,  dass  man  einen  mächtigen  Feind  nicht  besiegen 
könne,  ohne  von  ihm  zu  lernen  und  seine  starken  Seiten  sich  anzu- 
eignen; er  war  Staatsmann  und  Feldherr  in  einer  Person,  wie  die 
Besten  der  Athener,  und  zugleich  der  hellenischen  Rede  mächtig,  wie 
kaum  ein  anderer  Lakedämonier  vor  ihm  gewesen  war.  Obwohl  er 
überall ,  wo  ihm  zu  handeln  Gelegenheit  gegeben  war ,  sich  glänzend 


Digitized  by  Google 


496 


DRASIDAS'  KRIEGSPOLITIK. 


bewährt,  obgleich  er  Methone  und  Megara  gerettet  und  selbst  die  Flotte 
Albens  in  grobe  Bedräugniss  gebracht  hatte  (S.  404,  417,492),  so 
war  dennoch  in  dem  engherzigen  Sparta,  wie  leicht  zu  begreifen  ist, 
dem  hervorragenden  Manne  keine  entsprechende  Thätigkeit  angewiesen 
worden;  er  hatte  nur  an  einzelnen  Punkten  helfen  und  nur  in  unter- 
geordneter Stellung  wirken  können,  und  doch  ging  sein  feuriges 
Streben  dahin,  die  ganze  Politik  Spartas  aus  ihrem  Schlendrian  heraus- 
zureifsen  und  ihr  die  richtigen  Wege  zu  zeigen. 

Seine  Pläne  waren  sehr  einfach  und  klar.  Sparta,  so  dachte  er, 
muss  aus  seinem  Belagerungszustande  heraus;  es  muss  wieder  an- 
greifend vorgehen,  um  seine  Waffenehre  herzustellen.  Athen  selbst 
kann  der  gefangenen  Spartaner  wegen  nicht  angegriffen  werden,  und 
dieser  Umstand  ist  ein  Glück  für  Sparta,  indem  es  dadurch  zu  wirk- 
sameren Angriffsweisen  genöthigt  wird.  Athen  muss  auf  seinem 
Bundesgebiete  angegriffen  werden.  Das  ist  die  Lehre,  welche  die 
Mytilenäer  gegeben  hatten,  und  Niemand  wusste  besser,  was  damals 
versäumt  war,  als  Brasidas,  welcher  dem  unfähigen  Alkidas  beigegeben 
war,  als  dieser  von  Lesbos  heimkehrte.  Das  Versäumte  muss  nach- 
geholt und  die  nächste  Gelegenheit  benutzt  werden,  den  Krieg  in  die 
Colonialländer  Athens  zu  verlegen,  und  zwar  so,  dass  der  erste  Erfolg 
nicht  von  einem  Flottenkampfe  abhängig  ist;  d.  h.  man  muss  von  der 
Landseite  den  attischen  Bundesorten  beizukommen  suchen.  Zu  einem 
Einfalle  in  so  ferne  Gebiete  kann  man  aber  kein  spartanisches  Bürger- 
Ii  eer  gebrauchen;  dazu  bedarf  es  eines  anderen  Materials,  das  sind  die 
Heloten. 

Vor  den  Heloten  im  eigenen  Lande  ängstigten  sich  die  Spar- 
taner mehr  als  vor  den  Feinden  draufsen,  namentlich  jetzt  bei  der 
Nähe  der  feindlichen  Waflenplätze  in  Kythera  und  Pylos.  Hatte  man 
doch  vor  Kurzem  erst  zwei  tausend  Heloten,  die  kriegstüchtigste 
junge  Mannschaft,  durch  den  schändlichsten  Venrath  bei  Seite  ge- 
schallt, nachdem  man  ihnen  aufs  Feierlichste  die  Freiheit  verheifsen 
hatte.  Das  war  Spartas  Dank  für  die  treue  Hingebung  der  Heloten  bei 
Sphakteria ! 

Niemand  empfand  das  Schmachvolle  eines  solchen  Verfahrens 
tiefer  als  Brasidas;  er  erkannte  aber  auch  die  Thorheit  des  Staats, 
der  die  besten  Kräfte  seines  Landes  freventlich  vernichtete.  Ihm 
leuchtete  ein,  dass  man  sie  aufserhalb  der  Heimath  verwenden  müsse, 
indem  man  spartanische  Feldherrn  mit  Heloten  und  Peloponnesiem 


Digitized  by  Google 


ATHENS  THRAKISCHE  BESITZUNGEN. 


497 


in  die  Colonien  schickte,  welche  zum  Abfalle  von  Athen  bereit  wären, 
um  die  Erhebung  derselben  zu  unterstützen  und  in  ihrem  Gebiete  sich 
die  Hülfsmiltel  anzueignen,  welche  zu  einer  endlichen  Besiegung 
Athens  unentbehrlich  waren.  Denn  das  musste  jetzt  auch  dem  kurz- 
sichtigsten Spartaner  klar  geworden  sein,  dass  ohne  Flotte  keine  Ent- 
scheidung des  Kriegs  möglich  sei.  Deshalb  hatte  man  sich  nach 
Vereitelung  der  letzten  Friedensverhandlungen  schon  an  den  Grofs- 
könig  gewendet,  und  im  vergangenen  Winter  war  ein  Bevollmächtigter 
desselben  den  Athenern  in  die  Hände  gefallen,  welcher  den  Auftrag 
hatte  nach  Sparta  zu  gehen,  um  sich  klare  Auskunft  über  die  Ab- 
sichten der  Spartaner  zu  verschaffen.  Jetzt  bot  sich  eine  Gelegenheit 
dar,  um  in  würdigerer  Weise  zum  Ziele  zu  gelangen.  Sie  knüpfte  sich 
an  die  Person  des  Brasidas. 

Obwohl  Brasidas  noch  kein  selbständiges  Commando  bekleidet 
hatte,  so  war  er  doch  als  der  einzige  Held  und  Staatsmann,  den 
Sparta  hatte,  schon  weit  bekannt.  Die  Korinther,  mit  denen  er 
in  Beziehung  stand  (S.  462),  hatten  gewiss  nicht  unterlassen,  auf 
ihn  hinzuweisen,  und  so  waren  auch  die  fernen  Colonien  mit 
seinem  Namen  bekannt  und  hofften  von  ihm  Hülfe  gegen  Athen  zu 
erlangen. 

Hülfsbedürftig  fühlten  sich  damals  aber  vor  allen  andern  die 
thrakischen  Küstenstädte;  denn  diese  waren  noch  unter  Waffen; 
Olynthos  (S.  370)  trotzte  noch  immer  den  Athenern,  aber  zu  einem 
nachhaltigen  Widerstande  fühlten  sich  die  Städte  nicht  kräftig  genug, 
und  sie  mussten  voraussetzen,  dass  Athen  sein  jetziges  Waffenglück 
ohne  Säumniss  benutzen  werde,  um  seine  volle  Herrschaft  in  Thrakien 
herzustellen.  Welches  Schicksal  aber  dann  die  Abtrünnigen  erwartete, 
lehrte  das  Beispiel  von  Mytilene.  Unter  diesen  Umständen  war  es 
rathsam,  sich  bei  Zeiten  nach  fremder  Hülfe  umzusehen.  Ihre  ganze 
Hoffnung  ruhte  auf  Brasidas.  Perdikkas  von  Makedonien,  der  erste 
König  des  Nordens,  welcher  auf  die  griechischen  Angelegenheilen 
einen  Einfluss  geltend  gemacht  hat,  begünstigte  ihre  Bestrebungen, 
weil  er  damals  mit  dem  Fürs  tengeschlechte  der  Lynkesten  im  Streite 
lag  und  die  rasche  Beendigung  desselben  mit  Hülfe  fremder  Truppen 
zu  erreichen  wünschte.  Darum  schickte  auch  er  Gesandte  nach  Sparta, 
um  die  Aussendung  des  Brasidas  dringend  zu  befürworten  und  seiner- 
seits allen  Vorschub  zu  versprechen. 

Dem  spartanischen  Feldherrn  konnte  keine  Gelegenheit  geboten 

Curtio»,  Or.  QflMh.  II.  6.  Aufl.  32 


Digitized  by  Google 


498 


RRASIDAS'  KRIEGSI'OLITIK. 


werden,  welche  seinen  Kriegsplänen  mehr  entsprach  als  diese.  An  der 
thrakischen  Küste  waren  die  Goldbergwerke  noch  unerschöpft  und 
Schiflsbauholz  in  Fülle.  Dort  war  der  beste  Küstenplatz  im  ganzen 
Archipelagus,  um  einen  Floltenbau  zu  beginnen,  dort  war  bei  Weitem 
das  günstigste  Kriegstheater  gegen  Athen;  dort  war  noch  am  meisten 
trotziger  Unabhängigkeilssinn  und  ungebrochene  Kraft  vorbanden; 
kein  Colonialland  war  den  Athenern  wichtiger,  und  keines  schwieriger 
für  sie  zu  behaupten,  als  das  thrakische  Küstenland. 

Dennoch  würden  die  Behörden  Spartas  auch  bei  den  günstigsten 
Aussichten  diese  Unternehmung  schwerlich  gebilligt  haben,  wenn  sie 
Opfer  verlangt  hätte.  Da  aber  die  chalkidischen  Städte  den  Unterhalt 
der  Truppen  übernahmen  und  firasidas  nur  700  Heloten  als  Kriegs- 
geleit verlangte,  so  billigte  man  den  Zug,  so  abenteuerlich  er  auch  den 
Meisten  erschien.  Es  schien  wenig  dabei  gewagt  zu  werden.  Den 
Einen  mochte  es  ganz  recht  sein,  wenn  der  unruhige  Neuerer  mit 
seinem  edlen  Kriegsvolke  draufsen  für  seine  Tollkühnheit  hülsen 
musste;  die  Anderen  hofften  im  besten  Falle,  dass  man  einzelne  Plätze 
gewinnen  könne,  welche  zur  Auswechselung  gegen  die  von  Athen 
besetzten  Orte  und  zur  Befreiung  der  Gefangenen  benutzt  werden 
könnten;  denn  auf  kürzestem  Wege  zum  Frieden  zu  gelangen,  war  der 
in  Sparta  allgemein  vorherrschende  Wunsch.  Unter  diesen  Umständen 
gelang  Brasidas  der  kühne  Griff,  den  Krieg  auf  einmal  aus  dem  ein- 
geschlossenen Peloponnes  in  ein  fernes  Colonialland  der  Athener  zu 
verlegen,  wo  man  nicht  nur  freie  Hand  halte,  sondern  auch  neue 
Bundesgenossen  und  Kriegsmittel  gewann.  Es  war  die  erste  grofse  und 
kluge  Unternehmung  Spartas  im  peloponnesischen  Kriege;  es  war  der 
Anfang  einer  neuen  Kriegführung  auf  einem  andern  Schauplatze,  mit 
anderen  Kriegsmitlein  und  in  einem  ganz  anderen  Geiste,  als  bisher; 
es  war  der  entscheidende  Wendepunkt  der  ganzen  Kriegsgeschichte, 
der  so  unerwartet  eintrat,  dass  die  umsichtigsten  Zeilgenossen  an  die 
Möglichkeit  einer  solchen  Wendung  gar  nicht  gedacht  hatten67). 

Dafür  giebt  die  Schrift  'vom  Staate  der  Athener1  ein  merkwür- 
diges Zeugniss,  eine  politische  Flugschrift,  welche  in  demselben  Jahre 
entstanden  ist,  mitten  aus  den  Erfahrungen  der  Kriegsjahre  heraus 
geschrieben,  eine  unschätzbare  Ergänzung  der  Kriegsgeschichte  des 
Thukydides. 

Der  Verfasser  ist  ein  entschiedener  Gegner  der  Demokratie.  An 
ihm  sehen  wir,  wie  das  nachperikleische  Athen  in  sich  entzweit  ist. 


Digitized  by  Google 


DIE  SC  BMFT  'VOM  STAAT  DER  ATHE>BR' 


499 


Seine  Bürger  gehorchen  den  GeseUen  einer  Verfassung,  aber  die 
aristokratisch  Gesinnten  stehen  ihr  wie  Fremde  gegenüber  und  sprechen 
von  dem  Demos  wie  von  einer  feindlichen  Macht.  Die  alte  Tradition 
war  durch  die  Pestjahre  zerrissen.  Die  Bürgerschaft  ist  ein  Mischvolk 
geworden,  zersetzt  durch  fremdländische  Griechen  und  Barbaren, 
welche  der  Gewinn  herbeilockt  und  die  Menge  der  Feste.  Das  ent- 
artete Athen  ist  den  Aristokraten  ein  Sitz  der  Ungerechtigkeit,  denn 
Alles  ist  zum  Vortheil  der  kleinen  Leute  eingerichtet,  welche  nichts 
zu  verlieren  haben,  und  zum  Nachtheile  der  Gebildeten  und  Be- 
sitzenden ;  denn  diese  haben  alle  Kriegslasten  zu  tragen  und  müssen 
im  Felde  auf  ihre  Gefahr  die  verantwortlichsten  Stellen  übernehmen. 
Die  Bundesgenossen  werden  wie  Sklaven  behandelt  und  sehen  sich 
gezwungen  den  Athenern  zu  schmeicheln ,  weil  es  ihre  Richter  sind. 
Der  öffentliche  Geschäftsgang  ist  so  schwerfallig,  dass  Auswärtige 
unter  Umständen  ein  Jahr  warten  müssen,  ehe  sie  bei  den  Behörden 
Vortritt  erlangen. 

So  streng  aber  auch  der  Verfasser  mit  den  innern  Zuständen  in 
das  Gericht  geht,  ebenso  entschieden  erkennt  er  in  BetrefT  der  aus- 
wärtigen Verhältnisse  die  günstige  Lage  der  Stadt  an.  Hier  war  das 
Erbe  der  perikleischen  Zeit  noch  unverkürzt  erhalten.  Der  Kriegsplan 
des  Perikles  hatte  sich  glänzend  bewährt.  Denn  mit  der  See  be- 
herrschte Athen  auch  das  Land  der  Hellenen.  Mit  seinen  Schiffen 
sperrte  es  den  Sund  von  Rhion;  Atalante,  Minoa,  Kythera,  Methone, 
Pylos  waren  in  den  Händen  der  Athener.  Für  die  Herren  der  See  gab 
es  keine  Schranke.  Sie  konnten  sich  von  ihrem  Centrum  beliebig  ent- 
fernen, sie  konnten  sich  die  wichtigsten  Küstenplätze  nach  Wunsch 
aussuchen  und  unvermuthet  am  Platze  sein.  Dagegen  hat  eine  Land- 
macht, wenn  sie  auch  die  erste  ist,  mit  den  gröfsten  Schwierigkeiten 
zu  kämpfen,  um  in  langen  und  gefahrlichen  Tagemärschen  ein  ent- 
ferntes Ziel  zu  erreichen. 

So  schreibt  der  Verfasser  des  'Staats  der  Athener'  im  Jahre  424 
(88,  4 — 89,  1),  indem  er  das  bundesgenössische  Gebiet  der  Stadt  für 
vollkommen  unangreifbar  hielt,  und  in  demselben  Jahre  machte  sich 
Brasidas  auf  den  Weg,  um  im  fernsten  Küstengebiet  von  der  Landseite 
her  die  Seemacht  der  Athener  zu  erschüttern.  Es  war  das  erste  Mal, 
dass  Sparta  alle  Erwartungen  überflügelte,  welche  von  seinen  An- 
hängern und  Bewunderern  gehegt  wurden*7*). 

Freilich  war  Brasidas  auch  nach  Einwilligung  der  Behörden  noch 

32* 


Digitized  by  Google 


500 


BRASIDAS   IN   THESSALIEN   (89,  1;  424). 


weit  vom  Ziele,  und  es  erhoben  sich  Schwierigkeiten,  welche  für  jeden 
andern  Spartaner  unübersteiglich  gewesen  wären.  Die  erste  Gefahr 
erlebte  er  noch  im  Peloponnes ;  denn  wenn  Megara  den  Athenern  in 
die  Hände  gefallen  wäre,  so  hätte  Brasidas  am  Isthmos  stehen  bleiben 
müssen.  Indess  gelang  es  ihm  in  letzter  Stunde  den  wichtigen  Platz 
zu  retten  (S.  492)  und  sich  freie  Bahn  zu  schaffen.  Während  dann 
die  Athener  ganz  mit  ihren  Operationen  gegen  Theben  beschäftigt 
waren,  zog  er,  verstärkt  durch  tausend  Mann,  welche  er  im  nördlichen 
Peloponnes  für  thrakisches  Geld  geworben  hatte,  durch  Böolien  nach 
Herakleia  (S.  468).  Hier  begannen  die  eigentlichen  Schwierigkeilen ; 
denn  ganz  Thessalien  musste  durchmessen  werden,  ehe  Brasidas  in 
das  Gebiet  seiner  Verbündeten  gelangte.  Ein  solcher  Truppenmarsch 
war  nach  griechischem  Völkerrechte  nur  gestattet,  wenn  die  Landes- 
behörden ihre  Zustimmung  gegeben  halten.  Die  Bevölkerung  Thes- 
saliens war  aber  der  grofsen  Mehrheil  nach  den  Athenern  zugethan, 
und  sie  war  neuerdings  durch  die  Anlage  von  Herakleia  mehr  als  je 
gegen  Sparta  in  Aufregung.  Es  war  also  kein  geringes  Wagniss, 
mit  einer  kleinen  Heerschaar,  welche  die  Aufgabe  halte,  attische  Co- 
lonien  abtrünnig  zu  machen ,  mitten  durch  das  unbekannte  und  feind- 
lich gestimmte  Land  voll  kriegerischer  Stämme  hindurchzugehen. 
Indessen  verliefs  sich  Brasidas  auf  den  ungeordneten  Zustand  der 
öffentlichen  Verhältnisse  in  Thessalien.  Denn  noch  immer  standen, 
wie  zur  Zeit  der  Perserkriege,  in  den  einzelnen  Städten  Volkspartei 
und  Adel  einander  schroff  gegenüber,  ohne  dass  es  einer  Partei  ge- 
lungen wäre,  ein  dauerndes  Uebergewicht  zu  erlangen;  die  Macht  der 
alten  Geschlechter,  welche  ihrer  antinationalen  Haltung  wegen  von 
Leotychides  gebrochen  werden  sollte  (S.  141),  hatte  sich  noch  immer 
behauptet,  und  der  Verrath,  den  Spartas  König  vor  45  Jahren  begangen 
hatte,  kam  jetzt  den  Spartanern  zu  Gute.  Denn  die  damals  persisch 
gesinnte  Partei  war  nun  auf  Seile  von  Sparta.  Mit  ihr  setzte  sich 
Brasidas  also  in  Verbindung.  Zu  ihr  gehörten  auch  die  Anhänger  und 
Gastfreunde  des  Perdikkas  und  der  Chalkidier;  sie  kamen  dem  Feld- 
herrn nach  Südlhessalien  entgegen,  um  ihn  durch  das  Land  zu  geleiten. 
Mit  ihrer  Hülfe  führte  Brasidas  seine  Absichten  so  klug  und  ent- 
schlossen durch,  dass  die  Bevölkerung  des  Landes  erst  in  Alarm 
gerieth,  als  er  auf  dem  Wege  nach  Pharsalos  den  Enipeusfluss  über- 
schreiten wollte.  Hier  wurde  ihm  von  thessalischen  Haufen  der  Ueber- 
gaug  streitig  gemacht.  Es  kam  zu  Unterhandlungen.  Brasidas  wusste 


Digitized  by  Google 


BRASIDAS  IN   THRAKIEN  (89,  1 ;  424  HERBST). 


501 


die  Aufregung  der  Bevölkerung  zu  beschwichtigen ;  er  überzeugte  sie, 
dass  er  nicht  in  feindlicher  Absicht  gekommen  sei,  wie  etwa  Demo- 
athenes  in  Aetolien  eingedrungen  wäre;  er  wolle  nur  freien  Durchzug, 
und  auch  diesen  werde  er  nie  erzwingen  wollen.  Während  nun  die 
Thessalier  heimgingen,  um  eine  weitere  Beratschlagung  zu  veran- 
lassen ,  rückte  Brasidas  auf  Anralhen  seiner  Führer  in  beschleunigten 
Märschen  weiter  und  gelangte  glücklich  über  die  Pässe  des  Olympos, 
ehe  die  Gesammtheit  der  Thessalier  über  die  Zulässigkeit  dieses 
Durchzugs  einen  Beschluss  zu  Stande  gebracht  hatte. 

In  Makedonien  erkannte  er  bald  die  Unzuverlässigkeit  des  Per- 
dikkas,  der  ihn  wie  einen  Condottiere  benutzen  wollte,  um  durch  seine 
Hülfe  Arrhabaios,  den  Häuptling  der  Lynkesten,  welche  im  oberen 
Berglande  ihre  Unabhängigkeit  aufrecht  erhalten  wollten,  zu  besiegen. 
Brasidas  aber  hatte  keine  Lust,  sich  hier  in  Kämpfe  verwickeln  zu 
lassen ,  welche  ihm  ganz  gleichgültig  waren ;  auch  hielt  er  es  nicht  für 
vortheilhaf t ,  den  makedonischen  König  von  seinem  Gegner  völlig  zu 
befreien,  weil  derselbe  dann  für  Sparta  ein  um  so  lässigerer  Bundes- 
genosse sein  würde;  er  zog  es  daher  vor,  den  Streit  der  Fürsten  durch 
Vertrag  zu  vermitteln,  obgleich  Perdikkas  damit  schlecht  zufrieden 
war  und  einen  Theil  der  versprochenen  Subsidien  sofort  zurückzog. 
Brasidas  aber  gewann  freie  Hand,  um  noch  vor  Ende  des  Sommers 
quer  über  den  Rücken  der  cbalkidischen  Halbinsel  hinüber  an  den 
strymonischen  Meerbusen  zu  gelangen,  wo  die  Städte  lagen,  von 
welchen  die  Aufforderung  zur  Hülfe  an  ihn  gekommen  war.  Hier  war 
die  verwundbare  Ferse  der  attischen  Macht.  Hier  wohnten  streitbare 
Völker,  die  ihre  Geschichte  begannen,  und  denen  Athens  Seemacht  im 
Wege  stand.  Wer  an  diesen  Küsten  festen  Fufs  fasste,  konnte  mit 
Hülfe  der  Nordwinde  den  Archipelagus  beherrschen.  Als  Brasidas  hier 
auftrat,  da  war  es  nicht  eine  einzelne  Wetterwolke,  die  am  Horizont 
aufzog,  sondern  ein  Umschwung  aller  Verhältnisse,  der  in  unschein- 
baren Ereignissen  seinen  Anfang  nahm. 

Brasidas  zog  zuerst  vor  die  Thore  von  Akanthos,  einer  blühenden 
Stadt  an  dem  Isthmus  des  Athosgebirges,  welchen  Xerxes  durchge- 
graben hatte.  Die  Aufnahme,  welche  er  hier  fand,  entsprach  seinen 
Erwartungen  nicht.  Denn  er  überzeugte  sich  bald,  dass  nur  eine 
Minderzahl  der  Bürger  ihm  günstig  sei  und  dass  durchaus  nicht  alle 
Gemeinden,  wie  er  geglaubt  hatte,  in  einer  Erhebung  gegen  Athen 
begriffen  wären.  Er  verlangte  darum  auch  nicht  mehr,  als  dass  er 


Digitized  by  Google 


502 


VERHANDLUNGEN  MIT  AKANTHOS. 


allein  zugelassen  werde,  um  der  versammelten  Bürgerschaft  seine  Ab- 
sichten offen  darlegen  zu  können.  Er  wurde  eingelassen  und  zeigte 
in  der  Versammlung  eine  Gewandtheit  der  Rede,  welche  im  Munde 
eines  Spartaners  eben  so  überraschte  wie  die  unglaubliche  Geschwindig- 
keit, mit  welcher  er  von  Sparta  an  das  thrakische  Meer  gelangt  war, 
Staunen  erregte.  Er  redete  nicht  für  die  Akanthier  allein,  sondern 
zugleich  für  alle  benachbarten  Städte  und  entwickelte  ihnen  nun  zum 
ersten  Male  das  Programm  seiner  kriegerischen  und  politischen 
Thätigkeit. 

Der  ganze  Krieg,  sagte  er,  sei  hier  in  Thrakien  zum  Ausbruch 
gekommen.  Damals  habe  Sparta  gleich  den  Städten  seine  Hülfe  ver- 
sprochen; bis  jetzt  sei  es  aber  durch  den  unvorhergesehenen  Gang 
des  Kriegs  ferngehalten  worden;  endlich  sei  der  Augenblick  gekom- 
men, wo  es  sein  Wort  löse  und  seinen  Beruf  als  Befreier  der  unter- 
drückten Pflanzstädte  bewähre.  Sparta  darin  zu  unterstützen  sei  die 
Pflicht  aller  Hellenen,  und  ihnen,  den  Akanlhiern,  sei  die  Ehre  zu- 
gefallen, den  Grundslein  des  Befreiungswerkes  zu  legen.  Das  Beispiel 
einer  so  angesehenen  und  ihrer  Einsicht  wegen  anerkannten  Bürger- 
schaft sei  von  grofser  Wichligkeil.  Keine  Furcht  dürfe  sie  zurück- 
halten, sich  zu  ihrem  eigenen  Ruhme  an  dem  Werke  zu  betheiligen. 
Denn  er  könne  ihnen  auf  das  Feierlichste  verbürgen,  dass  er  keinen 
Umsturz  der  Verfassung,  keine  Auslieferung  der  Volksfreunde  an  die 
Gegenpartei,  überall  keine  Gewaltmafsregeln  beabsichtige,  sondern  die 
volle  Selbständigkeit  aller  Gemeinden  in  Ehren  halten  werde;  dazu 
hätten  auch  die  Behörden  Sparlas  ihm  gegenüber  sich  eidlich  ver- 
pflichtet. Andererseits  könne  er  aber  nicht  zugeben,  dass  sein  grofses 
nationales  Werk  durch  eigensinnigen  Widerstand  einzelner  Städte  ver- 
eitelt werde,  und  deshalb  sehe  er  sich  im  Falle  der  Weigerung  ge- 
zwungen, als  Feind  aufzutreten  und  durch  Verheerung  des  Gebiets  den 
Anschluss  an  Sparta  mit  allen  Mitteln  zu  erzwingen.  Dann  würden  sie 
mit  vernichtetem  Wohlstande  sich  dazu  bequemen  müssen,  was  sie 
jetzt  ohne  Schaden  zu  erleiden  und  sogar  mit  grofsem  Ruhme  frei- 
willig thun  könnten. 

Trotz  der  gewinnenden  Rede  und  der  drohenden  Gefahr  machte 
sich  eine  grofse  Meinungsverschiedenheit  geltend,  und  wenn  die  Ab« 
Stimmung  unter  den  Bürgern  schliefslich  doch  zu  Gunsten  des  Brasidas 
ausfiel,  so  lag  der  Hauptgrund  iu  dem  Umstände,  dass  die  Weinberge 
rings  um  die  Stadt  herum  eben  zur  Lese  reif  waren  und  die  Bürger 


Digitized  by  Google 


BRASIDAS  AM  STRYMON  (89,  1;  491  WINTER).  503 

sich  nicht  entschließen  konnten,  den  ganzen  Jahre9segen  preiszu- 
geben. Akanthos  öffnete  seine  Thore.  Es  war  der  erste  Erfolg,  den 
Sparta  am  thrakiscben  Meere  gewann,  ein  unblutiger,  aber  um  so 
glänzenderer  Sieg,  welcher  dem  Vertrauen  erweckenden  Eindrucke 
einer  kräftigen  und  gewandten  Persönlichkeit  verdankt  wurde.  Es 
war  damit  der  Grund  zu  einer  neuen  Bundesgenossenschaft  gelegt 
worden,  welche  durch  weise  Schonung  fremder  Rechte  und  Aner- 
kennung der  bestehenden  Verfassungen  im  Stande  war,  die  wich- 
tigsten Plätze  der  attischen  Seeherrschaft  auf  die  Seite  Spartas  hin- 
überzuziehen. 

Das  Beispiel  der  Akanthier  wirkte  unmittelbar  auf  die  Nachbar- 
s lädt e,  welche  ebenfalls  von  Andros  herstammten;  zunächst  auf 
Slageiros  und  Argilos.  Ehe  der  Sommer  zu  Ende  ging,  war  Brasidas 
Herr  an  der  westlichen  Seite  des  strymonischen  Meerbusens.  Von 
vielen  Städten  kamen  Gesandtschaften,  welche  ihm  huldigten,  und  mit 
Einbruch  des  Winters,  um  die  Zeit  der  Niederlage  des  Hippokrates 
bei  Delion,  konnte  er,  ohne  Widerstand  zu  finden,  gegen  Amphipoüs 
vorrücken,  die  Golonie  des  Hagnon  (S.  260),  die  Hauptstadt  der  ganzen 
Gegend,  welche  den  kleineren  Nachbarstädlen,  namentlich  Argilos, 
schon  längst  ein  Dorn  im  Auge  gewesen  war;  deshalb  haben  sie  mit 
gröfstem  Eifer  die  Unternehmung  dahin  befördert. 

Als  die  Kunde  von  dem  Zuge  des  Brasidas  nach  Athen  gelangte, 
blieb  man  hier  nicht  gleichgültig.  Man  erklärte  dem  Könige  Perdikkas 
sofort  den  Krieg  und  gedachte  des  Schutzes  der  Bundesstädte,  aber  zu 
raschen  und  kräftigen  Mafsregeln  kam  es  nicht.  Der  Muth  der  Bürger- 
schaft war  durch  das  böotische  Unglück  gelähmt;  man  konnte  sich 
nicht  entschliefsen,  im  Spätjahre,  wo  die  Nordwinde  herrschten,  eine 
Flotte  nach  Thrakien  auszurüsten.  Man  verkannte  die  neue  Gefahr 
nicht,  aber  man  hielt  sie  nicht  für  so  dringend,  um  die  Unlust  zu 
überwinden,  welche  man  gegen  thrakische  Winterfeldzüge  hatte.  So 
blieb  denn  einstweilen  die  Vertheidigung  des  gefährdeten  Küstenlandes 
zwei  Männern  überlassen,  welche  für  den  ganzen  Kriegsschauplatz  ver- 
antwortlich waren  und  doch  nur  so  geringe  Streitkräfte  zur  Verfügung 
hatten,  dass  es  ihnen  unmöglich  war,  in  wirksamer  Weise  den  Fort- 
schritten des  Brasidas  entgegenzutreten.  Der  Eine  war  Eukles,  der 
Andere  Thukydides,  der  Sohn  des  Oloros  (S.  287),  ein  naher  Ver- 
wandter des  Miltiades  und  Abkömmling  eines  thrakischen  Königs- 
geschlechts. Thukydides  selbst  besafs  Goldminen  an  der  Küste,  war 


Digitizeci  by  Google 


504 


EUKLES   UND  THUKYDIDES 


mit  einer  Thrakierin  verheirathet  und  genoss  in  den  umliegenden 
Städten  eines  greisen  Ansehens. 

Die  beiden  Befehlshaber  halten  sich  in  die  Beaufsichtigung  der 
wichtigsten  Punkte  zu  theilen.  Eukles  übernahm  das  Commando  in 
Amphipolis,  Thukydides  lag  mit  sieben  Kriegsschiffen  in  der  Bucht  von 
Thasos.  Die  Wahl  dieses  Standorts  kann  nicht  eine  Laune  des 
Thukydides  gewesen  sein,  sondern  sie  mussle  entweder  auf  einer  Ver- 
abredung zwischen  beiden  Feldherrn  oder  auf  Instruktionen  von  Athen 
beruhen,  und  sie  erklärt  sich  daraus,  dass  man  den  Bergwerkdistrikt 
Thasos  gegenüber  für  besonders  gefährdet  hielt.  Die  Bevölkerung 
daselbst  war,  wie  die  nächsten  Ereignisse  zeigten,  im  höchsten  Grade 
unzuverlässig;  man  gedachte  der  alten  Verbindungen  Spartas  mit  den 
Thasiern  und  seiner  Absichten  auf  die  Goldküsle  (S.  142)  und  hielt 
ohne  Zweifel  Thukydides  für  den  Mann,  der  mehr  als  alle  Anderen 
geeignet  sei,  durch  sein  persönliches  Ansehen  einer  feindlichen  Er- 
hebung an  jener  Küste  mit  Erfolg  entgegen  zu  wirken. 

Was  Amphipolis  betrifft,  so  schien  hier  eine  Vermehrung  der 
Streitkräfte  für's  Erste  nicht  geboten  zu  sein.  Denn  nach  allen  bis- 
herigen Kriegserfahrungen  konnte  man  bei  einer  mit  Waffen  und 
Vorräthen  ausgerüsteten,  durch  Strom  und  Mauer  so  wohl  befestigten 
Stadt,  wie  Amphipolis,  wo  ein  attischer  Feldherr  den  Oberbefehl 
führte,  einer  geringen  peloponnesischen  Schaar  gegenüber  an  eine 
plötzliche  Gefahr  unmöglich  denken.  Aber  man  halte  sich  getäuscht, 
und  zwar  nicht  nur  in  Betracht  der  Klugheit  und  der  Energie  des 
Brasidas,  sondern  auch  in  Ansehung  der  Bürgerschaft.  Denn  diese 
bestand  nur  zum  kleinsten  Theile  aus  Athenern,  die  grofse  Mehrzahl 
•  aber  aus  einem  bunten  Volksgemenge,  das  sich  an  dem  neuen 
Handelsplatze  zusammen  gefunden  hatte  und  weder  in  sich  einen 
festen  Zusammenhang  besafs,  noch  auch  den  Athenern  im  Ganzen 
mit  Treue  anhing.  Von  dieser  Bevölkerung  war  ein  Theil  von  Per- 
dikkas  gewonnen ,  und  Andere  hielten  es  heimlich  mit  ihren  Lands- 
leuten, den  aufständischen  Ghalkidiern. 

Nachdem  also  Brasidas  mit  diesen  ein  Einverständniss  angeknüpft 
hatte,  ging  er  mit  seinen  Truppen  gegen  den  Strymon  vor,  von  den 
Argiliern  geführt,  deren  Gebiet  bis  an  den  Strom  reichte.  Es  war  eine 
rauhe  Winternacht,  in  welcher  Schnee  fiel  und  Keiner  eines  Angriffs 
gewärtig  war.  Mit  Tagesanbruch  stand  er  unvermuthet  unterhalb  der 
Stadt  an  der  Brücke,  welche  so  schwach  besetzt  war,  dass  er  die 


Digitized  by  Google 


FALL  VON  AMPHIPOLIS  (89,  1;  424). 


505 


Mannschaft  ohne  Mühe  bewältigte.  Die  Stadt  selbst  war  auf  nichts 
vorbereitet  Eine  grofse  Anzahl  von  Bürgern  fiel  sogleich  in  seine 
Hand,  und  ein  rascher  Angriff  würde  ihn  sofort  zum  Herrn  der  Stadt 
gemacht  haben;  er  zog  aber  den  Weg  der  Milde  vor  und  stellte  den 
Einwohnern  die  günstigsten  Bedingungen.  Es  sollten  Alle,  die  in  der 
Stadt  wären,  Athener  wie  Amphipoliten,  nach  Belieben  bleiben  oder 
gehen  dürfen;  Keinem  solle  ein  Leid  geschehen.  Diese  Milde  über- 
raschte und  entwaffnete  jeden  Widersland;  die  lakedämonisch  Ge- 
sinnten, von  den  Angehörigen  der  vor  der  Stadt  Gefangenen  unter- 
stützt, fanden  immer  offenere  Beistimmung,  und  EukJes  sah  sich 
aufser  Stande,  die  Stadt  zu  halten.  Wenig  Stunden  nach  ihrer  Ueber- 
gabe  lief  Tbukydides,  der  auf  die  erste  Kunde  von  der  Gefahrdung  von 
Amphipolis  seinen  Standort  verlassen  hatte,  mit  seinem  Geschwader 
in  den  Slrymon  ein,  befestigte  rasch  die  unlere  Stadt,  Eion,  deren 
Bevölkerung  auch  schon  an  Unterhandlung  dachte,  sammelte  hier  die 
flüchtigen  Athener  und  verlheidigte  den  Platz,  dessen  Besetzung 
Brasidas  für  den  nächsten  Morgen  sich  vorbehalten  hatte.  Denn  ohne 
Eion  hatte  Amphipolis  nur  halben  Werth  für  ihn,  weil  er  die  Mündung 
des  Flusses  nicht  in  der  Gewalt  hatte.  Auch  der  untere  Küstenweg 
war  durch  Eion  gesperrt.  Thukydides  war  also  der  Einzige,  der  in 
dieser  Zeit  einen  Erfolg  erreichte  'und  mit  geringen  Mitteln  die  Ab- 
sichten des  Brasidas,  der  sich  schon  im  Besitze  des  Slrymon  wähnte, 
vereitelte.  Dennoch  traf  ihn  wegen  des  Falls  von  Amphipolis  der  Zorn 
der  Bürgerschaft  und  trieb  ihn  in  die  Verbannung.  Er  war  damals 
acht  und  vierzig  Jahre  alt  und  wendete  nun  seine  unfreiwillige  Mufse 
dazu  an,  die  Geschichte  des  Kriegs  zu  schreiben,  an  welchem  er  bis 
dahin  im  Dienste  seiner  Vaterstadt  einen  thätigen  Antheil  genommen 
hatte. 

Es  ist  wahrscheinlich,  dass  Thukydides  des  Landesverrates  ange- 
klagt und  schuldig  befunden  wurde,  sei  es  dass  er  nur  aus  Fahrlässig- 
keit oder  auch  aus  übler  Gesinnung  die  Interessen  des  Staats  be- 
schädigt haben  sollte.  Der  hochherzige  Mann,  welcher  seine  Abneigung 
gegen  das  herrschende  System  der  Demokratie  nicht  versteckt  haben 
wird,  musste  den  damaligen  Machthabern  missliebig  sein,  und  es 
konnte  seinen  mächtigen  Feinden  nicht  schwer  werden,  den  geborenen 
Aristokraten,  den  Verwandten  ausländischer  Fürsten,  den  reichen 
thrakischen  Grundbesitzer,  als  einen  schlechten  Patrioten  darzustellen 
und  die  Verstimmung  der  Bürger  zu  seinem  Schaden  auszubeuten. 


Digitized  by  Google 


506 


DIE  SCHULD   DES  THUKYDIDES. 


Thnkydides  selbst,  welcher  in  diesem  Wendepunkte  seines  Lebens 
sein  eigener  Geschieh tscbreiber  ist,  hat  in  strenger  Enthaltsamkeit 
nichts  gelhan,  um  den  Verdacht  einer  wirklichen  Schuld  von  sich  ab- 
zuwälzen; er  sagt  nur,  Eukles  sei  der  Hüter  von  Amphipolis  gewesen, 
und  damit  lehnt  er  in  schlichter  Kürze  die  Verantwortlichkeit  für 
Amphipolis  von  sich  ab;  denn  unmöglich  konnte  bei  dem  raschen 
Gange  der  Ereignisse  ein  Mann  zu  gleicher  Zeit  die  Lage  der  Dinge 
am  Strymon  und  an  der  Bucht  von  Thasos  überschauen.  Wenn  daher 
Einer  der  Feldherrn  Schuld  trägt,  so  ist  es  Eukles;  seine  Aufgabe  war 
es,  die  Stimmung  in  Amphipolis  zu  prüfen;  er  hat  sich  von  Brasidas 
vollständig  überraschen  lassen,  obgleich  dessen  Absichten  nicht  zweifel- 
haft sein  konnten;  er  hat  es  unbegreiflicher  Weise  versäumt,  den 
wichtigsten  Punkt,  der  zugleich  am  leichtesten  zu  verlheidigen  war, 
die  Strymonbrücke,  zu  verschanzen  und  mit  hinreichender  Mannschaft 
zu  decken.  Dieser  Punkt  konnte  gewiss  so  lange  gehalten  werden,  bis 
Hülfe  herbei  kam ,  und  der  Abfall  der  Bürgerschaft  erfolgte  erst,  als 
Brasidas  mit  ihr  in  Unterhandlung  getreten  war  und  die  Geiseln 
in  Händen  hatte"). 

Der  Fall  von  Amphipolis  machte  bei  Freund  und  Feind  den  tief- 
sten Eindruck.  Athen  war  an  der  empfindlichsten  Stelle  getroffen, 
seine  Schwäche  war  aufgedeckt,  seine  Küsten herrschaft  erschüttert. 
Noch  eben  hatte  Eupolis  (S.  306)  in  seinem  Lustspiele  'die  Städte' 
die  ganze  Reihe  zinspflichtiger  Bundesorle  den  stolzen  Athenern  vor 
Augen  geführt,  und  jetzt  war  der  Kranz  zerrissen,  eine  der  wichtigsten 
Pflanzstädle  Athens  auf  einem  mit  so  viel  Blut  erkauften  Boden 
von  den  Lakedämoniern  mühelos  gewonnen,  dreizehn  Jahre  nach- 
dem sie  mit  so  viel  Glanz  gegründet  war,  der  Stolz  Athens,  eine  Stadt, 
welche  ansehnliche  Einkünfte  lieferte,  die  Hauptstadt  mit  Schiff- 
bauholz versorgte  und  die  Verbindung  zwischen  dem  östlichen 
und  westlichen  Thrakien,  zwischen  Makedonien  und  dem  Hellespont 
beherrschte Ä9). 

Brasidas  dachte  an  keine  Winterruhe,  er  wollte  die  Gunst  der 
Umstände  ungesäumt  benutzen,  um  sich  vor  Ankunft  feindlicher 
Schiffe  in  Thrakien  so  fest  wie  möglich  zu  setzen.  Er  zog  deshalb  mit 
seinen  neuen  Bundesgenossen,  unter  denen  kecke  und  der  Gegend 
wohl  kundige  Parteiführer  waren  (wie  namentlich  Lysistratos  aus 
Olynthos),  gegen  die  Städte  der  'Akte';  das  ist  die  östliche  der  drei 
Felszungen,  welche  südlich  im  Athosberge  sich  gipfelt,  ein  Felsland 


Digitized  by  Google 


BRASIDAS'   EROBERUNGEN  (89.  1 ;  48^)- 


507 


wie  die  beutige  Maina  in  Lakonien ,  wo  sich  trotz  des  umflulh enden 
Meeres  sehr  alterthümliche  Volkszustände  erhalten  halten;  denn  die 
Cbalkidier  bildeten  hier  nur  einen  kleinen  Theil  der  Bevölkerung; 
die  gröfsere  Menge  gehörte  vorhellenischen,  pelasgischen  Stammen  an, 
die  theils  von  den  südlichen  Gestaden,  von  Lemnos  und  Attika  her,  in 
diese  Felsensitze  gedrängt,  theils  von  Norden  aus  den  Landschaften 
der  Bisalter  und  der  Edonen  eingewandert  waren.  Die  ganze  Halb- 
insel enthielt  ihrer  Beschaffenheit  nach  nur  kleine  Städte,  die  zugleich 
Berg-  und  Seestädte  waren.  Die  meisten  derselben  öffneten  Brasidas, 
als  er  heranzog,  die  Thore;  nur  Sane,  unweit  Akanthos,  am  Xerxes- 
kanale  gelegen  und  Dion  blieben  den  Athenern  treu. 

Dann  ging  Brasidas  nach  der  mittleren  der  drei  Halbinseln,  der 
si thonischen ,  um  Torone  zu  nehmen  (I,  418).  Hier  lag  eine  attische 
Besatzung,  und  ein  paar  Wachtschiffe  hüteten  den  Hafen.  Man  war 
eben  beschäftigt  die  Werke  der  Stadt  auszubessern;  aber  ehe  dies  ge- 
schehen ,  halten  peloponnesische  Parteigänger  Brasidas  herbeigerufen ; 
sieben  Leute  von  seinem  Heere,  mit  Dolchen  bewaffnet,  waren  voraus- 
geschickt und  heimlich  eingelassen  worden.  Inzwischen  rückte  Brasidas 
bei  Nacht  heran;  zwei  entgegengesetzte  Thore  wurden  von  innen  ge- 
öffnet, und  die  ganze  Ueberrumpelung  gelang  so  vollkommen,  dass  die 
Feinde  unvermuthet  mit  hellem  Kriegsruf  auf  doppeltem  Wege  in  die 
Stadt  eindringen  konnten ,  ohne  dass  die  Besatzung  von  einer  Gefahr 
wusste. 

Die  Athener  zogen  sich  nach  der  Feste  Lekythos,  die  auf  einer 
in's  Meer  vorspringenden  Halbinsel  lag,  zurück  und  wiesen  hier  un- 
geachtet des  verfallenen  Zustandes  der  Befestigungen  auch  die  gün- 
stigsten Vorschläge  zurück.  Zum  ersten  Male  musste  Brasidas  Gewalt 
gebrauchen  und  suchte  durch  höbe  Belohnungen  die  Seinen  zum 
Stürmen  anzufeuern.  Der  Sturm  wurde  abgeschlagen,  aber  ein  Holz- 
thurm, den  man  auf  schwachen  Grundlagen  aufgerichtet,  brach  zu- 
sammen und  setzte  die  Belagerten  in  solche  Bestürzung,  dass  sie  zum 
grofsen  Theile  auf  die  Schiffe  flüchteten.  Brasidas  liefs  die  Zurück- 
gebliebenen  tödten,  den  ganzen  Platz  aber  von  Schutl  und  Mauern 
räumen  und  der  Göttin  Athena  weihen ,  welche  seit  Alters  daselbst  ein 
Heiligthum  halte.  Ihr  schrieb  er  den  unerwarteten  Erfolg  zu  und 
schenkte  ihrem  Tempel  die  Summe,  welche  er  dem  tapfersten  Vor- 
kämpfer bestimmt  halte.  So  erwies  er  sich  gegen  die  Gottheiten  des 
Landes  freigebig  und  aufmerksam,  im  Gegensatze  zu  den  Athenern, 


Digitized  by  Google 


508 


ERFOLGE  DES  BRASIDAS, 


welche  fremde  Heiligthümer  gewaltsam  zu  Wallenplätzen  umwandelten. 
Den  Rest  des  Winters  benutzte  Brasidas  dazu,  die  gewonnenen  Städte 
für  den  Fall  einer  Belagerung  widerstandsfähig  zu  machen ;  denn  mit 
Anbruch  des  Frühjahrs  musste  man  die  vollen  Streitkräfte  Athens  in 
diesen  Gewässern  erwarten,  und  deshalb  liefs  er  nicht  ab,  in  Sparta 
auf  Verstärkung  seiner  Macht  zu  dringen,  und  Keiner  konnte  gegründe- 
teren Anspruch  haben  auf  Anerkennung  und  Förderung  von  Seiten 
der  Heimalh  als  er. 

Während  die  Spartaner  in  ihrer  Halbinsel  sich  nicht  rühren 
können ,  während  sie  ihre  Küsten  in  Feindeshand  sehen  müssen  und 
vor  den  eigenen  Sklaven  zittern,  hat  ihr  Feldherr,  ohne  Bürgerkraft 
und  Geldmittel  des  Staats  in  Anspruch  zu  nehmen ,  Sparta  auf  einmal 
im  fernen  Lande  zu  Ehren  und  Ansehen  gebracht.  In  Sparlas  Namen 
entscheidet  er  die  Streitigkeiten  makedonischer  Fürsten,  nimmt  eine 
Küsten  Stadt  nach  der  anderen  in  Eid  und  Pflicht,  macht  eine  der 
wichtigsten  und  unentbehrlichsten  Pflanzstädte  Athens  zum  Mittel- 
punkte eines  sich  rasch  erweiternden  Bundesreiches,  beginnt  einen 
Flottenbau  auf  dem  Strymon,  um  auf  dieselbe  Weise,  wie  einst 
Hisliaios  es  versucht  hatte  (I,  611),  hier  eine  Seemacht  zu  gründen. 
Myrkinos,  die  Hauptstadt  der  Edoner,  am  Pangaion,  die  thasischen 
Colonien  am  Festlande ,  welche  Thukydides  im  Zaume  gehalten  hatte, 
und  andere  Städte  jenseits  des  Strymon,  wo  die  Goldschätze  Thrakiens 
bereit  lagen,  huldigen  ihm,  theils  durch  offenen  Abfall,  theiis  in  heim- 
lichen Bolschaften;  eine  Stadt  sucht  der  anderen  zuvorzukommen. 
In  Chalkidike  selbst  wird  Alhen  auf  die  westliche  Halbinsel  be- 
schränkt. 

Man  sieht  und  bewundert  in  Brasidas  seine  Vaterstadt,  die  solche 
Bürger  zu  erziehen  wisse;  man  glaubt,  endlich  habe  Sparta  sich 
ermannt,  um  sich  so  zu  zeigen,  wie  es  die  lange  getäuschten  Hellenen 
am  Anfange  des  Kriegs  erwartet  hatten,  als  ein  uneigennütziger, 
gerechter,  thalkräf liger  Staat,  der  keinen  anderen  Zweck  verfolge,  als 
den  Bürgergemeinden  ihre  Selbständigkeit  wieder  zu  geben.  Denn 
nur  als  Vertreter  hellenischer  Freiheit  fordert  Brasidas  von  den  Athenern 
das  gewaltsam  besetzte  Eigenthum  der  Bundesgenossen  zurück,  be- 
handelt auch  sie  milde ,  sobald  sie  sich  in  Güte  zurückziehen,  und  von 
diesem  Standpunkte  aus  will  er  auch  die  Parteigänger,  welche  ihm  die 
Stadtthore  öffnen,  nicht  als  Verräther  angesehen  wissen,  sondern  als 
freiwillige  Werkzeuge  zur  Befreiung  der  Hellenen,  als  verdienstvolle 


Digitized  by  Go 


PLEISTOANAX'  HEIMKEHR  (UM  416;  88,  3). 


509 


Patrioten,  und  im  Verfolge  dieser  eben  so  klugen  wie  thatkräftigen 
Politik  hat  er  am  Ende  des  achten  Kriegsjahres  dem  ganzen  Kriege 
eine  vollkommen  neue  Wendung  gegeben;  darum  ging  er  auch  der 
Eröffnung  des  neuen  Feldzugs  mit  Muth  entgegen  und  glaubte  auf 
kräftige  Unterstützung  rechnen  zu  können. 

Aber  in  Sparta  herrschte  damals  eine  ganz  andere  Stimmung, 
als  im  Lager  des  Brasidas.  In  Sparta  war  die  Abneigung  gegen 
seine  Person  durch  den  Ruhm  seiner  Thaten  nur  gestiegen,  und 
man  freute  sich  seiner  Erfolge  nur,  in  so  weit  sie  der  Friedens- 
politik förderlich  schienen.  Denn  seit  dem  Unglücke  von  Pylos  war 
diese  durchaus  herrschend  geblieben;  man  hatte  seitdem  kein  höheres 
Kampfziel  vor  Augen,  als  dass  man  sich  in  Besitz  solcher  Gegenstande 
setzen  wollte,  welche  zum  Austausche  benutzt  werden  konnten.  Um 
dieselbe  Zeit  also,  da  Brasidas  den  Krieg  wie  von  Neuem  anfing  und 
seine  Manifeste  erliefe  von  der  Befreiung  der  Hellenen,  die  nun  endlich 
zur  Wahrheit  werden  solle,  war  Sparta  selbst  des  Kriegs  vollkommen 
überdrüssig  und  durchaus  bereit,  alle  nationalen  Pläne  aufzugeben; 
nach  der  egoistischen  Politik  eines  Geschlechterstaats  waren  sie  ent- 
schlossen Alles,  die  Bundesgenossen  wie  die  eigene  Ehre,  preiszugeben, 
um  nur  die  Mitglieder  ihrer  Bürgerfamilien  aus  den  Gefängnissen  von 
Athen  zu  erlösen. 

Eine  eigenthümliche  Verwickelung  persönlicher  Verhältnisse  kam 
dazu,  um  die  Friedenspartei  in  Sparta  in  ihren  Bestrebungen  zu  unter- 
stützen. Nämlich  jener  König  Pleistoanax,  des  Pausanias  Sohn, 
welchen  Perikles  durch  Geld  zum  Abzüge  aus  Attika  veranlasst  hatte 
(S.  179),  lebte  seitdem  in  der  Verbannung  und  zwar  auf  der  Höhe  des 
Lykaion,  des  heiligen  Berges  der  Arkader,  als  ein  Schützling  des  lykä- 
ischen  Zeus,  wo  er  sich  an  der  Mauer  des  Heiligthums  eine  Wohnung 
eingerichtet  hatte,  so  dass  er  sich  jeden  Augenblick  vor  seinen  Ver- 
folgern auf  geweihten  Boden  zurückziehen  konnte.  Lange  Jahre  hatte 
er  oben  auf  der  stürmischen  Waldhöhe  gehaust,  aber  den  Gedanken 
der  Rückkehr  niemals  aufgegeben.  Zu  diesem  Zwecke  hatte  er  sich  an 
die  delphischen  Priester  gewendet  und  hier  erreicht,  dass  die  Spar- 
taner lange  Zeil  hindurch,  so  oft  sie  nach  Delphi  Gesandte  schickten, 
die  Weisung  erhielten,  sie  sollten  4den  Spross  des  Herakles,  des  Sohnes 
des  Zeus,  aus  der  Fremde  heimführen,  sonst  würden  sie  noch  mit 
silbernen  Pflugschaaren  pflügen  müssen',  d.  h.  es  würde  eine  Theue- 
rung  über  sie  kommen,  so  dass  das  Notwendigste  nur  mit  grofsen 


Digitized  by  Google 


510 


FIUEHENSSTIMMl'NG   IN  SPARTA. 


Geldopfern  zu  erlangen  sein  würde.  Diese  Mahnungen  blieben  nicht 
erfolglos,  und  nach  neunzehnjährigem  Exile  wurde  der  König  mit  den 
feierlichsten  Ehren  eingeholt,  um  auf  dem  Throne  der  Herakliden 
wieder  eingesetzt  zu  werden.  Als  nun  aber  bald  darauf  die  einhei- 
mische Noth  höher  stieg  als  je  zuvor,  und  die  Mittel  bekannt  wurden, 
durch  welche  das  Orakel  gewonnen  worden  war,  da  entstand  eine 
grofse  Verstimmung  über  das  Geschehene,  und  man  schob  jetzt 
wiederum  alles  Unglück  auf  die  gesetzwidrige  Handlung,  zu  der  man 
sich  habe  verleiten  lassen. 

Unter  diesen  Umständen  konnte  Pleisloanax  keine  andere  Politik 
verfolgen,  als  die,  so  bald  als  möglich  den  Krieg  zu  beendigen;  denn 
er  glaubte  sich  nicht  anders  halten  zu  können,  als  wenn  der  Staat  in 
das  Geleise  ruhiger  Friedenszustande  zurückgeführt  und  die  Gefangen- 
schaft der  Spartaner  beendet  werde;  die  Heimführung  der  lange  ver- 
misslen  Männer  sollte  seiner  Regierung  Glanz  verleihen  und  sie  als 
eine  glückliche  Epoche  bezeichnen.  Zu  gleichem  Ziele  wirkte  Delphi 
mit  allen  Kräften;  denn  wenn  man  daselbst  auch  den  Ausbruch  des 
Kriegs  begünstigt  halte ,  so  hatte  man  doch  mehr  und  mehr  erkannt, 
wie  wenig  ein  für  Spartas  und  Delphis  Interessen  glückliches  Ende  in 
Aussicht  stehe  und  wie  während  des  Kriegs  der  religiöse  Sinn,  die 
Ehrerbietung  vor  den  gemeinsamen  Volksheiligthümern ,  der  Besuch 
derselben,  die  frommen  Stiftungen  und  Huldigungen  zum  gröfsten 
Nachtheile  der  priesterlichen  Institute  immer  mehr  in  Abnahme 
kämen 70). 

So  geschah  es,  dass  die  thrakischen  Siege  im  Grunde  die  ent- 
gegengesetzte Wirkung  hatten,  als  die  der  Sieger  beabsichtigte.  Denn 
anstatt  dass  die  Spartaner  stolzer  und  fester  geworden  wären,  wurden 
sie  dadurch  nur  angetrieben,  um  so  eifriger  Frieden  zu  suchen,  weil 
sie  zu  der  Dauer  dieser  Erfolge  kein  Vertrauen  hatten  und  also  einem 
neuen  Umschlage  der  Verhältnisse  zuvorzukommen  suchten.  Sie  be- 
trachteten Brasidas  wie  einen  vom  Glücke  begünstigten  Abenteurer; 
seine  Popularität  erfüllte  sie  mit  Argwohn,  da  sie  keine  Mittel  hatten, 
jene  fernen  Gegenden,  wo  schon  so  mancher  Feldherr  auf  selbstsüchtige 
nerrscherpläne  gekommen  war,  in  ihrer  Gewalt  zu  behalten,  und  so 
bequem  es  für  die  Spartiaten  war,  mit  fremdem  Gelde  und  bewaffneten 
Heloten  ihre  Siege  zu  erkämpfen,  so  erfüllte  sie  doch  auch  dieser  Um- 
stand mit  Angst  und  Besorgniss.  Kurz ,  Königthum  und  Aristokratie 
in  Sparta  wollten  um  jeden  Preis  Frieden,  um  den  erschütterten  Staat 


Digitized  by  Google 


FRIEDE.NSST1MMUPIG  IN  ATHEN 


511 


im  Innern  wieder  ihren  Inleressen  gemäfs  einzurichten,  und  es  wurde 
ihnen  nicht  schwer,  noch  in  dem  laufenden  Winter  die  Anknüpfung 
von  Unterhandlungen  in  Athen  durchzusetzen. 

In  Athen  war  die  Stimmung  während  des  letzten  Kriegsjahres 
natürlich  auch  eine  andere  geworden.  Die  Partei  der  Gemäfsigten,  von 
welcher  die  leichtfertige  Abweisung  der  ersten  Friedensgesuche  offen 
und  lebhaft  gemissbilligt  worden  war,  hatte  neuen  Boden  gewonnen, 
seit  das  Unglück  in  Böolien  ihre  Warnungen  vor  dem  Wechsel  des 
Kriegsglücks  so  bald  bestätigt  hatte.  Seit  der  Niederlage  von  Delion 
war  Athen  kampfesmüde.  Man  hatte  nicht  Lust,  die  Einpferchung  in 
die  Stadtmauern  und  die  Verwüstung  der  Landschaft  sich  wieder 
erneuern  zu  sehen;  man  verwünschte  die  ewigen  Marschordres  für 
erfolglose  Streifzüge,  für  die  man  sich  verproviantiren  sollte;  man 
spürte  schmerzlich  die  Stockung  jedes  Exports,  man  entbehrte  die 
bootischen  Fische  und  Vögel  auf  den  attischen  Tafeln.  Auch  standen 
sich  jetzt  die  Kriegs-  und  die  Friedensparlei  ganz  anders  gegen- 
über, seitdem  man  die  Mittel  in  Händen  hatte,  so  bald  man  wollte, 
einen  ehrenvollen  Frieden  zu  erlangen.  Ziellose  Fortsetzung  des  Kriegs 
musste  jetzt  als  ein  freventlicher  Uebermuth  erscheinen,  und  die 
öffentliche  Stimme  erklärte  sich  immer  lauter  dagegen,  vornehmlich 
auf  der  Bühne. 

Hier  hatte  Aristophanes  schon  im  Februar  425  (Ol.  83,  3)  (also 
kurz  vor  der  Besetzung  von  Pylos)  seine  'Acbarner'  aufführen  lassen, 
worin  er  den  Ehrenmann  Dikaiopolis  einführt,  welcher  zur  Stadt 
kommt,  um  für  den  Frieden  zu  sprechen.  Der  ehrliche  Landmann 
durchschaut  mit  seinem  schlichten  Verstände  die  Verkehrtheiten  der 
attischen  Politik,  die  tauschenden  Vorspiegelungen  glänzender  Alli- 
anzen und  das  ganze  Unwesen  der  Demagogie,  welche  die  Bürgerschaft 
in  ewiger  Aufregung  erhält  und  allen  vernünftigen  Leuten  den  Mund 
schliefst.  Er  selbst  lässt  sich  aber  auch  durch  die  grimmigen  Bauern 
von  Acharnai,  die  den  Spartanern  die  Verwüstung  ihrer  Weinberge 
noch  nachtragen  wollen  (S.  403),  nicht  irre  machen;  er  lässt  für  sich 
verschiedene  Sorten  Frieden  aus  Sparta  kommen ,  er  ist  entzückt,  wie 
er  den  dreifsigjährigen  kostet,  und  schliefet  ohne  Weiteres  einen 
Separatfrieden  für  sein  Haus,  auf  das  nun  Segen  und  Glück  herab- 
strömen, so  dass  Allen  der  Mund  wässert,  daran  Theil  zu  nehmen. 

Viel  ernster  und  kühner  trat  der  Dichter  im  folgenden  Jahre 
unter  eigenem  Namen  auf,  mit  seinen  Freunden,  den  Ritlern  (S.  481) 


Digitized  by  Google 


512 


WAFFENSTILLSTAND  (89,  1 ;  425  MÄRZ). 


eng  verbunden,  nach  denen  er  das  Stuck  benannte,  weil  eine  Ab- 
theilung von  Rittern  den  Chor  bildete.  Es  ist  ein  geharnischtes  Partei- 
stück der  Aristokratie.  Der  Staat  von  Athen  erscheint  als  das  Haus- 
wesen eines  Alten,  der  sich  mit  Allem ,  was  er  hat,  einem  paphlagoni- 
schen  Sklaven  übergeben  hat ;  der  Paphlagonier  wird  durch  die  dema- 
gogischen Kunstgriffe  eines  Rivalen  überboten,  und,  wie  er  fortist, 
lebt  der  alte  Herr  in  neuer  Jugend  wieder  auf  zu  neuem  Glücke  und 
schämt  sich  gründlich  seiner  früheren  Thorheiten n). 

Aristophanes  halte  in  Folge  seiner  'Ritter'  einen  neuen  Prozess  zu 
bestehen  und  für  seine  Kühnheit  zu  leiden.  Denn  Kleon  setzte  noch 
eine  Weile  seinen  Terrorismus  fort;  er  war  es,  wie  wir  voraussetzen 
dürfen,  der  die  Verbannung  des  Thukydides  veranlasste,  er  bewies  dem 
Volke,  wie  Brasidas  nur  durch  die  Fahrlässigkeit  der  Feldherrn  und  die 
Schlaffheit  der  Bürger  solche  Fortschritte  gemacht  habe.  Aber  er  war 
nicht  im  Stande,  die  wachsende  Friedenspartei  zu  unterdrücken,  und 
nachdem  die  Anträge  Spartas  dreimal  zurückgewiesen  worden  waren, 
kam  mit  Beginn  des  Frühjahrs  ein  jähriger  Waffenstillstand  zu  Stande, 
den  man  auf  beiden  Seiten  als  die  Vorbereitung  eines  Friedens- 
schlusses ansah. 

Die  Form  des  Vertrags ,  der  von  Sparta  aus  den  Athenern  ange- 
boten wurde,  zeigt,  dass  die  delphische  Priesterschaft  bei  der  Ab- 
fassung ihre  Hand  im  Spiele  hatte.  Denn  voran  stand  die  Bestimmung, 
dass  der  Tempel  von  Delphi  wieder  freien  Zugang  zu  Lande  und  zu 
Wasser  haben  solle.  Sparta  und  Athen  sollten  vereint  für  den  Frieden 
von  Delphi  und  für  den  Besitz  des  Gottes  einstehen.  Das  ägäische 
Meer  sollte  den  Lakedämoniern  und  ihren  Verbündeten  wieder  frei  ge- 
geben werden,  aber  nur  für  Segel-  d.  h.  für  Kauffahrteischiffe,  die 
noch  dazu  eine  bestimmte  Gröfse  nicht  überschreiten  durften,  damit 
auf  keine  Weise  Verstärkung  an  Brasidas  gelangen  könne;  auch 
zwischen  Athen  und  dem  Peloponnes  sollte  freier  Verkehr  hergestellt 
werden.  Bis  zum  Abschlüsse  des  Friedens  sollte  der  gegenwärtige  Be- 
sitzstand unverändert  bleiben,  und  deshalb  wurden  für  die  lakedämo- 
nischen Besatzungen  sowohl  wie  für  die  Athener  in  Pylos,  Kythera, 
Nisaia,  Minoa  und  Troizen  genaue  Demarcationslinien  festgesetzt, 
welche  nicht  überschritten  werden  durften;  auch  sollten  während  der 
Waffenruhe  von  beiden  Seiten  keine  Flüchtlinge  angenommen  werden. 

Der  ganze  Verlrag  war  so  eingerichtet,  dass  er  der  grofsen  Zahl 
der  Hellenen,  welche  nach  Wiederherstellung  des  freien  Verkehrs  Ver- 


Digitized  by  Go 


NEUE   KÄMPFE   IN   THRAKIEN   (89,3;  423). 


513 


langen  trugen,  erwünscht  sein  musste,  während  zugleich  Alles  ver- 
mieden war,  was  den  Machtbestand  der  Athener  irgendwie  zu  be- 
drohen schien.  Sie  waren  durch  ihre  Erwerbungen  immer  noch  im 
Vortheile;  ihre  unbedingte  Seeherrschaft  wurde  schon  in  diesen  Präli- 
minarien vollständig  anerkannt  und  zugleich  dem  drohenden  Abfalle 
der  Bundesgenossen  ohne  Aufwand  neuer  Kriegsmittel  ein  Damm  ge- 
setzt. Die  Beziehungen  zu  Delphi  wieder  zu  ordnen,  lag  der  conser- 
vativen  Partei  sehr  am  Herzen;  aber  auch  hierin  hatte  sie  die 
Stimmung  der  Bürgerschaft  für  sich,  und  das  Bild  eines  allgemeinen 
Friedens  mit  ungetrübter  Feier  der  grofsen  Nationalfeste  trat  wieder 
mit  lockenden  Zügen  vor  die  Augen  der  Griechen.  Darum  gelang  es 
auch  dem  Laches,  welcher  in  dieser  Angelegenheit  das  Organ  der  Ge- 
mäßigten war,  die  Annahme  des  Vertrags  von  Seiten  der  Bürgerschaft 
zu  erlangen,  und  derselbe  wurde  im  Elaphebolion  (März)  von  drei 
athenischen  Feldherm  und  den  Gesandten  der  Lakedämonier,  Korin- 
ther, Megareer,  Sikyonier  und  Epidaurier  beschworen.  Man  hoffte, 
dass,  wenn  die  Staaten  nur  einige  Monate  erst  den  Segen  des  Friedens 
gekostet  hätten,  bald  eine  allgemeine  Beruhigung  der  Gemüther  und 
Abneigung  gegen  den  Krieg  eintreten  würde,  und  in  Athen  selbst  war 
die  Stimmung  so  günstig,  dass  die  Feldherrn  der  Stadt  sofort  er- 
mächtigt wurden,  wegen  Grundlage  eines  dauernden  Friedens  mit  den 
Peloponnesiern  in  Unterhandlung  zu  treten.  Das  Nächste  war,  dass 
man  zwei  Commissare  nach  Thrakien  abordnete,  um  dort  den  Vertrag 
bekannt  zu  machen.  Die  Lakedämonier  wählten  guter  Vorbe- 
deutung wegen  dazu  einen  Bürger,  Namens  Athenaios ,  die  Athener 
Aristonymos  '*). 

Diese  fanden  die  Lage  der  Dinge  daselbst  wesentlich  verändert. 
Denn  Brasidas  hatte  sich  inzwischen  um  Alles,  was  zu  Hause  vorging, 
gar  nicht  bekümmert,  sondern  in  vollem  Kriegseifer  die  Gelegenheit 
benutzt,  auch  auf  der  dritten  der  chalkidischen  Halbinseln,  Pallene, 
einen  festen  Platz  zu  gewinnen.  Hier  nämlich  war  die  Stadt  Skione, 
welche  an  der  Südküste  von  Pallene  lag,  zu  den  Peloponnesiern  über- 
getreten, obwohl  sie  nicht  nur  vom  Meere  aus  der  attischen  Flotte 
ausgesetzt,  sondern  auch  im  Rücken  durch  Potidaia  bedroht  war, 
welches  jeden  Zuzug  von  der  Landseite  unmöglich  machte.  Dieser 
Abfall  war  zwei  Tage  nach  Abschluss  des  Waffenstillstandes  erfolgt. 
Aristonymos  weigerte  sich  also,  Skione  zu  den  Platzen  zu  rechnen, 
deren  Besitz  der  Vertrag  vorläufig  den  Lakedämoniern  überliefs,  Bra- 

Cortin*,  Gr.  Gc*eh.  II.      AolL  33 


Digitized  by  Google 


514 


NEUE   KÄMPFE  I*  THRAKIEN   (89,  I;  423). 


sidas  dagegen  dachte  nicht  daran,  den  Platz  aufzugeben,  und  es  war 
unmöglich,  eine  Verständigung  zu  erzielen.  Als  die  Kunde  davon  nach 
Athen  kam,  schlug  die  friedfertige  Stimmung  der  Burgerschaft  in  die 
heftigste  Erbitterung  um,  und  Kleon,  der  mit  der  Minderheit  allen 
Verträgen  entgegengearbeitet  hatte,  fand  nun  wiederum  die  allseiligste 
Zustimmung,  wenn  er  die  Treulosigkeit  Sparlas  schalt  und  die 
Thorheit  derer,  die  ihm  trauten.  Auf  seinen  Antrag  wurden  sofort 
50  Trieren  nach  Thrakien  beordert  und  sämtliche  Skionäer  als  Ver- 
rather zum  Tode  verurteilt. 

Als  die  Flotte  unter  Führung  des  Nikias  und  Nikostratos  in 
Potidaia  anlangte,  war  inzwischen  noch  eine  zweite  Stadt  der  palleni- 
sehen  Halbinsel,  Mende,  am  Vorgebirge  Poseidion,  dem  Tempepasse 
gerade  gegenüber  gelegen,  zu  Brasidas  übergegangen  und  hatte  pelopon- 
nesische  Besatzung  erhalten,  während  Brasidas  selbst  mit  dem  Kerne 
seiner  Truppen  in  das  Innere  Makedoniens  hinaufzog,  um  Perdikkas 
gegen  die  Lynkesten  beizustehen  (S.  501).  Denn  so  ungelegen  ihm 
auch  dieser  Feldzug  war,  erschien  ihm  doch  das  Einverständniss  mit 
dem  Könige  zu  wichtig,  als  dass  er  es  wagen  durfte,  die  verlangte 
Hülfe  abzuschlagen.  Aber  er  musste  diesen  Schritt  bitter  bereuen. 
Denn  erstens  wurde  er  durch  die  Treulosigkeit  der  Makedonier  bei 
einem  unerwarteten  Angriffe  der  Illyrier  in  die  gefährlichsten  Kämpfe 
verwickelt,  aus  denen  er  nur  durch  die  gröfste  Klugheit  und  Tapfer- 
keit noch  glücklich  hervorging;  dann  aber  wurde  von  den  erbitterten 
Truppen  ein  Theil  des  königlichen  Gebiets  verwüstet  und  in  Folge 
dessen  die  Verbindung  mit  Perdikkas  doch  zerrissen.  Der  König 
näherte  sich  sofort  den  Athenern  und  noch  kurz  vor  Ablauf  des 
Waffenstillstandes  kam  ein  förmlicher  Vertrag  zwischen  Athen  und 
Perdikkas  zu  Stande. 

Inzwischen  hatte  Nikias  glückliche  Fortschritte  gemacht,  er  hatte 
Mende  zurückerobert  und  Skione  eingeschlossen;  Brasidas  dagegen 
konnte  nichts  unternehmen,  und  eine  ansehnliche  Verstärkung,  welche 
unterwegs  war,  musste  an  der  Gränze  Thessaliens  wieder  umkehren. 
Das  war  schon  eine  Folge  des  Bruchs  mit  Perdikkas.  Denn  dieser  be- 
nutzte jetzt  seinen  thessalischen  Einfluss  gegen  die  Spartaner,  theils 
aus  eigener  Politik,  theils  um  auf  die  Forderung  des  Nikias  den 
Athenern  eine  Probe  seiner  veränderten  Parteistellung  zu  geben. 
Brasidas  die  Verbindung  mit  Herakleia  und  dem  Peloponnes  abzu- 
schneiden, scheint  auch  der  Zweck  der  athenischen  Gesandtschaft  ge- 


Digitized  by  Google 


AUSTREIBUNG   DER   DELIER  (*9,  2;  42S). 


515 


wesen  zu  sein,  welche  mit  Amynias,  dem  Sohne  des  Sellos,  um  diese 
Zeit  nach  Thessalien  geschickt  wurde.  So  geschah  es,  dass  die 
Truppen  am  Durchmarsche  gehindert  wurden  und  nur  der  Führer 
derselben,  Ischagoras,  in  Begleitung  einiger  Spartaner,  welche  zu 
Befehlshabern  in  den  eroberten  Plätzen  bestimmt  waren,  nach  Thrakien 
gelangte.  Man  fürchtete  nämlich  in  Sparta,  dass  aus  dem  Kriegs- 
gefolge des  Brasidas  Personen  niederen  Standes  zu  solchen  Posten 
aufrücken  möchten.  Diese  Sendung  konnte  also  nur  dazu  beitragen, 
den  Feldberrn  zu  verletzen  und  in  seinen  Plänen  zu  hindern.  Ein 
kecker  Angriff  auf  Potidaia,  den  er  im  Winter  unternahm,  misslang, 
und  so  blieben  die  Verhältnisse  unverändert  bis  zum  Ablaufe  des 
Waffenstillstandes,  der  in  Thrakien  niemals  zur  Geltung  gekommen 
war"). 

In  Griechenland  selbst  hatte  man  inzwischen  die  Annehmlich- 
keit der  Waffenruhe  und  allgemeinen  Sicherheit  gekostet,  obwohl  die 
Athener  auch  diese  Zeit  nicht  hatten  vorübergehen  lassen,  ohne  einen 
Akt  der  Gewaltsamkeit  auszuführen,  welcher  unter  den  Hellenen 
grolses  Aufsehen  erregte.  Man  entdeckte  nämlich,  dass  die  frühere 
Reinigung  von  Delos  (S.  474)  ungenügend  gewesen  sei;  nicht  nur  die 
Todten,  so  hiefs  es  jetzt,  verunreinigten  die  heilige  Insel,  sondern  auch 
die  dort  lebenden  Einwohner,  welchen  irgend  welche  Versündigung  aus 
alter  Zeit  vorgerückt  wurde.  Ob  Athen  Ursache  hatte,  den  Deliern 
nicht  zu  trauen,  oder  ob  es  nur  darauf  ankam,  die  Kriegsflotte  auf 
eine  den  Bürgern  nützliche  Weise  zu  beschäftigen,  wozu  es  an  pas- 
senden Vorwänden  niemals  fehlte,  ist  schwer  zu  entscheiden.  Gewiss 
ist,  dass  das  Vorhaben  mit  rücksichtsloser  Gewalttätigkeit  ausgeführt 
wurde;  die  Delier  mussten  mit  Weib  und  Kind  nach  Mysien  aus- 
wandern, wo  Pbarnakes  ihnen  in  Adraniytteion  Wohnplätze  einräumte, 
und  attische  Bürger  zogen  in  die  verlassenen  Grundstücke  ein.  Es 
war  ein  schnödes  Spiel  mit  religiösen  Förmlichkeiten,  welches  ge- 
wissermafsen  zur  Verhöhnung  des  frommen  Nikias  und  seiner  Ge- 
sinnungsgenossen von  der  ihnen  feindlichen  Partei  durchgesetzt  wurde. 
Darum  wurde  auch  das  folgende  Kriegsunglück  als  eine  Strafe  der 
Götter  angesehen  und  ein  Jahr  später  unter  delphischem  Einflüsse  die 
Rückführung  der  Delier  beschlossen74). 

Die  Kriegspartei  nahm  jetzt  alle  Kräfte  zusammen,  um  die  durch 
den  Ablauf  des  Vertrags  wieder  gewonnene  freie  Bewegung  zu  be- 
nutzen, und  an  ihrer  Spitze  stand  Kleon.   Er  fühlte,  dass  seine  Gel- 

33« 


Digitized  by  Google 


516 


ZEHNTES  KRIEGSJAIIR   (89,  2;  422). 


tung  in  demselben  Mafse  abnehmen  müsse,  wie  die  Gemüther  sich 
beruhigten  und  die  allgemeinen  hellenischen  Sympathien  wieder  Kraft 
gewännen.  Er  bedurfte  bewegter  Zeiten,  um  sich  auf  der  Höhe  seines 
Einflusses  zu  erhalten.  Je  mehr  also  die  wohlhabenden  Bürger  sich 
des  Kriegs  überdrüssig  zeigten,  um  so  entschiedener  wendete  er  sich 
an  die  unteren  Volksklassen,  schalt  die  Feigheit  der  Reichen,  schil- 
derte die  Schmach  der  Athener,  wenn  sie  Amphipolis  langer  in  den 
Händen  des  Brasidas  liefsen,  und  setzte  endlich  einen  Volksbeschluss 
durch,  welcher  die  Ausrüstung  einer  neuen  Flotte  anbefahl. 

Die  Friedenspartei  war  überstimmt,  aber  sie  war  mächtig  genug, 
um  den  Erfolg  dieses  Unternehmens  von  Anfang  an  zu  lähmen.  Ihr 
waren  die  von  Brasidas  gewonnenen  Vortheile  im  Grunde  gar  nicht 
unlieb,  weil  dadurch  die  Friedensaussichten  genährt  wurden.  Denn 
wenn  Sparta  gegen  Pylos,  Kythera  u.  s.  w.  gar  keine  Tauschobjekte 
in  Händen  hatte,  so  war  voraus  zu  sehen,  dass  auf  Kleons  Antrag 
Friedensbedingungen  gestellt  werden  würden,  auf  welche  es  Sparta 
unmöglich  wäre  einzugehen.  So  geschah  es  denn,  wahrscheinlich  auf 
Veranstaltung  der  Friedenspartei,  dass  Kleon  selbst  zum  Heerführer 
ernannt  wurde,  der  trotz  seines  Glücks  in  Sphakteria  für  einen  un- 
tüchtigen Feldherrn  angesehen  wurde;  auch  waren  die  Truppen, 
welche  ihn  begleiteten,  freilich  ansehnlich  an  Zahl  (es  waren  1200 
Schwerbewaffnete  und  300  Reiter),  wohlgerüstet  und  aus  dem  Kerne 
der  Bürgerschaft  ausgehoben;  aber  sie  waren  von  Anfang  an  wider- 
willig und  ohne  Zutrauen,  und  es  waren  Viele  darunter,  welche  zu 
den  leidenschaftlichsten  Gegnern  Kleons  gehörten  und  dem  eigenen 
Feldherrn  eine  Niederlage  wünschten. 

Brasidas  befand  sich  in  einer  durchaus  entgegengesetzten  Lage. 
Er  hatte  wenig  Kernvolk,  und  der  gröbere  Theil  seiner  Truppen  be- 
stand aus  thrakischen  Miethsvölkern  und  den  Contingenten  der  chal- 
kidi  sehen  Städte;  es  war  ein  buntgemischtes  Heer  von  mangelhafter 
Ausrüstung,  aber  er  beseelte  es  durch  seinen  Geist;  er  stand  wie  ein 
Heros  in  der  Mitte  seiner  Truppen ,  bewundert  und  geliebt  von  den 
chalkidischen  Städten ,  für  die  mit  seiner  Ankunft  eine  neue  Zeit  be- 
gonnen hatte ,  die  nun  auf  ihn,  der  von  Perdikkas  verrathen  und  von 
seiner  Heimath  abgeschnitten  war,  allein  angewiesen  waren  und  mit 
ihm  dieselben  Hoffnungen  und  Befürchtungen  theilten. 

Kleon  hütete  sich,  einen  solchen  Feind  sogleich  aufzusuchen.  Er 
verstand  es,  die  schwachen  Punkte  der  thrakischen  Küste  ausfindig 


Digitized  by  Google 


KLE03  VOR  AMPHIPOLIS  («9,  3;  «2  HERBST). 


517 


zu  machen  und  überraschte  Torone ,  dessen  Befestigung  auf  Brasidas' 
Veranlassung  in  einer  Erweiterung  begriffen  war,  durch  einen  glück- 
lichen Angriff,  der  die  Stadt  den  Athenern  in  die  Hände  lieferte. 
Gegen  Ende  des  Sommers  lief  er  in  den  Strymon  ein  und  machte  von 
Efon  aus  einen  glücklichen  Zug  nach  den  Bergwerksdistrikten.  Gegen 
Amphipolis  selbst  aber  zögerte  er  vorzugehen;  denn  Brasidas  hatte 
gleiche  Truppenmacht  und  alle  Vorlheile  der  Stellung.  Die  Stadt 
selbst  war  durch  ihn  noch  ungleich  fester  geworden;  denn  er  hatte 
einen  Wall  mit  Pallisaden  von  der  Ringmauer  bis  an  die  Strymon- 
brücke  gezogen,  so  dass  er  ohne  die  Verschanzungen  zu  verlassen  den 
Strom  überschreiten  konnte;  dadurch  war  die  jenseitige  Burghöhe 
Kerdylion  in  die  städtischen  Werke  hereingezogen,  und  von  dieser 
Höhe  konnte  Brasidas  das  ganze  Thal  bis  zur  Mündung  überblicken, 
so  dass  ihm  keine  Bewegung  der  Athener  verborgen  blieb.  Er  hatte 
nur  Eines  zu  fürchten ,  nämlich  die  Ankunft  makedonischer  Truppen, 
welche  einen  gleichzeitigen  Angriff  von  beiden  Ufern  möglich  machen 
würde;  deshalb  wünschte  er  den  Kampf  so  bald  wie  möglich  und 
hoffte,  dass  es  ihm  an  Gelegenheit  nicht  fehlen  würde. 

Seine  Hoffnung  tauschte  ihn  nicht;  denn,  wie  er  vorausgesehen, 
hatte  Kleon  im  eignen  Lager  nicht  Autorität  genug,  um  seine  Bundes- 
genossen ruhig  erwarten  zu  können;  die  Truppen  murrten  so  laut, 
dass  er  etwas  unternehmen  musste.  Er  zog  also  am  linken  Ufer 
hinauf  bis  zu  der  Höhe,  welche  Amphipolis  mit  dem  Gebirge  ver- 
bindet, wo  man  über  die  lange  Mauer  hin  (S.  260)  alle  Strafsen 
und  Plätze  der  Stadt  übersehen  konnte.  Seine  Absicht  war  nur,  das 
Terrain  zu  überschauen,  dessen  Kennlniss  ihm  unentbehrlich  war,  um 
mit  den  erwarteten  Makedoniern  gemeinsam  handeln  zu  können,  und 
<la  er  seinerseits  für  jetzt  keinen  Angriff  beabsichtigte,  glaubte  er 
thöricht  genug,  dass  er  es  in  seiner  Hand  habe,  ohne  Kampf  in  das 
Lager  zurückkehren  zu  können.  Brasidas  hatte  aber  sofort  den  Angriff 
vorbereitet. 

Da  die  Masse  seines  Kriegsvolks  so  schlecht  gerüstet  war,  dass  er 
fürchtete,  ihr  Anblick  würde  auf  die  Feinde  nur  ermuthigend  wirken, 
sammelte  er  150  Hopliten  um  sich,  stellte  ihnen  in  kurzer  Ansprache 
vor  Augen,  dass  dieser  Tag  entscheiden  werde,  ob  sie  freie  Bündner 
Sparlas  oder  Sklaven  Athens  sein  sollten,  und  brach  dann  im  Sturm- 
schritte aus  dem  unteren  Thore,  dem  Wallthore,  vor.  Denn  die 
Athener  hatten,  so  wie  sie  die  Absichten  des  Brasidas  merkten,  eiligst 


Digitized  by  Google 


518  TOD  DER  BBIDBPf  FELDHBRRN. 

den  Rückzug  angetreten,  um  sich  nicht  von  Lager  und  Flotte  ab- 
schneiden zu  lassen;  der  linke  Flügel  voran,  das  übrige  Heer  folgte, 
aber  ohne  Kampfordnung,  ohne  Schluss  und  Haltung,  die  rechte 
schildlose  Seite  den  Thoren  von  Amphipolis  zugekehrt.  Hier  griff  nun 
Brasidas  mit  vollem  Ungestüme  den  mittleren  Heerzug  der  Feinde  an, 
und  so  wie  er  im  Handgemenge  war,  öffnete  sich  in  der  Ringmauer 
ein  zweites  Thor,  aus  welchem  Klearidas  mit  größerer  Truppenzahl 
gegen  den  rechten  Flügel  vorstürzte,  welcher  noch  auf  der  Höhe  stand, 
während  der  linke  sich  schon  von  ihm  abgerissen  hatte  und  in  voller 
Flucht  nach  Efon  voraus  geeilt  war.  Kleon  hatte  alle  Fassung  ver- 
loren; das  Heer  war  ohne  Befehl,  ohne  Zusammenhang.  Die  Einzigen, 
welche  ihre  Schuldigkeit  thaten,  waren  die  Männer  des  rechten  Flügels, 
welche  Klearidas  mehrmals  zurückwarfen.  Aber  die  Reiter  und 
Schützen  ermüdeten  ihren  Widerstand.  Brasidas  selbst  warf  sich  nach 
Besiegung  des  Mitteltreffens  auf  sie,  und  so  mussten  sie  den  Platz 
räumen  und  durch  pfadlose  Gegenden  unter  grofsen  Verlusten  nach 
Elon  zurückweichen. 

Als  man  sieb  sammelte,  fehlten  6000  Mann.  Kleon  selbst  war 
auf  der  Flucht  getödtet  Der  Sieg  der  Peloponnesier  war  so  voll- 
ständig, dass  sie  nicht  mehr  als  sieben  Mann  verloren  haben  sollen. 
Aber  bei  dem  Angriffe  auf  den  rechten  Flügel  war  Brasidas  selbst 
schwer  verwundet  worden;  er  starb  unmittelbar  nach  seiner  glän- 
zendsten Waffen that  in  Amphipolis.  Die  Trauer  der  Bürger  bezeugte 
sich  in  den  Ehrenerweisungen,  welche  sie  ihm  zu  Theil  werden  liefsen. 
Inmitten  der  Stadt  wurde  ihm  ein  Grabbezirk  geweiht  und  ein  Todten- 
dienst  mit  Opfer  und  Spielen  eingesetzt.  Die  Ehren  eines  Stadt- 
gründers wurden  auf  ihn  übertragen,  und  dadurch  wurde  Amphipolis, 
als  Tochterstadt  Spartas,  enger  als  je  zuvor  mit  der  Vaterstadt  des 
Brasidas  verbunden75). 

Wenn  die  Friedenspartei  in  Athen  gewünscht  oder  wohl  gar 
darauf  hingearbeitet  hatte,  dass  der  Kriegszug  gegen  Amphipolis  so 
auslaufen  möge,  dass  die  Gegenpartei  eine  gründliche  Niederlage 
erleide,  so  waren  diese  Pläne  über  Erwarten  in  Erfüllung  gegangen; 
ein  Triumph,  der  freilich  theuer  erkauft  war.  Jetzt  war  der  Führer 
der  Kriegspartei  nicht  nur  beseitigt,  sondern  seine  Niederlage  war 
auch  der  Art  gewesen,  dass  dadurch  alle  Anhänger  seiner  Person 
und  seiner  Politik  beschämt  wurden.  Wohl  eiferten  noch  in  seinem 
Sinne  allerlei  leidenschaftliche  Leute,  kriegslustige  Heerführer,  wie 


Digitized  by  Google 


FRIEDENSVERHANDLUNGEN  (89,  3;  42*4  WINTER). 


519 


Lamachos,  Demagogen,  wie  Kleonymos  und  Hyperbolos;  ihnen  hingen 
diejenigen  an,  welche  vom  Kriege  Vortheil  zogen,  wie  die  Waffen- 
schmiede u.  s.  w.,  oder  welche  ehrgeizige  Pläne  verfolgten;  aher 
Nikias  hatte  durch  Kleons  Tod  freie  Hand  gewonnen,  die  Stimmung, 
welche  in  allen  gebildeten  Kreisen  vorherrschte,  konnte  sich  offener 
geltend  machen,  und  nicht  umsonst  hatte  Aristophanes  nach  den 
Rittern  noch  drei  Stücke  auf  die  Bühne  gebracht,  welche  sämtlich 
darauf  ausgingen,  das  Friedenswerk  in  Griechenland  zu  unter- 
stützen. 

Andererseits  hatte  sich  freilich  die  Lage  der  Dinge  sehr  zum 
Nachtheile  verändert.  Denn  Sparta  hatte  ja  inzwischen  einen  Sieg 
erfochten,  wie  nie  zuvor,  indem  seine  Feldherrn  mit  den  Contingenten 
attischer  Bundesorte,  mit  Heloten  und  barbarischen  Miethstruppen 
den  Kerntruppen  Athens  eine  vollständige  Niederlage  beigebracht 
hatten.  Aber  dieser  Sieg  war  doch  nicht  im  Stande,  die  Spartaner 
von  ihrer  Friedenspolitik  abwendig  zu  machen  oder  sie  zu  einer 
wesentlichen  Steigerung  ihrer  Forderungen  zu  veranlassen.  Zu  den 
überseeischen  Erwerbungen,  welche  sie  weder  zu  Wasser  noch  zu 
Lande  erreichen  konnten,  hatten  sie  nach  wie  vor  wenig  Vertrauen 
und  sahen  dieselben  immer  nur  als  Unterpfänder  für  ihre  Gefangenen 
und  die  besetzten  Küstenplätze  ihres  Landes  an.  Dieser  Auffassung 
war  Brasidas  freilich  entschieden  entgegen  gewesen,  und  hätte  er 
seinen  Sieg  überlebt,  so  würde  er  sich  schwerlich  dazu  verstanden 
haben,  auf  alle  seine  Eroberungen  gutwillig  zu  verzichten  und  die 
neuen  Bundesgenossen,  welchen  er  sein  Wort  verpfändet  hatte,  der 
Herrschaft  der  Athener  wieder  auszuliefern.  Sein  Tod  befreite  die 
Spartaner  aus  dieser  Verlegenheit,  und  da  nun  so  auf  beiden  Seiten 
die  Stimmen  verstummt  waren,  welche  Fortsetzung  des  Kriegs  bis 
zur  Vernichtung  des  Gegners  verlangten,  da  außerdem  der  Ablauf  des 
spartaniscb-argivischen  Vertrags  nahe  bevorstand  und  es  in  Spartas 
Interesse  lag,  um  diese  Zeit  keinen  offenen  Feind  zu  haben,  welchem 
sich  die  Argiver  anschließen  konnten,  so  begannen  unter  dem  vor- 
herrschenden Einflüsse  des  Pleistoanax  und  des  Nikias  bald  nach  der 
Schlacht  von  Ampbipolis  die  Friedensunterhandlungen,  welche  nun 
von  beiden  Seiten  mit  Eifer  und  Ernst  betrieben  wurden.  Freilich 
liefsen  die  Spartaner  zum  Frühjahre  noch  einmal  die  Bundesgenossen 
aufbieten,  sich  zur  Anlage  eines  Waffenplatzes  in  Attika  zu  rüsten,  aber 
ehe  das  Frühjahr  kam,  hatten  sich  die  beiden  Staaten  dahin  geeinigt, 


Digitized  by  Google 


520 


FRIEDE   DES  NIKIAS   (d9,  3;  421  APRIL). 


dass  sie  die  Wiederherstellung  des  Besitzstandes  vor  dem  Kriege  zur 
Grundlage  des  Friedens  machen  wollten. 

Nachdem  diese  Verständigung  erfolgt  war,  wurden  die  Bundesge- 
nossen Spartas  zur  Zustimmung  eingeladen.  Sie  erfolgte  von  Allen, 
mit  Ausnahme  der  Böotier  und  der  Korinther,  denen  sich  Megara  und 
Elis  in  ihrem  Proteste  anschlössen.  Böotien  und  Korinth  waren  durch 
die  letzten  Kriegsereignisse  zu  neuen  Hoffnungen  aufgeregt  worden; 
Korinth  hatte  schon  an  eine  Wiederherstellung  seiner  Macht  in 
Thrakien  gedacht  und  konnte  sich  nicht  entschließen,  alle  seine  Pläne 
wieder  aufzugeben,  und  sogar  Anaktorion  (S.  490)  in  den  Händen  von 
Athen  zu  lassen ;  eben  so  wenig  wollte  Megara  auf  Nisaia  verzichten 
(S.  469).  Theben  hatte  freilich  durch  Sparta  den  dauernden  Besitz 
von  Plataiai  erlangt  (und  zwar  unter  dem  heuchlerischen  Vorgeben, 
dass  diese  Stadt  freiwillig  zu  Theben  übergetreten  sei!),  aber  es  wollte 
das  jüngst  überrumpelte  Panakton  an  der  Gränze  Anikas  nicht  aus- 
liefern. Trotz  dieser  Widersprüche  kam  durch  Mehrheit  der  Stimmen 
der  Vertrag  ordnungsmäßig  zu  Stande  und  wurde  Anfang  April  von 
den  Bevollmächtigten  Athens  und  Spartas  beschworen.  Zu  Anfang  der 
Urkunde  standen  die  herkömmlichen  Bestimmungen  über  den  freien 
Zugang  der  nationalen  Heiligthümer  und  die  unverletzliche  Selbständig- 
keit von  Delphi.  Dann  folgte  der  Hauptpunkt,  der  fünfzigjährige 
Friede  zwischen  Athen  und  Sparta  und  ihren  beiderseitigen  Verbünde- 
ten zu  Lande  und  zu  Wasser.  Dann  die  einzelnen  Bestimmungen, 
.  welche  einerseits  die  Rückgabe  von  Amphipolis  und  den  chalkidischen 
Städten,  andererseits  die  von  Pylos,  Kythera,  Methone  und  den  beiden 
miltelgriechischen  Küstenpunkten,  der  Insel  Atalante  und  dem  phthio- 
tischen  Hafen  Pteleon,  anordneten,  inzwischen  wurde  das  Verhältniss 
der  chalkidischen  Städte  so  geordnet,  dass  sie  zwar  Tribut  an  Athen 
zahlen,  aber  nicht  nach  der  Schätzung  von  88,  4  (S.  487),  sondern 
nach  dem  Satze  des  Aristeides,  sonst  sollten  sie  frei  und  selbständig 
sein ;  auch  sollte  keinem  Bürger  verwehrt  werden,  mit  Hab  und  Gut 
ungekränkt  auszuwandern.  Unter  den  abgefallenen  Bundesorten  wer- 
den Argilos,  Stageiros,  Akanthos,  Skolos  u.  s.  w.  besonders  hervorge- 
hoben, die  in  keiner  Bundesgenossenschaft  stehen  sollen;  es  soll  aber 
den  Athenern  unverwehrt  sein,  sie  zu  freiwilligem  Beitritt  zu  veran- 
lassen. Solche  Sonderverträge  scheinen  denn  auch  mit  bottiäischen 
Städten  geschlossen  worden  zu  sein.  Alle  Gefangenen  sollen  von  beiden 
Seiten  herausgegeben  werden.    Endlich  soll  die  Friedensurkunde  in 


Digitized  by  Google 


WAFFENBUND  ZWISCHEN  SPARTA  UND  ATHEN 


521 


den  National heiligthümem,  sowie  zu  Athen  und  Sparta  aufgestellt 
und  die  feierliche  Beschwörung  derselben  jährlich  erneuert  werden. 

Dies  ist  der  seit  alten  Zeiten  so  genannte  Friede  des  Nikias, 
welcher  den  Krieg  der  beiden  griechischen  Staatenbundnisse  beendigte, 
nachdem  er  etwas  über  10  Jahre  gedauert  hatte,  nämlich  von  dem  bö- 
otischen  Angriffe  auf  Plataiai  Ol.  87,  1  (Anfang  April  431  v.  Chr.)  bis 
Ol.  89,  3  (gegen  Mitte  April  421  v.  Chr.).  Daher  war  er  auch  unter 
dem  Namen  des  zehnjährigen  Kriegs  bekannt,  während  die  Pelo- 
ponnesier  ihn  den  attischen  Krieg  nannten.  Sein  Ende  war  ein 
Triumph  für  Athen;  denn  alle  Pläne  seiner  Feinde  waren  zu  Schanden 
geworden;  Sparta  hatte  von  allen  Versprechungen,  mit  denen  es  den 
Krieg  eröffnet  hatte,  keine  verwirklichen  können  und  musste  am  Ende 
die  Herrschaft  Athens  in  ungemindertem  Umfange  anerkennen.  Aller 
Missgriffe  und  Schwankungen,  aller  verschuldeten  und  unverschuldeten, 
aller  aufserordentüchen  und  unberechenbaren  Unglücksfälle  ungeachtet 
hatte  sich  also  die  Ausrüstung,  welche  Perikles  seiner  Stadt  gegeben, 
vollkommen  bewährt  und  alle  Wuth  der  Gegner  hatte  ihr  nichts  an- 
haben können.  Sparta  selbst  war  mit  den  Vortheilen  zufrieden,  welche 
ihm  der  Friede  für  seine  eigenen  Lande  gewährte;  um  so  unzu- 
friedener aber  seine  Bundesgenossen,  namentlich  die  Mittelstaaten,  die- 
selben, welche  von  Anfang  an  den  Krieg  herbeigeführt  und  Sparta  in 
denselben  hereingezogen  hatten.  Denn  Sparta  strebte  jetzt  offenbar 
dabin,  sich  von  ihrem  Kinlluss  los  zu  machen  und  eine  ähnliche  Grofs- 
machtstellung  zu  erreichen,  wie  Athen  sie  in  seinem  Kreise  hatte. 
Darum  war  es  auch  nach  Abschluss  des  Friedens  unmöglich ,  Theben 
und  Korinth  zum  Beitritte  zu  bewegen.  Für  Sparta  hatte  er  also  die 
Folge,  dass  die  Bundesgenossenschaft,  an  deren  Spitze  es  den  Kampf 
begonnen  hatte,  sich  auflöste,  und  es  fühlte  sich  dadurch  in  so  be- 
denklicher Weise  isolirt,  dass  es  gegen  die  eigenen  Bundesgenossen  an 
Athen  einen  Rückhalt  suchte.  Daher  wurde  der  Friede  des  Nikias  noch 
in  demselben  Jahre  in  ein  fünfzigjähriges  Bündniss  verwandelt,  durch 
welches  Sparta  und  Athen  sich  zu  gegenseitiger  Hülfsleistung  wider 
jeden  feindlichen  Angriff  verpflichteten.  Sparta  sollte  die  altischen 
Dionysien,  Athen  die  Hyakintbien  in  Amyklai  durch  Festgesandte  be- 
schicken, um  durch  diese  Festgemeinschaft  den  Waffenbund  zu  stärken, 
durch  welchen  die  beiden  Grof »Staaten  Griechenlands  den  wider- 
strebenden Mittelstaaten  gegenüber  den  allgemeinen  Frieden  dauernd 
zu  begründen  hofften T8). 


Digitized  by  Google 


DL 

ITALIEN  UND  SICILIEN. 


Während  ganz  Hellas  bis  Makedonien  und  Epeiros  hinauf  in  den  Kampf 
der  bejden  Städte  hereingezogen  wurde,  blieben  die  westlichen  Colonien 
äufserlich  unbetheiligt.  Sie  hatten  ihre  besondere  Geschichte,  welche 
in  gleichartiger  Entwickelung  neben  der  des  Mutterlandes  herging. 
Denn  sie  haben  um  dieselbe  Zeit  ihren  höchsten  Wohlstand  erreicht  ; 
sie  haben  ihre  Tyrannen  gehabt  und  ihre  Freiheitskriege  gegen  die  Er- 
oberungsgelüste der  Barbaren;  sie  sind  dann  in  innere  Parteiungen 
verfallen,  welche  sie  ebenso,  wie  die  Staaten  des  Mutterlandes,  in  zwei 
feindliche  Heerlager  trennten,  so  dass  die  Fehden  diesseits  und  jenseits 
des  ionischen  Meers  am  Ende  in  einen  Krieg  zusammenflössen. 

Die  Geschichte  Siciliens  ist  durch  die  Lage  und  Natur  des  Landes 
gewissermafsen  vorgezeichnet  In  der  Milte  des  Mittelmeers  zwischen 
den  libyschen,  tyrrhenischen  und  griechischen  Gewässern  gelegen, 
nach  drei  Seiten  seine  offenen  Küsten  streckend,  dabei  anlockend 
durch  den  reichsten  Segen  der  Natur,  welche  die  Schätze  des  grie- 
chischen und  italischen  Bodens  mit  denen  des  nordafrikanischen 
Klimas  vereinigt,  ist  Sicilien  von  Anbeginn  der  Schifffahrt  her  ein 
Zielpunkt  colonisirender  Seevölker  gewesen.  Seine  Geschichte  ist  also 
die  eines  Coloniallandes ,  deren  Schauplatz  der  Küstensaum  ist,  eine 
Geschichte  einzelner  Seestädte.  Die  Küsten  sind  durch  ein  gebirgiges 
Binnenland  getrennt,  welches  für  städtische  Ansiedelungen  keine 
günstigen  Lagen  darbietet,  ein  Land,  das  im  Ganzen  mehr  für  Heerden- 
zucht  als  für  Ackerbau  geeignet  ist  und  den  von  der  Küste  ver- 
drängten Insulanern  als  Wohnort  diente,  wo  sie  ihre  Unabhängigkeit 


Digitized  by  Google 


DIE  HELLENE«  IN  SICILIEN 


523 


behaupten  konnten.  Auf  diese  Weise  konnte  sich  keine  gemeinsame 
Landesgeschichte  bilden,  auch  keine  Bundesverfassung  mit  eidge- 
nössischem Rechte.  Dazu  waren  die  Städte  auch  ihrer  Herkunft  und 
ihrer  politischen  Stellung  nach  zu  verschiedenartig.  Denn  die  Städte 
der  Westküste  mit  ihrer  aus  Griechen,  Libyern  und  Phöniziern  ge- 
mischten Bevölkerung  hielt  Karthago  unter  seiner  Hoheit  (I,  437),  so 
dass  nur  die  griechischen  Golonien  eine  selbständige  Geschichte  haben 
konnten.  Aber  auch  unter  ihnen  bestanden  wiederum  sehr  bestimmte 
Gegensätze,  deren  Keime  schon  bei  der  Gründung  aus  dem  Mutter- 
lande herüber  getragen  worden  waren.  Denn  so  wie  die  Ghalkidier 
mit  ionischem  Volke  die  Umlande  des  Aetna  besetzt  hatten,  suchten 
auch  schon  die  Dorier  von  Korinth  und  Megara  aus  ihrer  weiteren 
Ausbreitung  zuvorzukommen,  und  ehe  sich  die  Korinther  an  die  Süd- 
küste vorgewagt  hatten,  bauten  sich  die  Rhodier  daselbst  in  einer 
Reibe  von  Städten  an. 

Freilich  war  der  Gegensatz  der  Stamme  hier  von  Anfang  an 
weniger  schroff  als  im  Mutterlande,  weil  sich  auch  bei  den  Aus- 
sendungen der  dorischen  Seestädte  viel  ionisches  Volk  betheiligt  hatte. 
Darum  hat  sich  das  dorische  Wesen  hier  nicht  in  seinen  strengeren 
Formen  ausgeprägt;  denn  wenn  auch  die  Städte  nach  chaikidischer 
und  dorischer  Mundart,  nach  chalkidischen  und  dorischen  Satzungen 
unterschieden  blieben,  so  finden  wir  doch  in  den  dorischen  Städten 
von  früher  Zeit  an  Handel  und  Seeleben,  unbeschränkten  Luxus, 
Herrschaft  des  Geldes  und  Tyrannis,  wie  in  den  ionischen  Städten, 
und  die  dorischen  Städte  befehden  sich  gegenseitig  ohne  Rücksicht 
auf  die  Stammesgemeinschaft.  Sicilien  war  überhaupt  der  Schauplatz, 
wo  mehr  als  anderswo  die  verschiedensten  Nationalitäten  sich  be- 
gegneten und  vermischten.  Dorier  und  Ionier  verschmolzen  hier  zu 
Bevölkerungen,  welche  eine  halb  dorische,  halb  ionische  Mischsprache 
redeten,  wie  z.  B.  die  Himeräer,  welche  aus  Zankle  und  aus  Syrakus 
stammten.  Aus  hellenischem  und  barbarischem  Blute  war  an  der 
Westküste  das  Misch volk  der  Elymer  entstanden  (I,  438);  endlich 
hatten  sich  auch  die  eingebornen  Sikuler  an  allen  Küsten  mit  helle- 
nischem Volke  verbunden,  und  diese  mannigfache  Verbindung  ver- 
schiedener Völker  und  Stämme,  wie  sie  nur  in  Sicilien  zu  Stande 
kam,  gab  den  Einwohnern  der  Insel  wieder  den  besonderen  Charakter, 
an  welchem  man  unter  allem  Volke,  das  griechisch  redete,  die  Sike- 
boten,  d.  h.  die  sicilischen  Griechen  erkannte.  Es  waren  vorzüglich 


Digitized  by  Google 


524 


DIE  PERIODEN   SICILISCHER  GESCHICHTE 


gewandte  und  weltkluge  Leute,  erfinderisch  und  gewerbfleifeig,  sinn- 
lich und  zu  behaglichem  Wohlleben  geneigt,  aber  dabei  von  auf- 
gewecktem Geiste  und  feiner  Beobachtungsgabe,  lebhaft  und  geist- 
reich; es  waren  Leute,  die  immer  ein  treffendes  Wort  bei  der  Hand 
hatten  und  sich  auch  durch  Widerwärtigkeiten  niemals  so  weit  her- 
unterbringen liefsen,  dass  sie  nicht  durch  witzige  Einfalle  sich  und 
Andere  zu  belustigen  wussten. 

Die  weitere  Gestaltung  der  Verhältnisse  war  von  dem  Gedeihen 
der  einzelnen  Küslenstädte  abhängig.  Denn  wenn  sie  auch  fast  alle 
einen  hohen  Grad  von  Wohlstand  erreichten,  so  war  doch  die  Ent- 
wicklung von  Kraft  und  Macht  bei  ihnen  eine  sehr  verschiedene. 
Und  zwar  waren  es  nicht  die  durch  Fruchtbarkeit  des  Gebiets  und 
behagliche  Lage  am  meisten  begünstigten  Städte  der  Ghalkidier  in  der 
Nähe  des  Aetna,  welche  vor  den  andern  den  Vorsprung  gewannen. 
Auch  Syrakus,  obgleich  vor  allen  Pflanze  lad  ten  durch  seine  Küstenlage 
bevorzugt,  griff  nicht  auf  selbständige  Weise  in  die  Geschichte  der 
Insel  ein,  sondern  die  rhodischen  Städte  waren  es,  von  denen  die 
Bewegungen  ausgingen,  welche  eine  gemeinsame  Staatengeschichte  in 
Sicilien  veranlassten.  Sie  waren  es,  welche  zuerst  höhere  politische 
Zwecke  verfolgten,  welche  die  engen  G ranzen  ihrer  Stadtgebiete  über- 
schritten und  durch  Unterhandlung  wie  durch  Gewalt  die  Hülfskräfte 
verschiedener  Staaten  mit  einander  verschmolzen. 

Darnach  gliedert  sich  die  ganze  ältere  Gescl lichte  Sicilien s  in 
drei  Perioden.  Die  erste  ist  die  Zeit  der  Stadtgründungen,  eine  lange 
Zeit  von  anderthalb  Jahrhunderten.  Dann  folgt  die  Zeit  der  inneren 
Entwickelung  der  Städte,  in  der  die  chalkidischen  Colonien  jene 
Rechtsordnungen  einführten  und  ausbildeten,  welche  dem  Gesetz- 
geber Charondas  zugeschrieben  wurden  (I,  547).  Das  ist  die  Periode, 
die  vorzugsweise  das  sechste  Jahrhundert  einnimmt,  in  welchem  jede 
der  drei  Inselseiten  und  wiederum  jede  einzelne  Stadt  daselbst  ihre 
besondere  Geschichte  hatte;  ein  Zeitraum,  über  den  es  an  allen 
zusammenhängenden  Nachrichten  fehlt.  Denn  erst  um  Ol.  70  (500 
v.  Chr.)  treten  die  Städte  aus  der  Dunkelheit  heraus;  da  beginnt 
gleichzeitig  an  den  verschiedensten  Punkten  ein  bewegteres  Leben; 
die  Parteikämpfe  beginnen  in  den  Gemeinden,  deren  buntgemischte 
Bestandteile  eine  ruhige  Entwickelung  nicht  gestatten.  Kriegerische 
Männer  reifsen  die  Gewalt  an  sich  und  der  Ehrgeiz  führt  sie  zu  immer 
weiter  greifenden  Unternehmungen.   Die  engen  Gränzen  der  Stadt- 


GESCHICHTE  VON  GELA 


525 


gebiete,  in  denen  die  verschiedenen  Gemeinden  friedlich  neben  ein- 
ander gewohnt  hatten,  werden  überschritten.  Es  bildet  sich  ein  Unter- 
schied von  Grofs-  und  Kleinstaaten;  eine  Stadt  erhebt  sich  über  die 
andern,  es  entstehen  Bündnisse  und  Gegenbündnisse,  welche  endlich 
die  Einmischung  auswärtiger  Mächte  herbeiführen.  Erst  in  dieser 
Periode  kann  von  einer  Geschichte  Siciliens  die  Rede  sein.  Ihr  Aus- 
gangspunkt ist  Gela  (I,  435). 

Die  rhodischen  Geschlechter,  welche  den  unvergänglichen  Ruhm 
haben,  die  Südküste  der  Insel  für  hellenische  Cultur  gewonnen  zu 
haben,  waren  mit  vielerlei  Volk  aus  Kreta,  Rhodos,  Thera  und  den 
kleineren  Inseln  Telos,  Nisyros  u.  s.  w.,  welche  vor  der  kleinasiatischen 
Küste  liegen,  herübergekommen.  Die  Mannigfaltigkeit  der  Pflanz- 
bürger steigerte  die  Kraft  der  jungen  Gemeinden,  rief  aber  auch  sehr 
frühzeitig  Spaltungen  hervor,  welche  das  Bestehen  der  Staaten  in 
Frage  stellten. 

So  waren  auch  in  Gela  zwei  Parteien,  welche  sich  schroff  gegen- 
über standen,  bis  endlich  die  eine  Partei  nach  Maktorion  oberhalb 
Gela  auswandern  mussle;  der  Staat  war  in  sich  zerfallen  und  eine 
Fehde  ausgebrochen,  ähnlich  wie  die  zwischen  Athen  und  Leipsydrion 
(I,  368). 

Da  gelang  es  einem  Bürger  der  Stadt,  Telines  mit  Namen, 
welcher  aus  der  Insel  Telos  stammte,  den  drohenden  Bürgerkrieg 
abzuwenden.  Unter  dem  Schutze  religiöser  Weihe,  die  er  als  Priester 
der  unterirdischen  Gottheiten  hatte,  ging  er  in's  feindliche  Lager  hin- 
aus, und  es  gelang  ihm  durch  verständige  Rede  die  Parteien  zu  ver- 
söhnen. Der  Bestand  der  Gemeinde  war  gerettet,  und  Telines  wurde 
dadurch  belohnt,  dass  ihm  seinem  Antrage  gemäfs  das  erbliche 
Priesterthum  jener  Gottheiten,  mit  deren  Hülfe  er  den  Frieden  wieder 
hergestellt  hatte,  von  Staatswegen  übertragen  wurde  (I,  460). 

Die  Herrschaft  der  Geschlechter  konnte  aber  nicht  auf  die  Dauer 
hergestellt  werden.  Aus  neuer  Parteifehde  erwuchs  die  Tyrannis  des 
Kleandros,  welchem  OL  70,  3;  498  sein  Bruder  Hippokrates  folgte. 
Dieser  begann  nun  mit  grofser  Schlauheit  und  rücksichtsloser  Energie 
eine  erobernde  Politik,  indem  er  die  Streitigkeiten  in  den  Nachbar- 
Städten  für  seinen  Ehrgeiz  ausbeutete  und  Bündnisse  schloss,  die  er 
so  lange  hielt,  als  sie  ihm  Nutzen  gewährten.  Die  ganze  Insel  gerielh 
durch  ihn  in  Unruhe  und  Unsicherheit,  die  Zeil  der  Stadlfehden  nahm 
ihren  Anfang,  eben  so  wie  es  im  Peloponnes  der  Fall  war  durch 


Digitized  by  Google 


526  DER  TYRANN  HIPPORR  AT  ES  (»0,  8—7«,  8;  498-1). 

die  ersten  Uebergriffe  der  Spartaner  in  das  Gebiet  ihrer  Nachbar- 
länder. 

Es  war  aber  die  Versuchung  zu  eroberndem  Vordringen  hier 
ungleich  gröfser  als  im  Mutterlande;  denn  die  Städte  lagen  auf  dem 
schmalen  Küstenrande  viel  dichter  neben  einander,  und  die  auf- 
blähenden Gemeinden  mussten  sich  auf  allen  Seiten  beengt  fühlen. 
Dann  waren  freilich  auch  in  Sicilien  die  verschiedenen  Stadtgebiete 
durch  natürliche  Gränzen  von  einander  getrennt;  denn  die  kleinen 
Flussebenen  sind,  gleich  den  Ebenen  von  Argos  und  Athen,  alle  nach 
dem  Meere  offen  und  im  Hintergrunde  durch  Gebirgsringe  vom 
Binnenlande  gesondert  und  bilden  natürliche  Kantone.  Aber  diese 
Gliederung  war  doch  nicht  so  kräftig  und  durchgreifend,  wie  die  der 
Bergreihen  im  Mutterlande;  sie  gab  dem  schwächeren  Staate  zu  wenig 
Schutz  und  Zuversicht.  Da  nun,  wie  die  Verhältnisse  lagen,  auch  kein 
gemeinsames  Recht  vorhanden  sein  konnte,  welches  die  schwankenden 
Gränzen  sicherte,  und  keine  religiösen  Ordnungen,  die  den  Landfrieden 
hüteten,  so  war  dem  Eroberungstriebe  der  kräftigeren  Stadtgemeinden 
keinerlei  wirksame  Schranke  gesetzt77). 

Die  Fehden,  welche  nun  begannen,  waren  keine  Stammfehden; 
denn  der  erste  Angriff,  der  von  dem  kriegerischen  Gela  ausging,  war 
gegen  Syrakus  gerichtet;  es  waren  also  zwei  dorische  Städte,  die  mit 
einander  den  Kampf  eröffneten. 

Die  Syrakusaner  hatten  135  Jahre  nach  Gründung  ihrer  Stadt, 
also  um  die  Zeit  Solons,  eine  Colonie  an  die  Südküste  gefuhrt  und 
Kamarina  gegründet  zwischen  dem  Vorgebirge  Pachynon  und  Gela, 
nachdem  die  Megareer  schon  ein  Menschenalter  vorher  im  westlichen 
Theile  der  Südküste  Selinus  gebaut  hatten.  Das  schnell  empor- 
gewachsene Kamarina  riss  sich  Ol.  67  (um  512)  von  seiner  Mutter- 
stadt los  wie  Kerkyra  von  Korinth.  Es  wurde  bezwungen  und  zerstört 
von  den  Syrakusanern,  so  dass  ihr  Gebiet  jetzt  unmittelbar  an  das  von 
Gela  reichte.  Hippokrates  griff  den  Nachbarstaat  an.  Am  Flusse 
Heloros  standen  zuerst  Griechenheere  einander  gegenüber.  Die  Syra- 
kusaner wurden  durch  Zuzug  von  Korinth  und  Kerkyra  in  ihrer  Selb- 
ständigkeit erhalten,  aber  das  Gebiet  von  Kamarina  mussten  sie  ab- 
treten, und  an  der  verödeten  Stelle  ihrer  Colonie  erwuchs  nun  eine 
ihnen  feindliche  Stadt,  ein  Vorposten  von  Gela  gegen  Syrakus. 

Die  Unternehmungen  des  Hippokrates  dehnten  sich  inzwischen 
immer  weiter  aus.  Er  griff  im  Rücken  von  Syrakus,  das  nun  gänzlich 


Digitized  by  Google 


HIPPOKRATES  VXU  ZANKLE  (UM  493). 


527 


isolirt  wurde,  nach  dem  Gebiete  der  Chalkidier  hinüber,  brachte  Leon- 
tinoi,  Naxos,  Zankle  in  Abhängigkeit,  und  welche  Mittel  er  bei  seiner 
Eroberungspolitik  anwendete,  zeigt  sich  bei  dem  letztgenannten  Orte 
am  deutlichsten. 

Zankle  war  unter  den  chalkidischen  Colonien  der  Insel  die 
lebenskräftigste.  Ihr  Landgebiet  war  im  Verhältniss  zu  dem  der 
andern  dürftig  und  wenig  ergiebig;  um  so  mehr  war  sie  aber  darauf 
angewiesen,  ihren  vortreulichen  Hafen  zu  benutzen,  und  ihre  Lage  am 
sicüi sehen  Sunde  nöthigte  sie,  sich  den  Verkehr  zwischen  dem 
tyrrhenischen  und  ionischen  Meere  zu  sichern  und  die  Hafenplätze  der 
Nordküste  in  griechische  Hände  zu  bringen.  Die  Zankläer  hatten  hier 
eine  noch  schwierigere  Aufgabe,  als  die  Rhodier  im  Süden;  denn  das 
Nordgestade  ist  felsig,  unwegsam  und  zum  Theil  sehr  ungesund; 
aufserdem  hatten  sie  nicht  nur  die  Karthager  zu  feindlichen  Nachbarn, 
sondern  auch  die  Tyrrhener  und  die  Sikuler,  welche  im  Norden 
mächtiger  geblieben  waren  als  an  den  andern  Seiten  der  Insel. 
Dennoch  gelang  es  den  Zankläern  am  nächsten  Vorgebirge  der  Nord- 
küste Mylai  zu  gründen  und  dann  hart  an  der  punischen  Gränze  die 
Stadt  Himera,  welche  zu  einem  selbständigen  und  volksreichen  Ge- 
meinwesen erwuchs. 

So  hatte  sich  ein  ausgedehnteres  Staatsgebiet  gebildet,  welches 
um  die  Zeit  des  ionischen  Aufstandes  von  Skythes,  dem  Herrscher  von 
Zankle,  regiert  wurde,  einem  staatsklugen  und  weitblickenden  Manne, 
der  auch  mit  den  Verhältnissen  im  Orient  vertraut  war. 

Er  kam  daher  auf  den  Gedanken,  die  Bedrängniss  der  asiatischen 
Griechen  zu  benutzen,  um  für  die  Hellenisirung  der  Nordküste  neue 
Kräfte  zu  gewinnen.  Milesier  und  Samier  folgten  seiner  Aufforderung, 
aber  wie  sie  mit  ihren  Schiffen  in  Rhegion  anliefen,  gelang  es  der 
Arglist  des  Anaxilaos  von  Rhegion,  sie  zu  einem  Angriffe  auf  Zankle 
zu  überreden  (I,  628).  Skythes,  der  gegen  die  Sikuler  zu  Felde  lag, 
sali  sich  plötzlich  von  seiner  eigenen  Stadt  ausgeschlossen  und  rief  nun 
seinen  Bundesgenossen  Hippokrates  zur  Unterstützung  herbei.  Aber 
auch  von  ihm  wurde  er  auf  die  hinterlistigste  Weise  getäuscht;  denn 
der  Tyrann  von  Gela  bemächtigte  sich  seiner  Person,  so  wie  der  Zan- 
kläer, und  lieferte  die  dreihundert  Vornehmsten  der  Stadt  den  Samiern 
aus,  um  sie  zu  tödten.  Die  Samier  vollzogen  diese  Blutthat  nicht, 
aber  sie  schlössen  einen  Vertrag,  durch  welchen  sie  mit  ihm  die  reiche 
Beute  theilten  und  gewiss  auch  die  Oberhoheit  von  Gela  anerkannten. 


Digitized  by  Google 


528 


GELON  TYRANN  VON  GELA  (72,  S;  491). 


Hippokrates  hatte  zwei  Männer  zur  Seite,  deren  Feldherrngaben 
er  seine  glänzenden  Erfolge  Torzugsweise  verdankte.  Der  Eine  war 
Gelon,  der  Sohn  des  Deinomenes,  aus  der  priesterlicben  Familie  des 
Telines;  der  Andere  Ainesidemos,  welcher  einem  noch  erlauchteren 
Geschlechte  angehörte,  dem  der  Aegiden,  demselben  Geschlechte,  das 
aus  dem  siebenthorigen  Theben  nach  Sparta  gekommen  war,  den 
dortigen  Staat  hatte  aufrichten  helfen  und  sich  dann  nach  Thera,  nach 
Kyrene  und  nach  Rhodos  verzweigt  hatte  (I,  167).  Aus  Rhodos  war 
wiederum  ein  Zweig  dieses  lebenskräftigen  und  wanderlustigen 
Stammes  nach  Gela  gekommen;  das  war  die  Familie  der  Emmeniden, 
welcher  Ainesidemos  angehörte. 

Ainesidemos  wie  Gelon  waren  Männer  von  hochiliegenden  Plänen 
und  beide  nicht  gesonnen,  Werkzeuge  fremder  Herrsch ergröfse  zu 
bleiben.  Gelon,  der  Jüngere  von  ihnen,  gewann  den  Vorsprung.  Er 
blieb,  nachdem  Hippokrates  in  einem  Kampfe  mit  den  Sikulern  ge- 
fallen war,  an  der  Spitze  der  Truppen,  und  unter  dem  Vorwande,  das 
Thronfolgerecht  der  unmündigen  Tyrannensöhne  zu  vertheidigen,  be- 
siegte er  das  Bürgerheer  der  Geloer  in  offener  Schlacht  und  eignete 
sich  dann  die  Herrschaft  selbst  an,  um  seines  Vorgängers  Plan,  ein 
griechisches  Reich  auf  der  Insel  zu  gründen,  in  gröfserem  Mafsstabe 
zu  verwirklichen.  Namentlich  war  er  auf  die  Schöpfung  einer  See- 
macht bedacht,  und  weil  die  Städte  der  Südküste  mit  ihren  offenen 
Rheden  hiezu  nicht  geeignet  waren,  so  richtete  er  sein  Augenmerk  auf 
Syrakus,  welches  ihm  durch  seinen  gro£sen  Flottenhafen  zur  Haupt- 
stadt der  Insel  berufen  zu  sein  schien.  Die  Verhältnisse  begünstigten 
seine  Pläne.  Denn  das  Mutterland  war  durch  die  drohende  Perser- 
macht völlig  in  Anspruch  genommen,  so  dass  von  dort  keine  Ein- 
mischung zu  erwarten  war,  und  eben  so  kamen  die  inneren  Zustande 
der  Nachbarstadt  den  Absichten  Gelons  fördernd  entgegen  7B). 

Die  erste  Ansiedelung  der  korinthischen  Pflanzbürger  hatte  auf 
Ortygia  stattgefunden  (I,  429),  wo  das  Artemisheiligthum  bei  der 
Quelle  Arethusa  stand  und  der  Athenatempel,  die  beiden  heiligen 
Statten  der  Insel,  in  deren  Nähe  auch  die  alten  Familien  der  Stadt  ihre 
Häuser  hatten.  Dies  war  der  Grundstamm  der  Ansiedler  von  Syrakus, 
welche  sich  nach  dorischer  Weise  in  den  eroberten  Grundbesitz  ge- 
theilt  hatten,  und  von  dem  Besitze  ihrer  Landloose  die  Grundherren 
oder  'Gamoren'  hiel&en.  Neben  diesen  Altbürgern,  welche  die  Re- 
gierung in  Händen  hatten,  sammelte  sich  in  der  Stadt  eine  gewerb- 


Digitized  by  Google 


Geschichte  vo*  Syrakus.  529 

treibende  Bevölkerung,  welche  rasch  anwuchs  und  durch  Kornhandel, 
SchiflTahrt,  Kunst  und  Handwerk  zu  Wohlstand  gelangte.  Eis  war  die 
schutzverwandte  Einwohnerschaft.  Einen  dritten  Stand  bildeten  die 
sogenannten  Killikyrier,  die  unfreien  Ueberreste  der  alten  Bevölkerung, 
welche  als  Hörige  den  Grund  und  Boden  der  Gamoren  bebauten,  in 
ihrer  Lage  den  Heloten  und  Penesten  ähnlich. 

Die  regierenden  Geschlechter  haben  in  Syrakus,  wie  in  der 
Mutterstadt,  mit  welcher  sie  immer  in  genauen  Beziehungen  geblieben 
waren,  eine  grofse  Tüchtigkeit  bewiesen.  Sie  haben  das  Küsteneiland 
Orlygia  durch  einen  mächtigen  Damm  mit  der  grofsen  Insel  verbunden ; 
sie  haben  damit  ihre  Hand  auf  dieselbe  gelegt  und  die  Herstellung  eines 
Inselreichs  begonnen.  Denn  nicht  nur  das  nächste  Ufer  haben  sie  in 
ihre  Ansiedelung  hereingezogen,  sondern  auch  nach  allen  Richtungen 
Colonien  ausgeschickt.  So  im  siebzigsten  Jahre  ihrer  Stadt  nach  Akrai 
(29,  1;  664),  zwanzig  Jahre  später  nach  Kasmenai  und  dann  (45,  2; 
599)  nach  Kamarina.  Auf  diese  Weise  umgürteten  sie  ihr  Stadtgebiet 
mit  festen  Punkten,  machten  sich  zu  Herrn  der  südöstlichen  Ecke 
Siciliens  und  gewannen  wohlgelegene  Wattenplätze  zu  weiteren  Unter- 
nehmungen. Aber  auch  in  das  Innere  drangen  sie  vor,  um  griechische 
Cultur  auszubreiten  und  sich  der  fruchtbarsten  Theile  des  Binnen- 
landes zu  versichern.  So  sollen  sie  in  der  Mitte  Siciliens  das  hochge- 
legene und  quellenreiche  Enna  um  dieselbe  Zeit  wie  Akrai  gegründet 
haben;  die  zahlreichen  Pflanzorte  dienten  zugleich  dazu,  die  unruhige 
Stadtbevölkerung  zu  verlheilen  und  die  bestehende  Regierung  zu  be- 
festigen79). 

Indessen  war  den  syracusanischen  Geschlechtern  aller  Klugheit 
und  Energie  ungeachtet  weder  in  ihrer  inneren  noch  in  ihrer  äufseren 
Politik  ein  dauernder  Erfolg  vergönnt.  Denn  an  der  Südküste,  wo  ihr 
Vorgehen  nolhwendig  zu  Conflikten  mit  Gela  führen  musste,  verloren 
sie  ihre  Besitzungen  an  Hippokrates,  welcher  nach  der  Schlacht  am 
Heloros  bis  in  die  nächste  Umgebung  der  Stadt  siegreich  vordrang. 
Das  äufsere  Unglück  erschütterte  das  Ansehen  der  Aristokratie,  wie  es 
auch  mit  den  korinthischen  Bakchiaden  der  Fall  war  (I,  261).  Die 
beiden  unteren  Stände  verbanden  sich  zu  einer  gemeinsamen  Erhebung; 
die  Geschlechter  wurden  vertrieben  und  flüchteten  nach  Gela,  um  bei 
den  dortigen  Tyrannen,  welche  am  meisten  zu  ihrem  Sturze  bei- 
getragen hatten,  Unterstützung  zu  suchen.  Dies  geschah,  als  Gelon 
sechs  Jahre  Herr  von  Gela  war. 

Curtiup,  Gr.  Co»ch.  II.  6.  Anfl.  34 


Digitized  by  Google 


530 


SYRAKUS  UNTER  GELON  (73,  4;  485). 


Gelon  wusste  die  dargebotene  Gelegenheit  im  vollsten  Mafse  zu 
benutzen.  Er  kehrte  mit  den  Vertriebenen  zurück,  ehe  noch  in  der 
aufständischen  Stadt  eine  neue  Ordnung  zu  Stande  gekommen  war. 
Die  Bürger  legten  ihr  Schicksal  in  seine  Hand  und  Gelon  war  hoch  er- 
freut, das  Hauptziel  seiner  Politik  schnell  und  vollständig  erreicht  zu 
haben,  indem  er  sich  von  allen  Ständen  der  in  sich  zerfallenen  Stadt 
als  Ordner  der  inneren  Angelegenheiten  freiwillig  anerkannt  sah.  Er 
übergab  sofort  seinem  Bruder  Hieron  die  Verwaltung  von  Gela,  nahm 
selbst  seinen  Silz  in  Syrakus  und  damit  begann  für  diese  Stadt  so  wohl 
wie  für  die  ganze  Insel  eine  neue  Epoche. 

Gelons  nächste  Aufgabe  war,  Syrakus  zu  einer  grofscn  Hauptstadl 
und  einem  glänzenden  Fürstensitze  umzuschalten,  um  das  Frühere  ver- 
gessen und  die  Rückkehr  desselben  unmöglich  zu  machen.  Zu  dem 
Zwecke  verpflanzte  er  alle  Kamarinäer  nach  Syrakus  und  eben  so  den 
grofseren  Theil  von  Gela.  Auch  von  der  Ostküsle  her  bevölkerte  er  die 
neue  Hauptstadt.  Hier  lag  an  der  schönen  Bucht  unmittelbar  neben  Sy- 
rakus die  Stadt  Megara  (I,  429),  die  Mutter  Stadt  von  Selinus;  zwischen 
den  Leon  tinein  und  Syrakusanern  eingeengt,  hatte  sie  es  zu  keinem 
rechten  Gedeihen  bringen  können;  wie  sollte  sie  sich  jetzt  gegen  den 
übermächtigen  Nachbarn  halten !  Und  dennoch  war  der  Adel  der  Stadt 
entschlossen,  seine  Selbständigkeit  zu  vertheidigen  und  der  gewalt- 
samen Einverleibung  in  das  Tyrannenreich  mit  allen  Mitteln  zu  wider- 
streben.  Gelon  konnte  erst  durch  eine  Belagerung  sein  Ziel  erreichen. 

Syrakus  vergröfserte  sich  weit  über  das  Doppelte.  Denn  nachdem 
die  Bevölkerung  sich  schon  seit  lange  über  den  Isthmus  von  Ortygia 
auf  das  Festland  vorgeschoben  hatte,  wurde  jetzt  die  grofse  Hochfläche 
desselben  vom  Isthmus  bis  an  das  nördliche  Meer  (Achradina)  städtisch 
eingerichtet  und  befestigt,  und  landeinwärts  neben  Achradina  der 
Sladttheil  Tyche,  anderthalb  bis  zwei  Stunden  Wegs  von  der  Insel  ent- 
fernt. Bei  diesen  riesenhaften  Anlagen  wurden  alle  Arbeitskräfte  an- 
gespannt und  fanden  den  reichsten  Verdienst.  Die  Aufmerksamkeit 
wurde  von  allen  Verfassungsfragen  abgezogen.  Zugleich  wurde  die  Be- 
völkerung in  dem  Grade  zersetzt,  dass  eine  Erneuerung  der  alten 
Parteiungen  unmöglich  wurde;  es  war  wie  eine  neue  Sladtgründung, 
und  Gelon  erreichte  dadurch,  dass  inmitten  der  von  allen  Seilen  zu- 
strömenden Menschenmenge,  inmitten  der  grofsen  Bauten  und  Ein- 
richtungen seine  Person  unentbehrlich  war,  weil  sie  dem  Ganzen  allein 
Halt  und  Zusammenhang  gab. 


Digitized  by  Google 


IHK  POLITIK  GELONS 


531 


Die  Politik  Gelons  war  nickt  die  eines  gewöhnlichen  Tyrannen, 
sondern  er  wusste  die  Grundsatze  aristokratischer  und  demokratischer 
Regierung  in  eigentümlicher  Weise  zu  verbinden.  In  Megara  war  es 
der  Adel  gewesen,  der  gegen  ihn  die  Waffen  ergriffen  hatte  und 
deshalb  vor  seiner  Rache  zitterte.  Statt  dessen  wurde  derselbe,  ohne 
irgend  eine  Einbufse  zu  erleiden,  in  die  neue  Hauptstadt  verpflanzt; 
das  geringe  Volk  aber,  worunter  auch  viele  Sikuler  waren  und  Leute 
phönikischer  Herkunft,  wurde  nach  aufsen  in  die  Sklaverei  verkauft. 
Eben  so  geschah  es  mit  chalkidiscben  Ortschaften.  Gelon  wollte  eine 
grofse  Stadt,  aber  ohne  Proletariat;  er  wollte  eine  Einwohnerschaft  von 
möglichst  viel  gebildeten  und  begüterten  Bürgern,  in  welcher  sich 
nicht  nur  die  Sonderinteressen  verschiedener  Stände  und  Städte, 
sondern  auch  die  Besonderheiten  des  dorischen  und  ionischen  Wesens 
ausgleichen  sollten.  Syrakus  kann  deshalb  die  erste  hellenische  Grofs- 
stadl  genannt  werden,  weil  Einbeimische  und  Fremde  daselbst  gleiche 
Rechte  und  Ehren  genossen. 

Nach  Art  aristokratischer  Regierungen  hielt  Gelon  die  Bürger 
sonderlich  zum  Ackerbau  an  und  überwachte  die  Felder,  aber  zugleich 
entfesselte  er  die  Kräfte  der  bürgerlichen  Gesellschaft  und  eröffnete 
alle  Hülfsquellen  des  Wohlstandes,  welche  Schiffbau  und  Handel  dar- 
bieten; der  Galeerenbau  wurde  in  grofsem  Mafsstabe  betrieben,  das 
Volk  in  Wfaffen  geübt,  und  die  ganze  Bürgergemeinde  als  Inhaberin 
der  höchsten  Gewalt  angesehen.  Darum  erklärte  er  sich,  als  er  auf 
dem  Gipfel  seiner  Macht  stand,  bereit,  die  Regierung  in  ihre  Hände 
zurückzugeben;  er  konnte  überzeugt  sein,  dass  die  Bürgerschaft  nicht 
anstehen  würde,  ihn  als  ihren  Retter,  ihren  Wohllhäter  und  König 
zu  begrüfsen,  weil  Glück  und  Sicherheit  der  neuen  Stadt  auf  ihm 
beruhte80). 

Sein  Blick  ging  weit  über  die  Mauern  von  Syrakus  und  selbst 
über  die  Küsten  Siciliens  hinaus.  Er  kannte  die  Verhältnisse  des 
jenseitigen  Griechenlands,  die  Zerrissenheit  desselben  und  die  Macht 
des  Grofskönigs.  Die  Gelegenheit  schien  günstig  zu  sein ,  um  den 
Sikelioten  Einfluss  im  Mutterlande  zu  verschaffen  und  das  Gefühl  des 
Stolzes,  mit  dem  man  von  den  blühenden  Pflanzslädlen  auf  das  ältere 
Hellas  binblickle,  in  glänzender  Weise  zu  befriedigen.  Denn  während 
die  Staaten  des  Mutterlandes  erst  anfingen,  Flotten  zu  bauen,  und  was 
die  Landmacht  betrifft,  auf  das  Aufgebot  ihrer  Bürgerwehren  an- 
gewiesen waren,  an  Reiterei  und  leichten  Truppen  aber  den  gröfsten 

34* 


Digitized  by  Google 


532 


GEL03  UND 


Mangel  hatten,  auch  in  Geldmitteln  beschränkt  und  in  Bezug  auf 
Getreidezufuhr  von  fernen  Gegenden  abhängig  waren,  hatte  Gelon  eine 
vollständige  und  wohlgeübte  Streitmacht,  ein  schlagfertiges  Landheer 
von  20,000  Bürgern  und  Söldnern;  dazu  Schleuderer,  Bogenschützen, 
schwere  und  leichte  Reiterei.  Die  Zahl  der  Galeeren  soll  sich  auf  200 
belaufen  haben.  Dazu  hatte  er  einen  Schatz  und  Kornmagazine, 
welche  sich  aus  dem  Ueberflusse  der  Insel  füllten.  Er  hatte  offenbar 
von  seinen  Nachbarn,  den  Karthagern,  gelernt,  eine  Reichsmacht  zu 
bilden,  wovon  man  im  Mutterlande  keine  Ahnung  hatte;  er  halte 
jenseits  des  Wassers,  so  wie  auf  der  eigenen  Insel  den  Nationalfeind 
vor  sich  und  war  dadurch  genöthigt  eine  wohl  organisirte  und  stets 
schlagfertige  Streitmacht  zu  haben,  und  seine  Absicht  konnte  keine 
andere  sein,  als  mit  Hülfe  derselben  die  ganze  Insel  unter  seiner 
Herrschaft  zu  vereinigen  und  das  unvollständig  gebliebene  Werk  der 
griechischen  Colonisation  Siciliens  zu  vollenden. 

Zu  diesem  Zwecke  hatte  er  schon  mit  den  Staaten  des  Mutter- 
landes Unterbandlungen  begonnen  und  namentlich  Sparta  zu  ge- 
winnen gesucht,  dass  es  ihm  zur  Unterwerfung  der  westlichen  Insel 
Beistand  leiste.  Den  Spartanern  selbst  waren  solche  Pläne  nicht  fremd 
geblieben.  Denn  wenig  Jahre  zuvor  hatte  ja  des  Königs  Kleomenes 
Bruder  Dorieus  (S.  55)  eben  daselbst  mit  Phöniziern  und  Elymern 
gekämpft  und  war  im  Kampfe  gefallen.  Gelon  stellte  also  den  Spar- 
tanern vor,  dass  sie  den  Tod  des  Herakliden  rächen  und  jene  aben- 
teuerliche und  erfolglose  Unternehmung  durch  einen  wohlvorbereiteten 
Feldzug  in  seiner  Gemeinschaft  wieder  gut  machen  müssten.  Zugleich 
hob  er  hervor,  welch  ein  Gewinn  es  für  das  Mutterland  sei,  wenn  alle 
Häfen  der  kornreichen  Insel  den  Puniem  entrissen  und  den  griechi- 
schen Handelsschiffen  geöffnet  würden.  So  sollte  Sicilien  zum  Mittel 
punkte  der  griechischen  Geschichte  werden  und  der  König  von 
Syrakus  Oberfeldherr  der  griechischen  Contingente. 

Sparta  wollte  und  konnte  auch  damals  auf  solche  Pläne  nicht  ein- 
gehen. Man  begreift  aber,  wie  stolz  Gelon  auftrat,  als  einige  Jahre 
nachher  vom  Isthmus  (S.  61)  die  Gesandten  herüberkamen,  um  seine 
Bundeshülfe  gegen  Xerxes  in  Anspruch  zu  nehmen.  Er  sah  seinen 
Staat  als  die  einzige  Grofsmacht  an,  welche  mit  griechischen  Volks- 
kräften zu  Stande  gekommen  war;  er  hielt  die  Republiken  des  Mutter- 
landes bei  ihren  geringeren  Hülfsmitteln  und  dem  Mangel  an  einheit- 
licher Leitung  für  durchaus  unfähig,  den  Persern  zu  widerstehen,  und 


Digitized  by  Google 


DAS  MITTLRLA.\D. 


533 


glaubte  sich  in  dem  bevorstehenden  Völkerkriege  unentbehrlich.  Die 
Notli  der  Griechen  sollte  ihm  dazu  dienen,  seine  wohlbegründeten 
Machtansprüche  von  den  jenseiligen  Staaten  anerkannt  zu  sehen;  er 
verlangte  also,  wenn  er  helfen  sollte,  die  Führung  des  geraeinsamen 
Kriegs  zu  Wasser  und  zu  Lande.  Als  nun  der  Vertreter  Spartas  voll 
Entrüstung  den  Gedanken  zurückwies,  dass  seine  Könige,  die  Nach- 
folger  Agameranons,  einem  fremden  Fürsten  die  Führung  der  Hellenen 
überlassen  sollten,  gab  Gelon  so  weit  nach,  dass  er  den  Gesandten  die 
Wahl  liefe,  ob  sie  ihm  zu  Lande  oder  zu  Wasser  die  Führung  über- 
tragen wollten.  Dieser  Vorschlag  war  den  Spartanern  gegenüber  nichts 
Anderes  als  ein  Antrag  auf  Ueberlassung  des  Flottenbefehls,  und 
darum  ergriff  nun  der  Athener  das  Wort  im  Namen  seines  Staats, 
dessen  aufkeimende  Gröfse  auch  Gelon  nicht  zu  würdigen  wusste. 
Die  Athener,  so  wurde  ihm  entgegnet,  die  niemals  ihren  Wohnsitz 
verändert  halten,  dürften  jüngeren  Staaten  und  ausgewanderten  Hel- 
lenen den  Vorrang  nicht  zugestehen.  Nicht  Feldherrn  suche  man, 
sondern  Truppen.  Bei  so  entschlossenem  Gegensatze  war  keine  Ver- 
mittelung  möglich,  und  nach  heftigem  Wortwechsel  entliefe  Gelon  die 
Gesandten,  indem  er  nach  Art  der  Sikelioten  ihres  Unverstandes 
spottete;  sie  sollten  heimgehen  und  ihren  Landsleuten  sagen,  dass 
ihrem  Jahre  der  Frühling  genommen  sei,  d.  h.  sie  hätten  sich  selbst 
des  besten  Theils  nationaler  Macht  beraubt. 

So  lautet  die  griechische  Ueberlieferung  von  der  Gesandtschaft, 
wie  Herodot  sie  uns  mitlheüt.  In  Sicilien  dagegen  wollte  man  nicht 
einräumen,  dass  die  Verhandlungen  an  dem  Ehrenpunkte  des  Ober- 
befehls gescheitert  seien;  Gelon  sei  vielmehr  auch  unter  Spartas 
Hegemonie  zu  thäliger  Bundeshülfe  bereit  gewesen  und  nur  durch 
einheimischen  Krieg  daran  verhindert  worden.  Und  allerdings  war 
schon  zwei  Jahre  vor  dem  Zuge  des  Xerxes  ein  sicilischer  Krieg 
der  gefahrlichsten  Art  in  Aussicht;  schon  deshalb  ist  es  in  der  Thal 
unwahrscheinlich,  dass  ein  so  kluger  Fürst  wie  Gelon  ernstlich  daran 
gedacht  haben  sollte,  sich  an  einem  Kriege  im  ägäischen  Meere  zu 
betheiligen  und  zwar  mit  einer  so  ansehnlichen  Macht,  um  darauf  den 
Anspruch  auf  Oberbefehl  zu  gründen. 

Ganz  ferne  durfte  er  indessen  den  griechischen  Angelegenheiten 
nicht  bleiben.  Er  musste  hinreichend  unterrichtet  sein,  um  nach  dem 
Gange  derselben  bei  Zeiten  seine  Politik  einrichten  zu  können ;  denn 
wenn  die  griechischen  Streitkräfte  schnell  erliegen  sollten,  wie  er  es 


Digitized  by  Google 


534 


GESCHICHTE  VON  AKHAGAS. 


ja  nicht  anders  voraussetzen  konnte,  so  stand  zu  erwarten,  dass  die 
Perser-,  welche  das  sicilische  Meer  schon  ausgekundschaftet  hatten 
(I,  612),  sich  am  griechischen  Mutterlande  nicht  genügen  lassen 
würden;  sie  konnten  keine  günstigere  Zeit  gewinnen,  um  Sicilien  zu 
unterwerfen,  als  die  des  schon  begonnenen  Kriegs  mit  Karthago,  und 
deshalb  musste  Gelon  Alles  aufbieten,  um  eine  Verbindung  der  beiden 
Erbfeinde  griechischer  Nation  rechtzeitig  zu  verhindern.  Deshalb 
schickte  er  einen  seiner  zuverlässigsten  Diener,  Kadmos,  den  Sohn  des 
Skylhes  (S.  527),  mit  drei  SchifTen  und  reichen  Geschenken  nach 
Delphi,  um  dort  an  neutraler  Stelle  den  Gang  der  Ereignisse  zu  be- 
obachten; er  halte  die  Weisung,  im  Falle  des  Siegs  der  Barbaren  dem 
Grofskönige  schon  in  Griechenland  Gelons  Huldigung  darzubringen 
und  allen  Feindseligkeiten  vorzubeugen.  Kadmos  war  zu  dieser  Mission 
ganz  besonders  geeignet,  weil  er  selbst  unter  persischer  Hoheit  Statt- 
halter in  Kos  gewesen  und  wie  sein  Vater  am  Hofe  des  Grofskönigs 
wohl  angesehen  war.  Gelons  eigene  Thätigkeit  aber  wurde  ganz 
von  den  sicilischen  Verwickelungen  in  Anspruch  genommen,  welche  in 
Akragas  ihren  Ausgangspunkt  hatten81). 

Akragas,  zwischen  Gela  und  Selinus  gelegen,  eine  der  jüngsten 
unter  den  griechischen  Colonien,  hatte  ungemein  rasch  die  meisten 
der  Inselslädte  überflügelt  (I,  437).  Es  war  gleich  als  Grofsstadt  an- 
gelegt worden,  eine  Stunde  vom  Meere,  auf  breiter  Felsterrasse,  die, 
im  Rücken  von  höheren  Gebirgen  überragt,  gegen  das  Meer  und  nach 
den  Seiten  mit  steilen  Wänden  abfallt,  so  dass  es  an  vielen  Stellen  gar 
keiner  Stadtmauer  bedurfte.  In  verschiedenen  Stufen  erhob  sich  die 
Felsenstadt  zu  der  Akropolis,  welche,  1200  Fufs  hoch,  die  Tempel  der 
Götter  trug.  Die  Leitung  der  öffentlichen  Bauten  wurde  dem  Phalaris 
übertragen,  einem  ehrgeizigen  Bürger,  welcher  die  mit  solchem  Amte 
verbundene  Macht  (S.  228)  benutzte,  um  sich  zum  Herrn  der  Stadt  zu 
machen,  nachdem  sie  kaum  zwanzig  Jahre  lang  bestanden  hatte.  Gewiss 
war  seine  Regierung  von  wohlthäligem  Einflüsse,  in  so  fern  sie  wesent- 
lich dazu  beitrug,  die  junge  Stadt  in  kurzer  Zeit  grofs,  fest  und  an- 
sehnlich zu  machen.  Sonst  aber  war  die  Herrschaft  nach  allgemeiner 
Ueberlieferung,  wie  sie  sich  in  der  Erzählung  vom  Stier  des  Phalaris 
ausspricht,  eine  gewaltthätige  und  verhasste,  so  dass  ihr  Sturz  um 
Ol.  57,  4  (559)  als  eine  glückliche  Epoche  im  Andenken  blieb. 

Indessen  gelang  es  der  Gemeinde  auch  dann  nicht,  in  das  Geleis 
einer  ruhigen  Entwickelung  der  bürgerlichen  Zustande  einzulenken, 


Digitized  by  Google 


THERON  TYRANN  VON  AKRAGAS.  535 

und  die  grofsen  Schwierigkeiten,  mit  welchen  die  Leitung  einer  ver- 
schiedenartigen und  schnell  angewachsenen  Menschenmenge  verbunden 
war,  brachten  den  Staat  immer  wieder  in  die  Gewalt  einzelner  Macht- 
haber. Unter  den  eingewanderten  Pflanzbürgern  waren  auch  Mitglieder 
aus  der  Familie  der  Emmeniden  (S.  528);  ihr  gehörte  Telemachos  an, 
welcher  schon  beim  Sturze  des  Phalaris  eine  hervorragende  Rolle 
gespielt  hatte,  und  nachdem  noch  zwei  Machthaber,  Alkamenes  und 
Alkandros,  nach  einander  in  Akragas  geherrscht  hatten,  trat  das  Haus 
der  Emmeniden  von  Neuem  in  den  Vordergrund.  Ainesidemos  näm- 
lich hatte  in  Gela  seinem  Nebenbuhler  Gelon  weichen  müssen;  er 
suchte  sich  darauf  eine  Zeillang  in  Leontinoi  zu  halten  und  siedelte 
endlich  nach  Akragas  über,  wo  es  seinen  beiden  Söhnen,  Theron  und 
Xenokrates,  gelang,  dem  alten  Ruhm  des  Hauses  in  glänzender  Weise 
eine  neue  Statte  zu  bereiten. 

Die  Tyrannis  der  Emmeniden  in  Akragas  war  der  des  Gelon 
ihrem  Ursprung  und  Weseu  nach  durchaus  entsprechend.  Theron 
war  Feldherr  der  Stadt  und  wusste  die  Kriegsmacht  an  seine  Person 
zu  fesseln,  so  dass  er  Ol.  72,  4  (489)  die  Stadt  in  seine  Gewalt 
bringen  und  daselbst  10  Jahre  ungestört  regieren  konnte.  Denn  er 
regierte  mit  weiser  Milde,  so  dass  die  durch  Waffen  gegründete  Herr- 
schaft nicht  als  Gewaltherrschaa  empfundeu  wurde.  Der  beste  Reweis 
dafür  ist,  dass  er  auch  nach  seinem  Tode  in  gesegnetem  Andenken 
geblieben  ist.  Er  schloss  sich  an  seinen  mächtigeren  Nachbarn  an,  gab 
ihm  seine  Tochter  Demarete  zur  Gemahlin;  er  sorgte  nicht  nur  dafür, 
die  beherrschte  Stadt  mit  allen  Künsten  des  Friedens  zu  schmücken, 
sondern  ging  auch  nach  Gelons  Beispiel  darauf  aus,  ihr  Gebiet  durch 
neue  Erwerbungen  zu  erweitern.  Jenseits  der  Berge,  von  denen  die 
Gewässer  nach  Akragas  herabfliefsen,  lag  die  Colonie  der  Zankläer, 
Himera  (S.  527),  auf  welche  schon  Phalaris  sein  Augenmerk  gerichtet 
haben  soll.  Dort  herrschte  Teriilos,  des  Krinippos  Sohn,  der  die 
ionisch- dorische  Bevölkerung  der  Stadt  in  strenger  Zucht  hielt.  Mit 
seinen  Gegnern  setzte  Theron  sich  in  Verbindung,  vertrieb  ihn  in 
einem  glücklichen  Feldzuge  und  herrschte  nun,  wie  Gelon,  an  zwei 
Küsten  der  Insel.  Teriilos  aber  stand  nicht  allein;  er  war  mit 
Anaxilaos,  seinem  Schwiegersohne  verbündet;  er  bot  alle  Hülfsmittel 
des  Widerstandes  auf  und  rechnete  vorzugsweise  auf  Karthago"). 

Hier  hatten  die  Phönizier  eine  Macht  gebildet,  wie  sie  im  Mutter- 
lande nicht  zu  Stande  gekommen  war,  eine  Reichsmacht,  welche  sich 


Digitized  by  Google 


536 


DIE  MACHT  KARTHAGOS. 


in  einem  an  Hilfsquellen  unerschöpflichen  Lande  zwischen  Meer  und 
Wusle  ausdehnte,  mit  festen  Plätzen  sich  rings  umgab  und  von  hier 
aus  im  westlichen  Mittelmeere  die  phönikische  Macht  aufrecht  zu 
erhalten  suchte,  nachdem  sie  in  den  östlichen  Gewässern  überall 
zurückgedrängt  worden  war.  Als  Karthager  haben  die  Punier  sich  für 
ihre  früheren  Niederlagen  an  den  Hellenen  gerächt;  von  Karthago  aus 
haben  sie  den  bis  dahin  ungehemmten  Fortschritten  hellenischer 
Macht  Schranken  gesetzt,  haben  in  Afrika  ihre  Keicbsgränzen  gegen 
Kyrene  und  Barke  vertheidigt  und  in  Sicilien  gegen  Selinus  und 
Akragas  ihre  Besitzungen  behauptet.  Die  Vorposten  des  afrikanischen 
Reiches  waren  die  kleinen  Inseln  südlich  und  südwestlich  von  Sicilien, 
welche  den  griechischen  Städten  eben  so  lästig  waren,  wie  einst 
Aigina  den  Athenern;  namentlich  Gaulos  (Gozzo)  und  Melite  (Malta), 
das  mit  seinen  steilen  Küsten  und  leicht  zu  verschliefsenden  Häfen 
eine  Festung  im  Meere  war  und  eine  unvergleichliche  Flotten  Station. 

Je  mehr  die  phönikischen  Städte  im  Mutterlande  durch  ein- 
heimische Kriege  in  Anspruch  genommen  wurden,  um  so  mehr  sah 
Karthago  sich  gezwungen,  eine  selbständige  Stellung  einzunehmen 
und  nicht  nur  für  seine  eigenen  Handelsinteressen  einzustehen, 
sondern  auch  eine  Hegemonie  über  die  andern  vom  Mutlerlande 
verlassenen  Stapelplätze  und  Ptlanzorte  der  Phönizier  zu  übernehmen. 
Im  sechsten  Jahrhundert  v.  Chr.  tritt  es  mit  kriegerischer  Macht  auf. 
Die  Folge  davon  ist,  dass  die  hellenische  Colonisation  Siciliens  plötz- 
lich in  Stocken  geräth,  dass  die  Rhodier  und  Knidier  um  5S0  (Ol.  50) 
von  Lilybaion  zurückgeschlagen  werden,  dass  die  Karthager  sich  mit 
den  Elymern  einerseits,  andrerseits  mit  den  Tyrrhenern  enger  ver- 
binden, dass  sie  Sardinien  besetzen,  dass  sie  die  Phokäer,  welche  sich 
in  ihr  Seegebiet  mit  grofser  Kühnheit  eingedrängt  hatten,  mit  den 
Tyrrhenern  zusammen  wieder  aus  Kyrnos  (Korsika)  verlreiben  und 
nach  dem  Verluste  der  liparischen  Inseln  (I,  439)  die  Westspilze 
Siciliens  nebst  den  ägatischen  Inseln  um  so  zäher  festhalten.  Dort 
hatten  sie  drei  feste  Punkte:  Motye  an  der  Westküste,  mit  einem 
durch  Klippeninseln  wohl  verlheidigten  Kriegshafen,  der  zur  Ver- 
bindung mit  Afrika  diente,  und  an  der  Nordküste,  zur  Verbindung  mit 
Sardinien,  Panormos,  den  besten  Flottenhafen  Siciliens,  und  Soloeis. 
Quer  durch  Sicilien  ging  also  von  Nordost  nach  Südwest  die  Gränz- 
linie,  jwelche  hellenisches  Land-  und  Seegebiet  von  dem  nichthelle- 
nischen trennte83). 


Digitized  by  Google 


DIE  MACHT  KARTHAGOS. 


537 


Mit  diesem  Zustande  der  Dinge  konnte  man  von  keiner  Seite 
zufrieden  sein.  Die  Punier  fühlten  sich  üherall  eingeengt,  bedroht 
und  von  den  wichtigsten  Seeslrafsen,  wie  namentlich  vom  sicilischen 
Sunde,  ausgeschlossen.  Das  mächtige  Aufblühen  der  rhodischen  Städte 
hatte  sie  längst  mit  Misstrauen  und  Eifersucht  erfüllt;  als  nun  vollends 
Syrakus  zu  einem  grofsen  Kriegshafen  wurde  und  die  beiden  mäch- 
tigen Dynastien  in  Syrakus  und  Akragas  sich  immer  näher  mit  ein- 
ander verbanden,  um  eine  gemeinsame  Kriegsmacht  zu  bilden,  da 
konnte  über  den  Zweck  dieser  Rüstungen  kein  Zweifel  sein.  Nun 
kamen  die  Verwickelungen  im  Osten  dazu,  welche  den  alten  Gegen- 
satz zwischen  Hellenen  und  Phöniziern  in  neuer  Stärke  hervortreten 
liefsen.  Die  SchifTe  von  Tyrus  und  Sidon  waren  es  ja,  welche  einst 
lonien  besiegt  hatten;  auf  den  phönikischen  Hülfskräflen  beruhten 
auch  bei  dem  Angriffe  auf  Hellas  vorzugsweise  die  SiegeshofTnungen 
der  Perser,  die  Könige  von  Sidon  und  Tyrus  waren  die  ersten  Vasallen 
des  Xerxes  (S.  73).  Da  nun  schon  Dareios  seine  Kriegspläne  gegen 
Hellas  bis  auf  die  westlichen  Pflanzstädte  der  Hellenen  ausgedehnt 
hatte,  wie  sollten  die  Perser  es  versäumt  haben,  auch  die  Colonien  der 
Phönizier  in  diese  Pläne  hereinzuziehen  (hatten  sie  es  doch  schon  zu 
Kambyses'  Zeit  darauf  abgesehen ,  die  Kräfte  Karthagos  ihrem  Reiche 
dienstbar  zu  machen!),  und  wie  sollten  nicht  die  Phönizier  selbst,  im 
Mutterlande  wie  in  den  Colonien,  daran  gedacht  haben,  im  eigenen 
Interesse  die  Umstände  zu  benutzen,  um  im  Westen  wie  im  Osten 
die  hellenische  Seemacht  zu  brechen?  Es  ist  daher  kein  Grund,  die 
Gesandtschaften,  welche  die  Grofskönige  nach  Karthago  geschickt 
haben  sollen,  in  Zweifel  zu  ziehen84). 

Karthago  war  mächtiger  und  gerüsteter,  als  je  zuvor.  Es  war 
aus  einem  colonisirenden  ein  erobernder  Staat  geworden,  und  der 
eigentliche  Urheber  dieser  grofsarligeren  Politik,  der  Gründer  seiner 
Kriegsmacht,  war  Mago  oder  Anno,  wie  Herodot  ihn  nennt.  Er  hatte 
das  Heerwesen  geordnet  und  strenge  Kriegsgeselze  eingeführt,  wie 
sie  bei  einem  so  buntgemischten  Heere  unentbehrlich  waren.  Denn 
Bürger  bildeten  den  kleinsten  Theil;  die  Masse  der  Truppen  bestand 
aus  Numidiern  und  Libyern,  Balearen,  Spaniern  und  Galliern, 
Lignrern  und  Italikern  und  griechischen  Söldnern.  Darin  lag  auch 
der  Grund,  dass  man  die  Feldherrn  mit  ausserordentlichen  Voll- 
machten bekleidete;  es  waren  Heerkönige,  die  man,  wenn  sie  ein- 
mal sich  bewährt  hatten,  ohne  bestimmte  Zeitgränze  im  Amte  liefs; 


Digitized  by  Google 


538 


KARTHAGOS  INTERVENTION. 


ja  man  liefe  ihre  Macht  Übergehn  auf  die  Söhne,  die  in  ihrer  Schule 
unter  den  Waffen  grofs  geworden  waren,  so  dass  sich  eine  Art  von 
Feldherrndynastie  bildete,  um  so  mehr,  da  auch  die  Würde  des  Stadt- 
königs oder  Oherrichters  mitunter  den  Feldherrn  Obertragen  worden 
zu  sein  scheint  So  stand  das  Haus  des  Mago  damals  an  der  Spitze 
des  Staats,  und  sein  Einfluss  beruhte  nicht  blofs  auf  Feldherrntalenten 
und  Herrschergaben,  sondern  auch  auf  höherer  Bildung.  Griechische 
Bildung  hat  zur  Blölhe  des  ganzen  Staats  6ehr  wesentlich  beigetragen 
(1,  444),  und  jenes  Haus  war  ganz  besonders  mit  griechischen 
Familien  durch  Gastfreundschaft  und  Verwandtschaft  verbunden. 
Hamiikar  oder  Amilkas,  der  Sohn  des  Mago,  war  mit  einer  Syra- 
kusanerin  vermählt,  und  demselben  Hause  gehört  auch  Anno  oder 
Hanno  an,  der  den  grofsen  Entdeckungszug  in  das  atlantische  Meer  an 
die  Kästen  Westafrikas  ausführte  und  eine  Reisebeschreibung  ver- 
fasste,  von  welcher  noch  jetzt  Bruchstücke  in  griechischer  Ueber- 
setzung  vorhanden  sind85). 

Nachdem  Magos  älterer  Sohn  Hasdrubal  in  Sardinien  kämpfend 
gefallen  war,  bekleidete  Hamiikar  die  Oberfeldherrn  würde;  er  musste 
sich  durch  seine  persönlichen  Verhältnisse  zu  einer  Einmischuug  in 
die  sicilischen  Angelegenheiten  besonders  berufen  fühlen  und  that 
daher  Alles,  um  Terillos  dem  Schutze  der  Karthager  zu  empfehlen, 
als  derselbe  aus  Himera  flüchtig  herüber  kam,  um  so  mehr  da  er 
sein  Gastfreund  war.  Terillos  brachte  den  Karthagern  zugleich  die 
Bundesgenossenschaft  des  Anaxilaos,  welcher  die  beiden  Städte  am 
sicilischen  Sunde  beherrschte  und  aus  Eifersucht  über  den  Glanz  der 
Herrscher  von  Syrakus  und  Akragas  so  weit  ging,  dass  er  zum  Unter- 
pfande  der  Treue  seine  beiden  Söhne  den  Karthagern  als  Geiseln  aus- 
lieferte. Aufserdem  waren  auch  die  Selinuntier  aus  Hass  gegen 
Akragas  auf  Seiten  Karthagos.  Das  griechische  Sicilien  war  also  in 
sich  zerfallen ;  die  Sikuler  im  Inneren  der  Insel  waren  den  Küsten- 
slädten  feindlich,  und  an  Hülfe  vom  Mutlerlande  war  nicht  zu  denken. 
Günstiger  konnten  also  die  Verhältnisse  für  einen  Angriff  auf  die 
sicilischen  Griechen  gar  nicht  liegen,  und  Hamiikar  halte  gewiss 
nichts  Geringeres  im  Sinne,  als  die  ganze  Insel  zu  einem  punischen 
Vasallenlande  zu  machen,  wie  es  Sardinien  schon  geworden  war. 
Darum  erfolgte  auch  ein  Auszug  im  gröfsten  Mafsstabe.  Zweihundert 
Galeeren  gingen  in  See,  und  eine  ungeheure  Transportflotte  schloss 
sich  an;  die  Masse  der  Landungstruppen  wird  auf  300,000  angegeben; 


Digitized  by  Google 


IIA  MI  I.KAR   VOR   HIMKRA    IM  480. 


539 


doch  ist  den  Zahlen  hier  noch  weniger  zu  trauen,  als  in  der  Schätzung 
<ler  Persermacht,  welche  um  dieselbe  Zeit  Hellas  überschwemmte. 
Von  den  Reitern  und  Streitwagen  ging  ein  grofser  Theil  zu  Grunde,  ehe 
Hamilkar  Panormos  erreichte.  Er  rückte  dann  vor  Himera,  schlug  da- 
selbst ein  doppeltes  Lager  auf,  eines  für  das  Landheer,  das  andere  für 
die  Schiffe,  die  er  an's  Ufer  ziehen  liefs,  weil  der  Strand  hafenlos  ist. 
Er  setzte  Alles  daran,  die  Stadt  dem  Theron  zu  entreifsen;  sie  sollte 
ein  neuer  Waffenplatz  für  die  karthagische  Macht  in  Sicilien  werden. 

Himera  hatte  eine  sehr  feste  Lage.  Eine  breite  Bergterrasse  fallt 
mit  hohen  und  steilen  Rändern  gegen  die  Küstenebene  ab  und  eben 
so  in  das  Thal  des  Flusses,  der  im  Südosten  die  Stadt  schützt;  auf  den 
andern  Seiten  hängt  die  Stadthöhe  mit  dem  schluchtenreichen 
Gebirge  zusammen.  Nur  ein  Weg  fuhrt  vom  Ufer  hinauf,  welcher 
zwischen  dem  Stadtrande  und  einem  einzeln  vorspringenden  Bergkegel 
(cozzo  della  Signora)  in  engem  Passe  ansteigt.  Die  Belagerung  zog 
sich  in  die  Länge,  und  die  Verbündeten  halten  Zeit,  ihre  Streitkräfte 
zu  vereinigen,  ehe  sie  einzeln  von  der  feindlichen  Uebermacht  Schaden 
erlitten.  Gelon  errichtete  zum  Schutze  der  Stadt  ein  festes  Lager  im 
Flusslhale,  wo  er  mit  der  Stadl  so  wohl  wie  mit  dem  Binnenlande  im 
Zusammenhange  stand,  der  Beobachtung  des  Feindes  aber  entzogen 
war,  während  man  von  der  Stadt  das  Doppellager  der  Punier  und  alle 
Bewegungen  derselben  vollkommen  überschaute.  Auch  benutzten  die 
Syrakusaner  ihre  Reiter  mit  bestem  Erfolge,  um  die  Feinde  zu 
überfallen,  so  wie  sie  in's  Freie  kamen,  so  dass  die  Himeräer  sich  bald 
von  aller  Furcht  befreit  fühlten,  während  die  Belagerer  selbst  in  einen 
Zustand  von  Belagerung  gerielhen  und  sehnlichst  auf  Zuzug  von 
Reiterei  aus  Selinus  warteten.  Gelon  erfuhr  durch  aufgefangene  Boten 
den  Tag  ihrer  Ankunft,  und  es  gelang  ihm,  eine  Schaar  eigener 
Reiterei  unerkannt  in  die  Verschanzungen  der  Feinde  hineinzubringen, 
indem  er  den  wirklichen  Zuzug  (wie  sich  vermuthen  lässt)  unterwegs 
aufzuhalten  wusste.  So  wie  nun  Gelon  das  Gelingen  seiner  Kriegslist 
wahrgenommen  hatte,  brach  er  mit  seiner  ganzen  Macht  aus  dem 
Flusslhale  gegen  das  feindliche  Heerlager  vor,  und  wie  sich  die 
Karthager  dem  Sturme  entgegen  warfen,  loderten  plötzlich  in  ihrem 
Rücken  die  Schiffe  auf,  welche  die  eingedrungenen  Reiter  in  Brand 
gesteckt  halten.  Hamilkar  selbst  fiel,  wie  die  Einen  sagten,  von  den 
Reitern  erschlagen,  während  bei  seinen  Landsleuten  die  Sage  ging, 
dass  er  sich  freiwillig  in  die  Flammen  des  Opfers  gestürzt  habe,  bei 


Digitized  by  Google 


540 


DEH  SIKG  IIEI  HIMtltA. 


dein  er  gerade  beschäftigt  gewesen  sei.  Nach  seinem  Tode  löste  sich 
die  bunte  Truppen masse,  welche  seine  Person  allein  zusammengehalten 
hatte,  in  wilder  Unordnung  auf.  Eine  geringe  Zahl  fand  auf  den 
Schi  (Ten  Rettung,  welche  dem  Brande  entgangen  waren. 

Das  war  der  glorreiche  Sieg,  dessen  Pindar  gedachte,  als  er  474 
(Ol.  76,  3)  das  erste  pythische  Lied  dichtete.  'Salamis,  sagt  er,  er- 
4 warb  des  Ruhmes  Dank,  welcher  den  Athenern  gebührt;  in  Sparta 
'feiere  ich  den  Kampf  am  Fufse  des  Kithairon,  wo  die  bo  gen  f üb  ren- 
alen Meiler  erlagen;  am  quell  reichen  Ufer  des  Himeras  aber  gebührt 
'der  Preis  den  Söhnen  des  Dcinomenes,  deren  Kraft  die  feindlichen 
'Männer  bezwang.'  So  wussten  schon  die  Zeitgenossen  den  sicilischen 
Sieg  in  die  gemeinsame  Weltgeschichte  einzuflechten.  Die  drei  Völker- 
schlachten waren  ihnen  ein  Ganzes,  so  dass  man  keine  derselben 
erwähnen  konnte,  ohne  der  andern  zu  gedenken.  Es  war  ein  drei- 
facher Sieg,  ein  Triumph  des  griechischen  Volks.  In  Sicilien  wie 
in  Hellas  war  die  Uebermacht  der  Barbaren  hellenischer  Tapferkeit 
erlegen;  hier  wie  dort  war  es  ein  Kampf  zur  Rettung  nationaler 
Unabhängigkeit.  Auch  in  den  einzelnen  Umständen  herrscht  eine 
merkwürdige  Uebereinstimmung.  Denn  auch  in  Sicilien  war  es  eine 
überseeische  Invasion,  welche  die  Rückführung  einer  griechischen 
Regentenfamilie  bezweckte,  und  in  Sicilien  wie  in  Hellas  waren  es  die 
beiden  Grofsstaaten,  welche  gegen  den  Nationalfeind  zusammenhielten, 
während  Mittel-  und  Kleinstaaten  auf  feindlicher  Seite  standen.  Im 
Mutterlande  aber  wurde  der  Sieg  mit  längerem  Kampfe  und  schwereren 
Opfern  erkauft,  in  Sicilien  brachte  ein  Tag  die  volle  Entscheidung  mit 
unermesslichein  Gewinn,  da  dem  Besiegten  kein  Rückzug  möglich 
war;  die  Zahl  der  Gefangenen  war  so  grofs,  dass  eine  ganze  Klasse 
dienender  Bevölkerung  daraus  erwuchs;  ganz  Libyen,  sagte  man,  sei 
kriegsgefangen  in  Sicilien.  Wenn  man  den  Himerasieg  nun  auch  auf 
denselben  Tag  ansetzte,  an  welchem  entweder  bei  Thermopylai  oder 
bei  Salamis  gestritten  worden  ist,  so  ist  diese  Ueberlieferung  aus  dem 
poetischen  Triebe  der  Hellenen  hervorgegangen,  welche  die  merkwür- 
dige Uebereinstimmung  nationaler  Geschichte  an  beiden  Seilen  des 
Meers  noch  wunderbarer  erweisen  und  die  göttliche  Fügung  in  der 
gleichzeitigen  Dcmüthigung  der  Barbaren  noch  deutlicher  zum  Aus- 
druck bringen  wollten88). 

Karthago  konnte  nach  der  vollständigen  Niederlage  von  Heer 
und  Flotte  an  eine  Fortsetzung  des  Kriegs  nicht  denken,  sondern 


Digitized  by  Google 


GELONS  TOD 


511 


suchte  nur  zu  retten,  was  möglich  war,  und  wenn  Gelon  sich  willig 
finden  liefs,  einen  Frieden  zu  gewähren,  in  welchem  die  sicilischen 
Besitzungen  den  Karthagern  gelassen  wurden,  so  lag  der  Grund  wahr- 
scheinlich darin,  dass  er  freie  Hand  haben  wollte,  um  in  den  Perser- 
kriegen, deren  Ausgang  er  erwartungsvoll  beobachtete,  seine  Stellung 
nehmen  zu  können.  Zu  dem  Zwecke  war  die  Bereicherung  seines 
Schatzes  so  wie  die  Stärkung  der  Kriegsmacht  sein  nächstes  Augen- 
merk, und  in  dieser  Beziehung  gewann  er  durch  die  reiche  Beute, 
durch  die  2000  Talente,  welche  Karthago  an  Kriegskosten  zahlen 
musste,  so  wie  durch  die  Menge  der  Kriegsgefangenen  die  gröfsten 
Vortheile.  Zugleich  erlangte  er  durch  die  Aufmerksamkeit,  mit 
welcher  er  seinen  Bundesgenossen  Theron  behandelte,  so  wie  durch 
die  weise  Milde,  deren  er  sich  gegen  seine  (Jntcrthanen  und  gegen  die 
anderen  Griechen  befleifsigte,  dass  nun  auch  die  früher  feindlich  ge- 
sinnten Städte  ihm  huldigten  und  dass  unter  seiner  Führung  die 
Hülfskräfte  des  griechischen  Siciliens  sich  zu  einer  Reichsmacht  ver- 
einigten. 

Indessen  war  es  ihm  nicht  vergönnt,  dieselbe  zu  neuen  Siegen 
zu  verwenden.  Die  Perserkriege  wurden  wider  sein  Erwarten  ent- 
schieden, ehe  er  das  Gewicht  seiner  Macht  in  die  Wagschale  legen 
konnte,  und  nachdem  er  noch  von  den  ersten  Thaten  der  Athener  im 
Angriffe  auf  Persien  die  Kunde  empfangen  hatte,  starb  er  an  der 
Wassersucht  Ol.  76,  1  (476).  Seine  Mäfsigung  bewährte  er  noch  im 
Tode,  indem  er  letztwillig  verfügte,  dass  er  den  Gesetzen  gemäfs, 
welche  er  selbst  zur  Beschränkung  des  Aufwandes  gegeben  halle,  in 
bürgerlicher  Weise  und  fern  von  der  Stadt  begraben  werden  sollte. 
Um  so  ehrenvoller  war  die  freiwillige  Betheiligung  der  ganzen  Bevöl- 
kerung, welche  einen  Weg  von  mehreren  Meilen  nicht  scheute,  um 
ihre  dankbare  Anerkennung  dem  Manne  zu  bezeugen,  welcher  die 
kleine  Inselstadt  grofs  und  mächtig  gemacht,  sie  neu  begründet  und 
segensreich  verwaltet  hatte  als  ein  gerechter  und  leutseliger  Fürst. 

Darum  war  die  Bürgerschaft  auch  geneigt,  der  Familie  Gelons 
ihr  Vertrauen  zu  erhalten.  Er  selbst  hatte  testamentarisch  bestimmt, 
dass  während  der  Minderjährigkeit  seines  Sohnes  sein  Bruder  Hiaron 
oder  Hieron  die  Regentschaft  führen,  Polyzelos  aber,  der  andere 
Bruder,  welchen  er  besonders  schätzte,  seine  Wittwe  heiralhen,  die 
Erziehung  seines  Sohnes  leiten  und  das  Amt  der  Truppenführung 
bekleiden  sollte.  Aber  diese  Verhältnisse  waren  unhaltbar.  Hieron, 


Digitized  by  Google 


512 


MILROY  TYRANN  (77.  1-7S.  2;  47d-487). 


der  nun  von  Gela  nach  Syrakus  übersiedelte,  war  ein  Mann  von 
leidenschaftlichem  Temperamente,  der  wenig  Lust  halle,  sich  mit 
einem  Regenlentitel  abfinden  zu  lassen,  von  dem  man  Herrschaft  und 
Macht  getrennt  hatte.  Er  suchte  sich  also  des  Polyzelos  zu  entledigen, 
indem  er  ihm  Aufträge  gab,  die  seinen  Untergang  herbeiführen  sollten. 
Er  sammelte  einen  Anhang  um  sich,  der  seiner  Person  rücksichtslos 
ergeben  war;  es  bildeten  sich  am  Hofe  zwei  Parteien,  eine  hieronische 
und  eine  dem  Polyzelos  und  Theron  ergebene.  Endlich  musste 
Polyzelos,  so  grofser  Liebe  er  sich  auch  bei  den  Bürgern  erfreute,  bei 
seinem  Schwiegervater  Schutz  suchen.  Die  beiden  Städte,  deren 
treues  Einversländniss  ein  Hauptaugenmerk  der  geionischen  Politik 
gewesen  war,  rüsteten  wider  einander;  ihre  Heere  traten  sich  am 
Gelaflusse  zur  entscheidenden  Schlacht  gegenüber;  nur  mit  Mühe 
gelang  es,  eine  Ausgleichung  herbeizuführen  und  durch  die  Vermäh- 
lung Hierons  mit  einer  Nichte  des  Herrschers  von  Akragas  die  fried- 
liche Verbindung  der  beiden  Regentenhäuser  zu  erneuern.  Hieron  war 
dieser  Ausgang  erwünscht,  weil  seine  ehrgeizigen  Gedanken  schon  weil 
über  Sicilien  hinausgingen  und  die  Hülfsgesuche  der  italischen 
Griechen  zu  weiteren  und  ruhmreicheren  Unternehmungen  die  er- 
wünschte Gelegenheit  darboten87). 


In  Italien  haben  die  Griechen  einen  schwierigeren  Stand  gehabt 
als  in  den  meisten  anderen  Ländern  ihrer  überseeischen  Colonisation, 
namentlich  an  der  Westküste,  weil  ihnen  hier  aufsei*  den  Binnen- 
völkern der  Halbinsel  auch  ein  seemächtiges  Volk  entgegentrat;  das 
waren  die  Tyrrhener,  das  Küstenvolk  des  südlichen  Etruriens,  das- 
selbe Volk,  mit  welchem  schon  die  Phokäer  (I,  580)  jenen  verderb- 
lichen Kampf  bestanden  hallen,  in  Folge  dessen  sie  die  Insel  Kyrnos 
(Korsika)  mit  der  Stadt  Alalia  wieder  aufgeben  mussten.  Dies  Volk 
war  um  so  gefahrlicher,  weil  es  mit  griechischen  Kräften  den  Griechen 
entgegentrat.  Denn  nach  alter  Ueberlieferung  hing  es  mit  den  Tyrrhe- 
nera  zusammen,  welche  oberhalb  Ephesos  im  Kaystrosthaie  wohnten, 
und  es  ist  kein  vernünftiger  Grund  daran  zu  zweifeln,  dass  in  jener 
Zeit,  da  das  pelasgisch-ionische  Volk  Kleinasiens  sich  zur  See  aus- 
breitete und  den  Bahnen  der  Phönizier  folgend  in  schwärmenden 
Zügen  die  Küsten  des  westlichen  Meers  erreichte,  auch  das  etruskische 
Küstenland,  das  Gestade  nördlich  von  der  Tibermündung,  solche  An- 


Digitized  by  Google 


TYRRHENER  UND  ETRUSKF.lt. 


543 


siedelt] ngen  erhalten  hat,  welche  den  ersten  Grund  einer  griechischen 
Cultur  daselbst  legten.  Diese  Cultur  hat  indessen  nie  zu  reiner  Ent- 
faltung gelangen  können,  weil  sie  sich  der  fremden  Einflüsse  nicht  er- 
wehren konnte;  denn  wenn  die  Verbindungen  mit  dem  Mutterlande 
auch  niemals  aufhörten,  wenn  auch  in  der  Mitte  des  siebenten  Jahr- 
hunderts v.  Chr.  aus  Korinth  bei  dem  Sturze  der  Bakchiaden  von 
Neuem  griechische  Familien  zuwanderten,  so  hat  die  griechische 
Volkstümlichkeit  sich  hier  nicht  frei  und  ungestört  erhalten  können, 
sondern  es  gerielhen  die  Küstensitze  in  Abhängigkeit  von  binnen- 
Kindischen  Mächten. 

Eine  solche  Macht  war  die  des  etruskischen  Volks,  welches  im 
sechsten  Jahrhundert  sich  bis  Campanien  gewaltig  ausbreitete,  die 
tyrrhenischen  Orte  seinen  Slädtebündnissen  einordnete  und  die 
griechischen  Volkskräfte  sich  dienstbar  machte.  Freilich  trat  keine 
vollständige  Verschmelzung  ein.  Die  Küstenstädte  Pisai,  Aision,  Agylia, 
Pyrgoi  haben  ihren  griechischen  Ursprung  niemals  verleugnet  Agylia, 
das  spätere  Caere,  drei  Meilen  nördlich  von  der  Tibermündung  ge- 
legen, der  Hauptsitz  der  Tyrrhener,  hatte  sein  eigenes  Schatzhaus  in 
Delphi;  dem  pythischen  Gotte  gehorsam,  sühnte  es  die  Blutschuld, 
welche  es  an  gefangenen  Phokäern  begangen  hatte ;  es  bewahrte  sich 
hellenischen  Sinn  für  Gemeindeordnung  und  unterschied  sich  von  den 
Barbaren  auch  dadurch,  dass  es  völkerrechtliche  Satzungen  ehrte.  Die 
vielseitigste  Bildung  ging  von  hier  in  die  Uralande  aus. 

Trotzdem  entfremdeten  diese  Küstenstädte  ihrem  Muttervolke  so 
sehr,  dass  sie,  wie  die  Elymer  in  Sicilien,  demselben  feindlich  gegen- 
über standen,  und  dieser  Widerstand  war  um  so  gefahrlicher,  da  die 
Tyrrhener,  um  sich  ihr  Meer  von  störenden  Eingritren  der  Hellenen 
frei  zu  halten,  seit  alter  Zeit  mit  den  Puniern  in  Verbindung  standen. 
Dadurch  waren  sie  im  Stande  gewesen,  den  Fortschritten  der  grie- 
chischen Colonisation  in  Unterhaben,  namentlich  den  achäischen 
Städten,  Schranken  zu  setzen,  und  so  war  es  gekommen,  dass  Kyme 
am  Golfe  von  Neapel  (1,  425)  ganz  vereinsamt  geblieben  war,  weit 
getrennt  von  allen  stammverwandten  Niederlassungen,  ein  vereinzelter 
Vorposten  hellenischer  Bildung,  den  Angriffen  der  Barbaren  preis- 
gegeben. Denn  diese  suchten  ihre  Macht  nach  Süden  auszudehnen.  Bis 
in  das  östliche  Meer  hinein  zitterte  man  vor  ihren  Schiffen,  so  dass 
Anaxilaos  beim  Skyllaion  einen  festen  Platz  errichtete,  als  Standort 
von  Kriegsschiffen,  um  den  tyrrhenischen  Freibeutern  die  Seestrafse 


Digitized  by  Google 


544 


HIERONS  KIUKUSTIIATEN 


von  Messana  zu  schliefsen.  Gleichzeitig  drängle  die  etruskiscbe  Land- 
macht gegen  Süden,  und  Kyme  wurde  immer  naher  bedroht.  Freilich 
bewiesen  die  Bürger  eine  bewunderungswürdige  Kraft  des  Widerstandes; 
sie  erwehrten  sich  um  Ol.  64  (524)  eines  gewaltigen  Heerzugs  der 
Barbaren,  welcher,  wie  so  viele  Unternehmungen  dieser  Art,  durch  die 
eigene  Masse  zu  Grunde  ging;  ja  sie  unterstützten  sogar  die  Bürger 
von  Aricia  gegen  den  gemeinsamen  Feind.  Aber  immer  von  Neuem 
zogen  drohende  Gefahren  auf,  und  die  Kymäer  mussten  sich  um  Ol. 
76,  3  (475)  nach  fremder  Hülfe  umsehen.  Sie  wendeten  sich  an  den 
mächtigsten  Hellenenfürsten  ihrer  Nachbarschaft,  an  Hieron  von  Syra- 
kus; die  sicilische  Flotte  gewann  einen  glänzenden  Sieg,  und  noch 
heute  ist  ein  Erzhelm  erhalten,  welchen  Hieron  von  der  tyrrhenischen 
Beute  dem  Zeus  in  Olympia  geweiht  hat88). 

Als  Hierons  mächtiger  Arm  bis  an  den  Golf  von  Neapel  reichte 
und  die  beiden  einzigen  Seemächte,  welche  den  Griechen  noch  ge- 
fährlich gegenüberstanden,  vollständig  gedemülhigt  waren,  trat  auch 
in  den  griechischen  Angelegenheilen  das  Ansehen  des  Herrschers 
von  Syrakus  immer  kraftvoller  hervor.  Hatte  er  doch  schon  vor  dem 
kymäischen  Feldzuge  auf  der  Südspitze  Italiens  Frieden  gestiftet,  als 
Lokroi  und  Khegion  mit  einander  in  Krieg  gerathen  waren.  Der 
ruhelose  Anaxilaos  hatte  nämlich  die  Nachbarstadt  angegriffen,  um 
seine  Herrschaft  auf  der  Halbinsel  zu  erweitern,  da  er  in  Sicilien 
dazu  keine  Aussicht  mehr  halte.  Hieron  schickte  seinen  Schwager 
Chromios  hinüber,  und  sein  blofser  Machtbefehl  genügte,  um  dem  ehr- 
geizigen Tyrannen  Einhalt  zu  thun,  so  dass  dieser  ohne  Widerstand 
nachgab,  und  die  Lokrer  dem  Herrscher  von  Syrakus  die  Erhaltung 
ihrer  Selbständigkeit  dankten. 

In  Sicilien  brachte  der  Tod  Therons  eine  Aenderung  hervor 
(Ol.  76,  4  oder  77,  1;  472).  Theron  hatte  es  in  weiser  Mäfsigung 
verstanden,  Akragas  grofs  und  blühend  zu  machen,  ohne  den  Frieden 
mit  Syrakus  zu  gefährden,  auf  dem  das  Heil  der  Insel  beruhte.  Sein 
Sohn  Thrasydaios  war  von  anderer  Gemüthsart.  Er  war  nicht  ge- 
sonnen, die  Hegemonie  von  Syrakus  anzuerkennen  und  brachte  des- 
halb aus  den  Städten  der  westlichen  Insel  ein  Heer  von  20,000  Mann 
zusammen;  aber  Hieron  siegte,  obwohl  er  selbst  krank  auf  einer  Sänfte 
getragen  wurde;  Thrasydaios  büfste  Herrschaft  und  Leben  ein,  und 
die  Oberherrschaft  von  Syrakus  war  nun  vollständiger  als  je  in  Italien 
und  Sicilien  anerkannt89). 


Digitized  by  Google 


HIEKO.NS  STADTGRÜ.NDUNT.E.N 


545 


Die  Thätigkeit  Hierons  war  aber  keine  einseitig  kriegerische.  Er 
war  eifrig  bedacht,  auch  durch  Friedenswerke  seinen  Namen  zu  ver- 
ewigen und  seine  Macht  zu  benutzen,  um  neue  Gründungen  von 
dauernder  Bedeutung  in's  Leben  zu  rufen.  So  schickte  er  Colonisten 
nach  den  Inseln,  welche  an  der  Westküste  Italiens  vor  Cap  Misenum 
liegen,  und  liefs  auf  der  Hauptinsel,  dem  heutigen  Ischia,  eine  be- 
festigte Stadt  anlegen;  ein  Zeichen,  wie  vollständig  er  den  Widerstand 
der  Tyrrhener  gebrochen  hatte  und  wie  kühn  er  die  Vorposten  helle- 
nischer Macht  gegen  Norden  vorschieben  konnte.  Es  waren  dieselben 
Inseln,  von  denen  einst  die  Chalkidier  auf  das  Festland  hinüber  ge- 
gangen waren,  um  Kyme  zu  gründen  (I,  425),  und  wie  sehr  Hieron 
darauf  ausging,  an  den  Plätzen,  wo  Ionier  einst  ihre  Thalkraft  entfaltet 
hatten,  die  dorische  Macht  gellend  zu  machen,  das  zeigte  er  auch  in 
Sicilien,  indem  er  in  den  Gegenden  chalkidisch-ionischer  Bevölkerung 
eine  neue  Stadt  nach  dorischen  Satzungen  gründete. 

Diese  Gründung  war  sein  Lieblingswerk,  bei  dessen  Ausführung 
er  mit  rücksichtsloser  Gewaltthätigkeit  verfuhr.  Die  Gemeinden  von 
Naxos  und  von  Katane  wurden  aufgehoben;  die  ionische  Bevölkerung, 
die  hier  nach  den  Gesetzen  des  Charondas  Jahrhunderte  lang  glücklich 
und  rühmlich  gelebt  hatte,  wurde  in  Leontinoi  zusammengedrängt,  wo 
sie  von  Syrakus  aus  in  Obacht  gehalten  werden  konnte,  und  dann  an 
Stelle  des  zerstörten  Katane  am  Fufse  des  Aetna  eine  neue  Stadt  ge- 
baut, welcher  er  den  Namen  des  Berges  gab.  Hier  siedelte  er  aus  Sy- 
rakus, Gela,  Megara  und  dem  Peloponnes  10,000  Bürger  an  und  setzte 
daselbst  seinen  Sohn  Deinomenes  als  Statthalter  ein,  während  er  sich 
selbst  'Bürger  von  Aetna'  nannte  und  seinen  Stolz  darin  suchte,  dass 
der  Name  der  neuen  Stadt  jenseits  des  Meers  durch  glänzende  Sie^e 
bekannt  wurde,  welche  er  und  seine  Verwandten  mit  Rennpferden  und 
Maulthieren  gewannen. 

Freilich  erfolgte  Hierons  Betheiligung  an  den  hellenischen  Fest- 
spielen nicht  ohne  Widerspruch,  indem  Themistokles,  wie  glaubwürdig 
berichtet  wird,  ihm  in  leidenschaftlicher  Weise  das  Recht  dazu  bestritt 
(S.  130).  Zum  ersten  Male  tritt  hier  eine  feindliche  Spannung  zwischen 
Athen  und  Syrakus  hervor,  eine  gegenseitige  Gereiztheit,  deren  Gründe 
nicht  schwer  zu  erkennen  sind.  Denn  den  sicilischen  Herrschern  war 
es  ärgerlich,  dass  ohne  ihr  Zulhun  die  grofsen  Thaten  im  ägäischen 
Meere  gelungen  waren,  während  andererseits  die  Athener  auf  ihren 
wohlerworbenen  Ruhm  eifersüchtig  waren  und  keine  Neigung  hatten, 

C.irtin».  Gr.  Geich.  II.  8.  Aofl.  35 


Digitized  by  Google 


546 


SIEGE  UND  WEIHGESCHhNKE  IN  OLYMPIA. 


die  Siege  der  sicilischen  Hellenen  als  ebenbürtig  anzuerkennen.  Dazu 
kam,  dass  die  Dynasten  von  Syrakus  eine  Politik  von  ausgesprochener 
Feindseligkeit  gegen  den  ionischen  Stamm  verfolgten,  und  seitdem  die 
Verhältnisse  zwischen  Sparta  und  den  Athenern  gespannter  wurden, 
musslen  diese  in  den  sicilischen  Städten,  und  namentlich  auch  in  dem 
neu  gegründeten  Aetna,  gefahrliche  Stützpunkte  dorischer  Macht  er- 
kennen. 

Aus  denselben  Gründen  waren  die  Peloponnesier  den  Macht- 
habern  von  Sicilien  geneigt.  Sie  sahen  dort  den  dorischen  Namen  zu 
neuen  Ehren  gelangen.  Sie  traten  durch  Olympia  in  mannigfache  und 
unmittelbare  Beziehung  zu  den  jenseitigen  Städten,  sie  freuten  sich, 
wenn  die  prächtigen  Ross-  und  Maulthierzüge  am  Alpheios  landeten 
und  den  olympischen  Festen  einen  nie  gesehenen  Glanz  bereiteten. 

Auch  Söhne  des  Mutterlandes,  welche,  durch  bürgerlichen  Zwist 
oder  durch  abenteuernden  Geist  getrieben,  ihre  Inseln  oder  Bergkantone 
verlassen  hatten,  sah  man  aus  der  glücklichen  Insel  als  reiche  Leute 
heimkehren,  um  Siegeskränze  zu  gewinnen  und  kostbare  Weihge- 
schenke zu  stiften.  Darum  sagt  Pindar  von  dem  Kreter  Ergoteles,  der 
als  Himeräer  Ol.  77  (472  v.  Chr.)  siegte,  er  würde,  wenn  er  an  seinem 
Geburtsorte  geblieben  wäre,  aller  Tüchtigkeit  ungeachtet,  den  Hellenen 
unbekannt  geblieben  sein,  wie  ein  Haushahn,  der  in  dem  engen  Um- 
kreis eines  bürgerlichen  Hofs  seine  ritterlichen  Thaten  ausführt. 

Besonders  aber  zogen  aus  dem  arkadischen  ßerglande  die  jungen 
Leute  in  die  überseeischen  Grofsstädte  hinüber,  um  Ehre  und  Gewinn 
zu  suchen,  wie  Phormis  der  Mänalier  und  Praxiteles  des  Krinis  Sohn, 
welcher  sich  als  Syrakusaner  und  Kamarinäer  in  Olympia  ausrufen  liefs 
und  den  Festplatz  durch  ein  prachtvolles  Denkmal  schmückte. 

Dann  kamen  auch  einheimische  Sikelioten  immer  zahlreicher  her- 
über. Das  Wichtigste  aber  war  der  hohe  Werth,  den  die  Herrscher 
Siciliens  nach  dem  Vorbilde  der  peloponnesischen  Tyrannen  auf  ein 
gutes  Einvernehmen  mit  den  Nationalheiligtbümern  und  auf  die  olym- 
pischen Ehren  legten.  Dadurch  wurde  das  peloponnesische  Heiligthum 
erst  in  vollem  Mafse  ein  Mittelpunkt  der  hellenischen  Well  und  helle- 
nischen Geschichte. 

Die  Akragantiner  stellten  zur  Erinnerung  an  ihren  Sieg  über  die 
phönikische  Stadt  Motye  eine  Reihe  betender  Knaben  auf  den  Mauern 
der  Altis  auf;  Anaxilaos  prägte  zum  Andenken  seines  olympischen  Siegs 
Münzen  mit  dem  Bilde  seines  Maulthiergespannes,  und  Hieron,  welcher 


Digitized  by  Google 


GEISTIGES  LEBEN  IM  SICILIEN. 


als  Geloer,  als  Syrakusaner  und  als  Aelnäer  am  Alpheios  siegle,  lieLs 
von  Kaiamis  und  0 na  las  seine  Viergespanne  und  Rennpferde  in  Erz- 
gruppen  in  Olympia  aufstellen.  Die  Stadt  Gela  hatte  daselbst  neben 
dem  Stadion  ihr  eigenes  Schalzhaus,  worin  die  Weihgeschenke  der 
Deinomeniden  aufbewahrt  wurden.  Ja,  es  wurde  auf  Anlass  des  Siegs 
von  Himera  in  Olympia  ein  besonderes  Schatzgebäude  errichtet,  das 
sogenannte  Schatzhaus  der  Karthager,  wo  Beutestücke,  die  den  Bar- 
baren abgenommen  waren,  als  Weihgeschenke  niedergelegt  wurden. 
Wie  lebendig  und  wichtig  die  Beziehungen  zu  Olympia  waren,  zeigen 
am  anschaulichsten  die  Münzen  Siciliens,  indem  die  geflügelte  Sieges- 
göttin, deren  Bild  in  Elis  zu  Hause  ist,  mit  dem  siegreichen  Gespanne 
verbunden,  ein  Haupttypus  der  sicilischen  Städte  wurde  und  sich  in 
Syrakus,  Akragas,  Kamarina,  Katane,  Gela,  Himera,  Leuntinoi,  Messana 
und  Egesta  wiederholt.  In  solchem  Grade  war  Olympia  ein  Bindeglied 
zwischen  Hellas  und  den  westgriechischen  Städten90). 

Aber  nicht  blofs  durch  Siege  und  Schaustücke  fürstlichen  Glanzes 
wollten  die  Herrscher  von  Syrakus  sich  in  Griechenland  bekannt 
machen,  sondern  sie  suchten  auch  die  hervorragenden  Dichter  des 
Mutterlandes  zu  gewinnen,  um  durch  sie  ihre  Thaten  feiern  und  sich 
selbst  als  vollberechtigte  Theilnehmer  an  dem  grofsen  Kampfe  der 
Hellenen  gegen  die  Barbaren  anerkennen  zu  lassen.  Diese  Aunäherung 
gelang  um  so  leichter,  da  die  westlichen  Colonien  dem  Mutterlande 
niemals  fremd  geworden  waren  und  der  hohe  Wohlstand  derselben 
einer  allseitigen  Entwickelung  des  geistigen  Lebens  zur  Förderung  ge- 
reichte. Auch  standen  sie  von  Anfang  an  in  einem  so  großartigen 
Weltverkehre,  dass  in  den  dorischen  Städten  ein  spröder  Dorismus 
sich  niemals  geltend  machen  konnte.  Die  ionischen  Epiker  waren  in 
Sicilien  so  bekannt  wie  im  Mutterlande;  durch  Kinaithos  aus  Ghios, 
den  homerischen  Hymnendichter,  war  Syrakus  mit  der  Kunst  der 
Rhapsoden  vertraut.  Befand  sich  doch  schon  im  Gefolge  des  Gründers 
von  Syrakus  ein  berühmter  Dichter,  der  Bakchiade  Eumelos  (I,  257), 
und  die  lebendige  Fortsetzung  des  geistigen  Verkehrs  mit  den  jensei- 
tigen Gestaden  bezeugt  Arion,  Perianders  Zeitgenosse,  der  lesbische 
Dichter,  welcher  auch  in  den  sicilischen  Städten  begeisterte  Auf- 
nahme fand. 

Sicilien  begnügte  sich  aber  nicht  mit  dem  Mutlerlande  geistig 
fortzuleben,  sondern  es  brachte  auch  selbständige  Richtungen  und  neue 
Kunstarten  hervor,  wie  sie  sich  dort  vorzugsweise  zu  entwickeln 

35* 


Digitized  by  Google 


548 


STES1CH0R08  UND  IBYKOS 


pflegten,  wo  verschiedene  Stämme  griechischer  Nation  in  denselben 
Gemeinden  vereinigt  waren  und  wo  durch  Uebersiedelungen  aus  einem 
Wohnorte  in  den  anderen  ein  mannigfaltiger  Austausch  von  Ideen  und 
Erfindungen  hervorgerufen  wurde. 

Das  sieht  man  recht  deutlich  an  dem  ersten  und  gröfsten  aller 
sicilischen  Dichter,  an  Stesichoros,  dessen  Eltern  von  Matauros  nach 
Sicilien  herübergekommen  waren.  Matauros  war  eine  Pflanzstadt  der 
Lokrer,  und  so  hing  sein  Geschlecht  mit  den  Gebieten  des  Mutter- 
landes zusammen,  wo  die  äolische  Poesie  des  Hesiodos  zu  Hause  war, 
während  Himera,  wo  der  Dichter  geboren  wurde,  eine  halb  ionische, 
halb  dorische  Stadt  war.  Unter  diesen  Verhältnissen  gelang  es  ihm 
nuch  mehr  als  seinem  Zeitgenossen  Arion  eine  gesetzgebende  Bedeu- 
tung für  die  Entwickelung  der  griechischen  Poesie  zu  gewinnen;  er  nahm 
den  StofT  des  Epos  auf,  aber  nicht  um  ihn  in  voller  und  gleichmäßiger 
Breite  auszuspinnen ,  sondern  er  gestaltete  ihn  in  einzelnen  Com- 
positionen  und  benutzte  ihn  zu  Gedichten,  welche  zum  öffentlichen 
Vortrage  in  vielstimmigem  Gesänge  mit  Citherspiel  und  Tanz  geeignet 
waren. 

Diese  Hinüberleitung  aus  dem  Epischen  in  das  Lyrische,  aus  der 
ionischen  in  die  dorische  Kunst  war  ein  ungemein  fruchtbarer  Fort- 
schritt in  der  Entwickelung  der  nationalen  Poesie;  die  homerische 
Sage  wurde  dadurch  in  neuer  Weise  belebt,  es  wurde  zugleich  für  die 
Chordichtung  und  namentlich  für  den  strophischen  Bau  der  griechi- 
schen Rhythmen  der  feste  Grund  gelegt;  von  welchem  die  Hellenen 
niemals  abgegangen  sind.  Man  erkennt  in  Allem,  was  von  Stesichoros 
überliefert  wird,  einen  ungemein  kräftigen  und  schöpferischen  Geist, 
dem  eine  Fülle  von  Kenntnissen  und  Welterfahrung  zu  Gebote  stand. 
Das  ferne  Tartessos  war  ihm  bekannt,  während  er  zugleich  in  Hellas 
wie  in  lonien  zu  Hause  war. 

Wie  Himera,  so  war  auch  das  benachbarte  Rhegion  halb  dorisch, 
halb  ionisch.  Aus  Rhegion  stammte  Ibykos,  welchen  seine  Sängerzüge 
bis  an  den  Hof  des  Polykrales  führten  (I,  590).  Er  schloss  sich  nahe 
an  Stesichoros  an;  aber  der  feierliche  Ernst  dorischer  Chordichtung 
erscheint  bei  ihm  gemildert,  und  seine  Muse  wendete  sich  mit  beson- 
derem Glücke  dem  schwungvollen  Ausdrucke  der  Liebe  zu. 

Am  eigentümlichsten  waren  die  Westgriechen  in  ihren  Fest- 
spielen und  mimischen  Festtänzen,  welche  sich  an  die  Dionysosfeier  so 
wie  an  die  heileren  Erntefeste  des  in  Sicilien  einheimischen  Demeter- 


Digitized  by  Google 


DIE  SICIL1SCHE  KOMOEME 


495 


cultus  anschlössen  und  die  hier,  wie  im  Mutterlande,  eine  neckische 
Volksdichtung  in  dramatischer  Form  hervorriefen.  Solche  Spiele  mit 
feinem  Witze  zu  würzen,  waren  die  Sikelioten  ganz  besonders  geeignet, 
weil  sie  so  vielerlei  Sitten  und  Gewohnheiten  auf  ihrer  Insel  zu  be- 
obachten Gelegenheit  hatten  und  eine  sprudelnde  Gabe  des  Witzes 
besafsen,  um  an  Allem  das  Charakteristische  und  Ergötzliche  aufzu- 
finden. In  Selinus,  wo  barbarische  und  hellenische  Lebensweisen  sich 
am  nächsten  berührten,  hat  Aristoxenos  zuerst  den  Ton  muth williger 
1  a  mben  dich  tun  g  angestimmt,  wie  er  für  die  spätere  Komödie  der  Sike- 
lioten massgebend  blieb,  und  der  Geist  dieser  Dichtung  scheint  mit 
dem  Boden  und  den  Lebensverhältnissen  der  Insel  so  verwachsen  zu 
sein,  dass  auch  die  aus  der  Fremde  zuwandernden  Dichter  von 
diesem  Geiste  in  merkwürdiger  Weise  ergriffen  wurden,  wie  Epi- 
charmos  beweist. 

Bedenken  wir  nun,  wie  auch  die  erwachende  Philosophie  durch 
Pythagoras  aus  Saroos  und  Xenophanes  aus  Kolophon  (S.  194)  im 
westlichen  Griechenland  eine  Heimath  fand,  wie  tief  die  kritische 
Richtung  der  eleatischen  Schule  hier  eindrang  und  durch  Erschüt- 
terung der  hergebrachten  Glaubenslehre  viel  früher  als  im  Mutterlande 
eine  freigeistige  Richtung  hervorrief;  bedenken  wir  ferner,  wie  prak- 
tische Staatsweisheit  und  schriftliche  Gesetzgebung  in  den  chalki- 
dischen  Städten  sich  ausgebildet  hat,  wie  die  bildende  Kunst  seit  alten 
Zeiten  in  diesen  Gegenden  blühte,  und  die  Baukunst  vornehmlich  in 
Akragas,  Selinus  und  Syrakus:  so  ahnen  wir,  eine  wie  reiche  Volks- 
entwickelung stattgefunden  hatte,  als  nun  durch  die  Tyrannen  von 
Gela  und  Akragas  der  sicilischen  Geschichte  ein  grofser  und  glän- 
zender Inhalt  gegeben  wurde,  welcher  auch  dem  geistigen  Leben  einen 
neuen  Aufschwung  geben  musste91). 

Alleinherrschaft  ist  in  den  griechischen  Staaten  der  Kunst  und 
Wissenschaft  immer  förderlich  gewesen,  wie  die  Geschichte  der  älteren 
Tyrannis  zur  Genüge  beweist.  Hier  war  nun  eine  Tyrannis  von  ganz 
besonderer  Art.  Denn  hier  standen  ihr  viel  ansehnlichere  Hülfsmittel 
und  ungleich  reicher  entfaltete  Volkskräfte  zu  Gebote.  Hier  waren  die 
Tyrannen  Männer  aus  altem  Geschlechte,  geborene  Aristokraten,  die 
nach  königlicher  Weise  regierten,  Männer  von  grofsen  Herrscher- 
tugenden, von  mildem  und  edlem  Charakter,  welche  an  der  Spitze  der 
nationalen  Bewegung  standen,  und  deren  Politik  es  war,  die  hervor- 
ragenden Geister  der  Nation  um  sich  zu  sammeln.  Gelon  selbst  war 


Digitized  by  Google 


550 


EPICHARMOS   IN  MEGARA. 


freilich  kein  Kunstverständiger;  er  war,  wie  sein  Vater,  ein  Reiter- 
genera),  und  als  bei  einem  Feste  an  ihn  die  Reihe  kam,  zur  Citber  zu 
singen,  befahl  er,  wie  erzählt  wird,  sein  Ross  vorzuführen,  um  sich  in 
seiner  Kunst  zu  zeigen.  Aber  er  wusste  die  Talente  zu  schätzen;  er 
zog  Männer,  wie  den  weisen  Phormis  (oder  Phormos),  an  seinen  Hot 
und  übertrug  ihm  die  Erziehung  seiner  Kinder.  Phormis  war  Ko- 
mödiendichter und  seine  Berufung  beweist  schon,  wie  hoch  man  diese 
Dichtungsart  schätzte,  welche  besonders  durch  Epicharmos  in  Syrakus 
zu  Ehren  gekommen  ist. 

Epicharmos,  der  Sohn  des  Helothaies,  war  auf  der  Insel  Kos  ge- 
boren, aber  so  früh  von  dort  herübergekommen,  dass  er  für  einen 
echten  Sicilianer  angesehen  werden  konnte,  und  wenn  er  auch  aus  der 
Heimath  seines  Geschlechts  gewisse  Anregungen  und  Neigungen  mit 
herüber  gebracht  hat,  wie  namentlich  sein  Interesse  für  Arzneikunde, 
so  erhielt  er  doch  erst  in  seiner  neuen  Heimath  diejenige  Richtung, 
welcher  er  seine  literarische  Bedeutung  verdankte.  Er  verlebte  näm- 
lich im  sicilischen  Megara  seine  Jugend  und  den  gröfsten  Theil  seines 
Lebens;  das  megarische  Völkchen  aber  hatte  hier  wie  im  Mutterlande 
eine  besondere  Begabung  für  launiges  Festspiel  und  mimische  Dar- 
stellung, und  die  Aristokratie,  welche  in  Megara  herrschte  (l,  271), 
muss  dies  Volksspiel  begünstigt  haben,  so  dass  es  ein  gewisses  An- 
sehen erlangte,  auch  mit  einem  Chore  ausgestattet  und  durch  öffent- 
liche Aufführungen  mit  Wettkämpfen  gehoben  wurde.  Epicharmos  er- 
kannte die  bildungsfähigen  Keime,  welche  in  diesen  Volksspielen 
lagen;  nachdem  er  also  durch  vielseitige  Studien  seinen  Geist  be- 
reichert und  in  Italien  namentlich  durch  Pythagoras  zu  tieferen 
Lebensanschauungen  und  höheren  Zielen  angeregt  worden  war, 
kehrte  er  zurück  und  suchte  die  volkstümliche  Posse  zu  einer  Kunst- 
gattung umzubilden,  welche  einen  dichterischen  Werth  und  einen  sitt- 
lich bedeutenden  Inhalt  erhalten  sollte.  Dies  gelang  ihm,  und  zwar 
bedeutend  früher  als  Athen  die  megarische  Posse  bei  sich  aufnahm  und 
veredelte;  wahrscheinlich  kamen  schon  um  Ol.  68  (nach  508)  die 
epicharmischen  Lustspiele  in  Megara  zur  Aufführung;  als  aber  Megara 
aufgehoben  und  mit  dem  Besten,  was  es  hatte,  nach  Syrakus  verpflanzt 
wurde  (S.  531),  wanderte  auch  Epicharmos  mit  seiner  Komödie  nach 
der  neuen  Hauptstadt,  welche  in  ähnlicher  Weise  wie  Athen  alles  Be- 
deutende, was  in  den  Umlanden  sich  entwickelt  hatte,  allmählich  an 
sich  zog. 


Digitized  by  Google 


F.PICHARMOS  Vi  SYRAKUS  (484;  74,2). 


551 


Freilich  war  Syrakus  keine  Republik,  und  eine  attische  Komödie 
war  daselbst  unmöglich.  Das  megarische  Lustspiel  hatte  aber  den 
Vortheil,  zugleich  volksthümlich  und  hoffähig  zu  sein;  denn  es  ent- 
wickelte sich  seinem  Inhalte  nach  besonders  in  zwei,  den  Gewaltherrn 
gleich  ungefährlichen  Richtungen.  Einmal  stellte  es  das  Volksleben 
in  kräftig  gezeichneten  Charakteren  zur  Schau,  so  dass  man  die 
verschiedenen  Stände,  den  Bauer,  den  Matrosen,  den  Wahrsager, 
den  Schmarotzer  u.  s.  w.  besonders  von  ihren  lächerlichen  Seiten 
dargestellt  sah,  zweitens  zog  es  auch  die  Gölter  des  Olympos  auf 
die  Bretterbühne  herab  und  führte  die  Geschichten  der  Götter-  und 
Heroenwelt  in  lustigen  Schwänken  auf.  Beide  Richtungen  aber,  die 
Charakterkomödie  und  die  mythologische  Travestie,  gingen  auch  in 
einander  über;  denn  wie  Zeus  beim  olympischen  Hochzeitsfeste 
dargestellt  wurde,  war  er  im  Grunde  nichts  Anderes,  als  das  Vor- 
bild der  sicilischen  Feinschmecker.  Aber  ein  Mann  wie  Epicharm, 
ein  Forscher  und  Denker,  wollte  mehr  als  bunten  Zeitvertreib  der 
Menge  darbieten.  Ein  tiefer  Ernst  lag  seinen  Werken  zu  Grunde, 
und  die  edlen  Sprüche,  die  Lehren  echter  Lebensweisheit,  in  treffen- 
den Kernworten  ausgeprägt,  geben  uns  eine  Vorstellung  von  dem 
philosophischen  Gehalte,  dessen  Silberader  die  rohere  Masse  des  Lust- 
spiels durchzog.  In  der  Kraft  des  gnomischen  Ausdrucks  erinnert  er 
lebhaft  an  seinen  Zeitgenossen  Theognis  (I,  273f.),  den  grofsen  Dichter 
des  mutterländischen  Megara,  welcher  auch  nach  Sicilien  gekommen 
sein  soll.  Beide  Dichter  geben  ein  glänzendes  Zeugniss  vom  Geiste  der 
Megareer,  welche  es  im  Mutterlande  so  wenig  wie  in  der  Colonie  zu 
einer  glücklichen  Staatsentwickelung  bringen  konnten,  aber  eine  be- 
wundernswürdige Höhe  geistiger  Bildung  gewonnen  haben.  Die  nahe 
Berührung  mit  nicht  dorischem  Volke  mag  zur  Erweckung  ihres 
Geistes  beigetragen  haben. 

Epicharmos  blieb  am  Hofe  des  Hieron,  Jessen  rühmliche  Thaten, 
namentlich  die  Rettung  der  Lokrer,  er  in  seinen  Stücken  anzubringen 
wusste,  und  von  Seiten  der  Tyrannen  wurde  nichts  verabsäumt,  um 
die  Schaulust  des  großstädtischen  Publikums  und  die  angeborne 
Liebhaberei  der  Sikeliolen  für  dramatische  Unterhaltung  zu  befriedigen. 
Ein  stattliches  Theater  wurde  in  Syrakus  von  Demokopos  gebaut, 
wahrscheinlich  schon  in  der  Zeit  der  beiden  ersten  Tyrannen,  und 
wir  dürfen  annehmen,  dass  das  ganze  Bühnenwesen  hier  in  manchen 
Beziehungen  früher  geordnet  war  als  in  Athen.     Phormis,  Deino- 


Digitized  by  Google 


552 


EI'ICIIAKMOS  UM)  SOI'HRC». 


lochos  u.  A.  wetteiferten  in  derselben  Kunstgattung,  und  bei  der 
reichen  Entfaltung,  welche  sie  dadurch  gewann,  ist  es  kein  Wunder, 
wenn  sie  auch  aufserhalb  der  Insel  Nachahmung  fand.  So  wusste  man 
namentlich  in  Athen  die  sicilische  Erfindung  zu  würdigen  und  Krates 
(S.  306)  soll  daselbst  zuerst  das  Beispiel  gegeben  haben,  statt  ein- 
zelner Charaktere  des  öffentlichen  Lebens  ganze  Klassen  von  Menschen 
zum  Gegenstande  komischer  Darstellung  zu  machen,  und  neben  der 
Charaklerkomödie  fand  auch  die  mythologische  Travestie  aus  Syrakus 
in  AÜien  Eingang,  wie  sich  schon  von  Kratinos  und  seinen  Zeit- 
genossen nachweisen  lässt9'). 

Ein  Geistesverwandter  Epicharms  war  sein  jüngerer  Zeitgenosse, 
der  Syrakusaner  Sophron,  der  nicht  in  Versen,  und  wie  es  scheint, 
auch  nicht  für  die  Bühne  schrieb,  und  dennoch  ein  dramatischer 
Dichter  von  erstem  Range  war.  Denn  er  verstand  es,  in  seinen 
'Mimen',  die  bei  geschicktem  Vortrage  ganz  den  Eindruck  drama- 
tischer Scenen  machten,  Bilder  des  sicüischen  Lebens  in  voller  Frische 
darzustellen  und  zwar  in  körniger,  mit  Sprichwörtern  gemischter, 
volkstümlicher  Sprache.  Dabei  entwickelte  er  aber  nicht  nur  die 
schärfste  Beobachtung  in  der  Schilderung  männlicher  und  weiblicher 
Charaktere,  sondern  auch  die  höchste  Kunst  der  Darstellung,  und  durch 
die  ursprüngliche  Geisteskraft,  welche  in  seinen  Werken  lebte,  hat  er 
auf  Dichter  und  Philosophen  der  Griechen  und  Römer  einen  sehr  be- 
deutenden Einfluss  geübt. 

Während  Epicharmos  sich  einer  in  Sicilien  blühenden  Richtung 
der  Poesie  anschloss  und  sie  so  ausbildete,  dass  sie  auch  in  Athen 
Anklang  fand,  brachten  andere  Meister  die  im  Mutterlande  gereiften 
Künste  herüber,  und  so  entwickelte  sich  zwischen  den  beiderseitigen 
Gestaden  der  fruchtbarste  Austausch. 

Die  griechischen  Künstler,  namentlich  die  Sänger,  waren  von 
jeher  wanderlustig,  und  was  Männer  wie  Pindar,  Aischylos,  Simonides, 
Bakchylides  nach  Sicilien  lockte,  war  nicht  blofs  die  Aussicht  auf  Ehren 
und  Vortheile  aufserordentlicher  Art,  welche  an  den  Höfen  von  Akragas 
und  Syrakus  ihrer  warteten,  sondern  auch  der  Ruf  vielseitiger  Geistes- 
bildung, dessen  die  Insel  sich  erfreute,  der  Glanz  eines  seltenen 
Fürstenglücks,  der  Reiz  einer  tiefen  Ruhe  nach  glänzenden  Thaten, 
wie  sie  dem  Mutterlande  nicht  zu  Theil  geworden  war,  und  endlich 
die  ganze  Fülle  von  Merkwürdigkeiten,  von  denen  Alle  zu  erzählen 
wussten,  welche  das  städtereiche  Inselland  gesehen  und  bewundert 


Digitized  by  Google 


1IEH   HOF   DES  HIEIIO.V 


553 


hatten.  Darunter  aber  war  nichts,  was  die  Phantasie  der  Griechen  in 
lgeichem  Make  beschäftigte,  wie  der  Aetna,  der  gerade  um  den  Re- 
gierungsantritt Hierons  nach  langer  Pause  wieder  angefangen  halle, 
mit  hohen  Feuersäulen  das  Westmeer  zu  beleuchten;  Pindar  wie 
Aischylos  zeugen  von  dem  Kindrucke,  welchen  das  Naturereigniss  auf 
die  Zeitgenossen  machte  •*). 

Diesen  Zug,  den  die  Griechen  des  Mutterlandes  nach  Sicilien 
fühlten,  suchte  Hieron,  welcher  persönlich  ein  lebendiges  Interesse  für 
Wissenschaft  und  Kunst  hatte  und  selbst  die  Dichtkunst  übte,  auf 
das  Eifrigste  auszubeuten.  Er  halte  schon,  was  Sicilien  an  bedeuten- 
den Männern  besafs,  um  sich  versammelt.  Korax,  der  Gründer  der 
sicilischen  Beredsamkeit,  der  erste  Grieche,  der  die  Kunst  der  Rede 
wissenschaftlich  bearbeitete,  war  ein  angesehener  Mann  bei  Hieron ; 
zu  derselben  Zeit  waren  auch  Philosophie  und  Naturwissenschaft, 
Mathematik  und  Medizin  in  voller  Blüthe,  und  zwar  durchdrangen  sich 
Kuust  und  Wissenschaft  in  denkwürdiger  Weise,  wie  z.  B.  Epicharmos 
die  Heilkunde,  selbst  die  Thierheilkunde,  in  Schriften  behandelte; 
kurz,  eine  universale  Richtung,  ein  philosophisches  Streben,  welches 
allen  Gegenstanden  mit  Nachdenken  folgte  und  alle  menschlichen 
Dinge  in  ihrem  Zusammenhange  zu  erfassen  suchte,  war  in  dem 
geistigen  Leben  der  Sikelioten  unverkennbar  vorhanden.  Dazu  kamen 
nun  die  fremden  Meister,  so  dass  sich  am  gastlichen  Herde  des  Hieron 
eine  Reihe  von  Weisen  und  Dichtern,  ein  auserwählter  Kreis  ver- 
einigte, der  seines  Gleichen  in  Griechenland  nicht  hatte.  Und  diese 
Männer  dienten  nicht  blofs  der  Eitelkeit  des  Hieron,  indem  sie  seinen 
Musenhof  verherrlichten  und  dem  Herrschersitze  seinen  besten  Glanz 
verliehen,  sondern  es  übten  namentlich  die  fremden  Meister  auch  eine 
wohlthätige  Macht  aus,  wie  z.  B.  Simonides  als  Friedensstifter  zwischen 
Hieron  und  Theron;  sie  waren  als  unabhängige  Leute  zu  einer  freieren 
Stellung  ihm  gegenüber  berufen;  sie  waren  endlich  die  besten  Bürgen 
für  deii  Ruhm  der  sicilischen  Fürsten. 

Darum  lud  Hieron  bald  nach  seiner  Thronbesteigung  den  Aischy- 
los zu  sich  ein,  der  mehrere  glückliche  und  für  seine  Poesie  höchst 
fruchtbare  Jahre  bei  ihm  verlebte ;  er  verherrlichte  Hierons  Lieblings- 
werk in  seinen  'Aetnäerinnen',  einem  großartigen  Festgedichte  zu 
Ehren  der  neuen  Stadt  (76,  1;  476);  er  verknüpfte  die  sicilische  Ge- 
schichte mit  der  des  Mutterlandes,  und  was  konnte  dem  ruhmbe- 
gierigen Fürsten  erwünschter  sein,  als  wenn  er  sicilische  Siege  mit 


Digitized  by  Google 


554 


AISCHYLOS   I  Xli  PINDAROS 


Salamis  und  Plataiai  zusammen  als  in  sich  zusammenhängende  und 
ebenbürtige  Nationalsten  gefeiert  sahl  Die  Aufführung  der  'Perser* 
in  Syrakus  war  eine  glänzende  Epoche  in  der  Geschichte  des  dortigen 
Theaters,  und  es  leidet  wohl  keinen  Zweifel,  dass  das  ganze  Werk 
durch  die  in  Sicilien  empfangenen  Anregungen  und  auf  sicilischem 
Boden  entstanden  ist.  Aischylos  lebte  sich  so  in  Sicilien  ein,  dass 
man  in  der  Sprache  seiner  späteren  Dramen  den  Einfluss  des  dortigen 
Aufenthalts  zu  erkennen  glaubte,  und  die  Liebe  zu  der  schönen  Insel 
führte  den  lebensmüden  Dichter  noch  einmal  dorthin  zurück94). 

Noch  enger  ist  Pindar  mit  den  sicilischen  Fürstengeschlechtern 
verflochten.  Auch  er  liebt  die  Insel,  die  Zeus  der  Persephone  als 
Ehrengabe  verliehen  habe ;  mit  Begeisterung  preist  er  ihre  Saatfluren, 
und  fleht  zu  den  Göttern,  'dass  das  herrliche,  fruchtschwere  Land 
immerdar  leuchten  möge  in  strahlendem  Glänze,  prangend  mit  reicher 
Städte  Häuptern,  von  einem  Volke  bewohnt,  das  stets  des  erzklirren- 
den Kriegs  gedenkt,  hoch  zu  Boss  streitend  und  oft  bekränzt  mit  des 
olympischen  Oelzweigs  Blättern'.  Für  ihn,  den  treuen  Verehrer  der 
von  Delphi  ausgegangenen  Satzungen,  den  Bewunderer  der  alten  Ge- 
schlechter,, ist  es  ein  wahrer  Triumph,  dass  auf  der  fernen  Insel  die 
durischen  Staatsordnungen  zu  neuem  Glänze  gelangen  und  dass  aus 
uralten,  erlauchten  Stämmen  hellenischer  Nation  hier  neue  Zweige  zu 
solcher  Blüthe  kommen. 

Ganz  besonders  ist  er  darum  den  Emmeniden  (S.  528)  zugethan, 
welche,  wie  der  Dichter  selbst,  dem  kadmeischen  Hause  angehören 
und  seinen  Glauben  an  die  Erbtugenden  grofser  Geschlechter  so  herr- 
lich bewähren.  Mit  warmem  Herzen  preist  er  darum  Therons  Tugenden, 
seine  Gastlichkeit,  seine  Menschenliebe,  seine  Freude  Andern  zu 
helfen,  und  als  die  feindliche  Spannung  zwischen  den  beiden  Tyrannen- 
häusern eingetreten  war,  stand  Pindar  auf  der  Seite  der  Emmeniden, 
während  Simonides  und  Bakchylides  sich  mehr  zu  Hieron  hielten. 
Aber  auch  in  Syrakus  war  Pindar  ein  angesehener  Mann ;  er  wusste 
Hierons  Verdienste  anzuerkennen  und  zu  preisen ;  er  wetteiferte  mit 
Aischylos,  den  Gründer  von  Aetna  der  ganzen  Griechenwelt  bekannt 
zu  machen;  aber  seine  Preislieder  werden  zu  ernsten  Mahnungen. 
Er  sucht  das  leidenschaftliche  Gemüth  des  Fürsten  zu  beruhigen  und 
es  zur  Genügsamkeit  und  friedlichen  Heiterkeit  zu  stimmen.  Er  be- 
währt sein  Wort,  'dass  der  gerad  sprechende  Mann  in  jeder  Ver- 
fassung, auch  bei  dem  Tyrannen,  der  Beste  sei',  und  mit  Hinblick  auf 


Digitized  by  Google 


DIE  BAUTEN  HER  TYRANNEN. 


555 


das  unwürdige  Spioniersystem,  welches  Hieron  eingeführt  hatte,  um 
sich  von  allen  Bewegungen  in  der  Hauptstadt  in  Kenntniss  zu  setzen, 
scheut  er  sich  nicht,  die  Höflinge  und  Ohrenbläser,  welche  den  König 
seiner  besseren  Natur  untreu  machen,  mit  dem  bittersten  Spotte  anzu- 
greifen. 

So  war  Syrakus  im  Zeitalter  seiner  Tyrannen  ein  Mittelpunkt  des 
vielseitigsten  geistigen  Lebens,  eine  auserwählte  Stätte  hellenischer 
Macht  und  Bildung.  Dem  gemäfs  war  auch  die  Stadt  selbst  eine  ganz 
andere  geworden.  Sie  war  schon  längst  von  der  Insel  Ortygia  auf  das 
feste  Land  übergegangen,  und  zwar  hatte  sie  sich  nicht,  wie  es  am 
natürlichsten  scheint,  vom  Isthmus  aus  gegen  Westen  um  die  Bucht 
des  grofsen  Hafens  herum  ausgedehnt,  sondern  gegen  Norden  auf  das 
Kalksteinplateau  von  Achradina;  man  hatte  sich  vom  Hafen  entfernt 
und  das  unbequemere  Terrain  vorgezogen,  weil  nur  hier  trockner 
Boden  war  und  gesunde  Luft.  Gelon  hatte  den  nächstgelegenen  Theil 
der  Hochebene  ummauern  lassen,  den  Stadttheil  Achradina,  der  allein 
schon  vier  bis  fünfmal  gröfser  ist  als  die  Inselstadt,  und  neben  Achra- 
dina gegen  Westen  Tyche.  Das  war  die  Dreistadt  Gelons,  mit  ihren 
Häfen  und  Schiffswerften,  ihren  Palästen,  Heiligthümern  und  öffent- 
lichen Gebäuden  die  grofsartigste  Stadt  der  hellenischen  Welt.  Die 
Tyrannenburg  nebst  den  ältesten  Heiligthümern  war  auf  der  Insel; 
daselbst  auch  unweit  des  Isthmus  der  Apollontempel,  dessen  östliche 
Stufe  eine  Weihinschrift  trägt,  welche  derselben  Zeit  angehört,  wie 
die  auf  dem  von  Hieron  geweihten  Helme  (S.  544).  Vor  den  Mauern 
von  Achradina  baute  Gelon  nach  dem  Siege  von  Himera  einen  Pracht- 
tempel der  grofsen  Göttinnen,  durch  welche  sein  Geschlecht  zu  Ehren 
gekommen  war  (S.  525).  Jenseits  des  Anapos  aber,  welcher  in  den 
innersten  Theil  des  grofsen  Hafens  mündet,  war  eine  Vorstadt  ent- 
standen, welche  den  Tempel  des  olympischen  Zeus  zum  Mittelpunkte 
hatte.  Die  heilige  Baukunst  war  von  Korinth,  der  alten  Schule  des 
Tempelbaus,  nach  Sicilien  übertragen,  und  auch  hier  gingen  die 
Colonien  darauf  aus,  alle  gleichzeitigen  Leistungen  des  Mutterlandes 
an  Großartigkeit  und  Pracht  zu  überbieten. 

Der  Sieg  bei  Himera  war  eine  Epoche  für  die  Baugeschichte  der 
sicilischen  Städte,  ähnlich  wie  die  Perserkriege  für  Athen.  Nicht  nur 
dass  die  Tempel  mit  Weihgeschenken'und  Kostbarkeiten  sich  anfüllten, 
wie  der  vorstädtische  Zeuslempel  bei  Syrakus,  dessen  Bildsäule  Gelon 
aus  der  karthagischen  Beute   mit  einem  gediegenen  Goldmantel 


Digitized  by  Google 


556 


WA  SS  EH  RA  UTEN  IN  SICILIE.N. 


schmückt«,  sondern  die  Masse  der  Sklaven  wurde  auch  dazu  ver- 
wendet, um  Gebäude  zu  Stande  zu  bringen,  welche  an  Gröfse  alles 
Frühere  übertrafen.  An  einheimischem  Marmor  fehlte  es;  aber  man 
hatte  in  den  Gebirgen  der  Insel  eine  Fülle  von  brauchbaren  Stein- 
brüchen und  wusste  dem  Kalksteine  durch  Anwurf  einen  marmor- 
artigen Glanz  zu  geben.  Als  Siegesdenkmal  wurde  bei  Himera  selbst 
ein  Tempel  erbaut,  dessen  Ueberreste  neuerdings  wieder  zu  Tage  ge- 
treten sind.  Das  gewaltigste  aller  sicilischen  Bauwerke  aber  war  das 
Olympieion  der  Akragantiner,  am  Hafenwege  gelegen.  Der  Dienst  des 
siegverleihenden  Zeus  war  auch  hier,  wie  in  Syrakus,  nach  dem  Musler 
des  peloponnesischen  Gottesdienstes  eingerichtet,  aber  die  Mafse  des 
Tempels  waren  der  Art,  dass  er  nur  dem  ephesischen  Artemision  an 
Gröfse  nachstand.  Die  Höhe  übertraf  den  Parthenon  um  das  Doppelte. 
Das  Gebäude  war  von  aufsen  mit  plastischen  Werken  auf  das  Reichste 
ausgestaltet;  im  Innern  standen  oberhalb  der  unteren  Pfeilerreihe 
kolossale  Giganten,  welche  mit  den  Unterarmen  und  vorgeneigtem 
Kopfe  das  Gebälk  der  Cella  stützten,  in  welcher  das  Ebenbild  des 
olympischen  Zeus,  des  Gigantenüberwinders,  aufgestellt  war05). 

Freilich  fehlte  diesen  Gebäuden  die  innere  Gröfse  und  die  feine 
Durchbildung,  welche  der  heiligen  Baukunst  in  Athen  eigen  sind,  und 
die  wahre  Kunst  litt  unter  dem  Streben  nach  äufserlicher  Wirkung. 
Um  so  eigentümlicher  und  bewunderungswürdiger  war  die  Ausbil- 
dung der  bürgerlichen  Baukunst,  welche  die  Fürsten  Siciliens  sich 
ganz  besonders  angelegen  sein  liefsen,  und  noch  heute  ist  der  Insel- 
boden reich  an  Anlagen  jener  Zeit,  welche  eine  staunenswerte  Aus- 
bildung wissenschaftlicher  Technik  bezeugen.  Dahin  gehören  beson- 
ders die  Kanäle  von  Syrakus,  welche  die  Quellen  des  Gebirgs  durch 
die  ganze  Felsstadt  und  unter  dem  Meeresboden  hin  nach  Ortygia 
führen,  wo  sie  in  der  Arelhusa  wieder  aufsprudeln,  und  andererseits 
einen  Arm  des  Anaposflusses  in  einem  künstlichen  Bette  nach  der 
Stadl  bringen.  Durch  zahlreiche  Brunnenschachte  sind  die  unter- 
irdischen Wassergänge  überall  der  Benutzung  zugänglich  gemacht 
worden,  wie  in  Atlika  (I,  357),  und  hier  wie  dort  ist  ein  Theil  der 
Leitungen  bis  auf  den  heutigen  Tag  in  Dienst  geblieben.  Noch  be- 
rühmter waren  die  Wasserbauten  von  Akragas,  die  Kanäle,  welche 
man  daselbst  Phäaken  nannte  (sie  waren,  wie  auch  ein  Theil  der  syra- 
kusischen Kanäle,  durch  karthagische  Kriegsgefangene  gearbeitet 
worden),  und  die  Fischteiche,  welche  für  den  Luxus  der  Gastmähler 


Digitized  by  Google 


SICILISCHK  MÜNZEN. 


557 


angelegt  waren  und,  von  Schwänen  und  anderem  Geflügel  belebt, 
einen  anmuthigen  Schmuck  der  Stadt  bildeten.  Endlich  war  auch 
der  Hausbau,  namentlich  in  Akragas,  prachtvoller  als  im  übrigen 
Griechenlande.  Die  Wohnungen  der  Reichen  waren  Paläste,  deren 
Einrichtung  über  das  Bedürfnis»  der  Familie  weit  hinausging.  Man 
suchte  seinen  Stolz  darin,  möglichst  viele  Gäste  bei  sich  aufnehmen  zu 
können.  Die  Politik  der  Tyrannen  ging  überhaupt  darauf  hinaus,  dass 
ihre  volkreichen  Residenzen  zugleich  durch  Sauberkeit  und  gute  Ord- 
nung sich  auszeichneten.  Darum  suchten  sie  auch  nur  vornehme 
Geschlechter  und  wohlhabende  Familien  in  die  Stadt  hereinzuziehen 
(S.  531)  und  jede  Ansammlung  von  armem  Stadtvolke  möglichst  zu 
verhindern96). 

Für  den  auswärtigen  Ruf  ihrer  Städte  waren  sie  auch  dadurch 
in  einer  sehr  wirksamen  Weise  thätig,  dass  sie  auf  die  Ausprägung  der 
Münzen  eine  besondere  Sorgfalt  verwenden  liefsen,  und  in  keiner  Re- 
zieh ung  hat  die  sicilische  Kunst  sich  glänzender  bewährt.  Denn  wäh- 
rend man  im  Mutterlande  die  Münzen  als  Geldstücke  ansah  und  nur 
auf  vollwichtige  Ausprägung  die  öffentliche  Aufmerksamkeit  richtete, 
ist  hier  die  Schönheit  des  Gepräges  zuerst  als  ein  Gegenstand  des 
öffentlichen  Interesses  angesehen  worden.  Die  Vorstufen  der  Unbe- 
holfenheit, auf  denen  die  Münzen  anderer  Städte  lange  zurückblieben, 
sind  hier  schnell  überwunden  worden.  Um  480  v.  Chr.  finden  wir  die 
doppelseitige  Prägung  (S.  267)  schon  vollständig  ausgebildet.  Nach 
Ueberwindung  der  technischen  Schwierigkeiten  werden  die  Stempel- 
schneider Künstler,  und  daher  kam  auch  hier  vorzugsweise  die  Sitte 
auf,  dass  sie  ihren  Namen  auf  den  Münzen  anbringen  durften. 

Und  in  der  That  sind  von  allen  bedeutenderen  Städten  der  Insel 
Münzen  erhalten,  welche  durch  geschickte  Anordnung  der  Symbole, 
durch  vollendete  Technik  und  geistvollen  Ausdruck  der  Köpfe  vollen 
Anspruch  haben  als  wahre  Kunstwerke  zu  gelten.  Es  sind  nicht  nur 
Denkmäler  der  einheimischen  Gottesdienste,  sondern  auch  historische 
Denkmäler,  und  sie  verkünden  nicht  nur  die  Wagensiege  der  Ty- 
rannen, sondern  wissen  auch  in  epigrammatischer  Kürze  wichtige 
Epochen  der  Stadtgeschichte  darzustellen.  So  sieht  man  auf  den  Di- 
drachmen  von  Selinus  den  Fluss  Hypsas  am  Altare  des  Asklepios 
opfern.  Es  ist  ein  Opfer  des  Dankes  für  die  Entsumpfung  der  Nie- 
derung, welche  auf  Empedokles'  Rath  zu  Stande  gekommen  war ;  ein 
missmuthig  abziehender  Sumpfvogel  bezeichnet  eben  so  witzig  wie 
prägnant  die  heilsame  Umwandelung  des  Stadtgebiets. 


Digitized  by  Google 


558 


SICILISCHE  MÜISZK.N 


Die  schönsten  aller  Kunstwerke  dieser  Gattung  sind  aber  die 
greisen,  medaillenarügen  Silbermönzen  (Zehndrachmenstücke)  von 
Syrakus,  welche  auf  der  Rückseite  ein  siegreiches  Gespann  von  Rossen 
darstellen  und  vielleicht  selbst  zu  Siegespreisen  benutzt  wurden ;  auf 
der  Vorderseite  aber  tragen  sie  einen  an muth reichen  Frauenkopf, 
welcher  von  Delphinen  umgeben  ist  und  die  Göttin  der  A  reih  usaquelle 
darstellt,  welche  reich  an  Fischen,  die  der  Göttin  heilig  waren,  in 
Orlygia  aufsprudelte.  Zu  der  älteren  Reihe  dieser  Münzen  gehört  wahr- 
scheinlich auch  das  Geldstück,  das  zum  Andenken  der  Tochter  Therons 
den  Namen  Damaretion  führte.  Sie  verband  die  beiden  Fürstenhäuser, 
auf  deren  brüderlichem  Vereine  die  ruhmreiche  Zeit  siciliseber  Ge- 
schichte beruhte;  sie  soll  nach  geschlossenem  Frieden  einen  Goldkranz 
von  Karthago  geschenkt  erhalten  haben  und  den  Werth  desselben  zum 
allgemeinen  Besten  haben  ausmünzen  lassen.  Ihr  Andenken  knüpfte 
sich  auch  an  das  Weihgeschenk  in  Delphi,  den  Dreifufs  von  'dama- 
retischem  Golde',  und  derselbe  Simonides,  welcher  die  Siegesdenkmäler 
des  Mutterlandes  durch  seine  Epigramme  weihte,  hat  auch  für  das  der 
Deinomenideu  die  Aufschrift  gemacht  und  ihnen  darin  bezeugt,  dass 
sie  durch  Besiegung  der  Barbaren  den  Hellenen  bülfreiche  Bruderhand 
zur  Sicherung  der  Freiheil  dargeboten  hätten97). 

Das  sind  die  Werke  und  Denkmäler  der  Friedensjahre,  welche 
dem  glorreichen  Siege  folgten  und  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Insel  der 
Friedenszeit  entsprachen,  welche  das  Mutterland  und  namentlich  AÜien 
nach  den  Perserkriegen  feierte.  Freilich  waren  es  nicht  freie  Gemein- 
den, welche  die  Siege  gewonnen  und  gefeiert  haben;  aber  nirgends  ist 
so  sehr  wie  hier  Ruhm  und  Glück  der  Dynasten  mit  bürgerlichem 
Wohlstande  verbunden  worden;  nirgends  haben  die  Gewaltherrn  es  so 
wie  hier  verslanden,  ihre  Macht  mit  Mäfsigung  zu  gebrauchen  uud  eine 
Zeit  lang  die  unvereinbarsten  Dinge,  Tyrannis  und  gesetzliche  Ord- 
nung, neben  einander  aufrecht  zu  erhalten. 


So  sehr  sich  aber  auch  die  sicilischen  Tyrauuen  vor  allen 
früheren  auszeichnen,  so  sind  ihre  Herrschaften  dennoch  dem  Schick- 
sale der  anderen  Tyrannenhäuser  anheimgefallen ;  sie  sind  ohne  Dauer 
gewesen,  und  zwar  deshalb,  weil  die  köuigliche  Herrschaft,  wie  sie 
Gelon  und  Theron  erstrebt  hatten,  in  Despotismus  und  Parleiherr- 
schaft  ausartete  und  der  jüngeren  Generation,  welche  in  Glück  und 


Digitized  by  Google 


ENDE  DER  TYRANNIS  (78,4;  4M). 


559 


Ueppigkeit  aufgewachsen  war,  die  Tugenden  fehlten,  durch  welche 
ihre  Vorgänger  des  Hauses  Macht  begründet  hatten. 

So  brach  das  Glück  der  Emmeniden  schon  mit  dem  Sohne  des 
grofsen  Theron  zusammen,  und  Gelons  Sohne  widerfuhr  das  trau- 
rigste Schicksal,  welches  einem  Thronerben  zu  Theil  werden  kann. 
Er  kam  —  wahrscheinlich  nach  dem  Tode  seines  Stiefvaters  —  in  die 
Hände  seines  Oheims  Thrasybulos,  des  jüngsten  von  den  vier  Söhnen 
des  Deinomenes ;  und  dieser  ging,  von  freventlichem  Ehrgeize  geleitet, 
darauf  aus,  seinen  Neifen  in  ein  ausschweifendes  Leben  hereinzu- 
ziehen, so  dass  er  körperlich  und  geistig  zu  Grunde  gerichtet  wurde. 
Thrasybulos  war  dabei  von  einer  Partei  unterstützt,  welche  ihn  am 
Ruder  zu  sehen  wünschte.  Gleichzeitig  erhob  sich  aber  auch  eine 
republikanische  Partei,  welche  die  innere  Zerrüttung  des  Tyrannen- 
hauses förderte,  um  dasselbe  desto  leichter  beseitigen  zu  können,  und 
so  kam  es,  dass  Thrasybulos  zwar  nach  Hierons  Tode  Herrscher  wurde, 
aber  auch  durch  die  höchste  Gewaltsamkeit  nicht  einmal  ein  Jahr  lang 
den  Thron  behaupten  konnte.  Es  kam  in  Syrakus  zu  einem  offenen 
Kampfe  zwischen  Bürgern  und  Söldnern,  zwischen  Tyrannis  und  Re- 
publik;  es  war  ein  Kampf,  an  dem  sich  auch  die  anderen  Inselstädte 
Akragas,  Gela,  Selinus  u.  s.  w.  betheiligten,  und  endlich  musste  Thra- 
sybulos zufrieden  sein,  freien  Abzug  zu  erhalten  und  zu  Lokroi  in 
Italien  eine  Zufluchtsstätte  zu  finden. 

Das  war  das  Ende  der  achtzehnjährigen  Tyrannis  der  Deino- 
meniden  in  Syrakus.  Nach  Vorgang  von  Akragas  wurde  in  Gela  und 
Syrakus  die  Republik  wieder  hergestellt,  und  um  den  Anfang  einer 
neuen,  glücklichen  Zeit  zu  bezeichnen,  stifteten  die  Syrakusaner 
Zeus  dem  'Befreier'  das  Fest  der  Eleulherien. 

Indessen  war  dieser  Uebergang  von  schweren  Kämpfen  und 
langen  Nothständen  begleitet.  Grofsstädte  sind  ja  an  und  für  sich  zu 
republikanischem  Gemeinleben  wenig  geschickt;  hier  aber  hatten  die 
Tyrannen  zu  gewaltsam  in  das  innere  Leben  der  Städte  eingegriffen, 
und  die  Bürgerschaften  waren  zu  sehr  mit  fremden  Bestandteilen 
zersetzt  worden,  als  dass  sich  in  friedlicher  Weise  ein  neues  Ge- 
meindeleben hätte  gestalten  können.  Man  versuchte  freilich  in  Syra- 
kus die  Alt-  und  Neubürger  zu  einer  Körperschaft  zu  vereinigen,  aber 
da  man  die  Letzteren  von  den  Ehrenämtern  ausschloss,  verletzte  man 
sie  auf  das  Empfindlichste  und  veranlasste  eine  Spaltung,  welche  zu 
blutigen  Kämpfen  innerhalb  der  Stadt  führte.    Die  verschiedenen 


Digitized  by  Google 


500 


FOLGEN   I>ES  TYFUNNENSTTRZES. 


Stadtquartiere  wurden  zu  Festungen,  aus  denen  die  Parteien  einander 
bekriegten,  und  die  siebentausend  Söldner  und  Neubürger,  die  von 
denen,  welche  Gelon  in  die  Stadt  aufgenommen  hatte,  übrig  waren, 
bemächtigten  sich  der  beiden  inneren  Stadttheile  Ortygia  und  Achra- 
dina, so  dass  die  Altbürger  in  die  Vorstädte  hinausgedrängt  wurden, 
wo  sie  sich  auf  dem  westlichen  Theile  des  weitläuftigen  Stadtberges, 
in  Epipolai,  verschanzten,  um  der  Stadt  die  Zufuhr  von  der  Landseite 
abzuschneiden.  Und  so  gelang  es  endlieh,  die  Gegner  zum  Abzüge  zu 
zwingen. 

Die  Wirkungen  des  Tyrannensturzes  gingen  aber  weit  über  Syra- 
kus hinaus.  Denn  auch  die  Sikuler,  welche  durch  die  Macht  der 
Deinomeniden  eingeengt  waren,  erhoben  sich  jetzt  von  Neuem,  und  da 
sie  in  Duketios  einen  kühnen  Führer  fanden,  suchten  sie  unter  ihm 
eine  engere  Verbindung  herzustellen,  um  den  Hellenen  gegenüber  eine 
ebenbürtige  Stellung  zu  gewinnen.  Der  Hass  gegen  die  Tyrannen  und 
alles  von  ihnen  Herstammende  vereinigte  jetzt  sogar  die  Syrakusaner 
mit  den  Sikulern;  sie  unternahmen  einen  gemeinschaftlichen  Zug 
gegen  die  Tyrannenstadt  Aetna,  die  Beiden  ein  Dorn  im  Auge  war. 
Die  hieronische  Bevölkerung  wehrte  sich  tapfer,  aber  endlich  musste 
sie  weichen,  und  nach  kurzem  Bestände  wurde  die  stolze  Königsstadt, 
welche  von  Hieron  unter  den  glänzendsten  Feierlichkeiten  wie  für  die 
Ewigkeit  gegründet  war,  wieder  aufgelöst  und  das  Ehrenmal  des  Stadt- 
grunders  vernichtet;  die  alten  Katanäer  zogen  wieder  heim  (461 ;  Ol. 
79,  4),  die  Sikuler  erhielten  ihr  Land  zurück,  und  die  Aetnäer  wur- 
den nach  Inessa  verpflanzt,  wo  sie  unter  ihrem  früheren  Gemeinde- 
namen fortbestanden98). 

Am  längsten  hielt  sich  die  Tyrannis  in  den  beiden  Städten  am 
sicilischen  Meersunde,  welche  Anaxilaos  zu  einem  Reiche  vereinigt 
hatte.  Dasselbe  hatte  seit  Ol.  76,  1  (476)  Mikythos  verwaltet,  ein 
Mann,  der  dem  Sklavenstande  angehörte,  und  dann  durch  das  Ver- 
trauen des  Anaxilaos  Vormund  seiner  Söhne  und  Regent  von  Rhe- 
gion  und  Zankle  geworden  war.  Als  solcher  herrschte  er  vorsichtig 
und  gemässigt,  indem  er  Tyrannis  und  bürgerliche  Verfassung  zu 
vermitteln  suchte,  aber  auch  entschlossen  und  thalkräflig,  so  dass 
er  z.  B.  den  bedrängten  Tarentinern  Beistand  leistete  und  Colonien 
nach  der  Westküste  Italiens  aussendete.  Es  kam  dahin,  dass  Hieron 
auf  ihn  eifersüchtig  wurde  und  deshalb  die  Tyrannensöhne  veran- 
lasste, ihr  väterliches  Erbe  in  Anspruch  zu  nehmen.  Mikythos  ging 


Digitized  by  Google 


DAS   REPUBLIK  AN  ISCHE  SICILIEN. 


561 


bereitwillig  darauf  ein  und  legte  in  der  tadellosesten  Weise  von  seiner 
Verwaltung  öffentliche  Rechenschaft  ab.  Doch  liefs  er  sich  von  seinen 
Mündeln,  als  dieselben  ihr  Vorgehen  bereuten,  nicht  bestimmen  seinen 
Entschluss  zu  ändern,  sondern  schiffte  sich  mit  seinem  Privatgute  ein 
und  begab  sich,  von  den  Segenswünschen  einer  dankbaren  Bürgerschaft 
geleitet,  nach  Tegea  in  Arkadien,  um  dort  in  stiller  Zurückgezogenheit 
sein  wechselvolles  Leben  zu  beschließen.  Das  geschah  Ol.  78,  2  (467). 
Ein  glänzendes  Andenken  erhielten  ihm  seine  zahlreichen  Weihge- 
schenke in  Olympia.  Die  Söhne  des  Anaxilaos  aber  behaupteten  sich 
noch  etwa  sechs  Jahre,  dann  wurden  auch  sie  vertrieben. 

Nun  war  endlich  in  dem  ganzen  griechischen  Sicilien  ein  gleich- 
artiger Zustand  hergestellt.  Die  Bürgerschaften  waren  nach  Entfernung 
aller  derer,  welche  der  Tyrannenzeit  ihre  Einbürgerung  verdankten, 
gereinigt;  die  Verbannten  waren  heimgekehrt,  die  Domänen  der  Ty- 
rannenhäuser waren  Bürgergut  geworden ,  die  freien  Verfassungen 
überall  wieder  in  Kraft  gesetzt.  Nach  den  Zeiten  der  Gewaltherrschaft 
durchdrang  alle  Gemeinden  ein  freudiger  Aufschwung,  wie  es  in  Athen 
der  Fall  war  nach  dem  Sturze  der  Pisistratiden. 

Es  fehlte  zwar  nicht  an  ehrgeizigen  Parteiführern,  welche  die 
Wirren  der  Uebergangszeit  benutzten  und  Versuche  machten,  die 
Alleinherrschaft  wieder  herzustellen.  So  geschah  es  namentlich  in 
Syrakus,  wo  ein  gewisser  Tyndareon  Geld  unter  die  Menge  austheilte 
und  schon  eine  Schaar  um  sich  versammelt  hatte,  die  bereit  war,  ihm 
zur  unbedingten  Macht  zu  verhelfen.  Aber  ehe  er  stark  genug  war 
den  Gerichten  zu  trotzen,  wurde  er  zur  Untersuchung  gezogen  und  hin- 
gerichtet. Um  ähnlichen  Versuchen  vorzubeugen,  wurde  in  Syrakus  ein 
Verfahren  eingerichtet,  wie  der  attische  Ostrakismos,  welcher  ja  auch 
ähnlichen  Verhältnissen  seinen  Ursprung  verdankt.  In  Syrakus  nannte 
man  es  Blättergericht  (Petalismos),  weil  hier  nicht  auf  Thonscherben, 
sondern  auf  Oelblätter  der  Name  dessen  eingeritzt  wurde,  welcher  der 
Verfassung  gefährlich  erschien.  Das  war  der  volle  Sieg  der  demokra- 
tischen Bewegung,  welche  durch  die  ganze  Insel  ging;  sie  hat  sich 
in  einzelnen  politischen  Einrichtungen,  wie  es  scheint,  an  Athen 
angeschlossen  und  hat  wiederum  dazu  beigetragen,  die  Erfolge  der  atti- 
schen Reformpartei  in  den  dortigen  Parteikämpfen  zu  unterstützen  "). 

Für  die  einzelnen  Städte  Siciliens,  und  namentlich  für  Syrakus, 
war  der  vollständige  Sieg  der  Demokratie  auch  in  Beziehung  auf  das 
geistige  Leben  eine  Epoche.  Denn  die  Menge  von  Privalhändeln,  welche 

Curtins.  Gr.  G<Mtrh.  II.  6.  Aufl.  36 


Digitized  by  Google 


562  FOLGEN  DER  BEFREIUNG. 

durch  die  Umwälzung  aller  Besitz  Verhältnisse  veranlasst  wurde,  weckte 
die  gerichtliche  Beredsamkeit,  und  die  Volksversammlungen,  in  denen 
jetzt  die  Staatsbeschlüsse  zu  Stande  kamen,  wurden  eine  Schule  der 
politischen  Beredsamkeit. 

Für  künstlerische  Behandlung  der  Rede  hatten  die  Sikelioten  ein 
angeborenes  Talent,  dessen  frühzeitige  Ausbildung  auch  die  Komödien 
des  Epicharmos  beweisen.  Jetzt  that  Korax  (S.  553)  als  Rechtsanwalt 
sich  glänzend  hervor  und  verfasste  mit  Hülfe  seiner  reichen  Er- 
fahrungen eine  Theorie  der  Beredsamkeit,  in  welcher  er  die  Behandlung 
verschiedenartiger  Rechts  fälle  lehrte.  Sein  Schüler  war  Tisias,  dem 
sich  wiederum  Gorgias  anschloss,  so  dass  sich  rasch  und  kräftig  eine 
neue  Richtung  hellenischer  Redekunst  entfaltete,  welche  Sicilien  durch- 
aus eigen thümlich  war.  Unter  gleichen  Verhältnissen  entwickelte  sich 
auch  in  Akragas  die  Beredsamkeit,  wo  Empedokles  der  Philosoph  sich 
als  Volksredner  geltend  machte,  so  dass  er  von  Aristoteles  als  Be- 
gründer der  Rhetorik  angesehen  werden  konnte;  er  wusste  die  Partei- 
bewegungen, welche  auf  Herstellung  der  Alleinherrschaft  hinzielten, 
siegreich  zu  bekämpfen,  und  widerstand,  wie  Solon,  selbst  jeder  Ver- 
suchung, eine  fürstliche  Stellung  in  seiner  Vaterstadt  einzunehmen. 

Auch  der  historischen  Forschung  kam  die  allgemeine  Regsamkeit 
zu  Gute.  Wissbegierige  Männer  sammelten  den  reichen  Stoff  einhei- 
mischer Geschichte  und  verarbeiteten  ihn.  So  schrieb  in  den  Jahr- 
zehnten, welche  der  Vertreibung  der  Tyrannen  folgten,  der  Syraku- 
saner  Anliochos,  des  Xenophanes  Sohn,  ein  umfassendes  Werk  über 
die  Städte  Italiens  und  Siciliens,  das  schon  Thukydides  benutzt  zu 
haben  scheint,  ein  Werk,  das  wir  am  schmerzlichsten  entbehren,  wenn 
wir  uns  ein  geschichtliches  Bild  von  dem  westlichen  Griechenland  zu 
entwerfen  suchen. 

Was  die  Gesamtverfassung  der  Insel  betrifft,  so  hielten  für's  Erste 
alle  Städte  zusammen,  die  dorischen  wie  die  ionischen,  und  beschickten 
gemeinsame  Landtage,  um  sich  zu  einer  gleichen,  nationalen  Politik  zu 
vereinigen.  Auch  mit  den  Sikulern  lebten  die  hellenischen  Städte  in 
friedlichem  Einverständnisse,  und  selbst  gegen  die  heimathlos  ge- 
wordenen Söldner  war  man  so  grofsmüthig,  dass  man  ihnen  im  Ge- 
biete von  Zankle  einen  Platz  einräumte,  wo  sie  eine  eigene  Nieder- 
lassung gründeten.  Indessen  hatte  diese  glückliche  Zeit  nationaler  Er- 
hebung und  Einmüthigkeit  keine  lange  Dauer;  die  Uebel  der  Tyrannis 
waren  glücklich  beseitigt,  aber  damit  auch  die  grofsen  Zwecke  vereitelt. 


Digitized  by  Google 


DIE  HELLENEN   IN  ITALIEN. 


563 


welche  die  Tyrannen  von  Akragas  und  Syrakus  erstrebt  hatten,  die 
Ausgleichung  der  Stammesunterschiede,  die  Verschmelzung  der  sici- 
lischen  Griechen  zu  einem  Volke,  die  Vereinigung  ihrer  gesamten  Hülfs- 
kräfle  zu  einer  Reichsmacht,  die  allen  auswärtigen  Feinden  Trotz  bieten 
und  alle  auswärtige  Einmischung  verhindern  sollte.  Die  Insel  ging 
wieder  in  Einzelstaaten  aus  einander;  die  Wehrkraft  der  Staaten  verfiel, 
und  die  Volksherrschaft  war  überall  von  den  gröfsten  Unordnungen 
begleitet,  da  die  Gemeinden  keine  Zeit  gehabt  hatten,  sich  allmählich 
an  die  Freiheiten  zu  gewöhnen.  Darum  rissen  alle  Uebel  der  Demo- 
kratie, Parteigeist,  Zuchtlosigkeit  und  gehässige  Anfeindung  der  Wohl- 
habenden schnell  ein  und  verzehrten  die  Kraft  der  Gemeinden,  denen 
keine  höheren  Ziele  vorschwebten.  Gleichzeitig  erwachte  die  Eifersucht 
der  Dorier  und  lonier  von  Neuem;  die  Sikuler  erhoben  sich  zu  immer 
keckeren  Ansprüchen,  und  nach  der  gewaltsamen  Unterbrechung  des 
allgemeinen  Rechlszustandes,  welche  die  Tyrannis  herbeigeführt  hatte, 
war  es  nun  um  so  schwieriger,  zu  festen  Verfassungszuständen  zu  ge- 
langen 10°). 

In  Italien  kann  noch  weniger  als  in  Sicilien  von  einer  Gesamt- 
geschichte der  griechischen  Städte  die  Rede  sein.  Denn  hier  ist  weder 
durch  die  amphiktyonischen  Heiliglhümer  (I,  433)  noch  durch  vor- 
wiegende Macht  einzelner  Städte  eine  dauernde  Verbindung  zu  Stande 
gekommen.  Hier  war  im  Ganzen  eine  noch  viel  ärgere  Zersplitterung 
der  hellenischen  Volkskräfte  und  ein  schrofferer  Gegensatz  zwischen 
den  Städten  ächäischer,  dorischer  und  ionischer  Herkunft,  welche  in 
dichter  Reihe  neben  einander  aufgeblüht  waren. 

Während  der  ersten  zwei  Jahrhunderte  nach  ihrer  Gründung  ist 
diese  Blüthe  der  Städte  auf  dem  überschwänglich  reichen  Boden  Grofs- 
griechenlands  zur  Entfallung  gekommen.  Die  Geschichte  dieser  Ent- 
wickelung,  welche  Anliochos  geschrieben  halte,  ist  uns  verloren,  so 
dass  als  Hauptquelle  nur  die  Münzen  übrig  sind,  welche  den  hohen 
Wohlstand  der  Städte,  die  Gottesdienste  derselben  so  wie  ihren  Zu- 
sammenhang unter  einander  bezeugen.  Denn  die  dünn  geschlagenen 
und  mit  Schrift  versehenen  Silberstücke  der  achäischen  Slädte,  die 
einerseits  vertieft,  andererseits  erhaben  geprägt  sind,  beweisen  im 
Gegensatze  zu  den  dicken  Metallstücken  des  Mutterlandes,  wie  geschickt 
man  hier  bereits  im  siebenten  Jahrhundert  v.  Chr.  den  Falschmünzern 
das  Handwerk  zu  legen  wusste.  Von  der  politischen  Bildung  der  itali- 

36* 


Digitized  by  Google 


564 


SCHICKSALB  DER  ITA  LISCH  Elf  STÄDTE. 


sehen  Gemeinden  zeugen  ihre  Gesetzgebungen  (I,  547),  von  der  Macht 
derselben  die  Pflanzstädte  an  der  westlichen  Küste;  die  Burger  von 
Sybaris,  Kroton  und  Lokroi  herrschten  an  beiden  Meeren  der  Halb- 
insel. So  wie  aber  die  Städte  aus  den  dunkeln  Jahrhunderten  ihrer 
allmählichen  Machtentfaltung  heraustreten,  finden  wir  sie  in  heaiger 
Eifersucht  gegen  einander  entbrannt,  so  dass  der  Boden  Grofsgriechen- 
lands  zu  einem  Schauplätze  der  blutigsten  Kämpfe  zwischen  helleni- 
schen Nachbarstädten  wurde.  Ja,  in  keinem  Theile  der  griechischen 
Welt  finden  wir  so  furchtbare  Zerstörungen,  so  schroffe  Uebergänge 
aus  der  Fülle  menschlichen  Glücks  in  tiefstes  Elend  und  vollständige 
Verödung. 

Zuerst  sind  die  achäischen  Städte  die  mächtigsten  gewesen, 
Sybaris,  Kroton  und  Metapont;  sie  suchten  gemeinschaftlich  die  Nieder- 
lassungen der  anderen  Stämme  zu  überwältigen  und  in  Folge  dieser 
Verbindung  ist  das  altionische  Siris  zwischen  Metapont  und  Sybaris 
von  Grund  aus  zerstört  worden  (um  Ol.  50;  5S0  v.  Chr.).  Dann 
zerfielen  die  achäischen  Städte  unter  einander;  Kroton  und  Sybaris 
bekriegten  sich,  und  die  letztere  Stadt  wurde  so  vollständig  besiegt, 
dass  die  Krotoniaten  den  Krathisfluss  über  die  Stätte  derselben 
leiteten,  um  jede  Spur  der  Stadt  zu  vertilgen  (Ol.  67,  3;  510).  So 
waren  schon  vor  der  Zeit  der  Perserkriege  die  beiden  Städte,  die  wir 
in  der  Fürstenhalle  des  Kleislhenes  (I,  250)  als  die  glänzendsten 
Griechens lädte  Unteritaliens  kennen  gelernt  haben,  vom  Erdboden  ver- 
schwunden. 

Der  Fall  von  Sybaris  war  aber  auch  den  Siegern  verderblich.  Nach 
der  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts  v.  Chr.  erfolgte  eine  vollständige 
Zerrüttung  der  achäischen  Städte;  in  stürmischen  Volksbewegungen 
wurde  der  Einfluss  der  Pythagoreer,  welcher  Kroton  stark  und  grofs 
gemacht  hatte,  und  damit  die  Macht  der  aristokratischen  Familien 
vernichtet  (I,  548 f.).  Aufruhr  und  Blutvergiefsen  herrschte  lange  Zeit. 
Aus  den  verschiedensten  Theilen  Griechenlands  kamen  Gesandtschaften, 
um  Rath  und  Hülfe  zu  bringen,  und,  da  es  den  Achäern  nicht  gelang 
aus  eigener  Kraft  in  geordnete  Zustände  zurückzukehren,  so  halfen 
ihnen  zuletzt  die  Städte  des  Mutterlandes  Achaja,  deren  politische 
Satzungen  von  den  Colonien  angenommen  wurden;  eine  Thatsache,  die 
wir  von  Polybios  erfahren,  ohne  dass  wir  im  Stande  sind,  die  Zeit,  in 
welcher  diese  Annäherung  erfolgte,  und  die  Zeitverhältnisse  genauer  zu 
bestimmen101). 


Digitized  by  Google 


KÄMPFE  UNTEn  DEN  STÄDTEN. 


565 


Im  Ganzen  ist  die  Geschichte  Grofsgriechenlands  von  der  des 
Mutterlandes  getrennt  geblieben,  und  obgleich  die  italischen  Städte 
deutlich  genug  erfahren  hatten,  dass  auch  auf  sie  die  Eroberungsgelüste 
des  Perserkönigs  gerichtet  waren,  kam  doch  nur  ein  einziges  Schiflf 
den  Hellenen  bei  Salamis  zu  Hülfe,  das  SchifT  des  Krotoniaten  Phayllos. 
Die  Kraft  seiner  Vaterstadt,  welche  so  lange  allen  Hellenen  als  Muster 
vorgeleuchtet  hatte,  der  Heimath  des  Demokedes  (I,  611)  und  des 
Milon,  der  Stadt,  welche  mehr  Kränze  aus  Olympia  davongetragen 
hatte  als  irgend  eine  andere  Griechenstadt,  war  durch  Bürgerzwist 
und  Niederlagen  gebrochen.  Mit  der  Verödung  der  Ringschulen  schwand 
auch  die  Wehrkraft  und  der  Siegesmuth  der  Krotoniaten.  Dazu  kam, 
dass  um  dieselbe  Zeit,  da  die  Punier  Sicilien  und  die  Perser  Hellas  be- 
drängten, auch  die  italischen  Völker  in  massenhafter  Bewegung  gegen 
das  griechische  Küstenland  begriffen  waren,  namentlich  die  Iapygier 
oder  Messapier  (I,  423)  nebst  den  ferner  wohnenden  Peuketiern. 

Tarent  war  nach  dem  Verfalle  der  achäischen  Städte  die  glän- 
zendste Stadt  Grofsgriechenlands,  der  Hauptsitz  des  unteritalischen 
Handels.  Sein  üppiger  Reichthum  lockte  vorzugsweise  die  Barbaren, 
und  trotz  der  Hülfe,  welche  die  Rheginer  leisteten,  erlitt  die  Stadt  eine 
schwere  Niederlage,  die  gröfste  Niederlage  hellenischer  Völker,  welche 
Herodot  kannte,  um  Ol.  76,  4  (473). 

So  wurde  um  dieselbe  Zeit,  da  Hieron  die  Tyrrhener  besiegte,  die 
Ostküste  Italiens  bis  zum  sicilischen  Sunde  hin  den  Barbaren  Preis  ge- 
geben. Indessen  war  die  Macht  von  Tarent  nicht  gebrochen.  Die 
alten  Familien  der  Stadt  wurden  zwar  in  diesem  Kampfe  aufgerieben, 
aber  nun  kamen  auch  hier  die  Bewegungen  zum  Durchbruche,  welche 
seit  dem  Ende  des  sechsten  Jahrhunderts  v.  Chr.  durch  die  ganze 
griechische  Welt  gingen.  Die  unteren  Volksklassen  gewannen  Antheil 
an  der  Staatsverwaltung,  und  mit  der  Umwandlung  der  aristokratischen 
Verfassung  in  eine  demokratische  erfolgte  ein  kräftiger  Aufschwung, 
so  dass  die  Tarentiner  den  Kampf  mit  Glück  erneuerten  und  um 
Ol.  78  und  80  in  Delphi  grofse  Siegesdenkmäler  aufstellen  konnten, 
Werke  des  Ageladas  und  Onalas,  welche  die  tapferen  Kämpfe  zu  Ross 
und  zu  Fufs  gegen  die  Barbaren  in  Erzgruppen  darstellten10*). 

Nach  Besiegung  der  Barbaren  brachen  hier  wie  im  Mutterlande 
die  Streitigkeiten  zwischen  den  griechischen  Städten  von  Neuem  aus. 
Eine  Hauptursache  des  Zwistes  war  Sybaris,  dessen  Bürger  auch  in  der 
Zerstreuung  nicht  aufhörten,  die  Wiederherstellung  ihrer  Stadt  zu  er- 


Digitized  by  Google 


566 


ATHEN  UND  ITALIEN. 


streben.  Bei  dem  ersten  Versuche  um  Ol.  76,  1  (476)  hofften  sie  auf 
Syrakus,  und  Hieron  wollte  sie  mit  Ueeresmacht  gegen  Kroton  unter- 
stützen, aber  der  Hülfzug  unterblieb,  und  die  Sybariten  erlagen  zum 
zweiten  Mal.  Dann  sammelten  sie  sich  58  Jahre  nach  der  Zerstörung 
ihrer  Stadt  von  Neuem  aus  ihren  Pflanzstädten  (S.  258),  wurden  aber 
schon  im  fünften  Jahre  (83,  2;  447)  aus  ihrem  wieder  gewonnenen 
Wohnsitze  durch  die  Kroloniaten  verdrängt.  Ihr  Muth  war  noch  nicht 
gebeugt.  Sie  wendeten  sich  jetzt  nach  dem  Multerlande  und  zwar  erst 
nach  Sparta,  dann  nach  Athen,  und  dies  HülfVgesuch  wurde  nun  die 
Veranlassung,  dass  von  Hellas  Unternehmungen  ausgingen,  welche 
zum  ersten  Male  auf  nachhaltige  Weise  in  die  Geschichte  GroCs- 
griechenlands  eingriffen. 


Im  Ganzen  bat  die  Bekanntschaft  des  Mutterlandes  mit  der  west- 
lichen Halbinsel  langsame  Fortschritte  gemacht,  auch  bei  den  Athenern, 
so  dass  eine  Fahrt  nach  dem  adriatischen  Meere  lange  Zeit  auch  bei 
ihnen  der  sprichwörtliche  Ausdruck  für  ein  keckes  Wagniss  blieb- 
Erst  als  sie  mit  Ionien  in  engere  Beziehung  traten,  rückte  ihnen  auch 
Italien  näher,  das  mit  den  ionischen  Seestädten  seit  alter  Zeit  in  den 
genauesten  Verbindungen  gestanden  hatte,  wie  namentlich  Sybaris  mit 
Milet.  Die  Reize  Italiens  wurden  nun  mehr  und  mehr  bekannt,  und 
besonders  waren  es  die  Kornfluren  von  Siris,  welche  von  den  Athenern 
in's  Auge  gefasst  wurden,  seit  sie  zu  einem  Flottenstaate  geworden 
waren.  Auf  diese  altionische  Gegend,  deren  Schönheit  der  Dichter 
Archilochos  gepriesen  hatte,  glaubten  sie  ein  Anrecht  zu  haben;  Orakel- 
sprüche waren  im  Umlaufe,  welche  ihnen  diesen  Besitz  zuwiesen,  und 
als  sie  eine  Zeitlang  darauf  gefasst  sein  mussten,  wie  die  Bürger  von 
Phokaia,  ihrer  Heimalh  zu  entsagen,  waren  sie  entschlossen,  nach  Siris 
auszuwandern,  wie  Themistokies  dem  Eurybiades  erklärte  (S.  77).  Der 
große  Staatsmann  war  in  seinen  Gedanken  mit  den  fernen  West- 
gestaden viel  beschäftigt,  so  dass  er  zwei  seiner  Töchter  nach  ihnen 
benannte,  die  eine  llalia,  die  andere  Sybaris.  Was  er  im  Sinne  trug, 
wurde  auch  auf  diesem  Gebiete  durch  Perikles  ausgeführt,  welcher  die 
attischen  Beziehungen  zum  Westen  mit  sicherer  Hand  förderte.  Es 
wurden  ausgezeichnete  Sikeliolen  nach  Athen  berufen  (S.  268).  Es  ' 
wurden  Bündnisse  mit  einzelnen  Städten  geschlossen,  wie  mil  Rhegion 
(86,  4);  es  wurde  endlich  unter  Athens  Leitung  eine  hellenische  Co- 
lonie  in  das  Gebiet  der  Sybariten  geführt108). 


Digitized  by  Googl 


TARENT  UND  THÜRIOI 


567 


Die  Gründung  von  Thurioi  sollte  allerdings  keine  Kriegsunter- 
nehmung sein,  sondern  ein  Friedenswerk  und  zur  Versöhnung  des 
alten  Stammhaders  dienen.  Dazu  schien  dieser  Boden  besonders 
günstig,  weil  hier  von  Anfang  eine  gröbere  Mischung  stattgefunden 
hatte  und  auch  in  der  einzigen  dorischen  Stadt,  in  Tarent,  nichts 
weniger  als  ein  schroffer  Dorismus  herrschte.  Auch  schloss  sich 
Thurioi  einheimischen  Stadtordnungen,  wie  den  Gesetzen  des  Cha- 
rondas,  an;  Athen  selbst  trat  als  Schutzmacht  der  neuen  Ansiedelung 
mit  grofser  Vorsicht  auf  und  vermied  Alles,  was  herrschsüchtige  Ab- 
sichten hätte  verrathen  können.  Dennoch  konnte  das  Werk  nicht  ohne 
Kampf  vorwärts  gehen;  denn  die  Eifersucht  der  italischen  Städte 
wurde  auf  das  Lebhafteste  erregt.  Vor  Allen  waren  es  die  Tarentiner, 
welche  darin  einen  Versuch  sahen,  das  Uebergewicht  ihrer  Stadt, 
welcher  in  Grofsgriechenland  keine  ebenbürtige  Macht  mehr  gegen- 
überstand, zu  beschränken  und  ihre  weitere  Ausbreitung  zu  hemmen, 
um  so  mehr,  da  die  neue  Stadt  sehr  rasch  aufblühte  und  sich  mit  den 
Städten  achäischen  Ursprungs  in  Verbindung  setzte.  So  mussten  also 
die  Thuriaten  auch  als  Feinde  von  Tarent  an  die  Stelle  von  Sybaris 
treten,  und  von  Neuem  entbrannten  die  Nachbarfehden  um  die  GeGide 
von  Siris,  da  die  Thuriaten  die  alten  Ansprüche  ihrer  Mutterstadt  ver- 
wirklichen wollten.  Es  war  ein  seltsames  Zusammentreffen,  dass  ihr 
Feldherr  in  diesem  Kampfe  gegen  die  dorische  Stadt  ein  Lakedämonier 
war,  nämlich  jener  Kleandridas,  welcher  von  Sparta  verbannt  war,  weil 
er  sich  von  Perikles  hatte  bestechen  lassen  (S.  179).  Es  kam  schliefs- 
lich  zu  einem  Theilungsvertrage ,  wobei  den  Tarenlinern  das  Kecht 
zugestanden  wurde,  auf  ihrem  Anlheile  der  Siritis  eine  Colonie  zu 
gründen,  während  die  Thuriaten  die  alte  Herrschaft  von  Sybaris 
(I,  432)  herzustellen  suchten  und  ihr  Gebiet  bis  an  das  tyrrhenische 
Meer  vorschoben. 

Durch  die  Gründung  von  Thurioi  waren  die  Beziehungen  zwischen 
Athen  und  Grofsgriechenland  sehr  lebhaft  geworden.  Thurioi  bedurfte 
immer  [frischer  Kräfte,  und  bis  in  die  Mitte  des  peloponnesischen 
Kriegs  siedelten  viele  Athener  über,  theils  auf  öffentliche  Veranlassung, 
theils  aus  persönlichen  Antrieben;  namentlich  'wohlhabende  Schutz- 
bürger, welche  sich  zu  Hause  durch  das  Unwesen  der  Sykophantie  be- 
lästigt fühlten;  auch  von  den  Bundesgenossen  wanderten  Manche  aus, 
welche  die  Herrschaft  Athens,  die  Erhöhung  der  Tribute  und  Anderes 
schwer  empfanden.    Aber  nicht  blofs  Unzufriedenheit  trieb  die  Hel- 


Digitized  by  Google 


56S 


WANDKRUNG   NACH  ITALIEN 


lenen  über  das  Meer,  sondern  auch  ein  allgemeiner  Zug  nach  den 
besperischen  Ländern,  welcher  in  jener  Zeit  sehr  lebhaft  und  weit 
verbreitet  war,  der  mannigfaltige  Reiz,  den  das  jenseitige  Land 
für  wanderlustige  Leute  hatte,  der  Ruhm  der  herrlichen  Städte, 
in  denen  üppige  Pracht  sich  so  glänzend  entfaltet  halte ,  die  gröfsere 
Wohlfeilheit  des  Lebens,  welche  in  den  korn-  und  heerdenreichen 
Landschaften  herrschte,  und  endlich  auch  die  mannigfaltige  uud 
eigenlhümliche  Bildung,  welche  dem  Wohlstande  der  Städte  ge- 
folgt war. 

So  halte  sich  aus  der  Festlust  der  Taren  Ii  ner  (I,  457)  eine  Gat- 
tung heiterer  Dichtkunst  entwickelt,  welche  in  dramatischen  Spielen 
die  Gestalten  der  Volkssage,  Götter  wie  Heroen,  mit  Scherz  und  Spott 
behandelte  und  dabei  Züge  des  täglichen  Lebens  in  lustiger  Weise  ein- 
zuweben wusste.  Es  waren  Dichtungen,  welche  der  sprudelnden  Laune 
ihre  Entstehung  verdankten  und  daher  immer  den  frischen  Charakter 
von  Improvisation  behielten.  Aber  auch  der  Ernst  fehlte  nicht;  auch 
ernste  Wahrheiten  wurden  mit  lachendem  Munde  dem  Publikum  mil- 
getheilt.  Denn  die  philosophische  Richtung  hatte  ja  in  Grofsgriechen- 
land  tiefer  als  anderswo  Wurzel  gefasst  und  hier  eine  Bedeutung  für 
das  öffentliche  Leben  gewonnen,  welche  die  denkenden  Köpfe  unter 
den  Griechen  in  hohem  Grade  beschäftigte.  Darum  suchten  Viele  die 
Heimath  der  pytliagoreischen  Weisheit  auf  und  bewunderten  besonders 
die  Männer,  welche  musische  und  gymnastische  Bildung  so  zu  ver- 
binden wussten ,  wie  der  berühmte  Ikkos  aus  Tarent,  welcher  in  der 
Zeit  nach  den  Perserkriegen  den  olympischen  Kranz  gewann,  der  erste 
Meister  gymnastischer  Kunst  unter  den  Hellenen  und  zugleich  ein 
Weiser  von  anerkanntem  Rufe.  Die  griechischen  Schiffe  wurden 
immer  heimischer  in  den  westlichen  Meeren  ;  Euktemon  (S.  281),  der 
Genosse  Metons,  stellte  schon  über  die  Heraklessäulen  genaue  Ansichten 
auf,  und  der  Handel  verband  die  westlichen  Golonien  immer  enger  mit 
Athen,  nachdem  die  Ausgleichung  des  Münzfufses  den  Verkehr  wesent- 
lich erleichtert  hatte104). 

In  Italien  war  nämlich  das  Kupfer  der  allgemeine  Werlhmesser ; 
das  Pfund  Kupfer,  libra  (litra),  in  12  Unzen  gelheilt,  bildete  die  Ein- 
heil des  Geldes  und  Gewichts,  und  das  darnach  geregelte  Münzsystem 
verbreitete  sich  auch  nach  Sicilien.  Die  griechischen  Kautleute  und 
Colon  isten  fanden  dasselbe  ausgebildet  vor,  sie  brachten  ihre  einhei- 
mischen Geldsorten  mit  herüber,  und  diese  gewannen  nun  neben  ein- 


Digitized  by  Google 


münzvekhXltnisse. 


569 


ander  Eingang.  Die  wichtigsten  Einwirkungen  gingen  aber  von  Ko- 
rinth  uud  von  Athen  aus. 

Korinth  hatte  sich  im  Anschlüsse  an  das  in  Kleinasien  geltende 
babylonische  Goldgewicht  schon  frühzeitig  sein  eigenes  Münzsystem  ge- 
bildet ;  es  hatte  vor  Athen  die  Goldwährung  auf  das  Silber  übertragen, 
und  der  korinthische  Silberslater  bürgerte  sich  mit  seinem  kleinasia- 
tiscben  Theilungssysteme  in  Dritteln,  Sechsteln  und  Zwölfteln  bei 
den  Achäern  in  Italien,  den  Krotoniaten,  Sybariten  u.  a.  ein.  Auf  die 
Dauer  konnten  aber  die  fremde  und  einheimische  Währung  nicht  so 
unvermittelt  neben  einander  stehen,  und  im  Interesse  des  Verkehrs 
gaben  die  Koriniher  ihre  alte  Eintheilung  auf  und  setzten  den  Staler 
(Zweidrachmenstück)  zu  10  Lilren  an  und  ein  Zehntel  desselben 
prägten  sie  als  Silbermünze  (nomos,  nummus)  aus,  welche  also  das 
Aequivalent  von  einem  Pfund  Kupfer  war.  So  haben  die  Koriniher, 
als  die  geborenen  Vermittler  von  Ost  und  West,  die  drei  Werlhmetalle 
der  alten  Welt  in  ihrer  Währung  zuerst  mit  einander  in  Verbindung 
gesetzt  uud  das  italische  Litrensystem  mit  dem  Drachmen  Systeme 
verschmolzen ;  ja  sie  haben  auch  in  der  eignen  Heimath  nach  Lilren 
gerechnet.  Neben  den  Korinthern  haben  die  Athener  mit  ihrem 
Münzfufse  im  Westen  Eingang  gewonnen,  namentlich  in  Etrurien,  in 
Taren t  und  in  Sicilien.  Auch  haben  sie  gerade  um  die  Zeit,  als  ihre 
Beziehungen  zu  Unteritalien  recht  lebhaft  wurden,  ihre  Abneigung 
gegen  das  Kupfergeld  überwunden.  Der  durch  die  Einführung  des- 
selben bekannte  Staatsmann  und  Dichter  Dionysios  der  'Kupfermann', 
war  einer  von  den  Führern  der  Colonie  Thurioi105). 

Je  näher  aber  in  jeder  Beziehung  der  Westen  den  Athenern  ge- 
rückt wurde,  um  so  natürlicher  war  es,  dass  in  Athen  auch  andere 
Pläne  auftauchten,  dass  man  es  nicht  bei  der  perikleischen  Politik  be- 
wenden lassen  wollte,  welche  nur  auf  friedlichem  Wege  das  Ansehen 
der  Stadt  im  westlichen  Meere  geltend  gemacht  halte,  dass  man  auch 
als  herrschende  Macht  dort  aufzutreten  dachte.  Solche  Pläne  sollten 
bald  auch  durch  Bündnisse,  die  mit  einzelnen  Staaten  geschlossen 
wurden,  Nahrung  erhalten.  Als  Kerkyra  in  den  atiischen  Bund  auf- 
genommen wurde,  hatte  man  da^ei  schon  Sicilien  und  Italien  im  Auge 
(S.  366).  In  dem  Hasse  gegen  Korinth  lag  ein  fortwährender  Antrieb 
zu  Eroberuugsplänen  auf  dem  Gebiete  korinthischer  Colonisalion.  Um 
diese  Pläne  zur  Ausführung  zu  bringen,  bedurfte  es  also  nur  einer 
günstigen  Gelegenheit,  welche  die  Eiumiscbung  Athens  in  die  inneren 


Digitized  by  Google 


57Ü 


.NEUE  GEGENSÄTZE  IN  SICILIEN. 


Verhältnisse  der  Colonien  veranlassen  konnte,  und  diese  Veranlassung 
ging  von  Sicilien  aus. 


Sicilien  konnte  nicht  zu  dauernder  Ruhe  gelangen.  Da  war  zu 
viel  Gährungsstoflf  vorhanden,  theils  in  den  einzelnen  Städten,  in  denen 
Versuche  gemacht  wurden  die  Tyrannis  zu  erneuern,  theils  in  den  Be- 
ziehungen der  Städte  zu  einander,  theils  endlich  in  denen  der  griechi- 
schen Städte  zu  den  Sikulern.  Denn  diese  hallen  in  Duketios  (S.  560) 
zum  ersten  Male  einen  persönlichen  Mittelpunkt  gefunden,  und  dieser 
Mann  begnügte  sich  nicht,  als  kecker  Häuptling  die  unwegsamen  Ge- 
birgsdistrikte  zu  benutzen,  um  einzelne  Angriffe  auf  die  Küstenstädte 
auszuführen,  sondern  er  suchte  nach  hellenischer  Weise  Städte  zu 
gründen,  und  zwar  vereinigte  er  zuerst  eine  sikulische  Stadtgemeinde 
bei  Palikoi,  einem  durch  vulkanische  Erscheinungen  ausgezeichneten 
und  von  den  Eingeborenen  heilig  gehaltenen  Platze  westlich  von 
Leontinoi.  Es  gelang  ihm  selbst  die  vereinigten  Truppen  von  Akragas 
und  Syrakus  zu  schlagen,  und  nachdem  er  dann,  von  den  Griechen 
besiegt,  eine  Zeitlang  Sicilien  hatte  meiden  müssen,  benutzte  er  die 
Entzweiung  der  beiden  Städte,  um  an  der  Nordseite  der  Insel  eine 
neue  Stadt  zu  gründen,  Kaie  Akte  'Schönküste'  genannt,  als  festen  und 
wohlgelegenen  Mittelpunkt  eines  sikulischen  Reichs.  Aber  ehe  er 
seinem  Werke  einen  festen  Bestand  sichern  konnte,  starb  er  in  seiner 
neuen  Residenz  Ol.  85,  1  (440),  und  die  Syrakusaner,  welche  in- 
zwischen Akragas  gedemüthigt  hatten,  konnten  nun  ohne  grofse 
Schwierigkeit  alle  Unabbängigkeitsbestrebungen  der  Sikuler  unter- 
drücken und  alle  Plätze  derselben  in  der  Nähe  ihres  Gebiets  sich 
unterwerfen. 

Syrakus  war  mächtiger  als  je  zuvor.  Es  erneuerte  also  die  Pläne 
einer  die  ganze  Insel  umfassenden  Herrschaft;  Reiterei  und  Seemacht, 
die  seit  der  Tyrannenzeit  vernachlässigt  waren,  wurden  wieder  ver- 
mehrt; die  sikulischen  Orte  wurden  mit  Härte  und  die  clialkidischen 
Städte  mit  rücksichtslosem  Uebermuthe  behandelt.  Die  Folge  war, 
dass  die  alte  Abneigung  der  Stämme  gegen  einander,  welche  bei  dem 
gemeinsamen  Kampfe  wider  die  Tyrannen  eine  Zeitlang  zurückgetreten 
war,  von  Neuem  sich  gellend  machte,  und  zwar  um  dieselbe  Zeit,  als 
die  Gegensätze  zwischen  Doriern  und  Ioniern  durch  den  Ausbruch  des 
peloponnesischen  Kriegs  in  der  ganzen  hellenischen  Welt  wieder  er- 
weckt und  geschärft  wurden. 


Digitized  by  Google 


GESANDTSCHAFT  DES  GORGIAS 


571 


Sparta  trat  mit  den  dorischen  Inselstaaten  in  Verbindung  (S. 
382),  und  wenn  auch  die  sicilischen  Stadtgemeinden  sich  viel  gleich- 
gültiger und  theilnahrnloser  zeigten,  als  die  Spartaner  gehofft  und  die 
Korinther  den  Spartanern  vorgespiegelt  hatten,  so  entwickelte  sich 
doch  auch  in  Sicilien  eine  immer  schroffere  Parteistellung  zwischen 
den  Anhängern  der  attischen  und  der  peloponnesischen  Sache,  nament- 
lich seitdem  die  Athener  im  ionischen  Meere  Macht  gewannen  und  mit 
ihren  Stammgenossen  jenseits  desselben  in  nähere  Verbindung  traten. 
So  wurde  bereits  Ol.  86,  4  (433)  eine  Bundesgenossenschaft  mit 
Rhegion  abgeschlossen.  Um  dieselbe  Zeit  wendeten  die  Gesandten  der 
Kerkyräer  das  Augenmerk  der  Athener  auf  die  westliche  Griechen  weit 
und  kamen  dadurch  den  Plänen  entgegen,  welche  die  äufsersle  Partei 
der  Demokraten  schon  zu  Perikles'  Lebzeiten  gefasst  hatte. 

Als  nun  durch  den  Uebermuth  von  Syrakus  die  Chalkidier 
Siciliens  immer  rücksichtsloser  bedrängt  wurden,  kam  es  auch  in 
Sicilien  zu  einer  offenen  Spaltung;  es  bildete  sich  ein  doppeltes  Heer- 
lager, zwei  Kriegsparleien  standen  sich  auch  hier  gegenüber.  Einer- 
seits die  ionischen  Städte,  Leontinoi,  Katane  und  Naxos,  denen  sich 
Rhegion  anschloss  und  auch  das  dorische  Kamarina,  welches  nach 
Vertreibung  der  Tyrannen  wieder  hergestellt  worden  war;  denn  der 
Hass  gegen  Syrakus,  von  dem  man  eine  dritte  Aufhebung  der  Stadt- 
gemeinde besorgen  musste,  überwog  die  Stammgefühle  und  trieb 
Kamarina  in  das  Lager  der  chalkidischen  Ionier.  Auf  der  anderen  Seite 
standen  die  dorischen  Colonien  nebst  Lokroi,  das  sich  schon  früher  an 
Sparta  angeschlossen  hatte.  Die  Leontiner,  zu  Lande  wie  zu  Wasser 
von  Syrakus  bedrängt,  thaten  den  entscheidenden  Schritt,  indem  sie 
im  fünften  Kriegssommer  (Ol.  88,  1;  427)  eine  Gesandtschaft  nach 
Athen  schickten  und  um  Unterstützung  nachsuchten lue). 

Der  Führer  dieser  Gesandlschaft  war  Gorgias,  damals  schon 
ein  Sechziger;  aber  auch  er  gehörte  zu  den  Hellenen,  deren  geistige 
Bedeutung  und  Wirksamkeit  durch  eine  aufserordentliche  Lebens- 
kraft gelragen  war  (S.  308).  Es  war  eine  stattliche  Persönlichkeit 
voll  Zuversicht  und  Selbstvertrauen,  wie  Empedokles,  dem  er  auch 
in  seiner  Bildung  sich  angeschlossen  halle.  Denn  er  war  ein  Mann 
von  gröfster  Vielseitigkeit,  in  der  Naturphilosophie  bewandert  so 
wohl  wie  in  der  Dialektik  der  Eleaten.  Diese  philosophische  Bil- 
dung benutzte  er  aber  vorzugsweise  zu  praktischen  Zwecken,  indem 
er  durch  überraschende  Gedankenverbindungen,  durch  unerwartete 


Digitized  by  Google 


572 


GESANDTSCHAFT  UES  GOJMJf  AS 


Schlösse  und  Beweisführungen  sich  der  Gemülher  bemächtigte  und 
die  Entschließungen  der  Zuhörer  bestimmte.  Er  gehörte  durchaus 
der  sophistischen  Richtung  an,  aber  er  wollte  kein  Weisheitslehrer 
sein  wie  Prodikos  und  kein  Encyklopädist  und  Polyhistor  wie 
Hippias,  sondern  er  wollte  nur  Rhetor  sein  nach  Art  des  Korax 
und  Tisias  (S.  562) ,  als  Redner  wirken  und  Andere  zu  Rednern 
bilden.  Je  mehr  er  aber  auf  diesen  Zweck  alle  Kräfte  vereinigte,  um  so 
vollendeter  war  die  Meisterschaft,  welche  er  hierin  erreichte,  und 
die  Athener  wussten  den  glänzenden  Eindruck  derselben  in  vollem 
Mafse  zu  würdigen. 

Es  war  etwas  ganz  Neues  für  sie;  denn  die  Reden  des 
Gorgias  bildeten  einen  aulfallenden  Gegensalz  zu  der  keuschen 
Haltung  und  dem  kernigen  Inhalte  perikleischer  Beredsamkeil;  sie 
wirkten  wie  eine  bezaubernde  Musik  auf  die  Sinne  der  Athener, 
bei  denen  er  sich  in  Privatkreisen  wie  auch  im  Theater  hören 
liefs;  sie  wirkten  durch  eine  hinreifsende  Anmuth,  durch  eine 
Fülle  von  Bildern,  durch  geistreiche  Wendungen,  durch  poetische 
Färbung,  durch  reichen  Schmuck  und  schwungvolle  Diktion;  die 
Gedanken  wurden  in  rhythmischer  Gliederung  an  einander  gereiht, 
fein  ersonnene  Gegensätze  erhielten  die  Aufmerksamkeit  in  lebhafter 
Spannung;  man  hatte  den  Eindruck  eines  vollendeten  Kunstwerks. 

Es  war  daher  von  grofser  Bedeutung,  dass  eine  so  ausgezeich- 
nete Persönlichkeit  an  der  Spitze  der  Gesandlschaft  stand.  Aber  das 
Anliegen  der  bedrängten  Leontiner  halle  auch  an  und  für  sich  eine 
unverkennbare  Wichtigkeit;  denn  wenn  der  schwache  Ueberrest  ioni- 
scher Bevölkerung  in  Sicilien  vollständig  überwältigt  wurde,  so  war  dies 
bei  der  damaligen  Spaltung  der  Nation  eine  Niederlage  der  altischen 
Politik,  den  Peloponnesiern  aber  erwuchs  in  Syrakus,  wenn  es  seine 
Herrschaftspläne  durchführte,  ein  mächtiger  Bundesgenosse,  der  allein 
schon  durch  Kornzufuhr  den  Feinden  Athens  den  gröfsten  Vorschub 
leisten  konnte10**). 

Die  Athener  gingen  entschlossen,  aber  vorsichtig  zu  Werke.  Sie 
schickten  gegen  Ende  des  Sommers  427  ein  Geschwader  von  20 
Schiffen  unter  Ladies  und  Charoiades  in  die  sicilischen  Gewässer, 
um  Leonlinoi  zu  schützen,  aber  zugleich  mit  dem  Auftrage,  neue 
Verbindungen  anzuknüpfen  und  das  ganze  Kriegslheater  daselbst 
auszukundschaften.  Rhegion  wurde  ihre  Hauptstation.  Noch  während 
des  Winters  wurde  von  den  Athenern  ein  Versuch  gemacht,  *  sich 


Digitized  by  Google 


DIE   ATHENER   I>  SICILIEN. 


573 


der  Hparischen  Inseln  (I,  439)  zu  bemächtigen.  Aber  die  kleinen 
Eilande,  deren  Wehrkraft  sich  in  den  Kämpfen  mit  den  Tyrrhenern 
geübt  hatte,  leisteten  einen  unerwarteten  Widerstand  und  gaben  den 
Athenern  einen  Maisslab  für  die  Energie  und  Macht,  welche  in 
den  dorischen  Pflanzorten  vorhanden  war.  Nicht  besseren  Erfolg 
hatte  ein  zweiler  Angriff  auf  diese  Inseln  im  nächslen  Winter 
(426 — 25).  Nachdem  Charoiades  in  einem  Kampf  wider  die  Syra- 
kusaner  gefallen  war  (426),  hatte  Ladies  allein  den  Oberbefehl.  Es 
wurden  Streifzüge  in's  Innere  Siciliens  unternommen,  wobei  sich 
zeigte,  dass  man  unter  den  Sikulern,  welche  den  Syrakusanern 
unterworfen  waren,  zahlreiche  Bundesgenossen  hatte;  es  wurden 
Angriffe  auf  einzelne  Seeplätze  gemacht,  Mylai  und  dann  auch 
Messana  eingenommen;  aber  ein  bestimmter  Plan  wurde  nicht  ver- 
folgt und  deshalb  nirgends  etwas  Bedeutendes  erreicht.  Statt  den 
Leontinern  Hülfe  zu  bringen,  half  Laches  den  Rheginern  ihre  Fehden 
gegen  die  Epizephyrischen  Lokrer  ausfechten.  Als  daher  eine  zweite 
Gesandtschaft  der  sicilischen  Bundesgenossen  in  Athen  erschien,  und 
um  Verstärkung  des  Geschwaders  bat,  beschloss  man  eine  gröfsere 
Expedition  auszurüsten,  und  schickte  zunächst  Pythodoros  mit  einigen 
Schilfen  voraus,  welcher  als  Stratege  an  Laches'  Stelle  trat. 

Im  nächsten  Frühjahre  (425)  gingen  dann  40  Schiffe  nach  Sicilien 
ab  unter  Eurymedon  und  Sophokles.  Es  war  dieselbe  Flotte,  welche 
Demoslbenes  an  Bord  hatte,  und  für  die  sicilischen  Angelegenheiten 
war  der  Aufenthalt  bei  Pylos,  über  welchen  die  Feldherrn  gleich  An- 
fangs unwillig  waren,  so  wie  der  zweite,  kürzere  in  Kerkyra  (S.  476. 
489)  in  der  That  sehr  nachteilig.  Denn  ein  ganzer  Sommer  ging  da- 
durch verloren.  Messana,  dessen  Bevölkerung  nur  zum  Theil  den 
Athenern  günstig  war,  kam  durch  Verrath  der  Gegenpartei  in  die 
Hände  der  Syrakusaner.  Zwar  roisslang  denselben  der  Plan,  im  Verein 
mit  den  Messeniern  die  Flotte  der  Athener  und  Rheginer  in  der  Meer- 
enge zu  besiegen,  bevor  die  Verstärkung  angekommen  sei,  indem  sie 
sich  dem  Geschwader  des  Pythodoros  doch  nicht  gewachsen  sahen, 
und  auch  ein  Anschlag  auf  Kamarina,  um  diese  Stadt  den  Athenern  ab- 
wendig zu  machen,  wurde  durch  rechtzeitige  Ankunft  der  athenischen 
Schi  flu  vereitelt;  aber  bei  dem  von  den  Leontinern  unterstützten  An- 
griff auf  Messana  richteten  die  Athener  nichts  aus,  und  Pythodoros  ver- 
mochte den  für  den  Krieg  gegen  Syrakus  so  überaus  wichtigen  Platz 
nicht  wieder  in  seine  Gewalt  zu  bringen. 


Digitized  by  Google 


574 


GEGENSATZ   DER  VERFASSL'NGSPARTEIEN. 


Im  Spatherbst  traf  endlich  die  Flotte  des  Eurymedon  an  ihrem 
Bestimmungsorte  ein,  und  für  den  Anfang  des  achten  Kriegssommers 
(424)  schien  sich  nun  auch  in  Sicilien  Grobes  vorzubereiten.  Eine 
mächtige  Flotte  von  50  bis  60  Segeln  lag  in  Rhegion  und  die  grofsen 
Erfolge,  welche  im  Peloponnes  gewonnen  waren,  erfüllten  die  Truppen 
mit  Zuversicht  und  Unternehmungslust.  Dieselben  Umstände  führten 
aber  auch  in  Sicilien  einen  Umschwung  herbei,  wodurch  allen  Unter- 
nehmungen der  Athener  plötzlich  ein  Ziel  gesetzt  wurde101). 

Seitdem  Syrakus  eine  freie  Verfassung  hatte,  finden  wir  daselbst 
ganz  ähnliche  Verhältnisse,  wie  in  Athen,  Gegensätze  der  Armen  und 
Reichen,  der  älteren  und  jüngeren  Generation,  der  gemäfsigten  Bürger 
und  der  Vorkämpfer  einer  unbedingten  Volksherrschaft;  es  wogten 
aber  die  politischen  Richtungen  hier  noch  regelloser  hin  und  her.  Es 
bestand  eine  Partei,  welche  kein  Hehl  daraus  machte,  dass  sie  in  der 
mafslosen  Demokratie  das  Verderben  des  Staats  erkenne,  und  obgleich 
sie  rastlos  von  den  Demagogen  bekämpft  wurde,  die  nach  Kleon's  Art 
alle  einer  verfassungsfeindlichen  Richtung  Verdächtigen  mit  Erbitterung 
verfolgten,  so  gab  es  doch  noch  Männer  aristokratischer  Gesinnung, 
welche  sich  zu  behaupten  wussten,  Männer,  die  in  gewöhnlichen  Zeiten 
übertäubt  und  zurückgedrängt  wurden,  bei  aufserordentlichen  Anlässen 
aber  immer  wieder  hervortraten,  weil  sie  aller  Anfechtungen  unge- 
achtet durch  ihre  Geschäflskenntniss,  ihre  Tapferkeit,  ihre  Festigkeit 
und  Unbestechlichkeit  einen  festen  Besitz  von  Achtung  und  Vertrauen 
in  der  Gemeinde  hatten. 

Der  Gegensatz  der  Verfassungsparteien  bezog  sich  auch  auf  die 
auswärtige  Politik.  Denn  wie  in  Athen,  so  war  auch  hier  die  demo- 
kratische Partei  in  Beziehung  auf  die  kleineren  Staaten  rücksichtslos 
und  gewaltsam  und  wollte  der  Stadtgemeinde  von  Syrakus  um  jeden 
Preis  die  Herrschaft  über  Sicilien  verschaffen,  während  ihre  Gegner 
nur  durch  Mäfsigung,  Vorsicht  und  Gerechtigkeit  eine  dauerhafte  Ord- 
nung der  sicilischen  Angelegenheiten  erreichen  zu  können  glaubten. 

Nachdem  man  nun  durch  Uebergriflfe  aller  Art  den  Krieg  in  Sicilien 
hervorgerufen  hatte,  erkannte  man  plötzlich  die  Gefahren,  in  welche 
die  demokratische  Politik  den  Staat  gebracht  hatte.  Man  sah  mit 
Schrecken,  dass  Athen  jetzt  freie  Hand  hatte,  dass  Sparta  aufser 
Stande  war  zu  helfen  und  dass  die  dorischen  Pflanzstädte  allein  die 
Athener  nicht  abwehren  konnten.  Darum  erschien  es  nothwendig, 
Alles  aufzubieten,  um  die  Athener  zu  entfernen,  und  zu  dem  Ende 


tized  by  Google 


< 


FRIEDENSTAG  IN  GELA   (89,  1;  4M).  575 

musste  man  den  Weg  einer  versöhnenden  Politik  einschlagen,  um,  wo 
möglich,  alle  Misshelligkeiten  auf  sicilischem  Boden  ohne  Einmischung 
Athens  beizulegen. 

Unter  diesen  Umständen  erlangte  die  aristokratische  Partei  wieder 
das  Uebergewicht,  und  der  bedeutendste  Mann  derselben  war  Hermo- 
krates,  des  Hernion  Sohn,  ein  Syrakusaner  von  vornehmer  Herkunft, 
ein  entschiedener  Gegner  Athens  und  der  attischen  Politik;  dabei  ein 
erprobter  Feldherr,  ein  hellblickender  Staatsmann  von  grofser  Bered- 
samkeit und  ein  Mann  von  untadeligem  Rufe,  der  deshalb  vor  Allen 
geeignet  war,  ein  allgemeines  Zutrauen  in  Sicilien  zu  erwecken.  Ihm 
kam  zu  Gute,  dass  die  Gegner  von  Syrakus  keinen  festen  Zusammen- 
hang hatten  und  dass  die  Nähe  der  attischen  Flotte  so  wie  der  dro- 
hende Ausbruch  eines  grofsen  Inselkriegs  auf  alle  Städte  einen  er- 
schreckenden Eindruck  machte.  Es  gelang  ihm  daher  zuerst  Kamarina 
mit  Syrakus  zu  versöhnen  und  dann  einen  allgemeinen  Congress  in  Gela 
zu  Sunde  zu  bringen,  wo  alle  Streitigkeiten  verhandelt  werden  sollten. 

Als  nun  hier  die  siciliscben  Städte,  eine  nach  der  andern,  ihre 
besonderen  Interessen  zur  Sprache  gebracht  halten,  trat  Hermokrates 
auf,  um  in  eindringlicher  Rede  das  Gesamtinteresse  aller  Inselstädte 
den  Abgeordneten  an  das  Herz  zu  legen.  Es  galt  den  Versuch,  eine 
Reihe  griechischer  Städte,  für  welche  es  keinerlei  amphiktyonische 
Ordnungen  gab,  an  die  man  anknüpfen  konnte,  auf  Grund  vernünftiger 
Erwägung  gemeinsamer  Wohlfahrt  so  zu  einigen,  dass  die  Unterschiede 
der  Herkunft  überwunden  wurden.  Mit  der  Einmischung  der  Athener, 
sagte  Hermokrates,  könne  keiner  Gemeinde  gedient  sein ;  denn  diese 
kämen  ja  nicht,  um  ihren  Verbündeten  zu  helfen,  sondern  um  die  ganze 
Insel,  Freund  wie  Feind,  Dorier  wie  lonier,  zu  unterwerfen.  Diesen 
herrschsüchtigen  Absichten  gegenüber  müsse  man  sich  zu  einer  sicili- 
scben Politik  vereinigen ,  um  das  gemeinsame  Vaterland  vor  Knecht- 
schaft zu  bewahren.  Im  Namen  der  gröfsten  Inselstadt  reiche  er  den 
Stadtgemeinden  allen  die  Hand  der  Versöhnung:  alle  Zwistigkeiten 
sollten  durch  friedliche  Auseinandersetzung  beigelegt  werden,  und 
Sicilien  ein  einiges  Reich  sein,  eine  Eidgenossenschaft  frei  verbündeter 
Städte,  deren  Bürger  sich  nicht  als  Dorier  und  lonier,  nicht  als  Leon- 
tiner  und  Syrakusaner,  sondern  als  Sikeliolen  fühlen  sollten. 

Syrakus  selbst  bewährte  durch  thalsächliche  Zugeständnisse  seine 
Friedensliebe,  und  so  gelang  die  allgemeine  Beruhigung  vollkommen. 
Eine  Reihe  von  Vertragspunkten  wurde  festgestellt  und  beschworen; 


Digitized  by  Google 


576 


>El*F.  STREITIGKEITEN. 


darunter  auch  die  Bestimmung,  dass  man  auswärtigen  Mächten  die 
Häfen  nicht  öffnen  dürfe,  wenn  sie  mit  mehr  als  einem  Kriegsschiffe 
kämen.  Sicilien  war  gegen  Athen  einiger,  als  es  je  den  Barbaren  gegen- 
über gewesen  war.  Man  war  aber  klug  genug,  keine  feindliche  Stel- 
lung einzunehmen,  sondern  die  Feldherrn  Athens  wurden  von  den  Be- 
schlüssen in  Kenntniss  gesetzt;  sie  wurden  aufgefordert,  denselben 
ihrerseits  beizutreten  und  dann  heimzukehren,  da  der  Zweck  ihrer 
Anwesenheit  auf  anderem  Wege  erledigt  sei. 

Eurymedon  blieb  nichts  übrig,  als  beizustimmen.  Jeder  Einspruch 
würde  die  eigennützigen  Pläne  Athens  aufser  Zweifel  gesetzt  und  die 
Insulaner  in  ihrer  Abneigung  und  Furcht  nur  bekräftigt  haben.  Trotz- 
dem wurden  die  rückkehrenden  Feldherrn  in  Athen  mit  unverhohlenem 
Aerger  aufgenommen;  sie  wurden  mit  Verbannung  und  Geldbufsen 
bestraft,  als  wenn  sie  die  Interessen  Athens  absichtlich  preisgegeben 
hätten.  Denn  das  Volk  in  seinem  übermüthigen  Siegesgefühle  hatte 
sich  schon  im  Besitze  von  ganz  Sicilien  geträumt  und  glaubte  nun  ein 
für  allemal  in  seinen  Hoffnungen  getäuscht  zu  sein.  Die  Einsichtigeren 
aber  erkannten,  dass  die  rasche  Beruhigung  der  Insel  keinen  Bestand 
haben  würde  und  dass  früher,  als  sie  wünschten,  neue  Verwickelungen 
zu  erwarten  wären107*). 

Und  in  der  Tbat  brachen  bald  nach  dem  Friedenstage  von  Gela 
neue  Unruhen  aus.  Zuerst  in  Leontinoi.  Hier  halte  die  demokratische 
Regierung  eine  Menge  von  Neubürgern  aufgenommen  und  wollte  zu 
ihren  Gunsten  eine  neue  Ackerlheilung  durchsetzen.  Die  Reichen  ver- 
banden sich  dagegen  mit  Syrakus,  verlrieben  die  Volkspartei,  hoben 
die  Stadt  auf  und  siedelten  selbst  nach  Syrakus  über,  wo  man  wieder 
unvermerkt  in  die  verführerische  Bahn  einer  herrschsüchtigen  Politik 
einlenkte.  Inzwischen  führte  die  Liebe  zum  heimatlichen  Boden  bald 
einen  Theil  der  alten  Einwohner  nach  dem  verödeten  Leontinoi  zu- 
rück ,  wo  sie  sich  in  einzelnen  festen  Punkten  gegen  die  Syrakusaner 
hielten,  während  die  gröfsere  Zahl  in  der  Verbannung  lebte  und  nun 
auf  das  Eifrigste  um  die  Hülfe  der  Athener  sich  bemühte. 

Athen  war  damals  durch  die  Niederlage  bei  Delion  (S.  494) 
gelähmt  und  durch  die  thrakischen  Angelegenheiten  so  beschäftigt, 
dass  es,  um  nicht  ganz  unthälig  zu  bleiben,  nur  zwei  Kriegsschiffe 
nach  Sicilien  schickte,  deren  Führer  Phaiax  den  Auftrag  hatte,  der 
syrakusanischen  Politik  durch  Verhandlungen  entgegen ,  zu  arbeiten 
und  die  Gegenpartei  zum  Ausharren  zu  ermuthigen.  Da  aber  nichts 


Digitized  by  Google 


SELINUS  UND  EG  EST  A. 


577 


Ernsthaftes  unternommen  wurde,  so  gelang  es  Syrakus,  das  Gebiet 
von  Leontinoi  sich  vollständig  anzueignen. 

Bald  darauf  entspann  sich  auf  dem  westlichen  Theile  der  Insel 
eine  neue  Stadtfehde,  nämlich  zwischen  Selinus  und  Egesta108). 

Die  Selinuntier  hatten  sich  nach  der  Schlacht  von  Himera  mehr 
als  früher  den  griechischen  Inselstädten  zugewendet;  sie  hatten  an  der 
Vertreibung  der  Tyrannen  aus  Syrakus  Antheil  genommen  und  wäh- 
rend des  fünfzigjährigen  Friedens,  welcher  darauf  folgte,  eine  glückliche 
Zeit  gehabt.  Ihr  Schatz  war  gefüllt.  Die  Gruppen  ihrer  Tempel  in  der 
Ober-  und  Unterstadt  bezeugen  noch  heute  die  Epochen  einer  reichen, 
einheimischen  Kunstentwickelung,  und  noch  anschaulicherzeigen  uns 
die  herrlichen  Silbermünzen,  welchen  hohen  Grad  von  Wohlstand  und 
Bildung  die  Stadt  damals  erreicht  hatte  (S.  557). 

Sie  lebte  seit  alten  Zeiten  in  Hader  mit  Egesta  oder  Segesta, 
der  nördlichen  Nachbarstadt,  dem  Hauptorle  der  Elymer  (S.  523), 
denen  der  hohe  Felsberg  Eryx  an  dem  nordwestlichen  Hände  Siciliens 
mit  der  gleichnamigen  Stadt  gehörte.  Die  Elymer  wurden  von  den 
Doriern  als  Barbaren  angesehen  und  selbst  von  den  attischen  Ge- 
schichtschreibem  so  genannt,  wenn  sie  sich  auch  in  Sprache,  Sitte 
und  Kunst  der  Entwickelung  hellenischer  Bildung  angeschlossen  hatten, 
wie  ihre  Bauten  und  Münzen  beweisen.  Die  dorischen  Nachbarn 
scheuten  jede  Verbindung  mit  ihnen ;  darum  war  es  wegen  des  Ehe- 
rechts schon  öfters  zu  Streitigkeiten  zwischen  Egesta  und  Selinus  ge- 
kommen. Gränzstreitigkeiten  kamen  dazu,  und  da  nun  die  Syrakusaner 
das  Ihrige  thaten,  um  die  Selinuntier  aufzureizen  und  dieselben  sogar 
mit  ihren  Truppen  im  Kampfe  gegen  Egesta  unterstützten,  so  wurde 
die  von  aller  Hülfe  verlassene  Stadt  zu  Wasser  und  zu  Lande  schwer 
bedrängt.  Vergeblich  suchte  sie  in  Akra  gas  wie  in  Karthago  Unter- 
stützung zu  erlangen  und  wandte  sich  endlich  an  Athen,  um  hier  die 
früher  den  Leon  tinern  geleistete  Hülfe  als  einen  Grund  geltend  zu 
machen,  weshalb  auch  sie  in  gleicher  Bedrängniss  auf  attische  Hülfe 
Anspruch  hätte.  Zehn  Jahre  nach  der  Gesandtschaft  des  Gorgias, 
im  Spätsommer  416  (Ol.  91,  1)  kamen  die  Egestäer  nach  Athen,  und 
ihre  Ankunft  war  es,  welche  den  attisch-sicilischen  Krieg  endlich  zum 
Ausbruche  brachte109). 

Dieser  Erfolg  erklärt  sich  aus  den  Veränderungen,  welche  seit  dem 
Frieden  des  Nikias  in  den  Staaten  des  Mutterlandes  eingetreten  waren. 


Curtius,  Gr.  Ge*ch.  II.  6.  Aufl. 


37 


IV. 

BIS  ZUM  ENDE  DES  SICILISCIIEN  KRIEGS. 


Durch  den  Frieden  des  Nikias,  dem  wenig  Wochen  später  der  Ab- 
schluss  des  Waflenbündnisses  folgte,  war  im  Mutterlande  eine  ganz 
neue  Ordnung  der  Dinge  eingetreten,  ein  neues  Staatensystem.  Die 
beiden  Grofsmächte  hatten  sich  wiederum  gegenseitig  anerkannt  und 
zur  Durchführung  des  Friedens  so  wie  zur  Erhallung  ihres  Besitz- 
standes mit  einander  verbunden.  Wenn  sie  zusammenhielten,  so  war 
eine  ernstliche  Gefahrdung  der  Ruhe  in  Hellas  eben  so  wenig  zu 
fürchten  wie  eine  äufsere  Gefahr.  Die  Urkunden  des  neuen  Staatsver- 
trags waren  rechtmäfsig  beschworen  und  auf  steinernen  Tafeln  im 
Amyklaion  einerseits,  andererseits  im  Heiligthum  der  Burggöttin  von 
Athen  feierlich  aufgestellt  worden,  und  an  ernstlichen  Friedensfreunden 
fehlte  es  auf  beiden  Seiten  nicht.  Trotzdem  war  kein  wirklicher  Friede 
zu  Stande  gekommen,  sondern  es  waren  nur  die  Uebelstande  des 
Kriegs,  die  am  schwersten  empfunden  wurden,  vorläufig  beseitigt; 
unter  Einfluss  der  Friedensparteien  war  eine  nothdürftige  Verständigung 
erzielt,  aber  keine  Versöhnung  der  beiden  Staaten,  keine  wirkliche 
Vereinigung  ihrer  Interessen,  keine  Neugestaltung  der  nationalen  An- 
gelegenheiten, welche  auf  Dauer  rechnen  konnte.  Darum  zeigte  sich 
gleich  nach  Abschluss  des  Friedens,  dass  nirgends  Befriedigung 
herrschte.  Das  allgemeine  Missbehagen  war  gröfser,  die  Verhältnisse 
waren  gereizter,  als  vor  dem  Ausbruche  des  Kriegs,  und  zwar  zunächst 
zwischen  Sparta  und  seinen  Bundesgenossen,  dann  zwischen  den 
Hauptstaaten  selbst,  und  endlich  im  Innern  der  beiden  Staaten,  in 
welchen  neue  Parteien  zur  Herrschaft  kamen. 


IIEWF.GIWT.   DER  MITTELSTAATEN. 


579 


Die  erste  Thatsacbe,  die  sich  nach  dem  Nikiasfrieden  heraus- 
stellte,  war  die  Trennung  der  peloponnesischen  Bundesgenossen,  ein 
Ereigniss,  welches  sich  lange  vorbereitet  hatte. 

Die  Bundesgenossen  verlangten  von  dem  Bundesoberhaupte  eine 
aufrichtige  und  kräftige  Wahrung  ihrer  gemeinsamen  Interessen,  sie 
verlangten  eine  peloponnesische  Politik;  statt  dessen  waren  sie  inne 
geworden,  dass  man  in  Sparta  nichts  als  die  engherzigste  Hauspolitik 
verfolgte  und  dass  man  alle  Rechte  der  Führung  in  Anspruch  nahm, 
ohne  den  Pflichten  derselben  zu  genügen.  Um  gefangener  Spartaner 
willen  war  der  Friede  seit  Jahren  gesucht  und  endlich  erreicht;  dar- 
über waren  alle  Beschwerden  und  Wünsche  von  Seiten  der  Bundesge- 
nossenschaft, welche  den  Krieg  wesentlich  herbeigeführt  hatten,  gänz- 
lich verabsäumt  worden,  und  Sparta  musste  deshalb,  seiner  Schuld 
wohl  bewusst,  mit  seinem  Feinde  ein  WafTenbündniss  schliefen,  um 
nicht  ganz  isolirt  zu  sein.  Athen  bedurfte  desselben  nicht;  Sparta 
war  es,  welches  Schutz  suchte,  selbst  gegen  seine  eigenen  Heloten. 
Also  trat  zu  der  Erbitterung  über  Spartas  rücksichtslosen  Egoismus 
auch  das  Gefühl  der  Geringschätzung  und  Verachtung.  Die  Pelopon- 
nesier  fühlten  sich  verrathen,  und  namentlich  hatte  der  Schlusssatz 
des  Traktats,  worin  Athen  und  Sparta  sich  ausdrücklich  vorbehielten, 
die  Bestimmungen  desselben  nach  ihrem  Ermessen  zu  verändern,  eine 
grofse  Aufregung  hervorgebracht:  denn  darin  sah  man  nicht  nur  eine 
gänzliche  Nichtachtung  aller  Staaten  zweiten  und  dritten  Ranges,  son- 
dern auch  eine  heimliche  Verabredung,  welche  zu  ihrer  Unterwerfung 
führen  sollte. 

Korinth,  welches  seiner  unermüdeten  Thätigkeit  ungeachtet  nichts 
von  dem  erreicht  hatte,  was  es  wollte,  das  nun  sogar  seine  wichtigsten 
Plätze  am  ionischen  Meere,  Sollion  und  Anaktorion,  in  feindlichen 
Händen  lassen  musste,  trat  an  die  Spitze  der  Bewegung  und  setzte  vor 
Allem  seine  Hoffnung  auf  Argos. 

Argos  hatte,  wie  den  Perserkrieg,  so  auch  den  letzten  Krieg  in 
ruhiger  Stellung  mit  angesehen.  Seit  der  Verfeindung  der  beiden 
Hauptstaaten  hatte  es  auf  Athens  Seite  gestanden,  aber  vorsichtig  sich 
zurückgehalten  und  um  Ol.  82,  3  (450)  einen  dreifsigjährigen  Frieden 
mit  Sparta  geschlossen.  Durch  diesen  Vertrag  geschützt,  halte  es  sich 
alle  Vortheile  zugeeignet,  welche  neutralen  Staaten  in  Kriegszeiten  zu- 
zufallen pflegen.  Es  hatte  sich  in  tiefem  Frieden  von  seinen  früheren 
Niederlagen  erholt,  aber  die  Erinnerung  seiner  alten  Grofse,  seine  An- 

37* 


Digitized  by  Google 


580 


ARGOS,  KORHHTH  UND  EL1S. 


sprüche  auf  die  Thyreatis  und  seine  trotzige  Ablehnung  der  sparta- 
nischen Hegemonie  niemals  aufgegeben.  Von  aufsen  eingeengt,  hatte 
es  sich  im  Innern  durch  Concentration  der  Landschaft  gestärkt;  es 
hatte  eine  demokratische  Verfassung  ausgebildet,  aber  zugleich  seine 
Wehrkraft  in  einer  sehr  eigentümlichen  Weise  zu  mehren  gesucht, 
indem  tausend  auserlesene  Männer  aus  den  angesehenen  Familien  eine 
Kernlruppe  bildeten,  welche  auf  öffentliche  Kosten  unterhallen  wurde 
und  ganz  dem  Waffendienste  lebte;  ein  deutlicher  Beweis,  wie  ernst 
man  gegen  Sparta  rüstete  und  ihm  mit  ebenbürtigen  Kriegern  gegen- 
über zu  treten  beabsichtigte.  Bezeichnend  ist  auch  für  die  Politik  der 
Argiver,  dass  sie  trotz  ihrer  Schwäche  der  Stellung  eines  Grofsstaats 
niemals  entsagen  wollten  und  deshalb  auch  mit  dem  persischen  Grofs- 
könige  ihre  eigenen  Beziehungen  unterhielten.  Kallias  (S.  183)  traf 
in  Susa  mit  Argivern  zusammen,  welche  sich  der  Gunst  des  Artaxerxes 
versicherten  1 10). 

Nun  begann  mit  dem  Nikiasfrieden  eine  neue  Zeit  für  Argos, 
welches  durch  Ablauf  des  Vertrags  freie  Hand  bekam.  Die  Zeit  schien 
gekommen  zu  sein,  wo  es  aus  seiner  Zurückgezogenheit  hervortreten 
und  die  alten  Pläne  seines  Ehrgeizes  verwirklichen  konnte.  Denn  jetzt 
hiefs  es  im  Peloponnes,  Sparta  habe  die  Führerschaft  durch  schnöden 
Verrath  verwirkt ;  sein  Platz  sei  offen,  und  die  Stadt  Agamemnons  sei 
berufen,  ihre  alte  Ehrenstelle  wieder  einzunehmen.  Die  Korinther, 
welche  selbst  immer  nur  an  zweiter  Stelle  thätig  sein  konnten,  liefsen 
nicht  ab  Argos  aufzureizen,  und,  als  sie  Gehör  fanden,  beriefen  sie  die 
Abgeordneten  der  Peloponnesier  zu  einer  Tagsatzung  in  ihre  Stadt, 
um  vor  Aller  Augen  einen  Sonderbund  zu  stiften,  welcher  die  Inter- 
essen der  Mittelslaaten  vertreten  sollte.  Die  achäischen  Städte  zeigten 
sich  zum  Anschlüsse  bereit.  Elis  war  seit  langer  Zeit  (S.  165)  den 
Spartanern  entfremdet  und  neuerdings  wegen  Lepreon  in  offene  Feind- 
schaft mit  ihnen  gerathen. 

Die  Lepreaten,  welche  im  südlichen  Triphylien  zwischen  den 
Eleern,  Arkadern  und  Messeniern  wohnten,  waren,  von  den  Arkadern 
bedrängt,  in  grofse  Kriegsnoth  gerathen,  so  dass  sie  sich  gezwungen 
sahen,  den  Beistand  der  Eleer  anzurufen.  Diese  fanden  in  der  Ver- 
legenheit ihrer  Nachbarn  eine  längst  erwünschte  Gelegenheit,  ihr  Ter- 
ritorium nach  Süden  auszudehnen  und  machten  den  Anschluss  von 
Lepreon  zur  Bedingung  ihres  Beistandes.  Es  wurde  nun  ein  Staats- 
vertrag mit  sehr  eigenthümlichen  Bestimmungen  geschlossen.  Die  Le- 


Digitized  by  Google 


DER  PEL0P0NISES1SCHE  SOISDERBUND  W,  4;  420).  58  t 


j) realen  traten  in  den  Verband  der  Landschaft  Elis  ein,  so  dass  ihre 
Milbärger,  die  in  Olympia  gesiegt  halten,  als  Eleer  aus  Lepreon  ausge- 
rufen wurden;  das  Stadtgebiet  wurde  aber  nicht  zu  Elis  geschlagen, 
sondern  die  eine  Hälfte  blieb  selbständig,  für  die  andere,  nördliche 
Hälfte  aber  verpflichteten  sich  die  Lepreaten  jährlich  ein  Talent  an  das 
olympische  Heiligthum  zu  zahlen.  Dieser  Vertrag  ist  etwa  um  die 
Milte  des  fünften  Jahrhunderts  geschlossen  und  bis  zum  Ausbruch  des 
Kriegs  gehalten  worden.  Dann  weigerten  sich  die  Lepreaten  die  Ab- 
gabe zu  zahlen  und  stellten  den  Lakedämoniern  die  Entscheidung 
ihrer  Streitigkeit  anheim.  Da  nun  die  Eleer,  ohne  die  Entscheidung 
abzuwarten,  Lepreon  mit  Krieg  überzogen,  legten  die  Spartaner  eine 
Besatzung  in  diese  Stadt  und  weigerten  sich  auch  nach  Abschluss  des 
Friedens,  den  Eleern  das  Gebiet  zurückzugeben,  während  diese  nach 
der  Bestimmung  des  Vertrags,  dass  der  Besitzstand  vor  Ausbruch 
des  Kriegs  aller  Orten  hergestellt  werden  sollte,  gerechten  Anspruch 
auf  das  Gebiet  der  Lepreaten  zu  haben  glaubten. 

Dazu  kamen  die  Bewegungen  in  Arkadien,  wo  die  Argiver  ihre 
frühere  Politik  (S.  164)  wieder  aufnahmen.  Auch  in  Arkadien  traten 
Kleinstaaten  mit  ganz  neuen  Ansprüchen  vor,  vor  allen  die  Stadt  Man- 
tineia,  welche,  von  Argos  unterstützt,  sich  zu  einer  Stadt  erhoben 
hatte,  welche  nun  zum  ersten  Male  einen  selbständigen  Platz  unter 
den  Staaten  zweiten  Ranges  einnahm.  Ihre  Bürger  hatten  die  Gebeine 
des  Arkas,  des  gemeinsamen  Stammkönigs,  vom  Mainalosgebirge  in 
ihre  Stadt  gebracht,  um  ihr  dadurch  eine  centrale  Bedeutung  zu  geben; 
sie  suchten  im  Innern  Arkadiens,  wo  die  Gebirgsstämme  in  lockeren 
Gaugenossenschaften  lebten,  durch  Eroberung  ihr  Stadtgebiet  auszu- 
dehnen und  nahmen  jetzt  offen  gegen  Sparta  Partei,  weil  diese  Macht 
das  Interesse  hatte,  jeder  Veränderung  in  den  altherkömmlichen  Ver- 
hältnissen der  Halbinsel  vorzubeugen. 

Der  Anschluss  einer  arkadischen  Stadt  an  den  Sonderbund 
machte  den  gröfsten  Eindruck;  das  ganze  peloponnesische  Staalen- 
system  schien  aus  den  Angeln  gehoben,  alle  Ehrfurcht  vor  Sparta 
in  Hass  und  Geringschätzung  umgeschlagen.  Sparta  schickte  nach 
Korinth,  um  durch  ernsten  Einspruch  dem  revolutionären  Treiben  zu 
steuern;  es  berief  sich  auf  das  peloponnesische  Recht,  nach  welchem 
die  Majoritätsbeschlüsse  für  alle  Bundesgenossen  bindende  Kraft 
hätten.  Korinlh  dagegen  berief  sich  auf  die  heiligere  Verpflichtung  eid- 
licher Verbindlichkeiten  und  erklärte,  dass  es  unter  keinen  Umständen 


Digitized  by  Google 


582  DER  PELOPONNESISCHE  SONDERBUND  (89,  4;  4*0). 

die  Sache  der  chalkidischen  Städte  preisgeben  dürfe.  Nachdem  die 
Korinther  also  ihre  Politik  gerechtfertigt  hatten,  schlössen  die  Eleer 
mit  ihnen  und  dann  mit  den  Argivern  ein  Bündniss  ab.  In  Argos 
traten  dann  auch  die  chalkidischen  Städte  bei,  welche  so  eben  durch 
den  Fall  von  Skione,  dessen  Mannschaft  Athen  getödtet  und  durch 
Platäer  ersetzt  hatte,  in  höchstem  Grade  beunruhigt  waren. 

Der  peloponnesische  Bund  war  aufgelöst,  und  es  kam  nun  darauf 
an,  die  schwankenden  Staaten,  Megara  und  Theben,  zu  gewinnen  und 
die  den  Spartanern  treuen  Staaten  zu  dem  argivisch-korinthischen 
Sonderbund  herüberzuziehen. 

Das  gemeinsame  Handeln  des  Bundes  begann  mit  einer  Gesandt- 
schaft nach  Tegea,  aber  hier  scheiterte  jeder  Versuch ;  denn  die  nach- 
barliche Feindschaft  zwischen  Tegea  und  Mantineia  überwog  alle 
anderen  Rücksichten.  Tegea  war  dies  Mal  aus  Eifersucht  gegen  die 
keck  aufstrebende  Nachbarstadt  unerschütterlich  fest,  und  an  der 
Treue  der  Tegeaten  richtete  sich  auch  Sparta  wieder  auf.  Pleistoanax 
rückte  in  Arkadien  ein,  die  Mantineer  wurden  aus  ihren  Eroberungen 
zurückgedrängt  und  Lepreon  durch  eine  Besatzung  von  Heloten,  die 
sich  unter  Brasidas  die  Freiheit  verdient  hatten,  aufs  Nachdrücklichste 
gegen  Elis  geschützt.  Diese  Schritte  machten  auf  die  Unternehmungen 
des  Sonderbunds  einen  sehr  entmuthigenden  Eindruck;  die  Mittel- 
staaten hatten  viel  zu  voreilig  auf  einen  allgemeinen  Abfall  der  Pelopon- 
nesier  gerechnet;  es  fehlte  Vertrauen  und  Zusammenhang,  es  fehlte 
an  gewiegten  Staatsmännern,  und  namentlich  war  Argos,  das  so  un- 
erwartet schnell  zu  einer  hervorragenden  Rolle  berufen  war,  ohne  alle 
Hebung  und  Vorbereitung  zur  Leitung  politischer  Unternehmungen. 
Unsicher  und  ängstlich  schwankte  es  hin  und  her ;  auch  die  anderen 
Staaten  konnten  sich  das  Missliche  ihrer  Lage  nicht  verhehlen,  da 
sie  mit  beiden  Grofsstaaten  verfeindet  waren  und  bald  einsehen 
mussten,  wie  schwierig  es  sei,  eine  dritte  Macht  in  Griechenland  zu 
bilden1 »). 

Die  Bewegungen  der  Mittelstaaten  wären  in  der  That  ohne  alle 
Bedeutung  geblieben,  wenn  die  beiden  Grofsstaaten  es  ehrlich  mit  ein- 
ander meinten.  Aber  auch  zwischen  ihnen  war  keine  Einigung  zu 
Stande  gekommen.  Kaum  ein  halbes  Jahr  dauerte  ein  leidliches  Ein- 
verstand ni ss,  und  die  Ausführung  der  Friedensbedingungen  wurde 
nicht  einmal  ernstlich  in  Angriff  genommen,  obwohl  man  sich  eidlich 
verpflichtet  hatte,  sie  nötigenfalls  mit  Gewalt  durchzusetzen.  Namenl- 


Digitized  by  Google 


POLITIK  DER  NEUEN  EPHOREN  (89,  4;  420).  583 

lieh  konnte  man  sich  in  Sparta  nicht  entschließen,  die  in  Thrakien 
gewonnenen  Erfolge  ohne  Weiteres  wieder  aufzugeben  und  die  Athener 
daselbst  ihre  volle  Macht  wiederherstellen  zu  lassen.  Nachdem  man 
also  die  Hauptsache  erreicht  hatte,  nämlich  die  Befreiung  der  pylischen 
Gefangenen,  war  es  den  Spartanern  im  Grunde  ganz  recht,  dass 
Rlearidas  (S.  5 IS),  der  die  Politik  des  Brasidas  aufrecht  hielt,  sich 
weigerte,  Amphipolis  herauszugeben  und  die  anderen  von  Athen  abge- 
fallenen Nachbarstädte.  Sie  erklärten,  ihren  guten  Willen  dadurch  be- 
zeugt zu  haben,  dass  sie  ihrerseits  die  attischen  Gefangenen  heraus- 
gegeben und  ihre  Truppen  aus  den  thrakischen  Städten  herausgezogen 
hätten;  Amphipolis  zu  zwingen  stehe  nicht  in  ihrer  Macht.  Eben  so 
blieb  die  Gränzfeste  Panakton  (S.  520)  in  den  Händen  der  Böolier.  Die 
natürliche  Folge  war,  dass  auch  Athen  Pylos  besetzt  hielt  und  nur  so 
weit  nachgab,  dass  es  die  aus  Messeniern  und  Heloten  bestehende  Be- 
satzung fortnahm  und  dafür  athenische  Mannschaft  hinschickte.  So 
ging  der  Sommer  unter  schleppenden  Verhandlungen  hin,  die  zu 
keinem  Resultate  führten.  Aber  es  wurden  immer  neue  Annäherungs- 
versuche gemacht,  und  die  Spartaner  machten  sich  sogar  anheischig, 
Böotien  zur  Auslieferung  der  streitigen  Gränzfestung  zu  zwingen  ;  denn 
noch  standen  in  beiden  Staaten  die  Parteien  am  Ruder,  welche  wirk- 
lich den  Frieden  wollten. 

Dies  änderte  sich  aber  schon  im  Herbste.  Es  wurde  ein  neues 
Ephorencollegium  gewählt,  und  nun  traten  Männer  in  dasselbe  ein, 
welche  eine  andere  Richtung  hatten ;  unruhige  und  ehrgeizige  Männer, 
namentlich  Kleobulos  und  Xenares.  Sie  waren  entschieden  gegen  den 
Frieden,  welcher  Sparta  nichts  als  Demüthigung  und  Schwächung  ge- 
bracht hatte;  sie  traten  der  Partei,  welche,  von  Pleistoanax  geführt, 
altlakonischer  Gewissenhaftigkeit  das  Wort  redete  und  von  ängstlicher 
Abneigung  gegen  weitaussehende  Unternehmungen  erfüllt  war,  als  Ver- 
treter des  jüngeren  Sparta,  als  Leiter  der  Bewegung,  keck  entgegen; 
sie  arbeiteten  dahin,  die  unnatürliche  und  hemmende  Verbindung, 
welche  man  mit  Athen  geschlossen  hatte,  so  bald  wie  möglich  wieder 
aufzuheben.  Da  man  nun  einstweilen  noch  durch  die  Traktate  ge- 
bunden war  und  selbst  keine  Verträge  schlielsen  durfte,  so  mussten 
die  Ephoren  auf  Umwegen  zu  ihrem  Ziele  zu  gelangen  suchen  und 
gingen  zunächst  darauf  aus,  Theben  und  Argos  mit  einander  zu  ver- 
einigen. Diese  Staaten  sollten  den  Anfang  einer  neuen  Verbindung 
gegen  Athen  bilden,  der  sich  Sparta  zu  gelegener  Zeit  offen  anschliefsen 


Digitized  by  Google 


564 


BUND  ZWISCHEN  SPARTA  UND  TU  EBEN  (89.4;  420). 


könnte;  dadurch  hoffte  man  zugleich  den  Gefahren  von  Seiten  des 
Sonderbundes  zu  entgehen. 

Der  Plan  war  schlau  angelegt  und  wurde  mit  Glück  angesponnen. 
Denn  die  Argiver  waren  nach  den  schwungvollen  Anfängen  ihrer  neuen 
Politik  wieder  ängstlich  zurückgewichen;  sie  fürchteten  dem  feindlichen 
Nachbar  gegenüber  allein  sitzen  zu  bleiben  und  eilten  daher,  mit  Ver- 
zicht auf  ihre  ehrgeizigen  Pläne,  sich  Sparta  zu  nähern. 

Viel  schwerer  waren  die  steifen  Böotier  zu  behandeln.  Die  Bundes- 
feldherrn  derselben  waren  freilich  bereit  auf  Alles  einzugehen,  aber  die 
Rathscollegien,  welche  die  oberste  Verwaltungsbehörde  bildeten,  wei- 
gerten sich,  ihnen  die  gewünschten  Vollmachten  zu  erlheilen,  und  zwar 
aus  keinem  anderen  Grunde,  als  weil  sie  fürchteten,  dass  man  durch 
eine  Verbindung  mit  den  abtrünnigen  Peloponnesiern,  den  Sonder- 
bündlern,  Sparta,  den  natürlichen  Verbündeten  Böoüens,  beleidigen 
würde.  Sie  durchschauten  nicht  die  hinterlistige  Politik  der  Ephoren 
und,  da  die  heimlichen  Absichten  nicht  verrathen  werden  durften,  so 
scheiterte  an  diesem  Missverständnisse  die  ganze  Verhandlung,  welche, 
wie  man  sieht,  allzu  fein  angelegt  worden  war. 

Die  Spartaner  mussten  nun  gerader  zu  Werke  gehen.  Ihr  nächstes 
Ziel  war,  Pylos  zu  befreien,  und  dies  konnten  sie  nur  durch  Panakton 
zu  erreichen  hoffen.  Sie  beschickten  also  die  Böotier,  um  diese  zur 
Herausgabe  des  Gränzorts  zu  bewegen ;  die  Böotier  weigerten  sich  ent- 
schieden, wenn  nicht  Sparta  mit  ihnen  ein  Bündniss  abschlösse.  Sie 
drängten  Sparta  zu  diesem  Schritte,  um  dadurch  einen  Bruch  der  Ver- 
träge herbeizuführen ;  sie  waren  durch  dieselben  aus  ihren  allen  Ver- 
bindungen herausgeschoben  und  wollten  nun  die  Gelegenheit  benutzen, 
wieder  eine  feste  Stellung  in  den  griechischen  Angelegenheiten  zu  ge- 
winnen. Die  Spartaner  gaben  nach,  weil  sie  ihre  nächsten  Zwecke  auch 
so  zu  erreichen  hofften  und  ihnen,  abgesehen  davon,  die  Erneuerung 
der  thebanischen  Bundesgenossenschafl  zur  Stärkung  gegen  Athen  sehr 
willkommen  war.  Der  Bund  wurde  also  im  Frühjahre  420  (Ol.  89,  4) 
in  Theben  abgeschlossen,  und  die  spartanischen  Abgeordneten  gingen 
sofort  nach  Athen,  um  hier  nach  Uebergabe  der  streitigen  Gränzfesle 
und  aller  in  Böotien  noch  zurückgehaltenen  Kriegsgefangenen  die  Aus- 
lieferung von  Pylos  zu  erlangen.  Aber  sie  täuschten  sich  sehr,  weun 
sie  so  mit  leichter  Mühe  einen  doppellen  Vortheil  davon  zu  tragen 
hofften.  Panakton  war  inzwischen  von  den  Böoticrn  geschleift  worden, 
und  darum  konnte  die  Uebergabe  des  Platzes  von  den  Athenern  in  der 


Digitized  by  Go 


MKIAS  UND  DIE  FIUEDESSI  »ABTEI. 


585 


That  nicht  als  eine  ehrliche  Erfüllung  der  Friedensbedingungen  ange- 
sehen werden.  Aufserdem  wurde  ihnen  der  abgeschlossene  Vertrag 
mit  Recht  als  ein  offener  Friedensbruch  vorgerückt,  da  Athen  wie 
Sparta  sich  verpflichtet  hatten,  keine  Sonderverträge  mit  einem  dritten 
Staate  abzuschließen.  Die  Folge  war,  dass  die  Atliener  sich  nun  auch 
ihrerseits  von  allen  Verbindlichkeiten  gelöst  erklärten  und  die  Ge- 
sandten mit  einer  sehr  unfreundlichen  Antwort  entliefsen.  Die  The- 
baner  hatten  also  ihren  Zweck  vollkommen  erreicht:  das  ihnen  ver- 
hasste  Bündniss  zwischen  den  beiden  Grofsstaaten  war  so  gut  wie  auf- 
gelöst, und  die  weitere  Folge  war,  dass  nun  auch  in  Athen  eine  andere 
Partei  die  Oberhand  gewann118). 

Athen  war  der  einzige  Staat,  welcher  in  den  Verwirrungen,  die 
dem  Frieden  folgten,  fest  und  ungefährdet  dastand.  Nikias  war  auf  der 
Höhe  seines  Einflusses.  Seinen  Plänen  kamen  auch  die  Verlegenheilen 
Spartas  zu  Gute;  denn  er  konnte  sie  benutzen,  um  die  Spartaner  zu 
überzeugen,  dass  sie  sich  um  so  enger  an  Athen  anschliefsen  müssten, 
wenn  sie  durch  die  Bewegungen  der  Heloten,  durch  den  Abfall  der 
Peloponnesier  und  die  Widerspenstigkeit  ihrer  früheren  Bundesgenossen 
ihre  Hausmacbl  auf  eine  so  bedenkliche  Weise  erschüttert  sahen. 
Darum  hatte  er  die  Umwandlung  des  Friedens  in  ein  Waflenbündniss 
eifrig  betrieben  und  glaubte,  dass  ein  den  beiderseitigen  Interessen  ent- 
sprechendes ehrliches  Zusammenhalten  von  Athen  und  Sparta,  die  sich 
ihren  Machtbestand  gegenseitig  garantirten,  die  beste  und  die  einzige 
Bürgschaft  für  einen  dauernden  Frieden  in  Griechenland  sei.  Es  war 
also  im  Wesentlichen  die  alte  kimonische  Politik,  die  er  von  Neuem  zu 
Ehren  zu  bringen  holfte. 

Die  allgemeine  Stimmung  war  ihm  günstig.  Denn  dass  nun  nicht 
mehr  einzelne  Stämme  und  Parteien,  sondern  die  Bevölkerung  im 
Ganzen  nach  Beendigung  der  Kriegsnolh  verlangte,  das  bezeugt  der 
'Frieden'  des  Arislophanes,  der  kurz  vor  Abschluss  der  Verträge  an  den 
grofsen  Dionysien  aufgeführt  wurde,  ein  schon  vom  Vorgefühle  des 
nahen  Glücks  gleichsam  berauschtes  Festspiel,  in  welchem  die  einge- 
kerkerte Friedensgöttin  jubelnd  befreit  und  herunter  geholt  wird  nebst 
ihren  lange  vermissten  Gefährtinnen,  der  'Herbstwonne'  und  der  'Fest- 
lust'; denn  die  beiden  Mörserkeulen,  mit  denen  der  Kriegsgott  das  arme 
Hellas  zerstampft  habe,  Kleon  und  Brasidas,  seien  nun  glücklich  be- 
seitigt. So  wurde  Nikias  in  weilen  Kreisen  als  Wohllhäter  geschützt 
und  gepriesen.   Jetzt  konnte  man  hoffen,  dass  die  Lücken  der  Bürger- 


Digitized  by  Google 


586 


ALK1BIADES,  DES  KLEIMAS  SOH.N. 


schaft  durch  frischen  Nachwuchs  sich  ergänzen  würden;  die  ersten 
Gelder  konnten  wiederum  im  Schatze  niedergelegt  werden,  und  schon 
in  dem  Jahre  nach  Abschluss  des  Nikiasfriedens  zahlten  die  Schatz- 
meisler  der  Athen a  eine  Summe  von  5163  Drachmen  an  die  Be- 
amten aus,  welche  zur  Herstellung  der  Festgeräthe  von  der  Bürger- 
schaft ernannt  waren.  Auch  mit  Delphi  fühlte  man  sich  zur  Be- 
ruhigung vieler  frommer  Herzen  wiederum  in  gutem  Einvernehmen 
und  führte  auf  des  Gottes  Geheifs  die  vertriebenen  Delier  (S.  515) 
nach  ihrer  Insel  zurück. 

Das  alte  Unglück  der  grofsgriechischen  Politik  in  Athen  bewährte 
sich  aber  auch  jetzt;  ihr  Erfolg  war  immer  von  der  Haltung  Spartas 
abhängig;  jede  Untreue  Spartas  war  eine  Niederlage  für  sie.  Nikias 
war  kurzsichtig  genug,  eine  Verbindung  für  dauerhaft  zu  halten,  zu 
welcher  Sparta  sich  nur  in  augenblicklicher  Verlegenheit  und  unter 
Einfluss  des  Pleistoanax  und  seiner  Partei"  verstanden  hatte;  er  war 
auch  bei  der  Ausführung  der  Verträge  unvorsichtig  gewesen.  Denn 
wenn  er  auch,  wie  überliefert  wird,  selbst  die  Mittel  der  Bestechung 
nicht  verschmähte,  um  es  zu  erreichen,  dass  Sparta  mit  Erfüllung  der 
Friedensbedingungen  den  Anfang  machte,  so  nahm  er  doch  den  Befehl 
zur  Uebergabe  von  Amphipolis  schon  als  eine  vollendete  Thatsache, 
verfügte  die  Freilassung  der  pylischen  Gefangenen,  ehe  die  thrakischen 
Städte  übergeben  waren,  und  gab  so  den  kräftigsten  Hebel  auf,  den 
man  in  Händen  hatte,  um  Sparta  zur  Erfüllung  seiner  Verbindlichkeiten 
zu  bewegen.  Die  Athener  sahen  sich  getäuscht;  die  Ränke  Spartas  ent- 
hüllten sich  immer  mehr,  und  die  tiefe  Verstimmung  gegen  die  Leitung 
der  auswärtigen  Angelegenheiten  fand  ihren  leidenschaftlichen  Aus- 
druck in  den  Reden  des  Alkibiades m). 

Die  Zeit,  in  welcher  die  Schicksale  der  Stadt  von  einzelnen 
Bürgern  abhängig  waren,  schien  in  Athen  vorüber  zu  sein.  Die  all- 
gemeine Bildung  glich  die  Unterschiede  der  Charaktere  und  Fähigkeiten 
immer  mehr  aus.  Auch  Kleon  und  Nikias  hatten  nicht  sowohl  als 
hervorragende  Persönlichkeiten  gewirkt,  deren  Ueberlegenheit  sich 
die  Bürgerschaft  unterordnete,  als  vielmehr  dadurch,  dass  gewisse 
Stimmungen  und  Parteirichtungen  in  ihnen  den  entsprechendsten 
Ausdruck  fanden.  Nun  aber  trat  aus  der  Menge  des  Volks  wieder 
ein  Mann  hervor,  der  durch  die  reichste  Begabung  einzig  in  seiner 
Art  war  und  durch  den  Glanz  seiner  Persönlichkeit  einen  dämoni- 
schen Einfluss  auf  seine  Mitbürger  ausübte,  so  dass  die  Schicksale  des 


Digitized  by  Go 


DIE   JUGEND   DES  ALKIHIADES. 


5S7 


Staats  bis  zum  Ende  des  ganzen  Kriegs  wesentlich  durch  ihn  be- 
stimmt wurden. 

Schon  eine  Reihe  von  Jahren  hatte  man  sich  in  Athen  auf  das 
Lebhafteste  mit  dem  jungen  Alkibiades  beschäftigt;  denn  Alles,  was 
die  Aufmerksamkeit  des  Publikums  fesseln  konnte,  war  in  ihm  ver- 
einigt. Er  war  der  Enkel  jenes  Alkibiades,  welcher  als  Freund  des 
Kleisthenes  bei  den  Reformen  desselben  nahe  betheiligt  war  (I,  368), 
der  Sohn  des  Freiheitshelden  Kleinias,  der  auf  eigener  Triere  bei 
Artemision  den  Preis  der  Tapferkeit  gewonnen  hatte,  und  dann  die 
vom  Vater  überkommene  Verbindung  mit  den  Alkmäoniden  dadurch 
befestigte,  dass  er  des  Megakles  Tochter,  Deinomache,  heimführte.  Er 
tiel  in  der  Schlacht  von  Koroneia  (S.  178)  und  hinterliefs  zwei  Knaben, 
Alkibiades  und  Kleinias,  welche  durch  eine  letztwillige  Bestimmung 
der  vormundschaf iiichen  Leitung  des  Perikles  und  seines  Bruders 
Ariphron  überwiesen  waren. 

Alkibiades  war  damals  etwa  fünf  Jahre  alt  und  wuchs  nun  unter 
den  Augen  seiner  Mutter  auf,  ohne  väterliche  Zucht,  welche  eine  Natur* 
wie  die  seinige,  am  wenigsten  entbehren  konnte.  Denn  mit  den  viel- 
seitigsten Anlagen,  welche  ihm  geistige  und  körperliche  Uebungen  jeder 
Art  zum  Spiele  machten,  entfaltete  sich  zugleich  ein  trotziger  Heber- 
muth,  der  keine  Schranken  kannte,  ein  stolzes  Bewusstsein  von  dem 
Reichthume  und  Glänze  seiner  Familie,  ein  keckes  Selbstgefühl, 
welches  durch  eine  in  voller  Gesundheit  aufblühende  Jugendkraft, 
hohen  Wuchs  und  eine  seltene  Schönheit  genährt  wurde.  Der  thra- 
kische  Sklave,  welchen  ihm  seine  Vormünder  als  Pädagogen  bestellt 
hatten,  war  nicht  im  Stande,  den  lebhaften  Knaben  zu  zügeln,  und  so 
wuchs  er  zum  Jünglinge  heran,  wohl  unterrichtet  in  allen  Zweigen 
attischer  Bildung,  aber  innerlich  ungebändigt,  wild  und  launenhaft, 
niemals  an  Gehorsam  gewöhnt  und  durchaus  unfähig,  sich  selbst  zu 
überwinden.  Sein  Eintritt  in  das  öffentliche  Leben  war  nicht  geeignet, 
wieder  gut  zu  machen,  was  an  dem  Knaben  versäumt  und  verdorben 
war.  Denn  bei  einem  Volke,  das  für  den  Eindruck  glänzender  Eigen- 
schaften so  empfänglich  war,  wie  die  Athener,  wurde  der  vornehme 
und  geistvolle  Jüngling  der  Gegenstand  einer  allgemeinen  Huldigung; 
alle  tollen  Streiche  wurden  ihm  verziehen,  ja  mit  lautem  Beifall  von 
Mund  zu  Munde  getragen.  Was  der  Sohn  des  Kleinias  that,  wie  er  sich 
kleidete  und  wie  er  sich  ausdrückte,  das  galt  als  feinste  Sitte  in  Athen 
und  wurde  als  neueste  Mode  nachgeahmt;  die  Künstler  nahmen  ihn 


Digitized  by  Google 


58S 


ALKIBIADES  UND  PERIKLES. 


zum  Modell  ihrer  Ilermesbilder,  in  denen  sie  die  Wohlgestalt  des 
atiischen  Ephehen  darstellten,  und  es  drängten  sich  nicht  nur  Menschen 
gewöhnlichen  Schlags  mit  ihren  Schmeicheleien  um  den  eitlen  Jüngling, 
sondern  auch  die  berühmtesten  Männer  der  Zeit,  ein  Prodikos  und 
Protagoras,  huldigten  dem  Zauber  seiner  Persönlichkeit  und  fühlten 
sich  durch  jede  Gunst  desselben  hochgeehrt. 

Und  Perikles?  War  er  gleichgültig  gegen  den  jungen  Verwandten, 
den  das  Vertrauen  des  edlen  Vaters  ihm  an's  Herz  gelegt  hatte?  That 
er  nichts,  um  der  sittlichen  Verwahrlosung  seines  Mündels  zu  steuern, 
aus  welcher  diesem  selbst  und  der  ganzen  Stadt  nichts  als  Unheil  er- 
wachsen konnte?  Freilich  ist  er  schon  in  alten  Zeiten  der  Fahrlässig- 
keit beschuldigt  worden,  und  es  ist  möglich,  dass  er  durch  die  Er- 
fahrungen, die  er  an  den  eigenen  Söhnen  machte,  dahin  gebracht 
worden  ist,  den  Einfluss  der  Erziehung  und  des  Beispiels  überhaupt  zu 
gering  anzuschlagen  und  deshalb  den  jungen  Alkibiades  mehr,  als  gut 
war,  sich  selbst  und  seinem  untüchtigen  Pädagogen  zu  überlassen.  Von 
vormundschaftlicher  Sorgfalt  zeugt  aber  doch  der  Umstand,  dass  er  den 
jüngeren  Bruder  Kleinias  von  Alkibiades  trennte,  damit  er  nicht  von 
diesem  verdorben  werde,  und  so  unverbesserlich  ihm  Alkibiades  auch 
oft  erscheinen  mussle,  so  hat  er  ihn  doch,  wie  überliefert  wird,  eine 
Zeit  lang  im  eigenen  Hause  gehabt;  er  muss  den  edlen  Richtungen, 
die  ihm  angeboren  waren,  doch  vertraut  haben,  und  trotz  aller  Unzu- 
friedenheit hat  er  die  persönliche  Verbindung  mit  ihm  niemals  ab- 
gebrochen; denn  Alkibiades  gehörte  zu  den  Verlrauten,  welche  ihm 
auch  nach  seinem  Rücktritte  nahe  blieben  und  ihn  beredeten,  noch 
einmal  zu  den  Staatsgeschäften  zurückzukehren  (S.  413).  Alkibiades 
konnte  nicht  anders  als  Perikles  in  seiner  geistigen  Kraft  und  Gröfse 
anerkennen;  aber  für  das  Beste  in  ihm,  für  seine  Ruhe,  seine  Mäfsigung 
und  Besonnenheit  hatte  er  keinen  Sinn.    Es  kam  ihm  vor,  als  wenn 
Perikles  auf  halbem  WTege  stehen  geblieben  wäre;  und  es  ist  für  die 
Verschiedenheit  der  beiden  Charaktere,  wie  die  Zeilgenossen  sie  be- 
urteilten, gewiss  sehr  bezeichnend,  wenn  man  sich  erzählte;  dass  Alki- 
biades seinen  Vormund  einmal  vor  dem  Tage  der  Rechenschaftsablage 
in  sorgenvoller  Ueberlegung  gefunden  und  ihm  dann  den  Rath  gegebeu 
habe,  er  solle  seine  Sorge  doch  lieher  darauf  wenden,  wie  er  keine 
Rechenschaft  mehr  vor  den  Bürgern  abzulegen  habe.  Also  auch  ihn 
meisterte  er,  auch  ihm  wollte  sich  sein  hochfahrender  Geist  nicht 
unterordnen114). 


Digitized  by  Go 


A  I.K  IUI  ADES  UND  SOKBATES. 


5S9 


Was  dem  grofsen  Perikles  nicht  gelungen  war,  gelang  einem 
unscheinbaren  Manne,  welcher  in  freiwilliger  Armuth,  barfufs  und  in 
dürftiger  Kleidung  damals  durch  die  Strafsen  Athens  wanderte,  seines 
Standes  ein  Handwerker,  der  seine  Werkstatte  verlassen  hatte,  weil 
ihn  eine  innere  Stimme  antrieb,  unter  der  Menge  umherzugehen,  mit 
Menschen  aller  Stände  Unterhaltung  zu  pflegen,  von  ihnen  sich  be- 
lehren zu  lassen  oder  in  ihnen  Fragen  anzuregen,  welche  der  Keim 
ernster  Selbstprüfung  und  sittlicher  Erhebung  wurden,  Das  war  So- 
krates,  des  Bildhauers  Sophroniskos  Sohn,  der  um  die  Todeszeit  des 
Perikles  vierzig  Jahre  alt  war.  Unter  der  bunten  Bevölkerung,  in  wel- 
cher nach  den  furchtbaren  Heimsuchungen  durch  Pest  und  Krieg 
Sittenlosigkeit,  Leichtsinn  und  dünkelhafte  Halbbildung  immer  reifsen- 
dere  Fortschritte  machten,  suchte  er  unablässig  nach  Menschen,  denen 
er  seine  Dienste  anbieten  könnte;  so  fiel  sein  Auge  denn  auch  auf  den 
Sohn  des  Kieinias,  der  damals  etwa  19  Jahr  alt  war,  und  ihn  ergriff 
der  Gedanke,  dass  es  ihm  gegeben  sein  könnte,  den  reichbegabten 
Jüngling  dem  Taumel  der  Sinnenlust  zu  entreifsen  und  sein  besseres 
Selbst  zu  retten;  er  fühlte,  dass  er  sich  kein  gröfseres  Verdienst  um 
Athen  erwerben  könnte. 

Als  Sokrates  sich  zuerst  dem  Alkibiades  näherte,  glaubte  dieser, 
wie  die  meisten  Athener,  nur  mit  einem  Sophisten  sonderlicher  Art  zu 
thun  zu  haben,  und  es  gefiel  ihm,  in  gewandter  Wechselrede  und 
schlagfertiger  Dialektik,  worin  er  keinem  Athener  nachzustehen  glaubte, 
sich  mit  ihm  zu  messen.  Das  seltsame  Wesen  des  Mannes  reizte  seine 
Neugier;  dieUneigennützigkeit,  mit  welcher  er  Zeit  und  Mühe  für  Andere 
aufwendete,  war  ihm  merkwürdig.  Aber  bald  erwuchs  in  ihm  ein 
ganz  anderes  Interesse.  Denn  Sokrates  war  Keiner  von  denen,  die  dem 
Ersten  Besten  ihre  Weisheit  in  fertigen  Sätzen  feil  boten  und  dabei 
mehr  eine  eitle  Selbstbefriedigung  suchten  als  eine  tiefe  und  nachhal- 
tige Einwirkung  auf  ihre  Schüler.  Er  knüpfte  gelegentlich  an  die 
unscheinbarsten  Dinge  des  täglichen  Lebens  seine  Gespräche  an;  er 
suchte  durch  eine  Reihe  schlichter  Fragen  einen  Trieb  zu  ernstem  und 
selbständigem  Nachdenken  zu  erwecken,  welcher  das  ganze  Gemüth 
ergrhT,  den  Jünglingen  die  Tiefen  des  eigenen  Seelenlebens  zum  ersten 
Male  aufschloss  und  eine  ahnungsreiche  schmerzhafte  Bewegung  her- 
vorrief, die  sie  selbst  nicht  begreifen  noch  beherrschen  konnten;  eine 
Bewegung,  welche  Sokrates  mit  den  Geburtswehen  verglich,  die  der 
Entfallungeines  neuen  Lebens  vorhergehen,  und  darum  wollte  er  selbst 


Digitized  by  Google 


590 


ALKIHIADES  IM)  SOKRATES. 


nur  der  Geburlshelfer  sein,  um  die  in  der  Menschenseele  ruhenden 
Keime  des  Göttlichen  von  den  hemmenden  Gewalten  zu  entbinden 
und  glücklich  an  das  Licht  zu  führen. 

Da  gingen  auch  dem  Alkibiades  zum  ersten  Male  die  Augen  auf 
über  sein  nichtiges  Thun  und  Treiben ;  eine  geistige  Welt  trat  ihm 
entgegen,  von  der  er  keine  Ahnung  gehabt  hatte,  eine  Tugend  und  sitt- 
liche Gröfse,  vor  der  er  staunend  verstummte.  Bis  dahin  von  allen 
Seiten  verzogen,  bewundert  und  beneidet,  von  Schmeichlern  umringt, 
deren  eigennützige  und  lüsterne  Zudringlichkeit  ihn  mit  Verachtung 
gegen  die  Menschen  erfüllen  musste,  fand  er  nun  einen  Mann,  der  seine 
Schönheit  und  alle  seine  Glücksgüter  für  nichts  achtele,  der  ihm 
seine  Schwächen  und  Fehler  schonungslos  aufdeckte,  der  allen  ver- 
führerischen Gunstbezeigungen,  die  Alkibiades  aufwendete,  unzugäng- 
lich blieb  und  nichts  suchte  als  seine  unsterbliche  Seele.  Und  wenn 
Alkibiades  sich  nun  sagen  musste,  dass  all  dies  Suchen  und  Mühen 
keinen  anderen  Grund  hatte,  als  die  tiefste  und  reinste  Menschen- 
liebe, wie  sie  ihm  noch  nirgends  entgegengetreten  war,  so  war  es  ihm 
unmöglich  der  Macht  dieser  Liebe,  welche  mit  dem  hohen  Ernste 
echter  Weisheit  verbunden  war,  zu  widerstehen. 

Zum  ersten  Male  fühlte  er  sich  verwirrt,  gedemüthigt  und  tiet 
beschämt  Die  leeren  Einbildungen  von  seinen  glänzenden  Vorzügen, 
von  seiner  angeborenen  Genialität,  welche  ihm  alles  Lernen  und  For- 
schen ersetzte,  von  seinem  staatsmännischen  Berufe  u.  s.  w.  zerrannen 
in  nichts.  Es  ging  ihm  die  Wahrheit  auf,  dass  die  Selbsterkenntnisse 
die  der  delphische  Gott  fordere,  die  Grundlage  aller  Tugend  sei,  und 
dass,  wer  Andere  beherrschen  wolle,  zuerst  sich  selbst  beherrschen 
müsse;  ihm  trat  das  Bild  eines  Staats  vor  die  Seele,  dessen  Gröfse 
nach  den  Gedanken  des  Perikles  auf  Geistesbildung,  Bürgerlugend 
und  Einigkeit  beruhte ;  er  ahnte,  dass  es  nichts  Nützliches  und  Heil- 
sames geben  könne,  welches  der  Idee  der  Gerechtigkeit  widerspreche, 
und  begrifT  wohl,  welche  Stellung  er  solcher  Erkenn tniss  gemäfs  im 
Gemeinwesen  einnehmen  müsse.  Unter  heifsen  Thränen  bekannte  er, 
dass  ein  Leben,  welches  dem  Sokrates  nicht  gefalle,  kein  wahres  Lebeu 
zu  nennen  sei. 

Auch  blieb  es  nicht  bei  flüchtigen  Rührungen,  sondern  er  schloss 
sich  dem  Sokrates,  wie  einem  väterlichen  Freunde  mit  dankbarem 
Herzen  an,  theilte  mit  ihm  seine  Mahlzeiten,  besuchte  mit  ihm  die  Ring- 
schulen, war  im  Felde  sein  Zeitgenosse,  und  wie  er  in  den  Kämpfen  bei 


Digitized  by  Google 


ALKIHIAIIES   UND  SOKRATES 


591 


Poüdaia  (Ol.  67, 1 ;  432)  dem  Sokrates  sein  Leben  verdankte,  so  rettete 
er  ihn  wiederum  in  der  unglücklichen  Schlacht  bei  Delion  mit  Gefahr 
des  eigenen  Lebens.  Die  frivole  Menge  bespöttelte  und  verdächtigte 
diese  seltsame  Verbindung  mit  dem  hässlichen  Philosophen,  aber  er 
liefs  sich  nicht  irre  machen,  und  dies  Jahre  lang  fortgesetzte  Verhält- 
niss  ist  in  der  That  ein  unwidersprechliches  Zeugniss  für  die  edlen 
Grundzüge  im  Wesen  des  Alkibiades,  welcher  zu  Allem,  auch  zu  den 
höchsten  Aufgaben  des  sittlichen  Lebens,  von  Natur  geschaffen  und 
berufen  war. 

Was  die  Empfänglichkeit  des  Alkibiades  betrifft,  so  war  Sokrates 
also  nicht  zu  spät  gekommen;  denn  er  fand  in  ihm  noch  eine  der 
reinsten  Begeisterung  fähige  Jünglingsseele,  welche  Schwungkraft  genug 
hatte,  sich  aus  dem  Schmutze  der  Sinnlichkeit  zu  erheben.  Aber  eine 
wirkliche  Umkehr,  eine  dauernde  und  feste  Sinnesänderung  herbeizu- 
führen, das  lag  auch  aufser  der  Macht  eines  Sokrates.  Die  Tugend  der 
Alten  bedurfte  einer  frühen  Gewöhnung,  und  in  dieser  Beziehung  hatte 
Alkibiades  den  väterlichen  Freund  zu  spät  gefunden.  Er  konnte  schwär- 
men für  sokratische  Tugend,  aber  ihren  Grundsätzen  treu  zu  bleiben, 
sich  selbst  mit  Allem,  was  sein  Stolz  war,  zu  verleugnen  und  ein 
anderer  Mensch  zu  werden,  das  vermochte  er  nicht;  er  schwankte 
zwischen  zwei  Lebenszielen  hin  und  her,  die  unvereinbar  waren,  und 
wurde  endlich  von  seinem  Ehrgeize  dahin  forlgerissen,  wo  Glanz  und 
Macht  ihm  winkten. 

Nun  mussle  er  die  Stimme  des  Gewissens,  die  in  ihm  geweckt 
worden  war,  wieder  betäuben,  und  durch  den  bewussten  Abfall  von 
dem,  was  er  für  Recht  erkannt  hatte,  wurde  er  gewissenloser  und  sitten- 
loser als  je  zuvor.  Sokrates'  Absicht  war  es  nicht  gewesen,  ihn  dem 
öffentlichen  Leben  zu  entziehen;  aber  der  sokratische  Weg,  welcher 
durch  die  Schule  ernster  Selbstprüfung  hindurch  zum  staatsmännischen 
Berufe  führte,  war  der  leidenschaftlichen  Ungeduld  des  Alkibiades  zu 
weit,  zu  unbequem  und  zu  unsicher.  Er  wollte  alle  Mittel  benutzen,  die 
ihm  verliehen  waren,  der  Erste  in  Athen  zu  sein,  und  so  wie  daher  die 
Aussichten  auf  eine  glanzvolle  Laufbahn  sich  eröffneten,  stürzte  er  sich 
in  das  Gewühl  der  Parteien  hinein,  nicht  um  eine  bestimmte  Ansicht, 
die  er  von  der  richtigen  Leitung  des  Staats  halte,  mannhaft  zu  ver- 
treten, sondern  um  auf  jede  Weise  seine  Herrschsucht  zu  befriedigen. 

Die  Politik  seiner  Familie  war  in  den  letzten  Generationen  anti- 
lakonisch gewesen;  ihn  aber  zog  sein  Ehrgeiz  und  Widerspruchsgeist 


Digitized  by  Google 


592 


DIE  POLITISCHE  HALTUNG 


auf  die  entgegengesetzte  Seite.  Er  erschien  in  der  Zeit  nach  Perikles' 
Tode,  wie  die  Mehrzahl  des  jungen  Adels,  als  ein  Gegner  der  Volks- 
herrschaft und  ihrer  damaligen  Vorkämpfer;  er  knöpfte  sogar  die  alten 
Verbindungen  seines  Hauses  mit  Sparta,  welche  der  Grofsvater  aufge- 
kündigt hatte,  wieder  an,  und  bemühte  sich  um  die  Gefangenen  aus 
Pylos,  um  sich  dadurch  in  ihrer  Heimalh  einen  guten  Namen  zu  er- 
werben. Darauf  berief  er  sich,  als  die  Verhandlungen  zwischen  den 
beiden  Grofsstaaten  eröffnet  wurden,  und,  da  er  von  Anfang  an  zu 
diplomatischen  Geschäften  besondere  Neigung  und  Befähigung  in  sich 
fühlte,  hätte  er  gern  als  Vertrauensmann  Spartas  eine  hervorragende 
Rolle  gespielt.  Aber  Sparta  nahm  seine  Dienste  nicht  an;  Nikias  wurde 
als  ein  zuverlässigerer  Mann  ihm  vorgezogen,  und  über  diese  Vereitelung 
seiner  Absichten  war  er  so  erbittert,  dass  er  sich  nun  auf  die  andere 
Seite  warf,  um  als  Führer  des  Demos  und  als  Feind  Spartas  seine 
Stellung  zu  gewinnen116). 

Dazu  lagen  die  Verhältnisse  günstig.  Das  Volk  hatte  keinen 
Führer,  welcher  der  Partei  der  Vornehmen  gegenüber  gestellt  werden 
konnte.  Freilich  hatte  Kleon  einen  Nachfolger  in  Hyperbolos,  der  eine 
Zeit  lang  grofsen  Erfolg  hatte.  Es  war  ein  Mann  von  dunkler  Herkunft, 
seines  Berufs  ein  Lampenfabrikant,  welcher  sich  ein  Vermögen  erwor- 
ben und  Anhang  verschafft  hatte.  Er  war  frühzeitig  auf  der  Redner- 
bühne zu  Hause,  keck  und  mundferlig,  leidenschaftlich  für  den  Krieg 
und  ein  hitziger  Gegner  des  Nikias;  vor  Allem  aber  ein  Meister  in  der 
Kunst,  Prozesse  zu  schmieden  und  einflussreich  im  Gerichtswesen.  Er 
war  der  Erbe  Kleons  auch  darin,  dass  er  den  Hass  der  Komödie  über- 
kam, welche  die  Interessen  der  Conservativen  vertrat.  Wie  seine 
Vorgänger  von  Aristophanes  mitgenommen  waren,  so  griffen  Eupolis, 
Hermippos  und  Pia  ton  mit  bitterem  Hohn  den  Hyperbolos  an. 
Eupolis'  Marikas  stellte  in  seiner  Person  das  ganze  Unwesen  der 
damaligen  Demagogie  an  den  Pranger,  die  in  leidenschaftlicher  Heftig- 
keit und  Fertigkeiten  untergeordneter  Art  ihre  Stärke  hatte.  Jeder 
sittliche  Adel  fehlte  und  Alles  das,  was  die  Athener  unter  'musischer 
Bildung'  verstanden,  die  Frucht  einer  liberalen  Erziehung,  eines  ge- 
ordneten Jugendunterrichts  in  Wissenschaften  und  Künsten.  Diese 
Mängel  traten  in  Hyperbolos  zu  deutlich  hervor,  und  darum  hat  er  nie 
auf  die  Dauer  ein  Mann  des  öffentlichen  Vertrauens  werden  können. 

Dazu  kam,  dass  die  ganze  Art  der  Staatsleitung,  wie  Kleon  sie 
eingeführt  hatte,  durch  seine  letzten  Unternehmungen  in  Missachtung 


Digitized  by  Go 


DES  ALKIBIADES 


503 


gekommen  war.  Man  fühlte  doch  das  Bedürfniss  nach  Männern  von 
höherer  Begabung«  welche  die  Bienge  zu  leiten  vermöchten,  und  da 
war  Keiner  zu  finden ,  der  in  solchem  Grade  die  Neigungen  und  Rich- 
tungen der  grofsen  Menge  theilte  und  doch  zugleich  durch  Ueber- 
legenheit  des  Geistes  und  entschlossene  Thalkraft,  durch  Reichlhum 
und  Geburt  die  Menge  überragte  wie  Alkibiades.  In  ihm  schienen 
sich  die  verschiedenen  Eigenschaften  zu  vereinigen,  welche  einen  Peri- 
kles,  einen  Nikias  und  einen  Kleon  zu  mächtigen  Parteiführern  ge- 
macht hatten;  darum  schloss  sich  ihm  die  führerlose  Menge  bereit- 
willig an  und  glaubte  von  ihm  die  kräftigste  Vertretung  ihrer  In- 
teressen erwarten  zu  können.  Sein  Einfluss  stieg  in  demselben  Grade, 
wie  die  Unzufriedenheit  mit  der  Politik  des  Nikias  in  Athen  allge- 
meiner wurde116). 

Als  Kleon  bei  Arophipolis  gefallen  war,  glaubte  Nikias  sich  von 
seinem  schlimmsten  Widersacher  befreit  zu  sehen.  Aber  jetzt  begann 
für  ihn,  der  nichts  höher  schätzte  als  eine  ruhige  und  unangefochtene 
Stellung,  ein  ungleich  schwierigerer  Kampf,  jetzt  erst  die  eigentliche 
Noth  seines  Lebens.  Denn  er  hatte  nun  einen  Gegner,  welcher  alle 
Talente  hatte,  die  ihm  fehlten,  der  ruhelos  und  gewissenlos  war  wie 
Kleon,  und  dabei  ein  Mann  von  schöpferischer  Geisteskraft.  Nikias 
selbst  hatte  sich  nicht  bewährt.  Er  hatte  vorzeitig  die  Freilassung 
der  Gefangenen  veranlasst,  ehe  man  eine  genügende  Bürgschaft  für  die 
Uebergabe  von  Amphipolis  hatte.  Entscheidend  aber  war  der  Ab- 
schluss  des  spartanisch-böotiscben  Bündnisses  (S.  5S4).  Denn  dies 
war  eine  Thatsache,  welche  keinen  Zweifel  darüber  liefs,  dass  Athen 
in  seiner  ehrlichen  Friedenspolitik  schmählich  hintergangen  sei ;  sie 
konnte  Niemand  erwünschter  sein,  als  denen,  welche  dem  faulen 
Frieden  so  bald  wie  möglich  ein  Ende  machen  und  das  verrätherische 
Sparta  verderben  wollten.  Unter  ihnen  aber  war  Alkibiades  der 
Führer,  weil  er  auf  diesem  Wege  sich  am  empfindlichsten  an  den  Spar- 
tanern rächen  konnte,  weil  er  bei  Gelegenheit  eines  neuen  Kriegs  seine 
Talente  am  glänzendsten  zeigen  und  am  schnellsten  zu  Ruhm  und  un- 
bedingtem Einfluss  gelangen  zu  können  hoffte.  Denn  hier  hatte  er  den 
gröfeten  Theil  der  Menge  für  sich,  denselben,  welcher  Kleons  Kriegspo- 
litik Jahre  lang  gestützt  hatte,  und  aufserdem  eine  grofse  Zahl  junger 
Leute,  die  seinem  Glücke  trauten  und  mit  ihm  gewinnen  wollten. 

Was  seine  Kriegspläne  betrifft,  so  wollte  er  keinen  Verteidi- 
gungskrieg, wie  Perikles  ihn  geführt  hatte,  sondern  einen  Angriffs- 

CartiuB,  Or.  Oe»ch.  IL  6.  Aufl.  38 


Digitized  by  Google 


POLITIK   1>ES  ALKIBIAUL>. 


krieg,  der  Ruhm  und  Gewinn  in  Aussicht  stellte.  Da  indessen  zu  einer 
Wiederaufnahme  des  direkten  Kriegs  augenblicklich  die  Zeit  uoch  nicht 
gekommen  war,  so  ging  sein  Plan  dahin,  Sparta  während  des  Friedens 
an  seiner  verwundbarsten  Stelle  anzugreifen,  indem  er  die  Zerrüttung 
der  peloponnesischen  Bundesverhältnisse  benutzte,  um  Athen  einen 
kräftigen  Bundesgenossen  in  der  dorischen  Halbinsel  zu  verschaffen. 
Darum  hatte  er  schon  mit  Argos  Verbindungen  angeknüpft,  um  die 
dortigen  Volksführer  von  dem  bevorstehenden  Sturze  der  lakonischen 
Partei  in  Athen  zu  benachrichtigen  und  sie  für  ein  allisches  Bündnis* 
zu  gewinnen.  Der  Augenblick  drängte ;  denn  Argos  war  durch  den 
Anschluss  Böotiens  an  Sparta  so  erschreckt,  dass  es  eilig  bestrebt 
war,  sich  auch  durch  eine  Ausgleichung  mit  Sparta  sicher  zu  stellen. 

Alkibiades  handelte  mit  rücksichtsloser  Entschiedenheit,  als  wenn 
er  schon  Herr  in  Athen  wäre.  Auf  seine  Veranstaltung  erschienen 
argivische  Abgeordnete  in  Athen,  von  Bürgern  verbündeter  Gemeinden, 
namentlich  Eleern  und  Manlineern,  den  zähesten  Feinden  Spartas,  be- 
gleitet. Sie  trafen  im  Frühjahr  420  (Ol.  SO,  4)  mit  den  Gesandten 
Spartas  zusammen,  welche  den  Auftrag  hatten,  die  Erbitterung  Athens 
wegen  des  Bündnisses  mit  Theben  zu  beschwichtigen  und  um  jeden 
Preis  das  Einverständniss  der  beiden  Grofsstaaten  wieder  herzustellen. 
Diese  versöhnende  Annäherung  verfehlte  ihre  Wirkung  nicht.  Alki- 
biades sah  sein  Ansehen  für  alle  Zeit  auf  das  Spiel  gesetzt;  er  mussle 
also  zu  den  verwegensten  und  rücksichtslosesten  Mitteln  greifen, 
damit  nur  nicht  die  auf  seine  Versprechungen  bauenden  Argiver  ab- 
gewiesen würden. 

Er  beredet  die  Spartaner,  welche  sich  mit  unbedingten  Voll- 
machten dem  Rathe  der  Fünfhundert  vorgestellt  hatten,  vor  der  Volks- 
versammlung so  zu  sprechen,  als  wenn  sie  nicht  zum  Abschlüsse  der 
Verhandlungen  bevollmächtigt  wären,  und  verspricht  ihnen  für  diesen 
Fall,  dass  er  die  Uebergabe  von  Pylos  erwirken  werde.  Die  Spartaner 
gehen  arglos  in  die  Falle,  und  Alkibiades  benutzt  nun  den  Widerspruch 
ihrer  Aussagen,  um  sie  am  nächsten  Tage  vor  dem  versammelten 
Volke  ihrer  Unzuverlässigkeit  wegen  auf  das  Heftigste  anzufahren  und 
dadurch  zugleich  der  ganzen  Friedenspartei  eine  unerwartete  Nieder- 
lage beizubringen.  Nun  sehe  man,  hiefs  es,  doch  deutlich  genug,  dass 
mit  Sparta  ehrliche  Verhandlungen  unmöglich  wären,  sie  führten  jeden 
Tag  eine  andere  Rede;  man  müsse  neue  Freunde  suchen,  Freunde, 
deren  Staaten  durch  gleiche  Verfassung  und  gleiche  Interessen  auf 


Digitized  by  Google 


DER  VIERSTAATENBUND  (W,  4;  4M).  595 

Athen  angewiesen  wären,  und  die  man  unterstützen  und  warm  halten 
müsse,  damit  sie  nicht  gezwungen  in  das  feindliche  Lager  übergingen. 
So  gut  wie  Sparta  mit  Theben,  könne  auch  Athen  mit  Argos  sich  ver- 
binden. 

Die  Gesandten  Spartas  mussten  mit  Schimpf  und  Schande  ab- 
treten, und  nachdem  Nikias  in  Athen  und  Sparta  alles  Mögliche  ver- 
gebens dagegen  versucht  hatte,  wurde  zwischen  Athen  einerseits, 
Argos,  Mantineia  und  Elis  andererseits  ein  Vertrag  und  WafTenbündniss 
auf  hundert  Jahre  abgeschlossen.  Die  Athener  beschwören  den  Vertrag 
für  sich  und  die  Bundesgenossen,  'welche  sie  beherrschen',  die  drei 
peloponnesischen  Staaten  jeder  für  sich.  Die  Urkunde  wurde  in  Stein 
auf  der  Burg  von  Athen  aufgestellt,  von  den  Argivern  und  Mantineern 
in  den  Heiligthümern  des  Apollo  und  des  Zeus  am  Markt;  den  Eleern 
aber  wurde  aufgetragen,  die  Urkunde  im  Namen  aller  Betheiliglen,  in 
Erz  geschrieben,  bei  dem  bevorstehenden  olympischen  Feste  in  der 
Allis  aufzustellen.  Aufeer  der  Abschrift,  welche  Tbukydides  seiner 
Geschichte  eingefügt  bat,  liegt  uns  von  dem  auf  der  Akropolis  auf- 
gestellten Marmordenkmal  ein  ansehnliches  Bruchstück  vorli;). 

Durch  diesen  Vertrag  waren  die  Verhältnisse  der  griechischen 
Staaten  wesentlich  verändert.  Athen  stand  jetzt  an  der  Spitze  eines 
peloponnesischen  Sonderbundes;  eine  neue  Kriegspolitik  war  eröffnet, 
welche  aus  den  Anschlägen  eines  Mannes  hervorgegangen  war;  die 
Geschicke  Griechenlands  lagen  in  der  Hand  des  Alkibiades. 

Er  war  aber  nicht  gesonnen,  die  Ausbeute  dieser  glänzenden  Er- 
folge auf  spätere  Gelegenheit  zu  verschieben.  Es  sollte  sich  gleich 
zeigen,  dass  Athen  für  seine  Unternehmungen  jetzt  einen  neuen  und 
vielversprechenden  Schauplatz  gewonnen  habe;  die  Friedensverträge 
wurden  zwar  nicht  aufgehoben,  thatsächlich  wurde  aber  mit  dem 
Sommer  419  (Ol.  90,  ]±)  der  alte  Kampf  wieder  eröffnet. 

Alkibiades  war  Feldherr,  und  unter  seiner  Leitung  trat  der  Vier- 
staatenbund als  eine  Waffenmacht  auf;  es  begann  ein  peloponnesischer 
Krieg  im  eigentlichsten  Sinne  des  Worts.  Denn  der  Plan  war  Arkadien 
zu  gewinnen,  um  auf  diese  Weise  Argos  und  Elis  mit  einander  zu  ver- 
binden und  Sparta  im  Süden  zu  isoliren,  wie  es  schon  in  alten  Zeiten 
durch  den  Argiver  Pheidon  geschehen  war  (1,  235) ;  wie  damals  durch 
die  Pisaten,  so  wurde  Sparta  jetzt  durch  die  Eleer  von  der  Feier  der 
Olympien  ausgeschlossen.  Andererseits  war  es  auf  Korinth  abgesehen, 
das  sich  unter  den  gegenwärtigen  Umständen  natürlich  vom  Sonder- 

38* 


Digitized  by  Google 


596 


ATHENS  STELLUNG  IM  PELOPONNES. 


bunde  wieder  losgesagt  hatte.  Um  aber  am  korinthischen  Meere  neue 
Stützpunkte  der  attischen  Macht  zu  gewinnen,  war  keine  Landschaft 
geeigneter  als  Achaja.  Darum  knüpfte  Alkibiades  mit  den  Bürgern  von 
Patrai  Unterhandlungen  an,  die  so  erfolgreich  waren,  dass  sie  dem 
attischen  Bündnisse  beitraten  und  zugleich  ihre  Stadt  durch  lange 
Mauern  mit  dem  Meere  zu  verbinden  beschlossen,  so  dass  sie  gegen 
Sparta  geschützt  und  attischer  Hülfe  immer  zugänglich  waren117*). 

So  reichte  eine  Kette  attischer  Waffen  platze  von  Naupaktos  bis  zu 
den  ionischen  Inseln  hinüber.  An  der  Westküste  hatte  man  die  Häfen 
von  Elia  zur  Verfügung.  Messenien  konnte  man  jederzeit  von  Pylos 
angreifen.  An  der  Ostküste  gehörte  das  ganze  hafenreiche  Gestade  von 
Argolis  zum  attischen  Bundesgebiete,  und  wenn  man  den  Umkreis  der 
Halbinsel  musterte,  so  musste  ein  Punkt  als  nächstes  Ziel  attischer 
Politik  ins  Auge  fallen,  das  war  Epidauros,  dessen  Berge  von  Athen 
aus  sichtbar  sind,  dessen  Hafen,  gerade  gegenüber  nach  Südwesten  ge- 
legen, vom  Peiraieus  und  Aigina  aus  die  bequemste  Anfahrt  darbot. 
Hatte  man  Epidauros  in  Händen,  so  war  Korinth  auch  von  der  Ost- 
seite fortwährend  in  Schach  gehalten,  und  die  beiden  Hauptstädte  des 
Sonderbundes,  Argos  und  Athen,  bis  dahin  auf  den  weiten  Umweg 
um  Cap  Skyllaion  angewiesen,  waren  danu  auf  dem  nächsten  Wege 
mit  einander  verbunden.  Epidauros  war  also  für  alle  Unternehmun- 
gen im  Peloponnes  die  wichtigste  Operationsbasis,  und  man  hoffte, 
sich  derselben  bei  der  grofsen  Entfernung  von  Sparta  ohne  zu  grofse 
Schwierigkeit  bemächtigen  zu  können. 

Aber  die  Epidaurier  hielten  bei  ihrer  aristokratischen  Verfassung 
nach  alter  Gewohnheit  sehr  fest  an  Sparta;  die  Korinther,  welche  nach 
dem  Frieden  des  Nikias  ein  Defensivbündniss  mit  Argos  zu  schliefsen 
geneigt  waren,  hatten  sich  in  Folge  des  letzten  Umschwunges  der  argivi- 
schen  Politik  wieder  den  Lakedämoniern  zugewandt;  sie  erkannten 
sofort  die  neue  Gefahr,  welche  drohte,  und  setzten  Sparta  in  Bewegung. 
So  entwickelte  sich  eine  unerwartete  Energie  im  peloponnesischen 
Bunde,  und  es  knüpfte  sich  an  die  Stadtfehde  zwischen  Argos  und 
Epidauros  eine  Folge  der  wichtigsten  Ereignisse. 

Zunächst  galt  es  einen  Vorwand  zum  Kriege  zu  finden.  Argos 
beschuldigte  die  Nachbarstadt,  die  Opfergaben  an  das  Ueiügthum  des 
Apollon  Pylhaeus  (I,  152)  schuldig  geblieben  zu  sein.  Um  dem  Gotte 
sein  Recht  zu  verschaffen ,  rückten  die  Argiver  in  das  Gebiet  von 
Epidauros  ein.  König  Agis  setzte  sich  gleichzeitig  mit  voller  Heeres- 


Digitized  by  Google 


FEHDE  ZWISCHEN  AAG0S  UND  EPIDAÜROS  (90,  %i  419) 


597 


starke  in  Bewegung  —  aber  ungünstige  Opferzeichen  hielten  ihn  in 
Lakonien  zurück,  und  es  wurde  der  Auszug  über  den  bevorstehenden 
Festmonal  der  Kameen  hinaus  vertagt  Die  Argiver  aber,  die  noch  vor 
Beginn  des  Monats  ausgezogen  waren,  wussten  denselben  durch  Ein- 
schaltungen in  der  Weise  hinauszuschieben,  dass  sie,  während  die 
Bundesgenossen  der  Epidaurier  sich  durch  die  Waffenruhe  gebunden 
sahen,  das  Gebiet  derselben  ungestört  verwüsteten,  weil  für  sie  der 
Karneios  noch  nicht  angebrochen  sei. 

So  ging  der  Sommer  bin,  ohne  dass  die  Bundes-  und  die  Sonder- 
bundstruppen zusammentrafen  und  die  tausend  Schwerbewaffneten, 
welche  unter  Alkibiades  in  den  Peloponnes  geschickt  waren,  kehrten 
wieder  heim,  weil  keine  Gefahr  vorhanden  war. 

Im  Winter  (419—8)  kam  die  Angelegenheit  plötzlich  in  eine  neue 
Entwickelung.  Den  Lakedämoniern  gelang  es,  eine  Schaar  von  300 
Mann  unter  Agesippidas  unbemerkt  zu  Schiff  nach  Epidauros  zu  bringen 
und  dadurch  Athen  wie  Argos  in  die  peinlichste  Ueberraschung  zu 
versetzen. 

Die  Argiver  beschwerten  sich  bitter  über  Vernachlässigung  der 
See  wacht  von  Seilen  Athens  und  klagten  Sparta  des  Friedensbruchs 
an,  weil  es  die  Gränzen  des  attischen  Bundesgebiets  verletzt  habe. 
Alkibiades  setzte  es  durch,  dass  auf  der  Friedenssäule  der  Zusatz  ge- 
macht wurde,  die  Spartaner  hätten  den  Verlrag  nicht  gehalten ;  dadurch 
verschaffte  die  Kriegspartei  der  attischen  Politik  freie  Hand,  und  es 
wurden  auch  auf  Antrag  der  Argiver  sofort  wieder  Messenier  und 
Heloten  (S.  583)  anstatt  der  Athener  als  Besatzung  nach  Pylos  ge- 
bracht, um  das  lakonische  Gebiet  zu  brandschatzen. 

Weiter  reichte  aber  Alkibiades'  Einfluss  nicht;  die  Spannung  der 
Parteien  lähmte  jeden  weiteren  Entschluss.  Man  begnügte  sich  mit 
dem  gegen  Sparta  erhobenen  Proteste  und  für  das  nächste  Kriegsjahr 
wurden  Anhänger  der  Friedenspartei,  darunter  Laches  und  Nikostratos, 
zu  Feldherrn  gewählt11*). 

Dagegen  nahm  im  Peloponnes  die  kriegerische  Bewegung  einen 
mächtigen  Aufschwung.  Die  Bedrängniss  der  Epidaurier,  die  man  auf 
keinen  Fall  preisgeben  wollte,  und  die  zunehmende  Unsicherheit  aller 
peloponnesiscben  Verbältnisse  hatten  den  Entschluss  hervorgerufen, 
diesmal  alle  Mittel  aufzubieten.  Die  Lakedämonier  rückten  in  voller 
Kriegsstärke  aus,  und  die  treugebliebenen  Peloponnesier,  aufeerdem 
Megara  und  Böotien,  zeigten  den  gröfsten  Eifer,  um  mit  einem  Haupt- 


Digitized  by  Google 


59S 


AGIS'  RÜCKZUG. 


schlage  die  sonderbündlerischen  Umtriebe  zu  Boden  zu  werfen.  Man 
hatte  nie  ein  stattlicheres  Bundesheer  beisammen  gesehen,  als  das, 
welches  sich  um  die  Mitte  des  Sommers  unter  König  Agis  sammelte. 

Die  verbündeten  Argiver,  Mantineer  und  Eleer  stellten  sich  bei 
Methydrion  in  den  Weg,  doch  gelang  es  Agis  die  Vereinigung  aller 
Truppen  in  Phlius  zu  Stande  zu  bringen  und  so  von  ISemea  gegen  Argos 
vorzurücken.  Das  argivische  Heer  wurde  innerhalb  der  Ebene  umstellt, 
von  der  Stadtseite  durch  die  Lakedämonier,  vom  Gebirge  her  durch  die 
Bundesgenossen  eingeschlossen.  Eine  entscheidende  Schlacht  schien 
unvermeidlich,  und  auch  die  Sonderbundstruppen  waren  trotz  des 
empfindlichen  Mangels  an  Reiterei  voll  Kriegsmutb. 

Da  begaben  sich  zwei  Argiver,  Thrasyllos,  einer  der  fünf  Feldherrn 
und  Alkiphron,  der  Geschäftsführer  Spartas  in  Argos,  zum  König  Agis 
und  suchten  ihn  davon  zu  überzeugen,  dass  das  furchtbare  Blutver- 
gießen, welches  unmittelbar  bevorstehe,  vermieden  werden  könne  und 
müsse.  Sie  verbürgten  sich  dafür,  dass  das  alte  Bundesverhältniss 
wieder  hergestellt  werden  solle  und  versprachen  für  das,  was  die  demo- 
kratische Partei  gegen  Sparta  unternommen  habe,  vollständige  Genug- 
tuung. Obgleich  ohne  amtliche  Vollmacht,  wussten  sie  doch  den 
König  zu  gewinnen.  Er  muss  es  für  seine  königliche  Pflicht  gehalten 
haben,  die  blutige  Schlacht,  so  viel  an  ihm  liege,  zu  vermeiden;  er 
glaubte,  die  grofsartige  Entfaltung  spartanischer  Ueberraacht  genüge, 
um  die  Argiver  von  ihrer  Sonderbundspolitik  gründlich  zu  bekehren, 
und  da  er  für  seine  versöhnliche  Politik  augenblicklich  bei  den  Heer- 
führern kein  Gehör  finden  konnte,  machte  er  nur  einen  der  begleiten- 
den Ephoren  zum  Vertrauten  seines  Entschlusses  und  schloss  eigen- 
mächtig mit  den  beiden  Argiver n  einen  Waffenstillstand  auf  vier  Monate, 
innerhalb  dessen  sie  dafür  sorgen  sollten,  dass  das  von  ihnen  Ver- 
sprochene ausgeführt  werde. 

Die  Verkündigung  dieses  Waffenstillstandes  erregte  auf  beiden 
Seiten  die  gröfste  Erbitterung.  Thrasyllos  entging  bei  der  Heimkehr 
der  Argiver  mit  Mühe  der  Steinigung  und  wurde  mit  Einziehung  seiner 
Güter  bestraft.  Das  peloponnesische  Heer  trat  ohne  Widerspruch  den 
Rückzug  an,  aber  mit  heftigem  Unwillen  sprach  man  sich  darüber  aus, 
dass  die  Treue  der  Bundesgenossen  missbraucht  werde  und  eine 
unwiederbringliche  Gelegenheit  zur  Demüthigung  der  Argiver  leicht- 
sinnig aus  der  Hand  gegeben  sei;  auch  in  Sparta  fand  das  Verfahren 
des  Königs  solche  Missbilligung,  dass  eine  neue  Einschränkung  des 


Digitized  by  Google 


ZUG  GEGEN  ORCHÜMENOS. 


590 


königlichen  Oberfeldherrnamts  die  Folge  war;  es  wurde  beschlossen, 
dass  künftig  bei  allen  Unternehmungen  ein  Kriegsrath  von  zehn 
Männern  dem  Könige  zur  Seile  stehen  solle119). 

Bald  nach  Agis'  Rückzüge  kamen  die  Athener,  tausend  Mann  stark 
mit  dreihundert  Reitern,  unter  Ladies  und  Nikostratos  in  Argos  an, 
um  ihren  Verbündeten  gegen  Sparta  beizustehen;  statt  dessen  fanden 
sie  Argos  in  einem  Verlragsverhültniss  mit  Sparta,  und  die  Partei  des 
Thrasyllos  war  so  stark,  dass  der  unverzügliche  Abmarsch  der  Athener 
gefordert  und  Alkibiades,  der  als  politischer  Agent  das  Heer  begleitete, 
der  Zutritt  zur  Volksversammlung  versagt  wurde.  Aber  die  Mantineer 
und  Eleer,  welche  sich  von  den  Argivern  preisgegeben  sahen,  wussten 
es  durchzusetzen,  dass  doch  mit  den  Athenern  verhandelt  wurde,  und 
als  diese  zum  Worte  kamen,  gelang  es  ihnen  bald,  die  Argiver  zu  über- 
zeugen, dass  der  Vertrag  mit  Agis  völlig  nichtig  sei  und  dass  man  den 
Krieg  unverzüglich  wieder  aufnehmen  müsse.  Den  Mantineern  und 
Eleern  lag  vor  Allem  daran,  die  Macht  der  Spartaner  im  Innern  der 
Halbinsel  und  an  der  Westküste  zu  brechen.  Darum  wurde  auf  ihren 
Antrieb  ein  Zug  gegen  Orchomenos  beschlossen,  welchem  die  Argiver, 
wenn  auch  zögernd,  sich  anschlössen.  Die  arkadische  Feste  war  der 
wichtigste  Stützpunkt  der  lakedämonischen  Macht  im  Binnenlande. 
Sie  wurde  genommen,  und  die  Verbündeten  rückten  vor  Tegea. 

Aber  schon  jetzt  schwächte  sich  das  Heer  durch  innere  Spaltung; 
denn  die  Eleer  waren  unzufrieden,  dass  man  nicht  vor  Allem  daran 
gehen  wolle,  die  lakedämonische  Besatzung  aus  Lepreon  zu  vertreiben, 
und  ihre  3000  Schwerbewaffneten  zogen  in  die  Heimath  ab,  gerade  als 
die  höchste  Gefahr  drohte,  als  die  Spartaner  unter  König  Agis  mit  fünf 
Sechstel  ihrer  gesamten  Kriegsmacht  ausrückten,  voll  Eifer,  Argos  für 
seinen  Treubruch  zu  strafen  und  das  aus  Friedensliebe  Versäumte 
wieder  gut  zu  machen. 

Die  Verbündeten  zogen  sich  aus  der  Tegea tis  in  das  Gebiet  von 
Mantineia  zurück  und  besetzten  die  Höhen,  welche  so  fest  waren,  dass 
Agis  einen  schon  begonnenen  Angrifl*  wieder  aufgab.  Er  ergrifT  statt 
dessen  ein  Kriegsmittel,  welches  die  Tegeaten  in  ihren  Nachbarfehden 
nicht  selten  angewendet  halten;  er  leitete  nämlich  den  Bach  Ophis, 
welcher  aus  einem  Stadtgebiete  in  das  andere  floss,  ab,  so  dass  die 
Felder  der  Mantineer,  welche  den  niedrigeren  Theil  der  gemeinsamen 
Ebene  inne  hatten,  mit  einer  vollständigen  Ueberschwemmung  bedroht 
wurden.  Die  Folge  war,  dass  die  Mantineer  nicht  mehr  auf  der  Höhe 


Digitized  by  Google 


600 


SCHLACHT  BEI  MA5TKEIA  (dO.  3;  418  AUG.). 


zu  ballen  waren ;  jeder  Widerspruch  der  Feldherrn  war  wirkungslos 
und  zu  seiner  Ueberraschung  sab  Agis  am  nächsten  Morgen  den  Feind, 
wie  er  es  gewünscht  hatte,  in  der  Ebene  vor  sich  in  Schlachtreibe  auf- 
gestellt. Durch  den  Abmarsch  der  Eleer  hatte  er  die  Ueberzahl  auf 
seiner  Seite  und  aufserdem  den  Vortheil,  an  der  Spitze  eines  durch 
gleiche  Kriegszucht  und  Kriegsübung  vereinigten  Heerkörpers  zu  stehen. 
Mit  dem  gröfsten  Muthe  und  sicherem  Feldherrnblicke  leitete  er  den 
Kampf,  welcher  bald  in  der  ganzen  Breite  der  SchlachÜinie  auf  das 
Heiligste  entbrannte;  er  warf  das  feindliche  Mitteltreflen ,  das  die 
Argiver  inne  hatten,  und  den  linken  Flügel,  dessen  Spitze  die  Athener 
bildeten.  Dann  eilte  er,  ohne  seine  Vortheile  zu  hitzig  zu  verfolgen, 
auf  die  andere  Seite  der  Schlachtreihe,  wo  die  Man  tineer,  welche  den 
rechten  Flügel  bildeten,  siegreich  vorgedrungen  waren.  Nun  mussten 
auch  sie  das  Feld  räumen  und  erlitten  dabei  die  schwersten  Verluste. 

Es  war  eine  Schlacht  von  der  gröfsteo  Bedeutung,  weil  dieUeber- 
legenheit  spartanischer  Waflenkunst  auf  einmal  wieder  in  das  klarste 
Licht  gestellt  wurde  und  eben  so  die  innere  Schwäche  des  Sonder- 
bundes. Hatten  doch  die  Argiver,  die  den  Kern  desselben  bilden 
wollten,  nicht  einmal  das  Anrücken  der  feindlichen  Lanzenreiben  er- 
warten können.  Wie  thöricht  erschienen  also  ihre  Ansprüche,  den  Spar- 
tanern die  Hegemonie  streitig  zu  machen!  Die  Athener,  zu  schwach 
an  Zahl,  um  eine  Entscheidung  zu  geben,  waren  nur  mit  Mühe  einer 
volligen  Niederlage  entgangen ;  welche  Anstrengung  es  aber  gekostet 
haben  muss,  die  Mannschaft  zusammenzuhalten,  beweist  der  Umstand, 
dass  beide  Feldherrn  im  Handgemenge  fielen.  Es  war  noch  ein  Glück, 
dass  Agis,  der  Alles  that,  um  seinen  Kriegsruhm  wieder  herzustellen, 
in  seinem  Eifer  durch  Pbarax  gezügelt  wurde,  ein  einflussreiches  Mit- 
glied des  Kriegsraths.  Er  veranlasste  ihn  namentlich,  die  auserlesene 
Mannschaft  der  Argiver,  welche  mit  tollkühnem  Muthe  in  den  Kampf 
gegangen  war,  zu  schonen,  weil  er  wohl  erkannte,  dass  diese  Mann- 
schaft, am  Leben  erhalten,  den  Spartanern  noch  wesentliche  Dienste 
leisten  könne,  während  ihr  Untergang  nur  dazu  dienen  würde,  der 
Demokratie  in  Argos  eine  unbedingte  Herrschaft  zu  sichern110). 

Auch  nach  der  Schlacht  war  der  Krieg  nichts  weniger  als  zu  Ende. 
Denn  da  die  Lakedämonier  zu  dem  Karneenfeste  heimkehrten,  konnte 
sich  das  geschlagene  Heer  in  aller  Ruhe  wieder  sammeln,  und  bald 
war  es  stärker  als  vor  der  Schlacht,  denn  die  dreitausend  Eleer,  welche 
der  gemeinsamen  Sache  untreu  geworden  waren,  kehrten  zurück,  da 


Digitized  by  Google 


ARGOS  MIT  SPARTA  VERBÜNDET  (WINTER  418;  »0,  3).  601 

sie  von  der  Bedrängniss  der  Man  tineer  hörten,  und  aus  Athen  kam 
eine  zweite  Hülfsschaar  von  tausend  Schwerbewaffneten.  Auch  ver- 
ständigte man  sich  sofort  über  weitere  Unternehmungen,  und  zwar  be- 
schloss  man,  ohne  Zweifel  auf  Antrieb  der  Athener,  gegen  Epidauros 
zu  ziehen;  ein  Beschluss,  der  um  so  zeitgemäfser  erschien,  da  die  Epi- 
daurier  am  Tage  vor  der  Schlacht  einen  grolsen  Einfall  in  das  argivi- 
sche  Gebiet  gemacht  hatten.  Die  Stadt  wurde  umzingelt  und  eine 
regelrechte  Belagerung  eingeleitet.  An  der  Untüchtigkeit  der  Eleer  und 
Mantineer  scheiterte  aber  das  Werk;  denn  nur  was  die  Athener  be- 
gonnen hatten,  die  Umwailung  des  Heraion  am  Strande,  wurde  fertig, 
und  hier  liefe  man  eine  gemischte  Besatzung  zurück,  während  das  Heer 
sich  mit  Ende  des  Sommers  auflöste. 

Inzwischen  hatte  sich  in  Argos  die  Nachwirkung  der  Schlacht  ge- 
zeigt. Die  demokratische  Partei  war  entmulhigt,  während  ihre  Gegner, 
des  Thrasyllos  und  Alkiphron  Gesinnungsgenossen,  neue  Unterhand- 
lungen mit  Sparta  anknüpften,  um  durch  dessen  Hülfe  an  das  Ruder 
zu  kommen.  Die  Schaar  der  Tausend  (S.  580),  welche  in  der  Schlacht 
allein  ihre  Ehre  gewahrt  hatte,  war  der  Herd  oligarchischer  Bewegun- 
gen. Als  daher  im  Winter  Gesandte  von  Sparta  kamen,  um  Frieden 
und  Bündniss  anzubieten,  und  gleichzeitig  mit  einem  schon  bis  Tegea 
vorgerückten  Heere  drohten,  gelang  es  den  lakedämonisch  Gesinnten, 
trotz  der  Anwesenheit  des  Alkibiades,  die  Bürgerschaft  zur  Annahme 
der  Friedensanträge  zu  bewegen.  Die  Geiseln  und  Gefangenen  wurden 
ausgetauscht,  dieArgiver  stellten  ihre  Feindseligkeiten  gegen  Epidauros 
ein;  alle  Angriffe  gegen  den  Peloponnes  sollten  fortan  gemeinsam  zu- 
rückgewiesen werden,  sonst  sollten  alle  Staaten  sich  nach  eigenem 
Gutdünken  regieren.  Das  war  der  erste  Sieg  der  Oligarchen.  Bald 
darauf  gelang  es  ihnen,  die  vollständige  Auflösung  des  attischen  Bünd- 
nisses durchzusetzen  und  statt  dessen  ein  fünfzigjähriges  Bündniss  mit 
Sparta  abzuschließen,  welches  so  abgefasst  war,  dass  die  Ansprüche 
der  Argiver  in  sehr  schonender  Weise  behandelt  wurden,  indem  ihnen 
scheinbar  eine  gleichberechtigte  Stellung  neben  Sparta  an  der  Spitze 
des  peloponnesiscben  Bundes  eingeräumt  wurde131). 

Damit  begann  denn  auch  sofort  eine  feindliche  Haltung  gegen 
Athen.  Vereinigle  Gesandtschaften  von  Argos  und  Sparta  gingen  nach 
der  thrakischen  Küste,  um  hier  mit  den  abtrünnigen  Städten  zu  ver- 
handeln und  Perdikkas  wieder  auf  ihre  Seite  zu  ziehen;  mit  gröfstem 
Nachdrucke  verlangte  man  dann  in  Athen  die  Räumung  des  Gebiets 


Digitized  by  Google 


002 


R F.AKTION  IM  PELOPO>NF.S 


von  Epidauros,  woselbst  noch  attische  und  peioponnesische  Truppen 
lagen,  die  letzten  Ueberreste  eines  sonderbündnerischen  Heeres.  Die 
Athener,  welche  den  Abfall  ihrer  peloponnesischen  Bundesgenossen 
nicht  aufzuhalten  vermochten,  schickten  Demosthencs,  um  die  Truppen 
aus  Epidauros  abzuholen.  Er  erfüllt  aber  diesen  Auftrag  nicht,  sondern 
weifs  sich  durch  eine  List  der  Verbündeten  zu  entledigen,  um  für 
Athen  allein  diesen  wichtigen  Funkt  festzuhalten.  Es  sollte  ein  Pylos 
für  die  Nordküste  der  Halbinsel  sein ;  das  war  der  kühne  Gedanke  des 
Demoslhenes.  Aber  die  Friedenspartei  hatte  in  Athen  die  Oberhand; 
das  eigenmächtige  Verfahren  des  Feldherrn  wurde  nicht  bestätigt;  er 
musste  dem  Befehl  gehorchen,  und  mit  der  Bäumung  des  Heraion  war 
der  ganze  Anschlag,  welcher  die  letzten  Kriegsereignisse  unmittelbar 
hervorgerufen  hatte,  vollständig  gescheitert183). 

Um  dieselbe  Zeit  erfolgte  auch  in  verschiedenen  peloponnesischen 
Staaten  eine  entweder  gewaltsame  oder  aus  den  Umständen  sich  er- 
gebende Beaktion.  Mantineia  trat  wieder  in  seine  frühere  unbedeu- 
tende und  den  Spartanern  gehorsame  Stellung  zurück;  in  Sikyon 
wurde  durch  ein  gemeinsames  Heer  des  neu  errichteten  Bundes  die 
verfassungsmäfsige  Begierung  gestürzt,  weil  man  ihr  demokratische 
Bichtung  Schuld  gab,  und  zuletzt  erfolgte,  was  offenbar  das  Ziel  dieser 
vorbereitenden  Schritte  gewesen  war,  ein  gleicher  gewaltsamer  Um- 
schwung in  Argos  selbst,  und  zwar  durch  eine  blutige  Revolution, 
welche  noch  gegen  Ende  des  Winters  den  ganzen  Staat  in  die  Hände 
der  oligarchischen  Partei  brachte,  deren  Häupter  den  Tausend  ange- 
hörten. So  unbedingt  hatte  Sparta  lange  nicht  in  der  Halbinsel  ge- 
herrscht; mit  Ausnahme  von  Elis,  das  man  ruhig  grollen  liefs,  weil  es 
nicht  schaden  konnte,  waren  alle  Staaten  durch  Bündniss  und  gleich- 
artige Verfassung  vereinigt;  selbst  in  Achaja  wurden  jetzt  nach  dem 
Belieben  Spartas  die  Verfassungen  umgeändert,  um  es  den  Städten 
unmöglich  zu  machen,  dem  Beispiele  der  Paträer  (S.  596)  zu 
folgen113). 

Während  der  peloponnesischen  Begebenheilen  hatten  in  Athen 
die  alten  Parteispannungen  fortgedauert  und  ihren  Einfluss  auf  die 
auswärtige  Polilik  deutlich  genug  erkennen  lassen. 

Die  Friedenspartei  betrachtete  es  als  ein  vergebliches  und  frevel- 
haftes Unternehmen,  den  peloponnesischen  Bund  sprengen  zu  wollen 
und  suchte  ihren  Gegnern  nachzuweisen,  wie  sehr  sie  sich  über  Sparta 
getäuscht  hätten,  wenn  sie  es  als  einen  in  voller  Auflösung  begriffenen 


Digitized  by  Googl 


PARTEISPANNCNG  IN  ATHEN 


G03 


Staat  darstellten,  und  eben  so  sehr  über  die  Verbündeten  und  ihre  Zu- 
verlässigkeit. Alkibiades  dagegen  konnte  mit  gutem  Grunde  be- 
haupten, dass  nicht  seine  Rathschläge  am  Misslingen  Schuld  seien, 
sondern  die  Unentschiedenheit  der  Athener.  Denn  wenn  man  die 
Feldherrn  bald  aus  einer,  bald  aus  der  andern  Partei  nehme,  wenn 
man  mitten  im  Kriege  den  Schein  des  Friedens  erhalten  wolle  und 
vereinzelte  Truppensendungen  abgehen  lasse,  welche  nicht  zusammen- 
wirken und  den  Feind  nur  reizen,  aber  nicht  besiegen  könnten,  so 
dürfe  man  freilich  keine  Erfolge  erwarten;  so  müssten  die  günstigsten 
Gelegenheiten  verloren  gehen  und  alle  sich  darbietenden  Vortheile  ins 
Gegenlheil  umschlagen.  Also  entscheiden  mussle  man  sich.  Der 
Gegensatz  der  Parteien  war  zu  einer  unerträglichen  Spannung  ge- 
steigert. Ob  Nikias  oder  Alkibiades  Recht  habe,  konnte  zweifelhaft 
sein,  aber  zweifellos  war  es,  dass  eine  zwischen  Beiden  hin  und  her 
schwankende  Politik  unter  allen  Umständen  verderblich  sein  musste. 
Entweder  musste  man  mit  allein  Ernste  ein  Einverständniss  mit 
Sparta  zu  erzielen  suchen  oder  den  Krieg  mit  voller  Energie  wieder 
aufnehmen. 

In  dieser  Lage  der  Dinge  blieb  nichts  Anderes  übrig  als  das 
Scherbengericht,  welches  einst  zwischen  Aristeides  und  Themistokles, 
zwischen  Perikles  und  Thukydides  entschieden  und  dadurch  den  Staat 
aus  unerträglichen  Parleispannungen  glücklich  befreit  hatte.  Es  war 
eine  Herausforderung,  welche  die  beiden  Staatsmänner  gegen  einander 
richteten,  indem  wahrscheinlich  nach  gegenseitiger  Verständigung  der 
Antrag  gestellt  wurde,  die  Bürgerschaft  solle  in  voller  Versammlung 
ihre  Entscheidung  abgeben.  Einer  von  beiden  musste  den  Platz 
räumen,  damit  der  attischen  Staatsleitung  wieder  eine  feste  Richtung 
gegeben  werde. 

Während  diese  Entscheidung  vorbereitet  wurde  und  beide  Partei- 
häupter emsig  beschäftigt  waren  ihren  Anhang  zu  ordnen,  gelang  es 
unerwarteter  Weise  dem  Hyperbolos,  sich  noch  einmal  auf  der  Redner- 
bühne gellend  zu  machen,  indem  er  die  schwüle  Stimmung,  die  der 
Entscheidung  vorherging,  für  sich  auszubeuten  suchte  und  mit  unver- 
schämter Zunge  gegen  Nikias  so  wohl  wie  gegen  Alkibiades  aufhetzte. 
Da  nun  von  beiden  Parteiführern  Keiner  sicheres  Vertrauen  zum  Aus- 
gange der  Entscheidung  hatte,  da  im  Grunde  Keinem  damit  gedient 
sein  konnte,  mit  einer  geringen  Mehrzahl  von  Stimmen  seinen  Neben- 
buhler zu  verdrängen,  und  Keiner  von  ihnen  rücksichtslos  ent- 


Digitized  by  Google 


604 


DER  LETZTE  OSTRAKISMOS  (OL.  90,  S;  417). 


schlössen  war,  seine  ganze  Stellung  und  politische  Zukunft  dem  Zufall 
der  Volksabstimmung  anheim  zu  stellen,  so  geschah  es,  dass  Nikias 
und  Alkibiades  sich  in  letzter  Stunde  vereinigten  gegen  einen  Dritten 
und  dass  kurz  vor  der  Abstimmung  beide  Parteien  die  Weisung  er- 
hielten, den  Namen  des  Hyperbolos  auf  die  Scherben  zu  schreiben, 
der  durch  seine  Hetzerei  Beiden  verhasst  und  lästig  war.  Hyperbolos 
soll  sechs  Jahre  in  der  Verbannung  gelebt  haben  und  ist  92,  1  (411) 
gestorben;  darnach  ist  das  Scherbengericht  90,  2  oder  3,  April  418 
oder  417  anzusetzen. 

So  brachte  der  Tag,  an  welchem  die  Geschicke  Athens  sich  ent- 
scheiden sollten,  gar  keine  Entscheidung;  es  blieb  zum  gröfsten  Schaden 
der  Stadt,  wie  es  zuvor  gewesen  war.  Dieser  Nachtheil  war  um  so 
"größer,  weil  der  Ostrakismos  dadurch  in  Missachtung  kam,  dass 
gegen  den  Sinn  dieses  Instituts  ein  unwürdiger  und  unbedeutender 
Mensch,  der  auf  keiner  Seite  wahres  Vertrauen  hatte  und  kein  eigent- 
liches Parteihaupt  war,  von  demselben  betroffen  wurde.  'Um  solcher 
Menschen  willen',  sagt  der  Komödiendichter  Piaton,  'ist  die  Scherbe 
nicht  erfunden'.  Das  attische  Scherbengericht  wurde  nicht  offiziell 
aufgehoben,  aber  es  ist  nie  wieder  angewendet  worden. 

lieber  die  Einzelheiten  des  merkwürdigen  Ereignisses  waren  schon 
im  Alterthum  verschiedene  Ansichten  verbreitet,  zwischen  denen  wir 
nicht  entscheiden  können.  Namentlich  war  aufser  Nikias  und  Alki- 
biades auf  eine  uns  unerklärliche  Weise  auch  Phaiax,  der  Sohn  des 
Erasistratos,  an  dem  Parteikampfe  betheiligt,  ein  Mann,  der  als  Ge- 
sandter gedient  hatte  (S.  576)  und  zum  Kreise  des  Nikias  gehörte. 

Eins  aber  ist  klar.  Der  Ostrakismos,  welcher  so  wesentlich  zum 
Verfassungsleben  von  Athen  gehörte  und  zur  Entwickelung  des  Staats 
so  viel  beigetragen  hat,  setzt  eine  Gesundheit  des  Volkslebens  voraus, 
welche  nicht  mehr  vorhanden  war.  Es  fehlte  dem  Gemeinwesen  die 
Kraft,  um  auf  gesetzmäfsigem  Wege  die  Elemente  auszuscheiden, 
welche  hemmend  oder  störend  einwirkten;  es  fehlte  dem  Volke  an 
innerer  Einheit,  an  Ernst  und  Klarheit,  um  sich  mit  ansehnlicher 
Mehrheit  für  ein  politisches  Programm  zu  entscheiden;  es  war  auch 
Keiner  da,  der  in  vollem  Mafse  sein  Vertrauensmann  war.  Dazu  kam, 
dass  unter  den  gegenwärtigen  Umstanden  die  Verbannung  eines 
mächtigen  Parteihaupts  dem  Staate  neue  und  gröfsere  Gefahren 
bringen  konnte.  Denn  einem  Alkibiades  konnte  man  nicht  zutrauen, 
dass  er,  dem  Volksspruche  gehorsam,  zehn  Jahre  ruhig  im  Auslande 


Digitized  by  Google 


STURZ  DER  OLIGARCBEN  IN  ARGOS. 


605 


verweilen  würde;  man  musste  fürchten,  ihn  durch  die  Ausweisung 
sofort  in  das  feindliche  Lager  zu  treiben,  und  so  konnten  Parteihäupter 
außerhalb  Athens  dem  Staate  ungleich  gefährlicher  sein,  als  innerhalb 
der  Stadt.  Darum  schien  es  denn  bequemer  und  sicherer,  die  beiden 
Staatsmänner  zu  behalten,  die  sich  einander  die  Wage  halten  sollten. 
In  der  That  aber  war  der  Tag,  an  dem  diese  Entscheidung  getroffen 
wurde,  der  Tag  des  letzten  Ostrakismos,  ein  Unglückstag  für  Athen, 
ein  trübes  Zeichen  vom  Verfalle  des  öffentlichen  Lebens  und  ein  Vor- 
bote unheilvoller  Zustände1"). 


Von  den  beiden  Staatsmännern,  die  nun  von  Neuem  ihren  Partei- 
karopf  aufnahmen,  war  Alkibiades,  wie  sich  denken  lässt,  der  ge- 
schäftigere und  wirksamere.  Ihm  gelang  es  bald,  die  Bürger  zu  über- 
zeugen, dass  die  letzten  Erfolge  Spartas,  welche  man  zu  seiner  Be- 
schämung ausgebeutet  hatte,  nicht  von  dauerhafter  Beschaffenheit  seien. 
Zwischen  Argos  und  Sparta  war  in  der  That  ein  ehrliches  Einverständ- 
nis eben  so  unmöglich,  wie  zwischen  Athen  und  Sparta.  Auch  standen 
sich  die  Parteien  in  Argos  mit  wildem  Hasse  gegenüber,  zur  Erneuerung 
des  Kampfes  jeden  Augenblick  bereit.  Die  Loosung  zum  Ausbruche 
gab  Bryas,  der  Anführer  der  Tausend,  indem  er  durch  schnöde  Ge- 
waltthat  die  Feier  einer  Bürgerhochzeit  störte.  Die  geraubte  Braut 
rächte  sich  an  ihm,  indem  sie  ihm  im  Schlafe  die  Augen  ausstiefs, 
und  suchte  dann  Schutz  beim  Volke,  das  sich  in  Masse  gegen  den  sol- 
datischen Uebermuth  der  Oligarchen  erhob  und  das  auf  Sparta  ge- 
stützte Regierungssystem  nach  achtmonatlicher  Dauer  stürzte. 

Athen  war  bei  diesen  Vorgängen  unbetheiligt,  in  Sparta  wurde 
man  aber  von  dem  bevorstehenden  Umschwünge  schon  bei  Zeiten  in 
Kenntniss  gesetzt  und  schob  auf  die  dringenden  Hülfsgesuche  der  lako- 
nischen Partei  selbst  das  Fest  der  Gymnopädien  auf,  um  rechtzeitig  in 
Argos  zur  Hand  zu  sein.  Als  aber  die  Spartaner  in  Tegea  erfuhren, 
dass  Argos  im  Besitz  der  Volkspartei  sei,  kehrten  sie  um  und  Uelsen 
sich  nun  durch  nichts  davon  abbringen,  ihr  Fest  ruhig  zu  Ende  zu 
feiern. 

Inzwischen  war  der  Vertrag  der  Argiver  und  Spartaner  noch 
keineswegs  aufgehoben;  vielmehr  schickte  die  neue  Regierung  Gesandte 
nach  Sparta  und  beantragte  in  aller  Form  die  Erhaltung  des  Bundes; 


Digitized  by  Google 


606  AROOS  MIT  ATHEN  VERBÜNDET  (90,  4;  417  SOMMER). 

der  Staat  wollte  in  dem  peloponnesischen  Bunde  verharren.  Dagegen 
waren  aber  auch  die  vertriebenen  Oligarchen  vertreten,  welche  sich 
noch  immer  als  das  wahre  Argos  betrachteten  und  gegen  das  Ansuchen 
der  Demokraten  Protest  einlegten.  Nach  langen  Verhandlungen,  an 
denen  auch  die  Bundesgenossen  sich  betheiligten,  wurde  die  Streit- 
frage zu  Ungunsten  der  neuen  Begierung  entschieden,  und  in  Folge 
dessen  sollte  nun  durch  eine  gemeinsame  peloponnesiscbe  Unter- 
nehmung die  alte  Verfassung  in  Argos  hergestellt  werden.  Zur  Aus- 
führung solcher  Heerzuge  hatten  aber  die  Bundesgenossen  immer  sehr 
geringe  Neigung  (I,  387),  weil  sie  in  Verfassungsangelegenheiten  die 
Selbständigkeit  der  Einzelstaaten  gewahrt  wissen  wollten,  und  Korinlh 
betheiligte  sich  daher  an  dem  Unternehmen  nicht.  Die  Argiver  aber 
mussten,  nachdem  sie  in  Sparta  abgewiesen  waren,  von  Neuem  den 
Athenern  sich  anschließen,  um  sich  gegen  Sparta  und  die  vertriebene 
Partei  halten  zu  können;  man  schickte  Gesandte  nach  Athen,  und 
Alkibiades  that  redlich  das  Seinige,  um  diesmal  den  Bund  fester  zu 
machen.  Er  leitete  selbst  mit  Hülfe  einer  Menge  attischer  Handwerker 
den  Bau  der  langen  Mauern,  durch  welche  sich  die  Argiver  dem  Insel- 
und  Küstenreiche  Athens  völlig  einverleiben  sollten.  Denn  eine  in 
Verbindung  mit  ihrem  Hafen  ummauerte  Stadt  war  für  Sparta  noch 
immer  so  uneinnehmbar  wie  eine  Insel.  Die  Spartaner  fielen  in  das 
Land  und  zerstörten  einen  Theil  der  Hafenmauern,  aber  die  Stadt  selbst 
hielt  sich,  und  Alkibiades  liefs  nun,  um  einem  neuen  Abfalle  vorzu- 
beugen, dreihundert  Bürger,  welche  als  Spartanerfreunde  bekannt 
waren,  auf  die  attischen  Schiffe  führen  und  auf  die  Inseln  in  Ge- 
wahrsam bringen.  So  wurde  Argos  im  Sommer  417  (Ol.  90,  4)  fester 
als  je  mit  Athen  verbunden,  und  die  alten  Bundesgenossen  der  Argiver 
fingen  an,  sich  von  dem  Schrecken,  welche  die  Niederlage  bei  Manli- 
neia  verursacht  hatte,  wieder  zu  ermannen196). 

Das  andere  Gebiet,  wo  der  Nikiasfrieden  nie  zur  Wahrheit  ge- 
worden ist  und  der  Kriegszustand  immer  fortgedauert  hat,  ist  das  Ge- 
biet der  chalkidischen  Städte  an  der  thrakischen  Küste. 

Im  Friedensvertrage  war  für  Amphipolis  sowohl  wie  für  die  an- 
deren Städte  ausgemacht  worden,  dass  sie  an  Athen  übergeben  werden 
sollten,  aber  es  waren  bei  der  Uebergabe  so  viel  Vorbehalte  gemacht, 
dass  man  die  Absicht  nicht  verkennen  kann,  den  Athenern  Schwierig- 
keiten zu  bereiten  und  dafür  zu  sorgen,  dass  es  hier  nie  an  Gelegen- 
heit zu  Intrigue  und  Hader  fehle.    Die  Städte  sollten  Tribut  zahlen, 


Digitized  by  Google 


DIE  THRAKISCHEN  KÜSTENSTÄDTE. 


607 


aber  nur  als  einen  Beitrag  zur  Sicherung  des  Meers,  nicht  als  Mit- 
glied des  attischen  Bundes;  denn  sie  sollten  unabhängig  sein,  in  voller 
Neutralität  zwischen  Athen  und  Sparta,  und  nur  auf  gütlichem  Wege 
dürften  die  Athener  sie  für  ihre  Bundesgenossenschaft  zu  gewinnen 
suchen ;  auch  dürften  sie  nie  einen  höheren  Tribut,  als  den  nach  dem 
Salze  des  Aristeides,  von  ihnen  einfordern  (S.  520). 

Man  merkt  diesen  Bestimmungen  an,  dass  sie  nur  nach  langem 
Hin-  und  Hermarkten  zu  Stande  gekommen  sind,  und  dass  die  Lakedä- 
monier,  wahrscheinlich  auf  Anstiften  der  Korinther,  die  künstlich  ge- 
ordneten Zustände  benutzen  wollten,  ihre  Hand  im  Spiele  zu  behalten. 

Unter  den  chalkidischen  Städten  unterscheidet  der  Friedensver- 
trag zwei  Gruppen,  erstens  Mekyberna,  Sane  und  Singos,  von  denen 
wir  voraussetzen  dürfen,  dass  sie  zur  Zeit  des  Vertrags  lakedämonische 
Besatzung  hallen;  dann  Argilos,  Stageiros,  Akanthos,  Skolos,  Olynthos 
und  Sparlolos.  Von  den  letzteren  ist  Olynthos  dem  Vertrage  sicher- 
lich nicht  beigetreten,  wahrscheinlich  auch  die  anderen  nicht,  denn  es 
steht  ja  fest,  dass  eine  Anzahl  chalkidischer  Städte  dem  Vertrage  sich 
nie  gefügt  und  mit  Korinth  dem  argivischen  Bunde  angeschlossen  hat 
(S.  582). 

Der  nördliche,  festländische  Theil  des  chalkidischen  Gebiets  war 
den  Athenern  also  auf  die  Dauer  abhanden  gekommen;  um  so  mehr 
hatten  sie  sich  auf  den  drei  Halbinseln  zu  befestigen  gesucht;  sie 
halten  Potidaia,  das  Brasidas  vergeblich  belagert  hatte,  mit  altischen 
Kleruchen  besetzt ;  dasselbe  können  wir  in  Torone  voraussetzen,  nach- 
dem Kleon  die  Stadt  genommen  hatte.  Auch  Skione,  das  an  Brasidas 
abgefallen  war  und  im  Vertrage  von  Sparta  preisgegeben  wurde,  kam 
durch  Sturm  in  die  Hände  der  Athener;  die  Bürgerschaft  wurde  hin- 
gerichtet und  ihre  Stadt  an  Platäer  gegeben. 

So  waren  die  Halbinseln  Pallene,  Sithonia  und  Akte  im  sichern 
Besitz  von  Athen,  und  der  Ausfall  an  Tribut  war  nicht  so  erheblich, 
etwa  10  bis  12  Talente.  Aber  der  feste  Zusammenhang  des  thraki- 
schen  Coloniallandes  war  dahin,  die  Autorität  der  Hauptstadt  er- 
schüttert, da  die  abgefallenen  Städte  es  durchsetzen  konnten,  ihr  zu 
trotzen.  Alles  aber  überwog  der  Verlust  von  Amphipolis,  und  es  war 
ein  geringer  Ersatz,  dass  man  die  Strymonmündung  durch  Eion  in  der 
Gewalt  halte1"). 

Da  die  Städte  sich  auf  die  Dauer  ausser  Stande  sahen,  nach- 
haltigen Widerstand  zu  leisten,  waren  sie  genöthigt,  sich  nach  Bundes- 


Digitized  by  Google 


608 


DIE  THRAKJSCHE.N  KÜSTENSTÄDTE. 


hälfe  umzusehen;  andererseits  mussten  auch  die  Athener  gegen  die 
schwierig  gelegenen  Städte  continentale  Unterstützung  zu  gewinnen 
suchen.  Auf  diese  Weise  war  das  thrakische  Uferland  unausgesetzt 
der  Herd  heimlicher  Umtriebe,  ein  Schauplatz  unaufhörlicher  Fehde, 
eine  Gegend,  welche  die  Athener  fortwährend  durch  Küstenflotten  in 
Obacht  halten  mussten. 

So  schlössen  sich  die  Städte,  die  sich  geweigert  hatten  dem  Nikias- 
vertrage  beizutreten,  schon  89, 4;  421  mit  den  Korinthern  dem  argivi- 
schen  Bunde  an;  die  Korinther  aber  beriefen  sich  auf  Verträge,  durch 
welche  sie  gebunden  wären,  die  Städte  nicht  preiszugeben;  sie  nahmen 
noch  immer  gewisse  mutierstädtische  Pflichten  in  Anspruch,  und  die 
Städte  hallen  an  ihnen  einen  Rückhalt.  Durch  das  wenig  aufrichtige 
Benehmen  der  lakedämonischen  Gesandten,  welche  dem  entschiedenen 
Befehle  der  Behörden  gegenüber  die  Uebergabe  der  Städle  nicht  voll- 
zogen, war  ihr  Trotz  noch  gestiegen.  Bald  darauf  wurde  daher  schon 
den  Athenern  die  Stadt  Thyssos  am  Athos  durch  einen  Handstreich 
genommen ;  den  folgenden  Winter  finden  wir  die  Chalkidier  wieder  mit 
den  Korinihern  zusammen  beschäftigt,  die  Böotier  dem  korinthisch- 
argivischen  Bunde  zu  gewinnen,  und  die  Olynthier  setzen  sich  durch 
einen  Handslreich  in  Besitz  der  Stadt  Mekyberna.  418  im  Sommer 
trifft  Euthydemos  aus  Athen  in  den  thrakischen  Gewässern  ein,  und 
die  Städte  sind  zur  Vorsicht  genöthigt,  weil  Perdikkas  noch  auf  atheni- 
scher Seile  stand.    Dann  versuchen  es  die  damals  mit  Sparta  verbün- 
deten Argiver  ihn  von  Athen  abzuziehen,  und  zwar  mit  gutem  Erfolg, 
wenn  sie  ihn  auch  nicht  gleich  zu  offenem  Bruche  veranlassen.  Den 
Sommer  darauf  (417),  in  welchem  Dion  am  Athos  von  Athen  abfiel, 
sollte  endlich  eine  gröfsere  Unternehmung  zur  Ausfuhrung  kommen, 
aber  sie  blieb,  obwohl  Nikias  und  Lysislratos  zusammen  den  Heerbefehl 
übernommen  hatten,  erfolglos,  weil  Perdikkas,  auf  dessen  Mitwirkung 
man  gerechnet  hatte,  nicht  zur  Stelle  war.  Zur  Strafe  wurden  noch 
im  Spätjahre  die  makedonischen  Häfen  blokirt1'7). 

Ol.  96,  4  (416)  stand  Chairemon,  Charikles'  Sohn,  als  Feldherr  in 
Thrakien.  Es  war  jetzt  vor  Allem  auf  Makedonien  abgesehen,  und  415 
ganz  zeitig,  noch  im  sechszehnten  Kriegsjahre,  landeten  makedonische 
Verbannte  zusammen  mit  attischen  Reitern  in  Melhone,  um  Perdikkas 
auch  von  der  Landselte  zu  beunruhigen,  während  mit  den  Chalkidiern 
Waffenruhe  bestand,  deren  Bruch  die  mit  Makedonien  im  Bunde  stehen- 
den Lakedämonier  vergeblich  herbeizuführen  suchten.    Bald  darauf 


Digitized  by  Google 


ATHEN   UND  MEI.OS. 


609 


muss  eine  Versöhnung  Athens  mit  dem  Könige  eingetreten  sein,  denn 
414  Ende  des  Sommers  unternahm  Euetion  einen  Feldzug  gegen 
Amphipolis  mit  Hülfe  des  Perdikkas;  aber  auch  diesmal  ohne  Erfolg, 
obgleich  man  eine  grofse  Anzahl  thrakischer  Söldner  zur  Verfügung 
hatte  und  im  Himeraion  einen  günstigen  Standpunkt  gewonnen  hatte, 
nachdem  die  Trieren  den  Strom  heraufgefahren  waren. 

So  standen  die  Dinge  in  Thrakien  nach  dem  Nikiasfrieden.  Auch 
hier,  wie  im  Peloponnes,  war  kein  Friede,  sondern  ununterbrochene 
Befehdung  zwischen  Athen  und  Sparta,  und  man  begreift,  dass  dieser 
indirekte  Krieg  einen  viel  gehässigeren  und  bösartigeren  Charakter  an- 
nahm, als  wenn  man  in  offener  Fehde  gegen  einander  in  das  Feld  ge- 
rückt wäre.  Denn  jetzt,  da  die  Erbitterung  gröfser  und  die  Kriegspartei 
thätiger  war,  als  je  zuvor,  aber  eine  Aufkündigung  der  Verträge  dessen 
ungeachtet  nicht  durchsetzen  konnte,  suchte  sie  immer  nach  Gelegenheit, 
um  trotz  der  Verträge  die  Spartaner  so  schmerzlich  wie  möglich  zu 
kränken;  darum  wurde  auch  die  Kriegslust  gegen  kleinere  Staaten  ge- 
lenkt, welche  mit  Sparta  in  Verbindung  standen,  aber  im  Grunde  nichts 
gethan  hatten,  um  die  Rachgier  Athens  zu  reizen.  Wie  man  solche 
Unternehmungen  durchführte,  zeigt  der  Feldzug  gegen  Melos18'). 

Melos  gehört  zu  den  vulkanischen  Inseln,  welche  sudlich  von  der 
Cykladengruppe  an  der  Gränze  des  kretischen  Meers  liegen.  Sie  war 
vor  sieben  Jahrhunderten  vom  Peloponnes  aus  durch  dorische  An- 
siedler besetzt,  betrachtete  sich  als  Tochterstadt  Spartas  und  hielt  in 
unerschütterlicher  Treue  zum  peloponnesischen  Bunde.  Dass  die 
Athener  diese  Insel  in  ihre  Bundesgenossenschaft  hereinzuziehen 
wünschten,  war  sehr  natürlich,  denn  sie  gehörte  der  Lage  nach  zu 
ihrem  Seegebiete. 

Sie  fragten,  wenn  es  auf  Abrundung  ihres  Seegebiets  ankam,  nicht 
nach  der  Herkunft  der  Insulaner  und  machten  keinen  Unterschied 
zwischen  dorischen  und  ionischen  In  sein.  So  wurden  auch  Melos  und 
Thera,  die  beiden  einzigen  Inseln  des  Archipelagus,  welche  ihrem 
Bunde  noch  nicht  beigetreten  waren,  88,  £  (426)  zum  Beitritt  aufge- 
fordert. Thera,  die  fernere  und  mit  Sparta  so  eng  verbundene  Insel, 
war  sofort  beigetreten.  Melos  hatte  sich  geweigert  und  Widerstand 
geleistet  (S.  469).  Diese  Weigerung  wurde  als  nicht  berechtigt  ange- 
sehen, und  auf  der  Schätzungsliste  von  88,  4  (424)  stand  die  Insel  in 
der  Reihe  der  tributpflichtigen  Städte,  und  zwar  mit  15  Talenten 
(70,740  M.),  während  Thera  von  3  auf  5  Talente  erhöht  war. 

Curtio«,  Qr.  G««eh.  II.  6.  Aufl.  39 


Digitized  by  Google 


610 


ZWEITE  EXPEDITION  GEGEN  MEI.OS 


Nun  musste  Ernst  gemacht  werden,  und  wenn  den  Athenern  im 
Allgemeinen  jede  Gelegenheit  erwünscht  war,  ihre  Flotte  in  Bewegung 
und  das  Inselmeer  in  Angst  zu  erhalten,  so  hatte  Melos  für  sie  eine 
ganz  besondere  Bedeutung. 

Melos  war  eine  reiche  Insel,  wie  der  Tributsatz  bezeugt;  eine 
Insel,  die  den  Athenern  viel  nützen  und  schaden  konnte.  Sie  lag  der 
peloponnesischen  Küste  am  nächsten  und  war  durch  einen  Hafen,  der 
sich  breit  und  tief  in  die  Insel  hineinzieht,  zu  einem  WafTen platze  der 
attischen  Seemacht  wie  geschaffen.  Seitdem  die  Unternehmungen  der 
Athener  im  Peloponnes  begannen,  ward  die  Insel  noch  wichtiger.  Dazu 
kamen  die  Anreizungen  der  anderen  Insulaner,  welche  sich  darüber 
ärgerten,  dass  ihre  Nachbarn,  von  allen  Tributen  und  Leistungen  frei, 
nach  ihren  väterlichen  Satzungen  leben  durften.  Auch  die  Aussiebt, 
neue  Landaustheilungen  gewähren  zu  können,  war  lockend  genug; 
die  Hauptsache  aber  war  die,  dass  man  in  den  dorischen  Insulanern 
den  Spartanern  wehe  thun  wollte;  man  wollte  sich  rächen  für  den 
Verlust  bei  Mantineia  und  zugleich  ältere  Gewailthaten,  wie  namentlich 
die  platäische,  ihnen  heimzahlen. 

Denn  allerdings  hat  der  Zug  gegen  Melos  eine  grofse  Aehnlichkeit 
mit  dem  der  Spartaner  gegen  Plataiai.  Hier  wie  dort  wird  ein  grie- 
chischer Ort  plötzlich  überfallen,  um  mit  überlegener  Waffenmacht 
gezwungen  zu  werden,  von  einem  alten  und  geschichtlich  wohl  be- 
gründeten Bundesverhältnisse  in  ein  anderes  überzutreten,  d.  h.  seine 
alten  und  stammverwandten  Freunde  ohne  Grund  zu  seinen  Feinden 
zu  machen.  Dabei  war  nur  der  Unterschied,  dass  die  Athener  keine 
falschen  Gründe  vorschoben,  wie  es  die  Spartaner  mit  dem  Aushänge- 
schilde einer  nationalen  Politik  zu  thun  pflegten,  sondern  unverhohlen 
und  gerade  heraus  die  Grundsätze  aussprachen,  denen  gemäfs  sie  die 
Unterwerfung  von  Melos  fordern  müssten.  Schöne  Heden  waren  um 
so  weniger  an  der  Stelle,  da  die  attischen  Feldherrn,  Kleomedes  und 
Tisias,  nicht  mit  einer  Volksgemeinde  zu  thun  hatten,  sondern  nur 
mit  dem  die  Staatsgeschäfte  leitenden  Rathe.  Jede  Erörterung  des 
Hechtspunkts  wurde  kurzweg  abgewiesen,  denn  eine  solche  gehöre 
nur  dahin,  wo  gleiche  Gewalten  einander  gegenüberständen.  Hier 
handele  es  sich  nur  darum,  was  beiden  Staaten  im  gegenwärtigen 
Augenblicke  das  Nützlichste  sei. 

'Unser  Interesse',  sagten  die  von  den  Feld  heim  abgeschickten 
Gesandten,  'ist  die  Befestigung  unserer  Seemacht;  das  eurige  ist  die 


Digitized  by  Google 


FALL  VON  MELOS  (91.  1;  416). 


611 


'Erhaltung  eurer  Gemeinde  und  eures  Wohlstandes.  Beide  Interessen 
'lassen  sich  nur  so  ausgleichen,  dass  ihr  euch  gutwillig  unterwerft, 
'und,  wie  die  Nachbarinseln,  Tribut  zahlt.  Die  Neutralität,  die  ihr 
'versprecht,  genügt  uns  nicht;  jeder  Vergleich  mit  euch  würde  unsere 
'Macht  vor  .den  Augen  der  anderen  Griechen  zweifelhaft  machen. 
'Cure  Hoffnung  auf  Hülfe  von  Sparta  ist  eitel,  und  eben  so  ist  eure 
'Berufung  auf  die  Gölter,  als  Rächer  der  Ungerechtigkeit,  ganz  un- 
gerechtfertigt. Denn  bei  den  Göttern  wie  bei  den  Menschen  gilt 
'als  ewige  Ordnung,  dass  diejenigen  gebieten,  welche  die  Macht  dazu 
'haben,  und  dass  die  Schwachen  gehorchen.  Ihr  haltet  euch  zu  den 
'Spartanern ;  die  Spartaner  aber  gehören  in  der  That  am  wenigsten 
'zu  denen,  welche  nach  einem  anderen  Mafsstabe  entscheiden,  was 
'recht  und  billig  sei,  und  hättet  ihr  selbst  die  Macht,  so  redetet  und 
'handeltet  ihr  ebenfalls  nicht  anders.1  So  machten  die  Athener  unver-  . 
hohlen  das  Recht  des  Stärkern  geltend,  indem  sie  dasselbe  mit  einer 
herzlosen  Sophistik  zu  rechtfertigen  suchten. 

Ihr  Wunsch  war  unverzügliche  Unterwerfung;  denn  jeder  Versuch 
von  Widerstand  erschien  schon  wie  eine  Erschütterung  ihrer  Allgewalt 
zur  See.  Darum  erbitterte  sie  der  Muth  der  Insulaner,  die  zum 
zweiten  Male  den  Anschluss  verweigerten  und  trotzig  alle  Unterhand- 
lungen abbrachen;  eine  zeitraubende  und  kostspielige  Ummauerung 
der  Stadt  wurde  nothwendig.  Ja  zweimal  gelang  es  den  Meliern,  einen 
Theil  der  Umschliefsungsmauer  zu  durchbrechen  und  sich  von  Neuem 
mit  Vorräthen  zu  versehen.  Aber  alle  Hülfe  blieb  aus;  es  trat  ein 
solcher  Zustand  ein,  dass  'melische  Hungersnot^  ein  sprichwörtliches 
Ausdruck  wurde,  um  den  höchsten  Grad  menschlichen  Elends  zu  be- 
zeichnen, und  ehe  der  Winter  zu  Ende  ging,  musste  die  Insel  sich  dem 
Philokrates,  der  mit  einem  frischen  Heere  herankam,  auf  Gnade  und 
Ungnade  ergeben.  An  Erbarmen  war  nicht  zu  denken.  Alle  waffen- 
fähigen Insulaner,  deren  man  habhaft  geworden  war,  wurden  zum 
Tode,  alle  Weiber  und  Kinder  zur  Knechtschaft  verurteilt.  Man  hatte 
nichts  Anderes  im  Sinne,  als  Spartas  Blutgerichte  zu  vergelten  so  wie 
Angst  und  Scbreckeu  in  allen  Gebieten  zu  verbreiten,  wohin  die  Flotte 
Athens  reichte.  Eine  solche  rücksichtslose  Gewaltpolitik  war  diejenige, 
die  den  Gedanken  des  Alkibiades  entsprach,  und  er  war  es  auch  ge- 
wesen, welcher  der  äufsersten  Strenge  das  Wort  geredet  hatte1*9). 

Aber  auf  diese  Weise  seinen  Einfluss  geltend  zu  machen,  konnte 
dem  Ehrgeize  eines  Alkibiades  nicht  genügen;  er  schaute  nach  anderen 

39* 


Digitized  by  Google 


612 


WEITERE  KRIEGSPLÄNE. 


Kriegstheatern  aus,  als  der  Peloponnes  und  der  Archipelagus  waren. 
Denn  da  der  lästige  Friede  mit  Sparta  auf  keine  Weise  zu  breeben 
war,  bedurfte  er  anderer  Unternehmungen,  welche  den  Staat  in  neue 
Bahnen  führten.  Es  mussten  Unternehmungen  sein,  deren  Ausfuhrung 
nur  den  kühnsten  Männern  anvertraut  werden  konnte  und  die  dem 
glücklichen  Feldherrn  eine  Machtstellung  verschaffen  mussten,  welche 
über  die  eines  Bürgers  von  Athen  weit  hinausreichte.  Denn  je  weiter 
die  Beziehungen  des  Staats  reichten  und  je  gröfser  sein  Herrschafts- 
gebiet war,  um  so  unmöglicher  wurde  es,  dass  derselbe  von  der 
Bürgerversammlung  auf  der  Pnyx  geleitet  wurde,  um  so  notwendi- 
ger wurde  das  persönliche  Regiment  eines  Mannes.  Da  kamen  die 
Gesandten  der  Egestäer  mit  ihrem  Hülfsgesucbe  (S.  577),  und  der 
ersehnte  Kriegsschauplatz  war  gefunden. 


Die  sicilische  Frage  war  kein  neues  Thema.  Längst  hatte  das 
kriegslustige  Athen  lüstern  hinübergeschaut  nach  den  westlichen  Ge- 
staden, und  schon  damals,  als  Kerkyra  in  das  attische  Bündniss 
aufgenommen  wurde,  sahen  Viele  in  dieser  Insel  nur  die  Schwelle 
Siciliens. 

Zu  Perikles'  Zeit  hatten  solche  Gedanken  nicht  aufkommen 
können,  denn  er  erkannte  mit  vorschauender  Klugheit  alle  Gefahren, 
welche  Athen  aus  einer  Eroberungspolitik  erwachsen  würden;  er  sah 
das  Kennzeichen  eines  hellenischen  Staats  darin,  dass  er  Mafs  zu 
halten  wisse  und  nicht,  wie  die  Staaten  der  Barbaren,  durch  die  eigene 
Macht  sich  mechanisch  vorwärts  schieben  lasse,  um  endlich  das  Opfer 
verblendeter  Herrschsucht  zu  werden.  Darum  hatte  er  alle  Gelüste 
solcher  Art  streng  und  kräftig  zurückgedrängt  Aber  nach  seinem 
Tode  wurde  es  anders;  denn  aus  eigener  Kraft  war  die  Bürgerschaft 
unfähig,  eine  weise  Selbstbeschränkung  auszuüben.  Eine  Macht  ohne 
Gleichen  zu  besitzen  und  dieselbe  nicht  anzuwenden,  so  weit  die  Mög- 
lichkeit gegeben  war,  das  war  dem  attischen  Volke  zu  viel  zugemuthet, 
um  so  mehr,  da  die  Volksführer  immer  geschäftig  waren,  sein  Selbst- 
bewusstsein  in's  Mafslose  zu  steigern  und  die  tollsten  Kriegspläne  in 
Vorschlag  zu  bringen. 

Diese  Pläne  waren  um  so  gefahrlicher,  je  unklarer  ihre  Ziel- 
punkte waren.   Denn  die  Schwierigkeiten,  welche  die  Kämpfe  mit 


Digitized  by  Google 


DIE  SICILISCHEN  PLÄNE. 


613 


Böotien  und  Sparta  den  Athenern  darboten,  kannten  Alle  aus  Er- 
fahrung. Aber  ein  fernes  jenseitiges  Land,  das  nur  von  Wenigen  ge- 
kannt war  und  deshalb  um  so  glänzender  ausgemalt  werden  konnte, 
ein  Inselland,  wohin  die  schlimmsten  Feinde  nicht  nachkommen 
konnten,  wo  die  unbesiegte  Seemacht  Athens  allein  die  Entscheidung 
geben  sollte,  das  musste  um  so  gröfseren  Reiz  haben,  zumal  da  man 
eben  so  wenig  Lust  hatte  still  zu  sitzen  als  auch  den  früheren  Krieg 
in  alter  Weise  wieder  zu  erneuern.  Aber  in  der  Heimath  alle  An- 
nehmlichkeiten des  Friedens  zu  geniefsen  und  dabei  aus  dem  fernen 
Westen  glänzende  Siegesbotschaften  zu  vernehmen,  das  schien  den 
Athenern  das  beneidenswertheste  Loos  zu  sein. 

Und  konnte  man  nicht  in  der  That  des  besten  Erfolgs  versichert 
sein?  Eine  Flotte,  welche  der  attischen  gewachsen  wäre,  war  in  jenen 
Gewässern  nicht  vorhanden.  Die  Macht  der  Tyrrhener  war  gebrochen 
(S.  544);  die  Karthager  wagten  sich  mit  ihrer  Flotte  nicht  vor;  die 
eigenen  Bundesgenossen  derselben  konnten  ja  nicht  auf  sie  rechnen 
und  hatten  sich  eben  deshalb  nach  Athen  wenden  müssen.  Auch 
konnte  man  bei  einem  Kriege  gegen  Syrakus  von  Karthago  wie  von 
den  Tyrrhenern  eher  Unterstützung  als  Widerstand  erwarten.  Die 
Sikelioten  selbst  waren  aber  zur  See  so  schwach,  dass  Laches  mit 
einem  Geschwader  von  zwanzig  Schiffen  im  Stande  gewesen  war,  das 
dortige  Meer  zu  beherrschen  (S.  573).  Dann  hatte  ja  auch  der  leon- 
tiniscbe  Krieg  guten  Fortgang  gehabt,  und  wenn  der  Friede  von  Gela 
allen  Erfolgen  plötzlich  ein  Ende  gemacht  hatte,  so  konnte  doch 
Jeder  erkennen,  dass  dieser  Friede  unhaltbar  war  und  es  war  nicht 
zu  erwarten,  dass  die  schwächeren  Staaten  sich  immer  wieder  durch 
die  beruhigenden  Versicherungen  der  Syrakusaner  tauschen  lassen 
würden.  Syrakus  war  einmal  ein  Staat,  welcher  nicht  anders  konnte, 
als  in  die  alte  Eroberungspolitik  immer  von  Neuem  wieder  einlenken. 
Es  war  möglich,  ja  wahrscheinlich,  dass  hier  eine  dritte  griechische 
Grofs  macht  sich  bilden  werde,  welche  bei  einem  allgemeinen  helle- 
nischen Kriege  Athen  zum  Verderben  gereichen  könnte.  So  konnte  es 
also  als  eine  kluge  und  vorschauende  Politik  erscheinen,  wenn  man 
hier  bei  Zeiten  einschritt 

Die  Flotte,  sagte  man,  sei  augenblicklich  doch  nicht  anders  zu 
gebrauchen.  Die  Macht  Athens  verzehre  sich  im  Nicbtsthun;  Stille— 
stehen  sei  schon  ein  Rückwärtsgehen.  Die  Ehre  Athens  verlange, 
dass  man  die  frühere  Politik  in  Sicilien  wieder  aufnehme.  Wenn  die 


Digitized  by  Google 


614 


DIE  S1C1LISCHE.N  PLÄNE. 


Stadt  sich  feige  und  unentschlossen  zeige,  so  sei  nicht  nur  ein  stei- 
gender Uebermuth  der  Syrakusaner,  sondern  auch  eine  neue  Ein- 
mischung Karthagos  zu  fürchten.  Athen  sei  berufen  den  ionischen 
Stamm  im  Westen  wie  im  Osten  zu  vertreten. 

Dazu  kam  der  verführerische  Gedanke,  den  dorischen  Stamm  hier, 
wo  er  sich  am  glänzendsten  entfallet  hatte,  besiegen,  Korinlh  in  der 
Tochterstadt,  auf  die  es  am  stolzesten  war,  demüthigen,  den  Spar- 
tanern alle  Unterstützung  von  dort  abschneiden  und  den  Peloponnes 
immer  mehr  isoliren  zu  können.  Zu  gleicher  Zeit  hoffte  man  für 
Athen  die  reichsten  Hilfsquellen  zu  eröffnen;  der  produkten  reiche 
Boden  Siciliens  konnte  durch  sein  Korn,  seine  Pferde  u.  s.  w.  fDr 
Attika  ein  unschätzbarer  Besitz  werden,  und  da  nun  alle  Vorzüge  der 
Insel  so  wie  die  Leichtigkeit  des  Erfolgs  von  den  Gesandten  in  glän- 
zenden Reden  dem  Volke  geschildert  wurden,  da  die  Egestäer  die  an- 
sehnlichsten Subsidien  anboten  und  also  die  gröüsten  Erwerbungen 
mit  fremdem  Gelde  erreichbar  schienen:  da  wurde  natürlich  die 
leichtgläubige  Menge,  welcher  nur  die  Lichtseiten  des  Unternehmens 
vorgeführt  wurden,  in  dem  Mafse  hingerissen,  dass  ihre  Gedanken 
ganz  mit  diesen  utopischen  Bildern  erfüllt  waren. 

in  Gymnasien  und  Markthallen,  in  allen  Schenkstuben  und  Buden 
wurde  von  nichts  Anderem  geredet;  die  dreieckige  Insel  sah  man  hie 
und  dort  in  den  Sand  gezeichnet,  von  dichten  Gruppen  umstanden 
und  eifrig  besprochen;  dodonäische  Orakel  wurden  an's  Licht  ge- 
zogen, die  das  Unternehmen  gut  heifsen  sollten;  der  Name  Sikelia 
hatte  einen  Zauberklaug  für  die  Ohren  der  Athener,  und  wenn  man 
sich  einmal  den  Aetna  in  attischem  Bundesgebiete  dachte,  so  ging 
man  auch  weiter.  Einen  Zug  nach  Karthago  hatten  tolle  Demagogen 
schon  zu  Perikles'  Zeit  in  Anregung  gebracht;  Libyen  und  Italien 
wurden  jetzt  als  die  nächsten  und  unzweifelhaften  Erwerbungen  be- 
trachtet; ja,  es  wurde  von  einer  attischen  Herrschaft  geträumt,  welche 
von  den  lykischen  Gewässern  und  den  Gestaden  des  Pontos  bis  an 
die  Säulen  des  Herkules  reichte180). 

Aber  nicht  ganz  Athen  überliefs  sich  diesem  Taumel.  Es  fehlte 
nicht  an  kaltblütigen  und  besonnenen  Bürgern,  welche  bei  den  neuen 
Plänen  von  Angst  und  Besorgniss  ergriffen  wurden. 

Bis  dahin  hatte  sich  die  Macht  Athens  im  Archipelagus  und  den 
angrenzenden  Gewässern  schrittweise  erweitert;  auch  die  Ausdehnung 
der  Bundesgenossenschaft  auf  die  Inseln  des  ionischen  Meers,  welche 


Digitized  by  Google 


GEGENSÄTZE   IN   WER  ATTISCHEN   BÜRGERSCHAFT.  615 


im  Laufe  des  Kriegs  erfolgt  war,  erschien  wie  eine  durch  die  Um- 
stände gebotene  und  für  die  Sicherung  Athens  gegen  die  peloponne- 
sischen  Seestaaten  nothwendige.  Aber  hier  war  nun  eine  natürliche 
Gränze  erreicht,  und  es  erschien  als  vermessene  Tborheit,  diese  über- 
springen und  über  das  ionische  Meer  hinaus  ziellose  Eroberungspläne 
verfolgen  zu  wollen.  Die  jenseitigen  Verhältnisse  waren  im  Ein- 
zelnen so  wenig  bekannt,  dass  es  unmöglich  war,  Kriegspläne  zu  ent- 
werfen und  die  Kriegsaussichten  zu  beurteilen.  Aber  so  viel  wusste 
man  doch,  dass  Siciiien  keine  Insel  war,  die  mit  einem  Schlage  er- 
obert werden  konnte,  sondern  ein  kleines  Festland  mit  vielen  mäch- 
tigen Städten,  die  einzeln  bekämpft  werden  mussten,  die  schwer  zu 
unterwerfen  und  noch  schwerer  in  Unterwürfigkeit  zu  erhalten  wären. 
Wie  sollte  Athen  eine  Provinz  regieren,  von  der  es  durch  ein  insel- 
loses Meer  so  weit  getrennt  war,  dass  in  winterlicher  Zeit  drei  bis 
vier  Monate  darüber  hingehen  konnten,  bis  ein  Bote  von  dort  an- 
langte ! 

Athen  stand  an  einem  Wendepunkte  seiner  Geschichte;  das 
fühlten  Alle;  es  war  eine  Lebensfrage,  um  die  es  sich  handelte,  eine 
Entscheidung  für  die  ganze  Zukunft  der  Stadt.  Darum  wurden  denn 
auch  alle  Gegensätze,  die  in  der  Bürgerschaft  vorhanden  waren,  in 
Bewegung  gesetzt  und  auf  das  Höchste  gespannt.  Die  Besitzlosen  und 
die  Besitzenden  standen  sich  gegenüber,  das  junge  Athen  und  die 
ältere  Generalion,  die  Seeleute  und  die  Landleute,  die  Freunde  und 
die  Feinde  der  Demokratie.  Die  Zahl  der  Armen  hatte  im  Laufe  des 
Kriegs  zugenommen;  ihnen  wässerte  der  Mund  nach  neuen  Staatsein- 
künften, die  zur  Vertheilung  kommen  würden,  nach  Erhöhung  der 
öffentlichen  Besoldungen,  nach  neuen  Landanweisungen.  Gegen  thra- 
kische  Feldzüge,  welche  allerdings  die  nächste  Sorge  hätten  sein 
müssen,  hatte  man  eine  gründliche  Abneigung;  hier  fehlte  es  immer 
an  der  nöthigen  Entschlossenheit  und  Energie,  und  selbst  Nikias  zog 
es  vor,  sich  hier  auf  die  Hülfe  des  Perdikkas  zu  verlassen  (S.  609). 
Hier  stand  den  Athenern  nur  die  Noth  des  Kriegs  vor  Augen  ohne 
einen  entsprechenden  Lohn.  Von  Siciiien  aber  hofften  sie  Alles, 
wenn  sie  ihr  kümmerliches  Leben  mit  dem  Glanz  und  der  Fülle,  die 
in  den  jenseitigen  Städten  herrschen  sollten,  verglichen.  Die  Wohl- 
habenden dagegen  fürchteten  bei  den  neuen  Kriegsplänen  die  neuen 
und  vermehrten  Leistungen,  welche  ihnen  daraus  erwachsen  würden; 
sie  hatten  gehofft,  endlich  einmal  im  Frieden  ihre  Vermögensver- 


Digitized  by  Google 


616  GEGENSÄTZE  IN  DEB  ATTISCHEN  BÜRGEBSCHAFT. 

häitoisse  ordnen  zu  können;  denn  nur  die  sehr  Reichen,  deren  Zahl 
gering  war,  konnten  ohne  Beschwerde  den  Forderungen  des  Staats 
genügen;  die  Meisten  litten  schwer  darunter  und  sehnten  sich  nach 
Erleichterung,  um  so  mehr,  da  sie  für  alle  ihre  Opfer  wenig  Dank  ein- 
ernteten und  nicht  die  Gellung  im  Staate  hatten,  welche  sie  bean- 
spruchen konnten,  weil  die  Macht  Athens,  Flotte  und  Heer,  doch 
wesentlich  auf  ihnen  beruhte  und  eben  so  der  Glanz  der  Stadt,  der 
sich  in  Festen  und  Aufführungen  bezeugte.  Die  zahlenden  Bürger 
rechneten  auch  und  überlegten ;  sie  unterschieden  sich  dadurch  von 
denen,  die  nichts  verlieren,  sondern  nur  gewinnen  konnten  und  des- 
halb alle  neuen  Kriegspläne  willkommen  hiefsen. 

Endlich  war  bei  den  vernünftigeren  Bürgern  auch  die  Rücksicht 
auf  den  Staatshaushalt  ein  für  die  auswärtige  Politik  maßgebender  Ge- 
sichtspunkt. Der  öffentliche  Schatz  war  durch  den  zehnjährigen  Krieg 
gänzlich  erschöpft  und  dadurch  der  eigentliche  Nerv  des  attischen 
Staats  gelähmt  worden.  Seit  Abschluss  des  Friedens  hatte  man  nun, 
besonders  in  Folge  der  erhöhten  Leistungen  der  Bundesgenossen, 
wieder  Gelder  auf  die  Burg  gebracht,  in  jedem  Jahre  etwa  tausend  Ta- 
lente (5,715,250  M.).  Ein  neuer  Schatz  sammelte  sich  an,  und  die 
Finanzen  fingen  an  sich  zu  ordnen.  Diese  günstigen  Aussichten  sollten 
nun  durch  den  neuen  Krieg  vollständig  zerstört  werden,  ehe  Athen  die 
Geldkräfte  gesammelt  hatte,  um  ohne  Anleihen  und  Kriegssteuern  eine 
so  grofse  Unternehmung  beginnen  zu  können,  deren  Gesa  ml  kosten 
gar  nicht  zu  überschlagen  waren131). 

So  war  allerdings  ein  Gegendruck  gegen  die  malslose  Bewegung 
vorhanden,  und  es  fehlte  nicht  an  Stimmen,  welche  mahnten  und 
warnten.  Aber  der  Einfluss  derselben  war  dadurch  gelähmt,  dass  die 
wahren  Gründe  des  Widerstandes  nicht  nachdrücklich  geltend  gemacht 
werden  konnten,  weil  sie  immer  aus  egoistischen  Besorgnissen  der 
Reichen  hergeleitet  wurden.  Das  war  die  alte  Schwäche  der  Friedens- 
partei,  welche  nach  wie  vor  um  Nikias  versammelt  war.  Sie  war  wohl 
im  Stande,  wenn  die  Stimmung  günstig  und  eine  Ernüchterung  oder 
Abspannung  eingetreten  war,  einzelne  Erfolge  zu  erreichen,  aber  sie 
könnte  keinen  Einfluss  gewinuen,  der  in  bewegten  Zeiten  die  Bürger- 
schaft zu  beherrschen  vermochte.  Neuerdings  aber  hatte  die  Partei 
dadurch  an  Ansehen  eingebüfst,  dass  der  Friede,  den  sie  zu  Stande 
gebracht  hatte,  sich  von  Tage  zu  Tage  unhaltbarer  erwies.  Indem  sie 
nun  dennoch  Alles  aufbot,  um  den  offenen  Bruch  mit  Sparta  wenig- 


Digitized  by  Google 


DIE  STELLUNG   DES  ALK I BUDES 


617 


stens  so  weit  wie  möglich  hinauszuschieben,  hatte  sie  wider  Willen 
wesentlich  dazu  beigetragen,  die  Gedanken  der  kriegslustigen  Athener 
auf  neue  Unternehmungen  hinzulenken. 

Alle  diese  Umstände  kamen  dem  zu  Gute,  der  in  dieser  entschei- 
denden Zeit  an  der  Spitze  der  Bewegung  stand  und  der  Alles  daran 
setzte,  dass  Athen  seine  ganze  Macht  entfalten,  dass  es  jede  Gunst  der 
Umstände  ausbeuten  und  mit  vollen  Segeln  vorwärts  gehen  sollte. 

Alkibiades  war  damals  in  der  ßlütbe  seiner  männlichen  Kraft. 
Sein  Einfluss  beruhte  nicht  wie  der  des  Nikias  darauf,  dass  ein  ge- 
wisser Theil  der  Bevölkerung  ihn  zu  seinem  Haupte  gemacht  hatte, 
sondern  seine  Macht  war  wie  die  des  Perikles  eine  persönliche;  sie 
beruhte  auf  einer  Fülle  von  Eigenschaften,  durch  die  er  von  Natur 
zum  Herrschen  berufen  schien.  Einzig  in  seiner  Art  stand  er  unter 
seinen  Mitbürgern  da.  Mit  Bewunderung  hingen  sie  an  seiner  Er- 
scheinung, welche  ihnen  ein  glänzendes  Spiegelbild  ihrer  eigenen  Na- 
tur zurückwarf,  und  hofften  von  ihm,  dem  Unwiderstehlichen,  eine 
neue  Aera  des  Glücks,  neue  Einkünfte,  neue  Landanweisungen,  reiche 
Schätze  aus  Sicilien  und  Libyen ;  jetzt  erst,  dachte  man,  solle  Athen 
sich  in  seiner  wahren  Macht  zeigen  und  alle  seine  Kräfte  entfalten. 
Noch  keinem  Athener  war  eine  schwärmerische  Volksgunst  in  solchem 
Grade  zu  Theil  geworden. 

Aufserdem  hatte  Alkibiades  auch  einen  festen  Anhang,  der  ihm 
bei  Durchführung  seiner  Absichten  zur  Hand  war,  junge  Leute  von 
thatenlustigem  Sinne,  unter  denen  wohl  Einzelne  waren,  welche  ihm 
aus  aufrichtiger  Anerkennung  seiner  aufserordentlichen  Gaben  an- 
hingen, patriotische  Männer,  welche  das  Gröfste  von  ihm  erwarteten 
und  dazu  die  Hand  bieten  wollten,  wie  z.  B.  Euryptolemos.  Die  Meisten 
seiner  Anhänger  waren  aber  Solche,  die  durch  gemeinschaftliche 
Schwelgereien  und  Ausschweifungen  mit  ihm  verbunden  waren,  die 
ihr  Erbtheil  durcbgebracht  hatten  und  von  der  Freigebigkeit  des  Alki- 
biades lebten.  Sie  waren  also  von  ihm  abhängig,  sie  folgten  seinen 
Winken,  sie  bearbeiteten  das  Volk,  sie  unterhielten  die  Aufregung,  sie 
nährten  die  überspannten  Kriegshoflnungen  und  schüchterten  die 
Gegenpartei  ein.  Es  waren  meist  junge  Leute  aus  vornehmen  Häusern, 
welche  sich  freuten,  dass  wieder  einmal  ein  Volksführer  aus  ihrer  Milte 
an  der  Spitze  stehe,  Keiner  von  den  gemeinen  Leuten,  die  mehr 
Schreier  als  Redner  wären  und  nur  im  Trüben  fischen  könnten,  ohne 
etwas  wirklich  Grofses  zu  Stande  zu  bringen,  kein  Werk  mann  oder 


Digitized  by  Google 


618 


iKERMlTH   I»ES  ALKlIUAhES. 


Händler,  sondern  ein  ritterlicher  Mann  von  hober  Geburt  und  vor- 
nehmem Anstände;  sie  machten  sich  zu  Werkzeugen  seines  Ehrgeizes, 
weil  sie  dabei  auch  für  ihr  Tbeil  zu  gewinnen  hofften. 

Aber  gerade  darin,  dass  das  Ansehen  des  Alkihiades  ganz  auf 
seine  Persönlichkeit  gestellt  war,  lag  auch  seine  Schwäche.  Um 
Andere  mit  sicherer  Hand  leiten  zu  können,  fehlte  ihm  die  sittliche 
Würde,  welche  allein  im  Stande  ist,  wirkliche  Hochachtung  und 
dauernde  Anhänglichkeit  hervorzurufen.  Alkibiades  war  bei  allen  Vor- 
zügen doch  nur  ein  Mensch  wie  die  Andern  auch,  und  darum  unfähig, 
diesen  einen  Halt  und  Mittelpunkt  zu  gewähren;  denn  er  war  seiner 
selbst  nicht  gewiss,  eine  Natur  voll  von  Widersprüchen,  in  welcher 
gute  und  schlechte  Neigungen  regellos  kämpften,  und  darum  bei  aller 
Schärfe  des  Verstandes  unklar  und  verworren.  Je  näher  man  ihn 
kennen  lernte,  um  so  weniger  konnte  man  ihm  trauen;  denn  zuletzt 
suchte  er  doch  nur  sich  und  seinen  Vortheil.  Athen  war  ihm  nur 
wichtig  als  ein  Schauplatz  seiner  Thaten;  der  Ruhm  der  Vaterstadt 
war  ihm  nur  die  Vorstufe  des  eigenen  Ruhms,  und  seine  Genossen 
fühlten,  dass  er  sie  nur  so  lange  halten  würde,  als  sie  seinem  Ehrgeize 
dienten.  Deshalb  war  er  zur  Führung  einer  Partei  auf  die  Dauer  doch 
ungeeignet.  Aber  auch  aufserhalb  seiner  engeren  Genossenschaft  gab 
er  überall  Anstofs  und  Aergeruiss. 

Er  hatte  nicht  gelernt,  die  Tyrannennatur,  die  in  ihm  wohnte,  zu 
bemeistern,  oder  auch  nur  zu  verbergen.  Neben  der  heldenmüthigsten 
Tapferkeit  zeigte  er  wiederum  eine  weichliche  Ueppigkeit,  wie  sie 
einem  persischen  Satrapen  besser  zustand  als  einem  Bürger  von  Athen. 
Ueberall,  wo  er  auftrat,  wollte  er,  dass  die  Augen  nur  auf  ihn  ge- 
richtet wären.  In  schleppenden  Purpurgewändern  erschien  er  auf 
dem  Markte,  selbst  in  der  Schlacht  suchte  er  alle  Anderen  zu  über- 
strahlen; er  führte  einen  Schild  von  Gold  und  Elfenbein  und  darauf 
als  Wappen  einen  blitzschleudernden  Liebesgott,  ein  übermüthiges 
Sinnbild  seiner  unüberwindlichen  Persönlichkeit.  Dem  Volke  im 
Ganzen  schmeichelte  er  nach  Art  der  Demagogen,  aber  die  Einzelnen 
behandelte  er  mit  schnödem  Hochmuthe.  Jeder  Widerspruch  reizte 
ihn  zur  Ungebühr  und  Gewaltthat,  als  wenn  die  Mitbürger  seine  Unter- 
thanen  wären.  Agatharchos,  der  erste  Dekorationsmaler  Athens,  der- 
selbe, welcher  die  Bühne  des  Aischyloa  durch  seine  Kunst  geschmückt 
hatte  (S.  295),  entschuldigte  sich,  dass  er  durch  andere  Aufträge  ver- 
hindert sei,  den  Wünschen  des  Alkibiades  nachzukommen;  da  sperrt 


Digitized  by  Go 


GLANZ  DBS  ALKIBIADES. 


619 


er  ihn  in  seinem  Hause  ein  und  erzwingt  die  geforderte  Arbeit. 
Ta  ureas,  welcher  seinem  Chore  den  Sieg  streitig  zu  machen  sucht, 
treibt  er  vor  dem  versammelten  Volke  mit  Schlägen  aus  dem  Theater; 
seine  Gattin  Hipparete  trägt  er  gewaltsam  in  sein  Haus  zurück,  als  sie 
vor  dem  Archonten  ihre  Ehe  auflösen  wollte;  ja  die  goldenen  Fest- 
geräthe  der  Burg  soll  er  von  ihrer  Stelle  genommen  und  zu  eigenem 
Gebrauche  verwendet  haben.  Und  alle  diese  Verhöhnungen  des 
bürgerlichen  und  heiligen  Rechts  wurden  ihm  ungestraft  nachgesehen, 
weil  man  sich  einmal  daran  gewöhnt  hatte,  Alkibiades  eine  Ausnahme- 
stellung vor  allen  Anderen  einzuräumen,  so  dass  die  Burgergemeinde 
selbst  einen  schweren  Theil  der  Schuld  trug,  indem  sie  den  wilden 
Sinn,  der  ihrer  Ordnungen  spottete,  in  ihm  nährte  und  zu  einer  un- 
überwindlichen Gewohnheit  werden  liefs181). 

Die  Stadt  Athen  war  aber  Alkibiades  viel  zu  eng,  um  ihm  als 
Schauplatz  seines  Ehrgeizes  zu  genügen.  Er  wollte  durch  den  Auf- 
wand, welchen  er  für  die  städtischen  Feste  und  für  die  Ausrüstung 
der  Schiffe  machte,  nicht  blofs  seine  Mitbürger  überstrahlen,  sondern 
ganz  Hellas  sollte  Zeuge  seiner  Herrlichkeit  sein.  In  dieser  Absicht 
erneuerte  er  die  alte  Tradition  des  Hauses,  dem  er  von  mütterlicher 
Seile  angehörte.  Denn  wie  der  Glanz  desselben  mit  dem  olympischen 
Wagensiege  des  Alkmaion,  des  Zeitgenossen  Solons,  begonnen  hatte, 
so  wollte  auch  er  als  ein  echter  Alkmäonide  diese  Bahn  des  Ruhms 
betreten.  Dazu  bedurfte  er  aber  anderer  Mittel,  als  sein  Erbgut  ihm 
gewährte,  mit  dem  er  so  verschwenderisch  gewirthschaftet  hatte;  des- 
halb halte  er  auch  die  Verbindung  mit  dem  reichsten  aller  Häuser  in 
Athen  gesucht,  dem  des  Daduchen  Hipponikos  (S.  425),  und  obgleich 
er  sich  an  diesem  Ehrenmanne  in  frevelhaftem  Uebermuthe  vergangen 
halte,  gelang  es  ihm  dennoch  die  Hand  seiner  Tochter  nebst  einer  Mit- 
gift von  zehn  Talenten  (48,000  Mark),  wie  sie  noch  keinem  Athener 
zu  Theil  geworden  war,  zu  erlangen.  Auch  gab  er  sich  keine  Mühe,  die 
eigennützigen  Absichten,  welche  ihn  bei  dieser  Verbindung  geleitet 
hatten,  zu  verstecken.  Denn  kaum  hatte  er  Hipparete  mit  ihren 
Schätzen  heimgeführt,  so  begann  er  sofort  die  Zucht  von  Rennpferden 
in  gröfserem  Mafsstabe  zu  betreiben.  Er  richtete  sich  einen  Marstall 
ein,  der  von  Fremden  und  Einheimischen  bewundert  wurde,  und 
wusste  sich,  um  die  Ausgaben  zu  bestreiten,  von  seinem  Schwager 
Kallias  noch  andere  zehn  Talente  zu  verschaffen,  die  Hipponikos  ihm 
für  den  Fall  versprochen  haben  sollte,  dass  seine  Tochter  einen 


Digitized  by  Google 


620 


GLA>'Z  des  alkibiades. 


Knaben  geboren  haben  würde.  Durch  solche  Mittel  erreichte  er  denn 
auch  seinen  Zweck  vollständig.  Denn  nicht  einen,  sondern  sieben 
Rennwagen  schickte  er  nach  Olympia  (01.89;  420)»  und  gewann 
nicht  einen,  sondern  drei  Preise  in  einer  und  derselben  Feier. 

Dieses  Auftreten  in  Olympia  halte  damals  eine  ganz  besondere 
Bedeutung.  Denn  zum  ersten  Male  waren  die  Sendboten  vou  Elis, 
welche  die  Festzeit  ankündigten,  wieder  nach  Athen  gekommen,  und 
wenn  man  im  Peloponnes  wohl  geglaubt  hatte,  Athen  sei  durch  Krieg 
und  Pest  in  seinem  Wohlstände  gebrochen,  so  sah  man  statt  dessen 
einen  attischen  Bürger  solche  Pracht  entfalten,  wie  sie  noch  kein 
Fürst  zur  Schau  gestellt  hatte.  Dazu  kam,  dass  um  dieselbe  Zeit 
Sparta  von  der  olympischen  Feier  ausgeschlossen  war  (S.  580) ;  Elis 
musste  sich  in  seinem  Zwiespalte  mit  Sparta  nach  anderem  Rück- 
halte umsehen,  und  da  Alkibiades  der  Schutzpatron  des  Sonder- 
bundes war,  da  er  den  Vertrag  zwischen  Argos  und  Athen  zu  Stande 
gebracht  hatte,  so  thaten  die  elischen  Behörden  Alles,  um  ihm  gefallig 
zu  sein ,  und  andererseits  diente  der  Aufwand  des  Alkibiades  dazu, 
unter  einem  Volke,  das  für  den  Eindruck  des  Reichthums  so  em- 
pfanglich war  wie  die  Griechen,  seinen  Einfluss  im  Peloponnes  un- 
gemein zu  heben. 

Dabei  verstand  Niemand  in  gleichem  Grade  die  Kunst,  fremde 
Mittel  für  seine  Zwecke  auszubeuten.  Denn  wie  er  mit  HipponhW 
Vermögen  sich  den  Weg  zu  den  olympischen  Kränzen  gebahnt  hatte, 
so  wusste  er  auch  bei  den  Bundesgenossen  seinen  Einfluss  zu  gleichen 
Zwecken  zu  benutzen.  Lesbos  schickte  ihm  den  Wein  für  die  Sieges- 
feier, zu  welcher  er  die  ganze  anwesende  Festversammlung  einlud; 
Chios  lieferte  die  Opferthiere  und  das  Futter  für  die  Pferde;  die  Ephe- 
sier  errichteten  ihm  ein  kostbares  Zelt.  So  wetteiferten  die  Städte, 
um  die  Gunst  des  mächtigen  Demagogen  zu  erlangen,  und  wenn  glän- 
zende Rosszucht  und  olympischer  Wagensieg  immer  als  eine  Vorstufe 
tyrannischer  Pläne  angesehen  wurden,  so  erschien  er  hier  in  der  That 
schon  wie  ein  Fürst,  der  seine  Tribute  einforderte  und  den  Glanz  der 
Vaterstadt  auf  seine  Person  vereinigte.  Auch  die  anderen  Festörter 
Griechenlands  waren  Zeugen  seines  Ruhms,  und  um  alle  diese  Siege 
zu  verherrlichen  und  um  seine  Triumphe  in  bleibendem  Andenken  zu 
erhalten,  bot  er  nicht  nur  die  Kunst  der  Sänger  auf,  sondern  auch  die 
bildenden  Künste  mussten  ihm  dazu  dienen.  Er  lieb  sich  malen,  wie 
er  von  Olympias  und  Pylbias  gekrönt  wurde  und  wie  er,  von  üppiger 


Digitized  by  Google 


DIE  POLITIK  DES  AI.KIBIADES 


621 


Schönheit  strahlend,  der  Nemea  im  Schofse  safs.  Solche  Schmeichel- 
bilder widmete  er  der  Stadtgöttin  und  liefe  sie  in  der  Pinakothek 
(S.  346)  aufstellen 

Endlich  war  auch  die  politische  Richtung,  welche  Alkibiades  ver- 
trat, der  Art,  dass  sie  vielfachen  Widerspruch  hervorrufen  musste.  Er 
wollte  ja  nicht  nur  den  mit  Mühe  zu  Stande  gebrachten  Frieden  auf- 
heben und  den  Krieg  in  alter  Weise  erneuern,  sondern  einen  Krieg  in 
viel  weiterer  Ausdehnung  und  mit  ganz  anderen  Mitteln  entfachen,  als 
es  die  leidenschaftlichsten  Demagogen  vor  ihm  gewollt  hatten.  Wie 
er  bei  allen  seinen  Plänen  nicht  blofs  Athen  im  Auge  hatte,  sondern 
ganz  Griechenland,  so  wollte  er  auch  nicht  blofs  auf  der  attischen 
Pnyx  der  allgewaltige  Führer  sein,  sondern  eben  so  in  Argos,  in  Man- 
tineia,  in  Elis.  Die  Entfesselung  der  Bürgerschaften  von  allen  aristo- 
kratischen Einflüssen  sollte  das  Programm  einer  allgemein  helleni- 
schen Politik  werden,  deren  Fäden  in  seiner  Hand  lagen ;  er  wollte 
das  Haupt  aller  demokratischen  Parteien  in  Griechenland  sein  und 
diese  zu  einem  mächtigen  Bunde  vereinigen,  welchem  Sparta  und 
alle  aristokratischen  Staaten  endlich  erliegen  müssten.  Also  auch  die 
auswärtige  Politik  wurde  jetzt  eine  rein  demokratische,  bei  der  alle 
anderen  Gesichtspunkte  zurücktraten.  Der  Krieg  wurde  ein  reiner 
Tendenzkrieg;  es  wurde  aus  einem  Staatenkriege  ein  Parteienkrieg, 
ein  Krieg,  der  dadurch  immer  ausgebreiteter  und  leidenschaftlicher, 
immer  zügelloser  und  unversöhnlicher  werden  musste.  Eine  neue 
Zeit  sollte  in  Griechenland  herbeigeführt  werden,  eine  Zeit,  in  welcher 
das  Fortbestehen  eines  Staats  wie  Sparta  unmöglich  wäre,  und  Athen 
sollte  der  nerd  dieser  allgemeinen  Volksbewegung  sein.  Zu  solcher 
Aufgabe  bedurfte  es  einer  möglichsten  Steigerung  der  attischen  Geld- 
kräfte; darum  erschien  ihm,  seit  er  das  Lager  der  Lakonisten  ver- 
lassen hatte,  Kleons  Politik  in  diesem  Punkte  als  die  allein  richtige. 
Aber  es  ist  eine  ungerechte  Anschuldigung,  wenn  man  ihn,  der  damals 
etwa  achtundzwanzig  Jahre  zählte,  für  die  plötzliche  Erhöhung  der 
Tribute  und  für  den  daraus  erwachsenen  Nothstand  der  Bundes- 
genossen bat  verantwortlich  machen  wollen;  auch  dass  er,  da  Thu- 
dippos  (S.  487  f.)  seinen  Antrag  stellte,  als  Mitglied  der  Schätzungs- 
kommission thätig  gewesen  sei,  beruht  nur  auf  einer  wenig  zuver- 
lässigen Ueberliefcrung.  Um  so  bedeutender  muss  aber  später  sein  • 
Einfluss  in  den  bundesgenössischen  Angelegenheiten  gewesen  sein, 
wie  schon  daraus  hervorgeht,  dass  Städte,  wie  Ephesos,  Chios  und 


Digitized  by  Google 


622 


ANGRIFFE  ALT  ALKIBIADES. 


Lesbos  kein  Opfer  scheuten,  um  die  Gunst  des  Aikibiades  zu  erwerben 
und  dadurch  eine  Verschlechterung  ihrer  Lage  abzuwenden194). 

So  tiefgreifend  und  ausgedehnt  der  persönliche  Einfluss  des 
Aikibiades  war,  so  begreift  sich  doch  leicht,  dass  er  keine  stetige,  den 
Staat  beruhigende  und  die  Parteien  vereinigende  Macht  erlangen 
konnte.  Er  wirkte  nur  aufregend;  er  rief  überall  Widerspruch  hervor, 
und  durch  den  Jubel,  mit  dem  die  Menge  ihren  Liebling  umdrängte, 
tönte  immer  greller  der  Ton  des  Misstrauens  und  des  Hasses  hin- 
durch. Die  ältere  Generation  zürnte  dem  Verführer  der  Jugend ,  die 
nach  Aikibiades'  Vorgang  die  Ringschulen  vernachlässigte,  über  jedes 
Herkommen  sich  keck  hinwegsetzte  und  ein  wüstes  Leben  für  guten 
Ton  hielt.  Die  es  mit  der  Verfassung  ehrlich  meinten,  mussten 
immer  klarer  einsehen,  dass  Aikibiades  kein  anderes  Ziel  habe  als  eine 
unbedingte  und  unverantwortliche  Herrschaft,  und  darauf  glaubte  er 
so  sicher  rechnen  zu  können,  dass  er  jetzt  schon  alle  Grundsätze  bür- 
gerlicher Gleichheit  ohne  Scheu  und  Scham  verletzte,  und  wenn  die 
urteilslose  Masse  seine  Keckheit  bewunderte,  so  fehlte  es  doch  auch 
im  Volke  nicht  an  solchen,  die  einen  sittlichen  Mafsstab  anzulegen 
wussten.  Namentlich  auf  der  Bühne  wurden  die  Stimmen  der  Miss- 
bilUgung  laut. 

Auf  der  tragischen  Bühne  bezeugte  Euripides  zwar  dem  Helden 
des  Tags  eine  unverkennbare  Anerkennung;  er  feierte  ihn  als  den 
glücklichen  Stifter  des  argivischen  Bundes  und  stimmte  in  seine 
spartafeindliche  Politik  vollkommen  ein;  aber  er  tadelte  und  warnte 
auch  in  ernstem  Tone.  Offener  und  derber  redete  die  Komödie,  um 
den  Abfall  von  der  väterlichen  Sitte  zu  rügen  und  den  Unterschied 
von  einst  und  jetzt  grell  in  das  Licht  zu  stellen.  So  beschwor  Eupolis 
in  seinen  'Deinen'  die  alten  Helden  aus  der  Unterwelt,  um  der  Stadt 
zu  zeigen,  wie  rasch  sie  entartet  sei  (S.  427).  Viel  schonungsloser  und 
persönlicher  war  er  in  seinen  'Kaptae'  (Frühjahr  415;  91,  1),  indem 
er  die  unzüchtigen  Feste,  welche  von  Aikibiades  und  Genossen  zu 
Ehren  der  Kottyto  bei  Nacht  gefeiert  wurden,  mit  zorniger  Entrüstung 
darstellte,  so  dass  Aikibiades  einen  tödtlichen  Hass  gegen  den  Dichter 
gefasst  haben  soll. 

Das  öffentliche  Aergerniss,  welches  er  durch  seine  Verspottung 
der  Religion  gab,  machte  ihm  denn  auch  besonders  die  Priester,  die 
sich  durch  ihn  in  ihrem  Einflüsse  bedroht  und  in  ihren  Einkünften 
beeinträchtigt  sahen,  und  Alle,  die  mit  ihnen  zusammenhingen,  zu 


Digitized  by  Google 


DIE  POLITISCHEN  CLL' DBS. 


623 


Feinden.  Dann  kamen  dazu  die  Volksredner,  wie  Androkles,  Kleony- 
mos  u.  AM  welche  es  dem  Alkibiades  nicht  vergessen  konnten,  dass 
sie  durch  ihn  bei  Seite  geschoben  waren.  Ferner  die  vielen  persön- 
lichen Feinde,  welche  auf  eine  Gelegenheit  warteten,  um  sich  für 
erlittene  Unbill  an  Alkibiades  zu  rächen,  und  darunter  waren  Manche, 
die  früher  zu  seiner  Genossenschaft  gehört  hatten.  Die  schlimmsten 
Gegner  aber  waren  die  alten  Feinde  der  Demokratie,  die  offenen  oder 
versteckten  Anhänger  der  Adelspartei,  welche  Alkibiades  doppelt 
hassten,  weil  sie  ihn  als  einen  Abtrünnigen  ansahen,  und  die  ihn  aus 
dem  Wege  schaffen  mussten,  wenn  sie  ihre  Pläne  durchsetzen  wollten. 
Die  Leute  dieser  Richtung  waren  eine  Zeitlang  mit  Nikias  gegangen, 
um  welchen  sich  die  ehren wertheren  Ueberreste  der  alten  Aristo- 
kratie von  Athen  gesammelt  hatten;  aber  seine  Haltung  war  den 
jüngeren  und  leidenschaftlicheren  Parteigängern  zu  mattherzig,  seine 
Politik  zu  ehrlich  und  gutmüthig.  Mit  einer  offenen  Opposition, 
glaubten  sie,  könne  man  nichts  ausrichten;  darum  müsse  man  im 
Verborgenen  Anstalten  treffen,  um  die  Demokratie  zu  bekämpfen, 
und  dadurch  erhielt  der  Parteikampf  in  Athen  einen  ganz  anderen 
Charakter ,3S). 

Geheime  Verbindungen  dieser  Art  waren  freilich  nicht  neu  in 
Athen.  Mitten  in  der  Noth  der  Perserkriege  sind  sie  zum  Vorscheine 
gekommen;  sie  haben  im  Lager  von  Plataiai  (S.  109)  so  wie  in  der 
Schlacht  von  Tanagra  (S.  169)  zu  land  es  verräterischen  Versuchen 
geführt;  ganz  erloschen  sind  diese  Parteirichtungen  auch  in  der  peri- 
kleischen  Zeit  nicht.  Aber  nach  Perikles'  Tode  erhielten  sie  eine  neue 
Bedeutung,  weil  die  Ausartung  der  Demokratie  eine  Reaktion  hervor- 
rief, und  so  bildeten  sich  namentlich  in  der  Zeit,  da  Kleon  den  Staat 
beherrschte  und  mit  allen  Mitteln  eines  demokratischen  Terrorismus 
jede  freie  Kundgebung  entgegengesetzter  Ansiebten  verfolgte,  heim- 
liche Verbindungen  (Hetärien),  welche  anscheinend  nur  zum  Zwecke 
fröhlicher  Geselligkeit  bestanden,  aber  unter  der  Hand  immer  ent- 
schiedener einen  politischen  Charakter  annahmen.  Darum  waren  aber 
nicht  Alle,  welche  gleiche  Ansichten  hatten,  in  derselben  Genossen- 
schaft vereinigt,  sondern  es  bestand  eine  Menge  einzelner  Kreise  von 
gleichartiger  Richtung,  und  die  Theilnahme  an  denselben  nahm  den 
Einzelnen  so  in  Anspruch,  dass  dagegen  die  natürlichen  Verpflichtun- 
gen gegen  Familie  und  Vaterstadt  zurücktraten;  denn  die  Mitglieder 
vereinigten  sich  nicht  nur  auf  gewisse  Grundsätze,  sondern  stellten 


Digitized  by  Google 


624 


DIE  POLITISCHEN  CLUDHS. 


sieb  auch  unter  eine  bestimmte  Leiturig  und  verpflichteten  sich  eid- 
lich, bei  Prozessen  so  wie  bei  Bewerbungen  um  öffentliche  Aemter 
nach  gemeinsamer  Verabredung  mit  Rath  und  Tbat,  mit  Gut  und 
Blut  sich  gegenseitig  zu  unterstützen. 

So  waren  diese  Clubbs  in  allen  Beziehungen  verschieden  von  den 
politischen  Verbindungen  früherer  Zeit  (S.  16).  Es  war  ursprünglich 
eine  Art  Nothwehr  gegen  die  Sykophanten;  nach  und  nach  gingen 
aber  die  Absichten  und  Pläne  jener  Verbindungen  immer  weiter.  Ihre 
Mitglieder  waren  meistentheils  Angehörige  alter  Familien  mit  ange- 
borenen oligarchischen  Tendenzen,  leidenschaftliche  und  aufgeregte 
junge  Leute  von  lockerem  Lebenswandel,  die  für  ihren  Ehrgeiz  in  dem 
damaligen  Athen  keinen  Platz  fanden,  sophistisch  gebildet,  von  un- 
klaren Staatstheorien  erfüllt,  welche  das  einfache  Rechtsbewusstsein 
und  Pflichtgefühl  in  ihnen  verdunkelten;  darum  dünkelhaft  und  ge- 
wissenlos, ohne  Achtung  für  Gesetz  und  Herkommen,  voll  Verachtung 
gegen  die  Masse  und  ihr  Regiment.  Je  mehr  nun  die  Politik  des 
Staats  eine  demokratische  wurde,  um  so  mehr  wurden  die  aristo- 
kratischen Clubbs  zu  staatsfeindlichen  Verschwörungen,  welche  mehr 
Sympathie  für  Sparta  hatten  als  für  die  eigene  Vaterstadt,  und  je 
rücksichtsloser  Alkibiades  verfuhr,  um  so  weniger  machten  sie  sich 
ein  Gewissen  daraus,  jedes  Mittel  gut  zu  heifsen,  um  die  Herrschaft 
der  Masse  und  ihrer  Günstlinge  zu  stürzen;  sie  scheuten  sich  nicht, 
unter  Umständen  die  Maske  eifriger  Verfassungsfreunde  vorzunehmen 
und  sich  zeitweise  mit  den  Ultrademokraten  zu  verbinden,  um  in 
dieser  Verkleidung  um  so  erfolgreicher  wirken  zu  können.  So  bildete 
sich  eine  der  Zahl  nach  kleine,  aber  durch  Entschlossenheit,  Talent 
und  gute  Organisation  mächtige  Partei,  welche  immer  auf  der  Lauer 
lag  und  fest  daran  glaubte,  dass  auch  ihre  Zeit  kommen  werde. 

Unter  diesen  Gegnern  der  Demokratie  trat  nur  Einer,  nämlich 
Antiphon,  des  Sophisten  Sophilos  Sohn  (S.  287),  dem  Alkibiades  offen 
gegenüber.  Alle  anderen  Athener,  die  sich  früher  oder  später  als 
Feinde  der  Volksherrschaft  zeigten,  finden  wir  in  heimlicher  Weise 
thätig,  und  in  mehr  oder  minder  deutlichem  Zusammenhange  mit  den 
aristokratischen  Clubbs.  Zu  diesen  Männern  gehörte  Peisandros  aus 
Acharnai,  der  als  weichlicher  Schlemmer  in  Athen  verrufen  war, 
dabei  ein  geborener  Intrigant  und  Meister  der  Verstellung;  auch 
Hagnon,  des  Theramenes  Vater,  der  Anklager  des  Perikles  (S.  395) 
und  Mitunterzeichner  des  Nikiasfriedens;  ebenso  Charikles,  des  Apollo- 


Digitized  by  Google 


DIE  POLITISCHEN  CLlimS. 


625 


doros'  Sohn,  der  ebenfalls  seine  Parteirichtung  zu  verstecken  wusste  und 
damals  ein  populärer  Mann  in  Athen  war  und  ansehnliche  Staatsämter 
bekleidete.  Eine  der  namhaftesten  Persönlichkeiten  war  endlich  Ando- 
kides,  der  Sohn  des  Leogoras.  Er  stammte  aus  einem  der  ältesten  und 
reichsten  Eupatridenhäuser,  einem  Hause,  das  mit  der  Geschichte  Athens 
in  ehrenvollster  Weise  verwachsen  war  (I,  368);  dabei  war  er  persön- 
lich ein  talentvoller  und  beredter  Mann,  der  aber  seiner  oligarchischen 
Gesinnung  wegen  vielfachen  Angriffen  von  Seiten  der  Volksredner  aus- 
gesetzt war.  Auch  er  gehörte  ohne  Zweifel  einer  der  enggeschlossenen 
Verbindungen  an. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass  geheime  Gesellschaften 
dieser  Art  nicht  eher  zu  erkennen  sind,  als  bis  sie  dazu  »gelan- 
gen, einen  bestimmendeit*  Einfluss  auf  das  Staatsleben  zu  gewinnen. 
Und  auch  dann  noch  ist  es  unmöglich,  die  Wirksamkeit  derselben, 
so  wie  ihre  wechselnde  Stellung,  ihre  Bedeutung  und  Zusammen- 
setzung mit  Sicherheit  zu  verfolgen.  Nur  das  ist  deutlich,  dass 
diese  Art  des  Parteikampfes  das  bürgerliche  Leben  immer  mehr 
zersetzte  und  vergiftete.  Bis  dahin  hatte  noch  eine  gewisse  Un- 
befangenheit im  öffentlichen  Leben  geherrscht;  die  Bürgerschaft 
schenkte  ihr  Vertrauen  den  tüchtigsten  Männern  und  verliefs  sich 
darauf,  dass  sie  bei  der  Verwaltung  öffentlicher  Aemter  nichts  im  Auge 
haben  könnten  als  das  Wohl  des  Gemeinwesens;  jetzt  wurde  immer 
zuerst  nach  der  Parteifarbe  gefragt.  Neben  dem  politischen  Fanatis- 
mus machte  sich  der  religiöse  geltend.  Und  was  das  Schlimmste 
war,  die  Männer  verschiedener  Ansicht  traten  sich  nicht  mehr  wie 
sonst  vor  dem  Volke  gegenüber,  offen,  ehrlich  und  mit  gutem  Ge- 
wissen, weil  sie  auf  dem  gemeinsamen  Boden  der  Vaterlandsliebe  stan- 
den, sondern  ein  selbstsüchtiges  Coteriewesen  verdrängte  die  höheren 
Interessen;  das  Allen  Gemeinsame  verschwand  immer  mehr,  und  der 
vorherrschende  Zweck  war  kein  anderer,  als  die  eigene  Gröfse  durch 
den  Sturz  der  Gegner  zu  erreichen.  Zu  diesem  Zwecke  verbanden  sich 
Oligarchen  und  Demagogen,  religiöse  Fanatiker  und  Freigeister.  Es 
fehlte  bei  diesen  Grundsätzen  überhaupt  der  sittliche  Ernst  der  Ueber- 
zeugung.  Alkibiades  vertrat  die  Demokratie,  aber  nicht  aus  Verfassungs- 
treue, sondern  weil  nur  sie  seinem  Ehrgeize  Befriedigung  versprach, 
und  eben  so  suchten  die  Gegner  der  Demokratie  in  der  Begel  nur  ihren 
Vortheil  und  waren  bereit,  Alles,  auch  die  Ehre  und  Unabhängigkeit 
der  Vaterstadt,  preiszugeben. 

Curtin»,  Gr.  Gesch.  IC.  «.  Aufl.  40 


Digitized  by  Google 


626 


GESANDTE  NACH   EG  ES  TA  (91,1:41%). 


Unter  den  Einflüssen  solcher  Parteibestrebungen  musste  die  Ent- 
artung der  Bürgerschaft  in  erschreckendem  Grade  überhand  nehmen. 
Denn  je  mehr  die  natürlichen  Bande  von  Haus  und  Familie  gelockert 
wurden,  um  so  mehr  wucherten  diese  willkürlichen  Verbindungen,  welche 
sogar  eine  gewisse  Verpflichtung  enthielten,  die  angestammten  Bande 
zu  zerreifsen.  Die  Gesuudheit  und  Festigkeil  des  Gemeinwesens  wurde 
untergraben;  man  stand  auf  vulkanischem  Boden,  und  die  Gefahren  am 
eignen  Herde  waren  drohender  als  die  auswärtigen.  Nach  aufsen  war 
Athen  mächtig;  denn  seine  Einkünfte  waren  gröfser,  seine  Seeherr- 
schaft unbedingter  und  seine  Feinde  schwächer,  als  je  zuvor,  aber  die 
innere  Stärke  des  Freistaals,  welche  auf  Bürgertugend  und  Vater- 
landsliebe beruhte,  war  in  voller  Auflösung  begriffen 1S6). 

So  war  der  Zustand  der  Dinge  in  Alhen,  als  die  Abgeordneleu 
aus  Egesta  eintrafen  (S.  612).  Sie  traten  mit  gewandter  Rede  vor  die 
Bürgerschaft;  sie  wiesen  auf  die  Gefahr  hin,  wenn  Syrakus  nach  und 
nach  alle  unabhängigen  Staaten  der  Insel  unterwürfe ;  sie  versprachen, 
aus  ihren  Mitteln  die  Kriegskosten  zu  bestreiten.  In  bewegten  Bürger- 
versammlungen wurde  das  Gesuch  berathen.  Die  Gegner  des  sicilischen 
Projekts  wollten,  dass  man  sich  von  vorn  herein  auf  nichts  einlasse, 
weil  sie  voraussahen,  dass  man  später  keinen  Halt  finden  könne;  sie 
warnten  besonders,  sich  nicht  durch  die  Vorspiegelungen  der  fernen 
Insulaner  täuschen  zu  lassen.  So  redeten  diejenigen,  welche  in  den 
auswärtigen  Angelegenheiten  das  Festhalten  an  der  perikleischen  Politik 
für  die  erste  Bedingung  der  öffentlichen  Wohlfahrt  hielten,  und  Nie- 
mand vertrat  diese  Ueberzeugung  eifriger  als  Nikias,  dem  es  nicht 
zweifelhaft  war,  dass  an  der  sicilischen  Unternehmung  unvermeidlich 
wieder  ein  allgemeiner  Volkskrieg  sich  entzünden  werde.  Die  Partei 
des  Alkibiades  unterstützte  dagegen  auf  das  Lebhafteste  die  Egestäer, 
und  endlich  vereinigte  sich  die  Mehrheil  der  Bürger  dahin,  dass  man 
für's  Erste  Gesandle  absenden  wolle,  welche  sich  von  den  Hülfsquellen 
der  fremden  Stadl  mit  eigenen  Augen  überzeugen  sollten;  eine  Maß- 
regel, zu  welcher  ohne  Zweifel  die  Egestäer  selbst  aufgefordert  hatten. 

Das  war  im  Grunde  schon  ein  Sieg  der  Kriegspartei.  Denn  es 
war  nicht  schwer,  die  Athener  in  Egesta  noch  vollständiger  zu  täu- 
schen, als  dies  in  der  attischen  Volksversammlung  möglich  war.  Man 
zeigte  ihnen  daselbst  die  Denkmäler  der  Stadt  als  Zeugen  des  öffent- 
lichen Wohlstandes;  man  führte  sie  hinauf  zum  Heiligthume  der 


Digitized  by  Google 


KKIEGSBESCHLUSS  USD  FELDHERR*  WAHL  (W,  1;  415). 


627 


Aphrodite  auf  dem  Berge  Eryx  und  kramte  dort  die  ganze  Menge  von 
silbernen  Schaalen,  Kannen,  Hauch  fassern  und  anderem  Gerälhe  vor 
ihnen  aus;  man  veranstaltete  in  der  Stadt  üppige  Gastmäler,  bei  denen 
man  ihnen  in  verschiedenen  Häusern  immer  dasselbe  Tafelgeschirr 
vorsetzte,  das  zum  Theil  aus  benachbarten  griechischen  und  phö- 
nikischen  Städten  zusammengeliehen  war,  und  so  konnten  die  Ab- 
geordneten, von  ruhmredigen  und  schlauen  Sicilieru  umgeben,  zu 
einem  wirklichen  Einblicke  in  die  Finanzlage  der  Stadt  und  zur 
Kenntniss  ihrer  öffentlichen  Baarschaften  gar  nicht  gelangen.  Von  dem 
Scheine  eines  allgemeinen  Reichthums  geblendet,  kehrten  sie  im  Früh- 
jahre nach  Athen  zurück,  und  als  nun  im  Peiraieus  60  Talente  haaren 
Geldes  ausgeladen  wurden,  welche  die  Egestäer  mitgeschickt  hatten,  um 
daraus  für  den  ersten  Monat  den  Sold  für  60  Kriegsschiffe  zu  bestreiten, 
da  machte  diese  Sendung,  welche  schon  wie  eine  erste  Zahlung  sici- 
lischer  Tribute  jubelnd  begrüfst  wurde,  und  die  Darstellung  der  heim- 
kehrenden Abgeordneten  solchen  Eindruck,  dass,  wie  Alkibiades  vor- 
ausgesehen, die  Kriegsparlei  gewonnenes  Spiel  halte.  Der  Feldzug 
wurde  beschlossen,  die  Feldherrn  wurden  ernannt  und  zwar  mit  unbe- 
schränkten Vollmachten  und  mit  der  Anweisung,  dass  sie  zunächst  die 
Egestäer  beschützen  und  die  Leontiner  zurückführen,  dann  aber  in 
Betreff  der  allgemeinen  Verhältnisse  Siciliens  so  verfahren  sollten ,  wie 
es  für  Athen  am  zuträglichsten  sei. 

Wenn  man  die  Sache  der  halbbarbarischen  Egestäer  unbedingt  in 
den  Vordergrund  stellte,  so  geschah  es  nicht  blofs  aus  dem  Grunde, 
dass  man  an  die  Reichlhümer  der  Stadt  glaubte;  man  wollte  auch 
gern  den  Schein  vermeiden,  als  wenn  man  den  Krieg  der  Stämme  aut 
sicilischen  Boden  übertragen  wollte.  Die  Rückführung  der  Leontiner 
würde,  wenn  sie  als  Hauptziel  aufgestellt  wäre,  eine  Kriegserklärung 
gegen  Syrakus  in  sich  geschlossen  haben,  und  die  ganze  Unternehmung 
hätte  sofort  den  Charakter  eines  Eroberungskriegs  erhalten.  Dazu  kam, 
dass  man  mit  den  ionischen  Städten  der  Insel,  seit  sie  die  angebotene 
Hülfe  Athens  abgelehnt  hatten,  in  gespanntem  Verhältnisse  stand. 

Wenn  man  die  Vollmachten  dennoch  überEgesta  hinaus  ausdehnte, 
so  war  dies  ganz  im  Sinne  des  Alkibiades;  aber  das  hatte  er  doch  nicht 
durchsetzen  können,  dass  er  allein  die  Flotte  führte.  Dazu  war  er  zu 
wenig  ein  Mann  des  öffentlichen  Vertrauens,  und  die  Mehrheit  der 
Bürger  konnte  für  die  Sache  nur  so  gewonnen  werden,  dass  Nikias 
zum  Amtsgenossen  ernannt  wurde,  und  als  Dritter  Lamachos,  der  als 

40* 


Digitized  by  Google 


628 


MKUS   UM»   ALKIUI AI>ES 


ein  tapferer  Degen  und  erfahrener  Kriegsmann  mehr  für  die  Ausfüh- 
rung einzelner  Unternehmungen  als  für  die  Leitung  des  Ganzen  be- 
stimmt wurde.  Alkibiades,  Lamachos,  Nikias  —  das  ist  die  Reiben- 
folge der  Namen  in  den  amtlichen  Urkunden,  welche  über  die  Geld- 
anweisungen zum  Feldzuge  vorhanden  sind. 

Die  Bürgerschaft  blieb  also  bei  der  Ansicht,  welche  am  Tage  des 
letzten  Ostrakismos  entscheidend  gewesen  war,  dass  man  am  sichersten 
ginge,  wenn  man  die  beiden  ungleichsten  aller  Athener  zu  gemein- 
schaftlicher Thätigkeit  verbände.  Man  hoffte,  dass  die  bedächtige 
Langsamkeit  des  Einen  und  die  geniale  Kühnheit  des  Anderen  sich  in 
heilsamer  Weise  ergänzen  würden,  während  doch  in  der  That  dasr 
worauf  für  das  Gelingen  Alles  ankam,  die  Energie  der  Kriegsführung, 
dadurch  von  Anfang  an  gelähmt  werden  musste187). 

Niemand  war  unglücklicher  als  Nikias.  Er  hatte  von  jeher  keinen 
anderen  Grundsatz,  als  den  der  behutsamsten  Vorsicht,  und  nun  sollte 
er  mit  einem  Manne,  der  nur  mit  dem  höchsten  Einsätze  zu  spielen 
liebte,  seinem  leidenschaftlichen  Gegner,  vereint,  eine  Unternehmung 
leiten,  welche  er  für  die  verkehrteste  und  verderblichste  hielt,  zu  der 
sich  jemals  die  Bürgerschaft  entschlossen  halte.  Er  war  entrüstet  über 
den  Leichtsinn,  mit  dem  ein  solcher  Zug  beschlossen  war,  ehe  man 
sich  die  Schwierigkeit  desselben  klar  gemacht  und  über  die  Mittel  der 
Ausführung  berathen  hatte;  er  war  entschlossen,  Alles  zu  versuchen, 
um  den  Kriegsbeschluss  wieder  rückgängig  zu  machen,  und  scheute 
sich  deshalb  nicht,  obgleich  dieses  Verfahren  ein  ungesetzliches  war, 
in  der  nächsten  Versammlung,  welche  5  Tage  später  angesetzt  war,  um 
über  die  Art  der  Ausrüstung  das  Nähere  zu  bestimmen,  darauf  zu 
dringen,  dass  die  ganze  Kriegsfrage  noch  einmal  auf  die  Tagesordnung 
gebracht  würde.  Er  fühlte,  was  für  ihn,  was  für  ganz  Alben  auf  die 
Entscheidung  dieses  Tages  ankam.  Er  liefs  sich  also  durch  die  un- 
willige Ungeduld  der  Menge,  durch  die  Erbitterung  der  Kriegspartei 
und  durch  die  Gegenanstalten  des  Alkibiades,  welcher  seine  Partei- 
genossen in  der  ganzen  Versammlung  vertheilt  halte,  um  die  Gegner 
einzuschüchtern  und  zu  verwirren,  nicht  irre  machen;  er  redete  herz- 
hafter und  gewaltiger,  als  je,  und  erreichte  es  wirklich,  dass  die  Stimme 
der  Vernunft  und  Besonnenheit  noch  einmal  vernommen  wurde,  ehe 
der  verhängnissvolle  En  Ischl  uss  zur  That  wurde. 

Er  wies  zuerst  den  Vorwurf  persönlicher  Furchtsamkeit  zurück. 
Dann  schilderte  er  die  Lage  des  Staats.  Der  erlangte  Friede  sei  nichts 


Digitized  by  Google 


MK1AS  GEGE*  ALKIWADES. 


629 


als  eine  kurze  Pause  von  unbestimmter  Dauer;  die  alten  Feinde  lauerten 
auf  die  nächste  Gelegenheit  denselben  zu  brechen,  oder  sie  hätten  die 
Waffen  noch  gar  nicht  aus  der  Hand  gelegt;  die  chalkidischen  Orte 
verharrten  sogar  noch  ungestraf  t  im  Aufrühre.  4Und  wir',  fuhr  er  fort, 
'im  eignen  Hause  keinen  Augenblick  sicher,  im  eignen  Gebiete  noch 
'nicht  wieder  zur  Herrschaft  gelangt,  wir  stürzen  uns  in  einen  neuen, 
'unabsehlichen,  jedes  frühere  Mafs  überschreitenden  Krieg,  in  einen 
'Krieg,  der  gar  keinen  vernünftigen  Zweck  hat!  Denn  wenn  wir  auch 
'den  glücklichsten  Erfolg  haben,  so  ist  es  doch  unmöglich,  ein  Land 
'wie  Sicilien  zu  behaupten;  der  geringste  Unfall  dagegen  stürzt  uns  in 
'die  allergröfsten  Gefahren  und  verdoppelt  die  Zahl  unserer  Feinde, 
'denen  wir  schon  jetzt  kaum  gewachsen  sind.  Und  weshalb  unter- 
'nehmen  wir  diesen  Kampf,  bei  dem  wir  Alles,  was  wir  haben,  ein- 
'setzen?  Aus  Furcht  vor  Syrakus?  Die  Gefahr,  die  von  dort  uns  er- 
wachsen könnte,  ist  eine  leere  Einbildung.  Aus  Verpflichtung  gegen 
'Egesta?  Die  Egestäer  sind  uns  vollständig  fremd  und  haben  keinen 
'Anspruch  darauf,  dass  wir  ihrer  Gränzfehden  wegen  Volk  und  Land 
'aufs  Spiel  setzen.  Oder  sollen  wir  etwa  den  ganzen  Krieg  unter- 
'nehmen,  um  dem  Ehrgeize  einiger  junger  Leute  Vorschub  zu  leisten, 
'die,  unreif  und  unerfahren,  nach  Feldherrnstellen  und  Feldherrnruhin 
'trachten  und  ihre  zerrütteten  Vermögensverhältnisse  bei  der  Gelegen- 
heit in  Ordnung  zu  bringen  hoffen?  Es  giebt  doch  nur  einen  ver- 
nünftigen Grundsatz  in  Beziehung  auf  die  Aufnahme  neuer  Bundes- 
genossen, die  aus  der  Ferne  sich  anbieten,  das  ist  der  Grundsatz,  dass 
'man  nur  mit  denen  sich  einlasse,  welche  gleiche  Hülfe  gewähren 
'können,  als  die  sie  in  Anspruch  nehmen.  Wir  haben  wahrhaftig  allen 
'Grund,  bei  uns  selbst  auf  der  Hut  zu  sein,  dem  Staate  gegenüber,  der 
'an  den  Oligarchen  in  unserem  eigenen  Lager  seine  Bundesgenossen 
'hat.  Also  hoffe  ich  von  den  älteren  und  erfahrenem  Mitbürgern,  dass 
'sie  sich  durch  falsches  Ehrgefühl  oder  durch  Einschüchterungen  nicht 
'abhalten  lassen,  besonnenem  Balhe  zu  folgen;  von  dem  Vorsitzenden 
'Prytanen  aber  erwarte  ich,  dass  er  sich  kein  Gewissen  daraus  mache, 
'wo  es  das  Heil  des  Staats  gilt,  über  formelle  Bedenken  sich  hinwegzu- 
setzen und  die  ganze  Frage  über  Absend ung  einer  Flotte  nach  Sicilien 
'heute  noch  einmal  zur  Abstimmung  zu  bringen.1 

Die  Berathung  wurde  eröffnet.  Einzelne  sprachen  für  Nikias,  die 
Meisten  gegen  ihn;  zuletzt  Alkibiades. 

Er  wies  erst  die  persönlichen  Angriffe  zurüek,  welche  Nikias  dies- 


Digitized  by  Google 


630 


ALKIIUAHES   GEGEN  MKIAS. 


mal  gegen  seine  Gewohnheit  in  bitterster  Weise  vorgebracht  hatte. 
Wenn  er  viel  Geld  ausgebe  und  Pracht  liebe,  so  gereiche  Beides  der 
Stadt  zu  Ehre  und  Nutzen;  was  aber  seine  Unerfahrenheit  in  Staats- 
angelegenheiten betreffe,  so  habe  er  im  Peloponnes  gezeigt,  wie  man 
ohne  Aufwand  und  ohne  Gefahr  einen  Feind  wie  Sparta  demüthigen 
und  schwächen  könne.  Thatsachen  redeten  für  ihn;  denn  Athen  habe 
in  der  dorischen  Halbinsel  nicht  nur  festen  Anhang  gewonnen,  sondern 
es  folgten  schon  jetzt  peloponnesische  Conlingente  dem  Aufgebote  der 
Athener,  und  zwar  um  seinetwillen.  Die  Schwierigkeiten  des  neuen 
Kriegs  ubertreibe  Nikias  seinem  Interesse  gemäfs.  Die  sicilischen 
Städte  hätten  eine  gemischte  Bevölkerung  und  seien  deshalb  stets  zu 
Neuerungen  aufgelegt  so  wie  zur  Aufnahme  fremder  Ankömmlinge. 
Die  Sikelioten  hätten  kein  Vaterland  in  dem  Sinne  wie  die  diesseitigen 
Hellenen.  Sie  seien  aufserdem  uneinig  und  mangelhaft  gerüstet.  Für 
Athen  aber  sei  es  unwürdig,  überall  nur  nach  ängstlicher  Berechnung 
fremden  Staaten  Schulz  zu  gewähren  und  nur  auf  seine  Sicherheit  be- 
dacht zu  sein;  es  habe  in  den  Tagenseines  höchsten  Ruhms  zugleich 
gegen  die  Perser  zu  Felde  gelegen  und  die  Peloponnesier  zu  Feinden 
gehabt.  Eine  Flotte,  wie  die  attische,  genüge,  um  sowohl  die  Heimalh 
zu  schützen,  als  auch  um  neue  Siege  zu  gewinnen.  Hier  komme  dazu, 
dass  ein  gegebenes  Wort  zur  Aufrechterhaltung  des  gefasslen  Be- 
schlusses verpflichte.  Er  wende  sich  also  nicht  an  die  Aelteren,  wie 
Nikias,  sondern  an  Jung  und  Alt,  und  erwarte,  dass  nach  der  Sitte  der 
Väter  die  Thatenlust  der  Jugend  sich  mit  dem  Rathe  der  Allen  zum 
Ruhme  der  Stadt  verbinden  werde 1>e). 

Die  Rede  des  Alkibiades  war  klug  berechnet,  glänzend  und  von 
hinreifsender  Gewalt.  Die  Folge  war,  dass  die  Stimmung  der  Bürger- 
schaft viel  kriegerischer  und  entschiedener  war  als  in  der  vorigen  Ver- 
sammlung, und  als  nun  auch  noch  die  Leon  tiner  und  Egestäer  ihre 
dringenden  Hülf^esuche  erneuerten,  da  konnte  von  einem  Erfolge  der 
Friedenspartei  nicht  mehr  die  Rede  sein.  Nikias  gab  aber  noch  nicht 
alle  Hoffnung  auf.  Er  versuchte  nun  in  der  Weise  Eingang  zu  finden, 
dass  er  den  Bürgern  von  den  ungeheuren  Kosten  des  Kriegs,  welche 
ganz  auf  sie  fallen  würden,  einen  Begriff  zu  machen  suchte,  denn  die 
Verheifsungen  der  jenseitigen  Bundesgenossen  seien  unzuverlässig  oder 
eitles  Blendwerk.  Die  sechzig  Talente  seien  in  wenig  Wochen  ver- 
braucht, und  wer  bürge  ihnen  dafür,  dass  die  Egestäer  alle  ihre  Schätze 
und  Tempelgeräthe  hergeben  würden,  um  fremde  Truppen  zu  unter- 


Digitized  by  Google 


STIMMUNGEN  NACH   HF.M  RESCHLISSE. 


031 


halten  ?  Diese  Vorstellungen  mochten  auf  die  besitzende  Klasse  tiefen 
Eindruck  machen;  für  die  grofse  Menge,  die  keine  Opfer  zu  bringen 
halte,  waren  sie  wirkungslos. 

Nach  der  Rede  des  Alkibiades  erschien  jedes  weitere  Bedenken 
als  eine  Versündigung  an  der  Ehre  Athens;  je  grofsartiger  die  Aus- 
rüstung war,  um  so  mehr  Glück  und  Gewinn  erwartete  man.  Darum 
wurde  Nikias  von  dem  Volksredner  Demostralos  aufgefordert,  ohne 
Lim  seh  weife  die  Gröfsc  der  Ausrüstung  zu  bestimmen,  welche  der 
Krieg  verlange;  und  als  dieser  100  Trieren,  eine  entsprechende  Zahl 
von  Transportschiffen,  5000  Schwerbewaffnete,  eine  ansehnliche  Menge 
von  leichtem  Kriegsvolk  und  aufserdem  andere  umfassende  Vorbe- 
reitungen verlangte,  so  machte  auch  dies  keinen  anderen  Eindruck, 
als  dass  in  taumelhafter  Aufregung  Alles  ohne  Weiteres  von  der  Bür- 
gerschaft bewilligt  und  den  Feldherrn  dazu  unbedingte  Vollmachten 
ertheilt  wurden. 

Das  war  der  Ausgang  der  beiden  Volksversammlungen,  welche 
am  19ten  und  24sten  März  in  Athen  gehalten  wurden.  Nikias'  Ein- 
spruch hatte  also  keinen  andern  Erfolg  als  den,  dass  die  Rüstung  un- 
gleich kostspieliger  und  die  ganze  Kraft  des  Staats  in  unverhältniss- 
miifsiger  Weise  für  den  Krieg  in  Anspruch  genommen  wurde.  Dadurch 
wurden  die  Athener  in  ihren  Erwartungen  nur  um  so  hochfahrender 
und  mafsloser,  die  Unternehmung  selbst  aber  durchaus  nicht  in 
gleichem  Grade  gesicherter.  Denn  je  gröfser  die  Ausrüstung  von  Flotte 
und  Heer  war,  um  so  schwieriger  musste  ihre  Verpflegung  im  fremden 
Lande  werden  und  um  so  gerechtfertigter  das  Misstrauen  der  neutralen 
Staaten,  welche  in  solchen  Vorkehrungen  nur  die  Absicht  eines 
grofsen  Eroberungskriegs  erkennen  konten.  Inzwischen  dachte  man 
daran  nicht.  Jeder  Widerspruch  war  beseitigt,  und  es  wurde  mit 
aller  Energie  zur  That  geschritten.  Stadt  und  Häfen  verwandelten 
sich  in  ein  Feldlager,  das  Volk  drängte  sich  zur  Einreihung  in  die 
Kriegerlisten;  die  Befehle  an  die  Bundesgenossen  wurden  ausgefertigt. 

Aber  so  muthig  und  kräftig  auch  die  Athener  das  grofse  Werk 
anfassten ,  es  war  doch  nicht  wie  in  alten  Zeiten .  wenn  die  Stadt  zu 
einem  guten  Kampfe  sich  rüstete.  Es  fehlte  der  frohe  Muth ,  der  die 
besonnene  That  begleitet ,  die  innere  Gewissheit  und  der  einmüthige 
Bürgersinn.  In  aufgeregten  Versammlungen  waren  alle  Bedenken 
übertäubt  worden  ;  bei  größerer  Ruhe  und  in  kleineren  Kreisen  tauch- 
ten sie  immer  wieder  hervor,  und  so  verbreitete  sich  in  der  Bürger- 


Digitized  by  Google 


632 


DIE   UfctJNtll   l»ES  Al.klHiAIiES. 


schaft  eiue  unheimliche  Stimmung,  welche  man  nicht  bemeistern 
konnte,  eine  peinliche  Spannung,  in  der  man  ängstlich  nach  Allem 
umschaute  und  horchte,  was  ein  Vorzeichen  für  die  Zukunft  sein 
könnte.  Nun  gedachte  man  der  Webklagen,  die  gerade  während  der 
letzten  Verbandlungen  von  den  Dächern  der  Häuser  erklungen  waren, 
da  die  Athenerinnen  das  Adonisfest  begingen.  Von  Delphi  kamen 
ernste  Warnungen.  Sokrates  wusste  durch  die  göttliche  Stimme,  die 
sich  ihm  offenbarte,  dass  nichts  Gutes  von  dem  Zuge  zu  erwarten  sei, 
und  Meton  (S.  281)  soll  sein  Haus  angezündet  haben,  um  als  Irr- 
sinniger selbst  vom  Kriegsdienste  frei  zu  kommen  oder  um  aus  Anlas* 
des  Brandes  seinen  Sohn  zurück  behalten  zu  dürfen139). 

Diese  ängstliche  und  schreckhafte  Stimmung  der  Athener  wurde 
nun  ein  Werkzeug  in  der  Hand  der  Parteien,  die  im  Geheimen  ihr 
Wrerk  trieben,  weil  ein  offener  Widerspruch  nicht  möglich  war. 
Namentlich  waren  die  Feinde  des  Alkibiades  in  rastloser  Thätigkeit 
Er  stand  ja  nun  auf  der  Höhe  seines  Einflusses,  und  wenn  es  auch 
gelungen  war,  seine  Absichten  auf  den  alleinigen  Oberbefehl  zu  hinter- 
treiben, so  galt  er  doch  als  die  Seele  des  Unternehmens ;  von  seinem 
vielseitigen  Geiste  erwartete  man  allein  das  Gelingen,  und  es  war  vor- 
auszusetzen ,  dass  er  mit  Hülfe  des  kriegslustigen  Heers  ferne  von  der 
Heimalh  den  Einfluss  seiner  Mitfeldherm  lähmen  würde,  um  so  mehr, 
da  Lamachos  eine  feurige  Natur  war,  welcher  die  kühnste  Kriegsweise 
die  liebste  war,  und  aufserdem  seiner  Dürfligkeil  wegen  Alkibiades 
gegenüber  keine  ebenbürtige  Stellung  hatte.  Dass  aber  auf  diese  Weise 
Alkibiades  wirklich  seine  hochfahrenden  Pläne  ausführen,  dass  es  ihm 
gelingen  sollte,  zu  allen  seinen  Glücksgütern  noch  den  Glanz  des  Feld- 
herrnruhms  zu  gewinnen,  das  war  seinen  Feinden  ein  unerträglicher 
Gedanke,  so  dass  sie  entschlossen  waren,  Alles  aufzubieten,  um  ihn  zu 
stürzen,  ehe  er  als  übermächtiger  Sieger  in  die  Heimath  zurückkehre. 
Zu  diesem  Zwecke  verbanden  sich  Männer  der  verschiedensten  Parteien 
und  zettelten  nun  ein  Gewebe  von  Intriguen  au,  dessen  fein  gesponnene 
Fäden  nur  mit  Mühe  zu  erkennen  sind140). 


Es  waren  etwa  sechs  Wochen  seit  der  letzten  Volksversammlung 
vergangen ,  und  die  mit  rastlosem  Eifer  betriebenen  Rüstungen  näher- 
ten sich  ihrer  Vollendung ,  als  die  Stadt  plötzlich  durch  ein  unerhörtes 
Ereigniss  in  Schrecken  versetzt  wurde.    Nämlich  in  einer  Nacht 


Digitized  by  Go 


DER  HERME!N'FREVEL   (,0>4i  MAI  «5;  91,  1). 


633 


wurden  die  zahlreiclien  Marmorhermen,  welche  einen  Tbeil  des  Markts 
einfassten  und  vor  den  Bürgerhäusern  und  Heiligthömern  aufgestellt 
waren,  fast  ohne  Ausnahme  zerschlagen,  so  dass  man  am  anderen 
Morgen  die  viereckigen  Pfeiler  mit  abgeschlagenem  oder  zerslümmellem 
Kopfe  dastehen  und  die  Strafsen  mit  Trümmern  bedeckt  sah. 

Nächtlicher  Unfug,  von  trunkenen  Schaaren  verübt,  war  in  Athen 
nichts  Ungewöhnliches;  aber  ein  Frevel  von  solcher  Ausdehnung  war 
unerhört;  da  musste  doch  eine  grofse  Anzahl  von  Einwohnern  sich  zu- 
sainmengelban  haben;  diese  mussten  Absichten  haben  und  Pläne  ver- 
folgen, von  denen  man  keine  Vorstellung  hatte,  und  je  unerklärlicher 
Alles  war,  um  so  gröfser  war  die  Spannung  und  Unruhe  der  ganzen 
Bürgerschaft.  Man  war  entrüstet  über  die  Schändung  der  Stadt.  Denn 
so  gedankenlos  man  auch  gewöhnlich  an  den  Hermen  vorübergehen 
mochte,  so  waren  sie  doch  nicht  nur  ein  vielbewunderter  und  eigen- 
thümlicher  Schmuck  der  Stadl,  sondern  auch  ein  Kennzeichen  der 
öffentlichen  Ordnung;  es  waren  Zeugen  des  gottesdiensüichen  Sinnes, 
dessen  sich  Athen  seit  alten  Zeiten  rühmte;  sie  waren  schon  durch  ihre 
allerthümliche  Form  ehrwürdige  Denkmäler  des  durch  alle  Gene- 
ralionen hindurch  unveränderten  Cultus  und  Symbole  des  göttlichen 
Schutzes.  Aber  das  war  nicht  Alles.  Viel  beunruhigender  war  der 
Gedanke,  dass  mitten  in  der  Stadt  Parteien  beständen,  welche  zu 
solchem  Frevel  sich  vereinigten;  vor  Menschen  dieser  Art  sei  nichts 
sicher,  was  im  Staate  bestehe  und  durch  Gesetz  oder  Herkommen 
geheiligt  sei.  Umsonst  also  war  es,  wenn  die  Besonneneren  ihren  Mit- 
bürgern zuredeten,  sie  möchten  die  Sache  doch  nicht  zu  ernst  nehmen; 
es  sei  nichts  als  ein  neuer  Versuch,  durch  böse  Vorzeichen  den  Ab- 
gang der  Flotte  zu  hintertreiben;  vielleicht  möchten  sogar  die  Koriniher 
dabei  die  Hand  im  Spiele  haben,  um  so  von  ihrer  Tochterstadl  in 
Sicilien  die  drohende  Kriegsnoth  abzuwenden. 

Der  Rath  hielt  es  für  seine  Pflicht,  die  Sache  in  seine  Hand  zu 
nehmen,  und  da  er  nun  zum  Unglücke  Athens  so  unselbständig  war, 
dass  er  keine  bedeutendere  Angelegenheit  ohne  das  Volk  verhandeln 
konnte,  wurde  sofort  die  ganze  Bürgerschan  in  die  polizeiliche  Unter- 
suchung hereingezogen;  dadurch  erhielten  die  Parteiführer  freien 
Spielraum  und  die  lieberhafte  Aurregung  draug  nun  in  alle  Schichten 
der  Bevölkerung  ein. 

Der  Erste,  welcher  jetzt  in  den  Vordergrund  tritt  und  sich  als 
einen  Mann  kundgiebt,  der  bestimm le  Zwecke  verfolgt,  ist  Peisandros 


Digitized  by  Google 


634  DIE  LNTERSUCHCNGSCOMMISSION. 

(S.  624).  Er  ist  bestrebt,  die  Entdeckung  des  Frevels  im  Interesse 
des  öffentlichen  Wohls  als  eine  Staatsangelegenheit  darzustellen,  hinler 
der  alles  Andere  zurücktreten  müsse;  er  veranlasst  einen  Volks- 
bcschluss,  welcher  eine  Prämie  von  10,000  Drachmen  (7500  M.)  für 
die  erste  Anzeige  aussetzt.  Zugleich  wird  dem  Rathe  außerordentliche 
Vollmacht  gegeben  und  eine  ständige  Unlersiichungscommission  nieder- 
gesetzt. Es  folgte  aber  keine  Entdeckung.  Unverrichteler  Sache 
hielten  die  Commissarien  und  die  Rathsherrn  ihre  Sitzungen.  Dadurch 
steigerte  sich  die  Angst;  die  Luft  wurde  immer  schwüler,  die  öffent- 
liche Stimmung  immer  peinlicher  und  'gespannter,  wie  es  diejenigen 
wünschten,  welche  die  aufgeregten  Leidenschaften  zu  ihren  Privat- 
zwecken ausbeuten  wollten.  Dies  waren  aber  zum  gröfsten  Theile 
Leute  verfassungsfeindlicher  Gesinnung,  namentlich  Peisandros  und 
Charikles,  welche  sich  jetzt  freilich  als  die  wachsamsten  Freunde  der 
Volksherrschaft  gebärdeten  und  die  eifrigsten  Mitglieder  der  Unter- 
suchungscommission waren.  Parteigänger  dieser  Farbe  waren  es, 
welche  sich  den  Hermenfrevel  zu  Nutze  machten,  und  deshalb  ist  es 
sehr  wahrscheinlich,  dass  derselbe  mittelbar  oder  unmittelbar  von  den 
oligarchischen  Clubbisten  ausgegangen  ist.  Sie  konnten  daher  auch 
am  Besten  dafür  sorgen,  dass  keine  Anzeigen  an  das  Volk  gelangten 
und  die  Commission  nichts  herausbrachte;  sie  haben  jedenfalls  den 
Hermenfrevel  am  geschicktesten  ausgebeutet  und  endlich  im  Einver- 
ständniss  mit  den  Demagogen,  wie  Kleonymos  und  Androkles,  die  zu 
jeder  Verbindung  bereit  waren,  wenn  es  galt,  Alkibiades  zu  stürzen, 
und  mit  den  religiösen  Fanatikern  nach  Art  des  Diopeithes  (S.  394), 
welche  jetzt  wieder  in  den  Vordergrund  traten,  die  ganze  Sache  in  ein 
neues  Stadium  zu  bringen  gewusst. 

'Der  Hermenfrevel\  sagten  sie,  'ist  keine  einzelne  Thatsache;  es 
'zeigt  sich  ein  grofser  Zusammenhang  verderblicher  Richtungen;  die 
'Stadt  ist  voll  von  Menschen,  denen  nichts  heilig  ist;  das  sind  Schäden, 
'die  nicht  übersehen  werden  dürfen.  Also  —  muss  die  einzelne  Unter- 
suchung auf  das  ganze  Gebiet  des  öffentlichen  Gottesdienstes  aus- 
'gedehnt  werden;  für  jede  darauf  bezügliche  Anzeige  muss  eine  öffent- 
liche Belohnung  ausgesetzt  werden.'  Indem  dieser  Antrag  durchging, 
wurde  die  polizeiliche  Untersuchung  über  einen  einzelnen  Frevel  zu 
einem  umfassenden  Tendenzprozesse,  der  in  einer  Stadt,  wo  frivole  Auf- 
klärung zum  guten  Ton  gehörte,  in  seiner  Ausdehnung  gar  nicht  zu 
begränzen  war.   Nun  war  jeder  Angeberei  Thor  und  Thür  geöffnet; 


Digitized  by  Google 


.NEUE  DEM M.IATIONKN  fAWAKG  JCNP- 


635 


nun  hatte  man  die  Fallstricke  in  Händen,  um  Alle,  deren  Ruf  nicht 
tadellos  war,  zum  Falle  zu  bringen. 

Wieder  vergingen  Wochen,  ehe  etwas  von  Bedeutung  erfolgte. 
Fast  schien  es,  als  wenn  die  grofse  Angelegenheit  des  Feldzugs  alles 
Andere  beseitigen  werde.  Die  Flotte  lag  segelfertig  in  den  Häfen;  das 
Schiff  des  Lamachos,  der  ungeduldig  drängte,  schon  draufsen  auf  der 
Rhede.  Alkihiades  stand  noch  in  tingemindertem  Ansehen,  wenn  auch 
durch  die  Wühlereien  der  Clubbisten  und  Demagogen  der  Roden  unter 
seinen  Füfsen  unsicher  geworden  war.  Er  konnte  hoffen,  noch  unan- 
gefochten an  Bord  seines  Admiralschiffes  zu  gelangen;  denn  schon  war 
die  Volksversammlung  anberaumt,  in  welcher  die  Berichte  der  Feld- 
herrn über  die  ganze  Ausrüstung  entgegengenommen  und  die  letzten 
Befehle  gegeben  werden  sollten.  Aber  gerade  diesen  Tag  hatten  seine 
Gegner  sich  ausgesucht,  um  endlich  mit  ihren  Absichten  ofTen  hervor- 
zutreten, und  die  militärischen  Verhandlungen,  für  welche  die  Sitzung 
bestimmt  war,  wurden  unerwartet  durch  einen  gewissen  Pythonikos 
unterbrochen.  Er  trat  auf  und  warnte  seine  Mitbürger  laut  und  feier- 
lich, sie  möchten  sich  hüten,  schweres  Unglück  auf  sich  herabzuziehen. 
Ihr  Feldherr  Alkihiades  sei  ein  Frevler.  Die  eleusinischen  Geheim- 
dienste habe  er  im  Hause  eines  wüsten  Genossen  Pulylion  nachgemacht 
und  so  das  Heiligste,  was  der  Staat  besitze,  mit  anderen  jungen  Leuten 
lästerlich  entweiht.  Ein  Sklave  wurde  vorgeführt,  welcher  den  Her- 
gang angesehen  hatte  und  die  Theilnehmer,  darunter  Alkihiades, 
namentlich  anführte.  Die  Meisten  der  Angeklagten  entflohen  vordem  Be- 
ginne des  Prozesses  und  bestätigten  dadurch  die  Wahrheit  der  Aussage. 

Nun  war  auf  einmal  wieder  alles  Andere  vergessen  und  die  ganze 
Leidenschaft  des  Volks  den  peinlichen  Untersuchungen  von  Neuem 
zugewandt.  Es  folgten  Anzeigen  auf  Anzeigen  von  Schutzgenossen, 
Sklaven  und  Frauen,  meistens  auf  die  Mysterien  bezüglich.  Güter- 
einziehungen  und  Hinrichtungen  gehörten  zur  Tagesordnung.  Leo- 
goras,  der  Vater  des  Andokides.  entging  mit  Noth  der  Verurteilung. 
Denn  auch  aus  den  oligarchischen  Kreisen  fielen  Einzelne  als  Opfer, 
und  die  eigentlichen  Anstifter  der  ganzen  Bewegung  waren  nicht  mehr 
im  Stande,  dieselbe  zu  beherrschen,  seitdem  die  Leidenschaften  ent- 
fesselt waren  und  die  Ränke  der  verschiedensten  Parteien  sich 
kreuzten.  Vorzugsweise  aber  wurde  der  Kreis  des  Alkihiades  be- 
troffen, und  er  selbst  immer  deutlicher  als  derjenige  bezeichnet,  wel- 
cher der  Mittelpunkt  aller  Gottlosigkeit  und  Ungebühr  im  Staate  wäre. 


Digitized  by  Google 


636 


ANDROKLES  GEGEN  ALKIBIADES 


Sein  nächster  Anhang  wurde  eingeschüchtert  und  seine  Person  auf  alle 
Weise  verdächtigt.  Kr  war  durch  sein  Feldherrnamt  vor  gewöhnlicher 
Klage  geschützt,  und  so  hielt  er  sich  noch,  wenn  auch  in  der  raiss- 
lichslen  Lage;  denn  er  war  von  lauernden  Feinden  umringt  und  doch 
ohne  einen  offenen  Gegner,  den  er  bekämpfen  konnte,  von  Netzen 
umgarnt,  die  er  nicht  zu  zerreifsen  vermochte.  Endlich  erfolgte  ein 
offener  Angriff,  und  zwar  von  Seiten  des  Androkles,  welcher  beim 
Rathe  in  aufserordentl icher  Form,  wie  sie  bei  Staatsverbrechen  an- 
wendbar war,  die  Klage  einbrachte,  dass  Alkibiades  der  Mysterien- 
schändung schuldig  sei  und  dass  er  an  der  Spitze  einer  heimlichen 
Verbindung  stehe,  welche  den  Umsturz  der  Verfassung  bezwecke.  Der 
Rath  berief  die  Bürgerschall,  um  es  ihr  anheimzustellen,  ob  die  Klage 
gegen  ihren  Feldherrn  angenommen  werden  solle  oder  nicht. 

Der  entscheidende  Augenblick  war  gekommen,  und  Alkibiades 
raffte  seine  ganze  Kraft  zusammen,  um  diesen  Tag  siegreich  zu  be- 
stehen. Er  trug  nicht  auf  Abweisung  der  Klage  an,  sondern  forderte 
dringend  die  strengste  Untersuchung,  um  im  Falle  seiner  Überführung 
die  volle  Strafe  zu  erleiden ;  im  anderen  Falle  wollte  er  aber  unge- 
kränkt in  Amt  und  Würde  bleiben. 

Durch  das  entschlossene  Auftreten  des  Alkibiades  nahm  die  An- 
gelegenheit eine  Wendung,  welche  Androkles  und  Genossen  nicht  er- 
wartet hatten.  Denn  nach  ihrer  Voraussetzung  sollte  die  Bürgerschaft 
den  Feldherm  sofort  seines  Amts  entsetzen;  dann  wäre  die  Flotte  ab- 
gefahren und  Alkibiades,  aller  Unterstützung  von  Seiten  der  kriegs- 
lustigen Jugend  beraubt,  den  Angriffen  seiner  Feinde  unzweifelhaft  er- 
legen. Jetzt  aber  stand  es  anders.  Die  Flottenmannschaft  harrte 
ihres  Führers,  unter  dem  allein  sie  Sieg  und  Beute  zu  gewinnen  hoffte, 
die  Hülfstruppen  aus  dem  Peloponnes  wollten  ohne  ihn  gar  nicht  mit- 
ziehen; er  selbst  stand  ungebeugt  da,  um  seine  Sache  zu  vertreten, 
und  konnte,  wenn  es  zur  Untersuchung  kam,  auf  eine  starke  Partei 
rechnen.  Es  blieb  nichts  übrig,  als  eine  neue  List  zu  versuchen.  Es 
wurden  also  einige  Volksredner  veranlasst,  scheinbar  im  Interesse  des 
Alkibiades  den  Vorschlag  zu  machen,  man  solle  doch,  um  den  Feld- 
herrn  nicht  im  entscheidenden  Momente  in  Untersuchungen  zu  ver- 
wickeln, die  Sache  ruhen  lassen;  er  möge  sich  nach  seiner  Rückkehr 
zur  Verantwortung  stellen. 

Umsonst  beschwor  Alkibiades,  welcher  die  Tücke  der  Gegner 
durchschaute,  seine  Mitbürger,  diesem  Antrage  keine  Folge  zu  geben: 


Digitized  by  Google 


ANFAHRT   DER  FLOTTE. 


C37 


es  sei  unerhört,  einen  Feldherrn  mit  schuldbeladenem  Haupte  an  die 
Spitze  einer  solchen  Kriegsmacht  zu  stellen.  Er  müsse,  vor  hinter- 
listiger Verleumdung  sicher,  im  vollen  Vertrauen  seiner  Mitbürger 
stehen,  wenn  er  frischen  Mulhs  dem  Feinde  entgegengehen  solle.  Die 
grofse  Menge  fasste  gar  nicht,  um  was  es  sich  handelte.  Alkibiades 
sah  seine  Freunde  und  seine  Feinde  gegen  sich  stimmen  und  mit 
grofser  Mehrheit  wurde  die  Vertagung  des  Prozesses  beschlossen141). 

Jetzt  war  das  leichlbewegte  Volk  wieder  mit  nichts  beschäftigt 
als  mit  der  Flotte. 

Es  war  Mitte  des  Sommers  (Anfang  Juli),  und  die  100  attischen 
Trieren,  nämlich  60  Schnellruderer  und  40  Soldatenschilfe,  lagen 
segelfertig  da;  sollte  noch  in  diesem  Jahre  etwas  geschehen,  so  durfte 
nicht  gesäumt  werden.  So  wurde  denn  der  Tag  der  Abfahrt  an- 
beraumt und  mit  der  Frühe  des  Morgens  rückten  die  Truppen  zum 
Dipylon  aus,  um  sich  einzuschiffen.  Es  war  ein  auserlesenes  Heer, 
1500  Bürger  in  eigener  schwerer  Rüstung,  700,  die  auf  Staatskosten 
gerüstet  waren,  und  ein  Reitergeschwader;  dazu  500  Argiver  und 
ebenso  viel  Man  tineer  und  andere  Arkader.  Ganz  Athen  zog  mit  ihnen 
nach  dem  Hafen  hinunter,  die  Bürger,  um  den  Ihrigen  so  lange  wie 
möglich  nahe  zu  bleiben,  die  Schulzgenossen  und  Fremden  als  neu- 
gierige Zuschauer  eines  so  ausserordentlichen  Schauspiels. 

Sechs  Jahre  und  vier  Monate  waren  seit  dem  Friedenschlusse  ver- 
gangen, in  denen  nur  unbedeutendere  und  meist  kurze  Feldzüge  statt- 
gefunden hatten.  Um  so  gröfser  war  die  Aufregung  bei  dem  Beginne 
dieses  gewaltigen  Unternehmens,  und  wenn  man  auch  bei  früheren 
Gelegenheiten  schon  gröfsere  Flotten  im  Peiraieus  vereinigt  gesehen 
hatte,  so  doch  bei  Weitem  keine  so  glänzende;  es  war  eine  Macht,  wie 
sie  noch  kein  einzelner  griechischer  Staat  zu  Stande  gebracht  halte. 
Denn  von  Seiten  des  Staats  wie  der  Bürger  war  Ungewöhnliches  ge- 
schehen. Es  war  ja  nicht  blofs  auf  Seekämpfe  und  Landungen,  sondern 
auch  auf  Heerzüge,  Belagerungen  und  Eroberungen  abgesehen;  eine 
lange  Abwesenheit  musste  vorausgesetzt  werden ;  darnach  waren  die 
Vorräthe  eingerichtet.  Es  war,  als  wenn  eine  Golonie  ausgerüstet 
würde,  um  in  Feindesland  sich  anzusiedeln. 

Die  reichen  Bürger,  welche  als  Trierarchen  mitgingen  (S.  245), 
waren  von  dem  lebhaftesten  Wetteifer  ergriffen.  Jeder  wollte,  dass 
seine  Ruderer  die  geübtesten,  seine  WafTenrüstungen  die  stattlichsten, 
seine  Schiffsgerälhe  die  vollständigsten  sein  sollten.    Der  Staat  gab 


Digitized  by  Google 


ABFAHRT  ÜEH  FLOTTE  iJULI  «1«;  »1,  1). 


jedem  Seemanne  eine  volle  Drachme  (6  Ggr.)  täglichen  Sold,  ein 
Drittel  mehr  als  gewöhnlich ;  die  Trierarchen  spendeten  aus  eigenen 
Mitteln  den  Thraniten,  d.  h.  Hu  de  rem  der  obersten  Reihe,  welche  den 
schwersten  Dienst  hatten,  so  wie  den  Hülfsmannschaflen,  welche  für 
Taue,  Segel,  Küchendienst  u.  s.  w.  an  Bord  jeder  Triere  waren,  noch 
besondere  Zulage.  Die  Schiffe  waren  neu  bemalt  und  mit  glück ve r- 
heifseuden  Wappen  geschmückt  Man  spürte  den  Einfluss  des  Alki- 
biades,  der  viel  Gewicht  darauf  legte,  dass  Athen  nicht  nur  stark, 
sondern  auch  glänzend  und  prachtvoll  vor  den  Augen  aller  Griechen 
auftrete,  als  wenn  man  nicht  einem  schweren,  wechselvollen  Kriege, 
sondern  einem  leichten  und  gewissen  Siege  entgegen  ginge. 

Als  alle  Truppen  an  Bord  waren,  ertönte  das  Signal;  nach  dem 
Lärm,  welcher  den  Hafen  erfüllt  hatte,  trat  feierliche  Stille  ein.  Der 
Herold  erhob  seine  Stimme  und  sprach  das  übliche  Gebet  vor.  Von 
allen  Schiffen  umher  hörte  mau  die  Worte  einstimmig  nachsprechen, 
das  am  Ufer  gedrängte  Volk  stimmte  ein,  die  Rauchaltäre  dampften, 
die  Becher  gingen  umher,  die  Trankopfer  wurden  dargebracht,  der 
Päan  angestimmt,  und  wie  die  Opfer  vollendet  waren,  schlugen  die 
Ruder  in's  Wasser.  In  langem  Zuge  ging  ein  Schiff  nach  dem  anderen 
zum  Hafenthore  hinaus;  draufsen  stellten  sie  sich  in  eine  Linie  und 
mit  einer  fröhlichen  Wettfahrt  nach  Aigina  wurde  der  Feldzug  eröffnet. 
Das  Volk  blickte  von  den  munichischen  Höhen  den  Schiffen  nach,  von 
der  tiefsten  Bewegung  ergriffen;  denn  erst  jetzt  in  der  Stunde  des  Ab- 
schieds üel  ihnen  der  Kriegsbeschluss,  dem  sie  in  aufgeregter  Ver- 
sammlung so  leichtes  Muths  zugestimmt  hatten,  in  voller  Schwere  auf 
das  Herz.  Jetzt  erst  trat  ihnen  die  weite  Trennung  von  den  Ihrigen, 
die  Ungewissheit  des  Wiedersehens,  die  Unsicherheit  des  Erfolgs  vor 
die  Seele.  Die  stolze  Freude  wurde  durch  schwere  Gedanken  in  Weh- 
mulh  verwandelt.  Waren  es  doch  unbekannte  Meere  und  Küsten,  in 
welche  die  Ihrigen  hinaussteuerten,  und  wenn  sie  daran  gedachten, 
welche  Uülfsmitlel  Staat  und  Bürger  auf  diese  Flotte  verwandt  hatten, 
während  in  der  eigenen  Heimalh  von  allen  Seiten  der  Krieg  drohte, 
so  konnten  sie  nicht  anders  als  mit  beklommenem  Herzen  zu  ihrem 
Tagewerke  zurückkehren. 

Inzwischen  steuerte  die  Flotte  von  Aigina  aus  um  die  Halbinsel 
herum  nach  Kerkyra.  Hier  wartetet!  ihrer  die  bundesgenössischen 
Schiffe,  34  Trieren  und  zwei  rhodische  Funfzigruderer,  welche  bei  den 
Beziehungen  zwischen  Rhodos  und  Sicilieu  von  besonderer  Wichtigkeit 


Digitized  by  Google 


ANKl'.NFT  IN  GROSS<illlECHE>LASD. 


639 


waren;  dann  30  Lastschiffe,  mil  Korn  beladen  und  zugleich  mit 
Bäckern,  Zimmerleuten  und  Handwerkern  aller  Art  besetzt;  100 
kleinere  Schiffe,  welche  Privatleuten  gehörten  und  für  den  Staat 
mil  Beschlag  belegt  waren,  und  eine  Menge  anderer  Fahrzeuge, 
von  Handelsleuten  ausgerüstet,  die  sich  freiwillig  anschlössen.  Die 
Zahl  der  Schwerbewaffneten  betrug  jetzt  5100.  Mit  den  kretischen 
Bogenschützen,  rhodischen  Schleuderern  und  andern  leichtbewaffneten 
Schaaren,  unter  denen  demokratische  Flüchtlinge  aus  Megara  sich  be- 
fanden, belief  sich  die  gesamte  Kriegerzahl  auf  etwa  6500  Mann.  Die 
134  Tricreu  erforderten  zu  ihrer  Bedienung  25,460  Mann.  Mit  diesen 
also  und  den  Dienern,  welche  den  Kriegern  folgten,  kann  man,  ohne 
die  unberechenbare  Mannschaft  der  Provianlschiffe  und  die  Arbeits- 
leute  in  Anschlag  zu  bringen,  die  Gesamtsumme  der  Leute,  welche 
Athen  gegen  Sicilien  auf  seinen  Schiffen  vereinigte,  auf  36,000  ver- 
anschlagen14'). 

Drei  Schiffe  gingen  zur  Auskundschaftung  Siciliens  voraus;  die 
Flotte  folgte  in  drei  Abtheilungen,  welche  die  Feldherrn  unter  sich  ver- 
loost  halten.  So  fuhr  man  nach  Italien  hinüber  und  dann  südwärts  an 
der  Küste  entlang.  Hier  waren  die  ersten  Erfahrungen  nicht  sehr  er- 
freulich. Denn  natürlich  wollte  man  den  Führern  einer  solchen  Flotte 
nicht  glauben,  dass  es  nur  auf  die  Beilegung  sicilischer  Gränzstreilig- 
keiten  abgesehen  sei.  Die  Städte  waren  mit  Ausnahme  von  Thurioi 
schwierig,  misstrauisch  und  ungastlich.  Tarenl  und  Lokroi  wollten 
nicht  einmal  zum  Wasserschöpfen  die  Matrosen  zulassen;  mau  war  wie 
in  Feindesland  und  durfte  doch  keine  Gewalt  anwenden.  Hier  zeigte 
sich  zuerst,  wie  die  Gröfse  der  Flolte  den  Erfolg  beeinträchtigte. 

Rhegion,  das  bei  der  ersten  Unternehmung  nach  Sicilien  wie  ein 
altisches  Hauptquartier  gedieut  und  die  Athener  ganz  für  sich  in  An- 
spruch zu  nehmen  gesucht  hatte,  war  diesmal  sehr  zurückhaltend;  es 
gestattete  ihnen  nur  aufserhalb  der  Stadl  bei  dem  Artemision  ein 
Lager  aufzuschlagen.  Von  hier  sohlen  die  neuen  Unternehmungen  be- 
ginnen; hier  wurde  zuerst  über  die  Kriegführung  eingehend  verhandelt. 

Nikias  versuchte  noch  einmal  die  ganze  Unternehmung  auf  das 
geringste  Mafs  zurückzuführen.  Die  Vorspiegelungen  der  Egestäer 
hatten  sich,  da  sie  ihr  Wort  lösen  sollten,  wie  er  vorausgesagt,  als 
durchaus  falsch  erwiesen;  um  so  mehr  solle  man  sich  begnügen,  die 
Selinunlier  zum  Frieden  zu  zwingen,  auch  zu  Gunsten  der  Leontiner 
etwas  auszurichten  versuchen  und  dann  heimkehren.  Seine  Vorschläge 


Digitized  by  Google 


640 


DREI  FELDHERRN,   DREI  KRIEGS PLÄ.NE. 


fanden,  wie  er  erwarten  mussle,  bei  beiden  Amtsgenossen  den  leb- 
haftesten Widerstand.  Aber  auch  sie  waren  wieder  unter  sich  uneinig. 
Lamacbos  verlangte  eine  rasche  Unternehmung  gegen  Syrakus;  denn 
hier  sei  noch  Alles  in  gröfster  Verwirrung,  da  man  bis  zuletzt  an  die 
wirkliche  Annäherung  einer  attischen  Flotte  nicht  geglaubt  habe.  Jede 
Verzögerung  des  Angriffs  würde  den  Erfolg  zweifelhafter  machen ;  denn 
je  länger  man  warte,  um  so  gerösteter  werde  man  die  Stadt,  um  so 
einiger  die  ganze  Insel  finden. 

Alkibiades  konnte  schwerlich  verkennen,  dass  dies  der  beste  Plan 
sei.  Aber  ein  rascher  Erfolg  war  gar  nicht  sein  Hauptziel.  Er  wollte 
sich  auf  der  Insel  festsetzen;  er  wollte  einen  solchen  Verlauf  des  Kriegs, 
bei  welchem  er  die  Hauptrolle  spielte;  er  wollte  vor  Allem  seine  Per- 
sönlichkeit auch  in  Sicilien  erst  zur  Gellung  bringen,  um  sich  hier 
einen  Anhang  zu  verschaffen.  Darum  benutzte  er  die  Zaghaftigkeit 
des  Nikias,  um  einen  minder  verwegenen  Kriegsplan  durchzusetzen. 
Man  solle  nämlich  durch  kluge  Unterhandlung  die  Städte  der  Insel 
für  Athen  gewinnen,  die  reichen  Hülfsquellen  derselben  sich  eröffnen, 
die  missvergnügten  Parteigänger,  Ueberläufer,  Sklaven  an  sich  ziehen, 
und  so  gewissermafsen  als  eine  sicilische  Macht  gegen  Syrakus  auf- 
treten, um  dasselbe,  von  allen  Bundesgenossen  abgeschnitten,  zu  Fall 
zu  bringen. 

Alkibiades  befand  sich  jetzt  ganz  auf  seinem  Felde.  Er  führte 
einen  Theil  der  Flotte  an  die  Ostküste  der  Insel,  gewann  Naxos  ohne 
Schwierigkeit,  erschreckte  durch  kecke  Streifzüge  die  Syrakusaner  in 
ihrem  eigenen  Hafen,  besetzte  Katane  und  sicherte  so  den  Athenern 
auf  der  Insel  selbst  einen  wohlgelegenen  Standort  und  Hafen,  von  wo 
sie  Syrakus  beunruhigen  und  das  übrige  Inselgebiet  gewinnen  konnten. 
So  war,  nachdem  die  günstigste  Gelegenheit  eines  unvermutheten 
Hauptschlags  vorüber  gegangen  war,  ein  Kriegsplan  gefasst,  dessen 
Gelingen  allein  auf  der  Persönlichkeit  des  Alkibiades  beruhte;  und  es 
war  nicht  zu  bezweifeln,  dass  die  wetterwendischen  Sikelioten  so  wohl 
wie  die  eingeborenen  Sikuler  sich  durch  geschickte  Unterhandlungen 
gewinnen  lassen  würden.  Da  —  landet  die  Salaminia,  das  attische 
StaalsschifT,  an  der  Küste  von  Katane  und  bringt  den  Befehl,  dass  Alki- 
biades sofort  heimkehren  solle,  um  sich  in  Sachen  der  Mysterien  und 
wegen  des  Hermenfrevels  vor  dem  Volke  zu  rechtfertigen143). 

Athen  war  nämlich  unmittelbar  nach  Abfahrt  des  Heers  in  neue 
Unruhen  geralhen.  Die  Parteiführer,  die  noch  immer  nicht  ihr  Ziel 


Digitized  by  Google 


NEUE  UNRUHEN  IN  ATHEN. 


(Ml 


erreicht  hatten,  benutzten  die  ihnen  günstigere  Lage  der  Dinge,  die  Zeit 
der  Leere  und  des  unheimlichen  Wartens,  welche  nun  eingetreten  war. 
Jeder  Gang  auf  der  Strafse  erinnerte  an  das  ungelöste,  quälende  Rath  sei; 
zu  dem  Kitzel  der  Neugier  kam  das  Bedürft] iss  nach  Aufregung,  welche 
dem  Volke  zur  Gewohnheit  geworden  war.  Eine  Menge  tüchtiger  Bürger 
war  abwesend.  Die  Parteiführer  waren  zurückgeblieben;  die  Unter- 
suchungscommission bestand  noch  und  schürte  das  Feuer  der  Leiden- 
schaft; das  Schreckbild  der  Tyrannis  wurde  wieder  vorgezeigt  und  die 
Erinnerung  der  Thaten  des  Hippias  erneuert,  um  die  Bürgerschaft  nicht 
zur  Buhe  kommen  zu  lassen. 

Das  Erste,  was  dadurch  erreicht  wurde,  war  die  Umstimmung  in 
Bezug  auf  Alkibiades.  Seine  Feinde  fielen  über  den  Abwesenden  her 
und  zwar  mit  bestem  Erfolge,  da  sein  ganzer  Anhang  auf  der  Flotte 
war.  Was  von  seinen  Freunden  und  Anverwandten  zu  Hause  war, 
wurde  verfolgt,  verhaftet  und  verurteilt.  Bald  wurde  es  ärger,  als  je 
zuvor.  Die  ehrenhaftesten  Bürger  erlagen  den  Anklagen  der  schlech- 
testen Leute.  Niemand  war  seiner  Person  sicher,  auch  das  Bewusstsein 
der  Unschuld  gab  keine  Zuversicht.  Denn  es  war  eine  Stimmung,  in 
welcher  Alles  geglaubt  wurde  und  zwar  das  Widersinnigste  am  ersten. 
In  Argos  sollten  Freunde  des  Alkibiades  sich  gegen  die  Demokratie  ver- 
schworen haben;  das  sei  ein  Vorspiel  von  dem,  was  Athen  zu  erwarten 
habe.  Lakedämonische  Mannschaften  zeigten  sich  am  Isthmus:  das 
musste  im  Einverständnisse  mit  den  Verschworenen  geschehen  sein, 
und  man  war  fest  überzeugt,  dass  Alkibiades  von  Sicilien  aus  darauf 
hinarbeite ,  die  Volksherrschaft  in  Athen  zu  stürzen.  Der  Aerger  über 
die  frühere  Vergötterung,  die  man  mit  ihm  getrieben,  machte  die 
jetzige  Erbitterung  um  so  mafsloser. 

Dann  erfolgten  massenhafte  Angebereien,  welche  für  den  Augen- 
blick die  Aufmerksamkeit  von  Alkibiades  ablenkten.  Zuerst  (Ende  Juli) 
die  Anzeige  des  Diokleides,  der  42  Athener  angab,  welche  er  als  Hermen- 
frevler beim  Mondlichte  erkannt  haben  wollte.  Die  ganze  Aussage 
hatte  nicht  die  geringste  Gewähr,  und  dennoch  wagte  Peisandros,  als 
wenn  das  Bestehen  des  Staats  in  Frage  stehe,  die  aufserordentlichsten 
Mafsregeln  vorzuschlagen.  Die  Bürgerrechte  wurden  aufgehoben,  Fol- 
terung auch  für  freie  Athener  zugelassen;  die  ganze  Bürgerschaft  stand 
einen  Tag  und  eine  Nacht  unter  Waffen;  man  zitterte  vor  Feinden 
innerhalb  und  aufserhalb  der  Mauern,  ohne  dass  eine  wirkliche  Gefahr 
nachzuweisen  war.   Inzwischen  wurden  Schuldige  und  Unschuldige 

CurtiuB,  ür.  Ge»ch.  II.  6.  Aufl.  4] 


Digitized  by  Google 


642 


DIOKLEIDKS   DD  ANDOKIDES. 


eingekerkert,  verfassungstreue  Männer,  wie  Eukrales,  des  Nikias  Bruder, 
Anhänger  des  Alkibiades.  wie  Kritias,  des  Kallaischros  Sohn,  und  oligar- 
chische  Parteimänner,  wie  Leogoras  und  Andokides.  An  ein  geordnetes 
Verfahren  war  nicht  zu  denken;  blinde  Leidenschaft  regierte.  Es  war 
eine  Justiz,  wie  in  despotischen  Staaten,  wo  jede  aufserordentliche 
Begebenheit  als  Anzeichen  von  Majestätsverbrechen  angesehen  wird. 
Hier  war  das  Volk  der  argwöhnische  Despot,  überall  Verschwörung  und 
Hochverrate  witternd,  und  dabei  in  seinem  Unverstände  von  Mannern 
geleilet,  welche  im  Grunde  nichts  anderes  bezweckten,  als  den  Sturz 
der  Verfassung. 

Wie  nun  den  Verhafteten  insgesamt  das  traurigste  Ende  bevor- 
stand, da  entschloss  sich  Andokides  eine  neue  Aussage  zu  machen,  und 
man  war  um  so  bereitwilliger  ihm  Straflosigkeit  zuzusagen,  weil  man 
von  ihm  am  ehesten  die  volle  Wahrheit  zu  erfahren  hoffte;  denn  er 
hatte  von  Anfang  an  für  einen  der  Mitschuldigen  gegolten ,  und  der 
seltsame  Umstand,  dass  gerade  die  vor  seinem  Hause  befindliche 
Hermensäule,  eine  durch  Schönheit  ausgezeichnete,  unverletzt  geblieben 
war,  hatte  den  Verdacht  gegen  ihn  geschärft.  Andokides  erklärte  nun, 
der  Frevel  sei  auf  Anregung  eines  gewissen  Euphiletos  verübt  worden, 
und  zwar  durch  die  Mitglieder  einer  Verbindung,  welcher  er  selber  an- 
gehörte. Seine  Aussage  stand  in  schroffem  Widerspruche  gegen  die 
des  Diokleides.  Die  Aussagen  wurden  verglichen,  und  jetzt  erst  dachte 
man  daran,  dass  ja  nicht  beim  Vollmond,  sondern  beim  Neumonde  der 
Unfug  verübt  worden  sei.  Kurz ,  Diokleides  wurde  als  ein  schamloser 
und  bestochener  Lügner  erfunden,  und  nachdem  er  so  eben  noch  als 
ein  Retter  und  Wohlthäter  des  Staats  gefeiert  worden  war,  als  Hoch- 
verräther  hingerichtet. 

Nun  schien  endlich  eine  Beruhigung  einzutreten;  die  Gefahr  war 
vorüber,  man  athmete  wieder  freier,  die  wahren  Urheber  des  Hermen- 
frevels waren,  wie  man  allgemein  glaubte,  gefunden  und  bestraft.  Aber 
es  war  nicht  genug  dabei  herausgekommen;  man  wollte  nicht  Wort 
haben,  dass  wirklich  keine  ernstliche  Gefahr  vorhanden,  dass  kein 
Verfassungssturz  beabsichtigt  gewesen  sei,  und  dass  man  sich  um  den 
tollen  Streich  einer  Zechgesellschaft  so  viel  Noth  gemacht  habe.  Nun 
wurde  die  Erregung  der  Gemüther,  welche  eines  bestimmten  Gegen- 
standes bedurfte,  wieder  auf  Alkibiades  zurückgewendet,  obgleich 
dieser  von  Andokides  nicht  angegeben  worden  war.  Seine  Feinde 
traten  von  Neuem  zusammen ;  Oligarchen  und  Demagogen  vereinigten 


Digitized  by  Google 


VERLHTEIULNG   DES  ALKIBIADES. 


043 


sich  mit  denen ,  welche  vor  Allem  für  die  Staatsreligion  eiferten ,  um 
den  Hauptschlag  auszuführen.  Die  Mysteriensache  wurde  wieder  auf- 
gerührt. In  diesem  Punkte  hatte  Alkibiades  ohne  Zweifel  sich  ver- 
gangen, und  dies  galt  jetzt  dem  Volke  für  gleichbedeutend  mit  tyranni- 
schen Absichten.  Die  Vorfalle  in  Argos,  der  Marsch  der  Spartaner,  die 
Bewegung  der  Böolier  an  den  Gränzen  von  Attika  —  dies  Alles  wurde 
unter  sich  in  einen  ganz  widersinnigen  Zusammenhang  gebracht  und 
als  eine  Veranstaltung  des  Alkibiades  angesehen ,  um  seine  Vaterstadt 
den  Feinden  zu  überantworten.  Thessalos,  des  Kimon  Sohn,  welcher 
zur  Partei  der  Oligarchen  gehörte,  brachte  die  Klage  vor  das  Volk,  dass 
Alkibiades  sich  mit  seinen  Genossen  durch  Nachäffung  der  Mysterien 
gegen  die  eleusinischen  Göttinnen  versündigt  habe.  Indem  er  den 
Hergang  so  genau  schilderte,  dass  ein  Zweifel  an  der  Wahrheit  nicht 
möglich  schien,  sich  im  Uebrigen  aber  klüglich  auf  das  Thatsächliche 
beschränkte  und  alle  weiteren  Folgerungen  dem  Volke  überliefs, 
erreichte  er  einen  vollständigen  Erfolg. 

Alkibiades  wurde  mitten  aus  dem  Unternehmen,  das  in  der  jetzt 
begonnenen  Weise  nur  von  ihm  zu  Ende  geführt  werden  konnte,  ab- 
berufen. Er  war  nicht  mächtig  genug,  um  dem  Befehle  der  Bürger- 
schaft den  Gehorsam  zu  verweigern;  aber  er  war  entschlossen,  sich 
nicht  vor  Gericht  zu  stellen.  Als  die  Salaminia  ohne  den  Angeklagten 
nach  Athen  zurückkam,  wurde  er  abwesend  zum  Tode  verurteilt,  seiu 
Vermögen  eingezogen  und  der  Fluch  der  Priester  über  ihn  als  einen 
Hochverräther  ausgesprochen. 

Das  war  der  erste  Sieg,  welchen  das  Parteitreiben  in  Athen  über 
den  Staat  und  seine  Interessen  davon  getragen  hatte;  das  Ende  eines 
Kampfes,  welcher  die  Bürgerschalt  Monate  lang  durchwühlt  und  alle 
zerstörenden  Elemente  in  ihr,  Bitterkeit  und  Leidenschaft,  Frechheit 
und  Heuchelei,  abergläubische  Angst  und  frivolen  Heber mu Iii  in  Be- 
wegung gesetzt  hatte.  Es  war  ein  Sieg  der  Revolution  über  Gesetz 
und  Herkommen,  und  deshalb  war  die  bürgerliche  Gesellschaft  nicht 
blofs  in  äufserlicher  Beziehung  durch  Verbannungen,  Gütereinziehungen 
und  Blutgerichte  auf  das  Schwerste  davon  betroffen  worden,  sondern 
die  Folgen  drangen  in  das  innerste  Leben  derselben  ein;  das  Gefühl 
für  Recht  und  Unrecht  war  abgestumpft  und  das  sittliche  Urteil  ge- 
trübt. Hatte  man  doch  täglich  gesehen,  wie  die  heiligsten  Bande  zer- 
rissen, wie  Bürgen  im  Stiche  gelassen  und  falsche  Zeugnisse  ohne 
Scham  abgelegt  wurden.  Es  war  dahin  gekommen,  dass  man  einen 

41* 


Digitized  by  Google 


644 


DAS   GESETZ   DES  SYRAKOSIOS. 


Diokleides  bekränzt  und  im  Ehrenwagen  zum  Mahle  im  Prytaneion 
fuhren  konnte,  obwohl  er  sich  schon  vor  seiner  Entlarvung  als  einen 
Menschen  kund  gegeben  halte,  welcher  es  nur  vom  Geldgewinn  ab- 
hängig machte,  ob  er  reden  oder  schweigen  sollte.  Gewöhnliche  Pro- 
zesse genügten  nicht  mehr,  die  überreizten  Gemüther  zu  beschäftigen; 
mit  fieberhafter  Spannung  folgte  man  den  Wegen  einer  im  Finstern 
schleichenden  Criminaljustiz  und  gewöhnte  sich  daran,  zu  ihren 
Gunsten  auf  den  Genuss  der  wichtigsten  Bürgerrechte  zu  verzichten. 
Anklage  schien  gleichbedeutend  mit  Verurteilung.  Darum  wurden  bei 
Weitem  die  meisten  Prozesse  gegen  Abwesende  geführt.  Das  Erbgut 
alter  Familien  ging  durch  öffentlichen  Verkauf  in  fremde  Hände  über, 
während  die  vielen  Landesflüchtigen  dazu  dienen  mussten,  den  draufsen 
lauernden  Feinden  die  Augen  zu  öffnen  über  die  Zustände  der  atti- 
schen Gesellschaft.  Späterhin  wurden  freilich  die  meisten  Verbannten 
in  ihre  Güter  wieder  eingesetzt,  aber  die  alten  Schäden  wirkten  fort, 
Misslrauen  und  Unsicherheit  blieben  zurück,  und  zum  grofsen  Nach- 
theile des  öffentlichen  Vertrauens  ist  aller  Untersuchungen  ungeachtet 
der  Hermenfrevel  den  Athenern  ein  ungelöstes  Räthsel  geblieben14'). 

Man  nahm  zu  aufserordentlichen  Mitteln  seine  Zuflucht,  um  end- 
lich die  Bürger  von  diesen  Dingen  abzulenken  und  namentlich  die 
Komödiendichter  zu  zwingen,  von  ihrer  Gewohnheit  abzustehen  und 
die  Ereignisse  des  Sommers  nicht  auf  der  Bühne  wieder  vorzubringen. 
Deshalb  wurde  um  die  Zeit,  da  die  neuen  Lustspiele  für  die  Winter- 
und  Frühlingsfeste  des  Dionysos  vorbereitet  wurden,  ein  Gesetz  durch- 
gebracht, welches  den  Dichtern  alle  persönlichen  Anspielungen  auf  die 
Tageschronik  verbot.  Der  Antragsteller  war  ein  Volksredner,  Namens 
Syrako8ios.  Es  konnte  Vielen  daran  liegen,  dass  der  alte  Schlamm 
nicht  immer  von  Neuem  aufgerührt  werde,  besonders  aber  denen, 
welche  sich  ihres  schlechten  Gewissens  wegen  vor  dem  Spotte  und 
Zorne  der  Dichter  am  meisten  zu  fürchten  hatten.  Darum  wird  auch 
das  Gesetz  des  Syrakosios  wohl  vorzugsweise  von  denen  ausgegangen 
und  durchgebracht  worden  sein,  welche  durch  ihre  arglistigen  Intri- 
guen  Alkibiades  gestürzt  hatten  und  nach  Erreichung  ihres  Zwecks 
nichts  mehr  wünschten,  als  dass  man  nun  das  Geschehene  abgethan 
sein  lasse. 

So  konnte  man  denn  auch  allen  drei  Komödien,  welche  an  den 
grofsen  Dionysien  (März  414;  91,  2)  zur  Aufführung  kamen,  anmerken, 
dass  die  Freiheit  der  Bühne  beschränkt  war,  und  doch  erwuchs  aus 


Digitized  by  Google 


ARISTOPHANES'  VOBGEL  (91,  2;  414  MÄRZ). 


645 


dieser  Zeit  des  Zwanges  das  kühnste  und  übermüthigste  von  allen 
Erzeugnissen  der  aristophanischen  Muse,  als  wenn  sie  jetzt  gerade 
zeigen  wollte,  dass  die  wahre  Kunst  über  alle  Beschränkungen  zu 
triumphiren  wisse  und  dass  sie  ihre  Freiheit  als  unveraufserliches 
Recht  in  sich  selbst  trage.  Denn  die  beiden  anderen  Goncurrenzstücke, 
die  'Nachtschwärmer',  die  unter  dem  Namen  des  Ameipsias  aufgeführt 
wurden,  und  der  'Einsiedler'  des  Phrynichos,  verriethen  den  Groll  der 
Dichter,  welche  unwillig  auf  die  gewohnte  Freiheit  verzichteten.  Phry- 
nichos verwünscht  öffentlich  den  Syrakosios ,  der  ihm  den  besten  Stoff 
genommen  habe,  und  der  Held  seines  Stücks  ist  ein  Mensch  nach  Art 
des  Timon,  welcher  damals  in  Athen  eine  sehr  bekannte  Persönlichkeit 
war,  ein  Menschenfeind,  den  ein  tiefer  Widerwille  gegen  die  ganze 
bürgerliche  Gesellschaft  erfüllte. 

Der  Dichtergeist  des  Aristophanes  aber  schwang  sich  in  heiterer 
Laune  über  alle  Noth  der  Gegenwart  hinaus,  und  die  Athener  sahen  in 
seinen  'Vögeln'  eine  Stadt  sich  aufbauen  zwischen  Himmel  und  Erde, 
ein  glückseliges  Neu -Athen,  den  Feinden  unerreichbar,  harmlos  und 
sicher,  die  Welt  beherrschend  und  zugleich  die  Götter;  denn  auch 
diese  müssen  die  neue  Gründung  anerkennen,  weil  ihnen  sonst  die 
Opferdüfte  abgesperrt  werden.  Aber  ganz  aufser  Zusammenhang  mit 
dem  damaligen  Athen  ist  die  luftige  Wolkenstadt  doch  keineswegs. 
Denn  die  beiden  Athener,  welche  auswandern,  um  bei  den  Vögeln  ihr 
Glück  zu  machen,  können  es  ja  zu  Hause  nicht  mehr  aushalten,  in  der 
sogenannten  Stadt  der  Freiheit,  wo  kein  ehrbarer  Bürger  vor  peinlichen 
Untersuchungen  sicher  ist,  wo  er  auf  Markt  und  Strafse  die  Häscher 
fürchten  muss  und  draufsen  an  jeder  Küste  die  Salaminia.  Auch  wird 
beim  Aufbaue  der  Vögelstadt  ernstliche  Fürsorge  getroffen,  unsauberes 
Volk  ferne  zu  halten.  Denn  was  sich  von  den  Leuten  eindrängen  will, 
welche  im  damaligen  Athen  am  meisten  Geschrei  machten,  Gesetz- 
macher, Orakelkrämer,  Wahrsager,  Denuncianten,  Polizeicommissare, 
sophistische  Windbeutel  u.  dergl.,  die  werden  unbarmherzig  ausge- 
wiesen, damit  sie  den  Frieden  der  neuen  Stadt  nicht  stören  sollen.  So 
stellte  Aristophanes  seinen  Mitbürgern  eine  phantastische  Welt  in 
buntem  Schmuck  vor  Augen,  eine  Welt  voll  poetischer  Schönheit,  die 
wohl  im  Stande  war  die  Herzen  wieder  einmal  zu  erheben  und  zu 
erfrischen,  die  aber  zugleich  die  leichtfertige  Natur  der  Athener  in 
treuen  Spiegelbildern  darstellte  und  die  Gebrechen  ihrer  Gesellschaft 
strafend  erkennen  liefs145). 


Digitized  by  Google 


64« 


FOLGE*   DER   ABBERUFO'G   DES  ALKIBIADES. 


Auf  den  Fortgang  des  Kriegs  war  die  Abberufung  des  Alkibiades 
unmittelbar  von  dem  nachtheiligsten  Einflüsse;  denn  er  hatte  Gelegen- 
heit ,  sich  gleich  auf  eine  sehr  empfindliche  Weise  an  den  Athenern  zu 
rächen.  Mit  scharfem  Blicke  hatte  er  nämlich  die  Wichtigkeit  erkannt, 
welche  die  Stadt  Nessana  (Zankle)  ihrer  Lage  und  ihres  unvergleich- 
lichen Hafens  wegen  für  jeden  in  gröfserem  Mafsstabe  geführten 
sicilischen  Krieg  haben  musste.  Am  Sunde  von  Messana  war  der 
bequemste  Standort  für  die  Flotte,  welche  von  hier  alle  Küstenpunkte 
der  Insel  erreichen ,  die  Zufuhr  beherrschen  und  die  Bewegungen  in 
den  benachbarten  Städten  Italiens  beobachten  konnte;  es  war  eine 
centrale  Stellung,  wie  sie  den  Plänen  des  Alkibiades  allein  entsprach. 
Die  Bevölkerung  war  ursprünglich  ionisch  (S.  527),  und  auch  unter 
den  dorischen  Geschlechtern  messenischer  Herkunft,  welche  Anaxilaos 
hier  angesiedelt  hatte,  fehlte  es  wohl  nicht  an  Hinneigung  zur  Sache 
der  Athener,  zumal  da  man  die  Herrschaft  von  Syrakus  aus  eigener 
Erfahrung  zur  Genüge  kannte.  Auch  war  es  schon  gelungen,  eine 
ansehnliche  Partei  zu  gewinnen,  und  Alles  war  vorbereitet,  um  sich 
mit  Hülfe  derselben  in  Besitz  von  Stadt  und  Hafen  zu  setzen,  was  einen 
unberechenbaren  Einfluss  auf  die  weiteren  Unternehmungen  geübt 
haben  würde.  Jetzt  aber  war  das  Erste,  was  Alkibiades  that,  dass  er 
die  syrakusanische  Partei  in  Messana  von  den  angeknüpften  Unter- 
handlungen in  Kenntniss  setzte;  in  Folge  dessen  wurden  die  Freunde 
Athens  in  Messana  getodtet  und  die  kräftigsten  Mafs regeln  gegen  die 
Angriffe  der  Flotte  genommen. 

Aufserdem  aber  rief  die  Entfernung  des  Alkibiades  eine  grofse 
Missstimmung  im  Heere  hervor.  Sie  erschütterte  das  Vertrauen  der 
Truppen,  namentlich  der  Peloponnesier,  welche  schon  während  ihrer 
Anwesenheit  in  Athen  einen  Einblick  in  die  Zustände  des  Staats  gelhan 
hatten,  welcher  sie  nicht  ermuthigen  konnte.  Alles  ging  nun  matter 
und  schlaffer;  es  fehlte  die  belebende  Persönlichkeit  des  Mannes,  der 
das  kecke  Selbstbewusstsein  und  Siegesgefühl,  das  ihn  erfüllte,  auch 
seiner  Umgebung  einzuflöfsen  wusste.  Die  Leitung  des  Ganzen  kam 
in  die  Hände  eines  Feldherrn,  von  dem  man  wusste  und  sich  täglich 
neu  überzeugen  konnte,  dass  er  zu  der  ganzen  Sache  kein  Vertrauen 
habe.  Der  in  grofsem  Mafsstabe  und  uicht  erfolglos  begonnene 
Kriegsplan  musste  aufgegeben  werden,  und  so  wurde  die  kostbare 
Zeit  von  drei  Sommermonaten  rein  verloren.  Denn  Nikias  kehrte  im 
Wesentlichen  zu  seinem  alten  Kriegsplane  zurück,  indem  er  möglichst 


Digitized  by  Google 


NIKIAS  VOR  SYRAKUS  (91,  «;  416  NOV.). 


G47 


vorsichtig  zu  Werke  ging,  die  ursprüngliche  Veranlassung  des  Kriegs, 
weiche  ganz  gleichgültig  geworden  war,  ängstlich  im  Auge  behielt  und 
seinem  haushälterischen  Wesen  gemäfs  zunächst  für  Herbeischaffung 
von  Geldmitteln  Sorge  trug.  Er  ging  an  der  Nordküste  entlang  nach 
Egesta.  Unterwegs  machte  man  den  Versuch  Himera  zu  gewinnen, 
das  seiner  gemischten  Bevölkerung  wegen  Aussicht  auf  Erfolg  dar- 
bot; die  Athener  wurden  aber  nicht  zugelassen  und  vermochten  nur 
das  Städtchen  Hykkara,  das  mit  Egesla  verfeindet  war,  zu  nehmen  und 
die  Einwohner  als  Sklaven  zu  verkaufen.  In  Egesla  selbst  konnte 
Nikias  nicht  mehr  als  dreifsig  Talente  aufbringen,  und  so  ging  der 
Sommer  zu  Ende.  Es  war  nichts  erreicht.  Die  kleinen  Erfolge  waren 
mit  Gewaltsamkeiten  begleitet,  die  nur  erbittern  konnten;  alles  Be- 
deutendere war  misslungen ;  zuletzt  noch  der  Angriff  auf  Hybla  am  süd- 
lichen Aetnafufse. 

Dadurch  erfolgte  eine  Umstimmung  in  den  sicilischen  Städten, 
namentlich  in  Syrakus,  welche  sich  sehr  bald  kund  gab.  Der  erste  be- 
täubende Schrecken  vor  der  feindlichen  Armada  war  überwunden  und 
bei  der  den  Sikelioten  eigenthümlichen  Beweglichkeit  des  Geistes  schlug 
der  Schrecken  in  Geringschätzung,  die  Angst  in  Keckheit  und  Ueber- 
mulh  um.  Syrakusanische  Reiter  sprengten  bis  an  die  Lagertbore  der 
Athener  und  fragten,  wie  es  ihnen  in  ihrem  insellande  gefalle,  wo  sie 
sich  ja,  wie  es  den  Anschein  habe,  häuslich  niederlassen  wollten. 

Nikias  war  in  der  peinlichsten  Lage.  Er  musste  etwas  unter- 
nehmen, um  die  Waffen  Athens  zu  Ehren  zu  bringen  und  der  Miss- 
stimmung im  Heere  vorzubeugen;  er  musste  einen  Schlag  gegen  Syra- 
kus ausführen,  aber  er  getraute  sich  nicht  hinan,  weil  die  feindliche 
Reiterei  jede  Landung  zu  einem  gefährlichen  Wagniss  machte.  Er  nahm 
also  zu  Kriegslisten  und  Täuschungen  seine  Zuflucht,  welche  mehr  dem 
Charakter  des  Alkibiades  als  seiner  eigenen  Kriegsweise  entsprachen. 
Sie  sollten  dazu  dienen,  dass  die  Syrakusaner  ihrerseits  die  Feindselig- 
keiten begännen. 

Ein  heimlicher  Parteigänger  der  Athener  wusste  den  Syrakusanern 
vorzuspiegeln,  dass  sie  durch  einen  Angriff  mit  der  gesamten  Reilerei 
das  schlecht  bewachte  Lager  der  Athener  nehmen  könnlen.  Die  Syra- 
kusaner rückten  aus;  Nikias  aber  fuhr  gleichzeitig  bei  Nacht  in  den 
grofsen  Hafen  von  Syrakus  und  stand  am  anderen  Morgen  unerwartet 
mit  seinem  Heere  im  Bezirke  des  Olympieion  (S.556),  wo  er  sich  süd- 
östlich vom  Tempel  zwischen  dem  Sumpfe,  der  die  Kyane  umgiebl,  und 


Digitized  by  Google 


618 


UMSCHWUNG  IN  SYRAKUS. 


dem  Hafen  verschanzte,  ehe  die  Reiter  wieder  zurück  waren.  Aber  wenn 
auch  die  Kriegslist  vollkommen  glückte,  wenn  auch  der  erste  Kampf 
mit  den  Syrakusanern  für  die  Athener  günstig  war  und  die  kriegerische 
Ueber  legen  hei  t  derselben  aufser  Zweifel  setzte,  so  wurde  doch  mit  der 
ganzen  Unternehmung  nichts  erreicht.  Absichtlich  versäumte  Nikias 
die  Gelegenheit,  sich  der  Schätze  des  Olympieion  zu  bemächtigen, 
weil  er  mehr  als  alles  Andere  den  Zorn  der  Götter  fürchtete,  er  wagte 
auch  nicht  bei  Annäherung  des  Winters  seine  Stellung  zu  behaupten; 
er  überzeugte  sich  nur  von  Neuem,  dass  ohne  Reiterei  und  reichlichere 
Geldmittel  eine  Belagerung  von  Syrakus  unmöglich  sei.  Auch  der  Ver- 
such, Messana  noch  vor  Eintritt  des  Winters  zu  gewinnen,  misslang, 
obgleich  daselbst  auch  nach  Hinrichtung  der  attischen  Parteiführer  ein 
Theil  des  Volks  für  die  Athener  zu  den  Waffen  griff.  Dreizehn  Tage 
lag  die  Flotte  vor  der  in  Bürgerfehden  zerrissenen  Stadt,  und  musste 
dann,  von  Sturm  und  Mangel  getrieben,  den  schönen  Hafen  un ver- 
richteter Sache  wieder  verlassen ,  um  sich  halbwegs  zwischen  Kataiie 
und  Messana  bei  der  Stadt  Naxos  (I,  428)  ein  notdürftiges  Winter- 
lager einzurichten146). 

Der  misslungene  Angriff  auf  Messana  hatte  für  Syrakus  die  Bedeu- 
tung eines  Siegs.  Aber  auch  die  Schlacht,  welche  die  Syrakusaner  vor 
ihrer  eigenen  Stadt  bestanden  hatten,  brachte  ihnen,  obgleich  sie  be- 
siegt waren,  mehr  Vortheil  als  Nachtheil.  Denn  die  Kriegslist,  welche 
Nikias  angewendet  hatte,  war  ihnen  ein  Eingeständniss  seiner  Schwäche. 
Auch  hatten  sie  bei  dieser  Gelegenheit  ihre  eigenen  Schwächen  kennen 
gelernt  und  waren  nun,  nachdem  sie  einmal  den  Feind  vor  ihren 
Thoren  gesehen  hatten,  wachsamer,  einmüthiger,  thätiger  und  vor 
Allem  zugänglicher  für  den  Rath  derer,  welche  durch  Einsicht  und 
Erfahrung  allein  im  Stande  waren ,  in  gefahrvollen  Zeiten  die  Führer 
der  Gemeinde  zu  sein. 

So  war  denn  wieder  die  Zeit  für  Hermokrates  gekommen  (S.  575). 
Er  hatte  schon  um  die  Milte  des  Sommers  Alles,  was  kommen  würde, 
vorhergesagt  und  darauf  gedrungen,  dass  man  sich  zu  Lande  und  zur 
See  rüste,  dass  man  auswärtige  Bündnisse,  selbst  mit  Karthago  suche 
und  die  Staaten  Siemens  von  Neuem  zu  gemeinsamer  Kriegführung 
vereinige.  Er  hatte  sogar  als  den  besten  Rath  den  empfohlen,  dass 
man  mit  allen  Schiffen  den  Athenern  bis  zum  iapygischen  Vorgebirge 
entgegenziehe,  um  ihnen  hier  den  Eintritt  in  die  sicilischen  Gewässer 
zu  verwehren  und  so  wo  möglich  den  ganzen  Krieg  mit  aller  seiner 


Digitized  by  Google 


WIRKSAMKEIT  DES  HERMOKRATES  (Ol.  S;  41^).  649 

Noth  abzuwenden.  Dagegen  hatte  sich  Alhenagoras,  der  Führer  der 
Volkspartei,  erhoben.  Denn  die  Parteien  standen  sich  auch  hier  so 
gegenüber,  dass  Alles,  was  von  der  einen  Seite  ausging,  darum  schon 
von  der  andern  bekämpft  wurde.  Herrn okrates  hatte  nichts  beantragt, 
was  die  politischen  Gegensätze  berührte,  und  dennoch  griffen  ihn 
seine  Gegner  auf  das  Heftigste  an  und  behaupteten,  das  sei  nur  einer 
von  den  gewöhnlichen  Ränken  der  Vornehmen  und  Reichen,  welche 
durch  unwahre  oder  übertriebene  Meldungen  das  Volk  aufregten,  um 
dadurch  ihrem  ungeduldigen  Ehrgeize  Gelegenheit  zu  verschaffen,  hohe 
Aemter  und  außerordentliche  Vollmachten  zu  erlangen. 

Als  nun  aber  der  Gang  der  Ereignisse  die  demokratischen  Partei- 
führer eben  so  vollständig  widerlegte  und  beschämte,  wie  er  die  Vor- 
aussagungen des  Hermokrates  bestätigte,  als  der  unmittelbare  AngrifT 
des  Nikias  die  Notwendigkeit  einer  festen  Staatsleitung  deutlich 
zeigte,  da  erkannten  die  Syrakusaner  wieder  den  Werth  ihres  grofsen 
Mitbürgers,  der  in  gewöhnlichen  Zeiten  von  lärmenden  Demagogen 
zurückgedrängt  und  verlästert  wurde,  aber  immer  an  das  Steuerruder 
treten  musste,  wenn  ein  Ungewitter  aufzog.  Er  war  der  einzige 
Mann  in  der  volkreichen  Stadt;  ein  Staatsmann,  der  die  Stärken  und 
Schwächen  Athens  genau  kannte,  ein  tapferer  und  einsichtiger  Feld- 
herr, ein  Mann  des  Vertrauens  bei  den  anderen  Städten.  Ohne  Her- 
mokrates würde  Syrakus  ganz  dein  Bilde  entsprochen  haben,  welches 
Alkibiades  der  attischen  Volksversammlung  von  den  in  sich  uneinigen 
und  haltlosen  Städten  Siethens  entworfen  hatte.  Hermokrates  war 
von  jeher  der  gefährlichste  Feind,  den  die  Athener  auf  der  Insel  hatten. 
Als  Friedensstifter  in  Gela  hatte  er  ihrer  Politik  schon  einmal  eine 
Niederlage  beigebracht;  er  war  ihnen  in  Wort  und  That  gewachsen, 
und  dadurch  überlegen,  dass  er  eine  gute  Sache  vertrat  und  mit  dem 
Muthe  eines  reinen  Gewissens  handelte. 

Von  ihm  gingen  die  wichtigsten  Reformen  im  Heerwesen  aus. 
Denn  da  die  demokratische  Richtung  dahin  geführt  hatte,  dass  ein 
Collegium  von  fünfzehn  Kriegsobersten  eingerichtet  worden  war,  setzte 
er  es  durch,  dass  man  die  Zahl  auf  drei  beschränkte  und  diesen 
gröfsere  Amtsgewalt  übertrug.  Ihnen  wurde  die  Aufgabe  gestellt,  die 
Bürgerschaft  während  der  Wintermonate  tüchtig  zu  machen ,  so  dass 
sie  an  Bewaffnung,  Mannszucht  und  Uebung.den  Athenern  gewachsen 
wäre,  während  das  Volk  sich  eidlich  verpflichtete,  die  Feldherrn  nach 
ihrer  besten  Einsicht  ungehindert  schalten  zu  lassen,  damit  ihre  Be- 


Digitized  by  Google 


650 


WIRKSAMKEIT  DES   HERMOKRATES  0»,  2;  4l»rfl. 


schlösse,  wo  es  darauf  ankäme,  rasch  und  in  Verschwiegenheit  aus- 
geführt werden  könnten.  So  wurde  hier,  wie  in  Athen,  die  gesteigerte 
Feldherrngewalt  ein  Gegenmittel  gegen  die  Lebelstände  demokratischer 
Verfassung,  und  Hermokrates.  welcher  mit  Herakleides  und  Sikanos 
zum  Feldhauptmann  erwählt  wurde,  nahm  nun  eine  Stellung  ein,  welche 
mit  der  des  Perikles  zu  Anfang  des  archidamischen  Kriegs  verglichen 
werden  kann. 

Unter  seiner  Leitung  wurde  vor  Allem  die  Befestigung  der  Stadt 
erweitert  und  vervollständigt.  Syrakus  war  damals  eine  Dreistadt,  die 
Insel,  Achradina  und  Tyche  (S.  530);  südlich  von  Tyche  lag  um  den 
Apollontempel  die  offene  Vorstadt  Temenites.  Diese  wurde  nun  in  die 
städtische  Befestigung  hereingezogen,  indem  die  Südseite  derselben 
längs  des  Randes  der  Hochebene  befestigt  und  die  Westseite  durch  die 
Verlängerung  der  Mauer  von  Tyche  gesichert  wurde.  Jetzt  war  durch 
eine  Mauer  die  ganze  bewohnte  Hochebene  gegen  aufsen  abgeschlossen 
und  dadurch  dem  Feinde  die  Annäherung  an  die  inneren  Stadttheile 
wesentlich  erschwert.  Zum  Schutze  der  Seeküste  wurden  zwei  Kastelle 
als  Vorwerke  errichtet,  das  eine  am  äufseren  Meere  bei  Megara,  das 
andere  beim  Olytnpieion  am  Rande  des  grofsen  Hafens,  ein  befestigter 
Standort  der  Reiterei,  welche  von  hier  die  Niederung  am  Anapos  be- 
herrschen sollte.  Alle  Landungsstellen  in  der  Nähe  der  Stadt  wurden 
durch  eingerammte  Pfahle  unzugänglich  gemacht147). 

Dann  gingen  Gesandte  nach  dem  Peloponnes,  um  Korinth  und 
durch  die  Koriniher  Sparta  zu  thätiger  Hülfe  zu  veranlassen.  Man 
hoffte  es  erreichen  zu  können,  dass  Sparta  sich  entschlösse,  dem  faulen 
Waffenstillstand  ein  Ende  zu  machen  und  durch  Erneuerung  des  offe- 
nen Kriegs  die  Athener  zu  zwingen,  ihr  Heer  von  Syrakus  zurückzu- 
ziehen oder  sie  wenigstens  zu  verhindern,  Verstärkungen  nachzu- 
schicken. Endlich  suchte  man  in  Sicilien  der  Ausbreitung  des  attischen 
Einflusses  entgegenzuwirken,  und  Hermokrates  selbst  übernahm  die 
schwierigste  Aufgabe  dieser  Art,  nämlich  die  Gesandtschaft  nach  der 
Nachbarstadt  Kamarina,  welche  die  Athener  mit  Berufung  auf  ein 
älteres  Bündniss  aus  der  Zeit  des  Laches  (S.  573)  auf  ihre  Seite 
ziehen  wollten. 

Zwei  der  begabtesten  Redner  rangen  mit  einander  um  die  Stim- 
mung der  Bürgerschaft,  welche  sich  auf  einmal  in  die  Mitte  des  Conflikts 
gestellt  sah ,  der  die  griechische  Welt  bewegte.  Auf  der  einen  Seite 
die  warnende,  scharfe  Rede  des  sicilischen  Patrioten,  auf  der  anderen 


Digitized  by  Google 


VERHANDLUNGEN   IN  KAMARINA. 


651 


das  beruhigende,  lockende  Zureden  des  Euphemos,  den  die  Athener 
abgesandt  hatten.  Hermokrates  enthüllte  das  System  schrankenloser 
Herrschsucht,  welches  die  attische  Flotte  nach  Sicilien  gebracht  habe, 
und  erklärte  es  für  Hochverrath,  wenn  unter  diesen  Umständen  eine 
Inselstadt  neutral  bleibe;  er  wies  auf  die  peloponnesische  Hülfe  hin, 
welche  den  Ereignissen  bald  eine  andere  Wendung  geben  werde. 
Euphemos  stellte  es  als  eine  Thorheit  dar,  wenn  man  den  Athenern 
die  Absicht  zutraue,  in  dem  weit  entlegenen  Insellande  eine  dauernde 
Herrschaft  einrichten  zu  wollen.  Sie  dürften  nur  nicht  zugeben,  dnss 
sich  daselbst  eine  ihnen  feindliche  Macht  unaufhaltsam  ausbreite.  Von 
Syrakus  hätten  auch  die  Kamarinäer  am  meisten  zu  besorgen,  nicht 
von  dem  fernen  Athen.  In  ihrer  nächsten  Umgebung  müssten  die 
Athener  unterthänige  und  entwaffnete  Bundesgenossen  haben,  in  Sici- 
lien möglichst  starke  und  selbständige.  Darum  möchten  die  Kamarinäer 
sich  wohl  besinnen,  ehe  sie  eine  Gelegenheit  zur  Sicherung  ihrer  Selb- 
ständigkeit von  der  Hand  wiesen,  wie  sie  sich  nicht  so  leicht  zum 
zweiten  Male  darbiete. 

Hermokrates  erreichte  wenigstens  so  viel,  dass  die  Stadt,  welche 
von  allen  am  meisten  Grund  hatte,  gegen  Syrakus  misstrauisch  zu  sein 
(S.  530),  sich  den  Athenern  nicht  anschloss.  Auch  Gela  und  Akragas 
blieben  neutral. 

So  benutzte  man  die  Wintermonate.  Syrakus  wurde  jetzt  erst 
eine  widerstandsfähige  Stadt,  während  die  Athener  unthätig  im  Lager 
safsen  und  nichts  vorwärts  brachten,  als  dass  sie  im  Innern  der  Insel 
durch  Unterhandlung  und  Gewalt  ihren  Anhang  verstärkten  und  bei 
ihren  älteren  Bundesgenossen  Alles,  was  zu  einer  grofsen  Belagerung 
an  Material  nölhig  war,  bei  Zeiten  bestellten.  Sie  blickten  aber  auch 
weiter  aus.  Sie  scheuten  sich  nicht  selbst  nach  Karthago  und  zu 
den  Tyrrhenern  Gesandte  zu  schicken,  um  Bundeshülfe  zu  gewinnen, 
und  so  brach  mit  dem  Frühling  91,  2  (414),  als  Hermokrates  und 
seine  Mitfeldherm  den  Oberbefehl  angetreten  hatten,  das  neue  Kriegs- 
jahr  an,  unter  grösserer  und  allgemeinerer  Spannung  der  Gemüther 
als  irgend  ein  früheres.  Denn  von  allen  Küsten  des  Mittelmeers  blickten 
die  griechischen  Staaten  so  wohl  wie  die  benachbarten  Barbaren  mit 
unverwandter  Aufmerksamkeit  nach  dem  Kriegsschauplatze  an  der  sici- 
lischen  Ostküste.  Alle  waren  näher  oder  ferner  bei  dem  Ausgange  des 
gewaltigen  Kampfes  betheiligt,  welcher  sich  nun  vorbereitete. 

Inzwischen  war  im  attischen  Lager  die  Ungeduld  aufs  Höchste 


Digitized  by  Google 


652 


VERSTÄRKUNG  DER  ATHENER  (91.  «;  AU  FRÜUJAUR). 


gestiegen.  Man  wusste,  dass  sich  die  Widerstandsfähigkeit  der  Syra- 
kusaner  von  Tage  zu  Tage  steigerte,  und  musste  sich  doch  bis  zur  An- 
kunft der  versprochenen  Verstärkungen  damit  begnügen,  Streifzöge  in 
die  syrakusanischen  Felder  zu  machen  und  am  Fufee  des  Aetna  das 
kleine  Gebiet,  das  man  gewonnen  hatte,  abzurunden  und  zu  sichern; 
auch  dies  gelang  den  Athenern  nur  in  sehr  unvollkommener  Weise, 
denn  von  den  Bergschlössern,  welche  ihnen  drohend  über  den  Häuptern 
lagen,  konnten  sie  Hybla  und  Inessa  auch  nach  mehrfachen  Angriffen 
nicht  zwingen  und  gewannen  nur  Kentoripai14*). 

Endüch  kamen  aus  Athen  die  250  Reiter,  die  in  Sicilien  beritten 
gemacht  wurden,  eine  Schwadron  Bogenschützen  zu  Pferde  und  300 
Silberlalente  für  die  Kriegskasse.  Da  man  die  Reiterei  mit  Hülfe  der 
Bundesgenossen  bis  auf  650  Mann  bringen  konnte,  so  brach  man  nun 
gegen  Anfang  des  Sommers  mit  der  ganzen  Heeresmacht  gegen  Syra- 
kus auf.  Es  war  ein  Glück,  dass  man  jetzt  wenigstens  bestimmt 
wusste,  was  man  wollte;  von  verschiedenen  Kriegsplänen  konnte  nicht 
mehr  die  Rede  sein.  Es  kam  darauf  an,  mit  Aufbielen  aller  Kräfte 
Syrakus  rasch  zum  Falle  zu  bringen,  und  so  war  Lamachos  mit  seiner 
ungestümen  Tapferkeit  neben  Nikias  ganz  auf  seinem  Platze. 

Die  Feldherrn  waren  durch  ihre  Verbindungen  in  Syrakus  mit 
Allem,  was  dort  geschehen  und  nicht  geschehen  war,  genau  bekannt; 
sie  kannten  die  Schwächen  der  Stadtlage,  welche  bei  allen  Vorzügen 
den  grofsen  Nachtheil  hatte,  dass  sie  ungemein  weitläuftig  und  schwer 
zu  übersehen  war.  Die  anwachsende  Bevölkerung  hatte  sich  allmäh- 
lich, weil  eine  andere  Erweiterung  der  Stadt  nicht  möglich  war,  auf  die 
Bergterrasse  hinaufgezogen,  welche  sich  als  einförmige  Hochfläche  so 
weit  gegen  Westen  erstreckt,  dass  ein  natürlicher  Abschluss  des  Stadt- 
gebiets, wie  ihn  die  Griechen  sonst  überall  herzustellen  suchten,  hier 
nicht  vorhanden  war.  Der  ganze  Theil  der  Hochfläche,  welcher  außer- 
halb der  Stadt  blieb,  hiefs  Epipolai;  es  war  der  westliche,  spitz  zu- 
laufende Theil  der  dreieckigen  Bergterrasse,  welche  sich  von  Achradina 
her  keilförmig  in's  Land  hereinzieht,  und  die  Spitze  dieses  grofsen 
Dreiecks,  welche  eigentlich  den  Schlusspunkt  der  städtischen  Um- 
mauerung  hätte  bilden  müssen,  war  Euryalos.  Die  Syrakusaner  ver- 
kannten die  Gefahr  nicht,  welche  für  sie  enstehen  musste,  wenn  diese 
Oertlichkeiten  mit  ihren  die  Stadt  überragenden  Höhepunkten  und  den 
städtischen  Wasserkanälen  in  feindliche  Gewalt  geriethen ;  von  hier  war 
ja  schon  früher  die  innere  Stadt  bezwungen  worden  (S.  560).  Da  es 


Digitized  by  Google 


EINNAHME  VON   EPIPOLAI   (91.  9;  414  JUNI). 


653 


aber  unmöglich  war,  die  Befestigungen  bis  Euryalos  auszudehnen,  so 
begnügte  man  sich  die  Zugänge  möglichst  ungangbar  zu  machen  und 
hatte  aufserdem  für  jeden  Angriff  auf  Epipolai  leichtbewaffnete 
Truppen  in  Bereitschaft,  um  die  bedrohten  Punkte  zu  vertheidigen. 
Unbegreiflicher  Weise  scheinen  aber  die  Syrakusaner  nur  an  eine  Ge- 
fahrdung von  der  Hafenseite  her  gedacht  zu  haben,  während  doch  die 
Höhen  von  Epipolai  auf  der  anderen  Seite  dem  Strande  noch  näher 
lagen,  und  dazu  kam,  dass  das  Meer  hier  eine  sichelförmige  Bucht 
bildet,  welche  zwar  gegen  Osten  offen  liegt,  aber  von  Norden  durch 
eine  felsige  Halbinsel,  Thapsos  genannt,  geschützt  wird. 

Es  war  daher  ein  glücklicher  Gedanke  der  attischen  Feldherrn, 
diese  Bucht  zur  Basis  ihrer  Operationen  zu  machen. 

Unerwartet  landen  sie  hier,  setzen  in  der  Mitte  der  Bucht  unweit 
Leon  Mannschaft  aus,  lassen  diese  im  Sturmschritt  die  Gipfel  von  Epi- 
polai erklimmen,  welche  in  geradem  Abstände  nur  2000  Schritt  ent- 
fernt waren,  und  bemächtigen  sich  derselben,  während  die  zur 
Deckung  dieser  Höhen  bestimmte  Mannschaft  der  Syrakusaner  unter 
Befehl  des  Diomilos.  eines  andrischen  Flüchtlings,  beim  Anapos  unter 
Waffen  steht.  Sie  eilt,  so  wie  das  Geschehene  bekannt  wird,  unver- 
züglich zu  Hülfe  herbei,  kommt  aber,  da  sie  über  eine  halbe  Stunde 
bergauf  zu  laufen  hat,  athemlos  und  ungeordnet  oben  an,  so  dass  sie  mit 
grofsem  Verluste  zurückgeworfen  wird.  Die  Athener  bleiben  Herren 
der  Höhe;  sie  ummauern  Labdalon,  einen  Platz  am  nördlichen  Rande 
von  Epipolai  oberhalb  Leon,  wo  man  die  Buchten  von  Thapsos  und 
Megara  übersehen  konnte;  in  Labdalon  schlagen  sie  ihr  Hauptquartier 
auf;  sie  richten  gleichzeitig  bei  der  Halbinsel  Thapsos,  deren  schmalen 
Isthmus  sie  gegen  das  Land  absperren,  für  ihre  Flotte  ein  festes  Lager 
ein  und  bahnen  den  Weg,  der  in  kürzester  Linie  den  Strand  mit  der 
Höhe  verbindet. 

Nachdem  sie  sich  oben  einen  unangreifbaren  Platz  gesichert  und 
das  weite  Gebiet  von  Epipolai  gewonnen  hatten,  von  dessen  hervor- 
ragenden Punkten  sie  die  ganze  dreieckige  Terrasse,  Stadt  und  Vor- 
städte, nach  beiden  Meerseiten  überblicken  konnten,  gingen  sie  ohne 
Verzug  an  die  Einschliefsung  selbst.  Zu  dem  Zwecke  erbauten  sie 
südlich  von  Labdalon  in  der  Mitte  der  Bergterrasse,  d.  h.  vom  Nord- 
und  Südrande  derselben,  also  auch  vom  grofsen  Hafen  und  der 
Thapsosbucht  gleich  weit  entfernt,  auf  einem  Platze,  der  von  seinen 
Feigenbäumen  Syke  hiefs,  ein  kreisförmiges  Kastell  mit  bedeutenden 


Digitized  by  Google 


654 


>OTH    DfclX  SVKAKLSA>KK. 


Aufsenwerken,  um  einen  der  Stadt  näheren  Waffenplalz  zu  haben, 
welcher  zugleich  der  Mittelpunkt  der  Einschliefcungswerke  sein  sollte. 
Hier  hatten  die  Athener  Gelegenheit,  ihre  Rüstigkeit  und  Gewandtheil 
in  glänzender  Weise  zu  bewähren.  Die  Festung  wuchs  aus  dem  Boden 
auf,  so  dass  die  Syrakusaner  von  Staunen  und  Bestürzung  ergriffen 
wurden;  ihre  Angriffe  wurden  sämtlich  zurückgescldagen  undv  ehe  sie 
sich  dessen  versahen,  war  auch  die  erste  Schenkelmauer  schon  im  Bau, 
welche  von  dem  Rundkastelle  aus  gegen  Nordosten  gerichtet  war,  quer 
über  den  Rücken  von  Epipolai,  um  in  dieser  Richtung  das  äufsere  Meer 
zu  erreichen.  Sie  wurde  gleicbzeilg  von  beiden  Endpunkten  in  Angriff 
genommen,  indem  einerseits  die  Besatzung  von  Epipolai,  andererseits 
die  Schiffsmannschaft  daran  arbeiteten. 

Die  Syrakusaner  ändern  nun  ihren  Kriegsplan.  Sie  geben  den 
offenen  Kampf  auf,  bei  dem  die  Feinde  durch  ihre  Stellung  und 
liebung  zu  sehr  im  Vortheile  waren,  und  bescbliefsen  auch  von  ihrer 
Seite  Mauern  zu  bauen,  um  die  Einschliefsungslinien  der  Athener  zu 
kreuzen  und  so  die  Vollendung  des  Einschlusses  zu  verhindern.  Sie 
hauen  also  in  der  Vorstadt  Temeniles  die  Oelbäume  ab  und  bauen, 
indem  sie  den  Athenern  ihre  Geschicklichkeit  abzulernen  suchen,  einen 
Mauergang  in  die  Lücken  der  feindlichen  Schanzwerke  hinein.  Die 
Athener  lassen  sie  ruhig  herankommen,  und  zerstören  dann  mit  über- 
legener Geschicklichkeit  die  mühsam  aufgerichteten  Gegenwerke. 

Nachdem  auf  dieser  Seite  alle  Schwierigkeiten  überwunden  und 
alle  Gefahren  beseitigt  waren,  schien  es  ralhsam,  noch  vor  V  ollendung 
der  einen  Schenkelmauer  die  zweite  in  Angriff  zu  nehmen,  welche  vor 
dem  Central  kästelte  gegen  Süden  gebaut  werden  musste,  um  hier  den 
Rand  des  grofsen  Hafens  zu  erreichen.  Dies  war  das  bei  weitem 
schwierigere  Werk,  weil  man  hier  den  Angriffen  der  Städter  mehr 
ausgesetzt  war  und  erst  auf  felsigem  Abhänge,  dann  aber  durch  tiefen 
Sumpfboden  zu  bauen  hatte.  Ehe  die  Athener  mit  ihren  Arbeilen 
hieher  gekommen  waren,  hatten  die  Syrakusaner  schon  mit  Gräben 
und  Schanzen  die  Einschlusslinie  gekreuzt  Die  Athener  aber  lassen 
nun  ihre  Flotte  aus  dem  äufseren  Meere  um  Achradina  und  Ortygia 
herum  in  den  Hafen  einfahren,  um  sie  in  der  Nähe  zu  haben,  unter- 
nehmen dann,  indem  sie  sich  mit  breiten  Holzbohlen  und  Thürflügeln 
über  den  Morast  Bahn  machen ,  auf  das  feindliche  Gegenwerk  einen 
Angriff,  zerstören  dasselbe  und  bleiben  auch  hier  der  verzweifelten 
Tapferkeit  der  Syrakusaner  ungeachtet  in  allen  Kämpfen  Sieger.  Ob- 


Digitized  by  Google 


ALKIBIADES'  FLUCHTREIS  EM.  655 


gleich  Lamachos  in  diesen  Gefechten  fiel  und  Nikias  selbst  krank  im 
Rundkastelle  zurückbleiben  musste,  waren  die  Erfolge  der  Athener 
dennoch  so  vollständig,  dass  die  Vollendung  der  Einschließung  ge- 
sichert schien  und  damit  der  bevorstehende  Fall  von  Syrakus;  denn 
auch  auswärtige  Hülfe,  wenn  sie  noch  eintreffen  sollte,  musste  dann 
wirkungslos  sein. 

Das  Gerücht  von  diesem  Stande  der  Dinge  durchzog  Sicilien  und 
Italien.  Lebensmittel  und  Zuzug  kamen  den  Athenern  in  reichlicherem 
Mafse ;  selbst  von  den  Tyrrhenern,  die  an  dem  Sturze  der  alten  Feindin 
ihren  Anlheil  haben  wollten,  kamen  dreiTunfzigruderer  und  sliefsen 
zur  attischen  Flotte.  In  Syrakus  war  dagegen  Muthlosigkeit  ein- 
getreten; alle  Versuche,  den  völligen  Einschluss  zu  hindern,  wurden 
aufgegeben;  Mangel  machte  sich  fühlbar.  Die  Wasserleitungen  waren 
zum  grofsen  Theil  in  den  Händen  der  Athener,  welche  sie  für  sich 
benutzten  und  das  zur  Stadt  hinabfließende  Trinkwasser  ablenkten. 
Entbehrungen  zu  ertragen,  war  die  syrakusanische  Bevölkerung  nicht 
geeignet;  man  fing  an,  ungestraft  von  Uebergabe  zu  sprechen  und  mit 
Nikias  Unterhandlungen  anzuknüpfen.  Die  Demokraten  benutzten  die 
Lage  der  Dinge,  um  Hermokrates  zu  stürzen;  neue  Feldherrn  wurden 
ernannt,  und  so  beraubte  man  sich  in  der  Noth  noch  der  letzten  Stütze, 
welche  man  hatte.  Unmulh,  Misstrauen,  Verzweiflung  nahmen  über- 
hand in  der  Stadt;  ihr  Verhängniss  schien  unvermeidlich149). 

Da  zeigte  sich  in  der  letzten  Stunde,  als  Hermokrates  schon 
zurückgetreten  war  und  alle  inneren  Hülfsquellen  versiegten,  uner- 
wartete Hülfe  von  aufsen.  Eine  neue  Wendung  der  Verhältnisse  trat 
ein,  und  zwar  auf  Veranlassung  des  Alkibiades. 


Die  Mannschaft  der  Salaminia  (S.  G40) ,  welche  ihn  abgerufen, 
hatte  Befehl,  ihn  möglichst  zu  schonen,  um  keine  Erbitterung  unter 
den  Truppen  hervorzurufen.  Er  sollte,  um  nicht  als  Gefangener  zu  er- 
scheinen, auf  seinem  eigenen  Schiffe  folgen.  Dadurch  war  es  ihm  nahe 
genug  gelegt,  überhaupt  nicht  zu  folgen.  Und  das  war  vielleicht  auch 
die  Absicht  seiner  Feinde.  Sie  hatten  in  ihrer  Leidenschaftlichkeit  den 
ganzen  Boden  des  Staats  unterminirt,  unbekümmert  darum,  wie  viel 
Unheil  Schuldigen  und  Unschuldigen  daraus  erwachse,  wenn  nur  der 
verhasste  Demagoge  aus  dem  Wege  geräumt  werde.  Sie  erreichten 
dies  Ziel  am  sichersten,  wenn  er  gar  nicht  heimkehrte,  denn  jedes 


Digitized  by  Google 


656  ALKIBIADES  AUF  DER  FLUCHT. 

Auareten  desselben  konnte  unberechenbare  Wirkungen  haben.  So 
erklären  sich  die  Instruktionen  der  Salaminia,  welche  ohne  Zweifel  von 
dem  Collegium  der  Untersuchungsrichter  unter  Peisandros'  Einfluss 
abgefasst  waren. 

Alkibiades  hatte  seinerseits  keine  Lust,  sein  Leben  in  Athen  aufs 
Spiel  zu  setzen.  Ein  reines  Gewissen  hatte  er  nicht,  sein  Anhang 
fehlte  ihm.  Sein  Entschluss  war  also  bald  gefasst.  Er  wollte  sich 
rächen  für  die  tückische  Bosheit  seiner  Feinde,  die  ihn  in  allem  Bösen 
weit  übertrafen,  er  wollte  den  verächtlichen  Wankelmuth  des  grofsen 
Haufens  zuchtigen  und  dabei  die  Ueberlegenheit  seiner  Person  be- 
währen; man  sollte  sehen,  dass  der  Sieg  ihm  folge,  wohin  er  sich 
wende.  Dies  war  auch,  wie  es  schien,  der  einzige  Weg,  um  endlich  in 
der  Vaterstadt  selbst  seine  letzten  Zwecke  zu  erreichen.  Athen  sollte 
erfahren,  wie  furchtbar  er  als  Feind  sei,  um  dann  in  bitterer  und 
selbstverschuldeter  Noth  um  so  völliger  sich  ihm  in  die  Arme  zu 
werfen.  So  begann  er  sein  fürchterliches  Werk,  indem  er  nur  seine 
persönlichen  Interessen  im  Auge  hatte  und  nicht  darum  sorgte,  ob 
seine  Vaterstadt  darüber  zu  Grunde  gehe  und  ob  die  Wunden,  die 
er  ihr  zufüge,  heilbar  wären  oder  nicht.  Er  traute  sich  die  Macht 
zu,  das  Schicksal  der  griechischen  Staaten  von  seiner  Person  ab- 
hängig zu  machen150). 

Alkibiades  ging  von  Thurioi,  wo  er  sich  der  Mannschaft  der  Sala- 
minia entzogen  hatte,  nach  dem  Peloponnes  und  verweilte  in  Elis  und 
in  Argos.  Hier  erhielt  er  die  Nachricht,  dass  er  in  Athen  zum  Tode 
verurteilt  sei.  Heimathlos,  geächtet,  aller  seiner  Güter  beraubt,  und, 
wie  einst  Themistokles,  von  attischen  Sendboten  verfolgt,  die  seine 
Auslieferung  verlangten,  beschloss  er  zu  den  Feinden  seiner  Vaterstadt 
überzugehen,  bei  denen  er  am  ehesten  persönliche  Sicherheit  und  Ge- 
legenheit zur  Rache  zu  finden  hoffen  konnte.  Nachdem  er  sich  also 
vermöge  seiner  alten  gastfreundschafllichen  Beziehungen  zu  Sparta 
(S.  592)  freies  Geleit  erwirkt  hatte,  langte  er  daselbst  während  des 
Winters  an,  um  dieselbe  Zeit,  als  der  Seezug  der  Athener  die  pelopon- 
nesischen  Staaten  in  die  gröfste  Aufregung  versetzt  hatte,  als  die  Ge- 
sandten der  Syrakusaner  von  Korinth  ankamen  und,  von  den  Korin- 
thern eifrig  unterstützt,  thatkräftige  Hülfe  verlangten.  Sparta  stand 
also,  wie  vor  achtzehn  Jahren,  vor  dem  Ausbruche  eines  Kriegs,  jetzt 
wie  damals  von  seinen  Bundesgenossen  gedrängt  und  eben  so  un- 
schlüssig und  rathlos,  wie  damals.  Die  Behörden  des  Staats  lähmte  die 


Digitized  by  Google 


ALKIBIADES  IN  SPARTA  (»1,  Ä;  414  WINTER). 


657 


alte  Unlust  weit  aussehende  Unternehmungen  zu  beginnen;  sie  wollten 
es  bei  leeren  Gesandtschaften  bewenden  lassen. 

Da  war  Alkibiades  an  seiner  Stelle,  um  die  Spartaner  aus  ihrer 
Trägheit  aufzurütteln,  ihre  Leidenschaft  zu  entzünden,  ihre  Thatkraft 
zu  entfesseln.  Mit  der  bewunderungswürdigen  Elasticitat  seines  Geistes 
hatte  er  bald  Alles  überwunden,  was  ihm  hinderlich  war,  um  in  Sparta 
Einfluss  zu  erlangen.  Er  schmeichelte  dem  Volke  wie  den  einzelnen 
dort  angesehenen  Personen;  er  huldigte  den  Grundsätzen  Spartas  und 
schmiegte  sich  den  dortigen  Lebensgewohnheiten  an.  Wie  Themi- 
stokles  bei  den  Persern,  so  berief  sich  Alkibiades  bei  den  Lakedämo- 
niern  auf  die  Dienste,  die  er  ihnen  in  Athen  geleistet  habe,  namentlich 
in  Betreff  der  pylischen  Gefangenen.  Er  habe  es  seinerseits  an  nichts 
fehlen  lassen,  um  die  alte  Gastfreundschaft  zwischen  seinem  Hause 
und  den  Spartanern  zu  erneuern,  Sparta  aber  habe  ihm  durch  Bevor- 
zugung des  Nikias  eine  kränkende  Geringschätzung  bewiesen  und  ihn 
sich  so  zum  Feinde  gemacht.  Was  aber  seine  demokratische  Gesin- 
nung betreffe,  so  habe  er  sich  nur  den  Grundsätzen  angeschlossen, 
welche  einmal  in  Athen  die  verfassungsmäfsigen  wären;  wie  wenig  er 
im  Grunde  von  denselben  halle,  brauche  er  nicht  erst  zu  sagen;  auch 
sei  er  dem  Unwesen  des  Pöbelregiments  immer  nach  Kräften  entgegen- 
getreten. So  wusste  er  seine  politischen  Grundsätze  wie  sein  früheres 
Benehmen  den  Spartanern  gegenüber  zu  rechtfertigen;  sie  staunten 
seine  wunderbaren  Gaben  an,  sie  hielten  eine  Versöhnung  zwischen 
ihm  und  seiner  Vaterstadt  für  unmöglich  und  schenkten  ihm  so  viel 
Vertrauen,  dass  er  in  der  Volksversammlung,  welche  über  den  Erfolg 
der  syraku8anisch-korinthischen  Gesandtschaft  entscheiden  sollte,  als 
öffentlicher  Redner  und  Rathgeber  des  Staats  auftreten  durfte. 

Nun  enthüllte  er  alle  Pläne  der  Kriegspartei,  wie  er  sie  in  Athen 
selbst  auf  jede  Weise  befürwortet  hatte.  Nicht  Syrakus  sei  das  eigent- 
liche Ziel  des  jetzigen  Kriegszuges,  sondern  Sparta.  Der  drohende  Fall 
von  Syrakus  sei  also,  so  fern  das  Kriegslheater  auch  sei,  eine  unmittel- 
bare Gefahr  für  Sparta.  Darum  dürfe  man  nicht  säumen,  einerseits 
nach  Sicilien  Mannschaft  zu  entsenden  und  namentlich  einen  erprobten 
Kriegsobersten,  welcher  im  Stande  sei,  den  Widerstand  der  Belagerer 
zu  organisiren.  andererseits  aber  Athen  unmittelbar  anzugreifen,  um 
die  Macht  des  feindlichen  Staats  im  eigenen  Lande  zu  erschüttern,  und 
dazu  wisse  er  ihnen  keinen  besseren  Rathschlag  zu  geben,  als  einen 
befestigten  Waffenplatz  in  Anika  zu  errichten.  Schliefslich  empfahl  er 

Curtiua,  Gr.  Ge»cb.  II.   6.  Auä.  42 


Digitized  by  Google 


65$ 


AUSSEN DU >G  DES  GYLIPPOS  (MAI   414;  91.«). 


sich  seihst  zu  jedem  noch  so  gefahrvollen  Dienste,  zu  dem  ihn  die  take- 
dümonier  gehrauchen  wollten.  Dass  Keiner  mehr  als  er  die  Fähigkeit 
nahe,  den  Athenern  zu  schaden,  sei  wohl  nicht  zu  bestreiten;  aher  auch 
an  seinem  guten  Willen  sollten  sie  nicht  zweifein,  ich  liebte',  sagte  er 
ohne  Scheu  heraus,  'meine  Vaterstadt,  so  lange  ich  dort  ungefährdet 
'als  Börger  leben  und  wirken  konnte;  die  Bosheit  meiner  Feinde  dort 
'hat  alle  Bande  zerrissen  und  meine  Liebe  zum  heimischen  Boden  kann 
'ich  jetzt  nur  in  der  Weise  bethätigen,  dass  ich  das  verlorene  Vaterland 
'auf  jede  Weise  wieder  gewinne.'  Eine  Aeufserung,  welche  die  Spartaner 
nur  so  verstehen  konnten,  dass  er  kein  anderes  Ziel  habe,  als  mit  ihnen 
Athen  zu  bezwingen. 

Der  nächste  Erfolg  dieser  Bede  war,  dass  der  tüchtigste  Feldherr, 
welchen  man  seit  Brasidas'  Tode  in  Sparta  hatte.  Gylippos,  der  Sohn 
des  Kleandridas,  ausersehen  wurde,  den  Belagerten  Hülfe  zu  bringen. 
Die  Wahl  konnte  nicht  glücklicher  sein.  Es  war  einer  von  den  Spar- 
tanern alten  Schlags,  die  das  Gefühl  hatten,  dass  ein  Mann  ihres  Gleichen 
mehr  werth  sei,  als  ein  ganzes  Heer,  zum  Befehlen  geboren  und  siegs- 
bewusst,  zugleich  ein  Mann,  der  mit  der  Zeit  fortgeschritten  war,  rührig, 
unternehmend  und  gewandt;  auch  mit  den  überseeischen  Verhältnissen 
wohl  bekannt,  da  sein  Vater  in  Thurioi  als  Verbannter  gelebt  hatte. 
Gylippos  beorderte  die  fertigen  Trieren  der  Korinther  nach  Asine 
(S.  478.  I,  204);  Ende  Mai  ging  er  mit  vier  Schiffen  in  See;  im  Juni 
war  er  bei  Leukas,  um  hier  die  korinthische  Flotte  zu  erwarten.  Die 
Aussichten  waren  schlecht.  Denn  je  näher  er  dem  Kriegsschau  platze 
kam,  um  so  mehr  häuften  sich  die  Nachrichten  von  dem  unrettbaren 
Zustande  der  Syrakusaner.  Schon  glaubte  man  Sicilien  ganz  aufgeben 
zu  müssen;  nur  Italien  wollte  man  zu  retten  suchen,  und  zu  dem 
Zwecke  beschloss  Gylippos  mit  seinen  vier  Schiffen  voranzugehen. 

Er  landete  in  Tarent,  und  suchte  dann  seine  Verbindungen  mit 
Thurioi  zu  benutzen,  um  die  Stadt  den  Athenern  abwendig  zu  machen 
und  in  Italien  eine  Macht  gegen  Athen  zu  Stande  zu  bringen.  Die  Thu- 
riaten  aber  blieben  den  Athenern  treu  und  schickten  ihnen  sogar  eilige 
Botschaft  von  der  Ankunft  des  peloponnesischen  Geschwaders.  Gylippos 
selbst  aber  wurde  durch  einen  Sturm  nach  Tarent  zurückgeworfen  und 
musste  dort  Wochen  lang  auf  die  Wiederherstellung  seiner  Schiire 
warten. 

So  kläglich  begann  die  ganze  Unternehmung.  Aher  bald  änderte 
sich  Alles.  Denn  die  Athener,  welche  sich  als  unbedingte  Herren  der 


Digitized  by  Google 


GYLIPPOS  IPt  SYRAKUS  (»1.  S;  414  JULI).  659 

See  fühlten,  hatten  nichts  gethan,  um  die  Zugänge  zum  sicilischen 
Meere  zu  hüten,  und  nun  zeigte  sich  der  Nachtheil  davon,  dass  die  Stadt 
Messana,  der  Schlüssel  des  sicilischen  Sundes,  worauf  Alkibiades  von 
Anfang  an  sein  Augenmerk  gerichtet  hatte,  nicht  in  attische  Gewalt 
gebracht  worden  war  (S.  646).  Nikias  schickte  freilich  auf  die  Bot- 
schaft der  Thuriaten  vier  Trieren  nach  Rhegion,  aber  zu  spät.  Denn 
Gylippos  halte  in  Lokroi  die  ersten  genaueren  Nachrichten  über  Syrakus 
erhalten,  und  so  wie  er  in  Erfahrung  gebracht  hatte,  dass  die  Ein- 
schliefsung  der  Stadt  noch  nicht  vollständig  ausgeführt  sei,  änderte  er 
seine  Beschlüsse,  fuhr,  da  er  den  Sund  von  Messana  ofTen  fand,  an  der 
Nordküste  entlang,  landete  unbehindert  in  Himera,  und  so  wie  er  seinen 
Fufs  auf  sicilischen  Boden  setzte,  nahm  der  Verlauf  des  ganzen  Kriegs 
eine  neue  Wendung 

Gylippos  hatte  nur  700  Krieger  bei  sich.  Aber  die  kleine  Macht 
welche  an  der  italischen  Küste  mit  leichter  Mühe  hätte  vernichtet  wer- 
den können,  wuchs  nun  rasch  an,  indem  er  aus  Gela,  Selinus  und  dem 
Innern  der  Insel  mehr  als  2000  schwer-  und  leichtbewaffnete  Krieger 
zusammenbrachte  und  Reiterei  herbeischaffte.  So  erschien  er  unver- 
muthet  im  Rücken  der  belagerten  Stadt,  welche  schon  durch  den 
Korinther  Gongylos  von  der  nahenden  Hülfe  in  Kenntniss  gesetzt  war 
und  deshalb,  mit  frischem  Muthe  beseelt,  alle  Unterhandlungen  abge- 
brochen hatte.  Während  die  Athener  das  letzte  Ende  der  südlichen 
Einschliefsungsmauer  am  Hafen  fertig  bauten,  rückte  Gylippos  über  die 
Höhen  von  Epipolai  durch  die  Lücke  der  nördlichen  Mauer  ungehindert 
in  Syrakus  ein,  wo  ihm  bereitwillig  alle  Hülfsmittel  und  Streitkräfte  zu 
Gebote  gestellt  wurden. 

Die  Athener  verliefsen  sich  noch  immer  auf  ihre  fast  vollendeten 
Einschliefsungsmauern  und  hofften  vielleicht  gar,  dass  die  größere 
Truppenmenge  in  Syrakus  nur  dazu  dienen  werde,  den  Nothstand  der 
Belagerten  zu  erhöhen.  Aber  bald  merkten  sie  mit  Erschrecken,  welch 
ein  Geist  jetzt  in  der  Stadt  herrsche.  Auf  einmal  rückte  wieder  ein 
Heer  in  Schlachtordnung  gegen  ihre  Linien  vor,  und  nachdem  noch  vor 
wenig  Wochen  Gesandte  wegen  Uebergabe  der  Stadt  in's  Lager  gekom- 
men waren,  kam  jetzt  ein  Herold,  der  einen  Waffenstillstand  anbot 
wenn  die  Athener  binnen  5  Tagen  mit  Heer  und  Flotte  aus  Sicilien  ab- 
ziehen wollten.  So  suchte  Gylippos  die  Verzagtheit  der  Bürger  in  Sieges- 
muth  zu  verwandeln.  Die  Kriegsparteien  tauschten  ihre  Rollen  aus. 
Die  Athener  wurden  in  die  Vertheidigung  gedrängt,  während  die  Syra- 

42* 


Digitized  by  Google 


600 


GYLIPPOS  15  SYRAKUS  (»1,  3;  414  JULI). 


kusaner  durch  unablässige  Angriffe  den  weiteren  Gang  der  Kämpfe  be- 
stimmten. 

Gleich  die  erste  Unternehmung  des  Gylippos  war  von  entscheiden- 
der Bedeutung.  Er  rückte  von  Tyche  aus  und  zog  unter  dem  Nordrande 
der  Bergterrasse  bis  an  den  Fufs  des  Labdalon,  das,  wie  wir  sahen,  hart 
am  Rande  lag.  So  gelang  es  ihm,  von  den  Athenern  unbemerkt  hinan- 
zukommen. Dann  stürmte  er  plötzlich  hinauf  und  erstieg  die  Ver- 
schanzung; die  Besatzung  wurde  niedergemacht,  und  der  Platz,  mit 
dessen  Befestigung  die  Athener  ihre  Belagerung  so  glücklich  begonnen 
hatten,  war  in  den  Händen  der  Syrakusaner;  sie  hatten  jetzt  neben  den 
Athenern  festen  Fufs  auf  Epipolai. 

Durch  die  Ueberrumpelung  von  Labdalon  wurde  das  Nächste,  was 
zu  thun  war,  wesentlich  erleichtert;  nämlich  der  Bau  einer  Quermauer 
über  den  Rücken  von  Epipolai,  nach  Euryalos  zu,  um  die  Vollendung 
der  Einschliefsungsmauer  zu  verhindern,  welche  die  Athener  mitten  im 
Werke  verlassen  hatten,  weil  sie  die  südliche  zuerst  fertig  machen 
wollten  (S.  654);  das  Material  lag  schon  an  den  Baustellen.  Hier  war 
jetzt  der  Brennpunkt  des  Kampfes;  das  Terrain,  auf  dem  man  die  Quer- 
mauer führen  wollte,  musste  erobert  werden.  Im  ersten  Handgemenge 
wird  Gylippos  zurückgeschlagen.  Um  dadurch  den  Muth  der  Truppen 
nicht  erschüttern  zu  lassen,  erklärt  er  das  Misslingen  als  eine  Folge 
seiner  mangelhaften  Führung;  Reiterei  und  Bogenschützen  hätten 
zwischen  den  Mauerwerken  ihre  Stärke  nicht  entwickeln  können.  Er 
erneuert  den  Angriff  auf  einem  freieren  Terrain ;  die  Athener  werden 
geschlagen,  sie  räumen  das  Feld  und  die  Quermauer  der  Belagerten 
wird  noch  in  derselben  Nacht  über  die  Linie  der  Athener  hinausgeführt. 
Dadurch  war  die  Einschliefsung  der  Stadt,  welche  bis  auf  eine  kurze 
Strecke  vollendet  war,  ein  für  allemal  unmöglich  geworden.  Die  Athener 
waren  jetzt  auf  das  Rundkastell  und  die  von  dort  zum  Hafen  reichende 
Doppelmauer  beschränkt.  Sie  waren  schon  jetzt  mehr  die  Belagerten 
als  die  Belagerer;  sie  hatten  im  Landkampfe  keine  Zuversicht  mehr, 
und  Nikias  musste  neue  Mafsregeln  ergreifen,  welche  schon  mehr  auf 
Rettung  hinzielten,  als  auf  Sieg.  Er  wandte  sein  Augenmerk  vorzugs- 
weise auf  die  Flotte. 

Die  attischen  Schiffe  hatten  bis  jetzt  im  innersten  Theile  des 
grofsen  Hafens  gelegen,  wo  die  Doppelmauer  den  Strand  erreichte. 
Dieser  Standort  halte  den  Nachtheil,  dass  die  Schiffe  nicht  schnell  ge- 
nug bei  der  Hand  waren,  wenn  es  vor  dem  Hafen  etwas  zu  thun  gab. 


Digitized  by  Google 


DIE  ATHENER  AUF  PLEMMYRION. 


661 


Darauf  kam  es  aber  nun  um  so  mehr  an,  da  zwölf  korinthische  Trieren 
trotz  der  ausgesendeten  attischen  Wachtschiffe  glucklich  eingelaufen 
waren.  Ihre  Mannschaften  hatten  schon  auf  das  Wirksamste  hei  den 
Mauerbauten  auf  Epipolai  geholfen,  welche  nach  dem  umsichtigen  Plane 
des  Gylippos  so  angelegt  waren,  dass  die  Athener  durch  eine  lange  Be- 
festigungslinie  von  dem  nördlichen  Theile  der  Hochfläche  gänzlich  ab- 
geschnitten wurden.  Es  war  vorauszusehen,  dass  nach  Vollendung  die- 
ser Werke  und  vollständiger  Sicherung  der  Landseite  der  Hafen  selbst 
der  Kampfplatz  werden  müsse.  Nikias  wollte  also  vor  Allem  Herr  des 
Eingangs  sein  und  deshalb  beschloss  er  das  felsige  Vorgebirge  Plem- 
myrion,  das  Ortygia  gerade  gegenüber  lag  und  von  Süden  die  Einfahrt 
beherrschte,  zu  befestigen.  Hierher  verlegte  er  die  Hauptmagazine  und 
den  gröfseren  Theil  der  Flotte;  von  hier  konnte  er  die  Landungsplätze 
von  Syrakus  blokiren  und  stand  selbst  mit  dem  offenen  Meere  in  sicherer 
Verbindung.  Aber  dies  neue  Hauptquartier  hatte  wesentliche  Nach  theile, 
namentlich  den  des  Wassermangels,  welcher  die  Mannschaft  nöthigle, 
weite  Wege  zu  machen,  um  ihren  Bedarf  herbeizuholen,  und  sich  dabei 
der  feindlichen  Reiterei  auszusetzen.  Dieser  Umstand  wurde  auch  zum 
Ueberlaufen  benutzt;  denn  es  war  unter  den  Seeleuten  gepresstes  Volk, 
welches  die  Gelegenheit  wahrnahm,  sich  dem  Zwange  zu  entziehen. 
Viele  waren  auch  nur  als  Abenteurer  mitgegangen,  um  im  fernen  Lande 
ihr  Glück  zu  machen,  und  hatten,  als  die  Unternehmung  eine  ernste 
Wendung  nahm,  wenig  Lust,  Mühseligkeit  und  Gefahr  zu  erdulden. 
Am  unzuverlässigsten  aber  waren  die  in  Sicilien  geworbenen  Leute159). 

So  geschah  es,  dass  die  Streitkräfte  der  Athener  in  bedenklicher 
Weise  abnahmen,  während  ihren  Feinden  von  allen  Seiten  neue  Mann- 
schaft zuströmte.  Denn  Gylippos  selbst  hatte,  so  wie  er  in  Syrakus  ent- 
behrt werden  konnte,  die  Inselstädte  bereist  und  mit  Ausnahme  der 
schwachen  Bundesorte  Athens  ganz  Sicilien  zu  gemeinsamer  Rüstung 
vereinigt  Auch  auf  Bildung  einer  sicilischen  Flotte  nahm  man  Bedacht, 
für  welche  das  peloponnesische  Geschwader  den  Stamm  bildete.  Es 
waren  frisch  ausgerüstete  Trieren  mit  kriegslustiger  Mannschaft,  wäh- 
rend die  attischen  Schiffe,  welche  nicht  auf  das  Land  gezogen  werden 
konnten,  anfingen  zu  faulen  und  leck  zu  werden;  zur  Ausbesserung  des 
Schadhaften  fehlte  es  an  den  nöthigen  Räumlichkeiten;  die  Kriegszucht 
war  schlafT  geworden,  weil  die  Schiffe  meist  unthätig  im  Hafen  gelegen 
hatten.  Auch  war  es,  wie  die  Sachen  jetzt  standen,  von  Seiten  der 
Athener  unmöglich,  etwas  zu  unternehmen,  um  die  Lage  zu  ändern 


Digitized  by  Google 


002 


MKIAS'  ÜBLE  LAGE  (91,  S;  414  HERBST). 


und  neuen  Kriegsmuth  hervorzurufen.  Denn  man  brauchte  so  viel 
Mannschaft,  um  die  weitläufigen  und  nun  zum  Theil  ganz  unnützen 
Verschanzungen  zu  besetzen,  dass  keine  Truppen  da  waren,  um  einen 
Schlag  gegen  die  Syrakusaner  und  ihre  Werke  auszuführen.  Dabei  war 
man  durch  die  feindliche  Reiterei,  welche  die  attischen  Lager  um- 
schwärmte, an  jeder  freien  Bewegung  gehindert  und  unaufhörlich  be- 
unruhigt, und  endlich,  was  das  Bedenklichste  war,  man  sah  von  Plem- 
myrion  aus,  wie  die  Schifle  vor  Ortygia  unablässig  beschäftigt  waren, 
sich  zu  üben  und  zum  Kampfe  vorzubereiten. 

Die  Lage  wurde  also  mit  jedem  Tage  bedenklicher,  und  Nikias 
war  es,  auf  welchem  die  ganze  Verantwortlichkeit  ruhte,  er,  der  un- 
tauglicher war,  als  irgend  ein  Anderer,  um  den  Muth  der  Seinen  auf- 
zurichten, da  er  selbst  Alles  so  schwarz  wie  möglich  ansah;  von  Natur 
unfähig,  einem  kecken  und  unermüdlichen  Gegner,  der  alle  Vorlheile 
des  Angriffs  hatte,  die  Spitze  zu  bieten,  aufserdem  beunruhigt  von  dem 
Bewusstsein\  dass  nicht  ohne  seine  Schuld  die  Lage  so  schlimm  ge- 
worden sei,  und  endlich  noch  durch  eine  schmerzhafte  Nierenkrauk- 
heit  gepeinigt,  welche  ihm  zeitweise  die  Führung  des  Oberbefehls  ganz 
unmöglich  machte.  Unter  diesen  Umständen  hätte  er  für  seine  Person 
gewiss  am  liebsten  so  bald  wie  möglich  die  ganze  Belagerung  aufge- 
geben, aber  er  wagte  nicht,  die  Verantwortlichkeit  eines  solchen  Schritts 
auf  sich  zu  nehmen;  er  hatte  nicht  die  nölhige  Entschlossenheit  und 
Selbstverläugnung,  um  ohne  Rücksicht  auf  sich  das  zu  thun,  was  nach 
seinem  Ermessen  die  Verhältnisse  forderten.  Es  blieb  ihm  also  nichts 
übrig,  als  mit  voller  Aufrichtigkeit  die  Lage  der  Dinge  nach  Athen  zu 
melden  und  der  Bürgerschaft  anheimzugeben,  entweder  die  Flotte 
zurückzurufen  oder  eine  neue  Macht  auszurüsten,  so  grofs  wie  die 
erste,  um  den  Krieg  wieder  wie  von  vorne  anzufangen.  Auf  jeden  Fall 
aber  solle  man  ihn  seines  Feldherrnamts  entbinden,  welches  eine  frische 
und  gesunde  Kraft  verlange.  Er  setzte  dies  in  einem  eigenbändigen 
und  ausführlichen  Schreiben  auseinander,  damit  nicht  etwa  die  Abge- 
ordneten, aus  Scheu,  so  Unwillkommnes  zu  berichten,  das  Schlimmste 
milderten  oder  verschwiegen. 

Der  Brief  kam  um  die  Mitte  des  Winters  in  Athen  an,  seine  Wir- 
kung war  aber  eine  ganz  andere,  als  die,  welche  Nikias  beabsichtigt 
hatte.  Denn  so  erschütternd  auch  der  Eindruck  war,  als  die  trübe 
Bolschaft  in  der  Bürgerschaft  verlesen  wurde,  man  war  doch  einig, 
den  Krieg  nicht  aufzugeben.  Auch  wurde,  so  viel  bekannt,  kein  Un- 


Digitized  by  Google 


.NEUE  RÜSTUNGEN. 


wille  gegen  den  Feldherrn  laut,  so  wenig  man  auch  verkennen  konnte, 
dass  sein  Benehmen  nicht  tadelfrei  war.  Das  Vertrauen  zu  seiner 
Person  war  unerschüttert,  und  man  ging  auf  seine  Wünsche  nur  so 
weit  ein,  dass  man  ihm  zwei  Mitfeldherrn,  Menandros  und  Euthydemos, 
an  die  Seile  stellte.  Die  Bürger  bewährten  eine  Gesinnung,  wie  sie 
der  gröfsten  Zeilen  Athens  würdig  war,  eine  Entschlossenheit,  alle 
Opfer  zu  bringen,  um  nur  keine  Schande  auf  Athen  kommen  zu  lassen 
und  den  lauernden  Feinden  keinen  Triumph  zu  gönnen. 

Es  war  ein  inhaltschwerer  Winter,  der  dem  neunzehnten  Kriegs- 
jahre voranging.  Alle  Kräfte,  die  in  den  griechischen  Staaten  noch 
vorhanden  waren,  wurden  auf  beiden  Seiten  in  Bewegung  gesetzt.  Der 
sicilische  Krieg  wurde  mit  steigender  Hitze  fortgeführt,  der  einheimi- 
sche Krieg  loderte  wieder  auf.  Die  Zeit  war  gekommen,  wo  beide  zu 
einem  Brande  sich  vereinigten,  welcher  alles  griechische  Land,  Mutter- 
land und  Colonien,  Osten  und  Westen  zugleich  ergriff,  so  dass  alle 
früheren  Kämpfe  nur  als  ein  Vorspiel  dieses  Kriegs  erschienen.  Denn 
je  mehr  nun  zu  Lande  und  zur  See  alle  Mittel  aufgeboten  wurden,  um 
so  deutlicher  fühlte  man,  dass  es  jetzt  nicht  wieder  zu  einem  faulen 
Frieden  kommen  könne,  dass  es  sich  jetzt  um  eine  letzte  Entscheidung 
handele.  Im  ganzen  Peloponnes  wurde  Aushebung  gehalten,  um  Athen 
zu  Hause  und  in  Sicilien  anzugreifen,  in  Korinth  eine  neue  Flotte  aus- 
gerüstet. Von  Athen  gingen  zehn  Kriegsschiffe  mit  Geld  und  Truppen 
unter  Eurymedon  unverzüglich  nach  Syrakus,  um  das  dortige  Heer  zu 
ermuthigen,  während  Demosthenes  den  Auftrag  erhielt,  für  das  Früh- 
jahr die  umfassendsten  Rüstungen  zu  machen,  und  zwar  nicht  allein 
gegen  Syrakus,  sondern  es  wurde  eine  besondere  Flotte  von  zwanzig 
Schiffen  für  Naupaktos  bestimmt,  um  den  Korinthern  den  Weg  nach 
Sicilien  zu  verlegen,  und  eine  zweite  Flotte  von  dreifsig  Schiffen  sollte 
den  Krieg  an  den  pelopounesischen  Küsten  wieder  eröffnen. 

In  denselben  Wintermonaten  war  aber  auch  Gylippos  nicht  un- 
thälig  gewesen;  er  halte,  so  wie  er  die  Athener  zur  Fortführung  des 
Kampfes  entschlossen  sah,  Alles  versucht,  um  Nikias  vor  Ankunft  des 
neuen  Heers  zu  vernichten,  und  wenig  fehlte,  so  wäre  Demosthenes 
zu  spät  gekommen. 

Wie  der  sicilische  Krieg  in  so  vielen  Punkten  eine  Wiederholung 
früherer  Kriegslagen  darbietet,  so  war  es  auch  jetzt  mit  der  Stellung 
der  beiden  Heere  zu  einander  der  Fall.  Syrakus  war  die  siegreiche 
Landmacht,  die  Athener  die  Seemacht,  welche  den  Hafen  und  die  offene 


Digitized  by  Google 


664 


EROBERUNG  VON  PLEMMYIUOX  (91.  8;  «14  JÜL1). 


See  beherrschte.  Es  konnte  also  zu  keiner  Entscheidung  kommen, 
wenn  die  Syrakusaner  nicht  den  Muth  fassten,  ihren  Feinden  zu  Wasser 
entgegenzutreten.  Um  hiezu  die  Bürger  zu  ermulhigen,  war  Hermo- 
krates,  der  neben  Gylippos  wieder  zu  seinem  alten  Ansehen  gekommen 
war,  vor  Allen  thätig.  Er  zeigte  ihnen,  wie  die  Athener  selbst  durch 
den  Drang  der  Noth  aus  einem  Landvolke  zu  einem  Seevolke  geworden 
wären;  so  müssten  auch  sie  jetzt,  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  zuerst 
Verluste  zu  erleiden  den  Athenern  zu  Wasser  die  Spitze  bieten  und 
sich  ihr  Meer  zurückerobern.  Korinthische  Seeleute  waren  die  Lehr- 
meister, und  die  Syrakusaner  selbst  halten  noch  aus  der  Zeit  der 
Tyrannen  seemännische  Fertigkeit  so  wie  mancherlei  bauliche  Ein- 
richtungen, welche  ihnen  jetzt  zu  Gute  kamen.  Denn  wahrscheinlich 
hatte  schon  Gelon  aufser  dem  grofsen  Hafen  auch  die  an  der  äufseren 
Seite  des  Isthmus  von  Ortygia  gelegene  kleine  Bucht  mit  benutzt  und 
auch  hier  Arsenal  und  Werften  angelegt. 

Die  kleine  Bucht  ist  von  Natur  nicht  sehr  brauchbar,  sie  ist 
seicht  und  gegen  Osten  offen;  aber  ein  Doppelhafen  mit  verschiedenen 
Eingängen  war  für  jede  Seestadt  ein  unschätzbarer  Vorzug,  und  jetzt 
gewährte  der  kleine  Hafen  besonderen  Nutzen,  weil  er  im  Schutze  der 
Stadt  lag  und  der  Aufmerksamkeit  der  Athener  mehr  entzogen  war. 
Aufserdem  wurde  aber  auch  in  dem  grofsen  Hafen  gebaut  und  geübt, 
und  so  konnten  die  Syrakusaner  noch  vor  Ankunft  des  Demosthenes 
den  offenen  Seekampf  gegen  die  Athener  beginnen.  Fünf  und  dreifsig 
Schiffe  brachen  eines  Morgens  aus  dem  grofsen,  fünf  und  vierzig  aus 
dem  kleinen  Hafen  hervor,  um  sich  zu  einem  gemeinsamen  Angriffe 
auf  Plemmyrion  zu  vereinigen.  Die  Athener  freuten  sich  endlich  Ge- 
legenheit zum  offenen  Kampfe  zu  haben  und  schlugen  die  überlegene 
Zahl  der  feindlichen  Schiffe  im  Kanäle  mit  grofsem  Vorth  eile  zurück. 
Gylippos  aber  hatte  von  diesem  Seekampfe  seine  Pläne  keineswegs  ab- 
hängig gemacht;  derselbe  bildete  nur  einen  Theil  seines  Angriffs.  Er 
selbst  hatte  sich  in  der  Nacht  zuvor  mit  einer  Schaar  um  das  Lager 
der  Athener  am  Anapos  herumgeschlichen  und  sich  vom  Olympieion 
her  dem  attischen  Schiffslager  genähert  In  denselben  Frühstunden 
nun,  in  welchen  die  unerwartete  Seeschlacht,  wie  er  voraussetzen 
konnte,  die  Aufmerksamkeil  der  Besatzung  von  Plemmyrion  völlig  in 
Anspruch  nahm,  erstieg  er  die  Schanzen  von  der  Landseite,  und  das 
Schiffslager  fiel  mit  bedeutenden  Geld-  und  Kriegsvorräthen  den  Syra- 
kusanern  in  die  Hände. 


Digitized  by  Google 


NEUE  RÜSTUNGEN  DER  SYRAKUSAIS' ER 


66:> 


Damit  war  der  Krieg  in  ein  neues  Stadium  getreten.  Der  See- 
sieg war  zu  einer  Niederlage  geworden.  Die  attische  Flotte  musste 
wieder  zu  ihrem  allen  Standorte  im  innersten  Theile  des  grofsen 
Hafens  zurückkehren ,  und  da  die  Mündung  desselben  in  den  Händen 
der  Feinde  war,  so  musslen  ihre  Schifle  sich  durchschleichen  oder 
durchschlagen,  um  in  das  freie  Meer  zu  kommen.  Die  Syrakusaner 
dagegen  fühlten  sich  nun  als  Herren  ihres  Hafens;  ihr  Selbstgefühl 
wuchs,  nachdem  sie  sich  einmal,  wenn  auch  ohne  günstigen  Erfolg, 
mit  den  feindlichen  Schiffen  gemessen  hatten.  Sie  machten  im  äufseren 
Meere  kecke  Streifzüge,  fingen  attische  Transportschiffe  auf,  zerstörten 
attische  Vorräthe  an  den  Küsten  von  Italien;  auch  das  äufeere  Meer 
gehörte  nicht  mehr  den  Athenern. 

Gylippos  liefs  es  nie  dazu  kommen,  dass  man  sich  bei  den  er- 
rungenen Vortheilen  beruhigte.  Jede  Erfahrung  wurde  benutzt,  um 
wirksamere  Angriffs  weisen  auszusinnen;  jeder  Sieg  rasch  in  die  Um- 
lande  verkündigt,  um  die  noch  unthäligen  Städte  zur  Theilnahme  an 
der  bevorstehenden  Siegesbeute  anzureizen.  Von  Akragas,  von  Gela 
und  selbst  von  Kamarina  kam  Zuzug.  Ein  Theil  desselben  wurde  frei- 
lich durch  einen  wohlgelungenen  Ueberfall  von  Seiten  der  attischen 
Bundesgenossen  in  Sicilien  vernichtet  und  dadurch  der  Todesstofs, 
der  gegen  die  Macht  des  Nikias  vorbereitet  wurde,  verzögert  und  ge- 
lähmt. Aber  dennoch  kam  es  noch  vor  Ankunft  der  neuen  Flotte  zu 
einem  Seekampfe,  zu  dem  man  sich  durch  eine  neue  Einrichtung  der 
Schiffe  gerüstet  halte.  Der  korinthische  Steuermann  Ariston  nämlich 
hatte  eine  Neuerung  eingeführt,  welche  in  Korinth  bei  den  letzten 
Hüstungen  angewendet  worden  war,  und  die  hier  ganz  besonders  am 
Orte  zu  sein  schien,  um  im  engen  Hafenwasser,  wo  den  Athenern  keine 
Gelegenheit  gegeben  war,  ihre  taktische  Beweglichkeit  zu  entwickeln, 
die  sicilischen  Schiffe  stärker  und  gefährlicher  zu  machen.  Er  ver- 
kürzte nämlich  die  Vordertheile  der  Schiffe,  machte  sie  fester  und 
schwerer  und  versah  sie  rechts  und  links  mit  vorragenden  Balken- 
köpfen von  grofser  Dicke,  welche  in  dem  Schiffsrumpfe  einen  starken 
Widerhalt  hatten.  Dadurch  war  man  im  Stande,  gerade  auf  die  feind- 
lichen Schiffe  losgehn  und  die  schwächeren  Wände  derselben  durch 
blofses  Aufstofsen  zertrümmern  zu  können. 

Nikias  war  mit  gutem  Grunde  dagegen,  eine  Seeschlacht  anzu- 
nehmen; aber  seine  neuen  Amtsgenossen  (S.  663)  zeigten  einen  sehr 
unzeitigen  Ehrgeiz;  sie  waren  begierig,  vor  Ankunft  des  Demosthenes 


666    ZWEITE  SEESCHLACHT  (91,  8;  413  JULI).    DEMOSTHENES'  ANKUNFT. 

etwas  Rühmliches  auszuführen,  und  so  kam  es,  dass  die  Athener  unter 
den  ungunstigsten  Umständen  aus  ihrem  Schiffslager  vorgingen  und 
unmittelbar  vor  demselben  eine  vollständige  Niederlage  erlitten.  Nun 
war  der  Siegesmulh  auf  der  einen ,  die  Hoffnungslosigkeit  auf  der 
anderen  Seite  vollständig,  denn  es  bedurfte  jetzt  nur  eines  zweiten  An- 
griffs, um  den  Kest  der  altischen  Macht  zu  vernichten158). 

Da  zeigte  sich  eine  grofse  Flotte  vor  der  Mündung  des  Hafeus. 
Es  war  Demosthenes  mit  73  neuen  Trieren ,  5000  schwerbewaffneten 
Kriegern  und  einer  grofsen  Anzahl  leichler  Truppen  jeder  Art;  denn 
er  hatte  in  Akarnanien  so  wie  an  der  italischen  Küste  in  Rhegion  und 
bei  den  Japygiern  seine  Mannschaft  bedeutend  verstärkt  und  er  war 
ja  als  Führer  leichtbewaffneter  Schaaren  mit  Recht  besonders  berühmt 
Mit  stolzer  Pracht  und  hellem  Flötenschalle  zogen  die  Schiffe,  ohne 
Widersland  zu  finden,  in  den  Hafen  ein.  Der  Eindruck  war  unbe- 
schreiblich. Die  Syrakusaner,  von  Schrecken  gelähmt,  erbebten  vor 
der  Macht  einer  Stadt,  welche,  in  der  eigenen  Heimath  angegriffen, 
immer  neue  Flotten  aussenden  könne  und  den  furchtbaren  Krieg 
immer  wieder  mit  frischer  Kraft  beginne.  Die  Athener  hatten  wieder 
die  Uebermacht  zu 'Lande  und  zu  Wasser;  sie  halten  wieder  einen 
kühnen  Feldherrn  und  neuen  Siegesmulh. 

Demosthenes  setzte  sich  schnell  in  Keunlniss  der  ganzen  Sach- 
lage. Er  überschätzte  die  Gunst  der  Verhältnisse  nicht ;  er  fand  das 
Heer  krank,  die  Niederung,  wo  das  Hauptquartier  war,  ungesund;  die 
nasse  Herbstzeit  rückte  heran.  Also  verlangte  er,  dass  man  den  Augen- 
blick rasch  benutzte.  Die  Athener,  meinte  er,  müssten  so  schnell  wie 
möglich  zum  Angriffe  übergehen  und  aus  Belagerlen  wieder  zu  Belage- 
rern werden  oder,  wenn  dies  misslänge,  den  Unglückshafen  verlassen. 
Nikias  war  dagegen.  Seine  Muthlosigkeit  war  zum  Eigensinne  geworden, 
seine  Angst  vor  allen  Wagnissen  überwog  jede  vernünftige  Erwägung. 
Er  berief  sich  auf  seine  Verbindung  mit  attischen  Parteigängern  in 
Syrakus;  die  Stadt  sei  an  Geld  erschöpft,  Gylippos  verhasst;  man  solle 
nur  abwarten,  so  würde  man  von  feindlicher  Seite  Unterhandlungen 
beginnen.  Es  waren  vielleicht  nur  tauschende  Vorspiegelungen,  welche 
solche  Erwartungen  in  ihm  nährten. 

Demosthenes'  Plan  wurde  im  Feldherrnrathe  durchgesetzt.  Er 
selbst  war  durchaus  der  Mann,  um  mit  Muth  und  Geistesgegenwart 
den  Handstreich  auszuführen,  welcher  die  Athener  wieder  in  den  Besitz 
der  Höhen  von  Epipolai  setzen  sollte,  von  wo  sie  vor  anderthalb  Jahren 


Digitized  by  Go( 


DEMOSTHENES  STÜRMT  EPIPOLAI  (413  ACQ  ). 


607 


das  Belagerungswerk  begonnen  hatten.  Er  führte  Abends  seine  Truppen 
vom  Anapos  die  unwegsamen  Abhänge  hinan,  überfiel  unvermerkt  die 
oberste  der  syrakusanischen  Festungen,  tödtete  die  Besatzung  und 
begann  schon  die  Gegenmauer,  welche  Gylippos  über  die  Höhen  geführt 
hatte,  abzubrechen.  Die  Athener  waren  wieder  die  Herren  auf  dem 
Gipfel  im  Rücken  der  Stadt,  sie  hielten  Alles  für  gelungen,  sie  eilten  rast- 
los vorwärts,  um  ihre  Vortheile  möglichst  auszubeuten,  —  da  rückteu 
ihnen  die  alarmirten  Truppen  aus  den  städtischen  Verschanzungen  ent- 
gegen, und  es  entspann  sich  auf  dem  wüsten  Rücken  von  Epipolai  ein 
blutiger  Nachtkampf,  welcher  durch  die  festgeschlossenen  Reihen  der 
syrakusanischen  Hülfsvölker,  namentlich  der  Böotier,  für  die  ermüdeten 
und  des  Lokals  unkundigen  Athener  nach  und  nach  eine  ungünstige 
Wendung  nahm.  Verwirrung  riss  ein;  sie  wurde  durch  die  dorischen 
Siegesgesänge  der  eigenen  Bundesgenossen,  der  Kerkyräer  und  Argiver, 
gesteigert;  die  Athener  glaubten  sich  im  Rücken  angegriffen,  und  aus 
dem  Knäuel  eines  blutigen  Handgemenges  stürzten  sich  endlich  die 
Truppen  des  Demosthenes  in  wilder  Flucht  die  steilen  Abhänge  hin- 
unter, welche  sie  heraufgeklommen  waren,  und  erreichten  nach  schwerem 
Verluste,  grofsentheils  ohne  WafTen  und  in  kläglichem  Zustande,  das 
Lager,  wo  Nikias  auf  den  Ausgang  der  Unternehmung  wartete. 

Demosthenes  halte  das  Seine  gethan,  um  das  Unternehmen  der 
Athener  wieder  in  eine  vorteilhafte  Lage  zu  bringen.  Sein  Angriff  auf 
Epipolai  war  zweckmäfsig  angelegt,  geschickt  und  tapfer  ausgeführt, 
aber  nach  kurzem  Erfolg  ohne  seine  Schuld  vollständig  misslungen. 
Denselben  Versuch  mit  besserem  Glücke  zu  wiederholen  war  unmög- 
lich; eine  andere  Weise,  Syrakus  wieder  in  Belagerungszustand  zu  ver- 
setzen, konnte  Keiner  ausfindig  machen.  Also  war  Demosthenes,  der 
von  Anfang  an  mit  voller  Klarheit  geurteilt  hatte,  keinen  Augenblick 
zweifelhaft,  was  die  Pflicht  der  Feldherrn  sei,  die  hier  im  fernen  Lande 
nach  bestem  Ermessen  für  die  Vaterstadt  und  ihr  Heer  zu  sorgen 
hätten.  Man  musste  dasselbe  fortführen,  so  lange  man  noch  volle  Frei- 
heit der  Bewegung  halte  und  ein  Gleichgewicht  der  Streitkräfte  vor- 
handen war.  Jetzt  war  der  Rückzug  noch  ohne  Gefahr  und  auch  ohne 
Schande.  Denn  er  hatte  nicht  das  Ansehen  einer  Flucht,  sondern  das 
einer  verständigen  Abänderung  des  Kriegsplans,  wie  die  Umstände  sie 
geboten.  Die  sicilische  Unternehmung  war  damit  noch  gar  nicht  auf- 
gegeben; denn  man  konnte  von  Katane  aus  bessere  Gelegenheit  finden, 
den  Syrakusanern  Schaden  zuzufügen,  als  in  ihrem  eigenen  Hafen.  In 


Digitized  by  Google 


6«8 


HEMUSTHENE8  WILL  DEN  RICKZUG. 


KaLane  oder  bei  Thapsos  konnten  dann  mit  voller  Freiheit  weitere  Ent- 
schlüsse gefassl  und  die  Befehle  der  Bürgerschaft  eingeholt  werden. 
Nur  aus  dem  Hafen  solle  man  heraus,  lieber  heute  als  morgen. 

Es  lässt  sich  kaum  begreifen,  wie  dieser  Ansicht  vernünftige 
Gründe  entgegengestellt  werden  konnten.  Eurymedon,  der  mit  Demo- 
sthenes  gekommen  war,  stimmte  bei;  aber  —  Nikias  war  dagegen. 
Nikias  war  ein  Mann,  der  immer  nach  Grundsätzen  handelte,  und  der, 
weil  er  kein  Selbstvertrauen  hatte  und  zu  freien  Entschlüssen  unfähig 
war,  wenigstens  möglichst  correkt  handeln  wollte.  Wenn  er  also 
darauf  drang  zu  bleiben,  so  war  es  nicht  etwa  ein  höherer  Muth,  der 
ihn  beseelte,  sondern  Aengstlichkeit  und  Furcht  war  es,  Furcht  vor 
dem  Volke.  Es  war  ihm  in  der  seichten  Ecke  des  Hafens,  in  der  Nähe 
des  Fiebersumpfes  und  der  drängenden  Feinde,  denen  gegenüber  man 
gar  keinen  Kampfplatz  mehr  hatte,  immer  noch  wohler,  als  wenn  er 
sich  in  Gedanken  der  tobenden  Volksversammlung  gegenüber  sah,  vor 
welcher  er  sich  verantworten  sollte,  dass  er  ohne  Befehl  die  Belagerung 
aufgehoben  habe.  In  Syrakus  fühlte  er  sich  auf  seinem  Posten ;  hier 
konnte  er  einfach  seine  Pflicht  thun,  wenn  sie  auch  noch  so  schwer 
war;  in  Athen  musste  er  Anklagen  wegen  Verrath  und  Bestechung  so 
wie  die  ungerechteste  Beurteilung  des  Feldzugs  erwarten;  er  sah  den 
ganzen  Unrouth  über  das  Misslingen  der  Unternehmung  auf  die 
Häupter  der  Führer  sich  entladen,  und  er  fühlte  wohl,  wer  am  meisten 
zu  verantworten  habe.  Er  machte  gellend,  dass  die  Kriegsmittel  der 
Feinde  erschöpft  wären  und  die  Hülfstruppen  wegen  Mangel  an  Löh- 
nung bald  aus  einander  gehen  würden,  er  berief  sich  nach  wie  vor  auf 
heimliches  Einverständniss  mit  einer  Partei  in  Syrakus,  wodurch  er 
sich  selbst  täuschte  oder  täuschen  liefe.  Die  beiden  Mitfeldherrn, 
welche  ihm  schon  früher  zugeordnet  waren,  stimmten  ihm  bei,  und 
der  Abzug  unterblieb.  In  Gnsterm  Unmuth  fügten  sich  Demosthenes 
und  Eurymedon. 

Ganze  Wochen  unwiederbringlicher  Zeit  gingen  vorüber.  Nikias 
empfing  und  entsendete  heimliche  Botschaften;  sonst  geschah  nichts; 
der  Muth  sank  mehr  und  mehr,  immer  trübere  Stimmung  lagerte  sich 
über  Führer  und  Heer,  die  Sumpffieber  griffen  um  sich.  Da  meldeten 
die  Kundschafter  von  neuen  Truppenzügen.  Gylippos  hatte  die  Pelo- 
ponnesier,  die  im  Frühjahre  von  Cap  Tainaron  nach  Libyen  ver- 
schlagen waren  und  auf  Schiffen  der  Kyrenäer  in  Sicilien  landeten,  in 
Selinus  in  Empfang  genommen  und  führte  seine  alten  Kampfgenossen 


Digitized  by  Google 


BESCHLUSS  DES  ABZUGS  (91,  4;  413  AUG.  27). 


609 


nach  Syrakus  hinein,  um  mit  ihnen  den  entscheidenden  Sieg  zu  er- 
fechten. Es  war  Ende  August.  Nun  musste  endlich  auch  Nikias  nach- 
geben; die  letzte  Stunde  war  gekommen. 

In  Eile  und  aller  Stille  werden  die  Mafs regeln  getroffen;  die  Flotte 
wird  in  Katane  gemeldet  und  zugleich  die  Zufuhr  von  dort  abbestellt. 
In  der  Nacht  des  27sten,  einer  Vollmondsnacht,  soll  aufgebrochen 
werden.  Auf  allen  Schiffen  werden  unter  ängstlicher  Spannung  der 
Gemütber  die  letzten  Vorbereitungen  getroffen ;  da  wird  es  nach  9  Uhr 
dunkel  am  Himmel;  der  Mond  verfinstert  sich.  Jäher  Schrecken  ver- 
breitet sich  auf  der  ganzen  Flotte.  In  diesem  Augenblicke  eine  solche 
Naturerscheinung  —  das  schien  ein  Wahrzeichen  der  Götter,  dessen 
Missachtung  ein  Frevel  wäre,  und  da  war  Keiner,  der  wie  Perikles  es 
in  solchen  Fällen  gethan  hatte  (S.  208),  die  abergläubische  Menge  mit 
starkem  Geiste  zu  beruhigen  und  aufzurichten  wusste.  Auch  hatte  der 
Feldherm  Keiner  so  viel  Geistesgegenwart  und  Klugheit,  um  aus  der 
Zeichenlehre  selbst  dem  Volke  nachzuweisen,  dass  für  solche  Unter- 
nehmungen, welche  im  Geheimen  von  Statten  gehen  sollen,  die  Ver- 
finsterung der  Gestirne  ein  günstiges  und  forderliches  Wahrzeichen  sei. 
Die  ganze  Sache,  welche  über  das  Leben  vieler  Tausende  und  das  Heil 
von  Athen  entscheiden  sollte,  kam  in  die  Hände  elender  Zeichendeuter, 
die  handwerksmäfsig  ihr  Gewerbe  trieben.  Denn  das  Unglück  wollte, 
dass  Stilbides  vor  Kurzem  gestorben  war,  der  tüchtigste  aus  dieser 
Zunft,  der  seinen  Einfluss  auf  Nikias  nicht  selten  benutzt  hatte,  ihn 
von  gemeinem  Aberglauben  frei  zu  machen.  Die  jetzt  vorhandenen 
Meister  der  Kunst  erklärten,  man  müsse  einen  vollen  Mondumlauf  ab- 
warten, um  mit  gutem  Gewissen  die  Abfahrt  anzutreten.  Also  drei- 
mal neun  Tage,  wo  jede  Stunde  Verderben  drohte!  Nikias  war  der 
Furchtsamste  von  Allen.  Mehr  als  je  sah  er  sich  unter  der  Macht  dä- 
monischer Gewalten  und  war  mit  nichts  als  mit  Opfern  und  Sühne- 
gebräuchen beschäftigt,  bis  ihn  die  Noth  aus  seinen  finstern  Träu- 
mereien aufscheuchte. 

Die  Syrakusaner  hatten  von  Allem  Kunde  erhalten  und  dachten 
jetzt  nur  an  das  Eine,  dass  sie  die  Athener  nicht  entkommen  liefsen. 
Gylippos  ordnete  einen  Angriff  zu  Lande  und  zu  Wasser  an.  Die 
Athener  waren  an  Schiffszahl  überlegen,  aber  sie  wurden  geschlagen; 
der  Ueberrest  ihrer  Flotte  wurde  immer  mehr  in  den  innersten  Winkel 
eingeengt,  und  nur  der  Unvorsichtigkeit  des  Landangriffs  so  wie  der 
Tapferkeit  der  tyrrhenischen  Bundesgenossen  hatte  man  es  zu  ver- 


Digitized  by  Google 


670 


LETZTE  SCHLACHT  AM  HAFEN  (SEPT.  1). 


danken ,  dass  nicht  die  ganze  Flotte  vernichtet  wurde.  Wie  sich  nun 
die  Athener  nach  dieser  Niederlage  wieder  sammeln,  erblicken  sie  zu 
neuem  Schrecken,  dass  die  Syrakusaner  emsig  beschäftigt  sind,  die 
Mündung  des  Hafens  zu  sperren,  indem  sie  gröfsere  und  kleinere 
Schiffe,  mit  Ketten  verbunden,  in  der  Milte  des  Kanals  vor  Anker 
legen.  ISun  konnte  man  allerdings  nicht  mehr  auf  Mondphasen 
warten.  Nun  musste  unverzüglich  der  Kampf  auf  Leben  und  Tod  be- 
gonnen werden,  wenn  noch  Einer  der  Tausende  seine  Heimalh 
wiederzusehen  gedachte. 

Alle  Mannschaften  wurden  aus  den  Werken  herausgezogen  und 
alle  Schiffe,  schlechte  wie  gute,  zusammen  etwa  110,  bemannt;  sie 
wurden  gegen  die  Stofsbalken  der  feindlichen  Schiffe  so  gut  wie  mög- 
lich gesichert  und  mit  eisernen  Enterhaken  zu  wirksamerem  Angriffe 
versehen.  Eine  nothdürftige  Verschanzung  war  am  Ufer  aufgeworfen, 
um  die  kranke  Mannschaft  und  die  Geräthc  einstweilen  zu  schützen, 
und  nun  ging  Demosthenes  gegen  die  Mündung  vor,  um  hier  mit  Ge- 
walt durchzubrechen. 

Noch  einmal  erklang  der  attische  Päan;  der  Muth  der  Verzweiflung 
entflammte  die  Mannschaft.  Es  gelingt  wirklich  den  mittleren  Durch- 
gang zu  gewinnen  und  die  nächsten  Fahrzeuge  zu  bewältigen.  Dann 
aber  stürzen  von  beiden  Seiten  die  feindlichen  Flotten  gegen  die  Mün- 
dung vor.  Schiff  an  Schiff  drängt  sich  zu  einem  Knäuel  zusammen; 
gegen  zweihundert  Fahrzeuge  werden  handgemein,  und  ringsum  ist 
der  ganze  Uferrand  von  syrakusanischen  Truppen  besetzt;  von  allen 
Seiten  droht  Unheil.  An  eine  geordnete  Schlacht  war  nicht  zu  denken. 
Es  war  eine  belaubende  Verwirrung,  in  welcher  kein  Schiffsführer 
ein  festes  Ziel  im  Auge  hallen  konnte;  es  war  keine  freie  Bewegung, 
kein  Ueberblick,  keine  Leitung  möglich,  und  ohne  dass  man  wusste, 
wie  es  geschah,  wandle  sich  endlich  die  altische  Flotte  in  den  Hafen 
herein  und  flüchtete  zu  den  Werken  am  Strande15*). 

Aber  auch  die  Syrakusaner  hallen  furchtbar  gelitten.  Also  was 
konnte  man  Anderes  thun,  als  am  nächsten  Tage  von  Neuem  vor- 
brechen ,  um  sich  auf  dem  einzigen  Hetlungswege  Bahn  zu  machen ! 
Man  konnte  voraussehen,  dass  das  Gedränge  der  Schiffe  geringer  und 
den  Athenern  freiere  Bewegung  gestattet  sein  würde;  auch  hatten 
diese  noch  immer  eine  Ueberzahl  an  Schiffen.  So  wollten  auch  die 
Feldherm.  Aber  nun  weigert  sich  das  Schiffsvolk.  Es  kommt  zu  allem 
Unglück  auch  dasjenige,  das  allein  noch  gefehlt  hat,  Ungehorsam  und 


Digitized  by  Google 


ABZUG  ZU  LANDE  (SEPT.  3.) 


67  t 


Auflehnung.  Es  war  mit  den  Athenern  so  weit  gekommen,  dass  sie 
eine  unüberwindliche  Angst  hatten,  ihre  Schiffe  zu  besteigen,  auf  denen 
doch  allein  Rettung  möglich  war.  Statt  dessen  verlangen  sie  einen 
Ruckzug  zu  Lande,  welcher  gar  keine  Hoffnung  gewährte.  Und  auch 
dieser  hoffnungslose  Entschluss,  der  in  der  nächsten  Nacht  ausgeführt 
werden  soll ,  wird  noch  verzögert.  Durch  täuschende  Vorspiegelungen 
irre  geleitet,  lässt  man  noch  einen  ganzen  Tag  vorübergehen,  bis  die 
Syrakusaner,  die  sich  in  ihrer  übermüthigen  Siegesfeier  durch  nichts 
hatten  stören  lassen  wollen,  ihren  Festrausch  ausgeschlafen  und  sich 
aufgemacht  hatten,  die  Umgegend  mit  ihren  Truppen  zu  besetzen. 

Nun  beginnt  der  Zug;  ein  Zug  von  40.000  Menschen,  die  einer 
auswandernden  Stadtbevölkerung  gleich,  mit  Gepäck  beladen,  von  der 
Küste  fort  in  ein  feindliches  Land  hineinziehen,  ohne  der  Wege  kundig 
zu  sein,  ohne  ein  festes  Ziel,  ohne  hinreichende  Lebensmittel,  ohne 
Vertrauen  zur  Rettung,  von  Angst  gefoltert,  in  stiller  Verzweiflung 
und  völligem  Stumpfsinne  oder  in  wildem  Unmuthe  gegen  Menschen 
und  Götter  tobend.  Denn  was  nur  an  Trauer  und  Noth  ein  Menschen- 
berz  belasten  kann,  lag  mit  voller  Wucht  auf  dem  Heere,  als  es  die 
Unglücksstätte  verliefs.  Seine  Schiffe  hatte  es  nach  und  nach  in 
Flammen  aufgehen  oder  in  die  Hände  der  Feinde  fallen  sehen.  Von 
den  Todten,  die  umherlagen,  musste  man  Abschied  nehmen,  ohne 
ihnen  die  letzten  Ehren  erweisen  zu  können;  am  furchtbarsten  aber 
war  der  Abschied  von  den  Verwundeten  und  Kranken,  welche  auf  dem 
öden  Strande  verlassen  liegen  blieben,  die  den  fortziehenden  Ver- 
wandten und  Zeltgenossen  laut  nachjammerten,  oder  sich  an  ihre  Ge- 
wänder hingen  und  sich  eine  Strecke  Wegs  fortschleppen  liefsen,  bis 
sie  elend  zusammensanken. 

Die  Feldherrn  thaten  ihre  Pflicht  und  erreichten,  was  möglich 
war.  Sie  ordneten  den  Zug  in  zwei  Heerhaufen;  den  ersten  führte 
Nikias,  die  Nachhut  Demosthenes;  Tross  und  Feldgeräthe  wurden  in 
die  Mitte  genommen,  indem  die  Krieger  in  zwei  länglichen  Vierecken 
marschirten.  Nikias  richtete  sich,  je  schwerer  das  Unglück  wurde, 
um  so  mehr  zu  einer  wahren  Heldengröfse  auf,  deren  Beispiel  nicht 
wirkungslos  blieb.  Er  hielt  vor  dem  Abmärsche  noch  einmal  an  die 
versammelten  Truppen  eine  feierliche  Ansprache,  um  ihnen  Muth  ein- 
zuflößen. Er  stellte  ihnen  die  Möglichkeit  vor,  einen  festen  Punkt  zu 
gewinnen,  wo  sie  sich  vortheilbaft  vertheidigen  könnten;  er  vertröstete 
sie  auf  die  Unterstützung  befreundeter  Inselstämme;  er  wies  sie  auf 


Digitized  by  Google 


672 


KÄMPFE  BEIM  AKRÄI8CHEN  BERGE  (SEPT.  0-8) 


die  Gerechtigkeit  der  Gölter  hin ;  denn  wenn  sie  früher  etwa  durch 
Glanz  und  Macht  die  Hissgunst  derselben  erregt  hätten,  so  könnten  sie 
in  ihrem  gegenwärtigen  Zustande  wohl  auf  das  Mitleid  der  Götter 
rechnen,  welche  die  tief  Gedemüthigten  auch  wieder  aufzurichten  ver- 
möchten. Er  bezeugte  ihnen,  dass  er  selbst  bei  aller  Körper  schwäche 
durch  sein  gutes  Gewissen  getröstet  werde  und  muthig  in  die  dunkle 
Zukunft  blicke.  Aller  Erfolg  aber  sei  von  ihrer  Mannszucht,  Ausdauer 
und  Tapferkeit  abhängig. 

Das  Heer  zog  am  linken  Ufer  des  Anapos  hinauf,  der  in  sumpfigem 
und  schilfreichem  Boden  einen  tiefen  Wasserlauf  bildet.  Schon  in 
diesem  Thale  begann  der  Kampf.  Denn  die  Syrakusaner  wollten  das 
Heer  in  der  Nähe  festhalten,  um  es  wo  möglich  vor  den  Augen  der 
Stadt  zu  vernichten.  Aber  die  Athener  erzwangen  die  Furt,  welche 
in  das  innere  Land  führt,  und  ihre  Feinde  zogen  es  nun  vor,  sie  nicht 
mehr  in  geschlossenen  Reihen  anzugreifen,  sondern  dem  Heere  zu 
folgen  und  durch  fortwährende  Plänkeleien  im  Rücken  und  auf  den 
Seiten  seine  Kräfte  aufzureiben. 

So  rückten  die  Athener  diesen  Tag  eine  Meile  weit  vor  und 
machten  an  einem  Hügel  ihr  erstes  Nachtquartier.  Am  zweiten  Tage 
kamen  sie  in  ebene  Gegend  und  rasteten  hier  nach  kurzem  Marsche, 
um  sich  aus  den  umliegenden  Wohnungen  mit  Proviant  und  Wasser 
zu  versehen,  was  ihnen  ohne  Belästigung  gelang.  Denn  da  der  Feind 
die  Absicht  der  Athener  erkannte,  bei  dem  akräischen  Berge  das  Hoch- 
land zu  erreichen,  wo  sie  mit  Hülfe  der  Sikuler  einen  Weg  nach  Katane 
zu  finden  hofften,  eilte  er  voraus,  um  die  Schlucht,  welche  dahin  führte, 
zu  besetzen  und  zu  verschanzen.  Als  nun  die  Athener  am  dritten  Tage 
ausrücken,  werden  sie  aus  der  Schlucht  heruntergetrieben  und  müssen 
nach  schwerem  Kampf  an  ihren  Lagerort  zurück.  Aber  auch  hier 
können  sie  nicht  bleiben,  weil  ihnen  von  der  Reiterei  aller  Proviant 
abgeschnitten  wird.  Sie  müssen  also  Alles  daran  setzen,  um  am  fol- 
genden Tage  den  Pass  zu  erzwingen155). 

In  den  ersten  Frühstunden  rücken  sie  aus;  sie  stürmen  mit 
heldenmütiger  Tapferkeit,  aber  jede  Anstrengung  ist  vergeblich.  Sie 
werden  von  den  Quermauern,  welche  die  beiden  Thalfurchen  sperren, 
und  von  der  zwischen  liegenden  Höhe  herunter  mit  Pfeilen  und  Wurf- 
geschossen bedeckt,  ohne  ihren  Gegnern  beikommen  zu  können.  Ge- 
witter und  Regengüsse  treten  ein,  welche,  so  wenig  ungewöhnlich  sie 
auch  in  dieser  Jahreszeit  waren,  dennoch  neuen  Schrecken  verbreite- 


Digitized  by  Google 


SCHLACHT  AM  ASIMAROS    (SEPT.  10.). 


673 


teil.  Die  Athener  sahen  in  Allem  nur  Vorzeichen  des  Verderbens.  Es 
folgte  noch  ein  Tag  hoffnungslosen  Kampfes,  der  nichts  als  neue  Ver- 
luste und  Verwundungen  brachte.  Es  wird  also  bei  einbrechender 
Nacht  der  Besch luss  gefasst,  die  bisherige  Richtung  aufzugeben,  und 
während  man  den  Feind  durch  Lagerfeuer  täuscht,  bricht  das  Heer 
gegen  Süden  auf,  nach  der  Küste  zu,  wo  die  Thäler  bessere  Vertheidi- 
gungsplätze  in  Aussicht  stellten  und  bequemere  Zugänge  in  das  Binnen- 
land. Nikias  gelingt  es,  Ordnung  zu  halten.  Er  gelangt  in  der 
Morgenfrühe  in  die  Nähe  der  See  und  gewinnt  die  helorische  Strafse, 
welche  von  Syrakus  in  der  Richtung  auf  das  südliche  Vorgebirge  Sici- 
liens  führt.  Er  eilt  rastlos  vorwärts,  ohne  auf  Demosthenes  zu  warten. 
Augenblickliche  Befreiung  von  der  Noth  der  Verfolgung  erscheint  schon 
als  das  gröfste  Glück.  Demosthenes  ist  es  dagegen  nicht  gelungen  so 
rasch  vorwärts  zu  kommen.  Er  wird  gegen  Mittag  eingeholt  und  in 
neue  Kämpfe  verwickelt.  Sein  vereinzelter  Heerhaufen  wird  ziellos 
fortgeschoben,  umringt  und  endlich  in  einem  grofsen  Gehöfte,  dem 
Polyzeleion,  eingeschlossen,  wo  die  Truppen,  ohne  sich  wehren  zu 
können,  den  Geschossen  massenweise  erliegen.  Jetzt  war  keine  Wahl 
mehr.  Sechstausend  an  der  Zahl  ergeben  sie  sich  dem  Gylippos,  und 
auch  Demosthenes,  dessen  Arm  gehalten  wird,  als  er  sich  den  Todes- 
stofs  versetzen  will,  fällt  lebend  in  seine  Hände. 

Während  dies  geschah,  hatte  Nikias  am  Küstenbache  Erineos 
eine  feste  Stellung  eingenommen.  Hier  erhält  er  die  Nachricht  von 
dem  Geschehenen  und  die  Aufforderung  zur  Uebergabe.  Er  verspricht 
Erstattung  der  Kriegskosten,  wenn  man  freien  Abzug  gewähre.  Diese 
Bedingungen  werden  abgewiesen,  und  die  furchtbare  Verfolgung  be- 
ginnt am  achten  Tage  von  Neuem.  Nikias  machte  die  gröfste  An- 
strengung, um  das  nächste  der  parallelen  Küstenthäler,  das  des  Asina- 
ros,  zu  erreichen;  das  Heer  eilt  in  fieberhafter  Angst  vorwärts,  und  so 
wie  es  des  Wassers  ansichtig  wird,  stürzen  Alle  unbekümmert  um  die 
Feinde,  welche  das  jenseitige  Ufer  schon  besetzt  halten,  in  wilder  Hast 
die  abschüssigen  Wände  hinunter,  indem  sie  sich  gegenseitig  verwun- 
den, zertreten,  niederstofsen,  um  nur  an's  Wasser  zu  kommen  und  die 
Qual  des  Durstes  zu  löschen.  Hier  werden  nun  die  Einen  beim  Trin- 
ken vom  Strome  fortgerissen,  die  Anderen  stürzen  verwundet  hinein; 
denn  vom  Rande  des  Ufers  schleudern  die  sicilischen  Truppen  ihre 
Pfeile  und  Wurfgeschosse  in  die  dichte  Menge,  welche  sich  im  Fluss- 
bette  zusammendrängt;  die  Reiterei  fangt  die  Entfliehenden  auf,  und 

Cortios.  Gr.  Getch.  II.  0.  Aafl.  43 


Digitized  by  Google 


674 


f>AS  SCHICKSAL 


die  Peloponnesier  dringen  mit  dem  Schwerte  in  die  Schlucht  hinunter, 
um  ihre  Opfer  zu  erreichen,  so  dass  das  schlammige  Wasser  blutroth 
wird  und  zwischen  Leichenhaufen  sich  mühsam  Bahn  bricht 

Angesichts  dieses  Blutbades  und  der  vollständigen  Auflösung 
jeder  Ordnung  musste  Nikias  die  Hoffnung  aufgeben,  noch  einen  Theil 
des  Heers  zu  retten.  Er  ergab  sich  dem  Gylippos  unter  der  Bedin- 
gung, dass  er  dem  Morden  Einhalt  thue  und  das  Leben  der  Uebrig- 
gebliebenen  verschone.  Mit  ihm  selbst  möge  er  verfahren,  wie  er 
wolle.  Ein  formlicher  Vertrag  kam  gar  nicht  zu  Stande.  Viele  wur- 
den noch  nach  der  Uebergabe  erbarmungslos  niedergemetzelt;  Andere 
wurden  einzeln  zu  Gefangenen  gemacht  und  als  Haussklaven  bei  Seite 
geschafft.  Endlich  gelang  es  bei  der  allgemeinen  Verwirrung  auch 
einer  nicht  geringen  Anzahl,  jetzt  gleich  oder  bei  späterer  Gelegenheit 
nach  Katane  zu  entkommen. 

So  waren  es  im  Ganzen  nur  etwa  7000,  welche  im  Triumphe 
nach  Syrakus  eingeführt  wurden,  als  Gylippos  von  seiner  mörderischen 
Menschenjagd  heimkehrte.  Die  Masse  der  Gefangenen  wurde  in  die 
Steingruben  gethan,  wo  sie  in  engen  Räumen  zwischen  hohen,  senk- 
rechten Felsen  der  vollen  Gluth  der  Sonne  so  wie  dem  Froste  der 
Herbstnächte  schutzlos  preisgegeben  waren.  Um  das  dem  Nikias  ge- 
gebene Wort  nicht  geradezu  zu  brechen,  wurde  ihnen  auf  acht  Monate 
Mundvorrath  gereicht,  Gerste  und  Wasser,  aber  nur  die  Hälfte  der 
magersten  Sklavenkost,  und  dabei  waren  sie  in  ihrem  namenlosen 
Elende  noch  ein  Schauspiel  des  Volks,  das  von  oben  in  neugierigen 
Gruppen  die  Jammerstätten  ansah,  wo  die  Lebenden  zwischen  Sterben- 
den und  Todten  ihr  Dasein  fristeten.  Auf  die  Länge  mochten  die 
Syrakusaner  selbst  dies  Elend  in  ihrer  Nähe  nicht  dulden.  Nach  siebzig 
Tagen  wurde  das  schauerliche  Gefängniss  geöffnet  und  ein  grofser 
Theil  als  Sklaven  verkauft;  nur  die  geborenen  Athener  und  die  sicili- 
schen  Griechen  wurden  noch  zurückbehalten.  Gerne  glaubt  man  der 
tröstenden  Nachricht,  dass  die  Athener,  welche  sich  durch  Bildung 
auszeichneten,  geschont  wurden,  um  als  Lehrer  in  den  Familien  be- 
nutzt zu  werden ,  so  wie  dass  sie  durch  den  Vortrag  beliebter  Stellen 
aus  Euripides  sich  ihren  Herrn  angenehm  zu  machen  und  ihre  Lage 
zu  mildern  wussten. 

Ueber  Nikias  und  Demosthenes  war  gleich  nach  der  letzten 
Schlacht  ein  öffentliches  Gericht  gehalten  worden.  Gylippos  wollte 
sie  geschont  wissen,  um  sie  nach  Sparta  führen  zu  können.  Er  wusste. 


Digitized  by  Google 


DER  GEFANGENEN. 


675 


dass  er  seinen  Landsleuten  keine  gröfsere  Genugthuung  verschafTen 
konnte,  als  wenn  er  ihnen  den  Sieger  von  Pylos  überlieferte.  Aber 
er  vermochte  nicht  so  viel  über  die  Syrakusaner,  um  sie  zu  bewegen, 
ihre  wilde  Rachsucht  zu  bemeistern.  Die  Volksredner  schmähten 
sogar  den  Mann,  welchem  die  Stadt  Alles  verdankte,  und  liefsen  auch 
die  gemäfsigten  Männer,  wie  Hermokrates,  nicht  zu  Worte  kommen. 
Am  heftigsten  wirkten  zum  Verderben  der  Feldherrn  diejenigen  Bür- 
ger, welche  mit  Nikias  in  heimlicher  Verbindung  gestanden  hatten, 
und  wegen  der  Mittheilungen,  welche  er  machen  konnte,  besorgt  waren. 
Die  anwesenden  Korinther  schürten  die  Leidenschaft,  um  allen  Ge- 
fahren vorzubeugen,  welche  ihnen  etwa  noch  von  den  attischen  Feld- 
herrn erwachsen  könnten;  deshalb  wurde  das  Todesurteil  ausge- 
sprochen und  vollzogen.  So  berichten  Thukydides  und  Philistos,  der 
syrakusanische  Geschichtschreiber  und  Augenzeuge  dieser  Begeben- 
heiten. Nach  Timaios  soll  Hermokrates  noch  während  der  Verhand- 
lung den  Gefangenen  Nachricht  zugeschickt  und  ihnen  Gelegenheit 
gegeben  haben,  sich  selbst  das  Leben  zu  nehmen.  Ihre  Leichen  wur- 
den am  Stadtthore  ausgestellt,  und  das  ganze  Werk  entsetzlicher  Rach- 
sucht dadurch  beendet,  dass  zum  Andenken  an  das  Blutbad  in  der 
Asinarosschlucht  ein  jährliches  Volksfest,  Asinaria  genannt,  in  Syrakus 
gestiftet  wurde156). 


So  endete  der  sicilische  Feldzug  in  einer  Reihe  von  Ereignissen, 
welche  man  sich  auch  heute  nicht  vergegenwärtigen  kann,  ohne  von 
Schauder  ergriffen  zu  werden.  Es  waren  Ereignisse,  welche  alles 
Frühere  vergessen  machen,  mag  man  die  entscheidende  Bedeutung 
derselben,  den  ungeheuren  Wechsel  des  Glücks  oder  auch  nur  die 
Menge  der  dabei  betheiligten  Staaten  in  das  Auge  fassen.  Die  Gränz- 
streitigkeiten  zwischen  Egesta  und  Selinus  hatten  zu  einem  Völker- 
kampfe geführt,  an  welchem  aufser  den  beiden  Bundesgenossenschaften 
von  Hellas  auch  alle  sicilischen  Städte  und  die  italischen  Stämme,  die 
Messapier,  Iapygier  und  Tyrrhener,  sich  betheiligten;  die  alte  Fehde 
zwischen  Athen  und  Sparta  war  zu  einem  Mittelmeerkrieg  geworden 
und  zugleich  die  Leidenschaft  der  Parteien  zu  einer  Kampfwulh  ge- 
steigert, welche  es  nicht  mehr  auf  einzelne  Siege  und  Gewinne  ab- 
gesehen hatte,  sondern  auf  die  Vernichtung  des  Gegners. 

43* 


Digitized  by  Google 


670 


RÜCKBLICK 


Was  aber  den  Ausgang  des  Kriegs  betrifft,  so  hatte  Griechenland 
in  der  Geschichte  seiner  inneren  Fehden  nichts  Aehnliches  erlebt. 
Denn  seit  den  Perserkriegen  war  es  nicht  vorgekommen,  dass  so  voll- 
ständig auf  der  einen  Seite  Alles  verloren,  auf  der  anderen  Alles  ge- 
wonnen wurde.  Die  lange  Reihe  von  Fehlern  und  Unfällen  aber,  durch 
welche  die  Athener  ihrer  zähen  Ausdauer  und  bewunderungswürdigen 
Tapferkeit  ungeachtet  einem  so  vollständigen  Verderben  entgegenge- 
führt worden  sind,  beginnt  mit  dem  Anfange  der  sicilischen  Unter- 
nehmung. 

Sie  rüsten  eine  Land-  und  Seemacht,  wie  sie  Griechenland 
noch  nicht  gesehen  hatte,  aber  während  sie  den  fernen  Westen  erobern 
wollen,  werden  sie  in  der  eigenen  Heimath  von  einer  verrätherischen 
Partei  beherrscht,  welche  mit  dem  Wohl  des  Staats  ein  freventliches 
Spiel  treibt.  Sie  unternehmen  ein  Wagniss,  welches  einen  Führer  von 
rücksichtsloser  Entschlossenheit  und  Gewandtheil  verlangt,  und 
machen  den  Einzigen,  welcher  die  rechten  Eigenschaften  hatte,  zum 
Feinde  des  Staats  und  zum  Gegner  seines  eigenen  Werks;  sie  vertrauen 
die  Forlführung  des  Kriegs  einem  kranken,  ängstlichen  und  wider- 
willigen Feldherrn  an  und  begegnen  einem  Feinde,  welcher  gefahr- 
licher war  als  alle  früheren,  der  den  Hass  der  Dorier  gegen  Athen  in 
vollem  Mafse  theilte  und  zugleich  eine  Fülle  von  Mitteln  und  eine 
geistige  Beweglichkeit  besafs,  wie  sie  in  dorischen  Staaten  sonst  nicht 
vorhanden  war.  Syrakus  war  unter  allen  feindlichen  Städten  die- 
jenige, deren  Bürger  am  meisten  Aehnlichkeit  mit  den  Athenern 
hatten;  sie  konnten  also  nur  durch  die  glänzendste  Entfaltung  attischer 
Thalkrafl  bezwungen  werden.  Dagegen  sind  gerade  jetzt  alle  Talente^ 
durch  welche  die  Feldherrn  Athens  zu  siegen  pflegten ,  auf  Seiten  der 
Feinde,  und  die  Athener,  deren  Stärke  im  kecken  Angriffskriege  lag, 
werden  in  einen  erschlaffenden  und  immer  trostloseren  Vertheidigungs- 
kampf  gedrängt,  bei  welchem  sich  allmählich  Alles  aufzehrte,  worauf 
der  Erfolg  beruhte,  Gesundheit,  Truppenzahl,  Kampfmittel,  Kriegszucht 
und  Kriegsmuth.  Seitdem  aber  einmal  die  Siegeshoffnungen  vereitelt 
waren  und  alle  Gedanken  auf  Rettung  gerichtet  sein  mussten,  da  war 
es  wiederum  Nikias,  der  durch  seinen  Eigensinn  die  allein  vernünftigen 
Pläne  des  Demosthenes  vereitelte.  Nun  war  es  der  zaghafte  Feldherr, 
der  das  Feld  nicht  räumen  wollte,  und  er,  der  eine  krankhafte  Furcht 
vor  jeder  Verschuldung  gegen  Menschen  und  Götter  hatte ,  musste  die 
schwerste  Schuld  auf  sein  unglückliches  Haupt  laden. 


Digitized  by  Google 


AUF  DEN  SICILISCHE.N  FELDZUG. 


♦577 


Aber  es  war  ja  der  Ausgang  des  Kriegs  nicht  blofs  von  einzelnen 
Personen  und  einzelnen  Geschicken  abhängig,  sondern  ganz  Athen 
hülste  für  seine  Unbesonnenheit  und  Verkehrtheit.  Es  büTste  für  jene 
falsche  Politik,  welche  es  seit  dem  letzten  Ostrakismos  befolgt  hatte, 
für  jene  Halbheit  in  seinen  Entschlüssen,  indem  es  sich  von  den  ver- 
lockenden Vorspiegelungen  der  kühnsten  Eroberungspolitik  bethören 
liefe  uud  sich  doch  nicht  entschliefsen  konnte,  die  Schritte  zu  thun, 
welche  allein  im  Stande  waren,  derselben  einen  Erfolg  zu  sichern. 
Man  folgte  dem  Alkibiades  und  schenkte  ihm  doch  kein  Vertrauen; 
man  brach  mit  der  früheren  Politik  und  wollte  doch  die  Männer  nicht 
fallen  lassen,  welche  sie  vertraten ;  das  Unverträgliche  sollte  vereinigt 
werden,  und  in  despotischer  Laune  wollte  das  Volk  seine  Feldherrn 
zwingen,  auch  widerstrebend  seine  Befehle  auszuführen. 

Die  erste  Veranlassung  dieser  ganzen  Kette  von  Missgeschicken  lag 
also  darin,  dass  man  den  Grundsätzen  des  Perikles  untreu  wurde.  Pe- 
rikles  hatte  seiner  Vaterstadt  eine  unangreifbare  Macht  gesichert  und 
ihr  die  Dauer  derselben  verbürgt,  aber  nur  unter  der  Bedingung,  dass 
sie  sich  auf  Erhallung  ihrer  Herrschaft  beschränkte  und  nicht  durch 
unnöthiges  Wagniss  und  abenteuernde  AngrifTspolitik  das  Glück  des 
Staats  auf  das  Spiel  setzte.  Nun  that  man  das  Gegentheil.  Man 
unternahm  etwas,  was  unter  allen  Umständen  dem  Staate  Verderben 
bringen  musste.  Denn'  wenn  der  Feldzug  gelang,  so  musste  der  Ge- 
winn denen  zufallen,  welche  die  unklaren  Grofsmachtsgelüste  der 
Athener  genährt  hatten,  um  dadurch  sich  selbst  über  Gesetz  und 
Verfassung  zu  erheben.  Als  Eroberer  von  Syrakus,  als  Herr  Siciliens 
und  seiner  Schätze,  an  der  Spitze  eines  Heers,  welches  er  durch  reiche 
Beute  an  seine  Person  fesseln  konnte,  würde  Alkibiades  voraussichtlich 
die  Demokratie  gestürzt  und  der  Bürgerschaft,  welche  unfähig  war  ein 
Mittelmeerreich  zu  regieren,  Macht  und  Rechte  genommen  haben.  Bei 
einem  ungünstigen  Ausgange  dagegen  war  nicht  blofs  ein  Einzelnes 
misslungen,  sondern  die  ganze  Grundlage  des  attischen  Staatsgebäudes 
erschüttert.  Denn  was  andere  Staaten  verschmerzen  konnten,  war 
Athen  nicht  im  Stande  zu  verwinden,  da  schon  die  blofse  Erhaltung 
seiner  Macht  eine  Anspannung  aller  Kräfte  und  einen  unversehrten 
Zustand  aller  Hülfsmittel  erforderte.  Wenn  es  aber  bei  anderen 
Staaten  wohl  der  Fall  ist,  dass  das  Unglück  dazu  beiträgt,  ihnen  Theil- 
nahme  und  neue  Bundesgenossen  zu  verschaffen,  welche  der  sieg- 
reichen Partei  den  vollen  Siegesgewinn  missgönnen,  so  hatte  dies  auf 


Digitized  by  Google 


078 


DIE  FOLGEN  DES  SICILISCHEN  KRIEGS 


Athen  keine  Anwendung.  Denn  sein  Unglück  hatte  keine  andere  Folge, 
als  dass  alle  Feinde  sich  zusammenschaarten,  die  allen  wie  die  neuen, 
die  offenen  Feinde  und  die  bis  dahin  niedergehaltenen,  und  dieser 
furchtbaren  Verbindung  stand  Athen  mit  gebrochener  Kraft  und  ganz 
vereinzelt  gegenüber. 

Der  sicilische  Feldzug  ist  daher  nicht  eine  Episode  in  dem  grofsen 
Kriege,  sondern  die  Entscheidung  desselben;  er  ist  das  Gericht,  da» 
über  die  Stadt  des  Perikles  gehalten  worden  ist,  ein  Strafgericht,  von 
welchem  sie  sich  niemals  wieder  zu  ihrer  alten  Gröfse  hat  empor- 
richten  können. 

Aber  auch  den  sicilischen  Städten  brachte  der  Ausgang  des  Feld- 
zugs keinen  Segen.  Der  alte  Hader  erwachte  von  Neuem.  Die  Egesläer 
waren  nach  dem  Untergange  der  attischen  Macht  ihren  übermülhigeo 
Feinden  schutzlos  preisgegeben;  sie  riefen  daher  die  Punier  in  das 
Land.  Ol.  92,  3  (409)  landete  Hanniba],  der  Enkel  Hamilkars  (S.  538), 
auf  der  sicilischen  Küste,  um  die  Niederlage  von  Himera  zu  rächen, 
und  bald  lag  eine  Reihe  der  glänzendsten  Griechenstädte,  Selinus, 
Himera  und  Akragas,  in  Trümmern 1J:). 


Digitized  by  Google 


V. 


DER  DEKELEISCHE  KRIEG. 


Als  die  Kunde  von  der  Niederlage  nach  Athen  gelangte,  war  der  erste 
Eindruck  der,  dass  man  ein  solches  Unglück,  das  alle  Vorstellung  über- 
stieg, für  unmöglich  hielt;  auch  die  zuverlässigsten  Zeugen  fanden 
keinen  Glauben.  Dann,  als  man  sich  entschliefsen  musste  das  Un- 
geheure zu  glauben,  erfüllte  ein  unendlicher  Jammer  die  ganze  Stadt; 
denn  da  war  kein  Haus,  das  nicht  um  Verwandte  und  Freunde  zu 
trauern  hatte;  die  Ungewissheit  über  das  Schicksal  derselben  steigerte 
den  Schmerz;  der  Gedanke  an  die  Ueberlebenden  war  noch  peinlicher, 
als  der  Schmerz  um  die,  welche  man  todt  wusste,  obgleich  auch  hier 
das  schmachvolle  Ende  und  die  Versäumniss  aller  religiösen  Pflichten 
den  Schmerz  um  so  bitterer  machten.  Wie  man  sich  aus  der  dumpfen 
Trauer  aufrichtete,  besann  man  sich  auf  die  Ursachen  des  ganzen  Un- 
glücks, und  nun  richtete  sich  eine  leidenschaftliche  Wuth  gegen  Alle, 
welche  zu  diesem  Unternehmen  gerathen  oder  als  Redner,  Wahrsager, 
Orakeldeuter  eitle  Hoffnungen  des  Siegs  genährt  hatten.  Endlich  ging 
die  Aufregung  der  Bürgerschaft  in  Verzweiflung  und  Angst  über,  so 
dass  man  noch  gröfsere  und  nähere  Gefahren  vor  Augen  sah,  als 
wirklich  vorhanden  waren.  Man  glaubte  jeden  Tag  die  sicilische  Flotte 
mit  den  Peloponnesiern  vor  dem  Hafen  erscheinen  zu  sehen,  um  die 
wehrlose  Stadt  zu  erobern;  man  glaubte,  dass  die  letzten  Tage  Athens 
gekommen  wären. 

Und  in  der  That  schien  es  unmöglich,  dass  Athen  diesen  Schlag 
überwinden  könne.  Denn  was  die  Stadt  früher  in  Aegypten ,  in  Thra- 
kien und  Böotien  an  Niederlagen  erlitten  halte,  war  mit  dem  jetzigen 
Unglück  nicht  von  fern  zu  vergleichen.  Man  hatte  ja  die  ganze  Wehr- 
kraft daran  gesetzt,  um  Syrakus  zu  zwingen.  Ueber  200  Staatsschifle 


Digitized  by  Google 


DIE  LAGE  ATUE.>S  (91,  4;  413  \VI.\TEU). 


waren  mit  ihrer  ganzen  Ausrüstung  verloren,  und  überschlägt  man, 
was  in  den  wiederholten  Sendungen  nach  Sicilien  geschickt  worden 
war,  so  kann  man  mit  Einschluss  der  bundesgenössischen  Truppen 
die  Gesamtsumme  auf  etwa  60,000  Mann  berechnen.  In  den  Gewässern 
von  Naupaktos  lag  noch  ein  Geschwader,  aber  auch  dies  war  in  Gefahr 
und  den  neu  gerüsteten  Korinlheru  gegenüber  in  einer  sehr  ungünstigen 
Lage.  Die  Häfen  und  Schiffsbäuser  waren  leer  und  eben  so  der  Schatz. 
Man  hatte  in  der  Hoffnung  auf  unermesslichc  Beute  und  eine  Fülle 
neuer  Einkünfte  nichts  gespart  und  die  Kräfte  des  Staats  auf  das 
Aeufserste  angestrengt.  Denn  da  man  mit  den  verheifseneu  Unter- 
stützungen der  Egestäer  getäuscht  worden  war,  so  betrug  der  jährliche 
Truppensold  etwa  das  Doppelte  der  Jahreseinkünfte.  Die  zu  Anfang 
des  Kriegs  zurückgelegten  Gelder  waren  also  bald  aufgebraucht  worden, 
und  man  hatte  schon  die  thrakischen  Söldner,  welche  man  nach  Syra- 
kus nachschicken  wollte,  aus  Geldverlegenheit  heimsenden  müssen. 
Zugleich  war  das  Volksvermögen  selbst  stark  angegriffen  durch  die 
Leistungen  der  Trierarchen,  welche  das  Schiffsgeräth  und  freiwillige 
Zulagen  gegeben  hatten;  eine  Menge  von  baarcm  Gelde  war  noch  bei 
den  Gefangenen  gefunden  und  in  die  Hände  der  Feinde  gekommen. 

Viel  schlimmer  aber  als  die  materielle  Einbufse  an  Geld ,  Schiffen 
und  Mannschaft  war  die  moralische  Niederlage,  welche  für  keinen  Staat 
gefährlicher  war,  als  für  Athen.  Perikles  halte  dahin  gestrebt,  dass 
Athen  und  die  Inseln  zu  einem  festen  Ganzen  zusammen  wachsen  soll- 
ten; und  es  war  schon  dahin  gekommen,  dass  die  Inseln  sicherer 
schienen  als  der  Boden  von  Attika  und  dass  man  kostbares  Eigenthum 
dorthin  in  Sicherheil  brachte.  Durch  eine  verständige  Ausbildung  des 
Kleruchiensystems  wäre  ein  Abfall  der  Bundesgenossenschaft  nach  und 
nach  unmöglich  geworden.  Aber  diese  Gedanken  perikleischer  Staals- 
weisheit  waren  nicht  durchgeführt  worden.  Der  Widerwille  gegen  die 
Herrschaft  Athens  war  durch  die  Demagogenpolitik  überall  gesteigert, 
und  das,  was  das  attische  Küstenreich  zusammenhielt,  war  nichts  als 
die  Furcht,  welche  die  Städte  erfüllte,  so  lange  sie  die  Flotten  Athens 
unbedingt  das  Meer  beherrschen  sahen.  Dieser  Bann  war  nun  gelöst. 
Nun  rächte  sich  das  System  herzloser  Selbstsucht;  nun  wurden  auch 
die  unentbehrlichsten  Inselstaaten  und  die,  welche  am  festesten  mit 
Attika  verschmolzen  zu  sein  schienen,  Euboia,  Chios,  Lesbos,  unruhig; 
überall  erhoben  die  oligarchischen  Parteien  ihr  Haupt,  um  die  ver- 
hasste  Herrschaft  zu  vernichten,  und  während  die  Athener  auf  der  Höhe 


Digitized  by  Go 


DIE   LACH  SPAHTAS. 


6S1 


ihrer  Macht  Mühe  gehabt  hatten ,  einzelne  der  abgefallenen  Städte  zu 
zwingen,  so  stand  jetzt  bei  völliger  Mittellosigkeit  ein  allgemeiner  Ab- 
fall in  drohender  Aussicht.  Dazu  kam  endlich,  dass  man  zu  der  eigenen 
Verfassung  alles  Vertrauen  verloren  hatte,  denn  es  war  ja  schon  vor 
beginn  der  sicilischen  Unternehmung  durch  die  Macht  der  heimlichen 
Gesellschaften  (S.  623  f.)  ein  völlig  revolutionärer  Zustand  eingetreten ; 
man  hatte  sich  überzeugt,  dass  die  bestehende  Verfassung  den  Staat  vor 
innerer  Auflösung  nicht  schützen  und  noch  weniger  für  die  Macht  des- 
selben eine  Bürgschaft  geben  könne 

Sparta  dagegen  hatte  in  wenig  Monaten,  ohne  ein  Heer  aufzu- 
stellen, ohne  Gefahr  und  Verlust  die  grölsten  Vortheile  gewonnen, 
wie  sie  der  glücklichste  Feldzug  nicht  hätte  gewähren  können.  Gy- 
lippos  halle  wieder  gezeigt,  was  ein  spartanischer  Mann  wenn  sei, 
da  in  der  Stunde  höchster  Noth  durch  sein  persönliches  Auftreten 
das  gröfsle  und  folgenreichste  Ereigniss  des  ganzen  Kriegs  auf  einmal 
eine  andere  Wendung  erhalten  halte.  Er  war  der  glücklichere  Nach- 
folger des  Brasidas.  Spartas  Ansehen  im  Peloponnes,  das  der  Friede 
des  Nikias  erschüttert  halte,  war  wieder  hergestellt;  mit  Ausnahme 
vou  Argos  und  Elis  stand  es  mit  allen  Bundesgenossen  in  gutem  Ver- 
hältnisse: die  überseeischen  S lammgenossen,  welche  sich  bis  dahin 
fern  gehalten  hatten,  waren  durch  den  Angriff  Athens  in  den  Kampf 
hereingezogen  worden;  sie  waren  jetzt  die  eifrigsten  und  die  kriegs- 
mulhigslen  Bundesgenossen  der  Peloponnesier.  Und  dazu  gehörten 
nicht  nur  die  von  Athen  angegriffenen  Staaten,  deren  Rachsucht  noch 
immer  nicht  befriedigt  war,  sondern  selbst  in  Thurioi  erlangte  jelzl 
die  peloponnesische  Partei  das  Ueberge wicht  und  machte  die  Stadt  den 
Athenern  abwendig,  welchen  sie  sich  noch  vor  Kurzem  so  treu  er- 
wiesen hatte  (S.  658). 

Aufserdem  hallen  die  Athener  den  fähigsten  aller  lebenden 
Staatsmänner  und  Feldherrn  in  das  feindliche  Lager  gelrieben.  Keiner 
war  geeigneter  als  Alkibiades  die  schwerfalligen  Lakedämonier  aufzu- 
rütteln und  in  eine  energische  Bewegung  zu  versetzen;  durch  ihn 
hatten  sie  den  besten  Rath  und  die  genaueste  Kenntniss  der  athe- 
nischen Zustände  und  Oertlichkeiten.  Endlich  hatten  sie  jetzt  auch 
einen  kriegerischen  König,  den  unternehmenden  und  ehrgeizigen  Agis, 
des  Archidamos'  Sohn,  der  schon  bei  Mantineia  (S.  598)  die  Waffen- 
ehre  Spartas  wieder  hergestellt  halle,  der  eifrig  beflissen  war,  frühere 
Mißgriffe,  die  er  sich  in  den  Fehden  mit  Argos  hatte  zu  Schulden 


Digitized  by  Google 


682 


LUE  BEDÜRFNISSE  SPARTAS 


kommen  lassen,  wieder  gut  zu  machen  und  das  königliche  Ansehen 
wieder  zu  heben,  welches  seit  Ol.  90,  3  (418)  durch  die  Einsetzung 
der  Zehnmänner,  die  den  König  als  Kriegsrath  begleiteten,  von  Neuem 
geschwächt  worden  war. 

So  stand  Sparta  mit  neuem  Selbstvertrauen  an  der  Spitze  seines 
Bundes,  während  es  die  vollständige  Auflösung  des  Gegenbundes  er- 
warten konnte.  Die  attische  Seeherrschaft  schien  rettungslos  verloren 
zu  sein,  und  schon  hielt  Sparta  seine  Kriegsvögte  bereit,  um  sie  in  die 
von  Athen  abgefallenen  Städte  zu  schicken  und  die  Hülfskräfte  derselben 
sich  anzueignen.  Es  schien,  als  sollte  der  Sieg  wie  eine  reife  Frucht 
den  Spartanern  in  den  Schofs  fallen.  Aber  zum  vollen  und  sichern 
Siege  gehörte  eine  eigene  Seemacht.  Die  vereinzelten  Insel-  und 
Küstenstädte  waren  unfähig,  eine  gemeinsame  Kriegsmacht  zu  bilden, 
und  Sparta  durfte  von  ihren  Stimmungen  nicht  abhängig  sein ,  wenn 
es  die  erledigte  Seeherrschaft  antreten  wollte,  und  eben  so  wenig 
konnte  die  junge  Marine  der  Sikelioten,  so  willkommen  sie  war,  die 
eigene  Nacht  ersetzen.  Es  bedurfte  eines  festen  Kerns  für  den  von 
allen  Seiten  sich  darbietenden  Anschluss,  einer  spartanischen  Flotte, 
um  welche  sich  die  vereinzelten  Geschwader  sammelten.  Dazu  fehlte 
es  aber  an  allen  Vorbereitungen.  Denn  wenn  sich  auch  die  Ueber- 
zeugung  von  dieser  Noth wendigkeit  im  Laufe  des  Kriegs  immer  mehr 
aufgedrängt  hatte,  so  waren  doch  die  entgegenstehenden  Schwierigkeiten 
nichts  weniger  als  überwunden.  Es  herrschte  nach  wie  vor  die  alle 
Abneigung  gegen  eine  energische  Seerüstung,  und  die  Unfähigkeil,  eine 
Kriegsflotte  zu  bilden,  war  immer  dieselbe  geblieben.  Die  spartanische 
Bürgerschaft  verschmähte  den  Seedienst;  alle  Erfolge,  die  man  etwa 
zur  See  erreichte,  wurden  den  untergeordneten  Klassen  der  Bevöl- 
kerung verdankt  und  bedrohten  also  die  Macht  der  dorischen  Hopliten, 
auf  welcher  der  Staat  beruhte.  Und  dann  stand  Sparta  in  seinen 
Finanzen  noch  ganz  auf  dem  alten  Standpunkte.  Es  hatte  keinen 
Bundesschatz,  keine  regelmäßigen  Einkünfte  von  seinen  Bundes- 
genossen, und  seine  Bürger  halten  kein  Privatvermögen ,  mit  dem  sie 
zu  ausserordentlichen  Anstrengungen  den  Staat  hätten  unterstützen 
können.  Jelzt  bewährte  sich  augenscheinlich,  was  Archidamos  schon 
zu  Anfang  des  Kriegs  gesagt  hatte,  dass  der  Erfolg  desselben  weniger 
von  den  Waffen  als  vom  Gelde  abhängig  sein  würde.  Die  Abneigung 
gegen  eine  Flottenrüstung  konnte  man  überwinden,  da  die  gegenwärti- 
gen Verhältnisse  sie  so  unbedingt  forderten  und  dieselbe  zugleich  so 


Digitized  by  Google 


SPARTA  UND  PERSIEN. 


683 


wesentlich  erleichterten.  Es  fehlte  also  nur  an  Geldmitteln.  Aber  auch 
diese  boten  sich  jetzt  den  Spartanern  in  unverhoffter  Weise  dar,  und 
zwar  in  Folge  der  Verhältnisse,  welche  inzwischen  im  Perserreiche 
eingetreten  waren. 

Die  Beziehungen  zwischen  den  griechischen  Staaten  und  Persien 
waren  nie  ganz  unterbrochen  worden.  Die  Spartaner  hatten  wieder- 
holt mit  dem  Grofskönige  unterhandelt  (S.  414f.),  aber  ohne  Erfolg, 
denn  sie  hatten  es  auch  in  diesen  diplomatischen  Verhandlungen  nicht 
dahin  bringen  können,  eine  klare  und  entschlossene  Politik  zu  befol- 
gen. Auch  hatten  diese  Verhandlungen  in  der  Thal  ihre  grofsen 
Schwierigkeilen.  Denn  die  Perser  hielten  un verrückt  an  ihren  alten 
Grundsätzen  fest  und  nahmen  das  kleinasiatische  Küstenland  für  sich 
in  Anspruch;  eine  andere  Grundlage  der  Verständigung  liefsen  sie 
nicht  gellen.  Also  konnte  von  keiner  Vereinbarung  die  Rede  sein, 
wenn  die  Spartaner  sich  nicht  dazu  verstehen  wollten,  jene  Küsten- 
städte preiszugeben  und  ihre  Wiedervereinigung  mit  dem  Perserreiche 
zu  verbürgen.  Nur  unter  dieser  Bedingung  waren  die  Perser  bereit  zu 
linden,  Sparta  gegen  Athen  mit  Geldmitteln  zu  unterstützen.  So  wenig 
nun  aber  auch  den  Spartanern  an  der  Freiheit  der  jenseitigen  Hellenen 
gelegen  war,  so  scheuten  sie  sich  dennoch  aus  sehr  begreiflichen 
Gründen,  dergleichen  vertragsmäfsig  festzustellen  und  mit  ihrer  helle- 
nischen Politik,  wie  sie  dieselbe  beim  Antritte  des  Kriegs  verkündet 
halten,  in  offenen  Widerspruch  zu  gerathen.  Auch  hatten  sie  nach 
wie  vor  keine  Lust  zu  einem  Flottenkriege  in  Kleinasien,  wozu  sie 
durch  die  Verträge  gezwungen  worden  wären,  wenn  dieselben  den 
Persern  von  Nutzen  sein  sollten. 

So  erklärt  es  sich,  weshalb  immer  vergeblich  verhandelt  wurde. 
Man  war  in  Susa  unwillig  darüber,  dass  von  den  vielen  Gesandten, 
welche  von  Sparta  anlangten,  Einer  dem  Andern  widersprach,  und 
legte  doch  einen  Werth  darauf,  dass  diese  Verhandlungen  nicht  abge- 
brochen würden.  Darum  war  im  siebenten  Kriegsjahre  Ärtaphernes 
nach  Sparta  geschickt  worden,  um  endlich  eine  klare  und  entschiedene 
Antwort  zu  erlangen.  Er  gerieth  aber  mit  seinen  Depeschen  in  die 
Hände  der  Athener,  und  diese  wussten  ihn  für  ihre  Interessen  zu  ge- 
winnen, so  dass  er,  von  attischen  Gesandten  begleitet,  zum  Grofskönige 
heimkehrte.  Die  Verhandlungen,  welche  jetzt  zu  Gunsten  Athens  ge- 
pflogen werden  sollten,  wurden  aber  durch  den  Tod  des  Arlaxerxes 
vereitelt  (Ol.  86,  4;  425). 


Digitized  by  Google 


681 


EI.NFLUSS  DEM  SATItAI'K.N 


Der  Thronwechsel  war  von  gewaltigen  Erschütterungen  begleitet. 
Denn  der  rechtmäfsige  Nachfolger  und  letzte  ebenbürtige  Achämenide, 
Xerxes  II,  wurde  von  seinem  Halbbruder  Sogdianos  ermordet  und 
dieser  wiederum  noch  in  demselben  Jahre  von  Ochos  gestürzt,  der 
auch  ein  Bastard  des  Artaxerxes  war  und  nun  als  Darius  II  den  Thron 
bestieg.  Das  neue  Regiment  brachte  keine  Ruhe.  Ueberau"  gährte 
der  Aufstand,  namentlich  in  Kleinasien.  Pissuthnes,  des  Hystaspes 
Sohn,  welcher  sich  schon  mehrfach  in  die  griechischen  Angelegen- 
heiten eingemischt  hatte  (S.  239),  fiel  ab.  Griechen  unter  Befehl  eines 
Atheners,  Namens  Lykon,  unterstützten  ihn.  Durch  die  Verrälherei 
derselben  gelang  seine  Besiegung,  während  sein  Sohn  Amorges  sich 
mit  atiischer  Hülfe  in  Karien  behauptete.  Nach  dem  Sturze  des  Pis- 
suthnes treten  Tissaphernes  und  Pharnabazos  in  Kleinasien  als  die 
ersten  Würdenträger  des  Grofskönigs  auf.  Tissaphernes  war  als  Nach- 
folger des  Pissuthnes  Satrap  in  den  Seeprovinzen.  Er  war  erbittert 
über  die  Unterstützung,  welche  die  Partei  seines  Gegners  von  Athen 
erhalten  halte;  dazu  kam,  dass  der  Grofskönig  (vielleicht  in  Folge  des 
sicilischen  Kriegs  und  der  Vernichtung  der  attischen  Flotte)  die  Ein- 
lieferung  der  so  lange  rückständig  gebliebenen  Tribute  der  Seestädte 
forderte,  welche  nach  wie  vor  als  unterlhanige  Städte  des  Perserreichs 
angesehen  wurden.  Tissaphernes  musste  die  Summen  zahlen,  wie  sie 
im  persischen  Reichsbudget  verzeichnet  waren;  um  also  zu  seinem 
Gelde  zu  kommen,  sah  er  sich  zu  einer  kriegerischen  Politik  genölhigt, 
und  da  das  persische  Reich  in  einem  so  elenden  Zustande  war,  dass 
man  auch  gegen  die  gebrochene  Macht  der  Athener  nicht  allein  vorzu- 
gehen wagte,  so  kam  dem  Satrapen  Alles  darauf  an,  sich  von  griechi- 
scher Seite  Beistand  zu  verschaffen. 

Er  fand  dazu  schon  in  lonien  selbst  Gelegenheit;  denn  in  allen 
bedeutenderen  Städten  gab  es  eine  persische  Partei  (S.  448).  Auf 
allen  lastete  der  Druck  der  attischen  Herrschaft,  und  der  handeltrei- 
benden Bevölkerung  war  der  ununterbrochene  Kriegszustand,  der  ihre 
Verbindung  mit  dem  Binnenlande  störte,  im  höchsten  Grade  lästig. 
Die  bedeutendste  und  die  einzige  selbständige  Macht  in  lonien  war 
Chios.  Hier  hatten  sich  die  aristokratischen  Familien  mit  grofser 
Klugheit  im  Regimente  zu  erhalten  gevvusst.  Schon  im  siebenten 
Kriegsjahre  waren  sie  des  Abfalls  von  Athen  verdächtig  geworden, 
hatten  sich  aber  dann  von  den  Athenern  aufs  Neue  ihre  Verfassung 
bestätigen  lassen  und  seitdem  ihre  Bundespflichten  treu  erfüllt.  Nach 


Digitized  by  Google 


AUF  DIE  KLEIN  ASIATISCHEN  KÜSTENSTÄDTE. 


685 


dem  grofsen  Verluste,  welchen  auch  sie  in  Sicilien  erlitten  hatten, 
konnten  sie  sich  doch  noch  eines  Besitzes  von  sechzig  Schiffen  rühmen. 
Von  ihrer  Regierung  ging  jetzt  die  gegen  Athen  gerichtete  Ver- 
schwörung aus;  sie  setzte  sich  zunächst  auf  der  gegenüber  liegenden 
Küste  mit  Erylhrai  in  Verbindung.  Mit  beiden  Staaten  knüpfte  Tis- 
saphernes  Unterhandlungen  an  und  schickte  in  Gemeinschaft  mit  ihnen 
Gesandte  nach  dem  Peloponnes,  um  Sparta  zu  überreden,  an  die 
Spitze  der  ionischen  Bewegung  zu  treten .  indem  er  Sold  und  Unter- 
halt für  die  peloponnesische  Kriegsmacht  versprach.  Es  war  der  An- 
fang einer  neuen  Satrapenpolitik. 

In  gleicher  Lage  wie  Tissaphernes  war  Pharnabazos,  der  Satrap 
der  nördlichen  Provinz,  welche  Daskylion  an  der  Propontis  zum  Mittel- 
punkte hatte,  und  die  Gegenden  am  Hellespont,  Phrygien,  Bithynien 
und  Kappadocien  umfassle.  Er  beherrschte  das  troische  Land  mit 
dem  für  Schiffbau  so  ungemein  wichtigen  Waldgebirge  des  Ida  und 
hatte  für  einen  Seekrieg  gegen  Athen  die  gefährlichsten  Angriffspunkte 
in  seinen  Händen.  Pharnabazos  schickte  zwei  griechische  Partei- 
gänger, die  aus  ihrer  Heimath  vertrieben  waren,  Kalligeitos  aus  Megara 
und  Timagoras,  der  in  Kyzikos  ein  Führer  der  persisch  Gesinnten 
war,  mit  haaren  Geldsummen  nach  Sparta,  um  die  Peloponnesier 
nach  dem  Hellespont  hinzuziehen;  er  suchte  den  Tissaphernes  in 
seinen  Versprechungen  zu  überbieten.  So  warben  zwei  mächtige 
Satrapen  wetteifernd  um  die  Gunst  Sparlas  und  boten  ihm  Geld  und 
Bundeshülfe  an. 

Endlich  war  auch  der  nächste  und  gehässigste  aller  Feinde  Athens 
nicht  unthätig.  Theben  hatte  sich  trotzig  vom  Frieden  des  Nikias 
ausgeschlossen,  es  hatte  Panakton  genommen  und  dann  zerstört,  ehe 
die  Festung  in  die  Hände  Athens  zurückgegeben  wurde  (S.  584);  durch 
einen  tückischen  Ueberfall,  welchen  die  aus  Athen  entlassenen  Thraker 
(S.  680)  unter  Führung  des  Diitrephes  auf  die  Stadt  Mykalessos  unter- 
nahmen, war  es  neuerdings  in  höchstem  Grade  gereizt.  Es  hatte  auch 
nach  Siciüen  Hülfsvölker  geschickt  und  an  der  Niederlage  der  Athener 
daselbst  einen  wesentlichen  Antheil  genommen;  es  rüstete  jetzt  zu 
einem  neuen  Kriege  und  setzte  sich  wieder,  wie  früher,  mit  Leshos 
(S.  44t)  in  Einverständnisse9). 

Während  sich  so  auf  allen  Seiten  die  gefahrlichsten  Verbindungen 
gegen  Athen  bildeten,  hatte  der  Krieg  in  Griechenland  schon  begon- 
nen.  Und  zwar  hatte  diesmal  Athen  den  Anfang  der  direkten  Feind- 


Digitized  by  Google 


686 


AUSBRUCH    1»ES   KRIEGS  (91,  3;  414). 


Seligkeiten  gemacht.  Denn  ein  attisches  Geschwader  unter  Pythodoros 
halte  im  Anfange  von  Ol.  91,  3  (414),  also  im  Laufe  des  achten  Som- 
mers nach  Abschluss  der  Verträge,  auf  lakonischem  Gebiete  bei  Prasiai 
und  Epidauros  Limera  Landungen  gemacht  und  die  Felder  verwüstet, 
um  die  lakedämonischen  Ginfälle  in  Argos  zu  rächen. 

Dieser  an  sich  sehr  unbedeutende  Vorfall  war  von  nicht  geringer 
Tragweite.  Denn  während  des  ganzen  Verlaufs  des  ersten  zehnjährigen 
Kriegs  hatten  die  Spartaner  das  Gefühl,  dass  der  Krieg  von  ihrer  Seile 
ungerecht  begonnen  sei,  weil  die  Thebaner  mitten  im  Frieden  Plataiai 
überfallen  hatten,  und  die  älteren  Leute,  welche  den  Rechtsstandpunkt 
in  der  Bürgerschaft  vertraten,  Helsen  es  sich  nicht  ausreden,  dass  dies 
der  Grund  des  Unglücks  sei,  welches  die  Spartaner  bei  Pylos  und 
anderswo  erlitten  hätten.  Jetzt  aber  hatte  Athen  den  Frieden  ge- 
hrochen, worauf  man  in  Sparta  schon  lange  gewartet  hatte,  und  da 
von  attischer  Seite  jede  Rechtsentscheidung  abgelehnt  wurde,  so 
herrschte  nun  auch  bei  der  altspartanischen  Partei  ein  ganz  anderer 
Kriegseifer;  man  glaubte  den  Krieg  mit  gutem  Gewissen  führen  und 
eines  besseren  Erfolgs  gewärtig  sein  zu  können. 

Diese  Stimmung  benutzte  nun  Alkibiades  für  seine  Zwecke  mit 
dem  gröfsten  Eifer.  Er  brachte  es  dahin,  dass,  nachdem  im  Winter 
der  Kriegsbeschluss  von  den  Peloponnesiern  gefasst  und  die  Rüstungen 
angeordnet  waren,  mit  dem  Eintritte  des  Frühjahrs  413  (Ol.  91,  3) 
ein  peloponnesisches  Heer  unter  Agis  in  Atlika  einrückte,  zu  einer 
Zeit,  da  schon  vorausgesehen  werden  konnte,  welche  Wendung  der 
sicilische  Krieg  nehmen  würde.  Zwölf  Jahre  lang  war  Atlika  von  allen 
Einlallen  verschont  geblieben  und  die  Spuren  des  arcliida mischen 
Kriegs  waren  verwischt;  um  so  verderblicher  waren  die  neuen  Ver- 
heerungen, welche  man  jetzt  nicht  einmal  durch  Seezüge  den  Pelopon- 
nesiern vergelten  konnte.  Das  Schlimmste  aber  war,  dass  die  Spar- 
taner diesmal  entschlossen  waren,  nicht  zu  ihrer  früheren  Kriegsweise 
zurückzukehren,  sondern  statt  der  jährlichen  Sommerfeldzüge  einen 
festen  Punkt  im  atiischen  Gebiete  dauernd  zu  besetzen,  und  dass  man 
zu  diesem  Zwecke  auf  Alkibiades'  Rath  den  besten  Platz  aussuchte,  der 
in  Attika  zu  finden  war. 

Wenn  man  von  Athen  aus  gegen  Norden  blickt,  so  sieht  man  die 
hohe  Wand  des  Parnes  auf  der  rechten  Seite  nach  dem  Brilessos  zu 
sich  senken.  Ehe  aber  seine  Wurzeln  in  das  Hügelland  der  Diakria 
auslaufen,  bildet  er  eine  tiefe  Einsattelung,  deren  sichelförmiger  Aus- 


Digitized  by  Google 


Besetzung  von  urkeleia. 


687 


schnitt  eine  sehr  auffallende  Linie  am  nördlichen  Horizont  bildet.  Auf 
einer  breiten  Höhe  unterhalb  des  Bergsattels  lag  Dekeleia,  eine  der 
alten  Zwölfstädte  von  Attika,  drei  Meilen  von  der  Stadt  und  eben  so 
weit  von  der  böotischen  Gränze.  Hier  gingen  die  Landstrafsen  durch 
den  Bergdistrikt  der  Diakria  nach  Euboia  hinüber;  die  eine  fuhrt  hart 
unter  Dekeleia  hin,  die  andere,  wenig  östlicher,  über  Aphidna.  Beide 
Wege  beherrschte  der  Platz,  den  die  Spartaner  sich  ausgesucht  hatten. 
Sie  verschanzten  sich  auf  einem  steilen  Berggipfel  oberhalb  Dekeleia, 
und  die  Athener  machten  nicht  einmal  den  Versuch,  sie  zu  vertreiben. 
Es  war  dies  ein  Erfolg  von  solcher  Bedeutung,  dass  man  darnach  schon 
in  alter  Zeit  den  ganzen  letzten  Theil  des  peloponnesischen  Kriegs  den 
dekeleischen  nannte. 

Die  Besetzung  von  Dekeleia  ist  das  Mittelglied  zwischen  dem 
sicilischen  und  dem  neu  entbrennenden  attisch  -  peloponnesischen 
Kriege.  Sie  war  zunächst  eine  Intervention  zu  Gunsten  der  Syraku- 
saner,  in  Bezug  auf  die  Verträge  aber,  welche  acht  Jahre  lang  be- 
standen hatten,  der  Anfang  des  zweiten  Kriegs  zwischen  Athen  und 
Sparta.  Der  nächste  Zweck  wurde  verfehlt,  indem  die  Athener  sich 
nicht  abhalten  liefsen,  Demosthenes  mit  einer  neuen  Heeresmacht 
nach  Sicilien  abzusenden.  Als  aber  ein  halbes  Jahr  darauf  Alles  ver- 
loren ging,  da  empfanden  sie  um  so  schwerer  den  Druck,  welchen  die 
Besatzung  von  Dekeleia  ihnen  verursachte. 

Die  wichtigste  Zufuhr  war  der  Stadt  abgeschnitten,  indem  der 
Feind  die  Verbindungswege  nach  Euboia  in  seiner  Gewalt  hatte ;  denn 
wenn  auch  der  Seeweg  noch  offen  war,  so  war  dieser  doch  bei  weitem 
umständlicher  und  beschwerlicher;  zugleich  wurde  der  ganze  Besitz 
der  unentbehrlichen  Insel  gefährdet.  Aber  auch  von  der  eigenen 
Landschaft  war  ein  grofser  Theil  in  der  Macht  des  Feindes,  eine  Menge 
von  Ortschaften  und  Grundstücken,  von  Wald  und  Weideland.  Ein 
Drittel  von  Attika  gehörte  nicht  mehr  den  Athenern  und  selbst  in  der 
nächsten  Umgebung  der  Stadt  war  der  Verkehr  gehemmt;  ein  grofser 
Theil  des  Landvolks,  ohne  Arbeit  und  Verdienst,  drängte  sich  wieder 
in  die  Stadt  zusammen;  die  Bürger  waren  Tag  und  Nacht  zu  be- 
schwerlichem Wachtdienste  gezwungen,  kurz  alle  Verlegenheiten  und 
alle  Noth  der  ersten  Kriegsjahre  war  in  gesteigertem  Mafse  wieder  da. 
Denn  jetzt  war  keine  Zeit  mehr  der  Erholung  gegönnt.  Die  Heim- 
suchung der  Landschaft  war  viel  ausgedehnter,  da  ein  feindliches  Heer 
ununterbrochen  seinen  Unterhalt  aus  ihr  bezog,  und  namentlich  hatten 


Digitized  by  Google 


688 


FIYVNZNOTH. 


die  Sklaven,  die  ihren  Herren  entlaufen  wollten,  nun  das  ganze  Jahr 
hindurch  einen  festen  Zufluchtsort.  Zu  Tausenden  entliefen  sie  nach 
Dekeleia,  wo  sie  den  Feinden  wichtige  Dienste  leisten  konnten.  Mit 
gröfserer  Strenge  konnte  hier  nichts  erreicht  werden,  so  dass  man  sich 
im  Gegentheile  genöthigt  sah,  eine  mildere  Behandlung  der  Haus- 
sklaven  einzuführen,  um  so  dem  Uehel  zu  steuern 1<0). 

Unter  diesen  Umständen  erlitten  nicht  nur  die  Einzelnen  eine 
emplindliche  Einbufse  an  Vermögen  und  Einkünften,  sondern  auch  der 
Staat  im  Ganzen.  Namentlich  fielen  zum  grofsen  Theile  die  Gerichts* 
gebühren  und  Strafgelder  weg,  welche  einen  bedeutenden  Theil  der 
attischen  Staatseinkünfte  bildeten,  weil  keine  Parteien  nach  Athen 
kamen,  um  Recht  zu  suchen,  und  in  der  Stadt  keine  Mufse  vorhanden 
war,  Gerichtssitzungen  zu  halten.  Aufserdem  hörten  mancherlei 
andere  Einkünfte  an  Pachtgeldern,  Marktgeldern  u.  s.  w.  auf,  so  dass 
sich  nun  in  Folge  des  ungeheuren  Aufwandes  für  den  sicilischen  Krieg 
und  der  gegenwärtigen  Verluste  eine  Finanznoth  einstellte,  wie  sie 
Athen  noch  nicht  gekannt  hatte.  Erpressungen  bei  den  Bundesge- 
nossen durfte  man  sich  nicht  erlauben,  da  man  jetzt  auch  der  gesetz- 
lichen Zahlungen  nicht  mehr  sicher  war  und  keine  Zwangsmittel  in 
Händen  hatte. 

Man  versuchte  also  in  der  gegenwärtigen  Noth  einen  ganz  neuen 
Weg,  um  ohne  Belästigung  der  Bundesgenossen  größere  oder  wenig- 
stens sicherere  Einnahmen  zu  erzielen.  Man  hob  die  unmittelbare  Be- 
steuerung auf  und  führte  statt  dessen  eine  Abgabe  von  5  Procent  ein, 
welche  von  der  Ein-  und  Ausfuhr  in  allen  Häfen  der  verbündeten 
Städte  erhoben  werden  sollte.  Diese  Einnahmen  wurden  verpachtet 
und  eine  neue  Gattung  von  attischen  Zöllnern,  die  Eikostologen,  d.  h. 
die  Zwanzigstelsammler,  verbreitete  sich  auf  dem  Gebiete  der  attischen 
Herrschaft.  Indessen  halte  diese  Einrichtung,  wie  es  scheint,  nicht 
den  gewünschten  Erfolg;  die  Zollbeamten  machten  sich  und  Athen  bei 
den  Bundesgenossen  verhasst,  und  die  ganze  Neuerung  trug  nur  dazu 
bei,  die  Finanzen  der  Stadt  immer  mehr  in  Verwirrung  zu  bringen. 
Nach  wenig  Jahren  kam  man  daher  wieder  auf  das  frühere  Verfahren 
die  Tribute  zu  erheben  zurück161). 

Das  einzige  Glück,  welches  den  Athenern  in  ihrer  äufseren  und 
inneren  Bedrängniss  zu  Theil  wurde,  bestand  darin,  dass  Sparta  mit 
seinen  Bundesgenossen  nicht  rasch  genug  bei  der  Hand  war,  um  den 
ersten  Schrecken  zu  einem  entscheidenden  Angriff  zu  benutzen.  So 


Digitized  by  Google 


VERFASSL  NGSÄ.N  l)EKU.>GE.N. 


689 


gewannen  die  Athener  Zeit  sich  wieder  zu  sammeln  und  zum  neuen 
Kampfe  zu  ermannen.  Die  Bürgerschaft  war  einig,  Alles  daran  zu 
setzen,  um  den  Staat  in  seiner  Gröfse  zu  erhalten;  man  wusste,  dass 
durch  Unterhandlungen  und  Nachgiebigkeit  nichts  zu  erreichen  war; 
man  war  entschlossen,  den  Kampf  aufzunehmen  und  dem  Schulze 
der  Götter  zu  vertrauen. 

Aber  das  erlittene  Unglück  hatte  nicht  nur  die  äufserlichen 
Grundlagen  der  atiischen  Macht  erschüttert;  es  fehlte  nicht  nur  an 
Geld,  Mannschaft,  Schiffen  und  zuverlässigen  Bundesgenossen,  sondern 
auch  an  dem  Selbstgefühl,  das  für  einen  Grofsstaat  das  Unentbehr- 
lichste von  Allem  ist,  und  an  Vertrauen  zu  der  einheimischen  Staats- 
ordnung. Man  erkannte  zu  deutlich,  dass  das  Unglück  der  Stadt  kein 
unverschuldetes  sei,  dass  man  grofse  Fehler  begangen  habe,  und  diese 
Fehler  standen  wieder  mit  dem  Wesen  der  Demokratie  in  so  nahem 
Zusammenhange,  dass  diese  selbst  in  Misskredit  kommen  mussle. 
Darum  wollte  man  von  den  früheren  Wortführern  der  Bürgerschaft 
nichts  wissen;  die  Stimmen  der  hitzigen  Demagogen  waren  ver- 
stummt, die  Rednerbühne  war  verödet,  und  ängstlich  sah  man  sich 
nach  Männern  um,  welche  in  so  schwerer  Zeit  den  Staat  zu  leiten 
vermöchten.  Staatsmänner  von  allgemeinem  Ansehen,  wie  Nikias  ge- 
wesen, waren  nicht  vorhanden;  die  Reihe  seiner  Gesinnungsgenossen, 
welche  ehrliche,  verfassungstreue  Patrioten  waren,  und  nur  den  Aus- 
schreitungen demokratischer  Politik  zu  steuern  suchten,  war  durch 
den  Krieg  furchtbar  gelichtet;  die  ganze  Partei  der  Besonnenen  und 
Gemässigten  war  machtlos  und  vollkommen  rathlos.  Die  Einzigen, 
welche,  je  verzweifelter  die  Lage  des  Staats  war,  um  so  zuversichtlicher 
ihre  Ziele  verfolgten,  das  waren  die  in  geheimen  Verbindungen  ver- 
einigten, grundsätzlichen  Feinde  der  Verfassung,  und  so  kam  es,  dass, 
nachdem  im  ersten  Jahre  des  dekeleischen  Kriegs  noch  alle  Kräfte 
unwillkürlich  zur  Rettung  der  Stadt  zusammenwirkten,  im  Winter  des 
zweiten  Jahres  schon  solche  Thatsachen  hervortraten,  welche  eine  plan- 
mäfsige,  den  Umsturz  der  zu  Recht  besiehenden  Staatsordnung  erzie- 
lende Thätigkeit  der  oligarchischen  Partei  bezeugen. 

Die  Masse  der  Bürgerschaft  war  zahm  und  fügsam;  ruhig  ver- 
nahm sie  solche  Anträge,  welche  wenig  Monate  zuvor  noch  als  Hoch- 
verrath  angesehen  und  mit  leidenschaftlicher  Erbitterung  verfolgt 
worden  wären ;  sie  gab  ohne  Murren  ihre  Zustimmung  zu  den  wich- 
tigsten Veränderungen  der  Staatsverfassung,  zu  den  wesentlichsten  Be- 

Curtin»,  Gr.  Gesch.  II.  0.  Anfl.  44 


Digitized  by  Google 


690 


DIE  PROBULEN  {91.  4;  431). 


schränkungen  ihrer  eigenen  Macht.  Denn  die  Männer,  welche  jetzt  in 
die  Leitung  der  öffentlichen  Angelegenheiten  eintraten,  verlangten,  dass 
man  nicht  nur  auf  augenblickliche  Rettung  und  Abhülfe  bedacht  sein 
müsse,  sondern  auch  darauf,  wie  in  Zukunft  ähnlichem  Missgeschick 
vorgebeugt  werde.  Der  Grund  des  Uebels  aber  sei  kein  anderer,  als  die 
Leichtfertigkeit  mit  welcher  in  den  Bürgerversammlungen  die  folgen- 
reichsten Beschlüsse  zu  Stande  kämen.  Der  Rath  der  Fünfhundert 
gäbe,  wie  er  einmal  beschaffen  sei,  nicht  die  geringste  Bürgschaft  für 
ein  besonnenes  Verfahren ;  es  bedürfe  also  einer  andern  Behörde,  eines 
Collegiums  von  älteren  Männern,  welches  alle  Vorlagen  und  Anträge 
seiner  Prüfung  unterzöge  und  nur  das  von  ihm  Begutachtete  und  Ge- 
billigte zur  Beschlussnabme  an  die  Bürgerschaft  gelangen  liefse. 

Diese  neue  Behörde  sollte  zugleich  dazu  dienen,  in  dringenden 
Fällen  die  nöthigen  Mafsregeln  in  Vorschlag  zu  bringen,  eine  kräftige 
und  verschwiegene  Staatsleitung  möglich  zu  machen  und  besonders 
auch  dafür  zu  sorgen,  dass  in  den  Ausgaben  die  gröfsten  Ersparnisse 
gemacht  würden,  um  für  die  wesentlichen  Zwecke  des  Staats  die  noch 
übrigen  Hülfsmittel  zusammen  zu  halten.  So  wurde  die  attische 
Bürgerschaft,  welche  seit  dem  Sturze  des  Areopags  jeder  Bevormun- 
dung enthoben  war  (S.  158).  wieder  unter  Vormundschaft  gestellt 
und  die  Bedeutung  dieser  Aenderung  war  um  so  gröfser,  da  der  Wir- 
kungskreis der  neuen  Behörde  ein  unbestimmt  weiter,  die  Zahl  ihrer 
Mitglieder  aber  eine  sehr  beschränkte  war,  so  dass  sie  um  so  leichter 
zu  einem  Parteiorgane  werden  konnte.  Es  waren  zehn  Männer,  welche 
den  Namen  der  Vorberather  (Probuloi)  führten ;  sie  wurden  ohne 
Zweifel  durch  Wahl  aus  den  zehn  Stämmen  ernannt  Der  einzige, 
sicher  Bekannte  unter  ihnen  ist  Hagnon  (S.  260),  einer  der  vornehm- 
sten und  angesehensten  Bürger,  der  Mitunterzeichner  des  Nikias- 
friedens,  der  Gegner  des  Perikles,  ein  Mann,  der  also  in  seiner  poli- 
tischen Richtung  wohl  mit  der  Partei  zusammenhing,  welche  einst 
Thukydides,  des  Melesias  Sohn,  gefuhrt  hatte 1M). 

Die  nächste  Sorge  der  neuen  Behörde  war  die  Ordnung  des  Staats- 
baushalts. Die  Ausgaben  für  Feste,  Opfer  und  Spiele  wurden  einge- 
schränkt; den  Bürgern  wurde  die  Erleichterung  gewährt  dass  zwei  und 
zwei  sich  vereinigen  konnten,  um  einen  Festchor  auszurüsten,  und 
ebenso  wurde  bei  der  Trierarchie  Rostentheilung  gestattet  Vielleicht 
gehört  auch  die  Umwandelung  der  Tribute  in  Hafenzölle  (S.  688)  unter 
die  finanziellen  Einrichtungen  der  Probulen. 


Digitized  by  Google 


NEUE  RÜSTUNG EN. 


691 


Dann  wurde  mit  allem  Eifer  gerüstet.  Bauholz  wurde  aus  Thrakien 
und  Makedonien  herbeigeschafft,  an  einer  neuen  Flotte  mit  Eifer  gebaut, 
Sunion  befestigt,  damit  hier  nicht  etwa  eine  feindliche  Schiffsstation 
angelegt  werde,  welche  auch  den  Seeweg  nach  Euboia,  der  allein  noch 
frei  war,  verlegen  könnte.  Zugleich  diente  die  Festung  dazu,  die  Sklaven- 
menge in  den  Bergwerken  zu  beaufsichtigen.  Die  Truppen  wurden  ver- 
einigt, indem  man  die  auswärtigen  Besatzungen  einzog,  wenn  auch 
nicht  alle;  denn  Pylos  namentlich  blieb  nach  wie  vor  besetzt.  Endlich 
geschah,  was  möglich  war,  um  die  Bundesgenossen  zu  bewachen, 
das  Ansehen  der  Stadt  wieder  aufzurichten  und  das  Vertrauen  in  der 
Burgerschaft  wieder  herzustellen.  Auch  wurde  wahrscheinlich  zu  der- 
selben Zeil,  um  die  erlittenen  Verluste  zu  ersetzen,  eine  Amnestie  er- 
lassen, welche  die  Verbannten  zurückrief  und  den  im  Hermokopiden- 
prozesse  Verurteilten,  so  Viele  derselben  nicht  in's  feindliche  Lager 
übergegangen  waren,  ihre  Bürgerrechte  zurückgab163). 

Die  Herbst-  und  Wintermonate,  die  von  den  Athenern  in  dieser 
Weise  benutzt  wurden,  waren  eine  Zeit  allgemeiner  Spannung.  Eine 
Macht,  die  halb  Griechenland  niedergehalten  hatte,  war,  wie  man 
glaubte,  gebrochen  und  ihre  Herrschaft  unhaltbar.  Aus  ihrem  Sturze 
mussle  sich  also  eine  neue  Ordnung  der  Dinge  im  ganzen  Mittelmeere 
gestalten,  und  von  Susa  bis  zu  den  italischen  Colonien  waren  alle 
Staaten  an  der  Umgestaltung  der  Verhältnisse  betheiligt.  Offen  oder 
heimlich  rüsteten  alle  Feinde  Athens;  keiner  wollte  der  Vortheile  des 
nahen  Siegs  verlustig  gehen.  Denn  im  kommenden  Sommer,  das 
schien  gewiss,  sollte  über  Athen  das  Gericht  hereinbrechen,  und  die 
gedrückten  Bundesgenossen,  welche  Gut  und  Blut  für  die  herrschsüch- 
tige Stadt  halten  hergeben  müssen,  sahen  mit  wilder  Rachbegier  dem 
Tage  entgegen,  an  welchem  für  alle  Gewaltthaten,  welche  die  Athener 
in  Mytilene,  Aigina,  Skione,  Melos  und  anderwärts  verübt  hatten,  Ab- 
rechnung gehalten  werden  sollte.  Die  lakedämonischen  Bundesgenossen 
waren  der  Ueberzeugung,  dass  es  nur  einer  kurzen  Anstrengung  be- 
dürfe, dann  sei  für  immer  alle  Kriegsnoth  vorüber,  und  waren  deshalb 
zum  Land-  und  Seedienste  willfähriger. 

Die  peloponnesische  Kriegführung  hatte  einen  zwiefachen  Mittel- 
punkt, den  einen  in  Dekeleia,  den  andern  in  Sparta.  König  Agis  hatte 
nämlich  für  das  nördliche  Kriegstheater  außerordentliche  Vollmachten 
erhallen,  um  jede  Gelegenheit,  den  Athenern  zu  schaden,  unverzüglich 
benutzen  zu  können.  In  Folge  dessen  machte  er  noch  im  Winter  von 

44* 


Digitized  by  Google 


692 


AGIS'  WI7ITERZÜGE. 


seinem  Hauptquartiere  aus  weite  Kriegszüge  gegen  Norden,  suchte 
Herakleia  (S.  46$)  wieder  zu  heben,  erpresste  Geiseln  und  Geldbeiträge 
für  die  peloponnesische  Flotte  bei  den  Stämmen  des  Oetegebirges,  bei 
den  Phthioten  und  Thessaliern,  und  nahm  die  Abgeordneten  an,  welche 
von  den  Inseln  kamen,  um  sich  zum  Abfalle  von  Athen  spartanischer 
*   Unterstützung  zu  versichern. 

Diese  Verhandlungen  mussten  sehr  geheim  gehalten  werden,  weil 
die  Oligarchen,  welche  jetzt  aller  Orten  trotzig  ihr  Haupt  erhoben,  sich 
nicht  nur  vor  Athen  in  Acht  nehmen  mussten,  sondern  auch  vor  den 
Volksparteien,  deren  Fährer  an  Athen  festhielten.  Darum  konnte  zum 
Glücke  der  Athener  kein  allgemeiner  Abfall  zu  Stande  kommen,  weil 
es  den  Spartanern  an  Mitteln  fehlte,  gleichzeitig  an  verschiedenen 
Orten  ihre  Anhänger  zu  unterstützen.  Man  musste  sich  entscheiden, 
welchen  man  den  Vorzug  geben  sollte,  und  dabei  zeigte  sich  eine 
Unsicherheit  und  Unentschlossenheit,  welche  nicht  wenig  dazu  beitrug, 
den  Erfolg  der  Peloponnesier  zu  lähmen.  So  schickte  Agis  erst  nach 
Euboia  drei  Beamte  mit  Kriegsmannschaft  hinüber,  weil  er  hier  mit 
Recht  die  verwundbarste  Stelle  der  attischen  Macht  erkannte  und  die 
Aufwiegelung  dieser  Insel  mit  dem  dekeleischen  Kriege  am  leichtesten 
verbinden  konnte.  Dann  aber  gab  er  wieder  dem  Andringen  der  Böotier 
nach,  die  vor  Allen  den  Lesbiern  geholfen  wissen  wollten,  und  rüstete 
für  diese  Schilfe  und  Truppen  aus.  Dadurch  zersplitterte  er  seine  Hülfs- 
kräfte  und  verwickelte  sich  von  Dekeleia  aus  in  den  asiatischen  Krieg, 
welcher  von  Sparta  aus  geleitet  werden  sollte. 

Hier  in  der  Hauptstadt  herrschte  ein  ähnliches  Schwanken;  nicht 
als  ob  man  sich  vor  dem  Bündnisse  mit  den  Persern  noch  in  der  ent- 
scheidenden Stunde  gescheut  hätte,  sondern  die  doppelten  Anträge 
waren  es,  welche  die  Verlegenheit  herbeiführten.  Denn  die  Einen 
wollten,  dass  man  vor  Allem  Tissaphernes  unterstützen  solle,  die 
Andern,  dass  man  nach  dem  Wunsche  des  Pharnabazos  am  Hellespont 
den  Seekrieg  eröffne,  während  Agis  im  Einverständnisse  mit  den 
Böotiern  seinen  ganzen  Einfluss  benutzte,  um  den  Lesbiern  die 
erste  Unterstützung  zu  verschaffen,  an  denen  man  das  früher  Ver- 
säumte so  schnell  wie  möglich  gut  zu  machen  habe  (S.  447).  Unter 
diesen  Umständen  war  es  Alkibiades,  der  den  Ausschlag  gab,  in- 
dem er  seine  Anhänger,  unter  denen  der  Ephore  Endios,  ein  Gegner 
des  Agis,  der  mächtigste  war,  für  die  Anträge  des  Tissaphernes  zu 
stimmen  wusste. 


Digitized  by  Google 


POLITIK  SsPAHTAS. 


693 


In  lonien  war  allerdings  am  meisten  Aussicht  auf  Erfolg,  und 
hier  wurde  Athen  durch  jeden  Verlust  am  schwersten  getroffen.  Nach 
der  ionischen  Küste  hatten  die  Satrapen  schon  mehrmals  mit  Glück 
vorgegriffen ;  persische  Parteigänger  waren  in  allen  Städten,  nament- 
lich in  Ephesos,  welches  von  allen  Seeplätzen  den  bedeutendsten 
Binnenhandel  hatte  und  den  Einflüssen  des  Morgenlandes  am  meisten 
zugänglich  war.  Es  ist  sogar  wahrscheinlich,  dass  schon  vor  der  sici- 
lischen  Niederlage  Ephesos  den  Athenern  entfremdet  und  in  die 
Gewalt  des  Tissaphernes  geralhen  war.  Nun  war  Chios  zum  Abfalle 
bereit,  der  bedeutendste  aller  Bundesstaaten,  dessen  Beispiel  für  ganz 
lonien  entscheidend  sein  musste.  Die  Städte  waren  unbefestigt,  sie 
waren  von  Besatzungen  und  Wachschiffen  entblöfst.  Die  Satrapie  des 
Tissaphernes  erschien  also  in  jeder  Beziehung  als  das  günstigste 
Kriegs theater.  Aufserdem  waren  seine  Hülfsmittel  viel  ansehnlicher 
als  die  des  Pbarnabazos,  wenn  er  auch  nicht,  wie  dieser,  mit  baarem 
Gelde  sein  Gesuch  unterstützte.  Endlich  hatte  Alkibiades  in  den 
ionischen  Städten  einen  bedeutenden  Anhang  (S.  620)  und  konnte 
hier  am  ehesten  hoffen,  seinen  Einfluss  in  glänzender  Weise  geltend 
zn  machen.  So  wurden  nach  vielen  Streitigkeiten  die  Kriegspläne 
seinem  Bathe  gemäfs  bestimmt;  Euboia  und  Lesbos  wurden  vorläufig 
aufgegeben,  Chios  und  Erythrai  dagegen  noch  im  Laufe  des  Winters, 
nachdem  man  sich  von  den  Streitkräften  der  Chier  durch  einen 
Abgeordneten  überzeugt  hatte,  heimlich  in  den  peloponnesischen  Bund 
aufgenommen  und  ihnen  die  ersten  Unterstützungen  zugesagt.  Später 
wollte  man  dann  den  Krieg  gegen  Norden  ausdehnen,  da  man  die 
Gunst  des  Pbarnabazos  nicht  von  der  Hand  weisen  wollte  und  die 
Bedeutung  des  Hellesponts  für  Athen  wohl  zu  würdigen  wusste; 
Dekeleia  aber  sollte  für  die  continentalen  Unternehmungen  die  Cenlral- 
stelle  sein.  Das  war  der  Feldzugsplan  für  den  kommenden  Sommer, 
den  die  Bundesgenossen  annahmen  und  den  auch  Agis  sich  gefallen 
liefs,  da  man  darüber  einig  wurde,  dass  nächst  Chios  Lesbos  das  Ziel 
der  Flotte  sein  und  bei  dieser  Unternehmung  Alkamenes,  wie  Agis  an- 
geordnet hatte,  die  Führung  haben  solle104). 

Die  Flotte  selbst  war  im  Bau.  Ihre  Gesamtstärke  war  auf  100 
Kriegsschiffe  bestimmt,  25  halle  Sparta  übernommen  und  eben  so 
viele  Theben;  15  stellten  die  Korinther,  15  die  Phokeer  und  Lokrer; 
die  übrigen  20  theils  die  Arkader,  Pelleneer  und  Sikyonier,  theils  die 
Megareer  und  die  Küslenstädte  von  Argolis.  Aufserdem  erwartete  man 


Digitized  by  Google 


004 


BLOKADE  IN  PEIRAIOS  (91,  *;  419  FRÜHJAHR). 


von  Sicilien  einen  ansehnlichen  Zuzug,  und  in  Chios  waren  60  Schiffe 
bereit.  Es  war  keine  Zeit  zu  verlieren;  denn  die  Bewegungen  in  lonien 
fingen  an  bekannt  zu  werden,  und  die  Chier  Uelsen  nicht  ab,  auf  mög- 
lichste Beschleunigung  zu  dringen. 

Dennoch  ging  Alles  lahm  und  ungeschickt.  Erst  sollten  unmittel- 
bar von  Lakonien  zehn  Schiffe  unter  Melankridas  nach  Chios  abgehen; 
aber  wie  Alles  fertig  war,  trat  ein  Erdbeben  ein  und  erschreckte  die 
Spartaner  so  sehr,  dass  sie  den  ganzen  Zug  aufgaben,  an  Stelle  des 
Melankridas  Chalkideus  zum  Admiral  machten  und  nicht  von  Gylheion, 
sondern  vom  korinthischen  Gestade  aus  den  Seekrieg  zu  beginnen  be- 
schlossen; ein  Beschluss,  der  neue  Verzögerungen  und  Unfälle  herbei- 
führte. Denn  die  Korinther  beeilten  sich  zwar,  21  Schiffe  über  den 
Isthmus  hinüber  nach  Kenchreai  zu  schaffen  und  Alles  zur  Abfahrt 
vorzubereiten,  aber  wie  es  so  weit  war,  wollten  sie  die  Feier  der 
isthmischen  Spiele,  welche  ihnen  mit  dem  dazu  gehörigen  Jahrmärkte 
grofsen  Vortheil  einbrachten,  nicht  durch  eine  offene  Kriegsunter- 
nehmung stören,  und  eben  so  wenig  waren  sie  geneigt,  auf  den  Vor- 
schlag des  Agis  einzugehen,  welcher  sich  bereit  erklärte,  die  Schilfe  in 
seinem  Namen  zu  führen.  Die  Folge  war,  dass  die  Athener  in  der 
Zwischenzeit  nach  Chios  schickten  und  von  den  Chiern  sieben  Schiffe 
forderten,  welche  ihnen  ohne  Weigerung  gestellt  wurden,  da  die  spar- 
tanische Partei  noch  nicht  die  Mittel  hatte,  den  Abfall  wirklich  zu 
vollziehen.  Auf  den  Isthmien  selbst  aber,  welche  in  den  April  oder 
Mai  fielen,  waren  auf  Einladung  Korinlhs  auch  Abgeordnete  Athens  an- 
wesend ;  hier  kamen  die  Pläne  der  Peloponnesier  vollends  zu  Tage,  und 
nun  ergriffen  die  Athener  die  kräftigsten  Mafsregeln,  um  die  beabsich- 
tigte Unternehmung  zu  hindern.  Denn  das  war,  von  der  Verzögerung 
abgesehen,  das  andere  grofse  Versehen  der  Verbündelen,  dass  sie  den 
saronischen  Golf  zum  Schauplatze  ihrer  Rüstungen  machten,  als  wenn 
es  gar  kein  Athen  mehr  gäbe  und  keine  feindliche  Macht  vorhanden 
wäre.  So  wie  also  die  korinthische  Flotte  mit  den  Schiffen  des  Agis 
auslief,  wurde  sie  von  einem  attischen  Geschwader  von  gleicher  Zahl 
angegriffen.  Die  Peloponnesier  wichen  aus  und  hielten  sich  zurück. 
Als  sie  aber  von  Neuem  in  See  gingen,  sahen  sie  eine  noch  gröfsere 
Zahl  feindlicher  Schiffe  auf  sich  zu  steuern;  sie  wurden  von  diesen  auf 
die  peloponnesische  Küste  zurückgeworfen,  in  einer  Felsbucht,  Peiraios 
genannt,  eingeschlossen  und  daselbst  sehr  übel  zugerichtet.  Alkamenes 
selbst  kam  um's  Leben.   Das  war  die  erste  Thal,  die  den  Athenern 


Digitized  by  Google 


ALKIBIADES  IN  CHIOS 


G95 


wieder  gelang  und  ihnen  neuen  Mulh  einflößte,  während  die  Pelopon- 
nesier  dadurch  so  niedergeschlagen  wurden,  dass  man  in  Sparta  ent- 
schlossen war,  den  ganzen  ionischen  Krieg,  gegen  den  doch  immer 
noch  die  alte  Abneigung  in  der  Bürgerschaft  vorhanden  war,  wieder 
aufzugeben. 

Dies  wäre  auch  ohne  Zweifel  geschehen,  wenn  Alkibiades  nicht 
dort  gewesen  wäre.  Er  wusste  die  Einsperrung  der  korinthischen 
Flotte  so  zu  benutzen,  dass  ihm  daraus  die  gröfsten  Vortheile  er- 
wuchsen; denn  ihm  kam  Alles  darauf  an,  zu  zeigen,  dass  er  auch 
ohne  Flotte  im  Stande  sei,  den  Abfall  Ioniens  und  die  Verbindung 
zwischen  Sparta  und  Persien  zu  Stande  zu  bringen.  Er  wusste  die 
Ephoren  für  sich  zu  gewinnen;  er  benutzte  ihre  Eifersucht  gegen  Agis, 
den  er  selbst  durch  ein  verbrecherisches  Verhältniss  mit  der  Frau  des- 
selben sieb  zum  Feinde  gemacht  hatte,  und  stellte  es  namentlich  dem 
Endios  als  eiqen  grofsen  Gewinn  vor  Augen ,  dass  dem  Könige  seine 
ehrgeizigen  Hoffnungen  auf  Triumphe  in  lonien  vereitelt  wären.  Man 
brauche  die  Schiffe  gar  nicht,  sagte  er  mit  einer  Kühnheit,  die  Alles 
in  Erstaunen  setzte  und  die  Schwankenden  mit  sich  fortriss.  Man 
müsse  nur  in  Chios  sein,  ehe  die  Nachricht  von  dem  Unfälle  im 
korinthischen  Golfe  dorthin  gelange;  für  das  Weitere  werde  er  sorgen. 
Der  frühere  Bescbluss  wird  also  wieder  aufgehoben  und  die  fünf  Schiffe 
(mehr  hatte  man  in  Sparta  nicht  auszurüsten  vermocht)  gehen  unter 
Chalkideus  und  Alkibiades  in  See.  In  rascher  Fahrt  wird  das  Ziel 
erreicht,  und  so  wie  das  kleine  Geschwader  bei  Chios  vor  Anker  geht, 
trägt  die  aristokratische  Partei  kein  Bedenken  mehr,  mit  ihren  An- 
sichten offen  hervorzutreten.  Die  erschreckte  Volksmenge  wagt  keinen 
Widerstand.  Alkibiades,  der  die  anwesenden  Schiffe  als  die  Vorläufer 
einer  grofsen  Kriegsflotte  darstellt,  weifs  durch  seinen  Einüuss  alle 
Schwierigkeiten  zu  beseitigen.  Erythrai  folgt  unmittelbar  dem  Bei- 
spiele von  Chios.  Endlich  wird  auch  Klazomenai  bestimmt,  seinen 
Beitritt  öffentlich  zu  erklären,  obwohl  nur  drei  Schiffe  dorthin  abge- 
ordnet wurden.  Die  neuen  Verbündeten  werden  aufgefordert,  mit 
allem  Nachdrucke  ihre  Rüstungen  und  Mauerarbeiten  zu  betreiben. 
Wie  durch  einen  Blitz  ist  der  Brand  des  Kriegs  entfacht;  der  Abfall 
Ioniens  hat  begonnen  und  Sparta  gebietet  im  Mittelpunkte  der  feind- 
lichen Macht.  Niemals  sind  grofse  Erfolge  mit  geringeren  Mitteln  er- 
reicht worden  16  5). 

Bis  dahin  hatte  man  mit  keinem  Feinde  zu  thun  gehabt,  denn 


Digitized  by  Google 


«96 


HER   AREA  EL   VON  CHIOS. 


Strom bicbides,  der  von  der  korinthischen  Küste  aus  in  See  gegangen 
war,  um  das  Geschwader  des  Chalkideus  aufzufangen,  hatte  dasselbe 
verfehlt.  Nun  aber  entschloss  man  sich  in  Athen  zu  den  höchsten 
Kraflanstrengungen,  um  lonien  zu  halten. 

Der  ofTene  Abfall  von  Chios  machte  einen  ungeheuren  Eindruck. 
Man  hatte  die  Insel  immer  mit  besonderer  Milde  behandelt:  man 
schätzte  Chios  als  die  Perle  unter  den  Bundesstädten;  bei  den  Staats- 
opfern wurde  es  in  die  Gebete  für  des  Staates  Wohlfahrt  namentlich 
mit  aufgenommen,  und  noch  vor  Kurzem  hatte  Eupolis  in  der  Komödie, 
in  welcher  die  Bundessladle  den  Chor  bildeten  (S.  506),  Chios  ge- 
rühmt, 'die  schöne  Stadt,  die  Kriegsschiffe  und  Männer  sende,  so  oft 
'es  nolh  thue,  und  immer  folgsam  sei  wie  ein  Ross,  welches  keiner 
'Strafe  bedürfe'.  Der  Abfall  von  Chios  wurde  als  das  Signal  einer  all- 
gemeinen Erhebung  der  Bundesgenossen  angesehen.  Man  beschloss 
alle  Mittel  in  Bewegung  zu  setzen  und  selbst  den  Reservefonds  von 
tausend  Talenten  auf  der  Burg,  welche  nach  einem  perikleischen  Ge- 
setze für  den  letzten  Nothfall,  d.  h.  für  einen  unmittelbaren  Angriff 
auf  Stadt  und  Hafen,  gespart  werden  sollten,  anzugreifen  (S.  252). 
Denn  man  sah  in  der  ionischen  Erhebung  einen  Angriff  auf  die  Existenz 
des  Staats  und  glaubte  sich  berechtigt,  in  diesem  Sinne  das  Gesetz  zu 
deuten.  So  wurden  Gelder  flüssig,  um  Schiffe  zu  bemannen.  Was  an 
Trieren  zurückgestellt  war,  wurde  aus  den  Schiffsbau sern  hervorge- 
zogen; SchifTe  und  Mannschaften  wurden  nach  Beschaffenheit  des 
Dienstes  gesondert.  Man  schickte  das  Blokadegesch wader,  welches  der 
kriegstüchtigste  Theil  der  Flotte  war,  sofort  nach  lonien,  indem  man 
es  durch  andere  Schiffe  ersetzte.  Man  warf  die  freien  Chier,  welche 
auf  den  sieben  Trieren  waren,  in  Bande,  während  man  die  darauf 
befindlichen  Sklaven  frei  liefs,  und  traf  die  umfassendsten  Mafsregeln, 
um  der  weiteren  Ausbreitung  des  Aufstandes  vorzubeugen166). 

Dennoch  war  man  aufser  Stande,  die  Fortschritte  eines  Gegners, 
wie  Alkibiades  war,  zu  hemmen.  Slrombicbides  suchte  mit  neun 
Schiffen  Teos  zu  halten ,  wo  die  Athener  ein  Castell  zum  Schutze  der 
Gegend  gebaut  hatten,  aber  vergebens.  Alkibiades  hatte  schon  eine 
ionische  Flotte  von  23  Schiffen  um  sich  vereinigt  und  beherrschte  das 
Meer.  Er  liefs  das  peloponnesische  Seevolk  als  Landtruppen  in  Chios 
zurück,  um  die  dortige  Regierung  gegen  Aufstände  und  Angriffe  zu 
schützen,  nahm  dagegen  chiische  Seeleute  auf  seine  SchifTe  und  eilte 
weiter  nach  Milet,  um  die  alte  Hauptstadt  Ioniens  mit  der  von  ihm 


Digitized  by  Google 


SPARTA  UKD  I'liltSlE*. 


697 


geschaffenen  Machl  zu  gewinnen.  Denn  statt  auf  Verstärkungen  zu 
warten,  war  er  immer  nur  in  Sorge,  dass  sie  .früher  ankommen 
möchten,  als  sein  Ehrgeiz  wünschte.  Die  Athener  konnten  nichts 
thun,  als  bei  der  Insel  Lade  (I,  626)  eine  beobachtende  Stellung  ein- 
nehmen, während  die  Milesier,  durch  Alkibiades  gewonnen,  von  Athen 
abfielen. 

Nun  konnte  Sparta  endlich  auch  dazu  gelangen ,  wonach  es  so 
lange  sehnsüchtig  gestrebt  hatte,  nämlich  zum  Genüsse  persischer 
Subsidien.  Denn  die  aufserordentlichen  Erfolge,  mit  denen  der  ionische 
Krieg  begonnen  hatte,  veranlassten  Tissaphernes,  endlich  aus  seiner 
zuwartenden  Stellung  herauszutreten.  Nachdem  er  schon  im  Winter 
einen  Agenten  nach  Sparta  geschickt  hatte,  mit  dem  man  sich  nicht 
hatte  verständigen  können,  trat  er  nun  im  Namen  des  Grofskönigs 
persönlich  ein  und  erklärte  sich  zum  Abschlüsse  eines  Vertrags  bereit, 
wie  ein  Herr,  welcher  nach  abgelegter  Probe  einen  Diener  in  Sold 
nimmt. 

In  Milel  oder  Magnesia  kam  er  mit  Chalkideus  zusammen,  und 
ohne  Verzug  kam  zwischen  dem  Grofskönig  und  Tissaphernes  einer- 
seits, den  Spartanern  und  ihren  Bundesgenossen  andererseits  ein  Ver- 
trag zu  Stande,  dessen  Urkunde  uns  wortgetreu  bei  Thukydides  auf- 
bewahrt ist.  Die  Grundlage  desselben  war  die  Anerkennung  der  persi- 
schen Hoheitsrechte  über  die  Länder  und  Städte,  welche  der  König 
und  'die  Väter  des  Königs  inne  hatten'.  Das  war  der  Hauptpunkt,  an 
dem  jede  frühere  Verständigung  gescheitert  war,  an  dem  Tissaphernes 
aber  unerschütterlich  fest  hielt,  um  der  Unsicherheit  des  Besitzslandes 
am  ionischen  Meer,  die  für  die  Satrapen  unerträgUch  war,  im  Sinne 
der  königlichen  Politik  ein  Ende  zu  machen. 

Die  Durchführung  dieser  von  Sparta  anerkannten  Grundlage  des 
Vertrags  war  ohne  Krieg  unmöglich.  Derselbe  soll  vom  König  und 
von  Sparta  gemeinschaftlich  geführt  werden  und  keiner  der  beiden 
Verlragsmächte  soll  durch  einseiligen  Friedensschluss  die  Wallen 
niederlegen  dürfen. 

Die  nächste  Aufgabe  ist  also  die,  von  beiden  Seiten  dafür  zu  sor- 
gen, dass  von  jenen  Ländern  und  Städten  keinerlei  Gefalle  den  Athenern 
zugehen;  daran  schliefst  sich  aber  im  Schlussparagraphen  noch  die 
allgemeine  Bestimmung,  dass  die  Lakedämonier  Jeden  als  Feind  an- 
sehen sollen,  der  dem  Könige  untreu  wird,  und  eben  so  der  König  alle 
die,  welche  von  den  Lakedämoniern  und  ihrem  Bunde  abfallen. 


Digitized  by  Google 


698 


DER   ERSTE  StBSIblE.N VERTRAG  (M#  *i 


Die  Verpflichtung  zu  einer  bestimmten  Soldzahlung,  die  doch 
schon  bei  den  vorjäußgen  Verhandlungen  in  Sparta  so  gut  wie  ver- 
sprochen worden  war,  ist  in  die  Verlragsurkunde  gar  nicht  aufgenom- 
men, obgleich  dieser  Gewinn  doch  der  einzige  war,  um  dessen  willen 
die  I-akedämonier  sich  zu  einem  solchen  Vertrage  entschliefsen 
konnten.  Sonst  brachte  er  ihnen  ja  nichts  als  Schande  und  Nach- 
theil; denn  sie,  welche  als  Befreier  der  unterdrückten  Hellenen  in 
den  Krieg  eingetreten  waren,  gaben  nun  die  ganze  Reihe  der 
kleinasialischen  Städte,  ja,  wenn  die  Bestimmungen  der  Urkunde 
in  voller  Tragweite  geltend  gemacht  werden  sollten,  auch  das 
diesseitige  Griechenland  bis  zum  korinthischen  Isthmus  freiwillig 
den  Barbaren  preis;  sie  verpflichteten  sich  sogar,  das  von  ihren  Vor- 
fahren befreite  Land  den  Barbaren  wieder  zu  unterwerfen;  die  Erhe- 
bung der  jenseitigen  Volksgenossen  wurde  jetzt  als  eine  Empörung 
gegen  den  rechtmäßigen  Oberherrn  von  den  Spartanern  anerkannt, 
ja  sie  übernahmen  ihrerseits  eine  Garantie  für  die  Aufrechterhaltung 
oder  Herstellung  seiner  vollen  Hoheitsrechte,  wogegen  die  vom  Grofs- 
könig  übernommene  Garantie  eine  leere  Redensart  war.  Ohne  einen 
wesentlichen  Vortheil  zu  erreichen,  hatten  sie  also  ihre  Geschichte 
verläugnet,  ihre  Freiheit  aufgegeben,  in  die  schwierigsten  Verbind- 
lichkeiten sich  eingelassen  und  die  Entscheidung  der  griechischen 
Fehden  in  die  Hand  des  Grofskönigs  gelegt. 

Die  persische  Politik  dagegen  feierte  in  einer  Zeit,  wo  das  Reich 
im  allertiefsten  Verfalle  lag  und  die  königliche  Autorität  so  sehr  ge- 
sunken war,  dass  sie  in  der  gegenseitigen  Verfeindung  der  Satrapen 
ihre  wesentlichste  Stütze  erkennen  musste,  unverhofft  und  ohne  Opfer 
den  grössten  Triumph.  Ihre  alten  Herrschaftsansprüche,  welche  sie 
mit  Zähigkeit  festgehalten  hatten,  sahen  die  Perser  von  ihren  gefähr- 
lichsten Feinden,  denen  sie  überall  erlegen  waren,  in  vollstem  Umfange 
anerkannt.  Tissaphernes  selbst  aber  hatte  ohne  Mühe  für  sich  die 
gröfsten  Erfolge  errungen.  Amorges  war  beseitigt,  Milet  nebst  den 
anderen  Küstenstädten  in  seinen  Händen;  er  war  Herr  in  seiner 
Satrapie,  wie  es  seit  der  Schlacht  von  Mykale  keiner  seiner  Vorgänger 
gewesen  war,  und  wenn  er  sich  auch  vorläufig  dazu  bequemt  hatte,  in 
Gemeinschaft  mit  Chios  und  Erythrai,  wie  mit  ebenbürtigen  Staaten, 
zu  handeln  (S.  684),  so  konnte  er  doch  mit  gutem  Grunde  voraus- 
setzen ,  dass  es  ihm  bald  gelingen  werde ,  der  vorläutig  anerkannten 
Selbständigkeit  dieser  Staaten  ein  Ende  zu  machen. 


Digitized  by  Google 


DER   IOMSCHK   KRIEG  (9t,  1;  412  SOMMER). 


699 


Ein  Vertrag,  der  für  die  Griechen  so  schmachvoll  und  demülhi- 
gend  war,  konnte  auch  nur  im  höchsten  Grade  nacbtheilig  wirken, 
weil  er  das  Ehrgefühl  der  spartanischen  Krieger  abstumpfte,  die  besser 
Gesinnten  empörte  und  dem  Staate  Verachtung  zuzog.  Alkibiades, 
welcher  der  Berather  des  Ghalkideus  war  und  die  Seele  aller  Verhand- 
lungen, suchte  seinerseits  die  Bedenklichkeiten  zu  beseitigen;  erstellte 
den  Spartanern  das  persische  Geld,  das  nur  auf  diesem  Wege  zu  er- 
langen sei,  immer  von  Neuem  als  nothwendige  Bedingung  zur  Demülhi- 
gung  Athens  vor  Augen  und  gab  zu  verstehen,  dass  es  mit  den  anderen 
Vertragspunkten  nicht  so  ernst  zu  nehmen  sei.  Er  war  es,  wie  wir 
voraussetzen  dürfen,  der  die  Vertragsurkunde  entworfen  hatte;  er 
selbst  war  unter  allen  Griechen  der  Einzige,  welcher  bei  diesem  Ver- 
trage gewann;  denn  er  verpflichtete  sich  dadurch  den  Tissapliernes 
und  halle  sich  zugleich  eine  Waffe  geschmiedet,  welche  zunächst  gegen 
Athen,  dann  aber,  wenn  er  wollte,  auch  gegen  Sparta  gebraucht  wer- 
den konnte167). 

Auf  den  Gang  des  Kriegs  hatte  der  Abschluss  des  Vertrags  keinen 
merklichen  Einfluss.  Es  kamen  in  der  zweiten  Hälfte  des  Sommers 
von  beiden  Seiten  neue  Streitkräfte  an,  ohne  dass  etwas  Entscheidendes 
erfolgte.  Den  peloponnesischen  Schiffen  gelang  es  endlich,  sich  aus 
ihrer  Einschließung  (S.  694)  zu  befreien  und  vier  derselben  führte 
Astyochos,  des  Alkamenes  Nachfolger,  welcher  nun  als  lakedämonischer 
Admiral  den  Oberbefehl  erhielt,  nach  Ionien.  Die  Chier  kreuzten 
unermüdlich  umher  und  brachten  noch  mehrere  Küstenorle,  selbst  die 
beiden  wichtigsten  Städte  von  Lesbos,  Mytilene  und  das  den  Athenern 
so  treue  Methymna,  zum  Abfalle,  auch  nachdem  die  Athener  ihre 
ionische  Flotte  durch  26  Schilfe  verstärkt  hatten. 

Auch  auf  Samos  regte  sich  die  aristokratische  Partei,  welche  bei 
dem  Auftreten  der  spartanischen  Macht  in  Ionien  aller  Orten  ihr  Haupt 
erhob,  und  trat  unter  Führung  von  Kleomedes  u.  A.  mit  den  Pelo- 
ponuesiern  in  Verbindung;  aber  hier  nahm  die  Bewegung  einen  anderen 
Verlauf.  Das  Volk,  von  drei  attischen  Schiffen  unterstützt,  erhob  sich 
gegen  die  Aristokraten;  200  derselben  wurden  erschlagen,  400  ver- 
trieben und  ihre  Güter  eingezogen,  üeber  den  gesamten  Adel  der  Insel 
wurde  ein  furchtbares  Gericht  gehalten,  so  dass  er  vollständig  aus  der 
Staatsgemeinschaft  ausgestofsen  wurde,  indem  die  Bürger  sich  eidlich 
verpflichteten,  keinem  der  Edlen  eine  Tochter  zur  Ehe  zu  geben  oder 
aus  ihrem  Stande  eine  Frau  zu  nehmen.    Es  war  ein  Parteisieg, 


Digitized  by  Google 


700  SEESCHLACHT  BEI  M1LET  IW.  1;  41S  HERBST). 

welcher  erkennen  lässt,  wie  viel  Hass  und  Erbitterung  sich  allmählich 
angesammelt  hatte;  es  war  eine  Niederlage  der  spartanisch-persischen 
Partei,  welche  manche  frühere  Verluste  wieder  gut  machte.  Denn  der 
neu  geordnete  Staat  schloss  sich  nun  auf  das  Engste  den  Athenern  an 
und  war  diesen  so  sicher,  dass  sie  ihm  volle  Selbständigkeit  und  das 
freieste  Bundesverhältniss  einräumen  konnten.  Wir  haben  noch  heute 
einen  Theil  des  Steins,  welcher  den  Samiern  zu  Ehren  in  Athen  auf- 
gestellt worden  ist,  auf  welchem  sie  von  Rath  und  Bürgerschaft  für 
ihre  Selbstbefreiung  und  ihren  freiwilligen  Anseht uss  gelobt  werden. 

Die  Athener  halten  nun  den  Vortheil,  den  Spartanern  gegenüber 
wieder  die  nationale  Sache  in  Ionien  vertreten  zu  können ;  sie  hatten 
für  ihre  Unternehmungen  einen  festen  und  wohlgelegenen  Stützpunkt, 
uro  dem  weiteren  Abfalle  mit  Nachdruck  zu  begegnen.  Mytilene  und 
Klazomenai  wurden  wieder  gewonnen,  Chalkideus  ward  im  milesischen 
Gebiete  besiegt  und  gelodlet,  Cbios  angegriffen  und  die  blühende  Insel, 
welche  seit  den  Perserkriegen  keine  Beschädigung  erlitten  hatte,  ward 
in  drei  Landungen  so  arg  heimgesucht,  dass  die  Einwohner  an- 
fingen, mit  der  Politik  ihrer  Regierung  in  hohem  Grade  unzufrieden 
zu  sein. 

Gegen  Ende  des  Sommers  kam  endlich  eine  neue  attische  Flotte 
von  48  Schiffen  mit  3500  Schwerbewaffneten  unter  Phrynicbos,  dem 
Sohne  des  Slratonides,  Onomakles  und  Skironides.  Ihre  Absicht  war, 
Milet  zu  erobern,  um  dadurch  dem  ganzen  Aufslande  Ioniens  ein  Ende 
zu  machen.  Es  kam  zu  einer  Schlacht  mit  deu  Milesiern,  Pelopon- 
nesiern  und  Persern,  in  der  die  dorischen  Bundesgenossen  Athens,  die 
Argiver,  in  Folge  ihres  ungeordneten  Angriffs  von  den  loniern  grofsen 
Verlust  erlitten,  die  Athener  dagegen  über  die  Peloponnesier  solche 
Vortheile  gewannen,  dass  sie  unverzüglich  daran  gingen,  Milet  selbst 
zu  belagern.  Milet  war  verloren  und  die  feindliche  Macht  in  lonien  ver- 
nichtet, wenn  kein  Entsatz  kam.  Aber  ehe  die  Stadt  vollständig  ab- 
gesperrt war,  nahte  eine  neue  Flotte. 

Es  war  der  gefährlichste  aller  Feinde,  Hermokrates,  der  den  Athe- 
nern auch  hier  wieder  den  gewissen  Sieg  enlriss.  Er  hatte  es  durch- 
gesetzt, dass  er  mit  zwanzig  Schiffen  aus  Syrakus  und  zwei  aus  Selinus 
abgesendet  wurde,  um  den  Rachekrieg  im  ägäischen  Meere  fortzusetzen 
und  Athen  den  Todesstoß  zu  geben.  Den  Demokraten  in  Syrakus  war 
seine  Entfernung  nicht  unwillkommen;  deshalb  hatten  sie  seine  Pläne 
nicht  hinterlrieben,  sondern  sich  damit  begnügt,  seine  Kriegsmiltel  zu 


Digitized  by  Google 


SOLDVERKÜRZUNG  (9t,  1;  412  WINTER). 


701 


beschränken,  so  dass  er  zu  selbständigen  Unternehmungen  unfähig 
war.  Er  war  unverzüglich  nach  dem  Peloponnes  aufgebrochen,  hatte 
dort  zur  Eile  getrieben  und  sich  mit  den  in  Gytheion  segelfertigen 
Schiffen  vereinigt.  Es  waren  nun  zusammen  55  Schiffe,  welche  unter 
dem  Lakedämonier  Therimenes  abgingen,  um  Astyochos  zu  verstarken. 
Unmittelbar  nach  dem  Treffen  bei  Milet  liefen  sie  im  iasischen  Golfe 
ein.  Alkibiades,  welcher  selbst  dem  Treffen  beigewohnt  hatte,  eilte 
zu  Pferde  nach  lasos,  nm  die  unerwartete  Hülfe  unverzüglich  herbei 
zu  holen.  Die  Athener  hatten  Muth  und  Lust,  mit  der  vereinigten  Flotte 
den  Kampf  im  milesischen  Meerbusen  aufzunehmen,  aber  die  Ansicht 
des  vorsichtigen  Phrynichos  gewann  doch  die  Oberhand.  Er  erklärte 
es  für  ein  unverantwortliches  Wagniss,  die  mit  den  letzten  Mitteln  aus- 
gerüstete Flotte  in  der  Schlacht  auf  das  Spiel  zu  setzen.  Man  zog  sich 
also  nach  Samos  zurück  und  der  milesische  Sieg  blieb  erfolglos.  Die 
Feinde  aber  gingen  Tissaphemes  zu  Gefatlen  nach  lasos,  eroberten  es 
für  ihn  und  lieferten  ihm,  als  dienstbeflissene  Schergen,  den  gefange- 
nen Amorges  aus168). 

Auch  im  folgenden  Winter  geschah  nichts  Erhebliches  auf  dem 
Kriegstheater,  aber  es  gestalteten  sich  doch  für  Athen  die  Verhältnisse 
im  Ganzen  immer  günstiger,  indem  die  Lage  von  Chios  sich  verschlim- 
merte und  innerhalb  des  feindlichen  Bündnisses  sehr  ernste  Misshellig- 
keiten ausbrachen;  zuerst  zwischen  Chios  und  Astyochos,  dessen  Un- 
thätigkeit  die  Insulaner  mit  Recht  verdross,  und  dann  zwischen  Tissa- 
phemes und  der  peloponnesischen  Flotte.  Der  Satrap  zahlte  in  Milet 
den  ersten  Sold  aus  und  zwar  erhielt,  wie  er  in  Sparta  versprochen 
hatte,  jeder  Mann  an  Bord  eine  Drachme  für  den  Tag.  Dabei  erklärte 
er  aber,  dass  er  in  Zukunft  nur  die  Hälfte  geben  könne,  bis  der  Grofs- 
könig  ihn  ermächtige,  auch  ferner  eine  volle  Drachme  zu  zahlen. 

Der  Sold  für  Seedienst  war  durch  die  sicilische  Unternehmung  in 
die  Höhe  gegangen;  nach  dem  Ende  derselben  werden  aber  auch  wohl 
die  Athener  wieder  zu  einem  niedrigeren  Satze  zurückgekehrt  sein, 
und  da  war  eine  halbe  Drachme  das  Gewöhnliche.  Eine  vertragsmäfsige 
Verpflichtung  mehr  zu  geben  konnte  dem  Tissaphemes  nicht  nach- 
gewiesen werden;  aber  sein  Benehmen  erweckte  grofse  Erbitterung, 
nicht  blofs  des  Eigennutzes  wegen,  sondern  auch  deshalb,  weil  der 
höhere  Persersold  das  wirksamste  Mittel  war,  die  attische  Seemacht  zu 
schwächen,  indem  man  ihr  die  Mannschan  abwendig  machte.  Deshalb 
trat  besonders  Hermokrates,  welchem  die  ganze  Art  der  Kriegsführung 


Digitized  by  Google 


702 


ZWEITER  SUBSIME.NVbllTItAC. 


und  die  Abhängigkeit  von  Persien  ein  Greuel  war,  dem  Satrapen  mit 
grofser  Heftigkeit  gegenüber,  und  nur  mit  Mühe  gelang  es  endlich  eine 
Uebereinkunft  zu  Stande  zu  bringen,  welche  darin  bestand,  dass  Tissa- 
phernes  sich  bereit  erklärte,  für  je  fünf  Schilfe  zusammen  monatlich 
drei  Talente  zu  geben,  also  für  das  einzelne  Schiff  36  Minen  anstatt  30, 
und  für  den  Mann  3%  Obolen  anstatt  3.  Einen  solchen  Zuschlag  glaubte 
Tissapbernes  auch  ohne  königliche  Genehmigung  geben  zu  können. 

Dies  unwürdige  Feilschen  um  Soldzulage  machte  einen  sehr  üblen 
Eindruck,  und  die  Unzufriedenheit  würde  noch  gröfser  gewesen  sein, 
wenn  nicht  das  Seevolk  durch  reichliche  Beute  bei  der  Erorberun? 
von  lasos  seine  Entschädigung  gefunden  hätte.  Darum  hatten  die  Pelo- 
ponnesier  auch  jetzt  keine  Lust,  gegen  die  Athener,  welche  ihre  Flotte 
bis  auf  104  Schiffe  gebracht  hatten,  etwas  Entscheidendes  zu  unter- 
nehmen oder  überhaupt  in  Ionien  einen  planmäßigen  Krieg  zu  führen, 
sondern  sie  zogen  es  vor,  von  Milet  aus  einzelne  Strei  fange  zu  machen, 
wie  z.  B.  nach  Knidos,  welches  von  Tissapbernes  abgefallen  war.  In- 
zwischen veranlasste  die  Unzufriedenheit,  welche  über  den  ersten 
Traktat  mit  den  Persern  laut  geworden  war,  den  Abschluss  eines 
zweiten.  Man  gab  ihnen  zu  verstehen,  dass  die  Peloponnesier  gegen- 
wärtig doch  wohl  andere  Ansprüche  machen  dürften,  als  damals,  da  sie 
unter  Chalkideus  mit  ein  Paar  Schiffen  den  ionischen  Feldzug  eröffnet 
hätten.  Es  wurden  in  der  That  einige  wichtige  Punkte  zu  Gunsten  der 
griechischen  Nationalehre  gemildert,  namentlich  sehen  wir  die  weit- 
gehenden Verpflichtungen  der  Lakedämonier  vorsichtiger  begränzt  und 
im  Wesentlichen  darauf  beschränkt,  dass  sie  sich  selbst  von  jeder 
Feindseligkeit  gegen  die  als  persisch  anerkannten  Territorien  und  jeder 
Tributerhebung  daselbst  enthalten  sollten;  jede  Hülfsleistung  soll  aber 
von  besonderen  Vereinbarungen  abhängig  bleiben.  Dann  wurden  von 
persischer  Seite  die  Kosten  des  Unterhalls  der  lakedämonischen  Mann- 
schaften innerhalb  des  königlichen  Gebiets  übernommen,  falls  die- 
selben im  Interesse  des  Königs  anwesend  sind.  Von  Neuem  aber  wurden 
im  weitesten  Umfange  die  Hoheitsrechle  des  Grofskönigs  zur  Aner- 
kennung gebracht  und  auf  Alles,  was  seine  Vorfahren  besessen,  aus- 
drücklich ausgedehnt.  Das  war  der  zweite  Bundes-  und  Freund- 
schaftsvertrag, der  durch  Therimenes  geschlossen  und  nach  ihm 
genannt  wurde18*). 

Das  Wichtigste  aber,  was  in  diesem  Winter  erfolgte,  war  die  Ver- 
änderung in  der  Stellung  des  Alkibiades.  Er  hatte  den  Spartanern  die 


Digitized  by  Go 


ALKIBIADES  BEI  DEN  PERSERN  (9S,  1;  412  SPÄTHERBST).  703 

wesentlichsten  Dienste  geleistet,  ihre  Erfolge  waren  sämtlich  sein 
Werk.  Wenn  diese  Bedeutung  eines  Fremdlings  schon  an  sich  das  Ehr- 
gefühl der  Spartaner  auf  das  Tiefste  kränkte,  so  kam  nun  zu  dieser 
Eifersucht  der  tödlliche  Mass  der  Feinde,  welcher  ihn  immer  heftiger 
verfolgte,  während  seine  Anhänger  entweder  gefallen  waren  wie  Chal- 
kideus,  oder  wie  Endios  inzwischen  ihre  amtliche  Stellung  verloren 
hatten.  Der  Feinde  schlimmster  war  König  Agis,  welcher  sich  durch 
Alkibiades  ganz  in  den  Hintergrund  gedrängt  und  schwer  beleidigt  sah. 
Die  Verführung  der  Königin  Timaia  war  ein  öffentliches  Aergerniss  em- 
pörendster Art;  es  wurde  auch  auf  der  attischen  Bühne  bespöttelt  und 
Alkibiades  selbst  soll  in  frechem  Uebermuthe  sich  dessen  gerühmt 
haben,  dass  einst  seine  Nachkommenschaft  den  Thron  der  Herakliden 
inne  haben  werde.  Seit  man  nun  des  Alkibiades  nicht  mehr  zu  be- 
dürfen glaubte,  war  er  auch  seines  Lebens  im  lakedämonischen  Lager 
nicht  mehr  sicher;  denn  wenn  man  ihn  los  sein  wollte,  so  konnte  nur 
sein  Tod  vor  den  Folgen  seiner  Feindschaft  schützen.  Das  war  es 
auch,  was  die  Bachgier  seiner  Gegner  verlangte,  und  sie  erwirkten  von 
den  Behörden  Spartas  einen  Befehl,  welcher  dem  Astyochos  die 
Tödtung  des  Alkibiades  auftrug.  Alkibiades  aber  wurde  gewarnt,  wie 
es  heifst,  durch  Timaia.  Er  war  auf  diesen  Fall  längst  vorbereitet,  und 
hatte  deshalb  seine  Unterhandlungen  mit  Tissaphernes  von  Anfang  an 
dazu  benutzt,  sich  bei  ihm  eine  Stellung  zu  verschaffen.  Was  Alki- 
.  biades  auf  Seilen  Spartas  hatte  erreichen  wollen,  war  erreicht.  Halb 
Attika  war  in  Feindeshand,  im  Hafen  von  Milet  lagerte  eine  von  per- 
sischem Gelde  besoldete  Flotte,  und  seine  Landsleute  hatten  schwer 
empfunden,  was  es  heifse,  Alkibiades  zum  Feinde  zu  haben.  Jetzt  sollte 
ein  neuer  Umschwung  erfolgen,  der  wiederum  allein  von  seiner  Person 
abhängen  musste.  Er  verliefs  also  heimlich  das  peloponnesische  Lager 
und  begab  sich  nach  Magnesia  in  das  Hauptquartier  des  Satrapen, 
welcher  nach  alter  Perserpolitik  den  mächtigen  Parteigänger  (mit 
Freuden  an  seinem  Hofe  aufnahm170). 

Dies  Alles  war  gleich  nach  der  milesischen  Schlacht  erfolgt,  und 
sehr  bald  spürten  die  Lakedämonier,  dass  der  Mann,  welcher  das  Bünd- 
niss  mit  Persien  geschlossen  habe,  auch  im  Stande  sei,  dasselbe  wieder 
zu  lösen.  Denn  die  plötzliche  Soldverringerung,  welche  das  Bestehen 
der  ganzen  Verbindung  gefährdete,  war  schon  das  Werk  des  Alkibi- 
ades, der  kaum  den  Dolchen  der  Spartaner  entronnen  war,  als  er  auch 
schon  die  Macht  in  Händen  hatte,  sich  an  ihnen  zu  rächen. 


Digitized  by  Google 


704 


Al.KIMAIlES  HEI  TISSAPHERNES. 


Wie  er  in  Sparta  Spartaner  gewesen  war,  so  war  er  am  Satrapen- 
hofe der  vornehme  Perser.  In  jede  neue  Lebenslage  fand  er  sich 
hinein,  als  wenn  er  für  sie  geboren  wäre,  und  tauschte  den  Umständen 
gemäfs,  wie  die  Kleidung,  so  auch  Sprache  und  Sitte.  Bald  war  der 
flüchtige  Abenteurer  der  Vertraute  und  Minister  des  Tissaphernes  und 
bestimmte  hier,  wie  er  es  in  Sparta  gethan  hatte,  die  auswärtige  Poli- 
tik. Damals  hatte  man  in  Susa  so  wenig  wie  in  Sardes  ein  festes  Pro- 
gramm. Man  fing  ja  eben  erst  wieder  an,  sich  in  die  Verhältnisse  des 
griechischen  Meers  einzumischen,  und  folgte  dabei  nur  gewissen  rohen 
Ueberlieferungen  der  Achämenidenpolitik.  Man  brachte  nichts  mit  als 
den  alten  Perserstolz  und  die  alte  Verachtung  des  griechischen  Volks; 
es  fehlte  an  jeder  genaueren  Kennlniss  der  Staatenverhältnisse.  Alkibi- 
ades  kam  also  zur  rechten  Zeit,  um  Tissaphernes  die  Wege  zu  zeigen, 
die  er  gehen  müsse. 

'Persien,  sagte  er  ihm,  soll  nicht  der  Bundesgenosse  eines  der 
griechischen  Staaten  werden;  sein  Interesse  ist  vielmehr  die  Schwäche 
beider  Grofsstaaten.  Die  sicherste  und  am  wenigsten  kostspielige  Art 
seiner  Kriegführung  ist  also  die,  die  Hellenen  durch  einander  zu 
schwächen  und  keinem  Staate  eine  unbedingte  Hebe rm acht  zufallen  zu 
lassen.'  Denn  nicht  Athen  allein  sei  gefahrlich,  sondern  auch  Sparta, 
und  zwar  um  so  mehr,  weil  es,  wenn  es  einmal  in  Ionien  Macht  ge- 
wonnen habe,  sehr  leicht  daran  denken  könne,  dieselbe  nach  dem 
Binnenlande  zu  erweitern,  woran  ein  Flottenstaat  niemals  denken 
werde.  Darum  könne  man  sich  viel  eher  mit  Athen  über  eine  Theilung 
der  Herrschaft  verständigen,  als  mit  Sparta.  Man  dürfe  also  Sparta 
nicht  hochmüthig  werden  lassen ;  man  müsse  es  mit  Geld  ködern,  aber 
nie  befriedigen.  Am  klügsten  sei  es,  die  einzelnen  Flottenbefehlshaber 
durch  Geldgeschenke  zu  gewinnen,  welche  man  nach  eigenem  Belieben 
gebe,  um  die  einflussreichen  Personen  von  Persien  abhängig  zu 
machen. 

In  diesem  Sinne  berieth  Alkibiades  den  Satrapen  und  handelte 
in  seinem  Namen.  Die  Chier  wurden  mit  ihren  Geldgesuchen  höhnend 
abgewiesen.  Sie  seien  die  reichsten  Kapitalisten  in  Griechenland  und 
wollten  auf  fremde  Kosten  ihre  Vortheile  erreichen.  Die  phönikische 
Flotte  wurde  nach  wie  vor  fern  gehalten  und  Alles  vermieden,  was 
eine  Entscheidung  des  Kriegs  herbeiführen  konnte.  Die  kriegfüh- 
renden Staaten  sollten  sich  unter  einander  aufreiben,  damit  zuletzt  die 
Macht  von  selbst  dem  Grofskönige  anheimfalle. 


Digitized  by  Googl 


DIE  PLÄPJE  DES  ALKIBIADES. 


705 


Tissaphernes  war  entzückt  über  diese  Rathschläge,  welche  seinem 
Geize  sowohl  wie  seinem  Griechenhasse  zusagten.  Er  liefs  Alkibiades 
vollkommen  gewähren,  glaubte  sich  durch  ihn  aus  allen  Verlegenheiten 
befreit,  ehrte  ihn  an  seinem  Hofe  auf  jede  Weise  und  benannte  sogar 
die  neuen  Parkanlagen  in  Sardes  nach  seinem  Wohlthäter.  Im  Grunde 
aber  wirkte  dieser  nur  für  sich.  Denn  wie  er  sich  im  Dienste  Sparlas 
die  Gunst  des  Tissaphernes  erworben  hatte,  so  warb  er  bei  Tissa- 
phernes um  den  Dank  der  Athener. 

Seitdem  er  die  peloponnesische  FloUe  verlassen  hatte,  war  er 
seinen  Landsleuten  näher  gerückt.  Sie  wussten  jetzt,  dass  es  nicht  seine 
Absicht  sei,  mit  Sparta  über  Athen  zu  triumphiren.  Er  war  schon  als 
Leiter  der  Spartaner  in  ihrer  auswärtigen  Politik  ein  heimlicher  Bundes- 
genosse der  Athener  gewesen,  denn  er  hatte  den  Vertrag  zu  Stande  ge- 
bracht, durch  welchen  die  Stadt  des  Leonidas  ihre  Vergangenheit  ver- 
läugnete;  einen  Vertrag,  welchen  die  Lakedämon ier  gar  nicht  bekannt 
werden  lassen  durften,  weil  sie  darin  die  Ion  ier,  die  sie  zur  Frei- 
heit aufriefen,  dem  Perserjoche  preisgaben.  Diese  Selbsterniedrigung 
Spartas  konnte  nur  dazu  dienen,  Athens  Ansehen  von  Neuem  zu 
heben.  Nachdem  aber  Alkibiades  mit  Sparta  gebrochen  hatte,  war 
er  wieder  ein  Wohlthäter  Athens  geworden.  Denn  ihm  mussle  man  es 
zuschreiben,  dass  die  phönikische  Flotte,  welche,  mit  der  peloponnesi- 
schen  vereinigt,  Athen  hätte  vernichten  können,  im  syrischen  Meere 
zurückblieb;  er  war  es  auch,  der  die  Soldzahlungen  hemmte,  das  feind- 
liche Hauptquartier  entzweite,  die  Chier  für  ihren  Abfall  büfsen  liefs 
und  den  Athenern  Zeit  verschaffte,  ihre  Kräfte  zu  sammeln.  Dass  Alki- 
biades auf  die  Dauer  im  persischen  Lager  bleiben  wolle,  schien  un- 
denkbar; auch  fing  er  schon  selbst  an,  sich  unmittelbar  mit  Athen  zu 
beschäftigen  und  Verbindungen  anzuknüpfen.  Denn  er  wollte  zurück, 
und  diese  Absicht  konnte  er  nicht  anders  als  durch  neue  Parteikämpfe 
erreichen.  Städtische  Unruhen  mussten  ihm  den  Weg  zur  Heimkehr 
bahnen1 71 ). 


Während  der  letzten  Jahre  war  es  in  Athen  ruhiger  gewesen 
als  lange  zuvor.  Alle  Kräfte  waren  angespannt,  den  Staat  zu  erhallen, 
die  Blicke  Aller  nach  aufsen  gerichtet  und  die  Bürger  im  Felde  sowohl 
wie  zu  Hause  in  angestrengtem  Waffendienste.  Die  Aufmerksamkeit 
war  auf  das  Nothwendigste  beschränkt  und  jeneVeise  Mäfsigung  in  den 

(Jnrtin»,  Gr.  Couch.  II.  6.  Anfl.  45 


Digitized  by  Google 


706 


ALKIBIADES   UMD   DIE  OLIGAR.CHF.N. 


öffentlichen  Angelegenheiten,  welche  nach  der  sicilischen  Niederlage 
eingetreten  war,  dauerte  fort.  Nun  war  die  erste  Furcht  vorüber,  die 
Möglichkeit  des  Widerstandes  war  gezeigt,  aber  wie  sollte  man  nach  der 
Zertrümmerung  der  Bundesgenossenschaft,  bei  völliger  Erschöpfung  der 
Geldmittel,  bei  der  Verbindung  Persiens  mit  Sparta  auf  dauernde  Er- 
folge und  einen  glücklichen  Ausgang  hofTen  dürfen!  Der  Krieg  zog  sich 
in  den  zweiten  Winter  hinein  ;  man  war  abgespannt  und  rechter  Kriegs- 
eifer nirgends  vorhanden. 

Unter  diesen  Umständen  tauchte  zunächst  bei  den  reichen  Bürgern, 
welche  von  den  Kriegslasten  am  meisten  zu  leiden  hatten,  namentlich 
bei  den  Schiffsführern  im  samischen  Lager  der  Gedanke  auf  durch  voll- 
ständige Verfassungsänderung  eine  Beendigung  des  Kriegs  möglich  zu 
machen ;  denn  so  lange  in  Athen  die  Masse  herrsche,  könne  an  eine 
Verständigung  mit  Sparta  nicht  gedacht  werden.  Die  Leiter  dieser  Be- 
wegung waren  die  Häupter  der  oligarchischen  Verbindungen,  welche  in 
der  Zeit  des  Hermokopidenprozesses  zuerst  ihre  Kräfte  erprobt  hatten, 
und  bei  der  herrschenden  Stimmung  wurde  es  ihnen  nicht  schwer,  auch 
ehrlich  denkende  Patrioten  für  ihre  Pläne  zu  gewinnen. 

Einen  bestimmten  Anstofs  erhielt  diese  Bewegung  durch  Alkibiades. 
Dieser  setzte  sich  nämlich  mit  den  einflussreicheren  Oligarchen  des 
samischen  Lagers  in  Verbindung,  stellte  ihnen  Geldmittel  von  Seiten 
des  Tissaphernes  und  die  Freundschaft  des  Grofskönigs  in  Aussicht 
und  versprach  ihnen  seine  volle  Unterstützung,  wenn  es  ihnen  gelänge, 
den  Umsturz  der  athenischen  Verfassung  durchzusetzen.  Denn  das 
könne  kein  Mensch  von  ihm  erwarten,  dass  er  sich  von  Neuem  der- 
selben Demokratie  anvertraue,  durch  die  er  landflüchtig  geworden 
wäre,  und  eben  so  wenig  sei  daran  zu  denken,  dass  der  Grofskönig 
und  seine  Statthalter  zu  einem  Staate  Vertrauen  hätten,  in  welchem 
die  Masse  regierte. 

Phrynichos  war  der  klügste  unter  den  attischen  Heerführern ;  ein 
Mann,  der  sich  aus  niedrigem  Stande  (er  soll  als  Knabe  das  Vieh  ge- 
hütet haben)  durch  gewandtes  Intriguenspiel  heraufgearbeitet,  als 
Sykophant  Geld  und  Einfluss  erworben  und  dann  als  Volksredner  und 
Feldherr  sein  grofses  Talent  bewährt  hatte.  Phrynichos  erkannte  die 
Unzuverlässigkeit  jener  Vorschläge.  Er  stellte  seinen  Amtsgenossen 
vor,  wie  undenkbar  es  sei,  dass  Alkibiades,  der  die  eigentlichen  Urheber 
seines  Sturzes  sehr  wohl  kenne,  jemals  ein  ehrlicher  Freund  der  Oli- 
garchen sein  könne.    Auch  ein  Anschluss  der  Perser  an  Athen  sei 


Digitized  by  Google 


I'EISANDROS  NACH  ATHEN  (M,  1;  411  WINTER). 


707 


durchaus  unwahrscheinlich,  so  lange  die  Peloponnesier  in  lonien 
mächtig  wären;  sie  seien  offenbar  dem  Tissaphernes  die  willkommensten 
und  bequemsten  Bundesgenossen;  er  könnte  nichts  Verkehrteres  thun, 
als  wenn  er  diese  plötzlich  verlassen  und  zu  seinen  Feinden  machen 
wollte,  während  doch  mit  Athen  ein  dauerndes  Einverslandniss  nicht 
zu  erreichen  wäre.  Endlich  sei  man  sehr  im  Irrthume,  wenn  man 
glaube,  sich  auf  die  oligarchischen  Parteien  in  den  bundesgenössischen 
Staaten  verlassen  zu  können.  Ein  System  Wechsel  in  Athen  würde 
weder  die  Abtrünnigen  zurückführen  noch  die  Treugebliebenen  fesler 
machen.  Nicht  auf  die  Verfassung  in  Athen  komme  es  ihnen  an,  son- 
dern auf  ihre  eigene  Selbständigkeit. 

Diese  Vorstellungen  fanden  keinen  Eingang.  Die  Oligarchen 
waren  von  Leidenschaft  verblendet;  sie  glaubten  einmal  eine  un- 
vergleichliche Gelegenheit  in  Händen  zu  haben,  um  den  Umsturz  der 
Verfassung  durch  solche  Gründe  empfehlen  zu  können,  welche  auch 
der  grofsen  Menge  annehmlich  wären,  und  waren  fest  entschlossen, 
diese  Gelegenheit  nicht  unbenutzt  zu  lassen.  Es  wurden  also  die  heim- 
lichen Verabredungen  mit  Alkibiades  eifrig  fortgesetzt.  Ein  Kern  von 
Verschworenen  fand  sich  zusammen;  man  wagte  schon  hie  und  da  ofTen 
von  'gewissen  nothwendigen  Verwaltungsreformen'  zu  sprechen,  und 
wenn  sich  auch  im  Heere  eine  unverkennbare  Abneigung  dagegen 
zeigte,  so  war  die  Aussicht  auf  persische  Löhnung  doch  so  lockender 
Art,  dass  ein  entschiedener  Widerspruch  nicht  erfolgte.  Man  ging  also 
zuversichtlich  weiter  und  sendete  Peisandros  (S.  624),  welcher  jetzt  in 
seiner  wirklichen  Parteifarbe  hervortrat,  mit  einigen  ihm  beigeordneten 
Männern  ab,  um  das  [im  Lager  begonnene  Werk  in  Athen  zur  Voll- 
endung zu  führen. 

Hier  gab  es  zunächst  einen  grofsen  Aufruhr,  als  die  Pläne  der  Ver- 
schworenen bekannt  wurden.  Die  Einen  eiferten  gegen  Alles,  was  wie 
Verfassungsbruch  aussah,  die  Anderen  gegen  die  Rückkehr  des  Alki- 
biades; die  Volksredner  waren  hierin  mit  den  Mitgliedern  der]Priester- 
geschlechter,  |welche  den  Mysterien  frevler  über  Alles  verabscheuten, 
einer  Meinung.  Aber  die  Stimmen  theilten  sich,  da  es  sich  um  dreierlei 
Vorschläge  und  Aussichten  handelte,  die  man  mit  feiner  List  in  ein- 
ander verwebt  hatte.  Die  erste  Wuth  gegen  Alkibiades  war  doch  längst 
abgekühlt;  die  Erbitterung  gegen  den  Verräther  wurde  dadurch  ge- 
mildert, dass  man  sich  selbst  nicht  ohne  Schuld  fühlte,  während  die 
glänzenden  Erfolge,  welche  ihn  begleiteten,  wohin  er  sich  wendete,  die 

45* 


Digitized  by  Google 


708 


ARISTOPHA.NEs'  LYSISTRATE  (JAK.  411). 


Bewunderung  des  ausserordentlichen  Mannes  steigerten;  sie  schmei- 
chelten selbst  der  attischen  Eitelkeit. 

Die  alte  Liebe  erwachte  wieder  in  der  groJsen  Menge,  mit  ihr  die 
Sehnsucht  nach  ihm,  und  man  wagte  wieder  die  Meinung  auszusprechen, 
dass  Alkibiades  allein  im  Stande  wäre,  den  Sieg  nach  Alben  zurückzu- 
führen, und  dass  man  dafür  schon  einige  Opfer  bringen  dürfe.  Die 
oligarchisch  Gesinnten  fanden  sich  in  den  Gedanken,  Alkibiades  heim- 
kehren zu  sehen,  wenn  nur  die  Volksherrschaft  beseitigt  würde.  Am 
meisten  Anklang  aber  fand  die  Aussicht  auf  neue  Geldmittel,  zumal  da 
sich  daran  eine  wenn  auch  ferne  Hoffnung  auf  endüchen  Frieden  an- 
knüpfte. 

Kurz  vor  Peisandros'  Ankunft  war  am  Lenäenfeste  die  Lysistrate 
des  Aristophanes  aufgeführt  worden.  Auch  ihr  Thema  ist  der  von 
allen  ersehnte  Friede  (S.  511),  und  da  die  Männer  ihn,  wie  es 
scheine,  doch  nicht  zu  Stande  bringen  werden,  so  beschliefsen  die 
Frauen,  sich  der  Staatsangelegenheiten  anzunehmen,  um  diesen  Zu- 
standen ein  Ende  zu  machen,  in  denen  Niemand  seines  Lebens  froh 
werde,  die  Weiber  wie  Wittwen  leben  und  die  Mädchen  unvermählt 
verblühen  müssten.  So  gut,  wie  ihre  Männer,  glauben  die  Athenerinnen 
auch  noch  den  Staat  verwallen  zu  können.  Sie  haben  in  der  Zeit 
der  Verschwörungen  das  Ihre  gelernt.  Alle  Weiber  von  Hellas  ver- 
einigen sich  also  zu  einem  geheimen  Bunde,  besetzen  die  Burg,  trotzen 
den  für  die  Wohlfahrt  der  Stadt  verantwortlichen  Probulen,  und  wissen 
die  wirksamsten  Millel  zu  ersinnen,  um  die  Männer  zur  Nachgiebig- 
keit zu  zwingen. 

So  lässt  der  Dichter  in  ausgelassenem  Possenspiele  seine  Mitbürger 
die  Nolli  der  Gegenwart  vergessen,  aber  doch  merkt  man  dem  ganzen 
Stücke  die  gedrückte  Stimmung,  den  Mangel  an  Vertrauen,  die  Un- 
sicherheit der  öffentlichen  Verhältnisse  an,  die  keinen  freimüthigen 
Spott  gestattet.  Es  wird  wohl  geeifert  gegen  Leute,  wie  Peisandros, 
welche  Unruhen  anstiften,  um  für  sich  zu  gewinnen,  und  gegen  die 
unberufenen  Staatskünsller,  welche  an  der  kranken  Stadt  herumquack- 
salbern; aber  der  Dichter  selbst  ist  außer  Stande  seinen  Mitbürgern 
Rath  zu  geben  oder  Muth  einzusprechen.  Darum  fehlt  auch  der  Ly- 
sistrate die  Parabase  (S.  304),  in  welcher  sonst  der  patriotische  Dichter 
so  kräftig  auszusprechen  ptlegt,  was  er  für  heilsam  erachtet.  Auf  Gassen 
und  Markt,  heust  es,  hört  man  die  allgemeine  Klage,  dass  kein  Mann 
im  attischen  Lande  vorhanden  sei,  kein  Betler i:a). 


Digitized  by  Google 


AnSETZUNG  NES  PHRY.MCHOS. 


709 


Darum  liefs  sich  Peisandros  durch  den  ersten  Widerspruch  nicht 
irre  machen.  Er  nahm  die  angesehenen  Bürger  in  gröfseren  und  klei- 
neren Gruppen  besonders  vor  und  suchte  sie  für  seine  Plane  zu  ge- 
winnen. Es  handele  sich  ja  nur  um  eine  von  der  gegenwärtigen  Lage 
geforderte  Mafsregel,  um  eine  vorübergehende  Beschrankung  der  Volks- 
rechte, wie  man  eine  solche  ja  schon  eingeführt  habe;  nicht  auf immer 
solle  mit  der  Geschichte  Athens  gebrochen  und  seine  Verfassung  auf- 
gehoben werden.  Damit  wurden  die  Verfassungstreuen  beruhigt.  Die 
Clubbisten  wurden  gewonnen,  indem  man  ihnen  vorstellte,  dass  man 
den  vcrhassten  Alkibiades  auch  wohl  zum  zweiten  Male  zu  beseitigen 
vermögen  werde,  wenn  er  den  Dienst,  den  man  von  ihm  erwarte,  ge- 
leistet habe.  Die  Hauptsache  aber  war,  dass  Peisandros  Allen  die  Frage 
vorlegen  konnte:  'Wisst  ihr  anderen  Rath,  um  Athen  zu  helfen?  Wie 
sollen  wir  denn  ohne  au fserordentliche  Mittel  diesen  Krieg  durchführen 
gegen  das  mit  Geld  und  Schiffen  versehene  Sparta,  das  gleichzeitig  in 
lonien  und  in  unserer  eigenen  Landschaft  sein  Hauptquartier  aufge- 
schlagen hat?  Es  handelt  sich  hier  nicht  um  eine  Principienfrage,  über 
welche  eine  allgemeine  Verständigung  unmöglich  ist,  sondern  um  die 
Rettung  der  Stadt.' 

So  fanden  sich  allmählich  immer  mehr  Bürger  darein,  die  Not- 
wendigkeit einer  Verfassungsänderung  zuzugeben ;  die  Einen  im  guten 
Glauben,  dass  es  keinen  andern  Ausweg  gäbe,  die  Anderen,  weil  ihnen 
Aussicht  auf  eigenen  Antheil  an  den  Vorlheilen  der  Neuerung  eröffnet 
wurde.  Die  politischen  Vereine  waren  wieder  in  voller  Thätigkeit  und 
arbeiteten  nach  gemeinsamem  Plane,  während  die  übrige  Menge  ein- 
geschüchtert und  ohne  Zusammenhang  war.  Die  wesentlichste  Förde- 
rung gewährten  endlich  die  Probulen,  deren  Amt  nun  schon  im 
zweiten  Jahre  bestand  und  die  verfassungsmäfsigen  Organe  des  Staats 
immer  mehr  aufser  Kraft  gesetzt  hatte.  Sie  hätten  alle  Pläne  der 
Verschworenen  von  vorn  herein  zerstören  können,  wenn  sie  nicht  der 
Mehrzahl  nach  ihre  Gesinnungsgenossen  gewesen  wären.  Unter  ihrer 
Autorität  kam  vielmehr  der  Beschluss  zu  Stande,  dass  Peisandros  und 
seine  Genossen  bevollmächtigt  werden  sollten,  mit  Tissaphernes  und 
Alkibiades  die  Verhandlungen  zu  eröffnen,  von  denen  man  sofort 
einen  günstigen  Umschwung  in  der  Lage  der  Stadt  erwartete.  Zugleich 
wurde  verordnet,  dass  Phrynichos  und  mit  ihm  Skironides  ihr  Feld- 
herrnamt niederlegen  sollten;  eine  Mafsregel,  welche  durch  das,  was  in- 
zwischen auf  der  Flotte  vorgefallen  war,  unumgänglich  geboten  schien. 


Digitized  by  Google 


710 


PHRYNICHOS  UND  ASTYOCHOS 


Phrynichos  war  nämlich  durch  den  glücklichen  Forlgang  der 
oligarchischen  Umtriebe,  welchen  er  nach  Kräften  entgegengearbeitet 
hatte,  in  die  gröfste  Sorge  versetzt,  nicht  etwa  um  seine  Vaterstadt, 
sondern  um  seine  eigene  Person.  Er  war  in  Allem,  was  er  gelhan 
halte,  von  Hass  gegen  Alkibiades  geleitet  worden;  er  wusste,  dass 
dieser  ihn  als  seinen  Feind  kenne,  und  ihn  quälte  der  Gedanke,  ihm 
erliegen  zu  müssen.  Er  spähte  also  nach  Gelegenheit  ihm  zu  schaden, 
er  suchte  nach  Feinden  des  Alkibiades,  die  er  als  zuverlässige  Bundes- 
genossen gewinnen  könne,  und  da  man  jetzt  im  spartanischen  Lager 
die  gröTste  Erbitterung  gegen  Alkibiades  voraussetzen  konnte,  so 
machte  sich  der  attische  Feldherr  kein  Gewissen  daraus,  mit  dem 
Admiral  der  feindlichen  Flotte  ein  heimliches  Einverständniss  anzu- 
knüpfen. Aber  hier  täuschte  sich  Phrynichos,  der  sonst  so  klar  über 
Menschen  und  Verhältnisse  zu  urteilen  wusste.  Der  Admiral  Sparlas 
stand  im  Solde  des  Tissaphernes.  Als  daher  Phrynichos  denj  Astyochos 
Alles  mitgetheilt  hatte,  was  zwischen  Alkibiades  und  den  Athenern 
verhandelt  worden  war,  gelangte  diese  Mittheilung  sofort  in  das  per- 
sische Hauptquartier  und  zur  Kunde  des  Alkibiades. 

Alkibiades  benutzte  die  Gelegenheit,  sich  als  Freund  der  Athener 
zu  zeigen;  er  warnte  sie  vor  ihrem  verrätherischen  Feldherrn,  er  ver- 
langte seinen  Tod  und  Phrynichos  halte  seinem  Feinde,  stall  sich  an 
ihm  zu  rächen,  die  schärfste  WafTe  gegen  sich  in  die  Hände  gegeben. 
Dennoch  liefs  er  sich  von  dem  eingeschlagenen  Wege  nicht  abbringen; 
er  hielt  Astyochos  nur  für  einen  unvorsichtigen  Mann,  tadelte  ihn  des- 
halb in  einem  zweiten  Briefe  und  erbot  sich  in  demselben,  das  ganze 
Heer  auf  Samos  dem  Feinde  in  die  Hände  zu  liefern,  wenn  derselbe 
einen  von  ihm  vorgeschlagenen  Ueberfall  ausführe.  Erst  nach  Ab- 
sendung  dieses  Briefes  gingen  Phrynichos  die  Augen  auf  und  nun 
schlug  er  zu  seiner  Rettung  den  Weg  ein,  dass  er  die  sorgfältigsten 
Anstalten  gegen  den  Ueberfall  treffen  liefs,  welchen  er  Astyochos  an- 
geralhen  hatte.  Als  daher  die  neue  Verrälherei  auf  dieselbe  Weise, 
wie  zuvor,  den  Athenern  gemeldet  wurde,  glaubte  man  nicht  daran, 
sondern  hielt  Alkibiades  für  einen  Verläumder,  welcher  keinen  anderen 
Zweck  verfolge,  als  Phrynichos  zu  stürzen,  und  dieser,  der  ohne 
Zweifel  der  geschickteste  unter  den  Feldherrn  auf  Samos  war,  hatte 
nun  gröfseres  Ansehen  im  Lager  als  je  zuvor.  Jetzt  aber,  da  alles 
Gelingen  von  dem  guten  Willen  des  Alkibiades  abhing,  durfte  Phry- 
nichos nicht  im  Amte  bleiben.    Seine  Entsetzung  war  der  erste  that- 


Digitized  by  Google 


LICBAS  UND  TISSAPHERXES  (92,  1 ;  411  JAN.). 


711 


sächliche  Erfolg  der  Macht,  welche  Alkibiades  wiederum  in  Athen  ge- 
wonnen hatte178). 

Als  nun  die  Verhandlungen  in  Magnesia,  wo  Tissaphernes  Hof 
hielt,  begannen,  hatten  sich  die  kleinasiatischen  Verhältnisse  inzwischen 
nicht  unwesentlich  verändert.  In  Sparta  war  man  mit  dem  Gange  des 
Kriegs  in  hohem  Grade  unzufrieden;  man  schämte  sich  der  Verträge, 
man  zürnte  auf  Astyochos  sowohl  wie  auf  den  unzuverlässigen  Satra- 
pen; man  beschloss  trotz  der  schlechten  Jahreszeil  sofort  27  Schiffe 
unter  Antisthenes  abzusenden  und  mit  ihm  eine  Commission  von  elf 
Männern,  welche  den  Stand  der  Dinge  in  Kleinasien  untersuchen  und 
für  die  Ehre  der  Stadt  sorgen  sollten.  Die  Absendung  erfolgte  Ende 
December.  Die  bedeutendste  Persönlichkeit  unter  den  Kriegscommis- 
sarien  war  Lichas,  des  Arkesilaos'  Sohn,  ein  reicher  und  stolzer  Spartiat, 
der  es  gewagt  hatte,  trotz  des  Ausschlusses  der  Spartaner  vom  olym- 
pischen Feste  mit  einem  siegreichen  Gespanne  daselbst  aufzutreten 
(Ol.  90;  420).  Er  war  deshalb  mit  Geifselbieben  von  den  elischeu  Be- 
hörden gestraft  worden,  wahrscheinlich  auf  Antrieb  des  Alkibiades, 
dessen  erbitterter  Gegner  er  war.  Astyochos  hatte  sich  Anfang  des 
Jahres  411  mit  der  Flotte  des  Antisthenes  bei  Knidos  vereinigt,  und 
auch  Tissaphernes  erschien  hier,  um  sich  mit  den  Spartanern  zu  ver- 
ständigen. Er  merkte  bald,  dass  in  ihrem  Lager  ein  ganz  auderer 
Geist  herrschte.  Denn  statt  dass  man  sich  von  Neuem  durch  seine 
Vorspiegelungen  täuschen  liefs,  erklärte  Lichas  rund  heraus,  dass 
Sparta  nicht  gesonnen  sei,  sich  von  ihm  zum  Narren  haben  zu  lassen. 
Auch  die  Verträge  müssten  revidirt  werden,  denn  man  führe  nicht 
Krieg,  um  die  Hellenen  von  Neuem  unter  die  Herrschaft  der  Perser 
zu  bringen.  Wenn  sich  also  der  Satrap  nicht  auf  andere  Bestim- 
mungen einlassen  wolle,  so  müsse  man  ohne  ihn  fertig  zu  werden 
suchen.  Tissaphernes  brach  die  Unterhandlungen  ab  und  kehrte  nach 
Magnesia  zurück. 

So  lagen  also  die  Verhältnisse  scheinbar  sehr  günstig  für  die 
Athener,  welche  gleich  darauf  in  Magnesia  eintrafen  und  ihr  Geschäft 
mit  der  Erklärung  eröffneten,  dass  sie  ihrerseits  die  Vorbedingung 
einer  Verständigung  mit  Persien  erfüllt  hätten ,  indem  durch  ihre  Be- 
mühungen die  Volksherrschaft  in  Athen  schon  so  gut  wie  aufgehoben 
sei;  sie  erwarteten  nun  den  dafür  in  Aussicht  gestellten  Preis.  Aber 
der  schlaue  Perser  war  keineswegs  gesonnen,  sich  ohne  Weiteres  mit 
den  Athenern  zu  verbinden.    Der  trotzige  Muth  des  Lichas  und  der 


Digitized  by  Google 


712 


TISSA l'H EH 3 ES  UND  AI.KIMAUES. 


Anblick  der  ansehnlichen  Flotte  hattin  ihren  Eindruck  nicht  verfehlt. 
Nachdem  Astyochos  auf  der  Fahrt  nach  Knidos  dem  attischen  Feld- 
herrn  Charminos  eine  Niederlage  beigebracht  hatte  und  auch  die  Insel 
Rhodos  durch  Verrath  der  dortigen  Oligarchen  den  Spartanern  in  die 
Hände  gerathen  war,  waren  diese  ohne  Frage  die  bedeutendere  Kriegs- 
macht an  der  asiatischen  Küste;  sie  hatten  Rhodos  statt  Milet  zu  ihrem 
Hauptquartiere  gemacht,  um  von  dem  Satrapen  entfernter  und  unab- 
hängiger zu  sein.  Sie  waren  zu  stark,  als  dass  er  sie  nach  Belieben 
hätte  los  werden  können,  und  er  sah  voraus,  dass  die  Einstellung  der 
Soldzahlungen  zunächst  keine  andere  Folge  haben  würde,  als  dass  die 
Truppen  sich  durch  Brand  Schätzung  seiner  Küsten  schadlos  halten 
würden.  Noch  peinlicher  aber  war  für  ihn  der  Gedanke,  dass  sich  die 
Spartaner  dann  dem  Pharnabazos  anschließen  möchten,  welcher  mit 
Sehnsucht  ihrer  wartete.  Wenn  es  ihm  also  auch  ganz  erwünscht 
war,  die  Spartaner  durch  die  Verhandlungen  mit  Athen  einzuschüchtern 
und  geschmeidiger  zu  machen,  so  war  es  doch  seinen  Interessen 
durchaus  zuwider,  sie  durch  einen  übereilten  Enlschluss  zu  seinen 
Feinden  zu  machen  und  einen  Subsidienvertrag  mit  Athen  abzu- 
schliefsen.  In  dieser  Beziehung  war  er  dem  Alkibiades  gegenüber 
durchaus  fest  und  handelte  so,  wie  Phrynichos  richtig  vorausgesehen 
hatte.  Alkibiades  gab  sich  den  Schein  eines  Einflusses,  den  er  in 
Wirklichkeit  gar  nicht  hatte;  er  war  dem  Satrapen  der  angenehmste 
Gesellschafter,  er  war  ihm  in  allen  griechischen  Angelegenheiten  ein 
höchst  willkommener  Ralhgeber,  Geschäftsführer  und  Unterhändler; 
ein  Mann,  wie  ihn  sich  Tissaphernes  bei  seiner  politischen  Stellung 
immer  hatte  wünschen  müssen.  Aber  er  war  weit  entfernt,  sich  ihm 
unbedingt  hinzugeben;  er  folgte  ihm  nur  so  weit,  dass  er  sich  hütete, 
allzu  nachdrücklich  und  aufrichtig  die  Peloponnesier  zu  unterstützen; 
vor  einem  Umschlage  in  der  Politik  hielt  ihn  sein  richtiger  Takt 
zurück. 

Unter  diesen  Umständen  hätte  sich  Alkibiades  also  in  der  gröfsten 
Verlegenheit  befunden,  wenn  die  Partei,  deren  Vertreter  die  Unter- 
händler waren,  seine  eigene  Partei  gewesen  wäre,  wenn  er  auf  sie 
seine  Pläne  der  Heimkehr  gebaut  hätte.  Aber  einem  Peisandros  und 
seinen  Genossen  den  Triumph  einer  erfolgreichen  Verhandlung  zu 
gönnen,  war  gewiss  von  Anfang  an  nicht  seine  Absicht  gewesen.  Er 
richtete  also  den  Verhältnissen  gemäfs  sein  Spiel  so  ein,  dass  er  vor 
Allem  seine  Person  deckte.    Denn  die  Hauptsache  für  ihn  war,  dass 


Digitized  by  Google 


VERHANDLUNGEN  IN  MAGNESIA  (98,  1;  411  FEBR.). 


713 


Niemand  an  seinem  Einflüsse  im  Perserlager  zweirein  sollte;  sein  An- 
sehen durfte  nicht  leiden;  wenn  also  die  Verhandlungen  sich  zer- 
schlugen, so  musste  alle  Schuld  auf  die  Unterhändler  fallen.  Darum 
liefe  er  sich  von  Tissaphernes  beauftragen,  die  Verhandlungen  in  seiner 
Gegenwart  zu  fuhren  und  halte  zunächst  die  Genugtuung,  dass  die 
verhassten  Oligarchen  vor  ihm  sich  demöthigen  und  ihm  den  Hör 
machen  mussten.  Die  Conferenzen  begannen,  und  Peisandros,  der 
auf  starke  Zumuthungen  gefasst  war,  verzichtete  im  Namen  Athens 
gleich  auf  ganz  Ionien,  um  dessen  Besitz  man  doch  die  letzten  Kräfte 
des  Staats  angespannt  hatte.  Darauf  verlangte  Alkibiades  für  die 
Perser  auch  die  vorliegenden  Inseln,  also  Lesbos,  Samos,  Chios;  auch 
das  wurde  bewilligt.  Nun  aber  kam  die  dritte  Forderung,  es  solle 
dem  Grofskönige  freistehen,  mit  seinen  Kriegsschiffen  alle  Theile  des 
ägäischen  Meers  und  sämtliche  Küsten  zu  befahren.  Dies  traf  den 
empfindlichsten  Punkt  der  Ehre  Athens;  damit  hätte  es  nicht  nur  auf 
seine  jenseitigen  Besitzungen,  sondern  auf  die  sichere  Herrschaft  im 
eigenen  Meere  verzichtet.  Nach  solchen  Zugeständnissen,  welche  die 
ganze  Geschichte  Athens  mit  einem  Strich  vernichtet  haben  würden, 
konnten  die  Abgeordneten  ihren  Mitbürgern,  denen  sie  eine  neue  Aera 
des  Glücks  versprochen  hatten,  nicht  vor  Augen  treten.  Sie  erkannten 
nun,  wie  richtig  Phrynichos  den  zweizüngigen  Alkibiades  beurteilt 
habe,  und  kehrten,  entrüstet  über  das  Spiel,  das  mit  ihnen  getrieben 
worden  war,  nach  Samos  zurück174). 

Unmittelbar  darnach  knüpfte  Tissaphernes  mit  den  Lakedämoniern, 
von  denen  er  sich  nach  dem  kecken  Auftreten  des  Lichas  in  sehr  ge- 
reizter Stimmung  zurückgezogen  hatte,  neue  Verhandlungen  an.  Dies- 
mal war  es  der  Satrap,  der  die  Verständigung  suchte.  Darum  ging  er, 
um  den  bei  Rhodos  lagernden  Peloponnesiern  näher  zu  sein,  nach  der 
karischen  Küstenstadl  Kaunos  und  auf  seine  Veranlassung  kamen  die 
beiderseitigen  Vertreter  bei  Magnesia  im  Maiandrosthale  zusammen. 
Astyochos  verhandelte  im  Sinne  des  Lichas,  der  mit  der  Commission 
der  Elfmänner  das  Interesse  und  die  Ehre  Sparlas  vertrat.  Zunächst 
wurde  die  Anerkennung  persischer  Reichshoheit  auf  das  asiatische  Fest- 
land beschränkt;  dann  wurde,  um  der  Vereinbarung  eine  allgemeinere 
Gültigkeit  zu  geben,  wie  es  Sparta  wünschen  musste,  aufser  Tissa- 
phernes auch  Pharnabazos  als  Vertreter  des  Grofskönigs  in  dem  Ver- 
trage genannt.  Was  aber  die  weitere  Kriegführung  betrifft,  so  wird 
Alles  von  dem  Eintreffen  der  phönikischen  Flotle  abhängig  gemacht. 


Digitized  by  Google 


714 


»RITTER  VERTRAG  MIT  PERSIEN. 


Bis  zu  diesem  Zeitpunkt  übernimmt  Tissaphernes  die  Verpflegung  der 
Schiffsmannschaften  nach  dem  vereinbarten  Satze,  und  zwar  ohne  dass 
die  Peloponnesier  dafür  zu  bestimmten  Leistungen  verpflichtet  werden. 
Nach  Eintreffen  der  Flotte  soll  aber  der  Krieg  nur  nach  gemeinsamem 
Plane  geführt  werden,  und  die  Soldzahlung  für  seine  Mannschaften  über- 
nimmt Sparta  oder  verpflichtet  sich  nach  Beendigung  des  Kriegs  zur 
Rückzahlung  der  gewährten  Vorschüsse. 

Man  sieht,  wie  der  unheimlichen  Verbindung  mit  den  Barbaren  die 
besten  Seiten  abgewonnen  werden  und  das  Schlimmste  beseitigt  isL 
Im  Vergleich  zu  den  früheren  Verträgen,  welche  durch  Alkibiades'  un- 
ehrliche Vermiltelung  zu  Stande  gekommen  waren,  haben  die  Spartaner 
jetzt  eine  ehrenhaftere  Stellung  eingenommen  und  mehr  erreicht ;  das 
Geld  ist  ihnen  gesichert  und  dabei  die  Freiheit  der  Bewegung  ihnen  ge- 
wahrt. Was  sie  aber  ihrerseits  dem  Satrapen  an  Vortheüen  einräumen« 
hat  den  Zweck,  denselben  anzutreiben,  endlich  mit  den  vollen  Streit- 
kräften des  Heichs  im  ägäischen  Meere  aufzutreten,  weil  nur  dadurch 
die  Aussicht  gegeben  war,  den  griechischen  Staatenkrieg  siegreich  zu  tu 
Abschluss  zu  bringen. 

Dieser  Vertrag,  der  etwa  im  Februar  zu  Stande  kam,  unterscheidet 
sich  von  den  beiden  früheren  auch  dadurch,  dass  er,  wie  er  bei  Thuky- 
dides  überliefert  ist,  nach  dem  Regierungsjahre  des  Dareios  und  den 
regierenden  Epboren  datirt,  einen  mehr  amtlichen  Charakter  trägt. 
Während  man  die  früheren  verheimlichen  musste,  konnte  dieser  als 
Aktenstück  veröffentlicht  und  in  das  städtische  Archiv  aufgenommen 
werden.  Tissaphernes  war  nun  durch  eine  öffentliche  Urkunde  gebunden 
und  versäumte  nicht,  seinerseits  sofort  den  eingegangenen  Verpflich- 
tungen nachzukommen  17  6). 

So  war  Alles  in  das  Gegentheil  von  dem  umgeschlagen,  was  die 
athenischen  Gesandten,  Peisandros  und  Genossen,  erstrebt  hatten.  Sie 
waren  in  der  peinlichsten  Lage;  sie  konnten  nichts  von  dem  heim- 
bringen, wofür  sie  von  Seiten  des  Volks  so  schwere  Opfer  in  Anspruch 
genommen  und  ihre  eigene  Ehre  eingesetzt  halten.  Ein  Zurückgehen 
war  nicht  mehr  möglich.  Die  oligarchischen  Parteibestrebungen  waren 
im  Heere  schon  zu  weit  gediehen,  und  die  samischen  Oligarchen,  mit 
denen  man  sich  eingelassen  halte,  forderten,  dass  man  fest  bleibe.  Es 
wurde  also  im  Lager  beschlossen,  Alkibiades  gehen  zu  lassen,  der  in 
den  Staat,  wie  man  ihn  einrichten  wolle,  doch  nicht  hineinpasse.  Die 
Sache,  die  früher  nur  Mittel  sein  sollte,  wurde  jetzt  zum  alleinigen 


Digitized  by  Google 


ANTIPHON   UND  THERAMENES. 


715 


Zwecke  gemacht  und  mit  dem  gröfslen  Eifer  betrieben.  Die  Partei- 
genossen leisteten  freiwillige  Beisteuer;  sie  entsendeten  Peisandros  nach 
Athen,  um  dort  die  Verschwörung  zur  Reife  zu  bringen,  gleichzeitig 
aber  auch  andere  Abgeordnete  nach  den  bundesgenössischen  Städten, 
wie  z.  B.  Diotrephes  nach  der  thrakischen  Küste,  um  überall  die  Volks- 
herrschaft zu  stürzen.  Es  war  eine  durchaus  revolutionäre  Macht, 
welche  rücksichtslos  damit  umging,  Athen  und  dem  ganzen  Gebiete 
attischer  Herrschaft  eine  neue  Gestallung  zu  geben.  Wie  blind  man 
dabei  verfuhr,  zeigt  das  Beispiel  von  Thasos.  Denn  wie  Diotrephes  da- 
selbst anlangte,  um  die  Verfassung  zu  stürzen,  nahmen  die  dortigen 
Aristokraten  diesen  Dienst  sehr  dankbar  an,  hatten  aber,  so  wie  er  fort 
war,  nichts  Eiligeres  zu  thun,  als  Mauern  zu  bauen  und  durch  Sparlas 
Hülfe  sich  von  jeder  Verbindung  mit  Athen  loszureifsen.  Es  rächte 
sich  wiederum  auf  der  Stelle,  wenn  Athen  sich  auswärts  mit  aristo- 
kratischen Parteien  einliefs  (S.  178). 

Besser  glückte  es  in  der  Hauptstadt.  Hier  war  seit  der  Abreise 
des  Peisandros  viel  geschehen,  um  die  Pläne  der  Oligarchien  zu  fördern. 
Alle  einzelnen  Verbindungen  dieser  Farbe  hatten  sich  vereinigt  und  bil- 
deten eine  Gesellschaft,  einen  mächtigen  Bund,  welcher  nach  gemein- 
samer Verabredung  handelte. 

Die  eigentliche  Seele  dieser  Bestrebungen  war  Antiphon,  des  So- 
philos'  Sohn  (S.  287),  damals  schon  hoch  in  den  sechsziger  Jahren,  aber 
von  unermüdlicher  Thätigkeit;  ein  Mann,  ganz  geschaffen  zum  Rath- 
geber und  Leiter  einer  Partei,  reich  an  praktischer  Erfahrung,  an  Kennt- 
niss  des  Staats  und  der  Menschen,  unerschöpflich  an  guten  Anschlägen, 
zuverlässig  und  verschwiegen,  an  Schärfe  des  Denkens  und  Kraft  des 
Worts  allen  Mitbürgern  überlegen,  dabei  vollkommen  Herr  seiner  selbst 
und  frei  von  dem  ehrgeizigen  Triebe,  sich  selbst  in  die  ersten  Stellen 
vordrängen  zu  wollen.  Ein  zweiter  Führer  war  Theramenes,  der  Sohn 
des  Probulen  Hagnon,  ein  Mann  von  glänzenden  Fähigkeiten,  beredt, 
einsichtsvoll  und  gewandt,  mit  edlen  Gemüthsanlagen  ausgestattet,  aber 
ohne  innere  Festigkeit,  ein  echter  Zögling  der  Sophistik,  einer  der 
besten  Schüler  des  Gorgias  und  Prodikos,  durch  seine  Talente  wie  durch 
einflussreiche  Verbindungen  eine  der  bedeutendsten  Stützen  der  oli- 
garchischen  Partei.  Auch  Phrynichos  war  ganz  für  dieselbe  gewonnen, 
seitdem  man  sich  entschlossen  halte,  alle  Verbindungen  mit  Alkibiades 
abzubrechen.  Denn  so  bedenklich  auch  dem  klugen  Manne  die  ganze 
Unternehmung  erscheinen  musste,  so  hatte  er  jetzt  doch  keine  Wahl; 


Digitized  by  Google 


716 


DIE  THEORIEN  DER  OLIGAR(;HE>. 


er  mussle  mit  allen  Kräften  seines  kühnen  und  verschlagenen  Geistes 
di«  Partei  Unterstufen,  welche  seinem  Feinde  entgegenarbeitete.  Ein 
Freund  des  Antiphon  und  des  Theramenes  war  Archeplolemos,  des 
Hippodamos  Sohn,  welcher  schon  vor  Jahren  Kleon  bekämpft  hatte,  als 
es  sich  nach  den  Ereignissen  von  Pylos  um  Krieg  oder  Frieden  handelte, 
und  jetzt  ein  Parteihaupt  war,  um  welches  sich  die  Gegner  der  Dema- 
gogie und .  Demokratie  sammelten;  unter  denen,  weiche  aus  älterer 
Familienüberlieferung  sich  anschlössen,  war  Melesias,  des  Thuky- 
dides  Sohn  (S.  186). 

Die  bei  weitem  gröTste  Menge  der  Parteigenossen  gehörte  der 
sophistisch  gebildeten  Jugend  an,  welche  die  Gesetze  des  Staats 
und  das  gemeine  Volk  verachtete,  aus  allerlei  persönlichen  Gründen 
Neuerungen  wünschte  und  mit  Begierde  die  Staatslehren  einsog,  welche 
ihr  mit  glänzender  Beredsamkeit  von  Antiphon,  dem  Nestor  seiner 
Partei,  wie  man  ihn  zu  nennen  pflegte,  in  den  Parteiversammlungen 
vorgetragen  wurden.  Die  herrschende  Stimmung  und  die  Erfahrungen 
der  letzten  Jahre  waren  förderlich,  um  von  den  wohlhabenden  Bürgern, 
welche  sich  bis  dahin  von  einer  entschiedenen  Parteinahme  fern  ge- 
halten hatten,  viele  zu  gewinnen. 

Manche  unzweifelhaft  richtige  Gesichtspunkte  wurden  geltend  ge- 
macht, und  die  lief  empfundenen  Mängel  des  Bestehenden  geschickt 
benutzt,  um  die  selbstsüchtigen  Parteimotive  zu  verstecken.  Man  ge- 
wöhnte sich,  es  als  eine  ausgemachte  Thatsache  hinzustellen,  dass 
die  Demokratie  die  ungerechteste  und  schlechteste  aller  Verfassungen 
sei.  Das  Volk  selbst,  sagte  man,  erkenne  seine  Unfähigkeit  zum  Regieren 
an,  indem  es  für  die  wichtigsten  Staatsämter  die  Einführung  des  Looses 
niemals  gefordert  habe;  das  Volk  werde  sich  also  auch  besser  dabei 
stehen,  wenn  die  gesamte  Regierung  in  die  Hände  derer  gelange,  auf 
welche  man  bisher  nur  die  Lasten  des  Gemeinwesens  zu  wälzen  pflege, 
wenn  man  die  Stände  wieder  sondere  und  den  Vornehmen,  die  zu 
Dienern  der  Masse  erniedrigt  worden  wären,  die  gebührenden  Rechte 
zurückgebe.  Die  Zweideutigkeit  der  griechischen  Ausdrucksweise, 
durch  welche  nach  alter  Ueberlieferung  die  Leute  von  Herkunft,  Er- 
ziehung und  Lebensart  noch  immer  als  die  'Wackeren  und  Tüchtigen' 
bezeichnet  wurden,  kam  den  Parteileuten  zu  Gute.  Sie  konnten  sich 
jetzt  ja  auch  darauf  berufen,  dass  mit  Einsetzung  der  Probulen  schon 
der  Anfang  gemacht  sei,  um  von  dem  Unsinne  der  Massenherrschafl 
zu  einer  vernünftigen  Ordnung  der  Dinge  zurückzukehren;  ein  Anfang, 


Digitized  by  Google 


vorbekkitu.m;  des  Staatsstreichs. 


717 


der  sich  schon  bewährt  habe.  Nur  dürfe  man  hier  nicht  stehen  bleiben. 
Die  Demokratie  sei  viel  zu  kostspielig,  um  sich  nach  dem  Abfalle  der 
Bundesgenossen  durchführen  zu  lassen;  der  Sold  für  die  Mitglieder  des 
Raths  und  für  die  Geschworenen  sei  bei  dem  öffentlichen  Nothstande 
gar  nicht  aufzubringen.  Also  müssten  die  Aemter  des  Staats,  wie  in 
der  guten,  alten  Zeit,  wieder  Ehrenämter  werden,  der  Rath  müsse  eine 
Auswahl  der  Wohlhabenden  und  Gebildeten  sein  und  mit  gröfseren 
Vollmachten  ausgerüstet  werden,  um  nach  festen  Grundsätzen  und 
Zielen  den  Staat  zu  lenken.  Nur  dann  sei  eine  Beendigung  des  Kriegs 
mOglich,  an  welchem  Athen  sonst  unvermeidlich  zu  Grunde  gehe. 
Darum  sollten  aber  die  Volksrechte  nicht  aufgehoben  werden;  eine 
Bürgerschaft  solle  fortbestehen,  aber  nicht  so,  dass  wie  bis  jetzt  die 
Dürftigsten  und  Ungebildetsten  sich  massenweise  in  die  Versamm- 
lungen drängten  und  allen  anständigen  Leuten  die  Theilnahme  an  den 
Verhandlungen  verleideten,  sondern  auch  hier  müsse  eine  Auswahl 
getroffen  werden;  eine  Zahl  von  etwa  Fünftausend,  die  keine  Ent- 
schädigung für  die  Beschäftigung  mit  Staatsangelegenheiten  in  Anspruch 
zu  nehmen  brauchten,  müssten  die  Träger  der  Hoheitsrechte  des  athe- 
nischen Volks  sein.  So  könne  man  einer  besseren  Zeit  des  Gemein- 
wesens vertrauensvoll  entgegen  gehen176*). 

Das  waren  die  Theorien,  die  seit  Jahren  mit  allem  Eifer  ver- 
breitet worden  waren,  und  zwar  bei  den  Talenten  und  den  sophistischen 
Künsten  ihrer  Vertreter  mit  unzweifelhaftem  Erfolge.  Die  Ver- 
schworenen gingen  dabei  Schritt  für  Schritt  weiter,  um  in  der  Stille 
den  entscheidenden  Staatsstreich  vorzubereiten;  sie  gingen  von  er- 
laubten Mitteln  zu  unerlaubten,  von  Ueberredung  zur  Gewalt  über; 
denn  das  gehörte  mit  zu  ihren  sophistischen  Grundsätzen,  dass  man 
einem  guten  Zwecke  zu  Liebe  nicht  allzu  gewissenhaft  sein  müsse. 

Sie  hatten  für  ihre  Zwecke  eine  gemeinsame  Kasse.  Sie  hatten 
feile  Menschen  als  Werkzeuge  zur  Hand;  Bewaffnete,  welche  im  Aus- 
lande geworben  waren,  standen  zu  jedem  Dienste  bereit.  Solche  Leute 
benutzten  sie,  um  die  demokratische  Partei  ihrer  Führer  zu  berauben. 
So  wurde  Androkles  (S.  636)  durch  Meuchelmord  aus  dem  Wege  ge- 
räumt; andere  Opfer  folgten.  Man  wagte  gar  nicht  nach  den  Urhebern 
zu  forschen.  Was  nicht  zu  den  geheimen  Verbindungen  gehörte,  war 
eingeschüchtert;  die  Macht  derselben  erschien  um  so  gröfser,  weil  sie 
im  Dunkeln  wirkte;  das  freie  Wort  war  unterdrückt,  die  verfassungs- 
mässigen Organe  des  Staats  waren  gelähmt;  die  Probulen  waren  ent- 


Digitized  by  Google 


71S 


VOHRKRKITL-NG  DES  STAATSSTREICHS. 


weder  im  Einverständnisse,  oder  es  waren  alte  und  schwache  Personen; 
der  Rath  war  längst  gewöhnt  eine  Schattetibehörde  zu  sein,  die  Bürger- 
schaft ohne  Führung  und  Zusammenhang.  Aeufserlich  bestanden  die 
Verfassungsformen  noch,  aber  die  Verschworenen  regierten;  sie 
sprachen  immer  offener  ihre  Absichten  aus,  und  so  bequemten  sich  die 
Athener  aus  Furcht  und  Kleinmuth  endlich,  die  Aenderung  der  Ver- 
fassung als  etwas  Unvermeidliches  anzusehen.  Einen  Maßstab  für  die 
Stimmung  der  Bürger  giebt  die  Komödie  der  Thesmophoriazusen, 
welche  Aristophanes  drei  Monate  nach  der  Lysistrate  aufführte;  ein 
Stück,  in  welchem  der  Dichter  alle  politischen  Tagesfragen  vermeidet 
und  sich  einen  unverfänglichen  Gegenstand,  die  Verspottung  der 
Poesie  des  Euripides  und  der  attischen  Frauen,  ausgesucht  hat  ;  nur 
hie  und  da  bricht  eine  verstohlene  Anspielung  auf  die  {Feinde  der 
väterlichen  Salzungen,  auf  die  Feigheit  des  Raths  und  auf  die  drohende 
Tyrannis  durch. 

So  fand  Peisandros  den  Boden  in  Athen  vorbereitet.  Er  dachte 
nicht  daran,  der  Wahrheit  gemäfs  über  den  unglücklichen  Ausgang 
seiner  Gesandtschaft  zu  berichten;  er  that  vielmehr,  als  wenn  mit  dem 
Grofskönige  Alles  in  Ordnung  wäre  und  es  nur  darauf  ankäme,  in 
Athen  rasch  die  Hölingen  Schritte  zu  thun.  Er  trat  also  sofort  mit  dem 
Antrage  vor  die  Bürgerschaft,  dass  eine  Commission  niedergesetzt 
werde,  um  in  kürzester  Frist  den  Entwurf  einer  verbesserten  Staats- 
verfassung vorzulegen.  Dazu  wurden  unter  dem  Einflüsse  der  Ver- 
schworenen aufser  den  Probulen  noch  zwanzig  Beisitzer  aus  den  Bür- 
gern gewählt  und  diesem  Collegium  unbedingte  Vollmachten  ertheilt. 
Solcher  Vollmachten  bedurfte  es,  um  das  wesentlichste  Hinderniss 
aller  Verfassungsänderungen,  das  Palladium  der  bürgerlichen  Freiheit, 
nämlich  die  öffentliche  Klage  wegen  gesetzwidriger  Vorschläge,  zu 
beseitigen.  Es  wurde  also  vermöge  eines  Dekrets  der  Verfassungscom- 
mission die  Anwendung  jener  Klage  verpönt;  es  wurde  einem  jeden 
Bürger  gestattet,  ohne  Gefahr,  was  er  zum  Heile  des  Staats  erforderlich 
hielt,  vorzuschlagen;  dadurch  war  Peisandros  und  seinen  Genossen  freie 
Bahn  gemacht  und  die  Thätigkeit  der  Commission  im  Wesentlichen 
beendigt. 

Der  entscheidende  Schritt  erfolgte  nicht  auf  der  Pnyx  (denn  man 
scheute  sich,  auf  altgeweihter  Stätte  den  Verfassungsbruch  vorzu- 
nehmen), sondern  aufserhalb  der  Stadt  eine  Viertelmeile  vor  dem 
Dipylun,  auf  dem  Kolonos  wurde  die  Bürgerschaft  zusammen  berufen, 


Digitized  by  Google 


UMSTURZ  HER  VERFASSUNG  (0«,  1;  411  MARZ). 


719 


bei  dem  Heiügthume  des  Poseidon  Hippios.  Wegen  der  Nähe  des  feind- 
lichen Heeres  bedurfte  es  hier  eines  abgeschlossenen  Raumes,  und 
dieser  Abschluss  konnte  wieder  dazu  benutzt  werden,  einer  zu  grofsen 
Anhäufung  von  Menschen  vorzubeugen  und  unruhige  Auftritte  zu  ver- 
hindern. In  dieser  Versammlung  wurden  nun  die  Anträge  des  Peisan- 
dros  vorgetragen,  wie  sie  in  den  Parleiversammlungen  beschlossen 
waren.  Sie  waren  kurz  und  bundig  abgefasst,  denn  sie  zielten  nur 
darauf  hin,  alle  Macht  in  die  Hände  der  Verschworenen  zu  bringen 
Die  Hauptpunkte  waren,  dass  jede  Art  von  Staatsbesoldung  oder  Tage- 
geldern, mit  Ausnahme  der  Dienstvergütung  im  Felde,  für  immer  ab- 
geschafft und  dass  ein  neuer  Rath  von  Vierhundert  eingesetzt  werde, 
der  den  Staat  nach  seinem  Ermessen  regieren,  und  so  oft  es  ihm  be- 
liebe, eine  Bürgerschaft  von  5000  berufen  solle.  Zugleich  wurde  die 
Wahlart  für  die  Rathsherrn  in  der  Weise  bestimmt,  dass  Fünfmänner 
ernannt  werden  sollten,  von  denen  zusammen  hundert  Rathsherrn  er- 
wählt würden.  Jeder  der  Hunderl  solle  dann  wiederum  drei  Andere 
sich  zu  Amtsgenossen  wählen.  Das  Volk  stimmte  Allem  bei  und  zog 
ohne  unruhige  Bewegung  vom  Kolonos  heim,  wo  es  seine  Rechte  und 
Freiheiten  zu  Grabe  getragen  hatte.  Es  war  wahrscheinlich  nur  eine 
kleine  Versammlung  gewesen ;  es  fehlten  ja  aufser  der  ganzen  Flotten- 
mannschaft auch  die  bewaffneten  Bürger,  welche  den  städtischen  Wacht- 
dienst  halten. 

Nun  war  nichts  übrig  als  die  Auflösung  des  allen  Raths.  Nach- 
dem also  die  Wahl  der  Vierhundert  vollendet  war,  zogen  dieselben  nach 
dem  Rathhause,  mit  Dolchen  versehen  und  von  jenen  Söldnern  um- 
geben, welche  ihnen  als  Leibwache  dienten.  Es  bedurfte  aber  keiner 
Gewalt.  Die  Mitglieder  des  allen  Raths  liefsen  sich  ohne  Widerspruch 
Mann  für  Mann  ablohnen,  indem  sie  für  den  Rest  des  Amtsjahres  ihre 
Tagegelder  erhielten.  Das  neue  Collegium  nahm  die  Plätze  ein,  wählte 
seine  Vorsteher,  verrichtete  seine  Antriltsopfer,  und  so  war  der 
Staatsstreich  vollständig  gelungen,  ohne  dass  äufserlich  das  Recht  ge- 
brochen war176). 

Die  Vierhundert  säumten  nicht  nach  aufsen  und  innen  ihre  Zwecke 
rücksichtslos  zu  verfolgen.  Alle  Missliebigen  wurden  aus  den  öffent- 
lichen Aemtem  entfernt,  die  Volksgerichte  aufgehoben,  einzelne  Bürger, 
die  gefahrlich  .schienen,  hingerichtet,  Andere  gefangen  gesetzt  oder 
ausgewiesen.  Eine  Rückberufung  der  Verbannten  wurde  vorgeschlagen, 
aber  nicht  ausgeführt,  weil  man  Alkibiades  weder  in  die  Amnestie  ein- 


Digitized  by  Google 


720 


DER  RATH   DER  VIERHUNDERT. 


zuschliefsen  noch  auch  namentlich  von  derselben  auszuschließen 
wagte;  denn  in  Beziehung  auf  ihn  halle  man  sich  el»en  so  wenig  wie 
über  die  persischen  Subsidien  offen  erklärt.  Dagegen  schickte  man 
Gesandte  nach  Dekeleia,  um  König  Agis  von  der  in  Athen  eingetretenen 
Veränderung  in  Kenntniss  zu  setzen  und  die  Erwartung  auszusprechen, 
dass  die  Lakedämonier  zu  dem  jetzigen  Athen  besseres  Vertrauen  haben 
und  bereitwilliger  auf  Verhandlungen  eingehen  würden.  Der  ehrgeizige 
Künig  suchte  aber  in  anderer  Weise  die  athenischen  Vorgänge  zu  be- 
nutzen. Er  glaubte  die  Stadt  in  voller  Verwirrung;  er  zog  deshalb 
möglichst  viel  Truppen  zusammen  und  versuchte  einen  Angriff  auf  die 
Thore.  Als  aber  derselbe  misslungen  war,  nahm  er  eine  zweite 
Gesandtschaft  freundlicher  auf,  und  es  gingen  auf  sein  Zureden  unver- 
züglich Abgeordnete  nach  Sparta,  um  im  Namen  der  Vierhundert  den 
Frieden  zu  Stande  zu  bringen. 

Die  wichtigste  Sorge  des  neuen  Raths  bezog  sich  aber  auf  die 
Flotte;  denn  hier  war  der  Theil  der  Bürgerschaft  zusammen,  bei 
welchem  man  am  meisten  Anhänglichkeit  an  die  Verfassung  voraus- 
setzen musste.  Man  musste  also  hier  auf  unruhige  Bewegungen  und 
mancherlei  Widerspruch  gefasst  sein.  Darum  waren  gleich  nach  Ein- 
setzung des  Raths  zehn  zuverlässige  Männer  abgesendet,  um  das 
Heer  zu  beruhigen  und  alle  Bedenken  durch  beschwichtigende  Vor- 
stellungen zu  beseitigen.  Die  ganze  Reform  ziele  nur  darauf  hin.  aus  der 
gegenwärtigen  Verlegenheit  herauszukommen;  dass  sie  keine  volks- 
feindliche sei,  dafür  bürge  ja  schon  die  Zahl  der  Fünftausend,  welche 
neben  dem  Rathe  die  Gemeindeversammlung  bildeten  und  der  Reibe 
nach  Mitglieder  des  Raths  werden  sollten.  Zahlreicher  seien  ja  auch 
bisher  die  Versammlungen  nur  selten  gewesen.  Aber  ehe  die  Zehn- 
männer in  Samos  ihre  Aufträge  erfüllen  konnten,  lief  das  StaatsschifT 
Paralos  in  den  Hafen  ein  und  brachte  Botschaft  aus  Samos,  welche 
auch  die  schlimmsten  Befürchtungen  der  Vierhundert  weit  überbot 

Hier  waren  die  Vorbereitungen  zum  Umsturz  der  Demokratie, 
wie  man  voraussetzte,  im  besten  Fortgange.  Eine  von  Peisandros  ge- 
bildete Partei,  von  dreihundert  Verschworenen  geleitet,  war  schon  zu 
einer  Macht  im  Staate  geworden.  Sie  hatten  den  Hyperbolos  getödlel, 
der  als  Verbannter  in  Samos  lebte,  um  dadurch  den  Oligarchien  in 
Athen  ein  Unterpfand  ihrer  Gesinnung  zu  geben;  sie  hatten  andere  Ge- 
walttaten ausgeführt  und  standen  im  Begriff,  die  Bürgerschaft  zu 
überwältigen.  So  wie  aber  die  Bürger  dessen  inne  werden,  wenden  sie 


Digitized  by  Google 


GEGENBEWEGUNG  IN  SAMOS  (W,  1;  411  APRIL). 


721 


sich  an  die  athenischen  Feldherrn  und  stellen  ihnen  vor  Augen,  wie 
Samos  in  Gefahr  stehe,  Athen  verloren  zu  gehen.  Leon  und  Diomedon, 
welche  man  durch  die  Feldherrnstellen  in  das  Interesse  der  Oligarchen 
gezogen  zu  haben  glaubte,  waren  wohl  aristokratisch  gesinnt,  aber  ver- 
fassungstreue Patrioten.  Sie  verbinden  sich  nun  mit  dem  Trierarchen 
Thrasybulos  und  mit  Thrasylos,  einem  angesehenen  Börger,  der  als 
einfacher  Krieger  auf  der  Flotte  diente.  Sie  gehen  auf  den  Schiffen 
umher ;  die  Mannschaften  erklären  sich  Mann  für  Mann  bereit  für  den 
Demos  der  Samier  einzutreten,  und  in  kurzem  Kampfe  werden  einige 
der  Dreihundert  getödtet,  drei  Rädelsführer  werden  verbannt;  den 
Anderen  geschieht  kein  Leid,  da  sie  sich  bereit  zeigen,  unter  demokra- 
tischer Verfassung  friedlich  mit  ihren  Mitbürgern  zu  leben.  Es  war 
ein  glänzender  Erfolg  einmüthiger  Verfassungstreue  und  die  Paralos, 
deren  Mannschaft  aus  lauter  freien  athenischen  Männern  bestehend, 
einen  hervorragenden  Antheil  am  Kampfe  genommen  hatte,  wurde  be- 
auftragt, die  Nachricht  von  den  samischen  Vorgängen  nach  Athen  zu 
bringen,  um  die  Bürger  der  Hauptstadt  in  ihrer  patriotischen  Gesin- 
nung zu  befestigen. 

Mit  Schrecken  erkannten  die  Vierhundert  aus  dem  Berichte  der 
Schiffsmannschaft,  welch  ein  Geist  das  Heer  erfüllte.  Es  kam  zu  ge- 
waltsamen Auftritten;  einige  der  Schiffsleute  wurden  ins  Gefangniss 
geworfen;  die  Uebrigen  vom  Schiffe  entfernt  und,  ehe  sie  in  die  Stadt 
gelangten,  auf  ein  anderes  Schiff  gesetzt,  um  bei  Euboia  zu  dienen. 
Man  konnte  einstweilen  nichts  Anderes  thun,  als  die  Kunde  von  Samos 
so  lange  wie  möglich  verbergen  und  eben  so  dem  Heere  jede  Meldung 
aus  Athen  vorenthalten. 

Aber  auch  dies  misslang  den  Gewaltherrn.  Denn  der  Führer  der 
Paralos,  Chaireas,  der  Sohn  des  Archestratos,  wusste  sich  ihnen  zu  ent- 
ziehen. Er  gelangte  nach  Samos  und,  ohne  dass  er  Gelegenheit  gehabt 
hatte,  sich  von  den  Zuständen  in  Athen  und  den  Absichten  der  Oli- 
garchen genauer  zu  unterrichten,  entwarf  er  eine  ausführliche  und 
theil weise  übertriebene  Schilderung  von  dem  Schreckensregimen le  in 
Athen.  Da  sei  kein  Bürger  seines  Lebens,  keine  Frau  ihrer  Ehre 
sicher.  Man  scheue  sich  vor  keiner  Gewaltthat  und  gehe  sogar  damit 
um,  sich  der  Familien  derer,  die  auf  der  Flotte  dienten,  zu  bemäch- 
tigen, um  durch  sie  das  Heer  zur  Nachgiebigkeit  zu  zwingen.  Das 
Schiffsvolk  gerielh  darüber  in  solche  Wuth,  dass  es  sofort  über  alle 
diejenigen  hergefallen  wäre,  welche  oligarchischer  Gesinnung  ver- 

Curtiua,  Gr.  G«seh.  II.  6.  Aufl.  4(J 


Digitized  by  Google 


722 


ABFALL   DES  HEEKS. 


dächtig  waren,  wenn  nicht  Thrasybulos  und  Thrasylos  sich  in  das  Mitlei 
gelegt  hätten.  Sie  zeigten,  wie  nolhwendig  es  sei,  den  nahen  Feinden 
gegenüber  Friede  und  Eintracht  aufrecht  zu  erhalten.  In  Folge 
dessen  vereinigte  sich  die  ganze  Mannschaft  durch  einen  feierlichen 
Schwur,  an  der  Verfassung  festzuhalten,  den  Krieg  gegen  Sparta  muthig 
fortzusetzen  und  die  Vierhundert  als  Feinde  des  Vaterlandes  anzusehen. 
Die  Samier  traten  dieser  Verbrüderung  bei,  und  so  gab  es  nun  ein 
doppeltes  Athen.  Das  Heer  aber  hatte  guten  Grund,  sich  als  das  wahre 
Athen  anzusehen;  die  Krieger  waren  der  Kern  des  Volks.  Nicht  sie 
seien,  sagten  sie,  von  Athen,  sondern  Athen  sei  von  ihnen  abgefallen; 
nicht  Mauer  und  Häfen  bildeten  die  Stadt,  sondern  die  Bürger,  welche 
wie  Athener  dächten  und  handelten. 

Das  Heer  richtete  sich  wie  ein  eigener  Staat  ein.  Es  trat  sofort 
zu  einer  beschließenden  Volksversammlung  zusammen;  es  nahm  für 
sich  die  Einkünfte  von  den  Bundesgenossen  in  Anspruch;  es  vollzog 
neue  Wahlen,  um  alle  Verdächtigen  aus  den  Feldherrnstellen  zu  ent- 
fernen und  bewährten  Vertrauensmännern  die  Führung  zu  übertragen. 
So  wurden  Thrasybulos  und  Thrasylos  zu  Feldherrn  gewählt;  dem 
doppelten  Feinde  gegenüber,  den  man  nun  zu  bekämpfen  hatte,  war 
die  Eintracht,  der  feste  und  fröhliche  Mulh  um  so  gröfser.  Auch  ohne 
die  abtrünnige  Vaterstadt  fühlte  man  sich  stark  und  selbstgenügend, 
und  sollte  die  Rückkehr  misslingen,  so  hatte  man  Schiffe  und  Waffen, 
um  sich  damit  Stadt  und  Land  zu  gewinnen. 

Indessen  war  es  die  Sache  der  Feldherrn  weiter  zu  blicken  und 
die  Mittel  ausfindig  zu  machen,  um  dauernde  Erfolge  zu  erreichen. 
Thrasybulos  war  der  erste  Mann  im  Lager;  denn  er  hatte  vor  allen 
Anderen  der  Verfassungspartei  Zusammenhang,  Kraft  und  sittliche 
Haltung  gegeben.  Der  höchste  Ruhm  schien  ihm  vorbehalten,  die 
Vaterstadt  einem  frevelhaften  Parteiregimente  zu  entreifsen,  Athen 
sich  selber  wiederzugeben.  Aber  die  Schwierigkeiten  waren  aufser- 
ordentlicher  Art  und  konnten  durch  den  freudigen  Muth  des  Heers 
allein  nicht  überwunden  werden.  Man  durfte  das  ionische  Meer  nicht 
aufgeben,  um  einen  Bürgerkrieg  in  Athen  zu  beginnen,  und  anderer- 
seits waren  die  Folgen  unberechenbar,  wenn  man  die  Vierhundert 
lange  Zeit  gewähren  liefs.  Man  war  von  Feinden  umgeben,  ohne  einen 
derselben  muthig  angreifen  zu  können;  man  halte  kein  anderes  Vater- 
land als  die  Flotte,  aber  sie  war  nicht  mehr  die  Herrin  des  Meers;  die 
Peloponnesier  mit  ihren  neuen  Bundesgenossen  aus  Italien  und  Skilien 


Digitized  by  Google 


THRASYBL'LüS  UMl  ALKIBIADES. 


723 


waren  ihr  an  Zahl  der  Schiffe  gewachsen,  und  jeden  Augenblick  konnte 
die  phönikische  Flotte  aus  ihrem  Hinterhalle  zum  Vorschein  kommen, 
und  wenn  sie  sich  mit  den  Peloponnesiern  vereinigte,  so  gehörte  ihnen 
das  ägäische  Meer.  Der  Muth,  wie  er  in  den  Tagen  Kimons  das 
attische  Seevolk  beseelte,  wo  man  nur  fragte,  wo  der  Feind  sei,  um 
ihn  in  jedem  Hafen  aufzusuchen  und  immer  des  Siegs  gewiss  zu  sein, 
dieser  Muth  war  nicht  mehr  vorhanden,  und  auch  Thrasybulos  war 
nicht  der  Held,  der  solches  Siegsgefuhl  hatte  und  es  Anderen  ein- 
flörsen  konnte.  Aber  er  hatte  eine  edle  und  reine  Vaterlandsliebe, 
deren  Eindruck  in  dieser  Zeit  verrätherischer  Umtriebe  doppelt  wohl- 
thuend  ist. 

Weil  er  erkannte,  dass  es  in  der  gegenwärtigen  Lage  außer- 
ordentlicher Mittel  und  Kräfte  bedürfe,  so  war  er  selbstverläugnend 
genug,  für  seinen  Platz  einen  anderen  zu  suchen,  und  diesen  Andern 
fand  er  in  Alkibiades.  Gewiss  kannte  er  genau  die  Schwächen  des- 
selben, und  sie  mussten  seinem  edlen  Sinne  mehr  als  allen  Anderen 
widerstehen.  Aber  er  wusste  auch  seine  aufserordentlichen  Gaben  zu 
würdigen,  er  wusste,  dass  die  Vierhundert  nichts  mehr  entmuthigen 
würde,  als  Alkibiades'  Rückkehr  zum  Heere.  An  eine  Verbindung 
zwischen  ihm  und  den  Vierhundert  war  nicht  zu  denken.  Wenn  Alki- 
biades seinen  ganzen  Ehrgeiz  daran  setzte,  die  Vaterstadt  an  ihren 
inneren  und  äufseren  Feinden,  die  auch  die  seinigen  waren,  zu  rächen, 
so  konnte  ein  Umschwung  der  Verhältnisse  erfolgen,  wie  er  in  anderer 
Weise  nicht  zu  erzielen  war.  Und  dann  standen  die  Dinge  doch  nun 
einmal  so ,  dass  der  an  sich  ohnmächtige  und  unkriegerische  Tissa- 
phernes  Herr  der  Lage  war;  wer  ihn  beherrschte  (und  das  glaubte 
man,  wenn  auch  nicht  mit  vollem  Hechte,  von  Alkibiades),  wer  ihn 
bestimmen  konnte,  die  Perserflotte  auslaufen  zu  lassen  oder  zurück- 
zuhalten ,  Sold  zu  zahlen  oder  zu  verweigern ,  der  war  der  Mächtigste 
in  Griechenland.  Freilich  war  im  Heere  die  Stimmung  sehr  ungünstig. 
Man  wollte  nichts  von  Alkibiades  wissen,  der  mit  den  Oligarchen  ver- 
handelt und  den  Anstofs  zu  den  staatsfeindlichen  Verschwörungen  ge- 
geben hatte;  aber  Thrasybulos  kam  immer  wieder  auf  seine  Vorschläge 
zurück,  bis  er  endlich  von  der  Heerversammlung  beauftragt  wurde,  im 
Namen  des  Volks  den  Verbannten  zurückzurufen. 

Alkibiades  hatte  diesen  Augenblick  erwartet.  Er  hatte  durch 
kluges  Spiel  die  Fäden  der  attischen  Politik  in  seine  Hand  gebracht. 
Er  hatte  mit  den  Oligarchen  angeknüpft,  um  sie  zu  täuschen;  er  hatte 

46* 


Digitized  by  Google 


724 


ALKIBIADES  BEIM  HEERE  («1  APRIL). 


mittelbar  den  Verfassungsbruch  herbeigeführt,  damit  die  zerrissene 
Stadt  seiner  bedürfe,  damit  er  als  Vertreter  einer  grofsen  und  würdigen 
Sache  zurückkehren,  damit  er,  der  so  oft  wegen  tyrannischer  Ab- 
sichten verdächtigt  war,  als  Retter  der  bürgerlichen  Freiheit  auftreten 
und  ein  tyrannisches  Parteiregiment  zerstören  könne,  dessen  Unnah- 
barkeit er  deutlich  erkannte.  Er  folgte  ohne  Weigerung  dem  Thrasy- 
bulos,  und  dieser  trat  nun  selbst  in  den  Hintergrund,  um  das  Heil  der 
Vaterstadt  in  die  Hände  des  Alkibiades  zu  legen. 

Nach  vierjähriger  Entfernung  stand  Alkibiades  wieder  unter  seinen 
Mitbürgern;  er  hätte  in  keiner  für  ihn  günstigeren  Weise  heimkehren 
können.  Denn  hier  in  Samos  traten  die  heimischen  Erinnerungen 
zurück;  seine  schlimmsten  Feinde,  die  Oligarchen  und  die  Priester, 
waren  nicht  da,  die  versammelte  Gemeinde  war  eines  Sinnes,  von  ge- 
hobener Stimmung  und  lenksam;  Aller  Gedanken  waren  mit  der 
Gegenwart  und  ihren  Aufgaben  beschäftigt,  und  die  Verständigung  mit 
Alkibiades  war  um  so  leichter,  da  er,  der  Verbannte,  zu  Solchen  kam» 
welche  selbst  ihrer  Vaterstadt  beraubt  waren.  Diese  Verhältnisse 
machte  er  sich  mit  grofsen)  Geschicke  zu  Nutze.  Er  gewann  die 
Herzen,  indem  er  sein  Loos  bejammerte,  dass  er  so  lange  Zeit  sein 
Vaterland  habe  meiden  müssen;  er  hob  den  Mulh,  indem  er  nach  den 
Erfahrungen,  die  er  in  Sparta  und  Persien  gemacht  hatte,  seinen  Mit- 
bürgern auseinandersetzte,  was  er  von  der  Zukunft  Athens  hoffen  zu 
dürfen  glaube.  Vor  Allem  aber  schilderte  er  wieder  in  übertriebenem 
Mafse  seinen  Einfluss  auf  Tissaphernes,  der  durch  ihn  schon  ganz  für 
Alben  gewonnen  sei,  so  dass  er  selbst  sein  Hausgeräth  und  seine 
Teppiche  zu  Gelde  machen  würde,  wenn  es  nöthig  wäre,  um  den 
Athenern  Sold  zu  verschaffen ;  er  halte  auch  die  Flotte  zu  ihrer  Unter- 
stützung bereit,  sobald  er  nur  eine  Bürgschaft  dafür  habe,  dass  er 
ihnen  trauen  könne. 

Die  Athener  gingen  auf  Alles  ein,  was  Alkibiades  ihnen  aussprach 
oder  andeutete.  Sie  wählten  ihn  zum  ersten  Feldherrn  mit  unbe- 
schränkten Vollmachten;  sie  glaubten  mit  ihm  Alles  erreichen  zu 
können,  und  die  erste  Probe  sollte  der  unverzügliche  Sturz  der  Vier- 
hundert sein.  Alkibiades  hatte,  wenn  er  ihrem  stürmischen  Verlangen 
nachgab,  allerdings  die  beste  Gelegenheit,  an  seinen  Feinden  Rache  zu 
nehmen.  Aber  die  Station  zu  Samos  konnte  nicht  ohne  die  gröfsle 
Gefahr  aufgegeben  werden,  da  die  Spartaner  seit  Anfang  April  wieder 
bei  Milet  lagen.    Auch  wollte  er  keine  Heimkehr,  welche  von  den  un- 


Digitized  by  Googl 


ALKIBIADE3  DER  RETTER  ATHENS 


725 


heilvollsten  Ereignissen  hegleitet  sein  musste.  Er  hatte  eine  andere 
Heimkehr  im  Auge,  und  dazu  mussten  die  Vorkehrungen  getroffen 
werden.  Zunächst  also  bewährte  er  seine  Ueberlegenheit  dadurch, 
dass  er  das  Heer  verhinderte  nach  dem  Peiraieus  zu  ziehen;  das  war 
seine  erste  Feldherrnthat,  durch  welche  er  vieles  Frühere  sühnte,  eine 
That,  um  deren  willen  ihn  auch  die  strengsten  Richter  den  Retter 
Athens  genannt  haben.  Der  Mann  der  ungezähmten  Selbstsucht  über- 
wand sich  und  machte  in  dieser  Zeit,  wo  der  Parteigeist  alle  anderen 
Rücksichten  verdrängte,  zum  ersten  Male  wieder  das  Interesse  des 
Staats  geltend.  In  diesem  Sinne  behandelte  er  auch  die  Abgeordneten 
der  athenischen  Oligarchen ,  die  sich  nach  längerer  Rast  in  Delos  end- 
lich in's  Heerlager  gewagt  hatten.  Er  beschützte  sie  vor  der  Wulh 
der  Krieger;  er  liefs  sie  ruhig  Alles  vorbringen,  was  ihnen  zur  Be- 
schönigung des  Staatsstreichs  zu  sagen  aufgetragen  war,  und  entliefs 
sie  mit  dem  Bescheide,  dass  er  unter  den  gegenwärtigen  Umständen 
mit  den  beabsichtigten  Ersparungen  im  Staatshaushalte  ganz  einver- 
standen wäre,  auch  gegen  die  damit  zusammenhängende  Reform  der 
stimmberechtigten  Bürgerschaft  nichts  einzuwenden  habe,  aber  der 
neue  Rath  müsse  sofort  abdanken  und  den  verfassungsmäfsigen  Fünf- 
hundert den  Platz  räumen.  Dies  war  Alles  auf  das  Klügste  berechnet. 
Er  erschien  als  der  über  den  Parteien  Stehende,  als  der,  welcher  allein 
im  Stande  sei  die  Versöhnung  herbeizuführen.  Zugleich  erwirkte  er 
aber  durch  diese  Vorschläge,  dass  die  in  Athen  regierende  Partei  sich 
spaltete  und  ihre  Herrschaft  selbst  untergrub. 

Was  nun  die  kleinasiatischen  Verhältnisse  betrifft,  so  hatte  er 
hier  eine  Stellung,  wie  sie  seinen  Wünschen  und  seinem  Charakter 
vollkommen  entsprach;  denn  nichts  schmeichelte  seiner  Eigenliebe 
mehr,  als  wenn  er  seine  Fähigkeit  erweisen  konnte,  das  Verschieden- 
artigste in  seiner  Person  zu  vereinigen,  ein  Freiheitsheld  und  Perser- 
freund, am  Hofe  des  Tissaphernes  und  zugleich  im  attischen  Lager  der 
Erste  zu  sein.  Seinen  Landsleuten  gegenüber  brüstete  er  sich  als  der 
Vertraute  des  Satrapen,  dem  Satrapen  konnte  er  wiederum  als  Ober- 
feldherr Athens  ganz  anders  gegenübertreten,  da  er  jetzt  ein  Mann 
war,  der  ihm  nützen  oder  schaden  konnte.  Auf  die  Beziehungen 
zwischen  Persien  und  Sparta  hatte  er  aber  schon  durch  seinen  blofsen 
Uebergang  nach  Samos  einen  sehr  entschiedenen  Einfluss  geübt.  Denn 
die  Spartaner  waren  an  Tissaphernes  vollständig  irre  geworden ,  seit- 
dem sie  seinen  Vertrauten  an  der  Spitze  der  attischen  Flotte  wussten 


Digitized  by  Google 


726 


DIE  FOLGEN   DES  ÜIIERTIUTTS. 


und  dabei  das  alte  Verhältniss  ungestört  fortbestehen  sahen.  Alles, 
was  im  peloponnesischen  Lager  noch  Ehrgefühl  halte,  war  empört 
gegen  Tissaphernes  und  gegen  Astyochos,  den  man  nun  offen  des  Ver- 
raths  beschuldigte.  König  Agis  hatte  doch  wenigstens  einen  Versuch 
gemacht,  die  inneren  Wirren  der  Athener  zu  Gunsten  Spartas  zu  be- 
nutzen; Astyochos  aber  war  mit  seiner  Flotte,  die  bis  auf  112  Trieren 
angewachsen  war,  vollkommen  unthätig  geblieben,  weil  er  vorgab,  auf 
die  Phönizier  zu  warten,  und  was  er  von  kleinen  Unternehmungen 
begonnen  hatte,  war  völlig  misslungen.  Alle  Zucht  löste  sich  auf; 
der  Admiral  wurde  öffentlich  geschmäht;  am  unverhaltensten  aber  war 
die  Erbitterung  der  Bundesgenossen,  namentlich  der  Syrakusaner 
unter  Hermokrates,  den  die  unwürdige  Haltung  von  Sparta  mit  tiefem 
Unmuthe  erfüllte.  Endlich  wurden  auch  gegen  Tissaphernes  alle 
Rücksichten  so  aus  den  Augen  gesetzt,  dass  man  ruhig  zusah,  wie  die 
Milesier  die  Zwingburg  stürmten,  welche  er  bei  ihnen  angelegt  hatte. 
Tissaphernes  ging  dann  freilich  selbst  nach  der  Südküste,  um  die  an 
der  Küste  Pampbyliens  ankernde  Flotte  von  147  Segeln  herbeizu- 
holen; aber  er  dachte  eben  so  wenig  daran,  die  Vereinigung  derselben 
mit  den  Peloponnesiern  zu  Stande  zu  bringen,  wie  sein  Unterstatt- 
halter daran  dachte,  den  Griechen  das  zukommen  zu  lassen,  was  an 
Unterhalt  für  sie  vertragsmäfsig  ausbedungen  war.  Unter  diesen  Um- 
ständen waren  also  die  Athener  vollkommen  ungefährdet;  sie  fingen 
an  sich  wieder  als  Herrn  des  Meers  zu  fühlen,  und  Alkibiades  wosste 
es  so  zu  machen,  dass  die  gewonnenen  Vortheile  alle  seinem  Einflüsse 
zugeschrieben  wurden. 

Inzwischen  wurde  das  samische  Athen  auch  auswärts  immer  mehr 
als  das  wahre  Athen  anerkannt.  Von  Argos  kamen  Gesandte,  um  frei- 
willig ihren  Beistand  anzubieten.  Sie  kamen  mit  der  Mannschaft  des 
Staatsschilfes  Paralos,  welche  zur  Strafe  auf  ein  Transportschiff  versetzt 
worden  war,  das  im  euböischen  Meere  seinen  Posten  hatte  (S.  721). 
Hier  hatte  sie  den  Auftrag  erhalten,  die  Friedensgesandtschaft  nach 
Sparta  zu  bringen,  welche  in  Folge  der  Verhandlungen  mit  Agis  be- 
schlossen worden  war,  drei  Männer  der  entschiedensten  Parteirichtung, 
Laispodias,  Aristophon  und  Melesias,  wahrscheinlich  einen  Sohn  des 
Thukydides  (S.  716).  Wie  die  Vierhundert  dazu  kamen,  zu  diesem 
wichtigen  Dienste  das  mit  den  Paralern  bemannte  Schiff  auszuwählen, 
ob  es  blofse  Fahrlässigkeit  war,  oder  ob  sie  durch  diesen  Auftrag  die 
aus  freisinnigen  Bürgern  bestehende  Mannschaft  kränken  wollten,  ist 


Digitizeci  by  Google 


ATHEN  IM   LAGER  (411  APRIL.  MAI). 


727 


schwer  zu  entscheiden.  Auf  jeden  Fall  war  ihr  Verfahren  ein  grofser 
Mi ss griff;  denn  die  Paraler  nahmen  zwar  ohne  Widerspruch  die  Oli- 
garchen  an  Bord;  wie  sie  aber  in  der  Nähe  von  Argos  waren,  erklärten 
sie  ihren  Abfall  vom  städtischen  Regimente,  überlieferten  die  Gesandten 
gebunden  den  Argivern,  nahmen  an  ihrer  Stelle  die  Gesandten  von 
Argos  auf,  brachten  sie  in  das  samische  Hauptquartier  und  wurden  hier 
von  ihren  Waffenbrüdern  frohlockend  begrüfst.  Alles  trug  dazu  bei, 
noch  ehe  wirkliche  Thaten  geschehen  waren,  die  Zuversicht  der  Truppen 
zu  heben,  und  der  Ruhm  dieser  glücklichen  Veränderung  fiel  ganz  dem 
Alkibiades  zu,  so  dass  die  Samier  vor  ihrem  Heratempel  sein  Standbild 
aufstellten,  um  den  glückbringenden  Tag  seiner  Rückkehr  in  dauerndem 
Andenken  zu  erhalten177). 


In  Athen  hatten  sich  inzwischen  die  Dinge  ganz  anders  gestaltet, 
als  die  Oligarchen  nach  ihren  ersten  Erfolgen  gedacht  hatten.  Denn 
kaum  hatten  die  Vierhundert  die  Plätze  im  Rathhause  eingenommen, 
so  zeigte  sich,  wie  wenig  die  Leute  zusammen  passten,  welche  in  schwie- 
rigster Lage  den  Staat  regieren  und  nun  den  Beweis  liefern  sollten,  dass 
nur  nach  ihren  Grundsätzen  ein  ordentliches  und  erspriefsliches  Regi- 
ment  möglich  sei.  Man  hatle  rasch  zugegriffen,  um  die  Rathsstellen  voll- 
zählig  zu  besetzen;  man  hatte  absichtlich  nicht  blofs  Genossen  der  Ver- 
schwörung gewählt,  sondern  auch  andere  Männer,  um  den  Schein  einer 
schroffen  Parteiherrschaft  zu  vermeiden ;  namentlich  war  Phrynichos 
unermüdlich  gewesen,  um  durch  allerlei  Ränke  auch  redliche  Patrioten 
hereinzuziehen  und  sie  gewissermafsen  gegen  ihren  Willen  zu  Mit- 
schuldigen -des  Staatsstreichs  zu  machen.  Wie  sehr  man  sich  dabei 
tauschen  konnte,  das  zeigt  schon  der  Missgriff,  welchen  man  bei  der 
Wahl  des  Leon  und  Diomedon  gemacht  hatte. 

Viele  der  neuen  Rathsherren  wurden  sich  erst  nach  Beginn  der 
Regierung  über  die  Absichten  klar,  welche  die  Anstifter  der  Neuerung 
hatten,  und  erkannten  die  Unmöglichkeit,  in  Einverständniss  mit  ihnen 
zu  handeln.  Von  entscheidendem  Einflüsse  war  aber  die  Rückkehr  des 
Gesandten  von  Samos.  Denn  nachdem  das  Heer  mit  solcher  Einigkeit 
die  Sache  der  Verfassung  ergriffen  hatte,  war  die  Regierung  in  der  Stadt 
als  eine  revolutionäre  gestempelt;  Alkibiades,  dessen  Rückkehr  für  Viele 
der  Grund  gewesen  war  der  Verfassungsänderung  beizustimmen,  der 
Preis,  um  dessen  willen  man  sich  selbst  so  wie  den  Bürgern  die  gröfsten 
Opfer  zugemuthet  halte,  Alkibiades  stand  an  der  Spitze  des  Heers,  und 


72S 


SI'ALTIWU    IHK  VIERHUNDERT. 


jetzt  erst  wurde  deu  Üich,  wie  arglistig  man  von  Peisandros  getäuscht 
worden  war.  Die  grofse  Mäfsigung  der  bewaffneten  Bürgerschaft,  welche 
das  Schicksal  der  Stadt  in  ihrer  Hand  hatte,  ihr  ruhiges  und  pflichttreues 
Verharren  auf  dem  Posten  in  Samos,  die  verständige  Antwort  des  Alki- 
biades  —  dies  Alles  trug  dazu  bei,  die  schwankenden  Parteigenossen 
vollends  abwendig  zu  machen;  denn  sie  wurden  inne,  dass  alles  Gute, 
was  man  von  einer  Verfassungsänderung  gehofft  hatte,  auf  eine  viel  ge- 
rechtere und  sicherere  Weise  hätte  erreicht  werden  können ;  sie  sahen 
sich  zu  Werkzeugen  einer  verräterischen  Partei  benutzt,  und  da  nun 
bei  dieser  Rolle  auch  ihr  Ehrgeiz  wenig  Befriedigung  fand,  so  wurde  die 
von  Anfang  an  vorhandene  Meinungsverschiedenheit  zu  einer  offenen 
Spaltung  im  Schofse  des  Raths.  Die  Einen  wollten  einlenken,  die  An- 
deren dagegen,  welche  zu  weit  gegangen  waren,  wollten  in  demselben 
Grade,  wie  die  Gefahr  stieg,  gröfsere  Strenge  und  rücksichtslosere  Maß- 
regeln eintreten  lassen;  die  Einen  wollten  sich  Wege  Offnen,  um  aus 
der  Verwickelung  herauszukommen,  die  Anderen  um  jeden  Preis  ihre 
Herrschaft  erhalten. 

Zu  den  Mafsregeln,  welche  zu  Streitpunkten  wurden,  gehörte  na- 
mentlich die  Einberufung  der  Fünftausend.  DieGemäfsigLen  verlangten, 
dass  damit  Ernst  gemacht  werden  solle;  denn  bis  dahin  sei  Atheu  ein 
reiner  Gewaltstaat;  die  Anderen  wollten  diesen  gefährlichen  Schritt  in 's 
Unbestimmte  hinausschieben,  um  die  Regierungsgewalt  zusammen  zu 
halten  und  alle  Aufregung  möglichst  zu  verhüten.  Sie  hielten  es  Tür 
nothwendig,  dass  die  Stadt  einstweilen  wie  im  Belagerungszustande  ge- 
halten werde.  Dazu  dienten  die  ausländischen  Bogenschützen,  die  von 
ihnen  geworben  waren  und  ihrem  Regimen te  mehr  als  alles  Andere  den 
Charakter  der  Tyrannis  gaben;  es  waren  Barbaren  von  wildem  Aus- 
sehen, grofsentheils  Iberer,  welche  in  den  gleichzeitigen  Komödien  er- 
wähnt werden.  Mit  ihnen  hatten  sie  die  herrschenden  Punkte  der  Ober- 
und  Unterstadl  besetzt  und  übten  unter  den  Bürgern  eine  diesem  Zu- 
stande entsprechende  Justiz  und  Polizei.  Das  Versammlungsrecht,  die 
Rede-  und  Lehrfreiheit  war  aufgehoben,  und  die  Partei  der  Fanatiker 
(S.  632),  welche  im  Rathe  stark  vertreten  war,  benutzte  die  Gelegen- 
heit, um  ihre  religiösen  Verfolgungen  wieder  aufzunehmen.  Vielleicht 
war  es  um  diese  Zeit,  dass  dem  greisen  Prolagoras,  dem  Freunde  des 
Perikles,  über  sein  Buch  *von  den  göttlichen  Dingen'  der  Prozess  ge- 
macht wurde;  er  musste  fliehen,  und  die  Exemplare  seiner  Schrift 
wurden  öffentlich  auf  dem  Markte  verbrannt17*). 


Digitized  by  Googl 


FESTUNGSBAU  IM  PEIItAIELS  (92.  1;  411  MAI). 


729 


Vorzugsweise  aber  wurde  die  offene  Trennung  der  Rathsparteien 
dadurch  veranlasst,  dass  auf  Antrag  der  oligarchischen  Führer  im 
Peiraieus  ein  Festungsbau  begonnen  wurde.  Hier  erstreckt  sich  nämlich 
die  felsige  Halbinsel  Eetioneia  von  Norden  her  gegen  die  Mündung  des 
grofsen  Hafens,  so  dass  von  hier  aus  durch  eine  geringe  Besatzung 
Aus-  und  Einfuhr  vollständig  beherrscht  werden  konnte.  Diese  Halb- 
insel wurde  abgemauert  und  zwar  so,  dass  auch  die  Getreidehalle  und 
der  Kornmarkt  (S.  325)  in  die  Mauerlinien  hereingezogen  wurden.  Als 
Grund  dieser  Befestigung  wurde  angegeben,  dass  man  den  Hafen  gegen 
einen  unvermutheten  Angriff  der  samischen  Truppen  decken  müsse; 
aber  von  Anfang  an  ging  das  Gerede,  diese  Zwingburg  werde  nur 
dazu  gebaut,  um  peloponnesische  Truppen  aufzunehmen.  Dies  war 
nun  der  Punkt,  wo  die  Gemäfsigten  am  entschiedensten  von  den 
Häuptern  der  Verschwörung  sich  lossagten.  Jene  schaarten  sich  um 
Theramenes  und  Aristokrates,  diese  um  Phrynichos,  Peisandros, 
Antiphon,  Aristarchos  und  Kallaischros. 

Beide  Parteien  arbeiteten  von  nun  an  gegen  einander,  und 
die  Folge  dieser  Spannung  konnte  keine  andere  sein,  als  dass 
die  eigentlichen  Oligarchen,  welche  die  Gefahren  von  Seiten*]  des 
Heers,  der  Bürgerschaft  und  der  eigenen  Amtsgenossen  itaglich 
wachsen  sahen,  zu  immer  verzweifelteren  Schritten  ihre  Zuflucht 
nahmen.  Ihnen  blieb  nichts  übrig  als  Sparta,  und  wenn  sie  auch 
den  Wunsch  hatten,  Athen  als  selbständigen  Staat  erhalten  zu  sehen, 
so  waren  sie  doch  entschlossen,  wenn  es  nicht  anders  sein  könnte, 
auch  unter  dem  Schulze  peloponnesischer  Truppen  in  der  Vaterstadl 
zu  herrschen;  denn  ihr  Parteiregiment  ging  ihnen  über  Alles  und 
eine  Einigung  mit  Sparta  gehörte  ja  von  Anfang  an  zu  den  Ziel- 
punkten ihrer  Politik.  Antiphon,  Phrynichos,  Archeptolemos  gingen 
daher  selbst  zu  neuen  Verhandlungen  nach  Sparta.  Von  dem  Erfolge 
derselben  verlautete  nichts ;  aber  um  so  Schlimmeres  argwöhnte  man 
über  das  heimlich  Verabredete,  und  diese  Besorgnisse  wurden  da- 
durch genährt,  dass  eine  peloponnesische  Flotte  segelfertig  in  den 
Häfen  Lakoniens  lag. 

Nun  hält  die  Gegenpartei  nicht  länger  an  sich;  denn  auch  sie  ist 
verloren,  wenn  die  Zwingburg  fertig  wird  und  der  Venrath  gelingt. 
Sie  kann  sich  aber  nur  durch  Anschluss  an  die  Volkssache  reiten.  So 
wird  denn  unler  den  Vierhundert  selbst  eine  Gegenrevolution  vor- 
bereitet, und  in  heimlichen  Zusammenkünften  werden  die  Opfer  be- 


Digitized  by  Google 


730 


ERMORDUNG  DES  PHRYMCHOS. 


zeichnet,  welche  dem  Hasse  der  Bürgerschaft  fallen  sollen.  Es  gilt 
zunächst  dem  Phrynichos. 

Kaum  ist  er  von  der  verhassten  Gesandtschaft  heimgekehrt,  als  er 
eines  Abends  auf  dem  von  Menschen  angefüllten  Markte  unweit  des 
Rathhauses  ermordet  wird.  Der  Thater  entflieht,  aber  sein  Mitschul- 
diger Apollodoros  wird  ergriffen.  Beide  gehörten  den  Soldtruppen  an, 
welche  die  Vierhundert  geworben  halten;  also  auch  auf  sie  ist  kein 
Verlass,  auch  von  ihnen  ist  ein  Theil  in  den  Händen  der  Gegenpartei. 
Apollodoros  kann  zwar  auch  auf  der  Folter  nicht  dazu  gebracht 
werden,  seine  Auftraggeber  zu  nennen,  aber  er  erklärt,  dass  der  Ver- 
schwornen  Viele  seien,  welche  bei  den  Obersten  der  Polizeisoldaten 
und  in  den  Bürgerhäusern  ihre  Zusammenkünfte  hielten.  Diese  Aus- 
sagen erschrecken  die  Majorität,  sie  wagen  nichts  Entscheidendes  zu 
thun.  Einige  verlassen  heimlich  die  Stadt,  die  Anderen  sind  rathlos; 
eine  Steigerung  der  Zwangsmafsregeln  ist  nicht  möglich.  Deshalb 
gehen  nun  die  Gemäfsigten  um  so  entschlossener  vor;  es  bedarf  keiner 
heimlichen  Anschläge  mehr;  sie  setzen  sich  mit  der  Bürgerschaft  in 
Verbindung,  um  die  offene  Erhebung  vorzubereiten. 

Das  erste  Zeichen  dazu  erfolgt  im  Peiraieus;  die  Bürgertruppen, 
welche  zur  Befestigungsarbeit  in  Eetioneia  commandirt  waren,  er- 
heben sich  gegen  die  Regierung  und  nehmen  Aristokles,  ihren  Befehls- 
haber, gefangen;  Hermon,  der  die  Besatzung  von  Munichia  befehligt, 
schliefst  sich  ihnen  an;  die  ganze  Hafenstadt  steht  gegen  die  Vier- 
hundert in  Waffen.  Noch  immer  giebt  es  im  Rathe  eine  Partei,  welche 
Gewalt  anwenden  will,  aber  die  Mehrzahl  erkennt  die  Noth wendigkeit, 
versöhnende  Mafsregeln  zu  versuchen  und  lässt  sich  von  Theramenes 
bewegen,  dass  man  ihn  als  Commissar  der  Regierung  hinunter  schicke. 
Theramenes  hört  die  Beschwerden  der  Truppen  an,  er  findet  sie 
gerecht  und  verbindet  sich  mit  den  Aufständischen,  um  das  halb 
fertige  Kastell  niederzurelfsen.  Nun  wird  die  Erhebung  offen  erklärt. 
Im  rounichischen  Theater  wird  eine  Bürgerversammlung  gehalten;  die 
Bürger  rücken  von  da  im  geordneten  Zuge  nach  Alben,  wo  sie  sich 
mit  ihren  WafTen  im  Anakeion  aufstellten,  dem  heiligen  Gehöfte  der 
Dioskuren,  am  Fufs  der  Burg  unterhalb  des  Tempels  der  Stadtgöttin 
auf  demselben  Platze,  wo  jeder  Bürger  als  Jüngling  geschworen  halte, 
das  Vaterland  zu  Wasser  und  zu  Lande  unvermindert  zu  erhalten  und 
die  Gesetze  der  Stadt  gegen  jedweden  AngrifT  mit  seinem  Leben  zu 
vertheidigen. 


Digitized  by  Google 


ERHEBUNG  DER  BÜRGERSCHAFT.  731 

Dieses  Schwurs  eingedenk,  zeigten  sie  aber  auch  eine  hochherzige 
Mäfsigung.  Das  Schicksal  der  Stadt  lag  in  ihren  Händen;  der  Rath, 
vollkommen  machtlos,  war  ihrer  Erbitterung  preis  gegeben ;  dennoch 
empfingen  sie  die  Abgeordneten,  welche  aus  dem  Rathhause  zu  ihnen 
herüberkamen  und  sie  einzeln  beschworen,  Ruhe  und  Ordnung  auf- 
recht zu  erhalten;  sie  gingen  sogar  auf  den  Vorschlag  ein.  dass  der 
Rath  die  Regierung  einstweilen  fortführen,  aber  sogleich  die  Fünf- 
tausend berufen  und  aus  ihrer  Mitte  sich  ergänzen  solle179). 

Um  diese  Mafsregeln  zu  treffen,  wurde  ein  Tag  angesetzt,  an 
welchem  in  versammelter  Gemeinde  die  Eintracht  wieder  hergestellt 
werden  sollte.  Und  schon  versammelte  sich  zur  bestimmten  Stunde 
die  Menge  im  Theater,  um  das  Werk  der  Einigung  zu  vollziehen  und 
den  attischen  Freistaat  wieder  herzustellen  —  da  verbreitet  sich  plötz- 
lich die  Kunde,  dass  eine  Flotte  von  42  Segeln  von  Megara  her  um 
Salamis  herumfahre.  Nun  hiefs  es  natürlich,  und  nicht  ohne  Grund, 
das  sei  die  Flotte,  von  der  Theramenes  ihnen  gesagt  hatte,  dass  sie  im 
Einverständnisse  mit  den  Vierhundert  stehe,  und  Alles,  was  Waffen 
tragen  konnte,  stürzte  nach  dem  Peiraieus,  um  gegen  die  äufseren 
und  inneren  Feinde  den  Hafen  zu  verlheidigen.  Die  Schiffe,  die  im 
Hafen  lagen,  wurden  bemannt,  andere  rasch  in's  Wasser  gezogen,  die 
Mauern  besetzt,  die  Mündungen  geschlossen.  Der  spartanische  Admiral 
Agesandridas  führte  aber  die  Flotte  an  den  Häfen  vorüber,  und  die 
erste  Noth  war  beseitigt 

Dagegen  erkannte  man  bald  eine  andere  Gefahr;  denn  man  sah 
die  Fotte  um  Sunion  herum  biegen  und  nach  Oropos  steuern.  Nun 
galt  es  Euboia  zu  retten.  Die  Athener  stürzten  von  Neuem  in  die 
Schiffe;  in  gröfster  Eilfertigkeit  ordnete  sich  ein  Geschwader,  dessen 
Befehl  dem  Thymochares  übergeben  wurde,  welcher  sich  rasch  mit 
den  anderen  Schiffen  in  den  euböischen  Gewässern  vereinigen  sollte. 
Sechs  und  dreifsig  Schiffe  fanden  sich  bei  Eretria  zusammen,  die 
Feinde  lagen  gegenüber  in  Oropos.  Noch  schien  nichts  verloren ;  die 
Athener  waren  voll  Kriegslust.  Aber  auch  hier  hatte  man  vor  sich  und 
hinter  sich  Feinde.  Die  Eretrier  waren  verrätherisch  gesinnt.  Als 
daher  die  Athener  ihren  Mundvorrath  einkaufen  wollten,  fanden  sie 
den  Markt  in  der  Nähe  der  See  leer;  sie  mussten  bis  in  die  fernsten 
Strafsen  rennen,  um  das  Nöthigste  herbeizuschaffen.  Als  nun  das 
Zeichen  zum  Aufbruch  gegeben  wurde,  war  das  Schiffsvolk  nicht  voll- 
zählig, und  in  grofser  Unordnung  musste  die  Flotte  den  Feinden  ent- 


Digitized  by  Google 


732 


MEDF.FlLAGE  BEI  OROI'03  («1  JUNI). 


^egen  gehen,  welche  von  Eretria  aus  das  Zeichen  zum  Angriff  erhalten 
hatten.  Dennoch  hielten  sich  die  Athener  im  Anfange  der  Schlacht, 
aher  sie  wurden  überwältigt  und  auf  den  Strand  getrieben;  die 
nach  Eretria  Fluchtenden  wurden  von  den  Einwohnern  erschlagen; 
22  Schilfe  geriethen  in  die  Hände  der  Feinde  und  in  wenig  Tagen 
war  die  ganze  Insel  samt  ihren  Kleruchenkolonien  für  Athen  ver- 
loren, mit  Ausnahme  von  Oreos,  dem  alten  Histiaia  (S.  ISO),  welches 
ganz  in  den  Händen  attischer  Bürger  war  und  durch  diese  den 
Athenern  bewahrt  wurde  18°). 

Als  die  Nachricht  von  der  Schlacht  im  euböischen  Sunde  und 
ihren  Folgen  nach  Athen  kam,  da  sank  auch  den  Besten  der  Muth : 
denn  dies  Unglück  überstieg  bei  weitem  auch  die  sicilische  Niederlage. 
Euboia  war  ja  den  Athenern  unentbehrlicher,  als  ihr  eigenes  Land; 
dazu  kam,  dass  sie  weder  Schiffe  noch  Geld  noch  Mannschaft  hatten  ; 
das  Heer  war  von  der  Bürgerschaft  losgerissen,  die  stadtische  Gemeinde 
in  sich  gespalten,  der  Rath  mit  den  Feinden  im  Ein  verstand  niss,  Agis 
mit  einem  drohenden  Heere  vor  der  Stadt.  Was  konnte  man  also  An- 
deres erwarten,  als  dass  Agesandridas  sofort  vor  dem  Peiraieus  er- 
scheinen würde?  Bei  einem  gleichzeitigen  Land  an  griffe  von  Dekeleia 
her  war  ein  erfolgreicher  Widerstand  undenkbar;  es  schien,  dass  den 
Oligarchen  noch  in  letzter  Stunde  ihre  verräterischen  Pläne  gelingen 
sollten.  Denn  wenn  auch  das  samische  Heer  der  Vaterstadt  zu  Hülfe 
eilen  sollte,  so  war  doch  vorauszusetzen,  dass  es  zu  spät  kommen 
würde;  war  aber  Sa  mos  aufgegeben,  so  war  zugleich  lonten  und  der 
Hellespont  preisgegeben  und  die  ganze  Herrlichkeit  Athens,  Reich  und 
Stadt,  auf  einmal  vernichtet.  Kurz,  die  Athener  waren  auf  den  Unter- 
gang ihres  Staats  gefasst. 

Aber  der  Feind  rührte  sich  nicht.  Von  seinen  eigenen  Erfolgen 
überrascht,  wusste  er  dieselben  nicht  zu  benutzen.  Agis  und  Agesan- 
dridas dachten  gar  nicht  daran,  gemeinschaftlich  gegen  die  Stadt  vor- 
zugehen und  liefsen  den  Bürgern  volle  Mufse,  sich  von  dem  ersten 
Schrecken  zu  besinnen.  Die  Athener  bemannten  also  von  neuem 
zwanzig  Schiffe,  um  ihre  Häfen  zu  vertheidigen  und  gingen  dann  mit 
allem  Ernste  daran,  ihre  städtischen  Angelegenheiten  zu  ordnen.  Denn 
sie  fühlten,  dass  sie  sich  aus  der  Noth  der  Gegenwart  nicht  anders 
heraus  arbeiten  könnten,  als  wenn  sie  vor  Allem  im  eigenen  Hause 
festen  Boden  gewonnen  und  eine  gesetzliche  Verfassung  hergestellt 
hätten. 


Digitized  by  Google 


ABSETZUNG  DER  VIERHUNDERT  (»8,  1;  411  JUNI). 


733 


Kurze  Zeit  nach  der  Niederlage  im  euböischen  Sunde,  etwa  um 
die  Mitte  des  Junius,  finden  wir  also  die  Bürgerschaft  wieder  an  alter 
Stelle,  auf  der  Pnyx,  versammelt,  von  welcher  die  Gewaltherrschaft 
sie  verbannt  hatte.  Es  wurde  in  voller  Ruhe,  aber  entschlossen  und 
nachdrücklich  gehandelt.  Der  Rath  wurde  abgesetzt  und  die  Staats- 
hoheit dem  Volke  zurückgegeben,  aber  nicht  der  ganzen  Volksmenge, 
sondern  man  blieb  dabei,  einem  Ausschusse  der  Wohlhabenderen  das 
volle  Bürgerrecht  vorzubehalten,  und  da  die  Listen  der  Fünftausend 
nicht  angefertigt  waren,  so  bestimmte  man,  um  rasch  zum  Ziele  zu 
kommen,  nach  dem  Vorgange  ähnlicher  Einrichtungen  in  anderen 
Staaten,  dass  alle  Athener,  welche  sich  aus  eigenen  Mitteln  mit  voll- 
standiger  WafTenrüstung  versehen  könnten,  als  stimmberechtigte  und 
regierungsfähige  Vollbürger  angesehen  werden  sollten,  so  dass  der 
Name  der  Fünflausend  jetzt  eine  sehr  ungenaue  Bezeichnung  war, 
welche  beibehalten  wurde,  weil  man  sich  in  den  letzten  Monaten  an 
denselben  gewöhnt  hatte.  Zugleich  wurde  die  Aufhebung  aller  Besol- 
dungen für  bürgerliche  Aemter  und  Verrichtungen  nicht  blofs  zeitweise 
verordnet,  sondern  als  Grundsatz  des  neuen  Staatslebens  festgestellt 
und  die  Bürgerschaft  durch  feierliche  Eide  darauf  verpflichtet.  Es 
war  im  Ganzen  eine  weise  Mischung  von  Aristokratie  und  Demo- 
kratie; es  war  nach  Thukydides'  Urteile  die  beste  Staatsordnung, 
welche  die  Athener  bis  dahin  gehabt  hatten.  Auf  Antrag  des  Kritias 
wurde  um  dieselbe  Zeit  die  Rückberufung  des  Alkibiades  beschlossen 
und  eine  Gesandtschaft  nach  Samos  abgeordnet,  um  die  Vereinigung 
von  Heer  und  Stadt  zu  vollziehen.  In  wiederholten  Bürgerversamm- 
lungen wurde  das  begonnene  Werk  fortgesetzt,  der  Rath  erneuert 
und  ein  Gesetzgebungsausschuss  ernannt,  um  nach  der  eingetretenen 
Störung  des  öffentlichen  Rechtszustandes  die  Verfassung  durchzu- 
sehen und  Alles  mit  den  angenommenen  Grundsätzen  in  Einklang  zu 
bringen.  Es  wurde  bestimmt,  dass  binnen  vier  Monaten  diese  Arbeit 
vollendet  sein  sollte181). 

Der  einflussreichste  Mann  in  dieser  Zeit  war  Theramenes,  und 
wenn  derselbe  von  einem  so  strengen  Richter,  wie  Aristoteles,  den 
besten  Bürgern  beigezählt  wird,  welche  Athen  jemals  gehabt  habe,  so 
hegen  die  Verdienste  desselben  gewiss  nicht  darin  allein,  dass  er 
wesentlich  dazu  beigetragen  hat,  die  verrätberischen  Umtriebe  einer 
zum  Aeufsersten  entschlossenen  Partei  zu  vereiteln,  sondern  vor- 
zugsweise darin,  dass  er  nach  dem  Sturze  derselben  den  Ausbrüchen 


Digitized  by  Google 


734 


I>IE  NEUE  VERFASSUNG   (ä»2,  I;  411). 


von  Leidenschaft,  welche  den  Staat  zu  Grunde  gerichtet  hätten, 
vorzubeugen,  die  Gemeinde  zu  versöhnen  und  ein  Ergebniss  zu 
erzielen  wusste,  welches  im  Leben  der  Staaten  zu  den  allerselten- 
sten  gehört. 

Wir  sehen  einen  Staatsstreich  misslingen,  der  alle  höchsten  Güter 
einer  Bürgergemeinde,  ihre  Rechtsgleichheit,  Gewissens-  und  Rede- 
freiheit so  wie  ihre  äufsere  Unabhängigkeit  freventlich  angetastet 
hatte,  und  dennoch  erfolgt  kein  gewaltsamer  Umschlag  nach  der  ent- 
gegengesetzten Seite,  keine  blutige  und  rachsüchtige  Reaktion,  sondern 
die  arglistig  getäuschte  und  schwer  gekränkte  Gemeinde  zeigt,  nach- 
dem alle  Gewalt  in  ihre  Hände  zurückgekehrt  ist,  so  viel  Selbstbeherr- 
schung, dass  sie  die  vernünftigen  Gedanken,  welche  den  oligar- 
chischen  Reformplänen  zu  Grunde  lagen,  bereitwillig  anerkennt  und 
dieselben  bei  der  neuen  Ordnung  der  Dinge  als  Richtschnur  befolgt. 
Bedenkt  man,  wie  in  anderen  Staaten,  z.  B.  in  Argos  und  Kerkyra, 
ähnliche  Ereignisse  von  den  furchtbarsten  Ausbrüchen  der  Partei wuth 
begleitet  zu  sein  pflegten,  so  muss  man  anerkennen,  dass  das  attische 
Volk  sich  niemals  weiser  und  besonnener  benommen  hat.  Das  Ver- 
halten des  Stadtvolks  ist  eben  so  wie  das  des  Heers  in  Samos  ein  glän- 
zendes Zeugniss  für  die  sittliche  Tüchtigkeit,  welche  in  dem  Kerne 
der  Bürgerschaft  noch  immer  vorhanden  war.  Das  Unglück  hatte  dazu 
beigetragen,  die  bürgerlichen  Tugenden  wieder  zu  wecken  und  zu 
stärken,  und  wenn  dies  hochherzige  Verhalten  nun  auch  sofort  dem 
ganzen  Staate  neuen  Mutb  und  neue  Kräfte  einflöfste  und  ihn  in  den 
Stand  setzte,  die  furchtbaren  Schläge  des  Schicksals  noch  einmal  zu 
überwinden,  so  werden  auch  diejenigen,  welche  in  dieser  entscheiden- 
den Zeit  die  Sprecher  und  Rathgeber  der  Bürgerschaft  waren,  wohl 
mit  Recht  zu  den  gröfsten  Wohlthätern  Athens  gezählt  werden 
dürfen 18a). 

Bei  diesem  Uebergange  aus  einer  Verfassung  in  die  andere,  bei 
welchem  wesentliche  Einrichtungen  in  die  neue  Ordnung  herüber- 
genommen wurden,  konnte  die  ßetheiligung  an  der  Regierung  der 
Vierhundert  unmöglich  als  ein  Verbrechen  angesehen  werden.  Waren 
doch  Mitglieder  derselben  die  Retter  des  Staats  geworden !  Dagegen 
hatten  sich  andere  Rathsmitglieder  der  gröfsten  Staatsverbrechen  in 
solcher  Weise  verdächtig  gemacht,  dass  man  dies  nicht  auf  sich 
beruhen  lassen  zu  können  glaubte.  Es  wurden  also  öffentliche  Ankläger 
ernannt  und  Untersuchungsrichter  bestellt,  um  sämtliche  Mitglieder 


AMIPHON  VOR  GERICHT 


735 


des  Raths  zur  Rechenschaft  zu  ziehen.  Viele  von  ihnen  wurden  von 
jeder  Schuld  freigesprochen.  Diejenigen,  welche  sich  der  Verantwor- 
tung entzogen  und  in  das  feindliche  Lager  übergingen,  wie  Peisandros, 
wurden  verurteilt.  Aristarchos  war  nicht  nur  entkommen,  sondern 
hatte  auch  eine  Abtheilung  der  iberischen  Bogenschützen  mit  sich 
genommen  nach  Oinoe  (S.  402),  das  gerade  von  Korinthern  und  Böo- 
tiern  belagert  wurde.  Er  hatte  der  Besatzung,  welche  ihn  als  ein  Mit- 
glied der  Regierung  betrachtete,  vorgespiegelt,  dass  die  Festung  in 
einem  mit  den  Lakedäinoniern  geschlossenen  Vertrage  abgetreten 
worden  wäre,  und  so  einen  der  wichtigsten  Gränzplätze  in  die  Hände 
der  Feinde  gebracht.  Ihn  erreichte  später  die  Strafe  des  Verraths. 
Persönlich  standen  vor  Gericht  nur  zwei  der  einflussreichsten  Anstifter 
des  Staatsstreichs,  Archeptolemos  und  Antiphon,  der  Einzige  von  Allen, 
der  unsere  persönliche  Theilnahme  in  Anspruch  nimmt. 

Ein  Mann  von  seltener  Charakterstärke,  ein  Muster  attischer 
Gedankenschärfe,  unvergleichlich  als  Meister  des  Worts  und  als  Lehrer 
der  Beredsamkeit,  ward  er  bewundert  von  Allen,  die  einen  Mafsstab 
für  geistige  Bedeutung  hatten,  aber  dem  Volke  war  er  missliebig,  weil 
er  die  Leute  durch  seine  herbe  Persönlichkeit  verletzte  und  weil  er  in 
allen  Dingen  dem  Strom  der  öffentlichen  Meinung  entgegenstand.  Die 
alterthümliche  Würde  seiner  Reden  war  das  Gegentheü  der  demago- 
gischen Beredsamkeit,  wie  sie  seit  Kleon  Mode  geworden  war;  wenn 
seine  Reden  das  Oeffentliche  berührten,  bekämpfte  er  immer  die  demo- 
kratische Politik,  namentlich  in  den  bundesgenössischen  Angelegen- 
heiten (S.  488).  Sonst  war  ihm  der  ganze  Volksstaat  so  zuwider,  dass 
er  von  allen  Aemtern  sich  fern  hielt.  Erst  mit  dem  sicilischen  Unglück, 
das  seine  Ansichten  von  dem  Unheil  der  Demokratie  so  vollständig  be- 
stätigt hatte,  glaubte  er,  dass  seine  Zeit  gekommen  sei,  und  er  war 
es,  der  seitdem  die  Umsturzpläne  der  Oligarchen  geleitet  und  gestaltet 
hatte.  Also  musste  er  als  der  schuldigste  von  Allen  gelten,  obwohl  er 
der  gesinnungtreuste  und  uneigennützigste  von  allen  war. 

Zu  stolz  um  zu  fliehen,  stellte  er  sich  zur  Verantwortung  und 
diente  seinen  Gesinnungsgenossen  dazu,  dass  sie  auf  seine  Kosten  ihre 
Popularität  wieder  gewinnen  konnten.  Theramenes  war  unter  den 
Feldherrn,  welche  die  Anzeige  wegen  Landesverrath  beim  Rathe 
machten;  Andron,  auch  einer  der  Vierhundert,  hatte  den  Raths- 
beschluss  beantragt,  welcher  Antiphon  und  Archeptolemos  in  An- 
klagezustand  versetzte. 


Digitized  by  Google 


ANTIPHONS  TOD  (411;  M;  2). 


Der  greise  Redner  bot  noch  einmal  die  ganze  Kraft  seines  Geistes 
auf,  um  die  Grundsätze,  nach  denen  er  gebandelt  hatte,  mannhaft  zu 
verlreten.  Die  Anklage  drehte  sich  besonders  um  die  letzte  Gesandt- 
schaft, um  den  Festungsbau  im  Peiraieus  und  den  Zusammenhang,  in 
welchem  der  Seezug  des  Agesandridas  mit  diesen  Mafsregeln  gestanden 
habe.  Seine  Rede  'über  die  Verfassungsänderung1  war  ein  vielbewun- 
dertes Meisterwerk,  aber  nicht  im  Stande  ihn  zu  retten.  Der  Verdacht, 
der  auf  jener  Gesandtschaft  lastete,  wurde  nicht  gehoben;  sein  ganzes 
Leben  zeugte  wider  ihn;  selbst  das  Verhalten  des  Großvaters,  der  zum 
Anhange  der  Tyrannen  gebort  hatte,  wurde  von  den  Anklägern  herbei- 
gezogen, um  sein  ganzes  Haus  als  einen  Herd  verfassungsfeindlicher 
Gesinnung  darzustellen.  Vergebens  suchte  er  geltend  zu  machen,  dass 
die  Vierhundert  solidarisch  unter  sich  verbunden  gewesen  wären, 
dass  man  entweder  alle  bestrafen  oder  alle  freisprechen  müsse.  Er 
wurde  mit  Archeptolemos  zum  Tode  verurteilt  und  den  Clfmännern 
übergeben.  Ihr  Vermögen  wurde  eingezogen,  ihre  Häuser  wurden 
niedergerissen;  die  Geschlechter  wurden  für  ehrlos  erklärt,  die  Be- 
stattung in  attischer  Erde  verboten.  Das  Urleil  wurde  mit  dem  vor- 
angehenden Ralhsbeschlusse  aufgeschrieben  und  öffentlich  aufgestellt 

So  endete  im  Sommer  411,  gleich  nach  dem  Anfange  von  Ol.  92, 
2,  hundert  Jahre  nach  dem  Sturze  der  Pisistratiden,  die  viermonatliche 
Tyrannis  der  Oligarchien.  Sie  war  nur  möglich  geworden  durch  die 
Macht  der  politischen  Clubbs,  welche  sich  in  dem  Hermenprozesse  zu 
kühneren  Unternehmungen  vorgeübt  hatten ;  sie  war  durch  die  unge- 
wöhnlichen Talente,  welche  ihr  dienten  und  durch  die  günstige  Stim- 
mung der  wohlhabenderen  Bürgerkreise  zu  Stande  gekommen;  sie 
konnte  aber  keine  Dauer  haben,  weil  der  Kern  des  Volks  an  der  Ver- 
fassung festhielt,  weil  das,  was  von  der  Seeherrschafl  Athens  noch 
übrig  war,  nur  durch  die  Demokratie  zusammengehalten  wurde  und  in 
Athen  selbst  eine  Vereinbarung  der  Ehre  des  Staats  mit  oligarchischer 
Regierungsweise  unmöglich  war. 

Ein  Mann  wie  Thukydides  würde  Antiphon  nicht  so  hoch  geschätzt 
haben  können,  wenn  er  nicht  von  der  Reinheit  und  Aufrichtigkeit  seiner 
Absichten  überzeugt  gewesen  wäre.  Antiphon  war  starrer  Theoretiker, 
dessen  scharfem  Blicke  die  Schäden  der  Verfassung  so  grell  entgegen- 
traten, dass  er  seine  Vaterstadt  lieber  in  Abhängigkeit  von  Sparta  sehen, 
als  am  Gifte  der  Volksherrschaft  zu  Grunde  gehen  lassen  wollte.  Die 
Meisten  der  Parteigänger  waren  aber,  wie  ihre  letzten  Schritte  gezeigt 


Digitized  by  Google 


DIE  PROZESSE   HIER  PHRYMCBOS. 


737 


haben,  nichts  als  selbstsüchtige  Verräther,  die  um  ihrer  Herrschsucht 
willen  die  Vaterstadt  preiszugeben  bereit  waren183). 

Trotz  ihrer  kurzen  Dauer  ist  diese  Parteiherrschaft  doch  nicht 
spurlos  Vorübergegangen.  Die  Macht  des  Staats  hatte  unheilbare 
Wunden  empfangen,  die  Schwäche  desselben  war  mehr  als  je  den 
Feinden  kund  geworden,  und  Sparta  hatte  die  Stärke  seines  Anhangs 
erprobt.  In  Athen  war  wiederum  Bürgerblut  geflossen;  alte  Bürger- 
häuser waren  eingerissen,  Schandsäulen  zum  Andenken  der  Schreckens- 
zeit aufgestellt  und  durch  eine  Reihe  von  Hochverrathsprozessen  und 
Gütereinziehungen  eine  Saat  der  Feindschaft  ausgestreut,  welche  rasch 
emporscboss.  Es  war  eine  Zeit  der  Aufregung  eingetreten,  in  welcher 
man  das  in  ruhigeren  Tagen  Versäumte  nachholen  wollte.  Man  zog  des- 
halb auch  die  Todten  vor  Gericht;  denn  der  Mord,  mit  dem  die  ganze 
Erbebung  begonnen  hatte,  sollte  jetzt  als  eine  völlig  gerechtfertigte  That 
erscheinen,  und  auf  das  Haupt  des  Phrynichos,  der  ja  ursprünglich  ein 
entschiedener  Gegner  der  Verfassungsfeinde  gewesen  und  nur  durch 
äufsere  Verhältnisse  in  ihre  Umtriebe  verwickelt  worden  war,  wurde 
darum  Alles  gehäuft,  was  an  Hass  gegen  oligarchische  Gewaltherrschaft 
in  der  Bürgerschaft  lebendig  war.  Eine  Verteidigung  des  Gemordeten 
wurde  nur  unter  dem  Vorbehalte  gestattet,  dass  der  Verlheidiger  im 
Falle  der  Verurteilung  desselben  Verbrechens,  wie  Phrynichos,  schuldig 
zu  achten  sei.  Nachdem  dieser  aber  noch  im  Grabe  als  Hochverräther 
verdammt  und  seine  Gebeine  über  die  Gränzen  der  Landschaft  hinaus- 
geworfen waren,  konnten  die  Mörder  desselben  den  vollen  Ruhm  von 
Tyrannenmördern  und  Freiheitshelden  ernten;  sie  wurden  in  die 
Bürgerschaft  aufgenommen,  sie  wurden  aus  den  eingezogenen  Gütern 
beschenkt  und  in  öffentlichen  Denkmälern  geehrt;  es  war  eine  Art 
Säkularfeier  der  ersten  Befreiung  Athens  durch  Harmodios  und  Arislo- 
geiton.  Diese  Verhandlungen  zogen  sich  in  die  Lunge.  Denn  es  meldeten 
sich  nun  allerlei  Menschen  sehr  zweideutigen  Rufs,  welche  bei  der 
nächtlichen  Mordscene  betheiligt  gewesen  sein  wollten  und  ihren  An- 
theil  an  Ehre  und  Lohn  beanspruchten.  Aber  auch  die  den  beiden 
HauptlhäternThrasybulos  und  Apollodoros  zukommenden  Ehren  wurden 
Gegenstand  von  mancherlei  Einreden,  welche  in  au fserordenl liehen 
Commissionen  berathen  wurden,  so  dass  erst  neunzehn  Monate  nach 
Phrynichos'  Ermordung  im  März  410  (92,  3)  die  ganze  Sache  erledigt 
worden  ist. 

So  waren  die  Leidenschaften  von  Neuem  entflammt  worden,  und 

Curtins,  Up.  Ge»cb.  IL  ß.  Au6.  47 


Digitized  by  Google 


73S 


ALKIIUAHES'  EINFLUSS. 


es  wurden  Manche,  welche  bei  der  ersten  Untersuchung  zu  glimpflich 
davon  gekommen  zu  sein  schienen,  nachträglich  zur  Verantwortung 
gezogen  und  bestraft:  namentlich  diejenigen,  welchen  man  nach- 
weisen konnte,  dass  sie  sich  noch  nach  Zerstörung  des  Castells  zum 
Rathe  gehalten  hatten.  Das  Aufspüren  tyrannischer  Umtriebe  war 
wieder  in  voller  Blüthe,  und  das  Gefühl  der  Sicherheit  im  eigenen 
Hause  kehrte  nicht  wieder  zurück.  Auf  Antrag  des  Demophantos 
wurde  beschlossen,  dass  die  Strafe  des  Hochverraths  künftig  auch  auf 
die  ausgedehnt  werden  solle,  welche  von  einer  verfassungswidrigen 
Regierung  irgend  ein  Amt  annähmen.  So  suchte  man  der  Gefahr 
neuer  Staatsstreiche  vorzubeugen,  und  allerdings  war  die  Partei  der 
Oligarchen  ihrer  Niederlage  ungeachtet  nichts  weniger  als  ausgerottet ; 
die  Rede,  welche  Antiphon  seinen  politischen  Freunden  wie  ein  Ver- 
mächtnis* hinterlassen,  hatte  bei  ihnen  eine  nachhallige  Wirkung, 
und  sie  warteten  nur  auf  günstigere  Gelegenheit,  ihre  Pläne  zu  ver- 
wirklichen1"). ____ 

Inzwischen  hatten  sich  draufsen  die  gröfsten  Veränderungen  zu- 
getragen, welche  theils  durch  den  Wechsel  des  Oberbefehls  auf  der 
spartanischen  Flotte,  theils  durch  die  neue  Thätigkeit  des  Alkibiades 
veranlasst  wurden. 

Alkibiades  hatte  schon  einen  wesentlichen  Einfluss  auf  die  Ge- 
schicke seiner  Vaterstadt  geübt.  Er  hatte  dem  altischen  Heere  eine 
muthige  und  feste  Haltung  gegeben  und  die  alte  Bundesgenossenscha  fl 
mit  Argos  erneuert;  er  halte  den  Rachezug  gegen  Athen  verbindert, 
welcher  der  Anfang  des  unheilvollsten  Bürgerkriegs  geworden  wäre; 
er  hatte  den  äufseren  Feind  unschädlich  gemacht,  indem  er  das  Miss- 
trauen  zwischen  Persien  und  Sparta  auf  das  Geschickteste  zu  nähren 
gewusst,  und  eben  so  hatte  er  den  Feind  zu  Hause,  die  Oligarchie, 
bezwingen  helfen;  denn  seine  Botschaft  hatte  ja  die  erste  Spaltung  im 
Rathe  der  Vierhundert  und  dadurch  den  Sturz  desselben  herbeige- 
führt. Er  halte  endlich  durch  seine  Erklärung  zu  Gunsten  einer  ge- 
mäfsigten  Volksherrschaft  die  Feststellung  der  neuen  Verfassung 
wesentlich  gefördert.  Dies  Alles  war  ihm  ohne  Waffengewalt  durch 
persönlichen  Einfluss  und  kluge  Behandlung  der  Zeilverhällnisse  ge- 
lungen. Nun  musste  er  als  Feldherr  zeigen,  dass  er  noch  immer  der 
Mann  sei,  welcher  das  Glück  des  Kriegs  in  seiner  Hand  habe  und  der 
die  Wunden  zu  heilen  wisse,  die  er  seiner  Vaterstadt  geschlagen.  EU 


Digitized  by  Goo 


MKNDAROS  UM»   I)!K  SATRAPEN. 


739 


kam  darauf  an,  die  attischen  Trieren  wieder  zum  Angriffskriege  zu 
fähren,  der  allein  im  Stande  war,  den  Athenern  das  alte  Vertrauen  zu 
ihren  Schiffen  zurück  zu  geben;  er  mussle  zeigen,  wie  man  auch  ohne 
das  regelmäßige  Einkommen  der  Tribute  Geldmittel  herbeischaffen 
und  die  sa mische  Kriegskasse  füllen  könne.  Man  musste  die  Tribute 
auf  eigenen  Schiffen  holen;  dabei  gewöhnte  man  sich  zu  nehmen,  so 
viel  man  bekommen  konnte,  und  anstatt  des  gesetzlich  Vereinbarten 
wurden  willkürliche  Contributionen  erhoben. 

So  durchkreuzte  Alkibiades  in  den  Monaten,  welche  der  Her- 
stellung der  Verfassung  folgten,  mit  einem  Geschwader  von  22  Schiffen 
das  Meer  von  Karien,  erhob  grofse  Summen  aus  Halikarnassos,  be- 
festigte die  Insel  Kos,  übte  die  Trieren  in  raschen  Zügen  und  kettete 
das  Schiffsvolk  durch  reiche  Beute  an  seine  Person.  Trotz  der  Rhodier, 
welche  damals  schon  nach  eigener  Seeherrschaft  strebten,  und  trotz 
der  Nähe  der  Perserflotte  war  die  karische  Küste  wieder  ganz  in 
attischer  Macht,  und  aus  den  abgefallenen  Städten  wurde  mehr  Geld 
gezogen,  als  jemals  an  Tribut  von  dort  eingekommen  war.  Dann 
wandte  er  sich  im  Herbste  gegen  Norden,  um  sich  mit  der  übrigen 
Flotte  zu  entscheidenden  Kämpfen  zu  vereinigen;  denn  das  eigent- 
liche Kriegstheater  war  inzwischen  von  Milet  nach  dem  Hellespont 
verlegt  worden 185). 

Man  hatte  nämlich  in  Sparta  beschlossen,  der  Kriegführung  eine 
andere  Wendung  zu  geben.  Deshalb  war  im  Frühjahr  anstatt  des 
trägen  und  unzuverlässigen  Astyochos  ein  wackerer  Spartiat,  Namens 
Mindaros,  an  die  Spitze  der  Flotte  gestellt,  ein  Mann,  welcher  nach 
Art  des  Lichas  (S.  711)  eine  sehr  entschlossene  Haltung  den  Satrapen 
gegenüber  annahm.  Noch  einmal  wurde  die  versprochene  Vereinigung 
der  peloponnesischen  und  phönikischen  Schiffe  verlangt,  um  dadurch 
dem  ganzen  Kriege  ein  rasches  Ende  machen  zu  können.  Tissaphernes 
wollte  einen  offenen  Bruch  vermeiden  und  reiste,  um  einen  schein- 
baren Eifer  zu  zeigen,  selbst  nach  der  Südküste,  um  die  königliche 
Flotte  herbeizuholen.  Aber  sie  blieb  nach  wie  vor  hinter  den  lykischen 
Vorgebirgen  bei  Aspendos  liegen;  es  war,  als  wenn  sie  durch  einen 
Zauber  an  jene  Gränze  gebannt  wäre,  welche  Kimons  Siege  der  persi- 
schen Seemacht  bestimmt  hatten  (S.  184).  Der  wahre  Grund  lag 
aber  in  der  eigensinnigen  Consequenz,  mit  welcher  Tissaphernes  seine 
Politik  durchführte.  Denn  wenn  sich  die  147  phönikischen  Schiffe  mit 
den  Lakedämoniern  vereinigt  hätten,  so  hätte  er  ihnen  die  unzweifel- 

47* 


Digitized  by  Google 


740 


ZWEI  SCHLACHTEN 


hafle  Uebermacht  im  ionischen  Meere  verschafft,  und  das  wollte  er 
um  keinen  Preis.  Auch  Geld inter essen  mögen  dabei  im  Spiele  ge- 
wesen sein,  indem  die  Phönizier  sich  dem  Satrapen  dafür  dankbar 
erwiesen,  dass  sie  aus  ihrem  sicheren  Verstecke  nicht  auszulaufen 
brauchten.  Kurz  unter  nichtigen  Vorwänden  wurde  das  Ausbleiben 
von  Neuem  entschuldigt,  während  gleichzeitig  die  Subsidien  nach- 
lässiger als  je  ausgezahlt  wurden. 

Das  Mafs  der  Geduld  war  endlich  erschöpft.  Man  erkannte,  wie 
thöricht  es  sei,  jener  Flotte  wegen  noch  länger  in  lonien  zu  bleiben. 
Mindaros  beschloss  also  die  Verbindungen  mit  Tissaphernes,  welche 
seiner  Stadt  nichts  als  Schande  eingebracht  hatten,  völlig  abzubrechen 
und  ging  statt  dessen  auf  die  Vorschläge  des  Pharnabazos  ein  (S.  685)t 
um  in  Gemeinschaft  mit  ihm  die  hellespon tischen  Städte  den  Athenern 
zu  entreifsen.  So  wurde  nach  einem  unwiederbringlichen  Zeitverluste 
der  ganze  ionische  Krieg  aufgegeben. 

Der  neue  Kriegsplan  war  seit  längerer  Zeit  vorbereitet.  Denn 
schon  im  Anfange  des  Sommers  war  Derkyllidas  mit  einer  kleinen 
Mannschaft  von  Milelos  aus  in  die  Satrapie  des  Pharnabazos  einge- 
rückt und  hatte  zwei  der  wichtigsten  Plätze,  Abydos  und  Lampsakos, 
den  Athenern  abwendig  gemacht.  Dann  war  auch  schon  ein  Ge- 
schwader von  vierzig  Schilfen  unter  Klearchos  nach  derselben  Gegend 
vorangegangen,  und  obwohl  nur  der  vierte  Theil  desselben  unter  einem 
megarischen  Seehauptmanne  glücklich  an  das  Ziel  gekommen  war,  so 
hatte  dieser  dennoch  den  Abfall  des  wichtigen  ßyzanz  bewirkt.  Nach- 
dem nun  bei  so  geringen  Mitteln  so  bedeutende  Erfolge  gewonnen 
waren,  beschloss  man  unverzüglich  den  ganzen  Krieg  dorthin  zu  ver- 
legen; denn  man  wusste,  dass  nach  dem  Verluste  von  Euboia  die  Zu- 
fuhr vom  Hellespon l  den  Athenern  doppelt  unentbehrlich  sei.  Die 
beiden  Sunde  der  nördlichen  Meere  waren  die  letzte  Stütze  der  atti- 
schen Seeherrschaft;  sie  waren  schon  halb  in  den  Händen  der  Pe- 
loponnesier. 

Mindaros  brach  im  Juli  von  Milet  mit  73  Schiffen  auf  und  be- 
orderte zugleich  alle  zerstreuten  Geschwader  der  Peloponnesier  nach 
dem  Hellespont,  wo  sich  nun  zum  entscheidenden  Kampfe  alle  Streit- 
kräfte zusammenzogen.  Denn  auch  die  Athener,  welche  bis  dahin 
nur  mit  kleinen  Flottenabtheilungen  den  dortigen  Unternehmungen 
hatten  entgegentreten  können,  liefen  nun  unter  Thrasybulos  und 
Thrasylos  mit  ihrer  ganzen  Seemacht  von  Samos  aus,  um  Mindaros 


Digitized  by  Google 


BEI  ABYDOS  (JULI— OCT.  411).  741 

auf  dem  Fufse  zu  folgen,  und  schon  Ende  Juli  kam  es  bei  Abydos 
zu  einer  grofsen  Floltenschlacht,  in  welelier  die  attischen  Feldherrn 
durch  Einsicht  und  Tapferkeit  die  Uebermacht  der  peloponnesisch- 
syrakusanischen  Flotte  glücklich  bekämpften.  Denn  wenn  auch  die 
nahen  Ufer  eine  nachdrückliche  Verfolgung  der  Feinde  hinderten,  so 
war  der  Sieg  dennoch  von  grofser  Bedeutung;  die  Aengstlichkeit, 
welche  seit  der  sicilischen  Niederlage  das  Schiffsvolk  beherrscht  hatte, 
war  glücklich  überwunden;  auch  in  Athen  erweckte  die  unerwartete 
Siegeskunde  neues  Leben  und  neue  Hoffnungen;  die  schwüle  Luft 
trüber  Stimmungen  verzog  sich,  und  man  glaubte  wieder  an  die  Mög- 
lichkeit, eine  neue  Gröfse  der  Stadt  zu  erleben. 

Inzwischen  warteten  beide  Flotten  auf  Zuzug,  um  mit  gröfserem 
Nachdruck  den  Kampf  fortzusetzen.  Agesandridas  fuhr  mit  50  Schiffen 
von  Euboia  heran,  aber  ihn  fasslen  die  Winterstürme,  wie  er  den 
Athos  umschiffte,  und  zerstörten  die  Flotte  an  denselben  Klippen,  an 
denen  einst  die  Schiffe  des  Mardonios  zerschellt  waren.  Ein  anderes 
Geschwader  von  vierzehn  Schiffen  unter  Dorieus  ward  vor  seiner  Ver- 
einigung mit  der  Flotte  von  den  Athenern  angegriffen.  Aber  es  gelingt 
dem  umsichtigen  Mindaros,  rechtzeitig  mit  seiner  Flotte  von  Abydos 
auszulaufen  und  das  Hülfsgeschwader  aufzunehmen.  Neunzig  Segel 
stark  bietet  er  nun  den  Athenern  die  Schlacht  an,  indem  er  aufser 
einer  Ueberzahl  von  neunzehn  Schiffen  auch  den  Vortheil  hat,  dass 
Truppen  des  Pharnabazos  das  Ufer  decken.  Den  ganzen  Tag  hindurch 
wird  im  Meersunde  mit  schwankendem  Glücke  gekämpft,  und  schon 
neigt  sich  der  Sieg  auf  die  Seile  der  Peloponnesier,  da  kommt  ein  neues 
Geschwader  in  Sicht;  es  ist  Alkibiades  mit  achtzehn  Schiffen.  So  wie 
die  Athener  an  seinem  Feldherrnschiffe  die  Purpurflagge  aufziehen 
sehen,  werden  sie  mit  frischem  Mulhe  erfüllt;  Alkibiades  stürzt  sich 
rasch  in  die  Mitte  des  Kampfes  und  giebt  ihm  sofort  den  Ausschlag. 
Die  Peloponnesier  werden  an  das  Land  getrieben;  aus  der  Seeschlacht 
wird  ein  Uferkampf;  sämtliche  Schiffe  wären  genommen  worden,  wenu 
nicht  Pharnabazos  mit  seiner  ganzen  Mannschaft  und  mit  Gefahr  des 
eigenen  Lebens  den  Athenern  Widerstand  geleistet  hätte.  Sie  mussten 
sich  also  begnügen,  mit  30  feindlichen  und  den  zurückeroberten  eigenen 
Schiffen  nach  Sestos  zurückzugehen.  So  war  die  erste  Ankunft  des 
Alkibiades  bei  der  Flotte  unverzüglich  von  einem  glänzenden  Siege 
begleitet,  und  wenn  auch  seine  tapferen  Milfeldherrn  eigentlich  das 
Verdienst  hatten,  dem  Verlaufe  des  Kriegs  zuerst  wieder  eine  glück- 


Digitized  by  Google 


742  ALKIBIADES  GEFANGEN  (ENDE  411;  W,  S). 

liebe  Wendung  gegeben  zu  haben,  so  überstrahlte  sein  Ruhm  doch  den 
der  Andern,  und  der  Glaube  stärkte  sich,  dass  das  Glück  von  seiner 
Person  unzertrennlich  sei1*'). 

Frei  war  der  Hellespont  auch  jetzt  noch  nicht.  Denn  Mindaros 
behielt  seine  feste  Stellung  in  Abydos,  wie  die  Athener  in  Sestos,  und 
so  lagen  sich  die  Flotten  wieder  lauernd  gegenüber,  wie  vordem  in 
Milet  und  Samos.  Die  Peloponnesier  waren  aber  trotz  ihrer  Nieder- 
lage in  ungleich  günstigeren  Verhältnissen;  sie  hatten  eine  Landmacht 
im  Rücken  und  waren  mit  Geld  reichlich  versehen,  während  die 
Athener  solchen  Mangel  halten,  dass  immer  nur  ein  Kern  der  Flotte 
zusammen  bleiben  konnte;  die  anderen  Schiffe  mussten  in  einzelnen 
Geschwadern  auf  Beule  ausziehen.  Dadurch  wurde  das  Seevolk  ver- 
wildert und  der  Name  der  Athener  immer  verhassler;  eine  rasche  Be- 
nutzung günstiger  Zeitpunkte,  eine  Kriegführung  nach  gemeinsamem 
Plane  war  unmöglich,  da  die  Streitkräfte  immer  gelheilt  und  die  Feld- 
herrn  weit  umher  im  ägäischen  Meere  zerstreut  waren. 

AJkibkules  selbst  erlebte  auch  jetzt  noch  die  abenteuerlichsten 
Schicksale.  Er  ging  mit  allem  Pompe  seiner  jetzigen  Würde  zum  Tissa- 
phernes  hinüber,  welcher  sich  um  die  Zeit  der  Schlacht  von  Abydos 
am  Hellespont  eingefunden  hatte;  denn  es  war  ihm  im  höchsten  Grade 
verdriefslich,  dass  zwischen  Pharnabazos  und  den  Peloponnesiern  eine 
so  wirksame  Verbindung  zu  Stande  gekommen  war,  und  er  wollte  Ge- 
legenheit suchen,  von  Neuem  mit  Sparta  anzuknüpfen.  Sparta  und  dem 
Grofskönige  gegenüber  glaubte  er  nun  nichts  thun  zu  können,  was  ihm 
mehr  zur  Empfehlung  gereiche,  als  wenn  er  sich  des  gefährlichsten 
Atheners  bemächtigte.  Alkibiades  wurde  in  der  That  von  seinem  alten 
Gastfreunde  festgenommen  und  als  Gefangener  nach  Sardes  gebracht 
Aber  es  gelingt  ihm,  nach  dreifsig  Tagen  die  Freiheit  wieder  zu  ge- 
winnen ;  er  entkommt  nach  Klazomenai,  lässt  hier  in  Eile  sechs  Schiffe 
ausrüsten  und  fahrt  nach  Lesbos.  Die  Zeit  drängt;  denn  schon  hat 
Mindaros,  da  er  nur  den  kleineren  Theil  der  Flotte  sich  gegenüber 
sah,  wieder  eine  angreifende  Haltung  angenommen ;  die  Athener  müssen 
Sestos  aufgeben,  sie  ziehen  bei  Nacht,  vom  Feinde  unbemerkt,  aus  dem 
Hellespont  ab  und  ankern  auf  der  Westseite  der  thrakischen  Halbinsel 
bei  Kardia.  Alle  Früchte  des  letzten  Siegs  sind  verloren,  wenn  nicht 
ein  neuer  Sieg  die  Macht  des  Feindes  zerstört;  darum  werden  die  zer- 
streuten Geschwader  schleunig  herbeigerufen. 

Alkibiades  ist  rasch  zur  Stelle  und  beschliefst  sofort,  Mindaros 


Digitized  by  Google 


SCHLACHT   Ithl    KYZIKOS   (92,  2;  410  FEBR.). 


743 


zu  folgen.  Dieser  hatte  sich  nämlich,  als  der  Hellespont  frei  war,  nach 
der  Propontis  hegeben,  um  in  Gemeinschaft  mit  Pharnahazos  Kyzikos 
zu  nehmen  (I,  404)  und  die  Herrschaft  der  Verbündeten  in  den  poe- 
tischen Gewässern  zu  befestigen.  Thrasybulos  undTheramenes,  welcher 
neuen  Zuzug  aus  Athen  gebracht  hatte,  treffen  von  ihren  Beutezügen 
rechtzeitig  ein.  In  verschiedenen  Abiheilungen  fahren  sie,  zum  Kampfe 
gerüstet,  rasch  den  Hellespont  hinauf,  gehen,  um  die  Stärke  der 
Flotte  geheim  zu  halten,  bei  Nacht  an  Abydos  vorüber  und  legen  in 
der  Frühe,  sechs  und  achtzig  Segel  stark,  bei  der  Marmorinsel  Prokon- 
nesos an,  Kyzikos  gegenüber.  Hier  erfahren  sie,  dass  Mindaros  und 
Pharnahazos  mit  Heer  und  Flotte  bei  Kyzikos  stehen.  Der  entscheidende 
Kampf  wird  beschlossen.  4Wir  haben  keine  Wahl',  sagt  Alkibiades  den 
versammelten  Truppen.  'Unser  Geld  ist  zu  Eude;  drüben  ist  das  Geld 
des  Grofskönigs  in  den  Händen  unserer  Feinde.' 

Den  nächsten  Tag  wurde  in  aller  Stille  gerüstet,  und  kein  Schill 
durchgelassen,  welches  Nachricht  ans  Festland  bringen  könnte.  Am 
dritten  Tage  wird  der  Angriff  begonnen,  wie  ihn  Alkibiades  angeordnet 
hatte.  Eine  Abtheiluug  von  Landungstruppen  wird  unter  Chares 
gegen  Kyzikos  bestimmt,  die  Flotte  in  drei  Geschwader  getheilt;  Thera- 
menes  und  Thrasybulos  erhallen  Befehl,  durch  Seilenangrifl  rechtzeitig 
einzugreifen.  Alkibiades  selbst  geht  am  frühen  Morgen  bei  dichlem 
Winterregen  (es  war  Februar)  mit  vierzig  SchilTen  voran  gegen  den 
Hafen  von  Kyzikos.  Wie  die  Wolken  sich  theilen,  sehen  sie  die 
Peloponnesier  vor  dem  Hafen  in  voller  Schiffszahl,  mit  Lebungen  be- 
schäftigt. Sie  machen,  als  wenn  sie  von  der  Ueberzahl  erschreckt 
wären,  einen  verstellten  Rückzug  und  lockeu  den  Feind,  welcher  nur 
die  Flotte  von  Sestos  vor  sich  zu  haben  glaubt,  in  die  offene  See 
heraus.  Dann  wenden  sie  plötzlich;  Alkibiades  zieht  die  Kriegsflagge 
auf,  und  Mindaros  sieht  sich  gleichzeitig  von  vorne  angegriffen  und 
durch  die  anderen  Geschwader  im  Kücken  bedroht.  Er  erkennt  die 
Kriegslist  und  flieht  rasch  nach  dem  Lande  zu  den  Truppen  des 
Pharnahazos.  Alkibiades  eilt  ihm  nach,  nimmt  einen  Theil  der  Schiffe 
und  sucht  auch  die,  welche  an  der  Küste  vor  Anker  gegangen  waren, 
zu  erbeuten.  Es  entspinnt  sich  um  die  Schiffe  ein  blutiger  Landkampf, 
der  immer  gröfsere  Ausdehnung  gewinnt;  von  der  einen  Seite 
kommen  die  persischen  Truppen,  von  der  andern  Thrasybulos  und 
Theramenes.  Mindaros  stellt  ihnen  Klearchos  gegenüber  und  hält 
selbst  den  Kampf  gegen  Alkibiades;  ja,  als  die  Truppen  des  Klearchos 


Digitized  by  Google 


744 


nach\mhki:n<;en  i»kk  schlacht. 


in  Verwirrung  geralhen  sind,  kämpft  er  gegen  die  vereinigten  Athener. 
Endlich  fällt  er  im  Handgemenge.  Die  Athener  verfolgen  das  flüchtige 
Heer  landeinwärts  und  kehren,  ehe  die  Reiterei  der  Perser  heran- 
kommt, auf  die  Flotte  zurück.  Am  nächsten  Tage  besetzen  sie  Kyzikos, 
wo  sie  unermessliche  Beute  linden.  Viele  Gefangene,  38  Kriegsschifle 
waren  in  ihre  Hände  gefallen ;  die  der  Syrakusaner  waren  von  ihnen 
selbst  verbrannt  worden. 

Ein  solcher  Sieg  war  seit  den  Tagen  Kimons  nicht  erlebt  worden; 
es  war  die  glänzendste  WafTenlhat  im  ganzen  peloponnesischen  Kriege, 
und  zwar  war  der  Erfolg  kein  solcher,  der,  wie  einst  in  Pylos,  dem 
Zufalle  oder  dem  Ungeschick  der  Feinde  verdankt  wurde,  sondern  er 
war  dem  tüchtigsten  Gegner,  Angesichts  seiner  mächtigen  Bundes- 
genossen, durch  den  geschickten  Kriegsplan  des  Oberfeldherrn,  durch 
das  rechtzeitige  Eingreifen  seiner  Amtsgenossen,  durch  die  wetteifernde 
Tapferkeit  der  Truppen  im  Land-  und  Seekampfe  abgewonnen  worden. 
Darum  ist  es  kein  Wunder,  wenn  auf  die  Kunde  von  dieser  Schlacht 
den  Spartanern  der  Kriegsmuth  entsank,  die  AÜiener  aber  die  über- 
schwänglichsten  Hoffnungen  fassten. 

Auch  auf  die  inneren  Angelegenheiten  Athens  scheint  der  Sieg 
von  Kyzikos  eine  wichtige  Einwirkung  geäufsert  und  die  vollständige 
Rückkehr  zur  alten  Verfassung  veranlasst  zu  haben. 

Die  Beschränkung  des  allgemeinen  Stimmrechts  war  ja  nur  als 
finanzielle  Mafsregel  in  Verbindung  mit  der  Aufhebung  der  öffentlichen 
Besoldungen  durchgesetzt  worden;  es  war  eine  durch  den  Nothstand, 
wie  man  glaubte,  geforderte  Mafsregel;  sie  hing  mit  einer  klein- 
in  öl!)  igen  Stimmung  zusammen,  in  welcher  man  bereit  war,  auf  die 
alte  Seeherrschaft  Verzicht  zu  leisten.  Nun  war  wieder  Geld  und 
Siegesmuth  vorhanden;  Athen  schien  neu  erstanden  und  verlangte 
auch  seine  alte  Verfassung  wieder.  Der  Ausschluss  der  Unbemittelten 
von  dem  vollen  Bürgerrechte  erschien  als  ein  schreiendes  Unrecht,  da 
die  Matrosen  so  eben  tapferer  als  je  für  ihre  Vaterstadt  gekämpft  hatten. 
Es  halte  die  Schlacht  bei  Kyzikos  also  eine  ähnliche  Wirkung,  wie 
einst  die  platäische  Schlacht;  die  unterste  Vermögensklasse  wurde  zum 
zweiten  Male  in  alle  Rechte  eingesetzt,  und  trotz  der  Verwünschungen, 
mit  welchen  man  jeder  Aenderung  der  gemäfsigten  Verfassung  vorzu- 
beugen gesucht  hatte  (S.  733),  wurden  die  Spenden  und  Besoldungen 
auf  einmal  oder  nach  und  nach  wiederum  eingeführt.  Jeder  Geld- 
gewinn war  den  geringen  Leuten  doppelt  erwünscht,  da  die  Einkünfte 


Digitized  by  Google 


■ 


FR I K D K > S VEH H A N L> F,U> G EN  (»,  *}  410). 


745 


des  Ackerbaus  fortwährend  stockten  und  viele  Landleu le  so  wie  aus- 
wärtige Colonisten  brodlos  in  der  Stadt  sieb  um  her  trieben. 

Mit  diesen  Reformen  hängt  auch  das  Gesetz  des  Demophanlos 
(S.  73S)  zusammen,  welches  den  neu  erwachten  Eifer  für  die  Salzun- 
gen der  Demokratie  bezeugt;  es  war  die  Zeit  der  Gährung,  in  welche 
die  Verhandlungen  über  die  Tyrannenmörder  fallen,  dieselbe  Zeit,  in 
welcher  die  Demagogen  wieder  auftreten,  nachdem  seit  Androkles' 
Tode  ihre  Stimmen  verstummt  waren.  Unter  ihnen  macht  sich  vor 
allen  Andern  Kleophon  geltend,  ein  Fabrikant  von  Saiteninstrumenten. 
Seiner  thrakischen  Mutter  wegen  wurde  er  der  Erschleichung  des 
Bürgerrechts  angeklagt;  doch  wussle  er  sich  zu  behaupten  und  wohnte 
zu  Athen  im  Hause  des  Andokides,  das  er  nach  Lcogoras'  Tode  er- 
worben hatte.  Er  wurde  aber  immer  als  ein  Halbbarbar  angesehen  und 
seiner  unattischen  Rede  wegen  auf  der  komischen  Bühne  als  die 
„thrakische  Schwalbe"  verhöhnt.  Trotzdem  hat  er  durch  seine  un- 
gestüme Beredsamkeit  Jahre  lang  den  gröfsten  Einfluss  in  der  Bürger- 
schaft ausgeübt,  wie  ihn  seit  Kleon  kein  Demagog  besessen  hatte.  Nach 
Kleons  Weise  eiferte  er  auf  der  Rednerbühne  für  die  Rechte  und 
Freiheiten  des  Volks  und  wusste  die  Ereignisse  der  letzten  Jahre  treff- 
lich auszubeuten,  um  gegen  die  Umtriebe  der  vornehmen  Bürger, 
gegen  die  besonnenen  Rathschlüge  der  Gemässigten  und  namentlich 
gegen  jede  Verständigung  mit  Sparta  zu  reden. 

So  fand  Endios  die  Stadt,  als  er  von  Sparta  gesandt  wurde,  den 
Athenern  Vorschläge  zu  machen.  Es  war  vergeblich,  dass  man  in 
Endios  eine  zur  Vermitlelung  woblgeeignete  Persönlichkeil  und  einen 
Gastfreund  des  Alkibiades  ausgewählt  hatte;  vergeblich,  dass  Endios 
in  wohlmeinender  Absicht  den  Athenern  klar  zu  machen  suchte,  der 
Friede  sei  noch  viel  mehr  in  ihrem  Interesse  als  in  dem  der  Spartaner, 
welche  den  Satrapen  zum  Schatzmeister  hätten  und  auch  nach  Unter- 
gang ihrer  Flotte  die  Dinge  ruhig  abwarten  könnten.  Er  konnte  nichts 
ausrichten.  Kleophons  gellende  Stimme  drohte  Jedem  Tod  und  Ver- 
derben, welcher  das  Wort  Frieden  ausspräche,  und  die  Bürgerschaft 
liefs  sich  von  ihm  beherrschen.  Auch  konnte  in  der  Thal  den 
Athenern  mit  dem  gegenwärtigen  Besitzstande,  welchen  Sparta  zur 
Grundlage  der  Verständigung  machen  wollte,  wenig  gedient  sein;  denn 
der  Abzug  des  Agis  konnte  sie  für  den  Verlust  von  Euboia  nicht  ent- 
schädigen. Sie  fühlten  sich  am  Anfange  einer  neuen  Zeit,  die  Person 
des  Alkibiades  galt  ihnen  für  eine  Bürgschaft  des  Siegs:  auch  die 


Digitized  by  Google 


746 


SUNDZOLL  BEI  CHRYSOPOLIS  (M,  «;  410  FRÜHJAHR). 


städtischen  Truppen  hatten  vor  den  Mauern  der  Stadt  wacker  gegen  Agis 
gestritten,  und  nun  sollten  sie  auf  die  glänzende  Zukunft  verzichten,  in 
dem  Moment,  wo  sie  die  Seeherrschaft  wieder  angetreten  hatten? 
Nachdem  die  Oligarchien  unter  entehrenden  Bedingungen  in  Dekeleia 
und  Sparta  Frieden  erfleht  hatten,  glaubte  man  im  Hochgefühl  der 
erneuerten  Demokratie ,  den  angebotenen  Frieden  zurückweisen  zu 
können.  Auch  Persien  und  seine  Schätze,  um  welche  die  Oligarchen 
gebettelt  hatten,  glaubte  man  entbehren  zu  können;  man  fühlte  wieder 
die  eigene  Bürgerkraft  genügen187). 

Der  Krieg  blieb  vorzugsweise  auf  die  nördlichen  Gegenden  ge- 
richtet. Es  war  ein  Krieg  um  die  beiden  Handelsstraßen  des 
schwarzen  Meers,  ein  Krieg  um  Geld  und  Zufuhr,  der  jetzt  zwischen 
einer  Land-  und  einer  Seemacht  geführt  wurde.  Das  SchifTslager  der 
Athener  war  nach  dem  Siege  von  Kyzikos  in  dem  befestigten  Lampsa- 
kos;  Pharnabazos  lagerte  mit  seinen  Truppen  am  Bosporos  und 
schützte  die  beiden  Festungen  des  Sundes,  ßyzantion  und  Chalkedon, 
welche  links  und  rechts  an  der  Einfahrt  lagen.  Trotzdem  benutzte 
Alkibiades  seine  Seemacht  sofort  in  sehr  erfinderischer  Weise,  indem 
er  nördlich  von  Chalkedon  im  Gebiete  dieser  Stadt  bei  Chrysopolis 
einen  festen  Platz  gründete,  der  ungemein  wohl  gelegen  war,  weil  hier 
der  engere  Theil  des  Sundes  beginnt  und  der  Strömung  wegen  auch 
die  Fahrzeuge  von  Chalkedon  nicht  nach  Byzanz  hinüber  gelangen 
konnten,  ohne  in  Chrysopolis  anzufahren.  Hier  baute  er  einen  Thurm, 
den  er  als  Zollhaus  einrichtete,  und  legte  hieher  ein  Geschwader  von 
dreifsig  Trieren,  welche  von  allen  aus-  und  einfahrenden  Schiffen 
einen  Zehnten  vom  Werthe  der  Ladung  erhoben.  Es  war,  wie  die 
Einführung  des  Zwanzigstels  (S.  688),  ein  neuer  Versuch,  den  Aus- 
fall der  Tribute  durch  indirekte  Besteuerung  zu  decken.  Freilich 
musslen  dadurch  in  Athen  die  Kornpreise  in  die  Höhe  geben,  aber  es 
traf  diese  Mafsregel  auch  die  anderen  Seestädte,  namentlich  die 
ionischen,  welche  Sklaven,  Korn,  Fische,  Felle  u.  s.  w.  aus  dem  Pontus 
bezogen,  und  brachte  jedenfalls  einen  sehr  ansehnlichen  Ertrag  an 
baarem  Gelde  ein. 

Gleichzeitig  hatte  man  den  Muth,  einen  zweiten  Kriegsschauplatz 
zu  eröffnen.  Thrasylos  war  nämlich  schon  im  Anfang  des  Winters 
nach  Athen  geschickt,  um  den  Sieg  von  Abydos  zu  melden  und  die 
Bürgerschaft  zu  neuen  Truppensendungen  zu  veranlassen.  Er  fand 
dieselbe  günstig  gestimmt,  und  diese  Stimmung  wurde  noch  gehoben, 


Digitized  by  Google 


NIEDERLAGE  DES  THRASYLOS   (M.  3j  410  SOMMER)-  747 


als  es  ihm  in  den  Wintermonaten  gelang,  den  Angriff  des  Königs  Agis 
glücklich  zurückzuweisen  und  dadurch  die  Furcht  vor  dem  feindlichen 
Landheere  wesentlich  zu  vermindern.  Es  wurden  also,  um  die  aus- 
wärtigen Feinde  auch  zu  Lande  bekämpfen  zu  können,  1000  Schwer- 
bewaffnete und  100  Reiter  ausgehoben,  50  Trieren  ausgerüstet  und 
im  Frühjahre  dem  Thrasylos  übergeben.  Es  scheint,  dass  dieser,  durch 
seine  letzten  Erfolge  und  das  Vertrauen  seiner  Mitbürger  ermuthigt, 
sich  nicht  damit  begnügen  wollte,  Alkibiades  neue  Hülfskräfte  zu- 
zuführen, sondern  etwas  Selbständiges  zu  unternehmen  dachte.  Nach- 
dem er  also  mit  seiner  Flotte  nach  Samos  gegangen  war,  wo  damals 
ein  bedeutender  Theil  der  attischen  Kriegskasse  sich  befand,  ergriff  er 
die  Gelegenheit,  einen  Angriff  auf  lonien  zu  machen,  wo  Tissa- 
phernes  zur  Strafe  für  seine  doppelzüngige  Politik  von  seinen  alten 
Bundesgenossen  verlassen  war.  Das  Glück  schien  ihm  günstig.  Kolo- 
phon  und  Notion  (S.  448)  wurden  rasch  genommen  und  Thrasylos 
glaubte  keine  glänzendere  Waffenthat  vollbringen  zu  können,  als  wenn 
er  auch  Ephesos,  das  ein  Hauptpunkt  der  Persermacht  geworden  war, 
in  die  Gewalt  der  Athener  zurückbrächte.  Aber  dies  misslang.  Tissa- 
phernes  liefs  durch  seine  Reiter  die  Landbevölkerung  aufbieten  und 
fanalisirte  sie  zur  Verlheidigung  der  grofsen  Göttin  von  Ephesos;  sici- 
lische  Mannschaften,  so  wie  die  aus  Antandros,  unterstützten  ihn,  und 
die  Athener  erlitten  Mitte  des  Sommers  eine  Niederlage,  welche  alle 
ehrgeizigen  Pläne  vereitelte.  Der  ganze  Feldzug  war  verunglückt,  und 
es  wurde  kein  anderer  Vortheil  gewonnen,  als  dass  es  Thrasylos  ge- 
lang, die  nach  Abydos  bestimmten  Syrakusaner  auf  der  Fahrt  zu  über- 
fallen. Vier  ihrer  Schiffe  kommen  in  seine  Hände;  die  Gefangenen 
werden  nach  Athen  geschickt  und  zur  Vergeltung  dessen,  was  den 
Athenern  in  Syrakus  widerfahren  war,  in  die  Steinbrüche  beim  Pei- 
raieus  eingesperrt 188). 

Thrasylos'  Missgeschick  diente  nur  dazu,  den  Ruhm  des  Alki- 
biades zu  heben,  welcher  auch  jetzt,  da  keine  Gelegenheit  zu  neuen 
Flottensiegen  vorhanden  war,  den  hellespontischen  Krieg  so  zu 
führen  wussle,  dass  Ruhm  und  Beute  gewonnen  wurden.  Er  ging 
darauf  aus,  den  Pharnabazos,  der  mit  unglaublicher  Zähigkeit  seine 
Kriegführung  fortsetzte  und  immer  von  Neuem  Fufsvolk  und  Reiter 
vorschob,  um  von  der  Landseite  das  Gestade  zu  beherrschen,  all- 
mählich mürbe  zu  machen.  Zu  diesem  Zwecke  unternahm  Alkibiades 
die  kühnsten  Züge  in  das  Gebiet  der  Satrapen,  plünderte  Städte 


Digitized  by  Google 


74S 


HER   KAMPF  UM   CHALKEDO.N  (409). 


und  Dürfer,  schleppte  Scbaaren  von  Gefangenen  fort  und  erpresste 
reichliche  Losegelder.  Ja,  die  Athener  wurden  unter  ihm  so  sie- 
gesgewiss  und  stolz,  dass  sie,  als  die  Truppen  des  Thrasylos  zu 
ihnen  sliefsen,  wegen  der  Schlappe  von  Ephesos  jede  Gemeinschaft 
mit  ihnen  verweigerten,  ßeide  Mannschaften  kämpften  eine  Zeitlang 
getrennt  und  vereinigten  sich  erst,  nachdem  die  Neuangekomme- 
nen, von  Eifer  entbrannt,  sich  des  Alkibiades  würdig  zu  zeigen,  vor 
den  Augen  desselben  bei  Abydos  glänzende  WafTenproben  abgelegt 
halten. 

So  bereiteten  sich  die  Athener  im  kleinen  Kriege  zu  Gröfserem 
vor;  denn  es  schien  nolhwendig.  die  beiden  Bosporosstädte  zu  zwingen, 
wenn  man  auch  noch  immer  nicht  Herr  von  Abydos  geworden  war. 
Man  hatte  jetzt  Geld  und  Mulh  genug,  um  solche  Unternehmungen 
zu  beginnen;  es  war  Gefahr  im  Verzuge.  Denn  auf  Veranstaltung  des 
Königs  Agis  in  Dekeleia,  den  es  im  höchsten  Grade  verdross  den  Erfolg 
seiner  Kriegführung  durch  die  reichlichen  Zufuhren  aus  dem  Ponlus 
gänzlich  vereitelt  zu  sehen,  war  mit  Unterstützung  von  Megara,  der 
M  Utters  ladt  von  Byzanz  und  Chalkedon,  ein  kleines  Geschwader  ausge- 
rüstet worden,  uud  auf  demselben  war  es  Klearchos  (S.  743)  gelungen, 
durch  den  Hellespont  nach  Byzanz  zu  kommen,  wo  er,  wie  einst  Bra- 
sidas  in  Thrakien  und  wie  Gylippos  in  Syrakus,  den  Widerstand  gegen 
Athen  mit  kräftiger  Hand  leiten  sollte. 

Chalkedon  war  das  nächste  Ziel;  es  lag  daselbst  spartanische 
Mannschaft  unter  Hippokrates,  dem  Unterbefehlshaber  des  Mindaros; 
die  Stadt  stand  mit  den  umwohnenden  Thrakern  im  besten  Einver- 
nehmen und  hatte  an  Pharnabazos  einen  mächtigen  Rückhalt  Alkibi- 
ades begann  das  Unternehmen  damit,  dass  er  die  thrakischeu  Stämme, 
denen  die  Chalkedonier  in  Erwartung  einer  Belagerung  ihre  Schätze 
übergeben  hallen,  durch  Streifzüge  so  zu  erschrecken  und  durch  ge- 
schickte Unterhandlungen  so  zu  bearbeiten  wusste,  dass  sie  sich  zur 
Auslieferung  des  Anvertrauten  verstanden;  die  Belagerung  der  Stadt 
konnte  nun  mit  ihrem  eigenen  Gelde  kräftig  in's  Werk  gesetzt  werden. 
Die  Halbinsel,  auf  der  sie  lag,  wurde  durch  ein  Pfahl  werk,  das  sich  von 
Meer  zu  Meer  erstreckte,  gegen  die  Landseite  abgesperrt,  der  Punkt, 
wo  das  Flüsschen  Chalkedon  hindurchströmte,  sorgfällig  befestigt,  und 
ein  gleichzeitiger  Angriff,  der  von  aufsen  wie  von  innen  auf  die  attischen 
Werke  gemacht  wurde,  siegreich  zurückgeschlagen,  indem  Thrasylos 
gegen  die  Belagerten,  Alkibiades  gegen  die  Ueeresmacht  des  Pharnabazos 


Digitized  by  Googl 


ALKIIU AHRS  IN  SELYMBR1A  (92,  3;  409  SOMMER). 


749 


Front  machte;  Hippokrates  selbst  fiel  im  Kampfe  und  damit  war  das 
Schicksal  der  Stadt  entschieden. 

Der  wichtigste  Erfolg  dieser  WafTenthat  war  die  Umstimmung  des 
Pharnabazos,  auf  welche  Alkibiades  so  lange  hingearbeitet  hatte.  Der 
Satrap  hatte  auf  einmal  alles  Vertrauen  zu  seiner  bisherigen  Politik  ver- 
loren; er  bot  also  einen  Waffenstillstand  an,  welcher  unter  seiner  per- 
sönlichen Mitwirkung  zum  Abschluss  eines  Vertrags  zwischen  Athen 
und  Persien  benutzt  werden  sollte.  Er  selbst  war  bereit,  für  die  Chal- 
kedonier  zwanzig  Talente  zu  zahlen,  damit  ihre  Stadt  nicht  von  den 
Athenern  besetzt  werde;  sie  sollte  aber  wie  früher  tributpflichtig  sein 
und  alle  Rückstände  der  Tribute  nachzahlen.  Man  sieht,  dass  er  Chal- 
kedon  um  keinen  Preis  in  die  unbedingte  Gewalt  der  Athener  kommen 
lassen  wollte. 

Die  Verhandlungen  waren  begonnen,  als  Alkibiades,  den  die  Be- 
lagerung langweilte,  auf  neuen  Unternehmungen  abwesend  war.  Er 
war  von  Chalkedon  aufgebrochen,  um  am  Hellespont  so  wie  im  Cher- 
sonnes  Tribut  einzutreiben  und  Truppen  auszuheben.  Mit  Söldnern, 
die  er  in  Thrakien  geworben,  rückte  er  vor  Selymbria,  westlich  von 
Byzanz,  das  noch  im  Aufstande  war.  Er  stand  mit  einer  Partei  der 
Bürger  in  Einverständniss  und  erwartete  das  verabredete  Feuerzeichen. 
Das  Zeichen  erfolgt  so  früh,  dass  er  seine  Mannschaft  noch  nicht  zur 
Stelle  hat;  dennoch  dringt  er  aber  bei  Nacht  mit  30  Mann  durch  die 
geöffneten  Thore  ein.  Innerhalb  der  Stadt  merkt  er,  dass  die  Bürger 
bewaffnet  im  Anmarsch  sind.  Fliehen  will  er  nicht,  Widerstand  leisten 
kann  er  nicht;  nur  eine  List  kann  ihn  retten.  Er  lässt  also  durch  ein 
Trompetensignal  Ruhe  gebieten  und  laut  verkünden,  dass  keinem 
Bürger  ein  Leid  geschehen  solle.  Die  Selymbrianer  glauben  nicht  an- 
ders, als  dass  ein  ganzes  Heer  in  ihren  Mauern  stehe  und  fangen  Unter- 
handlungen an,  während  deren  die  Truppen  allmählich  eintreffen.  Den 
Bürgern  wird  ein  sehr  günstiger  Vertrag  gewährt,  wie  die  zum  Theil 
noch  erhaltene  Vertragsurkunde  bezeugt.  Sie  verpflichten  sich  zu  Geld- 
zahlung und  Zuzug;  aber  ihre  Verfassung  wird  ihnen  garantirt,  und  es 
wird  selbst  auf  Entschädigung  für  die  während  der  Feindseligkeiten 
eingetretenen  Eigenlhumsverletzungen  von  Athenern  oder  ihren  Bundes- 
genossen Verzicht  geleistet.  Geiseln  werden  nach  Athen  geschickt,  aber 
auf  Alkibiades'  Antrag  bald  wieder  in  ihre  Heimath  entlassen. 

Nach  diesem  glücklichen  Handstreiche  kehrte  der  Feldherr  zum 
Heer  zurück  und  trug  kein  Bedenken,  die  Verträge  mit  Pharnabazos  zu 


Digitized  by  Google 


750 


FALL  VON  BYZANZ  (M,  4;  409  SPÄTHERBST  . 


bestätigen.  Die  Aussicht,  sein  altes  Versprechen  persischer  Subsidien 
doch  noch  wahr  machen  zu  können,  war  für  ihn  zu  verlockend;  ein 
Rückhalt  an  Persien  war  ihm  für  die  volle  Demüthigung  Sparlas  und 
für  seine  eignen  Pläne  immer  der  höchste  Wunsch  gewesen.  Er  fühlte 
sich  wieder  in  der  Thätigkeit,  die  seiner  Eitelkeit  am  meisten  schmei- 
chelte, in  der  Doppelthätigkeit  als  Feldherr  und  Unterhändler189). 

Um  Pharnabazos  zu  schonen,  wurden  nun  die  Angriffe  auf  Abydos 
aufgegeben,  dagegen  mit  aller  Energie  die  letzte  und  schwerste  Arbeit, 
die  an  der  Propontis  noch  übrig  war,  begonnen,  die  Eroberung  des 
wichtigsten  Bollwerks  am  Bosporos,  Byzanz. 

Keine  Stadt  war  für  den  laglichen  Bedarf  der  Athener  wichtiger, 
keine  schwieriger  zu  gewinnen.  Denn  die  Steinwälle  der  Stadt  hatten 
eine  beispiellose  Festigkeit;  mit  Gewalt  war  nichts  auszurichten,  und 
innerhalb  des  Mauerrings  waltete  ein  Kriegsmann  von  eisernem  Willen, 
der  Zeit  gehabt  halte  sich  auf  die  nahende  Gefahr  vorzubereiten  und 
eine  wohlgeschulte  Mannschaft  von  Peloponnesiern ,  Megareern  und 
Böotiern  bei  sich  hatte.  Den  ganzen  Sommer  lag  die  volle  Macht  der 
Athener  vor  der  Stadt;  die  Flotte,  welche  keinen  Widerstand  fand,  be- 
drängte die  Hafenseite;  die  Landseile  war  abgemauert,  und  so  erreichte 
man  endlich,  dass  Hungersnoth  in  der  Stadt  eintrat.  Klearchos  liefs 
die  Menschen,  die  keine  Waffen  trugen,  hinsterben  und  hielt  unerbitt- 
lich allen  Mundvorralh  für  seine  Krieger  zurück.  Endlich  mussle  er 
doch  auswärtige  Hülfe  suchen;  er  schlich  sich  hinaus,  um  Geld  zu  er- 
langen und  SchifTe  aufzubringen.  Diese  Zeil  wusste  Alkibiades  zu  be- 
nutzen; nachdem  er  mit  den  Feinden  des  harten  Stadlvogls  heimliche 
Verbindungen  angeknüpft  hatte,  liefs  er  das  Gerücht  aussprengen,  dass 
die  Verhältnisse  in  Ionien  seine  Anwesenheit  verlangten,  und  zog  eines 
Morgens  mit  der  ganzen  Flotte  ab.  An  demselben  Abend  kehrle  er 
aber  mit  allen  Truppen  in  die  alten  Stellungen  zurück  und  begann  un- 
vermulhet  im  Hafen  einen  gewaltigen  Kriegslärm,  so  dass  die  ganze 
Besatzung  eilends  hierher  stürzte  und  die  Landseile  unbedeckt  liefs. 
Nun  drang  Alkibiades  mit  Hülfe  seiner  Parteigänger  um  Mitternacht 
auf  dieser  Seite  ein  und  besetzte  das  sogenannte  thrakische  Stadtquar- 
tier. Die  Besatzung  eilt  vom  Hafen  zurück.  Auf  dem  Markte  treffen 
sich  beide  Heere.  Es  beginnt  eine  förmliche  Schlacht  auf  dem  weiten 
Platze ;  Alkibiades  gewinnt  endlich  auf  dem  rechten,  Theramenes  auf 
dem  linken  Flügel  die  Oberhand  ;  die  zu  den  Allaren  fliehenden  Pelo- 
ponnesier  werden  zu  Gefangenen  gemacht  und  die  Byzantier,  welche 


Digitized  by  Google 


ALKIBIADES*  HEIMKEHR  (M.  4;  408  JOSI). 


751 


dem  Versprechen  gemäfs  mit  weiser  Mäfsigung  behandelt  werden,  sind 
wieder  attische  Bundesgenossen. 

Das  war  der  Schlussstein  des  grofsen  Werks  in  den  pon tischen 
Gewässern,  die  vollständige  Vereitelung  der  Unternehmungen,  welche 
Mindaros  und  Pharnabazos  daselbst  begonnen  hatten,  die  Sicherung 
der  wichtigsten  Hülfsquellen  Athens,  ein  Erfolg,  den  der  gleichzeitige 
Verlust  von  Pylos  und  Nisaia  nicht  wesentlich  hatte  schmälern  können. 
Nun  war  zunächst  nichts  zu  machen  ;  denn  während  der  Verhandlungen 
in  Persien,  deren  Ergebnissen  man  mit  gröfster  Spannung  entgegen 
sah,  durften  die  Statthalter  des  Grofskönigs  in  keiner  Weise  gereizt 
werden.  So  gerne  Alkibiades  also  auch  den  fertigen  Subsidienvertrag 
mitgebracht  hätte,  so  konnte  er  den  Wunsch,  Athen  wieder  zu  sehen, 
doch  nicht  länger  zurückdrängen;  das  Verhältniss  zu  seiner  Vaterstadt 
mussle  endlich  durch  persönliche  Anwesenheit  zu  voller  Klarheit  ge- 
bracht werden.  Zum  Schutze  des  Hellesponts  blieb  eine  genügende 
Macht  zurück;  die  andern  Geschwader  werden  in  Samos  versammelt, 
und  während  Thrasybulos  mit  50  Schiffen  die  Unterwerfung  der  thra- 
kischen  Städte  fortsetzt,  geht  Thrasylos  mit  den  übrigen  nach  dem 
Peiraieus  voran,  um  die  Ankunft  des  Siegers  vorzubereiten.  Alle 
Schiffe  sind  festlich  geschmückt;  sie  sind  beladen  mit  Beute  und  Ge- 
fangenen, aufgeziert  mit  den  Ueberresten  der  feindlichen  Trieren,  die 
am  Hellespont  zerstört  waren,  begleitet  von  etwa  114  erbeuteten 
Schiffen,  die  in  langer  Reihe  dem  Triumphzug  folgen.  Alkibiades 
selbst  macht  einen  kecken  Streifzug  vor  die  Häfen  der  Lakedä monier, 
um  aller  Welt  zu  zeigen,  wem  jetzt  das  Meer  gehöre,  und,  nachdem  er 
noch  die  Nachricht  von  seiner  Wiederwahl  zum  Feldherrn  erhalten  hat, 
fährt  er  endlich  mit  seinen  20  Trieren,  auf  denen  er  100  Talente  aus 
seinen  letzten  Beutezügen  heimbringt,  am  25sten  Thargelion  (Anfang 
Juni)  in  den  Peiraieus  ein189*). 

Das  war  ein  Tag,  wie  ihn  Athen  noch  nie  gesehen  hatte.  Die 
ganze  Stadt  steht  am  Ufer,  Kopf  an  Kopf  bis  zu  den  Höhen  der 
Munichia  hinauf;  ein  Jubelruf  begrüfst  den  nahenden  Helden.  Die 
Aengstlichkeit,  die  Alkibiades  anfangs  noch  zeigt,  sich  den  Seinen  an- 
zuvertrauen, erweist  sich  grundlos.  Die  Vergangenheit  ist  gesühnt, 
die  Nolh  der  Gegenwart  vergessen,  der  Parteigeist  verschwunden  in 
der  allgemeinen  Freude  über  das  Heil  und  Glück,  welches  die  Götter 
der  Stadl  in  dem  einzigen  Manne  geschenkt  haben.  Alle  verständigen 
Patrioten  so  wie  der  grofse  Haufe  sehen  in  ihm  den  Retter  des  Staats, 


Digitized  by  Google 


752 


ALKIBIADES  III  ATHEN  (9S,  1;  408). 


der,  mit  wunderbaren  Gaben  ausgestattet,  allein  im  Stande  ist,  gegen 
die  Parteien  im  Innern  wie  gegen  die  äufsern  Feinde  die  Macht  und 
die  Ehre  Athens  aufrecht  zu  halten.  Wie  er  nach  siebenjähriger  Ent- 
fernung den  Boden  der  Heimath  wieder  betritt,  drängt  sich  Alt  und 
Jung  heran,  um  ihn  von  Angesicht  zu  sehen,  seinen  Gruft  zu  empfan- 
gen, sein  Gewand  zu  berühren  und  Blumenkränze  ihm  zuzuwerfen. 
Im  Triumphzuge  wird  er  zur  Stadt  geleitet;  unwillkürlich  drängt  die 
Menge  zur  Pnyx  hin,  um  von  der  Rednerbühne  die  geliebte  Stimme 
wieder  zu  vernehmen.  Alkibiades  geht  schonend  über  das  Vergangene 
hinweg.  Nicht  sie,  sagte  er  den  Athenern,  trügen  die  Schuld  der 
argen  Missversländnisse  und  Irrungen,  sondern  ein  missgünstiges  Ver- 
hängniss,  ein  neidisches  Geschick,  welches  über  der  Stadt  gewaltet 
habe.  Nun  seien  die  Wolken  zerstreut  und  eine  neue  Zeit  des  Heils 
angebrochen.  Er  stellt  den  Bürgern  die  Aussichten  und  Aufgaben  des 
Staats  vor  Augen,  und  die  Bürgerschaft  bezeugt  ihm  ihr  unbedingtes 
Vertrauen,  indem  sie  nicht  nur  alles  wider  ihn  Geschehene  aufhebt, 
die  Denksteine  seiner  Verurteilung  vernichtet,  das  Genommene  voll- 
ständig zurückerstattet  und  goldene  Ehrenkronen  ihm  zuerkennt,  son- 
dern ihn  auch  zum  unbeschränkten  Feldherrn  zu  Wasser  und  zu 
Lande  ernennt  und  alle  Hülfskräfle  des  Staats  unbedingt  zu  seiner 
Verfügung  stellt.  Das  ganze  Volk  legt  das  Schicksal  der  Stadt  ein- 
stimmig in  seine  Hände;  er  hatte  eine  Macht,  wie  sie  selbst  Perikles 
in  diesem  Umfange  kaum  besessen  hatte. 

Alkibiades  benutzte  die  Sommermonate  zu  eifrigen  Rüstungen 
und  gewöhnte  die  Bürger  in  milder  Weise  an  eine  einheitliche  Lei- 
tung der  öffentlichen  Angelegenheiten,  und  wenn  er  es  auch  bei  der 
Gefährlichkeit  seiner  neuen  Stellung  nicht  wagen  durfte,  Dekeleia  an- 
zugreifen, so  gab  er  doch  den  Athenern  das  langentbehrte  Gefühl  der 
Sicherheit  im  eigenen  Lande  zurück.  Die  Todtenfeier  zum  Ge- 
dächlniss  der  am  Hellespont  gefallenen  Bürger  konnte  wieder  würdig 
im  Kerameikos  gehalten  werden,  und  nachdem  Jahre  lang  die  Pro- 
zession nach  Eleusis  auf  dem  Landwege  hatte  ausgesetzt  werden 
müssen,  so  konnte  sie  diesmal  am  20  slen  ßoedromion  (Ende 
September)  unter  dem  Schutze  der  Truppen  auf  der  heiligen  Strafse 
in  voller  Ordnung  wieder  ausgeführt  werden.  Das  war  für  die 
Athener  ein  so  erhebendes  Ereigniss,  wie  der  glänzendste  Sieg,  und 
Alkibiades  konnte  durch  diese  gottesdienslliche  That  wieder  gut 
machen,  was  er  in  jugendlichem  Uebermuthe  einst  verbrochen  halte. 


Digitizeci  by  Google 


ALKIBIADES  IN  ATHEN  (W,  1;  408). 


753 


Die  Mysteriengotlheiten,  Demeler  und  Persephone,  welche  die  Athener 
mit  besonderer  [Ehrfurcht  [ihre  'beiden  Göttinnen'  nannten,  waren 
versöhnt. 

So  stand  Alkibiades  als  Oberfeldherr  an  der  Spitze  des  Staats, 
den  er  aus  der  hülflosesten  Lage  gerettet,  den  er  an  den  Persern, 
Spartanern,  Böotiern  und  Syrakusanern  wie  an  den  abgefallenen  Bund- 
nern gerächt  und  wieder  zum  unbeschränkten  Herrn  des  Meers  ge- 
macht hatte.  Es  waren  wieder  Ueberschüsse  an  Geldmitteln  da  ;  der 
Gott  des  Reichthums  war  in  Folge  der  hellespon tischen  Siege  wieder 
in  die  Schatzkammer  des  Parthenon  eingezogen,  wie  es  Aristophanes 
in  seinem  'Plulos'  darstellte190). 

Es  fehlte  dem  Glücke  der  Stadt  nichts  als  eine  Bürgschaft 
seiner  Dauer.  Die  schwierigsten  Aufgaben  in  Euboia  und  Ionien 
waren  unerledigt;  die  Gelder  wurden  wieder  in  demokratischer  Weise 
verschleudert,  neue  Verlegenheiten  waren  unvermeidlich,  und  Alki- 
biades stand  nicht  fest  genug,  um  den  Neigungen  der  Menge  Trotz 
bieten  zu  können;  also  neue  Geldquellen  waren  ihm  unentbehrlich. 
Aber  auch  diese  standen  ja  in  Aussicht.  Jeden  Tag  erwartete  er  Nach- 
richt von  seinem  Freunde  Mantitheos,  der  mit  Pharnabazos  nach 
Susa  gereist  war.  Wenn  er  an  den  Schätzen  des  Grofskönigs  einen 
Rückhalt  halte,  dann  hoffte  er  erst  in  vollem  Mafse  der  Unentbehr- 
liche zu  werden,  dann  hoffte  er  für  sich  selbst  endlich  die  Stellung  zu 
gewinnen,  welche  von  jeher  das  Ziel  seines  Ehrgeizes  gewesen  war. 
Nur  war  jetzt  sein  Streben  ruhiger.  Er  hatte  eine  wüste  Jugend  hinter 
sich  und  war  in  seinen  vierziger.  Jahren  ma fsvoller,  vorsichtiger  und 
bedächtiger  geworden.  Das  Bild  des  Perikles  stand  ihm  vor  der 
Seele;  ein  persönliches  Regiment  war  nothwendiger  als  je,  wenn  der 
Staat  als  Grofsmacht  erhalten  werden  sollte.  Denn  die  Bürgerschaft 
hatte  seit  dem  Hermen prozesse  ihre  feste  Haltung  völlig  verloren ;  Ge- 
setz und  Verfassung  waren  machtlos,  die  Stadt  ein  Kampfplatz  der 
Parteien,  deren  verderbliche  Kräfte  nur  durch  einen  über  ihnen  stehen- 
den königlichen  Mann  gebunden  werden  konnten.  Alkibiades  durfte 
sich  sagen,  dass  seine  eigene  Gröfse  und  die  Rettung  des  Staats  unzer- 
trennlich vereinigt  wären.   

Alkibiades  hatte  zur  rechten  Zeit  die  Vaterstadt  besucht,  um 
seinen  Triumph  zu  feiern  und  die  Dankbarkeit  seiner  Mitbürger  unge- 
stört zu  geniefsen.    Neue  Stürme  meldeten  sich  an,  um  sein  Glück 

Curtiu»,  Gr.  Ge«h.  II.   6.  Aufl.  48 


Digitized  by  Google 


754 


PERSIEK  UND  GRIECHENLAND. 


auf  die  härteste  Probe  zu  stellen;  denn  ehe  er  noch  Athen  wiedersah, 
waren  schon  von  verschiedenen  Seiten  zwei  Männer  gleichzeitig  auf 
den  Schauplatz  getreten,  zwei  Feinde,  wie  Athen  sie  noch  nie  gehabt 
hatte,  und  mit  ihrem  Auftreten  begann  nun  die  letzte,  entscheidende 
Wendung  des  Kriegs,  welcher  23  Jahre  lang  unter  den  wechselvollsten 
Umständen  Griechenland  verwüstet  hatte. 

Seit  Beginn  des  dekeleischen  Kriegs  halte  mau  sich  gewöhnt,  den 
endlichen  Ausgang  des  hellenischen  Staatenkriegs  von  Persien  zu  er- 
warten. Nachdem  dies  Reich  für  die  Geschichte  der  Miltelmeer- 
staaten  völlig  bedeutungslos  geworden  war,  ein  Binnenland,  seiner 
besten  Küsten  beraubt,  ein  Staat,  dessen  Flotten  sich  in  den  fernsten 
Häfen  verstecken  musslen,  war  es  auf  einmal  wieder  als  eine  Macht 
hervorgetreten,  von  welcher  die  Schicksale  von  Hellas  abhängig  ge- 
macht wurden.  Und  zwar  halte  sich  der  Staat  nicht  etwa  durch, 
innerliche  Kräftigung  aus  seiner  Ohnmacht  erhoben;  vielmehr  war  er 
nach  dem  Aussterben  des  echten  Achämenidenstammes  (S.  684) 
immer  mehr  verfallen;  unter  Dareios  dem  Bastard  lösten  sich  die 
ferneren  Satrapien  ab,  und  in  dem  von  Weibern  und  Eunuchen 
beherrschten  Palaste  war  keine  Heldenkraft  vorhanden,  um  dem  un- 
beholfenen Reichskörper  neuen  Zusammenhang  zu  geben.  Nicht  die 
Perser  sondern  die  Griechen  sind  es  gewesen,  welche  den  verfallenen 
Staat  wieder  zu  einer  Grofsmacht  erhoben;  sie  haben  ihn  wieder 
in  die  Angelegenheiten  der  Hellenen  hereingezogen,  aus  deren  Ge- 
biete die  Seehelden  von  Athen  ihn  für  immer  verbannt  zu  habeu 
glaubten. 

Die  Schatzkammer  des  Grofskönigs  sollte  die  Kriegskasse  sein, 
aus  welcher  ein  Griechenstaat  den  anderen  vernichten  wollte;  um 
persisches  Geld  zu  gewinnen,  gaben  die  Spartaner  ihren  dorischen 
Stolz,  die  Athener  ihre  Freiheiten  preis;  seitdem  die  Scham  einmal 
überwunden  war,  folgten  sich  die  Gesandtschaften  immer  häufiger  auf 
der  Strafse  von  Sardes  nach  Susa,  und  schliefslich  gab  es  keinen 
Punkt,  in  welchem  alle  Staaten  und  Parteien,  Peloponnesier  und  Syra- 
kusaner,  Athener  und  Argiver,  Oligarcben  und  Demokraten,  so  sehr 
übereinstimmten,  wie  darin,  dass  die  Erfüllung  ihrer  Wünsche  von 
Persien  kommen  müsse.  So  war  denn  auch  Alkibiades,  nachdem  er 
mit  dem  gröfsten  Glücke  Pharnabazos  am  Hellespont  bekämpft  hatte, 
doch  wieder  dahin  gekommen,  dass  er  für  das  letzte  Gelingen  aller 
Lebenspläne  seine  Hoffnungen  auf  die  Gesandtschaft  setzte,  welche  seit 


Digitized  by  Google 


OESANDTSCHAFT  NACH  SÜ8A  (M,  4;  408  APRIL). 


755 


dem  Herbste  409  (Ol.  92,  4)  nach  Susa  unterwegs  war.  Es  waren 
fünf  Athener  und  zwei  Argiver,  welche  mit  Pharnabazos  die  Reise  an- 
traten. Aber  auch  Lakedämonier  schlössen  sich  an  und  Hermokrates 
nebst  seinem  Bruder  Proxenos. 

Hermokrates  war  inzwischen  auf  Anlass  eines  demokratischen  Um  - 
Schwungs  in  Syrakus  samt  seinen  Amtsgenossen  entsetzt  und  verbannt 
worden.  Die  Nachricht  war  gleich  nach  der  Schlacht  von  Kyzikos  an- 
gelangt und  hatte  unter  den  Truppen  die  heftigste  Bewegung  hervor- 
gerufen. Sie  waren  mit  ihrem  Feldherrn  durch  gegenseitiges  Vertrauen 
so  eng  verbunden,  dass  sie  sich  bereit  erklärten,  ihn  mit  bewaffneter 
Hand  nach  Syrakus  zurückzuführen.  Hermokrates  verhinderte  den 
offenen  Abfall  und  bewirkte,  dass  die  neu  ernannten  Heerführer  ihr 
Amt  ruhig  antreten  konnten.  Damit  wollte  er  jedoch  nicht  auf  die 
Heimkehr  verzichten.  Die  sicilischen  Verhältnisse  waren  der  Art,  dass 
er  auf  eine  neue  Gelegenheit  rechnen  konnte,  sein  Ansehen  zu  Hause 
wieder  herzustellen.  Hannibal  hatte  im  Frühjahre  Selinus  und  Himera 
zerstört  (S.  678).  Die  demokratischen  Parteiführer  waren,  wie  Hermo- 
krates voraussah,  auCser  Stande,  der  schwierigen  Aufgabe  der  Zeit  zu 
genügen.  Also  suchte  auch  er  die  Verbindung  mit  Pharnabazos,  der 
seinen  Werth  vollkommen  würdigte,  zu  benutzen  und  hoffte  gewiss  auch 
für  seine  Zwecke  Vortheile  in  Susa  zu  erlangen.  Es  scheint ,  dass 
Pharnabazos  eine  gründliche  Prüfung  der  persischen  Politik  in  Klein- 
asien beabsichtigte,  und  dass  ihm  deshalb  die  Begleitung  von  Griechen 
der  verschiedensten  Standpunkte  erwünscht  war. 

Aber  alle  diese  Veranstaltungen  und  die  vielerlei  Hoffnungen, 
welche  sich  an  die  Gesandtschaft  knüpften,  wurden  schon  in  Kleinasien 
durch  ein  ganz  unerwartetes  Ereigniss  vollständig  gekreuzt.  Denn  wie 
die  Reisenden  nach  einer  Winterrast  in  Gordion  mit  Beginn  des  Früh- 
jahrs ihren  Weg  durch  Phrygien  fortsetzen,  begegnet  ihnen  ein  statt- 
licher Zug;  sie  erkennen  einen  königlichen  Prinzen,  der  mit  zahlreichem 
Gefolge  von  Susa  herabkommt,  Kyros,  den  zweiten  Sohn  des  Dareios 
und  der  Parysatis.  Die  Spartaner,  welche  ihn  begleiteten,  eilen  ihren 
Landsleuten  triumphirend  entgegen,  um  ihnen  die  in  Susa  erlangten 
Erfolge  mitzutheilen,  und  Pharnabazos  überzeugt  sich  von  den  ausge- 
dehnten Vollmachten  des  neu  ernannten  Statthalters,  durch  welche  die 
seinigen  erlöschen  und  sein  Einfluss  auf  die  persisch-griechischen  An- 
gelegenheilen beseitigt  ist.  Er  kann  die  Gesandten  nicht  weiter  führen, 
ja  er  darf  sie  nicht  einmal  nach  Hause  entlassen,  sondern  muss  sie  auf 

48* 


Digitized  by  Google 


756 


KYROS  STATTHALTER  IN  KLEI.NASIE!*. 


Befehl  des  Kyros  in  Asien  zurückhalten,  damit  sie  nicht  im  Stande 
seien,  die  Athener  von  dem  plötzlichen  Umschwünge  der  kleinasiatischen 
Verhältnisse  in  Kennlniss  zu  setzen,  wozu  der  Anstofs  in  den  Ge- 
mächern der  Parysatis  gegeben  war190*). 

Seitdem  die  Perser  in  Kleinasien  wieder  zu  einer  einflussreichen 
Nacht  geworden  waren,  war  es  die  Sache  der  dortigen  Satrapen,  die 
unerwartete  Gunst  der  Verhältnisse  möglichst  auszubeuten.  Das  hatten 
nach  einander  Pissuthnes,  Tissaphernes  und  Pharnabazos  versucht 
Aber  der  Erste  war  mit  Hülfe  der  Athener  abgefallen;  Tissaphernes 
hatte  alle  Erfolge  durch  seine  feige  Neutralitätspolitik  verscherzt;  Phar- 
nabazos war  ein  viel  thatkräf tigerer  Mann,  aber  er  war  einem  Alkibiades 
nicht  gewachsen.  Der  hellespon tische  Krieg  war  eben  so  wie  der 
ionische  missglückt,  alle  Kriegsgelder  waren  unnütz  verschwendet, 
und  Pharnabazos  scheint  endlich  zu  der  Ueberzeugung  gekommen 
zu  sein,  dass  eine  Verständigung  mit  Athen  das  einzige  Mittel  sei, 
die  kleinasiatischen  Verhältnisse  in  einer  befriedigenden  Weise  zn 
ordnen. 

Inzwischen  waren  die  schlechten  Erfolge  der  Satrapenpolitik  in 
Susa  übel  vermerkt  worden,  und  diese  Unzufriedenheit  hatte  für  ihre 
Zwecke  Parysatis  auszubeuten  gewusst,  die  Gemahlin  und  Schwester 
des  Dareios,  die  im  Palaste  herrschende  Sultanin,  die  ihrer  grausamen 
Thaten  wegen  eine  Zeitlang  nach  Babylon  verbannt  war,  aber  dann 
wieder  mächtiger  als  je  zuvor  die  Politik  des  Reichs  lenkte,  indem  sie 
sich  dabei  nach  Frauenart  von  persönlichen  Neigungen  und  Wünschen 
leiten  liefe.  Ihr  Lieblingssohn  war  der  talentvolle,  feurige  Kyros; 
ihr  leidenschaftlicher  Wunsch  war,  ihn  anstatt  des  älteren  mit  der 
Tiara  geschmückt  auf  dem  Throne  der  Achämeniden  zu  sehen,  und  sie 
konnte  für  sein  Erbrecht  geltend  machen,  dass  er  von  den  Söhnen  zu- 
erst nach  der  Thronbesteigung  des  Vaters  geboren  sei;  sie  wusste  aber, 
dass  ihre  Mutterwunsche  auf  friedlichem  Wege  nicht  verwirklicht 
werden  könnten,  und  darum  wollte  sie,  dass  er  als  Statthalter  eine 
Provinz  erhielte,  in  welcher  er  sich  ein  Heer  bilden,  Kriegsrubm  er- 
werben und  namentlich  hellenische  Kräfte  zu  seinen  Zwecken  sieb 
dienstbar  machen  könnte.  In  Kleinasien  bedurfte  es  aber  offenbar  eines 
kräftigen  Arms,  um  die  dortigen  Verhältnisse  endlich  einmal  den  In- 
teressen Persiens  gemäfs  zu  ordnen.  Man  missbilligte  die  Hinneigung 
der  Satrapen  zu  den  Athenern,  die  man  doch  einmal  als  die  Erbfeinde 
ansehen  musste;  darum  hatten  die  mehrfachen  Beschwerden  Spartas 


Digitized  by  Google 


LYSAXDROS  SEEFELDHERR  (93,  1;40S). 


757 


und  namentlich  auch  die  letzte  Gesandtschaft,  welche  mit  Kyros  zurück- 
kehrte, günstige  Aufnahme  in  Susa  gefunden. 

Der  junge  Kyros  war  ganz  der  Mann,  um  den  Erwartungen  der 
Mutter  und  Spartaner  zu  entsprechen.  Es  war  seit  langer  Zeit  wieder 
die  erste  bedeutende  Persönlichkeit,  welche  sich  unter  den  Persern 
zeigte,  eine  Natur  zum  Herrschen  geboren,  welche  sich  zu  grofsen 
Dingen  berufen  fühlte  und  sich  den  verweichlichenden  Einflüssen  des 
Hoflebens  zu  entziehen  gewusst  hatte.  Kräftig  von  Körper  und  Geist, 
hatte  er  sich  früh  gewöhnt,  Tag  für  Tag  in  Jagd,  Waffendienst  und 
ländlichen  Arbeiten  seine  Kräfte  zu  üben  und  volle  Spannkraft  sich  zu 
bewahren.  Dabei  war  er  von  grofser  Gewandtheit  und  Liebenswürdig- 
keit im  Umgange,  lebhaft,  unternehmend  und  von  einem  brennenden 
Ehrgeize  erfüllt,  der  alle  anderen  Rücksichten  verdrängte,  zugleich  aber 
klug  genug,  um  seine  Absichten  zu  verslecken  und  in  der  Stille  die 
rechten  Werkzeuge  zu  gewinnen.  Er  hasste  die  Athener,  von  welchen 
sein  Volk  die  schwersten  und  bis  dabin  unvergoltenen  Demüthigungen 
erlitten  hatte;  er  war  den  Spartanern  zugethan  und  hoffte  sich  durch 
sie  an  Athen  zu  rächen,  um  sie  dann  wiederum  für  seinen  Ehrgeiz  zu 
benutzen. 

Ein  so  gefahrlicher  Feind  war  es,  der  damals  in  Phrygten  den 
attischen  Gesandten  begegnete  und  sogar  die  Auslieferung  derselben 
verlangte.  Aber  seine  Feindschaft  wäre  den  Athenern  bei  der  Schwäche 
der  persischen  Seemacht  nicht  sonderlich  gefährlich  gewesen,  wenn 
nicht  gleichzeitig  in  Sparta  ein  Seefeldherr  erwählt  worden  wäre, 
welcher  im  Stande  war,  die  Kräfte  seiner  Vaterstadt  in  einer  noch 
unerhörten  Weise  anzuspannen,  und  eben  so  sehr  in  Kyros  den  Mann 
fand,  dessen  er  zur  Vernichtung  Athens  bedurfte,  wie  Kyros  in  ihm 
das  willkommenste  Werkzeug  seiner  Pläne"1). 

Lysandros,  der  Sohn  des  Aristokritos,  war,  wahrscheinlich  im 
Herbste  408  (Ol.  93,  1),  an  die  Spitze  der  peloponnesischen  Flotte  ge- 
treten; ein  Mann,  welcher  Alles  sich  selbst  verdankte.  Denn  wenn  auch 
sein  Vater  von  heraklidischem  Geschlechte  war,  so  war  er  doch  arm 
und  nicht  einmal  vollbürtig;  denn  seine  Mutter  war  von  nichtdoriscber 
Herkunft,  wahrscheinlich  eine  Helotin.  Er  hatte  also  gar  keine  Rechte 
im  Staate,  und  wenn  er  auch  mit  seinem  Halbbruder  Libys  zusammen 
die  volle  spartanische  Erziehung  genoss,  so  hat  er  doch  gewiss  von 
Kindheit  auf  vielerlei  Zurücksetzung  erfahren  müssen.  Er  war  seiner 
Geburt  nach  in  derselben  Lage,  wie  Gylippos;  an  beiden  Männern  hat 


758 


CHARAKTER  DES  LYSANDROS 


sich  also  die  Weisheit  der  lykurgischen  Gesetzgebung  bewährt,  welche 
die  Möglichkeit  gestattete,  dass  talentvolle  Knaben,  auch  ohne  voll- 
bürtig  zu  sein,  in  die  dorische  Bürgerschaft  hinein  wachsen  konnten, 
um  dieselbe  mit  frischem  Blute  zu  kräftigen  (I,  182). 

Die  Stellung,  welche  Lysandros  in  der  spartanischen  Gesellschaft 
hatte,  war  für  seine  ganze  Entwickelung  mafsgebend.  Mit  dem  Blute 
des  Vaters  hatte  er  auch  den  angebornen  Stolz  eines  Herakliden,  und 
die  Hindernisse,  welche  sich  ihm  entgegenstellten,  feuerten  nur  seineo 
Ehrgeiz  an  und  reizten  ihn,  mit  verdoppeltem  Eifer  sich  Alles  anzu- 
eignen, was  einen  tüchtigen  Spartaner  ausmachte.  Dabei  übte  er  sieb 
mehr  als  seine  Kameraden,  vorsichtig  und  fügsam,  geschmeidig  und 
listig  zu  verfahren.  Er  lernte  sich  selbst  beherrschen,  seine  Gedanken 
und  Pläne  verheimlichen,  seine  Ueberlegenheit  verstecken,  die  Men- 
schen nach  seinen  Interessen  behandeln,  ohne  dass  sie  es  merkten,  und 
mit  unerschütterlicher  Ruhe  und  eiserner  Festigkeit  seine  Absichten 
verfolgen.  Zugleich  entwickelte  sich  aber  in  ihm  auch  eine  Bitterkeit, 
eine  tiefe  Verstimmung  gegen  das  Bestehende  und  eine  Verachtung  der 
Menschen,  denen  er  nicht  ohne  mancherlei  Kränkungen  sich  hatte 
fügen  müssen.  Er  war  unbefangener  als  ein  geborener  Vollbürger  und 
erkannte  mit  freierem  Blicke  die  Schwächen  des  Staats.  Er  überblickte 
die  Zeitverhältnisse,  er  kannte  die  anderen  Staaten,  und  so  sehr  er 
Athen  hasste,  so  war  es  doch  kein  blinder  Hass,  welcher  nichts  am 
Gegner  anerkennen  will,  sondern  er  wusste  Athens  Stärke  wohl  zu 
würdigen  und  erkannte,  dass  es  nur  mit  seinen  eigenen  Waffen  zu  be- 
siegen sei. 

In  ihm  stellt  sich  das  Sparta  dar,  wie  es  im  Kriege  selbst  allmäh- 
lich umgewandelt  worden  ist.  Diese  Umwandlung  war  schon  an 
Brasidas  und  an  Gylippos  zu  bemerken,  am  vollständigsten  aber  an 
Lysandros.  Es  war  wohl  noch  immer  eine  altspartanische  Partei  vor- 
handen, welche  gewisse  hellenische  Ueberlieferungen  festhielt  und  auch 
in  den  Athenern  die  Stammgenossen  anerkannt  sehen  wollte,  eine 
Partei,  die  den  Krieg  hasste,  weil  er  die  lykurgischen  Staatseinrichtun- 
gen nothwendig  zerstören  musste  und  die  Spartaner  zu  Bedienten  der 
Perser  machte ;  eine  Partei,  welche  auch  eine  Herrschaft  Spartas  über 
Athen  als  einen  gar  nicht  wünschenswerthen  und  mit  dem  wahren 
Wohle  des  Staats  unvereinbaren  Erfolg  ansah.  Von  dieser  Partei  waren 
auch  immer  neue  Versuche  gemacht  worden,  den  Krieg  durch  eine 
aufrichtige,  beiden  Theilen  erspriefsliche  Verständigung  zu  beendigen. 


Digitized  by  Googl 


LYSA.NDROS  UM)  ALKIBIADES 


759 


So  nach  der  Schlacht  bei  Kyzikos  (S.  745)  und  von  Neuem  unter  dem 
Archoma t  des  Euktemon  (40%),  da  Endios  zum  zweiten  Male  nach 
Athen  kam,  um  wegen  Auslösung  der  Gefangenen  und  gewiss  auch  über 
weitergehende  Vorschläge  zu  unterhandeln.  In  Lysandros  war  die 
Richtung  der  entgegengesetzten  Partei  verkörpert,  die  während  der 
Kriegsjahre  immer  mehr  erstarkt  war,  der  rücksichtslosen  Kriegspartei, 
welche  die  Vernichtung  der  attischen  Macht  um  jeden  Preis  und  mit 
allen  zu  Gebote  stehenden  Mitteln  wollte.  Was  daher  noch  an  Ehrge- 
fühl und  sittlicher  Scheu  vorhanden  war,  wurde  mit  zu  dem  gerechnet, 
was  den  veralteten  Zuständen  angehörte.  Wo  Tapferkeit  nicht  aus- 
reicht, müssen  List  und  Trug  aushelfen;  der  schleichende  Fuchs  kommt 
weiter  als  der  Löwe;  mit  Eidschwüren  täuscht  man  Männer,  wie  Kinder 
mit  Würfeln.  Das  waren  die  Grundsätze,  zu  denen  Lysandros  sich  be- 
kannte, und  je  weniger  er  selbst  begehrlich  und  genusssüchtig  war,  um 
so  bereitwilliger  war  er,  überall,  wo  es  passte,  alle  Mittel  der  Be- 
stechung anzuwenden198). 

Da  er  sich  einmal  im  Gegensatz  gegen  die  altspartanische  Partei 
befand,  so  wurde  er  in  dieser  Richtung  immer  weiter  geführt;  er 
wurde  zu  einem  Gegner  der  Verfassung  selbst,  ein  Mann,  der  in  allen 
Aeufserlichkeiten  die  ängstlichste  Gesetzlichkeit  zur  Schau  trug  und  eine 
fromme  Anhänglichkeit  an  das  religiöse  Herkommen  Spartas  bezeugte, 
im  Geheimen  aber  emsig  darauf  hinarbeitete,  das  Ehrwürdigste,  was 
sich  aus  dem  Alterlhume  erhalten  hatte,  den  Doppelthron  der  Hera- 
kliden,  zu  stürzen,  weil  dieser  seinen  ehrgeizigen  Plänen  am  meisten 
im  Wege  stand.  Denn  er  wollte  seine  Vaterstadt  zur  Herrschaft 
bringen,  um  dann  selbst  in  ihr  zu  herrschen.  Er  war  auch  hierin  das 
spartanische  Gegenbild  des  Alkibiades.  Von  ihm  hatte  er  gelernt,  wie 
man  als  Feldherr  und  als  Unterhändler  Meister  sein  müsse,  um  grofse 
Ziele  zu  erreichen ;  ihm  hatte  er  es  abgesehen,  wie  man  die  Perser  be- 
handeln und  den  Einfluss  der  politischen  Parteien  ausbeuten  müsse. 
Er  warjtalentvoll  und  vielsei lig,(  herrschsüchtig  und  rücksichtslos,  wie 
Alkibiades.  Er  hatte  nicht  die  Genialität  noch  die  Heldennatur  des- 
selben noch  auch  die  edlen  Grundzüge  seines  Charakters.  Je  mehr 
ihm  aber  die  kühne  Zuversicht  abging,  welche  Alkibiades  beseelte,  um 
so  listiger  wusste  er  seineu  Feinden  aufzulauern,  um  ihre  Fehler  zu 
benutzen,  und  wenn  er  an  geistiger  Kraft  dem  Athener  nachstand,  so 
war  er  ihm  durch  Nüchternheit  und  kalte  Ruhe,  durch  Stetigkeit, 
Selbstbeherrschung  und  Wachsamkeit  weit  überlegen. 


Digitized  by  Google 


700 


LYSAMUROS  ALS  FLOTT FÜHRER. 


Es  war  also  ein  Ereigniss  von  entscheiden  der  Bedeutung,  aJs 
Lysandros  aus  dem  Dunkel  seiner  untergeordneten  Stellung  hervorge- 
zogen und  zum  Flollenführer  erkoren  wurde.  Hier  war  er  an  seiner 
Stelle.  Denn  dies  Amt  verlangte  gerade  solche  Talente,  wie  er  und 
er  allein  in  Sparta  sie  besafs.  Hier  kam  es  darauf  an,  alle  diejenigen 
Mitte),  deren  Anwendung  den  Spartanern  der  alten  Schule  wider- 
wärtig war,  in  volle  Bewegung  zu  setzen,  die  alldorische  Abneigung 
gegen  die  Perser  und  die  Scheu  vor  einer  überseeischen  Politik  zu 
Oberwinden;  hier  bedurfte  es  eines  erfinderischen  und  organisirenden 
Kopfes,  eines  Staatsmanns,  welcher  mit  den  auswärtigen  Verhältnissen 
vertraut,  und  der  schmiegsam  genug  war,  um  die  unentbehrliche 
Unterstützung  des  Auslandes  zu  gewinnen  und  zu  benutzen,  ohne 
darum  die  Ehre  des  eignen  Staats  aufzugeben  und  zu  einem  Werk- 
zeuge fremder  Politik  zu  werden.  Das  Amt  des  Fiottenführers  war 
das  unabhängigste  im  spartanischen  Staate;  ein  Amt,  welches  an  sich 
schon  eine  Neuerung  war  und  ein  Abbruch  der  königlichen  Rechte ; 
denn  die  Könige,  ursprünglich  die  alleinigen  Heerführer  des  Staates, 
waren  von  diesem  Amte  grundsätzlich  ausgeschlossen.  Keine  Stel- 
lung konnte  also  dem  Manne  erwünschter  sein,  dessen  Ehrgeiz 
darauf  ausging,  das  lykurgische  Staatswesen  durch  kühne  Neuerungen 
umzuwandeln  und  die  erblichen  Vorrechte  im  Staate  zu  be- 
kämpfen "■•). 

Als  Lysandros  sein  Amt  antrat,  war  eine  Seemacht  Spartas  nicht 
vorhanden.  Er  mussle  eine  Flotte  schaffen  und  eben  so  die  Geld- 
mittel für  ihre  Erhaltung.  Freilich  batte  Pharnabazos  nach  dem 
unglücklichen  Ausgange  des  hellespon tischen  Kriegszugs  gleich  wieder 
neue  Schilfe  bauen  lassen.  Die  Wälder  des  Ida  wurden  gelichtet  und 
die  Schiffswerften  bei  Antandros  an  der  troischen  Küste  in  volle  Thä- 
tigkeit  gesetzt  Die  Einwohner  der  Stadt  gewährten  den  Schiffsmann- 
schaften allen  Vorschub,  um  ihnen  ihre  Fahrzeuge  zu  ersetzen ;  die 
sicili sehen  Matrosen  halfen  dafür  den  Bürgern  ihre  Stadt  ummauern. 
Es  bildete  sich  bei  dieser  Gelegenheit  ein  so  nahes  Verhältniss,  dass 
den  Syrakusanern  in  Antandros  die  Rechte  von  Bürgern  und  Wohl- 
thätern  zuerkannt  wurden.  Diese  Rüstungen  waren  aber  durch  die 
Bedrängnisse  des  Pharnabazos  und  die  Veränderung  seiner  Politik 
unterbrochen  worden,  und  Lysandros  konnte,  nachdem  er  im  Pelo- 
ponnes,  und  dann  von  den  Rhodiern,  Chiern  und  Milesiern  so  viel 
Fahrzeuge  wie  möglich  zusammengebracht  hatte,  im  Ganzen  nur  70 


Digitized  by  Google 


LYSAXDROS  ALS  PARTEIFÜHRER. 


761 


Schüre  vereinigen,  eine  Flolte,  welche  an  Gröfse  und  an  Seetüchtig- 
keit der  attischen  nicht  gewachsen  war.  Aber  er  brachte  doch  so- 
gleich den  ganzen  Seekrieg  in  ein  neues  Stadium,  indem  er  die  Streit- 
kräfte vereinigte  und  mit  sicherem  Blicke  Ephesos  zum  spartanischen 
Hauptquartiere  in  lonien  machte.  Hier  war  Athens  Einfluss  immer 
am  schwächsten  gewesen  (S.  693),  hier  war  er  dem  Hofe  von  Sardes 
und  seinen  Geldquellen  am  nächsten198). 

Dann  war  Lysandros  der  Erste,  welcher  ein  bis  dahin,  so  zu 
sagen,  ganz  unbenutztes  Kapital  von  Macht  zu  verwerlhen  wussle;  das 
waren  die  oligarchischen  Parteien,  welche  mit  Nothwendigkeit  auf 
Sparta  hingewiesen,  aber  bis  jetzt  von  Sparta  immer  mit  einer  jedes 
Vertrauen  täuschenden  Gleichgültigkeit  behandelt  worden  waren.  Die 
Energie  des  griechischen  Volks  lag  nun  aber  damals  wesentlich  in  den 
Parleirichtungen.  Was  konnte  also  an  Macht  gewonnen  werden, 
wenn  Sparta  sich  thalkräflig  an  die  Spitze  aller  oligarchischen  Be- 
strebungen stellte  und  die  Leitung  dieser  Bewegung  übernahm,  wie 
Alkibiades  einst  seine  Vaterstadt  zum  Centrum  aller  demokratischen 
Tendenzen  gemacht  hatte  (S.  592) !  Seil  Sparta  eine  Seemacht  war, 
konnte  es  überall  hin  und  mit  den  Parteien  aller  Orlen  in  Zusammen- 
hang stehn;  es  konnte  die  gröfsten  Erfolge  mit  fremden  Miltein  er- 
reichen und  der  schwankenden  Macht  Athens  die  letzten  Stützen  weg- 
ziehen. Brasidas  hatte  diese  Kriegspolitik  eröffnet,  Lysandros  war 
sein  glücklicherer  Nachfolger.  Er  trat  von  Ephesos  aus  mit  allen  Par- 
teien, welche  der  Volksherrschafl  und  dem  attischen  Einflüsse  ent- 
gegenarbeiteten, in  Verbindung,  brachte  sie  mit  sich  als  ihrem  gemein- 
samen Patrone  und  unter  einander  in  Zusammenhang,  verbürgte  den 
Führern  den  vollständigen  Erfolg  ihrer  ehrgeizigen  Pläne,  zog  die 
Ueberläufer  der  attischen  Partei  an  sich  heran ,  spannte  ein  Netz  von 
Verschwörungen  über  ganz  Griechenland,  dessen  Fäden  er  in  seiner 
Hand  hatte,  und  eignete  sich  so  eine  geheime  Macht  zu,  über  welche 
er,  wenn  die  Stunde  da  war,  unbedingt  verfügen  konnte. 

Endlich  knüpfte  er  mit  Kyros  die  engsten  Verbindungen  an  und 
wussle  hier  durch  seine  Gewandtheit  ein  persönliches  Verhältniss  her- 
zustellen, wie  Alkibiades  es  in  Beziehung  auf  Tissaphernes  immer  er- 
strebt, aber  niemals  erreicht  halle.  Dazu  kam,  dass  Kyros  ganz  andere 
Mittel  hatte,  dass  er  in  königlichem  Auftrage  und  aus  eigener  Neigung 
Sparta  zu  unterstützen  entschlossen  war  und  in  Lysandros  einen  Bun- 
desgenossen fand,  dem  er  sich  mit  jugendlicher  Bewunderung  an- 


Digitized  by  Google 


762 


DIE   FEINDE  DES  ALKIBIADES. 


schloss.  Lysandros  brachte  also  nicht  nur  einen  zuverlässigen  Sub- 
sidienvertrag  zu  Stande,  sondern  wusste  auch  seinem  fürstlichen 
Gastfreunde  das  Versprechen  abzugewinnen,  nicht  drei,  sondern  vier 
Obolen  Tagsold  zu  zahlen.  Dadurch  wurde  derselbe  um  einen  Obolos 
(1  gGr.)  höher  als  der,  welchen  Athen  damals  zahlen  konnte,  und 
dies  genügte,  um  viele  Matrosen  der  feindlichen  Flotte  abwendig  zu 
machen  m). 

Eine  so  gefährliche  Verbindung  war  noch  niemals  gegen  Athen 
zu  Stande  gekommen.  Geld,  Parteimacht,  Klugheit  und  entschlossene 
Tha t kraft  vereinigten  sich  zu  seinem  Verderben,  und  es  hatte  diesen 
Gefahren  gegenüber  nichts,  worauf  es  sich  verlassen  konnte,  als  seinen 
sieggewohnten  Feldherrn,  welcher  mit  unbedingten  Vollmachten 
an  der  Spitze  der  Flotte  stand  und  unverzagt  den  Krieg  in  Ionien 
eröffnete. 

Aber  auch  darin  begleitete  Lysandros  beim  Beginne  seines  Feld- 
herrnamts ein  ungewöhnliches  Glück,  dass  in  der  Stellung  seines  ge- 
fährlichsten Gegners,  des  Einzigen,  den  er  zu  fürchten  hatte,  in- 
zwischen eine  wesentliche  Veränderung  vorgegangen  war.  Aeufserlich 
hatte  er  freilich  die  höchste  Macht,  welche  einem  Bürger  zu  Theil  wer- 
den konnte;  aber  ihre  Grundlage  war  erschüttert.  Die  Stimmen  seiner 
Feinde  waren  in  dem  Siegesjubel  übertönt  und  ihre  Bestrebungen  zu- 
rückgedrängt, sie  selbst  waren  aber  weder  entmuthigt  noch  umge- 
stimmt worden.  Alkibiades  hatte  seinerseits  Alles  gethan,  um  die  Par- 
teien zu  versöhnen.  Er  halte  den  Grundsätzen  einer  gemäfsigten 
Volksfreiheit  das  Wort  geredet,  er  hatte  die  Interessen  des  Gottes- 
dienstes kräftig  vertreten,  er  hatte  die  ihm  überlassene  Wahl  seiner 
Amtsgenossen  so  getroffen,  dass  Männer  verschiedener  Richtung  wie 
Adeimantos,  der  Sohn  des  Leukolophides,  und  Aristokrates  (S.  729) 
seine  Mitfeldherrn  wurden ;  er  wollte,  wie  einst  Perikles,  über  den  Par- 
teien stehen.  Aber  umsonst  Die  Oligarchen  hassten  ihn  nach  wie 
vor;  die  Demokraten  verdächtigten  ihn,  und  die  priesterliche  Partei 
war  unversöhnlich  geblieben.  Sie  hatte  sich  auch  während  seines 
Glücksstandes  am  hartnäckigsten  erwiesen,  wie  das  Beispiel  des 
Mysterienpriesters  Theodoros  beweist,  welcher  sich  weigerte,  den  aus- 
gesprochenen Fluch  zurückzunehmen,  indem  er  die  Ausflucht  ge- 
brauchte, dass  er  nur  den  Schuldigen  verwünscht  habe;  wenn  also 
Alkibiades  wirklich  unschuldig  sei,  so  trefTe  ihn  auch  die  Verwün- 
schung nicht. 


Digitized  by  Google 


AiSFEINDDVG   DES  ALKIBIADES 


763 


Dieselbe  Partei  beutete  auch  den  Umstand  aus,  dass  Alkihiades' 
Ruckkehr  auf  das  Fest  der  Plynterien  gefallen  sei.  Das  war  der  Tag, 
an  welchem  das  Haus  der  Alhena  Polias  abgesperrt  und  das  heilige 
Bild  der  Göttin  durch  die  sogenannten  Praxiergiden  von  seiner  Stelle 
genommen,  im  Meerbade  gereinigt  und  umgekleidet  wurde;  an  diesem 
Jahrestage  war  also  die  Göttin  gleichsam  entfernt  und  unzugänglich, 
die  Stadt  ihrer  beraubt  und  deshalb  in  Trauer,  so  dass  kein  öffentliches 
Geschäft  von  irgend  einer  Bedeutung  vorgenommen  zu  werden  pflegte. 
Nun  hatte  man  im  Jubel  über  die  siegreiche  Heimkehr  das  Herkommen 
vernachlässigt.  Die  Gegner  des  Alkihiades  schoben  ihm  diese  öffentliche 
Versündigung  zu  und  redeten  der  leichtgläubigen  Menge  ein,  es  könne 
doch  nicht  anders,  als  ein  Zeichen  von  ernster  Bedeutung  sein,  dass 
gerade  an  dem  Tage,  an  welchem  Alkihiades  heimgekehrt  sei,  die 
Schutzguttin  ihr  Antlitz  von  der  Stadt  abgewendet  hätte. 

Je  mehr  die  Anwesenheit  des  Alkihiades  den  Erfolg  dieser  Um- 
triebe hemmte,  weil  seine  Persönlichkeit,  durch  den  Ruhm  der  herr- 
lichsten Thaten  gehoben,  herzgewinnender  und  vertrauenswürdiger, 
als  je  zuvor,  den  Athenern  gegenübertrat,  je  stärker  sich  im  Volke  die 
Neigung  zeigte,  sein  ganzes  Schicksal  in  die  Hände  dieses  Mannes  zu 
legen,  welcher  dem  durch  Parteigeist  zerrütteten  Staate  durch  eine 
kräftige  Selbstregierung  wieder  aufhelfen  sollte:  um  so  geschäftiger 
waren  die  Parteimänner,  um  auf  alle  Weise  die  Abfahrt  des  Feldherrn 
zu  beschleunigen,  unter  dem  Vorwande,  dass  man  ihn  in  der  weiteren 
Verfolgung  seiner  Heldenbahn  nicht  aufhalten  dürfe;  in  der  That  aber 
sollte  die  Zeit  seiner  Entfernung  benutzt  werden,  um  unverzüglich  das 
alte  Spiel  wieder  zu  beginnen,  welches  dem  Staate  schon  so  viel  Noth 
gebracht  hatte,  nämlich  die  Anfeindung  des  abwesenden  Feldherrn. 
Arglistig  hatten  sie  selbst  dazu  beigetragen,  die  Erwartungen  der  Menge 
auf  den  höchsten  Grad  zu  spannen ;  als  daher  die  Botschaften  ausblieben, 
denen  man  von  Tag  zu  Tag  mit  Ungeduld  entgegen  sah,  als  zunächst 
nichts  Anderes  gemeldet  wurde,  als  dass  die  Flotte  von  100  Trieren 
mit  1500  Schwerbewaffneten  und  150  Reitern,  welche  Ionien  rasch 
zurückerobern  sollte,  vor  Andros  liege  und  nicht  einmal  im  Stande  sei, 
die  kleine  Inselstadt  zu  zwingen,  als  dann  auch  von  Sa  mos,  dem  neuen 
Hauptquartiere,  die  Nachricht  kam,  dass  die  Flotten  einander  unlhätig 
gegenüber  gelagert  wären  und  dass  Alkihiades  mit  den  Persern  unter- 
handle, da  wendete  sich  rasch  die  öffentliche  Stimmung.  Man  lebte 
einmal  in  dem  Wahne,  dass  Alkihiades  nichts  unmöglich  sei.  Wenn  er, 


Digitized  by  Google 


764 


SCHLAPPE  BEI   NOTION  (83,  1;  407). 


der  Unüberwindliche,  nicht  siege,  so  wolle  er  nicht  siegen,  so  sei  er 
ein  Verräther  und  von  den  Feinden  bestochen,  mit  deren  Hülfe  er  in 
Athen  herrschen  wolle.  Endlich  kam  sogar  die  Nachricht  von  einer 
Niederlage  der  Flotte,  und  nun  hatten  seine  Feinde  gewonnenes  Spiel. 

Alkibiades  hatte  nämlich  in  Samos  die  veränderte  Lage  der  Dinge 
kennen  gelernt.  Seine  Versuche,  Kyros  umzustimmen,  waren  geschei- 
tert. Er  suchte  Lysandros  aus  seinem  Hafen  herauszulocken,  aber  auch 
dies  gelang  ihm  nicht  Nachdem  nun  der  Winter  nutzlos  verstrichen 
war,  blieb  ihm  nichts  übrig,  als  die  spartanische  Flotte  mit  einem  Theile 
seiner  Schiffe  abzusperren  und  mit  den  anderen  Streitkräften  den  Land- 
krieg zu  beginnen,  die  einzelnen  Städte  Ioniens  zu  erobern  und  so  die 
Herrschaft  Athens  daselbst  wieder  herzustellen,  wie  es  ihm  im  Helles- 
pont  gelungen  war.  Es  war  eine  Ehrenschuld  des  Alkibiades,  Ionien, 
dessen  Abfall  sein  Werk  war  (S.  696),  den  Athenern  wieder  zu  ver- 
schaffen. Er  liefs  daher  das  Blokadegeschwader  unter  einem  seiner 
treulichsten  Schiffsführer,  Antioc  hos,  vor  Ephesos  zurück,  mit  dem 
strengsten  Befehle,  sich  in  keinen  Kampf  einzulassen,  während  er  selbst 
bei  Phokaia  den  Eroberungskrieg  begann,  der  natürlich  darauf  berech- 
net war,  dass  ein  Floltensieg  den  Feldzug  eröffnen  und  sein  Gelingen 
erleichtern  sollte.  Kaum  aber  hatte  er  die  Belagerung  begonnen,  so 
kam  die  Nachricht  von  einem  unglücklichen  Seegefechte  im  Golfe  von 
Ephesos.  Antiochos  hatte  sich  nämlich  durch  seinen  Kriegseifer  hin- 
reifsen  lassen,  den  Feind  in  unvorsichtiger  Weise  zu  reizen,  war  dann 
von  Lysandros  angegriffen  und  mit  seiner  Flotte  unvermuthet  in  einen 
ernsten  Kampf  verwickelt  worden,  der  eine  sehr  unglückliche  Wendung 
nahm.  Denn  er  selbst  wurde  mit  seinem  voraneilenden  Schiffe  ver- 
senkt, und  die  Athener  mussten  sich  nach  einem  Verluste  von  15 
Schiffen  von  ihrem  Standorte  Notion  nach  Samos  zurückziehen. 

Alkibiades  war  ohne  Schuld  an  diesem  Unglücke;  auch  Antiochos 
trug  sie  nicht  allein.  Denn  er  hatte  allen  Schiffen  Befehl  gegeben,  sich 
kampfbereit  zu  hallen,  und  dieser  Befehl  war  nicht  befolgt  worden.  Es 
war  offenbar  die  Kriegszucht  gelockert.  Die  Unterbrechung  der  Kriegs- 
übung, der  Aufenthalt  in  Athen,  die  Aufnahme  neuer  Truppen  hatte 
auf  den  Geist  des  Flottenheers,  das  am  Hellespont  sich  so  musterhaft 
gehalten  hatte,  nachtheilig  eingewirkt.  Der  niedrigere  Sold,  den  die 
Athener  im  Vergleiche  mit  den  Peloponnesiern  erhielten,  der  mühselige 
Dienst,  für  den  keine  Siegesbeute  Entschädigung  gab,  erregte  Miss- 
stimmung und  Untreue;  endlich  hatten  die  Feinde  des  Alkibiades  auch 


Digitized  by  Googl 


ANFEINDUNG  DES  ALKIBIADES 


765 


ihre  Anhänger  im  Heere,  welche  zu  offener  Auflehnung  gegen  den  Feld- 
herrn  schritten.  Thrasybulos,  der  Sohn  des  Thrason,  ging  nach  Athen, 
uro  ihn  anzuklagen.  Kein  anderer  sei  an  der  schleppenden  Kriegführung 
schuldig,  so  meldete  er,  als  Alkibiades  selbst;  angesichts  des  Feindes 
schwelge  er  bei  üppigen  Gelagen  mit  ionischen  Buhlerinnen  und  über- 
trage das  Commando  den  unzuverlässigsten  Leuten,  die  er  unter  seinen 
Zechgenossen  auswähle.  Auch  stehe  er  ununterbrochen  mit  den  Lake- 
dämoniern  und  mit  Pharnabazos  in  Unterhandlungen,  welche  offenbar 
kein  anderes  Ziel  hätten,  als  Heer  und  Flotte  den  Feinden  in  die  Hände 
\  zu  spielen  und  sich  so  den  Weg  zur  Alleinherrschaft  zu  bahnen.  Diese 
Verdächtigung  schien  dadurch  beglaubigt  zu  werden,  dass  Alkibiades 
während  des  hellespontischen  Feldzuges  auf  der  thrakischen  Halbinsel 
Plätze  erworben  hatte,  welche  er  befestigen  liefs.  Das  sei  der  Anfang 
zu  einer  unabhängigen  Herrschermacht,  die  er  sich  gründen  wolle,  und 
deswegen  unterhalte  er  auch  nach  wie  vor  die  Freundschaft  mit  dem 
am  Hellespont  herrschenden  Satrapen,  welcher  doch  alle  Hoffnungen 
der  Athener  so  schmählich  getäuscht  habe. 

Das  allgemeine  Gefühl  der  Unsicherheit  steigerte  jede  Besorgniss 
dieser  Art,  und  da  nun  auch  aus  den  kleinasiatischen  Städten  Abgeord- 
nete kamen,  welche  sich  über  Alkibiades'  Heerführung  beschwerten,  so 
wussten  seine  Feinde  dies  Alles  so  schlau  und  nachdrücklich  zu  be- 
nutzen, dass  die  Bürgerschaft,  welche  noch  vor  Kurzem  ihr  früheres 
Benehmen  gegen  Alkibiades  als  die  Quelle  ihres  Unglücks  erkannt  und 
mit  tiefer  Beschämung  bereut  hatte,  jetzt  bei  viel  gröfserer  Gefahr  und 
ohne  den  geringsten  Nachweis  von  Verschuldung  ihren  besten  Kriegs- 
helden aufs  Neue  von  sich  stiefs,  nachdem  er  länger  als  vier  Jahre  un- 
unterbrochen den  Oberbefehl  geführt  und  ihr  Vertrauen  noch  nie  ge- 
täuscht hatte.  Zum  zweiten  Male  wurde  er  während  seiner  Abwesenheit 
entsetzt  und  mit  ihm  seine  Amtsgenossen,  weil  sie  kraft  seiner  außer- 
ordentlichen Vollmachten  von  ihm  gewählt  worden  waren.  Er  war  des 
Heers  nicht  sicher  genug,  um  sich  dem  Befehle  der  Bürgerschaft  zu 
widersetzen,  und  zog  sich  nach  dem  Chersonnes  zurück.  Von  den 
früheren  Feldherrn  wurden  nur  Konon,  Timotheos'  Sohn,  und  Aristo- 
krales  wieder  gewählt.  Konon,  welcher  noch  vor  Andros  lag,  erhielt 
den  Oberbefehl  und  ging  mit  vier  seiner  Amtsgenossen,  Leon,  Archestra- 
tos, Erasinides  und  Aristokrates,  nach  Sa  mos,  wo  nun  mit  den  30 
hellespontischen  Schiffen,  welche  Thrasybulos  befehligt  hatte,  und  dem 
Geschwader  von  Andros  115  Trieren  beisammen  waren1'5). 


Digitized  by  Google 


766 


K0>0>   UM»   KALL1KRATMAS  (»3,  2;  406). 


Kaum  hatte  Alkibiades  den  Befehl  niedergelegt,  so  spürte  man 
schon  die  Folgen  von  dem,  was  man  gethan  hatte.  Konon  war  ein 
ritterlicher  Mann  und  erprobter  Feldherr.  Er  hatte  durch  Geburt  und 
Reichthum  eine  ähnliche  Stellung  in  der  bürgerlichen  Gesellschaft,  wie 
ISikias,  und  war  wie  dieser  ein  Hann  von  verfassungstreuer  Gesinnung; 
er  war  also  des  Vertrauens  der  Bürgerschaft  in  vollem  Mafse  würdig. 
Aber  ihm  fehlten  die  außerordentlichen  Gaben  seines  Vorgängers, 
welcher,  wenn  er  auch  einem  Lysandros  gegenüber  die  Gelegenheit  zu 
glänzenden  Siegen  nicht  erzwingen  konnte,  doch  durch  seiue  Klugheit 
und  seinen  rastlosen  Unternehmungssinn  im  Stande  gewesen  war,  auch 
ohne  Geldsendungen  von  Hause  eine  grofse  Flotte  zu  unterhalten  und 
die  Seeherrschaft  zu  behaupten.  Konon  verzichtete  darauf  von  vorn 
herein;  er  verringerte  die  Flotte  auf  siebzig  Schilfe,  welche  er  mit  einer 
Auswahl  des  ganzen  Seevolks  bemannte,  und  erklärte  schon  dadurch, 
dass  er  sich  aufser  Stande  sehe,  einen  Seekrieg  in  grofsem  Malsstabe 
fortzusetzen.  Eine  Reihe  von  Monaten  hindurch  führte  er  nur  einen 
uns  täten  Freibeuterkrieg,  indem  er  ohne  zusammenhängenden  Plan  die 
verschiedensten  Seeplätze  brandschatzte  und  neue  Hülfsquellen  für 
Athen  zu  eröffnen  suchte. 

Vielleicht  gehört  in  diese  Zeit  der  Volksbeschluss  der  Athener  zu 
Ehren  des  Königs  Euagoras  auf  Cypern,  der  um  92, 3;  410  v.  Chr.  sein 
väterliches  Reich  wieder  gewann.  Seil  dieser  Zeit  war  er  für  die 
Athener  eine  wichtige  Persönlichkeit,  welche  je  weniger  sie  auf  Unter- 
stützung von  Persien  Aussicht  hatten,  um  so  mehr  mit  den  unzu- 
friedenen Vasallen  des  Grofskönigs  Bundesgenossenschafl  anzuknüpfen 
suchen  mussten.  Darum  werden  auch  wohl  in  diese  Zeit  die  ersten 
Beziehungen  zwischen  Konon  und  Euagoras  zu  setzen  sein. 

Die  peloponnesische  Flotte  war  der  attischen  schon  um  zwanzig 
Segel  überlegen  und  bei  regelmäfsigen  Einkünften  in  steter  Vergröße- 
rung begriffen.  Als  daher  Lysandros  von  Kallikratidas  im  Flottenbefehl 
abgelöst  wurde,  konnte  sich  dieser,  ehe  er  noch  einen  Sieg  gewonnen 
hatte,  als  den  Herrn  der  See  ansehen.  Denn  obgleich  die  persischen 
Hülfsgelder  versiegten,  welche  Kyros  nur  zu  Gunsten  seines  Freundes 
flüssig  machen  wollte,  obgleich  Lysandros  selbst,  um  es  seinem  Nach- 
folger so  schwer  wie  möglich  zu  machen,  alles  noch  vorräthige  Geld 
an  Kyros  zurückgezahlt  hatte,  unter  dem  Vor  wände,  dass  es  nur  ihm 
persönlich  gegeben  sei:  so  wusste  der  neue  Admiral  dennoch  die  über- 
kommene Macht  nicht  nur  zu  erhallen,  sondern  ansehnlich  zu  ver- 


Digitized  by  Google 


KO.NON  UND  KALLIKRATIDAS  (99,  2;  406). 


767 


gröfsern,  und  zwar  in  der  ehrenvollsten  Weise.  Denn  voll  Entrüstung 
wendete  er  dem  sardischen  Palaste,  wo  man  ihn  wie  einen  Bettler  vor 
den  Thüren  hatte  warten  lassen,  den  Rücken  und  wusste  statt  dessen 
bei  den  Ioniern  selbst  einen  ganz  neuen  Kriegseifer  zu  erwecken,  so 
dass  er  in  Milet  fünfzig  bundesgenössische  Schiffe  zusammen  brachte, 
welche  er  auf  das  Eifrigste  für  den  Angriffskrieg  einübte;  so  feierte  er 
den  Triumph,  dass  er,  von  Milet  und  Chios  mit  Geld  unterstützt,  ohne 
persische  Subsidien  eine  Flotte  von  140  Schilfen  in  das  Meer  hinaus- 
führen  konnte,  eine  Flotte,  wie  sie  noch  niemals  von  Sparta  den 
Athenern  entgegengeführt  worden  war.  Kallikratidas  vereinigte  den 
hochherzigen  und  stolzen  Sinn  eines  Altspartaners  mit  der  Thatkraft 
und  Gewandtheit,  wie  sie  der  Beruf  eines  Flottenführers  in  Ionien 
verlangte.  Er  führte  hier  aus,  was  Brasidas  in  Thrakien  erstrebt  hatte; 
er  war  der  Erste,  welcher  die  entschlossene  und  gerade  Tapferkeit 
der  Spartaner  mit  Glück  auf  die  Flotte  verpflanzte. 

Glänzende  Erfolge  begleiteten  ihn.  Auf  der  Insel  der  Chier,  denen 
er  sich  vor  Allem  dankbar  erweisen  wollte,  zerstörte  er  die  attische 
Festung,  von  welcher  die  Wiedereroberung  der  Insel  abhing;  dann  er- 
oberte er  das  wichtige  Teos  und  ging  ungesäumt  weiter  nach  Lesbos, 
dessen  Städte  die  bedeutendsten  Stützen  der  attischen  Macht  in  diesen 
Gewässern  waren  und  die  Verbindung  zwischen  Ionien  und  dem  Helles- 
pont  hüteten.  An  der  Nordküste  der  Insel,  in  Methymna,  lag  eine 
attische  Besatzung.  Sie  musste  sich  ergeben,  ehe  Konon  von  der  asiati- 
schen Küste  her  zu  Hülfe  eilen  konnte.  Nun  musste  er  wenigstens 
Mytilene  zu  halten  und  deshalb  in  die  Nähe  der  Stadt  zu  kommen 
suchen.  Auf  der  Ueberfahrt  kommt  es  zu  einem  Kampf.  Konon  will 
eine  eigentliche  Schlacht  vermeiden,  aber  indem  die  Schiffe  in  einzelnen 
Gruppen  handgemein  werden,  verliert  seine  Flotte  den  Zusammenhang. 
Dreifsig  Schiffe  werden  abgeschnitten  und  müssen  dem  Feinde  preis- 
gegeben werden,  während  Konon  sich  mit  den  übrigen  in  den  Nord- 
hafen von  Mytilene  (S.  440)  zurückzieht  und  den  Eingang  desselben 
absperrt.  Kallikratidas  aber  erzwingt  die  Einfahrt  und  schliefst  mit 
der  Stadt  auch  die  Flotte  Konons  so  vollständig  ein,  dass  es  diesem 
nur  durch  List  gelingt,  zwei  Schiffe  nach  Athen  zu  senden,  um  der 
Bürgerschaft  seine  verzweifelte  Lage  zu  melden. 

Jetzt  konnte  Kallikratidas  annehmen,  dass  der  Krieg  im  Wesent- 
lichen beendet  sei.  Denn  auch  ein  Geschwader  von  zwölf  Schiffen, 
welches  Diomedon  zur  Hülfe  herbeiführte,  gerieth  bis  auf  zwei  Fahr- 


Digitized  by  Google 


7GS 


NEUE  RÜSTUNGEN  ATHENS  (98,  «;  406). 


zeuge  in  seine  Gewalt,  und  jede  weitere  Sendung  schien  unmöglich. 
Er  konnte  sich  rühmen,  ohne  Perserhülfe  Sparta  zum  vollständigen 
Herrn  des  ägäischen  Meers  gemacht  zu  haben;  denn  der  Rest  der 
feindlichen  Flottenmacht  mit  dem  besten  Seefeldherrn  war  in  seiner 
Gefangenschaft.  Der  Hellespont  war  offen.  Was  hinderte  ihn  noch, 
die  letzten  Hülfsquellen  Athens  abzuschneiden  und  die  Stadt  zu  zwingen, 
sich  unter  jeder  Bedingung  zu  ergeben?  Aber  er  hatte  sich  doch  in 
Athen  verrechnet lM). 

Noch  war  den  Bärgern  der  Gedanke  unerträglich,  die  Seeherr- 
schaft preiszugeben.  Als  daher  das  eine  der  beiden  von  Konon  abge- 
sendeten Schiffe  glücklich  nach  Athen  gelangte,  drängte  die  Noth  des 
Augenblicks  alle  Parteispaltungen  zurück  und  entzündete  einen  Wett- 
eifer aller  Einwohner,  dessen  Erfolg  jede  Erwartung  überstieg.  Ein- 
hellig beschloss  man,  die  letzten  Mittel  daran  zu  setzen,  um  noch  ein- 
mal eine  grofse  Flotte  herzustellen,  welche  Konon  retten  und  der 
feindlichen  Macht  in  offener  Seeschlacht  entgegentreten  könne.  Man 
trug  kein  Bedenken,  die  Schätze  der  Stadtgöttin  für  das  Heil  der  Stadt 
im  gröfsten  Umfange  auszubeuten.  Aus  goldenen  Bildern  der  Sieges- 
göttin wurde  Nothgeld  geschlagen,  und  Alles,  was  in  der  Vorzelle  des 
Parthenon  an  Metallwerth  vorhanden  war,  bis  auf  einen  Goldkranz, 
wurde  an  die  Hellenotamien  ausgeliefert  und  wanderte  in  die  Münze; 
ohne  Zweifel  wurden  auch  die  anderen  Abiheilungen  des  Schatzhauses 
(S.  344)  geleert;  man  setzte  die  letzten  Kapitalien  der  Stadt  daran. 
Schiffe  hatte  man  zum  Glück  noch  vorräthig,  nämlich  die  von  Alkibi- 
ades  erbeuteten,  95  zusammen;  45,  die  von  Konon  zurückgestellten, 
lagen  in  Samos.  Aber  an  Bürgern  fehlte  es,  um  sie  zu  bemannen,  ob- 
gleich Alles,  was  auf  den  Mauern  entbehrt  werden  konnte,  aufgeboten 
wurde,  und  auch  die  Ritter  sich  bereit  fanden  die  Trieren  zu  besteigen. 
Also  wurden  auch  die  Nichtbürger  massenweise  aufgeboten.  Schutz- 
genossen wurde  das  Bürgerrecht,  Sklaven  die  Freiheit  versprochen, 
und  so  geschah  es,  dass  mit  Hülfe  der  Samier  und  anderer  Bundes- 
genossen in  Monatsfrist  eine  Flotte  von  155  Segeln  zusammengebracht 
und  den  in  der  Stadt  zurückgebliebenen  Feldherrn,  Thrasylos,  Proto- 
machos,  Aristogenes  und  Perikles,  dem  Sohne  des  grofsen  Staatsmanns, 
übergeben  werden  konnte.  Es  war  ein  in  verzweifelter  Anstrengung  ge- 
machtes Aufgebot  aller  noch  übrigen  Staatskräfte,  und  mit  dem  Ge- 
fühle, dass  man  siegen  oder  untergehen  müsse,  zog  die  letzte  Flotte 
Athens  in  die  See  hinaus197). 


Digitized  by  Google 


SCHLACHT  BEI   DEN  ARGINUSEIN  (93,  3;  406  SEPT). 


769 


So  wie  Kallikratidas  die  unerwartete  Kunde  davon  empfangen 
hatte,  liefs  er  fünfzig  Schilfe  vor  dem  Hafen  zurück,  um  Konon  einge- 
schlossen zu  halten,  und  legte  sich  vor  das  südliche  Vorgebirge  von 
Lesbos,  um  hier  in  offener  See  die  neue  Flotte  zu  treffen  und  zu  ver- 
nichten; denn  er  war  von  zweifellosem  Siegesmuthe  erfüllt.  Die  Athener 
dagegen  zogen  sich  ungeachtet  ihrer  Ueberzahl  ängstlich  nach  dem 
Festlande  von  Aeolis  hin,  wo  dem  lesbischen  Vorgebirge  gegenüber 
drei  Klippeninseln,  die  Arginusen  genannt,  vor  der  Küste  liegen,  welche 
den  Schiffen  eine  Deckung  gegen  Ueberflügelung  und  eine  möglichst 
sichere  Stellung  zu  gewähren  schienen.  Bei  den  Inseln  stand  das 
MitteltrefTen;  die  Flügel  dehnte  man  zur  Rechten  und  Linken  aus,  in 
doppelter  Schiffsreihe,  um  dadurch  die  Durchfahrt  feindlicher  Trieren 
zu  verhindern. 

Kallikratidas  konnte  nichts  Weiseres  thun,  als  den  Angriff  auf- 
schieben. Ihn  drängte  nichts;  denn  auch  Kyros  hatte  ihm,  nachdem 
er  solche  Proben  seiner  Thätigkeit  abgelegt  hatte,  seine  Hilfsquellen 
wiederum  geöffnet.  Für  die  Athener  dagegen  lag  in  jedem  Verzuge  die 
gröfsle  Gefahr;  ihre  Flotte  konnte  des  Unterhalts  wegen  nicht  unthälig 
bleiben;  sie  wäre  also,  wenn  der  Feind  sjch  ruhig  hielt,  gezwungen 
gewesen,  ihn  unter  allen  Umständen  anzugreifen  oder  sich  zu  zer- 
streuen; auch  war  vorauszusehen,  dass  in  einer  so  eilig  zusammenge- 
rafften Flottenmannschaft  die  Zucht  und  einmüthige  Begeisterung 
nicht  lange  vorhalten  würden.  Kallikratidas  war  aber  durch  keine 
Warnung  und  kein  Bedenken  in  seiner  stürmischen  Tapferkeit  aufzu- 
halten, obgleich  er  erkannte,  dass  sich  ihm  keine  günstige  Gelegenheit 
zum  Angriffe  darbot.  Denn  er  musste  seine  Flotte  in  zwei  Abtheilungen 
trennen,  um  rechts  und  links  von  den  Arginusen  den  Feind  gleich- 
zeitig anzugreifen.  Er  selbst  drang  an  der  Spitze  des  rechten  Flügels 
vor,  und  nichts  war  im  Stande,  seinem  gewaltigen  Andringen  Wider- 
stand zu  leisten;  sein  nächstes  Ziel  war  das  Schiff,  welches  Perikles 
führte.  Die  Schiffe  prallten  mit  Macht  an  einander,  und  bei  dem  Stofse 
stürzt  Kallikratidas,  der  ungeduldig  am  äulsersten  Rande  stand,  in  das 
Meer  hinunter.  Klearchos,  den  er  zu  seinem  Nachfolger  bestimmt 
hatte,  vermag  den  Flügel  nicht  zu  halten.  Gleichzeitig  kommt  auch 
der  linke,  von  dem  Böotier  Thrasondas  geführte,  in's  Weichen,  die 
ganze  Flotte  räumt  allmählich  das  Feld.  Aber  dieser  Rückzug  ist  nur 
der  Anfang  einer  vollständigen  Niederlage.  Denn  nun  erwacht  der 
volle  Kriegsmuth  der  Athener,  nun  kommt  ihre  Ueber macht  erst  zu 

Curtius,  Gr.  Gesch.  II.    6.  Aufl.  49 


Digitized  by  Google 


770 


DIE  FOLGEN   DER  bCHLACHT. 


voller  Wirksamkeit.  Von  120  Schiffen  der  Peloponnesier  konnten  nur 
43  aus  dem  furchtbaren  Kampfgetümmel  gerettet  werden. 

So  wie  die  siegreiche  Flotte  sich  von  der  Verfolgung  sammelte, 
beschloss  man,  so  rasch  wie  möglich  das  Blokadegeschwader  vor 
Mytilene  zu  überraschen,  ehe  der  Führer  desselben  von  dem  Ausgange 
der  Seeschlacht  Kunde  habe,  während  ein  anderer  Theil  der  Flotte 
den  Befehl  erhielt,  unter  Führung  des  Theraraenes  und  Thrasybulos 
die  Schiffbrüchigen  zu  retten  und  die  Leichen  aufzusammeln.  Aber 
ein  furchtbarer  Nordwest,  welcher  vom  Idagebirge  herabs türmte, 
machte  jede  Tbäligkeit  unmöglich,  und  als  die  Flotte  endlich  wieder 
auslaufen  konnte,  war  es  für  beide  Zwecke  zu  spät.  Der  Sturm  halte 
das  ganze  Schlachtfeld  rein  gefegt,  und  das  feindliche  Geschwader 
hatte  Zeit  gehabt,  sich  nach  Chios  zu  retten.  Die  Hauptsache  aber 
war  vollständig  erreicht;  die  peloponnesische  Macht,  welche  das  Meer 
widerstandslos  beherrscht  hatte,  war  vernichtet,  die  eingeschlossene 
Flotte  Konons,  der  Kern  der  attischen  Seemacht,  war  frei  und  ver- 
einigte sich  unversehrt  mit  der  siegreichen  Flotte. 

Die  Arginusenscblacht  war  der  gröfste  Seekampf,  welcher  im 
ganzen  Kriege  staltgefunden  hat;  J275  Schiffe  waren  mit  einander  im 
Kampfe,  also  noch  fünf  mehr  als  in  der  grofsen  Flottenschlacht  bei 
Sybota  (S.  367).  Die  Spartaner  wurden  durch  die  Nachricht  von  der 
Niederlage  um  so  mehr  entmuthigt,  je  hoffnungsreicher  sie  Kalli- 
kratidas  auf  seiner  Siegesbahn  gefolgt  waren.  Es  war  vorauszusehen, 
dass  nach  dieser  Niederlage  die  Perser  sich  wieder  zurückziehen  wür- 
den, da  ihre  Geldzuschüsse  doch  keinen  Erfolg  zeigten.  Von  den 
Ioniern  war  nicht  zu  erwarten,  dass  sie  von  Neuem  zu  einem  kräftigen 
Anschlüsse  sich  bereit  zeigen  würden;  die  sicilischen  Bundesgenossen, 
die  Böotier  und  Euböer  hatten  ihr  Möglichstes  gethan.  Worauf  sollte 
man  noch  die  Hoffnung  eines  besseren  Gelingens  gründen?  Also  ge- 
wann die  Friedenspartei  von  Neuem  das  Ue  berge  wicht,  und  Gesandte 
gingen  nach  Athen,  um  die  Anträge  zu  erneuern,  welche  nach  der 
Schlacht  bei  Kyzikos  gemacht  worden  waren.  Man  wollte  Dekeleta 
räumen,  dessen  fruchtlose  Besetzung  den  Spartanern  selbst  eine  Last 
geworden  war,  und  jeder  Staat  sollte  behalten,  was  er  gegenwärtig  be- 
safs.  Darin  lag  für  Athen  eine  Verzichtleistung  auf  ganz  lonien,  und 
das  war  jetzt,  da  eine  starke  und  siegreiche  Flotte  ohne  Gegner  in 
Samos  lag,  allerdings  eine  schwere  Zumuthung.  Athen  konnte  ja 
ohne  Rückeroberung  des  Seegebiets  seine  Flotte  gar  nicht  unterhalten, 


Digitized  by  Googl 


OLIGAHCUISCHE  UMTRIEBE. 


771 


also  war  der  entscheidende  Kampf  nur  aufgeschoben.  Auch  konnte 
Athen  durch  Warten  nichts  gewinnen,  während  Sparta  einen  Waffen- 
stillstand vortrefflich  benutzen  konnte,  um  seine  Beziehungen  zu  Per- 
sien vollständig  zu  ordnen  und  eine  Macht  zu  rüsten,  welcher  Athen 
schliesslich  doch  unterliegen  musste.  Die  demokratische  Kriegspar  Lei 
gab  also  die  Entscheidung.  Ihr  Sprecher  war  Kleophon,  derselbe, 
welcher  schon  einmal  die  Annahme  der  Friedensvorschläge  Spartas 
vereitelt  hatte  (S.  745).  Auf  seinen  Rath  wurden  sie  jetzt  von  Neuem 
verworfen.  Man  beschloss  den  Krieg  bis  zur  endgültigen  Entschei- 
dung fort  zu  führen;  denn  aller  Wechselfalle  uogeachtet  fühlten  die 
Athener  sich  doch  noch  als  die  geborenen  Herrn  der  See198). 

So  war  es  der  bewunderungswürdigen  Schwungkraft  der  Bürger- 
schaft gelungen,  mit  Aufbietung  der  letzten  Hülfskräfte  das  Waffen- 
glück von  Neuem  zu  erzwingen.  Was  aber  nicht  gelang,  das  war  die 
Herstellung  einer  inneren  Ordnung  und  festen  Haltung  des  Staats, 
ohne  welche  die  glänzendsten  Siege  werthlos  waren.  Es  war  keine 
Bürgerschaft  mehr  vorhanden,  welche  sich  einmüthig  der  Siege  freute; 
ja  es  war  eine  Partei  da,  welcher  jeder  Sieg  im  höchsten  Grade  unwill- 
kommen war,  weil  er  die  Kraft,  welche  noch  im  Volke  vorhanden  war, 
so  glänzend  bezeugte  und  darum  die  Pläne  zum  Umstürze  der  bürger- 
lichen Verfassung  durchkreuzte.  Das  war  die  Partei  der  Oligarchien, 
die  einzige  Partei,  welche  unablässig  ihre  dunklen  Wege  verfolgte ; 
durch  keine  Niederlage  entmuthigt,  durch  jeden  Widerstand  aufs  Neue 
gereizt,  wurde  sie  bei  jedem  Schritte,  den  sie  vorwärts  ging,  in  der 
Wahl  ihrer  Mittel  gewissenloser.  Für  ihre  Zwecke  schien  die  Zer- 
setzung der  Bürgerschaft  mit  Fremden  und  Sklaven  ein  günstiges  Er- 
eigniss  zu  sein,  weil  dadurch  ihre  Fntriguen  um  so  mehr  Aussicht  auf 
Erfolg  hatten.  Auch  war  ihr  nichts  erwünschter,  als  dass  um  jene  Zeit 
das  demokratische  Verfassungswesen  wieder  in  voller  Blüthe  stand,  und 
dass  wieder  Demagogen,  wie  Archedemos,  Kleophon,  Kleigenes  u.  A.  in 
den  Burgerversammlungen  das  grofse  Wort  führten,  Leute,  die  sämt- 
lich ohne  höhere  Bildung  waren,  meistens  fremden  Ursprungs,  und  die 
durch  ihr  rohes  Benehmen  dazu  beitrugen,  den  anständigen  Bürgern 
die  bestehende  Verfassung  der  Stadt  zu  verleiden.  Diese  Leute  waren 
immer  bei  der  Hand,  wo  es  galt,  die  Feldherrn  des  Staats  zu  verfolgen, 
und  machten  sich  also  ebenso  wie  früher,  wissentlich  oder  unwissent- 
lich, zu  Bundesgenossen  der  Oligarchien. 

Der  Schlachtbericht,  welchen  die  Feldherrn  nach  gemeinsamer 

49* 


Digitized  by  Google 


772 


ANKLAGE  HER  FELDHERRN. 


Uebereinkunft  aufgesetzt  hatten,  meldete  einfach,  dass  die  Rettung  der 
Schiffbrüchigen  durch  das  Unwetter  verhindert  worden  sei;  eine 
frühere  Wendung,  in  welcher  Theramenes  und  Thrasybulos  als  die- 
jenigen  namhaft  gemacht  waren,  welche  den  Auftrag  zur  Rettung  er- 
halten hätten,  war  auf  Antrag  des  Perikles  und  Diomedon  weggelassen 
worden ;  man  wollte  zur  persönlichen  Verdächtigung  durchaus  keine 
Handhabe  geben  und  in  echter  Collegialität  Alles  gemeinsam  vertreten. 
Das  Volk  aber  war  für  den  Tag,  an  welchem  der  Schlachtbericht  zur 
Vorlesung  kommen  sollte,  auf  das  Wirksamste  bearbeitet  worden. 
Anstatt  denselben  mit  Dank  gegen  die  Götter  anzuhören,  kam  schon 
bei  Erwähnung  der  Schiffbrüchigen  auf  einmal  eine  wilde  Leiden- 
schaft zum  Ausbruche.  Man  tobte  gegen  die  pflichtvergessenen  Feld- 
herrn, und  die  Antwort,  welche  man  ihnen  auf  den  Bericht  eines 
Siegs,  der  die  kühnsten  Erwartungen  überbot,  ertheilte,  war  ihre 
Amtsentsetzung.  Man  hielt  es  nicht  einmal  für  nöthig,  ihre  Verthei- 
digung  abzuwarten.  Alles  wurde  in  aufgeregter  Hast  überstürzt.  Die 
Salaminia  brachte  den  Beschluss  nach  Samos  und  zugleich  die  Er- 
nennung der  neuen  Feldherrn,  unter  denen  von  den  früheren  nur 
Konon  seinen  Platz  behielt,  weil  er  bei  der  Schlacht  unbetheiligt  ge- 
wesen war. 

Zwei  der  gewesenen  Feldherrn  erkannten  an  diesen  Ergeb- 
nissen den  Stand  der  Dinge  in  Athen  und  zogen  es  vor,  in  frei- 
willige Verbannung  zu  gehen.  Einer  war  in  Mytilene  gestorben ;  die 
sechs  Anderen,  ihrer  guten  Sache  gewiss,  kehrten  nach  Athen  zurück. 

Erasinides  war  das  erste  Opfer.  Er  wurde  von  Archedemos,  dem 
damaligen  Wortführer  der  Bürgerschaft,  wegen  linterschleif  und 
schlechter  Amtsführung  angeklagt  und  in  Haft  gebracht.  Die  Andern 
erstalteten  im  Rathe  mündlichen  Bericht  Nach  Anhörung  desselben 
stellte  der  Rathsherr  Timokrates  den  Antrag,  dass  die  Feldherrn 
wegen  Verabsäumung  der  Rettung  von  Schiffbrüchigen  der  Bürger- 
schaft gebunden  zum  Gericht  übergeben  werden  sollten.  Mit  An- 
nahme dieses  Antrags  erklärte  der  Rath  die  Sache  für  eine  so  wichtige 
Staatsangelegenheit,  dass  sie  unmittelbar  vor  das  Volk  gebracht  wer- 
den musste,  und  zwar  erfolgte  diese  Ueberweisung  unter  den  denkbar 
härtesten  Formen.  Die  Gefangennehmung  sollte  die  Feldherrn  ver- 
hindern, ihr  persönliches  Ansehen  bei  ihren  Mitbürgern  geltend  zu 
machen ;  die  Bürgerschaft  wurde  durch  das  Aufserordentliche  der  ein- 
leitenden Mafsregeln  in  Aufregung  versetzt,  und  so  war  denen,  welche 


Digitized  by  Go 


DER  FELDHERRNPROZESS  (OCT.  408).  773 

die  eigentlichen  Anstifter  waren,  ihr  Spiel  bedeutend  erleichtert.  Ihr 
Wortführer  war,  von  dem  die  Feldherrn  am  wenigsten  einen  Vorwurf 
erwarten  konnten,  kein  anderer  als  Theramenes. 

Theramenes  war  durch  den  Sturz  der  Vierhundert  ein  Freiheits- 
held  geworden  und  stand  bei  den  Bürgern  eine  Zeit  lang  in  höchster 
Gunst.  Er  hatte  den  Auftrag  erhalten,  die  Brücke  zu  zerstören, 
welche  Euboia  und  Böotien  im  Rücken  von  Athen  wie  zu  einer  Land- 
schaft verband.  Dies  war  ihm  nicht  gelungen.  Dann  aber  hatte  er 
auf  den  Inseln  die  allen  Verfassungen  hergestellt ;  er  hatte  an  dem 
hellespontischen  Kriege  rühmlichen  Antheil  genommen  und  das  Ge- 
schwader bei  Chrysopolis  (S.  746)  befehligt.  Dabei  fand  er  aber  für 
seinen  Ehrgeiz  keine  Befriedigung.  Anstatt  die  erste  Rolle  zu  spielen, 
fühlte  er  sich  unbeachtet,  und  da  ihm  dies  unerträglich  war,  ging  der 
wankelmüthige  Mann,  dem  es  auf  keiner  Seite  Ernst  war,  von  Neuem 
zu  der  verfassungsfeindlichen  Partei  hinüber,  indem  er  mit  aller 
Leidenschaftlichkeit  darauf  hinarbeitete,  seiner  Vaterstadt  die  ge- 
wonnenen Vortheile  wieder  zu  entreifsen ;  denn  er  war  klug  genug, 
um  zu  erkennen,  dass  die  Bürgerschaft  nur  durch  die  gröfste  Ver- 
wirrung und  die  äufserste  Kriegsnoth  dahin  gebracht  werden  könne, 
«nut  ihre  Verfassung  zu  verzichten  und  die  Partei  der  Oligarchen  an 
das  Ruder  zu  lassen.  Obgleich  er  nun  bei  dem  vorliegenden  Falle  in 
der  Weise  betheiligt  war,  dass,  wenn  irgend  Einer  am  Tode  der  Schiff- 
brüchigen Schuld  hatte,  er  der  Schuldige  war,  so  war  er  dennoch  ent- 
schlossen, diese  Gelegenheit  für  seine  Parteizwecke  auszubeuten  und 
den  Feldherrn  die  rücksichtsvolle  Milde,  welche  sie  gegen  ihn  geübt 
hatten,  dadurch  zu  vergelten,  dass  er  als  ihr  Ankläger  auftrat  und  sie 
für  die  Versäumniss  der  religiösen  Pflichten  verantwortlich  machte. 
Athen  war  seit  Jahren  ein  Schauplatz  der  unwürdigsten  Parteiränke; 
dass  aber  Jemand  auf  diese  Weise  eine  schlechte  Sache  zu  seinem 
Vortheile  umzuwenden  und  die  eigene  Schuld  Anderen  zuzuschieben 
wusste,  das  war  ein  unerhörtes  Meisterstück  selbstsüchtiger  Intrigue, 
deren  Gelingen  einen  Begriff  von  den  zerrütteten  Zuständen  der 
Stadt  giebt. 

Das  ganze  Verfahren  war  offenbar  wieder  darauf  berechnet,  dass 
der  Theil  der  Bürgerschaft,  in  welchem  noch  Muth  und  Rechtsgefühl 
vorhanden  war,  die  ganze  kampfrüstige  Mannschaft,  abwesend  war  und 
nur  eine  Minderzahl,  darunter  viele  schwache  und  alte  Leute,  die 
Bürgerversammlung  bildete.  Es  fehlte  an  Hütern  des  Rechts,  und  so 


Digitized  by  Google 


774 


DER   FELI)HERR>'PROZESS  (OCT.  406). 


begann  der  ganze  Prozess  damit,  dass  den  Angeklagten  die  Freiheit 
der  Verteidigung  rechtswidrig  beschränkt  wurde,  während  doch  noch 
vor  Kurzem  jener  Arislarchos  (S.  733),  welcher  offenkundig  eine 
attische  Gränzfestung  an  die  Feinde  verrathen  hatte,  nachdem  er  den 
Athenern  in  die  Hände  gerathen  war,  eine  unumschränkte  Zeit  zu 
seiner  Verteidigung  erhalten  hatte.  Den  Feldherrn  aber,  welche  an 
einem  Tage  Athen  das  Meer  zurückerobert  hatten,  erlaubte  man  nur, 
kurz  den  Thalbestand  zu  erzählen,  als  wenn  das  Staatsheil  davon  ab- 
hinge, dass  der  peinliche  Prozess  lieber  heute  als  morgen  zu  Ende  ge- 
führt werde.  Aber  gerade  die  kurze  Darstellung,  von  jedem  Schmucke 
entblöfst,  getragen  von  der  edlen  Persönlichkeit  unbescholtener  Männer, 
zeugte  unwidersprechlich  für  ihre  Unschuld ,  und  da  die  Bürgerschaft 
nun  darüber  zu  entscheiden  hatte,  ob  die  vom  Rathe  an  sie  gebrachte 
Klage  anzunehmen  sei,  so  zeigte  sich  jetzt  die  Mehrzahl  zur  Ablehnung 
bereit.  Die  Abstimmung  sollte  beginnen,  [und  das  Ergebnis»  schien 
nicht  zweifelhaft.  Es  blieb  also  den  zum  Untergang  der  Feldheim 
Verschworenen  kein  anderes  Mittel,  als  durch  einen  raschen  Streich 
die  Vertagung  des  Prozesses  durchzusetzen;  die  Dämmerung  hiefs  es, 
sei  schon  eingetreten,  und  dadurch  würde  das  Zählen  der  Hände  bei 
der  Abstimmung  unsicher.  Dazu  war  es  aber  noch  hell  genug,  um 
durch  schleunige  Abstimmung  den  Beschluss  durchzusetzen,  dass  der 
Rath  auf  dem  nächsten  Bürgertag  einen  Antrag  darüber  einbringen 
solle,  nach  welchem  Gesetze  die  Angeklagten  gerichtet  werden  sollten. 
Das  war  ein  ordnungswidriges  Zusammenziehen  ganz  verschiedener 
Akte  des  Gerichtsverfahrens,  da  die  Annahme  der  Klage  von  Seiten 
der  Bürgerschaft  noch  gar  nicht  entschieden  war.  Gleichzeitig  wurde 
den  attischen  Grundrechten  zuwider  die  Stellung  von  Bürgen  für  die 
Verhafteten  abgelehnt.  So  wussten  die  Verschwornen  ihre  Nieder- 
lage in  Vortheile  umzukehren. 

Um  nun  die  gewonnene  Frist  erfolgreich  zu  benutzen,  kam  ihnen 
der  Umstand  zu  Gute,  dass  gerade  in  diese  Tage  des  Pyanopsion  (Oo 
tober)  das  Fest  der  Apaturien  fiel,  das  attische  Familienfest,  wo  alle 
diejenigen,  welche  zu  einem  Geschlechtsverbande  gehörten,  sich  zu 
gemeinsamen  Opfern  vereinigten  (I,  374)  und  wo  also  alle  Gefühle  der 
Blutsverwandtschaft  in  der  ganzen  Stadt  lebhaft  angeregt  waren.  Da 
hatte  Theramenes  erwünschte  Gelegenheit,  Bürger  und  Bürgerfrauen 
gegen  die  Feldherrn  aufzuregen,  und  obgleich  sich  gar  nicht  bestimmen 
liefe,  wie  viele  von  den  Vermissten  im  Kampfe  gefallen  wären  und  wie 


Digitized  by  Google 


DER  FELDHERRNPROZESS  (OCT.  4M). 


775 


viele  etwa  durch  ein  nachträgliches  Durchsuchen  des  Schlachtfeldes 
noch  hätten  gerettet  werden  können,  so  hiefs  es  nun  doch,  die  Feld- 
herrn seien  Schuld  daran,  dass  am  Apaturienfeste  diesmal  Alles  in 
schwarzen  Gewändern  und  mit  geschorenem  Haupte  erscheine;  an 
ihnen  müsse  Blutrache  genommen  werden,  da  sie  die  heiligste  Feld- 
herrnpflicht gewissenlos  verabsäumt  hätten.  So  wurde  durch  schänd- 
lichen Missbrauch  der  menschlichen  Gefühle  ein  neuer  Sturm  von 
Leidenschaft  heraufbeschworen,  und  wie  diese  auf  ihrer  Höhe  war,  be- 
gann die  zweite  Bürgerversammlung. 

Sie  wurde  durch  ein  Rathsdekret  eröffnet,  welches  Kallixenos  ab- 
gefasst  hatte,  ein  Mann,  der  seinen  Namen  dadurch  gebrandmarkt  hat, 
dass  er  sich  wider  Ehre  und  Gewissen  zum  Werkzeuge  der  verrätheri- 
schen  Partei  hat  machen  lassen.  In  diesem  Dekrete  war  von  einer  er- 
neuten ruhigen  Erwägung  des  Thathestandes  keine  Rede  mehr;  Anklage 
und  Vertheidigung  erschienen  wie  abgelhan ;  Einer  sollte  wie  der  An- 
dere (kurzweg  abgeurteilt  werden.  Das  ganze  Verfahren  war  aber  in 
einer  durchaus  ungewöhnlichen  Form  angeordnet.  Es  sollte  nämUch 
die  ganze  Bürgerschaft,  nach  Phylen  geordnet,  zusammentreten,  wie  es 
bei  Aufnahme  oder  Ausweisung  eines  Bürgers  Herkommen  war.  Es 
wurden  also  auf  dem  Markt  von  Athen  zehn  Abiheilungen  gemacht, 
und  in  jeder  derselben  sollten  zwei  Urnen  aufgestellt  werden,  an  denen 
die  Abstimmenden  einzeln  vorübergingen.  Ein  Herold  sollte  in  jeder 
der  Abtheilungen  verkünden,  diejenigen,  welche  der  Meinung  seien, 
dass  die  Feldherrn  durch  Verabsäumung  der  Schiffbrüchigen  gefrevelt 
hätten,  sollten  in  die  vordere  Urne  abstimmen,  die  andern  in  die 
hintere. 

Dies  ganze  Verfahren  kann  keinen  andern  Zweck  gehabt  haben, 
als  Einschüchterung  der  Bürger.  Denn  da  die  Urnen,  wie  wir  voraus- 
setzen müssen,  frei  aufgestellt  waren,  und  mit  einem  Stein  abgestimmt 
wurde,  so  konnte  jede  Abstimmung  controlirt  werden.  Wer  also  an 
der  ersten  vorbeiging  ohne  seinen  Stein  einzulegen,  wurde  sofort  als 
ein  Bürger  erkannt,  von  dem  man  sagen  konnte,  dass  er  gegen  die  Ver- 
letzung der  heiligsten  Pflichten  gleichgültig  sei,  und  setzte  sich  von 
Seiten  des  fanatisirten  Haufens  persönlichen  Gefahren  aus.  Denn  man 
ruhte  nicht  Alles  anzuwenden,  was  die  Gemüther  erhitzen  konnte. 
Wurde  doch  zuletzt  noch  Einer  vorgeführt,  der  sich  in  einer  Kornmulde 
aus  der  Seeschlacht  gerettet  haben  wollte.  Er  schilderte  den  jammer- 
vollen Untergang  seiner  Kameraden,  welche  ihm,  im  Falle,  dass  er  die 


Digitized  by  Google 


776 


EURYPTOLEMOS*  GEGENANTRAG 


Heimath  nieder  sähe,  den  Auftrag  ertheilt  hätten,  Alles  zu  thun,  damit 
die  Feldherrn  für  ihre  Gottlosigkeit  zur  Strafe  gezogen  würden. 

Aber  auch  das  Recht  fand  seine  Vertreter,  und  es  fehlte  nicht  an 
Männern,  welche  zum  Schutze  desselben  die  Waffe  anwendeten,  deren 
Gebrauch,  wenn  je,  so  jetzt  an  seiner  Stelle  war,  nämlich  die  Klage 
wegen  Gesetzwidrigkeit.  Sie  wurde  von  Euryptolemos,  dem  Sohne  des 
Peisianax,  gegen  Kallixenos  eingebracht;  und  wenn  die  ehrwürdigsten 
Rechtsordnungen  nicht  gebrochen  werden  sollten,  so  musste  diese 
Zwischenklage  erst  in  einer  besonderen  Gerichtsverhandlung  erledigt 
werden,  ehe  dem  Rathsautrage  weitere  Folge  gegeben  werden  konnte. 
Die  Wirkung  war  aber  keine  andere,  als  dass  das  Volk  über  die  Störung 
entrüstet  war  und  gegen  diejenigen  tobte,  welche  es  hindern  wollten 
seinen  Willen  zu  haben.  Ja,  ein  gewisser  Lykiskos  durfte  den  Antrag 
stellen,  dass  man  jeden  Einredenden,  als  einen  Mitschuldigen,  gleich 
mitrichten  solle,  und  den  Prytanen,  d.  h.  den  Mitgliedern  derjenigen 
Rathssektion,  welche  zur  Zeit  die  Geschäflsleitung  hatte,  wurde  zuge- 
muthet,  über  die  Gegenklage  zur  Tagesordnung  überzugehen  und  die 
Bürgerschaft  abstimmen  zu  lassen.  Die  Prytanen,  welche  für  jeden 
Verfassungsbruch  persönlich  verantwortlich  waren,  sträubten  sich;  sie 
wurden  aber  durch  die  wilden  Drohungen  des  Kallixenos,  der  gegen  sie 
dasselbe  vorbrachte,  was  Lykiskos  gegen  Euryptolemos  beantragt  hatte, 
eingeschüchtert  und  gaben  nach,  alle  bis  auf  einen  Mann,  welcher 
unter  den  Prytanen  für  den  Tag  der  Versammlung  durch  das  Loos 
den  Vorsitz  hatte;  das  war  Sokrates,  des  Sophroniskos'  Sohn,  welcher 
standhaft  erklärte,  dass  er  sich  durch  keine  Gewalt  bestimmen  lasse, 
gegen  die  Gesetze  der  Stadt  zu  handelu. 

Inzwischen  hatte  Euryptolemos  mit  seinen  Genossen  einen  andern 
Weg  gefunden,  auf  dem  er  sicherer  zum  Ziele  zu  kommen  hoffte  Er 
zog  die  Klage  wegen  Gesetzwidrigkeit  zurück  und  stellte  nun  dem  Se- 
natsdekrete des  Kallixenos  einen  Gegenantrag  gegenüber,  für  welchen 
er  von  dem  Vorsitzenden  das  Wort  erhielt.  Dadurch  verschaffte  er  sich 
Gelegenheit,  zur  Verlheidigung  der  Angeklagten  zu  reden  und  eine  Reihe 
einzelner  Umstände  in  das  Gedächtniss  zu  rufen,  ohne  sich  dem  des- 
potischen Willen  der  Menge  schroff  entgegenzustellen. 

Mit  grofser  Klugheit  verlangte  er,  dass  nach  den  strengsten  Ge- 
setzen, welche  über  Vergeh ungen  gegen  die  Bürgerschaft  bestehen,  nach 
dem  Gesetze  des  Kannonos  und  nach  dem  über  Tempelschänder  und 
Landesverräther  vorgegangen  werden  solle;  aber  es  solle,  wie  es  der 


Digitized  by  Google 


E.NDE  DES   FEL l) HERR NPROZESS ES  (406  OCT.)- 


777 


schuldigste  Verbrecher  beanspruchen  dürfe,  über  jede  Person  eine  be- 
sondere Untersuchung  angestellt  werden. 

'Das  Verhalten  der  Feldherrn',  sagteer,  'ist  in  der  Schlacht  ein  sehr 
'verschiedenartiges  gewesen.  Einer  von  ihnen,  Lysias  (der  an  Stelle 
'des  gefallenen  Arcbestratos  nachgewählt  worden  war),  hat  ja  selbst  zu 
'denen  gehört,  welche  eine  Zeillang  hülfsbedürftig  auf  einein  Wrack 
'herumgeschwommen  sind;  wie  kann  derselbe  in  gleicher  Weise  mit 
'den  Uebrigen  behandelt  werden?  Wer  von  den  Schiffbrüchigen  ge- 
'rettet  ist,  bezeugt  den  Feldherrn,  dass  sie  weise  und  pflichlgemäfs  ihre 
'Anordnungen  getroffen  haben.  Haben  dieselben  ihren  Zweck  nicht  er- 
reicht, so  geziemt  es  sich,  dafür  diejenigen  verantwortlich  zu  machen, 
'welchen  die  Ausführung  der  Befehle  anvertraut  war,  wenn  man  nicht 
'für  Alle  das  Sturm  weiter  als  hinlänglichen  Entschuldigungsgrund  gelten 
'lassen  will.  Für  die  Schuldigen  verlange  ich  keine  Gnade,  aber  wie 
'könnt  ihr  das,  worauf  selbst  der  überführte  Landesverrälher  Anspruch 
'hat,  rechtliches  Verhör  und  ordnungsmäfsiges  Verfahren,  bei  einer  so 
'schwierigen  Rechtsfrage  denen  vorenthalten,  welche  siebzig  Schiffe 
'eurer  Feinde  vernichtet  und  euren  Staat  geradezu  gerettet  haben? 
'Wenn  ihr  also  nicht  den  La kedä moniern  in  die  Hände  arbeiten,  eure 
'Stadt  entehren  und  euer  Gewissen  belasten  wollt,  so  gebt  den  Feld- 
'herrn  ihr  volles  Recht;  bestimmt  einen  Tag  und  lasst  an  demselben 
'ordnungsmäfsig  erst  über  die  Annahme  der  Klage  abstimmen,  dann 
'die  Klage  selbst  vorbringen  uud  endlich  jeden  Einzelnen  seine  Sache 
führen !' 

Ueber  diesen  Gegenantrag  kam  es  nun  wirklich  zur  Abstimmung 
und  dieselbe  nahm  schon  eine  günstige  Wendung.  Da  erfolgte  ein 
neuer  verabredeter  Zwischenfall.  Es  wird  plötzlich  durch  die  Ein- 
sprache eines  gewissen  Menekles  Aufschub  erwirkt;  es  war  vielleicht 
die  Anmeldung  eines  ungünstigen  Himmelszeichens,  wodurch  ja  in 
Athen  jeder  einzelne  Bürger  berechtigt  war,  öffentliche  Verhandlungen 
zu  unterbrechen;  die  erlangte  Frist  wird  von  den  Versen wornen 
wieder  zur  Aufreizung  und  Einschüchterung  der  Bürger  benutzt,  und 
der  Eindruck  der  letzten  Rede  verwischt  sich.  Als  daher  die  Abstim- 
mung wieder  aufgenommen  wird,  fällt  der  Gegenantrag;  der  Antrag 
des  Raths  geht  durch,  das  Todesurteil  wird  gefallt,  und  die  Feld- 
herrn werden  den  Elfmännern  zur  Hinrichtung  übergeben. 

So  starb  der  Sohn  des  Perikles  und  der  Aspasia,  dem  sein  Vater 
mit  dein  attischen  Bürgerrechte  ein  verhängnissvolles  Geschenk  ge- 


Digitized  by  Google 


778 


POLITISCHE  PARTEIEN  IM  FELDHERRNPROZESS. 


macht  hatte  (S.  414);  und  mit  ihm  Erasinides,  Thrasylos,  Lysias, 
Aristokrates  und  Diomedon.  Diomedon,  der  schuldloseste  von  allen, 
welcher  die  ganze  Flotte  sofort  zur  Aufsuchung  der  Schiffbrüchigen 
hatte  verwendet  wissen  wollen,  sprach  noch  einmal  zum  Volke:  er 
wünschte,  dass  der  Beschluss  dem  Staate  'zum  Heile  gereiche,  und 
forderte  seine  Mitbürger  auf,  den  rettenden  Göttern  die  Dankopfer 
darzubringen,  welche  sie,  die  Feldherrn,  für  den  gewonnenen  Sieg 
gelobt  hätten.  Diese  Worte  mögen  Manchen  in's  Herz  gegangen  sein; 
sie  hatten  aber  keine  andere  Wirkung,  als  dass  durch  sie  das  An- 
denken der  Märtyrer  den  späteren  Geschlechtern  um  so  ehrwürdiger 
geworden  ist.  Für  ihre  Unschuld  zeugt  besser,  als  alles  Andere,  die 
Reihe  von  Ränken  und  Gewaltthaten,  deren  es  bedurfte,  um  sie  zu 
verderben,  so  wie  die  Scham  und  Reue,  welche  die  Bürgerschaft 
ergriff,  nachdem  sie  erkannt  hatte,  wie  sehr  sie  durch  eine  ver- 
rälherische  Partei  irre  geleitet  worden  sei199). 

Das  traurige  Nachspiel  des  Arginusensiegs  bleibt  in  vielen  Punkten 
ein  Räthsel,  da  es  sich  um  Umtriebe  handelt,  deren  Urheber  und 
Motive  versteckt  sind.  Es  ist  aber  nicht  möglich,  Theramenes'  Vor- 
gehen gegen  die  Feldherrn  nur  aus  der  Absicht  zu  erklären,  seine 
Person  vor  einem  Prozesse  retten  zu  wollen,  um  so  weniger,  da  eine 
wirkliche  Gefahr  für  ihn  gar  nicht  nachzuweisen  ist.  Es  kann  nur  eine 
Parteimacht  gewesen  sein,  welche  die  Bürger  umstrickte,  und  wir 
können  in  ihr  nur  die  der  Oligarchen  erkennen.  Sie  waren,  weil  sie 
die  Minorität  bildeten,  immer  auf  Schleichwege  angewiesen  und  darin 
Meisler.  Sie  hatten  ihre  Werkzeuge  in  Rath  und  Bürgerschaft.  Vom 
Antrage  des  Timokrates  an  war  Alles  abgekartet,  jeder  Fall  vorgesehen, 
alle  Mittel  vorbereitet  von  schmeichelnder  Ueberredung  bis  zum  gröb- 
sten Terrorismus  gegen  alle  besonnenen  und  verfassungstreuen  Bürger, 
welche  es  für  ihre  Pflicht  hielten,  eine  zu  ruhiger  Erwägung  unfähige, 
leidenschaftlich  erregte  Volksmenge  vor  blutiger  Entscheidung  über 
das  Leben  hochverdienter  Athener  zurückzuhalten.  Charakteristisch 
ist  für  die  Oligarchen  die  Benutzung  solcher  Zeiten,  wo  das  Heer  von 
Athen  abwesend  ist,  die  Ausbeutung  religiöser  Motive  zu  politischen 
Zwecken  und  die  Verbindung  mit  der  Priesterschaft;  ferner  die  Arg- 
list in  Anwendung  von  Rechtsnormen,  welche  den  Parteizwecken  an- 
bequemt werden,  ohne  dass  man  genau  angeben  kann,  wo  die  Rechts- 
verletzung beginnt.  Wenn  die  von  ihnen  verachtete  Menge  sich  durch 
methodische  Aufhetzung  allmählich  so  erhitzen  und  verblenden  lässt, 


Digitized  by  Google 


DER  FORTGANG   DES  KRIEGS. 


779 


dass  sie  als  willenloses  Werkzeug  dazu  dient,  die  Demokratie  zu  ent- 
ehren und  dem  Staate  die  Früchte  der  glorreichsten  Siege  zu  rauben, 
so  war  der  Anschlag  der  oligarchischen  Partei  gelungen,  welcher  jeder 
Triumph  der  Demokratie  ein  Aergerniss  war. 


Auch  in  Beziehung  auf  die  auswärtigen  Verhältnisse  blieb  der 
Sieg  bei  den  Arginusen  unbenutzt;  es  wurde  nichts  erreicht,  als  die 
Befreiung  von  Lesbos,  obgleich  Sparta  augenblicklich  ganz  ohnmächtig 
war.  Kyros  hatte  seine  für  die  Peloponnesier  bestimmten  Gelder  aus- 
gegeben und  kümmerte  sich  nicht  um  die  geschlagene  Flotte;  den 
Spartanern  war  der  Muth  gebrochen.  Eteonikos  lag  mit  seinen  Schiffen, 
gänzlich  verlassen  und  von  allen  Mitteln  enlblöfst,  bei  Chios,  wo  seine 
Krieger  sich  als  Tagelöhner  auf  den  Aeckern  der  Insulaner  kümmerlich 
ihren  Lebensunterhalt  verdienten  und  beim  Herannahen  des  Winters 
in  die  bitterste  Noth  geriethen,  so  dass  sie  die  Stadt  der  Chier  zu 
überfallen  beschlossen,  um  sich  Kleidung  und  Lebensmittel  zu  ver- 
schaffen; ein  Plan,  der  nur  durch  die  Geistesgegenwart  des  Eteonikos 
verhindert  wurde.  Während  aber  die  attische  Flotte  von  180  Trieren 
unlhätig  in  Samos  lag,  entwickelte  sich  im  feindlichen  Lager  eine 
grofse  und  erfolgreiche  Betriebsamkeit,  welche  keinen  anderen  Zweck 
hatte,  als  den  Athenern,  die  sich  selbst  ihrer  tüchtigsten  Feldherrn 
beraubt  hatten,  von  Neuem  den  Mann  gegenüber  zu  stellen,  von 
welchem  allein  eine  Beendigung  des  Kriegs  erwartet  werden  konnte200). 

Lysandros  hatte  es  so  eingerichtet,  dass  er  während  seines  Auf- 
enthalts in  Kleinasien  bei  einer  Menge  von  einflussreichen  Leuten 
ehrgeizige  Hoffnungen  erweckt  hatte,  deren  Erfüllung  von  seiner  Person 
abhing.  In  Ephesos  kamen  daher  Abgeordnete  aller  ionischen  Städte 
zusammen,  unter  denen  namentlich  die  Chier  und  Ephesier  das  Wort 
führten.  Die  Ersteren  waren  bei  dem  jetzigen  Stande  der  Dinge  am 
meisten  bedroht;  sie  hatten  nur  durch  neue  Geldopfer  eine  Brand- 
schatzung von  Seiten  ihrer  eigenen  Bundesgenossen  abwenden  können. 
Den  Handelsleuten  in  Ephesos  lag  Alles  daran,  dass  endlich  Friede 
würde  und  der  gewinnreiche  Verkehr  mit  Sardes,  das  als  Sitz  eines 
Vicekönigs  eine  neue  Bedeutung  erhallen  hatte,  ihnen  ungestört  zu 
Gute  komme.  Die  Städte  setzten  sich  also  mit  Kyros  in  Verbindung 
und  schickten  mit  ihm  gemeinschaftlich  eine  Gesandlschaft  nach 
Sparta,  um  bei  den  dortigen  Behörden  mit  allem  Nachdrucke  darauf 


Digitized  by  Google 


7S0 


LYSANDROS  HERR  DES  MEERS  (405  FRÜHJAHR). 


zu  dringen,  dass  Lysandros  Ton  Neuem  als  Flottenführer  nach  lonien 
gesendet  werde.  Die  Gewährung  dieses  Anliegens  hatte  einige  Schwie- 
rigkeit, denn  ein  Staatsgesetz  bestimmte  ausdrücklich,  dass  Keiner 
zum  zweiten  Male  jenes  Amt  bekleiden  dürfe.  Allein  da  die  Friedens- 
partei nach  Abweisung  der  letzten  Friedensvorschläge  machtlos  war 
und  die  Mittel  zur  Fortsetzung  des  Kriegs  nur  von  aufsen  kommen 
konnten,  da  die  zehn  Abgeordneten  des  Kyros  reichliche  Soldzahlungen 
in  Aussicht  stellten,  und  die  Partei  des  Lysandros  die  Anträge  kräftig 
unterstützte:  so  wurde  nach  kurzem  Parteikampfe  ein  Weg  ausfindig 
gemacht,  um  das  Gesetz  zu  umgehen.  Die  Ephoren  setzten  es  durch, 
dass  dem  im  Herbst  406  zum  Epistoleus  d.  h.  zum  stellvertretenden 
Befehlshaber  erwählten  Lysandros  an  Stelle  des  Eteonikos  das  Com- 
mando  der  Seemacht  übergeben  wurde.  Der  Admiral  Arakos  blieb  in 
Sparta  zurück,  und  Lysandros  war  unumschränkter  Herr  der  Lage*01). 

Mit  dem  Anfang  des  Jahres  405  nahm  nun  der  ganze  Krieg  eine 
neue  Wendung.  Lysandros  war  wieder  in  Ephesos,  inmitten  aller  jener 
Verbindungen,  welche  er  vor  zwei  Jahren  angeknüpft  hatte;  alle 
Parteigänger,  welche  von  ihm  allein  die  Belohnung  ihrer  Dienste  und 
die  Befriedigung  ihres  Ehrgeizes  zu  erwarten  hatten,  schaarten  sich 
um  ihn,  um  die  Gunst  der  Umstände,  deren  Dauer  Niemand  verbürgen 
konnte,  so  rasch  wie  möglich  zu  benutzen.  Eben  so  spannte  Lysandros 
alle  Kräfte  an,  um  sein  begonnenes  Werk  zu  vollenden ;  er  sah  sich 
jetzt  zu  Hause  und  bei  den  Bundesgenossen  als  den  Unentbehrlichen 
anerkannt;  das  Schicksal  Griechenlands  war  in  seine  Hände  gelegt. 
Da  er  bei  Kyros  die  eifrigste  Unterstützung  fand,  so  hatte  er  die  Hände 
voll  Geld.  Alle  Rückstände  an  Sold  wurden  ausgezahlt,  die  alten 
Truppen  neu  gerüstet,  frisches  Kriegsvolk  strömte  herbei,  die  zer- 
streuten Geschwader  wurden  zusammengezogen  und  die  Werften  bei 
Antandros  (S.  760)  wieder  in  volle  Thätigkeit  gesetzt.  Die  bedenk- 
lichen Nachrichten,  welche  über  den  Gesundheitszustand  des  Grofs- 
königs  in  Sardes  einliefen,  kamen  ebenfalls  dem  Lysandros  zu  Gute; 
denn  sie  bestimmten  Kyros,  sich  den  lakedämonischen  Feldherrn  so 
eng  als  möglich  zu  verpflichten,  um  für  den  Fall  des  Thronwechsels 
unbedingt  auf  ihn  zählen  zu  können.  Er  beschied  ihn  also  nach  Sardes 
(um  den  Februar),  erneuerte  seine  Versprechungen,  verhiefs  die  phö- 
nikische  Flotte  herbeizuziehen,  machte  ihn  während  seiner  Reise  nach 
Medien  zu  seinem  Stellvertreter  und  übergab  ihm  seinen  Schatz  und 
seine  Einkünfte.  Noch  vor  Ende  des  Winters  kehrte  Lysandros  an 


Digitized  by  Google 


DIE  FLOTTEN  IM  HELLESPOINT. 


781 


die  Küste  zurück  und  schaltete  in  den  Städten  Ioniens  so,  dass  seine 
Freunde  und  seine  Feinde  erkennen  konnten,  was  sie  von  ihm  zu  er- 
warten hätten. 

Das  deutlichste  Beispiel  seiner  Politik  erlebte  Miletos.  Hier  hatte 
sich  während  der  Zeit  seiner  Entfernung  vom  Oberbefehl  die  oligarchi- 
sche  Partei,  welche  durch  ihn  an  das  Ruder  zu  kommen  hoffte,  mit 
ihren  Gegnern  verlragen,  und  dem  Scheine  nach  bezeugte  Lysandros 
über  diese  friedliche  Vereinbarung  volle  Zufriedenheit.  Unter  der  Hand 
aber  machte  er  seinen  Parteigenossen  die  bittersten  Vorwürfe  und 
reizte  sie  auf  alle  Weise  zu  einem  Gewaltstreiche.  Dann  kam  er  selbst, 
als  er  die  Vorbereitungen  getroffen  wusste,  um  die  Zeit  der  Dionysien 
nach  Milet,  bedrohte  auch  jetzt  auf's  Strengste  alle  Unruhstifter,  um 
die  verfassungstreuen  Bürger  sicher  zu  machen,  und  erreichte  es  durch 
solche  Arglist,  dass  der  Umsturz  der  Demokratie  rasch  und  vollständig 
gelang,  und  zwar  in  einer  so  gründlichen  Weise,  dass  in  einem  furcht- 
baren Blutbade  die  demokratische  Partei  so  gut  wie  völlig  ausgerottet 
wurde;  was  sich  retten  konnte,  flüchtete  zum  Pharnabazos,  welcher 
sich  der  Unglücklichen  grofsmülhig  annahm80*). 

Nach  vollendeten  Rüstungen  war  nun  Lysandros  im  Frühjahr 
schlagfertig  und  eines  nahen  Siegs  gewiss.  Diesmal  brauchte  er  sich 
vor  keinem  gefährlichen  Gegner  ängstlich  zurückzuhalten;  denn  er 
wusste,  wie  es  mit  der  feindlichen  Flotte  stehe,  er  hatte  unter  ihren 
Führern  seine  Mitverschworenen ;  er  konnte  sich  also  kühn  als  Herrn 
der  See  zeigen,  ohne  der  Weisung  des  Kyros  untreu  zu  werden, 
welcher  ihn  dringend  von  jedem  gewagten  Unternehmen  abgemahnt 
hatte.  Er  durchkreuzte  das  ganze  Meer,  machte  Landungen  in 
Aigina  und  Atüka,  wo  er  mit  König  Agis  eine  Zusammenkunft  hatte, 
und  ging  dann  rasch  nach  dem  Hellespont,  wo  sich  das  Schicksal 
Athens  entscheiden  sollte.  Er  griff  Lampsakos  an,  das  eine  attische 
Besatzung  hatte,  und  die  reiche  Stadt  fiel  mit  allen  Vorräthen  in  seine 
Hände,  ehe  die  attische  Flotte  zum  Schutze  herankommen  konnte. 

Die  Athener  lagerten  sich  Lampsakos  gegenüber,  in  einer  offenen 
Bucht,  in  welche  der  Ziegen  Aus  s  (Aigospotamoi)  mündete,  15  Stadien 
von  Sestos.  Der  Lagerplatz  war  der  Art,  dass  seine  Wahl  nur  den 
Zweck  haben  konnte,  Lysandros  aus  seinem  bequemen  Hafen  zum  An- 
griffe herbeizulocken;  zu  einem  längeren  Verweilen  konnte  kein  Platz 
ungünstiger  sein;  denn  es  war  keinerlei  Schutz  vorhanden  und  keine 
Stadt  in  der  Nähe,  von  wo  sich  die  Truppen  versorgen  konnten,  so 


Digitized  by  Google 


782 


DIE  ATTISCHE  FLOTTE  BEI  AIGOSI'üTAMOI. 


dass  sie  täglich  eine  Vierlelmeile  über  Land  gehen  mussten,  um  sich 
die  nöthigen  Lebensmittel  zu  verschaffen.  Nichts  desto  weniger  blieb 
die  Flotte,  und  zwar  in  einem  Zustande,  der  auch  unter  den  günstig- 
sten Verhältnissen  jeden  kriegerischen  Erfolg  hätte  lähmen  müssen. 
Denn  einer  wohlgeschulten[und  woh  Ige  pflegten  Kriegsmacht  gegenüber, 
die  der  Wille  eines  eben  so  klugen  wie  unternehmenden  Feldherrn 
unbedingt  lenkte,  war  sie,  die  letzte  Flotte,  welche  Athen  aufzubringen 
vermochte,  wie  Athen  selbst,  in  sich  uneins  und  von  Parteien  zer- 
risseu;  die  buntgemischte  Mannschaft  ohne  Mannszucht,  ohne  Zu- 
sammenhang und  sittliche  Haltung,  von  sechs  Feldherrn  befehligt,  die 
ganz  verschiedene  Zwecke  verfolgten.  Oberfeldherr  war  der  wackere 
Konon,  welcher  persönlich  die  volle  Befähigung  so  wie  den  ernsten 
Willen  hatte,  die  Ehre  der  attischen  Waffen  aufrecht  zu  erhalten;  aber 
er  hatte  nur  einen  kleinen  Theil  der  Mannschaft,  den  Kern  der  Bürger, 
auf  den  er  sich  verlassen  konnte,  und  seine  Thäligkeit  war  gelähmt 
durch  seine  Amtsgenossen,  welche  durch  Ungeschick  oder  durch  ver- 
rätherische  Gesinnung  dem  Feinde  in  die  Hände  arbeiteten.  Zu  diesen 
Letzteren  gehörte  Adeimantos,  des  Leukolophides  Sohn  (S.  762),  wel- 
chen Konon  später  offen  des  Venraths  anschuldigen  konnte.  Er  war 
einer  der  Oligarchen,  welche  nicht  wollten,  dass  Athen  siegte,  und 
die  beiden  Feldherrn  Menandros  und  Tydeus  gehörten  wahrscheinlich 
derselben  Partei  an,  welche  auch  sonst  im  Heere  ihren  Anhang  hatte, 
während  Philokles  ein  unbesonnener  Polterer  war,  welcher  die  Gefahr 
gar  nicht  erkannte  und  den  Feind  geringschätzte.  Mit  solchen  Amts- 
genossen vereint,  musste  Konon  die  Widerstandsfähigkeit  der  Flotte 
von  Tag  zu  Tag  schwinden  sehen;  er  war  in  einer  verzweillungsvollen 
Lage;  wer  sehen  wollte,  sah  das  Unglück  herankommen. 

Da  zeigte  sich  noch  eine  letzte  Hoffnung.  ;Alkibiades  bot  sich 
noch  einmal  als  Retter  an.  Er  hatte  nicht  unlhätig  im  Chersonnes 
gesessen,  sondern,  wie  es  seiner  Natur  Bedürfiiiss  war,  zu  einer  glän- 
zenden Wirksamkeit  auch  hier  Gelegenheit  gesucht  und  gefunden.  Er 
stand  wieder  mit  thrakischen  Völkern  in  Verbindung  (S.  748);  ihre 
Könige  suchten  die  Freundschaft  des  Flüchtlings,  der  sich  durch  die 
Ueberlegenheit  seiner  Persönlichkeit  eine  nicht  unbedeutende  Macht, 
eine  fürstliche  Stellung  und  ansehnliche  Schätze  erworben  hatte.  In- 
dem er  die  wilden  Stämme  der  Barbaren  befehdete  und  züchtigte,  war 
er  ein  Wohllhäter  der  griechischen  Küstenstädte  geworden.  Nun  kam 
er  von  seinen  nahen  Besitzungen  herbei  und  bot  den  Athenern  Rath 


Digitizeci  by  Google 


SCHLACHT  BEI   AIGOSPOTAMOI  (»3,  4;  405  AUG.). 


7S3 


und  Hülfe  an.  Vor  Allem  beschwor  er  die  Feldherrn,  sie  sollten  doch 
um  das  Vorgebirge  herum  nach  Sestos  gehen,  wo  sie  Schutz  und  nahe 
Hülfsquellen  fänden;  die  tägliche  Zerstreuung  des  Seevolks  gefährde 
die  ganze  Flotte.  Er  verhiefs  ihnen  den  Beistand  des  Königs  Seulhes 
und  des  Odrysenhäuptlings  Mandokos,  bei  denen  er  Theilnahme  für 
Athen  erweckt  halte.  Es  war  die  erste  Bundesgenossenschaft,  die  sich 
der  verlassenen  Stadt  wieder  darbot,  eine  Bundesgenossenschaft,  welche 
wegen  der  Wichtigkeit  des  Hellesponts  für  Athens  Seemacht  eine 
aufserordentliche  Bedeutung  gehabt  hätte.  Er  machte  sich  endlich 
anheischig,  Lysandros  zu  einer  Schlacht  zu  zwingeu,  wenn  man  ihm 
den  Oberbefehl  übergäbe.  Durch  solche  Aussichten  hoffte  er  einen 
ähnlichen  Umschwung  zu  erwecken,  wie  es  ihm  früher  im  samischen 
Heere  gelungen  war;  er  hielt  es  für  möglich,  auf  diese  Weise  noch 
einmal  als  Sieger  in  seine  Vaterstadt  heimkehren  zu  können.  Aber 
die  Feldherrn  wiesen  trotzig  die  Hand  zurück,  welche  allein  im  Stande 
gewesen  wäre,  Athen  vom  Hände  des  Verderbens  zu  retten,  und  das 
Verhängniss  vollzog  sich,  wie  Lysandros  wollte'03). 

Nachdem  die  Athener  in  vier  auf  einander  folgenden  Tagen  ver- 
geblich auf  die  flöhe  der  See  gefahren  waren,  um  dem  Feinde  eine 
Schlacht  anzubieten,  und  nach  jeder  Rückkehr  die  Schiffsmannschaft 
sich  sorgloser  auf  dem  Lande  zerstreut  hatte,  wurde  am  fünften  Tage 
im  feindlichen  Lager  der  Befehl  gegeben,  dass  die  ganze  Flotte  schlag- 
fertig sein  und  insgesamt  den  Angriff  eröffnen  solle,  so  wie  von  den 
zur  Beobachtung  vorgeschickten  Schiffen  in  der  Milte  des  Sundes  das 
Zeichen  gegeben  sei,  dass  das  attische  Seevolk  sich  wieder  auf  das 
Land  begeben  habe.  Alles  wurde  mit  der  gröfsten  Genauigkeit  aus- 
geführt. Die  Peloponnesier  stürzten  sich,  nachdem  sie  das  Geschwader 
des  Philokles  geworfen  hallen,  unvermulhet  auf  die  feindlichen  Schifle, 
während  zugleich  Landlruppen  übergesetzt  wurden,  um  die  attischen 
Verschanzungen  im  Rücken  anzufallen.  Zu  einer  Seeschlacht  kam  es 
gar  nicht,  da  die  bemannten  Schiffe  so  rasch  in  die  Enge  getrieben 
wurden,  dass  sie  sich  nicht  bewegen  konnten,  die  Mehrzahl  aber  leer 
oder  ganz  unvollständig  bemannt  war.  Es  war  der  vollständigste  Sieg, 
welcher  ohne  Blutvergiefsen  und  ohne  einen  Verlust  auf  Seiten  des 
Siegers  gewonnen  wurde.  Konon  allein  gelang  es  mit  seinen  acht 
Schiffen  und  der  Paralos  das  offene  Meer  zu  gewinnen.  Aufserdem 
entkam  das  Schiff  des  Nausimachos  aus  Phaleros  und  zwei  andere  ver- 
einzelte Trieren,  die  übrigen  fielen  sämtlich  dem  Sieger  in  die  Hände. 


Digitized  by  Google 


784  VERURTEILUNG  DER  GEFANGENEN  (W.  4;  406  SOMMER). 

Er  entsendete  den  Milesier  Theopompos  nach  Sparta,  der  auf  seinem 
Schnellrudrer  am  dritten  Tage  die  Siegesbotschaft  überbrachte204). 

Von  der  Mannschaft  hatte  sich  ein  Theü  nach  Sestos  gerettet. 
Die  Masse  der  Gefangenen,  über  3000,  wurde  nach' Lampsa  kos  über- 
geschifft, und  hier  ein  Kriegsgericht  gehalten,  zu  welchem  Lysandros 
die  anwesenden  Bundesgenossen  zusammenrief.  Er  erreichte  dadurch, 
dass  aller  Hass,  der  bei  den  loniern,  Böotiern,  Megareern  u.  s.  w. 
gegen  Athen  vorhanden  war,  noch  einmal  zum  vollen  Ausdrucke  kam, 
und  dass  er  sich  den  Anschein  geben  konnte,  im  Namen  und  Auftrage 
des  Hellenen volks  das  Rächeramt  an  Athen  zu  vollziehen  für  Alles, 
was  es  an  Hellas  gefrevelt  habe.    Die  Spartaner  liebten  es  ihre  grau- 
samsten Handlungen  mit  leeren  Rechtsformen  zu  umhüllen.  Sie 
hörten  also,  wie  einst  gegen  die  Plaläer,  so  jetzt  gegen  die  wehrlosen 
Athener  wohlgefällig  die  mafslosesten  Beschuldigungen   an;  die 
Chronik  des  Vergangenen  genügte  nicht.    Um  die  Wuth  zu  steigern 
wurde  gemeldet,  dass  die  Athener  in  formlichem  Kriegsrath  be- 
schlossen hätten,  im  Falle,  dass  sie  siegten,  allen  Gefangenen  die 
rechte  Hand  abhauen  zu  lassen.    So  wurde  die  ganze  Flottenmann- 
schalt  zum  Tode  verurteilt. 

Philokles  wies  das  besondere  Verhör,  das  mit  ihm  angestellt 
werden  sollte,  unwillig  ab  und  ging,  nachdem  er  gebadet  und  ein 
glänzendes  Kleid  angelegt  hatte,  den  Seinen  muthig  in  den  Tod  voran, 
im  Sterben  sühnend,  was  er  durch  Ungeschick  und  falsches  Selbst- 
vertrauen versehen  hatte.  Adeimantos  war  der  Einzige,  der  für  seine 
dem  Feinde  geleisteten  Dienste  das  Leben  erhielt.  Was  aber  von 
allem  Schrecklichen,  das  damals  am  Hellespont  geschah,  das  Gefühl 
am  meisten  empörte,  war  der  Umstand,  dass  Lysandros  den  Ge- 
tödteten  nicht  einmal  ein  ehrliches  Begräbniss  gönnte ;  das  war  eine 
Rohheit,  wie  sie  selbst  im  Kriege  zwischen  Griechen  und  Barbaren 
noch  niemals  vorgekommen  war*06). 


In  Athen  selbst  war  nach  dem  Feldherrnprozesse  eine  schwüle 
Stille  eingetreten.  Erschöpft  von  der  ungeheuren  Anstrengung,  welche 
die  Ausrüstung  der  letzten  Flotte  gekostet  hatte,  verlassen  von  dem 
ganzen  kräftigeren  Theile  der  Bevölkerung,  konnte  die  Stadt  nichts 
thun,  als  angstvoll  auf  den  Fortgang  der  Begebenheiten  warten,  welche 
bald  über  ihr  Schicksal  entscheiden  mussten. 


Digitized  by  Go 


ME  7USTANDE  IIS  ATHEN. 


7S5 


Die  Nachrichten,  welche  vom  Kriegsschauplätze  einliefen,  waren 
nicht  dazu  gemacht,  den  Muth  zu  heben.  lonien,  dessen  Wieder- 
eroberung die  nächste  Aufgabe  sein  musste,  wurde  fester  als  je  an 
Sparta  gekettet,  und  die  gefährlichsten  Feinde  traten,  eng  verbunden, 
um  dieselbe  Zeit  gegen  die  Athener  auf,  da  diese  ihre  besten  Feld- 
herrn in  die  Verbannung  geschickt  oder  getödtet  hallen.  Im  Innern 
der  Stadt  war  keine  Sicherheit  noch  Ruhe;  es  fehlte  jede  Zuversicht, 
es  fehlte  der  Muth  eines  guten  Gewissens.  Was  half  es,  dass  man 
sich  nun  klar  wurde  Ober  das  schändliche  Spiel  der  Oligarchien,  dass 
man  seiner  Erbitterung  gegen  Kallixenos  Luft  machte  und  ihn  nebst 
vier  Anderen  zu  peinlicher  Untersuchung  festnehmen  liefs?  Die 
Oligarchien  wusslen  sich  doch  zu  schützen,  und  auch  Theramenes  kam 
glücklich  durch,  wenn  er  auch  bei  seiner  Bewerbung  um  eine  der 
Feldherrnstellen  durchfiel.  Im  Rathe  war  noch  immer  die  oligar- 
chische  Partei  herrschend.  Die  Bürger  wussten  nicht,  an  wen  sie 
sich  halten  sollten.  Sie  hatten  zu  ihren  Demagogen  Kleophon,  Arche- 
demos und  Genossen  kein  Vertrauen  und  ebenso  wenig  zu  den  Männern 
entgegengesetzter  Farbe,  deren  Schlechtigkeit  offenkundig  war.  Man 
hasste  die  Einen,  verachtete  die  Anderen,  und  fiel  doch  abwechselnd 
den  Einen  oder  den  Anderen  anheim. 

Man  versuchte  wohl,  durch  allerlei  Marsregeln  am  Staate  zu 
bessern,  um  wieder  festen  Boden  unter  den  Füfsen  zu  gewinnen  und 
den  quälendsten  Uebelständen  abzuhelfen.  Das  ganze  Staatswesen  war 
durch  die  wiederholten  Unterbrechungen  des  öffentlichen  Rechtszu- 
standes aus  den  Fugen  gekommen ;  man  wussle  in  Athen  gar  nicht 
mehr,  was  Rechtens  sei.  Darum  war  es  schon  mehrfach  in  der  Bür- 
gerschaft zur  Sprache  gekommen,  dass  es  zeilgemäfs  sein  möchte,  das 
ganze  Aggregat  von  Gesetzen,  auf  welchen  seit  Solon  das  attische 
Recht  beruhte,  von  Neuem  durchzusehen,  das  Veraltete  zu  beseitigen 
und  die  Widersprüche  auszugleichen.  Nach  dem  Sturze  der  Vierhun- 
dert war  die  Ausführung  beschlossen  und  ein  gewisser  Nikomachos 
zum  Vorsitzenden  einer  Commission  gemacht  worden,  welche  ihre 
Arbeiten  rasch  erledigen  sollte  (S.  733).  Er  war  einer  von  den  Leuten 
niedriger  Herkunft,  welche  durch  Geschäflsgewandtheit  zu  dergleichen 
Arbeilen  geeignet  schienen,  einer  von  dem  Schreibervolke,  das  in  dem 
damaligen  Athen  sehr  zahlreich  und  einflussreich  war,  ein  Mann, 
welcher  den  Auftrag  nur  zu  seinem  Vortheile  auszubeuten  suchte  und 
jeder  Bestechung  zugänglich  war.  Einem  solchen  Menschen  waren 

Curiius,  Ur.  Gesch.  II.  6.  Aufl.  50 


Digitized  by  Google 


786 


IHK   GEISTIGE   VERARMIM;  ATUE.NS 


Solons  Gesetztafeln  zur  Revision  ubergeben,  und  die  dafür  bewilligten 
Taggelder  waren  Grund  genug  für  ihn,  sein  Geschäft  nicht  zu  über- 
eilen. Es  wurde  von  einem  Jahre  in  das  andere  verschleppt  und  die 
Gelegenheit  benutzt,  um  mit  frevelhafter  Willkür  Gesetze  aufzu- 
nehmen und  zu  tilgen;  die  streitenden  Parteien  bestellten  sich  wohl 
gar  in  dem  Geselzbüreau  des  Freigelassenen,  was  sie  für  einen  schwe- 
benden Prozess  als  Rechtsnorm  sich  wünschten.  Vorzugsweise  wurde 
dies  Unwesen  von  den  Oligarchen  ausgebeutet,  welche  seil  dem 
Hermenprozesse  unausgesetzt  darauf  hingearbeitet  hatten,  jede  Sicher- 
heit des  Rechtsgefühls  zu  erschüttern  und  dadurch  die  hergebrachte 
Verfassung  immer  mehr  in  Misskredit  zu  bringen*06). 

Unter  solchen  Umständen  mussten  alle  Versuche,  dem  Staate 
durch  Gesetzgebung  wieder  aufzuhelfen,  misslingen.  Es  war  über- 
haupt keine  Zeit  zum  Ordnen  und  Schaffen.  Das  geistige  Leben  war 
erlahmt.  Die  grofsen  Zeitgenossen  des  Perikles  waren  gestorben;  als 
einer  der  Letzten  Sophokles  in  demselben  Jahre,  in  welchem  die 
Athener  ihren  letzten  Sieg  erfochten.  Er  hat  Leid  und  Freude  treulich 
mit  den  Seinen  gelheilt  und  keiner  noch  so  lockenden  Einladung 
in  das  Ausland  folgen  wollen.  Viele  Andere  dagegen,  welche  durch 
Talent  und  Kunst  sich  auswärts  Anerkennung  zu  verschaffen  wussten, 
hatten  längst  die  Vaterstadt  verlassen,  deren  Zustände  sie  mit  Wider- 
willen erfüllten.  Man  war  übersättigt  von  der  Bildung  und  Verbildung 
der  Athener,  denen  ihre  besten  Güter  durch  die  Sophistik  abhanden 
gekommen  waren;  man  sah  in  idealem  Liebte  die  freien  Natur- 
völker des  Nordens,  welche  in  einfachen,  gesunden  Lebensverhältnissen 
die  Frömmigkeit  des  alten  Geschlechts  und  die  Ueberlieferungen  alter 
Weisheit,  wie  die  des  thrakischen  Zamolxis,  sich  bewahrt  hatten;  am 
meisten  fesselten  aber  die  Aufmerksamkeit  solche  Gegenden,  in  denen 
aus  den  patriarchalischen  Zuständen  der  Vergangenheit  ein  neues 
Culturleben  sich  hoffnungsreich  entfaltete. 

Darum  übte  namentlich  auf  die  Künstler  kein  Ort  einen  gröfseren 
Zauber  aus,  als  die  Hauptstadt  Makedoniens.  Dort  war  ein  frisches, 
aufkeimendes  Leben;  dort  waltete  seit  Ol.  91,  4  (413)  Archelaos,  der 
Sohn  des  Perdikkas,  ein  Fürst,  welcher  während  der  Schreckenszeit 
des  dckeleischen  Kriegs  sein  Reich  in  Ruhe  ordnete,  Kunststraisen  an- 
legte, Städte  gründete,  Volksbildung  verbreitete  und  an  seinen  Hof  zu 
Pella  die  begabtesten  Künstler  und  Dichter  berief. 

Ein  neues  Griechenland  erstand  jenseits  des  Olympos ;  in  Pierien, 


Digitized  by  Google 


DIE  EMIGRANTEN  IN  PELLA. 


7S7 


dem  Heimatlande  der  Musen,  führte  Archelaos  musische  Wettkämpfe 
ein.  Mit  Neid  und  Sehnsucht  blickten  die  Athener  auf  ihn  als  den 
glucklichsten  aller  Sterblichen  und  priesen  auch  die  selig,  welche  an 
seinem  Hofe  leben  konnten.  Zu  ihnen  gehörten  Euripides,  der  miss- 
muthig  seine  Vaterstadt  verlassen  hatte,  und  Agathon,  der  Sohn  des 
Tisamenos,  der  an  Körper  und  Geist  glänzend  ausgestattete  Dichter, 
welcher  besser  als  Jener  die  Freuden  des  Hoflebens  zu  geniefsen 
wussle.  So  verarmte  Athen  immer  mehr.  Was  zurückblieb,  bot 
keinen  Ersatz.  Den  grofsen  Dichtern  folgten  Dichterlinge,  vielscbrei- 
bende  Versmacher,  welche  durch  sophistische  Gewandtheit  die  Kraft 
des  Genius  zu  ersetzen  wähnten,  ohne  Würde  der  Gesinnung  und 
ernste  Kunstübung,  die  nur  darnach  haschten,  einen  vorübergehenden 
Eindruck  auf  das  Publikum  zu  machen,  welches  selbst  nicht  mehr  die 
innere  Sammlung  halte,  um  ein  ernst  durchdachtes  Kunstwerk  zu 
würdigen so;). 

Hesser  als  die  Tragödie  erhielt  sich  die  Komödie,  welche  ihrer 
geschmeidigeren  Natur  gemäfs  der  Zeilen  Ungunst  leichter  zu  tragen 
vermochte,  und  der  die  Gebrechen  derselben  neuen  Stoff  zuführten. 
Die  Komödiendichter  konnten  aufserhalb  Athens  nicht  leicht  einen 
Platz  finden,  und  so  blieb  auch  Aristophanes  seiner  Vaterstadt  treu;  er 
blieb  auch  sich  selbst  treu  in  seiner  patriotischen  Gesinnung  und  hatte 
den  Ruhm,  die  Vaterstadt  in  ihren  schwersten  Drangsalen  durch 
seinen  unerschöpflichen  Genius  noch  zu  verherrlichen,  zu  erfreuen 
und  zu  erheben. 

Freilich  brachten  es  die  Zeitumslande  mit  sieb,  dass  er  keine 
Komödien  mehr  schrieb,  welche  sich  um  politische  Tagesfragen  be- 
wegten; dazu  war  die  Abspannung  zu  grofs;  auch  konnte  er  selbst,  wie 
die  Verhältnisse  lagen,  keine  so  entschlossene  und  kecke  Parteistel- 
lung einnehmen,  wie  einst  dem  Kleon  gegenüber.  Darum  wählte  er 
auch  für  das  Kelterfest  (Januar  405;  93,3)  ein  Gebiet,  auf  welchem 
er  sich  frei  bewegen  konnte,  ohne  neue  Leidenschaften  aufzuregen. 
Denn  da  noch  vor  dem  Tode  des  Sophokles  die  Kunde  aus  Makedonien 
gekommen  war,  dass  auch  Euripides  gestorben  sei,  so  nimmt  Aristo- 
phanes davon  Anlass,  in  seinen  'Fröschen'  den  Gott  Dionysos  auf  die 
Scene  zu  führen  als  den  Vertreter  des  attischen  Theaterpublikums. 
Die  Meisler  der  Kunst  sind  todt  oder  ausgewandert,  die  Bühne  ist  ver- 
ödet. Darum  will  Dionysos  in  die  Unterwelt,  um  der  Stadt,  die  ohne 
Dichter  nicht  leben  kann,  Einen  und  zwar  den  Besten  wieder  herauf- 

50* 


Digitized  by  Google 


788  ARISTOPHANES'  FRÖSCHE  (405  JANUAR). 

zuholen,  und  der  Beste  soll  sieb  daran  bewähren,  dass  er  nach  Art 
der  alten  Dichter  heilsamen  Rath  den  Bürgern  zu  ertheilen  wisse.  In 
überschwenglicher  Laune  reiht  er  die  ergötzlichsten  Scenen  an  ein- 
ander, die  auf  der  Oberwelt  und  im  Hades  spielen;  wunderliche 
Froschchöre  wechseln  mit  erhabenen  Gesangen  der  Eingeweihten,  die 
ein  seliges  Leben  nach  dem  Tode  führen,  und  die  staunenden  Zuschauer 
werden  allen  Sorgen  der  Gegenwart  entrückt.  Kein  Wort  berührt  die 
schmerzhaften  Wunden  des  öffentlichen  Lebens;  der  Hauptzweck  der 
Dichtung  geht  darauf  hinaus,  die  Erinnerungen  der  Vorzeit  wachzu- 
rufen, am  Meister  Aischylos  die  klassische  Kunst  zu  feiern  und  der» 
theuren  Sophokles  ein  liebendes  Andenken  zu  widmen.  Doch  vergisst 
der  Dichter  die  Lebenden  nicht  über  die  Todten.  Er  sieht  die  Stadt 
von  nichtsnutzigem  Schreibervolk  angefüllt,  die  Bürgerschaft  durch 
sophistische  Halbbildung  entmannt,  in  den  Händen  feiler  Betrüger, 
welche  die  innere  Zwietracht  ausbeuten.  Er  sucht,  so  viel  er  kann, 
noch  in  letzter  Stunde  durch  ernste  Worte  zu  rathen  und  zu  helfen. 

Nach  wie  vor  ein  erklärter  Feind  der  leichtfertigen  Demagogen, 
welche  wie  Kleophon  in  trunkenem  Uebermutbe  jeden  Friedensge- 
danken zurückweisen,  und  eben  so  sehr  der  gesinnungslosen  Oligarchen, 
unter  denen  namentlich  Theramenes  seinem  Spott  verfällt,  ermahnt 
der  Dichter  den  Kern  der  Bürgerschaft,  in  gegenseitigem  Vertrauen 
treu  zusammenzuhalten  und  denen,  welche  durch  die  Ränke  des 
Phrynichos  in  die  Verschwörung  der  Vierhundert  verwickelt  worden 
waren,  dies  nicht  immer  nachzutragen.  Frieden  will  er  nach  wie  vor, 
denn  ohne  denselben  ist  keine  Rettung ;  aber  keinen  Frieden  aus  der 
Hand  der  Verschworenen,  sondern  einen  ehrenvollen,  welcher  auf 
innerer  Einigung  und  kräftiger  Heerführung  beruht.  Dazu  bedarf  es 
eines  Helden ;  der  Held  ist  da ,  aber  er  ist  verbannt.  So  bewegt  sich 
denn  am  Ende  die  politische  Heilsfrage  um  Alkibiades,  welcher,  an- 
wesend oder  abwesend,  immer  im  Mittelpunkte  der  attischen  Ge- 
schichte steht. 

Mit  der  Reue  über  die  Hinrichtung  der  Arginusenfeldherrn  war 
auch  in  Beziehung  auf  ihn  wieder  eine  Sinnesänderung  eingetreten. 
Man  sehnte  sich  nach  ihm,  dessen  kurze  Anwesenheit  die  letzte  Freu- 
denzeit für  Athen  gewesen  war.  'Man  sehnt  sich,  hasset,  und  begehrt 
ihn  doch  zurück',  sagt  der  Dichter.  Es  fehlte  die  Energie,  um  sich 
aus  diesen  unklaren  Gefühlen  emporzuraffen  und  die  entgegenwirken- 
den Stimmungen  durch  kräftige  Entschlüsse  zu  überwinden.  Wie 


Digitized  by  Google 


ATHEN  UND  ALKIBIADES 


7S9 


Arislopbanes  selbst  und  seine  Gesinnungsgenossen  dachten,  kann  nicht 
zweifelhaft  sein.  Denn  nicht  ohne  Grund  schildert  er  in  ausgeführter 
Darstellung  die  Feier  der  Mysterien  in  ungestörter  Festlust;  sie  musste 
Alle  an  den  Mann  erinnern,  welchem  sie  die  letzte  Feier  der  Art 
verdankten  (S.  752  f.);  Aischylos  aber  wird  daran  als  der  weise  Dichter 
erkannt,  dass  er  auf  die  Frage,  was  er  von  Alkibiades  halte,  die  in- 
haltschwere Antwort  giebt: 

Am  Besten  zieht  ihr  keinen  Löwen  in  der  Stadt, 
Habt  ihr  ihn  aufgezogen,  so  gehorchet  ihm ! 
Wenige  Monate  später  vernahmen  die  Athener,  dass  Alkibiades 
ihrem  Heere  noch  einmal  die  rettende  Hand  geboten  habe;  sie  war 
zurückgewiesen,  und  die  Paralos ,  welche  diese  Kunde  brachte,  war 
das  einzige  SchilT,  welches  von  160  Schiffen  in  den  Peiraieus  zu- 
rückkehrte. 

Tag  für  Tag  erwartete  man  Lysandros  selbst.  Es  war  dieselbe 
Angst  wieder  da,  wie  nach  dem  Untergange  der  sicilischen  Flotte ;  aber 
wie  gering  erschien  der  damalige  Nolhstand,  mit  dem  jetzigen  ver- 
glichen 1  Lysandros  erschien  aber  nicht.  Statt  dessen  kamen  schaaren- 
weise  die  Flüchtlinge  aus  den  Städten,  welche  eine  nach  der  anderen 
von  Lysandros  genommen  wurden,  wie  Sestos,  Byzanz,  Chalkedon. 
Den  attischen  Mannschaften  daselbst  war  nämlich  Leben  und  Freiheit 
geschenkt  worden  unter  der  Bedingung,  dass  sie  sich  alle  sofort  nach 
Athen  begeben  sollten.  So  folgten  sich  die  Schreckensbotschaften. 
Bald  wussle  man,  dass  auch  Lesbos,  ohne  Widerstand  zu  leisten,  ab- 
gefallen sei,  und  eben  so  die  thrakiscben  Städte.  Aller  Orten  war  der 
Abfall  durch  heimliche  Uebereinkunft  längst  vorbereitet  gewesen. 
Nachrichten,  von  denen  jede  einzelne  sonst  genügt  hätte,  ganz  Athen 
in  Alarm  zu  setzen,  häuften  sich  von  Woche  zu  Woche  und  stumpften 
das  Gefühl  ab.  Man  musste  ruhig  zusehen,  wie  das  attische  Reich 
Glied  für  Glied  zertrümmert  und  eine  Hilfsquelle  nach  der  andern 
abgeschnitten  wurde,  während  die  Menge  heimatloser  und  hülfsbe- 
dürftiger  Menschen,  welche  von  Lysandros  aus  den  Kleruchenstädten 
vertrieben  waren,  sich  massenhaft  innerhalb  der  Stadt  zusammen- 
drängte und  das  Bedürfniss  auswärtiger  Zufuhr  mehr  als  je  steigerte. 

Das  war  es,  was  Lysandros  wollte,  welcher  mit  sicherer  Ruhe 
schrittweise  seinem  Ziele  entgegenging.  In  den  gewonnenen  Plätzen 
setzte  er  lakedämonische  Vögte  ein,  welche  für  die  Sicherheit  derselben 
einstanden;  die  Regierung  aber  übergab  er  den  Parteihäuplern  der 


Digitized  by  Google 


790 


ERSCHLIESSUNG  VON  ATHEN. 


Oligarchen,  welche  an  das  Ziel  ihrer  Wünsche  gekommen  waren,  in- 
dem sie  in  Collegien  von  Zehnmännern  unter  Sparlas  Autorität  ihre 
Städte  regierten.  Die  Grundstücke  wurden  den  alten  Einwohnern 
zurückgegeben,  und  die  von  Athen  ausgetriebenen  Einwohnerschaften 
durch  öffentliche  Verkündigung  aufgefordert,  furchtlos  in  ihre  Heimat 
nach  Aigina  (S.  405),  Melos  und  Skione  zurückzukehren;  denn  hier 
waren  noch  zuletzt  die  athenischen  Sklaven  angesiedelt,  welche  sich 
bei  den  Arginusen  die  Freiheit  erworben  halten.  Das  war  natürlich 
eine  Mafsregel,  welche  mit  allseitigem  Jubel  begrüfst  wurde;  ganz 
Hellas  huldigte  dem  gewaltigen  Manne,  welcher  nicht  nur  furchtbare 
Rache  zu  üben,  sondern  auch  das  alle  Unrecht  wieder  gut  zu  machen 
wisse aoB). 

So  rückte  der  Tag  immer  näher,  an  welchem  über  Athen  selbst 
Gericht  gehalten  werden  sollte,  nachdem  man  ihm  seinen  Raub  ent- 
rissen hatte.  Diese  letzte  Entscheidung  sollte  Angesichts  aller  Griechen 
stattfinden;  darum  wurde  das  ganze  peloponnesische  Kriegsvolk  noch 
einmal  aufgeboten.  König  Pausanias,  welcher  vor  zwei  Jahren  seinem 
Vater  Pleistoanax  gefolgt  war,  bezog  mit  sämtlichen  Hülfsvölkern 
Spartas  ein  Kriegslager  in  der  Niederung  der  Akademie,  um  Athen 
von  der  Westseite  einzuschließen ;  gleichzeitig  erging  an  Agis,  der 
nun  bereits  neun  Jahre  lang  Dekeleia  besetzt  hielt,  der  Befehl,  von 
der  Nord-  und  Ostseite  vorzugehen;  denn  Lysandros  werde  binnen 
Kurzem  mit  zweihundert  Kriegsschiffen  vor  dem  Peiraieus  erscheinen. 

Die  Athener  halten  sich  nach  Ueberwindung  des  ersten  Schreckens 
wieder  gefasst.  Sie  halten  neue  Feldherrn  gewählt  und  unter  Leitung 
derselben  ihre  Mauern  ausgebessert,  die  Verteidigung  geordnet,  die 
Einfahrt  der  Häfen  verschüttet.  Die  grofse  Mehrheit  der  Bürger  war 
voll  Patriotismus.  Noch  einmal  bewährte  sich  der  tapfere  Sinn,  der 
sie  so  oft  in  den  schwersten  Stunden  beseelt  hatte,  die  mulhige 
Entschlossenheit,  für  die  Ehre  der  Stadt  die  letzten  Hülfsmitlel  auf- 
zubieten. 

Aber  auch  das  alte  Unheil  war  wieder  da,  das  darin  seine  Quelle 
hatte,  dass  eine  kleine  aber  eng  geschlossene  Anzahl  von  Bürgern  vor- 
handen war,  welche  die  Selbständigkeit  der  Stadt  nicht  wollten,  welche 
mit  dem  Feinde  einverstanden  waren  und  seiner  bedurften,  um  auf 
den  Trümmern  der  Volksherrschaft  ihr  Parteiregiment  aufzurichten. 
Diese  Partei  mit  ihrer  in  sich  festen  Organisation  war  immer  bei  der 
Hand,  um  jeden  öffentlichen  Nothstand  für  ihre  Zwecke  auszubeuten; 


Digitized  by  Googl 


OLIGARCHISC.il E   PA RTE1M ASSRKGK LN 


791 


so  wie  ein  Gewitter  über  der  Stadt  zusammenzog  und  Angst  ver- 
breitete, trat  sie  als  eine  Macht  hervor.  Jetzt  war  Athen  durch  die 
ungeheuren  Ereignisse  erschreckt,  durch  die  grofsen  Verluste  an 
Bürgern  nicht  nur  in  seiner  Wehrkraft  geschwächt,  sondern  auch  in 
seiner  ganzen  Haltung  erschüttert;  es  war  durch  das  Zuströmen  frem- 
der Menschen  aufgeregt  und  verwirrt  und  durch  die  nahende  Be- 
lagerung geängstigt. 

Dennoch  wurde  es  auch  jetzt  den  Oligarchen  in  Athen  nicht  so 
leicht  wie  an  den  anderen  Orten,  wo  mit  Lysandros'  Hülfe  die  Demo- 
kratie rasch  beseitigt  war.  In  Athen  bedurfte  es  noch  immer  zum 
Umstürze  der  Verfassung  einer  Reihe  von  vorbereitenden  Mafsregeln 
und  arglistigen  Parteiintriguen,  um  das  Volk  mürbe  zu  machen  und 
den  letzten  Rest  von  Zuversicht  in  ihm  zu  untergraben.  Es  kam 
darauf  an,  die  Staatsordnung  zu  erschüttern,  um  die  Verwirrung  zu 
steigern;  man  musste  die  verfassungsmäfsigen  Organe  des  Gemein- 
wesens zu  lähmen  und  den  amtlichen  Behörden  die  Leitung  desselben 
zu  entziehen  suchen,  um  sie  in  die  Hände  der  Verschworenen  zu 
bringen,  d.  Ii.  der  oligarchischen  Clubbs.  Man  traf  also  Mafsregeln 
ähnlicher  Art,  wie  früher  die  Einsetzung  der  Probulen  war  (S.  690) ; 
nur  wurde  jetzt  viel  rücksichtsloser  und  entschlossener  gehandelt. 
Man  begann  nämlich,  wie  es  scheint,  gleich  nach  der  Niederlage  von 
Aigospotamoi  die  ganze  Slaatsum wälzung  damit,  dass  man  aus  den 
Häuptern  der  oligarchischen  Verbindungen,  die  unter  sich  wieder 
verschiedene  Richtungen  hatten,  zur  Vereinigung  ihrer  Bestrebungen 
ein  Collegium  von  Fünfmännern  bildete,  ein  Clubbistencomite,  wie 
wir  es  nennen  können,  eine  Art  von  Wohlfahrtsausschuss,  welcher 
sich  in  der  Zeil  der  Verwirrung  des  allgemeinen  Besten  annehmen 
sollte.  Seine  Macht  beruhte  auf  der  Organisation  einer  Partei,  welche 
um  so  zuversichtlicher  vorging,  je  rathloser  und  zerrissener  die  übrige 
Bürgerschaft  war;  dadurch  gelang  es  ihm,  seinen  EinÜuss  auch  auf 
andere  Kreise  auszudehnen  und,  obgleich  ohne  amtliche  Befugnisse, 
dennoch  mit  Hülfe  des  Raths  eine  gewisse  öffentliche  Autorität  und 
den  Charakter  einer  Behörde  zu  gewinnen. 

Revolutionäre  Vorgänge  dieser  Art  sind  ihrer  Natur  nach  dunkel 
und  schwer  zu  erkennen;  aufserdem  fehlt  es  an  einem  zusammen- 
hängenden Berichte  über  die  damaligen  Zustände  der  Stadt.  Indessen 
ist  wahrscheinlich,  dass  die  Oligarchen  nach  der  Niederlage  des  Heers 
ihr  Haupt  erhoben,  dass  nicht  lange  darnach  jene  Fünfmänner  als  ge- 


Digitized  by  Google 


792 


IlLKRfcT   DES  PATflOKLKIIlES. 


heinie  Regierung  ihre  Wirksamkeit  begannen,  und  dass  ihre  Macht 
in  demselben  Grade  wuchs  wie  die  Nothstäude  fühlbarer  wurden. 
Gewiss  ist,  dass  sie  sich  allmählich  die  Vollmacht  aneigneten  Bürger- 
versammlungen zu  veranstalten,  die  verfassungsmäßigen  Beamten, 
namentlich  die  Feldherrn,  bei  Seite  zu  schieben  und  die  militärischen 
Anordnungen  zur  Sicherung  der  Stadt  in  ihre  Hände  zu  bringen;  ein 
Erfolg,  bei  welchem  sie  ohne  Zweifel  durch  den  Anhang  unterstützt 
wurden,  den  sie  unter  den  Rittern  hatten,  von  denen  ein  grofser 
Theil  verfassungsfeindlich  war  (S.  433).  Endlich  konnten  diese  Füuf- 
männer  mit  ihren  politischen  Tendenzen  so  ofTen  und  keck  hervorzu- 
treten wagen,  dass  sie  sich  in  deutlicher  Anspielung  auf  die  sparta- 
nische Staatsordnung,  welcher  sie  die  einheimische  anzunähern  streb- 
ten, die  fünf  Ephoren  von  Athen  nannten  und  auch  allgemein  so 
genannt  wurden. 

Um  die  Macht  der  Partei  zu  verstarken,  stellte  der  Volksredner 
Patrokleides  den  Antrag,  dass  die  Staatsschuldner  und  die  in  öffent- 
lichen Prozessen  Verurteilten  oder  noch  in  Anklagezustand  Befindlichen, 
die  früheren  Mitglieder  der  Vierhundert  und  Alle,  welche  ganz  oder 
iheüweise  ihrer  Bürgerehren  verlustig  waren,  in  ihre  vollen  Rechte  und 
Ehren  eingesetzt  werden  und  alle  auf  sie  bezüglichen  früheren  Doku- 
mente vernichtet  werden  sollten.  Eine  so  umfassende  Amnestie  war 
nur  zweimal  in  der  attischen  Geschichte  vorgekommen;  einmal  unter 
dem  Archontate  Solons,  als  Einleitung  seines  grofsen  Versöhnungs- 
werks, und  dann  um  die  Zeit  der  salaminischen  Schlacht,  als  es  nöthig 
schien,  alle  vorhandenen  Kräfte  zur  Rettung  des  Vaterlandes  zu  ver- 
einigen. Beide  Rücksichten  wurden  auch  jetzt  geltend  gemacht,  und 
so  waren  auch  die  patriotisch  gesinnten  Bürger  diesem  Beschlüsse  ge- 
neigt, wenn  er  auch  vorzugsweise  auf  die  Interessen  der  Oligarchen 
berechnet  war.  Es  scheint,  dass  in  dieser  Zeit,  wo  man  revolutionäre 
und  conservative  Mafsregeln  durch  einander  anwendete,  auch  der 
Areopag,  wie  zur  Zeit  der  Perserkriege  (S.  72),  mit  außerordentlichen 
Vollmachten  bekleidet  wurde,  um  zu  der  Rettung  der  Stadt  das  Seine 
beizutragen J0*). 

Ungeachtet  aller  dieser  Mafsregeln,  welche  den  Staat  immer  ver- 
worrener und  unsicherer  machten,  war  die  Freiheitsliebe  und  die  Ver- 
fassungstreue der  Bürger  nicht  erloschen.  Zwei  unvereinbare  Gewalten 
herrschten  neben  einander  in  Athen;  die  feindlichen  Truppen  zogen 
von  allen  Seiten  heran;  eine  furchtbare  Theuerung  drohte  der  über- 


Digitized  by  Google 


BLOKADE  VON  ATHEN  (93,  4 ;  406  HERBST). 


793 


völkerten  Stadt;  dennoch  war  der  Kern  der  Bürgerschaft  entschlossen, 
dem  übermächtigen  Feinde  sowie  der  volksfeindlichen  Partei  zum 
Trotze  die  Unabhängigkeit  der  Stadt  zu  vertheidigen. 

Im  Spälherbste  war  Lysandros  vor  dem  Peiraieus  erschienen,  um 
im  Vereine  mit  den  beiden  Landheeren  die  Belagerung  zu  eröffnen. 
Es  lässt  sich  wohl  nicht  bezweifeln,  dass,  wenn  sofort  voller  Ernst  ge- 
macht worden  wäre,  Athen  in  seiner  damaligen  Verfassung  bald  hätte 
genommen  werden  können.  Aber  weder  den  Königen  noch  auch  Ly- 
sandros konnte  daran  liegen,  den  Fall  Athens  gewaltsam  zu  beschleu- 
nigen und  den  Bürgern  Gelegenheil  zu  geben,  ihren  Helden muth  im 
Kampfe  der  Verzweiflung  zu  bewähren;  wir  wissen  ja,  welchen  Werth 
die  Spartaner  überall  darauf  zu  legen  pflegten,  dass  die  feindlichen 
Städte  sich  gleichsam  freiwillig  ihnen  übergaben  (S.  459).  Den  Sie- 
gern konnte  doch  Niemand  die  Beute  streitig  machen;  sie  zogen  es 
also  vor,  ihren  Anhängern  in  der  Stadt  die  Mafsregeln  anheimzustellen, 
welche  ohne  Blutvergiefsen  zur  Uebergabe  führen  mussten.  Die  Oli- 
garchen  waren  dabei  ohne  Zweifel  im  Einverständnisse  mit  Lysandros ; 
sie  hatten  es  auf  sich  genommen,  ihm  Stadt  und  Hafen  zu  über- 
liefern, und  hatten  ihrerseits  die  Zusicherungen  erhalten,  welche 
auch  den  Oligarchen  der  anderen  Städte  eingeräumt  und  erfüllt  worden 
waren. 

Darum  blieb  auch  nicht  die  volle  Kriegsmacht  vor  Athen  liegen, 
sondern  während  des  Winters  zog  wahrscheinlich  ein  Theil  des 
Landheers  wieder  ab,  und  nur  ein  Theil  der  Flotte  blokirte  die 
Häfen,  während  Lysandros  mit  dem  übrigen  Theile  Samos  belagerte; 
denn  diese  Insel  war  es  allein,  welche  an  ihrer  demokratischen  Ver- 
fassung standhaft  festhielt,  neben  Argos  der  einzige  Staat  in  Griechen- 
land, der  die  Sache  der  Athener  auch  dann  nicht  verliefs,  als  diese 
vollkommen  ohnmächtig  waren,  und  die  Verbindung  mit  ihnen  nur 
Gefahr  brachte. 

Obgleich  nun  trotz  der  feindlichen  Wachschiffe  einzelne  Ge- 
treideschiffe glücklich  einliefen,  stieg  die  Noth  dennoch  so  rasch,  dass 
bald  nach  Beginn  der  Blokade  die  erste  Bürgerversammlung  anbe- 
raumt wurde,  um  die  Bedingungen  der  Uebergabe  in  Erwägung  zu 
ziehen.  Man  beschloss  sich  in  das  Unvermeidliche  zu  fügen  und  die 
Hegemonie  Spartas  anzuerkennen;  man  war  bereit,  auf  alle  auswär- 
tigen Besitzungen  zu  verzichten,  und  nur  den  Peiraieus  und  die 
Mauern  zu  behalten. 


Digitized  by  Google 


794  DIE  ERSTEN  VERHANDLUNGEN. 

Die  Gesandten,  welche  diesen  Antrag  nach  Sparta  brachten,  wur- 
den schon  an  der  Grenze  Lakoniens,  in  Selasia,  von  den  Ephoren 
heimgeschickt.  Die  Hafen-  und  Verbindungsmauern  waren  es  ja, 
worauf  die  Selbständigkeit  Athens  den  Spartanern  gegenüber  beruhte, 
wie  Themistokles  und  Perikles  erkannt  hatten.  Also  lautete  die 
Antwort,  dass  von  keiner  Verständigung  die  Rede  sein  könnte,  wenn 
nicht  die  Schenkelmauern  auf  eine  Strecke  von  zehn  Stadien  nieder- 
gerissen würden. 

Dieser  Bescheid  rief  unter  den  Bürgern  die  höchste  Aufregung 
hervor.  Man  konnte  sich  kein  Athen  ohne  seine  Mauern  denken; 
nach  Schleifung  derselben  war  es  vom  Meere  abgeschnitten  und  jeder 
Belagerung  wehrlos  preisgegeben.  In  Folge  dessen  loderte  noch  ein- 
mal das  Feuer  des  attischen  Freiheitsmuthes  auf,  und  im  Vertrauen 
darauf,  dass  eine  grofse  Zahl  ehrenhafter  Bürger  ihm  in  diesem 
Punkte  beistimmte,  durfte  Kleophon  mit  offener  Gewalt  einen  Jeden 
bedrohen,  der  so  schmachvollen  Bedingungen  das  Wort  reden  wolle. 
Obgleich  also  von  den  spartanischen  Behörden  die  Beibehaltung  der 
altischen  Verfassung  und  selbst  der  fernere  Besitz  von  Lemnos,  Imbros 
und  Skyros  in  Aussicht  gestellt  war,  so  wurden  dennoch  alle  an  die 
Schleifung  der  Mauern  geknüpften  Vorschläge  abgewiesen;  es  wurde 
sogar  ein  Bürgerbeschluss  gefasst,  welcher  jede  Berathung  über  diesen 
Punkt  verpönte. 

So  stand  es  in  der  unglücklichen  Stadt.  Auf  der  einen  Seite  das 
Ungestüm  eines  wilden  Demagogen,  der  in  wahnsinnigem  Trotze  alle 
noch  möglichen  Rettungswege  abschnitt,  ohne  selbst  irgend  eine  Hülfe 
nachweisen  zu  können;  auf  der  anderen  Seite  die  schlauen  Führer  der 
lakedämonischen  Partei,  welche  mit  herzlosem  Wohlgefallen  der  stei- 
genden Nolh  zusahen;  diejenigen  Bürger  aber,  welche  die  Vaterstadt 
und  ihre  Gesetze  liebten,  ohne  das  wüste  Treiben  eines  Kleophon 
billigen  zu  können,  welche  erkannten,  dass  nur  durch  Besonnenheit 
und  Einigkeit  dem  Staate  zu  helfen  sei,  diese  Männer  waren  zu  sehr 
in  der  Minderzahl  und  zu  einem  gemeinschaftlichen  Handeln  zu  wenig 
vorbereitet,  als  dass  ihre  Gesinnung  dem  Gemeinwesen  zu  Gute 
kommen  konnte.  Die  Masse  war  von  Furcht  und  Nolh  beherrscht, 
ein  willenloses  Werkzeug  zwieträchtiger  Parteiwuth. 

Als  nun  in  der  wilden  Volksversammlung  nichts  erreicht  war  und 
Alles  starr  in  die  dunkle  Zukunft  blickte,  da  trat  Theramenes  vor.  Er 
hatte  den  Zeilpunkt  abgewartet,  wo  Jeder,  der  nur  einen  HoiTnungs- 


Digitized  by  Google 


TH  ERAMEN  ES  ALS  BEVOLLMÄCHTIGTER  (405  HERBST).  795 

Schimmer  zeigen  konnte,  begieriges  Gehör  finden  musste.  Mit  seiner 
milden  und  einschmeichelnden  Beredsamkeit,  gestützt  auf  den  Ruf 
einer  volksfreundlichen  Gesinnuug,  den  er  sich  zur  Zeit  der  Vierhun- 
dert erworben  hatte,  erbietet  er  sich  zu  Lysandros  zu  gehen,  um  die 
wahren  Absichten  Sparlas  zu  erforschen  und  Gewissheit  zu  erlangen, 
was  es  mit  der  verlangten  Schleifung  der  Mauern  für  eine  Bewandtniss 
habe.  Er  macht  sich  anheischig,  viel  mildere  Bedingungen  zu  ver- 
schaffen; er  stellt  selbst  allerlei  Vortheile  in  Aussicht,  welche  man 
durch  geschickte  Unterhandlung  von  Sparta  erreichen  könne,  verlangt 
aber  unbedingtes  Vertrauen  und  unbeschränkte  Vollmachten. 

Umsonst  werden  von  Seiten  vieler  besonnener  Bürger  Bedenken 
laut;  sie  errathen  die  unlauteren  Absichten  und  warnen,  einer  Hand 
wie  der  des  Theramenes  Alles  anzuvertrauen.  Umsonst  erbietet  sich 
der  Areopag,  die  Friedensverhandlungen  in  seine  Hand  zu  nehmen. 
Die  grofse  Mehrzahl  de»  Bürger,  die  nur  nach  Rettung  seufzte,  ist 
von  der  Rede  gefangen  und  will  die  Hoffnungen  nicht  fahren  lassen, 
welche  sie  erweckt  hatte;  die  Verschwornen  thun  das  Ihrige,  diese 
Stimmung  zu  nähren,  und  die  gewünschten  Vollmachten  werden 
ausgefertigt. 

Theramenes  reiste  zum  Lysandros,  welcher  damals  wahrschein- 
lich noch  vor  Samos  lag.  Auf  Lysandros  allein  stützten  sich  die  Hoff- 
nungen der  Oligarchen,  während  sie  auf  die  Könige  und  Ephoren  nicht 
rechnen  konnten.  Denn  die  Letzteren  hatten  ja  schon  den  Gesandten 
Athens  die  Erhaltung  der  Verfassung  in  Aussicht  gestellt;  die  Behörden 
Sparlas  sahen  überhaupt  schon  lange  mit  Argwohn  auf  die  mafslose  All- 
gewall ihres  ehrgeizigen  Feldherru  und  sein  eigenmächtiges  Schalten; 
sie  halteu  schon  gegen  ihn  einschreiten  müssen,  als  er  aus  Sestos  die 
allen  Einwohner  austrieb  und  diesen  wichtigen  Platz  mit  Leuten  seiner 
Flottenmannschaft  besetzen  wollte.  Sie  konnten  unmöglich  seine 
Politik  begünstigen,  weil  er  dadurch,  dass  er  aller  Orlen  seine  Partei- 
gänger an  das  Ruder  brachte,  zu  einem  unumschränkten  Herrn  von 
ganz  Griechenland  zu  werden  drohle.  Um  so  wichtiger  war  es  also  für 
Leute  wie  Theramenes,  sich  mit  Lysandros  zu  verständigen  und  seiner 
gewiss  zu  sein.  Der  andere  Zweck,  welchen  die  Verschwornen  durch 
die  Gesandtschaft  erreichten,  warder,  dass  inzwischen  keine  Volks- 
versammlungen über  die  Friedensfrage  gehalten  und  dass  somit  alle 
Mafsregeln  von  Seilen  der  verfassungstreuen  Bürger  abgeschnitten 
wurden.    In  ängstlicher  Spannung  und  trostloser  Unthätigkeit  er- 


Digitized  by  Google 


706 


ZWEITE  GESANDTSCHAFT  (9S,  4;  404  t'HL'HJAHR). 


schöpfte  sich  der  Muth  der  Bürgerschaft,  während  die  Oligarchen  die 
Frist  benutzten,  um  in  Athen  Alles  für  ihre  Zwecke  reif  zu  machen. 

Kleophon  hatte  ihnen  wider  seinen  Willen  gedient,  indem  er  die 
Vereitelung  der  ersten  Friedensverhandlungen  herbeigeführt  hatte ;  jetzt 
stand  er  ihnen  im  Wege  und  musste  beseitigt  werden,  wie  früher  An- 
drokles  (S.  717).  Cr  wurde  beschuldigt,  seine  Wehrpflicht  versäumt 
und  den  Rath  der  Stadt  geschmäht  zu  haben;  denn  er  hatte  es  offen 
auszusprechen  gewagt,  dass  derselbe  den  Versen wornen  in  die  Hände 
arbeile.  Er  wurde  wegen  Hochverraths  belangt,  in  Bande  geworfen, 
und  da  sein  Anhang  noch  immer  so  stark  war,  dass  man  sich  auf  den 
Urteilsspruch  eines  ordentlichen  Geschworenengerichts  nicht  verlassen 
konnte,  benutzte  man  den  nichtswürdigen  Nikomachos (S.  785) ,  um 
sich  von  ihm  ein  Gesetz  zu  verschaffen,  nach  welchem  gegen  alles 
Herkommen  die  Rathsherrn  zur  Theilnahme  am  Gerichte  berufen  sein 
sollten ,  und  zwar  in  einem  Prozesse ,  in  welchem  der  Rath  der  be- 
leidigte Theil  war.  So  erreichte  man,  dass  Kleophon  verurteilt  und 
getödtet  wurde»10). 

Nachdem  dies  nach  Wunsch  gelungen  war,  kehrte  Theramenes 
im  vierten  Monate  zurück,  und  zwar  ohne  etwas  mitzubringen,  als  leere 
Entschuldigungen  über  sein  langes  Ausbleiben,  welches  Lysandros  zu 
verantworten  habe,  und  den  Bescheid,  dass  er  von  diesem  an  die 
Ephoren  verwiesen  worden  sei,  um  von  ihnen  die  Friedensbedingun- 
gen zu  erfahren.  Da  die  Sache  einmal  so  weit  gekommen  und  der 
Nothstand  in  Athen  unerträglich  geworden  war,  so  blieb  nichts  übrig, 
als  Theramenes  von  Neuem  zum  Bevollmächtigten  zu  wählen  und  ihn 
mit  neun  Gesandten  nach  Lakedaimon  zu  schicken.  So  waudelte  er 
nun  denselben  Weg,  um  dessen  willen  er  Antiphon  als  Landesver- 
rätber  vor  Gericht  gezogen  halte;  damals  aber  war  Athen  noch  ein  Staat 
mit  Heer  und  Flotte,  der  Bedingungen  stellen  konnte,  jetzt  war  es  auf 
den  Grofsmuth  des  Siegers  angewiesen.  Die  Gesandten  wurden  wieder- 
um in  Selasia  aufgehalten  und  dann  nach  Sparta  beschieden.  Hier 
wurden  endlich  die  entscheidenden  Berathungen  gehalten  und  zwar  in 
Gegenwart  von  Abgeordneten  der  Bundesgenossen.  Es  war  gar  nicht 
mehr  von  Verhandlungen  mit  Athen  die  Rede,  sondern  es  wurde  über 
einen  besiegten  Feind  Gericht  gehalten,  und  die  Meinungen  theilten 
sich  nur  in  der  Strenge  des  zu  fallenden  Spruchs.  Korinth  und  Theben 
verlangten  Vernichtung  der  Stadt,  die  so  viel  Unheil  angestiftet  habe; 
sie  sollte  vom  Erdboden  verschwinden  und  das  Land  zur  Schafweide 


Digitized  by  Google 


DER   FRIEDE   DES  THERAME.NES  (401  APRMA 


797 


werden.  Die  Phokeer  und  Andere  thaten  Einspruch,  und  die  mildere 
Ansicht  drang  durch,  weil  es  im  Interesse  der  lakedämonischen  Poli- 
tik lag,  Athen  zu  lähmen,  aber  nicht  zu  zerstören.  Denn  es  war  vor- 
auszusehen, dass  sonst  die  hochmülhigen  Thebaner  sich  in  Mittel- 
griechenland als  Grofsmacht  fühlen  und  den  Spartanern  entgegenstellen 
würden.  Auch  das  delphische  Orakel  soll  seine  Stimme  für  Erhaltung 
Athens  abgegeben  haben. 

So  empfing  Athen  seinen  Urteilsspruch  durch  ein  Dekret  der 
Ephoren.  Niederreifsung  der  Hafen-  und  Verbindungsmauern,  Be- 
schränkung der  Herrschaft  auf  das  attische  Land,  Aufnahme  aller 
Verbannten,  Anschluss  an  den  peloponnesischen  Bund  mit  der  Ver- 
pflichtung zur  Heeresfolge  und  den  anderen  Leistungen  lakedämonischer 
Bundesgenossen,  endlich  Auslieferung  der  Kriegsschiffe  nach  einer  den 
Befehlshabern  Sparlas  überlassenen  näheren  Bestimmung  —  das  waren 
die  Bedingungen ,  unter  welchen  die  Blokade  aufgehoben  werden 
sollte 81 

Als  Theramenes  mit  diesen  Friedensbedingungen  vor  die  Bürger- 
schaft trat  und  ohne  Scheu  ihre  Annahme  beantragte,  da  waren  wohl 
alle  besser  Gesinnten  über  das  frevelhafte  Spiel  empört,  welches  er 
mit  der  Noth  seiner  Mitbürger  getrieben  hatte.  Zornige  Stimmen 
wurden  laut  und  riefen  ihm  seine  Schuld  in's  Gewissen.  Er  aber 
wusste  zu  gut,  dass  es  nach  einer  fünfmonatlichen  Belagerung, 
während  die  Menschen  massenweise  dem  Hunger  erlagen,  nicht  mehr 
um  Verfassungsrechte  sieb  handle,  sondern  um  Brod,  und  wenn  sich 
noch  Einige  fanden,  welche  ihn  vorwurfsvoll  auf  die  Werke  des 
Themistokles  hinwiesen,  so  antwortete  er  ihnen,  es  könne  unter  Um- 
ständen eben  so  verdienstlich  sein  Mauern  einzureifsen  wie  aufzubauen. 
Auf  Festungsmauern  beruhe  doch  das  Glück  der  Städte  nicht,  sonst 
müsste  ja  Sparta  die  unglücklichste  Stadt  sein! 

So  wurden  denn  am  Tage  nach  Bückkehr  der  Gesandten  die 
Friedensbedingungen  angenommen,  wie  die  Ephoren  in  Sparta  sie  auf- 
gesetzt hatten.  Die  Athener  verpflichteten  sich  die  langen  Mauern 
wie  die  Hafenmauer  niederzureifsen ,  alle  auswärtigen  Plätze  zu 
räumen,  sich  auf  ihre  Landschaft  zu  beschränken,  die  Flotte  auszu- 
liefern und  die  Verbannten  zurückzurufen.  Das  war  der  Schluss  des 
Kriegs  im  sieben  und  zwanzigsten  Jahre,  nachdem  er  mit  dem  Ueber- 
fall  von  Plataiai  begonnen  hatte,  siebzehn  Jahre  nach  dem  Frieden  des 
Nikias,  im  Monat  April,  und  die  ersten  Kornschiffe,  welche  im  Peiraieus 


Digitized  by  Google 


TOS 


VERSAMMLUNG    IN  MLMf.HIA. 


einliefen,  trösteten  das  verhungerte  Stadtvolk  über  das,  was  ge- 
schehen war. 

Der  Friede  war  geschlossen,  die  feindlichen  Schiffe  und  Heere 
zogen  ab,  aber  die  Oligarchen  waren  noch  nicht  an  ihrem  Ziele  ange- 
langt, und  darum  war  auch  das  Mafs  der  Demüthigungen,  die  Athen 
erleben  sollte,  noch  nicht  voll.    Ueber  die  äufsere  Lage  der  Stadt  nur 
entschieden,  aber  die  inneren  Verhältnisse  waren  durch  die  Capitu- 
lation  nicht  geregelt.    Theramenes  hatte  im  Sinne  seiner  Partei  nur 
die  Ruckberufung  der  Verbannten  durchsetzen  können.    Weiter  zu 
gehen  hatten  die  Behörden  Sparlas  keine  Neigung,  denn  bei  der  Eifer- 
sucht, mit  welcher  sie  schon  damals  Lysandros  betrachteten,  entsprach 
es  ihrem  Interesse  nicht,  in  Athen  seinen  Parteigängern  zur  Herr- 
schaft zu  verhelfen.   Dadurch  war  den  Gegnern  wieder  der  Muth  ge- 
wachsen, und  dieselben  Patrioten,  welche  noch  in  der  letzten  Volks- 
versammlung freimüthig  geredet  hatten,  schlössen  sich  enger  zu- 
sammen, um  wo  möglich  im  Innern  der  Stadt  Freiheit  und  Recht  zu 
retten. 

So  begann  der  Parteikampf  von  Neuem,  und  die  Oligarchen. 
denen  Lysandros  nach  Uebernahme  der  Schiffe  die  städtischen  An- 
gelegenheiten überlassen  hatte,  hielten  es  für  nothwendig,  sich  der 
Führer  der  Gegenpartei  zu  bemächtigen,  ehe  sie  daran  gehen  konnten, 
die  Verfassung  endgültig  nach  ihren  Plänen  zu  gestalten. 

Hierbei  diente  ihnen  ein  Freigelassener,  Namens  Agoratos,  Einer 
von  denen,  welche  sieben  Jahre  zuvor  bei  der  Ermordung  des 
Phrynichos  sich  betheiligt  haben  wollten  (S.  737)  und  sich  dadurch 
einen,  wenn  auch  sehr  zweideutigen  Ruf  demokratischer  Gesinnung 
erworben  halten.  Dieser  wurde  scheinbar  gezwungen,  eine  Anzeige 
vor  den  Rath  zu  bringen,  in  welcher  er  eine  Reihe  von  Ehrenmännern, 
die  als  Feldherrn  und  Hauplleute  dem  Staate  gedient  hatten,  einer 
Verschwörung  gegen  die  Staatsverfassung  beschuldigte,  obgleich  augen- 
blicklich gar  keine  Verfassung  in  Gellung  war,  sondern  ein  Partei- 
regiment, das  mit  selbstsüchtiger  Willkür  gehandhabt  wurde.  Der 
Rath  brachte  die  Sache  an  die  Bürgerschaft;  es  wurde  eine  Versamm- 
lung im  Peiraieus,  im  munichischen  Thealer,  gehalten,  und  in  der- 
selben unter  Einfluss  der  Oligarchen  das  Todesurteil  über  die  An- 
geklagten ausgesprochen.  Unter  ihnen  befanden  sich  namentlich 
Strombichides,  des  Diolimos  Sohn,  ein  bewährter  Flottenführer,  und 
Dionysodoros,  dieselben  Ehrenmänner,  welche  dem  Theramenes  mit 


Digitized  by  Googl 


KRITIAS   DES   KAI.LAISCUROS  SOHN. 


709 


offener  Missbilligung  entgegengetreten  waren,  gemäfsigte  Republikaner, 
welche  den  Oligarchen  viel  verhasster  waren,  als  die  wildesten  De- 
magogen812). 

Wahrend  so  die  verfassungstreuen  Männer  als  Verräther  be- 
seitigt wurden,  und  die  kleine  Zahl  muthiger  Patrioten  immer  mehr 
zusammenschmolz,  kamen  in  Folge  der  Capitulation  die  Verbannten 
nach  Athen  zurück  und  verstärkten  das  Heerlager  der  Ilmsturzpartei. 
Unter  ihnen  befand  sich  auch  Kritias,  der  Bedeutendste  unter  allen 
Verfassungsfeinden,  der  eigentliche  Vollender  ihrer  lange  vorbereiteten 
Pläne. 

Kritias,  des  Kallaischros  Sohn,  war  ein  Charakter,  wie  er  sich 
nur  in  Zeiten  der  Revolution  entwickeln  und  gellend  machen  konnte. 
Er  gehörte  einem  der  edelsten  und  begütertsten  Geschlechter  Athens 
an,  das  dem  des  Solon  verwandt  war.  mit  welchem  der  Vater  seines 
Grofsvaters,  des  älteren  Kritias,  in  engster  Freundschaft  gestanden 
hatte.  Als  Mitgift  seines  Hauses  hatte  er  eine  Richtung  auf  alle 
höheren  Interessen,  einen  Trieb  zu  Wissenschaft  und  Kunst,  welchen 
ein  reiches  Talent  unterstützte  und  ein  lebhafter  Ehrgeiz  förderte. 
Was  in  Athen  an  Bildungsmitteln  sich  darbot,  eignete  der  junge 
Kritias  sich  an;  er  studirte  Protagoras  und  Gorgias,  er  trat  zu  Sokra- 
tes  in  näheren  Umgang  und  war  Jahre  lang  einer  der  eifrigsten  Theil- 
nehmer  seiner  Unterhaltungen.  Aber  dieser  Umgang  hatte  auf  seine 
Charakterbildung  noch  weniger  dauernden  Einfluss,  als  auf  Alkibiades. 
Denn  dieser  war  doch  in  der  That  von  der  Gröfse  seines  Lehrers  er- 
griffen. Kritias  aber  wollte  ihm  nur  ablernen,  was  er  für  seinen  Ehr- 
geiz benutzen  konnte.  Denn  er  wollte  Alles  können  und  wissen.  Es 
genügte  ihm  nicht,  als.  Redner  und  politischer  Schriftsteller  durch 
Reichthum  der  Kenntnisse  und  eine  mustergültige  Sprache  sich  her- 
vorzuthun,  er  wollte  als  Musiker  glänzen,  er  wollte  auch  Dichter  sein, 
und  schrieb  nicht  nur  nach  solonischem  Vorbilde  Elegien  politischen 
Inhalts,  sondern  auch  Tragödien,  obwohl  ihm  zum  Dichter  die  Tiefe 
und  Wärme  des  Gefühls  fehlte,  so  wie  die  Harmonie  des  innern 
Lebens.  Und  ebensowenig  wurde  er  ein  wahrer  Philosoph  nach  dem 
Begriffe  des  Worts,  wie  er  zuerst  in  der  Seele  seines  grofsen  Lehrers 
sich  gestaltet  hatte.  Denn  bei  allen  Kenntnissen  und  aller  Verstandes- 
schärfe blieb  sein  Wesen  ungeordnet  und  voll  von  Widersprüchen, 
seine  Bildung  oberflächlich  und  ohne  Zusammenhang,  weil  er  zu 
selbstsüchtig  war,  um  sich  irgend  einer  Sache  mit  vollem  Herzen  hin- 


Digitized  by  Google 


800 


KIUTIAS   DES   KALLAISCHROS  SOHY 


zugeben.  Er  suchte  sich  aller  Orten  zusammen,  was  er  brauchen  zu 
können  glaubte,  und  so  diente  alle  Bildung  am  Ende  nur  dazu,  ihn 
sittlich  immer  schlechter  zu  machen.  Er  wurde  zum  Heuchler,  indem 
er  auf  das  Erbaulichste  von  den  Tugenden  des  Bürgers  mit  Sokrates 
sprechen  konnte,  ohne  daran  zu  denken,  diese  Tugenden  zu  üben;  von 
seiner  Vielwisserei  aufgebläht,  strebte  er  nach  Anerkennung  und  Ein- 
lluss,  und  so  wurde  er,  der  ursprünglich  eine  kalte  und  berechnende 
Natur  war,  ein  unstäter,  aufgeregter,  leidenschaftlicher  Charakter,  ein 
Mann,  der  aus  Mangel  an  innerer  Haltung  den  äufsersten  Parteirich- 
tungen sich  hingab  und  jedes  Mafs  verschmähte.  So  ging  er  Schritt 
für  Schritt  weiter,  und  je  völliger  in  ihm  das  Rechtsgefühl  verdunkelt 
und  die  Stimme  des  Gewissens  übertäubt  war.  um  so  mehr  wurde  der 
eitle  Schöngeist  zu  einem  Verbrecher,  welcher  sich  zuletzt  vor  keiner 
Schlechtigkeit  scheute. 

Bei  einem  Manne  von  dieser  Anlage  und  Entwickeln!^  kann  es 
nicht  befremden,  wenn  seine  öffentliche  Thätigkeit  eine  unklare, 
schwankende  und  widerspruchsvolle  gewesen  ist.  Aristokrat  von  Ab- 
kunft und  Gesinnung,  der  Sohn  eines  Mannes,  der  zu  den  eifrigsten 
Oligarchen  gehörte  (S.  729)  ist  er  gewiss  niemals  ein  Freund  der  Ver- 
fassung gewesen.  In  sophistischem  Hochmuthe  verachtele  er  das  Volk 
und  war  mit  seinen  Parteigenossen  der  Meinung,  dass  die  Krämer 
und  Handwerker  sich  um  ihr  Gewerbe  kümmern  und  die  Staats- 
angelegenheiten den  Männern  von  Stand  und  Bildung  überlassen 
sollten.  Es  lässt  sich  voraussetzen,  dass  er  in  diesen  Ansichten  an 
Antiphon  sich  anschloss,  der  ihm  auch  wohl  als  Redner  zum  Muster 
diente.  Indessen  hielt  er  sich  nicht  von  Anfang  an  zu  dieser  Partei, 
sondern  bewahrte  sich  eine  freiere  Stellung.,  und  gehörte,  wie  es 
scheint,  zu  denen,  welche  sich  dem  Alkibiades  anschlössen;  darum 
hatte  er  auch  mit  dem  Anhange  desselben  zur  Zeit  des  Hermenfrevels 
mancherlei  Anfechtungen  zu  erdulden  (S.  642). 

In  selbständiger  Thätigkeit  sehen  wir  ihn  erst  nach  dem  Sturze 
der  Vierhundert,  und  zwar  war  er  damals  der  leidenschaftlichste 
Gegner  der  Tyrannen.  Er  war  es,  welcher  Phrynichos  noch  nach 
seiner  Ermordung  anklagte,  und  auf  seinen  Antrag  wurden  die  Gebeine 
des  Verräthers  über  die  G ranze  von  Attika  geschafft  (S.  737).  Von 
Kritias  wurde  auch  der  Volksbeschluss  veranlasst,  welcher  die  Rückbe- 
rufung  des  Alkibiades  anordnete  (S.  733),  und  wenn  wir  ihn  nach 
dem  zweiten  Sturze  des  Alkibiades  aus  Athen  entfernt  finden,  so  mag 


Digitized  by  Google 


KRITIAS'  RÜCKKEHR  AUS  THESSALIEN. 


801 


diese  Entfernung  damit  zusammenhängen,  dass  er  jenes  Volksbe- 
schlusses wegen  missliebig  war.  Gewiss  ist,  dass  er  zur  Zeit  der  Argi- 
nusenschlacht  flöchtig  war  und  in  Thessalien  sich  aufhielt,  einem 
Lande,  welches  für  unstäte  Parteigänger  der  dankbarste  Boden  war. 
Denn  hier  waren  schon  vor  längerer  Zeit  sehr  heftige  Volksbewegungen 
ausgebrochen;  die  Penesten  hatten  sich  gegen  die  grofsen  Grundbe- 
sitzer erhoben  (I,  95, 179),  und  die  Athener  waren  diesen  Bewegungen 
nicht  fremd  geblieben.  Wenigstens  wissen  wir,  dass  sie  schon  vor 
dem  Frieden  des  Nikias  Gesandte  dorthin  geschickt  hatten,  von  denen 
Einer,  Namens  Amynias  (S.  515),  wegen  Ueberschreilung  seiner  Voll- 
machten angeklagt  wurde,  weil  er  sich  zu  Gunsten  der  Zinsbauern  an 
den  Unruhen  betheiligt  hatte.  Auch  Kritias  nahm  an  diesen  Bewegun- 
gen leidenschaftlichen  Antheil,  half  das  Bauernvolk  wehrhaft  machen 
und  unterstutzte  den  Führer  desselben,  Prometheus,  in  seinen  Unter- 
nehmungen. Es  scheint  also,  dass  er  hier  wie  in  der  Heimat  die  Be- 
strebungen solcher  Männer  förderte,  welche  durch  eine  überlegene 
Persönlichkeit  berufen  schienen,  die  Geschicke  der  Staaten  in  ihre 
Hand  zu  nehmen*18). 

Der  Aufenthalt  in  Thessalien  soll  sehr  nachtheilig  auf  den  Cha- 
rakter des  Kritias  eingewirkt  haben,  und  es  ist  in  der  That  wohl  zu  be- 
greifen, dass  durch  den  Verkehr  mit  einem  roheren  Volke  so  wie  durch 
die  Theilnahme  an  vielerlei  Gewaltsamkeiten  die  Achtung  vor  Gesetz 
und  Recht,  die  Anhänglichkeit  an  die  heimatlichen  Einrichtungen  und 
der  Eindruck  somatischer  Tugend,  der  etwa  noch  in  ihm  geblieben  war, 
immer  mehr  verdunkelt  wurden.  Dazu  kommt,  dass  die  Bedeutung, 
welche  er  seiner  Person  in  Thessalien  geben  konnte,  seine  Eitelkeit 
steigern  und  seinen  Ehrgeiz  anstacheln  musste.  Kurz,  man  fand  ihn 
verändert,  als  er  (nach  der  Capitulation,  wie  wir  annehmen)  aus  dem 
Norden  heimkehrte;  man  sah,  dass  er  entschlossen  war,  nicht  mehr 
fremden  Plänen  zu  dienen,  sondern  selbst  der  Mittelpunkt  zu  sein,  um 
welchen  die  Anderen  sich  sammelten,  und  das  durchzusetzen,  was  bis- 
her immer  unzeitig  oder  mit  halben  Mafsregeln  erstrebt  worden  war. 
Er  wurde  jetzt  Parteiführer,  wie  einst  Antiphon  es  gewesen  war,  und 
belehrt  durch  die  schlechten  Erfolge  früherer  Versuche,  glaubte  er  sich 
berufen,  die  durch  Unglück  gebrochene  Vaterstadt  von  ihren  Verkehrt- 
heiten zu  reinigen  und  zwar  mit  allen  Mitteln  der  Gewalt,  ohne  Scheu 
vor  Blut  und  Verrath,  um  dann  den  gereinigten  Staat  nach  seinen 
Grundsätzen  gestalten  und  nach  seinem  Willen  regieren  zu  können. 

Curtio».  Gr.  Gweh.  II.  0.  Aufl.  51 


Digitized  by  Google 


802 


LYSANÜItOS   IN  ATHEN. 


Ehe  aber  seine  besonderen  Pläne  zu  Tage  treten  konnten,  mussle 
er  mit  der  ganzen  Partei,  welche  die  Verfassung  stürzen  wollte,  zu- 
sammenhalten und  die  Mafsregeln  unterstützen,  welche  die  neue  Ord- 
nung der  Dinge  vorbereiten  sollten.  Er  trat  daher  gleich  nach  seiner 
Heimkehr  in  den  dirigirenden  Ausschuss  der  fünf  Ephoren  (S.  792) 
ein,  und  seiner  Thätigkeit  wird  es  zuzuschreiben  sein,  dass  sie  immer 
vollständiger  die  Stadt  beherrschten ;  der  Rath  war  in  ihrer  Hand  und 
die  Bürgerschaft  eingeschüchtert.  Auch  Männer  von  gemäfsigter  Ge- 
sinnung liefsen  sich  davon  überzeugen,  dass  die  Vaterstadt  unter  den 
gegenwärtigen  Umständen  nur  in  einer  völligen  Aenderung  der  Ver- 
fassung und  einem  Anschlüsse  an  spartanische  Staatseinrichtungen  ge- 
rettet werden  könne;  so  finden  wir  z.  B.  auch  den  jüngeren  Vetter  des 
Kritias,  den  edlen  und  von  tiefer  Weisheitsliebe  ergriffenen  Charmides, 
den  Sohn  des  Glaukon,  auf  Seiten  der  Oligarchen314). 

Nachdem  nun  in  den  Monaten,  welche  der  Capitulation  folgten, 
die  Umsturzpartei  alle  ihre  Kräfte  vereinigt  und  diejenigen  Männer  un- 
schädlich gemacht  halte,  denen  man  noch  Anhänglichkeit  an  die  Ver- 
fassung und  Muth  sie  zu  vertreten  zutrauen  konnte,  schritten  die  Oli- 
garchen zur  Vollendung  ihres  Werks,  wozu  sie  sich  die  persönliche 
Unterstützung  des  Lysandros  verschafften. 

Nachdem  König  Pausanias  mit  dem  ihm  untergebenen  Heere 
Attika  verlassen  hatte,  konnte  Lysandros  ungehindert  im  Sinne  seiner 
persönlichen  Politik  und  der  seiner  Parteigänger  vorgehen.  Als  Veran- 
lassung diente  der  Umstand,  dass  die  Friedensbedingungen  nicht  zur 
Ausführung  gekommen  seien;  die  Mauern  standen  noch. 

Lysandros  kam  in  Begleitung  des  Tberamenes  von  Samos  her- 
über, das  länger  als  Athen  den  Kampf  fortsetzte,  und  lief  mit  seiner 
ganzen  Flotte  im  Peiraieus  ein,  um  den  Friedensvertrag  durchzuführen. 
Er  warf  den  Bürgern  vor  den  Termin  versäumt  zu  haben  und  behan- 
delte die  Stadt  als  eine  Vertragsbrüchige  mit  Hohn  und  willkürlicher 
Gewalt.  Wie  zu  einem  Feste  liefe  er  die  Truppen  sich  bekränzen; 
unter  Gesang  und  Flötenspiel  wurden  die  Schiffe  verbrannt  und  die 
Befestigungsmauem  eingerissen.  Dann  wurde  eine  Volksversammlung 
angesagt,  welcher  Lysandros  beiwohnte.  Denn  er  wollte  auch  jetzt  den 
Schein  des  Rechts  wahren  und  nicht  unmittelbar  eingreifen. 

Hier  trat  Drakontidas,  ein  nichtswürdiger  und  oft  verurteilter 
Mensch,  mit  dem  Vorschlage  auf,  die  Staatsverwaltung  in  die  Hände 
von  dreifsig  Männern  zu  legen,  und  Theramenes  unterstützte  ihn,  in- 


Digitized  by  Google 


EINSETZUNG  OER  DREISSIG  (A  4;  401  SOMMER)-  803 

dem  er  diesen  Vorschlag  als  die  Willensmeinung  Spartas  bezeichnete. 
Auch  jetzt  riefen  die  Reden  noch  eine  heftige  Entrüstung  hervor ;  nach 
allen  Gewaltthaten  fehlte  es  auch  jetzt  noch  nicht  an  freimülhigen 
Männern,  welche  für  die  Verfassung  zu  sprechen  wagten  und  sich 
darauf  beriefen,  dass  über  die  inneren  Angelegenheiten  in  der  geneh- 
migten Capilulation  nichts  enthalten  sei.  Da  nahm  Lysandros  selbst 
in  der  Versammlung  das  Wort  und  redete  rückhaltlos,  wie  ein  Ge- 
bieter; er  erklärte  die  Verschlechterung  der  Friedensbestimmungen  für 
die  verdiente  Folge  der  säumigen  Vertragserfüllung  und  liefe  nur  die 
Wahl  zwischen  Annahme  des  Gesetzvorschlages  und  Vernichtung  der 
ganzen  Gemeinde. 

Durch  solche  Mittel  wurde  der  Antrag  des  Drakontidas  durch- 
gesetzt; aber  nur  eine  geringe  Zahl  von  schlechtgesinnten  und  feigen 
Bürgern  hob  die  Hände  zur  Beistimmung  auf.  Alle  besser  Gesinnten 
wussten  sich  der  Betheiligung  an  dieser  Abstimmung  zu  entziehen. 
Dann  wurden  zehn  Mitglieder  der  Regierung  durch  die  Ephoren,  d.  h. 
Krilias  und  seine  Genossen,  zehn  durch  Theramenes,  den  Vertrauten 
Ly sanders,  zehn  endlich  durch  die  versammelte  Menge,  wahrscheinlich 
in  freier  Abstimmung,  gewählt,  und  diese  Dreifsigmänner  dann  durch 
einen  Beschluss  der  anwesenden  Versammlung  als  oberste  Regierungs- 
behörde eingesetzt.  Die  Meisten  derselben  waren  früher  Mitglieder 
der  Vierhundert  und  darum  längst  mit  einander  einverstanden.  Eine 
von  Theramenes  vorgelegte  Eidesformel  fasste  die  politischen  Grund- 
sätze zusammen,  auf  welche  sie  sich  gemeinschaftlich  verpflichteten. 
Sparta  nahm  die  neue  Verfassung  unter  seinen  Schutz,  und  bald  zog 
eine  Besatzung  von  siebenhundert  lakedämonischen  Kriegern,  welche 
die  Dreifsig  sich  erbeten,  und  deren  Erhaltung  sie  übernommen  hatten, 
in  die  Akropolis  ein,  um  das  durch  innere  und  äußere  Feinde,  durch 
Gewalt  und  Verrath  überwältigte,  ohnmächtige  Athen  zu  über- 
wachen*15). 


So  schmachvoll  auch  das  Ende  des  dekeleischen  Kriegs  war,  so 
giebt  es  doch  für  die  Thatkraft  der  Stadt  Athen  kein  glänzenderes 
Zeugniss  als  den  achtjährigen  Widerstand,  welchen  sie  nach  dem  sici- 
lischen  Unglück  noch  zu  leisten  vermocht  hat. 

Griechenland,  Sicilien  und  Persien  waren  gegen  die  erschöpfte 
Stadl  im  Bunde,  und  doch  war  sie  nicht  durch  Gewalt  zu  zwingen ; 

51* 


Digitized  by  Google 


604 


RICKRUCK   AUF  HF.N 


ihre  Flolte  war  siegreich,  so  wie  sie  den  rechten  Führer  hatte,  der 
Kern  ihrer  Bürgerschaft  tapfer  und  freiheitsliebend,  ofperbereit  und 
standhaft.  Aber  der  ganze  Krieg  war  ein  Kampf  der  Verzweiflung, 
weil  den  Athenern  der  (feste  Boden  unter  den  Füfsen  fehlte;  sie 
kämpften  um  die  Erhaltung  ihres  Staats,  aber  dieselbe  war  an  eine 
Reihe  auswärtiger  Besitzungen  geknüpft,  deren  dauernde  Wiederer- 
werbung ihre  Kräfte  überstieg.  Athens  ganze  Macht  war  die  Flolte, 
und  diese  mussle  sich  selbst  ernähren.  Sold  und  Unterhalt  herbei- 
zuschaffen mussle  immer  das  Hauptaugenmerk  der  Feldheim  sein; 
darum  konnte  kein  zusammenhängender  Kriegsplan  verfolgt  werden, 
der  Krieg  wurde  zu  einem  wüsten  Freibeuterkriege,  welcher  den  Riss 
zwischen  Athen  und  seinen  früheren  Bundesgenossen  immer  unheil- 
barer machte. 

Geld  ist  die  Hauptfrage  des  ganzen  dekeleischen  Kriegs,  und  da 
auch  Sparta  keinen  Schau  hat,  so  ist  es  das  Geld  des  Grofskönigs,  von 
dem  der  Ausgang  abhängt.  Die  Ueberlegenheit  zur  See  wurde  immer 
wieder  hergestellt,  aber  nicht  die  Seeherrschaft,  welche  ohne  eigenen 
Schatz  unmöglich  war.  Daher  das  ziellose  Kämpfen  und  trotz  der 
glänzendsten  Siege  jener  Zustand  hülfloser  Unsicherheit  von  dem 
Augenblicke  an,  da  Athen  durch  das  sicilische  Unglück  aus  dem 
Rausche  eines  unbegrenzten  Machtbewusstseins  aufgeschreckt  wurde. 

Aber  auch  das  verarmte  und  seiner  Hülfsquellen  beraubte  Athen 
ist  nicht  von  seinen  äufseren  Feinden  besiegt  worden.  Athen  ist  durch 
sich  selbst  gefallen.  Durch  innere  Partei ung  ist  der  Staat  schon  vor 
dem  sicilischen  Zuge  zerrüttet  worden.  Durch  Parteiränke  ist  Alki- 
biades  dahin  gebracht  worden,  dass  er  den  Spartanern  den  Weg  nach 
lonieu  und  zur  Schatzkammer  des  Königs  zeigte,  durch  Parteiränke 
die  letzte  Flotte  und  endlich  die  Stadt  selbst  dem  Feinde  überant- 
wortet worden.  Es  ist  ein  Sieg  des  Verraths,  welcher  den  ganzen 
Krieg  beendete. 

Von  den  Flecken  verrätherischer  Gesinnung  ist  die  attische  Ge- 
schichte auch  während  der  Zeit  der  Perserkriege  nicht  frei.  Schon 
nach  dem  offenen  Bruche  mit  Sparta  hatte  sich  eine  lakedämonische 
Partei  gebildet,  welche  auf  die  Demüthigung  der  Vaterstadt  hin- 
arbeitete. Staatsgefährlich  wurden  aber  diese  Umtriebe  erst,  als  die 
Lehren  der  Sophistik  in  Athen  eindrangen.  Denn  die  sophistische 
Richtung  ist  es,  welche  vorzugsweise  dazu  beigetragen  hat,  die  Kräfte 
der  Zerstörung  aufzuregen.    Sie  hat  die  Bande  gelöst,  welche  die 


Digitized  by  Google 


DEKELEISCHEN  KRIEG 


SU5 


Herzen  der  Börger  zu  einem  Gesam  ml  willen  vereinigt  hielten;  sie  hat 
die  Jugend  der  Stadt  gelehrt,  ihren  Eigenwillen  in  keckem  Hochtnuthe 
jeder  Ueberlieferung  gegenüber  geltend  zu  machen  und  die  Tugenden 
der  Väter  zu  verachten;  sie  hat  die  Ringplätze  verödet,  auf  welchen 
einst  in  gemeinsamer  Zucht  ein  gesundes  Geschlecht  heranwuchs;  sie 
hat  den  Glauben  an  die  Götter  zerstört,  die  Ehrfurcht  vor  den  Ge- 
setzen, die  Anhänglichkeit  an  Heimat  und  Familie,  die  Scheu  vor  Un- 
recht und  Untreue. 

Eine  Fülle  der  edelsten  Gaben  war  vorhanden,  aber  die  guten 
Anlagen  schlugen  in's  Gegentheil  um,  und  die  besten  Köpfe  wurden  die 
schlimmsten  Feinde  des  Staats;  die  Bildung  wurde  zu  einem  Gifte, 
welches  das  Mark  des  Staats  aufzehrte,  und  die  Gegner  der  Verfassung, 
welche  den  kranken  Staat  heilen  und  eine  neue  auf  Wohlstand  und 
Bildung  gegründete  Aristokratie,  eine  'Herrschaft  der  Besten',  her- 
stellen wollten,  waren  schlechter,  selbstsüchtiger  und  gewissenloser 
als  die  leidenschaftlichsten  Demagogen.  In  blutigem  Hader  erloschen 
die  erhaltenden  Kräfte  des  Staats,  Bürgersinn  und  Vaterlandsliebe.  Die 
Anhänger  der  verschiedenen  Parteien  reichten  sich  nicht  mehr  die 
Hand,  wenn  es  die  Rettung  der  Vaterstadt  galt,  wie  Aristeides  und 
Themistokles  vor  der  Schlacht  bei  Salamis,  sondern  sie  gaben  um 
ihrer  Sonderinteressen  willen  Heer  und  Flotte,  Stadt  und  Häfen  preis 
und  sahen  Athen  ruhig  zu  Grunde  gehen,  wenn  sie  nur  an  ihren 
Feinden  Rache  nehmen  konnten. 

Die  Einnahme  Athens  machte  Sparta  wieder  zur  alleinigen  Grofs- 
macht  in  Griechenland.  Die  Mauern,  mit  deren  Aufrichtung  die  selb- 
ständige Geschichte  Athens  begonnen  hatte,  waren  geschleift,  und 
äufserlich  schien  es,  als  weun  die  Gröfse  der  Stadt,  deren  Grundstein 
in  Marathon  gelegt  worden  war,  nur  eine  kurze  Unterbrechung  des 
Zustandes  gewesen  sei,  welchen  die  Feinde  der  Stadt  als  den  allein 
rechtmäfsigen  bezeichneten,  nämlich  des  Zustandes  der  freiwilligen 
Unterordnung  von  ganz  Griechenland  unter  die  Führerschaft  Spartas. 
Aber  so  wenig  Sparta  durch  eigene  Kraft  Athen  besiegt  hatte,  so  wenig 
konnte  es  auch  die  Ehre  und  den  Gewinn  des  Siegers  davontragen. 
Es  hatte  wohl  noch  Männer  wie  Kallikratidas,  welche  in  echt  helle- 
nischer Gesinnung  lieber  Frieden  mit  Athen  als  Bündniss  mit  Persien 
wollten;  aber  es  verdankte  seine  Erfolge  doch  nur  solchen  Mitteln, 
deren  Anwendung  ihm  Schande  und  Gefahr  brachte.  Es  war  aufser 
Stande,  die  Herrschaft  zu  führen,  welche  ihm  durch  Athens  Sturz  zu- 


Digitized  by  Google 


606 


SPAI1TA   l.ND  ATHE>. 


gefallen,  es  war  mit  seiner  Verfassung  in  offenen  Widerspruch  geratben, 
und  der  Sieger  von  Aigospotamoi  war  selbst  der  schlimmste  Feind  de» 
lykurgischen  Staats. 

So  gingen  die  Staaten,  in  welchen  die  Kraft  der  beiden  Haupt- 
stamme  der  Nation  vertreten  war,  aus  dem  Kriege  hervor,  beide  ihrer 
besten  Güter  beraubt,  beide  entartet  und  entkräftet.  In  furchtbarer 
Schnelligkeit  vollzog  sich  das  Gericht,  welches  die  Hellenen  durch 
ihren  Hader  heraufbeschworen  hatten;  Herodot,  der  noch  von  dem 
Höhepunkt  der  perikleischen  Zeit  die  Freiheitskriege  überschauen 
konnte,  hatte  auch  schon  das  Elend  zu  beklagen,  welches  der  Krieg 
der  beiden  Grofestaaten  über  Griechenland  gebracht  hatte;  er  konnte 
sein  Werk  nicht  zu  Ende  führen,  weil  die  Hoffnungen,  in  denen  er 
dasselbe  begonnen  hatte,  in  dem  heillosen  Kriege  vernichtet  wurden. 

Aber  wie  verschieden  ist  doch  die  Geschichte  der  beiden  Staaten 
bis  zu  dem  Zeitpunkte,  den  wir  jetzt  erreicht  haben! 

Seit  Solon  ist  die  griechische  Geschichte  wesentlich  eine  Ge- 
schichte Athens.  Von  Athen  ist  Alles  ausgegangen,  was  ihr  Bewegung 
und  Inhalt  gegeben  hat;  auf  Seiten  Spartas  und  der  anderen  Staaten 
ist  kein  selbständiges  Wollen,  kein  Streben  nach  nationalen  Zielen; 
da  sind  keine  Kräfte  thätig,  als  die  der  Verneinung  und  des  Wider- 
spruchs, keine  Triebfedern,  als  die  des  Hasses  und  feindseliger  Miss- 
gunst. Die  Athener  allein  haben  dahin  gestrebt,  an  Stelle  der  ver- 
alteten Bundesordnungen  eine  neue  Einigung  der  griechischen  Volks- 
kräfte herzustellen.  Sie  haben  Gut  und  Blut  daran  gesetzt,  um 
Griechenland  zu  befreien,  und  ihr  Beruf  zur  Hegemonie,  dessen  Herold 
Herodotos  war,  ist  von  den  überseeischen  Staaten  freiwillig  anerkannt 
worden.  Nun  war  zum  ersten  Male  eine  hellenische  Macht  geschaffen, 
vor  welcher  die  Barbaren  scheu  zurückwichen.  Neben  ihr  kounle  die 
peloponnesische  Landmacht  bestehen,  und  der  schöne  Wahlspruch 
kimonischer  Politik  'Krieg  gegen  die  Perser,  Friede  mit  den  Hellenen* 
konnte  zur  Wahrheit  werden.  Aber  Sparta  machte  dies  unmöglich, 
Sparta  brach  den  Bund,  und  nun  blieb  den  Athenern  nichts  Anderes 
übrig,  als  alle  hemmenden  Bücksichten  auf  Sparta  aufzugeben,  dein 
eigenen  Berufe  frei  zu  folgen  und  ihre.Stadt  zum  Mittelpunkte  griechi- 
scher Macht  und  Bildung  zu  machen.  Die  Politik  des  Perikles  war 
der  einzige  Weg,  auf  welchem  eine  gedeihliche  Fortenl Wickelung  der 
nationalen  Interessen  möglich  war.  So  unvergänglich  Grofses  sie  aber 
auch  in  einer  kurzen  Reihe  von  Friedensjahren  geleistet  hat,  so  war 


Digitized  by  Google 


ItUCKBLICK. 


807 


sie  doch  aufser  Stande,  den  Athenern  ein  dauerndes  Glück  zu  ver- 
bärgen. Mit  dem  Glänze  der  Stadt  stieg  die  Feindschaft  ihrer  Gegner, 
und  der  Krieg  wurde  unvermeidlich;  die  Vollendung  der  Volksherr- 
schaft rief  unter  den  Bürgern  Gegensätze  und  verfassungsfeindliche 
Richtungen  hervor,  welche  die  Kraft  des  Staats  untergruben;  die 
Pest  erschütterte  dieselbe  vollends,  indem  sie  nicht  nur  die  attische 
Volkskraft  lähmte,  sondern  auch  zur  Entsittlichung  der  Bürgerschaft 
wesentlich  beitrug. 

Was  aber  das  attische  Staatswesen  selbst  betrifft,  so  war  es  ein 
künstlicher  Aufbau  geblieben,  welchem  die  rechte  Sicherheit  fehlte 
und  die  jedem  Grofsstaate  unentbehrliche  volle  Selbständigkeit.  Die 
eigene  Landschalt  war  zu  einem  unwesentlichen  Bestandteile  des 
weiten  Herrschaftsgebiets  geworden;  sie  war  auch  für  die  nächsten 
Bedürfnisse  der  städtischen  Bevölkerung  durchaus  unzureichend.  Da- 
her die  Abhängigkeit  von  ausländischem  Korn;  daher  das  ruhelose, 
begehrliche  Ausschauen  nach  neuen  Hülfsquellen,  die  unglücklichen 
Unternehmungen  in  Aegypten  und  Sicilien.  Die  einseitige  Richtung 
auf  das  Meer  entfremdete  das  Volk  dem  Ackerbaue  und  machte  es 
unfähig  seinen  heimischen  Boden  zu  vertheidigen;  es  kämpfte  mit  dem 
letzten  Aufwände  seiner  Kräfte  um  die  Städte  am  Hellespont  und 
Bosporos,  während  es  die  Bergfeste,  welche  man  in  der  Hauptstadt 
vor  Augen  hatte,  neun  Jahre  lang  in  den  Händen  der  Feinde  liefs, 
ohne  einen  Angriff  auf  dieselben  zu  wagen.  Diese  Uebelstande  einer 
einseitigen  Seepolitik,  welche  unvermeidlich  waren,  wenn  Athen  das 
Meer  beherrschen  wollte,  konnten  nur  dadurch  aufgewogen  werden, 
dass  eine  wirkliche  Verschmelzung  zwischen  Athen  und  den  Bundes- 
rat! ten  zu  Stande  kam.  Perikles  hat  durch  seine  Bürgercolonien 
eine  solche  Vereinigung  erstrebt;  er  war  auf  dem  Wege,  durch  fort- 
schreitende Ausbreitung  attischer  Bevölkerung  auf  Inseln  und  Küsten 
die  wichtigsten  Plätze  des  Archipelagus  zu  überseeischen  Gauen  von 
Attika  zu  machen,  aber  die  Friedenszeit,  in  welcher  eine  solche  Ver- 
schmelzung allmählich  hätte  gelingen  können,  war  viel  zu  kurz.  Die 
Städte  waren  zu  weit  zerstreut,  ihr  Widersland  gegen  Athen  zu  zähe, 
und  bei  der  Unfähigkeit  griechischer  Stadtrepubliken  sich  zu  einem 
Reichsorganismus  zu  erweitern,  war  es  nur  die  Furcht  vor  einer  un- 
besiegten Flotte,  welche  die  Städte  in  Gehorsam  hielt.  Also  war  auch 
die  Seeherrschaft,  für  welche  Athen  den  festen  Besitz  der  eigenen 
Landschaft  aufgegeben  hatte,  eine  unsichere,  und  zwar  um  so  mehr, 


Digitized  by  Google 


SOS 


HÜCKÜLICK. 


da  die  Persermacht,  welche  im  Rücken  der  Bundesorle  auf*  jede u  Un- 
fall Athens  lauerte,  wohl  zeitweise  zurückgedrängt,  aber  nicht  zerstört 
werden  konnte. 

Ein  Staat,  dessen  Macht  auf  so  künstlichen  Grundlagen  ruhte, 
konnte,  wie  Perikles  erkannte,  nur  durch  die  höchste  Besonnenheit 
erhalten  und  nur  durch  den  kräftigen  Willen  eines  Staatsmanns  von 
überlegenem  Geiste  glücklich  geleilet  werden.  Noch  mehr  bedurfte 
es  eines  solchen,  da  Athen  durch  Abweichung  von  der  perikleiscben 
Politik  seine  Seeherrschaft  eingebüfst  hatte,  und  es  sich  nun  um 
die  Rettung  des  Staats  handelte.  Alkibiades  halte  den  Beruf  der 
Retter  zu  sein,  aber  durch  eigene  Schuld  wie  durch  die  seiner  Mit- 
bürger hat  er  denselben  nicht  erfüllen  können,  und  die  Herrlichkeit 
Athens  ging  zu  Ende. 

So  kurz  aber  auch  die  Dauer  derselben  gewesen  ist,  so  hat  sie 
doch  einen  Inhalt  gehabt,  welcher  die  Geschichte  von  Jahrhunderten 
aufwiegt.  Die  ganze  Fülle  hellenischer  Yolkskrafl  ist  in  ihr  zuerst 
offenbart  worden  und  keine  andere  Zeil  menschlicher  Geschichte  kann 
sich  an  geistiger  Thatkraft  mil  derjenigen  vergleichen,  welche  in 
diesem  Bande  dargestellt  ist. 

Die  Gröfse  des  perikleischen  Athens  ist  niemals  wieder  hergestellt 
worden,  aber  sie  ist  ein  Schatz  des  Volks  für  alle  Zeit  geblieben,  und 
zwar  nicht  nur  als  eine  glorreiche  Eriunerung,  an  der  man  in 
schlechteren  Zeiten  sich  trösten  konnte,  sondern  sie  hal  auch  kräftig 
und  segensreich  nachgewirkt;  denn  die  späteren  Geschlechter  haben 
sich  an  ihr  immer  wieder  aufgerichtet,  und  darum  ist  das  gedemüthigte 
Athen  auch  in  der  folgenden  Zeit  wiederum  der  wichtigste  Schauplatz 
hellenischer  Geschichte  geworden. 


Digitized  by  Googl 


ANME EKUNGEN 

ZUM  DRITTEN  BÜCH. 


1.  (S.  4).  Ueber  den  Charakter  des  Mardooios  vgl.  Her.  VI  43,  wo  die 
liberalen  Staatsideen  des  Otanes  mit  den  Neuerungen  des  Mardooios  iu  Zu- 
sammenhang gesetzt  werden.  Ebenso  wird  er  VII  6  als  ein  Freund  von  Neu- 
erungen bezeichnet  uud  als  das  Ziel  seines  Ehrgeizes  die  Statthalterschaft  ia 
Hellas.  Vergl.  meine  Bemerkungen  zur  Dareiosvase  in  Gerhards  Archäolo- 
gischer Zeitung  1657  S.  III. 

2.  (S.  5).  Einkünfte  der  Thasier:  Her.  VI  46.  Ueber  die  thasischen  Mün- 
zen und  ihre  Verbreitung  auf  dem  Festlande  vgl.  Perrot  Memoire  sur  l'ile 
de  Thasos  p.  21  f.    Unterjochung  durch  die  Perser:  Her.  VI  47. 

3.  (S.  7).  Herodot  IX  80,  welcher  von  dieser  Gelegenheit  den  grofsen 
Rcichthum  der  Aegineten  ableitet.  Die  überlieferte  Leaart  bei  Herod.  III  59, 
worauf  das  S.  7  über  den  Atheoatempel  in  Aigioa  Gesagte  beruht,  ist  ohoe 
hinlänglichen  Grund  angezweifelt  worden  im  Neuen  Schweizerischen  Museum 
III  lbü3  S.  96.    Fehden  zw.  Aigina  und  Athen:  Polyaen.  Strat.  V  14. 

4.  (S.  9).  Tödtuog  der  pers.  Gesandten:  Herod.  VII  133  (aus  lakedä- 
mouischer  Ueberlieferung),  vgl.  Kirchhof  über  die  Abfassungszeit  des  Herodot. 
Geschichtsworks  1678  S.  24. 

5.  (S.  11).  Üemaratos  von  Kicomenes  gestürzt:  Her.  VI  61— 66.  Mua 
itjs  ßaa$Xij(ijs  iqv  xaianavaw  6  J.  faxt  alge&tls  &GXn*i  67.  Flucht  des  D. 
zum  Perserköoig:  70.  Kleomenes  mit  Leotychidea  in  Aigina:  73.  Kl.' Flucht 
und  Ende:  74 — 76.  —  Herodot  erzählt  Alles,  was  sich  von  der  Aufnahme 
der  mediseben  Gesandten  in  Aigina  (VI  49)  bis  zu  den  Seekampfen  der 
Aegineten  und  Athener  (c.  92  f.)  begeben  hat,  in  ununterbrochener  Folge, 
indem  er  nur  die  Räubereien  der  auf  Suniou  angesiedelten  Aegineten  (c.  90) 
ausdrücklich  als  etwas  Späteres  anführt,  das  nur  gelegentlich  in  die  Erzählung 
mit  aufgenommen  sei.  Darnach  haben  Clinton,  0.  Müller,  K.  Fr.  Hermann  den 
Tod  des  Kleomenes  noch  in  das  Jahr  491  Ol.  72,  2  gesetzt,  und  Müller 
(Aegin.  p.  118)  nimmt  an,  dass  die  c.  92  f.  erzählten  Kämpfe  durch  den  Kriegs- 
zug des  Datis  und  Artaphcrnes  unterbrochen  worden  seien,  indem  er  auch 
deu  'Ad-rjvabitv  ra^oc,  ol  nQiv  ij  atgattvoai  row  MijSov  trtoXturjattv  nQÖs 
Alytv^ias  (Paus.  I  29,  5)  auf  diese  Kriege  bezieht  und  der  Meinung  ist,  dass 
für  die  Mannschaft  des  heiligen  Schiffs  die  Geiseln  der  Aegineten  ausgeliefert 


Digitized  by  Google 


810 


ANMEKK l'XGE.N  ZI  M   IHUTTEN  BUCH. 


worden  seien.    Indessen  lässt  sich  die  Menge  der  von  Herodot  erzählten 
Thatsnchen  nicht  in  die  kurze  Frist  zwischen  der  niedischen  Gesandtschaft 
und  der  Schlacht  von  Marathon  zusammendrängen;  auch  ist  deutlich,  das«  cor 
Zeit  des  Bergwerkgesetzes  (S.  32)  die  Fehde  noch  fortdauerte;  eine  sichere 
Vcrtheilung  der  einzelnen  Ereignisse  in  die  Zeit  vor  und  nach  der  maratho- 
nischen  Schlacht  ist  unmöglich.    Die  einzige  ThaUtoche  unter  den  bei  Herodot 
erzählten,  welche  nach  andere»  Zeugnissen  bestimmt  werden  kann,  ist  der  Re- 
gierungsantritt des  Leotyehidcs,  welcher  22  Jahre  im  Amte  gewesen  ist  (Diud. 
IX  48);  sein  Nachfolger  ist  Archidamos,  dem  42  Jahre  gegeben  werden  (Diod. 
IX  48;  XJI  35).    Da  nun  Archidamos  428  noch  das  Heer  befehligt  (Tbuk.  III  1) 
und  426  an  seiner  Stelle  Agis  auftritt  (III  b<J),  so  muss  Archidamos  427  oder 
Anfang  426  gestorben  sein.    Sein  Regieruugsantritt  fällt  also  469  oder  4GS, 
der  des  Leotycbides  aber  491  oder  490.    Also  fällt  jedenfalls  der  Anfang  des 
ägineti.schen  Kriegs  vor  die  Schlacht  bei  Marathon,  während  Grote  (3,  40  D. 
Ueb.)  die  Fehde  zwischen  Athen  und   Aigina  erst  4SS  beginneo  lässt  und 
Duncker  (Gesch.  d.  Alt.  4,  S.  694)  in  dasselbe  Jahr  den  Tod  des  Kleomenes 
setzt.    Die  Begründung  dieser  Annahme  so  wie  der  Meinung,  dass  Kl.  nicht 
natürlichen  Todes  gestorben  sei,  erscheint  mir  nicht  genügend.    ISach  Kaegi 
Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  6,  471,  der  Grotes  Chronologie  beistimmt,  hatte  Spart« 
zur  Zeit  der  Schi,  bei  Marathon  nur  einen  König,  Leotychides,  gehabt;  allein 
nach  Her.  VI  75  ist  Kleomenes  bis  an  sein  Lebensende  im  Besitz  der  könig- 
lichen Würde  geblieben.  Derselbe  a.  a.  O.  469  gegen  die  Annahme  von  zwei 
argivischen  Feldzugen  des  Kleomenes.     In  der  chronologischen  Behandlung 
des  äginetisch- attischen   Kriegs   stimmt  mir  bei  Franz  Rühl  die  Quellen 
Plutarchs  im  Leben  des  Kimon  1867  S.  42. 

6.  (S.  12).  Herodot  ist  vorsichtig  genug  keine  Zahlen  anzugeben.  Die 
grofse  Abweichung  in  den  Angaben  der  andern  Schriftsteller  zeigt,  dass  keine 
feste  Ueberlieferuag  vorhanden  war.  Die  im  Texte  angegebeuen  Zahlen  sind 
die  des  Cornelius  ISepos  im  Leben  des  Miltiadcs  c.  5,  welcher  dem  Ephoros 
zu  folgen  scheint. 

7.  (S.  14).  Karystos:  Herodot  VI  99.  Kretria:  c.  100  ff.  Die  Frage 
nach  den  Motiven  der  Landung  in  Marathon  behandelt  nach  Leake  und  Finlay 
Victor  Campe  de  pogna  Maratb.  1867  p.  23.  Heber  die  Localität:  Loiting, 
Mittheilungen  des  Deutschen  Archaeol.  Inst,  in  Athen  1,  67  ff.  Hachenburg, 
Topographische,  arebaeologische  und  militärische  Betrachtungen  auf  dem 
Schlacbtfelde  von  Marathon  vgl.  Anm.  14. 

8.  (S.  15).  Nach  den  Berichten  bei  Plutarch  (Alisteides  2)  wurden  Ari- 
steides  und  Themistokles  zusammeo  erzogen  und  unterrichtet;  nach  Aeliaa 
(Var.  Hist.  III  2)  weigert  sich  Themistokles  als  Schulknabe  dem  Tyrannen 
Pcisistratos  aus  dem  Wege  zu  gehen.  Darnach  müsste  Themistokles  spätestens 
Ol.  61,  2  (535)  geboren  sein.  Wenn  es  aber  wahr  ist,  dass  Themistokles 
65  Jahr  alt  geworden  ist  (Plut.  Them.  31),  und  wenn  seio  Todesjahr,  wie  sich 
später  (vgl.  Anm.  72)  ergeben  wird,  vor  Ol.  79,  1  (465)  fallen  muss,  so  sind 
diese  Nachrichten  nur  so  zu  vereinigen,  dass  wir  die  Geschichte  aas  seiner 
Knabenzelt  nicht  auf  Peisistratos  selbst,  sondern  nach  einer  sehr  häufipeo 
Verwechslung  zwischen  den  verschiedenen  Mitgliedern  der  Tyranaeadynastie 


Digitized  by  Gc 


ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  RUCD. 


811 


auf  die  Sühne  des  Tyrannen  beziehen.  Dann  würde  das  Geburtsjahr  des  The- 
mistokles ungefähr  mit  dem  Todesjahre  des  Peisistratos  zusammenfallen.  Von 
Aristeides  wissen  wir  nor,  dass  er  am  die  Zeit  der  Reformen  des  Kleisthcnes 
ein  selbständiger  junger  Mann  war.  Es  ist  also  kein  Grund,  sein  Geburtsjahr 
weit  über  das  Todesjahr  des  Peisistratos  hinaufzoröckeu.  Yergl.  Kleinert  in 
den  Beiträgen  zu  den  theologischen  Wissenschaften  von  den  Professoren  der 
Theologie  zu  Dorpat,  Baad  III.  Hamburg  1866  S.  213.  Themistokles'  Vater: 
Neocles  pater  generosus  nach  Nepos,  dazu  CIA.  181,  b  nach  Lbschcke  de  tit. 
quibusdam  att.  p.  27,  seine  Mutter  eine  Thrakerio,  nach  Phanias  eine  Ka- 
rierin:  Plut.  c.  1.    Kynosarges,  yvfivaaiov  des  vo&ot  unter  den 

Göttern.  Plut.  a.  a.  0.  Sladt klatsch  über  Tb.  Jugendstreiche  (rtögiTtnoi 
foatQidtov  im  Kerameikos)  nach  Idomeoeus  bei  Athenaios  533 d  576c.  Quellen 
über  Tb.  A.  Bauer  Themistokles  1881. 

9.  (S.  16).  lieber  die  Macht  der  HetÖrien  im  attischen  Staatsleben  vgl. 
1,  324,  366.    H.  Büttner  Geschichte  der  politischen  Hetarien  in  Athen  S.  21. 

10.  (S.  18).  Die  klassische  Stelle  über  den  attischen  Hafenbau  bei  Thu- 
kydides  I  93  halte  man  früher  allgemein  so  verstanden,  dass  unter  den  drei 
Häfen  drei  innere  Abtheiluugeu  des  Hafens  Peiraieus  zu  verstehen  seien.  Man 
verkannte  nämlich,  dass  Peiraieus  in  weiterem  Sinne  auch  die  gunze  Halb- 
insel bezeichne,  wie  deutlich  bei  Pausa nias  I  1,  2  und  Strabon  p.  58.  Nach- 
dem ich  dies  in  meiner  Schrift  de  portubus  Atbenarura  p.  44  erwiesen,  brachte 
Ulrichs  Reisen  u.  Forschungen  II  S.  156  IT.,  iodem  er  die  falsche  Ansicht  von 
einem  dreitheiligcn  Hafen  Peiraieus  vollends  zerstörte,  die  Topographie  der 
attischen  Häfen  der  Hauptsache  nach  in  Ordnung.  —  Phrynichos  uud  Themi- 
stokles: Bernhard y  Gesch.  der  Gr.  Porsie  II,  2  (1857)  S.  17.  Ueber  den  7ttva£ 
rijc  rixrjfj  den  Tb.  weihte,  siehe  Plutarch  Leben  des  Themistokles  c.  5.  O.  Müller 
de  Phryaichi  Phocnissis  1835.  Welcker  Allg.  Litt.  Ztg.  1863  S.  229.  Bergk 
Gr.  Litt.  3,  265. 

Die  Weihioschiift  der  neun  Archouten  bei  Philochoros  (Harpokratiun 
noog  rjj  nvlfJi  T.^rjg).  Dieser  Hermes  galt  früher  als  identisch  mit  dein 
Hermes  des  Kebris  im  Kerameikos;  dagegen  zuerst  Schümann  Isäus  S.  334, 
danu  Wachsmuth  Stadt  Athen  S.  208  und  519.  W.  setzt  den  Hermes  „am 
Pförtchen"  an  den  Rand  der  Seeküste;  Milchhöfer  (Karten  von  Attika  I  S.  3'J) 
an  die  Landseite,  wo  die  Verkehr  st  rafsen  mit  der  Oberstadt  ausgingen.  Dar- 
auf weist  auch  nvlnv  uouxos,  wie  Leake  zuerst  für  HtTixos  schrieb.  Bergk 
Rhein.  Mus.  39,  618  verbessert  bei  Hsrpokr.  avv  roic  yvlaTs,  indem  er  eine 
wetteifernde  Betheiligung  an  dem  Baue  voraussetzt.  —  Thukydides'  Angabe 
der  Mauerstärke  von  Müller-Strübing  mit  Unrecht  bezweifelt:  Jahrbüch,  für 
Phil.  1885  S.  289.  Wachsmuth  Ein  antiker  Seeplatz  (Conrad  Jahrb.  für 
National-Oeconomie  und  Statistik  1880  S  83  f.). 

11.  (S.  19).  Her.  VIII  92  erzählt,  wie  in  der  salaminischen  Schlacht 
Polykritos,  der  Sohn  des  Krios,  der  als  Geisel  den  Athenern  übergeben  wor- 
den war  (VI  73),  dem  Themistokles  höhnend  zugerufen  habe:  'Nicht  wahr, 
Themistokles,  wir  sind  wohl  recht  medisch  gesinnte  Leute?' 

12.  (S.  21).  Neunhundert  aus  jedem  Stamme,  das  scheint  die  genaueste 
Angabe  zu  sein.    Suidas  v.  'Inniat.    'Nicht  voll  zehntausend'  Paus.  IV  25,  5, 


Digitized  by  Google 


812 


ANMERKUNGEN  ZUM   DRITTEN  RUCH 


der  X  20,  2  sogar  mit  Eioschluss  von  alten  Leuten  uud  Sklaven  nur 
9000  rechnet.  Bei  Cornelius  Nepos  (Miltiades)  10,000  mit  Eioschlass  der  PI«- 
täer.  Vgl.  Bö'ckh  Staatsh.  I3,  S.  324.  Jostio.  119  rechoet  10,000  aafser  dea 
Platäera.  —  (lieber  die  Betheiligung  der  Sklaven  am  Aaszage  vgl.  Herbst 
,die  Schlacht  bei  den  Arginusseu',  1855,  S.  20,  welcher  aber  auch  aas  Paus. 
VII  10,  7  schwerlich  erweisen  kann,  dass  unter  den  attischen  Hopliten  frei- 
gelasseoe  Sklaven  mitgefochteo  haben.    Siehe  Böckhs  Staatsh.  I3,  S.  32). 

13.  (S.  24).  Die  Stellang  der  Stämme  hiag  oicht  damit  zusammen, 
dass  Marathon  zur  AianÜs  gehörte,  wie  Grote  meiot  (2,  603  D.  U.),  sondern  mit 
der  Herkunft  des  Kalliiuachos,  wie  Grote  ebendaselbst  schon  richtig  vermuthet 
hat.  Wo  der  Polemarch  stand,  da  stand  auch  sein  Stamm;  der  Pol.  aber  hatte 
die  Führung  des  rechten  Flügels.  So  arteilt  auch  Sauppe  de  creatione  arclu 
atticoram  Gott.  1864  p.  26.  Die  Reihenfolge  der  neun  übrigen  Stämme  wurde 
durch  das  Loos  bestimmt;  so  kamen  Leoatis  und  Aatiochis  zusammen  io  die 
Mitte.  —  Was  das  Datum  der  Schlacht  betrifft,  so  beruht  es  auf  den  chro- 
nologischen Forschungen  ßöckhs  (zur  Geschichte  der  Mondcyklen  S.  65),  in 
deren  Ergebnissen  trotz  Grote's  Widerspruch  nur  einige  Nebenpunkte  noch 
zweifelhaft  erscheinen  können.  Das  Schlachtdatum  bei  Plutarch  (Boedromioo  6) 
erklärt  sich  aus  der  häufig  vorkommenden  Verwechslung  des  Dankfestes  mit 
dem  Schlachttage;  das  Fest  wurde  erst  nach  mehreren  Volksversammlungen  in 
voller  Ruhe  gefeiert.  Die  Schlacht  erfolgte  gleich  nach  dem  Vollmonde,  wel- 
cher dem  sechsten  Boedromioo  zunächst  vorherging,  also  im  Metageitnioo,  der 
mit  dem  Neumonde  des  26.  Aug.  begann.  Am  neunten  des  wachsenden  Mon- 
des kam  Pheidippides  nach  Sparta  (Herod.  VI  105);  die  Spartaoer  ziehen  nach 
dem  Vollmonde  des  laufenden  Monats  (ihres  Karneios)  aas;  das  spart.  Voll- 
mondfest  fallt  auf  den  9.  Sept.  Den  10.  rücken  sie  ans,  den  13.  kommen  sie 
nach  Athen,  einen  Tag  nach  der  Schlacht  (Plat.  Leg.  698);  also  war  die 
Schlacht  am  12.  Sept.  (17.  Metag.).  Mögliche  Unordnungen  des  Kalenders  in 
Athen  und  Sparta  würden  das  Datum  um  ei u ige  Tage  verschieben,  aber  eine 
wesentliche  Abweichung  ist  nicht  anzunehmen.  —  lieber  bildliche  Darstellung 
der  marathonischen  Schlacht  siehe  O.  Jahn  in  Gerhards  Archäol.  Zeitung  1866 
S.  222. 

14.  (S.  25).  loh  glaube  noch  jetzt  noch,  dass  nur  in  der  angegebenen 
Weise  der  Hergang  der  marathonischen  Schlacht  sich  erklären  lässt,  wie  ich 
dies  in  den  Göttinger  Gelehrten  Anzeigen  1859  S.  1013  nachzu  weisen  gesucht 
habe.  Davon,  dass  die  Reiterei  abwesend  war,  scheint  sich  bei  Saidas  Xvoi; 
Inneis  eine  Ueberlieferung  erhalten  zu  habeo.  Fiolay  (Transactions  of  the  Royal 
Society  of  Liter.  III  373.  385)  meint,  die  Reiterei  sei  so  unbedeutend  gewesen, 
dass  sie  keine  entscheidende  Rolle  habe  spieleo  können  (wozu  haben  die 
Perser  sie  deon  mitgebracht?),  und  dass  diese  Reiterei  gerade  zum  Fooragirea 
am  Nordende  der  Ebene  gewesen  sei  (wie  kam  sie  dann  aber  nachher  anf  die 
Schiffe?).  Dass  es  über  den  Hergang  der  marathon.  Schlacht  eine  minder 
glorreiche  Auffassung  der  Thatsachen  gab,  bezeogt  Theopomp.  Fr.  Hist.  Gr.  I 
p.  306.  Vgl.  jetzt  auch  VV ecklein  Sitzungsb.  der  Bair.  Akad.  1876  S.  276  f . 
Leber  die  frühe  Verdunkelung  des  Thatbestandcs  vgl.  V.  Campe  de  pugna 
Marathooia  1867  p.  7.    C.  giebt  zu,  dass  die  weseullichsten  Schwierig k ei ten 


Digitized  by  Google 


ANMERKU>T.EN  ZUM   IHMTTKN  BUCH. 


durch  meine  Hypothese  beseitigt  werden;  dass  man  aber  auch  die  Sanmselig- 
keit  und  Unentscblosseoheit  der  Perser  erklären  soll,  scheint  mir  doch  zu  viel 
verlangt.  Sich  hinter  Sümpfen  zu  verstecken,  litt  der  Stolz  der  Perser 
nicht;  auch  waren  die  Sümpfe  damals  nicht  so  ausgedehnt,  wie  jetzt.  Ueber 
die  Gröfoe  der  Lagerbeule  giebt  es  keine  sichere  Ueberlieferung,  und  der  Um- 
stand, dass  einige  Schätze  noch  am  Lande  waren,  scheint  mir  nicht  erheblich 
zu  sein.  Die  ganze  Streitfrage  ist  neuerdings  durch  die  topographische  Auf- 
nahme des  Schlachtfeldes  und  die  militärische  Beurteilung  desselben  in  ein 
neues  Stadium  getreten.  Hauptmann  Eschenburg,  der  die  Ebene  aufgenommen 
hat  (Wochenschrift  für  klass.  Philol.  1S87  S.  152,  und  seine  Schrift:  Topogra- 
phische, archäolog.  und  militärische  Betrachtungen  auf  dem  Schlachtfcide  von 
Marathon  vgl.  Anm.  7),  nimmt  mit  mir  die  Einschiffung  der  Reiterei  vor  der 
Schlacht  an.  „Unglaublich  ist  es,  dass  ein  kriegsgewohntes  Volk,  von  ehrgeizigen, 
sehlachterprobten  Männern  geführt,  in  dem  Momente,  wo  es  möglich  und  leicht 
war,  durch  eine  rasche  Verwendung  der  Reiterei  die  Entscheidung  herbeizu- 
führen, nachdem  die  Pferde  durch  lange  Ruhe  und  gutes  Futter  die  erhoffte 
Stärkung  gefunden,  dieselbe  vom  Kampfplatze  zurückgezogen  nnd  mit  grofsen 
Beschwerden  eingeschifft  haben  sollte."  Nach  Casagrandi  Battaglia  di  Maratona 
Genova  1883  hat  sich  das  persische  Heer  getrennt.  Die  eine  Hälfte  unter 
ArUpbernes  erwartet  auf  der  See  das  Schildsignal;  die  zweite  Hälfte  unter 
D»tis  ist  zurück  geblieben  und  wird  geschlagen;  die  ganze  Reiterei  befindet 
sich  am  Bord.  Vgl.  Dunrker  Taktik  des  Miltiades,  Sitzungsber.  der  Berl.  Akad. 
1886  S.  393.  Er  will  die  10,000  Reiter  bei  Ephoros  auf  „einige  tausend" 
beschränkt  wissen.  Durch  den  stürmenden  Anlauf  der  Athener  seien  die  über- 
raschten Perser  verhindert  worden  ihre  Reiteret  zu  verwenden,  sie  sei  durch 
die  Flucht  mit  zurückgerissen  worden.  Für  die  Anwesenheit  der  Reiterei  auf 
dem  Schlachtfelde  benutzt  D.  Nepos,  Miltiad.  c.  5;  aber  hier  wird  nur  gesagt, 
wie  die  Athener  ihren  Lagerplatz  wählten,  um  nicht  von  den  Reitern  ange- 
griffen zu  werden.  Die  Schnelligkeit  des  Rückmarsches  nach  Athen  am  Schlacht- 
tage gehört  nach  D.  zu  den  offenbaren  Ausschmückungen  der  Ueberlieferung. 
Milchhöfer,  der  zuletzt  die  Ebene  von  M.  genau  untersucht  bat,  stimmt  mit 
Eschenburg  vollkommen  überein ;  nur  setzt  er  den  Demos  Marathon  mit  Leake 
nach  Vrana. 

15.  (S.  27).  Das  Schildzeicben  auf  dem  Pentelikon  ist  eine  unzweifelhafte 
Thatsache;  die  Beschuldigung  der  Alkmäoniden  weist  Her.  VI  123  als  eine 
Verlüumdung  zurück.  Vgl.  Kirchhoff  Abb.  der  Berl.  Ak.  1871  S.  57  f.,  und  Nitzsch 
Rh.  Mus.  27,  S.  243  f.  —  Die  von  Kaegi  J.  f.  Ph.  Suppl.  0,  450  aufgezählten 
Fälle  beweisen  nicht,  dass  die  Spartaner  durch  die  Karneenfeier  zurück- 
gehalten waren,  sondern  nur,  dass  dieses  Fest  öfter  einer  energielosen  Krieg- 
führung zum  Vorwand  dienen  musste.  —  Tropäoo,  jedoch  aus  unbekannter  Zeit: 
Paus.  I  32,  5.    Siegesfest:  Hermann  Gottesd.  Alterth.  56,  3. 

16.  (S.  29).  Ich  habe  in  Übereinstimmung  mit  Grote  (2,  606  D.  Ueb.) 
die  Erzählung  Herodots  dem  gerade  hier  bedenklichen  Berichte  des  Ephoros 
bei  Stepb.  v.  Ryzanz  s.  v.  Tlaqo<;  nnd  des  Nepos  im  Leben  des  Miltiades 
c.  7  vorgezogen.  Dass  M.  den  Verrath  der  Tempeldicneriu  benutzen  will, 
um  die  SchotzgÖttin  der  Insel  zu  gewinnen,  ist  ein  durch  zahlreiche  Aoa- 


Digitized  by  Google 


814 


ANMERKUNGEN  ZUM   »RITTEN  BUCH. 


logicn  beglaubigtes  Verfahren.  Vgl.  Böttichers  Tektonik  Buch  4  S.  142.  — 
Was  Piaton  im  Gorgias  p.  516  von  dein  Kinflusse  des  die  Abstimmung  lei- 
tenden Prytanen  bei  der  Verbandlang  über  M.  sagt,  kann  ich  unmöglich 
verwerfen,  wie  Dnncker  S.  090  thut,  wenn  auch  Herodot  VI  136  bei  der 
von  ihm  erwähnten  doppelten  Abstimmung  dieser  Thatsache  keine  Ermah- 
nung thut. 

17.  (S.  33).  Fehde  mit  Aigina:  Her.  VI  89.  Ilülfslcistung  der  Koriother, 
die  nach  einem  bestimmten  Gesetze  keinen  unentgeltlichen  Zuzug  leisten 
durften.  Der  Miethszins  von  5  Dr.,  welcher  verabredet  war,  um  dem  Gesetze 
zu  genügen,  kann  wohl  nur  als  ein  täglicher  aufgofasst  werden.  Wi lisch 
Beitrage  zur  innern  Geschichte  des  alten  Koriutb  Progr.  von  Zittau.  1SS7. — 
Atheu  hatte  50  Schilfa  im  Üginetischeo  Kriege  (Her.  VI  89);  70  im  Jahre 
der  Schlacht  von  Marathon  (VI  132).  Wenn  nun  487  (73,  2)  der  Beschluss 
durchging,  den  Bau  von  20  frieren  unter  die  regelma feigen  Jahresausgaben 
aufzunehmen  (ein  Gesetz,  welches  Diodor  erst  unter  Ol.  75,  4  anführt;  vgl. 
Böckh  SUaUh.  1»,  316),  so  konnte  bis  Herbst  4SI  eine  Flotte  von  200  Trieren 
vorhanden  sein.  (Duncker  4,  704.  Stein  zu  Herodot  VII  144.)  Gitschmann 
de  Aristidis  c.  Themistocle  cootentione  Breslau  1874,  p.  16  f.  Es  sollten  also 
weder  200,  wie  man  aus  Her.,  noch  100,  wie  man  aus  I'lut.  Them.  4  schliefsen 
könnte,  auf  einmal  gebaut  werden.  Them.  verfuhr  schlau,  xarä  ftucgov 
vnäyuiv  xaX  xataßißäCuv  r^v  noXw  tiq6(  jfiv  Oulaaoav.  Dennoch  erkannte 
Aristeides  sehr  richtig,  dass  os  sich  um  einen  Wendepunkt  der  attischen  Ge- 
schichte handele.  Bei  einer  solchen  Ausbildung  der  Seemacht  konnte  die 
Landmacht  nicht  unerschüttert  bestehen. 

IS.  (S.  35).  Aristeides  den  Themistokles  u.  A.  zur  Rechenschaft  ziehend: 
Flut.  Arist.  4;  vgl.  Anin.  118  zu  S.  227. 

19.  (S.  37).  In  der  chronologischen  Behandlung  der  politischen  Thätig- 
keit  des  Themistokles  biu  ich  der  Ansicht  Böckhs  (de  arch.  pseudep.)  gefolgt. 
Denn  da  auch  aus  andern  Gründen  (Anm.  10)  hervorgeht,  dass  Them.  schon 
vor  der  marathonischen  Schlacht  ein  Mann  von  entscheidendem  Einflüsse  war, 
so  ist  keio  Grund  anzunehmen,  dass  der  Archoo  von  Ol.  71,  4  (49%)  bei  Dion. 
Ant.  Rom.  VI  p.  367  ein  anderer  Themistokles  sei,  und  für  das  Archontat 
des  Themistokles  bei  Thukyd.  I  93  cio  anderes  Jahr  zu  suchen.  Die  Bemer- 
kungen Droysens  (Kieler  Studien  S.  79)  bestätigen  die  Böckhsche  Annahme. 
S.  auch  Wachsmuth  Stadt  Athen  1,  513.  Zweifelhafter  ist  der  Zeitpunkt 
des  ßergwerkgesetzes.  Gewiss  wnrden  mehrmahl  ähnlich  lautende  Gesetze 
gegeben  (wie  Diodor  XI  43),  und  die  Geschichte  der  att.  Flotte  (siehe  Anm.  17) 
macht  es  wahrscheinlich,  dass  schon  491  das  entscheidende  Gesetz  zuerst 
durchgegangen  (Gitschuiauu  de  Arist.  c.  Them.  coutentione  p.  20  f.).  Doch 
sehe  ich  keinen  Grund  daran  zu  zweifeln,  dass  vor  dem  ersten  Gesetze 
die  Bergwerksrente  vertheilt  worden  sei,  und  zwar  in  der  Regel  jährlich 
und  unter  alle  Bürger,  wie  Herodot  ausdrücklich  sagt.  Denn  dies  war  ein 
Einkommen  von  Dominialbesitz,  nicht  aber  ein  Geschenk  nach  Art  einer 
Korospende,  auf  welches  die  Wohlhabenderen  verzichteten.  Darum  betrug  aber 
die  Rente  nicht  jährlich  10  Drachmen  für  den  Mann,  sondern  dies  war  etwas 
ganz  Aufserordentliches,  indem  zu  der  gewöhnlichen  Rente  ohne  Zweifel  an- 


Digitized  by  Go 


ANMERKUNGEN  ZUM   DRITTEN  BUCH 


sehnliche  Kaufgelder  hinzugetreten  waren.  So  war  das  Hinkommen  auf  etwa 
10  mal  30,000  Drachmen,  also  50  Talente  =  75,000  Thaler  gestiegen,  und  diese 
glücklichen  Verhältnisse  benutzte  Tbem.  für  seine  Pläne.  Mach  Polyaen.  1  6 
wollten  die  Athener  gerade  100  Talente  verlheilen  (also  eine  Metallrente 
mehrerer  Jahre),  uud  beschlossen  davon  je  100  Bürgern  zum  Schiffsbau  ein 
Talent  zu  geben.  Diese  Ueberlieferung  ist  nicht  unglaubwürdig,  wenn  man 
annimmt,  dass  von  dem  Talente  nur  der  Rumpf  des  Schiffs  gebaut  werden 
sollte  (Böckh  Staatsh.  I3,  141).  Wenn  die  Scbiffsbauer  dabei  aus  eigenen  Mit- 
teln zulegten,  so  konnten  dafür  die  ärmeren  Bürger  um  so  eher  auf  ihre  Heute 
verzichten.  In  der  Hauptsache  übereinstimmend  das  Fragment  aus  Aristoteles' 
lA&rivaiuv  noXutitt.  Diels  Berliner  Fragmente  der  H&ti%a(an>  nokutfa  des 
Aristoteles  Abhdlg.  d.  Berl.  Akad.  1865  S.  32.  Hier  heifsen  die  Grubenbesitzer 
ol  la  (xfralXa  la  iv  MaQtovtftf  xnl  ^avQfftp  xtxttififroi,  und  die  volle  Durch- 
führung des  Gesetzes  fällt  mit  der  Verbannung  des  Aristeides  zusammen. 

20.  (S.  40).  Telepbaues  Pbocaeus  in  den  ofßcinae  reguiu  Xerxis  atque 
Darii  Plin.  XXXIV  68.  O.  Müller  Kl.  D.  Sehr.  2,  637.  lu  den  Ruinen  von  Pasar- 
gadai  erkennt  man  durchaus  schon  eine  Corruption  ionisch-hellenischer  Formen. 
Bötticher  Tektonik  1»,  S.  27.  Herakleitos*  Beziehungen  zum  Perserhofe: 
Zeller  Phil.  d.  Gr.  1*,  567.  Bcrnajs  die  heraklitischen  Briefe  S.  13  f.,  der 
die  Briefe,  worin  der  König  den  Philosophen  einladet,  vertbeidigt.  Dagegen 
Diels  im  Rh.  Mus.  31,  S.  33.  Metiochos:  Herod.  VI  41.  Eretrier:  c.  119. 
H.  Heinze  de  rebus  Eretr.  Gott.  1869  p.  34. 

21.  (S.  46).  Der  Athener  Dikaios:  Herod.  VIII  65.  Die  Steigerung 
in  dem  griechischen  Berichte  (Hernd.  VII  35)  von  der  Geifselung  bis  zur  Brand- 
mark unp  des  Hellespnnts  macht  die  ganze  Erzählung  sehr  bedenklich,  und  die 
von  Grote  3,  S.  15  D.  U.  beigebrachten  Analogien  erklären  doch  im  Grunde 
nur  die  Entstehung  solcher  Erzählungen,  ohne  ihre  Wahrheit  zu  verbürgen. 
Indem  man  das  Schlagen  der  Brücke  schon  an  sich  als  ein  Anlegen  von 
Fesseln  ansah,  konnte  es  leicht  geschehen,  dass  man  die  der  Natur  angethane, 
despotische  Gewaltsamkeit,  welche  den  griechischen  Sinn  verletzte,  io  immer 
grelleren  Farben  ausmalte.  Vgl.  O.  Müller  Kl.  D.  Scbr.  2,  77.  —  Die  Coo- 
struetion  der  Brücke  bleibt  ooch  immer  ein  Räthsel.  —  Nach  Demetrios  von 
Skepsis  bei  Str.  331  könnte  zweifelhaft  erscheinen,  ob  der  übrigens  auch  von 
Thuk.  IV  109  erwähnte  Canal  vollendet  worden  sei;  jedenfalls  war  er  sehr 
bald  wieder  unbrauchbar.  Lieber  Reste  des  Canals  vgl.  Coosinery  2,  153. 
Artacbaies  commaodirt  beim  Durchstich  des  Athos  Her.  VII  117,  Diels  Hermes 
22,  424. 

22.  (S.  49).  Bei  den  50,000  lakouischen  Wehrmännern  sind  nur  5000 
Spartaner  gerechnet  mit  35,000  Heloteu,  und  dazu  5000  schwerbewaffnete 
Lakedämonier  mit  eben  soviel  Leichtbewaffneten  nach  Herodot  IX  26;  vgl. 
VII  234.  Ueber  die  Gesamtzahl  der  Pelopouoesier  siehe  meinen  'Pelopon- 
nesos'  1,  175,  wo  für  Mantineia  statt  1440:  3000  gerechnet  werden  müssen. 
Die  Bürgerzahl  30,000  für  Athen  ist  nicht  anzugreifen,  wie  Bähr  sehr  richtig 
zu  Herod.  V  97  urteilt.  Die  Zählung  aus  Ol.  83,  4;  441  (Böckh  Staatsh.  I3  45) 
bezieht  sich  auf  Solche,  welche  auf  geschenktes  Korst  Anspruch  machten.  — 
Um  alle  Kräfte  zur  Verteidigung  des  Vaterlandes  zu  vereinigen,  ist  io  Athen 


Digitized  by  Google 


816 


ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  BUCH. 


■ach  ein  allge meines  Amnestiedekret  erlassen,  nach  Andokides  de  mysterüs 
§  107.  Vgl.  Scheibe  in  der  Zeitschrift  für  die  Altcrthumsw.  1842  S.  210.  Mit 
diesem  Dekrete  hängt  wahrscheinlich  anch  die  Rückkehr  des  Aristeides  zu- 
sammen.   Plot.  Tbemist.  c.  11. 

23.  (S.  49).  Die  460,000  Sklaven  der  Korinther,  die  470,000  der  Aegi- 
neten  sind  gut  bezengt  (BÖckh  Staatsh.  I3,  51).  Man  muss  nur  nicbt  daran 
denken,  dass  solche  Sklavenmassen  in  den  Städten  zusammengedrängt  gewesen 
seien;  sie  waren  auf  den  Schiffen  and  in  den  Uberseeischen  Faktoreien  zer- 
streut. Ueber  die  verschiedenen  Berechnungen  der  Sklavenmenge  in  den 
alten  Städten  s.  Büchsenschütz  Besitz  und  Erwerb  im  griech.  Alterth.  S.  141. 
Was  die  gesellschaftliehe  Stellung  der  Sklaven  betrifft,  so  war  dieselbe  aller- 
dings nach  Orten  and  Zeiten  verschieden.  Das  Gesetz  von  Gortys  lehrt 
uns  Gemeindeverhältnisse  kennen,  in  welchen  der  Unterschied  zwischen  Freien 
und  Unfreien  viel  weniger  schroH'  war,  wo  Unfreie  unter  Umstanden  selbst  als 
erbberechtigte  Familienglieder  auftraten.  Rhein.  Museom  N.  F.  40  Ergän- 
zungsheft 1895  S.  64.  In  aristokratischen  Staaten  wurde  immer  auf  strenge 
Standesonterschiede  gehalten;  die  demokratische  Loft  in  Athen  kam  aoeh 
den  Unfreien  zn  Gate  und  begünstigte  zum  Aerger  der  Aristokraten  (Ps. 
Xeo.  de  rep.  Athen.  1)  ein  humanes,  gemüthliches  Verhaltniss  zwischen 
Herren  und  Sklaven.  Aegypter  als  knechtische  Lastträger:  Arist.  Ran.  1406. 
Aves  1133. 

24.  (S.  53).  Pind.  Pytb.  10:  'OXßla  Aaxtöatuwv,  paxaiQ«  GtooaUa- 
7tttTQos  J*  ttfi<foitQaii  t£  Ivos  aQiOTofjaxov  y(voi  xUqaxX(oq  ßaoiXtvti.  Herod. 
VII  9. 

25.  (S.  54).    Herod.  VI  86. 

26.  (S.  55).    Dorieus:  Her.  V  41  f. 

27.  (S.  56).  Der  Kampf  um  die  Thyreatis:  Herod.  I  82.  Paus.  II  20,  7. 
Vgl.  'Othryades'  von  Kohlmaon  Rhein.  Mus.  29,  S.  426  ff.  —  Herod.  Vll  9 
la'sst  den  Mardooios  in  sehr  treffender  Weise  den  Kampf  der  Hellenen  als 
eine  SjuXla  bezeichnen:  tneav  yttQ  ttXXyXouri  itöltuov  nQottnaHft,  t£tv(>6v- 
7d  ro  xaXXtarov  xwgfov  xal  Xti6raTovy  i(  tovto  xartortts  ftaxovrai.  — 
Hier  ist  nicht  an  bestimmte  neS(a  ntQ^dx^ra,  wie  die  lelantische  Ebene  u.  a. 
zu  denken,  wie  H.  Stein  meint,  sondern  der  Sinn  ist,  dass  man  das  Schlacht- 
feld wie  eine  Palast™  ansah,  wo  die  Nachbarstädte  ihre  Kräfte  an  eioander 
mafsen,  ohne  örtliche  Vortheile  militärischer  Aufstellung  zu  suchen.  Ueber 
Dorieus  Herod.  V  41  f. 

28.  (S.  57).  Herod.  VII  61.  150.  Schol.  Arist.  Friede  289  mit  der  merk- 
würdigen Nachricht  von  dem  Philhellenismus  des  Datis. 

29.  (S.  59).  Pindars  siebente  pythische  Ode  aaf  den  Alkmäooiden  Me- 
gakles  als  Wagensieger.  Vgl.  T.  Mommsen  Pindaros  S.  40  f.  Bbckh  bezieht 
das  Lob  Athens  auf  den  marathonischen  Sieg.  Die  Pythien  fallen  in  den  Me- 
tageitnion  (Berl.  Monatsber.  1864  S.  129),  den  Monat  der  Schlacht.  Eine  Ab- 
fassung des  Gedichts  zwischen  der  delphischen  Feier  und  der  Schlucht  ist 
denkbar  (L.  Schmidt  Pindars  Leben  S.  85),  aber  doch  sehr  unwahrscheinlich. 
Thargelia  als  Parteigängerin  des  Grofskönigs:  Plutarch  Pertkles  24.  Athe- 
naios  p.  608.    Butt  mann  Mythologus  2,  281. 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  BUCH. 


817 


30.  (S.  61).  Die  Heiligthümer  des  Istbmos:  Peloponnesos  2,  541.  Ver- 
einigung der  Hellenen  zu  einer  Kriegsgenossenschaft:  r)  yivoftiyri  inl  toT 
Mrjdy  tvfiftaxia  Thnk.  I  102  nach  lierod.  I  200  nnd  145:  6[*aixp(1l  ngot  ibv 
ntQOjjy.  Vgl.  Ullrich  'Hellen.  Kriege'  S.  30.  Der  offizielle  Aasdruck  bei 
Herod.  c.  145:  ol  neol  tijv  ,EU«da  "ElXyjvfs  (d.  h.  die  mntterlündUchen  Grie- 
chen) ol  rä  afittvta  yooviovrts.  Ta  aptivm  <pqovhv  war  gewiss  ein  alter 
Ausdruck,  welcher  in  einem  auf  amphiktyonische  Angelegenheiten  bezuglichen 
delphischen  Spracbgebrauche  wurzelte.  Eidesleistung  nach  Herod.  VII  132, 
Diodor  XI  3,  Lykurg,  c.  Leocrat.  81.  Sie  beruht  mit  Einschlags  des  Jixa- 
rtvetv  auf  alten  amphiktyoniscben  Ueberlieferungen  und  ist  wegen  Theopomps 
Kritik  (fr.  167)  mit  Wecklein  Tradition  der  Perserkriege  S.  69  (vgl.  Anm.  14) 
nicht  zu  verwerfen,  wenn  dieselbe  auch  nicht  urkundlich  vollzogen  worden  ist. 

31.  (S.  63).  Arthmios:  Demosth.  IX  42.  Argos:  Herod.  VII  148.  Ker- 
kyra:  c.  168.    Syrakus:  c.  157. 

32.  (S.  65).  Euainetos  in  Tempe:  Herod.  VII  173.  Timon:  c.  141. 
Epikydes:  Plnt.  Themist.  6.  Orakel  über  die  Holzmauern  gefälscht:  Hendess, 
Progr.  v.  Guben  1883. 

33.  (S.  66).  Thennopylai:  Herod.  VII  175.  Die  Kameen  und  die 
Olymptas:  c.  206.  —  Cox  History  of  Greece  1,  501,  hat  Bedenken  gegen  die 
Zuverlässigkeit  der  Ueberlicferung  bei  Her.,  weil  unter  den  Griechen  bei  Ther- 
inopylai  keine  Athener  erwähnt  wurden;  und  doch  befinden  sich  gleichzeitig 
bei  Artemision  erst  127,  dann  gar  180  athenische  Schiffe. 

34.  (S.  68).  Man  kann  sich  die  Mission  des  Leonidas  kaum  in  anderer 
Weise  erklären,  als  dass  der  König  im  Widerspruch  mit  den  Behörden  auf 
den  Ausmarsch  gedrungen  habe  und  endlich  mit  einer  ausgewählten  Schaar 
vorangegangen  sei,  um  so  die  Uebrigen  zu  zwingen,  hinter  ihren  Schanzen 
herauszukommen.  Dass  aber  die  Schaar  des  Leonidas  von  Anfang  an  zum 
Opfertode  bereit  war,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  zu  den  300  lauter 
Miitmer  ausgesucht  wurden,  welche  zu  Hause  Erben  zurück Iiefsen  (Her.  VII  205). 
Es  kann  also  nicht  an  die  spartanischen  'Ritter'  (Her.  VIII  124)  gedacht  werden; 
aber  ol  xarearfurfs  kann  auch  nicht  mit  Bähr  'iustae  aetatis  viri'  übersetzt 
werden,  sondern  es  niuss  die  Zahl  300  für  Unternehmungen  dieser  Art  eine 
herkömmliche  gewesen  sein,  und  die  Auswahl  derselben  dem  Könige  frei  ge- 
standen haben,  wobei  vielleicht  die  Meldung  Freiwilliger  berücksichtigt  wurde, 
Litt.  Centralbl.  1867  S.  1167.  Denkmäler  in  Therm.  Monatsber.  1879  S.  3. 
Kphialtes:  Kirchhof!  Sitzgsber.  der  Berl.  Akad.  1885  S.  313. 

35.  (S.  71).  Die  Kämpfe  bei  Artemision:  Herod.  Vni  1—22.  wi*  Bvßofas 
tfoui  ntiytp,  fy&a  xaldrat  ayväg  ld(n£ftiSof  ro£o<f<>Qov  rtfttvos  Kaibel 
Epigr.  46.  Ucber  die  Lage  des  Artemisions  auf  IHordeoboia  Loiting  Mittheil, 
des  Ath.  Inst.  VIII  S.  7. 

36.  (S.  72).  Thessaler  nnd  Phokeer:  Her.  VIII  27—32.  Zug  gegen 
Delphi:  35—39.  Pomtow,  Fleckeisens  Jahrbücher  1884  S.  225;  nach  ihm  sollen 
nur  Streifsehaaren  der  Perser  nach  Delphi  gelangt  sein.  Ktesias  de  reb.  Pers. 
27  will  wissen,  dass  derselbe  von  Erfolg  gewesen  wäre,  was  schon  durch 
Her.  IX  42  zu  widerlegen  ist;  so  auch  Wecklein,  Sitzungsber.  der  Bair.  Ak. 
1876  S.  263—268.    Böoter:  Her.  VIII  34. 

Cortiu»,  Gr.  Geuh.  II.  6.  Aufl.  52 


Digitized  by  Google 


818 


ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  BÜCH. 


37.  (S.  73).  Ueber  den  Areopag  vgl.  Aristot.  Pol.  p.  1204  (ed.  1855 
p.  201,  5).  Plut.  Tbem.  10.  Schöll  zu  Herod.  IX  5.  Wachsmuth  Stadt 
Athen  p.  543.    Thätigkeit  der  Priester:  VIII  41. 

36.  (S.  7$).  Rathssitzuug :  VIII  67.  Isthiuosmauer:  c.  71.  Fall  der 
Burg:  c.  53.  Mnesiphilos:  c.  57.  Vorrücken  des  pers  Laudheers:  c.  70. 
Die  südlich  um  die  Insel  herum  nach  dem  megar.  Sund  gesaudte  Flotteoabthei- 
lung  der  Perser:  Diod.  XI  17  vgl.  Aisch.  Pers.  360. 

38».  (S.  78).  Eophrantides  verlangt  Menschenopfer  für  Dionysos  Omestcs 
nach  Pbanias  von  Eresos  bei  Plut.  Themist.  13.  Arist.  9. 

39.  (S.  80).  Deshalb  setzt  Plutarch  zweimal  die  Schlacht  selbst  auf  den 
16ten  Munychion;  ein  falscher  Schluss  aus  dem  Datum  des  Dankfeste«.  Die 
Iakchospompe  begann  am  l'Jteu  Boedromion;  am  Ende  des  Tages  begann  die 
heilige  Nacht  am  eleusinischen  Meere.  Die  Schlacht  war  mq\  rät  tlxaöa^ 
wie  Plut.  Ca dj.  19  vorsichtig  sagt;  also  etwa  den  20sten  Sept.,  zwei  Tage 
nach  dem  Vollmonde,  nach  ßöckh  Mondcyklen  S.  74.  So  weit  passt,  was 
Plut  de  gl.  Alb.  7  sagt:  tnMafHjjev  ^  Sri*  navailrfvoi.  Busolt  Fleckeisens 
Jahrb.  1885  S.  38  gegen  die  Vollmondzcit.  Doch  ist  Aischylos,  der  vom  Anbruch 
der  „dunklen"  [Sacht  spricht,  kein  Beweis  gegen  Plut.  glor.  Ath.  7,  woraus 
Böckh  einen  „zweifellos  falschen  Faktor"  zur  Bestimmung  des  Schlachttages 
benutzt  haben  soll.  Themistokleische  Stiftung  vor  der  Sehlacht:  Kphem.  Arch. 
1884  S.  170  (5  ISqvOaxo  ngo  jijc  ?v  2£aittfitvt  /ju%r)s).  Xerzes'  Tbrooscssel. 
Her.  V III  90.  Aristeides  auf  Psyttaleia  (VIII  76):  Aisch.  Pers.  453.  Der 
Kampf  blieb  beschrankt  auf  den  öatl.  Theil  des  Sundes  von  Salamis,  die 
Durchfahrt  bei  Skaraiuauga  blieb  offen.  In  dieser  Richtung  sollte  Adeimantos 
mit  den  Korinthern  geflohen  (Her.  c.  94)  und  am  Skiradion  wieder  umgekehrt 
sein:  Loiting  Mitth.  1,  135  f.  Vgl.  Löschcke  Ephorosstudien ,  Fleckeiscns 
Jahrbücher  1877  p.  25  gegen  die  Schlacht  im  Sunde.  A.  Du  Sein  Histoire 
de  la  marine  (Paris  1879),  I  S.  112.  —  Ephoros  auch  in  seinen  bestimmteren 
Verlustangaben  keine  selbständige  Quelle  neben  Herodot :  Busolt  Rhein. 
Mus.  38,  629.  Ueber  den  Schauplatz  der  Schlacht:  Lolling  Meerenge  v. 
Salamis,  Hist.  u.  phil.  Aufs.  f.  E.  C. 

40.  (S.  82).  Flucht  des  Grofskönigs :  Her.  VIII  97.  Mardonios:  e.  100. 
Ueber  den  salaminischen  Damm:  Her.  c.  97;  vor  die  Schlacht  setzen  ihn 
Strab.  395  und  Ktesias  Pers.  26.  Verfolgung:  Her.  c.  108.  Xerzes'  Heimkehr: 
c.  117  t  {loyot  ncQl  jov  Sfgteto  vooiov). 

41.  (S.  83).  Verhandlungen  auf  dem  Isthmus:  Her.  VIII  124.  Die  Aegi- 
neten  in  D.  bevorzugt  c.  122  (vgl.  Ael.  V.  H.  XII  10;  Diod.  XI  27).  Zwei 
Sterne  nach  Bötticher  Tekt.  2,  S.  44.  Them.  in  Sparta:  Her.  VIII  124;  Plut.  c.  17. 
Aristeides  und  Xanthippos:  Plut.  Arist.  11;  Her.  VIII  131. 

42.  (S.  86).  Artabazos :  Her.  IX  41.  66.  Mardonios  und  die  Orakel: VIII  133. 
Alezanders  Sieg  in  Olympia:  Her.  V  22.  M/s  Gesandtschaft  in  Athen:  c.  136  ff. 
Vgl.  Demosth.  VI  11. 

43.  (S.  87).    Lykides:  Her.  IX  5. 

44.  (S.  91).  Das  Datum  der  Schlacht  lasst  sich  nicht  mit  Sicherheit 
bestimmen;  wir  kennen  nur  die  ihrem  Andenken  geweihten  Feste,  deren  Tage 
Plutarch  (Arist.  19)  auch  hier  wie  bei  Marathon  ungenau  auf  die  Schlacht 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN   ZUM   DRITTEN  BUCH. 


819 


selbst  bezieht.  Diese  fallt  also  einige  Tage  vor  dem  viertletiten  Paoemos 
oacb  böotischem  Kaieoder;  die  Athener  aber  setzen  das  Fest  noch  später, 
nämlich  auf  den  vierten  Boedromioo,  wo  sich  das  Siegesfest  an  das  unmittel- 
bar folgende  Siegesfest  in  Agrai  (S.  27)  anscbloss.  Vgl.  Böckh  zur  Geschichte 
der  Mondcyklen  S.  67.  Es  darf  aber  das  Todtenfest  in  Maimakterion  (Alal- 
knmenios  —  Nov.  Dec.)  nicht  mit  dem  panhellenischen  Siegesfeste  der  Eleu- 
therien  verwechselt  werden,  wie  es  in  K.  Fr.  Hermann'»  Gottesd.  Alt.  §  63,  9; 
Schümann  Gr.  AH.  2»,  9  und  sonst  geschieht.  Nor  die  Eleotheria  hatten  Wett- 
spiele. Vergl.  Sauppe  in  den  Gött.  Nachr.  196-4  S.  205.  Die  Inschrift  in 
Keil  s  Sylloge  inscr.  Boeot.  p.  127  bezeugt  die  lange  Fortdauer  oder  viel- 
mehr die  Erneuerung  des  Festes  in  der  Kaiserzeit. 

45.  (S.  93).  Leokrates:  Plotarch  Arist  c.  20.  —  Neues  Opferfeuer: 
Plutarch  Arist.  20.  Wecklein  Herroes  7,  446.  Wassner:  de  heroum  cultu 
S.  52.  —  Gemeinsamer  Bürgertag  aller  Hellenen  und  Beschlüsse  desselben  auf 
Antrag  des  Aristeides :  c.  21.  Strafgericht  über  Theben:  Herod.  IX  86  f. 
Es  erfolgte  nach  demselben  Grundsatze,  der  nach  dem  deutschen  Befreiungs- 
kriege geltend  gemacht  und  damals  besonders  von  Niebuhr  vertreten  wurde, 
dass  ein  seiner  Einheit  bewusstes  Volk  den  Abfall  voo  der  Sache  der  Nation 
als  Felonie  bestrafen  dürfe ,  wenn  der  Verräther  auch  kein  geschriebenes 
Recht  verletzt  habe.    Vgl.  v.  Treitschke  Deutsche  Gesch.  I  S.  649. 

46.  (S.  95).  Das  Epigramm  o3  £«,V,  ayyOXnv  (Her.  VII  226)  wäre  nach 
Kaibel  J.  f.  Ph.  1872,  801  nicht  von  Simon ides.  Piaton  Gesetze  S.  692.  — 
Herodot  als  Gescbichtsquelle:  Niebuhr  Vorlesungen  über  alte  Gesch.  1,  387 
400  ff.  408  mit  den  Einwendungen  Vischers  in  der  Zeitschrift  f.  d.  Alterthuuisw. 
1850  S.  349.  Was  die  Mängel  Herodots  betrifft,  so  ist  seine  Gleichgültig- 
keit gegen  genaue  Zeitordoung  und  seine  Uozuverlässigkeit  in  allen  Zahlen- 
angaben am  wenigsten  zu  leugnen  (Böckh  Staatsh.  I3,  326.  Metropulos  Ge- 
schieht!. Untersuchungen  über  das  laked.  Heerwesen  etc.  S.  51).  Ueber  die 
conventionellen  Uebertreibungen  der  Griechen  in  Zahlen  Arnold  zu  Thukyd. 
I  74.  Wie  geschichtliche  Thatsachen  in  der  nächstfolgenden  Zeit  (vgl.  die 
unmittelbar  an  den  ersten  Kreuzzug  sich  anschließende  Sagendichtung)  ver- 
grö'fsert  werden  konnten ,  beweist  am  deutlichsten  die  Darstellung  der  sky- 
thiseben  Feldzüge,  Niebuhr  A.  G.  1,  189.  Hierher  gehören  auch  die  helles- 
poetischen  Brücken.sngen.  Die  Sonnenfinsternis»  vom  Februar  478  (um  deren 
willen  Zech  des  X.  Uebergang  nach  Europa  2  Jahre  später  setzen  wollte)  ist 
in  der  müodlieben  Leberlieferung  zu  einem  Vorzeichen  der  Ereignisse  des 
Jahres  480  geworden.  Vgl.  A.  Schäfer  de  rerum  post  bellum  Persicum  in 
Graecia  gestarum  temporibus  1865  p.  5.  —  Nitzsch  sucht  im  Rh.  Mus.  27,  226  ff., 
wie  sich  in  den  früheren  Tbeilen  des  herodoteischen  Geschichtswerks  ver- 
schiedene bestimmt  geformte  Ueberlieferungen  (ioyoi)  nachweisen  lassen,  auch 
in  der  Schilderung  der  Perserkriege  einzelne  Partien  auszusondern,  von  wel- 
chen er  annimmt,  dass  sie  zum  Theil  offiziellen,  mündlichen  Ueberlieferungen 
der  Spartaner  (S.  250),  zum  Theil  attischer  Localtraditioo  entstammen.  Ge- 
hören diese  letzteren  den  Familien  der  Philaiden  und  Alkmäonideu  an,  so  würde 
sich  daraus  auch  die  auffallend  ungünstige  Darstellungsweise  erklären,  in  welcher 
die  Thätigkeit  des  Themistokles  bebandelt  ist  (S.  243  f.).    Wecklein  a.  a.  O. 

52» 


Digitized  by  Google 


820 


anmerkiw;ew  zum  dritten  buch 


47.  (S.  96).  Herodot  als  erster  griechischer  Universalhistoriker  nach 
Dionys:  de  Thacyd.  ed.  Kroger  S.  71:  rijv  7jQay^an»r\v  7iQott(Qtotv  tn\  rö 
fietCov  {(qvtyxi  xal  XapngoifQov.  Herodots  Glaubwürdigkeit  io  Betracht  der 
vaterländischen  Angelegenheiten  haben  die  vielfachsten  and  gehässigsten  An- 
feindungen nicht  zn  erschüttern  vermocht.  Platarcb,  der  als  Böotier  mit  ihm 
unzufrieden  ist,  verdächtigt  ihn  ohne  Erfolg.  Er  bezeugt  seine  Unparteilichkeit, 
wenn  er  ihm  vorwirft,  dass  er  die  Hellenen  zu  wenig  lobe.  Trotz  seiner  Athener- 
liebe vertbeidigt  H.  Korinth  gegen  Athen  VIII  94.  Sein  warmes  Mitempfinden, 
seine  theologische  Richtung  (S.  272),  sein  künstlerischer  Sinn  (S.  271)  beein- 
trächtigen die  Treue  der  Forschung  nicht,  weil  er  nicht  darauf  ausgeht,  die 
Thatsacben  für  seine  Gesichtspunkte  zurecht  zu  legen.  Anders  verhält  es  sich 
natürlich  mit  den  eingelegten  Reden,  welche  Herodot  benutzt,  um  allgemeinere 
Betrachtungen  von  zeitgemäßer  Bedeutung  einzußechteu.  So  darf  man  Unter- 
redungen wie  VII  9  nicht  als  geschichtliche  Thatsacben  ansehen.  —  Wie 
schwer  wird  es  Herodot  einem  Perserkönig  den  Frevel  am  Leichnam  des 
Leonidas  zuzutrauen!  VII  238.  —  Unter  den  Späteren  war  es  namentlich  Theo- 
pouipos,  der  die  von  Athen  ausgehenden  ruhmredigen  Darstellungen  in  ein- 
zelnen Punkten  zu  widerlegen  suchte;  so  in  Bezug  auf  Marathon,  xal  ooa 
aXXa  17  'Adrpaiary  noXif  aXaCovtverat  xal  nctQ«XQovtrai  roi/i  'EXXrpas.  Theo 
Progymn.  c.  2.  Fr.  H.  Gr.  I  p.  306.  —  Ueber  poetische  Beschreibungen  der 
Perserkriege  (t«  JJiQOixa,  rb  A/ijdVxov  tyyov),  wie  des  Simonides  (siehe 
Suidas),  wissen  wir  leider  nichts.  Jüngere  Werke  der  Art  werden  später  er- 
wähnt werden.  Ueber  bildliche  Darstellungen  vgl.  die  Erklärer  zu  Eur.  Ion 
1159.  Böckh  Gr.  Trag.  Princ.  p.  192.  Das  einzige  Kunstwerk,  welches  uns 
eine  Anschauung  davon  giebt,  in  wie  großartigem  Stile  die  Griechen  Ge- 
schichtsbilder aus  den  Freiheitskriegen  zu  entwerfen  wussten ,  ist  die  berühmte 
Dareiosvase  (Mon.  d.  Inst.  IX  t.  50—52),  deren  historischen  Inhalt  ich  in  der 
Arch.  Zeitung  1857  S.  106  näher  zu  bestimmen  versucht  habe.  Vgl.  0.  Jahn 
Tod  der  Sophoniba  1859,  S.  15.  Ueber  die  Perserschlacht,  welche  zum  Weih- 
geschenk des  Attalos  gehört  hat  (Paus.  I  25,  2),  und  aus  welcher  einzelne 
Figuren  erhalten  sind,  vgl.  Brnnn  Ann.  d.  Inst.  1870,  S.  292. 

48.  (S.  98).  Kythera:  Herod.  VII  235.  Demaratos  wusste,  dass  bei 
einem  noXtpos  nugoixog  Sparta  nur  an  sich  selbst  denken  würde.  —  Der  Perser 
sclbstverschuldetes  Unglück:  Thuk.  I  69  t  (6  ßagßugos  avroc  ntQl  avry  ra 
nXtito  otpaXtis).  Durch  das  Verbrennen  der  Tempel  (auf  Anrathen  der  Magier : 
Cic  Leg.  II  10)  erhielt  der  Krieg  den  Charakter  eines  Religionskriegs,  wie 
der  Krieg  des  Kambyses  in  Aegypten,  Herod.  VIII  143.  —  Attaginos'  Gast- 
mahl: Her.  IX  16.  Die  bei  Cox  1,  511  gegen  den  Bericht  des  Thersandros 
vorgebrachten  Gründe  sind  wenig  überzeugend.  —  Artemisioo,  o£t  nai&ts 
*A{fatva(*tv  ißaXovto  yatwäv  XQtjntd'  IXtvdtQfag.  Piodar  bei  Plut.  Themist. 
8.  Böckh  Fragm.  p.  580. 

49.  (S.  104).  Hauptquelle  zu  Abschnitt  2:  Thukydides,  der  I  97  zur  Er- 
gänzung des  chronologisch  ungenauen  Hellanikos  die  von  seinem  Scholiasteo 
(I  42)  sogenannte  Pentekontaetie  einschiebt  als  anodttft?  rrjs  oqx^s  t^C  rtüv 
Id&rjvttftov  iv  otty  r^ontp  xot/otij.  Zeit  und  Umfang  der  Einlage:  Kirchhof!' 
Hermes  11,  37;  Steup  Rhein.  Mus.  35,  321.  Uebergang  vom  Defensiv-  zum  Ao- 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZOM  DRITTEN  BUCH 


821 


griffskriege:  Herod.  VIII  3  (üaduevot  tov  nioatjv  neo\  rfji  Ixtivov  tjS/i.rov 
dycjva  irtottvvro);  ersterer  beifst  bei  Herodot  und  Thukydides  t«  Mijötxtt. 
Rhein.  Mos.  42,  147.  Flottenbewegunpeu  im  Frühjahre:  Her.  Vin  13a.  My, 
kale:  IX  90  f.  Her.  IX  104  tö  ttvrtQov  *ltavtt\  ano  mgaiotv  dniarrj.  Epbo- 
ros  bei  Diod.  XI  34—37  lasst  ans  aeol.  Local Patriotismus  auch  die  aeolischeo 
Städte  sich  am  Abfall  betheiligen,  Her.  c.  106  weift  nur  von  den  Lesbiero. 
Lemnos  und  Imbros  gehören  zum  (f>ÖQo(  yijatcarixog,  nicht  znm  'EXXtjanovnaxog; 
Kirchhof  Hermes  11,  15  schliefst  daraus  anf  Zugehörigkeit  dieser  Inseln  znm 
ältesten  Bestand  der  athen.  Bondesgenossenschaft.  —  Berathnng  über  Iooien : 
Her.  IX  c.  106.  Umsiedeluugspläne  erwähnt  auch  Diod.  XI  37.  Thnk.  I  89 
übergeht  den  gemeinschaftliehen  Zug  nach  Abydos  und  lässt  die  Athener  allein 
mit  den  nenen  Bundesgenossen  nach  dem  Hellespont  ziehen:  Zr\aibv  {Trt/ei- 
ftaaavrtc  itlov.  Artayktes:  Her.  IX  118  f.  Nach  Kirchhoff  Abb.  der  Berl. 
Ak.  1873,  S.  24  wäre  Sestos  damals  nur  vorübergehend  besetzt  geblieben 
und  von  Kimon  noch  einmal  erobert  worden  (Plut.  Kim.  9),  ebenso  Hermes  11,  8. 

50.  (S.  105).  Uli  rieh  'Zeit  des  Wiederaufbaus  Athens'  in  dem  Programme 
über  die  hellenischen  Kriege  1868.  Ueber  den  Zug  der  themist.  Stadtmauer 
siehe  Cnrtius  und  Kanpert,  Atlas  von  Athen  1.  2.  und  3;  dazu  meine  Att. 
Stud.  I  (Abh.  der  K.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Gott.  1860)  S.  60  f.  Ueber  das  drei- 
eckige Vorwerk  im  S.  W.  S.  61 — 65.  Den  Umfang  der  Ummaueruog  Athens 
berechnet  Kanpert  (Mooatsber.  d.  Berl.  Akad.  1879  S.  618  ff.)  auf  7912,  den 
der  Ummauerung  des  Peiraieus  auf  12,665  Meter. 

51.  (S.  108).  Einrede  Spartas  IgoTQWovrtov  TtSv  ^vfifia^cav:  Thuk.  I  89. 
Plut  Them.  19  nennt  die  Aegineten.  Thuk.  I  93:  noXXal  ar^Xat  ano  orj/darory 
xal  X(»oi>  ttoyaOfifvoi  (yxauXfyrioav;  in  der  Themistoklesmaoer  waren  ein- 
gemauert die  Grabinschriften  CIA.  I  479,  483,  477b  mit  dem  Relief  des 
Diskosträgers  (vom  Dipylon)  s.  Abbandl.  der  Berl.  Ak.  1873  S.  153  ff. 
Thnk.  I  93:  to  v\f>os  rj/utav  fjuüXioxa  heXtofhj  ov  duvottro.  App.  Mithr.  30 
giebt  die  Höhe  auf  40  Ellen  —  60  Fufs  an,  wo  Ross  (Arch.  Aufs.  1,  S.  293) 
14  Ellen  «  21  F.  lesen  will.  Da  nun  aber  eine  Höhe  von  120  F.  unmöglich 
beabsichtigt  sein  konnte,  so  ist  60  wahrscheinlich  die  beabsichtigte,  aber  auch 
wohl  nie  erreichte  Höhe. 

52.  (S.  108).  Diod.  XI  43.  Missverständniss  nach  ßöckh  Staatsh.  1 3, 
S.  402.    Doch  siehe  Philologus  1868,  S.  48. 

53.  (S.  110).  Oligarchen  bei  Plataiai:  Plut  Arist.  13.  \pj}tfiO(Atti 
xotvrjv  tlvat  rijv  noXtutav  xal  rovg  io^oyrag  l$'A&T]vat<ov  ndvTtov  alguo&at: 
e.  22. 

54.  (S.  111).  Was  hier  in  früheren  Auflagen  von  Pausa nias'  An- 
wesenheit in  Thessalien  und  Mer  Heimführung  der  Gebeine  des  Leonidas  ge- 
sagt ist,  beruht  auf  der  Verbesserung  des  Paus.  III  14,  1,  wo  O.  Müller  (Dor.  2, 
S.  488)  lioattqai  für  TeaaagaxovTa  schreibt.  Anders  Schubart  (Paus.  ed. 
Teubn.  Praef.  p.  xiu),  welcher  'eine  Lücke  annimmt  und  ergänzt:  [üavüa- 
vtov  tov  UXtiOtodvttxros]  tov  TlavaavCov.  Diesem  beistimmend  A.  Schäfer  de 
rernm  post  bell.  Pers.  gest.  temporibus  1865  p.  7.  Dann  fällt  die  erwähnte 
Th.itsache  in  die  Zeit,  da  Pausanias  während  des  Exils  seines  Vaters  als 
unmündiges  Kind  regierte,  um  440;  der  Vormund  des  Pausanias  müsste  also 


Digitized  by  Google 


822 


ANMERKl'XIEN  ZUM  DRITTEN  BUCH. 


für  ihn  den  Zug  nach  Thermopylai  gemacht  haben,  was  dem  Ausdrucke  des 
Schriftstellers  nicht  entspricht.  Doch  ist  kein  Grnnd  die  Tbatsache  und  die 
Zeitangabe  zn  bezweifeln:  vgl.  Kirchhofe*  Monatsber.  der  Bert.  Akad.  1879  S.  6. 

Das  Ende  der  Regierang  des  Leotychidcs  und  der  Regierungsantritt  des 
Arcbidamos  wird  von  Diodoros  XI  48  irrig  in  das  Jahr  des  Phaidon  Ol.  76,  1; 
476  gesetzt:  ein  Fehler,  welcher  aus  Diodor  selbst  verbessert  werden  kann. 
Siehe  Clinton  Fasti  Hell.  II  app.  3.  Leotychides  regierte  22,  Archidamos  42  Jahre; 
A.  starb  427;  also  fällt  die  Verbannung  des  Leotychides  in  469  —  Ol.  77,  4, 
das  Jahr  des  Apsephion,  und  Diodors  Irrtbum  scheint  hier  auf  einer  Ver- 
wechslung der  Namen  'A\ptif(b)V  und  <Pa(6iov  zu  beruhen.  Vgl.  Krüger  hist.- 
philol.  Studien  S.  150.  Leotychides  in  Thessalien:  Kirchhoff  Sitzungsber. 
1885  S.  319;  469  v.  Chr.  nach  Meyer  Rhein.  Mus.  42,  146. 

55.  (S.  113).  Thnk.  1  132.  Das  Distichon  des  Pausanias  von  Simonidea 
nach  Paus.  III  8,  2.  Man  glaubt  in  dem  ehernen  Schlangengewinde,  dessen  unterer 
Theil  mit  den  Inschriften  1856  auf  dem  Atmeidan  zu  Coostantinopel  ausge- 
graben worden  ist,  das  Original  des  platäischen  Weibgeschenkes  zu  besitzen. 
O.  Frick  das  plaläische  Weihgeschenk  zu  Constaotinopel.  Leipzig  1859.  Meine 
Zweifel  an  der  Identität:  Arch.  Zeitung  1867,  S.  137*.  Jenaer  Literatnrz. 
1874,  S.  156.  Nach  Fabricius  (Jahrbuch  des  deutsch,  archäol.  Iastit.  I  176) 
lautete  die  Ueberscbrift :  to(ö%  iov  noltfAOv  inoMptov.  Es  war  also  keine 
Weihinschrift,  und  das  bei  Diodor  erhaltene  Distichon  (XI  33)  wird  auf  einer 
niedrigen  Steinbasis  gestanden  haben.  Mein  Zweifel  an  der  Echtheit  (Gb'tt. 
Gel.-Anz.  1861)  beruhte  wesentlich  auf  der  tektonischen  Constroktion  des  er- 
haltenen Denkmals,  und  diese  Bedenken  zu  beseitigen  oder  zu  erklären  ist  noch 
von  keiner  Seite  ein  ernster  Versuch  gemacht  worden. 

56.  (S.  115).  Hergang  und  Motive  des  Abfalls:  Thukyd.  I  94.  Plut 
Arist.  23  nennt  neben  Arist.  Kiiuon  und  weifs  von  einem  Angriffe  der  Chier, 
Samier  und  Lesbier  auf  das  spart.  Admiralschiff.    Diod.  XI  44. 

57.  (S.  117).  Hetoimaridas'  Rede:  Diod.  XI  50  (nach  Ephoros).  Philo- 
logus  1868  S.  51.  Verzicht  Spartas:  Thuk.  I  95.  Der  Uebertritt  der  Bundes- 
genossen zu  Athen  erfolgte  zugleich  mit  der  Abberufung  des  Paus. :  Tbuk.  I  95. 
Hatte  man  nur  P.  heimgernfeo,  so  würde  mau  sogleich  einen  Nachfolger  be- 
stellt haben.  Weil  die  Flotte  mit  Pausauias  zurückgekommen  war,  schickte 
man  Dorkis  mit  einem  neuen  Heere  aus. 

58.  (S.  117).  Clinton  Fasti  Hell.  II  app.  6.  A.  Schäfer  a.  a.  0.  p.  14. 
Schwankende  Zahlen  bei  den  Rednern  über  die  Dauer  der  attischen  Hege- 
monie. Die  genaueste  Angabe  bei  Demosthenes  III  24;  IX  23.  Er  rechnet 
45  Jahre,  indem  er  von  der  ganzen  Summe  von  Jahren  zwischen  Abzng  der 
Perser  und  Ausbruch  des  pelop.  Krieges,  welche  man  herkömmlich  auf  50 
Jahre  ansetzte,  die  fünf  Jahre  abzieht,  während  welcher  die  Lakedümonier 
noch  im  Besitze  der  Hegemonie  waren.  Vgl.  über  die  chronolog.  Berech- 
nungen der  att.  Hegemonie  Böckh  Staatsh.  1 3,  527.  Andokides  rechnete  von 
Marathon  an  85  Jahre.  Vgl.  Kirchner  de  Andocidea  quae  fertur  tertia  ora- 
tione  p.  55. 

59.  (S.  118).  Nach  Semos'  Delias  bei  Athenaios  p.  331  f.  —  Der  amphi- 
ktyooische  Charakter  des  Bundes  führte  dazu,  dass  die  Leistung  des  Tributes 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  BUCH. 


823 


in  bestimmten  Fällen  erlassen  werden  konnte,  aber  nicht  diejenige  der  Quote 
Tür  die  Gottheit;  so  dem  makedonischen  Methone:  CIA.  I  40  und  dem  thrakischen 
Neapolis:  CIA.  I  51. 

60.  (S.  120).  Organisation  des  Bundes:  Thuk.  I  96  naQalaßovttg  6h  ol 
irr  Tjyefiavfav  txovtuv  Ttov  ft'^a/wr  Sta  rb  üavoavlov  fiioog,  ha£av 

ag  je  tön  jtttQfyttv  reav  nolttov  XQrjjiara  nqbg  tbv  ßttQßaqov  xai  ag  vavq  * 
7t Qooxvpct  yag  a/uiivctodat  tov  faa&ov  dyovvrag  lijv  ßaoilttog  x<»(Ktv.  xai 
*EJÜLT}VoT€tfiiat  tor«  TiQfüTov  'A&rjvaiois  xajiairj  <*QXV>  °*  ^dY/ovro  *ov  (fOQov 
ovito  yaq  tuvoftäo&ri  iwv  ^^ij/udroiv  i)  tfOQa.  rjv  6  rrQtotog  tf  ogog  Jax^tig 
rciQctxooia  ntlana  xal  i^rjxovra,  rapttiov  re  dr\log  rtv  avtoig  xai  at  $vvoöot 
tq  tb  Uqov  iylyvovxO)  rjyov/utvtuv  dt  aviovöfjtav  x6  TtQÜiov  itöv  g~vtupctX<M> 
xal  anb  xotvtSv  t-uvodbxv  ßovlfvorrutv  xrl.  ohne  Nennung  des  nach  Diod.  XI  47 
von  dieser  Einrichtung  dtxaioq  genannteo  Aristeides,  des  oi  fiovov  xa&a- 
QO>S  xal  dixaftog,  akXa  xai  nQoOtftltSg  Tt]v  fTtiyQatfrjy  taTv  xQVHaTa/v  ^ot1)~ 
adfxtvog  nach  Plut.  Ariat.  24,  der  auch  von  früheren  Tributzahlungen  in  der 
Zeit  der  spart.  Hegemonie  weifs.  Vgl.  Böckh  Staatsh.  1»,  469.  Köhler  Ur- 
kunden und  Untersuchungen  z.  Gesch.  des  delisch-attischen  Bundes  (Abb.  der 
Berl.  Ak.  1869)  S.  88  f.  Nach  Kirchhoff  (Hermes  11,37)  antieipirt  Thuk.  c.  96 
den  Bestand,  wie  er  seit  der  Schlacht  am  Eurymedoo  im  Wesentlichen  un- 
verändert geblieben  ist,  und  giebt  dann  die  Entwickelungsgeschicbte  des 
Seebunds.  Aus  Missverstündniss  des  Tb.  stammen  die  Angaben  bei  Ephoros, 
der  Aristeides  unmittelbar  mit  den  460  Talenten  in  Verbindung  bringt.  Auf 
irriger  Anschauung  beruht  des  Ephoros  (Diod.  XI  47)  öiaptyiOfiogi  dagegen 
Frankel  zu  Böckh  Staatsh.  2^,  89'.  Fhaselis  und  Chios:  Köhler,  Hermes  7, 163. 
CIA.  II  11.    Gruppen:  Köhler,  Urk.  des  del.-att.  Bundes  S.  90. 

61.  (S.  121).  nolvifnuffa  bei  Thuk.  III  10  Hinweis  auf  Fortbestand 
synodaler  Beratbuogen.  Ort  und  Zeit  der  Bundesversammlung:  Köhler  Ur- 
kunden des  delisch-attischen  Bundes  S.  92.  loia/utvov  ylvxegov  ttaQOS'  Dionys. 
Perieg.  527.  Theophanie  des  Apollon  im  ItQÖg  ^uijy  der  Delier,  dem  zweiten 
Monat  nach  Frühlingsanfaag.  Robert,  Hermes  21,  161.  Nissen,  Rhein.  Mus. 
42,  43.  Doppelte  Schatzurkunden  iu  Dclos  und  Athen.  Bulletin  de  corresp. 
hellen.  1886. 

62.  (S.  122).  Die  persischen  Garnisonen  in  Europa:  Her.  VII  106  f. 
Grote  5,  396  (3,  229  D.  U  ).  Ueber  die  Zeit  des  Orakels  A.  Schäfer  de 
rerura  post  bell.  Fers,  gestarum  temp.  p.  10.  Nach  Plutarch  Tbeseus  36 
rpaldaivog  «g^orroc  (76,  1;  476);  die  Heimführung  der  Reliquien  erfolgte 
aber  unter  Apsephion  77,  4;  469.  Ein  solcher  Zwischenraum  ist  um  so  un- 
wahrscheinlicher, je  besser  sich  das  Orakel  den  Absichten  der  Politik  Kimons 
ein Tiigte.  Deshalb  wird  wohl  bei  Plut.  Tbeseus  eine  Entstellung  des  Archonten- 
uuraens  anzunehmen  sein,  so  gut  wie  beim  Schol.  Aeschin.  II  31  p.  502  Didot, 
und  schon  Bentley  war  der  Meinung,  dass  das  Orakel  der  Pythia,  der  Fall  von 
Skyros,  der  Sieg  des  Sophokles  und  die  Uebertragung  der  theseischen  Reliquien 
alle  in  das  eine  Jahr  des  Apsephion  fielen. 

63.  (S.  123).  Ueber  Kimon  W.  Vischer  'Kimon'  Basel  1847.  K.  uud 
Aristeides:  Plutarch  Arist.  25.  —  K.  und  Elpinike:  Plut.  Kimon  4.  Nepos 
Cim.  1.    Das  Geschwisterpaar  aof  der  kom.  Bühne  verläumdet  nach  Schol. 


Digitized  by  Google 


824 


AN  MERKLIN  GEN  ZUM   DRITTEN  BUCH. 


Amt  p.  515  Dd.  —  Kallias  und  Elpinike:  Nepos  Cim.  1.  Dio  Chrys.  LXX1X  6. 
Meier  de  bonis  damn.  p.  5,  16. 

64.  (S.  125).  Byzanz:  ol  aififia^ot  fiträ  tov  KifAtovoq  i£uiol*oQxt)<fav 
Plat.  c.  6.  ßeutethcilung  in  Chios  nach  Ion  bei  Plut.  Kimon  9.  PI.  setzt  die 
Säuberuug  des  Hellespouts  erst  Dach  d.  tha;>ischen  Aufstand  c.  14.  —  Persische 
Garnisonen  nach  dem  Fall  von  Byzanz:  Thuk.  I  13.  Maskames:  Herod.  VIII  106. 
lieber  den  ganzen  thrakischen  Feldzug  Kirchhoff  im  Hermes  XI  S.  17  ff. 
Thrak.  Cbers.:  Plut.  c.  14.  Schäfer  p.  10.  EYoo:  Herod.  VII  107.  Plut.  c.  7. 
Acsch.  c.  Ktes.  §.  183.  Paus.  VIII  8.  9.  Attische  Hermen  mit  Distichen  auf 
die  thrakischen  Feldzüge,  von  Ion  nach  Kirchhoff,  Hermes  5,  S.  56.  An- 
spielung auf  Boges:  B.  Schmidt  Rhein.  Mus.  36,  1. 

64».  (S.  126).  Skyros:  Thuk.  I  98.  Kirchhoff  Abhandl.  der  Berl.  Ak.  1873, 
S.  13.  —  Athen  und  die  Bundesgenossen :  Thuk.  I  99  a/rfa*  6k  ällat  te  tjaav 
ruv  dnoatdaaoy  xal  ptyioiat  al  i<ö>  yootov  xal  vhZv  txöticu  xal  kanoonjä- 
uoVj  tl  Ttp  lyiv&io'  ol  ydo  ld&.  axpißwg  Inoaaoov  xal  XunrjQol  fjaav  ovx 
ilto&ooiv  oiitö  ßovkofiivoii  raXamtoottv  nooodyovus  xoc  dvdyxag.  rjoav  6i 
mos  xal  ailtoq  ol  'A&.  ovxiu  opoiayg  (v  ydovr}  ap/onfe,  xal  ovii  (wtoroa- 
tevov  otto  toC  foov.  Karystos:  Thuk.  I  98.  Her.  IX  105.  INaxos:  Thuk.  I  98. 
Plut.  c.  10.  In  dieser  Zeit  Geboreue  erhielten  zum  Andenken  an  die  Thaten 
des  Vaters  Namen  wie  Kaovarövtxos ,  Nafrddijs  u.  a.  Hermes  17,  627, 
CIA.  IV  n.  446  a. 

65.  (S.  129).  Timokreon:  Plut.  Them.  21,  Athen,  p.  415.  Kirchhof 
Hermes  11,  38.  Plut.  Arist.  22.  Them.  20.  Cic.  de  off.  III  11.  Unbedingt  ver- 
werfen die  (Jeberlieferung  von  der  beabsichtigten  Flotteoverbrennung  Wiebuhr 
Vorl.  Uber  alte  Gesch.  1,  425,  Grote  5,  271  u.  A.  Gegen  die  Verwerfung  W. 
Viseber  'Kimon'  S.  47.  Der  Historiker  kann  es  nur  als  ein  in  alter  Zeit  ver- 
breitetes Gerücht  constatireo.  —  Delphische  Angelegenheiten:  Plut.  Themist.  20. 

66.  (S.  130).  Was  A.  Schäfer  im  Philologus  18,  187  gegen  die  Geschichte 
von  Hieron  und  Them.  einwendet,  kann  mich  nicht  vollständig  überzeugeo;  denn 
wenn  er  auf  den  Glanz  des  Tyrannen  in  Hellas  uud  namentlich  in  Olympia 
sich  beruft,  so  spricht  das  nur  dafür,  dass  man  dem  Autrage  des  Tbemistokles 
keine  Folge  gab,  was  gewiss  auch  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich  ist.  Durch 
die  Wiederkehr  eines  ähnlichen  Vorfalls  (mit  dem  älteren  Dionysios)  wird  aber 
das  Zeugniss  des  Theophrastos  nicht  entkräftet.  Die  Beanstandung  der  Zu- 
lassuugsfahigkeit,  kam  in  älterer  Zeit  gewiss  nicht  selten  vor,  und  wie  natürlich 
ist  es,  dass  sich  hie  und  da  Aeholiches  wiederholte!  Also  beweisen  hier  die 
analogen  Fälle  für  einander  und  zeigen,  was  für  Gesichtspunkte  bei  Prüfung 
der  Zulassungsfähigkeit  geltend  gemacht  werden  konnten.  Zeit  der  Phö- 
nissen:  Ribbeck  Dionysoseult  S.  29. 

67.  (S.  131).  A.  IdQtaioßoulri  in  Melite  Plut.  c.  22.  Att.  Studien  1 
S.  10  f.  Darin  ein  elxövtov  Btftioroxliovs.  Vgl.  CIGr.  I  p.  19,  872.  Ostra- 
kismos  nach  Diod.  XI  54:  77,  2;  471.  Cic.  de  am.  12,  42.  Cicero  wie  Eu> 
sebios  unterscheiden  nicht  zwischen  Exil  und  Flucht  zu  den  Persern.  Ari- 
steides  unbeteiligt:  Plut.  Arist  c.  25.  Vier  Jahre  nach  Aristeides'  Tode: 
Nep.  Arist.  3.  Statt  Alkmaion  wollte  Meier  Leobotes.  Vgl.  Viseber  'Kimon' 
S.  49.   Kl.  Sehr.  I  24. 


Digitized  by  Google 


ANMEHKUNKEN  ZUM  DRITTEN  BUCH. 


825 


68.  (S.  132).  Th.  in  Argos  „magna  cum  digoitate"  Corn.  Ncpos  Them. 
c.  8.  Pausanias'  letzte  Schicksale:  Thak.  I  95.  128  f.  Vgl.  Duuexer  'Prozess 
des  Pausanias'  Sitzuogab.  der  Berl.  Ak.  1883  S.  1125.  Die  Unbegreiflichkeit  im 
Verfabreo  der  apart.  Behörden  gegen  P.  erklärt  «ich  Daacker  aus  dem  Gegen- 
satze zweier  Parteien,  von  denen  die  eine  Demütbigung  Athens  nm  jeden  Preis 
wollte,  und  zu  diesem  Zwecke  war  ihr  auch  eine  mit  persischer  Hälfe  zu  er- 
reichende Ausschließung  der  Atheuer  von  dem  Bosporos  willkommen;  daher 
wird  P.so  lange  von  zweiEphoren  gedeckt.  Dass  aber,  wie  D.  annimmt,  Kolonai 
in  Troas  dem  Pausanias  als  ein  Fürstenthum  übergeben  worden  sei,  wie  dem 
Demaratos  Pergamon  u.  s.  w.,  davon  ist  keine  Kedc,  und  ein  solches  Vasalleo- 
tbum  des  Regenten  von  Sparta  wäre  in  der  That  eine  Thatsocho,  die  auch 
von  deo  Freunden  und  Mitschuldigen  nicht  verschleiert  werden  konnte.  Was 
deu  Aufenthalt  des  Pausanias  in  Byzanz  betrifft,  so  dehnt  Trogus  bei  Justin. 
9,  1  denselben  auf  sieben  Jahre  ans  und  ebenso  Diodor  XI  44  (Wesseling: 
pro  more  Diodorum  plurium  aonorum  gesta  ad  unam  rerura  perpetoitatem 
refetenda  coniunxisse.  'per  septem  annos  possessa')  von  c.  76,  1;  476  bis 
77,  3;  469,  als  P.  ix  iov  Bvtavrtov  ßiif  in  ^»nwi/mv  lxnoUoQ*r\9tis. 
Thnk.  I  131. 

69.  (S.  135).  Themistokles  im  Exile:  Thnk.  I  135  f.  PloUrch  Them.  21. 
Kimou  16.  Arist  25.  Üiod.  XI  54.  Gefährliche  Verhältnisse  im  Pelo- 
p<»anes:  Schäfer  de  rernm  post  b.  Pcrs.  gcstarum  tcmporibus  p.  15.  Die 
Nachricht  über  das  Verfabreo  des  Leobotes  stammt  nach  Meier  und  Cobct 
aus  K rate ro s.  Vgl.  Schäfer  Jahrb.  f.  kl.  Phil.  1865  S.  622.  —  Themistokles1 
Fluchtreise:  Thuk.  1  137.  Plut.  Them.  25.  Diod.  XI  56  nennt  Lysitheides. 
Die  Erzählungen  voo  Th.  Abenteuern  haben  vielerlei  Ausschmückung  erfahren. 
Für  die  Zustände  in  looien  zwischen  der  Schlacht  bei  Mykale  und  am  Euryme- 
don  ist  von  Wichtigkeit:  ClGr.  II  3044. 

70.  (S.  136).  Neue  Kriegspläne:  Xerxes  ex  integro  bellum  instituit 
Justin.  II  15  (vielleicht  aus  Deinon  nach  Trogos).  Eurymedon:  Tbuk.  I  100. 
Diod.  XI  61.  Plut.  Kim.  12.  Nach  Kirchhof  (Hermes  11,  33)  sind  auch  die 
ionischen  und  aolischen  Städte  erst  im  Jahre  der  Schlacht  am  Eurymedon  in 
den  Seebund  aufgenommen  (gegen  Ephoros  bei  Diod.  XI  60,  der  diese  Thatsache 
gleich  nach  der  Schlacht  bei  Mykale  ansetzt).  Dass  in  den  ionischen  Städten 
eine  mächtige  Partei  vorhanden  war,  welche  zu  Persien  hielt,  und  deren  Häupter 
nach  Kimons  Siegen  in  die  Verbannung  (zu  den  Persern)  gingen,  ergiebt  der 
Vertrag  mit  Erythrae:  CIA.  I  9.  —  Xerxes  stirbt  Ol.  78,  4;  465  nach  Diod. 
XI  69  und  dem  Kanon  des  Ptol.  (Clinton  II  318;  Schäfer  de  rerum  etc.  p.  5). 
Nach  dem  Tode  des  X.  kommt  Th.  nach  Persien.  Thuk.  I  137.  Charon  bei 
Plut.  Them.  27.  Der  Widerspruch  des  Ephoros,  Deinon,  Kleitarchos,  Herakleides 
u.  A.  erklärt  sich  dadurch,  dass  die  7  Monate  dea  Artabanos  (Manetho  bei  Syn- 
kellos  p.  75  D.)  bald  dem  X.  bald  dem  Artaxerxes  zugerechnet  wurden.  Darnach 
schwanken  die  Angaben  von  X.  Regierungszeit  zwischen  20  und  21  Jahren. 
Clinton  zu  465  und  p.  314.  Nach  Aristot.  Pol.  p.  1312,  b  (220,  13)  hatte 
Artabanos  (Imigran uvri$)  erst  den  Dareins  g^ttiiitet  und  dann  den  Vater,  (foflav/utvot 
rtjv  ötaßolrjy  lijv  n(Ql  daQtiov.  Vgl.  Schneiders  Comin.  S.  343.  —  Grote  5,  377 
bezieht  die  Anklage  des  Leobotes  (S.  133)  auf  den  ersten  Prozeas  des  Tb.; 


Digitized  by  Google 


826  ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  BUCH. 

richtig  Kutorga  Le  parti  Persan  1860  p.  22  f.  Siegeszeichen  in  Delphi:  Palmen - 
baam  mit  reifen  Datteln  is  uffitjaiv  rr$  6ntoQ«e  Paus.  V  15,  4. 

70».  (S.  137).  Timokreons  Gedicht  auf  Them.:  ovx  aoa  T.  povros 
Mtäoioi  ooxoro/uft  etc.     Plut.  Them.  21. 

71.  (S.  138).  Stater  mit  dem  IN  amen  des  Them.:  Waddington  Revue 
num.  franc.  1856.  T.  2  n.  2.  Vgl.  J.  Brandis,  Gesch.  des  Mate-,  Gewichts- 
und Münzwesens  in  Vorderasien  bis  auf  Alex.  d.  Gr.  S.  238  f.  459.  Von  deu 
zwei  bekannten  Exeinplareo  der  Themistokiesmünze  ans  Magnesia  ist  das  eine 
(im  Brit.  Museum)  unecht,  d.  h.  nicht  silbern,  sondern  versilbert,  und  deshalb  als 
ein  Zeuguiss  von  der  Unredlichkeit  des  Th.  benutzt  worden  vgl.  Head  historia 
numuioram  1887  p.  501.  Gewinnsucht  des  Them.  Herod.  VIII  111.  Ad.  Bauer 
Them.  23.  —  Themistokles  und  Kimou:  Suidas  s.  v.  K(utov.  Ari»todeuios 
(Fr.  H.  Gr.  V  p.  13). 

72.  (S.  139).  Vgl.  M.  Duneker  'Angeblicher  Verrath  des  Themistokles'. 
Sitzuogsber.  der  Berl.  Akademie  1882  S.  377.  Nach  ihm  (und  A.  Bauer  Them. 
1881)  steht  Herodots  Darstellung  unter  dem  Einfluss  der  Übeln  Nachrede, 
welche  nach  der  Anklage  des  Them.  durch  seine  Gegner  in  Athen  herrschend 
war.  Th.  widerrieth  den  Abbruch  der  Brücke  (Herod.  VW,  109:  ano»rr 
xt]V  fi(lX(ov  noiT)Oto&cu  ii  tbv  ntoorjv  d.  h.  wie  ein  Depositum,  das  ihm  ein- 
mal Zinsen  tragen  könne).  Nach  Wecklein  (Sitzougsber.  der  Baier.  Akad. 
1876,  S.  295)  eine  'psychologische  Unmöglichkeit'.  Einem  so  scharfblickenden 
Staatsmann«  wie  Them.  konnte  eine  solche  Eventualität,  wie  sie  später  ein- 
trat, doch  wohl  schon  damals  vor  Augen  treten,  und  mau  bedenke,  dass  der 
Begriff  des  Medismos  erst  nach  Marathon  und  Salamis  klar  ins  Bewusstsein 
trat.  Bis  dabin  war  Persien  der  gewöhnliche  Rückzugsort  gestürzter  Staats- 
männer. Zwei  Sendungen  an  den  König  bezeugt  durch  Tbuk.  I  137;  die 
zweite  Empfehlung  seiner  Person  ist  unwahr,  insofern  er  sich  darin  nur  dem 
Eurybiades  gefügt  hatte.  Entschieden  inissgünstig  ist  aber  Uerodots  Auf- 
fassung, wenu  er  darin  von  Anfang  an  eine  Täuschung  der  Athener  sah,  und 
hierin  darf  man  wohl  den  Einfluss  einer  dem  Them.  feindlichen  Gesinnung 
erkennen.  —  Thuk.  I  138.  Die  65  Jahre  bei  Plut.  Them.  31  in  Verbindung 
mit  den  Aam.  5  besprochenen  Ueberlieferuogen  führet)  in  die  Zeit  vor  Ol. 
79,  4.  Tod  durch  Stierblut  beim  Opfer:  Cic.  Brutus  11.  Aristoph.  Ritter 
v.  84  zeigt,  wie  verbreitet  die  Ansieht  von  der  Selbstvergiftung  war.  Bürger- 
feste zu  Ehren  von  Them.  und  Ehrenrechte  seiner  Nachkommen  in  Lampsakos: 
Mitth.  des  athen.  Inst.  6,  104.    Ebenso  in  Magnesia  nach  Plut.  Them.  a.  E. 

73.  (S.  141).  Plut.  Kim.  14:  intl  rtuv  TlfQaüjv  rtvtg  ovx  tßovlono 
Trjv  XiDoovrjoov  Ixkmetv,  üUa  xal  rovf  Goqxas  avatdtv  tntxaXoüvio  xitra- 
(fQovovvres  tov  Ktptavt*;  —  o^ij'ffac  In  avrovs  rfoottooi  plv  vavol  iqio- 
xaiStxa  ras  txdvtuv  Haßev,  t&ldoas  di  zovs  niooaq  xal  XQaryoae  rwr 

xtav  näaav  (pxn(6aaio  tjj  noku  ii)V  XenQovtjOov.  —  Der  erste  Zug  nach 
Enneahodoi  (Schol.  Aesch.  II  31,  p.  29  ed.  Baiter  et  Sauppe)  unter  Phaidon 
(lies:  Apsepbion  —  also  77,4;  469),  der  zweite  (nach  Thuk.  IV  102)  29  Jahre 
vor  der  Gründung  von  Ampbipolis,  also  78,  4;  465  unter  Lysitbeos  (statt: 
Lysikrates  Schol.  a.  O).  Vgl.  Schäfer  S.  16.  Die  Niederlage  der  von  Lea- 
gros, dem  S.  des  Glaukoo,  und  Sophanes  (Her.  IX  75)  befehligten  Athener 


Digitized  by  Google 


■ 

ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  RUCH.  827 

bei  Drabeskos  mit  drin  Anfange  des  thasischen  Kriegs  gleichzeitig  nach  Thuk. 
I  100  f.,  der  hier  ausführlicher  ist  als  die  andern  Quellen. 

74.  (S.  143).  Inschriftfragineute  von  einem  der  auf  Staatskosten  er- 
richteten Grabdenkmäler  mit  Namen  von  Athenern  und  Bundesgenossen,  welche 
iiiBtxoy  gefallen  sind:  CIA.  1  432.  Jahr  des  Abfalls  von  Thasos,  Anfang  464: 
Thuk.  I  1U0,  vgl.  Paus.  IV  24,  5,  wonach  der  messenische  Aufstand  ausbricht 
Ol.  79  unter  Archon  Archidemides,  und  Plut.  Kim.  16:  'AQ/idauov  rot/  Zev^t- 
duuov  ifraQtov  Iroc  iv  EnuQiy  ßaailtvonog.  —  Leotychides:  Her.  VI  72. 
Paus.  III  7,  9.  —  Messenischer  Aufstand:  Thuk.  I  101.  Paus.  IV  25,  5. 
Diod.  XI  63.  64.  —  Uebergabe  von  Thasos:  Thnk.  1  101,  3.  Die  bei  Plut. 
Kim.  14  erwähnten  33  Schiffe  sind  die  in  der  Seeschlacht,  welche  vor  der 
Belagerung  stattfand  (Thuk.  I  100,  2),  erbeuteten,  nicht  wie  Grote  5,  418  au- 
nimmt,  die  Gesamtzahl  der  den  Thasiern  beim  Friedensschlüsse  weggenommenen 
Kriegsflotte,  welche  nach  den  reichen  Einkünften  der  Insel  (S.  5)  viel  beträcht- 
licher gewesen  sein  muss. 

75.  (S.  146).  Unter  den  drei  Ueberlieferungen  vom  Tode  des  Aristeides 
(Plut.  26)  ist  die  eine,  welche  A.  in  Athen  sterben  lässt,  so  allgemein  ge- 
halten, dass  sie  nicht  maßgebend  sein  kann,  die  andere  (des  Krateros)  tenden- 
ziöse Verunglimpfung;  so  bleibt  nur  die  dritte  übrig:  uitvr^am'A.  ot  ukv  lv 
JJövttp  qaolv  ixnktiaavrtt  7iQtt$ttov  ewtxa  tiripoattov ;  s.  Köhler  Urk.  des 
delisch-attiscben  Bundes  S.  113  f.  Jahr  des  Todes:  fere  post  a.  IV  quam 
Themistocles  Athenis  erat  expulsus:  ftep.  Arist.  3.  Er  erlebte  noch  die  Auf- 
führung von  Aischyloa'  Oidipodie,  Ol.  78,  1;  467:  Plut.  Arist.  3.  Den  Mauer- 
bau Iiitnoos  bezweifelt  schon  O.  Müller  de  munim.  Athen  p.  20;  neuerdings 
Oncken  Athen  und  Hellas  1,  72  und  A.  Schäfer.  Kimons  Söhne:  Plut.  Kimon 
16.  Die  Mutter  der  Söhne  nach  d.  Perieget.  Diodor  YaodYxij,  Tochter  des 
Euryptolemos.    Fr.  hist.  gr.  II  p.  354. 

76.  (S.  147).  Epikrates;  Stesimbrot.  bei  Plut.  Them.  24.  Vgl.  Vischer 
Kimon  S.  22.    Kleine  Schriften  1  25. 

77.  (S.  149).  Ephialtes  seiner  Rechtscbaifenheit  wegen  neben  Aristeides 
genannt:  Plut.  Kim.  10.  Vgl.  Ael.  V.  H.  XI  9,  XIII  39.  Unzuverlässige  Be- 
ziehung auf  Aristoteles  im  Argumentum  zu  Isokrates'  Areopagiticu*.  Herbes 
Urteil  des  Ephuros  bei  Diod.  XI  77,  günstigeres  des  Theopouipos?  Sauppe 
Quellen  Plutarchs  S.  22.  Eph.  als  Feldherr:  Kallisthenes  bei  Plutarch  Kim.  13. 
Die  Selbständigkeit  des  Epb.  neben  Perikles  betont  Oncken  Athen  und  Hellas 
1,  187.  —  HaupUtelle  über  das  Theorikon:  Schol.  zu  Lukians  Tiniou  49.  Böckh 
Staatsh.  1  \  277. 

78.  (S.  ISO).  Demosth.  g.  Aristokr.  205  ist  nach  Sauppe,  Vischer  S.  35, 
Philippi  Der  Areopag  und  die  Epbeten  (Berlin  1874)  S.  250,  Schäfer  Jahrb. 
1865  S.  626,  Hist.  Zeitschr.  1878  S.  224  mit  Cod.  £  üttQitüV  zu  lesen  und 
eine  Verwechselung  zwischen  Vater  und  Sohu  anzunehmen.  Vgl.  dagegen 
die  wohlbegründeten  Eiuwendnngeu  Westermanns  zu  Demosth.  a.  a.  O.  Ein  so 
grobes  Versehen  dem  Demosthenes  zuzuniuthcn,  ist  um  so  bedenklicher,  da  das 
fittaxiveiv  etc.  auf  Miltiades  in  Paros  gar  nicht  passt.  Die  Ueberlieferung 
vou  einem  Prozesse  wegen  Verfassungsbruch  (xaret  tvQttfv(öoc)  auch  bei  Cy- 
rillus c.  Julian.  6,  §  188  (ed.  Aubert  IX  in  Patrologiae  graecae  toui.  76  p.  787). 


Digitized  by  Google 


82S 


ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  BUCH. 


Vgl.  Meier  de  boois  damnator.  p.  5.  —  Ueber  das  Verhalten  dei  Königs  Alexao» 
dros  Plut.  Kim.  14.  vgl.  Schäfer  S.  627. 

79.  (S.  152).  Pelopounesischer  Zag:  Plut.  Kim.  16.  17.  Thut  I  102 
{ÖtCaaria  zur  *A»riva(tov  tb  rolfirjQov  xal  jijv  vttonoQonoüav  —  Gefühl 
der  diXotf  vMa.' 

79*.  (S.  153).  Verjüngung  von  Argos  darch  Synoikismos:  Her.  VII  146. 
Arist  Pol.  1303*  7  (198,  10).  Peloponnesos  2,  348.  Zerstörung  von  Mykeo* 
and  Tiryna  Ol.  78,  1  (468/7),  Diodor.  XI  65  (Eifersucht  wegen  des  naLator 
ffgovrfjua  rfjg  nolftos.  Streit  über  da«  Heraion  and  am  die  Leitang  der  Ne- 
meeo.  Beutezehntes  nach  Delphi  wegen  Beteiligung  der  Mykeneer  am  Peraer- 
kriege  gegen  den  Willen  des  Gottes.  Peloponnesos  2,  388.  Barsiao  Geogr. 
2,  45.  Hermioo:  Peloponnesos  2,  455.  —  Mykeaäer  in  Makedonien,  andere 
in  Keryoeia  and  Kleonä  angesiedelt:  Paus.  VII  25,  6.  Athens  Büodniss  mit 
Argos  and  Thessalien:  Thuk.  1  102. 

80.  (S.  155).  Dem  Einrücken  in  den  Areopag  ging  eine  Prüfung  vorauf  : 
6oxifA.na Mvjfq  ävtßatvov  (Plat.  Perikies  c.  9).  Wenn  diese  Dokimasie,  wie 
wahrscheinlich  ist,  von  den  Areopagiteo  aelbst  vollzogen  wurde,  so  berohte 
die  Ergänzung  des  Collegiums  auf  einer  Art  Cooptation.  Sinteuis  zu  Plat. 
Per.  p.  106  nimmt  an,  Ephialtes  sei  bei  einer  solchen  Prüfung  abgewiesen 
and  dadurch  gegen  das  Collegiom  erbittert  worden.  Die  Stelle  ist  ver- 
dorben. Sauppe  'Quellen  von  Plutarcha  Perikies'  verrauthet  nach  der  Stelle 
der  /tixatv  ovoptara  in  Hekker  Anecd.  p.  18S,  12:  vßQio&ei<  vno  irje 
ßovkijc  antorfgijtxt  rag  XQiatH  avrr\v.  Philipps  Areopag  S.  288  (über  die 
Dokimasie  S.  167). 

81.  (S.  156).  Die  Unterstützung  Aegyptens  gegen  Persien  als  politische 
Notwendigkeit  Tor  Athen:  Aristoteles  Rhetorik  II  c.  20.  Rimoo  Urheber  des 
Bündnisses  mit  Ioaros  nach  A.  Schmidt.  Vgl.  A.  Schäfer  in  v.  Sybels  Zeitschrift 
IV  215.  Ephialtes'  Angriffe  in  Abwesenheit  Kimoos  (nie  naliv  tnl  axQarttar 
f$£nleuoc)  Plut.  Kim.  15.    Nach  Philippi  S.  256  Missverstandniss  Theopomps. 

82.  (S.  158).  Ephialtes:  Arist.  Polit  1274  a  7  (56,  21)  ri}V  Iv  'AQtty 
7iay<p  ßovkrjv  ^Efpialrrjs  fxölovat  xal  IlfQixlrjf.  Ueber  das  Zusammenwirken 
Beider  siehe  die  Stellen  bei  Sioteois  zu  Plut.  Perikies  1835  p.  104  f.  lieber 
den  Stimmsteio  der  Athens:  Kirchhof!  Monatsberichte  der  Berl.  Ak.  1874 
S.  105.  Kimons  Verbannung  und  die  darauf  bezüglichen  Ueberlieferungen : 
Vischer  'Kimoo'  S.  5.  60  f.  Kl.  Sehr.  I  46.  —  Als  persönliches  Motiv  wird 
das  Verhältniss  zu  Elpinike  von  Tzetzes,  Chiliad.  I,  58  angeführt  Dagegen  mit 
vollem  Recht  Meier  de  bon.  damnat.  p.  5.! 

83.  (S.  159).  Philocboros  fr.  141b  (Fr.  Hist.  Gr.  I.  p.  407)  bezeugt 
den  Zusammenhang  zwischen  Einsetzung  der  Nomophylakes  und  der  Be- 
achrankung  des  Areopags.  Schümann  Verfassungsgeschichte  Athens  S.  77. 
Scheibe  Olig.  Umwälzung  S.  151.  Philippi  Areopag  S.  192,  orpoyfoc  levxote 
$XQÜvto  Suidas.  —  Ueber  die  Sophrooisten :  Philippi  S.  162,  der  in  Dem.  de 
f.  I.  286  eine  Anspielung  auf  sie  erkannt  bat.  Gynäkonomen:  Philoch.  fr. 
143,  Timokles  und  Menander  bei  Athenaios  p.  245.    Philippi  S.  308. 

84.  (S.  160).  Soloos  Gesetze  am  Markte:  E.  Curtias  Attische  Studien  II 
S.  66.    A.  Schäfer  Arch.  Zeit.  1867  S.  118.    C.  Curtias  das  Metroon  in 


Digitized  by  Go 


ANMERKUNGEN  ZUM   DRITTEN  BUCH. 


829 


Athen  als  Staatsarchiv  1868.  Wachsmuth  Stadt  Athen  S.  535.  Versetzung 
der  Gesetze  durch  Ephialtes  nach  Anaximeues  bei  Harpokration  v.  xartodtv 
vt'fioi.  Nach  Köhler  Hermes  6,  98  Missverständniss  aus  Demosthcnes  c. 
Aristokr.  28. 

85.  (S.  163).  Thuk.  I  98  rfiv  anCxyr^aiv  rtüv  ötquiuüv  ol  nXt(ovg 
avriuv  (rtov  tvf*pax*»>),  fr«  /iij  an'  otxov  «J<n,  XQVPtt,a  ita^avro  avxl  lüv 
vttuv  to  hvovfitvov  ttvulttiutt  tf/pttv,  xal  toiq  filv  A&rjvatote  1)v£tTO  TO  VttV- 
iucov  ano  njf  6*an£vr\s  r\q  ix  (Iva  $vuif4(>ottv ,  avtol  dV,  onort  anoaiattv, 
änaoäaxfvot  xal  anttQot  i$  tov  nölffiov  xa&latavro.  —  Gleichzeitige  Be- 
richte über  die  Verlegung  des  Schatzes  fehlen.  Justinus  IN  6  (also  auch  wohl 
Knboros)  setzt  sie  gleich  nach  Verbannung  Kimons.  Darnach  Dodwell  Ann. 
Thucyd.  p.  83  in  461 ;  Ol.  79,  %  Böckh  Staatshaush.  2  3,  350  ist  geneigt  eine 
frühere  Zeit  anzunehmen  (doch  kann  die  unbestimmte  Beziehung  auf  Aristeides 
bei  Plut.  c.  25  nicht  maßgebend  sein).  Aus  dem  Antrage  der  Samier  nach 
Theophr.  bei  Plut.  Arist.  25  will  Oncken  mit  Grote  auf  eine  Zeit  schliefen, 
da  der  Autonomie  der  Eidgenossen  noch  keine  Gefahr  von  Athen  drohte,  und 
setzt  die  Verlegung  des  Schatzes  in  die  kimonische  Zeit  und  zwar  in  die  Zeit 
des  oaxischen  Kriegs  (1,  74,  293);  Schäfer  disp.  p.  19  in  die  des  äginetischen 
Kriegs.  Saoppe  (Göttinger  [Nachrichten  1865  S.  248)  nimmt  81,  3;  45%  als 
Jahr  der  Uebertragung  an,  ebenso  U.  Köhler  S.  102  und  Kirch  ho  ff  (Hermes 
11,  25),  nach  welchem  die  ; erste  Anregung  zur  Verlegung  bereits  vor  der 
Schlacht  am  Eurymedon  gegeben,  aber  erst  454  zur  Ausführung  gelaugt  wäre. 
Für  die  Verwaltung  des  Schatzes  ist  81,  3  als  Epochenjahr  erwiesen,  und  es 
sollte  kaum  anzunehmen  sein,  dass  diese  definitive  Organisation  erst  einige 
Jahre  oach  der  Uebertragung  eingetreten  ist.  Am  natürlichsten  folgt  die  Schatz- 
verlegung, bei  welcher  Perikles  nach  Plut.  12  und  Diod.  XII  38  bereits  selbst 
thätig  war,  der  Auflösung  der  Verträge,  wie  Justinus  (nach  Epboros)  sagt: 
ne  deficientibus  a  fide  socieUtis  Lacedaemooiis  praedae  ac  rapiuae  esset. 
Dazu  kam  die  Furcht  vor  einer  Verbindung  zwischen  Persien  und  Sparta  nach 
Plut.  Per.  12,  vergl.  Thuk.  I  109. 

Das  nahe  Verhältniss  zwiachen  Samos  und  Athen,  worauf  der  Antrag  der 
Samier  scbliefsen  lässt,  wird  auch  durch  Münzen  bezeugt,  welche  die  Auf- 
schrift SA  und  A&EN  tragen.    Siehe  Borrell  Nomism.  Chron.  1844  p.  74. 
Auch  das  Tetradrachmon  bei  Beule,  Monnaies  d'Athenes  p.  37  hat  das  samiache 
Wappen  als  Nebenstempel. 

86.  (S.  165).  Tegeaten  im  Bunde  mit  den  Argivern:  Her.  IX  35.  Eine 
ungefähre  Zeitbestimmung  ergibt  Str.  377  'Aoyuot  ptia  Xlttovaitov  xui  Tt- 
yiaitöv  tniX&bvttg  agdrjv  ittq  Mvxr\vaq  aytiXov  xal  jrjv  j^cup«*  Öttvtlpavio. 
Dipaia:  Her.  IX  35.  Paus.  VIII  8,  6.  45,  2.  Pelopounesos  1,  315.  Schöll 
im  Philol.  9,  107.    Urlicbs  Verbandl.  der  Hall.  Philologen vers.  S.  75. 

87.  (S.  165).  Clinton  Fasti  Hell.  II  p.  428  nach  Diod.  XI  54.  Pelo- 
pounesos 2,  S.  25,  99. 

88.  (S.  166).    Athen  im  Kriege  mit  Aigina  und  Koriothos:  Thuk.  I  105. 

89.  (S.  167).  CIG.  I  n.  165.  CIA.  I  n.  433.  'Eofx&rjtöog  of<fc  h  t«? 
nol/fi<p  ant&avov  tv  Kvno<p  ,  tv  Alyvmtp,  tv  «#»o«Wxjj,  tv  AXitvaiv,  tv 
Alytvy,  MtyaQoi  iov  avtov  tvtavrov. 


Digitized  by  Google 


830 


A>MERKUNGEN  ZUM  MUTTEN  BCCH 


90.  (S.  169).  Eph.'  Tod  nach  Aristot.  bei  Plot  Per.  10;  Diod.  XI  77; 
Antiphoo  de  caede  Herod.  68.  Vischer  'Kimon'  S.  61  vergleicht  die  Ermordung 
des  Laterner  Demagogen  Leo.    Philippi  Areopag  S.  263. 

91.  (S.  171).  Thok.  I  107.  t6  JY  n  xal  Mgte  rt5v 'Jtrtvaiuv  *jT%oy 
avrov(  XQvtfa  flntaayrff  ötjudv  re  xaranavauv  xal  rrt  paxQa  rtfx*l  otxo- 
äouovfxwa.  —  Spartanische  Politik  io  Büodeo:  Diod.  XI  81  Aaxk^cuu6vio% 

—  vojjUtaviis  t«c  Qqßag,  fav  ai/^rjatoaiv,  cata&ai  rn  rtSv  *A{H\va(w  atontQ 
avtlnoXXv  tivw  StontQ  i^ovieg  rote  nt^l  TavayQav  ttotfiov  xal  [*fya  <xrpo- 
xöntSov,  rijs  f*kv  itov  Srjßaituv  nöXttue  fitf^ova  töv  ntqtßolov  xatioxtvaoav 
t«c  d'  (v  BoiOitia  nolue  yvdyxaoav  vnoratiea&ai  toTc  Grjßaiois.  Demokratie 
in  Theben  vor  der  Schlacht  bei  Oioophyta:  KirehhofT  Abfassunpszeit  der 
Schrift  vom  Staat  der  Athener  Abb.  der  Berl.  Ak.  der  Wissensch.  1878  S.  6. 

—  Böot.  Zustände  vor  d.  Sehlacht  nach  Piad.  Pyth.  XI :  H.  Perthes,  N.  Jahrbb. 
1872,  S.  2 1 7  f.  Schlacht  bei  Tanagra:  Tbnk.  1  107.  Diod.  XI  81.  Grab- 
scbrift  der  Kleooäer:  Böckh  CIG.  I  o.  166.  CIA.  I  n.  441.  Ueber  den  tana- 
gräischen  Weiheschild  (Pausen.  V  10,4)  Pelopoonesos  2,  S.  110.  Urlichs  Hall. 
Philoiopcuvers.  S.  74  rechnet  gegen  den  Wortlaut  des  Epigramms  die  INike 
und  die  Kessel  zu  dem  tanagr.  Weihgeschenke.  Attische  Beurteilung  der 
Sehlacht:  Poppo  zu  Thuk.  1  108.  Todtenliste  von  der  Schlacht  bei  Tanagra: 
CIG  I  166  Koehler  Mitth.  IX  389,  der  Name  der  Lakedämooier  in  dem  Fragment 
bei  Köhler  gehört  einem  der  Liste  vorangehenden  Epigramme  an  Aaxtäat- 
fxov(ot[(  noXfuovviee].  —  Viermonatliche  Waffenruhe:  Diod.  XI  80.  —  Bockh 
zu  Pind.  Isthm.  6  p.  532  nimmt  nach  Platoo  Menexenos  p.  242  eine  drei- 
tägige Schlacht  bei  Oioophyta  an.  Anders  Clinton.  —  Attische  Proxenoi  in 
Böotien  um  Mitte  des  5.  Jahrb.  ernannt:  Sauppe  de  proxenia  Ind.  lect.  Gotting. 
1877—78  p.  4. 

92.  (S.  173).  Fall  von  Aigina  3  Jahre,  oachdem  es  noch  Pindar  Ol.  Vin 
v.  26  als  namoSanoiotv  Kvoif  xiova  Satpovtav  gefeiert  hatte.  Auf  die  nahe 
Verbindung  zwischen  Korinth  und  Aigina  beziehe  ich  v.  52.  —  Tolmidea : 
Thok.  I  108.  Diod.  XI  84.  Die  von  Thuk.  I  103  und  Diod.  XI  64  bezeugte, 
von  Jnstinus  vorausgesetzte  und  dem  Gange  der  Ereignisse  vollkommen  ent- 
sprechende zehnjährige  Dauer  des  3.  messen.  Kriegs  ist  von  Krüger (Stud.  1, 
S.  15«),  welchem  Rauchenstein  (Philologns  2,  201)  und  Classen  zu  Tbuk.  folgen, 
ohne  ausreichende  Gründe  bestritten  worden.  Die  vorgreifende  Einschaltung 
bei  Thukydides  kann  nicht  befremden.  Vgl.  F.  Ritter  Jen.  Litt.  Zeit.  1842 
S.  35S  und  jetzt  vor  Allem  A.  Schäfer  de  rerum  post  bellum  Pers.  gestarum 
temporibus  1865  S.  18.  Pythia  befiehlt  iov  Mrrjy  iov  dtoe  rov '  l&wfitjta 
ati*(vai:  Thukyd.  I  103.  Paus.  IV  24.  —  Inschrift  der  von  den  Lakedämo- 
niern  wegen  des  3.  messen.  Kriegs  in  Olympia  gesetzten  Zeusstatue  (Paus.  V 
24,  3):  Arch.  Zeit.  1876  S.  49  f.  vgl.  Kirchhoff  Studien  s  S.  140.  —  Besetzung 
von  Naupaktos  Aqxqöv  ttov  'Ofalßv  f/dvtütv  Thuk.  I  103.  lieber  die  lo- 
krisebe  Colonisationsurknnde  vgl.  meine  Studien  zur  Gesch.  von  Korinth 
Hermes  10,  S.  237.  Relieffragm.  mit  Inschrift  auf  die  Messenier  in  Naopaktoa 
bezüglich:  A.  Michaelis  Arch.  Z.  1876  S.  104  CIA.  IV  n.  22  g.  —  Au  der 
Uebertragung  des  Zeusbildes  von  Hagelaidas  zweifelt  Robert,  Arch.  March. 
S.  94. 


Digitized  by  Google 


ANMEMvUNGEN   Zt  M   DRITTEN  BUCH 


83  t 


93.  (S.  176).  Niederlage  in  Aegypten:  Tbnk.  c.  109  f.  Perikles  im 
kris.  Mb.:  c.  III;  Diod.  XI  85.  Kimons  Zurückberufung  von  Theopompos 
erzahlt  nach  Schol.  Aristid.  3  p.  528  Ddf.  Fr.  92  Moll.,  oach  ihm  Plutarch 
Perikles  c.  10  (abweichend  von  Kimoo  17  f.)  wie  Sauppc  annimmt:  Quellen  des 
Plut.  S.  19.  —  Der  neunjährige  Krieg  (460 — 51)  der  'peloponnesische'  beim 
Schol.  zu  Pindar,  Ullrich  Hellen.  Kriege  S.  50. 

94.  (S.  177).  Neuer  Beginn  des  Nntionalkriegs.  Thuk.  I  112:  kklt}Vixov 
noMuov  ie%ov  nach  meiner  Erklärung  im  Rhein.  Museum  1869  S.  307.  Kämpfe 
auf  Kypros  Ol.  78,  4  nach  der  Todtenliste  der  Erechtheis:  CIA.  I  n.  433. 
Kimoos  Ende:  Plut.  Kim.  19;  Thuk.  1  112.  Nach  Diod.  XII  3  siegt  Kinion 
selbst.  Theuruog  und  gleichzeitige  Ausfülle  in  den  Tributen  der  Bundesge- 
nossen: Köhler  S.  120.  130. 

95.  (S.  177).  Heiliger  Krieg:  Thuk.  1  112.  Philocboros  fr.  88.  In- 
Schriften  auf  dem  ehernen  Wolf:  Plut.  Per.  21.  Auch  auf  den  Krater  des 
Kroisos  setzen  spartanisch  gesinnte  Delphier  den  Namen  der  Lakedämonier : 
Her.  I  51.  Kirchhoff  Entstehungszeit  des  Herod.  Geschichtsw.  S.  32.  Dem 
Zug  des  Perikles  nach  Phokis  war  die  Erneuerung  eines  wahrscheinlich  Ol. 
81,  3  abgeschlossenen  Symmachicvertrags  zwischen  Athen  und  Phokis  vorange- 
gangen. Ein  Stück  dieser  Urkunde:  CIA.  IV  22  b,  worin  auch  von  den  Rechten 
der  Amphiktionen  die  Rede  ist. 

96.  (S.  178).  Ueber  den  Untergang  der  Demokratie  in  Böotien  Aristot 
Politik  p.  I302b  29  (197,  25):  tv  B^ßats  pcra  t^v  iv  Olvotpvrots  pa/W 
xaxtug  7toliifuofi4vtav  tj  ÖTjpioxQttTitt  SiMf&aQt).  Die  richtige  Erklärung  bei 
Kirchhoff  Abb.  d.  Berl.  Ak.  d.  W.  1878  S.  6  mit  Beziehung  auf  'Xeo.'  de  rep. 
Athen.  III  10,  11:  onooaxts  <F  ^itf^tlQ^av  (oi  * jtftijvaim)  alQtio&ai  ioi>e 
ßiljiarovg,  ov  ovvrn>eyxei'  avrots  (Lücke)  alV  lyiog  okCyov  xqovou  6  dtjfios 
Hovltvofv  o  Boionoig.  Auf  die  Zeit  nach  der  Schlacht  b.  Oioophyta  bezieht 
sich  Pindar  Isthm.  6,  31.  —  Koroneia:  Thuk.  I  113.  Diod.  XII  6.  Perikles' 
Warnung  vor  Tolmides'  Auszug:  Plut.  Per.  18.  Nach  dem  sog.  Platoo.  Meoex. 
242  ein  Kampf  intQ  rrje  Boimtüv  tltv9tQ(as. 

97.  (S.  179).  EubÖische  yvyttfiee  in  Böotien:  Thuk.  I  113.  Abfall 
Kuboias  und  Megaras:  ib.  114.    Oligarchische  Verschwörungen:  Köhler  S.  140. 

98.  (S.  180).  Per.  und  Pleistoanax:  Plut.  Per.  22.  Oreos  und  Histiaia: 
Thuk.  I  114.  Diod.  XII  7.  22.  Kaumeister  Skizze  der  Insel  Euboia  (Lübeck 
1855)  S.  17,  58.  Chalkis:  Plut.  Per.  23.  Eretria:  CIA.  I  n.  339.  Kirchhoff 
Kleruchien  S.  20.  Vertragsurkunde  über  Chalkis,  herausg.  von  Köhler  Mitth. 
des  D.  Arch.  Instit.  1,  184.  CIA.  1  27  a.  Weibgescheok:  CIA.  I  n.  334.  Ur- 
sprünglich im  Temenos  der  Potias  aufgestellt  in  der  Nähe  der  Fesseln,  480 
zerstört,  circa  30  Jahre  später  erneuert,  mit  der  Inschrift,  deren  Zeilen  um- 
gestellt wurden.  Ueber  die  Bruchstücke  beider  Inschriften  Kirchholf  Mooatsb. 
1869  S.  409,  Sitzungsber.  1887  S.  III. 

99.  (S.  181).  9jtx*£«  Thuk.  1  115  und  IV  21  ist  nicht  mit  Krüger  in 
\4Ua6ay  noch  mit  Cobet  in  ' Alias  zu  verändern;  anotiovtts  ist  der  Gegen- 
satz zu  nctQttXaßovitq  c.  111;  das  eine  bezeichnet  den  Abscbluss,  das  andere 
die  Auflösung  eines  Bundesvertrags.  Vgl.  Peloponnesos  1,  422.  —  Dass  die 
Urkunde   der   anovdai  tQtaxovxovitts  Thukydides   ihrem  Wortlaute  nach 


Digitized  by  Google 


832 


A  NMERKUXIEN  ZUM  DRITTEN  BÜCH, 


bekannt  gewesen,  schlierst  Kirchhof  Sitzungsberichte  1884  S.  415  ans  I  78. 
I  J45.    VII  18. 

100.  (S.  185).  Saidas  n.  d.  W.  KalXiat.  Herod.  VII  51  mit  der  Anm. 
Schölls  za  seiner  Hebers,  nnd  Einleitong  S.  15.  lieber  den  verkehrten 
Manien  des  'kanonischen'  Friedeos  urteilt  richtig  E.  Müller  in  Rhein.  Mas. 
1859  S.  153;  doch  ist  es  mir  unmöglich,  aus  den  wenigen,  unklaren  und  wahr» 
scheinlich  verderbten  Worten  des  Isokrates  im  Panegyrikos  §  120  (rtov  tfootuv 
iv(ov(  rartoyteq)  die  Tbatsache  zu  folgern,  dsss  für  gewisse  den  Persern 
überlassend  Städte  von  Seiten  Athens  ein  Tarif  der  Besteuerung  festgestellt 
worden  sei,  welchen  die  persische  Regierung  nicht  habe  überschreiten  dürfen. 
Vgl.  Em.  Müller  über  den  kimonischen  Frieden  Freiberger  Programm  1866 
S.  20.  Eine  sorgfältige  Kritik  der  bisherigen  Verhandlongen  über  den  Frieden 
giebt  H.  Hiecke  de  pace  Cimonica,  Greifswald  1863;  doch  kann  ich  auch  durch 
ihn  die  argumenta  a  silentio  nicht  für  beseitigt  halten.  Am  undenkbarsten 
ist,  dass  Herodot,  wenn  ein  die  Kämpfe  zwischen  den  Hellenen  und  Barbaren 
für  Athen  so  glorreich  beendender  Friede  449  abgeschlossen  wäre,  ihn  nur 
mit  so  kargem  und  absichtlich  unklarem  Ausdrucke  erwähnt  haben  sollte. 
Die  Notiz  bei  Soidaa,  wo  Hiecke  p.  45  eine  Verwechslang  oder  Lücke  an- 
nimmt, gebt  jedenfalls  auf  eine  gute  Quelle  zurück.  —  Die  durch  Kimons 
Siege  faktisch  eingetretenen  Machtverhältnisse  an  der  asiat.  Rüste  bezeugen 
sich  auch  in  den  Münzen  der  Küstenstädte.  Die  östlich  von  den  Chelidoneen 
gelegenen  blieben  im  engsten  Zusammenhange  mit  dem  persischen  Geldwesen. 
Siehe  J.  Brandis  Mafs-,  Gewicht-  und  Münzwesen  Vorderasiens  S.  220. 

Nachdem  die  &Qvlovfi£tnj  eigtjyr]  durch  die  attischen  Redner  als  histo- 
rische Tbatsache  hingestellt  war,  muss  (nach  Eukleides)  eine  Inschrift  aufge- 
stellt worden  sein,  nm  eine  verschwundene  Originalurkunde  zn  erneuern. 
Sie  wurde  meistens  Tür  das  Original  gehalten;  daher  die  Kritik  von  Theopomp 
und  Kallisthenes.  Vgl.  Bcminann  recognitio  quaeat.  de  pac.  Cim.  1864  p.  6. 
Wir  wissen  nur  von  einer  Gesandtschaft  des  Kallias:  Suid.  KaXXlag  (um  445). 
Her.  VII  151.  Herodots  k(yovc$  bezieht  sich  nicht  auf  das  Factum  der  Ge- 
sandtschaft, über  welche,  als  er  um  Ol.  87,  3  in  Athen  schrieb,  kein  Zweifel 
möglich  war,  sondern  auf  die  damit  verbundenen  Umstände,  und  das  Zusammen- 
treffen mit  den  Argivern.  Vgl.  auch  Carl  Curtius  de  act.  public,  cura  apud 
Graecos  p.  33. 

Nach  M.  Duncker,  (Kimonischer  Frieden.  Sitzungsber.  der  Berl.  Akad.  1884 
S.  785)  war  die  Absicht  des  Perikles,  durch  Kallias  mit  dem  Grofskönig  einen 
modus  vivendi  herzustellen,  ohne  dass  an  definitive  Landabi retuug  von  Seiten 
des  Grofskönigs  gedacht  wurde.  Bei  dieser  schwierigen  Verhandlung  seien 
die  von  Rath  und  Bürgerschaft  den  Gesandten  gegebenen  Vollmachten  zur  Be- 
ruhigung der  Bundesstädte  in  Stein  gehauen  und  diese  Instruktion  sei  von 
Kratcros  in  seine  Sammlung  der  Psephismata  aufgenommen.  Die  Gesandt- 
schaft des  Kallias  und  seiner  Genossen  setzt  D.  449/48  und  schliefst  aus 
Strabo  p.  47,  dass  Kallias  über  Kilikien  gereist  sei;  mit  ihm  Epilykos,  Dio- 
timos,  Pyrilampes,  dessen  Sohn  Demos  im  Besitz  einer  ans  jener  Gesandt- 
schaft stammenden  Goldschale  gewesen  sein  soll.  Lysias  bon.  Arist.  25. 
Kallias'  Anklage  soll  thatsächlich  andere  Gründe  als  die  Annahme  von  Ge- 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  RUCH. 


833 


schenken  gehabt  haben;  sie  habe  dem  Vermittler  des  dreißigjährigen  Friedens 
gegolten,  welcher  in  Athen  dem  lebhaftesten  Widerspruch  begegnet  sei.  In- 
dessen konnte  die  antiperikleisehe,  also  kimooische  Partei  doch  unmöglich  den 
Frieden  mit  Sparta  xnm  Ziele  einer  so  erbitterten  Opposition  machen.  Zur 
Beschwichtigung  der  Bürgerschaft,  glaubt  Duncker,  sei  die  Fahrt  nach  dem 
Pontos  unternommen. 

Umwandlung  der  Bundesgenossenpolitik  Athens;  Thuk.  III  10  (die  Athener 
lijV  roö  Mriöov  fx^Qav  ^vtivtet  u.  s.  w.). 

101.  (S.  187).  GovxvStötjs  6  u4Xamfxij9ev  —  xijcffffTijc  Ktfttavoq  Plot. 
Perikles  c.  11.  Sintenis  p.  117;  nicht  erst  seit  449  an  den  Staatsgescbäften 
betheiligt;  vgl.  Sauppe  Quellen  PIntarchs  S.  25  nnd  Holfmann  de  Thucydide 
Melesiae  fllio  Hamb.  1867.  Ostrakismos :  Plut.  14.  —  Wie  lange  der  Kampf 
des  Thnkydides  gegen  Perikles  in  lebendigem  Gedächtniss  blieb,  zeigt  Aristoph. 
Vesp.  947. 

102.  (S.  189).  Die  Wichtigkeit  praktischer  Musiküboog  zum  richtigen 
Urteil:  Arist.  Pol.  14.  Flötenspiel  in  Athen:  Arist.  Pol.  1341a  IS  (140,  26)  f. 
Durisschale:  Michaelis  Arcb.  Zeit.  1873,  S.  12.  Heibig  Ann.  d.  Inst.  1S73 
p.  61.  pv&ot  ol  x«t'  olxtttv  (Hansmärchen)  Aristoph.  Vesp.  1180  —  ftav- 
9«vnv  (v  toj  tvpnooftp  Aristoph.  Vesp.  1260. 

102*.  (S.  192).  Die  Mysterienlehre  ergänzt  den  öffentlichen  Gottesdienst, 
welcher  sich  ganz  an  den  Staat  anschliefst,  und  geht  anf  die  rein  mensch- 
lichen Bedürfnisse  der  Seele  ein ,  welche  bei  der  Hinfälligkeit  des  Irdischen 
einen  Trost  verlangt.  Sie  lehrt  die  diocJoroc  «p/«  eines  jenseitigen  Lebens, 
Pindar  Frgm.  102.  Welcker  Götterlebre  II  520.  Bedeutung  der  Mysterien: 
Athen  und  Eleusis.  Festrede  1884  S.  9.  Ueber  die  Motive  der  Grabsteine: 
Furtwäogler  Sammlung  Sabourolf,  Sculptur.  Eioleitg.  —  Buzygea:  Bernays 
Monatsberichte  d.  Berl.  Akad.  1876  S.  608. 

103.  (S.  197).  Schon  bei  Herakleitos  spricht  sich  die  Idee  einer  das 
All  leitenden  Intelligenz  deutlich  aus  (Bernays  Rhein.  Museum  N.  F.  9,  S.  254), 
während  andererseits  auch  bei  Anaxagoras  trotz  der  vorgeschrittenen  Unter- 
scheidung des  Geistigen  und  Körperlichen  dem  höchsten  geistigen  Wesen  noch 
keine  vollkommen  freie  Persönlichkeit  zugeschrieben  wird.  Zeller  Philos.  der 
Griechen  I4,  S.  888.  Diels  über  die  ältesten  Pbilosopheoschulen  der  Griechen 
in  den  Philos.  Aufs,  zu  Zellers  50j.  Doktorjubiläum  S.  241  ff.  Die  revolutio- 
näre Bedeutung  der  Philosophie:   Bernays  Phokion  S.  21. 

103*.  (S.  198).  Pythagoras  gegen  den  Bilderdienst:  Clem.  A).  Strom. 
115,71.  Plut.  Num.  8.  Gegen  Homer:  Diog.  L.  VIII  21.  1X2.  Kratylos: 
Zeller  I*  675. 

104.  (S.  199).  Den  sophistischen  Charakter  des  Hippodamos  entwickelt 
C.  Fr.  Hermann  de  Hipp.  Milesio  Marb.  1841  p.  18. 

105.  (S.  200).  Heraklcltos  und  Hermodoros:  Bernays,  Heraklitiscbe  Briefe 
S.  15.  84.    E.  Curtius  Ephesos  S.  16. 

106.  (S.  201).  Aristot.  Polit.  1341a  29  (p.  141,  4):  <fxoltt<*r,*™r*Vot 
ytig  ytvoutvoi  —  x«\  fieta  t«  Mrfitxa  (/-^ovijucmo'&Vrec  —  naorjs  ynrovro 
lAtt&i\attos.  Anaxagoras  kam  nach  wahrscheinlicher  Annahme  unter  dem 
Archon  Kalliades  (75,  1 ;  480)  20  Jahre  alt  nach  Athen  (Brandis  Geschichte 

Cortias,  Gr.  Oescb  II.  6.  Ann*.  53 


Digitized  by  Google 


83-1 


A  >'  M  E  R  K  U  >  C  E  >'   ZUM   DUITTE*  BUCH 


der  Gr.-Römisobeo  Phil.  233).  (Jeher  Parmeoides  ood  Zenon  siebe  ßrsndis 
S.  375.    Zar  Chronologie  der  Philosophen  Diel«  Rhein.  Mas.  3],  1  ff*. 

107.  (S.  203).  Thuk.  1  6.  Vgl.  K.  0.  Müller,  Kl.  Deutsche  Schriften 
2,  534.  Krobylos:  Cooze,  ISnove  Memorie  1865,  408.  Jahn  Griech.  Bilder- 
chroniken 46.    Abb.  des  Berl.  Ak.  1873,  159. 

108.  (S.  20S).  Piodar»  Ode  auf  Megaklcs  (Pyth.  7)  and  Threnos  aaf 
Hippokrates  (Schol.  Pind.  Pyth.  7,  47).  —  BovCvytjf  (vgl.  Hesyeh.  aud  C1G.  I 
n.  491)  genannt  von  Eupolis  bei  Aristides  XLVI  p.  175  Dind.  nach  dem  Schol. 
des  Aristides  III  p.  473  Dind.  —  Pythoklcides:  Aristoteles  bei  Plot  Per.  4. 
Jafjotv  JafAotvCüov  vOaBtv  bei  Steph.  a.  'Ott  aus  Krateros  nach  Meinekea 
Vermuthung.  Oocken  2,  S.  17  halt  Damooides  Tür  identisch  mit  dem  Musiker 
Datuon.    Vgl.  Sauppe  S.  17  f.  —  Zenon:  Sintenia  p.  72. 

109.  (S.  209).  Sonnenfinsterniss :  Plnt.  c.  35.  Perikles  and  Peisistra- 
tos:  c.  7. 

110.  (S.  213).  Choregische  Inschrift  über  Perikles,  Aischylos,  Magoes: 
Köhler  Mittheilg.  d.  Ath.  Inst.  III,  107,  der  hieraus  die  40  Jahre  herleitet;  Leo 
Rhein.  Mus.  33  S.  143;  siehe  Antn.  116.  Plnt.  Pericl.  ed.  Sintenis  p.  152.  — 
Verfassungsänderung  uno  avfinna^axos:  Diels  Fragm.  voo  Aristot.  Politie 
1SS5  S.  34.  Perikles*  Parteistelluog  napa  iip  aviov  <fvaw  rpuora  o\uo- 
Jixf\v  oioav  Plut.  c.  7.  Salaminia:  Kritolaos  bei  Plut.  Mor.  p.  811  C.  v.  Per. 
c.  7.    Frgm.  H.  Gr.  IV  p.  373. 

110*.  (S.  215).  Hybris  an  Sklaven:  Meier  nnd  Schümann,  Att.  Process 
S.  322.    Sklaveozahl:  Aeschin.  Ep.  12. 

111.  (S.  216).  Kornniederlagen  des  StaaU:  Böckh  Staatsh.  1 3,  110  in 
Tempeln:  II  S.  62*.  Die  Schangelder  von  der  Theorikonbehörde  angewiesen,  von 
den  Demarchen  auf  Grund  der  Bürgerliste  vertbeilt:  Frankel  zu  Böckh  S.  64*. 
Zeugniss  des  Aristoteles  über  Damonides  (o  v0a9tv)  als  Rathgeber  des  Perikles : 
Plut.  Perikles  c.  9.  Böckh,  Staatsh.  \\  274.  62*.  Wilamowitz,  Hermes  14, 
320.    Vgl.  Anm.  108. 

112.  (S.  219).  Heber  die  Geschichte  des  attischen  Gerichtswesens  in 
Bezug  auf  die  neueren  durch  Grote  angeregten  Controversen  vgl.  Schümann, 
die  Solonische  Heliaia  und  der  Staatsstreich  des  Ephialtes  in  Jahrb.  für  klass. 
Philologie  1866  S.  585  f.  Jetzt  besonders  M.  Frankel,  die  attischen  Ge- 
schworenengerichte Berlin  1877. 

1 13.  (S.  222).  Thuk.  I  77.  Nach  Aristoteles  richteten  die  Athener  über 
die  Bundesgenossen  ano  avfißoltov:  Bekker  Aoecd.  436.  Hesyeh.  s.  v.,  Böckh 
1  %  64.  Herbst  im  Philol.  16,  292.  Wie  die  Spartaoer  nach  den  mit  einzelnen 
Staaten  geschlossenen  ovv9ijxctt  die  Hegemonie  führten  (Plut.  Quaest.  Gr.  5), 
so  ist  wahrscheinlich,  dass  auch  zwischen  Athen  und  den  Bundesgenossen  ge- 
wisse Verträge  geschlossen  waren,  auf  welche  sich  die  Atheoer  berufen  konnten, 
um  den  Gerichtszwang  euphemistisch  als  ein  durch  gegenseitige  Ueberein- 
kuoft  geordnetes  Rechtsverfahren  zu  bezeichnen.  Betbeiliguug  der  Gemeinden 
an  den  Prozessen  ihrer  Angehörigen  durch  avvtftxon  CIGr.  n.  2353.  Welcker 
Kl.  Sehr,  zur  Gr.  Litt.  2,  S.  395.  Der  BegriJT  der  Hegemooie  beruht  bei 
den  Griechen  wesentlich  auf  dem  Colouialrechte  (Thuk.  I  38):  so  konnte  also 
Athen  als  Mutterstadt  lonicns  (Her.  MI  51;  VIII  22)  den  Gerichtszwang  nach 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM   DRITTEN  BUCH. 


835 


demselben  Rechte  in  Anspruch  nehmen,  wie  einst  Epidauros  über  Aigina  (Her. 
V  83).  Es  fehlte  also  auch  hier  nicht  an  Analogien  ans  dem  älteren  Staats- 
rechte. Abweichend  ist  Köhlers  Ansicht  über  die  oVxat  ano  ovfißoXatv, 
Hermes  7,  159.  Das  Wort  tfogoc,  gewöhnlich  'Tribut'  übersetzt  wie  JaOfiOS, 
ist  von  den  anoifoqaC  oder  Beiträgen  zur  Kriegskasse,  wie  sie  sich  auch 
Sparta  eiozahlen  Hefa,  im  Grunde  nicht  verschieden.  Es  widerspricht  also 
dem  Begriffe  der  avu^a^la  nicht. 

114.  (S.  223).  Gegensatz  der  äyQotxoi  und  der  r\Xiaoxixot:  Frankel 
S.  8.  Sitzungsgelder  für  die  Volksversammlung  (ftto&os  ixxlijaiaatixos)  • 
Böckh  Staatshausb.  der  Ath.  1 «,  288  f.  Sprichwort  oßokov  *uo<  naqvvtra  (?) 
komischer  Name  des  Kallistratos  (oder  naqvönr},  IJaqyonris,  IlaQvonli)  Meioeke 
Frgm.  Com.  IV  700.  Ueber  die  Art,  wie  Plutarch  die  Veränderung  des  Peri- 
kles  aus  klarer  Berechnung  des  Ehrgeizes  ableitet,  siehe  Sauppe  a.  a.  0.  S.  15. 

115.  (S.  224).  Leider  ist  die  Geschichte  des  Besoldungswesens,  welche 
Aristoteles  in  seiner  Darstellung  der  att.  Verfassung  genau  verfolgt  hatte, 
nicht  mit  Sicherheit  herzustellen.  Gewiss  ist,  dass  der  Kriegersold  der  Zeit 
des  Perikles  aogebört;  über  die  Notwendigkeit  desselben  siehe  Böckh  1",  361. 
Unter  den  Löhnungen  für  öffentlichen  Dieost  in  der  Stadt  war  der  Richter- 
sold  der  frühere,  dessen  Einführung  nach  einem  freilich  nicht  unbedingt  zu- 
verlässigen Zeugnisse  (Böckh  295)  Perikles  zugeschrieben  wird.  Ihm  nach- 
gebildet war  der  Volksversammlungssold,  welcher  wahrscheinlich  auch  von 
einem  Obolos  anfing.  (Schümann  Verfassungsgesch.  Athens  S.  87).  Seine  erste 
sichere  Erwähnung  bei  Aristophanes  EccI.  303,  wogegen  in  der  Schilderung 
der  Volksversammlung  in  den  Acharnern  keine  Spur  davon  vorkommt.  Würz, 
de  mercede  ecclesiastica,  Berol.  1878,  hält  darum  diesen  Sold  für  eine  Ein- 
richtung der  nacheuklidischen  Demokratie.  In  gewissen  Familien  gehörte  die 
Förderung  aller  demokratischen  Einrichtungen  zur  erblichen  Tradition. 
Einer  aolchen  Familie  gehörte,  nach  Bück  Iis  wahrscheinlicher  Vermuthung, 
auch  jener  Kallistratos  an,  welcher  als  'Erfiuder  des  Obolos'  den  Spott- 
namen Parnope  (Heuschrecke)  geführt  haben  soll.  Vgl.  Schäfer  Demostheoes 
1,  11.  Der  erstere  Name  macht  es  doch  wahrscheinlich,  dass  er  schon  bei 
Einführung  des  Richtersoldes  eine  hervorragende  Rolle  spielte.  Ueber  die 
Vermehrung  des  Richtersoldes  siehe  S.  450.  Bei  ihr  scheint  Kallikrates 
thätig  gewesen  zu  sein,  dessen  Andenken  als  eines  durch  mafslose  Vor- 
schläge verrufenen  Demagogen  sprichwörtlich  erhalten  blieb  (Böckh  S.  299), 
wie  bei  der  entsprechenden  Erhöhung  des  Volksversammlungssoldes  Agyrrhios. 
Kallikrates  wie  Agyrrhios  stehen  mit  Kallistratos  in  verwandtschaftlichem  Zu- 
sammenhange. Die  Philosophen  antidemokratisch  oxiolotöoqoi,  Bernays  Hera- 
clitea  p.  31. 

116.  (8.225).  Kratioos  bei  Plut.  Perikles  c.  3.  Kronos  ist  zugleich 
der  Vertreter  des  Altväterlichen,  Stasis  die  Revolution,  ans  der  die  neue 
Ordnung  der  Dinge  geboren  wird.  Beide  Zeiten  sind  in  ihm  verbunden.  Vgl. 
seinen  Ausspruch  über  die  ungeschriebenen  Rechtsordnungen  bei  Lysias  VI  10. 
Die  wahrscheinlich  auf  Theopomp  zurückgehende  Nachricht  von  Perikles' 
vierzigjähriger  öffentlicher  Thätigkeit  (Plut.  Per.  16)  ist  nach  Köhler  Mitth. 
d.  D.  Arch.  Inst,  in  Athen  III  107  aus  Didaskalien  berechnet   Siehe  Anm.  110. 

53* 


Digitized  by  Google 


836 


ANMERKUNGEN  ZUM   DRITTEN  BUCH. 


117.  (S.  227).  Ueber  die  fortgesetzte  Strategie  de«  P.:  Plut.  c.  16 
jtaaagäxovra  htj  notoitvtav  fv  *E<f*aXxais  xai  jiuoxQarats  xai  Mvoat- 
Wda«c  xai  K([ia>ot  xai  ToXfilöaK  xai  GovxvöiJaif,  paa  &  rijv  Govxvdtdou 
xaraXvOiv  xai  ibv  ooxoaxiOftöv  ovx  Hanta  x<Zv  nfvxtxaifoxa  IxtSv  dtqvtxr 
xai  fxLav  ovoav  Iv  xats  tviavolois  axoarrjyiaig  oqxHv  xa^  äuvnauiav 
xxr}oa/4tvo(.  Niebuhr  Vorl.  über  a.  Gesch.  2,  67.  Ueber  den  Helm  des  Per. 
vgl.  Arch.  Zeitung  1860  S.  40  und  Conze  Arch.  Zeitung  1868  S.  2.  Bühneu- 
witze  über  den  Kopf;  einem  grofseo  Speisesaal  verglichen:  MixaxXtroe 
Tclekleides  Fr.  44  Kock  Fr.  Com  Alt.  I  220.  —  Geldmittel  des  Stra- 
tegen: Plut.  23.  Der  wiederholte  Aasdruck  6  dVra  xai  ovvaQxorrtg 
bezeichnet  die  hervorragende  Stellang  des  Oberfeldherrn  auch  in  gewöho- 
lichen  Verhältnissen.  Nor  in  besonderen  Fällen  ein  uro.  avxoxoaxoto.  Dafür 
auch  der  technische  Ausdruck:  navxa  ra  noayfitaxa  fmt^innv  Thuk.  FI 
58.  Schümann  de  eomitiis  p.  314.  Bergk  Rel.  Com.  p.  58.  Vi  scher  Epigr. 
Beiträge  S.  61.  Gilbert  Beiträge  S.  43.  Löschcke  de  titalis  etc  S.  24  auarga- 
uiyot  «=>  avvaffxovttt.  Vgl.  Diod.  XIII  69.  CXQaxriyoi  andvxmvi  Böckh> 
znr  Antigone  S.  190.  Vgl.  Athen,  p.  213  B.  Aus  der  Bedeutung  der  peri- 
kleisebeo  Strategie  erklärt  sich  wohl  auch  der  Gebrauch  des  Wortes  axqa- 
xtjyög  bei  Sophokles  z.  B.  Antigone  v.  8. 

118.  (S.  227).  Welche  Bedeutung  Perikles  der  Verwaltung  der  Finanzen 
beilegt,  ergiebt  Thuk.  II  13:  tö  vavxtxöv,  gnfQ  loxvoixttv,  i£aoxvto~&at ,  tot 
rt  tcüv  £vfj/b(ax<»v  öut  Xe'?°S  %Xi,v*  Ity***  *h*  iox^v  «vxws  ano  xomtov 
ehat  «UV  /pij/u<rrcuy  iy  nooooöov,  xä  dk  noXXit  xov  noUpov  yvtifiy  xai 
XQTijjmtüv  ntoiovotq  xpattio&ui.  etc.  Diod.  XII  38.  Das  Amt  eines  obersteo 
Schatzmeisters  (ra/j/ac,  bu,fxtXi)xi\<;  tijc  xotvijs  nooooöov)  ist  in  der  Zeit  vor 
dein  Archon  Eukleides  nicht  nachweisbar;  die  einzige  Stelle  bei  Plut.  Arist.  4 
aus  dem  wenig  zuverlässigen  Idomeneus  kann,  wie  Köhler  Del.-att.  Seebund 
S.  151  mit  Recht  hervorhebt,  nicht  als  vollgültiges  Zeogniss  betrachtet  wer- 
den. Wie  die  Oberleitung  der  Finanzen  im  5.  Jahrhundert  eingerichtet  war, 
wird  nicht  überliefert.  Nach  dem  Staatsrechte  der  voreuklidischen  Zeit  ist 
aber  eio  die  Geldwirthschafl  beherrschendes  Schatzmeisteramt  gar  nicht 
denkbar.  Das  Strategion  ist  das  Centrum  des  Staats;  des  Strategen  Anträge 
sind  maßgebend  für  das  Budget;  der  attische  Staat  ist  in  dieser  Zeit  wesent- 
lich auf  die  Wehrhaftigkeit  angelegt.    Vgl.  Droysen  Hermes  9,  S.  10  IT. 

119.  (S.  228).  Ueber  die  Athlothesie  des  P.  siehe  M.  Meier  'Paaathenäea' 
(Allg.  Encycl.  der  Wiss.  und  K.)  S.  286.  Vgl.  Tromp  de  Pericle  1837 
p.  108  über  die  praeeipua  auetoritatis  PericJeae  praesidia;  agp)  xov  noovatt 
Moos  Thukyd.  II  65. 

120.  (S.  230).  Xanthippos,  des  Perikles  Sohn,  war  mehrere  Jahre  mit 
der  Tochter  des  Isandros  verheirathet ,  ehe  er  430  an  der  Pest  starb.  Plut. 
Per.  c.  36  (Sintenis  p.  276).  Daher  fällt  die  Verbindung  des  Perikles  mit  der 
geschiedenen  Frau  des  Hipponikos  vor  451.  Vgl.  Hiecke  de  pace  Cim.  p.  44. 
TjQfya  ßatS({tiv.    Plut.  reip.  ger.  praec  p.  800  B. 

121.  (S.  231).  Aspasia,  des  P.  Lehrerin  in  der  Rede  xaxa  rov  rooytav. 
Philostr.  ed.  Kayser  p.  364,  11.  Ueber  den  Band  zw.  P.  und  Asp.  siehe  Plat. 
Per.  24.    Saidas  v.  Uonaoia.    Vgl.  Filleul  Siecle  de  Pericles  (Paris  1872) 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  RUCH. 


837 


1,  3S5.  —  Euangelos :  Plut.  16.  Ueber  das  Privatleben  des  Perikles  siebe  die 
Stellen  bei  Siotenis  za  Plut.  p.  89.    Tromp  de  Periele  p.  79. 

122.  (S.  232).  P.  and  Sophokles:  Plat.  c.  8.  P.  und  der  Schreier:  c.  5. 
Gebet  um  Kürze:  c.  8.  P.  als  Redner:  K.  0.  Müller  Literaturgeschichte  2, 
306.    Blass  attische  Beredsamkeit  1 1  S.  37. 

123.  (S.  236).  üoicfios  imatv,  nQoa^egofteros:  Ullrich  hellen.  Kriepe 
S.  16.  —  Plut.  Mor.  223  Did.  —  Perikles*  auswärtige  Politik:  Plut.  Per.  20. 
Ol  awfxtÜQH  ratg  oquuis  reSv  noXiitZv,  oudl  ouvet&itnrtv  vnö  $(out]$  xal 
xtjfij?  TOOavTTjs  tnaiQOfifvtov  Alyvniov  t<  näXtv  avtikaußavta&ai  xal  xivtlv 
tijs  ßaöiXfas  BQ/rje  ra  ngöf  9alaaarj.  ITolXovs  b*£  xal  Zixiliag  6  dvaiQcui 
ixttvos  tjdrj  xal  dvonoiuoq  fgaa  elxevi  $v  vvcqov  i£(xavaav  ol  »foi  tov 
lAlxtßiaJrjv  (5»jTO(»ff.  *Hv  dl  xal  Ti>QQrjv(a  xal  Kaexv***  Moig  SvtiQOf  ovx 
an  Untöos  6iä  rö  fxfye&os  r^c  vnoxa/jitvris  yyepovfas  xal  rrjv  evQotav  twv 
nQaypdrwv.  Vgl.  Plut.  Alk.  17.  Aeltere  Beziehungen  Athens  zu  Sicilieu 
erweist  das  jüngst  von  Köhler  entdeckte  Frgm.  eines  Volksbeschlusses  aus 
dem  Jahr  des  Archon  Ariston  454,  welcher  Anträge  einer  Gesandtschaft  aus 
Egcsta  behandelt:  Mitth.  d.  D.  Arch.  Inst.  4,  29  ff.  —  Der  Archipelagus  Athens 
Territorium,  durch  das  kein  itivai  Inl  nolffitp  gestattet  wird:  Classen  zu 
Thuk.  V  47.  Mauerbau:  Kratinos  b.  Plut.  c.  13,  Meinekc  Fr.  Com.  2,  218. 
Perikles'  Erfindungen  im  Seewesen  :  Plin.  VII  56.  Beaufsichtigung  der 
Marine:  Böckh  Staatsh.  1»,  215.  Anstalten  zur  Beschleunigung  der  Flotten- 
expedition (Trittyeneintheiluog):  Schäfer  Mitth.  d.  Inst,  in  Athen  V  85. 

124.  (S.  237).  (lebet*  P.'  Politik  in  Betreff  der  Bundesgenossen  Böckh 
Staatsh.  1 a,  471.  475.  Kühler  Del. -AU.  Seebund  S.  139  f.  Beaufsichtigende 
Behörden:  Böckh  S.  480.  Nach  Theophrast  bei  Plut.  Arist.  24  wäre  auch 
Aristeides  in  Cooflikt  gekommen  zwischen  seinen  ethischen  Grundsätzen  und 
den  Forderungen  der  Politik.  —  Attische  Intervention  in  Milet:  CIA.  Sappl, 
ad  Vol.  I  n.  22«,  Kirchhoff  Uber  die  Abfassungszeit  der  Schrift  vom  Staate  der 
Athen.  S.  3. 

125.  (S.  238).  P.'  Zug  nach  dem  Pontos:  Plut.  c.  20.  Vgl.  Anm.  136. 
Athens  Politik  gegenüber  den  dortigen  Griecheostädten :  Köhler  S.  113  ff. 
Nymphaion:  Krateros  bei  Harpokrat.  und  Phot.  s.  v.  Weitere  Städte  am  Pontos 
in  der  Schätzungsliste:  Köhler  S.  74.  Kirchhoff  CIA.  I  n.  37  S.  23.  —  Keleu- 
deris  auf  der  Schätzungsliste  im  KaQixog  qoQos;  das  bei  Krateros  erwähnte, 
zu  derselben  Provinz  gehörige  Juqos  ist  nach  Köhlers  Vermuthnng  S.  121  wohl 
die  phönikisebe  Stadt,  wo  sich  die  Athener  vorübergehend  festgesetzt  haben 
mochten.  —  Melos  und  Thera:  Thuk.  KI  91,  vgl.  Köhler  S.  146.  Aoaphe  nur 
in  der  Scbätzungsliste. 

126.  (S.  241).  Samischer  Krieg  übereinstimmend  von  Ephoros  bei  Diod. 
XII  27  f.  und  Thuk.  1  115  f.  erzählt.  Vgl.  Sauppe  Quellen  des  Plnt.  Per.  S.  10. 
Thukydides  (c.  117)  der  Feldherr  ist  nicht  der  S.  des  Melesias:  als  solchen 
bezeichnet  ihn  blors  der  Biograph  des  Sophokles.  —  Pelop.  Tagesatzung,  Korioth 
gegen  die  Intervention:  Thuk.  I  40.  Seinen  eigentlichen  Rückhalt  besafs  da- 
gegen der  Aufstand  an  den  Persern.  Die  Verbindung  mit  Pissuthoes  Thok.  115 
lässt  schliefsen,  dass  Samos,  obwohl  Thuk.  nichts  davon  berichtet,  mit  ioui- 
acben  Städten  im  Einvernehmen  war.    Auch  in  Karien  scheinen  gleichzeitige 


Digitized  by  Google 


838 


ANMERKUNGEN  ZUM   DRITTEN  BUCH. 


Unruhen  stattgefunden  zn  haben.  —  Brandmark ung  der  Kriegsgefangenen:  Plat. 
Per.  26.  Kosten  des  Manschen  Kriegs:  CIA.  I  n.  177:  1276  Talente;  unge- 
wiss  bleibt,  ob  noch  der  io  Z.  5  stehende  Posten  auf  Sa  mos  zu  beziehen  ist. 
Vgl.^Nepos  Timoth.  1  und  Krüger  zu  Thnk.  I  117.  Pönales'  imrd<f*o(  auf 
die  bei  Samos  Gefallenen:  v.  Wilamowitz  Hermes  12,  365.  Kirchhoff  Knt- 
stehongszeit  des  Herod.  Werks  S.  19  Anm.  1.  —  Samos  war  nicht  tribut- 
pflichtig: H.  Droysen  Hermes  13,  507. 

127.  (S.  244).  Byzanz  fällt  ab:  Thnk.  I  115,  5.  Zum  Wiedereintritt 
in  den  attischen  Bnnd  wird  es  darch  Verhandlungen  gebracht:  £w(ßrioav  atontq 
xal  jxqokqov  vntjxooi  that.  Wenn,  wie  die  Quotenlisten  zeigen,  die  Theil- 
nahme  am  sam.  Aufstand  Tür  Byzanz  keine  Tribntsteigernng  nach  sich  zog, 
lag  bierin  ein  wichtiges  durch  Athen  gemachtes  Zugeständniss.  —  Ueber  die 
Verträge  mit  Erytbrai  CIA.  I  n.  9.  10;  mit  Kolophon:  n.  13.  'Eniaxonoi:  Har- 
pokration  s.  v.  Zenob.  VI  32  vgl.  Thnk.  I  115,  3. 

128.  (S.  245).  Ueber  das  Staatsvermögen  und  die  Generalpächter  Bocka 
Staatsh.  1  8,  373  f.  Ueber  das  von  den  Fremden  zu  zahlende  Schatzgeld:  S.  400. 
Sklavensteuer:  S.  402. 

129.  (S.  246).  Streng  genommen  sind  die  Liturgien  sämtlich  regeliuäfsigc 
Leistungen,  wenn  anch  die  Trierarchien  zu  den  außerordentlichen  Liturgien 
gerechnet  wurden;  denn  Trierarchen  waren  auch  in  Friedenszeiten  zu  wählen, 
nur  worden  sie  dann  nicht  za  den  vollen  Lasten  herangezogen:  Schümann  1  a, 
586.  Böckh  1»,  630.  Schäfer  Demosth.  1,  155.  Als  außerordentliche  Leistung 
wurde  nur  die  tla^oQ«  betrachtet. 

130.  (S.  249).  Revision  oY  hovi  n^mov.  'Xenophon'  de  rep.  Ath.  III  5. 
Besondere  Motive  der  Einschätzung,  bei  Aigina:  Böckh  Staatsh.  2«,  392;  ähnliche 
Behandlung  erfährt  Ol.  86,  1  Potidaia;  Ephesos:  meine  Beiträge  z.  Gesch. 
und  Topogr.  voa  Kleinasien  1872  S.  21.  —  Beim  Tribut  der  cuböischeo  Städte 
ist  in  Anschlag  zu  bringen,  dass  dort  mehr  als  6000  attische  Bürger  ange- 
siedelt worden  waren  (s.  S.  256),  welche  zu  den  Zahlungen,  durch  die  der  Tribut 
von  den  einzelnen  Städten  aufgebracht  wurde,  nicht  herangezogen  werden 
durften.  —  Ueber  die  beiden  ausserordentlichen  llubriken  der  noXas  aiictl 
tpogov  raidfttvat  und  der  7i6Xug  ilq  ot  IditZiai  iv£yga\pav  tf>6{)ov  tftgftv; 
Köhler  S.  136.  Löscacke  de  titulis  Atticis  1876,  S.  16.  Nach  Kirchhof  Der 
Delische  Bund  (Hermes  11,  1  ff.),  ist  der  tiqoItos  yo'(>oc  bei  Thuk.  1  96  nicht  der 
erste  durch  Aristeides  vereinbarte  Steuersatz,  sondern  die  Tributsumme  nach 
der  Eurymedooschlacht.  Dagegen  Frankel  zu  Böckh  II*  88*f.  Kreiseintheiluug 
(Thuk.  II  9):  Kirchholf  S.  13  ff.;  abweichend  Köhler  S.  125.  Oer  Umfang  der 
Kreise  nach  CIA.  1  S.  226  f.  —  Thuk.  V  56  '^Qytict  IX&önes  nttQ  ' A&t]vaiovs 
intxdXow  oti,  yeyQaf/ptvov  lv  laTg  anov6a?g  ötd  tijs  iavröiv  ixdorovf 
fti  Itty  noXifitovi  dWva*,  Idatutv  xartt  ödXaooav  naQanXcvaai  (nachdem 
die  Lakedäraonier  zur  See  eine  Besatzung  nach  Epidauros  geschickt  hatten); 
daher  die  Ansprüche  Athens  auf  alle  innerhalb  des  Seegebiets  liegenden  Städte 
and  ihre  Eintragung  io  die  Schätzungslisten,  noch  bevor  sie  tributpflichtig 
waren  (S.  244).  —  Man  kann  das  Festlaadslitoral  auf  c.  573  Meilen,  die 
Inselküsten  auf  c.  620  Meilen  berechnen.  Duncker  Sitzuugsb.  d.  Berl.  Ak.  1884 
S.  881.    Gesch.  d.  Alt.  1  222  nimmt  eine  systematische  Entfestiguog  der 


Digitized  by  Google 


A.NMERKLTNGE*  ZUM  DRITTE*  BUCH. 


839 


Städte  IouieDs  Dach  der  Besiegung  von  Samos  an;  alle  sollten  nach  der  See- 
seite offen  sein.  —  Sehr  treiTeod  H.  Droysen  a.  a.  0.:  'der  att.  Bund  war 
keine  allgemein  fältige  Verfassung,  sondern  eine  Menge  von  Sooderverhält- 
nissen,  auf  Separatverträgeu  beruhend'. 

131.  (S.  250).  Tausend  Städte:  Aristoph.  Wespen  707.  Böckh  2*,  419. 
42331  statt  460  Tal.  Köhler  S.  133.  Vgl.  Kirchhoff  Gesch.  d.  Athen.  Staats- 
schatzes 1876  S.  29.  —  Die  Zabl  600  in  den  Listen  bestätigt.  Samische  Kriegs- 
steuer, in  die  600  Talente  bei  Thuk.  II  13  eingerechnet,  nach  Busolt  Philolog. 
1882,  S.  652.  Vgl.  M.  Fränkel  zu  Böckh  Staatsh.  II  90*.  Die  Epoche  der  460 
Talente  (Thuk.  1  96)  ist  streitig  vgl.  Kirchhoff  a.  a.  0.  Zusammenlegen  der  beiden 
Kreise  zuerst  nachweisbar  CIA.  I  n.  244  (Ol.  86,  1);  daher  der  ionische  der 
gröfste  bei  Thuk.  III  31,  wogegen  der  tbrakische  durch  den  Abfall  der  chalki- 
discben  und  bottiäischen  Städte  sich  verringert  hatte,  Köhler  S.  133.  Die 
Summe  der  in  den  Quotenlisten  erhaltenen  Namen  verhält  sich  zu  den  Namen  der 
Schatzungsliste  von  88,  4  wie  2 : 3,  Köhler  S.  121.  Gruppen  von  Städten  als 
Syntelien:  Köhler  S.  122,  wo  auch  die  aus  Krateros  citirten,  in  den  In- 
schriften noch  nieht  nachweisbaren  Namen  zusammengestellt  sind.  —  Steige- 
rung der  Tribute  Ol.  85,  3:  CIA.  I  p.  226.  —  Perikles  und  der  Schatz:  *A&r\- 
vuiot  lijf  xot«  dalatiav  rytyLQvtag  avrfxofAttoi  ja  h  dr\Xtp  xotvij  awrjyfiiva 
XQrfAata  laXavia  o^*d"6v  oxiaxioxfXia,  pijryfyxav  ttg  Jag  '49i}vag  xttl  nctQ- 
iötoxav  ifvläuuv  ütQixXii.  Spartas  finanzielle  Unselbständigkeit:  Thuk.  I 
121,  3.  143,  1.  Hieraus  erklärt  sich  auch  das  Urteil  der  Gegner  Athens: 
tavT}iTi  ' 4&T}va{<ixv  t\  övvafug  /uaXXov  r\  oixtfa  Thuk.  I  121,  3. 

132.  (S.  251).  Geld wirthschaft  der  Priester:  vgl.  Stellung  des  Priester- 
thums bei  den  Alten  (Berliner  Universitätsrede  vom  22.  März  1878,  Alter- 
thum und  Gegenwart  11  S.  38).  Säcularisatiou:  Mouatsber.  der  Berl.  Akad. 
1869  S.  479.  Solons  Klage  über  Versündigung  an  heiligem  Gelde:  4,  15  Bergk. 

133.  (S.  253).  Ueber  die  Fiuanzverbältnisse  vgl.  Kirchhoff  zur  Gesch. 
d.  Athen.  Staatsschatzes  1876.  Depositum,  nttQaxaia&yxij.  Den  Hauptbestand 
der  laufenden  Einnahmen  (ia  7i(ioOt6na)  bilden  die  Tributsummen.  Der  Re- 
servefonds, r«  tTrap^orra.  Ohne  besondere  Anweisung,  aber  unter  Controle 
der  Logisten  zahlten  die  Helleuotamieo  nur  den  Sechzigsten,  uvav  ano  jov 
jaXayjov,  wie  Köhler  Urkunden  S.  Iü4  aus  der  Ueberschrift  von  Liste  34 
nachgewiesen  hat.  Schuldscheine  beim  Tempel  aufgestellt:  Kirchboff  S.  41  f. 
Centralscbalz  S.  44.  —  CIA.  I  32  (aus  Ol.  86,  2)  verfügt,  anoiovvat  joig  9totg 
t«  xQ^ifittTa  tu  otfftiXöfxtvtt  zugleich  mit  einem  Regulativ  in  Betreff  der  Baar- 
sebaften  uud  der  Werthobjekte:  fit  %Qra9<it  jutjdl  anavaXiaxttv  an'  avjdiv 

ig  «XXo  **  tg  lavjtt  inkq  nvqlag  J^a/uag  öuvvut  xtXtvfiv  teev 

fii]  ii}V  a6tiay  \pti<ftar\Tai  6  öfjfjog. 

134.  (S.  254).  Schatzämter:  die  xaudti  rfjg  9tov}  luplm  Jtov  Uq<Sv 
XQtipaTtüV  rijs  lAd-rjrafag,  und  seit  Gründung  des  Ceutralscbatzes  rccu(ui  jcüv 
#*tö>,  ictfdiai  itov  itXXtav  itttüv. 

135.  (S.  255).  Schätzuugsliste,  läfrg  ifoQov  Köhler  S.  64  (xaia  jade 
tutl-tv  jov  tfCQov  Tjjori  noktoi  y  ßovXrj)  erhalten  nur  aus  Ol.  88,  4  in  CIA.  1 
n.  37,  wobei  zur  Einschätzung  der  Bundesgenossen  für  jeden  Kreis  je  2  Cotn- 
missare  ausgeschickt  werden  sollen.  —  Die  erste  Serie  der  Quotenlisten 


Digitized  by  Google 


840 


ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  BUCU. 


(454-440)  enthält  CIA.  1  d.  224-240.  —  Nachweis  über  die  Ausgaben  in 
den  Uebergab-Urkunden  der  Schatzmeister.  Vgl.  CIA.  I  p.  82  xtyalatov 
aval&fiäiuv  und  p.  85  '-Hhjvttiot  avt'fltooav  —  'JiUtporapfais  nct(>eö6&r)  etc. 
Zwei  Verwaltungsepocben  der  attischen  Finanzen  werden  nach  gezählten  Be- 
hörden bezeichnet,  die  eine  nach  Jahren  der  ßovlrj,  die  andere  nach  Jahren 
einer  Die  34.  fallt  in  das  Jahr  des  Archonten  Aristiun  (89,  4 ; 

214—20),  ihr  Epocbeujahr  ist  also  81,  3;  454—53.  Damals  ist  also  das  Amt 
der  Logisten  oder  'Dreifsiger',  wenn  auch  nicht  neu  eingesetzt,  aber  doch  zum 
ersten  Mal  beauftragt  gewesen,  die  Tempelquote  zu  berechnen:  Köhler  S.  108. 
Die  Epoche  des  Raths  fällt  in  Ol.  83,  2;  447  -46. 

136.  (S.  257).  Ueber  die  attischen  Kleruchien  (ad  exonerandas  vires 
Seneca  ad  Helviam  7)  Kirchhoif  Abh.  d.  Berl.  Ak.  1873,  S.  1  ff.,  welcher  aus 
den  Tributlisten  gegen  BÖckh  nachweist,  dass  die  Kleruchen  keinen  Tribut 
gezahlt  haben.  Eion  (Plut.  Kim.  7)  und  Skyros  (Thuk.  I  98.  Diod.  XI  60): 
S.  12  f.  Euboia  (Andoc.  de  pace  3):  16  ff.  In  Chalkis  ist  (Kirchhoff  S.  18) 
die  bei  Her.  V  77.  VI  100  überlieferte  Zahl  von  4000  Kleruchen  erat  damals 
erreicht  worden;  nach  Aelian  V.  H.  VI  1  waren  in  der  Zeit  des  Kleis  theo  es 
blofs  2000  xl^goi  zur  Vertheilung  gekommen.  Eretria:  CIA.  I  n.  339.  Thasos 
zahlt  nach  Ausweis  der  Quotenlisten  bis  82,  4  nur  3  Taleute,  seit  84,  1  aber 
30  Talente,  auch  nach  der  Schätzung  von  88,  4;  wahrscheinlich  auf  Grund 
eines  Abkommens,  wonach  den  Thasiern  gehörendes  Eigenthum,  Bergwerke, 
welche  beim  Friedensschluss  79,  3  den  Athenern  überlassen  worden  (Plut. 
Kim.  14),  gegen  erhöhten  Tribut  au  Tbasos  zurückgegeben  worden  sind. 
Andros,  Naxos,  Chersonnesos  (Plut  Per.  11):  Kirchhoff  S.  25  ff.  Sinope:  Plut. 
Per.  20.  Amisos:  Theopomp  bei  Str.  547.  Köhler  S.  115.  Münzen  von 
Auiisüs  mit  HElPAlSLN  Leake  IS  um.  Hell.  Asia  9.  Der  Unterschied  zwischen 
Klernchie  und  Colonie  ist  nicht  überall  genau  festzustellen,  so  bei  den 
pootischen  Ansiedelungen.  —  Foucurt  les  colonies  des  Atheniens  1879 
(Memoire«  presentes  par  div.  sav.)  hat  nachgewiesen,  dass  die  Kleruchien 
inuoicipale  Selbständigkeit  besessen  haben,  mit  eigenem  Prytaneion  und 
Bule,  eigener  Finanzordnung  etc.  Auf  Grabsteinen  werden  daher  Kleruchen 
aus  Melos  mit  ihrer  att.  Phyle  und  att.  Demos  genannt,  Kupfermünzen 
der  Klerucheogemeindeu  Myriua,  Hephaestia,  Imbros  u.  a.  Aufser  den 
xlfjooi  und  den  refttvi}  für  die  Götter  wurden  auch  Grundstücke  als 
Staatsdomänen  zurückbehalten  für  Dotationen  und  andere  gelegentliche  Ver- 
wendung. —  Filiale  der  Athena  Polias  in  den  Kleruchien:  Kirchhoif 
Staatsschatz  der  Atb.  S.  52.  —  Poutischer  Feldzug  des  Perikles:  Duncker 
Sitzungsberichte  d.  Berl.  Akad.  1885  S.  533  ff.  D.  betrachtet  die  poetische 
Expedition  im  Jahre  444  als  eine  gegen  das  Drängen  nach  Aegypten  (damit 
wird  die  ägyptische  Kornspeude  iu  Zusamnieuhang  gesetzt)  unternommene 
Digression  zur  Ausbreitung  der  Seeherrschaft  ohne  Conflikt  mit  Peraien, 
um  die  Städte  von  der  Meerseite  gegen  Odrysen  u.  s.  w.  zu  schützen.  Als 
Früchte  dieser  Expedition  glaubt  er  die  Anknüpfung  Atheus  mit  Herakieia, 
mit  den  Archäanaktiden  in  Pantikapaion  zu  erkennen  und  bezieht  darauf 

Ausdrücke  wie:  ipiUais  ßaoilitov  xai  ai/(ifx«x{(US  ntffQayt****  iaX^  *a* 
rtytfAovta  (Plut.  Per.  15).    Aus  dem  Privilegium  der  Methonäer  CIA.  40 


Digitized  by  Google 


A>MEKKUINGEN  ZUM  DRITTEN  BUCH 


841 


Z.  34:  igayeiv  ix  Bv(avr(ov  oitov  macht  D.  mit  Gilbert  (Griech.  Staats- 
altert,  I  333)  und  Beloch  (Rh.  Mus.  1884  S.  39)  den  Schloss,  dass  schon 
damals  ein  Sondzoll  eingerichtet  worden  sei.  Es  handelt  sich  aber  nur  um 
eioe  Controle  der  Kornschiffe  im  Bosporos,  um  für  die  Zufuhr  nach  Athen 
die  nöthige  Sicherheit  zu  haben. 

137.  (S.  25S).  Die  Stiftungsurkunde  der  Colonie  Breo,  gleichzeitig  von 
Böckh  Monatsber.  der  Berl.  Ak.  1853,  S.  147  und  Sauppe  Ber.  der  Sachs.  G. 
d.  W.  1853  herausgegeben,  CIA.  1  n.  39.  IltQixlfjs  —  tornltv  tls  &Qtfxt)V 
XiMovs  BiaaXrms  owoixTfOovras:  Plut.  Per.  11.  —  Brea:  CIA.  I  31. 

138.  (S.  260).  H.  Droyseo,  Atheu  und  der  Westen.  Zofluchtsörter  der 
Sybariten:  Her.  VI  21.  Neu-Sybaris:  üiod.  XU  10.  Münzen:  CareUi  Noiumi 
IUI.  p.  89.  11—14.  Gründung  von  Thurioi:  üiod.  XII  10.  Stadtquelle 
Thuria:  Griech.  Bruoneninschriften  S.  28.  (Abh.  der  Göttiugcr  Ges.  der 
Wissensch.  VIII  S.  180). 

139.  (S.  260).  Ueber  die  Gründung  von  Amphipolis  Weifscnboru  Hellen 
S.  152.  Das  Jahr  derselben  ist  einer  der  wichtigsten  chronologischen  Stütz- 
punkte, 28  Jahre  vorher  nach  Thuk.  IV  102  die  Niederlage  bei  Drabeskos  78,  4; 
gleichzeitig  Abfall  von  Tnasos;  kurz  vorher  die  Schlacht  am  Eurymedou  und 
die  Belagerung  von  Naxos,  welche  wieder  durch  den  Thronwechsel  iu  Persien 
bestimmt  wird. 

140.  (S.  264).  Thuraser  Untersuchungen  über  die  attischen  Metöken.  Wiener 
Studien«  1885.  Wilamowitz,  Hermes  22,  228  denkt  sich  die  Metöken  in  die  Ge- 
roeinderegister  aufgenommen.  Zusammenhang  des  Bürgergesetzes  mit  der  Ver- 
keilung der  Ländereien  auf  Euboia  vermothet  Böckh  Staatsh.  1  3,  113.  Plut. 
Per.  37  spricht  ungenau  von  4760  in  Sklaverei  Verkauften.  Ueber  die  Zahl  14,000 
siehe  Aom.  22.  Philochoros  bei  Schol.  zu  Arist.  Wespen  716  nennt  als  Urbeber 
des  Geschenks  Psanimeticbos,  was  Sinteuis  zu  Plutarch  als  Verwechslung  mit 
Inaros  ansieht,  während  Bergk  N.  Jahrb.  f.  Phil.  1852  S.  584  an  den  Vater  des 
Inaros  denkt;  aber  man  kann  das  perikleische  Gesetz  unmöglich  bis  in  Ol.  79 
hinaofschieben.  Es  scheint  mir  am  einfachsten  anzunehmen,  dass  die  Griechen 
den  Enkel  des  Psammetichos  wie  den  Grofsvatcr  uannten  und  dass  der  Sohn  des 
Inaros  gemeint  ist,  der  sonst  den  libyschen  Namen  Thaunyras  fuhrt.  Her.  III  16. 
Brüder  sind  Th.  und  Psam.  nach  v.  Gutschmid  zu  Sharpe  Gesch.  Eg.  1, 
S.  113.  M.  Duncker  Sitzungsberichte  der  Berl.  Ak.  1883  6.  Juli,  der  Amyrtaios 
als  Geschenkgeber  nachzuweisen  sucht,  findet  das  Gesetz  unverträglich  mit 
der  panhellenisch -demokratischen  Politik  des  Perikles,  und  dies  plötzliche 
'Wüthen  gegen  Halbbürger'  sowie  die  'unbegreifliche  Selbstsehädigung'  ist  ihm 
so  anstöfaig,  dass  er  die  ganze  Ueberlieferoog  als  eioe  Legende  betrachtet,  von 
Rhetoren  erfunden  um  einen  Gesetzgeber  in  den  Schlingen  seiner  eigenen 
Gesetze  zu  zeigen,  eine  Art  Nemesis  für  Hochmuth.  Dagegen  bedenke  man, 
dass  Perikles  nur  eine  alte  Norm  erneuerte;  denn  jeder  Familienvater  schwur, 
der  Neugeborene  sei  l£  aat^c  xai  yafurfjs  yuvtuxos.  Diese  Norm  wurde  immer 
wieder  vernachlässigt  und  von  Zeit  zu  Zeit  neu  eingeschärft  (Philippi  Beitrage 
zur  Geschichte  des  att.  Bürgerrechts  S.  131  u.  140).  Bei  starkem  Andrängen 
zum  Genuas  einer  ausländischen  Korospendc  waren  Revisionen  der  Bürgerlisten 
herkömmlich  (Aristoph.  Wesp.  715)  und  in  volksfreundlichem  Sinne. 


Digitized  by  Google 


842 


ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  RUCH. 


141.  (S.  268).  Frühere  Absperrung  gegen  attisch«  Waare:  Her  od.  V  88. 
Verbreitung  der  attischen  Töpfer  waare  in  Hellas:  Macrob.  V  21,  10;  Her. 
V  88.  In  Italien  bereits  Mitte  des  5.  Jahrh.  bis  in  die  Pogegendea,  wie  die 
Funde  in  Atria  ergeben  haben.  Bis  zu  den  Aethiopeo,  Skyl.  112:  ol  4»o(vtxts 
tfirtoQot  tlodyovotv  avzots  xfQttftov  'Axtixby  xai  %ovs.  xa  yap  nXaa^tata 
iattv  ävia  iv  Tote  XovOi  ry  iogirj.  Blümner  gewerbl.  Tbatigk.  S.  06. 
ixovotos  xoivtavta  ow&t/ufvtov  IfAnogfaf:  Harpocrat.  v.  xotvtavixmv — Frankel, 
Hermes  18,  S.  315.  —  Ueber  den  marsgebenden  Einfluss  des  attischen  Gelds 
s.  Brandis  Münzwesen  in  Vorderasien  S.  337.  Köthel  vertrag  mit  Keoa:  BÖckh 
Staatsh.  23,  312.  CIA.  II  n.  546.  Handelszwang:  <Xenophou'  de  rep.  Atb.  2,  11. 
Büchsenschütz  Besitz  und  Erwerb  S.  403.    Handelsgerichte:  Böckh  I3,  64. 

142.  (S.  269).  Ueber  Kephalos  Lysias  gegen  Eratostheaes  §  4.  Die 
frühere  Chronologie  seiner  Familie  (s.  0.  Müller  Gr.  Litt.  2,  369)  ist  durch 
Vater  und  Westermann  Lysiae  orationes  1854  p.  VI  berichtigt  Nach  ihreu 
Untersuchungen  ist  Kephalos  nm  83,  1;  448  nach  Athen  gezogen,  sein  Sohn 
Lysias  87,  1 ;  432  daselbst  geboren  und  nach  dem  Tode  seines  Vaters  16  Jahre 
alt  mit  seinem  Bruder  Polemarchos  nach  Thurioi  gewandert,  wo  er  bis  412; 
92,  1  blieb. 

143.  (S.  270).  Kadmos,  I'berekydes  und  Hekataios  als  Gründer  prosaischer 
Literatur  bei  Strabon  p.  18.  Kadmos  eine  mythische  Person  nach  A.  Schäfer 
(Quellenkunde  der  gr.  Gesch.  §  6.  Pherekydes  bandelt  vom  Geschlechte  des 
Aus.  Fragm.  Bist.  Gr.  I  p.  73.  Bedeutuug  des  Namens  'Logographos' :  G.  Cortias 
Berichte  der  S.  Ges.  der  Wiss.  1866  S.  141. 

144.  (S.  271).  Meine  schon  in  der  ersten  Auflage  ausgesprochene  Ansicht 
von  dem  nicht  angelernten,  sondern  angeborenen  Ionismua  Herodots  haben  die 
inzwischen  aufgefundenen  Inschriften  von  Halikaruass  in  überraschender  Weise 
bestätigt  Vgl.  meine  Ree.  von  Newton'*  History  of  discoveries  at  Hai.  in  deu 
Gott.  Gel.  Aoz.  1862  S.  1149.  Sauppe  in  den  Nachrichten  der  Gült.  Ges.  <L 
Wiss.  1863  S.  327.  Ausschluss  vom  Triopion  Hcrod.  I  144.  Herodots  Ge- 
burtsjahr 74,  1  nach  Pamphila. 

145.  (S.  272).  Geschichte  von  Halikarnass  zur  Zeit  Herodots  mit  Bezug 
auf  die  Vertragsurkunde  zwischen  dem  Demos  von  Halikarnass  und  Salmakis 
einer-  und  Lygdamis  andererseits  s.  Sauppe  a.  a.  0.  und  Kirchhof  Stadien 
zur  Gesch.  des  Gr.  Alph.  4.  Aufl.  S.  4.  Abweichend  A.  Bauer,  Herodots 
Biographie  (Sitzuogsber.  d.  Wiener  Akad.  1878  S.  405),  der  die  Ueberlieferaog 
von  Her.'s  Exil  gleich  den  sonstigen  allein  auf  Suidas  s.  v.  'Hq63qtos  be- 
ruhenden Angaben  verwirft.  —  Herodots  Autopsie  io  Asien:  Matzat  im  Hermes 
6,  392.  —  Der  Beitritt  von  Halikarnass  zum  Seebund  wird  um  dio  Zeit  der 
Schlacht  am  Eurymedon  zu  setzen  sein. 

146.  (S.  275).  Die  Episode  über  die  Alkmaoniden  (Her.  VI  121—131) 
ist  uach  Kirchhoff  'Entstehungszeit  des  herodot.  Geschichtswerks'  S.  39  von 
Herod.  zu  Gunsten  des  augefeindeten  Perikles  geschrieben.  Herodots  Vor- 
lesung in  Athen  bezeugen  Eusebios  (Hieronymus  zu  Ol.  83,  4;  der  Armenier 
zu  83,  3  und  Synkellos)  und  der  Athener  Diyllos  bei  Plut.  de  mal.  Herodoti 
26,  dessen  Meldung  von  dem  Antrage  eines  gewissen  Anytos  aur  ein  Ehren- 
geschenk von  10  Talenten  der  Nachricht  bei  Eusebios  zur  Beglaubigung  dient. 


Digitized  by  Google 


A^MERKUNGF^  ZUM  DRITTEL  BUCH. 


843 


Kircbboff  a.  a.  0.  S.  10.  Herodot  io  Sparta:  Kirchhof  Monatsber.  d.  Barl. 
Ak.  1879.  Herodota  axpr  fallt  io  daa  Jahr  von  Thurioi:  Rh.  Mos.  31,  49. 
Ueber  die  Beziehung  von  Antigone  905f.  auf  Herodot  III  118  aiehe  Kirchhoff 
S.  8.  Herodot  arbeitet  sein  Werk  io  Thurioi  aas;  daher  bei  Ariatotelea  Uqo- 
dorov  GoiQtov  Diels  Hermea  22,  440. 

147.  (S.  276).  Vgl.  J.  Brandis  de  temporum  graecorum  antiquissimorum 
ratiooibaa.  Bonn  1857  p.  10.  Aendernogen  io  den  Listen:  Hermea  8,  190. 
Vgl.  über  Hellanikos  Köhler  Commeat.  io  hos.  Mommseni  p.  376. 

148.  (S.  277).  loo'a  Anathem:  CIA.  I  n.  395.  Die  3  Epigramme  Plut. 
Kim.  7,  ebenfalls  io  ionischem  Dialekt,  führt  auf  loa  zurück  Kirchhoff  Her- 
mes 5,  58.  —  Nach  Plut.  9  wären  die  persischen  Gefangenen  in  Sestos  und 
Byzanz  erbeutet  worden.  Auf  die  Einnahme  von  Sestos  478,  wo  Xanthippoa 
die  Athener  führte,  kann  dies  nicht  gehen;  nimmt  man  aber  auch  an,  daas  Sestos 
damals  wieder  aufgegeben  und  in  einem  der  folgenden  Jahre  von  Neuem  er- 
obert worden  ist,  so  bleiben  doch  noch  Schwierigkeiten.  Offenbar  hat  Plut. 
den  Bericht  Ions  ungenau  wiedergegeben. 

149.  (S.  278).  Die  memoirenartige  Zeitgeschichte  (ij  tüv  nQd&tav  xal 
ßttav  T\Xixitüiti  laioQftt)  charakterisirt  von  Plut.  Per.  c.  13.  Ueber  loa  und 
Steaimbrotos  vgl.  Rubi  Quellen  Plntarchs  im  Leben  Kimona  S.  29.  —  Die 
ersten  Schriftsteller  über  Homer  in  Periklea'  Zeit:  Theagenes  von  Hhegion, 
Metrodoros  von  Lampsakos,  Stesimbrotos  von  Thasos  und  Glaukos.  Wolf 
Proleg.  162.  Echtheit  der  Schrift  des  Stesimbrotos  über  Them.  Thuk.  Periklea 
vertreten  von  W.  Vischer,  Kl.  Sehr.  1,  26;  v.  Wilamowitz,  Hermea  12,  361. 
Quelle  ersten  Ranges  nach  A.  Schmidt  daa  Perikl.  Zeitalter.  Dagegen  A.  Sehn  Ter 
in  v.  Sybels  Zeitschrift  N.  F.  IV  211  und  U.  Köhler  ebendaselbst. 

150.  (S.  280).  Ueber  Hippokratea'  Vorgänger  und  die  Grundlagen  aeiner 
Wissenschaft:  Daremberg  Rev.  Archeol.  1868.  Pherekydea  von  Syroa:  Diog. 
Laert.  I  c.  11.  Schol.  Od.  15,  403.  Redlich  'der  Astronom  Meton'  S.  22,  35. 
—  Matriketas,  Kleostratoa  etc.:  Theophr.  de  sign.  pluv.  I  §  4,  p.  783  Sehn. 
Vgl.  Forchhammer  und  O.  Müller  zur  Topogr.  von  Athen  1838  S.  9.  Red- 
lich a.  a.  0.  S.  19  ff. 

151.  (S.  282).  Die  Aufstellung  des  Heliotropions  auf  der  Pnyx  beweist, 
dass  die  Rechnungen  Metoos  bei  den  gebildeteren  Athenern,  und  namentlich 
bei  Periklea  Anerkennung  gefunden  hatten  (Göttling  de  Metonis  heliotropio 
1861  p.  10).  Die  Zeit  der  offiziellen  Einführung  des  Kalenders  setzt  Usener 
(Rhein.  Mus.  1879  S.  403)  nicht  mehr  mit  Böckh  330  («  112,  2),  sondern 
312  (=  117,  1)."  Die  Zeitrechnung  xta  aqxovra  und  xaia  9t6v:  Usener 
S.  419. 

152.  (S.  285).  Ueber  die  Darstellungen  des  Homer  Michaelia  in  Jahna 
Gr.  Bilderchroniken  S.  57  f.  Einwirkung  des  alvos  auf  Poeaie  und  Proaa: 
Zurborg,  Hermes  10,  213.  Uebereinatimmung  des  Attischen  mit  dem  Aeolischen 
zeigt  auch  das  r  iu  Ti^epor,  ifjtfg,  yXöjjTtt  u.  s.  w.;  u  ist  äolisch-attisch, 
ebenso  t#.  In  Bezug  auf  ä  und  r\  bat  das  Attische  eine  mittlere  Stellung, 
und  gerade  die  Volkssprache  war  es,  welcher  Formeln  wie  tu  dttfittifQ  au- 
gehörten. Die  Neigung  zu  knappen  und  gedrungenen  Formen  ist  dem  Atti- 
schen eigen.    Verhältoiss  der  Atthia  zur  Iaa:  Bergk  Griech.  Litt  II  272. 


Digitized  by  Google 


814 


ANMERKUNGEN   ZUM   DRITTEL  RUCH. 


153.  (S.  266).  Plat.  Phaedr.  269 e.  Saidas  v.  ntQixtfs.  P.  im  Gegen- 
sätze zu  den  ff/«fjo{oyrff  wie  Demosthenes  (Schäfer  Dem.  J,  304);  doch  handelt 
es  sich  hier  vorzugsweise  um  Gerichtsreden,  wo  Vorsicht  und  Zeitben  utzuog 
besonders  nötbig  war.  Elegie  und  Epigramme:  Zurborg  Hermes  10,  205.  Si- 
monides'  Epigr.  auf  die  Megareer:  Kaibel  Epigr.  n.  461. 

154.  (S.  288).  Antiphons  Schule  in  ihrem  Einflüsse  auf  die  attische 
Prosa:  Blass  Geschichte  der  gr.  Beredsamkeit  I*  91.  Mit  ihm  beginnt  die 
uoter  Einwirkung  von  Protagoras  entwickelte  und  durch  die  Sykopbantie  ge- 
förderte Technik  des  Redeoschreibens  und  die  Veröffentlichung  gerichtlicher 
Heden ;  denn  während  die  Staatsreden,  nachdem  sie  gehalten  waren,  werthlos 
erschienen,  legten  Sophisten  und  Advokaten  Werth  darauf,  ihre  den  Clieoteu 
fertig  übergebenen  Reden  in  die  Oeffentlichkeit  gelangen  zu  lassen.  Antiphons 
erste  Reden  um  420.  Die  eingehende  und  liebevolle  Würdigung  des  Antiphon 
bei  Thukydides  spricht  für  eine  nähere  Verbindung  zwischen  ihnen.  Blass  S.  206. 
—  Thukydides'  Anspielungen  auf  Herodot:  I  20,  22,  126  u.  a.;  vgl.  Roscher 
Klio  S.  290.  Herodot  und  Perikles:  Schöll  Sophokles'  Leben  S.  118  f.  — 
Thukydides'  Verhältniss  zu  Perikles:  Eutzen  Perikles  als  Staatsmann  S.  136, 
137,  163. 

155.  (S.  295).  Ursprung  der  TQaytpSta  von  den  ttaQXovret  rov  dift/pa/i- 
ßov.  Arist.  Poet.  p.  1449  a.  Thespis  erster  Vertreter  der  litterarisehen  Gattung. 
Hiller  Anfänge  der  Tragödie  Rh.  Mus.  39,  321.  Wie  die  Tragödie  ihren  Cha- 
rakter erhielt,  sagt  Aristoteles :  ix  /utxQtov  ftv&tav  xal  Al{ta>c  ytkoCas  äia  ro 
Ix  OaiVQixov  fJtraßaltiv  ot//£  antoefjvuv&r).  Theaterbau:  Doerpfeld  in 
A.  Müllers  griech.  Bühnenalt.  Anhang  setzt  die  Anfänge  des  steinernen  Theatern 
in  die  Zeit  des  Redners  Lykurgos.  Frühe  (theoretische  wie  praktische)  Aus- 
bildung der  Biibuenperspektive;  Agatharchos:  Vitruv.  158,  20. 

155a.  (S.  299).  Bernays  Aristoteles'  Wirkung  d.  Tragoedie:  der  Mensch 
selbst  als  Objekt  d.  Katharsis.  Darum  wird  die  sittliche  Wirkung  nicht  auf- 
gegeben. Vgl.  H.  Abcken,  Die  tragische  Lösung  im  Pbiloktet.  Berlin  1S60. 
lieber  die  Schwierigkeiten,  an  denen  die  Reconstruktion  der  Persertrilogie 
noch  immer  leidet,  siehe  H.  Weil  Prolegomena  ad  Aeschyli  Persas,  und  'Mo- 
ritz Haupt  als  akademischer  Lehrer'  von  Chr.  Belger  S.  206  f.  Vgl.  Bergk  III  291. 

156.  (S.  300).  lieber  Aischylos  vgl.  Riehl  Mnemosyne  1  (1852)  S.361f. 
Sophokles,  Priester  des  Alkon:  Vit.  Soph.  p.  126  vgl.  G.  Hirschfeld  Hermes 

8,  356.    An  dem  Siege  des  Soph.  über  Aisch.  zu  zweifeln  (Droysen  Hermes 

9,  7),  Hegt  kein  hinreichender  Grund  vor  (Sauppe  Ber.  d.  Sachs.  Ges.  d.  W. 
1855  S.  5).  Dagegen  ist  die  Ueberlieferung  zu  verwerfen,  wonach  Aisch.  ans 
Dnmuth  nach  Sicilien  gegangen  sei,  da  nach  der  von  Franz  entdeckten  Didaska- 
lie  ein  Jahr  nachher,  78,  1;  461,  die  Oedipodie  zur  Aufführung  gelangt  ist. 
Vgl.  Aesch.  ed.  Dindorf  1875  p.  45.  (Jeher  Aisch.  in  Sicilien  s.  S.  553  f.,  und 
über  die  Concurrenz  der  beiden  Tragiker  Heibig,  Zeitschr.  f.  Gymnasial*-. 
16,  S.  99. 

157.  (S.  306).  Soph.  und  die  Schauspieler:  v.  Sybel,  Hermes  9,  24S. — 
Sophokles'  Strategie  im  samtschen  Krieg:  Androttoo  b.  Schol.  Aristides  III  485. 
Strabo  638.  Bergk  Litg.  III  407.  Ion  bei  Athen.  XIII  603  E  ff.  Eine  andere 
Strategie  während  des  pelop.  Kriegs,  wobei  ISikias  des  Soph.  College  war: 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM   DRITTEN  BUCH. 


S45 


Plut.  Nie.  15.  Sophokles  Hellenotamias  CIA.  I  237.  —  (Jeber  Kratinos  und  Ki- 
moo:  Plut.  Kimon  10.  Eine  politische  auf  Thcmistokles  zielende  Komödie 
des  TimokreoD  erwähnt  Suidas,  vgl.  Fr.  Hist.  Gr.  II  p.  54.  —  Die  Komödie 
Ol.  78  als  Bestandteil  der  dionysischen  Feste  anerkannt:  Köhler  Mitth.  des 
D.  Arcb.  Inst.  3,  107.  Der  Gau  lkaria  am  Nordostfuls  des  Brilessos  von 
Müchhoefer  entdeckt.  Spannung  des  Publikums:  to  o*i  nQayfjct  i(\  Pax  44. 
Kock  Aristophanes  als  Dichter  and  Politiker.    Rhein.  Mus.  39,  IIS. 

158.  (S.  308).  Perikles,  Chorege  des  Aischylos,  Köhler  Mitth.  3,  105. 
Sopb.  taig  Movaais  Slaoov  ix  iwv  ntnaitiuntvw  ovvayttytov,  Sopb.  ed. 
Bergk  p.  XIX.  Sopb.  u.  Herodot:  Zurborg,  Hermes  10,  209;  Nieberdiog  Pro- 
gramm Neustadt  O./S.  1875. 

158*.  (S.  309).    Vitruv.  158,  10. 

159.  (S.  309).  Der  Staat  besoldet  auch  die  Dichter:  Röckh  Staatsh.  I3, 
S.  153.    Fritzsche  zu  Arist.  Fröschen  v.  367. 

159*.  (S.  311).  Heber  die  Gefäfsfabrikation  und  den  Export  s.  oben 
Anm.141.  Euphronios:  W.  Klein  2.  Aufl.  1886.  Duris:  Michaelis  Arcb.  Zeit.  31 
S.  1  ff.  Cbachrylion:  Löschcke  in  Helbigs  'Jtaliker  in  der  Po-Ebene'  124f.  Aua 
der  älteren  aristokratischen  Zeit  stammen  noch  die  den  Handwerkern  beige- 
legten Spottnamen,  Welcher  Gr.  Götterlehre  II  690.  Die  Grabstele  desLyseas: 
Mittb.  d.  D.  Arch.  Inst.  4  Tat.  1,  2  bespr.  von  Löschcke  S.  36. 

159b.  (S.  314).  Polygnots  Historienmalerei:  Gött.  Nachrichten  1861 
S.  368.  In  der  Poikile  nimmt  Michaelis  (Parthenon  S.  37)  noch  die  Beschützung 
der  Herakliden  an  nach  A.  Schäfer  Arch.  Zeit.  1862,  371. 

160.  (S.  315).  Ueber  die  altattischen  Grabreliefs  Abb.  der  Berl.  Akad. 
1873,  157.   Köhler  Die  attischen  Grabsteine:  Mittb.  des  lost,  in  Athen  X,  359. 

161.  (S.  319).  Onatas'  Apollo  Tür  Pergamon  und  Demeter  für  Phigaleia: 
Paus.  Vm  42,  6.  Unter  den  in  Pcrgainon  aufgefundenen  Basen  befindet  sich 
eioe  mit  dem  Namen  des  Onatas.  Weibgeschenk  der  Achäer:  Paus.  V  25,  8; 
der  Tarentiner:  Paus.  X  13,  10;  der  Akragantiner:  Paus.  V  25,  5.  Piudars 
Zeus  Ammon:  Paus.  IX  16,  1.  Myron,  Ladas:  Anthol.  IV  185,  318;  Disko- 
bol:  Lue.  Pbilops.  18.  Quintil.  II  13,  8.  Ueber  Myrons  Kunstweise  vergl. 
Arcb.  Zeit.  1879,  21  f.  Kallias'  Weibgesehenke  auf  der  Burg:  O.  Jahn  de 
antiq.  Min.  simulacris  p.  8.  Hermes  3,  166.  CIA.  I  n.  393.  —  Auswärtige 
Künstler  in  Athen  schon  seit  Solon,  naviouot  ptroixtiofitvoi  inl  rljrrrj: 
Plutarch  Solon  24.  Hermes  22,  238.  Erst  korinthiache  und  ehalkidiscbe, 
dann  überseeische  Einflüsse.  Inselmarmor,  Inseltypen.  Inschriftlich  bezeugte 
Künstler,  Onatas:  CIA.  IV  Suppl.  n.  373"  Arcbermos  n.  373 95.  Auch  Kimon 
von  Kleonai  persönlich  in  Athen  wirksam  zur  Pisistratideozeit ,  in  welche 
auch  der  Epiktetische  Kreis  der  Vaseninaler  hinaufreicht.  Vgl.  Studniczka 
Antenor  und  die  Geschichte  der  älteren  Malerei,  Jahrbuch  des  Arch.  Instituts 
II  S.  135. 

162.  (S.  320).  Agel.  Phetdiaa'  Lehrer  nach  Tzetzea  Chil.  VII  929.  l4ytl<fdas 
b  lAQyttos'.  Loewy,  Griecb.  Bildhauerinschr.  n.  30  d.  —  Hagelaidas  als  Lehrer 
des  Pheidias  unwahrscheinlich  nach  Robert  Archaeol.  Märchen  S.  92.  Pia- 
taiai:  Paus.  IX  4.  Ueber  Kimons  Thätigkeit  Tür  des  Miltiades  Ruhm  Brunn 
Gesch.  der  gr.  Künstler  1,  162;  2,  19.    So  ist  auch  Aesch.  c.  Ctes.  186  zu 


Digitized  by  Google 


846 


ANMERKUNGEN  ZUM  DRITTEN  RUCH. 


verstehen.  Delphische  Gruppe:  Pausan.  X  10.  Vgl.  GÖttling  Berichte  der 
K.  S.  Ges.  der  W.  1S54  S.  17,  und  meinen  Aufsatz  'über  die  Weihgeschenke 
der  Griechen  nach  den  Perser  kriegen'  in  den  Nachrichten  der  Gott.  Ges.  der 
Wiss.  1861,  wo  ich  S.  396  die  Vermuthong  begründet  habe,  das*  neben  Kodros 
nnd  Thesens  als  Dritter  Philaios  gestanden  habe,  der  mythische  Stammvater  des 
Miltiades  nnd  Kimon,  der  durch  seine  Uebersiedelung  Salamis  an  Anika  brachte. 

163.  (S.  322).  Perikles'  Psephisma  über  die  Wiederberstellung  der  gr. 
Heiligthümer  als  eine  Nationalsache:  Plut.  Per.  c.  17.  Fragmente  von  In- 
schriften an  Weibgeschenken,  welche  zum  Andenken  an  ältere  Gro (statten 
der  Athener  in  der  pcrikleischen  Zeit  erneuert  oder  zum  ersten  Male  errichtet 
worden  sind:  Kirch  ho  ff  CIA.  1  333.  334  vergl.  CIA  IV  S.  40  und  Monatsb. 
der  Preuss.  Akad.  der  Wiss.  1869  S.  409  f.  Perikles'  hellenisches  Bauprogramm 
nach  A.  Schmidt  Versuch  einer  neuen  Bundesverfassung;  nach  A.  Schäfer  Hist. 
Ztscbr.  N.  F.  IV  S.  216  eine  Bürgschaft  des  eben  geschlossenen  Friedens. 

164.  (S.  323).  Sunioo:  Doerpfeld  Mitth.  d.  ath.  Inst.  IX  324 ff.  Rhamnus: 
Ross  Arch.  Aufs.  II  397.  Lolliog  Mitth.  IV  277.  Paus.  I  32.  —  Welcher  Gr. 
Götterlehre  3,  S.  28. 

165.  (S.  327).  Bleusinische  Ausgrabungen  der  archaeol.  Gesellschaft  in 
Athen  unter  Philios:  TTgaxtixd  1883  —  Peiraieos  von  A.  Milchhoefer:  Karten 
von  Attika  Heft  1;  C.  Wachsmuth  Bin  antiker  Seeplatz  in  Conrads  Jahrb. 
f.  Nationalökon.  18S6.  Dipyloo:  Co  mm.  pbil.  in  hon.  Th.  Mommseni  p.  590.  Ueber 
die  Geschichte  des  öffentlichen  Begräbnisses  im  Kerameikos  s.  meine  Abb.  znr 
Gesch.  des  Wegebaus  S.  58  (Abh.  der  Preuss.  Ak.  1851  S.  266).  Vi  scher 
N.  Jahrb.  f.  Phil.  73,  S.  133.  (Kl.  Sehr.  II,  651.)  Zum  Denkmal  der  bei 
Drabeskos  Gefallenen  (Paus.  I  29,  4)  gehört  CIA.  I  n.  432. 

165*.  (S.  330).  Markt:  Attische  Studien  II,  Milchhoefer  Athen  (Bau- 
meister Denkm.  I).  Theseion:  Pans.  I  17.  Herakleion  in  Melite:  Wachsmuth 
Stadt  Athen  357  ff.  Dörpfeld  ist  geneigt,  das  Theseion'  für  jünger  als  den 
Psrthenou  zu  halten:  Mittb.  IX  336. 

166.  (S.  332).  Olympieion:  Plin.  XXXV  8,  54;  fortgesetzt  von  An- 
tiochos  Kpiphanes:  Liv.  XLII  20.  Pythioo:  Hermes  XII  492.  Odeion:  Plut. 
Per.  13.  Parthenon:  Michaelis  Parth.  1871.  Neue  Funde  1886:  Antike  Denk- 
mäler des  Areb.  Inst.  1887  Tafel  I  u.  II.  Dorpfeld  Mitth.  des  Athen.  Instituts 
XI  337  'Der  alte  Athenatempel'  — .  Dörpfeld  und  Petersen  XII  25 f.  Funda- 
mente von  4  Tempeln  neben  einander.  Südlich  vom  Erechtheioa  der  Bau  des 
Peisistratos ,  von  dem  das  Hinterhaus  nach  den  Perserkriegen  wieder  herge- 
stellt wurde  (nach  D.  auch  die  Cella).  Giebelstatuen:  Purgold  Bphemeris  Arch. 
1885,  A.  Bötticher  Akropolis  Fig.  27.  28.  Grofser  Terrassenbau  Kimoos 
und  dritter  Tempelbau:  Mitth.  XII  32.  Burgmauer  im  Süden:  Plut  Kim.  13. 
Coro.  Nepos  2:  arx  qua  ad  meridiem  vergit,  ornata. 

166*.  (S.  333).  Die  Unterscheidung  der  verschiedenen  Gattungen  von 
Tempelgebäudeo ,  wie  sie  im  Texte  angedeutet,  hat  K.  Böttieher  in  Erbkams 
Zeitscbr.  Tür  Baukunst  1853,  Philologus  XVIII  S.  384  und  in  seiner  Tektonik 
gemacht.  Seine  Lehre  hat  in  Olympia  neue  Bestätigung  gewonnen  nnd  ist  in 
Beziehung  auf  den  Parthenon  von  Michaelis  S.  8,  28  befolgt  worden.  Bundes- 
schatz im  Opisthodom  des  pisistratiseben  Tempels:  Dörpfeld  Mitth.  Xfl  S.  36. 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM   DRITTEN  BUCH. 


847 


167.  (S.  336).  Hekatompcdos  pftfav  tou  t[xnqrio&(vios  nool  ntvrqxovta 
Hesych.  (nach  Dörpfeld  S.  53  auf  die  Breite,  nach  Petersen  S.  49  auf  die 
Länge  bezüglich).  Innere  Gliederung;  des  Parthenon  nach  dem  ol.  Zeustem- 
pel  nachgewiesen  von  Dörpfeld  Mitth.  VI  283.  Die  genaue  Deutung  des  Par- 
thenonfrieses bleibt  für  uns  noch  immer  ein  Problem,  namentlich  die  der  Mittel- 
gruppen des  Ostfrieses;  wir  können  nur  so  viel  sagen,  dass  in  kühner  Weise 
die  Darstellung  des  vollen  Festzugs,  dem  die  Götter  beiwohnen,  mit  den 
Scenen  der  Einübung  und  Vorbereitung  zu  einem  idealen  Bilde  verbunden  ist 

169.  (S.  341).  Athena  Lemnia :  Kirchhoff  TributpSicht  der  Kleruchen  S.  23. 
Löschcke  Hist.  Untersuchungen  zu  A.  Schaefers  Ehren  1882  S.  43.  —  Pro- 
niachos  17  /itlxij  i\  f*tyaXt)  l4&i}ya  Dem.  XIX  272,  Paus.  I  28. 

169.  (S.  346).  Cyklus  der  panath.  Festlichkeiten:  Stoppe  Inscr.  Panath. 
1857,  1858.  Mommsen  Heortologie  S.  116.  Mq({  —  afio»  tov  ninlov. 
Arist.  Eq.  563.  Vollendung  der  Parthenos  438  Ol.  85,  3;  unter  Theodoros 
nach  Philochoros.  Schol.  Arist.  Pax  605.  Uebergaburkunden :  Tabulae  quae- 
storom  Minervae  (traditiooes  rcrom  sacrarum)  CIA.  I  117.  Kirchhoff  Urkunden 
der  Schatzmeister  der  andern  Götter  (Abb.  der  Berl.  Akad.  der  Wiss.  1864 
S.  11,  dem  die  Datiruog  der  früher  Ol.  90,  3  angesetzten  Psephismata  CIA.  I 
n.  32  verdankt  wird.  Gliederung  des  Parthenon  nach  Analogie  des  aufgedeckten 
Zeustempels  in  Olympia  festgestellt  von  Dörpfeld  Mitth.  VI  283.  Athena  Nike: 
Arch.  Zeitg.  37  S.  47.  Musischer  Agon  Bergk  II  500.  —  Athena  Hygieia: 
Plut.  Perikl.  13.  Ross  Arch.  Aufs.  1,  187.  CIA.  I  335.  Skolion  bei  Athenaios 
694  (av  t£  xai  ntttrQ). 

170.  (S.  346).  Ueber  die  architektonische  Einrichtung  des  Burgaufganges 
(der  avoiog  vgl.  Arch.  Ztg.  1853,  S.  202)  sind  die  von  Beule  angeregten 
Untersuchungen  auch  nach  der  eingehenden  Behandlung  durch  Michaelis  Mitth. 
d.  D.  Arch.  Inst.  1,  275  ff.  noch  nicht  zu  Ende  geführt.  Neueste  Ermittelungen 
bei  Bohn  Die  Propylaeen.  Ueber  die  Zeit  des  Niketempels  Michaelis  Arch. 
Zeitg.  20,  S.  250.  Vgl.  Kekule  Balustrade  2.  Aull.  S.  27  f.  und  meinen  Auf- 
satz Arch.  Ztg.  37  (1879),  S.  97. 

171.  (S.  347).  Praxias  und  Androsthenes :  Brunn  Künstlergesch.  1,  247  f. 
Att.  Kunst  in  Arkadien:  Michaelis  Arch.  Ztg.  34,  162:  Pheidias  und  Theokosmos: 
Brunn  a.  a.  O.  S.  245.  Thrasymedes  in  Epidauros:  Brunn  246.  Agorakritos: 
Paus.  IX  34,  lktinos  in  Phigaleia  Paus.  VIII  41,  9. 

172.  (S.  351).  Libon:  Paus.  V  10,  3.  Aus  der  auf  den  tanagräischen 
Sieg  bezüglichen  Inschrift  am  Ostgiebel  von  Olympia  (Purgold  Arch.  Ztg. 
40,  180)  wird  mit  gutem  Grunde  geschlossen,  dass  der  Tempel  456  fertig 
war.  Paiooios  und  Alkamenes:  Paus.  V  10.  Die  Tempelgiebel  von  Olympia: 
Sitzuogsber.  der  Berl.  Ak.  18S3.  Zusammenhang  mit  attischer  Kunst:  Arch. 
Ztg.  41,  347.  Altäre  von  Olympia:  Abb.  der  Akad.  1882.  Zeusbild:  Paus. 
V  11.  Ergasterion  des  Pb.:  Paus.  V  15  Panainos  OvvfQyoXaßog:  Strab.  358. 
Paoainos'  i^vfiara:  Paus.  V  11,  5.  Strab.  354.  Chronologie  der  Werke 
des  Pheidias:  Löschcke  a.  a.  O.  und  Wochenschrift  für  klass.  Philol.  Berlin 
1887  n.  26  (29.  Juni).  Vgl.  Buch  4  Anm.  16.  Pantarkes:  Paus.  VI  15.  Afri- 
canus  ed.  Rotgers  p.  49.  Kolotes:  Paus.  V  20,  1.  Aphr.  Urania:  Paus.  VI  25,  1. 
Nike  des  Paiooios :  Schubring  Arch.  Ztg.  35,  59.  —  Pheidias'  .Nachkommen  als 


Digitized  by  Google 


S48 


ANMERKUNGEN  ZUM   DRITTEN  BUCH. 


(f*t$ÖQWra£  in  Olympia:  Paua.  V  14,  5,  erwähnt  io  einer  olynp.  Inschrift  des 
2.  Jahrb.  n.  Chr.:  Arcb.  Ztg.  35  S.  193  n.  100.  —  Eleusinisches  Deere t:  Foneart 
Bulletin  de  corr.  IV  225  CIA.  I  Sappl.  27  b,  nach  Sanppe  lad.  lect.  Gott. 
1880/81  sab  fioem  indntiaram  qninqninalium.  'Athen  und  Eleusis'  Kaiserrede 
Berlin  1884.  Bedeutung  des  Eleusinioos  für  ganz  Griechenland:  Preller  De- 
meter and  Persephone  S.  147  vgl.  Sophokles'  Triptolemos.  Antiperikleische 
Politik  nach  Loeachcke  do  Paus,  descr.  urbis  Athen,  p.  19. 

173.  (S.  356).  Ergastineninschr.  Mitlh.  VIII  63.  Der  erste  Peplos  von 
Akesas  u.  Helikon  Athen.  48  C.  Die  Wandlangen  der  Schrift  in  Athen: 
Mitth.  X  361.  Anfange  von  Privatluxus,  Lebea  des  gentlenan  ß(oq  ytvvttios 
Arist.  Vesp.  506.  ^aJürw^artuv  oQOipi  Vesp.  1214.  Morychos:  Plato  Pbaidros 
227  B.  —  Agatbarchos  Plut  Alk.  c  16.  —  SüdOügel  der  Propyläen:  Julius 
Milth.  126.  Ursprünglicher  Bauplan:  Dörpfeld  Mitth.  X  38 f,  131  f.,  in  dessen 
Grundriss  (T.  II)  ein  älterer  Bau  als  kimonischcr  Thorbau  bezeichnet  wird. 
Urkunde  über  den  Propyläenbau:  Böckh  Staatsh.  28,  S.  300  nnd  Kirchhotf 
in  den  Neuen  Jahrb.  f.  Phil.  1861,  47  f.  CIA.  I  n.  314.  315,  vgl.  dazu  deasen 
Abhandlung  de  fragmentis  quibnsdam  tituli  Attici  ad  opus  aliquod  aetatis 
Pericleae  refereodi  in  Nuove  Memorie  doli'  Instituto  di  corr.  arcb.  1865  p.  120. 
Ueber  die  2012  Talente  Kirchhof  z.  Gesch.  des  athen.  Staatsschatzes  S.  56 
(Abb.  d.  Berl.  Akad.  1876).  Zuschnsszahlungen  von  niebt  mehr  als  10  000  D. 
S.  36.  Herodot  sieht  432  die  Propyläen:  A.  KirchhofF  Kntstehangszeit  des 
Herodotischen  Geschichtswerks  2.  Aufl.  S.  17.  Zweifel  an  der  Autopsie:  Roeae, 
Hat  Herodot  sein  Werk  selber  herausgegeben?   Giessen  1879  S.  15. 


Digitized  by  Googl 


ANMERKUNGEN 

ZUM  VIERTEN  BUCH. 


1.  (S.  360).  Die  theophrastische  Nachricht  voo  den  eine  Zeit  lang  Jahr 
für  Jahr  nach  Sparta  gehenden  Bestechungsgeldern  (Plut.  Per.  23)  beruht  wahr- 
scheinlich darauf,  dass  Perikles  iu  das  Staatsbudget  den  Titel  tls  öioVj  </c  to 
oYov  einführte;  das  war  ein  Dispositionsfonds,  über  dessen  Verwendung  dem 
Leiter  der  auswärtigen  Angelegenheiten  das  Vertrauen  der  Bürgerschaft  den 
Nachweis  erlief«.  Bei  solchen  Zahlungen,  wie  sie  an  Pleistoaoax  und  Klean- 
dridas  (S.  179)  erfolgt  sind,  konnten  die  Empfänger  nicht  genannt  werden. 
Böckh  Staatsh.  1  •  247. 

2.  (S.  360).  Messcnier  in  Naupaktos:  Paus.  IV  25.  Ausdehnung  der  att. 
Herrschaft  im  westl.  Meer  als  ein  Hauptgrund  des  Kriegs:  (C.  H.  Plass)  Ueber 
die  Ursachen  des  archidam.  Kriegs.    Stader  Programm  1858/9. 

3.  (S.  362).  Lieber  den  Antagonismus  zwischen  den  korinth.  Colonien 
und  der  akarnanischen  Landschaft  R.  Weil,  Zeitschr.  f.  Num.  7  (1879)  121  ff. 
Themistokles'  Schiedsspruch:  Plut.  Them.  24.    Thuk.  I  136. 

4.  (S.  363).  Verfassungszustäode  in  Epidamoos:  Plut.  Quaest.  Graec.  29. 
Ueber  Korioths  Colonialpolitik  vgl.  meine  Studien  zur  Gesch.  von  Korinth, 
Hermes  10,  232.  Gesandtschaften  nach  Kerkyraund  Korinth:  Thuk.  I  c.  24.  25. 

5.  (S.  366).  Diese  Auffassung  darf  man  wobl  dem  gehässigen  Motive 
entgegenstellen,  welches  (wahrscheinlich  nach  Stesimbrotos  aus  Thosos)  Perikles 
untergeschoben  wurde.  Vgl.  Sintenis  zu  Plut.  Perikles  c.  29.  —  Recbnungs- 
urkundeu  über  die  Ausrüstung  der  beiden  Expeditionen  nach  Korkyra  (dies 
ist  die  auf  Inschriften  und  Münzen  bezeugte  Nameosform) :  Rangabe  Ant.  Hell, 
n.  115.  Böckh  Abb.  der  Berl.  Ak.  d.  W.  1847  S.  355.  CIA.  I  n.  179.  E.  Müller 
de  tempore  quo  b.  Pelop.  initium  ceperit  p.  35. 

6.  (S.  368).  Plottenbewegungen:  Thuk.  I  46—48.  Schlacht  bei  Sybota 
und  Abzug  der  Korinther:  49—55.  Vgl.  CIA.  1  n.  179,  woraus  sich  ergiebt, 
dass  Drakontides  College  des  Glaukon  war,  nicht  wie  die  Ueberlieferung  bei 
Thnkydides  lautet  riavxtov  AtayQov  xal  'Avö  oxidys  Aitoy6qot\  der  Name 
des  dritten,  von  Thuk.  nicht  erwähnten,  Strategen  ist  auf  der  Inschrift  ver- 
stümmelt: Z.  20  —  4vu  KotXu.  Auf  die  Seeschlacht  bei  Sybota  zu  beziehen 
ist  die  Bronzeinschrift  von  einem  Weibgeschenk  der  Athener  in  Dodonn: 
Karapanos  Dodooe  et  ses  ruines  I  pl.  26,  2,  Fränkel  Arch.  Zeit.  1878,  71. 

Curti«,  Gr.  üesch.  II.  6.  Anü.  54 


Digitized  by  Google 


850 


AM MEHRUNGEN  ZUM   VIERTEN  BUCH. 


7.  (S.  871).  Artabazos  vor  Potidaia:  Her.  VIII  126.  Abfall  Potidaias: 
Thak.  I  56  ff.  Für  die  zuerst  ausgesandte  Flotte  der  Athener,  welche  Dach 
Thok.  57  1 .dQXtOTQUTov  rov  ^ivxoftrjJow;  pti  alltov  6vo  OTQatijyovvtos  ab- 
geht, war  die  CIA.  IV  o.  179  fr.  a.  Z.  3  f.  erwähnte  Zahlung  unter  Pytho- 
doros  87,  1  bestimmt:  raptütt  Uoäv  XQtifiaxatv  rijs  ' Adijvaiae  —  —  [nctf>{- 

Soaav  oroartjyqi  ((  Max]tdovlav  EuxQa[t(t  Inl  rijs  —  Atoc  ngtsrarttaf 

öi Vitras  nQvrctvtvovotjc  .   Für  die  zweite  Flottenseodang  aoter  Kallias 

(Thok.  c.  61)  die  in  fr.  b.  Z.  3  ff.  ans  87,  2  vorkommende  Zahlung:  t£  ie 
TIoTttdatctv  OTQttiiq.  Die  Einzelposten  sowie  die  Gesamtsumme,  welche  für 
Makedonien  damals  aufgewandt  wurde  (Z.  9),  sind  weggebrochen.  Vgl.  Kirch- 
hoff z.  Gesch.  des  athen.  Staatsschatzes  S.  62.  —  Inl  Zr^tpay  Thnk.  I  61 
nach  Pluygers  Verbesserung  in  Cobets  Nov.  Lect.  p.  382,  vgl.  Classens  Aura, 
zu  dieser  Stelle.  Grabschrift  der  bei  Potidaia  gefallenen  Athener:  Kumanudes 
Emyo.  'Entxvpß  101.  n.  9.  CIA.  I  n.  442. 

8.  (S.  372).  Ullrich  das  meg.  Psephisma  1838.  Vischer  Benutzung  der 
alten  Komödie  S.  18  (Kleine  Schriften  I  S.  439.  Sauppe  Göttinger  Nachrichten 
1867  S.  180).  Bei  dieser  Gelegenheit  soll  nach  v.  Wilamowitz  (Hermes  9,  322) 
durch  Sophokles  u.  a.  Organe  perikleischer  Politik  der  lonismus  von  Megara 
in  Scenc  gesetzt  worden  sein.  Das  wäre  ähnlich,  als  wenn  1870  die  ursprüng- 
liche Zugehörigkeit  von  Elsas*  zu  Deutschland  aus  Annexionsgelüsten  erfunden 
worden  wäre. 

9.  (S.  374).  Korinthische  Rede  vor  der  spartanischen  Bürgerschaft: 
Thuk.  I  68—71.  Rede  der  zufällig  anwesenden  Athener  c.  73—78.1  Arcbi- 
damos  c.  80 — 85.    Stbenelaidas :  c.  86.    Abstimmung  c.  87. 

10.  (S.  377).  Korinthische  Gesandtschaften:  Thuk.  I  119.  K  orinth  und 
die  anderen  Bundesgenossen  auf  der  Tagsatzung:  I  120—24.  Delphi:  1  118. 
Kriegsbescbluss :  I  125. 

11.  (S.  381).  Spartas  Forderung  wegen  der  Alkmäoniden :  Thuk.  I  126. 
127.  Gegenforderung  Athens  in  Betreff  der  Heloten:  128  (r6  rijc  Xaixto/xov 
äyos  ttavvnv).  Die  Blutschuld  an  Pausanias  vom  Orakel  anerkannt,  das 
2  Bilder  forderte:  Pans.  III  17,  7.  Aus  gleichem  Grund  Kylons  Bildsäule  auf 
der  Akropolis  in  Athen:  A.  Schäfer  Arch.  Ztg.  24  S.  183.  Neue  Forderungen 
Sp.'s:  139,  1.  Ultimatum:  139,  3;  nach  Thuk.'  Worten  noirjaayreg  txxltjaiav 
ol  ji&ijvaiot  yvtofias  OifiCiv  avxotg  ngouridtoav,  xal  AJoxti  ana£  ntoi 
anecyttuv  ßovlfvoafitvovs  inoxqCvao&ai  möchte  man  annehmen,  dass  Perikles 
die  Bürgerschaft  nur  zur  Schlussberatbung  versammelt  habe.  Perikles'  Rede: 
140—44.    Kriegsbescbluss:  145. 

12.  (S.  383).  Ueber  Spartas  projektierte  Seemacht  vgl.  Thuk.  II  7,  2 
und  die  Anm.  Classens.  Diod.  XII  41.  Holm  Gesch.  Siciliens  II  3.  Ver- 
träge mit  den  Colooien:  II  9.  10.  Peloponnes  (Gegensatz  der  Symmachie):  II  1 1. 
Pcllene:  II  6.    Heeresmacht:  II  11. 

13.  (S.  387).  Landmacht  SparUs  60,000:  Plnt.  Per.  33,  vgl.  Sinteuis 
p.  226  ff.  Die  Zahl  16,000  bei  Thuk.  II  13  für  die  aus  den  Jahresklassen 
der  Jünglinge  und  den  Alten  nebst  Metöken  bestehende  Garnisonmaan- 
sebaft  erscheint  sehr  hoch.  Nach  Dnncker  IX  409  sind  Kleruchea  ein- 
gerechnet.    C.  Wachsmuth  hält  mit  Beloch  den  Text  für  verschrieben  und 


Digitized  by  Google 


ANMERKU.NGEN  ZUM   VIERTEN  BÜCH 


851 


will  xal  ftiQicjy  streichen  (Conrad  Jahrb.  für  Nationalökonomie  N.  F.  XV 
1887  S.  32).  Dagegen  spricht,  dass  bei  Diodor  XII  40  dieselbe  Zahl  steht. 
Sympathien  der  Hellenen  für  Sparta:  Thak.  11  8,  4. 

14.  (S.  388).  Laad-  and  Seemacht  Athens:  Thuk.  II  13,  6—8,  Wachs- 
math  Stadt  Athen  1,  565.  Finanzmittel:  13,2 — 5.  tiqoooöov  ovürjs  xar  iviav- 
ibv  ano  7£  Ttöv  iyäwarv  xal  ix  lijg  vniQOQtag  ov  fitlov  /li/wv  xakavtmv  (bei 
Beginn  des  Kriegs):  Xen.  VII  1,  27.  Zar  Würdigung  der  Bnanzielleo  Leistungs- 
fähigkeit Athens  Kirchhoff  Gesch.  d.  athen.  Staatsschatzes  S.  25.  Statt  600 
Tal.  sind  in  den  Inschriften  nnr  460 — 80  nachzuweisen.  Nach  Busolt  (Philol. 
1882,  S.  652)  ist  die  rückständige,  von  Samos  zu  zahlende  Kriegsentschädi- 
gung mit  200  Tal.  eingerechnet.  Frankel  zu  Böekh  Staatsb.  2*  90.  Athens 
Bundesgenossen:  Thuk.  11  9,  4. 

15.  (S.392)  Per.'Oelkranz:  Val.  Max.  II  6,  5.  Lakedaimooioa :  Plut.  Per. 29. 
Blutschuld  der  Alkmäooidcn  (altiyotov)  Aristopb.  Eqq.  446.  Thuk.  I  121,  ihre 
Apologie  (Her.  Vi  121-131):  Kirchhof  Entstehungszeit  des  Herodotischeo  Ge- 
schichtswerks 1878  S.  46.  Es  erwacht  die  bissige  Natur  der  Athener  (Aristopb. 
Pax  608  tcuiada$  TQonog).  Metichos:  Bergk  Bei.  Com.  Att.  p.  11,  der  die 
Verse  dem  Kratinos  zuschreibt.  Meoippos  und  Pyrilampes:  Sintenis  zu  Plut. 
Per.  p.  142.  flfvStgai  ywaixes  ets  t«  t(*yn  ipoittooui:  Plut.  c.  13.  IIh- 
oiajQaifdat  vioi.  Plut.  c  16.  Hermippos:  c.  33.  Ueber  das  Gesetz  des 
Antimachos  Bergk  Rel.  Com.  Att.  142  und  in  Schmidts  Zeitschr.  f.  Ge- 
schichtsw.  II  201,  dessen  Gründe  gegen  die  Betbeilignng  des  Perikles  mir 
nicht  ausreichend  erscheinen.  Kratinos'  'OJuootts  ohne  Parabasc :  Meineke 
Frag.  Com.  Gr.  1  p.  93. 

16.  (S.  394).  Prozess  des  Pheidias  (Brunn  Gesch.  d.  gr.  Künstler  I  167). 
Vgl.  Conze  in  Gerhard's  Arcb.  Zeitung  1865  S.  33  über  die  Nachbildungen 
des  Schildreliefs,  auf  denen  zwei  dem  Pheidias  und  Perikles,  wie  sie  Plut.  Per. 
31  beschrieben  werdeu,  ungefähr  entsprechende  Gestalten  zu  erkennen  sind. 
Beim  Schol.  zu  Aristophanes'  Pax  605  wird  Philochoros  für  die  letzten  Schick- 
sale des  Ph.  als  Zeuge  angeführt;  es  kommt  Alles  darauf  an,  wie  weit  das 
Zeugniss  des  Philochoros  reicht.  Nach  Sauppe  (Tod  des  Pheidias  Gött.  Nach- 
richten 1867  S.  173)  bezeugt  er,  dass  Pheidias  438  aus  Athen  entflohen,  nach 
Elia  gegangen,  daselbst  des  Unterschleifs  augeklagt  und  von  den  Eleern  ge- 
tödtet  sei.  Auch  Michaelis  nimmt  au,  dass  Pheidias  in  Elis  gestorben,  Par- 
thenon S.  39  und  nochmals  Arch.  Zeit.  1875  S.  158;  meine  Entgegnung  Arch. 
Zeit.  1877  S.  134.  (E.  Petersen  Arch.  Zeit.  1867  S.  22  will  für  M  'metwv  : 
in  'ifrriva(<ov  lesen.)  Ich  kann  mich  nicht  überzeugen,  dass  das  Citat  aus 
Philochoros  weiter  reiche  als  TtotrjOayros,  und  nehme  an,  dass  mit  xal  <#>*<- 
dtag  6  noitjous  ein  spaterer  Zusatz  beginne.  Füllt  aber  das  Zeugniss  des 
Philochoros  weg,  so  tritt  die  aus  Ephoros  stammende  Ueberlieferung  bei 
Diodor  XII  39  und  Plut.  Per.  31  iu  ibr  gutes  Recht.  Die  andere  Version, 
dass  man  Pheidias  zum  Dank  für  die  Vollendung  des  Zeus  in  Olympia  hin- 
gerichtet habe,  war  ein  Lieblingsthema  spaterer  Khetoren  (Sauppe  S.  171). 
Von  einer  Hinrichtung  des  Pheidias  in  Elis  würde  sich  iu  der  örtlichen 
Ueberlieferung  von  Olympia  eine  Spur  erhalten  haben.  Mit  mir  nimmt  Lösende 
(Ph.  Tod  in  den  hist.  Uuters.  zum  Jubiläum  von  A.  Schäfer  Bonn  1882  S.  27) 

54* 


852 


ANMERKl'MGEN  ZUM  VIERTEN  BUCH. 


eine  Interpolation  des  Philochoros  a,  a.  0.  an  und  lasst  Ph.  85t  3  in  Athen 
sterben.  Aach  Müller-Strübing  (Die  Legenden  vom  Tode  des  Ph.  in  Jabrb. 
für  klass.  Phil.  1882  S.  289  f.)  stimmt  gegen  den  Tod  des  Ph.  in  Elis.  Lösehcke 
setzt  aber  nach  Plinios  34,  49,  'Floruit  Ph.  Ol.  LXXXIII'  die  Vollendung  des 
Ol.  Zeos  in  diese  Olympiade;  ihm  beistimmend  Flasch  in  Baumeisters  Denk m. 
Olympia  (Separatabdrock  S.  47).  Warum  soll  aber  die  Quelle  des  PI.  Phei- 
dias  nicht  nach  seiner  Verbindung  mit  Perikles  datirt  baben,  wie  Lysippos 
nach  Alexander  datirt  ist?  Dagegen,  dass  der  Zeus  vor  der  Parthenos  geschaffen 
sei,  spricht  des  Pantarkes  Ol.  Sieg  Ol.  86  uud  manches  Andere.  Auch 
Duncker  IX  336  spricht  von  dem  wirren  Convolut  der  Scholien  zu  Aristophanes. 
Er  will  bei  Plut.  Per.  31  aöeia  lesen  statt  driXiut, 

17.  (S.  395).  Prozess  des  Anaxagoras:  Plut.  Per.  32,  wonach  Diopeithes 
den  Antrag  einbringt,  ttaayytlXfodai  roi/t  ia  &tia  firj  vou^oyrag  r\  Xöyoi? 
7i (q\  tuv  fAtittQaltov  ötäaoxonas.  Satyros  b.  Diog.  Laert.  II  3,  9  nennt 
Thukydides,  Sotion,  Kleon  als  Ankläger.  Zeller  Philos.  der  Gr.  I4,  867. 
Prozess  der  Aspasia:  Plut.  32.    Ueber  Dämon  Meier  Ostrakismos  S.  186. 

18.  (S.  395).  Plut  Per.  32.  Das  Verhältnis!»,  in  welchem  die  Antrüge 
des  Drakontides  und  Hagnon  zu  dem  Prosesse  stehen,  ist  nicht  mit  Sicherheit 
zu  erkennen.  Gegner  des  Perikles  ist  aber  offenbar  Hagnon,  der  in  seiuem 
Antrage  den  Gegenstand  der  Anklage  absichtlich  unbestimmt  lässt,  tUl  xXonra 
xai  <5u)Q<ov  ttt'  adixlov  ßovXoao  rig  övofiüCnv  iijv  dViu^v. 

19.  (S.  397).  Zusammenhang  des  Kriegs  mit  den  Staatsprozesseo  nach 
Ar  ist.  Pax  603:  ngtüra  p\v  yctQ  avrfc  (so  schon  Diodor  XII  40;  navtös 
Sunppe)  hq§€  <P(i6ia(  71  ga^ag  xaxtjf,  clta  ITfpixXtys  qoßrj&ds,  ptr  juirao^o* 
ifjs  Ttflfijc  —  l!;(<f*X&  irfV  noXtVy  ifißaXdtv  amv^oa  fiutpov  Mtynqtxov 
ifnyiffauaTOi  xa&tfvoijatv  loaovtov  noXfftov.  Vergl.  Sauppe  Gött.  Nachr. 
1867,  S.  186. 

20.  (S.  397).  Tbuk.  II  8  in  ausdrücklichem  und  wahrscheinlich  beab- 
sichtigtem Widerspruche  gegen  Herodot  VI  98,  wie  Classen  zu  Thuk.  richtig 
urteilt.    Vgl.  Kirchhoff  Entstehungsz.  des  herodot.  Geschichtswerks  S.  18. 

21.  (S.  400).  Pheidias'  Athena  in  Plataiai :  Paus.  IX  4,  1.  —  Ueberrura- 
pelung  von  PI.  (iv  Uooptjvttf  Thuk.  III  56)  zu  Ende  des  Monats,  4  Monate  (nach 
Krügers  Verbesserung  von  Thuk.  II  2)  vor  dem  Ende  des  Archontats  des 
Pythodoros,  also,  wenn  man  genau  reebnet,  am  letzten  Anthesterion,  welcher 
nach  der  attischen  Oktaeteris  am  Abend  des  4ten  April  431  v.  Chr.  begano. 
Neumond  war  den  7ten  April.  Bb'ckh  zur  Gesch.  der  Mondcyklen  1855  S.  78. 
Mit  diesem  Ereignisse  eröffnet  Thuk.  die  Reibe  der  Kriegsjahre,  die  er  alle, 
wie  das  erste,  mit  dem  Frühjahre  beginnt  und  mit  Ende  des  Winters  schliefst. 
—  Was  die  Tödtnng  der  gefangenen  Thebaner  betrifft,  so  scheint  Thuk.  II  5, 
6  die  Wahrhaftigkeit  der  platäischen  Ausrede  zu  bezweifeln. 

22.  (S.  402).  Tb  IltXaoytxbv  afyov  apHvov:  Thuk.  11  17.  Perikles' 
Güter  blieben  nach  Justinns  III  7  unversehrt  und  wurden  dann  dem  Volke 
vermacht;  Thuk.  II  13  sagt  nur,  dass  Perikles  sich  für  den  eintretende«  Fall 
vor  Verdächtigung  geschützt  habe. 

23.  (S.  404).  Die  Lakedä'monier  fallen  in  Attika  ein  tv  o*<£m  t^oyrn 
t6  JtyaXwv  opos  Thuk.  II  19.  —  Thuk.  II  20  ol  U^p^  fitya  utoos  ovrte 


Digitized  by  Googl 


ANMERKUNGEN  ZUN  VIERTEN  BUCH. 


853 


rrjt  nolfOK  (TQto/JXtot  yao  onJurat  iytvovro),  die  Zihl  ist  offenbar  ver- 
derbt. Geschmackvolle  Villeo:  oixo$o/u(at  u  xal  noXvrtXtis  xataaxtvaC  II 
65,  2;  auf  dem  Lande  war  mehr  Platz,  am  sich  io  geräumigen  and  mannigfaltigen 
Räumlichkeiten  behaglich  einzurichten.  —  Aufregung  gegen  P.  e.  21.  Her- 
mippos:  Plnt.  c.  33.  Dass  die  athenische  Flotte  auf  den  Abzog  des  Heers 
einwirkte,  ist  an  sich  sehr  wahrscheinlich  und  wird  von  Diodor  XII  42  aus- 
drücklich gesagt.   Anders  urteilt  Grote  417. 

24.  (S.  406).  Methone  u.  s.  w.:  Thnk.  II  25.  CIA.  IV  179  fr.  *  ent- 
hält Z.  10  eine  Zahlung  arQccrut  rjj  7T(qI  ITtXonovvijaov  ZtoxoaJti  (1)sAXaul, 
TTotoiitf  j4l£(ovf7,  ebenso  aus  2  späteren  Prytanien  Zahlungen  für  den  Thuk. 
c.  23  mitgenannten  KaQxtvog.  S.  Kirchhoff  z.  Gesch.  des  Staatsschatzes  S.  65. 

—  Lokris:  Thuk.  II  2G.  Reste  der  Befestigungen  auf  Atalaote  (c.  32)  noch  vor- 
handen :  Loiting,  Mitth.  d.  D.  Athen.  Instituts  I  237.  —  Aigina:  Thuk.  II  27. 
Megara  c.  31.  Charinos:  Plut.  reip.  ger.  praec.  c.  15  (dm  Xaqtoov  tb 
Karrt  MfyttQiotv  txvgtuot  xpruptopa).  Defensivmafsregeln  in  Attika:  c.  24. 
Sitalkes:  c.  29. 

25.  (S.  409).  Thuk.  I  23.  Ursachen  der  Krankheit:  Diod.  XII  58  (Grote 
434).  lieber  gleichzeitige  Pestilenzen  in  Italien:  Niebohr  R.  Gesch.  2,  573 
(2.  Aufl.).  —  Die  Krankheitsursachen  bei  Diod.  XII  58  beziehen  sich  nicht 
auf  Attika,  sondern  auf  die  Gegenden,  wo  sich  die  Krankheit  entwickelt  hat. 

—  Den  Gesamtverlust,  welchen  die  Bevölkerung  von  Attika  durch  die  Pest  bei 
ihrem  zweimaligen  Auftreten  erlitten  hat,  berechnet  Thuk.  III  87 :  ictQaxoolotv 
onlircHv  xal  T(TQttxKJxtl(tov  ovx  {Xdooovs  antihtvov  Ix  tojv  rdtctov  xal  tquc- 
xoafotv  Innttov  rcv  tc  rtXXov  Z%lov  avtttvQtroq  dotä/*6s  (daraus  bei  Diod.  XII 
58  vnig  rovs  fivqfovs).  Epidemien  als  Epochen  im  Völkericben :  Niebnhr  Vortr. 
über  alte  Gesch.  II,  64.    Herakles  Alexikakos:  Rom.  Mitth.  1887  S.  99. 

26.  (S.  410).  Ueber  Hippokrates  Hhilologos  4,  204.  Sophokles  und  As- 
klepios:  Soph.  ed.  Bergk  p.  xx.  Dass  auch  völlige  Wiederherstellung  ein- 
treten konnte,  beweist  das  Beispiel  des  Thokydides  (II  48). 

27.  (S.  413).  Verhandlungen  mit  Sparta:  Thuk.  U  59.  Per.'  Recht- 
fertigung: 60 — 65.  —  Per.  verurteilt  und  der  Strategie  entsetzt:  Plut.  Per.  35 
(A&Tjrttiovs)  rag  iftrftf  ouc  Xaßovxag  in'  alrtbv  il(  x«c  %ei(Hts  xal  ytvofxivovt 
xvgtovs  atfflfo&ai  rrpr  oiQair\y{ctv  xal  CrffutZaai  /p^jU«o"*v,  tov  aoi&fibv  ol  xbv 
tXd%ioiov  7t(vrtxa(d(xa  ralavtrt,  ntvxi\xovxa  <F  ol  rbv  nXtlotov  yoatpovtJtv. 
Diod.  XII  45  dnoair]auvr(g  avrbv  OTQairtyiae,  xal  fitxods  r*v«?  a<poofiäc 
tyxXi\udt<ov  Xaßovreey  tCrjpicooav  avibv  oydo^xovra  raXarrots.  Thuk.  II  65 
ov  ptviot  txqotiqov  ye  ol  tvunavTV;  tnavoavro  (v  ooyij  ?/owc  avxbv  nolv 
iCrjfiftaaav  xQWaaiv-  für  Athener  hatte  Thukydides  nicht  nöthig  die  Ab- 
setzung noch  besonders  zu  erwähnen,  wenn  er  hier  von  der  Verurteilung  be- 
richtet. Gegenstand  der  Anklage:  xXonijV  airrov  xaxttfnjtpfaavxo,  oXiyov 
xal  Savaxov  irtfir}aav  Fiat.  Gorg.  515  A.  Namen  der  Kläger  (PJut.  35): 
Sinimias  nach  Theophrast  (vgl.  Plnt.  praec.  reip.  ger.  p.  805  X  10),  Lakratides 
nach  Herakleides  Pont.,  Kleon  nach  Idomeoeus. 

28.  (S.  414).  Häusliches  Leid:  Plut.  Per.  36,  nach  Stesimbrotos.  Die 
Benennung  des  Sobos  mit  dem  Heroen naraen  Paralos  war  Periklea  zum  Vor- 
wurf gemacht  worden,  Suidas  s.  v.  IlfoixXfjg. 


Digitized  by  Google 


654 


A>MERKUNGEN   ZUM  VIERTEN  BICH. 


29.  (S.  415).  77« (wi  SuaXxov  iptoguv  u4ax(tiaifioY(oiot,  xal  naga  Iltg- 
itxxov  %f/{vör)  vavolv  Jiavv  noXXaTf.  Hermippos'  (fogpiotiogoi  Meio.  Frag. 
Coro.  2,  407.  Talthybios*  Flach:  Herod.  VII  134.  Thak.  11  67.  —  Per.'  Wie- 
dereintritt toiegov  <T  av9i{  ov  noXXtß,  ontg  tf  iXti  opiXot  noitty,  orgairiyov 
tXXovro  xal  navta  t«  ngaypaia  tntrgcipav,  o/r  fiiv  negl  tu  otxda  $xttotof 
%Xyu  ajjßXvrtgoi  tj^jj  ovrte,  tov  dl  tupnaoa  noltf  ngoatfotio  nXtiotov 
afroy  vofi(Covt({  (hat.  Thak.  II  65,  4.  —  Pfaormion  and  Meiesander:  II  69, 
Fall  von  Potidaia:  c.  70.  Freier  Abzog  der  Besatzung  (nachdem  rivls  xal 
aXXrfXatv  fyiyewro). 

30.  (S.  417).  Spartolos:  Thuk.  II  79.  Kydonia:  e.  85.  Kampfe  in 
Golfe:  c.  83f.    Zweite«  Seegefecht:  c.  86 f. 

31.  (S.  418).  üeber  K res i las  Bergk  Z.  f.  Alt.  1845  S.  962.  Brno«  Gesch. 
der  gr.  Künstler  1,  S.  262.  Arch.  Zeitg.  1S60  S.  40.  Conze  Arch.  Zeitg.  1868 
S.  If.    Friederichs  Berlins  antike  Bildwerke  1,  S.  124. 

32.  (S.  423).  Isokrates'  Urteil  über  Per.:  8,  126.  Verherrlichung  der  Zeit 
der  Vater:  Aristoph.  Eqq.  565.  Strategen  alter  and  nener  Zeit  argarrjyol 
ix  jtov  fityiajtov  otxitov  nXovitp  ytvti  it  ngturoi  Mein.  Fr.  Com.  I  176.  Be- 
urteilung des  Perikles  von  Zeitgenossen  nnd  Späteren:  Saoppe  Quellen  Platarchs 
im  Leben  des  Per.  S.  6.  Vgl.  dazu  Röhl  Quellen  des  plut.  Perikles  Jahrb.  f. 
Ph.  1868  S.  657.  Perikles  gegen  Plato  Gorgias  §  151  vertheidigt  von 
Aristeides  Or.  Piaton  II  T.  III  p.  374  mit  Benutzung  des  Eupolis,  d  essen  Dar- 
stellung von  dem  Niedergang  in  den  Hades  hanfig  mit  dem  in  Arist.  Frösche 
verwechselt  worden  ist.  Vgl.  Meineke  quaest.  Sceaicae  48.  Verwandtschaften  der 
Geister  auch  hier  unverkennbar.  Eopolis  Bewunderer  von  Per.  Mein.  Fr.  Com. 
2,  458.  In  neuester  Zeit  ist  es  Mode  geworden,  Perikles  herabzusetzen,  zu- 
nächst als  Feldherrn,  obwohl  alle  Sachverständigen  einräumen  werden,  dass  es 
bei  dem  uberlieferten  Material  unmöglich  ist,  die  Taktik  perikleischer  Feld- 
ziige  zu  kritisieren.  Vgl.  von  Pflugk-flarttung,  Perikles  als  Feldherr,  dem  auch 
Holm  in  den  Atti  della  R.  Acc.  di  Torino  XX  zustimmt.  Ebenso  Beloeb, 
Philologus  1886.   Duncker,  Gesch.  d.  Altert  IX  505. 

33.  (S.  425).  Ueber  die  vielen  Beispiele  entarteter  Söhne  vgl.  Plat. 
Protagons  p.  319  (mit  Sanppes  Anm.)  und  328.  Bergk  Rel.  Com.  Att.  351. 
Plat  Laches  von  Ed.  Jahn  p.  xxu,  xxvm.  Ueber  Kalliaa  siehe  oben 
Anm.  100  zu  S.  185,  Stein  zu  Herod.  VI  121.  Im  Allgemeinen  ober  die  tfoga 
iv  toi?  yhiaiv  Arist.  Rhet.  II  15. 

34.  (S.  427).  Ueber  die  fremden  Gottesdienste  nnd  ihren  Einfluss  seit 
Reginn  des  pelop.  Kr.:  P.  Foucart,  les  associations  rt-ligieuses  chez  les  Grees 
p.  56  f.  —  Xaigetv  fikv  vfiäs  tanv,  tuvöges  o*i/fioriw,  ag%alov  rpSti  ngooayo- 
gevuv  xal  aangov  ttonaCofiai  oV.    Arist.  Plut.  322. 

35.  (S.  4SI).  Myronides  nach  Süvern  (Arist  Vögel  S.  51)  ein  gleich- 
namiger, denn  der  alte  Myronides,  des  Per.  älterer  Zeitgenosse  sei  lange  vor 
ihm  gestorben;  dagegen  Raspe  de  Enpolidis  drjpois  p.  41.  ylngäyfioxg:  Thuk. 
n  40  vgl.  63.  Bernays  Hermes  6,  129.  ITtgivout  Superkluge  III  43;  ol  vor  (gor 
To ot  axnol  fiaXXov  ngos  aXXi]Xov$±oi,Tt$  xal  ögtyopttvot  tov  ngtoroc  ixaorog 
yfyvto&ai  (während^Perikles  es  von  Natur  war)  hganovto  xa&*  rjäorag  toT 
di't/utp  xal  t«  ngay/jma  iröiSörai  II  65,  10.  —  Theten  zur  Zeit  der  Auf- 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  VIERTEN  BUCH. 


855 


fiihrungvon  Aristopb.  /laixnlitg  noch  nicht  im  Hoplitendienst  (Harp,  97,  31). 
In  der  Hede  des  Antiphon  gegen  Philinos  wird,  um  412,  ein  Gesetzvorschlag 
erwähnt,  sie  alle  zu  Hopliten  za  machen.  Lysias  g.  Phormis.  4  zeigt,  dass 
in  den  letzten  Jahren  des  pelop.  Kr.  ihre  Einstellung  ganz  gewöhnlich  war. 
S.  Usener  Jahrb.  f.  Phil.  1873,  162.  Aemtervrrtheilnng,  Bestechung:  Albrecht 
Progr.  v.  Nordhausen  1869. 

36.  (S.  432).  Phormions  Verurteilung:  Androt.  b.  Schol.  Ar.  Pax  347; 
Siehe  unten  Anm.  40  zu  S.  439.  lieber  die  Feldherrnprozesse  Köhler  De).- 
Att.  Seebund  145.  Strategie  u.  Demagogie:  Gilbert  Beitr.  zur  inneren  Gesch. 
Athens  1877  S.  1  ff. 

37.  (S.  432).  Eukrates  und  Lysikles:  Aristopb.  Ritter  131  mit  Schol.  Aus 
den  Worten  des  Aristophanes  darf  weder  Tür  Bukrates  und  Lysikles,  noch 
auch  für  Kleon  auf  eine  amtliebe  Function  als  Schatzmeister  geschlossen  wer- 
den, vielmehr  ist  ihre  Wirksamkeit,  auch  wo  sie  ins  Finanzwesen  übergriff, 
schon  aus  ihrer  demagogischen  Eigenschaft  erklärlich,  s.  oben  Anm.  118  zu 
S.  227  und  Bö'ckh  Staatsh.  1 »,  202.  —  Eukrates  identisch  mit  dem  Ol.  87,  1 
nach  Makedonien  geschickten  Strategen:  CIA.  IV  n.  179. —  Lys.  in  Karien: 
Thuk.  III  19.  —  Aspasia  und  Lysikles:  Plut.  Perikles  24.  Harpokr.  v.  uton. 
Sollen  wir  schon  vor  P\  Tode  einen  Umgang  zwischen  Asp.  und  Lysikles  an- 
nehmen? Sonst  muss  die  Erzählung  von  ihrem  bildenden  Einflüsse  verworfen 
werden.  Das  ganze  Verhältniss  nach  Cobet  prosopogr.  Xenoph.  p.  81  Er- 
findung des  Aischines  (über  dessen  Dialog  Aspasia  s.  C.  F.  Hermann  de  Aesch. 
Socr.  p.  16  f.),  nach  Sauppc  (Quellen  PI.  S.  13)  der  Komödie. 

38.  (S.  436).  Ueber  die  Stellung  der  ooiyf  ovts:  Thuk.  III  43.  Nikias 
und  die  Komödie:  C.  Fr.  Hermann  de  persona  Niciae  apud  Aristophaoem  1835. 
Schmidt  de  vita  Niciae  (Joachimstb.  Gymn.  1847)  p.  10 sq.  Nikias  Stratege 
von  427—23.  Wahrscheinlich  auch  422,  und  421  beim  Friedensschluss.  — 
Aristoteles  über  N.  bei  Plut.  c.  2.  Diopeithes:  Herrn,  p.  25.  Meineke  Com. 
Att.  I  87.    Droysen  N.  Rhein.  Mus.  3,  180.  Roscher  Klio  216. 

39.  (S.  439).  Angriff  auf  Salamis:  Thuk.  93.  94.  Diod.  XII  49.  Sitalk es: 
Thuk.  95-101.    Diod.  XII  49  f. 

40.  (S.  439).  Die  über  Pbormion  verhängte  Atimie  ist  durch  das  100 
Jahre  später  für  Demosthenes  wiederholte  Auskunftsmittel  der  Errichtung  eines 
Altars  (Schäfer  Demosth.  III,  S.  337)  aufgehoben  worden.  Fraglich  ist  aber, 
ob  Pbormion,  als  die  Aufhebung  erfolgte,  noch  am  Leben  war,  oder  ob  die 
Atimie,  wie  v.  Wilamowitz  (Obs.  crit.  in  com.  gr.  p.  33)  annimmt,  auf  seinen 
Sohn  übergegangen  ist.  Bei  Thuk.  III  7  bitten  die  Akarnauen  rtav  *o^u/a»'off 
iiva  aulai  7t£fixpai  t)  vtbv  )}  £vyytvrj  aoyovttty  bei  Androtion  (Scbol.  Arist.  Pax 
347)  um  Pbormion.  Gleich  Myrooides  als  Repräsentant  der  Feldherrn  der 
alten  Schule  gefeiert:  Aristoph.  Lysistr.  801  ff.  Vgl.  Gilbert  Beiträge  S.  105. 
Ph.  ist  erst  ganz  am  Ende  des  Winters  429—28  aus  Akarnanien  in  Athen 
eingetroffen  (Thuk.  II  102),  Asopios  fährt  bereits  h  xagnov  {vyxo/uidij  um 
den  Peloponues  (III  15.  16). 

41.  (S.  441).    Wilhelm  Herbst  der  Abfall  Mytilene's.    Köln  1861. 

42.  (S.  444).  Proxenoi  in  Mytilene:  Thuk.  III  2.  Arist.  Polü.  p.  1304. 
Sauppe  de  proxenia.  Index  lect.  Gotting.  1877 — 78  p.  8. 


Digitized  by  Google 


*  S56 


A>.MKK  HUNGEN  ZUM  VIERTEN  BUCH. 


43.  (S.  447).  Archidamos  und  die  Platüer:  Thuk.  II  72.  Durchbrach: 
Thak.  IU  20-21.    Diodor  XII  56. 

44.  (S.  449).  Vierter  Einfall:  Thuk.  III  26.    Fall  von  Mytilene:  c.  27 f. 

45.  (S.  450).  Durch  die  Belagerung  Polidaias,  die  grofsen  Flottenzage, 
und  die  in  Folge  des  Kriegs  dauernd  slationirten  Geschwader  (Thuk.  III  17), 
sowie  die  in  Attika  selbst  unter  Waffen  beGndlichen  Streitkräfte  haben  die 
Athener  in  den  3  Jahren  von  87,  2  bis  Anfang  88,  1  die  im  Beginn  des  J.  87, 
2  auf  der  Akropolis  vorhandenen  6000  Talente  bis  auf  die  als  eisernen  Bestand 
angelegten  1000  Tal.  (Thuk.  II  24)  vollständig  aufgebraucht.  Unter  Er- 
rechnung der  jährl.  einlaufenden  Tribute  der  Bandesgenossen  berechnet  dar- 
nach Kirchhoff  z.  Gesch.  d.  athen.  Staatsschatzes  S.  30  die  Kriegskosten 
Athens  während  der  ersten  3  Jahre  auf  mindestens  7400  Talente,  also  auf 
das  Jahr  durchschnittlich  2466%  Tal.  6vo  ^vQta^eg  ieSv  üqfioTixdiv  Kfov  ir 
it Hat,  Ittytpots  Aristoph.  Vesp.  709.  —  Nur  ein  INutbbehelf  war  die  damals 
ausgeschriebene  erste  ttotpoga:  Th.  III  19.  Böckh  Staatsh.  I3,  555.  Die  tloqoQtz 
mit  Unrecht  angezweifelt  Busolt  Philol.  XLI  S.  691.  Beloch  Rh.  N.  39,  34. 
Dagegen  Frankel  zu  Böckh  Arno.  S.  114*. 

46.  (S.  452).  Betrag  des  Richtersolds  150  Tal.:  Vesp.  663.  Ueber  Zeit  und 
Wirkung  des  von  Kleon  erhöhten  Gerichtssoldes  (Ar.  Ritt.  800)  Meier  und  Schü- 
mann Att  Proz.  S.  136.  Böckh  l3,  295.  Vier  Obolen  nach  Wachsmuth  Rh. 
Mus.  34,  161;  dagegen  Fräokel  zu  Böckh  2',  67*.  Man  macht  sich  beliebt  durch 
kurze  Sessionen.  Servilität:  nQoaxvvtTv,  aXtüntxi&iv  Arist  Vesp.  516.  1241; 
die  neue  Demagogie  ov  npos  ftovoixov  h*  lailv  di^gbi  ovtä  xQ*l<Hov  J°ve 
TQonovsEqq.  191.  Kl.  alsRedner  nttQttßagio  t£  ij&ovs  oxijpa  Schol.  Aischio.  I  26. 
Mundgerecht  reden:  xttQvxonoulv  Eqq.  343.  Prozess  des  Veteranen  ThuLy- 
dides:  Aristoph.  Acharn.  702.  Vgl.  Sauppe  de  causis  magnit.  iisdem  et  labis  Ath. 
p.  22.  Droysen  zu  Aristophanes.  Ach.  702.  Kleons  Bereicherung:  Meier  Op. 
acad.  I  192.  —  Kleon  ist  des  Perikles  Nachfolger,  indem  auch  er  ein  per- 
sönliches Regiment  anstrebt  und  erlangt.  Den  sittlichen  und  politischen  Ab- 
stand zwischen  beiden,  den  man  in  neuerer  Zeit  zu  verwischen  bestrebt  ist, 
betont  mit  vollem  Rechte  Wallichs  Thukydides  und  Kleon,  Flensburger  Pro- 
gramm 1866. 

47.  (S.  454).    Richtersold  aus  Arkadien:  Aristoph.  Ritter  797  Schol. 

48.  (S.  458).  XiUoi  in  Mytilene:  Herbst  a.  a.  O.  S.  13.  —  Kleoo's  Strenge 
(Thuk.  III  37  f.)  hängt  mit  dem  Grundsätze  zusammen,  dass  jeder  Demos  für  seine 
Regierung  verantwortlich  sei.  Den  edlen  Diodotos  kennen  wir  nur  aus  seiner 
Rede  (c.  43 — 48),  in  welcher  Thukydides  ihm  ein  unvergängliches  Denkmal 
gesetzt  bat.  Wallichs  a.  a.  O.  S.  7  ff.  —  Schicksal  der  Mytilenäcr:  c.  50. 
Die  ganze  Insel  mit  c.  10  DM.  =  xi  Attica;  davon  Methymna  c.  %.  Der  Grund- 
besitz (vorzugsweise  in  Händen  der  Oligarchen)  wird,  in  3000  Loose  getheilt, 
Eigenthum  der  Kleruchen  und  der  Götter.  Die  zurückbleibenden  Insulaner 
werden  Pächter  auf  ihrem  Boden ;  der  attische  Kleruche  erhält  jährlich  200 
Drachmen,  die  dem  unbemittelten  Bürger  als  Zuscbuss  dienen.  In  seinem 
Interesse  ist  die  ganze  Einrichtung  getroffen,  nach  welcher  die  neuen  Ein- 
künfte nicht  der  Staatskasse  zufliefsen.  Herbst  Jahresbericht  über  Thuk. 
Phil.  XLII  723.   Holzapfel  Rhein.  Mus.  37  S.  448  nahm  eine  Lücke  bei  Thuk. 


Digitizeci  by  Google 


ANMERKU.NGE*  ZUM   VIERTEN  RUCH. 


857 


an,  io  der  eine  beschrankende  Bestimmung  eothalten  gewesen  sei,  weil  sonst 
nach  Müller-Strübings  Berechnung  der  Pachtzins  zu  niedrig  bemessen  and  das 
ganze  Verfahren  Athens  nnpolitisch  gewesen  sei.  Dagegen  Stahl  Rh.  M.  38 
S.  143  and  wiederum  Holzapfel  S.  674.  CIA.  IV  n.  96  bezeugt  die  Fortdauer 
einer  gewissen  Selbständigkeit  von  Mytilene. 

49.  (S.  462).    Tbuk.  III  52—68. 

50.  (S.  465).  Korinthische  Partei  in  Kerkyra:  Thuk.  III  70.  Nikostratos  : 
c.  75;  Earymedon:  c.  SO.  Sittliche  Polgen  der  Parteikampfe:  c.  82  f.  (näaa 
fdVa  xaxoiQonfas  xal  tö  <ün£*c,  ou  io  ytvvdiov  nktiaiov  //fr/jw,  xara- 
ytXad&ly  Tjifttyio&T]). 

51.  (S.  467).  Herodot  hat  nach  Ende  428  sein  Werk  liegen  lassen:  Kirch- 
hoff Eotstehungszeit  des  Herod.  Geschichtswerks  S.  27. 

52.  (S.  469).  Zweites  Auftreten  der  Pest  uud  Erdbeben:  Thuk.  III  87. 
89.  Trachis:  Tbuk.  III  92.  93.  Diod.  XII  59.  Ueber  die  Gründung  der 
Colooie  Herakleia  R.  Weil,  Hermes  7,  3810*.  In  Beziehung  zu  Ilerakleia 
stand  auch  die  im  Nikiasfriedcn  Tbuk.  V  18  erwähnte  Besetzung  von  Pteleon 
io  der  Phthiotis  Magnesia  gegenüber,  welche  zur  Beherrschung  des  pagasäi- 
schen  Golfs  dienen  sollte. 

53.  (S.  469).    Nikias'  Unternehmungen:  Thuk.  III  91. 

54.  (S.  472).  Demostheoos  vor  Leukas:  Thuk.  III  94.  Pläne  Tür  eine 
Cootinentalmacht:  c.  95.  Die  Messenier  io  Naupaktos  stellen  dem  D.  vor, 
fitya  pkv  tivai  xo  itZv  uiltultüv  xal  päxtfiov,  oixovv  dk  xata  xcu/uac  u.  s.  w. 
Aetolischer  Feldzog:  c,  95 — 98.  (sfrjiuooMvTjs  »*pl  Navnaxrov  vn€l({<f&tjt 
ioii  7t(Tt(>ayfii£vots  q>oßovfievos  Tovest&t)va(ovs).  Eurylochos'  Angriff  auf  Nau- 
paktos:  c.  100 — 102.  Loiting  Mitth.  IX  313  (Zug  durch  das  ozolische  Lokris 
nördl.  um  den  Parnass). 

55.  (S.  474).  Kämpfe  bei  Olpai:  c.  105  ff.  Menedaios'  Vertrag:  c.  109. 
Niederlage  der  Ambrakioteo:  110—113.  Vertrag  zw.  Akarn.  und  Ambrakia: 
c.  114.    Vgl.  Ullrich,  der  Kampf  am  Amphilochieo,  Hamburg  1862. 

56.  (S.  475).  Feier  im  Thargelion:  Böckh  Abb.  der  fierl.  Akad.  1834 
S.  6.  Schmidt  de  vita  Niciae  p.  9.  Feier  der  Delia  als  Penteteris  fitia  ryjv 
xa&ctQOiv  Thuk.  III  104,  nach  Robert  (Hermes  21,  162  f.)  unmittelbar  nachher 
im  Monat  Uqos  =  att.  Antbesterion.  Damit  in  Verbindung  der  neue  Apollo- 
tempel u.  a.  Prachtbauten  nach  Furtwängler  Arch.  Ztg.  XL  S.  363. 

57.  (S.  478).  JfifAoa9irn  rfi  ovu  töitorrj  pua  xr^v  dyrt^Of^atv  rijv 
1$  'AxttQVaviaf  ai/roj  dti]&h"ti  tlnov  £pq0#cu  rais  vaval  Javiaie,  i/y  ßovXrjTat, 
nfQl  IItXo7t6vvr)Oov:  Thuk.  IV  2,  4.  Demosth.  in  Pylos:  c.  3  —  12.  See- 
schlacht im  Hafen:  13.  14.    Waffeostillstaud:  16. 

58.  (S.  479).  Spartanische  Gesandtschaft  in  Athen:  Thuk.  17 — 20.  Kleon 
(avrjQ  ötijxaytoyas  xai  ixtTvov  lbv  xqovov  iuf  xal  t<ß  nXij&et  mSavtüTaios): 
21.    Wallichs  Thokydides  und  Kleon  S.  16. 

59.  (S.  4SI).  Ueber  den  cooservativen  Charakter  der  Komödie  vgl.  Leo 
Quaest.  Aristoph.  p.  20.  Perikles  bei  den  Komikern:  Plot  Per.  3.  Arist. 
Acharn.  523  ff.  Eupolis:  tplvaqia  navrf  toil  rtQÖg  töv  II.  Arist.  Babylonier 
ein  Jahr  vor  den  Acharnern  aufgeführt.  Stirnzeichen  der  Babylonier: 
Hesych.  'loiQiavä  Meineke  Fr.  Com.  Att  2,  973.  Gilbert  S.  148.   Arist.  und 


Digitized  by  Google 


858 


ANMERKUNGEN   ZUM   VIERTEN  BICH. 


die  Bundesgenossen:  Aeharo.  628  ff.  Kleoos  Klage  wider  Arist.:  Acharn.  503, 
vgl.  631  f.  Von  einer  ehren  rührigen  Klage  Xcinortt&ov  gegen  die  Ritter 
Schol.  Arist.  Ach.  6.  Ritter  226.  Vgl.  Keck  zu  V.  442,  Wähdel  de  Cleonia  ap. 
Arist.  persona. 

60.  (S.  4S3).  Verhandlungen  fiträ  rar  Tlvltp  Arist.  Friede  667  (Eirene 
mit  einer  ganzen  Lade  annehmbarer  Vorschläge  anoxdQoroyij&iiaa  rp)c  Ir 
trjxxlrjafq),  Archeptolemos  (als  freiwilliger  Vermittler?)  <j{qw  ri)V  (Iq^vjjv: 
Ritter  794.  Die  'Ritter'  noch  im  siebenten  Kriegsjahre  aufgeführt.  Das«  in 
diesem  der  Friede  nicht  zu  Stande  gekommen,  sondern  von  Neuem  (hos 
yodoov)  die  Einpferchung  des  Volks  in  Aussiebt  stehe,  dafür  wird  Kleon  allein 
verantwortlich  gemacht.  Vgl.  Kock  zu  V.  793.  Thukydides  IV  21  nennt  bei 
dieser  Gelegenheit  zumeist  Kleon  als  Demagogen  (=•  t©5  nXj&et  nt&arwttros), 
ohne  üble  {Nebenbedeutung. 

61.  (S.  486).  Belagerung  von  Sphakteria  fortgesetzt:  c.  23.  26.  Kleon 
und  Nikias:  27.  28.  Wallicha  a.  0.  21  ff.  Kleon  in  Pylos:  c.  29—39;  rtöv 
iv  LTvXtp  crgarijytSv  $va  7iQootXo/Lttvoc  stijuoo&ivrjv  (c.  29).  D.  seit  wann 
Strateg?  Nach  Droysen  (Hermes  9,  S.  18)  vor  Kleons  Abfahrt  gewählt.  Dass 
die  Strategenwahlen  auch  am  Ende  des  Munychion  stattfanden,  haben  neuerdings 
Droysen  a.  a.  0.  und  Gilbert  (Beiträge  S.  10  ff.)  eingehend  begründet  nnd 
wahrscheinlich  gemacht.  Vgl.  Löschcke  de  tit.  Att.  Es  bleibt  aber  immer 
schwer  zu  begreifen,  welches  Verfahren  man  bei  Expeditionen  nach  entfern- 
teren Gegenden  oder  bei  Flotteozügen  nach  dem  Norden  angewandt  hat, 
wo  man  mit  der  Absendung  nicht  bis  zur  Sommermitte  warten  konnte. 
Darum  glaubte  ich  annehmen  zu  dürfen,  dass  man  aus  unverkennbaren  Zweck- 
mäfsigkeitsgründen  bei  Verlegung  des  Jahresanfangs  die  Strategenwahl  am  Ende 
des  alten  Jahrs  festgehalten  habe.  Dann  konnte  während  der  Wintermonate 
unter  den  Augen  der  neoernannten  Feldberrn  die  Rüstung  und  die  Feststellung 
der  neuen  Operationspläne  erfolgen  und  n/i«  roy  tagt  eine  zusammenhängende 
Action  begonnen  werden.  Mit  einem  solchen  strategischen  Jahre  schien  auch 
die  thukydideische  Behandlung  der  Kriegsjahre  am  besten  in  Einklang  zu 
stehen.  —  Demosthenes  bleibt  auch  nach  der  Uebergabe  von  Spb.  als  Strateg  an 
der  peloponnesischen  Küste  s.  CIA.  I  n.  273  Z.  16  aus  der  4.  Prytanie  des 
Archoo  Stratokies.  —  Antheil  der  Messeoier  sowohl  bei  der  Verteidigung  von 
Koryphasion  (Thok.  IV  3,  9),  als  auch  beim  Angriff  auf  die  Insel:  Peos.  IV  26; 
ihr  Führer  Komon:  Thok.  c.  36.  U&rjvatot  —  Ntxtjs  ay£9rjxav  ayalua  iv 
axQonölH  xalxovy  ig  fivrjurjv  icäv  iv  £(faxir]Q/q:  Paus.  IV  36,  6. 

62.  (S.  487).  Kosten  der  Belagerung  von  Potidaia:  Thuk.  III  17.  Uebcr 
die  in  den  ersten  drei  Kriegsjahren  von  Athen  aufgebotenen  Geldmittel  s.  oben 
Anm.  45  zu  S.  450.  Krisis  der  attischen  Fioanzwirthschaft:  Kirchh off  Athen. 
Staatsschatz  S.  47.  Herabsetzung  des  Zinsfußes  CIA.  I  p.  146f.  Eio<fOQai 
Thuk.  III  19.  Kleoos  Betheiligung:  Gilbert  Beiträge  S.  129  f.  Die  in  zahl- 
reichen Fragmenten  erhaltene  Steinurkunde  der  Neuschätzung  (CIA.  I  n.  37) 
hat  U.  Köhler  in  seinen  Urk.  und  Untersuch,  z.  Gesch.  des  del.  att.  Seebunds 
S.  63ff.  zum  ersten  Male  vollständig  zusammengestellt  und  erläutert  (S.  142  ff). 
Der  neue  Tribut,  bei  den  verschiedenen  Städten  verschieden,  theils  mehr,  theils 
weniger  als  das  Doppelte  des  früheren;  in  ganz  vereinzelten  Fällen,  wie  bei 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZL'M   VIERTEN  EICH. 


859 


Thasos,  wird,  wohl  auf  Grand  besonderer  Verträge,  der  bisherige  Betrag  bei- 
behalten. Syntelien*.  Köhler  S.  149.  Noch  nicht  gesteuert  hat  Melos  (15  Tal.); 
nicht  mehr  steuern  die  bottiäiscb-cbalkidischen  Städte  and  diejenigen  am  Pontos 
(Köhler  S.  74.  Kirchhoff  CIA.  I  p.  23).  —  Tributsumme  zar  Zeit  des  Nikias- 
friedens:  nltov  r  tftaxöaia  xal  x^'a  Andoc.  de  pace  9.    Aeseh.  de 

f.  I  175.  Gesamtbetrag  der  Einkünfte  Athens  422;  89,  2  tyyvg  4iox(Xia  t«- 
Xttna  Arist.  Wesp.  660.  Ungenau  Plut.  Arist.  24:  IltQixXiovg  anojhtvovroe 
InnttvovTfs  ol  örifiaytoyol  xarit  ftixQov  tte  xilitov  xal  JQtaxootwr  raXavrmv 
xHpdXawv  avyyttyov.  —  yfp/«/*«  ctQXV  nach  Köhler  S.  64. 

63.  (S.  488).  Von  einem  dominirendeo  Einflass  des  Alkibiades  auf  die 
Tributerböbung  weifs  nur  der  Verfasser  der  Pseudo-Andokideischen  Rede  wider 
Alkibiades.  Wie  wenig  Glauben  diese  Angabe  verdient,  hat  Köhler  S.  150 f. 
uberzeugend  nachgewiesen.  Dass  Alkibiades  einer  der  10  (oder  nach  Kirchh.  8) 
jaxrat  gewesen  sei,  überliefert  blofs  Ps.-And.  11,  und  ist  nicht  unverdächtig. 
Plotarch  erwähnt  eine  Thätigkeit  des  Alk.  bei  der  Triboterhöhung  nirgends. 
—  jiltibf  ft(  yfyvti  xa)  naoiß  yijg  ßaadtvag:  Arist.  Ritt.  1087.  Ueber  andere 
Orakelsprüche:  v.  60.  996 IT.  —  Strafbestimmungen  gegen  Prytanen  nnd  Pro- 
edreo  kommen  auch  sonst  vor;  Köhler  S.  65  vergleicht  die  in  dem  Gesetz  wepen 
tntXfiQOToWtt  rofitav  (Dem.  XXIV  22),  wo  1000  Dr.  festgesetzt  werden,  in  der 
Schätzungsurkunde  10,000  Dr.  —  Anspielungen  auf  die  Tributerböbung  und 
dabei  vorgekommene  Unregelmäßigkeiten:  Ar.  Ritter  314.  759.  803.  839.  1034. 
Wesp.  667.  698,  s.  Köhler  S.  150.  —  Antiphons  Rede  Tür  Lindos  (Orat.  Att.  ed. 
Müller.  II  p.  125f.),  Tür  Samothrake  (p.  228f.):  Köhler  S.  150.  Ausbeutung  der 
Städte:  tm?  <ft  ovfifitxxtuv  foftov  rovs  7ta%tTs  xttl  7iXoirtf(ov(.  Aristoph.  Pn.x  6.39. 
Epimeleten:  Böckh  Staatsh.  I9,  91,  CIA.  I  38.  Thuk.  IV  75:  ol  rtöv  agyvgoXoywy 
jf&Hvaitov  OTQarrjyoC,  Lamachos'  Unglück  bei  Herakleia:  Justinus  XVI  3. 

64.  (S.  490).  Solygeios:  Tbuk.  IV  42.  Peloponncsos  2,  748.  Kerkyra:  c.  46. 

65.  (S.  491).  Kythera:  Thuk.  IV  53.  Für  diesen  Seezug  erfolgt  in  der  9. 
Prytanie  von  01.88,  5  die  CIA.  I  n.  273  Z.  20  erwähnte  Zahlung  von  100  Tal. 
Ueber  den  auf  Grund  des  Scholions  zu  Ar.  Wesp.  718,  in  welchem  Philo- 
choros'  Atlbis  erwähnt  wird,  bisher  irriger  Weise  angenommenen  Feldzog  der 
Athener  gegen  Euboia  im  J.  des  Archon  fsarchos  Sqxovtos  'lactQXov  vergl. 
Kirchhoff  Klerochien  S.  20.  Böckh  1\  S.  113. 

66.  (S.  495).  Böotischer  Krieg:  Thuk.  IV  76  f.  Delioo:  89— 99.  Thuk.  IV 
91  berichtet  von  11  Böotarcben;  da  aber  IV  93  nur  7  Städte  erwähnt  werden, 
und  auf  den  allerdings  nicht  bis  ins  4.  Jahrh.  reichenden  Inschriften  regel- 
mäfsig  7  Städte  durch  Beamte  vertreten  sind,  wobei  von  den  5  schwächeren 
Städten  (oder  mit  Oropos  6)  des  Elfstädtebonds  immer  nur  2  auftreten,  wird 
es  wahrscheinlich,  dsss  auch  bei  Tbuk.  c.  91  die  Siebenzahl  ursprünglich 
überliefert  war,  s.  Lolling  Mittfa.  d.  D.  Arch.  Inst.  3,  S.  86  ff.  JlaQttvofiia, 
dotßttv  durch  Zwangslage  des  Kriegs  entschuldigt  Thuk.  IV  98. 

67.  (S.  498).    Brasidas:  c.  80. 

67*.  (S.  499).  Vgl.  Kirchhoff  über  die  Abfassungszeit  der  Schrift  vom 
Staate  der  Athener.    Abhandl.  der  Berl.  Ak.  d.  Wiss.  1878. 

f  68.  (S.  506).  Fall  der  thrak.  Städte  c.  84—88;  von  Amphipolis  c.  102f. 
Brasidas'  Angriff  auf  EYon  vereitelt :  c.  107.  Thuk.  verbannt:  V  26  Swtßn  (tot 


Digitized  by  Google 


860 


ANMERKUNGEN  ZUM   VIERTEN  BUCH. 


tf*vyav  rtjv  tfwvTOv  frrj  itxooi  fJttit  ii/v  /ff  l4fit<pinokiv  aiQatrfylav.  Vgl. 
W.  Onckeu  Brasida*  und  der  Geschichtschreiber  Thok.  in  der  Historischen 
Zeitschrift  19,  S.  289  ff.,  der  nach  Grote  nnd  Mure  'das  Schweigen  dea  An- 
geklagten zu  den  zahlreichen  durch  nichts  entkräfteten  Indicien  der  Wahr- 
scheinlichkeit seiner  Schuld  rechnet'.  Die  von  Oocken  bezweifelte  Unzuver- 
lässigkeit  der  Bergwerkdistrikte  erhellt  ans  dem  unmittelbar  folgenden  Ab- 
falle der  thasischen  Colonien :  Thok.  IV  107.  So  viel  Vertrauen  dürfen 
wir  doch  wohl  zu  Thuk.  haben,  dass  er  einen  triftigen  Grund  hatte,  seiaa 
Station  bei  Thasos  zu  nehmen.  Thuk.  ist  ebenso  verurteilt  worden  wie  Phor- 
mion  S.  431.  Die  Feldherrn  mussten  auch  unschuldig  für  Misserfolge  bbTsen. 
Vgl.  Hiecke  Hochverrath  des  Thuk.  Berlin  18G9.  —  Kleons  Beteiligung  an 
Th.s  Verbannung:  Marcellin.  46  vgl.  Schol.  Aristoph.  Vesp.  947.  Meier  de 
bonis  damnat.  179.  Jahrb.  f.  Phil.  1861  S.  685.    Gilbert  Beitrage  S.  196. 

69.  (S.  506).  Eupolis'  Hoias  wurden  aufgerührt  um  die  Zeit,  da  die 
Spartaner  den  Krieg  nach  Thrakien  verlegten.  Vgl.  Meineke  Fragm.  Com. 
Att.  II  509.  Darstellung  der  Städte  mit  ihren  Wappen:  Gilbert  Beiträge  S.  149. 

70.  <S.  510).  Akte:  Thuk.  IV  109.  Torooe  und  Lekythos:  110  —  116. 
Friedensstimmung  in  Sp.  und  Ath.:  117.  Pleistoanax  auf  dem  Lykaioa 
t\(iiav  xijc  olxtas  tov  Ugov  tov  dios  olxtur:  Thuk.  V  16.  Peloponnesos  1,  303. 
Orakel  Weisung:  Jibg  vlov  rjfji$£ov  to  an(Qua  Ix  rrjs  alXotQlas  (s  rqV 
iavjvöv  avatpfqitv  tl  &  f*ij,  ttQyvgtq  tiilaxq  cvlafriv  Thuk.  e.  16. 

71.  (S.  512).  lieber  die  Ursachen  der  Feindschaft  zwischen  Kleoo  und 
den  Rittern  Theopompos  beim  Schol.  zu  Ar.  Rittern  226.  Aristopfaanes'  Kämpfe 
mit  Klcon :  Bergk  in  Schmidts  Zeitschr.  Pur  Gesch.  2,  206. 

72.  (S.  513).  Waffenstillstand:  Thuk.  IV  117—119.  Lache«  als  eia  Fuhrer 
der  Friedenspartei,  von  Kleoo  angegriffen,  Ankluge  wegen  xloni]  Japoefo»* 
Gilbert  S.  201. 

73.  (S.  515).  Fortsetzung  des  tbrakischen  Kriegs:  Thuk.  IV  123 f.  Ver- 
trag des  Perdikkas  von  Makedonien  mit  Athen :  CIA.  I  n.  42  und  43,  s.  Kirch - 
hoff  Abh.  der  Berl.  Akad.  1861  S.  595ff.  Mende:  Thuk.  IV  129.  130.  Skione: 
131.  Lakedämooische  Verstärkung  in  Thessalien  aufgehalten:  132.  Antiphon 
in  Thessalien:  Arist.  Wesp.  1270. 

74.  (S.  515).  Anastasia  der  Delier:  Thuk.  V  1.  Bbckh  Abh.  der  Berl. 
Akad.  1834  S.  6. 

75.  (S.  518).  KUtov  o*e  li&rryatovs  ndaas  ig  t«  in\  Bo4*Ve  X^Q** 
t&nUvat  Thuk.  V  2,  vgl.  16  hc&yrjxH  KUotv  re  xal  Bgaotdas,  öftre?  a/u- 
(for^Qot&ev  fidltoja  ffvaniovrro  ry  ttQrjvrj,  6  fiXv  ö*ta  ro  tirrv^ttv  re  xal  ti- 
fiuodttt  ix  tov  noXtftiiVj  6  d£  yivof*ivt\t  »}atyf/«f  xaTatpaviöTtQot  voftf£tov 
ilvai  xaxovoyuiv  xal  dntoi6t(QO(  SiaßtllXtav.  Wallichs  Thukyditles  und  Kleoa 
S.  33 ff.  —  Torooe:  Thuk.  c.  2.  3.  Schlacht  bei  Amphipolis:  c  6— 11.  Die 
fürHagnon  (S.  261)  gestifteten  Heroenehren  c.  11,  2  auf  Brasidas  übertragen: 
Lampros  r«  xaia  rote  olxiaras  Ttov  nag*  "Ellr)OW  anoixttöv  Lips.  1873,  p.  51. 

76.  (S.  521).  Nikiasfrieden  c.  14— 20.  finndniss  mit  Bottiäern  :  CIA. 
I  n.  52.  Auf  die  Reise  der  zum  Friedensschluss  naeh  Sparta  geschickten 
athenischen  Gesandten,  welche  den  Landweg  über  Phlins  und  Alea  einschlugen, 
bezieht  Köhler  (Mitth.  des  D.  Archäol.  Instit.  1,  S.  172)  CIA.  I  n.  45;  der  Ab- 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  VIERTEN  BUCR 


801 


tragsteiler  Thrasykles  gehört  zu  den  athen.  oQxtoia(  des  Friedensvertrags.  —  Ende 
des  SixtKrijs  noXt/uog  oder  7IqÖj7os  7i6lifio$y  nach  dessen  Abschluß  Tbukydides 
seine  Geschichte  auszuarbeiten  begann:  Ullrich  die  Benennung  des  Pelopoones. 
Kriegs.  Unklar  ist  der  rechtliche  Zustand  zwischen  Ablanf  des  Waffenstillstands 
und  dem  Friedensschluss:  nach  dem  Wortlaute  voa  Thuk.  V  1  moss  mit  den 
Pythien  (Mitte  Angust:  Monatsber.  der  Berl.  Ak.  1864  S.  135)  in  Griechenland 
eine  faktische  Waffenruhe  eingetreten  sein,  welche  von  den  beiderseitigen 
Friedensparteien  zur  Fortsetzuug  der  Verhandlungen  benutzt  wurde,  lieber 
den  Friedensschluss:  E.  Müller  de  anno  quo  bell.  P.  iuitium  ceperit  p.  22. 
'OQxuxai  17  auf  jeder  Seite;  unter  den  Athenern  nachweislich  11  strategische 
Mäaner:  Droysen,  Hermes  9,  14. 

77.  (S.  526).  Ueber  die  Kantonalbildong  Siciliens  Julias  Schubring,  Uui- 
wanderung  des  megarischen  Meerbusens,  in  Zeitschrift  für  allgemeine  Erdkunde 
Neue  Folge  17,  S.  435. 

7$.  (S.  528).  Kleaodros  und  Hippokrates:  Herod.  VII  154.  Aristot.  Pol. 
p.  1316a  37  (231,  25).  —  Zankle:  Herod.  VI  23.  Im  Allgemeinen:  Brunet 
de  Presle  Rechercbes  sur  les  Etablissements  des  Grecs  eo  Sicile  1845. 

79.  (S.  529).  Akrai:  Thuk.  VI,  5.  Sehubring:  Akra— Palazzolo  in  Jahrb. 
f.  kl.  Phil.  Suppl.  IV  S.  661.    Enna:  Steph.  Byz.  u.  d.  VV. 

80.  (S.  531).  Revolution  in  Syrakus:  Herod.  VII  155.  Chronologie  der 
Deinomeniden:  Aristot.  Pol.  p.  1315  b  34  (230,  14).  Geloo  stirbt  im  achten  Jahre 
seiner  Tyrann is.  Hieron  regiert  10  Jahre  und  stirbt  78,  2;  468  —  7;  sein 
Regierungsantritt  fallt  also  76,  1;  477—6  (Plass  Tyrannis  1,  295);  darnach 
ist  Geloo  seit  71,  2;  484—3  Herrscher  in  Syrakus,  nachdem  er  72,  4,  492—1 
Herr  von  Gela  geworden  ist.  —  Scheinbare  Anerkennung  der  Volkssou- 
veränität: Diod.  XI  25.  Plass  294.  Widerwillen  gegen  den  Demos:  Herod. 
Vn  156. 

81.  (S.  534).  Gelons  Macht:  Herod.  VII  156 f.  Die  Gesandtschafts- 
berichte:  c.  157 f.  Das  Gleicbniss  vom  Frühjahre,  dessen  sich  Her.  VII  162 
bedient,  hatte  Perikles  nach  Arist.  Rhet.  I  7;  in  10  in  seiner  wahrscheinlich 
am  Ende  des  samischen  Kriegs  (440 — 39)  gehaltenen  Leichenrede  gebraucht 
(Kirchhoff,  Entstehungszeit  des  Herod.  Geschichtswerks  S.  19).  Was  Kadmos 
betrifft,  so  halte  ich  ihn  trotz  Lorenz  Epicbarmos  S.  62  und  Holm  I  411  für 
den  Sohn  desselben  Skythes,  welcher,  aus  Zankle  vertrieben,  am  Perserhofe 
starb.  Einige  Jahre  (ov  noXXfp  vartQov  Thuk.  VI  4)  nach  Vertreibung  des 
Skythes  bemächtigt  sich  Anaxilaos,  der  sich  inzwischen  in  Rhegion  hin- 
länglich befestigt  hatte,  der  Stadt  Zankle  und  nennt  sie  seiner  Heimath  zu 
Ehreu  Messana.  Nun  kehrt  Kadmos  zurück  und  behauptet  sich  dort  in  Ver- 
bindung mit  den  in  der  Stadt  zurückgebliebenen  Samiem.  (1er.  VII  164 
unterscheidet  die  beiden  Katastrophen  der  Stadt  nicht  genau,  doch  deutet  er 
das  wahre  Sachverhältniss  dadurch  au,  dass  er  von  ihm  sagt,  er  habe  in  der 
inzwischen  umgenannten  Stadt  seinen  Wohnsitz  genommen.  Vgl.  Stein  zu 
Her.  und  Siefert  Zankle-Messana  S.  15  ff.  Anaxilaos'  Epoche  auf  Münzen: 
Cat.  of  anc.  Coins  of  the  Brit.  Mus.  I  p.  373. 

82.  (S.  535).  Stier  des  Phalaris  Holm  I  150.  Phalaris'  Ende  Ol.  57,  4; 
549  Hieronymus.    Triltftaxov  rov  xtnalvauvros  rov  *.  nmq  yivira*  'Eppe- 


Digitized  by  Google 


S62 


ANMERKUNGEN  ZUM   VIERTEN  BUCH. 


vCdtiiy  ov  AlvriotöafAOS,  ov  &t)(mov  xal  Sivoxoaitjs  Schol.  Piod.  Ol.  III  68. — 
Terillos:  Berod.  VII  165. 

83.  (S.  536).  Karthago  im  sechsten  Jahrh.:  Th.  Mommsen  Rom.  Gesch.  1 «, 
S.  145.    Rhodier  und  Koidier  vou  Lilybaion  oach  Lipara:  Diod.  V  5. 

84.  (S.  537).  Ephoros  bei  dem  Schol.  Find.  Pytb.  I  146  (Fragm.  Hist. 
Gr.  I  p.  264)  ood  Diod.  XI  20.  Duncker  4,  S.  864  bezweifelt  die  gegenseitige 
Verabredung. 

85.  (S.  538).  Geogr.  minores  ed.  C.  Müller  1  p.  xvui.  Bahr  zn  Uerod. 
VII  165.  —  Aufser  Zusammenhang  mit  der  karthagischen  Co  Ionisation  steht 
ein  anderer  Periplus,  den  ein  Messaliote  wahrscheinlich  im  5.  Jahrh.  aas  dem 
Phönikischen  ins  Griechische  übersetzt  hat.  Dieser  liegt,  wie  MülleahofT 
Deutsche  Alterthnmskunde  1,  S.  202  f.  nachgewiesen  hat,  dem  griechischen 
Original  von  Aviens  Ora  maritima  zu  Grnode. 

86.  (S.  540).  Terillos'  Vertreibung  482.  Böckh  Expl.  Pind.  p.  117. 
Die  Griechen  strebten  darnach,  die  Geschichte  ausdrucksvoller  zu  machen; 
dazu  dienten  die  Gleichzeitigkeiten,  welche  die  Vorstellung  göttlicher  Nemesis 
belebten.  Kritik  der  Ueberlieferung:  Nicbuhr  Vorl.  üb.  alte  Gesch.  2,  123,  der 
das  wahre  Datum  der  Schlacht  um  mehrere  Jahre  früher  setzt:  xatä  rove 
aviovs  XQ<>V0VS  M8*  vorsichtig  Aristoteles  Poet  c.  23.  Vgl.  Bergk  Vcrh.  der 
Philol.  Vers,  zu  Halle.   S.  27.    Holm  I  416. 

87.  (S.  542).  Gelons  Andenken  in  Sic:  Plut.  Timol.  23.  Leake  Traus- 
action  of  tbe  R.  Soc.  of  Litt.  HI  370.  Harma  des  Gelon  in  Olympia:  Paus. 
VI  9,  4,  die  zagehörige  Künstleriuschrift  des  Aegineten  Glaokias:  Arch. 
Zeit.  36  S.  142  n.  186.  Mit  Gelons  Wagensieg  488  wird  zuerst  das  von  der 
Nike  bekränzte  Viergespann  Münztypus  auf  Tetradrachmen  von  Syrakus,  Gela  and 
Leootiaoi:  Gardeoer  Num.  Chron.  1876  S.  7.  Head  Num.  Chron.  1874  S.  7.  Ueber 
das  Grab  Gelons  die  widersprechenden  Nachrichten  bei  Diod.  XI  38  und  XIV  63. 

88.  (S.  544).  Agylläer  in  Delphi:  Herod.  I  167.  'O  'Ayvllafav  *«• 
lovpevos  dqaavQos:  Strab.  220.  Sieg  bei  Kymae:  Diod.  XI  51.  Strabon  24S. 
Pindar  Pyth.  I.  Helm  des  Hieron:  CIG.  n.  16.  Kirchhoff,  Studien  zur  Ge- 
schichte des  griech.  Alph.  S.  109  (4.  Aufl.). 

89.  (S.  544).  Lokroi  and  Rbegion:  Schol.  Pind.  2,  35.  Thrasydaios: 
Diod.  XI  53. 

90.  (S.  547).  Ischia  (Aivaota):  Strabo  248.  Aitne:  268.  Hieron  in 
Olympia:  siehe  S.  130  und  Anm.  66.  —  Ueber  Ergoteles,  Pindar  Ol.  XII, 
Arcbaeol.  Zeit.  36,  S.  159.  —  Phormis:  Paus.  V  27,  1.  Inschrift  des  Praxiteles 
in  Olympia:  Arch.  Zeit.  34,  S.  49.  u.  37,  S.  43.  Nach  Holm  (Archivio  Storico 
Siciliano  N.  S.  III  341)  wäre  Prax.  bis  484  bei  den  Söldnern  des  Glankos  in 
Kamarioa  gewesen,  dann  nach  Syrakus  gekommen,  und  hätte  als  Syrakusaner 
(vor  464)  das  Auatbem  gestiftet.  —  Motye:  Paus.  V  25,  5.  —  Münzen  von 
Rhegion  (aus  der  Zeit  des  Anaxilaos)  mit  dem  Maulthiergespaon :  Priedlaeoder- 
Sallet,  Kgl.  Müozkabinet  2  S.  184  n.  684.  —  Anatheme  des  Hieron:  Paus.  VI 
12,  1.  —  Ueber  die  Nike  und  ihre  Beziehung  zur  Agonistik  überhaupt: 
Imboof-Blumer,  Flügelgestalten  der  Athena  Nike  in  der  Wiener  iSuinisui. 
Zeitscbr.  3  (1871)  S.  22,  über  die  sicilischen  Siege  S.  24,  vgl.  A.  v.  Seilet, 
Zeitschr.  f.  Num.  1  (1873)  S.  228  f. 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM   VIERTEN  BUCH. 


863 


91.  (S.  549).    Aristoxenos,  Epicharms  Vorgänger  (Scho).  Aristoph.  Plut. 
4S7)  aas  Seiinas,  nach  Eusebios  des  ArehUochos  Zeitgenosse. 

92.  (S.  552).  Phormis:  Arist.  Poet.  5,  5;  Epicharmos:  Saidas  a.  d.  W., 
Lorenz  Leben  and  Schriften  des  Koers  Epicharmos  1864.  Zeit  des  Tbeaterbaus : 
Lorenz  S.  91.  Schobriog  im  Philol.  22,  S.  620.  Beziehung  zwischen  Krates 
und  Epicharmos:  Lorenz  S.  191,  208.    Aristoteles'  Poetik  von  Susemihl  S.  168. 

93.  (S.  553).  Sopbron:  Suidas  u.  d.  W.  Aasbrach  des  Aetna  Ol.  75, 
3;  479  nach  der  parischen  Marmorcbroaik  (siebe  Bdckh  im  CIGr.  II  p.  339); 
nach  Thukydides  Ol.  76,  1 ;  475,  der  von  einem  früheren  Ausbruche  nichts 
Genaues  erfahren  konnte. 

94.  (S.  554).  Aischylos'  zwiefacher  Aufenthalt  in  Sicilien.  Der  erste 
auf  Einladung  Hierons  c.  478—474.  Aufführung  der  Altvaiat  476  und  des 
Prometheus  (?).  Erste  Aufführung  der  Perser.  Heimkehr  vor  472.  Aufführung 
der  Perser  in  Athen  472,  der  Oresteia  458.  Zweite  Sicilische  Reise  nach  dem 
Sturze  des  Areopsgs  (siehe  S.  158,300).  Aischylos  stirbt  in  Gela  455.  Vgl. 
Kiehl  in  Mnemosyne  I  p.  364.   Lorenz  S.  83. 

95.  (S.  556).  Apollootempel  in  Syrakus  mit  Stufeninschrift:  Philologus 
XXH  361 ;  XXIV  567.  Cavallari's  Entdeckung  in  Himers:  Giornale  di  SicilU 
1864.    Jodids  13.  —  Olympieioo:  Siefert  Akragas  S.  31. 

96.  (S.  557).   Die  Wasserbauten  von  Syrakus  von  Schubriog  im  Philo- 
logus XXII  S.  577 — 638  zuerst  au  das  Licht  gezogen. 

97.  (S.  558).  lieber  die  Stempelschneidernamen  jetzt  ausführlich:  A.  von 
Sa  11  et,  Künstlerinscbriften,  Berlin  1871,  Münzen  von  Seiinas:  Arch.  Zeit. 
1660  S.  38  vgl.  Imhoof- Blumer  in  Benndorfs  Metopeo  von  Selinunt,  Anh.  S.  10. 
Ueber  die  Quadrigen:  Stuart  Poole  in  Transactioos  of  R.  S.  of  Literat.  X  p.  3, 
S.  6.  Barclay  V.  Head  Chronologie  Sequence  of  the  coios  of  Syracuse,  London 
1874.  Damaretioo  (Poll.  IX  85)  nach  Diod.  XI  26  aus  dem  von  Karthago  der 
Demarete  geschenkten  Goldkranze;  auch  Simooides  (fr.  142  in  Bergk's  PoetaeLyr.) 
spricht  von  xqvoos  AafittQdtos  (AaQ^nog  Dach  Meioeke  Oedip.  Col.  p.  316).  Des- 
halb hatte  Böckh  (Metrol.  Unters.  305)  das  Dcmaretion  für  eine  Goldmünze,  einen 
halben  Goldstater  betrachtet.  Dagegen  zuerst  Duc  de  Luynes  in  Revue  Num. 
1843,  und  nach  ihm  Mommsen,  Geschichte  des  röm.  Münzwesens  S.  70  und  alle 
neueren  Nauiismatiker,  die  das  D.  in  die  Reihe  der  silbernen  Dekadrachmeu 
setzen.  Vgl.  auch  Hultsch  de  Demaretio  argenteo  Syracusanorom  nummo  Dresd. 
1862,  und  Verbandlungen  der  Hall.  Philologenversammlung  1868  S.  40. 

98.  (S.  560).  Thrasybulos'  einjährige  Herrschaft:  Diod.  XI  66.  Ende 
derTyranois:  Arist.  Pol.  222  (1312  b  12)  und  230  (1315  b  38).  Cottas  des 
Zeus  Eleutherios:  Diod.  XI  72.  Zeus  Eleutherios  auf  Münzen  erst  in  der  Zeit 
des  Timoleon.  Leake  Numism.  Hell.  Ins.  79.  Head,  Coios  of  Syracuse  p.  26  f.  —  * 
Inessa:  Diod.  XI  76  (Ahvttioi)  txirjOano  irjv  vvv  ovaav  AXtyi\v,  ngb  tovrov 
xaXovfxtvif»  7yiJoffov.  Münzen  dieser  jüngeren  Stadt,  Aetna-luessa,  mit  kata- 
naischen  Typen  und  Aufschr.  ATTNA,  AITNAISIN,  Leake  W.  H.  Sicil.  59. 

99.  (S.  561).  Mikythos:  Herod.  VII  170.  Diod.  XI  48,  66.  Ueber  die 
Weibgeschenke  in  Olympia:  Paus.  V  26.  Zwei  dazu  gehörige  Bathra  mit  Weih- 
inschriften: Arch.  Zeit.  Bd.  36,  S.  138  n.  175;  Bd.  37,  S.  149  o.  300.  —  Peta- 
lismos:  Diodor.  XI  87  f. 


Digitized  by  Google 


864 


AMJERKUNCEN   ZUM  VIERTEN  BUCH. 


100.  (S.  563).  Uebcr  Korax  und  Tisias  Aristoteles  bei  Cic.  Brutus  §  46. 
Vgl.  Blass  Att.  Beredsamkeit  l'J  S.  17  f.  Voo  Tisias  das  erste  Lehrbach  (t^vt)) 
Blass  S.  21.  Empedokles  nach  Aristoteles  Erfinder  der  Rhetorik:  Diog.  Laert. 
VIII  54  c.  492-432:  Zeller  1*679,  Diels  Sitzangsber.  der  Preuss.  Akad.  1884, 
343  ff.  Diels  sacht  die  Anfänge  des  Prosastils  des  Gorgias  bei  Eoip.  nachzuweisen. 
Antiochos  (ntQl  'FtaUat  and  JEuttlttatis  ovyyQaify)  ^ragm.  Hist.  Gr.  I  181; 
von  Thukydides  benatzt  nach  Wölfl! in  Antiochos  von  Syrakus  and  Coelias 
Antipater  Leipzig  1872.  Söldner  im  Gebiete  von  Zankle:  Diod.  XI  76.  Siefcrt 
Zankle-Messana  S.  12.  Sicilien  nach  der  Vertreibung  der  Tyrannen:  Diod. 
XI  76. 

101.  (S.  564).  Einfloss  der  Zerstörung  von  Sybaris  auf  Krotoo:  Timaios 
fragm.  63  Göller.  Die  Niederlage  der  Krotoniateu  am  Sagras  muss  oach 
Justin.  20,  3.  Strab.  262  dem  Falle  von  Sybaris  gefolgt  sein.  IViebuhr  Rom. 
Gescb.  III  602.  Früher  setzt  sie  Millingen  Cousiderations  sur  la  numism.  de 
l'ancienne  Italie  p.  66,  mit  Heyne  Opusc.  II  184.  —  lieber  die  Gesandtschaft 
nach  Achaja  (Polyb.  II  7,  7):  Th.  Müller  de  Thuriorum  rep.  p.  24,  und  über  die 
Ausdehnung  des  Gebiets  bis  an  die  tyrrhenischen  Küsten  p.  30.  Polyaeo.  II  10. 

102.  (S.  565)  Tarents  iapygische  Kämpfe:  Loreotz  Tarentinorum  res 
gestae  1838  p.  9.  Verfassungskrisis:  Arist.  Polit.  p.  198,  7,  Monumente  in 
Delphi :  Brunn  Geschichte  der  gr.  Künstler  I  90. 

103.  (S.  566).  Versuchte  Wiederherstellung  von  Sybaris:  Diod.  XI  48. 
Schol.  Pind.  Ol.  II  29.  Fahrt  nach  dem  Adrias:  Böckh  Seeurkuoden  S.  137. 
Tfaem.  u.  Sybaris:  Plut.  Them.  32. 

104.  (S.  568).  Ueber  Thurioi  vgl.  Meier  Opusc.  academica  1  p.  213. 
Ikkos:  Plat.  Protag.  317.  —  Aach  die  Vasenfunde  von  Canusium,  Rubi,  Gnatia 
u.  s.  w.  zeugen  von  der  Blütbe  der  kleinen  sonst  unbekannten  Orte:  O.  Jahn 
Vasen  K.  Ludwigs  p.  XXXVI.  —  Euktemon:  Avienus  Ora  maritima  v.  350. 
Müllcnboff  Deutsche  Alterthumskunde  1,  S.  108 f.  Thurioi  und  Tarent:  Arch. 
Zeitung  37  S.  149. 

105.  (S.  569).  Abneigung  der  Athener  gegen  Kupfergeld:  Beule*  Monuaies 
d'Atbenes  p.  73.  Ueber  Diooysios  Böckh  Staatsh.  ls,  691.  Ueber  die  Ver- 
schmelzung des  Litra-  und  Dracbmensystems  Momiuscn  Geschichte  des  Rüiu. 
Münzwesens  S.  81,  83;  das  Tetradrachmon  eine  Stütze  des  attischen  Handels: 
Mommsen  S.  328.  Ueber  Kr^a  etc.  vgl.  O.  Immisch  de  glossis  lexici  Hesychiani 
Italicis,  Leipz.  Studien  VIII  p.  312.  Der  korinthische  Münzfufs  ist  nicht,  wie 
man  früher  glaubte  (Böckh  Metrol.  Unters.  S.  97),  von  Athen  entlehnt,  son- 
dern selbständig  abgeleitet  aus  dem  babylonischen  Goldtalente.  Vgl.  J.  Brandis 
das  Mafs-,  Gewicht-  uud  Münzwesen  in  V.-Asien  S.  60.  159. 

106.  (S.  571).  Athen  und  Sicilien:  ünttQOt  ot  noXXoi  rov  ftfyt&ovs  rrjf 
VTjOov  xal  iüv  it'oixovvrtov  rov  nlij&ovg  xal  %EU.r^vfav  xal  ßaoßaQcov  Thukyd. 
VI,  1.  FFaktxrj  Diod.  XI  88,  90.  Polemon  ed.  Preller  120  sq.  Kali]  ^xij: 
Diod.  XII  8, 29.  Vgl.  Ad.  Holm  Beiträge  zur  Berichtigung  der  Karte  des 
alten  Siciliens  1866  S.  26.  —  Bundesvertrag  mit  Rbegion:  CIGr.  n.  74,  CIA. 
I  33,  mit  Leontinoi:  CIA.  IV  33a,  die  von  Tfauk.  III  86  erwähnte  nalaiä 
Zvfipaxfa,  zu  Athen  für  beide  Städte  am  gleichen  Tage  abgeschlossen,  kurz 
nach  Absendung  der  beiden  Geschwader  nach  Kerkyra  (S.  366.  358):  Foucart 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  VIERTEN  BÜCH. 


865 


Kev.  Archeol.  1877,  1  8.  384  f.  H.  Droysen  Athen  u.  d.  Westen  S.  13,  der  die 
Identität  der  n.  ^i^^a/ia  mit  dem  rheg.  Bündniss  bezweifelt.  Kamarina: 
Schubring  Philologus  XXXII  S.  498  f. 

106-  .  (S.  572).  Gorpias:  Blass  Att.  Berede  1-S.  47.  Diels  Gorgias 
und  Empedokles.    Sitzungsber.  der  Pr.  Akademie  1884  S.  343. 

107.  (S.  574).  Erste  kriegerische  Betheiligung  Athens  an  den  sicilischen 
Händeln:  Thuk.  III  86.  Diod.  XII  54.  Philochoros  beim  Schol.  Arist.  Vesp. 
240.  Zahlung  der  Schatzmeister  in  der  6.  PryUnie  (426  Frühjahr)  t<  Zixt- 
JUccv:  CIA.  IV  179a.  Z.  10.  —  Einflass  der  Ilhegioer  auf  die  erste  Expedition: 
Holm  Geschichte  Sieiiiens  2,  405.  Lipara:  c.  88.  115.  Mylai  und  Messaua: 
90.  Laches  und  Rbegion:  99.  103.  Zweite  Gesandtschaft:  115.  Seegefechte: 
Thuk.  24.  25.  Kamarina:  25,  7.  —  Von  der  2.  Expedition  sagt  Thuk.  48: 
/ff  ii}V  2txtk£av  nnonliüaavifs  patt  ruiv  ixii  (v^fiax<of  tnoMuouVj  ohne 
Weiteres  darüber  anzugeben.  —  Zweifelhaft  bleibt  eine  anderweitig  nicht 
überlieferte  Expedition  der  Athener  zu  Anfang  des  peloponnes.  Kriegs  nacb 
Sicilien,  auf  welche  Holm  2,  S.  404  schliefst  aus  Timaios  fr.  99  bei  Tzetzes  zu 
Lykophr.  732,  wo  von  einem  ÖQopog  IttpnaSixos  zu  Ehren  der  Parthenope  in 
Neapel  die  Rede  ist,  den  Diotimos  eingesetzt  hat,  ort  arQarrjyog  iov  ruv 
A&t)vu(q}V  tnoltfiic  rotg  2txtlois. 

107*.  (S.  675).  Friedeostag  in  Gela  Thuk.  IV  58.  Die  Aristokratie  auch 
in  Sicilien  mehr  national,  die  Demokratie  particularistiseh.  Hermokrates'  Rede 
«/f  j6  xotvov  IV  59  —  64  im  Stil  des  Gorgias  (övofittn  Iwofty  —  (pvot *  u.  dgl.). 

108.  (S.577).    Phaiax:  V  4. 

109.  (S.  577).  Selious  und  Egesta:  Thuk.  VI  6.  Bestand  ein  Bündniss 
zwischen  Egesta  und  Athen?  Grote  4,  112  D.  U.  und  Meier  Andoc.  118  (Opusc. 
acad.  I  337)  folgern  dies  aus  Thuk.  VI  6,  wo  aber  AkQYiltwv  zu  ^vfxfm/iav  ge- 
hört. Hätte  ein  Bündniss  mitE.  bestanden,  so  würde  dies  anderswo  erwähnt  sein, 
und  die  Egestäer  würden  sich  nicht  erst  an  Syrakus,  Agrigent  und  Karthago 
gewendet  haben,  wie  Diodor  XII  82  berichtet.  Holm  2  S.  406  hält  das  Bünd- 
niss aufrecht. 

110.  (S.  580).  Unzufriedenheit  der  Peloponnesier:  Thuk.  V  17,  21. 
Friedensklausel  c.  23:  ijv  ti  «foxjj  Aaxtöaipovlots  xal 'Ad-rjvaiots  7iQoo9eivcu. 
xai  atfiXetv  7ieQ%  irjs  $v[i[AaxCuqy  o  rt  i)y  cfoxy,  (voqxov  afitfoityois  ttvat. 
Ol  nolXol  ai()ur)rfo  nobs  iouff  'ifyytiovg  c.  29.  —  Argivische  Kerntruppe: 
ol  xtXiot  loya6tsy  olg  »7  nöXis  ix  noXXot  aoxr\atv  ttov  /ff  töv  noXtpov  di^uo- 
atn  nctQti/tv  Thuk.  V  67.  —  Kallias  und  die  Argiver:  Her.  VII  151;  vgl. 
Anni.  100  zu  S.  185. 

111.  (S.  582).  Korinthische  Tagesatzung:  Thuk.  V  30.  —  Elis  und  Le- 
preon c.  31.  Peloponn.  1,  85.  Vgl.  v.  Sallets  Num.  Zeitschr.  II  185  'Münzen 
von  Olympia',  wo  ich  das  dXvfimxbv  vofttoptt  auf  diese  Zahlungen  bezogen 
habe.  —  Mantineia's  Grofsstaatsgelüste :  Pausan.  VIII  9;  Peloponnesos  1,  238. 
Pleistoanax  in  Arkadien:  Thuk.  V  33.  —  Die  Korinther  versuchten  damals 
von  Athen  eine  Waffenruhe  zu  erhalten,  wie  sie  bald  nach  Abschluss  des 
iMkiaafriedeus  den  Böotiern  in  der  Form  von  <T</V^tfoot  Intanoviai  gewährt 
worden  war:  Thuk.  c.  32;  auf  die  Verhandlungen,  welche  aber  erfolglos 
blieben,  bezieht  Kirchhoff  CIA.  IV  n.46a. 

Curtini,  Gr.  ÜMch.  II.  «.  Anfl.  55 


Digitized  by  Google 


660 


ANMERKTEN  ZUM  VIERTEN  BÜCH 


112.  (S.  585).  Friedeosbedingungen  nicht  ausgeführt:  Thak.  V  35  f.  Neue 
Ephoren:  c.  36.  Verhandlungen  über  Panakton:  c.  36.  39.  42.  Der  schwer- 
fallige Organismus  böotischer  Landesverfassung:  ol  BowtaQ/ai  (xoiyatOttv 
r«fc  riaoaoat  ßovlaTs  c.  38,  2.  Sparta 's  Streben  nach  Allianz  für  einen 
neuen  Krieg  im  Rucken  von  Athen.  Biindniss  zwischen  Sp.  und  Boeotien: 
c.  39. 

113.  (S.  586.)  Aristophanes'  Frieden  im  13teu  Kriegsjahre:  v.  990. 
Vgl.  Argum.  cod.  Ven.  —  Zahluog  Tür  Pompgcfässe  Ol.  90,  1:  CIA.  I  320.— 
Schatzgelder:  Böckh  Staatsh.  I3,  S.  473.  —  Reue  über  die  vorzeitige  Rückgabe 
der  Gefangenen :  Thuk.  V  35. 

114.  (S.  588).  Alkibiades'  Jugend:  Plut.  Alk.  1  —  17.  Vgl.  Hertaberg 
Alkibiades  der  Staatsmann  und  Feldherr  S.  18—72.  Alkibiades*  Erziehung: 
Plat.  Alk.  M22;  Protag.  320.  Ale  educatus  in  domo  P.  (Coro.  Nep.  c  2); 
apud  avunculum  eruditus  (Aul.  Gell.  XV  17);  Toiyopivos  nao*  «£toj  Diod. 
XII  38.  —  Forma  prioeeps:  Plin.  XXXVI  4,  8.  Alkibiades  als  Modell:  Cle- 
mens Cohort.  ad  gentes  p.  47.  Hermesvorbild:  Clemens  Protr.  47.  Porträt: 
Arch.  Zeit.  1867,  S.  70.  —  Alk.  als  Anführer  der  üppigen  Jugend  Athens  in 
der  Komödie:  Arist.  Daetal.  Fragin.  16,  Acharn.  690,  716.  —  Alk.  als  Erßnder 
des  Frühschoppens:  Kupolis  fr.  303.  Meineke  Fr.  Com.  Gr.  1847  I.  p.  xxiv. 
Rechenschaftableguog:  Plut.  Alk.  7.  Perikles  von  Alkibiades  zur  Wieder- 
aufnahme der  Staatsgeschäfte  bewogen:  Plut.  Per.  37. 

115.  (S.  592).  Alk.  vorNikias  zurückgesetzt:  Plut.  Alk.  14;  auf  seioea 
Parteiwechsel  bezieht  Kirchhoff  'Abfassungszeit  der  Schrift  vom  Staat  der 
Athener'  1878  S.  24  die  Worte  des  Vf.  2,  6. 

116.  (S.  593).  Hyperbolos:  anooöiv  6  dij^of  Imrqonov  xal  yvfivoe  «üf 
toitov  ritte  tov  avÖQa  ntQuCwoaro  Arist  Frieden  687.  Plut  Alk.  c.  13. 
Cobet  Piaton.  rel.  p.  136f.  Gilbert  Beiträge  S.  210.  — Hyp.  schon  zu  Kleons 
Lebzeiten  gefürchtet:  Acbarn.  846,  Hicromnemoo:  Nub.  623,  Buleut:  Meineke 
Fr.  Comic.  II  670.  Hyperbolos  ist  Antragsteller  io  dem  Volksbeschluss  CIA. 
1  o.  49,  uod  wahrscheinlich  auch  o.  46. 

117.  (S.  595).  Täuschung  der  Spartaner:  Thuk.  V  44  ff.  Plut.  Alk.  14. 
Vierstaatenbund:  c.  46f.  Vertragsurkunde  der  Symmachie  von  Athen,  Argos, 
Maotineia  uod  Elis:  Thuk.  V  47.  Das  Fragment  der  Inschrift  zuerst  heraus- 
gegeben von  Kumanudes  %A9rpaiov  V  333.  CIA.  IV  n.  46  b.  Ueber  die  Ver- 
schiedenheiten zwischen  dem  Text  des  Th.  und  dem  Wortlaut  der  Urkunde 
vgl.  Kirchhoff  Hermes  12,  368  f.  A.  Schöne  ib.  472  f.  Classen  in  den  Vor- 
bemerkungen zu  Thuk.  8.  p.  XXV.  Stahl  zu  Thueyd.  V. 

117*.  (S.  596).  Patrai:  Thuk.  V  52,2.  Peloponnesos  1,  437.  Umschwung 
in  der  Parteistellung  Korinths:  V  31.  Feier  der  Olympien:  c  49 f.  Zusatz 
zur  Friedensurkunde  auf  der  Akropolis  or*  ovx  tvf/xtivay  ol  Aaxidaipovioi 
rot(  oQxote  (e.  56)  auf  Alkibiades'  Antrag  beschlossen. 

118.  (S.  597).  Fehde  mit  Epidauros:  Thuk.  V  53  ff.  Beide  Züge  des 
Agis  (V  54.  55,  3)  durch  ungünstige  dutßartiQia  aufgehalten.  In  die  epidaurische 
Fehde  gehört  die  von  Grote  4,  52  D.  U.  erläuterte,  naive  Kriegslist  der 
Argiver,  welche,  um  nicht  durch  den  Karneios,  den  Monat  der  Waffenruhe, 
gehemmt  zu  sein,  nach  dem  26sten  des  vorhergehenden  Monats  so  viel  Tage 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  VIERTEN  BUCH 


867 


einschalteten,  als  sie  zur  Kriegführung  gebrauchten.  Alkibiades'  H'ülfskorps: 
55,  3.    Spartaner  in  Epidauros:  c.  56. 

119.  (S.  599).  Thok.  V  57 ff.  Heber  den  Einmarsch  in  Argolis:  Pelo- 
ponnesos  2,  583.  Waffenstillstand:  c.  59,5.  60,  1 — 2.  Jixa  Evftßovlm  dem 
König  beigegeben :  c.  63,  3. 

120.  (S.  600).  Verhandlungen  in  Argos:  Thuk.  V  61,  1.  2  (AXxtßwdov 
noeoßevTov  TrttQovTos,  nicht  als  Stratege).    Mantineia:  63 — 74. 

121.  (S.  601).  Epidauros  belagert  wahrend  der  Karneen:  Thuk.  V  75. 
Frieden  zwischen  Sparta  und  Argos:  c.  76  f.    Biindniss:  77 f. 

122.  (S.  602).  Spartanisch-argtvische  Gesandtscbarten:  Thuk.  V  80.  — 
Epidauros  geräumt  V  80.  —  CIA.  I  n.  180  Z.  10  —  14:  [Inl  riji  —  töos 
nowa]viias  de vr {gas  [novravevoiiOris  ' EXXrjvoTttfitats  —  TQtttxoary  tjfiigq]  ?fc 
KQVTavtiae  niagiJofiev  -  -/pt/oYJou  JCvttxrjvov  OTaTrjQng  XXXX-  -  jovto  to 
XQUoiov  n«Q^ofi[(v  roig  inl  ras  6nliTtiy)toyov$  rote  ptTct  JrjpoO&ivovg 
(nach  Kirchhofs  Ergänzung);  eine  gleiche  Summe  hatte  bereits  in  der  1.  Pry- 
tanie  des  Archon  Antiphon  (90,  3)  von  den  Hellenotamien  an  Demosthenes 
gezahlt  werden  sollen,  aber  eine  andere  Verwendung  gefunden  (Z.  1 — 9). 

123.  (S.  602).    Thuk.  V  81.  —  Achaer:  c.  82,  1. 

124.  (S.  605).  Hyperbolos'  Ostrakisraos:  Thuk.  VIII  73,  3  'YntoßoXöv 
uva  itov  'A&qvafav,  fiox&IQÖv  av&QOtnov,  toOTQttxtOftl'vov  ob  6ia  övvauitos 
xal  tt(uu(iaro{  qoßov,  ctXXa  ö*uc  novtjgiav  xal  aloyvvt]V  ifjs  noXitug,  ano- 
xretvovot.  Plutarch  fand  zwei  Ueberlieferungeu  vor,  die  er  im  Leben  des 
Wik.  11  aus  einander  hält,  und  von  denen  die  eine,  bei  Theophrast,  von  einem 
Parteikampf  zwischen  Alkibiades  und  Phaiax,  die  andere  (ot  nXtioves,  viell. 
bei  Theopomp)  von  einem  Parteikampf  zwischen  Alkibiades  und  Nikias  be- 
richtete. Zurborg  (Hermes  12,  198 f.,  13,  Ulf.)  nimmt  an,  dass  Nikias  den 
Phaiax,  Alkibiades  den  Hyperbolos  als  einen  unbedeutenden  Ersatzmann  vor- 
geschoben habe;  aber  solche  Taktik  ist  bei  dem  Ostrakismos,  wo  Alles  auf 
die  Person  ankommt,  unwahrscheinlich.  Die  Thatsache,  dass  Hyperbolos  gegen 
Beide  Opposition  gemacht  habe,  halte  ich  mit  Seliger  (Jahrb.  f.  Phil.  1877, 
5.  745)  nicht  für  erfunden.  Vollständige  Aufklärung  der  Einzelheiten  ist  bei 
einem  ganz  ungewöhnlichen  und  schon  in  alter  Zeit  streitigen  Vorgang  un- 
möglich. Die  volle  Glaubwürdigkeit  des  Thukydides  lasse  ich  mir  auch  hier 
durch  Zurborg  nicht  bestreiten.  Mit  ihm  stimmt  Plato  (Meineke  Fr.  Com.  II  669): 
ob  yag  jchovtuv  ttvix'  otngax'  tugt&tj.  Die  Zeit  des  letzten  (gesetzlich  nie 
abgeschafften)  Ostrakismos  nach  Cobets  (Plat.  Com.  Rel.  p.  143)  Erklärung 
von  Theopomp  beim  Scholiasteo  zu  Aristophanes'  Wespen  1008,  wonach  Hyper- 
bolos, der  nach  Thuk.  411  in  Samos  starb,  sechs  Jahre  im  Exil  gelebt  hat. 
Vischer  Alkibiades  und  Lysandros  S.  57.  Kirchhoff  Hermes  1  S.  5  nimmt 
418  an,  vgl.  auch  Gilbert  Beitr.  231.    Stahl  Rhein.  Mus.  39,  462. 

125.  (S.  606).  Sturz  der  Aristokratie  in  Argos:  Thuk.  V  82,  1-2. 
Bryas:  Paus.  II  20,  2.  Verhandlungen  in  Sparta:  IX&ovtarv  ngtoßitav  ano 
TS  rdiv  iv  rjj  noXet  xal  rdiv  Ufo  Xgyetov,  nagovtw  te  tojv  £t/ju/4ajfcuy  xal 
{iri&£i>TW  noXXüv  mp  kxttUgwv  tyvaiOav  ctöixtXv  rovt  iv  Tjf  noXtt.  c.  82, 
3.  —  Ausbleiben  der  Korinther:  c.  83,  1 ;  ähnlich  verfuhren  sie  auch  später: 
Xen.  Hell.  III  2,  25.  —  Neues  Bündniss  zwischen  Argos  und  Athen:  Thuk. 

55* 


Digitized  by  Google 


86S 


ANMERKUNGEN   ZUM  VIERTEN  BUCH 


V  82  — S4.    Bündnissurkunde:  CIA.  I  n.  50.     Schenkelmauer:  Peloponnesos 

2,  384. 

126.  (S.  6ü7).  Tbok.  V  18,  5  ano66vrtav  %A&tpra(ots  Aaxt6aip6vtoi  xal 
ol  Svpfiax01  AfitfinoXiv.  Saas  6k  nöXas  nap46oaay  Aaxt6aifi6vtoi  Adn- 
vttfoif,  ij-tarw  amivai  onoi  av  ßovXeavrai  avrovs  xal  ra  iavrwv  //ortaf. 
tas  öt  noXtts  tftQOvoas  rov  qogov  rov  in'  *Ao*artt6ov  avrovöuovs  ttvat. 
onXa  6k  fit}  t£(ota>  intupiquv  'AHrjVaiovs  prfdk  rovs  (vfipaxovf  inl  xax%>, 
ano6t6ovrtov  rov  tfooov,  intt6rj  al  onov6al  iyivovro.  eial  6k  at6t'"AgyiXos 
Zrdytigos  sfxav&os  £x(HXos  "OXw&os  JLnäorwXos.  £vfifxaxovs  <T  tlyect  fii}6(- 
rigaw,  ftrjie  Aaxt6aif*ov((ov  fifat  Id&rjvaitav  t/v  6k  'A9ijvatoi  ncidtoot  ras 
noXng,  ßovlofjiivaq  ravras  ttfotca  {i//i/uajfou£  notsio9ai  avrovs  'Afrtjvafots. 
Mr\xvßtgvalovs  6k  xal  Savaiovs  xal  Ztyyaiovs  oixttv  jus  noltts  ras  iavrdvt 
xa&dntg  *OXvv9tot  xal  Axdv^tot.  —  Potidaia:  Thuk.  IV  135.  Klemehie: 
II  70.  Kirchhoff  l'eber  Tributpflichtigkeit  der  Klcruchieo  (Abb.  d.  Berl.  Ak. 
1873)  S.  7.  Toronc:  V  3,  Klerachie  Dach  Kirchb,  S.  10.  Skiooe:  V  2,  1. 
Kirchhoff  S.  8.  Tbok.  V  18,  8  JSxtatvaitav  6k  xal  Togwaluv  xal  £tg/btvX/uv 
xal  tt  riva  äXXtjv  noXtv  (xovorv  'A&tjvatot,  ASh\va(ovs  ßovXevtod-ai  ntgl 
avrtov  xal  rtHv  üXXtuv  noXeeav  ort  av  Joxjj  «urofc.    Tribatsammea  von 

Potidaia    ....     6  Talente,  seit  dem  19.  Jahr  15  Tal. 
Torone     ....     6  Talente,  seit  dem  30.  Jahr  15  Tal. 
Skiooe  u.  Tbrambos     6  Talente,  spater    ....   9  Tal. 
Akanthos  ....     3  Talente. 
Olynthos  ....     2  Talente  u.  s.  w. 

127.  (S.  608).  Der  Nikiasfricden  nicht  vollzogen:  Tbok.  V  26,3;  vgl.  30. 
Kriegszustand  ia  Thrakien;  mit  Böotien  nur  Waffenruhe  von  10  zu  10  Tagen. 
Cbalkidike  von  Sparta  geräumt:  V  21.  Tbyssos:  V  35;  Köhler  Delisch-Att. 
Seebund  S.  177.  Chalk.  Gesandte  in  Böotien:  c.  38.  Mekyberna:  c.  39.  CIA. 
I  n.  180  Z.  9  i6ooav  argarijyots  inl  Ogg\xr}s  Ev&v6rffitp  Ev6rjfAov.  Verhand- 
lungen mit  Perdikkas:  Tbuk.  V  80.  —  Dion:  c.  82  vgl.  c.  35;  Köhler  S.  175. 
Thuk.  V  83  naoaaxtvaaafiivw  avräiv  arqarutv  ityetv  inl  XaXxi6(as  rote 
inl  &Q(txrfi  xal'AfiffinoXiv  Ntxfov  rov  Nutngdrov  trrgarrjyovvros  (JTtnö/xxas) 
fiptvoro  rrv  k~vfXf*ax(av  xal  rj  Oranna  ftaXiora  6uXv&r^  ixtivov  anagayros. 
CIA.  I  n.  189  Z.  19.  20  ovrot  %6ooav  arganjyoTs  Ntxfq  Nucfjgarov  Kv6«vr(6^ 
AvOtoroarq)  'Epntöov  'Oij9ev. 

128.  (S.  609).  CIA.  I  n.  181  Z.  3.  4  nag46oaav  -  -  orgarijyy  is  ra 
inl  Sgtfxrjs  XatQtjtuovi  XagtxXiovs  Uutavitt.  Methone:  Thuk.  VI  7.  Euetioo: 
VII  9;  vielleicht  die  beim  Schol.  Aiseh.  II  31  erwähnte  fünfte  Expedition  vgl. 
Weissenborn  Hellen  S.  173. 

129.  (S.  611).  Zug  gegen  Melos:  Thuk.  V  84—116.  Nach  Kirchhof 
bezieht  sich  hierauf  CIA.  I  n.  54;  ferner  CIA.  1  n.  181  Z.  6.  7  inl  rijs'Avrio- 
Xt6os  -  -  ngvravevovcrjs  nag£6optv  argarr/yots  is  MijXov,  Tttaia  Tnoi- 
paxov  K((faXr}&tv,  KXtofitj6u  Avxofxtfovs  4>Xvtt  ipr)<f4<Jautvov  rov  6qfiov 
rr,v  X6(tav  6txa  rdXavra.  Alkibiades  und  die  Melier:  Bahr  au  Plut.  Alkib.  15. 
Hertzberg  Alk.  S.  117. 

130.  (S.  614).  Böckh  Staatsh.  I3,  361  f.  Dodonäisches  Orakel  ZtxfXSar 
olxituv  von  den  Athenern  missverstanden:  Paus.  VIII  11,  12.    Vgl.  Uber  den 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  VIERTEN  BUCH.  869 

Hügel  Sikelia  bei  Athen  LoUing  Niet  'Ellas  1874  n.  3,  dem  ich  mich  in 
dem  'Atlas  von  Athen'  angeschlossen  habe.  —  In  der  Trier en Versamm- 
lung (Ariat.  Eq.  1303)  theilt  die  älteste  Triere  ihren  Schwestern  daa  er- 
schreckende Gerücht  mit,  Hyperbolos  habe  zum  Zage  gegen  Karthago  100 
Schiffe  gefordert. 

131.  (S.  616).  Thnk.  VI  26:  ägu  «wlifo**  17  nolis  lavrijv  ano  jijs 
voaov  xttl  tov  tvvexove  nolipov  U  n  rltxfag  nlfj&oe  intytyerqpivtis  xal 
is  ^^uoctcüv  aSgotcrtv  Stet  tijv  ixexetQüxv,  atore  fiifov  ndvta  ino^tro. 
Nach  Abschluas  des  Nikiasfriedcns  verwendet  Athen  die  Ueberschiisse  seiner 
Einnahme  dazu  den  mit  Ausnahme  der  1000  Talente  aufgebrauchten  Schatz 
wieder  zu  erneuern.  ravrrjv  117V  «/(njyijv  inraxioxilta  fite  vofdofutjos 
*ls  tt]V  axqonoUv  ctvrjviyxttfitv,  —  xctl  tfoqog  nqoöyn  xar'  ivtavrov  nliov 
17  öutxoaia  xal  xiltet  tältevra.  Andoc.  de  pace  8  f.  Vgl.  Kirchhoff  Gesch.  des 
Schatzes  S.  47  f. 

132.  (S.  619).  Euryptolemos:  Plut.  Perikl.  7.  Alk.  32.  Eros  xtqawotpoQoe: 
c.  16.  Agatharchos  und  Taurcas:  c.  16.  Hipparete:  c.  8.  Vgl.  Hertzberg 
S.  126.  Missbrauch  der  Festgerathe:  c.  13  nach  einer  von  A.'s  Gegnern  aus- 
gehenden Flugschrift  (Zöyoc  xar'  jilxißuxo*ov  xctl  tPa/ctxoe  yiyqafiuivos). 

133.  (S.  621).  'InnotQoyla:  Hertaberg  S.  123.  Heber  Alkibiades'  Sieger- 
porträts a.  Benndorf  Vasenbilder  S.  15. 

134.  (S.  622).  Von  dem  Einfluss  des  AI  Üb.  auf  die  Erhöhung  der  Tribute 
weifs  nur  die  pseudo  -  aadokid.  Rede  gegen  Alk.  11;  Plotarch  im  Leben  des 
Alk.  weifs  nichts  davon.  Plut.  Alk.  12  darf  nicht  so  verstanden  werden,  als 
ob  die  dort  erwähnten  Städte  durch  Geschenke  an  Alkibiades  eine  Erhöhung 
der  Tribute  hätten  von  sich  abwenden  wollen;  denn  Cbios  war  autonom  und 
zahlte  in  Folge  dessen  überhaupt  keinen  Tribut,  ebenso  wenig  Metbymaa, 
während  das  übrige  Lesbos  Klerueheobesitz  war. 

135.  (S.  623).  Enrip.  und  Alk.:  Herbst  Rückkehr  des  Alkib.  S.  26. 
Hertzberg  S.  130.  Eupolis'  Ba7rta(:  Meineke  Quaest.  scen.  1,  42.  Die  geheimen 
Clubbs  biefsen  hatquat  {kretiQ(ai)  oder  (watfiooiat  Inl  dVxoic  xal  «QXtus. 
Krüger  Dionys.  Historiogr.  p.  363.  Vischer  die  Olig.  Partei  S.  16.  Die  Ver- 
pflichtungen der  Clubbisten  unter  einander  galten  für  die  engsten  und  heiligsten 
aller  sittlichen  Bande.  Thuk.  III  82  tö  fryycvhg  tov  iiatqtxov  ixIIotquotcqov 
lyivito  «fwr  t6  hotfioxtQov  tlvai  anQOtpaoiotvg  xolfi^v.  ov  yctQ  ftira  tüv  xiifii- 
vutv  vofxav  totptl/agal  loutvrat  £t/yodo«,  dllct  naqd  tovg  xa&fortotag  nltovi&a. 
—  Eine  den  Gesetzen  widerstreitende  Machtaneignung  ist  der  Zweck;  daher 
die  Verpflichtung  zu  rücksichtslosem  Vorgehen. 

136.  (S.  632).  Antiphon:  Köhler  Del.- Att.  Seebund  S.  150.  Peisandros: 
Meineke  Fr.  Com.  I  p.  176.  Cbariklea:  Thnk.  VU  20;  vgl.  Wattenbach  de 
Quadring.  Athenis  fact.  p.  11.  Andokides:  Blass  Attische  Beredsamkeit  I2 
S.  280.  Der  Urenkel  des  im  Kampfe  gegen  die  Tyrannen  bewährten  Leo- 
goras  aus  altatt.  Geschlecht,  dessen  Gastfreundschaft  berühmt  war;  geb.  c.  440; 
vor  415  in  der  Hetärie  des  Eupbiletos;  verfolgt  durch  Peisandros  und  Cha- 
rikles,  deren  Pläne  er  gekreuzt  hatte;  dann  war  er  in  seinem  unataten  Leben 
Kaufmann  auf  Kypros  und  kehrte  bei  der  Amnestie  nach  Athen  zurück,  wo 
sein  elterliches  Haus  in  den  Besitz  des  Kleophon  gekommen  war.  Andok.  1, 146. 


Digitized  by  Google 


S70 


a»ierkux;e>  zum  vierten  ruch. 


137.  (S.  628).  Die  Ath.  in  Egesta  getäuscht:  Thuk.  VI  46.  —  Auf  den 
1.  Kriegsbeschluss  c  8  wird  vod  Kirchholf  die  in  CIA.  I  n.  55  erwähnte  Aus- 
rüstung von  60  Schiffen  mit  dazu  gehöriger  Landmacht  bezogen.  —  CIA.  I.  n. 
182  Z.  8-14  enthält  3  nach  einander  erfolgte  Zahlungen  für  die  sicilische 
ExpeditioD  aus  dem  Jahr  des  Archoo  Arimoestos  argaTijyots  ic  ZtxtUav,  'Alxt- 

ßtädr},  Aafxax^i  jim/ufay  'fy/tety-    Der  Umfang  der  Lücke  ergibt, 

das»  aufser  dem  INaiuen  des  Nikias  wenigstens  noch  zwei  weitere  hier  ge- 
standen haben.  Bei  der  Expedition  waren  also  wahrscheinlich  sechs  Strategen 
betheiligt,  von  denen  aber  nur  die  bei  Tbuk.  VI  8  genannten  Alkibiades,  La* 
machos,  Nikias  ai^airtyol  nvroxgäroQes  gewesen  sind. 

138.  (S.  630).   Nikias*  Rede:  c.  9-14.   Alkibiades'  Rede:  c.  16-18. 

139.  (S.  632).  Zeitfolge  der  Volksversammlungen:  Droysen  Rhein.  Mus. 
1835  S.  163.  Leber  das  Zusammentreffen  mit  den  Adonien  ist  Piut.  Alk.  18- 
unbestimmt,  um  so  bestimmter  Arist.  Lysistr.  380.  Da  nun  die  Adonien  selbst 
ein  Sommerfest  waren  (Plat.  Phaidros  276  B),  so  muss  man  wohl  verschiedene 
Akte  der  Adooisfeier  annehmen,  einen  im  Frühjahre,  den  anderen  im  Hoch- 
sommer. 

140.  (S.  632).    Intrigueo  gegen  Alkibiades:  Hertaberg  S.  167. 

141.  (S.  637).  7f  iüv  'EQfiüv  ntpxonrj  (EQpoxontfat-.  Aristopb.  Ly- 
«istr.  1094).  Quellen:  Thuk.  VI  27 ff.  60 ff.  Plutarch  im  Alkibiades  (aus  Ephoros 
■ach  Fricke).  Aadokides'  R.  über  die  Mysterien  und  über  seine  Rückkehr. 
Isokrates  or.  XVI.  —  In  seinem  geschichtlichen  Znsammenhang  ist  das  Ereignis» 
zuerst  von  Droysen  aufgcfasst  worden  (Rbcio.  Mus.  III  u.  IV).  Datum  der  Zer- 
stören gs  na  cht:  Neumond  Plnt.  Alk.  20.  Diod.  XIII  2.  Darnach  die  chronol. 
Ordnung.  Sie  fallt,  wenn  Grote  (7,  270;  D.  Ueb.  4,  153)  Recht  hat,  dass  An- 
dokidea  den  Neumond  habe  erwähnen  müssen,  wenn  es  sich  so  verhalten  hätte. 
Auch  wäre  Diopeithes'  Lüge  zu  plump  gewesen.  Vielleicht  hat  er  nur  von 
Moodlicht  gesprochen,  nicht  von  navaü.fjvoi1  wie  man  später  sagte,  um  die 
Sache  pikanter  zu  machen.  Nach  Götze  (Jahrb.  f.  klass.  PhiloL  Soppl.  8  S.  577) 
Junius  8 — 9.  —  Wenn  ich  als  Urheber  des  Skandals  oligarchische  Clubbisten 
annehme,  so  bin  ich  doch  weit  entfernt,  darin  von  Anfang  ao  ein  oligarcbisches 
Intrigucustück  zu  sehen.  Die  Ausbeutung  zu  politischen  Zwecken  war  etwas- 
[Nachträgliches  und  wurde  allmählich  zu  einer  Anfeindung  des  Alkibiades;  sie 
ging  nach  Isokrates  von  den  Oligarchen  aus  (or.  XVI  347  «Karree  facta  iv 
ör»  Ji«  roi/g  avrove  aVcfoar  rj  re  dn/uoxoaTÜt  xartXvdt]  xaxHvac  (jAlx.)  (x 
rrjg  noletos  iiimaiv).  Dies  war  die  für  Alkibiades  günstigste  Auffassung. 
Sie  war  auch  eine  durchaus  gerechtfertigte,  welche  damit  nicht  in  Wider» 
spruch  steht,  dass  Thuk.  VI  15,  89;  VIII  47,  50,  60  den  Demokraten  die  Ver- 
treibung des  Alkibiades  zuschreibt.  Diese  Ansicht  als  die  allein  richtige  ver- 
tritt besonders  Gilbert  Beiträge  S.  253  ff.  Der  Widerspruch  löst  sich  durch 
die  Annahme,  dass  zwischen  Oligarchen  und  Demokraten  eine  unlautere  Coa- 
lition  eingetreten  war.  Wir  haben  es  ja  nicht  mit  klaren  und  Testen  politischen 
Charakteren  zu  tbun.  Peisandros  aus  Acharnai  (Gilbert  S.  255),  Held  der 
gleichnamigen  Komödie  Piatons,  würde  nach  meiner  Ansicht  bei  den  400  keine 
Rolle  gespielt  haben,  wenn  er  von  Hanse  aus  Demokrat  gewesen  wäre.  Er 
w  ie  Cbarikles  (Gilbert  S.  258)  gehören  schon  zu  denen,  die  dem  Parteiinteresse 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  VIERTEN  BÜCH. 


871 


gemäfs  äufserlich  Farbe  wechseln.  Kleooymos,  $tipaoms  Aristoph.  Wolken 
353,  vgl.  Wespen  19  tf.  —  Androkles  o  Iludths  Aristot.  Rhct.  102,.  21. 
AvÖQoxUa  —  iov  6r\fiov  fialtcna  ngoiartSra  —  oaneg  xal  ibv  siktißiddrjV 
oi'x  rjxtara  t^aat:  Thuk.  VIII  65.  Polemareh  wohl  in  Folge  seines  Antheils 
am  Mysterienprozess :  iv  ö*i  ötxooraaty  xav  livdgoxXiijs  noXtfiaq^oZ  Meinekc 
Com.  II  14.  —  Pythonikos'  Anzeige  bei  der  Volksvers.:  Andoc.  de  myst.  11. 
—  ? Religiöse  Ausbeutung:  Lobeck  Aglaophamus  1024.  —  Polytioo:  Plut. 
Alk.  19. 

142.  (S.  639).  Abfahrt  der  Flotte  &(qov{  /utaovyros  ijJn  (Thnk.  VI  30), 
noch  jtQifivr^aiov  agxovroc  Isaios  IV  14  p.  77  ed.  Schümann,  Rh.  Mos.  4 
S.  170.  CIA.  I  n.  182  vgl.  Anm.  137.  —  Ueber  die  GrbTse  des  Aaszugs  fiöckh 
Staatsb.  1«,  334.  Vgl.  Wölfflin  im  N.  Schweiz.  Museum  1886  S.  251.  Flotte 
nachSicilien  Thuk.  VI,  43:  134Tricren,  40  athenische  OTQautortfog,  60  Schnell- 
ruderer, 34  eidgenössische.  Bemannung:  a)  Hopliteo.  Die  700  athenischen 
9t[zeg  =  Epibaten  der  60  alh.  Schnellruderer  ä  10  Mann  (%  Reserve  pro  Schiß") 
Epibaten  der  eidgeoöss.  Schiffe  340  +  57  =  397,  rund  400,  also  zusammen 
1100  Epibaten,  es  bleiben  4000  mtofxaxovvtis,  den  40  tfroaiuoiidts  ent- 
sprechend urgaxts  x^*01  VI,  31,  wie  in  Epidauros  unter  Perikles,  darunter 
1500  Athener  aus  dem  xataXoyot.  Plut.  Alk.  19:  ?ß*o*,  Fremdenlegion: 
500  Argiver,  250  Mantineer,  250  Arkader,  1500  vnrptooi  (cf.  VIII  24)  = 
4000.    b)  Leichtbewaffnete:  1300  Schleuderer,  Bogenschützen. 

143.  (S.  640).  Quellen  für  die  sicilische  Expedition:  Hülm  Geschichte 
Siethens  2  S.  312f.  Thuk.  VI  u.  VII  selbständige  Darstellung  vor  dem  Ende  des 
Kriegs  entworfen  und  dann,  nachdem  sich  die  Zeit  nach  dem  Nikiasfriedeu, 
tnonros  ayoxw/i}  (Thuk.  26),  als  Kriegspause  erwiesen  hatte,  in  die  Ge- 
schichte des  ganzen  Kriegs,  wie  er  sie  nach  Beendigung;  desselben  unter- 
nahm, eingefügt,  Kirchhof  Sitzungsber.  1884  S.  416.  Ankunft  in  Unteritalien: 
Thuk.  VI  44.  Holm  2  S.  20.-  Kriegspläne  :  Thuk.  VI  47.  Salaminia:  c.  61. 
Plut.  Alk.  21. 

144.  (S.  644).  Tyrannenangst  wegen  Alkibiades:  Thuk.  VI  15,  28.  Hippias 
redivivus:  Philochoros  Fr.  Mist.  Gr.  I  402.  —  Denuneiationen :  Thuk.  VI  53 
oi)  öoxifiäCoviti  rote  ut]Ynäs  aXXa  navxa  vnonnas  anoäexopevot,  Stcc  no- 
vrjgtov  av&gtonoiV  ntativ  (Diokleides  und  Teukros:  Plut.  Alk.  20)  navv 
XotjOTOvs  iöüv  noXtnov  {vklapßavontg  xariSovv,  XQr)atfl^IiQ0V  vyovfitvot 
iivat  ßaaavfoat  ro  ngäy/na  xal  tugtiv  %  <f*a  fit\vvjov  novr]g(av  uvä  xal 
XQrjaiov  Soxovvta  ttvai  altut9ivia  aviXeyxrov  ötaipvyeiv.  —  Argos,  Lake- 
dainonier  am  Isthmos:  Thuk.  c.  61.  —  Diokleides'  Anzeige:  Andoc.  de  myst. 
37  ff.,  im  Prytaneioo:  §  45.  —  Suspeosion  des  Psephisma  des  Skamandrios, 
der  athenischen  Habeascorpus-Akte :  Andok.  §  43.  Meier  und  Schümann  Att. 
Proz.  S.  635.  Gilbert  Beitr.  S.  271.  —  Verhaftung  des  Eukrates,  Kritias, 
Leogoras,  Aodokides:  de  myst.  47.  —  Audokides'  Aussage  ist  so  aufzufassen, 
das«  er  sich  entlasten  will:  de  myst.  48 tf.  vgl.  Thuk.  VI  60.  —  Herme  an 
A'.  Haus  (Plut.  Alk.  22)  nicht  die  einzige,  welche  unverletzt  geblieben:  Kirch- 
hof Hermes  1,  9.  —  Wortlaut  der  tloayytXta  des  Thessalos  wider  Alk.:  Plut. 
Alk.  22.  —  Cnntumacialverfabren  (igrjfir)  öVxtj)  gegen  Alk.,  Verurteilung,  Fluch 
der  Priester:  Thuk.  c.  61.    Plut.  c.  22.  —  Resultat  der  Untersuchung  über 


Digitized  by  Google 


ai2 


ANMERKUNGEN  ZUN  VIERTEN  RUCH. 


den  Hermenfrevel:  to  acupkq  ovdt\$  ovre  tote  ovre  Zotiqov  t/a  kinttv  ncpl 
rcüy  ÖQaaavrofP  16  tqyov:  Thok.  c.  6JL 

145.  (S.  645).  Geseti  des  Syrakosios:  Sehol.  Arist  Vögel  1297.  Aristides 
III  p.  444  Dd.  Das  letzte  Scholion  ist  zu  verworren,  am  daraus  über  Alkib. 
etwas  folgern  za  können.  Syrakosios  als  wilder  Demagog  in  Enpolis'  ü6ltt(. 
'x/rra'  in  den  Vögeln  1247.  Spezielles  Verbot  auf  die  Hermokopiden  be- 
züglich nach  Droysen  (Rh.  Mas.  4,  59).  Den  Oligarchea  lag  am  meisten  daran, 
ut  ne  sna  flagitia  palam  castigarentnr  (Cobct  Piaton.  Reliqn.  41).  Gilbert 
S.  2Üi  sucht  die  versteckte  Parteistellnng  der  drei  Dichter  aufzuspüren;  sie 
waren  'Gegner  der  Partei,  welche  den  Hermokopidenprozess  in  ihren  Interesse 
ausbeutete'.  Durchschimmernde  Beziehungen  auf  die  Zeitbegebenheiten  in 
den  Vögeln:  Hermenbesudelung  Vers  1054  Salaminia  V.  1202.  Prämie  für 
Tödtung  eines  längst  verstorbenen  Tyrannen  1071  (Verhöhnung  der  Denuncia- 
tionspramien  Andok.  27).  Im  Monotrop  os:  Warnung  an  Hermes,  dass  er  nicht 
umfallend  sich  verletze  und  eine  Denunciation  veranlasse  (Meineke  2j  601). 
Die  Kfo/uaaxai  haben  vielleicht  am  kecksten  versacht  die  Tagesehronik  'zu 
streifen.  Wenn  sie  dennoch  der  Gefahr  glücklich  entgingen,  so  war  dies 
vielleicht  ein  Grund,  ihnen  den  Preis  zuzuerkennen.  Hypothesie  L  zu  den 
'Vögeln1.  —  Die  strafende  Tendenz  der  Vögel  hat  schon  richtig  hervorgehoben 
Köcbly,  über  die  V.  des  Arist.  1857. 

1ÜL    (S.  648).    Die  Athener  am  Olympieion :  Thuk.  VI  6JL    Holm  2. 

S.  2L  a&L 

147.  (S.  650).  Hermokratea  und  die  neuen  Strategen:  Thuk.  VI  72 f. 
Verschanzungen  der  Syrakusaner:  c.  75,  L  Syrakus  hatte  einen  Doppelhafen. 
Am  südlichen,  grofsen,  in  den  die  Athener  einfuhren,  lagen  die  nalatol  v&tog- 
o*xo*  (VII  25),  welche  beibehalten  wurden,  auch  nachdem  in  dem  kleinen, 
zwischen  Ortygia  und  Achradina  gelegenen  das  Arsenal  (vt^Qtov  VII  22]  an- 
gelegt worden  war.  Nur  der  Kriegshafen  im  grofsen  Hafen  bedurfte  des 
Schutzes  durch  Pallisaden.    Holm  2^  S.  382. 

148.  (S.  652).  Verhandlungen  mit  den  Kamarinäern:  VI  75,  2»  Heriuo- 
krates:  c.  76  fl*.  Euphemos:  c.  82 — 88.  —  Ueber  die  Kastelle  am  Aetna: 
Schubring,  Zeitachr.  für  allg.  Erdkunde  IT,  S.  451. 

14fl.  (S.  665).  Geldsendungen  von  300  Talenten  aus  der  S.  Prytanie  von 
9T,  Ii  CIA.  L  a.  183,  v.  13,  11  (nach  Kirchhofs  Ergänzung):  Z.  11  R  tn\ 
rift  'Avrioxtöos  oydotjf  n(>VTavevovot}S  rplrn  [fjfi^Qq  rrjs  nQv]xav(kti' Klkijvo- 
lafilats  xal  naQ{6(>ots,  %AQiaioxQ[at)ti  Evwvfxtl  xal  1-vvaQxovoi  H[HMj. 
ovrot  Jk  töoanv  [rp  iv  £txtUq  o]TQ<tTHj.  Z.  15.  IiL  inl  rijs  i*w«o/f<fof 
öyöotie  riQvravevovarji  tlxoo[irj  i)u((Mf  rfje  7TQ]vxavtüts  '  ElXqvorafitais  xal 
7ra{>{$Qots  lAQtOTXQOctitt  Evcjvv/ufi  xal  tvväqxovai,  (s  ritf  yttvs  ras  is 
llav  6taxoftiovoa]s  to  xQrjfutra  TTTXX.  s.  Thuk.  VI  M.  —  Einnahme  von 
Epipolai :  Thuk.  VI  £L  Holm  2,  S.  2£L  Ueber  Labdalon  und  Syke  Schubriag 
die  Bewässerung  von  Syrakus  im  Philol.  XXn  S.  629;  über  Leon  S.  632,  — 
Benutzung  der  Wasserwerke  durch  die  Athener  S.  629.  Verschüttung  oder 
Ablenkung  derselben:  SUip&iiQttv  toi/j  u/ttovs  Thuk.  VI  100.  Darum  wurden 
die  Wasserwerke  später  ganz  in  die  Ringmauer  eingeschlossen  (Phil.  S.  630). 
—  Ueber  die  Belagerungsniauern  der  Athener  Holm  2,  SiSf.  —  L  Gegenwerk 


ANMERKUNGEN  ZUM   VIERTEN  RUCH. 


ST  3 


der  Syrak.  wahrscheinlich  südlich  vom  KvxXoc  Holm  2±  S.  389;  2.  ebenfalls 
im  Süden,  aber  naher  beim  Meere. 

150.  (S.  656).  Das«  Alkibiades'  Flacht  seinen  Feinden  erwünscht  war, 
nimmt  aoeh  Grote  an  4*  163  D.  U. 

151.  (S.  659).  Alk.  in  Sparta:  Hertzberg  S.  220—251.  —  Anssendung 
des  Gylippos:  Thuk.  VI  9JL  IM.  —  Aoyoi  (vfißanxol  wegen  Uebergabe  der 
Stadt:  10JL 

152.  (S.  661).  Gylippos  in  Sicilien:  Thuk.  VII  L  Holm  2^  S.  38 f.  Fall 
von  Labdaloo:  Thok.  c  3,  üeber  das  dritte  Gegenwerk  Holm  2^  392ff.  Nikias 
auf  Plemmyrion:  c.  4— 6.    Plnt.  Nik.  HL 

1S&  (S.  666).  Winter:  Nikias'  Brief:  Thuk.  VII  ü  —  Eorymedon  mit 
120.  Tal.,  fahrt  nach  S.  negl  rjUov  iqonhg  rag  /MjUfpmic:  &  nn^  kommt 
dann  dem  Demosth.  wieder  bis  zor  akaro.  Küste  entgegen:  3_L  Eroberung 
von  Plemmyrion:  21—25.  —  Zweite  Seeschlacht:  37 — 41.  intottfa  (Storm- 
balken)  an  den  verkürzten  Schiffen :  c.  3JL  Graser  de  re  nav.  vet  p.  24. 
Philologns  1871  S.  35. 

154.  (S.  670).  Demosthenes'  Ankauft:  Thnk.  VH  42.  Sturm  auf  Epipolai: 
43 ff.  Mondfinsternisse  Thuk.  5JL  Diod.  XIII  12.  Plnt  Nik.  U  antvtx&tvtov 
ts  Aißirriv  Thuk.  VII  äfi  erklärt  Cox  2,  613  gegen  Niebuhr  Vöries,  üb.  alte  Gesch. 
2j  130,  die  Sp.  seien  nach  Libyen  verschlagen  worden.  Seeschlacht,  in  welcher 
Eorymedon  fällt:  Thok.  51—54.    Hafensperre:  5JL  Letzter  Seekampf:  61—71. 

155.  (S.  672).  Ueber  den  Rückzog  der  Athener  Leake  Transaotions  of 
the  R.  Soc.  of  Literature.  See.  series  III.  S.  32üff.  Holm  2^  397 ff.  Holm 
bestreitet  für  den  Rückzog  der  Athener  die  Richtung  nach  der  Ostküste  und 
will  Diodor  XII  18.  nQorjoccv  inl  Katdvijs  für  ein  Missverstäadniss  der  Worte 
des  Thukydides  VII  8ö  rjv  3  (ufttTttaa  odtöc  avrij  ovx  inl  K.  re)  otoot«iJ- 
fxari  xtL  erklären.  Aehnlich  Classen.  Ich  kann  mir  aber  nicht  denken,  dass 
die  Athener  einen  anderen  Zielpunkt  als  Katane  haben  konnten.  Sie  mussten 
einen  Umweg  machen,  da  ihnen  durch  das  im  Besitz  der  Syrakusauer  befindliche 
Epipolai  der  directe  Weg  an  der  Küste  abgeschnitten  war.  Sie  gingen  daher 
die  alte  Strafse  nach  Akrai,  in  der  Absicht  vor  Akrai  rechts  abzubiegen;  die 
ältere  Strafse  ging  noch  unlängst  durch  die  Cava  di  Culatrello;  am  Westen  de 
der  Schlucht  liegt  Bibbio  am  Monte  Grosso  (axQatoy  Unat).  Die  Sikuler  der 
Mesogaia  (Minoa,  Palikoi)  hatte  man  zuerst  im  Auge ;  nachher  hoffte  man  noch 
auf  die  seitwärts  wohnenden  (Motyke,  Hybla,  Heraia).  Kakyparis  ist  der  fiume 
di  Cassibili. 

156.  (S.  675).  Die  &  Tage  bei  Plut.  Nik.  31  sind  richtig  trotz  Grote  4, 
S.  21LL  Dass  wirklich  Leute  in  Syr.  waren,  welche  mit  N.  im  Einvernehmen 
standen,  zeigt  Thuk.  VII  86j  doch  geht  daraus  nicht  hervor,  dass  sie  es  ehr- 
lieh  meinten.  Die  Asinaria  sollen  sich  bis  heute  als  Fest  erhalten  haben, 
Smith  Dict.  of  Gr.  and  Rom.  Geograpby  1  241L  In  Bezug  auf  das  Ende  des 
Nikias  und  Demosthenes  steht  Timaios  mit  Thuk.  VII  &£  und  mit  Philistos 
nach  Plutarch  Nikias  28.  in  Widerspruch.  Man  kann  sich  wohl  denken,  dass 
Timaios  Alles  gethao  hat,  um  die  Syrakusauer  and  namentlich  Hermokrates 
möglichst  vorteilhaft  darzustellen.  Th.  hat  Nikias'  Ende  nicht  berichten 
können,  ohne  die  kalte  Objektivität  des  Historikers  zu  unterbrechen,  um  der 


AMMEHKUNGE?!  ZUM  VIERTEN  BUCH. 


herzlichen  Theilnahme  an  dem  unverdienten  Schicksale  des  Feldherrn  und  der 
Anerkennung  seiner  sittlichen  Größe  einen  kurzen  aber  tief  empfundenen 
Ausdruck  zu  geben  (yxiora  6h  n£toc  itov  yt  In*  Ijtov  'EXlrptov  lg  xovto 
arv^ittg  aqtxfodtu  öta  zr)V  näaav  lg  «piTqy  vtvofitaftivfjv  Intrtj&tvatv).  — 
Latomien:  Cic.  in  Verr.  II  5,  27.  Holm  1^  127.  —  Rettung  Einzelner  nach 
Katane:  Lys.  20.  24,  Athener  als  Hauslehrer:  Euseb.  c.  Marc.  ed.  Gaisf.  p.  29. 

15_L  (S.  678).  Ponische  Feldzüge  in  Sicilien  :  Diodor  XIII 54.  Holm  2j  S.  89 ff. 

158.    (S.  681).   Zustände  in  Athen:  Thuk.  VIII  L 

L5JL  (S.  685},  Dareios  Nothos  nach  Diod.  XII  U,  Thuk.  VIII  5*  uod 
dem  Kanon  seit  Dec.  424.  Amorges'  Abfall:  Thuk.  VIII  5.  Tissaphernes 
axQartjybs  ruv  xano:  VIII  a.  Vgl.  Nikolai  Politik  des  Tissaphernes.  Bernburg 
1863.  Pharnabazos  und  Kalligeitos:  Thuk.  VIII  6,  Panakton :  V  32 f.  Myka- 
lessos:  VII  2JL 

160.  (S.  6881,  Pythodoros:  Thuk.  VI  IM.  —  Einfall  des  Agis  in  Attika 
(rtQoe  ßQxofttvov  nQwtTaia)  und  Befestigung  von  Dekeleia:  Thuk.  VII  ÜL  — 
Eine  genauere  Darstellung  von  Dekeleia  und  Umgebung  s.  in  meinen  Sieben 
Karten  zur  Topogr.  von  Athen  Taf.  L  —  Gesamtzahl  der  entlaufenen  Sklaven 
(meist  Handwerker)  über  20,000 :  Tbuk.  VIII  2L  Böckh  Bergw.  von  Laurion 
1814  S.  L2JL  Mildere  Sklavenbehandlung:  Arist.  Wolken  5.  Angebliche  Ver- 
ordnung darüber  nach  Anon.  Probl.  Rhet.  5JL  (Walz  rhet.  8  p.  41 1).  Meier 
de  bonis  damnatorum  p.  5JL  —  Nur  bei  Thuk.  VII  26  erwähnt  wird  ein 
Unternehmen  des  Demosthenes,  als  er  413  schon  auf  der  Fahrt  nach  Sicilien 
den  Peloponoes  umfahrt:  «r/orwc  lg  tot  xaranutQV  Kv&Tj(Hov  lijg  Aaxtavix^g, 
fv9u  t6  Uqov  rov  'AnolXojvog  fori,  irjg  re  yijg  lotiv  &  tdytooav  xal  Ittt^atcv 
io&ptüdis  u  /toQtov  (viell.  Onugnathos:  Peloponnes  2,  330),  Tva  rfij  ot  « 
E\k(oxig  itüv  AaxtticHfjiovtiov  avtoae  ainofioldai  xal  apa  JIjjotoI  lg  aviov 
waniQ  Ix  rfjg  Hvlov,  aqnayrv  nottävtat. 

161.  (S.688).  Elxoarrj  tüiv  xarä  »alaooav  (Thuk.  VII  28^  mit  der 
ein  neues  Princip  in  Behandlung  der  Bundesgenossen  versuchsweise  angewendet 
wurde,  ist  Ol.  9^  4j  413  eingeführt  nach  Böckh  Staatsh.  2^  SJ&ÜL  Ein 
Eikostologe  wird  noch  in  den  Fröschen  V.  263  verwünscht;  92,  4  sind  nach 
Xen.  Hell.  1  3,  9.  wieder  Tribute  erhoben  worden  Böckh  a.  O.  Köhler  S.  152. 
Gilbert  S.  288  ff.  sucht  nachzuweisen,  dass  bis  zum  Ende  des  Kriegs  die  elxomrj 
gezahlt  worden  sei. 

162.  (S.  690).  Neben  Hagnon  (Thuk.  V  IS.  24.  Plut.  Per.  22.  Lys.  XII 
65}  kennen  wir  als  Probulen  einen  Sophokles  (Arist.  Rhet.  HI  18),  welcher 
von  den  Meisten  für  den  Dichter  angesehen  wird ;  ich  kann  mich  nicht  dazu 
entschließen.  Wattenbach  de  Quadringentorum  Athenis  factione  p.  22  denkt 
an  den  Sohn  des  Sostratides  (Thuk.  III  115).  Die  Probaten  scheinen  ihr  Amt 
über  Jahresfrist  ausgedehnt  zu  haben. 

163.  (S.  691).  Marcellinus  Leben  des  Thukyd.  6  Bk.  Hermes  13,  431 : 
Heimkehr  der  attuoi.  Vgl.  noch  Kirchhoff  über  die  Poletenurkunde  aus  OL 
91^  3  in  den  N.  Jahrb.  f.  Phil.  1860.    S.  242. 

164.  (S  693),   Spartas  Kriegspläne:  Thuk.  VIII  8 f. 

165.  (S.  695),  MtlayxQtfyi:  Thuk.  VIII  iL  Die  Korinther :  &  Alkibia- 
des  in  Chios:  14. 


ANMERKUNGEN  ZUM  VIERTEN  BUCH. 


16JL  (S.  6%).  Chios  und  Athen:  Schol.  Arist.  Av.  SSO,  Enpolis  io 
Fragin.  Com.  2j  aüH:  xaXij  noXig  —  nipnu  yttQ  y/uiv  vavg  /uaxgäg  avÖQag 
oxav  cftijtfij  xai  lall«  7itt&ttQ%ti  xaltug,  anXtjxxog  toontQ  Xnnog.  —  Nach 
Herbst  Rückkehr  des  Alkib.  Hbg.  1843  S.  5J  wären  die  IM  besten  Trteren 
(Thnk.  II  21)  damals  noch  vorräthig  gewesen.  Aber  warum  spricht  denn 
Thuk.  nur  von  Geld  ?  —  Zahlung  ix  rtav  x'^0**  raXantov  tuvf]  (ig  rag 
TQijjQiig  w*  naQtlaßoptv  TtaQtt  tojv  nQoxiqtov  iit/uuör.  Böekh  Staatsb.  2  ^  65. 
CIA.  I  n,  lb4.  A.  v.  5. 

lfiL  (S.  699).  Castell  bei  Teos:  Thnk.  VIII  lü.  Alk.  in  Milet:  c.  17. 
Plnt.  Alk.  24.  Erster  Snbsidienvertrag :  Thnk.  VIII  1Ä.  Vgl.  Nikolai  Politik 
des  Tissaphernes,  Bernborg  1863.  AI  n^ürai  i-uv&ijxat,  al  ngog  Xakxiättt 
ytvofttvat  Thnk.  VIII  36^  4.  Kirchhoff  Sitzungsber.  1884  S.  3Mi  Ueber  die 
von  Thukydides  benutzten  Urkunden.  Die  Redaction  des  ersten  Vertrags 
wird  von  ihm  auf  Alkibiades  zurückgeführt,  den  Vertrauten  des  Chalkideus; 
daher  die  Abfassung  in  att.  Sprache  S.  410.  Durch  Alkibiades  ist  dann  auch 
der  Wortlaut  bekannt  geworden. 

168.  (S.  701).  Revolution  in  Sa  mos:  VIII  IL  Vgl.  C.  Cortius  Urkunden 
zur  Geschichte  von  Samos.  Wesel  1873  S.  L  —  Belobigung  der  Samier:  CIA. 
1  56.  Phryoichos:  Thuk.  VIII  c.  2L  Hermokrates :  c.  2iL  Amorges:  .c.  2S. 
Therimenes:  c.  26,  Revision  des  ersten  Vertrags  2t*  &i\(H(xivovg  nuQÖviog: 
c.  2fi  Kirchhoff  a.  0.  IM,  Wortlaut  bei  Thuk.  VIII  22  anomal  xai  tptXia, 
onovSal  QrjQipfvovg  c.  4iL  52. 

169.  (S.  702).    Ueber  die  Soldbeträge  Bbckh  1«,  2S&    Herbst  S.  fi. 

170.  (S.  703).  Alk.  und  Timaia  auf  der  kom.  Bühne:  Athen.  541  D.  Bahr 
zu  Plut.  Alk.  p.  'ML  Alk.'  Flucht:  Thuk.  VIII  45.  Heitzberg  Alk.  S.  249 f. 
C.  F.  Ranke  zu  Meinekes  Aristopb.  p.  xlvii. 

171.  (S.  705).  Alkibiades  und  Tissaphernes:  Thuk.  VIII  4JL  Plut. 
Alk.  24, 

172.  (S.  708).  Zeit  der  Lysistrate:  Jaep,  quo  anno  et  quibus  diebus 
Lys.  atque  Thesmophoriaznsae  doctae  sint  1859. 

173.  (S.  711).    Phrynichos'  Absetzung:  Thuk.  VIII  51, 

174.  (S.  713).  Verhandlungen  in  Magnesia:  c.  5JL  Der  Symbole  Lichas 
des  Arkesilaos  Sohn:  Thuk.  VIII  39^  52* 

175.  (S.  714).  Das  Programm  der  Oligarchen  lernt  man  aus  der  pseudo- 
xenophontischen  Schrift  über  den  Staat  der  Athener  kennen,  welche  nach 
Kirchhoff  Abb.  d.  Berl.  Ak.  1874  S.  lff.  und  1878  S.  1  ff.  von  einem  uns  un- 
bekannten Athener  oligarchischer  Gesinnung  abgcfasst  ist  in  der  letzten  Zeit 
des  Archidamischen  Kriegs  Dach  Besetzung  von  Pylos  und  vor  Brasidas*  Er- 
folgen in  der  Chalkidike.  Bergk  Griech.  Litt.  4,  220  findet  Anspielung  auf 
den  Hermenfrevel  und  setzt  die  Schrift  Ol.  91,  2,  —  Unklare  Stellung  zw.  Oli- 
gareben  und  Demokraten,  gegenseitiges  Misstrauen:  Thuk.  VIII  66^  wobei  Gil- 
bert S.  2_5_I  sehr  richtig  au  Peisandros  erinnert.  Kirchhoff  über  den  dritten 
Vertrag  S.  40JL 

175*.  (S.  717).  Antiphon  lange  Zeit  nur  durch  seine  schriftstellerische 
Kunst  bekannt;  er  wollte  im  Dnnkel  bleiben.  Daher  der  MaDgel  ao  Nachrichten. 
Das  Plutarebische  Leben  ohne  Kritik  mit  Verwechslung  gleichnamiger  Personen. 


ANMERKUNr.E>'  ZUN  VIERTEN  BUCH. 


Hauptstelle  Thuk.  VIII  fiS*  AU  bezahlter  Lehrer  aod  Redenschreiber  geldgierig 
nach  Plato  'Peisandros',  Plut  p.  833. 

170.  (S.  719).  Versammlung  auf  dem  Kolonos:  Thuk.  VIII  &L  Anspielungen 
in  den  Thesuiopboriazusen :  V.  31,  361,  808,  1143.  Dreifsig  avyyga(f>el(  nach 
Philochoros  bei  Harpokration  avyyg.  und  Thuk.  c.  CT,  nach  der  von  C.  Fr.  Her- 
mann  vorgeschlagenen  Aenderung  (A  für  J).  5000  als  eine  passende  Zahl 
für  die  zum  aktiven  Bürgerrecht  Berechtigten  war  schon  früher  in  den  Partei* 
Versammlungen  angenommen  c.  fiüJ  ovri  [it&exiiov  itov  nQttyjtaiötv  nltiooiv 
fj  ntnaxta/iltois.  Zahlreicher  pflegten  die  Volkaversammlungen  in  der  Regel 
nicht  zu  sein  c.  TL  Man  schien  also  in  billiger  Weise  aueb  den  nicht  zu 
den  Clnbbs  Gehörigen  einen  Antheil  an  den  Staatsgeschnften  gönnen  zu  wollen. 
Die  5000  sollen  navxtq  tv  re7  fiigu  /ifiY^tiv  c.  Sfi  d.  h.  der  Reihe  nach 
in  den  Rath  der  4Q0  gelangen  (sc.  tifc  noltus  oder  r«uv  nQttyfiutwv) 
W.  Vischer  KI.  Sehr.  1221.  Sitzungsgelder  tagweise  gezahlt:  Bockh  Staatsh. 
1^  2S  iov  vnoXoinov  jfpdi'Oü  navtos  c.  üiL  Ueber  die  ganze  Revolntion 
Wattenbach  de  Quadringentorum  Athenis  (actione  1842. 

177  (S.  727).  Gesandte  an  Agis:  Thuk.  VIII  70f.  Die  samischen  Oli- 
gareben:  c.  63,  HL  Hyperbolos  (S.  603),  wahrscheinlich  für  die  samischen  De- 
mokraten tbätig,  wird  während  des  Aufruhrs  auf  Anstiften  des  oligarchisch 
gesinnten  Strategen  Charminos  umgebracht.  Die  Flotte:  c.  72 — 77.  Chaireas: 
c.  14*  Thrasybulos  und  Alkibiades:  c.  8_L    Athen  in  Sainos:  c.  ÜiL 

178.  (S.  728).  Spaltung  der  4QQ  in  Gemüßigte  und  Ultras:  c.  87*  Des 
Protagoras  Ankläger  Pytbodoros  tlg  rc3v  TtTQtntootwv  Diog.  Laert.  IX  55. 
Brandis  Gesch.  der  Philos.  I  525.  Meier  Opusc.  1  232  rückt  den  Prozess  in 
die  Zeit  der  Hermokopiden.  Beistimmend  Sanppe  zu  Plat.  Protagoras  p.  VI. 
Ueber  die  iberischen  Bogenschützen  Bergk  Comm.  de  Re).  Com.  att  p.  3-43.  sq. 

HiL  (S.  731}.  'HtTttovita:  Thuk.  VIII  9JL  G.  Hirschfeld  Peiraieas  in 
Ber.  d.  Sächs.  Ges.  d.  W.  1878.  Abmaueruog  der  fiaxgä  aroa  auf  der 
Eetioneia  ebenda.  Milchhöfer  Text  zu  den  Karten  von  Attika  Heft  I  §  49. 
Pbrynichos'  Ermordung:  c.  92.  *Ev  tij  ayoqq  Ttkrj&ovOij  keine  Zeitangabe 
(wie  Prap.  und  Artikel  zeigen);  daher  kein  Widersprach  zwischen  Thuk.  und 
Lykurgos  g.  Leoer.  §  1_12_  {vvxio>q)}  wie  ihn  Bergk  Zeitschr.  für  Aiterthumsw. 
1847  S.  1110,  Kirchhoff  im  Philologus  1858  S.  18,  Rauchenstein  Binl.  zu  Lysias 
XIII  S.  5ii  Ausg.  5  u.  A.  finden.  Nach  der  Mittagspause  begann  sieh  der 
Stadtmarkt  voo  Neuem  zu  füllen,  und  es  wogte  daselbst  zur  Sommerzeit  bis 
in  die  Nacht  hinein.    Vgl.  meine  Attischen  Studien  2j  S.  44. 

180.  (S.  732).   Verlust  von  Enboia:  Thuk.  VIII  91-95. 

181.  (S.  733).  Gegenrevolution :  c.  9JL  Die  Athener  ot>x  yxtora  töv 
nQÜTOvxQovov  tn(  y*  Ifiov  tpaCvoviiu  tv  nohuvaavrts:  äL  Alkibiades  zurück- 
berufen unter  Theramenes'  Mitwirkung  auf  Antrag  des  Kritias:  Plut  Alk.  32 
(yvoipri  fj  o*f  xaTrjyay',  tyu  tuvti)V  iv  «naatv  tlnov).  Com.  Nep.  Aleib.  L 
Diod.  XIII  3JL  Ueber  die  Nomotheten  Schömann  Opnac.  V>  2ML  Bergk  zu 
Schillers  Andokides  S.  145. 

1S2.   (S.  734).    Aristoteles  über  Theramenes  bei  Plut.  Nikias  2. 
L&L   (S.  737).    Verlust  von  Oinoe:  Thuk.  VIII  ÜSL   Aus  dem  Archootat 
des  Theopoop  411  ein  xpryf  HJ/bia  mgl  "AviHptövTos  roxi  (Jijro^oc  (Hpc.  Avritfeor) 


Anmerkungen  zum  viertel  buch. 


877 


bei  Krateros  (au*  Cacilias  bei  Plut-Xor.).  Blass  I3  99.  Charakteristik  An- 
tiphons: Thuk.  VIII  68,  1  —  3.  Seine  Rede  mol  fj(iaaräa§ojs  nach  Thuk. 
c.  68  die  beste  Verteidigung  des  Staatsstreichs.  In  den  Bruchstücken  der- 
selben (Harpokr.  £iaattati)S ,  'Ejunoötov)  seheint  auf  eine  ungerechtfertigte 
Trennung  der  betheiligten  Personen  hingewiesen  zu  werden;  darauf  führt 
die  Unterscheidung  der  tvquvvoi  und  der  Joptyo'po*.  —  Onomakles,  der  Dritte, 
welchem  der  Proiess  gemacht  wurde,  hatte  sich  vorher  entfernt.  Leben  der 
10  Redner  833. 

184.  (S.  738).  Pbryoichos:  Lykurg,  gegen  Leokrat.  113.  Der  Volks- 
beschluss  zu  Ehren  der  Mörder  aus  dem  Jahre  des  Glankippos  92,  3  ist  in 
einem  Bruchstücke  CIA.  I  n.  59  erhalten,  das  von  Bergk  (Zeitschr.  für  A.  W. 
1847  S.  1099)  entdeckt  und  von  Kirchhoff  (Phil.  XIII  S.  16  und  Monatsb.  der 
Berl.  Akad.  1861  S.  603)  hergestellt  worden  ist.  Die  Namen  bei  Lysias  13,71, 
der  sich  auf  das  öffentliche  Schriftdenkmal  beruft  und  Lykurg,  geg.  Leokr. 
§112.  Dagegen  nennt  Plutarch  Alkib.  25  nur  Hermon,  Thukyd.  VIII  92  neunt 
nur  einen  nBQlnoXoq:  Scheibe  die  olig.  Umwälzung  S.  50,  Anm.  5. 

185.  (S.  739).  Alkibiades  an  der  karischen  Küste:  Thuk.  VIII  108. 
Plut.  Alk.  27.  Da  die  Gelder  von  den  Bandesgenossen  in  Asien  und  dem 
Archipelagus  nur  theilweise  nach  Athen  gebracht  werden  konnten,  mussten 
die  Athener  sie  selbst  einziehen.  Dadurch  entstand  in  Sa  mos  eine  Kriegs- 
kasse, an  welche  von  den  Schatzmeistern  in  Athen  Anweisungen  ergehen 
konnten:  t«  ix  Ziipov  CIA.  I  n.  188.  Vgl.  Böckh,  Staatsh.  23,  21.  Kirchhoff 
Abb.  der  Akad.  1876.    S.  52  f. 

186.  (S.  742).  Mindaros  nach  dem  Hellespont:  Thuk.  VIII  99  f.  —  Die 
beiden  Schlachten  werden  nach  dem  chersonnesischen  Vorgeb.  unweit  Madytos 
die  Schi,  von  Kynossema  (Thuk.  VIII  104)  genannt,  die  zweite  agjfo/ilvou 
tov  /«/uwvoc  Xen.  Hell.  I  1,  4—7.  Campe  (Jahrb.  f.  Phil.  1872  S.  705  f.)  hat 
den  Bericht  des  Thuk.  und  des  Xenophon  auf  eine  und  dieselbe  Schlacht  be- 
ziehen wollen,  doch  ohne  hinreichenden  Grund;  auch  bei  Diod.  XUI  40  und 
45  werden  beide  Kampfe  von  einander  unterschieden. 

187.  (S.  746).  Sieg  bei  Kyzikos  l^yonot  tov  xttfiäivos:  Diod.  XIII  49. 
Xen.  Hellen.  1  1,  11  ff.  Campe  a.  O.  S.  714 ff.  Dankfest  in  Athen:  Diod.  XIII 
52.  Mindaros'  Jammer- Depesche:  Xen.  §  23.  Plut.  c.  28.  Plut.  AUx.  28. 
Politische  Folgeo :  W.  Vischer  Untersuchungen  über  die  Verf.  von  Athen  in  den 
letzten  Jahren  des  pelop.  Kriegs.  Kl.  Sehr.  I  205.  Friedensgesandtschaft, 
Kleophon:  Diod.  XIII  52.    Pbilochoros  in  Fragm.  Hist.  Gr.  I  p.  403. 

188.  (S.  747).  Dekateuterion  bei  Cbrysopolis:  Hell.  I  1,  22.  Diod.  XIII 
64.    Böckh  Staatsh.  \\  396.    Ephesos:  Xeo.  I  2. 

189.  (S.  750).  Chalkedon:  Xen.  I  3.  Das  gleichnamige  Flüsschen :  Arrian 
bei  Eost.  Dion.  Per.  803.  Todtenlisten  (im  Athenaion  1882  von  Kumanudes  her- 
ausgegeben) als  dem  Jahre  4(J'j  angehörig  erkannt  von  Kirchhoff  Hermes  17,628. 
Die  Rubrik  für  Chalkedon  fehlt.  Auf  dem  erhaltenen  Steine  sind  die  Ver- 
luste bei  der  Belageraag  von  Byzanz  und  an  anderen  Platzen  verzeichnet. 
Der  Stein  von  dem  Grabdenkmal  im  Kerameikos,  den  Paus.  I  29,  13  sah: 
hd(ftiaav  ol  mgl  tov* ElXyanoviov  yai/^a/qaccyrfc.  Selymbria:  Xen.  I  3, 10. 
Plut.  Alk.  30  (nach  Ephoros).    Diod.  XIII  66  (nach  Theopomp).  Vertragsnr- 


Digitized  by  Google 


878 


ANMERKUNGEN   ZUM   VIERTEN  BUCH. 


koode  Kumaoudes  'A&^vaiov  V  513,  Kirchhoff  CIA.  IV  61t.  Die  mit  Selym- 
bria  geschlossene  Convention  erhält  darin  auf  Alkibiades*  Antrag  darch  die 
Bürgerschaft  ihre  Bestätigung;  gleichzeitig  erfolgt  die  Freigebung  der  bei 
Uebergabe  der  Stadt  dem  Alkibiadea  gestellten  Geiseln,  und  Erneuerung  der 
athen.  Proxeoie  für  den  unter  den  Geiseln  befindlichen  Apollodoros.  Das 
ibtUttyat  ro  ovoptna  ttov  bftriQWV  ttov  ZijXv/jßQmvüv  xal  Ttov  iyyvTjTtöv 
e7vat  xvgtov  ibv  ygap  parte  tr$  ßovlijs  bezieht  sich  anf  das  im  Metroon  de- 
pooirte  Exemplar  des  Vertrags,  nicht  anf  die  steinerne  Urkunde. 

169*.  (S.  751).  Byzantion:  Xen.  13;  13  f.  {al  nvXcu  al  tnl  rb  Gq^xiov 
xnloi  uevcti  :  §  20).  Diod.  XIII  66  ff.  Plut.  Alk.  31.  -  Pylos,  Ol.  92,  3  in 
der  3.  Pryt  noch  in  dem  attischen  Besitz,  von  Hermon  (S.  730)  befehligt 
(CIA.  I  n.  188)  moss  bald  darauf  im  Winter  310—9  voo  den  Messeniern  unter 
der  Bedingung  freien  Abzugs  Ubergeben  worden  sein:  Diod.  c.  64  {nevitxatdtxa 
tri)  itov  ji&Tp.  avjTjV  xarea^ortov,  tttp'  Srov  Atjf4oa9imjf  avirjv  fr<(f*a«). 
ISisaia  etwa  gleichzeitig  verloren:  c.  65.  —  Alkibiadea'  Heimkehr  (Thargelioa 
25):  Xeo.  1  4,  8—20.  Diod.  XIII  68  f.  Plot.  Alk.  32  f.  Vgl.  Herbat  Rück- 
kehr des  Alkibiades,  Hamburg  1843.  —  Unter  Archon  Diokles  402 — 3  erste 
Aufführung  des  Plutos,  welcher  nach  K.  Fr.  Hermann  Ges.  Abhandi.  S.  39  in 
der  zweiten  Bearbeitung  keine  wesentlichen  Aenderungen  erfahren. 

190.  (S.  753).  Alkibiades  in  Athen:  Xeo.  I  4,  13  f.  Plut.  Alk.  33. 
Jakchosprozession:  Plut.  c.  34. 

190*.  (S.  756).  Kyros  in  Kleinasien  (atftov  navxtov  rtov  inl  Vahirrri 
xal  av^noX((j.r\G(üv  Aaxtdaiuovloig):  Xen.  Hell.  I  4,  1. 

191.  (S.  757).  Parysatis  nnd  Kyros:  Xen.  Anab.  I,  1.  Kyros  xagavoe 
r£v  eis  Kacrulbv  a&goiCoftivtov  (Hell.  I  4,  3),  oaigantje  Avdiag  if  xal 
'pQvyias  rrje  fteyalrjs  xal  Kannadoxtas  (Anab.  I  9,  7).  Mit  dieser  Wörde 
hing  die  Leitung  der  griechischen  Angelegenheiten  zusammen.  Kyros'  <f*Xia 
itQOt  re  rijv  Aaxeöaijuovttitv  nbliv  xal  nob(  AvoavtQOV  lö(q.    Hell  II  1,  14. 

192.  (S.  759).  Lakedämonische  Friedensgesandtschaft  unter  Archon 
Euktemon  und  Androtion  (Usener  Jahrb.  f.  Phil.  1871  S.  311  ff.)  Gilbert  S.  361. 

192*.  (S.  760).  Lysanders  Nauarchie:  Xen.  Hell.  I  5,  1—10.  Diod. 
XIII  70.  Plut.  Lys.  3  f.  Der  DodwelTschen  Zeitordnung  gegenüber  muss  ich 
mit  Bockh  Staatsh.  23,19,  Peter  (Vorr.  zu  den  Zeittafeln  der  Gr.  Gesch.  1858 
S.  VI)  u.  A.  die  Chronologie  von  Haack  (Diss.  chrono!,  de  postr.  b.  pelop. 
aonis  Stendal  1822.  Xenoph.  Hellenica  ed.  L.  Dindorf  1853  p.  XXXVHI)  für 
die  richtigere  halten. 

193.  (S.  761).  EucQytofa  xal  noltreia  Svqaxoaiots  IvAvrav&Qtp:  Xen. 
Hell.  I  1,  16. 

194.  (S.  762).  Lysaodros  und  die  Helarien:  Plut.  Lys.  5,  13.  26. 
Diod.  XIII  70.  Vischer  Alkibiades  und  Lysandros  S.  63]  KI.  Sehr.  I  87. 
L.  und  Kyros:  Hell.  I  5,  6.  Plut.  c.  5.  Lysanders  Umsturzplane:  Aristoteles 
Politik  p.  194,  30.  207,  25. 

195.  (S.  765).  mwi^ta:  Mommsen  Heortologie  S.  427.  Schlappe  bei 
Notion:  Hell.  I  5,  11.  Diod.  XIII  71.  Plut.  Alk.  35.  Alkibiades' Entsetzung: 
Xen.  I  5,  16  ol  A&qvaTot  —  xaXtntve  rfjfo?  Trp  AkxißiaSn,  otoftevo*  oV  api- 
Xudv  te  xal  äxQaxuav  anoltolivai  ras  vavt  xal  aiQanyyoxjs  eTXovro  allovs 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  VIERTEN  BUCH. 


879 


oVx«.  —  'A Ix.  fih  oirv  noviiQate  xal  iv  rjj  OTQariä  (ptQOfitvoq  —  aninltvatv 
</f  XiQQOVTj<tov  tl$  ta  iavrov  Ttfxi*  fiitit  ©7  javra  Kovtov  ix  rij$  "Avöqov 
—  tti  Zupov  antnXivoiv.  Diod.  XIII  74.  Plut  Alk.  36.  Lysaud.  5.  Nep. 
AIcib.  7.    Justin.  V  5,  3. 

196.  (S.  768).  CIA.  I  o.  64.  Kallikratidas:  Hell.  I  6,  1.  Kotion  ein- 
geschlossen: 6, 16—18.  Diod.  XIII  77.  Wie  Kallikratidas  ihm  gedroht  hatte, 
or»  navati,  avtov  fioix<ovra  ir\v  »aXarrav. 

197.  KS.  768).  Ausleerung  des  Staatsschatzes:  Kirchhoff  Urkunden  der 
Schatzmeister  (Abb.  der  Akad.  der  Wiss.  1864)  S.  55.  Nothmüozen  aus  dem 
Jahre  des  Archon  Antigenes:  Böckh  Staatsh.  1*,  29.  76  xaivov  /^i/fffoy: 
Aristoph.  Ran.  720.  Dazu  Philochoros  im  Schol.  —  Die  Sklaven,  welche  bei 
den  Arginusen  mitkämpften,  erhielten  die  Freiheit  und  zugleich,  entweder  alle 
oder  doch  ein  Theil  derselben,  Landloose  in  der  Gemarkung  von  Skione,  welche 
89,  3  nur  theilweise  an  die  wenig  zahlreichen  Piatier  (s.  S.  607)  überwiesen 
worden  sein  kann.  So  erklärt  Kirchhoff  Kleruchien  S.  9  Arist.  Frösche  694 
niataiäf  ti&vg  tlvcu  xtcvrl  Sovltov  öeonorag,  und  Hellanikos  Atthis  b.  Schol. 
a.  0.  avfiuax^oavtaq  dovlovs  lltv&tQu&riVtti  xal  lyyQa(f4vrae  tos  Tllnxatiiq 
ovjATZoliTtvaao&at  avroTi. 

198.  (S.771).  Neue  Rüstung:  Diod.  XIII  97.  Hell.  I  6,  19.  Schlacht:  27—38. 

199.  (S.  778).  Herbst  die  Schlacht  bei  den  Arginusen  S.  17,  hat  gegen 
Grote's  Versuch,  das  Verfahren  der  Bürgerschaft  zu  rechtfertigen  und  die 
Feldherrn  als  schuldig  darzustellen,  das  richtige  Sachverhältniss  entwickelt, 
wie  es  sich  aus  Xenophon  ergiebt.  X.  gegenüber  kann  Diod.  XIII  101  keine 
Autorität  sein,  und  es  ist  unstatthaft,  Tberamenes'  Verfahren  als  eine  noth- 
gedrungene  Selbstverteidigung  zu  entschuldigen.  Auch  Lysias  c.  Eratosth. 
36  enthält  keine  Billigung  der  Verurteilung.  Kallixenos,  mit  anderen  vier 
gefangen  gesetzt,  entflieht  während  der  oligarchischen  Revolution,  kehrt  nach 
dem  Sturz  der  Dreifsig  heim  und  stirbt  den  Hungertod,  ein  Gegenstand  des 
allgemeinen  Hasses:  Xen.  Hell.  I  7,  35.  G.  Löschcke  hat  in  den  Jahrb.  f.  klass. 
Phil.  1876  S.  757  meine  Darstellung  des  Abstimmungs Verfahrens  bestritten  und 
alles  Außerordentliche  geleugnet,  unter  ßeistiinmuug  von  Fränkel  Geschworneo- 
gericht S.  18  und  Gilbert  S.  379.  Wer  hat  denn  behauptet,  dass  durch  zwei 
Urnen  die  geheime  Abstimmung  verhindert  werde?  Wenn  aber  bei  offener 
Aufstellung  mit  einem  Stein  gestimmt  wird  (y/rjipfoao&cti  ets  rfjv  ngorigav 
oder  ets  tr\v  vaiigap  Xen.  I  7,  9),  dann  ist  der  Zwang  einer  öffentlichen 
Abstimmung  unverkennbar.  Auch  zeigt  die  Ausführlichkeit  des  Berichts,  dass 
es  sich  um  ein  ganz  anomales  Verfahren  handelt.  —  Reue  der  Athener:  Xen. 
I  7,  35.  Suidas  s.  tvavuv.  Diod.  XIII  103.  Plat.  Apol.  32  a.  naQayo/uojf, 
ojc  lv  roi  vOt£q<p  XQ°vtl}  Tinow  v/uiv  iäoxti, 

200.  (S.  779).    Die  Peloponnesier  auf  Chios:  Hell.  VI  1. 

201.  (S.  780).  Lysandros  als  tniöiolev  oder  IniOiohoipÖQoq  in  Asien 
gegen  Ausgang  des  Winters  406— 5.  Scheibe,  Oligarchische  Umwälzung  S.  13. 
Weifsenborn,  Hellen  S.  200.  Beloch  Rh.  Museum  34  (1879),  123.  Arakos 
Strohmann:  Vischer  Alk.  u.  Lys.  S.  42  Kl.  Sehr.  1  S.  137.  —  Die  außerordent- 
liche Stellung  des  .\auarchen  beruht  darauf,  dass  er,  ohne  Col legen,  mehr  als 
alle  andern  Beamten  auf  eigene  Verantwortlichkeit  handelte.   Daher  wurde  die 


Digitized  by  Google 


880  ANMERKUNGEN  ZUM  VIERTEN  BUCH. 

ftauarchie  (qftdoy  hi<>cc  ßaaiitta  Arist.  Pol.  49,  31),  die  erst  mit  dem 
Beginne  des  pelop.  Kriegs  in  den  Vordergrund  tritt,  mit  Misstrauen  angesehen 
und,  obgleich  für  kein  Amt  geeignete  Persönlichkeiten  seltener  zu  finden  waren, 
dennoch  das  Gesetz  gegeben],  dass  Niemand  zweimal  das  Amt  bekleiden  dürfe 
(ov  topos  rov  avtov  Sie  vavaQxäv  Xen.  II  1,  7.  Ephoros  bei  Diodor  XIII  10). 
Vgl.  Heloch  Rhein.  Mus.  34:  Die  Nauarchie  in  Sp.,  welcher  früheren 
Zweifeln  gegenüber  die  Annuität  des  Amts  nachgewiesen  und  sich  durch 
Aufstellung  genauer  ßcaintenlistcu  um  den  Gegenstand  verdient  gemacht  hat. 

202.  (S.  781).  Aiowatwv  ovrtuv  Diod.  XIII  104,  d.h.  im  Anthesterion 
(Februar,  März)  Clinton  Fast.  Hell.  II  285.  Dasselbe  Frühlingsfest  in  Ephesos, 
Teos,  Smyrna,  Phokaia,  Massilia  (Zeitschrift  für  die  Alterthumswisseascbaft 
1830  S.  496). 

203.  (S.  783).  Lagerplatz  bei  Aigospotamoi :  Hell.  II  1,20.  Adeimantos: 
I  5,  21;  verspottet  in  den  Fröschen  1513;  vgl.  Schol.  —  Menandros  nach 
Sievers  Comm.  p.  34  der  Thuk.  VII  16  und  Xen.  Hellen.  I  2,  16  Erwähnte. 
Philokles:  Diod.  XIII  106.  Alk.  im  Lager:  Hell.  II  1,  25.  Plut.  Lys.  10. 
Alk.  36.    Ungenau  ISepos  c.  8. 

204.  (S.  784).  Das  Datum  der  Schlacht  von  Aigospotamoi  kann  nur  nach 
dem  der  Uebergabc  von  Athen  bestimmt  werden,  welcher  eine  vier-  bis  fünf- 
monatliche Belagerung  und  eine  Reihe  anderer  Ereignisse  vorherging,  so  dass 
eine  Zwischenzeit  von  etwa  siebeu  Monaten  angenommen  werden  muss.  Die 
Schlucht  kann  also  schwerlich  spater  als  in  den  August  gesetzt  werden 
(Peter  Zeittafeln  Anm.  150).  Diese  Zeit  ist  auch  deshalb  sehr  wahrscheinlich, 
weil  von  den  Stürmen,  welche  um  den  Frühaufgang  des  Arkturos  (Mitte  Sept.) 
die  SchiflTahrt  zo  unterbrechen  pflegten,  gleich  nach  der  Erntezeit  namentlich 
im  MeUgeitüion  (Demosth.  adv.  Polykl.  §  4)  die  Kornzufuhr  aus  dem  Pontos 
besonders  lebhaft  war.  Vgl.  Weifscnborn  N.  Jen.  Literaturz.  1848  S.  660. 
Es  musste  also  Lysandros  daran  gelegeu  sein,  um  diese  Zeit  den  Hellespoot 
zu  schliefsen.  Anfser  den  bei  Xen.  Hell.  II  1,  29  erwähnten  8  Schiffen  Konons 
und  der  Paralos  sind  aus  der  Schlacht  entkommen  dasjenige  des  Phalereers 
JMausimachos  und  des  Sprechers  der  Rede  Lys.  XXI,  beide  nicht  zu  Konons 
Geschwader  gehörig  (§  9  ovdoog  poi  av/unl4oyjoq  tnoatijyov)  und  das  eines 
unbekannten  Trierarehen,  zusammen  12  (§  11), 

205.  (S.  784).  Verrath  des  Adeimantos:  Xen.  Hell.  I  32  jri«'»q  vn6 
iivwv  nooSovvat  roc  v«Sc.  Lysias  c.  Ale.  XIV  38.  (Alxißiadris)  hoXiir)Ot 
tat  vavg  fitiä  A6ufiavtov  nooöovvat.  Demosth.  XIX  401  Kovtav  (xattjyoQti) 
'AdiifJiaviov  avatoatrjyraae.  Paus.  IV  17,  2.  X  9,  11;  andeutungsweise 
vielleicht  auch  Thuk.  II  65  (vgl.  E.  Möller  de  Xen.  Hist.  Gr.  24  not.).  Auf 
seine  Verurteilung  und  den  Verkauf  seiner  Güter  durch  die  Poleten  hatte 
Böckh  Mondcyklen  S.  36  die  Inschrift  Rangabe  1  n.  348,  CIA.  I  274.  275. 
276  bezogen,  welche  aber  nach  Kirchhoff  N.  Jahrb.  f.  PbiJ.  1860  S.  238  in 
Ol.  91,  3  gehört.  Doch  ist  die  lieber! ieferuog  vom  Verrathe  nicht  widerlegt. 
Philokles:  Theophrast  b.  Plut.  Lys.  13.   Hell.  II  1,  32. 

206.  (S.  786).  Vgl.  Lysias  g.  Nikomachos.  lieber  sein  Glück  §  27  x«<- 
loi  avtl  fjkkv  Soikov  noitirjs  yfy^vtjtait  ävtl  d£  7rra*/ot/  nlovoiog,  ttvti  cH 
vTioyQaju/biaTitis  vo^iodiitfi. 


Digitized  by  Google 


ANMERKUNGEN  ZUM  VIERTEN  BUCH 


8*1 


207.  (S.  787).  Verarmung  der  attischen  Bühne:  Aristophanes'  Frösche  192  f. 
Sophokles'  Tod  Berga  Gr.  Lit  3,  368.  —  Verherrlichung  Pierieos:  Eurip.  Bacch. 
5G5.  MaxitQtav  «t-urf/Vc:  Frösche  v.  85.  Vgl.  v.  Leatsch  im  Philologus  2,  S.  32. 
—  Zu  Archelaos'  Gasten  gehörten  der  Epiker  Choirilos  und  der  Dithyramben- 
dichter  Melanippides.  Mach  der  von  v.  Wilamov*itz  (Hermes  XII  353  IT) 
gegebenen  Erklärung  der  bei  Marcel  liuus  §  29  citirten  Worte  des  Praxi- 
phaues  auch  Nikeratns,  der  Komiker  Piaton  und  Thukydides.  Ein  sicheres 
historisches  Resultat  ist  nicht  gewonnen    Vgl.  Schöll  im  Hermes  XIII  447. 

208.  (S.  790).  Athen  nach  der  Schlacht:  Justin.  V  7.  Hell.  II  2,  3. 
Zwang  der  Heimkehr:  Plul.  Lys.  13.  Hell.  II  2,  2.  Hcimführung  der  Aegioeten, 
Melier  u.  s.  w.:  2,  9.  Lysandros  vor  Sa  mos:  Plut.  Lys.  14.   Hell.  II  3,  6. 

209.  (S.  792).  Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dnss  die  attischen  Oügarchen 
erst  längere  Zeit  nach  der  Miederlage  bei  Aig  ihre  staatsnmwälzcndcn  Um- 
triebe begonnen  haben  sollten;  da  also  Lysias  XII  §43  (die  einzige  Quell«*) 
die  Einsetzung  des  Ephorats  als  den  Anfang  der  revolutionären  Umtriebe  be- 
zeichnet (o9iv  »j^for  tri;  otaatot;) ,  so  bin  ich  auch  jetzt  noch  der  Meinung, 
dass  jener  dirigirende  Clubbisteuausschuss  der  Zeit  vor  der  Capitulatioo  an- 
gehören muss  (mit  Rauchenstein  Philol.  XV  S.  703  und  Frohberger  Lysias  ], 
S.  15  gegen  G.  Lange  Neue  Jahrb.  1863  S.  217).  Doch  bekenne  ich,  dnss 
ich  für  eiue  sichere  Bestimmung  keine  Handhabe  finde.  Ucber  Krittas  siehe 
Ann).  181.  —  Als  eine  wirkliche,  wenn  auch  verfassungswidrige,  doch  aner- 
kannte Behörde  erscheinen  §  76  ol  xudtair\x6iis  tyoQOi.  —  Ueber  Patroklei- 
des  Scheibe  Olig.  Umw.  S.  36;  Zeitschr.  für  Alterthumsw.  1812  S.  201;  Böckh 
Stoatsb.  I3  239.  -  Areopag:  Lysias  XII  §  69.  Meier  Rhein.  Mus  1,  277. 
Plut.  Kim.  c  10.  vgl.  Band  III  Aum.  29  zu  Buch  5.  Philippi  S.  185  will 
daraus  nur  auf  ein  Mandat  des  Areopags,  nicht  auf  seine  damalige  Bedeutung 
schliefsen. 

210.  (S.  7y6).  Lysandros'  Verfahren  in  Sesto*  wird  in  Sparta  nicht  gut- 
geheifsen:  Plut.  Lys.  14.  Erste  Friedensgesandtschaft  nach  Sparta:  Hell. 
II  2,  15.  Tberamenes  bei  Lysandros:  II,  16;  nach  Sparta:  2,  17;  Lysias  XII 
68  unterscheidet  nicht  die  doppelte  Gesandtschaft  und  schweigt  von  den 
neun  Mitgesandten.  Tumultuarischer  Prozess  gegen  Kleophon:  Lys.  XIII  12. 
XXX  10. 

211.  (S.  797).  Korinther  und  Thebaner:  Hell.  112,  19.  Delphi:  Aclian 
V.  H.  II  4,  6.  Die  Verhandlungen  der  peloponnesischen  Bundesgenossen  über 
das  Schicksal  Athens  fanden  in  Sparta  statt.  Vgl.  Wesseling  zu  Diod.  XIII 
63.  Scheibe  S.  43.  Möglicher  Weise  sind  die  Au  träge  auf  Zerstörung  der 
Stadt  später  im  Kriegslager  von  Lysandros  erneuert  w  orden.  Weifsenborn  Hellen 
S.  206.  Friedensbedingungen:  Hell.  112,20.  Plut.  Lysandros  14.  Diod. 
XIV  3.    Theramenes  gegenüber  der  Opposition:  Plut.  a.  O. 

212.  (S.  799).  Volksversammlungen:  1.  am  Tage  nach  Theramenes' 
Heimkehr  (rr}  ioitQaitc  Hellen.  II  2,  21).  In  ihr  erfolgte  die  Berichterstattung 
und  Annahme  der  Friedensbewegungen.  2.  in  Munichia  (Lys.  XIII  32),  als 
die  Blokade  bereits  aufgehört  halte  (c.  25);  Denunciation  des  Agoratos.  3. 
i}  7rc(>)  ff;  nohxttas  (Lys.  XII  71),  wo  Lysandros  persönlich  erscheint.  Ueber 
die  Ordnung  der  letzten  Athens  Schicksal  entscheidenden  Volksversammlungen 

Curtiui,  Or.  Ge»eh.  II.   6  Aufl.  56 


Digitized  by  Google 


882 


ANMERKUNGEN  ZUM  VIERTEN  BUCH. 


vgl.  Scheibe  Ölig.  Umwälzung,  Raucbenstein  im  Neuen  Schweizerisches 
Museum  1S66,  Frohberger  zu  Lys  XH  34,  Stedefeldt  im  Philol.  29,  222  IT. 
—  Du  Xenonbon  nur  summarisch  die  Hanptthatsacben  erwähnt,  so  ist  der 
Widerspruch  mit  Lysias  mehr  ein  scheinbarer,  und  bei  Letzterem  eine  ab- 
sichtliche Entstellung  der  vor  einem  Jahre  erfolgten  stadtbekannten  Begeben- 
heiten anzunehmen  unstatthaft.  Wenn  aber  gegen  die  befolgte  Ordnung  der 
Begebenheiten  geltend  gemacht  wird,  dass  eine  so  lange  Verzögerung  der  Maß- 
regeln Lysanders  unglaublich  sei  (Stedefeldt  S.  236  IT.),  so  ist  zu  bedenken, 
dass  wir  bei  Lysanders  Charakter  nicht  wissen  können,  was  für  heimliche 
Absichten  derselbe  mit  der  Flotte  und  den  Mauern  Athens  eiue  Zeitlaug 
hegen  mochte.  Vgl.  Cbr.  Rcuner  Comnient.  Lysiac.  Gott.  1869  p.  11.  Aus 
Thuk.  V  26  (ra  ftttxQa  itfav  v°v  JJdQKiä  xaifkufiov)  wird  man  auf  eine 
Besatzung  im  Peiraieus  seit  der  Capitulatioo  sehliefsen  können ;  außerdem 
stand  Agis  noch  in  Dekelcia,  der  bei  der  Einsetzung  der  Üreifsig  vor  der 
Stadt  erscheint  (Lys.  XII  71)  gleichzeitig  mit  Lysandros,  und  erst  nach  der 
vollzogenen  Verfassungsänderung  abzieht:  Hell.  II  3,  3.  Lysandros  ist  auch 
405—4  als  tntorolns  an  der  Spitze  der  Flotte  geblieben.  Beloch  a.  a.  O. 
S.  123. 

213.  (S.  SOI).  Kritias  (jvytüv  vnit  iov  Jjjjuov:  Xen.  II  3,  15,  in  Thes- 
salien II  3,  37,  Memorab.  1  2,  24.  Amynias:  Arist.  Wesp.  1263.  Wolken 
691.  Seine  nttQanQcaßeta  von  Eupolis  gerügt  c.  Ol.  89,  Fragm.  Com.  II,  513 
K.  Fr.  Hermann  Gr.  Staatsalt.  §  178,  14.  Krilias  nicht  uutcr  den  Vierhun- 
dert: Wattenbach  de  Quadr.  Athenis  factione  p.  46. 

214.  (S.  S02).  Cbarmides:  Xeo.  Hell.  II  4,  19.  Dass  die  füuf  Epboren 
nicht  immer  dieselben  waren,  geht  auch  aus  Lysias  XII  43  hervor;  denn  das 
Zeugenverhör  über  des  Eratostheoes  Mitgliedschaft  begreift  sich  nur,  wenn 
er  vorübergehend  dazu  gehört  hatte.  So  i»t  es  wohl  auch  in  Betreff  des 
Kritias  am  wahrscheinlichsten,  dass  er  nach  seiner  Heimkehr  in  das  Collegium 
aufgenommen  wurde,  wie  Kauchenstein  annimmt  Phil.  15,  708. 

215.  (S.  803).  Die  Geschichte  der  letzten  Demüthigung  Athens  knüpft 
sich  an  zwei  Hauptdata:  das  eine  ist  die  Capitulation  der  Stadt,  das  zweite 
die  Einsetzung  der  Dreißig.  Die  Capitulation,  deren  Urkunde  bei  Plut.  Lys. 
14  erhalten  ist,  erfolgte  nach  Plutarch  am  16  teu  Munychioo,  und  dies  ist  das 
Datum,  bis  zu  welchem  auch  Thukydides  den  ganzen  Krieg  rechnet  (V  26: 
fif/Qi  ov  rtjr  ie  «Qxhv  xttiinavaav  tiov  \4di]va(tav  yfaxitiaifiöviot  xai  oi 
Evjjfittxot  xai  ra  fJdcxQu  r«7/n.  *a*  T0V  »axilußov.  htj  i(  rovto 
t«  Sufinatia  fytvtro  toT  noMftqt  $ma  xal  ttxooi.  — noX/fia)  kvorjaa  t*c  ro- 
aavra  frij  xai  t)/i/oac  ov  nolkae  napivtyxovoas).  —  Der  Krieg  bat  begonnen 
den  letzten  Authesterion  431,  Apr.  4  (S.  398,  852  Anm.  21)  und  ist  beendet 
am  26.  Mun.  404,  Apr.  25/6;  er  bat  also,  wenn  mau  seine  drei  Abschnitte 
den  'ersten  oder  zehnjährigen',  die  scheinbare  Waffenruhe  und  den  'zweiten 
oder  dckeleischen'  Krieg  zusammenfasst,  wie  Thuk.  sagt,  27  Jahre  und  'nicht 
viele  (d.h.  21)  Tage  gedauert.  Böckh  Mondcykleu  S.  81.  Für  die  Schleifung 
der  Mauern  war  ein  Termin  angesetzt.  Dieser  wurde  nicht  eingehalten  (Plut. 
Lys.  15  iaxavat  yaQ  to  «Yjflj  nov  fjfttQtSv,  tr  als  (<fu  xa9rfQii<f9oit  nao<{i^rr 
ptrtuv.    Diod,  XIV  3  vottqov  iü>>  ovyxetutvbjv  rptoüv  xa&tßrpUvat  tu  r«(yij). 


Digitized  by  Google 


NACHTRÄGE. 


883 


Nun  erfolgte  die  zweite  Katastrophe,  die  mit  Zerstörung  der  Mauern,  Ver- 
brennung der  Schilfe  und  dem  Siegesjubel  der  'befreiten'  Bundesgenossen  ver- 
bundene Aufhebung  der  Verfassung  und  Einsetzung  der  Dreifsig.  Dies  geschah 
wenig  Monate  nach  der  Capitulation.  Mit  Endo  des  Sommers  kehrte  Lysan- 
droa  nach  Bezwingung  von  Samos  heim  (Hell.  II  3,  8).  —  Zu  dem  Ueber- 
blick  über  den  Verlauf  des  Kriegs  vgl.  Thuk.  II  65,  wo  er  an  die  Be- 
sprechung der  letzten  Wirksamkeit  des  Periklcs  seine  Betrachtung  der 
nacbperikleiscben  Zeit  anknüpft,  nm  deutlich  zu  machen,  wie  sehr  das  ganze  Un- 
glück Athens  die  Weisheit  uud  Gröfse  des  Periklcs  erkennen  lasse. 


Nachtrage. 


Zu  S.  226  und  836.  Für  die  Bedeutung  der  Strategie  in  Athen  babeu 
wir  jetzt  ein  neues  Zeugniss  in  der  vor  kurzem  auf  der  Akropolis  gefundenen 
Inschrift,  in  welcher  der  Thessalier  Kallippos  zum  Proxenos  ernannt  wird. 
Sitzungsbericht  der  Preufs.  Akademie  1SS8  S.  244.  Bulletin  de  correspond. 
Hellenique  1SSS.  Inscr.  de  l'acropole  par  Mylonas  nr.  8.  Hier  folgt  nach 
AvjixQaiT\q  ineaiaTH'  yvtofirj  otqcii qytuv.  Die  Strategen  hatten  also  nach 
dieser  Urkunde  die  Initiative,  um  durch  Rath  und  Bürgerschaft  einem  Aus- 
wartigen  die  Anerkennung  seiner  Verdienste  um  den  Staat  zu  erwirken. 

Zu  S.  242.  Athenische  Beamte  in  den  Buodesorten.  In  dem  Dekret 
Sitzungsbericht  1888  S.  281  (Bulletin  a.  a.  0.  nr.  1)  werden  angerührt:  oi'rmc 
si&qvetttov  äg/ovatv  iv  ttj  vxtQoqUt',  sie  erhalten  den  Auftrag,  für  die  Person 
des  Leonides  Sorge  zu  tragen,  sowie  es  in  Athen  die  Prytanen  und  der  Rath 
tbun  sollen. 

Zu  S.  244.  Bezeichnung  der  Bundesgenosscoschaft  als  Reichsgebiet.  Ocm 
Achaer  Lykon  wird  mit  der  Proxenie  die  Erlauboiss  ertheilt  nXttv  xal  XQ'h" 
fiara  teaytiv  offijff  yA&rjvaioi  xgccrovai  x«i  ils  to  ' Adqvatoiv  (foovQta,  fg 
öl  rbv  xoX[nov  — .  Sitzungsbericht  S.  246.  Bulletin  nr.  3.  Die  Inschrift 
muss  noch  in  das  Ende  des  fünften  Jahrhunderts  gehören.  Aehnlich  lautet 
es  in  der  Leonidesinscbrift  (Sitzungsbericht  S.  241  n.  13):  offijc  *A9rflmTot 
XQaxovoiv  und  rav  noXaov  u>v  Adrjvutoi  XQarovcH. 

Zu  S.  273.  Ein  Landsmann  und  Parteigenosse  Herodots  ist  uns  jetzt 
bekaont  geworden  in  dem  Leonides,  zu  dessen  Ehren  das  neuerdings  aufge- 
fundene Dekret  abgefasst  ist  (Sitzungsbericht  S.  241,  Bulletin  nr.  1).  Wer  ihn 
tödtet,  heifst  es,  wird  betrachtet  wie  Einer,  der  einen  Athener  tödtet.  Auf 
seine  Kosten  wird  das  Dekret  doppelt  ausgefertigt.  Der  eine  Stein  bleibt  in 
Athen ;  für  den  anderen  hat  Leonides  zu  sorgen,  dass  er  oach  Halikarnnss  ge- 
bracht und  dort  im  Heiligthum  des  Apolloo  aufgestellt  werde.  Diese  Urkunde 
gehört  in  die  Mitte  des  fünften  Jahrhunderts. 

56* 


Digitized  by  Google 


S84 


NACHTRÄGE. 


Zu  S.  303.  iXach  R.  Schöll  (Sitzungsbericht  der  K.  Bayer.  Akad.  der 
Wiss.  Phil.-hist.  Classe  1 8SS  Heft  1:  der  Prozcss  dos  Pbidias)  war  mit  der 
Deuuocialioa  des  Mcooo  «fatu  verbunden,  weil  derselbe  sich  als  Mitschuldigen 
bei  dem  zur  Anzeige  gebrachten  Verbrechen  bekannte,  um  die  Beschuldigung 
glaubhafter  zu  machen.  So  wurde  auch  bei  der  Dcnunciation  des  Hermen- 
und  Mystericnfrevels  aSim  mit  ftqvi-ais  verbunden.  Scholl  stimmt  mir  bei 
gegen  die  von  Lüschcke  aufgestellte  Chronologie  der  Werke  des  Pheidias 
(S.  852).  Dagegen  glaube  ich  auch  nach  Schöll's  Erörterungen  die  echten 
Worte  des  Philochoros  im  Scholion  zu  Arist.  Pax  (S.  851)  richtig  begränr.t 
zu  haben.  Denn  abgesehen  von  dem ,  was  ich  in  der  Arch.  Zeitung  XXXV 
S.  134  (Pheidias'  Tod  und  Philochoros)  darüber  gesagt  habe,  weise  ich  nur 
darauf  hin,  dass,  wenn  Plutarchs  Nachricht  von  der  Atelie  Menons,  wie  Schöll 
mit  Recht  annimmt,  authentisch  ist,  da  der  Antragsteller  genannt  wird,  Philo- 
choros doch  unmöglich  eine  urkundlich  bezeugte  Thatsache  so  unklar  und  so 
ulivollständig  mittheilen  konnte,  wie  in  den  Worten  66$rcg  —  txgidt}.  Wie 
diese  gerichtliche  Verhandlung  (denn  Anderes  kann  doch  xqh'ttv  nicht  heifseo) 
abgelaufen  sei,  das  muss  erst  wieder  aus  Plutarch  in  den  sogenannten  Philo- 
choros hinein  interpretirt  werden.  Wenn  der  Scholiast  diejenigen  widerlegen 
will,  die  das  Missgeschick  des  Pheidias  nach  Vollendung  der  Parthcoos 
als  die  unmittelbare  Veranlassung  des  Kriegs  ansahen,  so  war  auch  das  kurze 
Citat  aus  Philochoros,  wie  ich  es  annehme,  nicht  überflüssig;  denn  es  diente  ihm 
dazu,  den  Beweis  zu  liefei  n,  dass  zwischen  Vollendung  der  Parthenos  und  dem 
Ausbruch  des  Kriegs  sieben  Jahre  verflossen  sind.  Nach  meiner  Uebcrzcugung 
kommen  wir  im  Wesentlichen  auf  das  zurück,  was  im  Ansehluss  an  0.  Muller 
uud  Preller  (Pauly  RcalcncyclopÖdie  V  S.  1451)  Brunn  Gesrb.  der  gr.  Künstler 
I  167  vorgetragen  hat.  In  der  schwülen  Zeit  um  431  konnte,  um  Perikles 
zu  stürzen,  auch  auf  alte  Geschichten,  wie  die  Abrechnung  in  Betreff  des 
Goldmantels,  zuiürkgegriffen  werden.  Menon  denuncirte  in  der  Form,  dass  er 
Pheidias  beschuldigte,  den  Epistnten  falsche  Rechnungen  vorgelegt  zu  haben, 
wodurch  der  Staat  betrogen  worden  sei.  Die  Denunciation  ist  (wenn  auch 
erst  durch  Ausdehnung  auf  die  anstöfsigen  Schildreliefs)  erfolgreich  gewesen. 
Das  beweist,  wie  Schöll  nachweist,  das  von  Glykon  beantragte  Ateliedekret. 
Pheidias  wurde  verhaftet  und  die  Strategen  beauftragt,  für  die  persönliche 
Sicherheit  des  Dcnuncianten  einzustehen,  wie  Plutarch  genau  berichtet.  Das 
war  die  bitterste  Demüthigung  für  Perikles,  wie  sie  438,  als  er  auf  der  Höhe 
seines  politischen  Einflusses  stand,  undenkbar  ist.  Plutarch  setzt  dieselbe  auch 
ausdrücklich  {neql  toltov  iov  jfpoVoy  'Aonuoia  etc.)  in  dieselbe  Zeit,  da  Her- 
mippos  gegen  Aspasia  und  Diopeithcs  gegen  Anaxagoras  mit  ihren  Angriffen 
vorgingen.  —  Was  gegen  meine  Chronologie  der  Werke  des  Pheidias  angeführt 
worden  ist,  namentlich  der  Umstand,  dass  der  Tempel  in  Olympia  456  fertig 
war  und  das  Zeusbild  erst  438  in  Angriff  genommen  wurde,  erklärt  sich 
daraus,  dass  der  Bau  die  Geldmittel  erschöpft  hatte,  und  dass  man,  als  die 
Kasse  sich  wieder  gefüllt  hatte,  warten  musste,  bis  Pheidias  mit  der  Parthenos 
fertig  war. 

Zu  S.  425.  (Jeher  die  Geschichte  der  Daduchenfamilie  vgl.  jetzt  P.  Welzel 
Kallias.  Gymnasialprogramm,  Breslau  1888.  Hier  sind  die  Anekdoten,  welche 


Digitized  by  Google 


NACHTRAGE 


8S5 


drn  Reichthura  des  Geschlechts  an  Marathon  oder  Salamis  anknüpfen,  richtig  ge- 
würdigt, und  der  Beiname  des  zweiten  Kallias  (XttxxfnXovtog)  mit  Recht  auf  Berg- 
werk besitz  bezogen  ('Grubenbaron').  Ob  dieser  mit  dem  Glitten  der  Elpinike  (S. 
123)  identisch  sei,  bleibt  zweifelhaft,  ßörkh  I3  563  ist  dagegen.  Sein  Sohn  ist 
Hipponikos,  dessen  Frau  sich  mit  Perikles  verband  (S.  229);  Hipponikos'  Subo 
der  dritte  Kullias,  mit  dessen  Rcichthum  es  414  schon  auf  die  Neige  ging; 
darum  erscheint  er  bei  Aristoph.  Vögel  V.  284  mausernd  (nrtQOQQvtt).  Na«h 
Welzel  S.  XXXII  ist  er,  der  von  Hause  aus  mit  Sicilien  und  Gorgias  in  Ver- 
kehr war,  der  Antragsteller  des  Vertrags  mit  Leontiuoi  (S.  S64  Anro.  106: 
Ka'/Xias  ttner)  und  auch  der  Arcbon,  unter  dem  das  schlechte  Kupfer  geprägt 
wurde.    Böckh  P  691. 

Zu  S.  449.  Das  Ebrendekret  Tür  den  Kolophonier  Aretas  (Corpus  Inscr. 
Alt.  I  361)  neu  behandelt  von  R.  Schöll  (Sitzungsbcr.  der  K.  Rayer.  Akad.  der 
Wiss.  ISSS  S.  45).  Es  handelt  sich  um  Malsregcln  Tür  die  Sicherheit  eines 
Freundes  der  Athener,  dessen  Partei  sich  durch  Paches  in  Notion  behauptete. 
Zu  ihrer  Stärkung  erhielt  Notion  eine  attische  Colonie.   Thuk.  III  34. 


Digitized  by  Google 


ZU  DER  KARTE  DES  ATTISCHEN  SEEBUNDES. 

Vgl.  S.  236,  243  ff. 


Die  tributpflichtigen  Städte  des  delisch -attischen  Seebundes. 


A.  In  den  Inschriften  erwähnt: 
(•  nur  in  der  Schttxuug«nrkande  CIA  I  n.  37  outhalteo). 


Nf)Ot  (UTlxbs  <fOQO( 
JZvqioi 

"JVOQIOI 
TT}VHJt 

Myxoviot 

Na£tot 

IJdgtoi 

•XfQÜt 

'fatal' 

firjgatot 

*Ava<fatot 

**PoX(yavdgoi 
*Kifitolos 

£fg{<flOl 

*BeXß(v« 

Kttot 

Aiytvrjiai 

Evßoifji 

Adrjvitai 

JtaxQijs  tcno  XaXxidfav 
Airfi  anb  Krpalov 

%Egftgt^S 

'Eoiuxtttf 

KctQVOTtOl 

XctXxtdijt 


AqUVtOl 
Mvgtvatot 


'lllßgiOt 

'Eki.T\O7l6vTl0q  (fOQO( 

Bv(dvriot 
£rjXvf4ßgutvot 

ritQtv&iot 

AavvioTiixiJttt 
ZofißQUtvoi*) 
Zxaipioi 
Tvgodifyt 
*  Btadv&t] 

XtggovtjOtxat 

Ntanolts  nag*  Xiggo- 

vytrov 
Ayoga 

KaXXmoXixai 

Ma&vxiot 
'EXaiovOtot 
Atpvcuoi 
'AXatnfxovvrjütoi 


Ttvtäoi 


A«fA7t<OV(ltjs 

Ntavdgtiijs 

Ktßgt\vtoi 

Brjgvow* 

nnivtot 

Jagöavijs 

ACeif)S 

\4ßvtt}Voi 

Agtojkaot 

IlfQxtoaioi 

TTaXatntgxtiioioi 

A«fi\fntxr)Voi 

naiorjvot 

üagtavot 

ngianip 

*  MtjTgonoXis  nag*  JTgta- 

7tOV 

AiöufiotttxiTai 

Agnaytavoi 

ZtXtiaxat 

*  'OtXrjvoi 

*  IIv&OJToXTltU 

''Agxatov  inl  xyPvvtiuxi 
'Agratov  ifi>off  Inl  xq, 
Pvvöaxt 

AgtOXTJVOt 

KvCixrjvol 

nooxow^Oiot 

Buoßtxos 

AaaxvXtiavoi 

*A*gtlov  naga  r»/v  Mu- 

alav 
BgvXXttavoi 


»)  MontUbericht  der  Akad.  d.  W.  1880.    S.  4&6. 


Digitized  by  Google 


ZUR  KAUTE  DES  ATTISCHEN  SEEHUNDES. 


887 


Ktavot 
Aaraxrjvol 

Bqitxtog  qoQOf 

Alvtot 

MiXxtoqtot 

ralaiot 

JlIuqtOVtTttt 

A(xnta  naq'  "Aßtyqa 

'AßtSi\qixat 

Kvoxintot 

NtunoXig  naq'  AvttOti- 
qav 

•IHtQts  iv  Iliqydfttu 

Jitqyutot 

ApyiXtot 

2xayiqixai 

Axüvittot 

*  Koao[aioi?] 
AloXTxat 
'09 6p  toi 

Tlioiaqog  (nur  CIA  I  243) 
auf  der  Athoshalbiusel 
Savatot 

Atjjg  Ix  tov  "AOto 
't)Xoi(v£toi 
Ovooiot 
Kltujval 

•  Tloatdttov 
*'Axq69yot 


'laoTtfritai 

auf  der  Siothouischen 
Halbiusel. 

JI/XtOQOS 

Tqmoai 

*t>apßrjXiot 

'EtSqtoXtot 

Ztqftvltijg 
£(yytot 

2aqxaiot 
Toqtuvaiot 


auf  Pallene 

I7oT£to*aiät(ti 
Atfvxatot 

NidnoXtg  MtvSalatv 
Alydvxtot 

GqttftßaiOt 

2xt  iura  tot 
Mtvöatot 


MrjXvßfQVuTot 

Ziuhot 

Xuaxal 

'OXvv&tot 

2xaßXalot 


Boxt  tu  toi  (£naqt<6Xtot) 

Jt'xaut  'Eqexqttöv 

Aiaa 

Hytovog 

ZplXXa 

Kid  ctg 

Ttvöatot 

ITndaatXos 

*  Q£<JTU>QOS 

£tvog 

Atvtäiat 

2Tpeil>(tiot 

Mtdtovatot 

Alataviot 

Qdotot 

Zafto&qqxeg 

2.~xiu9toi 

IItnapT}&ioi 

"fxtot 

'liovtxog  tfoqog 

*  IIa  a  toi 
rapyapfjs 
Aaivqt\vot 
Iii  javatot 

Blattet  naqd  Mvqivav 
rpvvitr.c 

Mvptvmot  naqa  Kvjurpr 
Kvftatot 

*  Ar\qtQ~aiot 
tPtJxatrjg 
JlxtXiovaiot 
£tJouoiot 
BovS-ttrg 
'Eqv&qaiot 
'EXatovöiot 
KXatofjiivioi 
IloXt^vatot 
Aiqaiot 
Trjtot 
Atßtftot 
diootqixat 
KoXouAüvtot 


£u(ißaxxvg 

Noxtijg 

'Etfiaiot 

'lotvdiot 

JltyiXrjg 

AlaqaO-r\Otot 

Ifpiuvf); 

Matävöqtoi 

Aivr\aatot 

Mtlr\Qiot 

Ta/tovaaa 

Gtqpaiot  (v  'Ixdqtp 

Olvaiot  iv  'Ixdqui 

A(qog 

Ntouptot 

'Apöqytot 

Kaqtxog  tfoqog 

Adxyttot 
XaXxrjxoqeg 
'Yqütftris 
AlvXuarjg 
IIr}0*aoi}( 
'laoiji 
AiXtatat 
KaqyvXtfjg 
Btvovijs 
Quo&aqrg 
Bqavtr\xat 
Kaqvavdt}; 
Tupßttvrjg 
TtXiftqOOiOi 
Alvvtitot 

Naiiätat  nuqa  MvvJov 
Ttqfttqng 
£vayytXijg 
A(jtvvavdr)g 
AXtxaqvaoaijg 
"AqXtaaog 
Hr}öaafjf 
Ktgauiot 
Ktömurat 
IJaqyaafjg 
KvlSto» 

XEQPOVTjOtOt 

*  Tvfivtot 
•'EJqtijg  'Yfxijaafis 
*vlivpa 
KaaoXaßrjg 

Käp€(,  cuv  Tvftyr\g  äqxet 

Atoqv/uijg 

Madvaoijg 

Aivöovts 

Naqtoßaqrjc 


Digitized  by  Google 


- 


88S 


Zill   KARTE  I»ES  ATTISCHEN'  SEEHUNDES. 


JlttQTiaQUUtttl 

IJtXiuiai 
IJlayctQtjs 
IJvQrtüi 
'  YJatq; 

KaQßttovavtrje 

XatVto« 
IluOuväqt 

KvXXdväiot 
KvQßiootjs 

Auxioi  xal  ovyteliic 
tpaOTjtiTcti 

TrjXitvÖQtot 
KaXvöviot 
Ar}lptf4ttvJfj( 
K$ut 


'Aatvnalture 
T\Xtot 

XaXxtäjat 

7Jo'Jio* 

'hjXvOiot 

Al'vJlOt 

Ol  w  tat  Aivttltov 
HtJiijs  AtvSlttiV 
RQixiv&'tfttoi  fr  'Podtp 
sftdxqtot  iv  'PüJtp 

K da tot 

XaQndOiot 

A(>xtotvot  KaQnd&vv 
Kovxovrxioi 


'EllOXClQ7td$tOl 

AxiaTat  noltte  Mv- 
riXt}tai'(oy 

*'Poir(tov 
*AvraviS(to; 

am  PontuÄ 

*  Kl{l[fliQl  .  .  . 

*  AlJ*[tf€tlOf 

*  Ntx[<ovia 

*  ITaT[Qaavi 

von  ou«icbererZutheilung 

'EftüätOl 

EvQVfiax'1**' 
Mvoot 

nXtvpT) 

*IIvQirJo; 


B.  Nur  bei  den  Historikern  erwähnt: 

JtiQ'j  (Kratero»  b.  Sleph.  Byi.  p.  223,  20  cf.  p  716  ed.  Mein.,  viell.  thrakbcb} 
AtoQos  'I'uotjXiTcu  Äagixos  tfooos  (Krateros  b.  Steph.  Byz.  p.  256,  11) 
MuQxutoi  (Steph.  p.  433,  13  cf.  p .715) 
Kv&mtoi  (Thuk.  IV  57,  4). 


Voo  deu  auf  der  Karte  eingetragenen  Kierachieen  sind  während  des  pelo- 
ponnesischen  Kriegs  ausgenibrt  worden:  Aigioa  431;  Ol.  87,2;  Potidaia  429; 
b7,3;  Lesbos  427;  88,1;  Torone  nach  424;  88,4;  Skioue  423;  89,1 ;  Meies  415; 
91,1. 


Druck  ton  W.  Porractter  in  Betlio. 


Digitized  by  Google 


Digitized  by  Google 


I 


Digitized  by  Google 


Digitized  by  Google