Griechische
Geschichte
Ernst Curtius
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GRIECHISCHE
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ERNST CURTIUS.
ZWEITER BAND.
BIS ZUM ESDB DB8 PBLOPOKBB8I8CHBN KRIEGS.
SECHSTE VERBESSERTE AUFLAGE.
MIT BINEB UEBKÄBICHTSKABTE DES ATTIBC1IK* KÜS TESBEICHS.
BERLIN,
WEIDMÄNNSCHE BUCHHANDLUNG.
1888.
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INHALT.
DRITTES BUCH.
Bis zum Peloponnesischen Kriege.
I. Seite
Die Freiheitskriege 3— 99
IL
Die «ach,«.euJe Macht Athens . 100 — IST
IIL
Die Friedensjahre 188— 356
VIERTES DI CH.
Der Peloponnesisohe Krieg.
L
Per KrieK bis zum Tode des Perikles 369—423
IL
Der Krieg bis zum Frieden des Nikias
424-521
VL
Bit» zum Bode des Sicilischeo Kriegs
•
\omerkaogen zum drittes Boche ....
Nachträge zum dritten und vierteil Buche ....
Zu der Karte des attischen Seebundes
.... SS6-ü^i>
DRITTES BÜCH.
]JIS ZUM PELOPONXESISCIIEX KRIEGE.
Caritas, Gr. Ge»oh. II. 6. Aufl.
1
I.
• DIE FREIHEITSKRIEGE.
Der Schiffbruch am Athos konnte nur einen kurzen Stillstand in
dem grossen Völkerkampfe zur Folge haben. Der schlechten Jahres-
zeit war die Flotte erlegen, und so weit menschliche Schuld an
dem Unglücke Theil hatte, Del sie auf das Haupt des Mardonios.
Mit unbegrenztem Vertrauen hatte der Grofskönig den jungen, thaten-
losen Mann an die Spitze seiner Seemacht gestellt und gleichzeitig
alle früheren Oberbefehlshaber in den Küstenländern am ägäischen
Meer abgesetzt (I, 630). Mardonios hatte seine Thätigkeit mit kecken
Neuerungen begonnen; er hatte die Anordnungen des Artaphernes
umgestofsen, die Gewaltherrn entfernt, welche unter persischer Ober-
hoheit in den Städten das Regiment führten, und den Volksver-
sammlungen die Oerath ung der öffentlichen Angelegenheiten zurück-
gegeben. Man erkennt in ihm einen Mann, welcher sich mit kühnem
Selbstgefühle über die herkömmlichen Grundsätze persischer Politik
hinwegsetzte und als ein Staatsmann von freierem Urteile und
weiterem Blicke auftreten wollte. Auch wollte er, was die weitere
Kriegsfübrung betrifft, nichts von Züchtigung einzelner Städte, von
Rückführung einzelner Emigrantenfamilien wissen; er halte nur das
ganze Westland, ganz Europa mit seinen blühenden Städten im Auge;
mit dem Feuer eines jugendlichen Ehrgeizes verfolgte er den Ge-
danken als Statthalter der Achämeniden jenseits des Meeres ein
griechisches Reich zu beherrschen, und deshalb war er so ungeduldig
vorgegangen, um noch in demselben Jahre, in welchem er aus dem
Innern Asiens aufgebrochen war, seine Winterquartiere in Nord-
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1
NEUER KIUEGSPLAN.
griechenland zu nehmen und seinem Schwiegervater die Eroberung
neuer Landgehiele jenseits des Meeres melden zu können1).
Nachdem diese Pläne am Athos gescheitert waren, wendete
sich des Königs Gunst wieder den Männern zu, welche eine so
stürmische und weit aussehende Art der Kriegsführung widerrathen
hatten. Unter Einfluss der Pisistratiden, welche, von ihren alten
Uofleuten begleitet, in Sardes wie in Susa unablässig thätig waren,
bildete sich ein neuer Kriegsplan, welcher zunächst nur Mittel-
griechenland im Auge hatte. Die Bestrafung von Eretria und Athen,
sagte man, sei die nächste unabweisbare Aufgabe; die Ausführung
derselben werde durch vielerlei Umstände erleichtert. Mittelgriechen-
land sei in lauter Kleinstaaten zersplittert, wo vom einem erfolg-
reichen Widerstande nicht die Rede sein könne. Alles sei in Gäh-
rung, die bedeutendsten Städte mit einander verfeindet, Athen mit
Sparta, Aigina und Theben mit Athen; in jeder Stadlgemeinde
könne man auf Parteigänger rechnen. Zu einem Zuge gegen Athen
habe mau an llippias den besten Wegweiser, durch ihn den wichti-
gen Vortheil, die alte Partei desselben für sich zu gewinnen; auch
den Spartanern werde es nicht unerwünscht sein, wenn Hippias,
dessen Rückführung ihnen misslungcn sei, durch persische Truppen
wieder eingesetzt werde, um die widerspenstige Stadt, die an trotzi-
gem Selbstgefühle von Jahr zu Jahr zunehme, als Gewallherr zu
bändigen. Durch die wehrlosen Inselgruppen hindurch könne man
auf kurzem und gefahrlosem Wege in das Herz von Griechenland
vordringen und Athen selbst mit seinen fünfzig Kriegsfahrzeugen sei
aufser Stande, die Landung der Perser abzuwehren.
Nach dem Unglück des Mardouios war es nicht schwer, die-
sem neuen Kriegsplane die Genehmigung des Grofskönigs zu ver-
schaffen. Es war ein Plan, der sich von allein Mafslosen ferne
hielt und nur das Unerlässüche in's Auge fasste. Es war wesent-
lich ein attischer Kriegszug, wie ihn die Ehre der Achämeniden
und die persönlichen Gelübde des Grofsherrn verlangten. So wur-
den ungesäumt neue Werbungen angeordnet und im ganzen Küsten-
lande die Schiffswerften in Thätigkeit gesetzt. Dabei wurde nament-
lich der Bau von Transportschiffen angeordnet, um Reiterei über-
führen zu können. Denn man kannte durch Hippias die schwache
Seile der attischen Kriegsmacht, und die Pisistratiden selbst halten
ja mit Hülfe fremder Reiterei ihre Gewaltherrschaft gestützt.
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ZÜCHTIGUNG DER THASIER OL. 72, 1; 491.
5
Gleichzeitig hatte man auf die Grenzgebiete des Reiches ein
wachsames Auge und benutzte die nachbarliche Eifersucht der grie-
chischen Staaten, um sich von allen gefährlichen Bewegungen in
Renntniss zu setzen, deren man nach dem erlittenen Unglück ge-
wärtig sein musste.
Diese Vorsicht war nicht unnütz. Denn noch in demselben
Jahre oder zu Anfang des folgenden wurden die Bürger von Thasos
angegeben, welche von den umliegenden Städten längst mit neidi-
schem Auge angesehen worden waren. Auf diese Insel waren um
die Zeit des Königs Gyges (Ol. 15; 720 v. Chr.) Ansiedler aus
Paros eingewandert und hatten hier nach vielem Ungemach und
harten Kämpfen einen Staat gegründet, welcher sich auf das nahe
Festland ausdehnte, die wilden Thrakersliimme daselbst bewältigte
oder zurückdrängte, und in den Silber- und Goldgruben, welche
vor Zeilen die Phönizier eröffnet hatten, eine Quelle unerschöpf-
lichen Reichthums fand. Die Bergwerke Thrakiens und die der
eigenen Insel warfen so viel Gewinn ab, dass der kleine Staat, ohne
die bürgerlichen Grundslücke zu besteuern, mit Einrechnung der
Zölle und anderer Gefalle ein Einkommen hatte, welches sich
in guten Jahren bis auf 300 Talente (472,000 Thaler) belief.
Noch heute giebt die Menge alterlhümlicher Silbermfinzen, welche
der Insel und ihren Pflanzorten angehören, ein anschauliches
Zeugniss von dem damaligen Reich thume der Thasier und von
der Ausbreitung ihres Handelsgebiets auf dem thrakischen Fest-
lande*).
Dabei fehlte es ihnen nicht an unternehmendem Bürgersinne,
um ihre außerordentlichen Hülfsmittel zu würdigen Zwecken zu
verwenden. Schon als Histiaios die Insel belagerte (I, 629) , hatten
sie sich Kriegsschiffe gebaut und fassten jetzt, da sie aus unmittel-
barer Nähe das Unglück der grofsen Armada angesehen halten,
den kühnen Entschluss, sich vom persischen Reiche, dem sie durch
Mardonios einverleibt worden waren, wieder los zu sagen und ein
freies Gemeinwesen herzustellen.
Die Missgunst der Nachbarn vereitelte ihr Bestreben. Wahr-
scheinlich waren es thrakische Küstenstädte, welche aus Eifer-
sucht und aus Besorgniss für ihre Unabhängigkeit die Absichten
der Thasier verneinen und die Perser herbeiriefen, deren See-
macht noch stark genug war, um die überraschten Insulaner ohne
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SEEMACHT DER AE<;i>ETE.V
Mühe zu entwaffnen. Sie mussten ihre Mauern niederreifsen und
ihre Schiffe ausliefern, welche nach Ahdera gebracht wurden. Ali-
dera wurde der feste Punkt der Persermacht im Norden des ägäi-
schen Meeres, trefflich gelegen, um in Verbindung mit den festen
Plätzen am Hellesponte die thrakisch-makedonischen Landschaften,
welche Mardonios von Neuem unterworfen hatte, in Botmäfsigkeit
zu erhalten, das metallreiche Land, am Nestosflussc auszubeuten
und die umliegenden Küstenstriche zu beobachten, während am
anderen Ende des Meers, am Fufse des Tauros, der neue Angriff
gegen Hellas vorbereitet wurde.
Dem kriegerischen Angrifle gingen friedliche Maßregeln voraus.
Gewandte Männer, die des Königs Vertrauen besafsen, wurden, von
Dolmetschern begleitet, zu den griechischen Städten gesendet; sie
hatten den Auftrag, mit Hinweisung auf die nachfolgende Flotte,
Erde und Wasser, die Zeichen der Unterwerfung, zu fordern. Sie
fanden bei dem Inselvolke fast überall Gehör; denn die Klein-
staalen des Archipelagus hatten ja keine Wahl, da sie der feind-
lichen Ue her macht schutzlos preisgegeben waren. Ein besonderes
Augenmerk aber war Aigina, dessen Bedeutung man durch die
Pisistratiden kannte. Den Häfen Athens nahe gegenüber gelegen,
konnte dieser Inselstaat den Absichten der Perser in vorzüglichem
Grade förderlich sein. Hier knüpften sich darum auch an die Sendung
der königlichen Bolen sehr folgenreiche Ereignisse an.
Die Aegineten waren auf der Höhe ihrer Macht und ihres
Wohlstandes, als sie Ol. 65, 2 (519) die samischen Piraten besiegt
(I, 596) und Kydonia besetzt hatten; mit reicher Beute kehrten
sie aus dem kretischen Meere heim. Sie waren nun die erste See-
macht im Archipelagus. Sie hatten Handelsplätze in Umbrien wie
am schwarzen Meere; in Aegypten waren sie schon vor der Zeit
des Amasis angesiedelt, und ihre Schiffsrheder, wie namentlich So-
stratos, galten für die reichsten Grofshändler der griechischen Welt.
Keine Art des Verdienstes wurde verschmäht. Aller Orten waren
Aegineten zu Gnden hausirend mit Erzgerälhen, Thongeschirr, Sal-
ben und anderen Dingen, welche in grofsen Fabriken bei ihnen ge-
macht wurden. In Kriegszeiten zogen sie den Heeren nach, um
auch hier Geschäfte zu machen und kostbare Beutestücke den un-
kundigen Kriegern abzuhandeln. Grundbedingung ihres Wohlstan-
des war ein freier Verkehr; darum war ihre Insel auch durch
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AIGIKA UND ATHEN.
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Gastlichkeit berühmt und allen Fremden offen. Dabei waren die
höheren Richtungen des hellenischen Geistes keineswegs zurückge-
drängt. Auf der Insel der Aeakiden blühte achäische Gesangliebe;
die Gymnastik erhielt in den edlen Geschlechtern angestammte
Tüchtigkeit und hochherzige Gesinnung wie Pindar, der begeisterte
Freund Aiginas, sie in seinen Liedern gefeiert hat. Nirgends waren
die Erzgiefser geschickter, die Sieger in lebensvoller Wahrheit
darzustellen, und als ein denkwürdiges Zeugniss äginelischer Bau-
kunst stehen noch heute auf dem gegen Attika vorspringenden
Höhenzuge die Ueberreste des Athenatempels; es ist ohne Zweifel
derselbe Tempel, an welchem die Aegineten die Schiffsschnäbel
aufhingen, als sie nach Besiegung der Samier aus dem kretischen
Meere heimkehrten.
Jetzt traten sie immer kecker im saronischen Golfe auf und
immer gespannter wurde ihr Verhältniss zu Athen. Die ersten
Feindseligkeiten, von denen wir Kunde haben, gehören in die Zeit
des Peisislratos; eine Tochter des Tyrannen wurde von aigineli-
schen Kapern aufgefangen. Es war keine Fehde gegen die Tyran-
nenfamilie, sondern gegen die Stadt der Athener, weil man den
zunehmenden Schiffsbau im Phaleros und die überseeischen Ver-
bindungen mit Delos, Naxos und Sigeion argwöhnisch ansah. Als
daher in Folge des Tyrannensturzes die griechischen Staaten sich
in zwei Parteien trennten, schloss Aigina mit Theben ein enges
Bündniss, welches von Delphi aus begünstigt wurde. Die regie-
renden Geschlechter in Aigina hatten aber um so mehr Grund, der
attischen Volksherrschaft feind zu sein, weil auf der Insel selbst
eine demokratische Partei bestand unter der Führung des Nikodro-
raos, welche es heimlich mit den Athenern hielt und die Privile-
gien der Geschlechter bekämpfte. Gegen Theben konnte Athen
seine Gebirgspässe hüten; aber wie viel schwerer war es, die lang-
gestreckte Küste gegen die Ueberfälle der Insulaner zu verwahren!
Zu einer gründlichen Entscheidung fehlten auf beiden Seiten die
Mittel»).
So lagen sich die mittelgriechischen Staaten in lauernder Er-
bitterung gegenüber, als die Boten des Königs Dareios nach Hellas
kamen. Ist es ein Wunder, wenn die nationalen Gesichtspunkte
vor dem ParteisUndpunkte der verfeindeten Staaten zurücktraten?
Aigina wie Theben suchten Hülfe gegen Athen, das mit Plataiai
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ATHEN UND SPARTA VERBINDEN SICH.
und Korinlh zusammen hielt, und nun erbot sich der erbittertste und
mächtigste Feind der Athener ungesucht als Bundesgenosse dar,
derselbe König, dessen Hülfe die Athener selbst vor nicht langer
Zeit (I, 384) gegen ihre Feinde in Anspruch genommen hatten;
ein Dundesgenosse, welcher die gröfslen Vortheile bot, ohne Opfer
zu verlangen. Die phönikisch - persische Flotte beherrschte das
Meer. Wurden die Aegineten als Feinde betrachtet, so waren ihre
Schiffe von Kleinasien, vom Tonlos, von Tyrien und Aegypten ab-
gesperrt und die übervölkerte Insel mit dem Verfalle ihres Wohl-
standes bedroht, noch ehe die eigentliche Kriegsnoth eintrat. Diese
Erwägungen entschieden, und trotz ihres Dienstes des pan-
hellenischen Zeus, trotz der glorreichen Erinnerungen aus der
Vorzeil, wo die Heroen aus dem Stamme des Aiakos, Telamon
und Achilleus die Vorkämpfer der Hellenen gegen die Barbaren
gewesen waren, wie es in den Giebelfeldern des Alhenatempels die
äginetischen Künstler dargestellt hatten, huldigten die Aegineten dem
Perserkönige.
Kaum hatten die Athener sichere Kunde von diesem Be-
schlüsse, so schickten sie eilig nach Sparta, um das Geschehene
zu melden und in Folge dessen zu gemeinsamen Mafsregeln auf-
zufordern. Es war dies ein Schritt von grofser Wichtigkeit. Denn
nachdem AÜien alle Einmischung Sparlas in seine Verhältnisse
siegreich zurückgewiesen, seit es in der ionischen Sache eine
durchaus eigene und freie Politik befolgt hatte, gab es zwei Grofs-
staaten in Griechenland, deren Verhältniss zu einander durch keine
Uebcreinkunft oder rechtliche Bestimmung geordnet war. Jetzt er-
kannte Athen die Notwendigkeit, sich Sparta zu nähern und eine
Verbindung zu Stande zu bringen, welclie fähig war, eine nationale
Bedeutung zu gewinnen. Athen machte Zugeständnisse, um seinen
Zweck zu erreichen. Es erkannte ohne Rückhalt die vorörtliclie
Stellung Spartas an, und um nicht blos die eigene Gefahr als
Veranlassung zur Bundeshülfe geltend zu machen, erneuerte es die
Erinnerungen der urallen Verbrüderung, welche unter allen Helle-
nen bestehe, und der daraus erwachsenden Verpflichtungen. Athen
verklagte also die Aegineten als Verräther des Vaterlandes und for-
derte die Spartaner auf, im Namen der hellenischen Gesamtheit
die Abtrünnigen sofort zu bestrafen, um einem weiteren Abfalle
vorzubeugen. Es war also diese Gesandtschaft der Anfang einer
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KI.COM E> ES VXD DEMARATOS.
nationalen Vereinigung gegen die Perser und alle persisch gesinn-
ten Volksgemeinden in Hellas.
Noch war Kleomenes König in Sparta, ein König, welcher
trotz aller Missgriffe und Missgeschicke immer noch mehr persön-
lichen EinQuss halte als man sonst den Herakliden einzuräumen
pflegte. Für seinen Ehrgeiz musste ein Krieg gegen die Perser
unter Heerführung eines spartanischen Königs die glänzendste Aus-
sicht sein. Denn als die skythischen Gesandten in Sparta Hülfe
gegen Dareios suchten, hatte er bei gemeinschaftlichen Trinkgelagen
die kühnsten Feldzugspläne mit ihnen verabredet (1 , 613). Sparlas
Herrschaft über Mittelgriechenland auszudehnen, war ja seit lange
das leidenschaftliche Streben des Mannes gewesen. Nun kamen
die Athener selbst den Spartanern entgegen. Es ist daher nicht
zu bezweifeln, das Kleomenes die Gesandten auf alle Weise unter-
stützte. Seine Persönlichkeit erleichterte es ihnen, das zu errei-
chen, worauf ihnen zunächst Alles ankam, nämlich Sparta in eine
entschiedene Parteistellung hineinzudrängen, aus welcher es nicht
wieder zurücktreten konnte. In Sparta wie in Athen wurden die
Abgeordneten des Grofskönigs getödtet; ein Verfahren, das kaum
anders erklart werden kann, als wenn man annimmt, dass sie auf
Versuchen, die Bürger zu bestechen, betroffen wurden. Bei dieser
Stimmung fand auch die Klage der Athener wider Aigina geneigtes
Gehör, und so entschieden auch die Gemäfsigten mit Demaratos,
Aristons Sohne, an ihrer Spitze, den verwegenen Entwürfen des
Kleomenes entgegentraten, so wusste dieser, auf eine mächtige
Partei gestützt, dennoch durchzudringen. Er hatte in Argos neuen
Kriegsruhm gewonnen (I, 370); er hatte alle Anfechtungen, welche
dem Feldzuge folgten, glücklich überwunden, und die Demüthi-
gung der Aegineten, welche nur gezwungen gegen Argos Heeres-
folge geleistet hatten, musste ihm als die Vollendung seiner letz-
ten Kriegsthaten erscheinen4).
Er ging selbst nach Aigina, dem Eindruck seiner Persönlich-
keit und seiner Würde vertrauend. Die Aegineten aber waren
schlau genug, sich auf die Sache gar nicht einzulassen. Sie stell-
ten seine Vollmacht in Frage, und, mit dem Zwiespalte, der in
Sparta herrschte, wohl bekannt, verlangten sie bei einer so wich-
tigen Sendung die Anwesenheit beider Könige. Kleomenes hatte
für den Augenblick keine Macht, um durchzugreifen. Er kehrte
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KÖMG KLEOME.NES.
heim, aber mit dem festen Entschlüsse, seinen Willen um jeden
Preis durchzusetzen, und dazu war der Sturz seines Amtsgenossen
die nothwendige Bedingung. Er verband sich daher mit Leotychi-
des, dem Anverwandten und erbittertsten Feinde Demarats, und es
gelang ihnen, das Thronrecht desselben als zweifelhaft darzustellen.
Die delphische Priesterschaft wurde durch das Gold des Kleomenes
gewonnen, Pythia erklärte Demaratos für einen unechten Sohn
Aristons; er wurde entsetzt und nachdem er von dem Volke, das
ihm anhänglich blieb, noch zu einem öffentlichen Amte berufen
war, verliefs zuletzt der schwer gekränkte Fürst heimlich seine
Vaterstadt und ging als Flüchtling, von den Behörden verfolgt,
über Elis nach Zakynthos, von Zakynthos nach Asien in das feind-
liche Heerlager (Ol. 72, 1 oder 2; 492/1). In Sparta aber trat
Leotychides, das Haupt der jüngeren Linie der Prokliden, an
seine Stelle.
Kleomenes glaubte sich am Ziele seiner Wünsche; denn der
neue Mitkönig war ihm natürlich in Allem zu Willen. Triumphi-
rend kehrte er daher mit ihm zu den Aegineten zurück, um sie
im Namen des peloponnesischen Bundeshauptes für ihren Abfall
zu strafen. Zehn Männer der reichsten und edelsten Häuser wur-
den als Geisein genommen und nicht nach Sparta gebracht, son-
dern den Athenern in Verwahrsam gegeben. Das war ein neuer
Gewallstreich des Königs; es war die empfindlichste Rache, welche
er für seine Person an den Aegineten nehmen konnte. Indessen
genoss er selbst nur kurze Zeit die Freude der ihm gewordenen
Genugthuung, denn es wurde bekannt, welche Mittel er zu seinen
selbstsüchtigen Zwecken angewendet habe. Kleomenes wurde flüch-
tig. Er ging nach Thessalien, um dort Unruhen zu erregen, in
denen er für seinen Ehrgeiz Befriedigung suchte. Dann finden
wir ihn mitten in Arkadien. In den aroanischen Gebirgen, wo
von jäher Felswand das Slyxwasser heruntertrieft, bei Nonakris,
einem heiligen Platze eidgenössischer Zusammenkünfte, beruft er
die Vorstände der umwohnenden Gemeinden, stellt ihnen ihre un-
würdige Lage den Spartanern gegenüber vor Augen und sucht
sich hier eine Macht zu bilden, um sich an der eigenen Vaterstadt
zu rächen. In Sparta erweckten diese Umtriebe die höchste Be-
sorgniss, denn nach dem offenen Bruche mit Persien konnte nichts
Gefahrlicheres erfolgen als der Abfall der arkadischen Kantone
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ENDE DES KLEOMUNES.
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kleomenes wird also zurückgerufen, er wird in alle Ehren einge-
setzt — aber wie kehrt er heim? Verwildert durch sein unstales
Leben, zerrissen von wuster Leidenschaft und den Qualen einer
ungesättigten Ehrsucht, schuldbeladen, durch sinnliche Ausschwei-
fung geistig und körperlich zerrüttet. Dieser Zustand ging in Tob-
sucht über. Der König Spartas musste gebunden und von seinen
Heloten bewacht werden; endlich starb er von eigener Hand den
schauerlichsten Tod.
So erzählt Herodot den Untergang dieses merkwürdigen Man-
nes, dessen großartig angelegte Natur in frevelhafte Selbstsucht
und ungezähmte Wildheit ausgeartet war. Die Umstände seines
Todes wurden nicht bezweifelt, und Alle erkannten darin ein gött-
liches Gericht Den Grund desselben aber fanden die Athener in
der Verheerung des eleusinischen Tempelgebiets , welche er sich bei
seinem attischen Kriegszuge habe zu Schulden kommen lassen, die
Argiver in der Niedermetzelung ihrer Landsleute, die sich in den
Schutz der Hera geflüchtet hatten; den meisten Hellenen aber er-
schien die Bestechung der Pythia als sein gröfster Frevel und als
die eigentliche Ursache des göttlichen Gerichts, welches die ganze
griechische Welt mit Entsetzen erfüllte.
Nach dem Ende des Kleomenes suchte Sparta einzulenken und
das gewaltlhätige Verfahren durch versöhnliche Mafsregeln wieder
gut zu machen. Man erkannte das Unrecht, das den Aegineten
geschehen war, offen an. Der eigene König, Leotychides, wurde
ihnen als Mitschuldiger des Kleomenes ausgeliefert. Die Aegineten
schickten ihn nach Athen, um durch ihn die Rückgabe der Geiseln
zu erwirken; aber die Athener hüteten sich wohl, auf dies Ansin-
nen einzugehen, und den Vortheil, welcher ihnen durch einen
seltsamen Glücksfall in die Hände gespielt war, gutmüthig wieder
preis zu geben. So lange sie die Männer von Aigina, welche zu-
gleich die Führer der medischen Partei daselbst waren, in Ge-
wahrsam hatten, waren die Aegineten in ihren politischen Mafs-
nahmen gehemmt und aufser Stande, die Feinde Athens offen und
nachdrücklich so zu unterstützen, wie diese es ohne Zweifel er-
wartet hatten*).
Inzwischen waren die Rüstungen der Perser, die mit grofser
Energie während des Jahres Ol. 72, 2 (491) betrieben worden
waren, vollendet. Sechshundert Trieren sammelten sich an der
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KKIEGSZUG DES DATIS Ü>'D ARTAPHER3ES (72, 3; 400).
kilikischen Küste und die grofsen Transportschiffe waren bereit,
Ross und Reiter aufzunehmen. Arlaphernes, der Sohn des gordi-
schen Statthalters, welcher in Kleinasien, und Dalis der Metler,
welcher in den oberen Provinzen ein stattliches Heervolk zusammen
gebracht hatte, erhielten gemeinschaftlich den Oberbefehl. Dalis
war der Aeltere und Vornehmere. Nachdem sie in Susa die letzten
Aufträge des Grofskönigs empfangen hatten, welcher ihnen vor
Allem die Züchtigung von Eretria und Athen wegen ihrer Relhei-
ligung am ionischen Aufstande, die Unterwerfung der widerspensti-
gen Inselstaaten und die Einsetzung der Pisistraliden zur Aufgabe
stellte, gingen sie im Frühjahre Ol. 72, 2, (490) in See. Was die
Gesamtzahl der eingeschifften Truppen betrifft, so giebt die nie-
drigste Zählung 100,000 Mann Fufsvolk und 10,000 Mann Heiter
an. Ruderer und Malrosen konnten als Leichtbewaffnete verwendet
werden0).
Die Flotte fuhr vom issischen Meerbusen aus gegen Abend
und dann an der Küste von Karien und lonien hinauf, als wolle
sie wieder nach dem Helles ponte ihre Richtung nehmen. Auf der
Höhe von Samos aber wendete sie sich und steuerte auf Naxos zu,
das erste Ziel der Rache. Denn die kühnen Insulaner hatten es
verschmäht, durch Unterwerfung der Kriegsnolh zu entgehen. Die
Stadt wurde mit allen ihren Heiligthümern niedergebrannt, und
was sich nicht auf das Gebirge gerettet hatte, wurde verknechtet.
Nachdem von hier die erste Siegesbotschaft nach Susa abgegangen
war, zog die Flotte weiter und ankerte auf der Rhede von Delos.
Hier aber erschien sie nicht als feindliche Kriegsmacht; vielmehr
wurde mit einem prachtvollen Opfer den Gottheiten der Insel eine
grofsartige Huldigung dargebracht. Alle Welt sollte sehen, dass
es dem Perserkönige nicht in den Sinn komme, die hellenischen
Nationalgötter ihrer Ehren zu berauben; die alten Feste, welche
die beiden Gestade verbanden, sollten mit neuem Glänze wieder
hergestellt werden. So bezeichneten die Perser durch zwei wirk-
same Beispiele der Strenge und der Milde ihren Eintritt in das
Cykladenmeer, indem sie zugleich von allen umliegenden Inseln
Fahrzeuge, Mannschaft, Geiseln und Proviant mitnahmen. Sie
nahmen dann ihre Richtung auf die beiden hochragenden Spitzen
des Ocha in Euboia. Karystos, hart am Fufse des Gebirges gele-
gen, mit seinem durch Felsenriffe geschützten Hafen, musste mit
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DIE PERSEK l.N EUBOIA.
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Gewalt genommen werden, damit die Flotte, ohne Feinde im Rücken
zu lassen, in den Euripos einlaufen und ihrem Hauptziele sich
□ähern könne.
Erelria und Athen standen in Trutz- und Schutzbündniss mit
einander. Die Eretrieer hatten ihre Schätze den Athenern in Ver-
wahrung gegeben, und die attischen Bürger, welche in Chalkis
wohnten (I, 3S7), waren mit denen von Eretria vereinigt. Als
sich nun aber in der Küstenebene die persische Heeresmacht ent-
faltete, schien jeder Widerstand im offenen Felde unmöglich. Die
attischen Bundesgenossen zogen ab, während sich die Bürger hinter
ihre festen Mauern zurückzogen. Sechs Tage lang wurde vergeb-
lich gestürmt, und eine Menge von Leichen umringte die tapfere
Stadt, als sich ein leichlerer Weg der Eroberung zeigte. Die Perser
fanden Freunde unter den vornehmen Kreisen der Bürgerschaft.
Verrath öffuete die Thore, und so wurde auch die zweite Stadt,
deren Züchtigung den Flotten führern aufgegeben war, nach kurzem
Aufenthalt in Trümmer verwandelt und ihre Bürgerschaft geknechtet.
Warum sollte es nicht auch mit der dritten gelingen, deren Gestade
nahe gegenüber lag?
Es war natürlich, dass die Perser sich nach dem nächsten
Landungsplatze umsahen und zu nichts weniger Lust hatten, als
mit ihren überladenen Fahrzeugen die langgezogenen und klippen-
reichen Küsten der attischen Halbinsel zu umschiffen. Drüben
war die Anfahrt leicht und ohne Gefahr, namentlich für die Aus-
schiffung der Reiterei. Drüben sah man endlich einmal wieder
frische Wiesengründe, wo man die Pferde grasen lassen konnte.
Freilich konnte man gellend machen, dass es vernünftiger wäre,
unmittelbar auf Athen loszugehen, damit die erste Schlacht gleich
eine entscheidende sei; indessen dachte wohl niemand an eine
Feldschlacht fern von Athen; man glaubte nicht anders, als dass
die Athener sich ängstlich zurückhalten und auf die Verteidigung
ihrer Ringmauer beschränken würden, und alle weiteren Bedenk-
lichkeiten schwanden, als man von Hippias hurte, dass die gegen-
überliegende Küstenebene für Benutzung der Reiterei das günstigste
Local in ganz Attika wäre. Von hier könne das Heer an der See-
meile auf bequemen Wegen gegen die Hauptstadt vorrücken, hier
komme man mitten in das Gebiet der Diakrier, welche noch aus
aller Zeit dem Hause des Peisistratos zugethan seien (I, 342. 349);
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ATHEN UND SEINE STAATSMÄNNER.
hier werde es an Zuzug und Unterstützung aller Art nicht fehlen,
während den Athenern die Zufuhr aus Euboia abgeschnitten werde.
Diese Erwägungen waren entscheidend; die Perser verliefsen die
rauchende Stätte von Eretria und ruderten auf stillem Fahrwasser
in wenig Stunden nach dem jenseitigen Ufer des Canals hinüber,
wo die weite, grüne Ebene von Marathon sich vor ihnen öffnete und
sie in ihre kreisrunde Bucht aufnahm7).
Land und Küste waren freilich dieselben geblieben, seit Hip-
pias Athen verlassen hatte, aber Athen war inzwischen eine andere
Stadt geworden. Es gab keine Paralier und Diakrier mehr, wie
der Sohn des Peisistratos wähnte. In den Jahren der Freiheits-
kämpfe und der heifsen Fehden gegen die Missgunst der Nachbar-
staaten war Stadt und Land zu einem Ganzen verschmolzen, das
keinen anderen Mittelpunkt hatte als den Markt und das Rathhaus
von Athen. An Parteien fehlte es nicht, aber der Gedanke an
Landesverrath durfte nicht laut werden; denn die Neigungen aller
besseren Bürger trafen in einem edlen Patriotismus zusammen.
Man wusste vor allem, was man nicht wollte, keinen Rückschritt,
kein Fremdjoch, keine unwürdige Nachgiebigkeit; man war bereit
zu Opfern und Anstrengungen, man fühlte, dass es mehr als je
auf einheitliches Handeln ankomme, und war deshalb willig den
Männern, welche sich im öffentlichen Leben als die Besten erwie-
sen hatten, volles Vertrauen zu schenken. Zum Glück für Athen
fehlte es nicht an solchen Bürgern, welche bei den drohenden Ge-
fahren das Vertrauen der Gemeinde verdienten.
Während der letzten Zeit der Tyrannen waren, wie Plutarch
erzählt, zwei Knaben in Athen neben einander aufgewachsen, die
Söhne des Lysimachos und des Neokles; beide durch vielverspre-
chende Anlagen frühzeitig ein Gegenstand allgemeiner Aufmerksam-
keit, welche sich dadurch noch steigerte, dass man von Jahr zu
Jahr eine immer gröfsere Verschiedenheit zwischen ihnen hervor-
treten sah. Des Lysimachos Sohn war Aristeides. Was ihn aus-
zeichnete, war ein lebendiger Sinn für Ordnung und Recht, ein
zartes Gewissen, eine tiefe sittliche Scheu vor allem Gesetzwidrigen,
ein angeborener Hass gegen jede Unwahrheit und Unredlichkeit.
Er wuchs in die schöne Jngendzeit attischer Volksfreiheit hinein;
er nahm als Freund des Kieisthenes schon thäligen Antheil an
ihrer Begründung, und Niemand hat den Beruf Athens, freie Be-
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AR1STEIDES U>D THEMISTOKLES.
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wegung der Geister mit gesetzlicher Zucht zu verbinden, tiefer und
lebendiger aufgefasst. Einfach, lauter und offenherzig, wie er war,
erwarb er sich frühzeitig, ohne danach zu trachten, Vertrauen und
Einfluss; man sah und liebte in ihm das Musterbild eines jungen
Atheners, man wussle, dass er nichts für sich, Alles für die Vater-
stadt wollte. m
Themistokles, des Neokles Sohn, war um einige Jahre jünger.
Er hatte von Natur ein leidenschaftliches Gemüth, welches eine
friedliche und harmonische Entwickelung unmöglich machte; heftig
und eigenwillig widerstrebte er jeder Leitung; ungezähmt schössen
seine Neigungen auf, man wusste nicht, ob man von ihm mehr
fürchten oder hofTen sollte. Von Vaters Seite gehörte er zu dem
alt-attischen Stamme der Lykoraiden; er war aber nicht vollbürtig,
sondern einer fremden, thrakischen oder karischen Mutter Sohn,
and darum durfte er auch nicht in den Ringschulen der Akademie
und des Lykeion an den Hebungen der Jugend Theil nehmen.
Dieser Makel der Geburt trug aber nur dazu bei, den Knaben
um so trotziger zu machen; er wollte um so mehr persönlicher
Auszeichnung Alles verdanken. Dazu hatte ihn aber die Natur in
seltener Weise befähigt, denn er war an hellem Verstände, an
Scharfblick, an rascher und treffender Urteilskraft allen Altersge-
nossen überlegen. Schon als Knabe war er über seine Jahre reif
und selbstbewusst, früh gewöhnt, auf bestimmte Ziele alle Kräfte
hinzulenken, und wenn die Anderen nur spielten, suchte er Ge-
legenheit, vorkommende Streitpunkte mit dem Ernste eines Sach-
verwalters und Volksredners zu behandeln. Beim Unterrichte zeigte
er wenig Eifer für Poesie und Musik, um so mehr für alle Künste,
welche ihm persönlichen Einfluss auf die Mitbürger versprachen.
Seiner Ueberlegenheit bewusst, gewöhnte er sich früh mit keckem
Selbstgefühle aufzutreten, und solche Unternehmungen, deren
Schwierigkeiten alle Anderen zurückschreckte, hatten für seinen an
Rath und Erfindung unerschöpflichen Geist nur einen um so gröfse-
ren Reiz8).
Ein grofser Schauplatz war der attischen Jugend geöffnet, mit
welcher Aristeides und Themistokles heranwuchsen, ein freies Feld
gemeinnütziger Thäligkeit. Denn seit es keine Familien mehr gab,
welche ein erbliches Anrecht auf Herrschaft und politischen Ein-
fluss hatten, mussten aus der Bürgerschaft selbst die Männer her-
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PARTEI BILDUNG IN ATHEN.
vortreten, deren Athen bedurfte, um seine hohe und schwierige
Aufgabe zu lösen, Männer, welche mit überlegenem Verstände die
Lage der Dinge erkannten und die richtigen Gesichtspunkte der
öffentlichen Verwaltung aufstellten, um im Innern den Ausbau der
Verfassung zu vollenden und nach aufsen die Selbständigkeit und
Machtstellung der Stadt zu sichern. An Gelegenheil sich auszu-
zeichnen fehlte es nicht. Das Wort war frei. Jeder Athener
konnte in der versammelten Burgerschaft auftreten, um seine Mei-
nung zur Gellung zu bringen und einen bestimmenden Einfluss zu
gewinnen. Indessen war dies, wenigstens für die Dauer, auch den
begabtesten und beredtesten Menschen unmöglich, wenn sie verein-
zelt dastanden. Sie musslen sich also mit Anderen verbinden,
welche sie für ihre Ideen empfanglich fanden. So bildeten sich
Genossenschaften, erst engere, dann weitere Kreise, deren Mitglie-
der sich verpflichteten, gewisse politische Richtungen zu vertreten,
sich dabei nach gemeinsamem Plane zu unterstützen und die Ent-
schlüsse der Bürgerschaft zu leiten. Das waren die politischen
Vereine oder Helarien, deren Wirksamkeit die Geschichte des
Staals von nun an wesentlich bestimmte, nachdem die alten
Parteien, welche in der Verschiedenheit des Wohnorts und der Le-
bensweise wurzelten, ihre Bedeutung verloren halten. Aristeides
halte eine natürliche Abneigung gegen solche Verbindungen, weil
er nach seiner ganzen Eigentümlichkeit zu sehr das Bedürfniss
halle, in jedem Falle rein und frei aus eigenen Beweggründen
heraus zu handeln; er fürchtete den Zwiespalt, welcher zwischen
den Verbindlichkeiten gegen seine Freunde und der Stimme sei-
nes Gewissens entstehen könnte. Themistokles war nicht so ängst-
lich ; ihm war jedes Mittel recht um Macht zu gewinnen. Er lebte
für die Partei, deren Losung 'Krieg gegen Persicn' war, dieselbe
Partei, welche die Unterslützung des Aristagoras durchgesetzt hatte,
und die es für eine Schmach hielt, dass man Milet im Stich
gelassen habe. Er erkannte aber klarer als alle Anderen, dass
Athen für die grofse Rolle, die ihm zugefallen, noch viel zu
schwach sei, und dass ihm vor Allem zweierlei fehlte, Flotte und
Hafen9).
Nach alter Ueberlieferung betrachtete man die Bucht des Pha-
leron, wo das Meer am tiefsten in die Ebene von Athen eingreift,
als den natürlichen Hafen des Landes; man konnte ihn von den
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DIE GRÜNDUNG DES PEIRAIEUS.
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Sudthöhen bequem überblicken, und zu friedlichem Waarenverkehr
war die weite Rhede wohl geeignet. Aber wenn Athen eine Macht
werden sollte, welche auch nur das eigene Meer und Uferland be-
herrschte, so genügte die offene Rhede nicht. Man musste Plätze
haben, wo man, vor feindlichem Angriff sicher, Schiffe bauen und
lagern konnte, Hafenplätze, welche sich gegen die Meerseite abschliefsen
liefsen. Themistokles zeigte den Athenern, wie die Natur diesem
Bedürfnisse entgegengekommen wäre.
Westlich von Phaleros springt nämlich eine Halbinsel vor,
durch angeschwemmtes Sumpfland mit dem Festlande verbunden.
Ihren Kern bildet die von allen Seilen steile Höhe Munichia, auf
deren flachem Gipfel ein altes Artemisheiligthum stand. Von ihr
zieht sich in Form eines grofsen ausgezackten Blattes das felsige
Land in die offene See hinaus und bildet drei natürliche Hafen-
buchten, welche nur durch schmale Oeffnungen von aufsen zu-
gänglich sind. Was also die Koriniher, Samier, Aegineten mit
grofser Mühe und vielen Kosten künstlich herzustellen und immer
Ton Neuem auszubessern genöthigt waren, das halte den Athenern
io ungleich vollkommenerer Weise die Natur selbst zurecht gemacht:
eine Gruppe von drei geschlossenen Kriegshäfen am Fufse einer be-
herrschenden Höhe, welche einen freien Ueberblick des Meeres ge-
währte. Die ganze Halbinsel nannte man Peiraieus.
Themistokles' Verdienst ist es, diese Naturformen, welche
Allen täglich vor Augen lagen, zuerst entdeckt, das heifst ihre
Bedeutung für Athen erkannt zu haben. Aber dies genügte nicht.
Die Halbinsel mufste, wenn der Grund zu einer Seemacht gelegt
werden sollle, ummauert werden. Am liebsten hätte Themi-
stokles ganz Alben nach dem Peiraieus, die Akropolis auf die
Munichia verlegt; aber da dies unmöglich war, so musste eine zweite
Stadt gegründet, ein See-Athen geschaffen werden. Es war ein
ungeheures Unternehmen, aber unerlässlich, wenn Athen eine See-
macht werden sollte.
Nachdem Themistokles seinen Gedanken Eingang bei den Bür-
gern verschafft hatte, ging er allen Schwierigkeiten zum Trotze an
das Werk. Er bewarb sich für Ol. 71,4 (493) um das Amt des
ersten Archonlen und benutzte, da ihm das Loos günstig war, die
amtliche Stellung, seinen Plan zur Ausführung zu bringen. Ton
Ralli und Bürgerschaft wurde auf seinen Antrag die Gründung der
Curtios, Gr. G«wch. II. 6. Auü. 2
IS
THEMISTOKLES AHCHON. 71, 4; 493.
Hafenstadt Peiraieus beschlossen. Es war dasselbe Jahr, in welchem
des Themistokles kühner Freund und Parteigenosse, der Dichter Phry-
nichos, den Athenern den Fall von Milet auf der Bühne vorführte
(I, 631), um seine Mitbürger an das zu erinnern, was sie in feiger
Unentschlossenheit verschuldet hatten. Im Laufe desselben Jahres
wurden die Vorbereitungen des ungeheuren Werks gemacht, die
Vermessungen vorgenommen, Material herbeigeschafft und die nöthigen
Arbeitskräfte gewonnen.
Vom Beginne dieses Baues ist uns dem Wortlaute nach eine denk-
würdige Urkunde erhalten. Es ist die Weihinschrift eines Hermeshildes,
welches die neun Archonlen, nachdem sie auf Beschluss von Rath und
Bürgerschaft die Ummauerung des Peiraieus begonnen hatten, zum An-
denken an dies Ereigniss gemeinsam stifteten. Es stand an einer Pforte
der Hafenstadt, wahrscheinlich an der Athen zugewendeten Seite,
und die Weihe eines Hermes wies darauf hin, dass der Mauerbau
nicht blofs die kriegerische Thätigkeit von Athen , bezwecke, sondern
auch für Handel und Verkehr eine neue Epoche bedeute.
Ein solches Kiesenwerk, wie die Aufführung einer Ringmauer
von 60 Stadien oder anderthalb deutschen Meilen Länge, wird na-
türlich nicht unternommen worden sein, ohne dass man die Be-
nutzung der verschiedenen Buchten zu Kriegs- und Handelszwecken
feststellte so wie die Anlage von Schiffswerften anordnete. Damit stand
also die Belebung des attischen Schiffsbaus in unmittelbarer Verbin-
dung, und wir finden schon innerhalb der nächsten drei Jahre die
Zahl der Kriegsfahrzeuge von 50 auf 70 erhöht. Ja es ist nicht unwahr-
scheinlich, dass damals schon diejenigen Finanzmafsregeln der Bürger-
schaft vorgelegt wurden, welche nothwendig waren, um ein so aufser-
ordentliches Unternehmen durchzuführen, wie die Gründung einer
festen Hafenstadt und einer Kriegsmarine war. Die Ausführung der
Beschlüsse, welche dem Archontenjahre des Themistokles angehörten,
wurde aber plötzlich abgebrochen, als die neue Perserrüstung begann,
und die Gefahr des Augenblicks alle Gedanken in Anspruch nahm 10).
Auch hierbei war Themistokles der Mann des entscheidenden
Einflusses. Er war es vor Allen , welcher den nationalen Gedanken
anregte und die Abwehr der Gefahr, welche zunächst nur Athen
bedrohte, zu einer hellenischen Volkssache zu machen suchte.
Darum trug er darauf an, dass man den Dolmetscher, welcher
die Gesandlschaft des Dareios begleitete, zum Tode verurteile, weil
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MII.TIADES.
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er die Sprache der Hellenen zu verrätherischem Zwecke missbrauche.
Darum betrieb er die Annäherung zwischen Sparta und Athen, und
gewiss ist jene Umstimmung der Aegineten, welche in dem Augen-
blicke, da sie mit ihren Schiffen in das feindliche Heerlager über-
gehen wollten, sich durch ihre Geiseln in Athen gefesselt sahen, ein
Ergebnisa seiner schlauen Verhandlungen; denn aus der persönlichen
Erbitterung, welche die nach Athen gebrachten Geiseln gegen
Themistokles hegten, geht zur Genüge hervor, dass er der Haupt-
ansüfter der gegen ihre Vaterstadt gerichteten Anklage gewesen sein
muss. Durch ihn und seine Partei ist Athen das Hauptquartier des
nationalen Widerstandes geworden, und je weiter die Perser gegen
Europa sich ausbreiteten, um so mehr zogen sich aus den bedrohten
Plauen die tapfersten und freiheitsliebendsten Männer nach Athen
und dienten dazu, die Hülfskräfte der Stadt zu verstärken11).
Unter diesen aber war kein bedeutenderer Mann als Milliades,
der Sohn des Kimon, welcher sich nach dem Falle von Ionien aus
dem thrakischen Chersonnes hatte flüchten müssen (I, 608). Es
war für ihn keine leichte Aufgabe in Athen eine Stellung zu ge-
winnen. Er hatte seine Vaterstadt zur Tyrannenzeit verlassen und
also die Jahre ihrer inneren Entwickelung, in denen Aristeides und
Themistokles zu Männern gereift waren, nicht mit erlebt; bei vorge-
rückten Jahren war er wie ein Fremder in die umgewandelte Stadt
zunickgekehrt. Ungebrochen lebte in ihm der alte Familienstolz der
Philaiden; wie ein Fürst war er auf eigenen Kriegsschiffen gekommen,
mit eigenen Kriegsleuten, mit reichen Schätzen, als Gemahl einer thra-
kischen Königstochter. Das zurückhaltende und strenge Wesen eines
Mannes, der zwanzig Jahre lang unbedingt zu herrschen gewohnt war,
musste den empfindlichen Sinn der attischen Bürger verletzen. Dazu
kam, dass durch Griechen, die im Chersonnes gelebt hatten, man-
cherlei ruchbar wurde, was grofse Verstimmung erregte, und wenn
er auch bemüht war, sich in die neuen Verhältnisse zu finden und
als Bürger unter Bürgern zu leben, so entging er doch seinen Fein-
den nicht, welche das Geschlecht der Philaiden nicht wieder auf-
kommen lassen wollten. Nachdem er also erst vor den Skythen
and dann vor den Phöniziern nur mit Mühe sein Leben gerettet
hatte, sah er sich nun in der eigenen Heimat von neuen Gefahren
bedroht, indem er wegen seiner thrakischen Gewaltherrschaft ange-
klagt und vor ein Volksgericht zur Verantwortung gestellt wurde.
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DLR AUSZUG NACH MARATHON
Miltiades schilderte die dorligen Verhältnisse, um sein Verfahren
zu rechtfertigen, und machte seine Verdienste um Atlien geltend.
Er hatte ja die fruchtbare und städlereiche Halbinsel am Hcllespont,
wo sein Oheim und sein Bruder eine selbständige Herrschaft besessen
hatten, aus einem Familicnbesitze zu einem Eigenthum des Volks
gemacht. Er hatte von dort zur Zeit des ionischen Aufstandes die
grofse und wichtige Insel der Lemnier für Athen erobert; er konnte
darauf hinweisen, wie unter allen Hellenen er zuerst offen gegen
König Dareios aufgetreten sei, und wie er schon an der Donau den
Nalionalfeind der Hellenen an den Rand des Verderbens gebracht
habe. Die Thaten des Miltiades sprachen zu laut; das Volk fühlte
seinen Werth. Noch zitterte Alles, wenn man in Griechenland auch
nur den Namen der Perser nannte. Wie sollte man sich jetzt eines
Mannes berauben, der ein bewährter Feldherr war, der das Perser-
heer genau kannte, und dessen ganze Vergangenheit dafür bürgte,
dass er niemals an Unterhandlungen weder mit den Pisistraliden noch
mit den Persern denken würde! Er wurde freigesprochen; seine
Feinde zogen sich zurück, ja sie mussten sehen, dass die Bürger-
schaft bei den Feldherrnwahlen für das dritte Jahr von Ol. 72, das
mit dem Neumonde nach der Sommersonnenwende am 27. Juli 490
vor Chr. begann, unter den zehn Feldherren der Stadt neben Aristeides
Miltiades erwählte.
Kaum hatten die Feldherren ihr Amt angetreten, so kamen
schon die attischen Bürger von Ghalkis flüchtend herüber. Hinter
ihnen leuchtete der Feuerschein von Eretria; die Ereignisse drängten.
Man schickte einen Staatsboten nach Sparta, um schleunige Hülfs-
sendung zu erwirken, aber man wartete nicht auf die Antwort;
denn schon in den ersten Tagen des nächsten Monats (Ende August)
beschloss das Volk auf Antrag seiner Feldherren, das Aufgebot der
Bürger ausrücken zu lassen. Natürlich konnte die Stadt in solcher
Zeit nicht entblöfst werden. Es waren also nur 9000 vollgerüstete
Bürger, welche den Feldherren folgten ; sie waren von ihren Sklaven
begleitet, welche ihnen als Schildknappen dienten und als Leicht-
bewaffnete milfechten konnten.
Ohne einen bestimmten Kriegsplan zogen sie nach der be-
drohten Seite des Landes; im Lager selbst musste das Weitere
beschlossen und den Umständen gemäfs gehandelt werden. Hier
gingen aber die Ansichten weit auseinander. Miltiades war aus-
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KRIEGSRATH IN MARATHON.
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gerückt um zu schlagen, und ihm schien nichts bedenklicher als ein
Rückzug auf die Stadt. Das Heer war in bester Stimmung, die
Mannschaften der zehn Stamme von einem Geiste beseelt; nicht so
das Stadtvolk, und es war voraus zu sehen, dass die Noth einer
Belagerung in Athen so gut, wie in Eretria, einer verrätherischen
Partei Gelegenheit geben würde, Einfluss zu gewinnen. Darum war
Miltiades für einen Kampf in Marathon. Aber auch im Feldherrn-
zelte schwankte der Entschluss. Vier Stimmen waren für, fünf gegen
Hilliades. Noch fehlte die entscheidende Stimme, die des Polemarchen,
das heifst des dritten der neun Archonten, welcher in älterer Zeit
der wirkliche Kriegsoberste gewesen war, aber jetzt nur noch eine
Stimme im Feldherrnrathe neben den erwählten Feldherrn halte und
das Ehrenrecht, den rechten Flügel zu führen, wo einst des Königs
Platz gewesen war. Der Polemarch dieses Jahres aber war Kalli-
machos aus Aphidna, ein tapferer, hochherziger Mann. Endlich
wurde auch seine Stimme für den Kampf gewonnen, und Alle er-
kannten nun in Miltiades den Mann, der allein den Umständen
gewachsen war, so dass auf Antrag des Aristeides die Mitfeldherrn
ihren Anspruch auf den Anlheil am Oberbefehl, welcher täglich zu
wechseln pflegte, aufgaben. Nun war Miltiades, der zu gebieten
gewohnt war, an seinem Platze und ein kräftiger Wille lenkte das
Heer; je weniger man nach auswärtiger Hülfe ausschaute, um so er-
freulicher war die unerwartete Ankunft von 1000 Platäern, welche
durch freiwilligen Zuzug in der Stunde der höchsten Gefahr sich
ihrer Gemeinschaft mit Athen (I, 383) würdig zeigen wollten12).
Als Miltiades die Ebene überschaute, erkannte er leicht, dass sie
für die Perser bei weitem nicht so günstig sei, wie es den Anschein
hatte. Freilich ist es eine ansehnliche Fläche, die sich gut zwei
Stunden lang ohne Unterbrechung von Süden nach Nordost längs
des Meeres hinzieht, durch einen Giefsbach, der vom pentelischen
Gebirge herunter kommt, in zwei Hälften getheilt. Der südliche
Theil wird durch die Ausläufer des Drilessos (Pentelikon) begrenzt,
die nahe gegen das Meer vorspringen; zwischen Meer und Vorge-
birge führt ein breiter Weg gerade gegen Süden nach Athen. Das
war der Weg, welchen Hippias die Perser führen wollte. Die an-
dere, von Athen abgelegene Hälfte der Ebene wird von den rauhen
Bergzügen der Diakria umgeben, welche bis an die Küste reichen
und durch ein langgestrecktes Vorgebirge, Kynosura genannt, die
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AUFSTELLUNG BEI MARATHON
kreisförmige Hafenbucht einschliefsen. Indessen ist die Breite des
Blacbfeldes, welche die Perser angelockt hatte, nur theilweise fester
Boden; denn am Rande derselben, wo die Gewässer stocken, nament-
lich im Nordosten, ziehen sich bedeutende Sumpfstrecken hin, deren
grüne Oberfläche das Auge tauscht
lieber die Wahl eines Lagerplatzes konnte Miltiades nicht
zweifelhaft sein; er musste die Hauptstrafse nach Athen decken.
Er stand an den Höhen des pentelischen Gebirges oberhalb des
Herakleion, dessen heilige G ranzen er hütete, die ganze Fläche der
Länge nach überschauend, jede Bewegung der Feinde überwachend,
vor ihren Angriffen durch den rauhen Fufs der Felshöhen und auf-
geworfene Schanzen hinlänglich geschützt, und durch nahe Quellen,
welche in die Sümpfe beim Herakleion fliefsen, mit Wasser versorgt.
Eine Reihe von Tagen standen sich die Heere ruhig gegenüber; die
Athener gewöhnten sich an den Anblick der Perser, diese wurden
in ihrer Ansicht bestärkt, dass die altische Nannschaft nichts als
den Küstenpass decken wollte, und fühlten sich deshalb als Herren
der Ebene und Küste vollkommen sicher.
Am Morgen des siebzehnten Metageitnion (12. Sept.), als der
Oberbefehl der ursprünglichen Reihenfolge gemäfs an Miltiades kam,
liefs dieser das Heer nach den zehn Stämmen sich aufstellen. Der
Stamm der Aiantis, welcher Kallimachos angehörte, hatte die erste
Stelle, d. h. die Spitze des rechten Flügels, der an der Meerseite
stand; dann folgten die anderen neun in einer durch das Loos be-
stimmten Ordnung; am Ende des linken Flügels hielten die Platäer,
welche von Kephisia herkommend sich hier angeschlossen halten.
Die Front wurde so weit ausgedehnt, dass sie der Breite der feind-
lichen Aufstellung gleich war, um der Gefahr der Umzingelung zu
entgehen nnd den Persern die attische Macht mögüchst grofs er-
scheinen zu lassen. Miltiades verstärkte die beiden Flügel, um mit
diesen vornehmlich den Kampf zu entscheiden, während das Mittel-
treffen, zu dem die Stämme Leon Iis und Antiochis gehörten, wahr-
scheinlich nicht mehr als drei Manu tief aufgestellt war ; die Sklaven
ersetzten einigermafsen die fehlenden Glieder.
In voller Ruhe waren die Truppen über die Gräben und Ver-
backe ihrer Lagerstätte vorgerückt, wie es ohne Zweifel schon
öfter geschehen war. So wie sie sich aber bis auf 5000 Fufs dem
Feinde genähert hatten, gingen sie im Geschwindschritt, welcher
SCHLACHT HEI MARATHON (12. SEPT. 490).
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sich nach und nach zum Sturraiauf steigerte, unter hellem Schlacht-
ruf vorwärts. Die Perser glaubten. Wahnsinnige vor sich zu haben,
als sie die Männer von den Höhen herunterstürmen sahen; sie
stellten sich rasch in Schlachtordnung, aber ehe sie noch zu einem
wirksamen Bogenschüsse gelangen konnten, waren die Athener da,
mit erhitztem Muthe den Nahekampf zu beginnen, Mann gegen
Mann in dichtem Handgemenge, wo persönlicher Mulh und gym-
nastische Gewandtheit, wo die Wucht der Schwerbewaffneten, der
Stöfs der Lanzen und das Schwert entschied. So hatte man durch
einen geschickten und kühnen Angriff erreicht, dass die ganze Sieges-
kraft, welche auf Seiten der Athener war, zur Geltung kam.
Dennoch war der Erfolg kein allgemeiner. Das feindliche
Mitteltreffen stand; hier waren des Heeres Kerntruppen, die Perser
und Saker vereinigt, hier war der Kampf am blutigsten, die Gefahr
am gröfsten; ja es wurden die dünnen Reihen der attischen Bür-
ger, in deren Mitte Aristeides und Themistokles fochten, mit der
Nachhut der Sklaven von der Uebermacht unaufhaltsam zurück-
gedrängt, von der Küste weit in die Ebene hinein. Inzwischen
halten aber beide Flügel den Feind geworfen , und nachdem sie einer-
seits auf dem Wege nach Rhamnus, andererseits nach der Küste
siegreich vorgedrungen waren, ertheilte Miltiades, der die Leitung
des Kampfes vollkommen in seiner Hand behalten hatte, zur rech-
ten Zeit den Befehl, dass die Flügel von der Verfolgung umkehren
und vereinigt die Perser des Mitteltreffens im Rücken angreifen
sollten. Nun war die Flucht bald allgemein, und in der Flucht
wuchs das Unheil der Perser; denn ihnen fehlte, wie Miltiades
vorausgesehen, jeder Rückzugsort, wo sie sich zu neuer Ordnung
hätten sammeln können; sie wurden in die Sümpfe gedrängt und
hier massenweise gelödtel. Glücklicher waren die, welche an die
Rüste gelangten und auf den Landungsbrücken die Schiffe erreichen
konnten. Die in gröfserer Entfernung ankernden hatte man schon
wahrend des Handgemenges abfahren sehen; aber auch die näher
hegenden Schiffe waren so schnell flott gemacht und von den
Rogenschützen so nachdrücklich verlheidigt, dass die heranstürmenden
Griechen nur sieben Schiffe am Ufer fassen und erbeuten konnten.
In diesem Uferkampfe, welcher halb zu Lande, halb zu Wrasser mit
Feuerbränden, mit Schwert und Faust geführt wurde, fielen als
Vorkämpfer die wackersten Männer; unter ihnen Kallimachos, dem
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SCHLACHT BEI MARATHON.
der unsterbliche Ruhm blieb, durch seine Stimme die Loosung zum
Kampfe gegeben zu haben, und Kynaigeiros, des Aischylos Bruder,
welcher vom Bord eines Schills, das er erklimmen wollte, mit ab-
gehauener Hand in das Meer zurücksank13).
Ueberblickt man die dürftigen Darstellungen des Kampfes von
Marathon, welche die Alten uns überliefert haben, so befremdet
vor Allem ein doppelter Umstand. Wo war denn die Reiterei, fra-
gen wir, auf welche von Anbeginn der Rüstung her die Sieges-
hofTnung der Perser gebaut war, um derentwillen in Marathon ge-
landet war, die allein im Stande gewesen wäre, den ganzen Schlacht-
plan des Miltiades zu vereiteln? Sie wird in keinem Berichte erwähnt;
es wird vielmehr ausdrücklich berichtet, dass sie abwesend war,
als der Kampf begann. Das Zweite, was befremdet, ist die Schnellig-
keit, mit welcher die Einschiffung der persischen Truppen erfolgte.
Es ist vollkommen unbegreiflich, wie diese schon während des
Kampfes beginnen und wie sie nach dem Kampfe ohne Verzug
so glücklich und unbehindert ausgeführt werden konnte, wenn
nicht die Kriegs- und Transporlflolte schon vor der Schlacht zur
Abfahrt vorbereitet gewesen wäre. Darnach ist es sehr wahr-
scheinlich, dass die Perser in Folge der festen Aufstellung und
Verschanzung der Athener den Plan aufgaben, durch den maralho-
nischen Pass gegen Athen vorzugehen. Ihre Landung in Maralhon
beruhte ja auf der Voraussetzung, dass sie ohne Hinderniss in die
hauptstädtische Ebene vorrücken könnten. Einen gut vertheidiglen
Pass deshalb mit Blutvergiefsen zu erzwingen, konnte gar nicht in
ihren Absichten liegen. Da war es viel zweckmäfsiger, nachdem
die Reiterei in der Ebene die nötige Erholung gefunden hatte,
an einem Punkte der athenischen Ebene zu landen, wo keine
Pässe im Wege lagen und wo die persische Partei der Hauptstadt
mehr im Stande war, gute Dienste zu leisten. Ich glaube also,
dass am Morgen der Schlacht die Flotte schon bemannt und na-
mentlich die Reiterei schon an Bord war. Miltiades machte also
seinen Angriff, als das Perserheer gelhcilt und die gefährlichste
Waffe vom Kampfplatze entfernt war; er griff den Rest der Trup-
pen an, welcher noch auf dem Lande stand und die Einschiffung
deckte. Dann begreift sich auch, warum Miltiades nicht früher
und nicht später seinen Angriff ausführte. Denn warum sollte er
auf den Tag, welcher der ursprüngliche Tag seines Oberbefehls
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DIE PERSER AM PHALERÜS
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war, gewartet haben, nachdem der Wechsel des Oberbefehls einmal
aufgegeben war! Dass aber in der Darstellung des marathonischen
Kampfes, wie sie unter den Athenern sich allmählich feststellte, der
wirkliche Sachverhalt verdunkelt wurde, so weit er den attischen
Ruhm zu beeinträchtigen schien, ist sehr begreiflich14).
Die Flotte fuhr an der Küste entlang nach Sunion. Als ver-
abredetes Zeichen soll ein Schild auf dem pentelischen Gebirge
aofgesteckt worden sein, um die Perser wissen zu lassen, dass es
nun Zeit wäre, sich gegen Athen zu wenden. Es war eine De-
monstration der persisch- gesinnten Athener, welche nach dem Ab-
zöge der Feldherren und der kriegerischen Mannschaft freieren
Spielraum gefunden hatten. Der wahre Zusammenhang ist nie zu
Tage gekommen. Am meisten haftete an den Alkmäoniden der
Vorwurf, dass sie mit dem Landesfeinde ein heimliches Einver-
?tämlniss unterhallen hätten. Wer aber auch die Urheber des
Schildzeichens gewesen sein mögen, schwerlich ist es erst während
der Schlacht, die so unerwartet eintrat und so kurz dauerte, und
wahrend der Flucht der Perser gegeben, sondern aller Wahrschein-
lichkeit nach früher, vor dem entscheidenden Kampfe, und dann
dürfen wir wohl in jenem Schildzeichen den Anlass erkennen, wel-
cher die Perser zur Einschiffung bestimmte. Dann haben die Ver-
rätber wider ihren Willen Miltiades zu seinem glücklichen Angriffe
rerbolfen.
Den Siegern von Marathon war nach dem heifsen Tage keine
Ruhe gegönnt. Aristeides, der Mann von zweifelloser Rechtlichkeit,
wurde mit den Genossen seines Stammes, der am meisten gelitten
hatte, auf dem Scblachtfelde zurückgelassen, um die Beute zu
hüten und die Sorge für die Toten zu übernehmen. Die übrigen
Truppen wurden nach kurzer Rast zurückgeführt, und am Abende
des Schlachttags lagerten sie wieder unweit Athen, nordöstlich
von der Stadt, bei dem hochgelegenen Gymnasion Kynosarges. Als
die Perser in rascher Fahrt die phalerische Bucht erreicht hatten,
sahen sie, wie es Tag wurde, die Helden von Marathon, zu neuem
Kampfe bereit, sich gegenüberstehen. Was nun aber die Perser
reranlasste, von jedem Versuche der Landung abzustehen, ist schwer
iu enträthseln. Vielleicht lag ein Hauptgrund in der Persönlichkeit
des Hippias.
Hippias hatte als hinfalliger Greis den Boden seiner Heimath
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DIE SPARTANER IN ATHEN.
wieder betreten. Wenn er bis dahin den Gedanken an Wieder-
herstellung seines Hauses festgehalten hatte, so war ihm nach dem
Tage von Marathon jede Hoffnung geschwunden und der Muth ge-
brochen. Mit der Verzichtleistung des Hippias waren die Instruk-
tionen der Feldherren erloschen; aus eigenen Vollmachten hatten
sie keinen Muth zu handeln, um so weniger, da die Partei, auf
deren Unterstützung man gerechnet hatte, nach dem marathoni-
schen Kampfe entmuthigt war. Unter diesen Umständen lässt es
sich erklären, dass die Feldherren auch ohne eine wesentliche Ein-
bufse an Streitkräften erlitten zu haben (die Zahl ihrer Todten
wird auf 6400 angegeben), den Beschluss fassten, vor Eintritt der
herbstlichen Witterung heimzukehren und sich diesmal mit der
Züchtigung von Naxos und Eretria und der Unterwerfung der Cy-
kladen zu begnügen. Die Strafse nach Athen war offen; sie konn-
ten zur Vollendung des Begonnenen in jedem Frühjahre wieder-
kehren.
Die Spartaner, welche Zuzug versprochen hatten, sobald der
Vollmondstag vorüber wäre, an welchem sie mit ihrer ganzen
Bürgergemeinde beim Opfer des Apollon Karneios zugegen sein
müssten, kamen am Tage nach der Schlacht in Athen an und fanden
nun statt der bedrängten und geängsteten Stadt eine siegesfrohe,
von Dank gegen die Gölter und edlem Selbstgefühl erwärmte Bür-
gerschaft. Die Spartaner zogen nach Maralhon, bewunderten an
Ort und Stelle die That der Atliener und kehrten heim. Die An-
erkennung, welche die Krieger Spartas aussprachen, mag ehrlich
und treu gemeint gewesen sein, die Politik Spartas war es nicht
Die alte Eifersucht war durch das neue Bündniss nicht beseitigt;
denn wenn die Spartaner in laulerer Gesinnung und von nationa-
lem Gesichtspunkte die Gefahr der Schwesterstadt aufgefasst hätten,
so würden sie das Karneenfest nicht zum Vorwande ihrer Säum-
niss benutzt haben, so wenig wie sie bei einem Angriffe auf ihr
eigenes Land um eines Festes willen die kräftigste Abwehr ver-
säumt haben würden. Es kamen ja auch nur 2000 Bürger, und
kein König führte sie. Es war also die rechte Strafe ihrer Falsch-
heit, dass sie vom gröfsten Ehrentage hellenischer Waffen ausge-
schlossen waren und dass die Spartaner den Athenern, die Dorier
den loniern für alle Zeiten den Ruhm des ersten Perserkrieges über-
lassen mussten.
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MILTIADES VOR i'AROS
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So wie die Zeit der Noth vorüber war, dachten die Athener
vor Allem daran, ihr Gelübde zu bezahlen und das Andenken
ihrer Todten zu ehren. Nach ihren Stämmen geordnet, wurden
sie, 192 an der Zahl, bestattet, wo sie für's Vaterland gefallen wa-
ren; auf ihren Grabstätten wurden die Pfeiler aufgerichtet, auf
welchen ihre Namen aufgeschrieben waren. Ein zweiter Grabhügel
deckte die in treuer Bundesgenossenschaft gefallenen Platäer und
die Sklaven, welche mitgefochten und durch ihren Opfertod An-
spruch auf Bürgerehre erworben halten. Die Wahlstatte wurde
ein Heiligthum des Landes und den Gefallenen, gleich Heroen,
ein Jahresopfer eingesetzt. Von der reichen Siegesbeule wurde
der Zehnte den hülfreichen Gottheiten Athena, Apollon und Ar-
temis, geweiht. Auch nach Delphi gelobte man ein Weihgeschenk,
und dem Gölte Pan, der dem attischen Staatsboten auf dem Wege
nach Sparta erschienen war, wurde zum Dank für die bewährte
Freundschaft eine Grotte am Abhänge der Burg gewidmet und zu-
gleich ein Jahresfest mit Fackellauf gestiftet. Das grofse Siegesfest
wurde aber achtzehn Tage nach der Schlacht in Agrai am Iiisos
gefeiert, an einem Festtage der Artemis, dem sechsten des Mo-
nats Boedromion , welcher zugleich dem Apollon heilig war. Führte
dieser doch selbst vom Schiachtgeschrei des Angrifft den Namen
4Boedromios\ und nach dem Vorbilde ihres Gottes hatten die
Athener sich im Sturmschritte auf die feindlichen Reihen ge-
worfen
Miltiades vermochte augenblicklich Alles. Er fühlte diese Macht
und überschätzte sie. Ihm sollte der Tag von Marathon nur der
Anfang einer Reihe glänzender Waffen thaten sein; er nahm die
unbedingte Feldherrn macht, welche ihm zu Theil geworden war,
auch fernerhin in Anspruch, und da er wenig Lust hatte, in offe-
ner Volksversammlung über seine Anschläge verhandeln zu lassen, so
wollte er, dass man ihm ohne weiteres Kriegsschiffe und Geldmittel
zu freier Verfügung stelle, damit er den frischen Eindruck, den der
marathonisciie Sieg auf die Athener sowohl wie auf ihre Feinde
gemacht habe, zu neuen Siegen benutzen könne. Die reichste
Beute werde sein Begehren rechtfertigen. Ein solches Geheimthun
war freilich dem Geiste des attischen Staatswesens durchaus zu-
wider. Aber man hatte so eben das Heilsame eines unbedingten
Kriegsbefehls erfahren; man hatte zu Miltiades* Glück ein blindes
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2S
MILTIADES VOR PA HOS
Vertrauen; man gab deshalb nach und sah mit den stolzesten
Hofin un gen die Flotte von siebzig Schiften unter seiner Führung
in See gehen. Es war, wenn man den tollkühnen Zug nach Sar-
des nicht in Anschlag bringt, der erste Kriegszug von Hellas aus
gegen den Grofskönig, und da Miltiades schon an der Donaubrücke
die Befreiung Ioniens als das nothwendige Ziel hellenischer Kriegs-
fuhrung aufgestellt halte, so erwartete man bald von glänzenden
Erfolgen zu hören und die Schilfa mit reicher Beute heimkehren
zu sehen.
Statt dessen kam die Nachricht, dass die Flotte unthätig vor
Paros liege. Miltiades wollte nämlich die Verbündeten des Grofs-
königs brandschatzen, und zunächst sollten die reichen Parier da-
für büfsen, dass sie den Persern eine Triere gestellt und gegen
Atlien gekämpft hatten ; sie sollten sich unterwerfen und eine hohe
Kriegssteuer zahlen. Im Vertrauen auf ihre Stadtmauer wagten
aber die Parier unerwarteter Weise Beides zu verweigern und
versetzten Miltiades dadurch in die übelste Lage. Denn er war
auf eine Belagerung nicht eingerichtet und konnte sich doch nicht
entschliefsen, unverrichteter Sache abzuziehen. Zeit und Geld
wurden vergeudet; er konnte mit seinen Landungen und verwüsten-
den Streifzügen durch die Insel nichts ausrichten. Endlich grill
er in verzweifelnder Ungeduld zu abergläubischen Mitteln. Er
versuchte, wie in Paros erzählt ward, in das Heiliglhum der
Demeter, der Schulzgöttin der Insel, sich einzuschleichen, um dort
nach Unterweisung einer Tempeldienerin durch heimliches Opfer
oder Entführung des Bildes ein Unterpfand des Siegs zu gewinnen.
Aber der Anschlag misslang so sehr, dass er bei der Rückkehr aus
dem Tempelhofe durch einen Fehlsprung sich selbst verletzte, und
so musste der hochfahrende Mann nach 26 Tagen die Belagerung
aufheben, um krank, ruhmlos, mit leeren SchhTen nach Athen
heimzukehren.
Nun erhob sich ein Sturm der Anfeindung wider ihn. Seine
alten Gegner, deren Missgunst durch die unerhörten Siegesehren
gesteigert worden war, schaarten sich von Neuem zusammen.
Voran standen mit ihrem Anhange die Alkmäoniden, die nach der
marathonischen Schlacht so arg verdächtigt worden waren und nun
begierig die Gelegenheit ergriffen, als Verfechter der Volksrechte
aufzutreten. Ihr Führer war Xanthippos, der eine Nichte des
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DER PROZESS DES WLTIADES.
29
Kleislhenes, Agariste, zur Frau hatte. Sie fanden die Stimmung
der Bürgerschaft in hohem Grade günstig; denn alle Begeisterung
für den Sieger von Marathon war in das Gegentheil umgeschlagen;
man sah in ihm jetzt nur einen selbstsüchtigen, gewalttätigen Mann,
welcher die Gesetze des Staates verachtete. Die Erbitterung wuchs,
als sich herausstellte, dass Miltiades die ganze unglückliche Unter-
nehmung gegen Paros nur darum unternommen habe, um sich an
einem persönlichen Feinde, den er auf der Insel hatte, dem Lysa-
goras, zu rächen, welcher ihn einst bei den Persern angeschwärzt
hatte. Der Gerichtstag kam. Xanlhippos klagte wegen Täuschung
des Volks und Missbrauch des öffentlichen Vertrauens. Die Bürger-
schaft safs selbst zu Gericht und liefs Miltiades vor sich bringen.
Auf einem Bette wurde er in die Versammlung getragen, selbst un-
fähig ein Wort zu reden. Aber weder der erschütternde Anblick
des kranken Helden, noch die Erinnerung an den Sieg, durch wel-
chen er den Athenern eine ganz neue Stellung in der griechischen
Welt verschafft hatte, noch die Beden seiner Freunde, die auch der
Erwerbung von Lemnos gedachten, waren im Stande, einen günsti-
gen Eindruck hervorzurufen. Er wurde schuldig befunden, und nun
sollte in zweiter Abstimmung die Strafe bestimmt werden. Der An-
trag des Klägers lautete auf Tod, und Miltiades würde durch Hen-
kers Hand geendet haben, wenn es nicht dem Rathsherrn, welcher
den Vorsitz hatte, durch seinen Einfluss auf die Abstimmung ge-
lungen wäre, das Aergsle abzuwenden. Dagegen wurde der Ange-
klagte in eine Geldbuße von 50 Talenten (78,500 Th.) verurteilt.
Seine Güter im Cbersonnes waren nebst einem grofsen Theile seines
Reichthums in die Hände der Perser gefallen. Er war also aufser
Stande die Strafe zu zahlen. So wurde er nach der Strenge der
attischen Gesetze als Staatsschuldner behandelt, aller Ehren ver-
lustig erklärt und zur Strafverschärfung in persönliche Haft gebracht.
Inzwischen war der Brand zu seiner Wunde getreten, und so starb
er, elend an Leib und Seele, und hinterliefs seinem Sohne nichts
als die Erbschaft einer unerschwinglichen Geldschuld, von deren
Erstattung die Herstellung der bürgerlichen Rechte der Familie ab-
hängig war1*).
Miltiades' Ende ist ein greller Misston in den Feiertagen der
ersten Freiheitskämpfe Athens. Um aber nicht ungerecht zu ur-
teilen, muss man bedenken, wie ein trotziger Eigenwille den Athe-
30
AIUSTEIDES UHD THEMISTOKLES.
nern mit Recht für den schlimmsten Feind ihres Gemeinwesens galt,
in welchem der Einzelne nur dem Ganzen dienen sollte. In diesem
Sinne Bürger zu sein verstand Miltiades nicht; seine Schuld war un-
leugbar; dazu kam, dass in seinem Prozesse das Volk zugleich der
beleidigte Theil und Richter war. Eine höhere Instanz war nicht
vorhanden, und es gab keinen gesetzlichen Weg, um hier Gnade für
Recht ergehen zu lassen.
Nachdem der Mann gefallen war, welcher mit den dynastischen
Geschlechtern der Vorzeit unmittelbar zusammenhing und selbst Ge-
waltherr gewesen war, traten nun die Männer in den Vordergrund,
welche in Athen die Entwickelung des Verfassungsstaats miterlebt
hatten und der neuen Zeit angehörten. Unter ihnen war Xanthippos,
der Sohn des Ariphron, der Hauptankläger des Miltiades, welcher
Kleisthenes, dem Oheime seiner Frau, als ein Vorkämpfer bürger-
licher Gleichheit und Freiheit nacheiferte. Der einflussreichste Mann
der Gemeinde aber war Aristeides; denn nächst dem siegreichen Feld-
herrn hatte er den gröfsten Anlheil an dem Ehrentage von Marathon.
Im Jahre nach der Schlacht bekleidete er das Amt des ersten Ar-
chonten, ein Amt, welches ihm als ein Zeichen seltener Anerkennung
zu Theil wurde, indem neben ihm alle Bewerber zurücktraten (I, 378).
So wurde aus dem Zufalle des Looses die ehrenvollste Wahl. Mit
mildem Ernste und unerschütterlichem Gleichmulhe stand er inmitten
der bewegten Menge, die mit vollem Vertrauen auf ihn schaute.
Neben ihm drängte sich ungeduldig Themistokles vor, dessen
Person während der letzten Ereignisse zurückgetreten war. Der Ruhm
des Miltiades hatte seinen Ehrgeiz gesteigert; er wollte jetzt um jeden
Preis sein unterbrochenes Werk fortsetzen und durchführen. Denn
die glückliche Abwendung der ersten Kriegsnoth hatte ihn in seinen
Ueberzeugungen nicht irre gemacht, und während die Menge noch im
Gefühle glücklicher Errettung schwelgte, hatte er bereits die zukünf-
tigen Schlachtfelder im Auge. Er sah voraus, dass die Perser wieder-
kehren würden und zwar mit solcher Macht, dass ein Widerstand im
offenen Felde unmöglich sein werde. Auch die Ringmauern seien ohne
Nutzen, wenn das ganze Gebiet von Feinden überschwemmt wäre. Der
wahre Schauplatz der Entscheidung sei das Meer, und die Misserfolge bei
Paros hätten deutlich gezeigt, wie unzureichend hier die Kriegsmitlei seien.
FEHHE MIT AIGINA.
31
Die fortdauernde Unsicherheit des Küstengebietes kam seinen
Plänen zu Gute.
Wenige Jahre nach der Schlacht von Marathon brach die alte
Fehde mit Aigina wieder aus: Die Aiginelen hatten, wie wir wissen
(S. 11), ihre Geiseln auf gütlichem Wege nicht zurück erhalten; sie
mussten es also auf andere Weise versuchen. Sie bemannten ihre
L» perschiffe und lauerten auf guten Fang, wozu die Volksfeste, die an
den attischen Küsten gefeiert wurden, Gelegenheit boten. So gelang
es ihnen während des Poseidonfestes in Sunion das heilige Schiff der
Athener wegzunehmen und eine Anzahl der vornehmsten Bürger in
ihre Gewalt zu bekommen. Dadurch wurde wohl ihr nächster Zweck,
die Rückgabe der Geiseln, erreicht. Aber die Fehde selbst war damit
nicht beendigt; sie entbrannte vielmehr um so heftiger und wurde
immer erbitterter und blutiger. Denn die Athener knüpften mit der
Volkspartei in Aigina ein Einverständniss an, um durch Verrathdie Insel
zu gewinnen, und gleichzeitig suchten sie ihre schwachen Streitkräfte
durch korinthische Unterstützung zu stärken. Die Korinther wollten
aber nicht als kriegführende Partei in die Fehde eintreten und ver-
miet beten deshalb 20 Kriegsschiffe den Athenern zu je fünf Drachmen.
So eilten die Athener mit siebzig Kriegsschiffen gegen Aigina, kamen
aber dennoch für die verabredete Ueberrumpelung der Stadt zu spät;
zu spät auch, um die Leute ihrer Partei zu retten, welche im Vertrauen
auf die rechtzeitige Ankunft der Athener gegen die herrschende Adels-
partei sieb erhoben und die Altstadt besetzt hatten. Siebenhundert
dieser Unglücklichen wurden nun als Verräther zum Tode geschleppt.
Dann wurde freilich die Inselflotte geschlagen, aber es gelang den Athe-
nern nicht, sich vor neuen Verlusten zu schützen, und sie mussten sich
Ugnügen, diejenigen Aegineten, welche sich aus dem Blutbade gerettet
hatten, unter ihnen auch Nikodromos, den Führer der attischen Partei,
bei sich aufzunehmen und ihnen bei Sunion Wohnsitze zu geben.
Unter dem Eindruck einer stetigen Angst um die nächsten Küsten
und den täglichen Seeverkehr, welche den Wohlstand der handeltrei-
benden Bevölkerung schwer schädigte, mussten die Bürger die Ver-
mehrung der Flotte als eine unerlässliche Bedingung des öffentlichen
Wohles anerkennen, und Themistokles war unablässig thätig, die Stadt
immer mehr an die See heran zu führen und ihre Seemacht zu stei-
gern. Es wurden auf seinen Antrieb jährlich zwanzig Schiffe gebaut.
Aber eine Flottenmacht zu schaffen, wie er sie für seine Pläne nölhig
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32
DAS BERGWEHK GESETZ.
hielte genügten die bisherigen Mafsregeln nicht, und wie er mit seinem
Scharfblicke zuerst die Häfen von Athen entdeckt hat, so erkannte er
auch die Hilfsquellen, welche es möglich machten, eine Kriegsflotte zu
bilden, die seine Vaterstadt in dem neuen Perserkriege unüberwindlich
machen sollte.
Der schmale Theil der attischen Halbinsel, der sich am weitesten
in das Inselmeer vorschiebt, ist das laurische Bergland. Eis sind nicht
Berge, wie die, welche den Horizont von Athen umgeben, sondern nie-
drige Felsrücken, welche in parallelen Zügen zum Meere streichen,
unfruchtbar und nur mit dünnen Piniengruppen bekleidet. Diese
Hügellandschaft hegte in ihrem Schofse ergiebige Silberadern, welche
sich auf einem Baume von anderthalb Quadratmeilen unter der Ober-
fläche erstreckten und sich bis auf die vorliegenden Inseln verzweigten.
Die Ausbeute derselben, die in sehr früher Zeit begonnen haben muss,
war damals im besten Gange. Man war mit Gruben und Stollen in
das Gebirge eingedrungen und wusste durch Wetterzüge die tiefliegen-
den Gänge, in denen Tausende von Sklaven arbeiteten, mit Luft zu
versehen. Der Staat war Eigenthümer. Er baute aber nicht selbst,
sondern überliefs die einzelnen Distrikte oder Gruben für ein ent-
sprechendes Kaufgeld an unternehmende Kapitalisten, welche als Erb-
pächter den Betrieb übernahmen und von der jährlichen Ausbeule
etwa vier Prozent als Abgabe an den Staat bezahlten. Die Staatsgüter
wurden aber seit dem Sturze der Tyrannen wiederum als Bürgergut
betrachtet, und demgemäfs hatten die Bürger Anspruch darauf, dass
der Beinertrag der Bergwerke ihnen, als den Eigen thümern der Do-
mänen, zu Gute komme. Dies geschah aber in der Weise, dass, wenn
nach Erledigung der jährlichen Staatsbedürfnisse ein ansehnlicherer
Baarvorrath in den öffentlichen Kassen übrig blieb und keine andere
Verwendung für Staatszwecke beantragt war, dieser Ueberschuss unter
die Bürger verlheilt wurde.
Als nun gerade jetzt eine bedeutende Summe vertheilt werden
sollte (so dass zehn Drachmen auf den Kopf kamen), da trat Themi-
stokles auf und stellte den Antrag, dass die Verlheilung der Berg-
werksgelder durch Volksbeschluss ein für allemal abgeschafft werde.
Das sei eine unvernünftige und unverantwortliche Verschleuderung
öffentlicher Mittel, wie sie einem Staate, der von nahen und fer-
nen Feinden umgeben sei, am wenigsten gezieme. Man solle viel-
mehr die jährlichen Ueberschüsse zum Kriegsfonds machen und
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AITSCHWIWG DES SEEWESENS.
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das Geld zu nichts Anderem verwenden, als zum Baue von Kriegs-
schiffen.
Eine Kriegsflotte war ohne regelmässige, dafür bestimmte Ein-
künfte nicht herzustellen, um so weniger da die aus frischem Holz ge-
bauten Fahrzeuge meist nur zehn Jahre seetüchtig blieben. Seine
wahren Absichten durfte Themistokles auch jetzt nicht enthüllen,
aber die äginetischen Fehden machten die Bürger willig, zum Wohle
des Gemeinwesens auf persönliche Vortheile zu verzichten.
Die gehobene Stimmung kam ihm zu Gute; man fühlte, dass eine
neue Zeit angebrochen sei, dass Athen eine Seemacht werden müsse,
und dies ohne Opferbereitschaft der Bürger nicht möglich sei. Dazu
kam, dass erst vor Kurzem eine unerwartete Siegesbeute zur Verthei-
iung gekommen war, und dass den ärmeren Leuten durch den Antrag
des Themistokles mannigfache Aussicht auf reichlichen Verdienst
erötfnet wurde.
Der Bergbau wurde mit neuem Eifer in Angriff genommen in
Laurion wie in Maroneia ; es war jetzt patriotisch, Grubenbesitzer zu
sein, seitdem mit dem Silber, das zu Tage gefördert wurde, die steigende
Macht der Vaterstadt unmittelbar verknüpft war. Man konnte, auf die
Ehrliche der Reichen rechnen, welche, wenn der Staat für den Rumpf
des Schiffes ein Talent (1570 Thaler) als Vergütung zahlte, aus
eigenem Vermögen zusetzten , um ein möglichst seetüchtiges Fahrzeug
zu liefern17).
Wenn man bedenkt, welchen Einfluss auf das ganze Leben diese
Beschlüsse und Malsregeln haben mussten, so begreift man wohl, warum
nicht alle Bürger einverstanden waren. Der massenhafte Trierenbau
verlangte auf einmal so viel Arbeitskräfte, dass man mit einheimischem
Volke nicht ausreichte. Von allen Seiten strömten also fremde Leute
herbei , und von den einheimischen verliefsen Viele des besseren Ver-
dienstes wegen die gewohnte Arbeit. Der Tagelohn stieg, das Leben
Tertheuerte sich, eine allgemeine Unruhe machte sich fühlbar, und viele
besonnene Männer schüttelten bedenklich den Kopf, wenn sie die Ver-
änderung ansahen, die mit dem ganzen bürgerlichen Leben vor sich
ging. Sie blickten auf Aristeides.
Keiner konnte lebhafter als er des Vaterlandes Gröfse wünschen,
aber er lebte der Ueberzeugung, dass sie auf derselben Grundlage
beruhen müsse, auf welcher der Staat unter dem Schutze der Götter
erwachsen sei. Diese Grundlage, au der man nicht ungestraft rütteln
Cartiu», Gr. Oe«ch. II. «. Aufl. 3
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werde, sei vor Allem die bäuerliche Tüchtigkeit des Volks und die
Liebe zum vaterländischen Boden. Ein Flottenbau, wie ihn The-
mistokles in's Werk setzen wollte, um im Nothfalle den Staat auf die
Schiffe zu retten, erschien ihm wie ein Verzagen am Schutze der Landes-
götter, wie ein Aufgeben des geheiligten Bodens, wie eine halbe Flucht
Ihn erschreckte das Beispiel der ionischen Städte. Hatten doch
die Ionier niemals mehr Schiffe gehabt, als zur Zeit des Kyros, und
dennoch waren sie schmählich erlegen oder landesflüchtig geworden.
Was war aus den stolzen Flotten von Milet und Ghios geworden , was
hatten den Thasiern ihre Gelder und Schiffe geholfen, wie hinfällig war
die Blüte der samischen Seeherrschaft gewesen!
Aristeides fürchtete die einseilige Richtung auf Seeleben und See-
macht in ihrem Einflüsse auf die Sitten des Volks; er fürchtete, dass
die Tapferkeit der schwergerüsteten , erbgesessenen Bürger, die sich in
Marathon so herrlich bewährt habe, an Achtung und Bedeutung ver-
lieren werde neben der sklavenmäfsigen Arbeit der Ruderknechte. Von
ihnen werde nun das Heil des Staats abhangen, und bei dem Zuströmen
fremder Abenteurer werde der ehrenhafte Kern der Bürgerschaf t immer
mehr zersetzt und verändert werden. Wenn Athen vorzugsweise See-
macht werden solle, so werde es den Boden unter den Füfsen verlieren
und in ziel- und mafslose Unternehmungen hineingezogen werden, die
mit einer besonnenen Staatshaushaltung und Staatsleitung sich nicht
vertrügen.
Dies waren etwa die Gesichtspunkte des Aristeides. Die natürliche
Verschiedenheit der beiden Charaktere, die schon in den Knaben sich
gezeigt hatte, war nunmehr zum vollen Gegensatze ausgebildet. Es
war ein Kampf unvereinbarer Grundsätze, ein Kampf des alten und
des jungen Athens, der conservativen Partei und der Partei des Fort-
schritts.
Aristeides war, ohne es zu beabsichtigen, Führer der besonnenen
Bürger geworden. Er zeigte sich auch jetzt ohne Ehrgeiz und Eigen-
nutz. Er bewährte seine treue Vaterlandsliebe, wenn er die eigenen
Anträge zurückzog, sobald ihm die öffentlichen Verhandlungen zeigten,
dass der Einspruch seiner Gegner begründet war. Aber so gewissen-
haft er sich von jeder Parteilichkeit fern zu halten suchte, der Gegen-
satz wurde dennoch mehr und mehr ein persönlicher. Hielt Aristeides
einmal seines Gegners Einfluss für verderblich, so musste er ihn auf
alle Weise zu brechen suchen, und so kam er dazu, auch unbedenk-
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KAMPF DER PARTEIFÜHRER.
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liehen und ohne Frage heilsamen Anträgen des Themistokles sich zu
widersetzen , während er seihst seine Anträge durch andere Personen
vor das Volk bringen liefs, damit nicht sein Name den Widerspruch
des Anderen hervorrufe. Ebenso soll es in Verwaltungs-Angelegenheiten
zu Reibungen gekommen sein, da Aristeides, wenn er zur Leitung der
Finanzen berufen wurde, selbst die kleinsten Unredlichkeiten der Beam-
ten mit unerbittlicher Strenge rügte; er scheute sich nicht, seine
Vorgänger im Amte zur Rechenschan zu ziehen und unter ihnen auch
Themistokles18).
* So kam es, dass dieser, obwohl er die Mehrzahl der Bürger für
sich hatte und die Volksversammlung durch sein Wort beherrschte,
dennoch nicht dazu gelangen konnte, die Leitung der Bürgerschaft
»eher in seiner Hand zu haben, so lange Aristeides ihm gegenüber das
Gewicht seines Ansehens in die Wagschale legte. Man war zu sehr
gewohnt, auf ihn zu hören und seinen Rath zu beachten; ja, er war so
sehr der Mann des allgemeinen Vertrauens, dass er, wie ihm seine
Gegner ärgerlich nachsagten, die öffentlichen Gerichte überflüssig
machte, indem er als der durch das Vertrauen beider Parteien berufene
Schiedsrichter die Händel durch friedliche Vermittelung beizulegen
So wurde die Bürgerschaft zu einer Zeit, wo die drohendste
Gefahr heranrückte und mehr als je volle Einmüthigkeit verlangte,
nach zwei Seiten hin und her gezogen. Der Zustand wurde uner-
träglich, und unter dem Einflüsse der themistokleiscben Partei verlangte
die Bürgerschaft endlich die Anwendung des Scherbengerichts. Nach-
dem es früher dazu gedient hatte, Tyrannen freunde zu beseitigen,
wurde es jetzt, soviel wir wissen, zum ersten Male angewendet, um
mischen den Häuptern politischer Parteien, welche um die Leitung
der Bürgerschaft stritten, eine endgültige Entscheidung herbeizuführen
und dem peinlichen Schwanken zwischen zwei unverträglichen Rich-
tungen des Staatslebens ein Ende zu machen. Die Gerüste für die
zehn Stämme wurden auf dem Markte aufgeschlagen ; eifriger als sonst
strömte das Volk aus allen Gauen herbei, und ein unzweifelhaft rich-
tiges Gefühl leitete die Bürger bei der entscheidenden Abstimmung.
Sie erkannten in Themistokles den Staatsmann, dessen sie jetzt
bedurften, den Mann, der allein der Zeit gewachsen sei und allein
Tollenden könne, was er begonnen habe; sie fühlten die Notwendig-
keit, ihm ihr ganzes Vertrauen zu schenken. Zehn Jahre nachdem er
3*
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AIW9TEIDES VERBANNUNG (e. 14, 2; 488).
als Archont die Harenstadt gegründet halte, erreichte Themistokles
diesen neuen Erfolg und sein Gegner Überliers ihm die lange umstrittene
Leitung der Bürgerschaft. Aristeides zog in die Verbannung, wahr-
scheinlich 483 (Ol. 74, 2), und das Bergwerksgesetz trat in volle
Kraft. Nach langem Warten und unverdrossenem Streben hatte The-
mistokles jetzt freie Bahn. Die Mifsmuthigen zogen sich zurück, die
Gegner waren ohne Führung und die grofse Mehrheit der Bürgerschaft
überliefe sich mit hoffnungsreicher Erwartung der Leitung des gewal-
tigen Mannes, der nun zeigen konnte, dass er sich zwar auf die
Künste der Musen nicht sonderlich verstehe, dass er aber aus einem
kleinen Staate einen grofsen zu machen wisse.
Und wie fühlte man jetzt das Wachsen des Staats! Um das Ver-
säumte nachzuholen, verdoppelte man die Thätigkcit, um eine Triere
nach der anderen kampffertig zu machen. Was in den älteren See-
städten an Erfindungen des Schiffbaues gemacht war, sollte Athen zu
Gute kommen. Deshalb wurde fremden Baumeistern, Technikern und
Handwerkern der Zuzug durch mancherlei Begünstigungen erleichtert,
und wenn auch die Mittel nicht ausreichten, gleichzeitig den Mauerbau
fortzuführen, so sammelte sich doch innerhalb der begonnenen Ring-
mauer der Hafenstadt schon eine Menge betriebsamer Einwohner, die
dort als Schutzverwandte des Staats lebten uud allen aufs Seewesen
bezüglichen Gewerken einen neuen Aufschwung gaben. Reiche Bürger,
wie Kleinias, beeiferten sich, aur eigene Kosten für den Staat Kriegs-
schiffe zu bauen und auszurüsten; Alles junge Volk übte sich mit
Ruder und Segel; es war, als wenn die Athener jetzt erst ihres eigent-
lichen Berufe bewusst geworden wären, seitdem Themistokles nicht
nur die im Bergschofee versteckten Landesschätze, sondern auch die
offen zu Tage liegenden Buchten der nächsten Küste in ihrer wahren
Bedeutung für den Staat nachgewiesen hatte, um die Athener zu über-
zeugen, dass sie von der Natur zum Seevolke und zwar zu einem
meerbeherrschenden bestimmt wären. Selbst die Bedrängnisse des
Staats im äginetischen Kriege waren durch ihn zu einem Segen, zur
Grundlage einer neuen Machtentfaltung geworden. Vielleicht reifte schon
damals, als Themistokles den Peiraieus aufblühen sah, der Gedanke in
ihm, dass Ober- und Unterstadt zu einer grofsen Doppelfestung ver-
einigt werden müssten, um Athen, einer Insel gleich, allen Land-
heeren unzugänglich zu machen. Aber das war eine Aufgabe langer
Jahre. Das Erste und Wichtigste war der bewunderungswürdigen
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DIE NEUE KRIEGSGEFAHR.
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Energie, mit welcher er das Werk seines Lebens förderte, gelungen:
eine Flotte von zweihundert Trieren war beisammen, als der Sturm
des neuen Krieges hereinbrach, dessen unvermeidliche Gefahr The-
mistokles schon auf dem Schlachlfelde von Marathon vorausgesehen
hatte1»).
Datis und Artaphernes hatten bei ihrer Rückkehr nach Susa ge-
wiss nichts unterlassen, um den Erfolg ihres Zuges als einen immer-
hin bedeutenden darzustellen. Sie hatten die Flotte im Ganzen un-
Tersehrt aus den zum ersten Male befahrenen Meeren heimgebracht;
sie konnten eine Reihe von Inseln und Städten aufzahlen, welche den
Achämeniden huldigten; der Trotz der Naxier und Karystier war be-
straft, die Bürger von Eretria wurden gefangen vorgeführt; die In-
sulaner erkannten den Grofskönig als Herrn im Archipelagus an, und
seine Bundesgenossen, wie die Parier, leisteten den Athenern er-
folgreichen Widerstand.
Trotzdem konnte sich Dareios darüber nicht tauschen, dass in
der Hauptsache die Unternehmung misslungen sei, und zwar nicht, wie
früher, durch Wind und Wetter, sondern durch die Tapferkeit dersel-
ben kleinen Bürgergemeinde, deren Züchtigung sein vorzügliches Augen-
merk gewesen, und durch die Kühnheit eines Feldherrn, welcher sein
Unterthan gewesen und wenige Jahre zuvor nur mit Mühe seiner Rache
entgangen war. Er war es also seiner königlichen Ehre schuldig, den
Kriegsplan auch nach des Hippias Tode nicht aufzugeben ; er durfte die
Inselstädte, die seinem Reiche sich angeschlossen hatten, nicht den Er-
oberungsplänen der Athener preisgeben, und wenn er auch selbst sich
hätte beruhigen wollen, so stand ihm Atossa, des Kyros Tochter, zur
Seite und nährte unablässig die Gefühle der Erbitterung und Rachbegier.
Das Natürlichste und Vernünftigste war, die Mannschaften durch
neue Aushebungen zu ergänzen, das gewonnene Seegebiet zu behaupten
und von nahen Angriffspunkten aus die Kräfte des Feindes zu ermüden,
ehe er sich zu einem erfolgreichen Widerstande rüsten konnte. Aber
nichts der Art geschieht. Die Perserflotte verschwindet aus dem ägäi-
schen Meere, es tritt eine vollständige Ruhe ein. Um dies zu erklären,
muss man annehmen, dass des Königs Unzufriedenheit nicht nur die
Führer des letzten Zuges traf, sondern auch den Kriegsplan, welchen
sie vertreten hatten. Der ältere Plan, welcher nur am Ungestüme des
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DIE RÜSTUNGEN IN ASIEN.
Mardonios gescheitert war, kam wieder zu Ehren. Es schien der
Achämeniden würdiger, sich nicht mit einem Rachezuge gegen Athen
zu begnügen, wobei die Truppenmacht durch die Zahl und Gröfse der
Schiffe beschränkt war; es sollte ein Aufgebot aller Reichskräfle statt-
finden, um mit vereinigtem Land- und Seeheere das ganze Westland
von Norden nach Süden zu unterwerfen. Indem man diesen Kriegs-
plan mit ganzem Eifer erfasste, verschmähte man es, die Erfolge des
letzten Krieges zu sichern oder weiter zu verwerthen ; man überliefs die
Hellenen jenseits des Wassers ruhig ihrem Schicksale, indem man fest
überzeugt war, dass alle Anstalten, die sie inzwischen treffen könnten,
viel zu armselig seien, um den persischen Rüstungen gegenüber in
Betracht zu kommen. Alle bitteren Erfahrungen waren vergessen;
man schwelgte in vollem Machtgefühle, und doch zeigte sich in diesem
Mangel an Consequenz, in diesem Hin- und Herschwanken zwischen
ganz entgegengesetzten Kriegsplänen recht deutlich die Schwäche der
persischen Regierung; es war eine Politik, welche sich nur aus dem
Streite feindlicher Hofparteien erklärte, von denen eine das Werk der
anderen zu zerstören sucht.
Nun wurde ganz Asien in Bewegung gesetzt. Die Kerntruppen
aller unterthänigen Völker sollten sich zu einer Masse vereinigen, die
jeden Widerstand unmöglich machte. Drei Jahre lang wurde gerüstet;
von Ionien bis zum Indus erscholl das Waffengetöse.
Schon brachen die Truppenmassen auf, um sich in Kleinasien zu
vereinigen, und ehe noch Athen einen namhaften Anfang seiner
Kriegsflotte gemacht hatte, drohte das asiatische Reichshecr den
Hellespont zu überschreiten (Ol. 73, 2; 4S7). Da wurde zum Glück
das Auge des Königs auf einmal nach einer ganz anderen Seite hinge-
wendet. Denn plötzlich traf die Nachricht in Susa ein, dass Aegypten
im Aufstande sei; ein Ereigniss, das um so unerwarteter kam, da die
Regierung des Dareios das unterworfene Land mit Milde behandelt
hatte. Nun wurde also ein Theil der Streitkräfte für diesen Krieg in
Anspruch genommen. Aber der Zug gegen Hellas sollte darum nicht
ausgesetzt werden; es wurde der doppelte Krieg nur um so eifriger
betrieben und Dareios wollte selbst in's Feld ziehen. Dazu bedurfte
es aber eines Stellvertreters im Reiche, und diese Angelegenheit rief
nun im eigenen Palaste einen Streit hervor, welcher dem alternden
König schweres Leid bereitete und seine kriegerischen Pläne von
Neuem hinausschob.
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TOD OES DAREIOS.
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Ursache dieser Streitigkeiten war die Doppelehe des Königs. Die
Tochter des Gobryas, dem er vor allen Anderen sein Reich verdankte,
hatte ihm den Artobazanes und zwei andere Söhne geboren; von
Atossa, der Kyrostochter, hatte er vier, unter denen Xerxes der älteste
war. Das medopersische Staatsrecht bestimmte dem erstgeborenen
Königssohne die Herrschaft; Atossa aber behauptete, nur ihre Kinder
seien aus königlichem Samen, die Kinder erster Ehe hätten keine Be-
rechtigung zum Throne. Es entspann sich ein Kampf für und gegen
das unbedingte Ansehen einer Fürstin, welche den Anspruch machte,
dass erst durch sie der jüngere Herrscherslamm ebenbürtig geworden sei.
Wie nun endlich nach dem Willen der Atossa die Thronfolge fest-
gestellt war, und der Auszug vor sich gehen sollte, da starb der König,
64 Jahr alt, im sechs und dreißigsten Jahre seiner Regierung. Er
hatte das Perserreich aus dem tiefsten Sturze wieder aufgerichtet; er
hatte die Gränzen desselben bis an den Indus und Jaxartes vorge-
schoben ; er hatte im Norden bis an den Kaukasus, in Afrika bis an die
Syrien und jenseits des HellespontS bis an den Istros die Waffen ge-
tragen und war nahe daran den Pontos zu einem persischen Binnen-
meere zu machen. Das also erweiterte Reich hatte derselbe König zu-
erst als ein grofses zusammenhängendes Ganzes geordnet, wie noch
kein Reich Asiens vor ihm bestanden hatte; seine Schiffe hatten die
fernsten Meere ausgekundschaftet; der Reich Ih um dreier Welttheile, die
Tapferkeit der Völker Asiens, die Seekunde der Phönizier, die Klugheit
und Geschicklichkeit der Babylonier, Aegypter und Ionier stand ihm zu
Diensten, und dennoch war es ihm nicht vergönnt, des wohlverdienten
Ruhmes froh zu werden; er musste sterben, ehe Aegypten gebändigt
und Hellas gezüchtigt war. Ihn quälte bis an das Ende der Unmuth
über das Misslingen aller Lieblingspläne, über den schnöden Un-
dank seiner Günstlinge, über den Kampf der Hofparteien und die
ungezährate Herrschsucht seiner Gemahlin.
Ein schneidender Widerspruch geht durch sein ganzes Leben hin-
durch. Denn während er seinem Charakter nach nichts weniger als
Eroberer war, sah er sich wider Willen in immer neue, weit aussehende
Feldzüge verwickelt, und ihm war es vorbehalten, die Hellenenkriege,
an denen die persische Monarchie zu Grunde gehen sollte, zu beginnen,
obgleich kein Fürst des Morgenlandes mehr Sinn für hellenische Weis-
heit und mehr Anerkennung für wahre Bildung gezeigt hat. Er liefs
griechische Künstler wie Telephanes aus Phokis an seinen Palästen
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XERXES KO.MG (78, J; 4M).
arbeiten und soll Herakleitos von Ephesos an seinen Hof berufen haben,
einen Mann, der, mit der demokratischen Partei seiner Vaterstadt zer-
fallen, ihm als einsichtsvoller Kenner der ionischen Zustände von
grofsem Wert sein musste. Vor allem aber zeugt seine unerschütter-
liche Anhänglichkeit an Histiaios und Demokedes (I, 612), seine Grofs-
muth gegen den gefangenen Meüochos, den ältesten Sohn des Miltiades,
den er mit Haus und Hof beschenkte, seine Milde gegen die Eretrier, die
er nach Arderikka im Lande der Kissier verpflanzte, von einer höheren
Sinnesart, welche unsere volle Achtung in Anspruch nimmt30).
Xerxes folgte, der in Purpur Geborene, ein Mann von stattlicher
Schönheit und angeborener Würde. Er hatte nicht die Schule durch-
gemacht, wie sein Vater, der sich selbst den Thron erworben. Er war
in der Ueppigkeit des Palastlebens grofs geworden, und eigene Kriegs-
lust reizte ihn nicht, die Gärten von Susa zu verlassen. Indessen hatte
er ein hohes Gefühl von der Würde des Reichs und war nicht gesonnen,
derselben etwas zu vergeben. Außerdem trieb ihn die Mutter, welche
mehr als je im Palaste herrschte. Ihn trieb endlich der Ehrgeiz ein-
zelner Heerführer, namentlich des Mardonios, welcher den Lieblings-
plan seiner Jugend, jenseits des Meers eine persisch -griechische Satra-
pie zu gründen, noch keineswegs aufgegeben hatte.
Freilich fehlte es auch jetzt nicht an einer starken Gegenpartei,
welche offen und entschieden auftrat. Ihr Führer war Artabanos, des
Dareios Bruder, derselbe, welcher schon beim Skylhenzuge gewarnt
und abgeralhen hatte. Er war auch jetzt am Hofe das Haupt der
Besonnenen, welche sich von dem Feldzuge gegen die Griechen nichts
Gutes versprachen. Lange schwankte der Grofskönig hin und her; die
Kriegsbefehle wurden gegeben und wurden widerrufen, aber zuletzt
drang doch die Kriegspartei durch, die Partei der Ehrgeizigen, welche
das Stillesitzen eine unerträgliche Schmach nannten und den König
durch Vorspiegelung leichter und glänzender Erfolge zu gewinnen
wussten. Dazu kamen die Aufforderungen von Griechenland selbst,
das durch bedeutende Persönlichkeiten in Susa vertreten war, durch
die Nachkommen des Peisistratos und durch ihren Hofgelehrten Ono-
makritos (I, 362), welcher hochtönende Orakelsprüche vorlas, in denen
die Ueberbrückung des Hellesponts und die Grofsthaten des Königs
verkündet waren, durch den vertriebenen König Demaratos, welcher
schon bei der Thronstreitigkeit zwischen den Söhnen des Dareios von
Einfluss gewesen und die Entscheidung zu Gunsten des Xerxes mit
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DIE POLITIK DER A LEU ADEN.
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Teranlassl haben soll, endlich durch Abgesandte der Aleuaden in
Thessalien. Aach aus anderen Staaten waren landesflüchtige Griechen
im Perserlager, welche später dem Herodot viele Einzelheiten über den
Heereszug rnittheilen konnten. Unter ihnen wird der Athener Dikaios
genannt, des Theokydes Sohn; er war ein angesehener Mann bei den
Persern, die es immer wohl verstanden, griechische Parteigänger im
Kampfe mit den Griechen zu benutzen.
Die Aleuaden waren ein reiches Fürstengeschlecht, das so gut
wie die Könige Spartas seinen Stammbaum auf Herakles zurückführte
imd am Peneios seinen Silz halle. Unter ihrem Einflüsse hatte ganz
Thessalien gemeinsame Landesordnungen, namentlich eine Heerverfas-
>ung. erhalten; sie konnten sich als die Häupter der Nation betrachten,
sie hatten ihre Macht bis nach den Thermopylen hin ausgedehnt, und
Herodot nennt sie geradezu die Könige des Landes. In Larissa hielten
sie ein prächtiges Hoflager; sie glänzten durch die Menge ihrer Leib-
eigenen, durch die grofse Zahl siegreicher Rennpferde, durch die Masse
ihrer Heerden. Sie waren aber zugleich beflissen, die geistvollsten
Manner Griechenlands um sich zu sammeln, welche den Ruhm des
Hauses bei allen Hellenen verkündigten. So verherrlichte namentlich
Simonides aus Keos die gastlichen Fürsten Antiochos und Aleuas.
Aber dies Glück-genügte den Aleuaden nicht; sie waren doch nur
ein Adelsgeschlecht neben anderen, welche sich ihnen ebenbürtig fühl-
ten, und aufserdem gaben sich auch in Thessalien Volksbewegungen
kand, welche den bisherigen Einfluss der Magnatenfamilien bekämpften.
Diese Gefahren bestimmten die jetzige Politik der Aleuaden. Sie
erstrebten unbedingte und erbliche Landesherrschaft, und darum
knüpften sie mit den Persern an, um durch deren Hülfe ihre Pläne
durchzuführen. So kam es, das Thorax, des Aleuas Sohn, der Freund
Pindars, der Erste von allen Hellenen war, welcher dem Xerxes frei-
willige Huldigung darbrachte, und zwar that er es unberufen, im
Namen des tbessalischen Volks. Er versprach ihm allen Vorschub,
wenn er die Pläne des Mardonios ausführen wollte, und so sah der
Grofekönig, ehe er noch einen Schritt gethan hatte, die gröfste Land-
schaft Griechenlands zu seinen Füfsen.
Nachdem nun im zweiten Regierungsjahre des Xerxes Aegypten
tod Neuem unterworfen war, wurde sofort mit dem Zuge gegen Hellas
Ernst gemacht und die von Dareios begonnene Rüstung in vergröfser-
tem Mafsstabe, ja in ganz anderem Sinne wieder aufgenommen. Denn
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DAS PERSISCHE REICHSHEER.
es sollte kein gewöhnlicher Feldzug, es sollte [ein Triumphzug, eine
Schaustellung der unerschöpflichen Hülfsquellen Asiens sein. Umsonst
warnten die Besonneneren und machten darauf aufmerksam , wie nur
bis zu einem gewissen Grade mit der Gröfse eines Heers auch seine
Stärke zunehme, wie eine mafslose Ausrüstung am Ende den Erfolg
gefährde. Das Mafslose war es gerade., worin sich die Gedanken des
Xerxes gefielen; es sollte ein Heer zusammenkommen, wie es die Welt
nicht gesehen hatte; auch schweiften seine Pläne weit über Hellas hin-
aus, und sich selbst als den Schönsten und Edelsten in der Mitte so
vieler Tausende zu sehen , das war der gröfste Reiz för den eitlen
Fürsten.
So gingen denn die königlichen Eilboten von Susa nach allen
Himmelsgegenden, nach der Donau wie nach dem Indus, nach dem
Jaxartes wie nach dem oberen Nilthale, die Gestade des Archipelagus,
desPontos, des arabischen und persischen Golfs, des syrischen und
des libyschen Meeres entlang. Die Waffenfabriken und Schiffswerften
wurden in Thätigkeit gesetzt, Brücken, Wege und alle inneren Verkehrs-
mittel hergestellt, in allen Theilen des weiten Reiches wurde Mannschaft
ausgehoben. Zwei Jahre lang wurde gerüstet, und im dritten begann
eine Völkerwanderung, welche von den Ostgränzen der Welt her die
Stämme der verschiedensten Zungen und Trachten in bunter Menge
zusammenführte.
In baumwollenen Röcken, mit Rohrpfeilen bewaffnet, kamen die
Anwohner des Indus und rückten in das Gebiet der iranischen Völker
ein. Ganz Iran, im weitesten Sinne des Ländernamens, trat in Waffen.
Zuerst der ferne Nordosten, die durch weite Wüstenländer abgetrennten
Hinlerländer des Reichs. Hier stiegen von den Abhängen des Hindu-
kusch die Baktrier herunter und vereinigten sich im Oxusthale mit den
Sakern, die jenseits des Jaxartes wohnten, zu einer Heeresmacht unter
Hystaspes, dem Sohne des Dareios und der Atossa. Aus den unteren
Gebieten des Oxus und Jaxartes, von den Ufern des Aralsees, kamen
die Chorasmier und die Sogdier, bei welchen Kyros die äufserste Reichs-
festung angelegt hatte.
Dann die Völker, welche näher im Süden und im Norden das
Kernland Vorderasiens, das Land der Meder, umlagerten; im Norden
die mächtigen Bergvölker vom kaspischen Meere, die Hyrkanier und
ihre Nachbarn, die Partlier, durch deren Gebirgspässe die grofse Heer-
stralse aus Osten herüberkommt; im Süden die Völker, welche an den
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I
DAS PERSISCHE REICHSHEER.
43
nach Mesopotamien und zum erythräischen Meere abfallenden Rändern
von Iran wohnten, die jetzt um so kriegslustiger waren, weil sie an der *
Spitze der Völker Asiens standen, die Kerntruppen des ungeheuren
Heerbannes, die Kissier und Perser, welche mit den Medern gleiche
Bewaffnung trugen, Bogen, Pfeile und kurze Dolche, welche rechts am
Gürtel hingen, mit geflochtenen Schildern, Aermelröcken und ungesteif-
ten Hüten. Die Perser waren als der Herrscherstamm vor allen Völkern
ausgezeichnet; sie strahlten von Gold; sie führten Wagen, Weiber und
viele Diener mit sich und hatten ihren besonderen Tross. Susa im
kissierlande, vom Helles pont, von der Indusmündung und der nörd-
lichsten Ausbiegung des Jaxartes gleich weit entfernt, war der wohl-
gelegene Mittelpunkt der ganzen Rüstung. An die Perser schlössen
sich von Osten her die Völker an, welche zwischen Afrika und Hinter-
asien das Mittelglied bilden, die dunkelfarbigen Stamme Gedrosiens,
die Insulaner des persischen Meers, die asiatischen Aethiopen, wie ihre
Nachbarn, die Inder, bewaffnet; Stirnhäute von Pferden trugen sie auf
dem Kopfe, die Mähnen wehten wie Helmbüsche herunter.
Die vereinigten Stämme Irans, Turans und Indiens fanden, wie
sie die Zagreuspässe herunter kamen, die Stromländer des Tigris und
Eophrat in voller Rüstung. An den kunstvollen Erzhelmen und den
eisenbeschlagenen Keulen erkannte man die Truppen des alten Ninive.
Von Süden kamen in das mesopotamische Land die Hülfs Völker Arabiens,
welches, wenn auch nicht zinspflichtig, dennoch dichte Schaaren von
Bogenschützen aus seinen Wüsten entsendete. Aus dem Palmenlande
Afrikas kamen die Aethiopen in Pardel- und Löwenfellen, welche
Spiefse mit Spitzen aus Gazellenhorn schwangen, und vom äufsersten
Westen die Libyer im Lederwams, mit Holzspeeren, die im Feuer
gehärtet waren.
Vom Euphrat stiegen die Heeresmassen nordwestlich hinauf in
die felsigen Hochlande Kappadociens. Hier kamen von der einen Seite
die Völker Armeniens herzu und die wilden Stämme des Kaukasus,
andererseits die mannigfaltigen Völker Kleinasiens, deren einige, wie
die Paphlagonen, Kappadocier und namentlich die Phryger, dem arme-
nischen Heerhaufen an Bewaffnung glichen, während die anderen,
festlicheren, vor Allem die Lyder, fast ganz wie hellenische Krieger
aussahen.
Kritalla in Kappadocien war der Sammelplatz der Truppenmassen.
Hier erschien Xerxes selbst, um sich mit den Prinzen des Hauses,
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FLOTTEN UND MAGAZINE
seinem Gefolge und seinen auserlesenen Schaaren an die Spitze der
* Truppen zu stellen, und fährte den Zug durch Phrygien und Lydien
nach Sardcs, wo er im Herbste von Ol. 74, 4 (481) die Winterquartiere
bezog. Hier befand er sich an der Gränze der griechischen Welt ; von
hier aus rousste die Gröfse seiner Rüstung den jenseitigen Völkern
bekannt werden, von hier wurden die Boten ausgesendet, welche Unter-
werfung forderten. Die Gesamtmasse des asiatischen Heers, welches
hier vereinigt war, mag man nach dem Berichte des Ktesias auf unge-
fähr 800,000 Mann schätzen; dazu kam eine Reiterei von 80,000 Pfer-
den aus Persien, Medien, Kissien, Indien, Baktrien und Libyen, eine
Menge Kriegswagen theils mit Rossen, theils mit indischen Waldeseln
bespannt, endlich auch Kamelreiterei.
Der Rüstung des Landheers entsprach die Masse der Schiffe. Den
Stamm der Flotte bildeten die Phönizier und Syrer, dann die Aegypter,
Kyprier, die Küstenvölker Kleinasiens von Kilikien bis Aeolis, die
Anwohner des Pontos und die Insulaner; es waren zusammen über
1200 Trieren oder Dreidecker. Mit den Transportschiffen und kleineren
Fahrzeugen kam eine Menge von drei- bis viertausend Segeln zusam-
men, welche bei Kyme und Phokaia sich vereinigle. Jede Triere hatte
150 Ruderer und aufser der eigenen Bemannung zu gröfserer Sicher-
heit noch ein Commando von Persern am Bord.
Während dieser Rüstungen und Truppenmärsche auf dem asia-
tischen Festlande wurden aufserhalb desselben dreierlei grofsartige
Mafsregeln getroffen. Das erste war die Anlage von Magazinen, welche
dem Heere unentbehrlich waren, um ausreichender Verpflegungsmittel
unterwegs gewiss zu sein. Am nöthigsten erschienen solche Vor-
kehrungen an der thrakischen Küste, wo man am wenigsten auf die
Hülfsmittel des Landes und den guten Willen der Bewohner rechnen
konnte. Zu diesem Zwecke wurde eine grofse Zahl von phünikischen
und ägyptischen Kauffahrern beordert, massenhafte Vorräthe von Mehl
und Futter, welche auf königlichen Befehl im Nilthale und in Asien
zusammengebracht worden waren, nach Thrakien zu schaffen. Die
gröfste Niederlage war in Leuke Akte am Hellespont; aufserdem
wurden in Tyrodiza an der Propontis, an der Hebrosmündung bei
Doriskos, an der Strymonmündung bei Efon und in Makedonien (wahr-
scheinlich am Flusse Axios) ähnliche Magazine angelegt.
Das Zweite war, dass man den Hellespont überbrückte, um das
Heer trockenen Fufses, mit voller Sicherheit, unabhängig von Wind
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DIE HELLESPOHTüSimlcKE.Y
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und Wetter, auf europäischen Boden hinüberzuführen und das jenseitige
Land, als ein Vorland Asiens, an den herrschenden Welttheil gleichsam
zu fesseln. Nicht bei den Dardanellenschlössern, wo jetzt der gewöhn-
liche Uebergang ist, schlug man die Brücke, sondern weiter aufwärts
nach der Proponüs, dort, wo die Höben bei Abydos von dem Gestade
bei Sestos nur sieben Stadien entfernt waren (jetzt ist die Breite über-
all bedeutender), und wo auf beiden Seiten, auch auf dem steileren
Rande des europäischen Ufers, Thalwege sind, welche dem Truppen-
marsche zu Statten kamen. Es wurde aber eine doppelte Schiffbrücke
geschlagen, damit um so rascher und ohne Stockung die Heeresmassen
hinüber gelangten. Gleichzeitig wurde die Landenge durchstochen,
welche die Halbinsel des Alhos mit dem Festlande verbindet , um die
Flotte vor dem Unglück zu bewahren, welches zwölf Jahr früher dem
»ardonios zugestofsen war.
Nachdem die drei grofeen Arbeiten als vollendet im Haupt-
quartier gemeldet worden waren , gab der Grofskönig den Befehl , von
Sardes aufzubrechen; die gröfsten Schwierigkeiten schienen nun besei-
tigt Aber ehe noch der Marsch begann , kam eine Unglücksbotschaft,
welche die frohe Zuversicht zu Schanden machte. Eine plötzliche Sturm-
öuib hatte den Hellesponl heimgesucht und in wenig Stunden die mit
unsäglicher Mühe hergestellten Brücken völlig zerstört Die Nachricht
versetzte den König in mafslose YVuth; er wollte nichts davon wissen,
dass irgend etwas in der Welt im Stande sei, seine Pläne zu kreuzen ;
in jedem Misslingen sah er eine frevelhafte Auflehnung gegen seine
grofeherrliche Macht, eine Verschuldung, welche mit abschreckender
Strafe geahndet werden müsse. Die Baumeister wurden hingerichtet,
und selbst die Elemente sollten für ihre Widersetzlichkeit büfsen. Bei
den Hellenen wenigstens ging die allgemeine Rede, dass er den Helles-
pont habe peitschen, dass er Ketten in ihn habe versenken lassen, zum
Zeichen, dass auch er des Grofsherrn Sklave sei und ihm auch wider
Willen dienen müsse; ja, dass er mit frecher Lästerung die heilige
Salzflutb verflucht habe.
Dann wurde anderen Werkmeistern die Erneuerung der Brücken
übertragen. Die Taue, welche man von Ufer zu Ufer gezogen hatte,
waren, wie man meinte, zu schwach gewesen. Man flocht nun beide
Arten von Tauen zusammen, die aus Papyrusbast, welche von den
Aegypten! gemacht waren, und die stärkeren Flachsseile, das Werk
pbonikischer Arbeiter. Durch grofse Winden, welche auf beiden Ufern
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(HERGANG NACH EUROPA.
aufgestellt waren, spannte man die Taue über die Schiffe hinüber,
welche, durch mächtige Anker befestigt, in doppelter Reihe zusammen-
lagen. Die längere lag aufwärts nach der Propontis zu und bestand
aus 360 Schiffen, die untere aus 314. Ueber die Schiffe aber wurde eine
Brellerbahn gelegt und diese durch festgestampfte Erde wie zu einem
Landwege gemacht. Endlich wurden an beiden Seiten der Baiin Holz-
wände aufgerichtet, damit die hinübergehenden Thiere nicht durch den
Anblick des Wassers scheu würden. Ausserdem hatten beide Brücken
einen Durchlass, so dass wenigstens kleinere Kauffahrer durchfahren
konnten; eine Einrichtung, welche um so nothwendiger war, da man
die Absicht haben musste, die Brücken längere Zeit stehen zu lassen.
So war denn das riesige Werk zum zweiten Male, sicherer und
dauerhafter, hergestellt; aber noch ehe der Grofskönig Asien verlassen
hatte, trafen andere Unfälle ein, für die er keinen Menschen ver-
antwortlich machen konnte. Schwere Unwetter stürmten vom Ida her-
unter, während das Heer durch die troische Landschaft zog, und der
Skamandros, dessen Wasser ausging, war ein warnendes Vorzeichen
der in trockenen Ländern drohenden Nothstände. Endlich war der
Hellespont erreicht, und gleichzeitig sah man die Flotte von Ionien her
heranfahren und mit ihren Segeln den Sund bedecken31).
Nachdem Xerxes auf einem hochgestellten Marmorsessel in Abydos
den Wettfahrten und Scheinkämpfen seiner Schiffe zugesehen hatte,
entliefs er seinen Oheim Artabanos, den er zum Regenten seines
Hauses und Reiches bestellt hatte, und der Marsch begann, welcher in
sieben Tagen die Völker Asiens nach Europa hinüberführte. Die Flotte
ging den Hellespont hinunter und traf das Land beer wieder bei Doris-
kos in dem breiten Hebrosthaie, wo eine Festung mit persischer
Besatzung war. Hier an der Gränze seines Herrschaftsgebiets gelüstete
es Xerxes sich noch einmal in seiner ganzen Herrlichkeit zu spiegeln.
Die Schiffe wurden au's Land gezogen und eine allgemeine Zählung
der Heeresmassen vorgenommen. Dann zogen Heer und Flotte neben
einander bis zum Athosgebirge. Die Schiffe ruderten langsam durch den
Kanal hindurch und umfuhren dann die beiden anderen chalkidischen
Halbinseln, während das Landheer quer über den Rücken der Chalki-
dike nach der Ecke des thermäischen Meerbusens vorrückte. Im
Winkel desselben trafen beide Heermassen wieder zusammen.
Den gefährlichsten Theil des Wegs hatte man glücklich hinter sich,
ohne dass ein feindlicher Angriff von Seiten der Bergvölker erfolgt wäre.
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XERXES AH OLYMPOS.
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Die ungeheuren Kosten der Verpflegung waren von den Kästenorlen
willig übernommen worden, und an den angewiesenen Ruhepunkten
hatte man Korn- und Meblvorräthe, gemästetes Vieh und Geflügel,
Herbergen und Zelte vorgefunden. Endlich war das Landheer durch
Zuzug der Päonier und Thraker, die Flotte durch mitfolgende Schifte
der thrakischen Seestädte ansehnlich verstärkt worden.
Im Golfe von Therme öfTnet sich der Blick auf die griechi-
schen Berge. Hier sah auch Xerxes zuerst das feindliche Land als
ein durch natürliche Schutzwehren abgeschlossenes vor sich; er
sah in mächtigen Umrissen den Olymp an das Meer vortreten, den
Eingang sperrend in die südlichen Landschaften, und während für sein
Heer im oberen Gebirge die Wege gebahnt wurden, eilte er selbst auf
einem sidonischen Schnellruderer begierig voraus, den berühmten
Tempe-Pass sich anzusehen, wo zwischen Olymp und Ossa, von senk-
rechten Felsen eingeschlossen, der Peneios sich hindurchwindet, der
einzige Abfluss des grofsen thessalischen Binnenlandes. Er stand vor
dem Thore von Hellas. Hier hatten noch vor wenig Wochen 10,000 erz-
gerüstete Männer gelagert, um an der Schwelle des amphiktyonischen
Landes den eindringenden Feinden entgegen zu treten; jetzt war Alles
leer, der Pass offen, die Dörfer verlassen, die Heerden geflüchtet. Wo
waren die Hellenen? Wie waren sie vorbereitet, die Ueerschaaren zu
empfangen, die zu Lande und Wasser herandrängten, die gesamte
Macht Asiens, welche zugleich, je näher sie rückte, um so mehr auch
griechische Volkskräfte sich dienstbar machte, um Griechenland zu
überwältigen? Denn diesmal galt ja der Zug nicht den Athenern, wie
Tor zehn Jahren, sondern allen Stämmen und Staaten von Hellas.
In vielen Beziehungen kann man sagen, dass Griechenland besser
als je im Stande war einem feindlichen Angriffe zu widerstehen, denn
das Land ist gewiss zu keiner Zeit volkreicher, das Volk selbst nie
kräftiger, tüchtiger und gesünder gewesen, als im Anfange des fünften
Jahrhunderts vor Chr. Die ausserordentliche Colonisationslhätigkeit
der letzten Jahrhunderte hatte das Mutterland keineswegs geschwächt,
andern nur Wohlstand und Segen gebracht. Denn das Selbstgefühl
der Nation war dadurch in hohem Grade gewachsen, dass sie sich
leiblich und geistig allen anderen Völkern überlegen fühlte und nirgends
einen ebenbürtigen Gegner gefunden hatte. Alle Kräfte und Geschick-
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IS
ZUSTÄNDE GRIECHENLANDS.
lichkeilen waren entwickelt, Muth und Geistesgegenwart durch die
Mannigfaltigkeit neuer und schwieriger Aufgaben geübt. Die Verbin-
dung mit den aufblühenden Pflanzstädten balle den Mittelstand aller
Orten gehoben und dem Handel wie dem Gewerbfleifse eine Menge
neuer Hülfsquellen geöflnet. Bei dem allgemeinen Wohlstande war die
Auswanderung durch zahlreichen und kräftigen Nachwuchs rasch er-
setzt worden; das Mutterland konnte ohne die Colonieen gar nicht
bestehen, denn nur durch die Kornzufuhr aus den Pontosländern, aus
Afrika , Sicilien und Italien war es möglich , dass eine so dichte Bevöl-
kerung in den Städten und Landschaften wohnen konnte.
Argons war die einzige Landschaft, deren Bevölkerung eine grofse
Verminderung erlitten hatte. Während des Kriegs mit Sparta (S. 9)
war Kleomenes mit äginetischen und sikyonischen Schiffen gelandet,
hatte die Argiver uberfallen und die in den heiligen Hain 'Argos'
Geflüchteten durch Feuer umgebracht. Sechstausend Bürger sollen auf
diese Weise ihren Untergang gefunden haben; es war die furchtbarste
Heimsuchung, welche seit Menschengedenken eine Stadt des griechi-
schen Mutterlandes erlebt hatte.
Sonst war Land und Volk überall in unversehrtem Zustande.
Lakonien zählte 8000 Spartaner; jedem Spartaner konnten sieben
Heloten beigegeben werden , und aufserdem hatte es einen kräftigen
und zahlreichen Stand freier Landbewohner, so dass es, ohne sich von
Streitkräften zu entblöfsen, 50,000 Wehrmänner in's Feld stellen
konnte. Arkadien war ein ungemein bevölkertes Land, dessen gesamte
Mannschaft man auf etwa 30,000 schätzen kann ; für den ganzen Pe-
loponnes aber kommt man auf eine Gesamtzahl von ungefähr zwei
Millionen Einwohner. Athen hatte damals nach Uerodots unverdäch-
tigem Zeugnisse 30,000 Bürger und konnte im Verlaufe desselben
Jahrhunderts, das die Perserkriege eröffneten, ohne die Flottenmann-
schaft und die Reiter zu rechnen, nachweislich 13,000 Schwerbewaffnete
und 16,000 Mann Besatzungstruppen stellen. Wie ansehnlich die
böolischen Landstädte waren, bezeugt die Kraft des Widerstandes, den
sie Theben entgegenstellen konnten. Für die Bevölkerung des Insel-
landes giebt Naxos einen Mafsstab ab (I, 614 f.) und unter den kleineren
Inseln Keos, ein Eiland, das auf einem durchaus gebirgigen Areal von
kaum zwei Quadratmeilen nicht weniger als vier Städte enthielt, jede
Stadt mit ihrem eigenen Hafen, mit eigener Gesetzgebung und Münze.
Aus dieser Zeit des blühendsten Standes griechischer Bevölkerung
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ZUSTANDE GRIECHENLANDS.
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stammt jener sorgfältige Anbau, dessen Spuren noch heute den Wan-
derer in Erstaunen setzen, wenn er sieht, wie einst jedes Plätzchen
ausgenutzt, jede Schwierigkeit der Ansiedelung und des Verkehrs über-
wunden, wie alles Land von menschlichem Leben durchdrungen war.
Auf Felsklippen, wo jetzt nur Ziegenheerden ein notdürftiges Futter
6nden, trifft man die Ueberreste wohl ummauerter Städte, welche mit
Cislernen und Wasserleitungen versorgt waren, während die umliegen-
den Höhen bis zum Gipfel hinauf in künstlichen Terrassen abgestuft
waren, um für Kornbau und Obstzucht Platz zu gewinnen").
Die Städte der Griechen waren keine Großstädte, wie die Handels-
und Residenzstädte des Murgenlandes; dadurch blieben sie vor vielerlei
Hebeln bewahrt, welche sich in übervölkerten Städten unvermeidlich
erzeugen; es bildeten sich keine so schroffen Gegensätze von arm und
reich, von Ueppigkeit und Nolh, deren jede in ihrer Weise die Bevöl-
kerungen entkräftet; die Armuth war keine Bettelarmuth , die Menge
kein PöbeL Auch das städtische und ländliche Leben traten nicht so
schroff aus einander, da die griechische Stadt keinen Gegensatz gegen
das Land bildete. Die Bürgerschaften waren übersichtliche Gemeinden,
in denen jeder Abfall von der väterlichen Sitte um so leichter bemerkt
und gerügt wurde. Durch gemeinsames Gesetz wurden die Bürger-
schaften zusammengehalten, das Gesetz galt aber für den Ausdruck
einer lebendigen Willensgemeinschaft; darum war die Unterordnung
unter dasselbe keine unfreie; der Einzelne fühlte sich als ein Glied des
Ganzen, und die Oeffenüichkeit des Gemeindelebens war die stärkende
Luft, in welcher die Bürger aufwuchsen. In allen Städten gab es noch
alte Geschlechter voll Kraft und Talent, die mit dem väterlichen Her-
kommen verwachsen waren, und neben ihnen erhoben sich Leute des
Gewerbestandes, um ihren Antheil am Gemeinwesen geltend zu
machen.
Neben der bürgerlichen Gesellschaft bestand eine unfreie Bevöl-
kerung, welche in Handels- und Fabrikstädten wie Korinth und Aigina
sehr grofs war. Hier mufs die Menge derselben bis auf das Zehnfache
der freien Einwohner sich belaufen haben. Das Vierfache mufs auch
in Attika als geringstes Mafs angenommen werden33).
Man sollte denken, dass eine solche Menge unterdrückter Menschen
einem Landesfeinde grofse Vortheile in die Hand gegeben hätte,
namentlich wenn die Sklaven unter den feindlichen Truppen ihre
Landsleute fanden, wie dies mit den Phrygern, Syrern u. a. Sklaven
Cartioa, Gr. GMcfa. IL 6. Aufl. 4
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DIE BÜRGERLICHE GESELLSCHAFT.
asiatischer Herkunft der Fall war. Indessen finden sich in den Perser-
kriegen keine Beispiele von Verrath und Ueberlaufen. Die Sklaven
waren mit der Bürgerschaft zu eng verknüpft; es bestand zwischen
ihnen und den Familien ein gemülhliches Verhältnisse das durch Sitte
und Religion gepflegt wurde. Die Sklaven gehörten solchen Stämmen
an , welche an geistigen Anlagen den Griechen weit nachstanden und
namentlich für bürgerliches Gemeindeleben weder Neigung noch
Fähigkeit besafsen. Darum erschien ihre Unterordnung nicht als Unter-
drückung; das ganze Verhältniss wurde als ein nach beiden Seiten
erspriefsliches und nalurgemäfses angesehen. Das griechische Bürger-
thum aber war ohne diese Grundlage gar nicht denkbar.
Die Sklaven versahen alle untergeordneten Hantierungen; sie be-
stellten den Acker, besorgten Küche und Viehstand; sie dienten ihren
Herren als Handwerker und Arbeitsleute und erleichterten ihnen das
Leben in allen Beziehungen, ohne dass die Bürger dadurch träge, Schlad
und üppig wurden.
Vor dieser nachtheiligen Einwirkung des Sklaventhums wurden
die Griechen durch die natürliche Energie ihres Wesens, die Macht der
Sitte und das Gesetz bewahrt; denn Müfsiggang und Geschäftslosigkeit
wurde in wohlgeordneten Staaten als Verbrechen bestraft. Andererseits
musslen sich die Bürger bei dem Unterschiede von Anlage und Bildung,
der ihnen täglich vor Augen trat, als ein bevorzugtes und zur Herr-
schaft berufenes Volk fühlen ; ein Bewusstsein, welches wesentlich dazu
beitrug, ihnen auch im Kampfe mit dem Auslande eine stolze und
muthige Haltung zu geben; denn alle Barbaren schienen zur Knecht-
schaft geboren zu sein. Seit dem Vordringen der Perser betrachtete
man den jenseitigen Continent als ein Barbarenland, und man gewöhnte
sich jetzt, den troischen Krieg als den Anfang eines Völkerkriegs
zwischen Asien und Europa anzusehen, zu dessen Fortsetzung auch
das lebende Geschlecht berufen und verpflichtet sei. Dabei wurden die
homerischen Gedichte, die in Athen gesammelt waren, in allen Gemü-
thern wieder lebendig, und man wurde sich des ganzen Besitzes ein-
heimischer Cultur, wie ihn kein anderes Volk aufzuweisen hatte, mit
um so gröfserem Stolze bewusst
Zugleich wurde das griechische Bürgerlhum dadurch in einer
höheren Sphäre gehalten, dass nicht leicht ein Bürger in die Lage kam,
dem anderen Dienstleistungen unwürdiger Art zu erweisen, und dass
auch die Aermeren für allgemeine Angelegenheiten und für geistige
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DIB BÜRGERLICHE GESELLSCHAFT.
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Bildung Mufse und Neigung sich bewahren konnten. Denn eine freie
Lettensstellung und behagliche Mufse erschien den Alten als eine uner-
läßliche Bedingung für die Entwickelung bürgerlicher Tugend, welche
von derjenigen Tugend, die man auch bei einem Sklaven und Hand-
werker voraussetzen konnte, eine wesentlich verschiedene war. Auch
die gymnastische Ausbildung des Leibes war ein Vorrecht der Bürger,
an welchem die Unfreien keinen Antheil haben durften. Sie war die
Voraussetzung einer angesehenen Stellung in der bürgerlichen Gesell-
schaft, und in einzelnen Städten bestand sogar das Gesetz, dass Keiner
in die Bürgerlisten aufgenommen wurde, welcher nicht in den öffent-
lichen Ringschulen alle üebungen ordnungsmäfsig durchgemacht hatte.
Regelrechte Schule war den jungen Männern zur anderen Natur gewor-
den: sie hatten gelernt die Kraft zu verdoppeln, wenn es galt, und nichts
mehr zu scheuen als den Verdacht der Feigheit.
So hatte Friede und Wohlstand in Hellas keine Erschlaffung her-
beiführen können, wie in Ionien. Die Palästra hatte die Vorübung zum
ernsten Kampfe gewährt; in den Tempelhainen von Olympia und Del-
phi lernte man die Freude des mit heifser Mühe errungenen Sieges
kennen. Schon am Abend des Siegestages wurde der Preisträger mit
Gesang begrüfst; dann wurden eigene Siegeslieder gedichtet, welche
seit Simonides in der nationalen Li Hera tu r eine bedeutende Stelle ein-
nahmen.
Simonides aus Keos und Pindaros aus Theben, welche beide um
die Zeit des persischen Heerzugs in voller Wirksamkeit standen, bezeu-
gen nicht nur die volle Blüthe des hellenischen Festwesens und der ihm
gewidmeten Kunst, sondern auch die Heldenkraft, welche in ihren
Zeitgenossen lebte, die geistige und körperliche Tüchtigkeit, welche
sich in den angesehenen Geschlechtern forterbte, und den hohen Ernst,
mit welchem die nationalen Wettkämpfe geübt wurden.
Als weit geschätzte und reich belohnte Meister zogen diese Dichter
im Lande umher; sie standen mit ihrer Kunst in der Milte des Volks
and wirkten dahin , die Gemeinden und Geschlechter desselben geistig
anter einander und mit der ganzen Nation verbunden zu halten. Sie
waren darauf angewiesen, die gemeinsamen Ueberlieferungen der
Torzeit in Erinnerung zu bringen, die gemeinsamen Hellenenfeste
za verherrlichen und den Ruhm der Sieger, welche dem ganzen
Vaterlande angehörten, und in denen sich das Hellenen thum gleichsam
persönlich darstellte, in ihren Liedern zu feiern. So finden wir
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DIE BÜRGERLICHE GESELLSCHAFT.
Simonides im Mutterlande wie in den Colonieen als einen einfluss-
reicben Mann, welcher die verschiedensten Kreise mit einander in
Verbindung setzt, Freundschaften stiftet und eintretende Zwistigkeiten
ausgleicht.
Noch bedeutender tritt uns diese vermittelnde Stellung in Pindar
entgegen. Ein Thebaner von Geburt und mit ganzem Herzen seiner
Vaterstadt angehörig, hatte er dann in Athen bei Lasos (I, 364) die
höhere Kunst erlernt; er war eingeweiht in die Mysterien von Eleusis,
er weilte mit Vorliebe bei den grofsen Nationalfesten; er war in Delphi,
dem religiösen Mittelpunkte des Landes, wie zu Hause. Schon durch
seine Abstammung von den Aegiden, deren weitverzweigtes Geschlecht
an der Ordnung des spartanischen Staats, an der Gründung von Thera
und Kyrene einen so wichtigen Antheil gehabt hat (I, 169. 445), war
er berufen , von höherem und weiterem Gesichtspunkte aus die helle-
nischen Angelegenheiten zu betrachten.
Wanderlustig wie seine Vorfahren, zog er umher in den Städten
von Hellas und fand seinen Beruf darin, das Bewusstsein der gemein-
samen Nationalität und Sitte in den Bewohnern weit getrennter Gegen-
den zu erwecken. 'Herrliches Lakedämon', so sang er schon im frühen
Jünglingsalter, ehe noch der ionische Aufstand den ganzen Krieg
zwischen Persien und Hellas veranlasst halte, 'herrliches Lakedämon,
glückseliges Thessalien! Von einem Vater stammend, herrscht hier
wie dort das Geschlecht des kampfberühmten Herakles'. So benutzte
er den Schatz alter Sagen und wusste sie mit sinnreichem Geiste anzu-
wenden, um Sparta mit den Dynasten Thessaliens, und ebenso Theben,
Aigina und die arkadischen Städte zu einer grofsen Volkseinheit zu
verbinden.
Aber von dieser idealen Einheit abgesehen, deren Bewusstsein
in den Dichtern des Volks seinen Ausdruck fand und das Herz edel-
gesinnter Hellenen erwärmte, war keine nationale Verbindung vorhan-
den, welche den Angriffen einer despotisch geleiteten Feindesmacht
gegenüber irgend eine nachhaltige Widerstandskraft verbürgen konnte.
Seit dem letzten Menschenalter war die Macht von Delphi ge-
brochen (I, 551); ohne Kampf war die Herrschaft seiner Priester zu
Grunde gegangen, weil sie auf geistigen Mitteln beruhte, die allmählich
verbraucht waren; es hatte keine Wahrheit mehr, wenn man Delphi
das Centrum von Griechenland nannte. Inzwischen war auch nichts
Neues an die Stelle getreten, sondern in demselben Mafse, wie die ge-
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DIE NATIONALE EINHEIT.
53
ineinsamen Ordnungen alter Zeit zu Grunde gingen, hatten die Einzel-
Maaten sich immer selbständiger ausgebildet. Jedes Gemeinwesen war
<lem anderen gegenüber vollständig abgeschlossen, gleichsam ein Haus-
wesen für sich. Die Bürger des Nachbarstaats waren Fremde, Auslän-
der; eheliche Verbindungen zwischen Angehörigen verschiedener Staaten
rechtlich ungültig, wenn dieselben nicht besondere Verträge über Ehe-
gemeinschaft geschlossen hatten. Dazu kam nun, dass überall nachbar-
liche Reibungen stattfanden. Streitigkeiten über die Gränzlinien, über
die Ausdehnung heiliger Ländereien, über die Aufnahme flüchtiger
Sklaven, und nur selten fühlten sich die streitenden Parteien ver-
pflichtet, friedliche Ausgleichung durch schiedsrichterlichen Spruch zu
suchen. Ein Bundesgericht von allgemeiner Anerkennung war nirgends
vorhanden. Deshalb lässt Herodot, indem er die Berathungen der per-
sischen Fürsten schildert, welche Xerxes vor dem Beginn des Krieges
zusammenrief, den Mardonios die Frage thun, wie doch der Perser-
könig ein Volk fürchten könne, dessen Staaten, statt durch Herolde und
Botschafter ihre Streitigkeiten auszugleichen, wie es Sprach genossen
gezieme , in thörichter Uebereilung zu den Waffen griffen und sich
schwer beschädigten **).
Die Staaten selbst waren von zweierlei Art Entweder waren es
kleine Gemeinwesen, bäuerliche Kantone, die still und unbemerkt dahin
lebten, wie die arkadischen Gaugenossenschaften, einem mächtigen
Nachbar folgend , ohne daran zu denken, eigene Politik zu machen;
oder es waren gröfsere, bewegtere, an den Welthändeln theilnehmende
Staaten, welche sich in ihren Machtansprüchen feindlich begegneten.
So lagen sich vor Allem die beiden Hauptstaaten gegenüber.
Sparta behauptete noch immer die erste Stelle. Seine Bürger galten
für die Ersten der Hellenen an Schönheit und Tüchtigkeit, für die ge-
borenen Führer der Anderen, für die Meister der Kriegskunst, die mit
wohlberechtigtem Stolze sich den Griechen ionischen Geblütes über-
legen fühlen könnten. Und wenn auch die unglückliche und unwürdige
Politik, welche Sparta in den letzten zwanzig Jahren befolgt hatte,
wenig geeignet war, Vertrauen und Achtung zu erwecken, so waren die
Zeitumstände doch der Fortdauer seines Ansehens günstig. Denn bei
dem allgemeinen Schrecken, welchen die Ausbreitung der Persermacht
rerursachte, und bei dem steigenden Gefühle allgemeiner Unsicherheit
in der griechischen Welt musste der Peloponnes seiner natürlichen
Festigkeit wegen mehr als je für die Burg von Hellas angesehen werden.
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54
DIE STELLUNG VON Sl'ARTA.
Spartas Verfassung und der peloponnesische Bund halten sich doch als
das Dauerhafteste von Allem, was die Hellenen an Staatseinrichtungen
hervorgebracht hatten« bewährt. Sparta war auch in Kleinasien als ein
mächtiger und wohlgeordneter Staat angesehen , und als nach dem
Falle von Sardes die dortigen Verhältnisse immer unbehaglicher wurden,
waren Viele nach dem Peloponnes ausgewandert, um sich den Folgen
einer gewaltsamen Umwälzung zu entziehen. So war Balhykles aus
Magnesia mit seiner Kunstschule nach Sparta übergesiedelt (I, 579),
und ionische Kaufleute legten damals ihre Gelder in Sparta an , wie
Heiodo t von dem reichen Milesier erzählt, welcher dem Spartaner
Glaukos die Hälfte seines Vermögens anvertraute , in Erwägung , wie
bei ihnen in Ionien Alles so schwankend und unsicher sei, und einzig
der Peloponnes noch als ein sicherer Platz erscheine' *).
Dennoch hatte Sparta weder Mulh noch Kraft, die Verhältnisse zu
benutzen und bei der zunehmenden Bedrängung der griechischen Welt,
als Hauptstadt der Hellenen, ihre gemeinsamen Angelegenheilen zu
vertreten. An ehrgeizigen Gelüsten fehlte es freilich nicht. Ehe die
Persermacht sich befestigt hatte, wollten die Spartauer ja selbst dem
lydischen Könige zu Hülfe kommen; nachher aber hatten sie nicht ein-
mal den Mulh, die eigenen Stammgenossen zu beschützen, und wiesen
zweimal die um Hülfe bittenden lonier zurück (I, 576. 620).
In Griechenland selbst hielten sie mit aller Zähigkeit au ihren
Ansprüchen fest, aber sie zehrten an ihrem Kapitale und ihateu
nichts, um neue Ansprüche zu erwerben. Plataiai in ihre Bundesge-
nossenschaft aufzunehmen, halten sie nicht gewagt, aber das Gesuch
der Platäer, wie jede andere Gelegenheit benutzt, um unter den Staaten
nördlich vom Isthmos Unfrieden zu stiften (l, 383). Was sie also durch
eigene Kraft nicht erreichen konnten, dazu sollte die Schwäche der
Anderen ihnen verhelfen. So wenig hatte Sparta die Fähigkeit und den
Willen , die Kräfte des griechischen Volks zu vereinigen. Wohl war
seine Bürgerschaft ein Kriegsheer ohne Gleicheu, aber der belebende
Geist fehlte und ein auf hohe Ziele gerichteter Sinn; der Staat wusste
seine eigenen Mittel nicht zu gebrauchen; träge und schwerfällig be-
wegte er sich nur in gewohnten Gleisen weiter. In seinen Herakliden
loderte wohl zuweilen uoch etwas von achäischem Heldenfeuer auf; es
offenbarte sich in ihnen noch ein kühner und unternehmender Geist,
aber er lehnte sich dann in wilder Selbstsucht gegen den eigenen Staat
auf, wie das Beispiel des Kleomeues zeigt, oder er artete in ein zweck-
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D\S VERHALTEN VON SPARTA.
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loses Abenteuern aus, wie bei Dorieus, dem jüngeren Bruder des Kleo-
menes, dem die heimathlichen Verhältnisse so unerträglich wurden,
dass er in die weite Welt ging und sich erst in Libyen, dann in Sici-
lien ein neues Reich erkämpfen wollte").
So wurde die Heldenkraft, welche noch vorhanden war, nutzlos
vergeudet, und während die Perser immer näher rückten, dachte Sparta
in engherzigster Weise nur an seine Landesinteressen. Es überzog
Argos mit verheerendem Kriege; es fuhr fort, jede Entzweiung der
anderen Staaten, welche ihm Vortheil versprach, zu begünstigen, und
wenn es sich auch zu einer Waflengenossenschaft mit Athen verpflichtet
halte, so war es doch absichtlich bei Marathon zu spät gekommen ;
denn bei seiner Armuth an eigenen Gedanken und Plänen hatte Sparta
im Grunde kein anderes Augenmerk, als nur das aufstrebende Athen
nicht grofs werden zu lassen. Athen aber war durch seine innere Ent-
wickelung wie durch seine äufseren Verhältnisse schon so gestellt, dass
es seine Bahn nicht verlassen konnte; es war eine Großmacht geworden;
es musslc mit Ehren vorwärts oder mit Schanden rückwärts gehen.
Außerdem bestanden feindliche Spannungen aller Art zwischen den
einzelnen Staaten. AU Kroisos in Sardes belagert wurde (5S, 1; 548),
waren Argos und Sparta in blutiger Fehde um die Gaue der Thyreatis,
welche die Argiver nach Pheidon's Sturz wieder verloren halten. Aigina
und Korinth verfolgten sich mit gegenseitiger Eifersucht, und in einer
und derselben Landschaft haderten die kleineren Städte mit den
grofseren, welche sich als Hauptstädte über die anderen erheben
wollten, wie Theben über Thespiai und Plataiai. Oft hatten die Stadt-
feliden mehr den Charakter eines Wellkampfes und waren gewisser-
maßen nur eine Ausartung des agonislischen Triebes, welcher den
Hellenen von Natur so tief eingepflanzt war. Auserlesene Scbaaren mafsen
sieh mit einander, und die Aufstellung des Siegeszeichens war es,
worauf es besonders ankam. Daher geschah es, dass auch nach dem
blutigsten Handgemenge der Erfolg zweifelhaft bleiben konnte. So be-
haupteten die Lakedämonier in Thyrea die Sieger zusein, weil der
Leute ihrer dreihundert, Othryades, die Nacht auf der Wahlstatt ge-
blieben sei und die Waffen der Feinde zum Siegesmal gesammelt
habe , während die Letzten der Argiver als Sieger in ihre Stadt geeilt
wären.
Daher dachte man auch bei den vielen Stadtfehden beiderseitig
nicht daran, möglichst sichere Stellungen einzunehmen, sondern die
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DER GEGENSATZ DER PARTEIEN.
Bürgerschaften rückten sich wie zu einem Zweikampfe auf ofTenem Felde
entgegen, um ihre Tapferkeit an einander zu erproben. Indessen trat
diese harmlosere Kampfweise immer mehr zurück, je mehr die poli-
tischen Leidenschaften aufgeregt wurden und heftige Parteigegensätze
hervorriefen17).
Es ging aber durch ganz Griechenland ein schroffer Gegensalz;
denn noch gab es in allen Stödten ritterliche Geschlechter von altem
Ruhme und Reichthum, welche den angestammten Beruf zu haben
glaubten, des Volks Vorstände zu sein und die Bürgerschaften zu leiten.
Ueberall, wo diese Geschlechter noch am Ruder waren , hasste man
Athen als den Herd der Demokratie, welche wie ein böses Gift die Ge-
sundheit des hellenischen Lebens in immer weiteren Kreisen zerstöre;
man konnte es den Athenern nicht vergeben, dass sie sich mit den
Ioniem eingelassen und dadurch alles Unheil angestiftet hätten.
Aber auch im Schofse jeder gröfseren Stadtgemeinde standen sich
die Parteien gegenüber, deren Gegensatz um so schroffer hervortrat, je
lebendiger die Bewegung war, welche die Zeit durchdrang. Die Einen
folgten der Bewegung mit Begeisterung; die Anderen traten ihr mit
Misstrauen oder offenem Widerspruche entgegen. Deshalb musste der
glänzende Aufschwung, den das junge Athen genommen halte, nicht etwa
blols den Spartanern und Thebanern einAergerniss sein, sondern auch
allen denen , welche das Heil der Staaten in der besonnenen Leitung
durch die Mitglieder alter Familien sahen, denen nichts verhasster war
als ein Umschwung der Verhältnisse, durch welchen der grofse Haufe
zur Herrschaft gelange, um in tobenden Marktversammlungen über das
Schicksal der Staaten zu entscheiden. In der jungen Welt, welche mit
unglaublicher Rührigkeit ihre Kräfte entfaltete, wollte man nichts mehr
von bevorrechteten Ständen wissen; da sollte Alles Allen erreichbar
sein. Bei diesem freien Wetteifer der Kräfte fühlten die städtischen
Geschlechter ihr ganzes Ansehen bedroht, und ihr Sturz wurde von
den Anhängern der alten Zeit als der Verfall hellenischer Staatenord-
nung und edler Gesittung betrachtet. Der augenblickliche Aufschwung
erschien ihnen nur wie ein kurzer Rausch.
Nun drohten die Perserkriege. Sollten diese glücklich bestanden
werden, so konnte es nur durch die Betätigung einer allgemeinen Be-
geisterung d. h. durch eine grofse Volkserhebung gelingen. Das konnte
Niemand verkennen. Also jeder glückliche Erfolg musste auch ein Sieg
der Volkspartei, ein Fortschritt der Demokratie sein, und das war der
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DIE PARTEISTA.NDPC.NKTE
57
Grund, weshalb die alten Familien und ihre Anhänger keine Sympathie
för die Freiheitskämpfe hatten. Ihnen war schon die Bürgerherrschart
in den ionischen Städten ein Gräuel gewesen, und wie sie es gewiss
im Herzen den Persern dankten, dass sie dem Unwesen daselbst ein
Ende gemacht hatten, so wollten sie auch im eigenen Lande lieber die
Perser siegreich sehen, als die Demokraten.
Deshalb waren in ganz Griechenland die Aristokraten medisch ge-
sinnt und leiteten entweder in diesem Sinne den ganzen Staat, wie in
Thessalien und Theben, oder machten, wo sie dies nicht ver-
mochten, in heimlichen Umtrieben ihre Richtung geltend, wie in
Eretria und Athen. Man suchte sogar zwischen Persern und Griechen
allerlei verwandtschaftliche Beziehungen nachzuweisen, um die Ilin-
neigting zu der Sache des Nalionalfeindes zu beschönigen. In Argos
tiefe man es sich gefallen, dass Perseus als der gemeinsame Stamm-
vater der Achämeniden und Argiver gellend gemacht wurde. Griechi-
sche Sagengelehrsamkeit war geschäftig, den Phryger Pelops zu be-
nutzen, um ein Herrschaftsrecht der Achämeniden auf das Erblheil der
Pelopiden zu beweisen, und ebenso erzählte man dem Datis, dass er
als Nachkomme des Medos, des Sohnes der Metlea und des Aigetis, An-
brüche auf Attika habe").
Aus den angegebenen Gesichtspunkten war auch das delphische
Orakel weit entfernt, die Nationalsache gegen die Perser zu vertreten.
Wo sich in der Nähe oder Ferne hellenischer Patriotismus regte, wurde
er von Delphi aus gedämpft. Die Knidier, welche zu der Amphiktyonie
gehörten, die in dem Heiliglhum des Apollo auf dem Vorgebirge Trio-
pion ihren Mittelpunkt hatte , wollten ihre Landenge gegen die Perser
abmauern oder abgraben (I, 582); das Orakel wehrte ihnen, indem es
geltend machte, dass es den Menschen nicht gezieme, die von der Na-
tur geordneten Bodenverhältnisse eigenmächtig umzustellen. 'Zeus
würde selbst das Land zur Insel gemacht haben, wenn es sein Wille ge-
wesen wäre.' Als die Städte Kreta's schwankten, wurden sie von Del-
phi aufgefordert, sich im Völkerkampfe neutral zu halten. Eben so er-
hielt Argos die Weisung, nur an sich selbst zu denken und in stiller
Zurück gezogenheit seine gebrochenen Kräfte zu sammeln.
Die angesehenen Heiiiglhümer der hellenischen Welt hatten eine
internationale Stellung. Sie hatten den gröfsten Vortheil davon, dass
üe nicht nur von den Hellenen, sondern auch von den reichen Königen
des Auslandes geehrt und beschenkt wurden. Sie mussten also wun-
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A >TI N A T 1 0 N A L E STIMMUNGEN.
sehen, dass die beiden Seilen des ägäischen Meeres friedlich verbunden
blieben, und nichts war ihren Interessen mehr entgegen, als der sich
verschärfende Gegensalz zwischen Hellenen und Barbaren. Darum
hallen sie keine Sympathie für die nationale Bewegung. Die reichen
und mächtigen Priesterschafien von Milet und Ephesos waren ent-
schieden antinalional, und für die delphische Priesterschaft fiel noch
der Umstand in's Gewicht, dass sie den letzten Rest ihres Einflusses
zu Grunde gehen sah, je mehr die Demokratie in den Städten zur
Herrschaft kommen würde. Sie war ja das Gegentheil von dem, was
in Delphi von jeher als heilsamer Rechtszustand aufgestellt worden war
(I, 545 f.).
Darnach bestimmte sich auch der Standpunkt derjenigen Hellenen,
welche mit Delphi nahe verbunden waren und die delphischen Grund-
sätze vor dem Volke verlraten. Ein Mann wie Pindar, der, selbst ein
Alladliger, ganz dafür lebte, den Ruhm der alten Geschlechter durch
seine Lieder aufzufrischen, 'wie der Tbau die Pflanzen stärkt und ver-
schönt1, welcher in den von Vater auf Sohn forterbenden Tugenden
die Bürgschaft für die Erhaltung des Edlen und Schönen sah und der
Volksherrschaft ebenso abgeneigt war, wie tyrannischer Gewaltherr-
schaft, Pindar konnte an der Begeisterung der Freiheitskämpfe keinen
Anlheil nehmen; er konnte kurz nach der Schlacht von Maralbon
einen Athener feiern, ohne des grofsen Tages mit einem Worte zu ge-
denken.
Aber nicht blofs die Aristokraten waren gegen den Krieg ge-
stimmt. Es gab auch sonst Leute genug in Griechenland, welche zur
Unterwerfung riethen und medisch gesinnt waren, Einheimische wie
Fremde, namentlich Solche, deren Interesse es war, dass ein behag-
licher Lebensgenuss und der freie Verkehr zwischen den beiden See-
gestaden nicht gestört werde. Darum waren unter den Fremden von
besonderem Einflüsse die Buhlerinnen, welche aus den ionischen
Städten herüberkamen, die durch ihre geselligen Künste und ihre Ver-
bindungen mit angesehenen Männern Einfluss gewannen und dadurch
nicht selten Gelegenheit hatten, eine den Persern günstige Friedens-
stimmung zu verbreiten. Zu ihnen gehört die schöne Thargelia aus
Milet, welche nach einander in vierzehn Verbindungen gelebt und einen
sehr bedeutenden Einfluss auf die politischen Verhältnisse geübt hat.
So hatte sie in Thessalien einen der mächtigsten Landesfürsten,
Antiochos, einen Verwandten der Aleuaden, zu gewinnen gewusst und
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Iii LDL' >G EIN EH NATIONALPAItTKl
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behauptete sogar nach dessen Tode eine fürstliche Macht. Sie war die
bekannteste Persönlichkeit unter den Frauen, welche im med i sehen
Sinne wirkten*9).
So waren im Allgemeinen die Stimmungen und Zustände in Hellas.
Erwägt man zu dem Allen noch die Macht des Geldes, die den Persern
zu Gehole stand, bedenkt man, wie selten hei den Griechen die Tugend
unbestechlicher Gesinuung war, und wie vielfach, offen und heimlich,
durch freiwilligen Anschluss, durch Ueherläufer und Verräther, die
Perer von den Griecheu seihst unterstützt wurden, so hegreift man,
«ieXerxes seinen Gastfreund Demaralos für wahnsinnig halten konnte,
wenn dieser den Persern einen ernsthaften Krieg in Aussicht stellte.
Es kam zunächst Alles auf Sparta und Athen an. Hierher hatte
Xenes keine Gesandle geschickt; sie wurden nach dem, was vorgefallen,
als feindliche Städte hehandelt, die gezüchtigt werden sollten. Sie
waren heide in gleicher Lage, also auf einander angewiesen. Die nähere
Verbindung aber, welche vor zehn Jahren zwischen ihnen eingegangen
war. halle sich wieder gelockert. Athen halte sich, nachdem es allein
gestritten und gesiegt hatte, auf sich zurückgezogen und ohne weitere
Verständigung mit Sparta die eigenen Hülfsmitlel zu entwickeln gesucht.
Die veränderten kriegspläne der Perser, dann die folgenden Ereignisse,
der ägyptische Aufsland, der Thronstreit in Susa, der Tod des Dareios,
die Schwankungen seines Nachfolgers und endlich die zeitraubenden,
neuen Rüstungen desselben — dies Alles war der Ausführung der
themislokleischen Pläne (S. 31 f. 36) zu Gute gekommen. Von Niemand
beunruhigt und gestört, war Alhen zu einer Seemacht ersten Banges
geworden: im Besitze seiner 200 wohlgerüsteten Trieren und seines
festen Kriegsbafeiis fühlte es sich berufen, eine kräftige und unabhängige
Politik zu verfolgen.
Aber auch so konnte und durfte Alhen nicht allein stehen bleiben.
Nachdem Themistokles also Jahre lang nur für Athen Ihälig gewesen
war, nahm er nun das schwierigere Werk in Angriff, die aufserhalb
Athens vorhandenen Kräfte des Widerstands zu sammeln und die zur
Abwehr entschlossenen Staaten zu gemeinsamen Mafsregeln zu ver-
einigen. Damit konnte er aber nicht eher beginnen, als bis die Gefahr
tonahe war, dass auch die blödesten Augen ihrer gewahr wurden und die
gwneinsajne Furcht alle anderen Gefühle überwog. Der natürliche
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THEMISTOKLES UND CHEILEOS.
Mittelpunkt der nationalen Partei war Sparta, der Vorort der Halbinsel,
die Burg von Hellas. Aber die Stadt im abgelegenen Eurotasthaie war
unter den gegenwärtigen Umständen kein geeigneter Platz für einen
Bundesrath, der, wenn er mit seinen Beschlüssen nicht immer hinter
den Ereignissen zurückbleiben wollte, in der Mitte von Hellas und an
der Käste seinen Sitz haben musste. Dazu konnte kein geeigneterer
Platz gefunden werden als der Isthmos von Korinlh, ein Kreuzpunkt
aller Land- und Seestrafsen, ein Sammelplatz der Hellenen von uralter
Bedeutung, geweiht durch die Heroengräber des Sisyphos und Neleus,
sowie durch das Heiligthum des Poseidon und das Adyton des Palaimon,
an dem die feierlichsten Eide geschworen wurden. Mit der Verlegung
nach dem Isthmos wurde dem Rattie der Hellenen eine freiere Stellung
gegeben und ein weiterer Blick geöffnet.
Es war ein wichtiger Tag für Griechenland , als im Herbste von
Ol. 74, 4 (4SI) die Abgeordneten auf dem Isthmos zusammentraten;
es war der Anfang eines neuen Staatenvereins unter dem Vorsitze von
Sparta. Aber Sparta zeigte sich nach wie vor arm an Rath. Es wurde
vorgeschoben statt vorzugehen. Die eigentlich schöpferischen und trei-
benden Gedanken gingen von Athen aus; unter den Peloponnesiern
aber war es ein arkadischer Mann, Cheileos aus Tegea, welcher die
Zeit verstand und sich durch seine Persönlichkeit auch in Sparta einen
bedeutenden Einfluss zu verschaffen wussle. Themistokles und Cheileos
waren vorzugsweise die Gründer des neuen Bundes, in welchem die
Ideen der alten Amphiktyonieen wieder auflebten. Aber dieser neue
Hellenenbund war unabhängig von allen priesterlichen Einflüssen, eine
freie Vereinigung aller Staaten , welche entschlossen waren , die Unab-
hängigkeit des Vaterlandes mit Gut und Blut zu vertheidigen.
Themistokles bewährte sich auch hier als einen Staatsmann, welcher
durchgreifende Thatkraft und kluge Nachgiebigkeit zur rechten Zeit zu
verbinden weifs. Denn als es sich um die Leitung des Bundes handelte,
veranlasste Themistokles seine Mitbürger, ihre noch so begründeten
Ansprüche einstweilen nicht geltend zu machen. Um Formen sollte in
dieser Zeit nicht gehadert werden. Sparta behielt die ungetheilte
Hegemonie; in der Thal stand aber Athen neben Sparta, und die vom
Isthmos ausgehenden Gesandtschaften wurden deshalb aus Mitgliedern
beider Staaten gebildet.
Das Erste, was auf dem Isthmos beschlossen wurde, war, dass die
Abgeordneten sämtlich im Namen ihrer Staaten Beilegung aller inneren
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DIE 1STIIMISCUE EIDGENOSSENSCHAFT (7<, 4 ; 481).
Gl
Fehden gelobten, um in voller Eintracht den Feinden gegenüber zu
stehen. Die wichtigste Folge dieser Bestimmung war die Aussöhnung
wischen Athen und Aigina. Das Zweite war die Abordnung von
Gesandten, welche beauftragt wurden, die noch zweideutigen Staaten
und die ferner wohnenden Stammgenossen zur Theilnahme einzuladen;
dadurch wollte man Argos den Anschluss erleichtern und die Hülfs-
kraue der kretischen und sicilischen Städte heranziehen. Das Dritte
endlich war die Verständigung über den Kriegsplan. Während die
Beschlüsse des Bundesraths ausgeführt wurden, blieben die Abgeordneten
als ständiger Kriegsrath auf dem Isthmos zusammen. Hier war das
Hauptquartier der zur Landesverteidigung entschlossenen Hellenen;
hier stärkte und hob sich in anfeuernder Gemeinschaft das National-
gefühl, und in der drohenden Gefahr wuchs die Liebe zur Freiheit wie
der Muth zum Kampfe.
Man lief» sich also nicht von den heimkehrenden Kundschaftern
einschüchtern, welche Xerxes im Lager von Sardes hatte um herführen
lassen, nicht von der jammernden Pythia, welche statt anzufeuern nur
entmuthigte; auch nicht durch die ablehnende Antwort der Argiver,
welche mit einem Spruche der Pythia ihre feige Neutralität recht-
fertigten, noch auch durch die Gesandtschaften, welche un verrichteter
Sache aus Kreta und Sicilien heimkehrten. Man zählte nicht, weder
die Feinde noch die Freunde; man stand zusammen in dem Gefühle,
dass man nicht anders könne. Man hatte gutes Recht, sich als den
Kern der mutterländischen Hellenen anzusehen und sich als die
Patriotenpartei, als die 'Wohlgesinnten' zu bezeichnen30).
Wenn aber die Verbündeten nichts thaten, als ihre Pflicht, so traf
die Anderen der Vorwurf, ihre Pflicht zu versäumen. Dies musste
klar ausgesprochen werden. Freiwilliger Anschluss an die Perser
sowohl wie jeder Dienst, welchen ein Hellene durch Wort oder That
den Persern erwies, war Hochverrath; der isthmische Bundesralh war
das Gericht, welches über Männer, wie Arthmios von Zeleia, einen
Gastfreund der Athener, der persisches Geld nach Griechenland gebracht
hatte, die Acht aussprach. Alle unfrei Gesinnten wurden von den ge-
meinsamen Festspielen ausgeschlossen; nur durch aufopfernden Pa-
triotismus sollte man die Ehre verdienen, ein voller Hellene zu sein.
h es wurde unter die Verpflichtungen der Eidgenossen ausdrücklich
auch die aufgenommen, die nationalen Götter an ihren Feinden und
Verrathern zu rächen, nach glücklicher Abwehr die persisch Gesinnten
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NATIONALE ERHEBUNG.
gemeinschaftlich zu bekriegen und aus der gewonnenen Beute nach
altem Volksbrauche dem delphischen Gotte den Zehnten zu weihen.
Dieser Ausdruck einer entschlossenen und kühnen Politik war wichtig,
weil er die Eidgenossen ermulhigte und ihre Blicke über die Noth der
Gegenwart hinausführte, weil er die schwankenden Städte einschüchterte
und schon jetzt den fruchtbaren Gedanken anregle, dass wie die frei-
willig ausbleibenden gezüchtigt, so die mit Gewalt von den Persern
geknechteten Städte befreit werden sollten.
So erwuchs in der Zeit der schwersten Bedrängniss, wo man nicht
wusste, wie man die nächsten Gränzen decken sollte, die Idee eines
grofsen, erweiterten Vaterlandes, das in neuer Herrlichkeit den Barbaren
gegenüber treten sollte. Die griechische Muse fehlte nicht, um ihrer-
seits die Begeisterung des Volks zu nähren. Namentlich war es Simo-
nides aus Keos, des Themistokles einflussreicher Freund, welcher, ob-
wohl schon ein Siebziger, dennoch mit jugendlicher Wärme die grofse
Zeit auflasste und , nachdem er einst bei Hipparchos und dann bei den
Skopaden in Thessalien eine höfische Dichtkunst geübt hatte, nun ein
Sänger der Freiheitskriege wurde und das Volk zum Kampfe gegen die
Feinde des Vaterlandes begeisterte. Man fühlte, was auf dem Spiele
stand und empfand nun den Werth der Güter, deren man sich in Hellas
erfreute, um so wärmer. Der alte Gegensatz zwischen Hellenen und
Barbaren kam den Griechen in voller Stärke zum Bewusstsein ; denn
verschiedenartigere Streitkräfte, als die, welche sich jetzt zum Kampfe
gegen einander rüsteten, können nicht gedacht werden. Auf der
einen Seite ein König von unbeschränktem Eigenwillen, der mit
den Prinzen seines Hauses an der Spitze der Völkermassen Asiens
steht, welche blindlings seinem Befehle folgen und wie Heerden unter
Geifselhieben über den Hellespont getrieben werden; auf der anderen
Seile eine kleine Gruppe freier Bürgergeineinden, welche erst im letz-
ten Augenblicke zu gemeinsamer Abwehr sich vereinigt hatten; was sie
aber vereinigte, war das Gefühl einer sittlichen Verpflichtung, für das
Vaterland und seine Götter ihr Leben einzusetzen, und zugleich das
Gefühl eines nationalen Stolzes; denn der Gedanke war ihnen uner-
träglich, sich von Völkern unterjochen zu lassen, die sie als Sklaven-
völker verachteten.
Nun kam es vor Allem darauf an , dass die verbündeten Hellenen
ihre Streitkräfte ordneten und über die Verlheidigung des Landes
einen Beschluss fassten. Die auf dem Isthmos durch ihre Abgeordne-
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AUSZl'G >ACH TEMPF..
63
(es vertretenen Staaten waren aufser Sparta, Arkadien, Elis, Korintli,
Sikron, Epidauros, Phlius, Troizen, Mykenai, Tiryns und Hermione;
dann Athen, vielleicht auch Megara, Plataiai und Thespiai. Auch Aigina
betheiligte sich jetzt an der gemeinsamen Sache. Alle Versuche fernere
Theilnehmer heranzuziehen, waren missglückt. Die sechzig Trieren der
ferkyräer, deren Zuzug verheißen war, hlieben unter nichtigen Vor-
»ioden im westlichen Meere zurück, und die Tyrannen von Syrakus,
welche den Eidgenossen die ansehnlichste Verstärkung hätten zuführen
können, waren zu stolz, um sich an einem Kriege zu hetheiligen, dessen
Oberleitung Sparta führte; auch muteten sie Karthago gegenüber ihre
Streitkräfte zusammen halten. Im Mutterlande selbst hatten Argos und
Theben sich vom Bunde ausgeschlossen, Argos mit heimlicher Schaden-
freude auf die Demülhigung Spartas, Theben auf den Fall Athens
lauernd; an beiden Orten waren die der Nationalsache feindlichen Re-
gierungen beflissen, alle entgegengesetzten, nationalen Richtungen
niederzuhalten81).
Nirgends aber waren die Stimmungen getheilter und die Ver-
hallnisse gespannter, als in Thessalien. Die Aleuaden handelten hier
wie im Namen der ganzen Landschaft, aber sie waren nichts weniger
als Organe des Volks; ihre Absiebt war vielmehr, mit Hülfe der Perser
die volkstümliche Bewegung niederzuhalten , deren sie allein nicht
Meister werden konnten. Die freigesinnten Thessalier hatten also das
gröfste und nächste Interesse am Kampfe; sie beschickten den isthmi-
schen Bundesrat!!, erklärten ihren Beitritt und verlangten Unter-
stützung zur Vertheidigung ihrer Landesgränzen.
Unmöglich konnte man diese Männer abweisen ; es erschien wie
eine heilige und amphiktyonische Pflicht, das Thor von Hellas zu ver-
teidigen; auch schien kein Ort geeigneter zu sein, um einer feind-
lichen Ue hermacht mit Erfolg entgegentreten zu können , als der Pass
von Tempe. Aber der Durchmarsch durch Böotien war bedenklich.
Deshalb wurde nun zum ersten Male von der altischen Flotte Gebrauch
gemacht. Zehntausend Krieger, die am Isthmos beisammen waren,
wurden unter dem Befehle des spartanischen Kriegsobersten Euainelos
und des Themistokles eingeschifft, durch denEuripos nach Südlhessa-
ßen gebracht und rückten dann, mit den thessalischen Hülfsvölkern
verbunden, an ihren Standort im Tempethal.
Allein der freudige Muth, mit welchem das tapfere Heer das Thal
faetzle, und die Hoffnung, das einige und freie Hellas wieder bis an
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6-1
ABZUG VO.N TEMPE. DELPHISCHE SPRÜCHE
das Haupt des Olympos ausdehnen zu können, erhielt sich nicht lange.
Man erfuhr, dass im Sommer ein uberer Gebirgspass gangbar sei, und
eine heimliche Botschaft Alexanders von Makedonien (1, 610) benach-
richtigte die Feldherren, dass in diesem Passe schon für den Durchzug
der Perser die Vorbereitungen getroffen würden. Die Besetzung von
Tempe war also unnütz. Man überzeugte sich auch, dass es den Per-
sern ein Leichtes sein würde, südlicli von Tempe Truppen auszuschiffen,
welche den Griechen im Rücken stehen würden. Endlich war das
ganze Hinterland sehr unsicher. Schon knüpften die mittelgriechischen
Staaten Unterhandlungen mit den Persern an, und in Thessalien erhob
sich die dynastische Partei immer kecker, je naher die Perser kamen.
Unter diesen Umständen wäre es Thorheit gewesen, an der fernen
Gränze für unzuverlässige Bundesgenossen die hellenischen Kern-
truppen nutzlos aufzuopfern. Die Griechen zogen also auf dem Wege,
den sie gekommen waren, nach dem Isthmos zurück, und nun erfolgte
unverzüglich der offene Abfall von ganz Thessalien. Dann schickten
auch die Gebirgsbewohner, die Perrhäber, die Doloper, Aenianen und
Magneten, sowie die Malier und phthiotischen Achäer, selbst die zu-
nächst wohnenden Lokrer, Erde und Wasser an den Grolskönig,
welcher damals noch im südlichen Makedonien lagerte.
So schwand die Griechenmacht zusammen. Dem ersten Auszuge
war ein schneller Rückzug gefolgt; auch den treu Gebliebenen sank
der Muth. Um so rastloser wirkte Themistokles, in Athen wie auf dem
Isthmos, persönlich wie durch seine Parteigenossen. Zu diesen ge-
hörte Timon in Delphi. Als die Unglücksweissagungen der Pythia die
allgemeine Niedergeschlagenheit vermehrten, hielt Timon die Send-
boten, welche verzweifelnd nach Athen heimkehren wollten, zu-
rück und wusste ihnen einen neuen Spruch zu verschaffen, in
welchem doch ein Schimmer von Hoffnung sich zeigte. 'Wenn Alles
fallt, so sprach zuletzt die Pythia, so sollen doch die hölzernen Mauern
der Kekropiden nicht fallen.' Als nun die Gesandten der Athener
diesen Spruch heimbrachten, benutzte Themistokles ihn, um seinen
Mitbürgern zu zeigen, dass ja auch die Götter offenbar seine Pläne
genehmigten, denn die uneinnehmbare Holzburg bedeute nichts An-
deres als ihre Flotte. Wie er aber auch in der eigenen Vaterstadt fort-
während mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, beweist der Umstand,
dass bei der Feldherrnwahl in dem entscheidenden Kriegsjahre Epi-
kydes, ein Volksredner von feiger Gesinnung, neben Themistokles als
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ZWEITER AUSZIT..
65
Bewerber auftreten konnte, indem er sich ohne Zweifel auf die Partei
derer stützte, welche es auch jetzt noch nicht zum Aeufsersten kommen
fassen wollten. Hier würde ein Mann, wie Aristeides, im Bewusstsein
seine Pflicht gelhan zu nahen, den Ausgang ruhig abgewartet haben;
Themistokles, welcher Alles auf dem Spiele stehen sah, machte sich
kein Gewissen daraus, durch Geld zu bewirken, dass sein Nebenbuhler
freiwillig von der Bewerbung zurücktrat").
Im Bundes raihe drang nun Themistokles darauf, dass man zum
roiten Male den Feinden entgegenrücke, um ihnen den Eingang in
4as innere Land zu sperren. Die Wahl des Standorts konnte nicht
zweifelhaft sein . denn von Thessalien her führte nur eine Strafse am
malischen Meerbusen entlang. Die Küste desselben wird aber süd-
lich Tom Spercheios durch die Ausläufer des Oitagebirges, namentlich
durch die trachinischen Berge und dann durch den Kallidromos, mehr
uodroehr eingeengt, so dass zuletzt zwischen Berg und Meer nur ein
schmaler Fahrweg übrig bleibt. Aus dem Fufse des Kallidromos sprudeln
beifee Quellen in grofser Fülle hervor, welche mit schweflichter Kruste
den Felsboden überzogen haben. Dies ist das sogenannte 'Warmthor1
Griechenlands oder Thermopylai; denn wie ein enges Thor führt es
aus dem Gebiet der Malier in das der Lokrer und weiter nach Mittel-
griecbenland hinein.
Diesen Pass konnten die Feinde nicht umgehen, wenn das Land-
beer in der ftäbe der Flotte bleiben wollte. Hart am Passe lag das
alte Bundesheiligthum der Demeter, wo die Abgeordneten der Amphi-
ktvonen zweimal des Jahrs feierliche Opfer im Namen des ganzen Volks
darbrachten (I. 104); man hatte also auch eine religiöse Verpflichtung,
diese heilige Opferstälte zu vertheidigen. Aufserdem konnte kein
günstigerer Ort zur Verteidigung gefunden werden ; denn links hatte
man zur Anlehnung die unwegsamen Abhänge, welche mit Eichen und
Tannen dicht verwachsen waren, rechts die Seeküsle. Aber auch hier
ist kein offenes Meer, sondern eine enge Meerstrafse zwischen dem
Festlande und Euboia, derSeepass, welcher zu den südlichen Gewässern
führte. Hier also konnte die griechische Flotte, während sie der per-
sischen den Eingang wehrte, zugleich die Flanke des Landheers decken
und eine Landung der Feinde verhindern. Endlich war Thcrmopylai
auch noch durch Mauern befestigt, welche die Phokeer durch die
Kfotenebene gezogen hatten. Die Phokeer waren nämlich im Kalli-
dromos zu Hause; sie waren gewohnt, diese Pässe gegen ihre Erbfeinde,
Cornns, Gr. Ge*cb. II. «. Aufl. 5
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66
LF.OMDAS IN TBERMOPYLAl.
die Thessalier, zu wahren, und seit dem offenen Abfalle derselben
wurden sie um so eifriger für die nationale Sache. Man durfte diesen
Eifer nicht unbenutzt lassen; liefs man Thermopylai offen, so war alles
Land nördlich vom Isthmos den Feinden preisgegeben.
Wenn jemals, so war jetzt der Augenblick gekommen, dass die
Spartaner sich mit voller ThatkraPt an die Spilze von Hellas stellten.
Aber sie waren auch jetzt lahm und lässig. Man schickte wohl den
Leonidas, welcher nach dem Tode des Dorieus dem Kleomenes gefolgt
war, nach Thermopylai, aber nur mit 300 Spartiaten. Das Kriegs-
heer blieb zu Hause, und während die väterliche Religion keine höhere
Pflicht kannte, als die Heimalh und ihre Heiligthfimer gegen den
Landesfeind zu vertheidigen, zogen sie sich wieder hinter religiöse Be-
denklichkeiten zurück und erklärten , sie durften während der Feier
der Kameen ihre Mannschaft nicht wohl aufser Landes schicken. Die
Peloponnesier waren mit dem Aufschübe einverstanden, weil mit dem
nächsten Vollmonde die Feier der Olympien eintrat. So stiefsen zu
den Spartanern nur tausend Schwerbewaffnete ausTegea und Mantineia;
eben so viele kamen aus dem übrigen Arkadien mit Ausnahme von
Orchomenos, das ein besonderes Conlingent von 120 stellte; 400 aus
Korintb, 200 aus Phlius, 80 aus Mykenai. Zu ihnen kamen 700 Hop-
liten aus Thespiai und 400 Thebaner. Die letzteren folgten als Geiseln,
welche man sich von Theben hatte stellen lassen, um von Seiten dieser
Stadt, deren Neigung zum Abfall kein Geheimniss war, sicher zu sein,
dass sie im Rücken des Heers nichts Feindliches beginne.
Der Marsch des Leonidas, seine Person, sein kräftiges Auftreten
machte den besten Eindruck: die Lokrer fassten wieder Vertrauen, die
Phokeer leisteten Zuzug; man liefs verkünden, dies sei nur der Vor-
trab des peloponnesischen Heeres. So trat denn wirklich einmal ein
lakedämonischer König als Vorkämpfer von Hellas auf, um die heilige
Schwelle des Vaterlandes zu vertheidigen, von den besten Männern
des Volks umgeben. Er traf umsichtig seine Anordnungen; unten
wurde die Vermauerung erneuert; den oberen Gebirgspfad, der durch
die sogenannte Anopaia führte, liefs er durch die Phokeer besetzen.
So glaubte er, den Pass sperren zu können und erwartete seiner hohen
Verantwortlichkeit wohl bewusst, in voller Ruhe die Ankunft der Per-
ser, welche ohne Unfall das reiche Peneiosthal durchmessen hatten und
nun von Pagasai aus, an der Küste entlang heranzogen").
Xerxes rückte über den Spercheios gegen den Pass vor und
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DER KAMPF BEI THERMOPYLAI (Jl'Ll 490).
67
lagerte sich beim allen Trachis, wo der Asopos aus den trachinischen
Felsen hervorbricht, die in stattlichem Halbkreise den Südrand des
Meerbusens einschliefsen. Die beiden Lagerplätze waren nur eine
Stunde von einander; zwischen ihnen flössen die Warmquellen. Xerxes
wollte kein unnützes Blutvergießen und wartete darauf, dass die Grie-
chen hier, wie in Tempe, abziehen würden. Aber sie blieben und
zeigten sich vor ihren Schanzen, indem sie ihre Glieder in gymnasti-
schen Uebungen stärkten und ihr langes Haar wie zum Feste schmück-
ten. Am fünften Tage endlich liefs er Truppen vorgehen, um die Männer
für ihren Trotz büfsen zu lassen. Zwei Tage lang wurde in der kleinen
Käslenebene gekämpft von Morgen bis Abend. Wie gegen ein Festungs-
thor wurden immer von Neuem die Meder in den Kampf geschickt, die
ersten Glieder von dem nachdrängenden Haufen vorwärts geschoben,
einem gewissen Tode entgegen; denn sie hatten keinen Schutz gegen
die griechischen Lanzen, von denen kein Stöfs fehl ging, während die
Geschosse von den ehernen Rüstungen abprallten. Die Truppen wurden
wiederholt zurückgedrängt, und Xerxes, der von der Höhe zuschaute,
sah das Blut seiner besten Männer in Strömen über den Weg fliefsen.
Hier war mit neuen Massen nichts zu erreichen. Man musste darauf
denken, den Pass zu umgehen, und zu diesem Zwecke kam es darauf
an, einen ortskundigen Führer zu finden.
Ephialtes. ein Malier, erbot sich zum Führer durch das Hochland,
welches oberhalb des Passes sich hinzieht. Von der Asoposschlucht
stieg man am Abend durch die Eichenwälder hinan; als es tagte, war
man auf der Höhe. Die Stille der Morgenluft begünstigte den Marsch.
Die Phokeer schliefen. Erst die Tritte der Feinde schreckten sie auf.
Aofeer Stande, sich auf der Stelle zum Widerstande zu ermannen,
räumten sie den Weg und zogen sich auf den Gipfel des Kallidromos
zurück, indem sie glaubten, dass es auf sie abgesehen sei. Die Perser
aber dachten nicht daran, sich mit ihnen aufzuhalten und eilten abwärts,
om den Spartanern in den Rücken zu fallen.
Diese erfuhren bald, wie es stand. Der Posten war verloren und
zwar durch die Schuld der Phokeer, die den Wachdienst vernachlässigt
hatten. Noch war Hydarnes oben im Gebirge und der Rücken frei.
Aber Leonidas konnte nicht zweifelhaft sein, was er zu thun habe,
denn er war ja nicht als Feldherr hergeschickt, um nach eigenem Er-
messen den Umständen gemäfs Krieg zu führen, sondern einfach um
den Pass zu hüten. So gerechten Grund er also auch hatte, den
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KAMPF BEI THEKMOPYLAI (JULI 480).
Spartanern, die ihn im Stiche gelassen, zu zürnen, so war doch für
ihn das Bleiben nur die Erfüllung einer Bürgerpflicht, wie sie dem
echten Spartaner zur anderen Natur geworden war.
Um unnützes Blutvergießen zu vermeiden, entliefs er die anderen
Contingente. Die Thespier und Thebaner blieben; die Ersten aus
einer einstimmig anerkannten Heldengesinnung, welche ihnen um so
höher anzurechnen ist, weil kein äußerliches Pflichtgebot sie an den
Ort fesselte, die Anderen, wie Herodol bezeugt, von Leonidas zurück-
gehalten. Er wusste, dass sie, wenn sie diesen Tag überlebteu, nur
dazu dienen würden, die Reihen der Perser zu verstärken.
Gleich nach dem Abzüge der Geuossen war der Rückweg abge-
schnitten, und von beiden Seiten drängle die zahllose liebe rm acht
heran.
Um zehn Uhr Vormittags ordnete sich die kleine Schaar zum
letzten Kampfe. Erst führte sie Leonidas mitten in die Feinde, damit
sie ihr Leben so theuer wie möglich verkauften, dann aber, als sie vou
dem Gefechte matt wurden und ihre Lanzen nach und nach zersplit-
terten, zogen sie sich auf einen kleinen Hügel zurück, welcher gleich
südlich von den Quellen sich einige dreißig Fufs erhebt. Hier sanken
sie, Einer nach dem Andern, in brüderlicher Geraeinschaft unter den
Pfeilen der Meder. Ihre Aufopferung war keine vergebliche ; sie war
den Hellenen ein Vorbild, den Spartanern ein Antrieb zur Rache, den
Persern eine Probe hellenischer Tapferkeit, deren Eindruck sich nicht
vergessen ließ. Ihr Grab wurde ein unvergängliches Denkmal helden-
mütiger Bürgertugend, welche den sicheren Tod wählt, um Eid und
Pflicht nicht zu verletzen; eine Stätte des Ruhms für Sparta, aber zu-
gleich ein brennender Vorwurf für die Behörden des Staats, welche
zwar Bürger zu erziehen, aber die Kraft derselben nicht zum Siege zu
verwenden wussten34).
Inzwischen hatten auch auf dem Meere die ersten Begegnungen
der Perser und Griechen stattgefunden. Die Perserflotte war nämlich
elf Tage nach dem Aufbruch des Xerxes aus dem thermäischen Golfe
ausgelaufen , um die Unternehmungen des Landheers zu unterstützen.
Ihr Weg war aber nicht so gefahrlos, wie der Marsch der Truppen
durch die schönen Gefilde Thessaliens. Sie musste an der Klippen-
küste des Peliongebirges entlang fahren , die dem Nordost offen liegt,
und ehe sie in das geschütztere Fahrwasser von Euboia einbiegen
konnte, wurde ihr von den hellesponlischen Stürmen hart zugesetzt.
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DIE FLOTTE BEI ARTEMISION.
69
Die kleinen Felsbucliten an der Halbinsel Magnesia konnten einer
solchen Masse von Schiffen keinen Schutz gewähren. Nach grofsem
Verluste an Fahrzeugen und Nannschaft kam man endlich um die Süd-
spitte der Halbinsel herum und erreichte am Werten Tage den Eingang
des pagasaischen Meerbusens (Golf von Volo), die Rhede von Aphetai,
wo man die breite Nordküste Euboia's, das von einem Artemisheilig-
thome sogenannte Artemision , sich gegenüber sah , und zugleich die
ersten griechischen Kriegsschiffe. Es waren die 271 Trieren, welche
anter dem Oberbefehle des Spartaners Eurybiades Artemision, als den
Vorposten des inneren Griechenlands, und das Fahrwasser des Euripos
hüteten. Um die Verbindung mit dem Landheer herzustellen, hatten
sie bei Artemision , und ebenso bei den Tbermopylen ein Wachtschiff
stalionirt, das letztere unter der Führung des Atheners Abronichos,
eines Parteigenossen des Themistokles.
Die griechischen Schiffsführer schwankten in kläglicher Unent-
schlossenheit hin und her, und Themistokles hatte unendliche Mühe
die Euriposflotte zusammenzuhalten. Wenn von der thessalischen
Küste günstige Nachricht einlief, so wagte man sich keck hinaus, und
dann verkroch sich wieder Alles im Innern des Meersundes und drängte
ängstlich zum Rückzüge. Euboia selbst war zunächst in Gefahr. Die
Gemeinden der Insel wendeten sich daher an Themistokles; sie schick-
ten an Geld dreifsig Talente, und durch schlaue Verwendung derselben
gelang es dem attischen Feldherrn, die Spartaner und Koriniher, welche
am meisten nach Hause drängten, zum Bleiben zu bewegen. Ja er be-
nutzte den Eindruck, welchen die Nachrichten von dem Seeunglücke
derPerser hervorgebracht hatten, die Flotte zum Auslaufen zu bewegen;
sie blieb auch auf ihrem Posten, als ihnen nun in einer Entfernung von
zwei Meilen die Perser gegenüber lagerten, und der Muth der Griechen
wurde für dies erste Standhalten sofort belohnt, indem ein Geschwader
von fünfzehn Schiffen, welche vom Sturme nach Süden verschlagen
waren, ihnen kampflos in die Hände fiel. Die ersten Gefangenen
wurden nach dem Isthmos geschickt.
Inzwischen hatte sich die Pcrserflolte vom Sturm erholt und traf
oun ihrem Auftrage gemäfs Anstalt, den von den Griechen versperrten
Durchgang zwischen Euboia und dem Festlande, das Fahrwasser des
Euripos, die See-Thermopylen Griechenlands, zu erzwingen.
Auch hier war man bedacht, die Uebermacht zu Umgehungen zu
benutzen. Deshalb wurden 200 Schiffe abgeordnet, welche aufsen um
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UEI AHTEMISIOX (JULI 4W).
Euboia herumfahren, den südlichen Ausgang des Meersundes besetzen
und so die Griechen im Euripos abfangen sollten. Um dies Vorhaben
zu verslecken, wurden die Schiffe beordert, in weitem Bogen um
Skialhos herumzusteuern , als wenn sie nach dem Hellesponte wollten.
Aber die Griechen wurden von diesen Mafsregeln unterrichtet,
und da sie eine Gelegenheit zu haben glaubten, mit einer wenig über-
legenen Floltenabtheilung den Kampf zu versuchen, beschlossen sie in
der nächsten Nacht den Schiffen nach Skiathos nachzugehen. Wie nuu
aber während des ganzen Tags kein Angriff von Feindes Seite erfolgte,
da wuchs ihnen auf einmal der Muth, und sie gingen bei Einbruch der
Dämmerung unmittelbar auf die Hauptflotte los. Die Perser stiefsen in
See, um das kecke Geschwader zu umringen; aber die griechischen
Schiffe verstanden es, sich so geschickt erst in einer Kreisstellung zu
concentriren und dann plötzlich vorzubrechen, dass sie dreifsig Fahr-
zeuge erbeuteten. Lykomedes aus Athen war derjenige, welcher das
erste PerserschifT eroberte; ein lemnisches Schiff ging zu den Ver-
bündeten über.
Auch die Götter erwiesen sich den Tapferen günstig; denn eine
neue Sturm- und Regennacht folgte, wie sie in dieser Jahreszeil selten
ist; die Flotte bei Aphetai gerielh in neue Verwirrung; die 200 Schiffe
aber, die in das offene Meer hinausgeschickt waren, wurden in derselben
Nacht vollständig vernichtet, als sie schon Euboia umfahren wollten.
Die Griechen dagegen wurden durch 53 attische Trieren verstärkt; man
griff also am folgenden Tage von Neuem an, und zwar wieder in einer
Spätstunde, weil man keine Schlacht wollte. Man traf diesmal mit den
kilikischen Schiffen zusammen und kehrte nach tapferem Kampfe an
die Küste von Artemision zurück.
Die Perser fühlten, dass sie nicht zum drillen Male den Griechen
den Angriff überlassen dürften. Sie rückten also um die Mittagsstunde
vor, im Halbmonde aufgestellt, um die Griechen vor der Küste einzu-
schließen. Diese Stellung war nicht günstig; denn im Mittel treffen
waren die Schiffe in ihrer Bewegung beengt; sie binderten und be-
schädigten sich gegenseitig. Um so leichter konnten die Griechen
und namentlich die Athener, die immer voran waren, durch slofsweisc
ausgeführte Angriffe grofsen Schaden anrichten. Erst die Nacht endete
dies dritte Gefecht, das schon eine Seeschlacht genannt werden konnte.
Die Griechen hatten sich bewährt, aber sie hatten grufse Verluste
erlitten. Neunzehn attische Schiffe wareu kampfunfähig; fünf andere,
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RÜCKZIG VON AHTEMISIO.V
71
die zu kühn vorgegangen, waren von den Aegyptern genommen. Sollte
man den Kampf in dieser Weise fortsetzen? Dies konnte auch Themi-
slokles nicht für rathsam halten. Denn für eine entscheidende See-
schlacht hatten die Griechen in diesem offenen Meere doch nicht genug
Vortheile auf ihrer Seite. Die drei Kampftage waren aber keine ver-
lorenen. Man hatte Erfahrungen von unschätzbarem Werthe gemacht;
min hatte die erste Furcht überwunden ; man hatte in ernstem Kampfe
unJ mit bestem Erfolge die taktischen Bewegungen ausgeführt, welche
man seit Jahren mit allem Fleifse eingeübt halte; die vaterländische
Flotte hatte ihre Bluttaufe bestanden; es waren die ersten Vorspiele
hellenischer Seesiege.
Während noch die Flottenführer mit einander Rath pflogen, kam
die Trauerkunde von Tbermopylai herüber, welche allem Schwanken
ein Ende machte. Nun war nicht mehr zu zaudern, die Küsten der
Heimath mussten gedeckt werden. Die Korinther voran, die Athener
als Nachhut — so zogen die Schiffe den Euripos entlang. Was man
von den Heerden Euboias mitnehmen konnte, wurde eingeschifft. Von
den unglücklichen Einwohnern, welche nun trotz aller Geldopfer ihre
Insel preisgegeben sahen, nahm man so viele als möglich auf die Schiffe.
Themistokles liels an den Wasserplätzen der Küste griechische Worte
einschreiben, welche die auf der nachfolgenden Perserflotte befindlichen
Griechen für die nationale Sache gewinnen und an ihre Pflichten gegen
das Mutterland mahnen sollten").
Der Fall des Leonidas hatte die weitgreifendsten Folgen. Denn
auch der zweite Feldzugsplan war nun misslungen; die heiligsten Stätten
des Landes, Tbermopylai und Delphi, waren preisgegeben; die schwan-
kenden so wie die noch treuen Gemeinden in Doris, Phokis, Lokris,
Euboia waren verloren, und Theben war bereit, das Hauptquartier der
Barbaren zu werden. Attika war schulzlos, und die Spartaner waren
dem Ziele ihrer unredlichen Politik nahe, wenn sie im Grunde nichts
sehnlicher wünschten, als dass der Peloponnes nun bald als der einzige
Leberrest des freien Griechenlands angesehen werden sollte.
Auf Xerxes machte der Kampf von Tbermopylai keinen anderen
Eindruck, als dass er nun, seinem Hauptziele so nahe, mit gröfsler
Erbitterung seine Truppen vorwärts schob. Der erlittene Verlust war
durch die griechischen üülfsvölker bald mehr als ersetzt. Die Thessalier
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I
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HIE PERSER 1* M1TTELGRIECHE.NL AND.
freuten sich, an den verhasslen Phokeern Rache nehmen zu können,
nachdem diese sich mit edlem Stolze geweigert hatten, die Vermiltelung
der Thessalier sich zu erkaufen. Sie flüchteten, als das feindliche Heer
sich durch die Pässe von Hyampolis und Elateia in das phobische Land
ergoss, mit Hab und Gut auf die Felsgipfel und in die Höhlen des
Parnassos, während die Perser, von den Thessaliern geführt, das
Kephisosthal verwüsteten. Eine Heeresablheilung ging nach Delphi.
Das Heiligthum wurde nicht zerstört noch geplündert; der Grund der
Verschonung lag nach der Erzählung der Priester in dem unmittel-
baren Schutze der Götter, welche durch Unwetter und Felsemtürze
die Feinde zurückgeschreckt haben sollten. Es ist wahrscheinlich, das*
die Priester durch kluge Unterhandlung mit den Feinden ihr Heiligthum
zu retten gewussl haben. Die kleinen böotischen Städte wurdeu im
Auftrage des Grofskönigs durch Alexander von Makedonien besetzt.
Angst und Schrecken ging vor den Persern her, welche sich nun an
den Gränzen von Altika zu einer neuen Masse sammelten50).
'Die Pässe von Attika zu besetzen, war keine Zeit; auch die Burg
halten zu wollen, war ein kindischer Gedanke. Es kam also jetzt darauf
an, den Retlungsgedauken durchzuführen, welchen Themistokles seit
zehn Jahren im Auge gehabt halte. Die Flotte mussle, wie eine rettende
Arche, die Bürgerschaft aufuehmen; Stadl und Land musste man preis-
geben, um den Staat zu reiten.
Um solche Mafsregeln zu leiten, bedurfte es einer mit aufser-
ordentlichen Vollmachten ausgerüsteten Amtsgewalt; denn in Volks-
versammlungen konnte jetzt nicht berathen und beschlossen werden.
Der Areopag wurde mit solcher Amtsgewalt bekleidet. Er verordnete
und leitele die Räumung des Landes, die Einschiffung und Verpflegung
des Volks; er gab, damit von den waffenfähigen Einwohnern Niemand
anderswo sein Heil suchen sollte, allen ärmeren Bürgern, welche die
Trieren bestiegen, ein Geldgeschenk von acht Drachmen (über 2 Thlr.).
Die Priester thaten das Ihrige, um das Volk in dem Glauben zu stärken,
dass es auch aufserhalb Athens von seinen Göltern nicht verlassen
sei. Die Burgschlange, so verkündeten sie im Einverständnisse mit
Themistokles, sei von der Burg verschwunden, Alhena selbst mit
Erichlhonios, dem Unterpfande ihres göltlichen Segens, auf die Schiffe
gegangen; getrost könnten also die Bürger ihr folgen.
Aber auch so war es ein Tag des Jammers und Schreckens, als
die Athener, mit ihrer beweglichen Habe beladen, dem Strande zu-
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DIE RÄUMUNG VON ATHEN.
73
«änderten, als sie Abschied nahmen von Hans und Hof, ungewiss, ob
sie jemals die Heimath wiedersehen wurden. Ein grofser Theil ging
nach Salamis, das durch eine Fähre mit Attika verbunden war; Andere
nadi Aigina, Andere nach dem Peloponnes, namentlich nach Troizen.
SaUmiswar jetzt die Akropolis von Attika ; hier war der Sitz des Areopag.
Hier wurde auch der Beschluss gefasst, allen Verbannten die Heimkehr
zu gestatten, denn kein Athener sollte verhindert sein, in dieser Zeit der
Vaterstadt seine Treue zu bewähren. Der Beschluss galt vorzugsweise
dem Aristeides. Man wollte zeigen, dass jetzt von Parteien im Staate
keine Rede sein könne. Auch außerhalb der Stadtgemeinde, in weite-
ren Kreisen bethätigie sich lebhafter als je ein Gefühl der Einheit und
Verbrüderung. Die Trözenier nahmen die Alten und die Frauen Athens
ab Gäste bei sich auf, gewährten Allen, die dessen bedurften, auf Staats-
kosten Unterhalt, gaben den Kindern Erlaubniss sich Feld- und Garten-
friichte einzusammeln und bezahlten die Lehrer für den Unterricht der
Knaben87).
Das Meer von Salamis war der nächste Sammelort der Flotte,
wekhe bei Artemision dem Feinde gegenüber gestanden hatte. Hier-
her steuerten die Athener, um ihre Küste zu beschützen, die Aegineten,
am ihrer Insel nahe zu sein, die Peloponnesier, um die Verteidigung der
Isthmospässe zu unterstützen. Inzwischen hatte sich eine neue Flotte
auf der Rhede von Troizen gesammelt. Auch diese kam nun herbei.
Es waren jetzt nach Herodot zusammen 378 Trieren. Die Athener
bildeten den Kern derselben; ihrer Schifte Zahl war so grofs, wie die
aller l ebrigen; durch ihr Contingenl war allein eine Schlacht möglich.
Die Perser waren den griechischen Schiffen durch den Euripos
nachgefahren und, wie das Landheer in das Gebiet von Attika einrückte,
ankerte auch ihre Flotte am Strande von Phaleron ; es waren nach allen
Verlusten noch über tausend Segel. So lagen sich zum zweiten Male
die beiden Flotten gegenüber, und Alles kam nun auf die Beschlüsse
an, welche in den beiden Hauptquartieren gefasst wurden.
Am Strande der phalerischen Bucht hielt Xerxes eine feier-
liche Rath silzung. Voran safs der König von Sidon, dann der
Tjrier, und so weiter nach strenger Rangordnung die Fürsten des
Reichs so wie die übrigen Heer- und Floltenlührer. Stolz auf
seine Macht, die er im Herzen des Feindeslandes glücklich vereinigt
hatte, den Fall der Akropolis jeden Augenblick erwartend, brachte
der Grofskönig den weiteren Kriegsplan zur Verhandlung und liefs
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74
HATHsITZL'Mi DER PERSER.
den Mardonios im Kreise umhergeben, um die Meinungen zu sam-
meln. Alle kannten des Königs unbedingtes Siegesbewusstsein,
Keiner wagte von der Seeschlacht abzuralhen. Artemisia allein,
die kluge Fürstin von Halikarnassos, erklärte freimülhig, dass es
nur einen vernünftigen Kriegsplan gäbe, nämlich zu Lande gegen
den Isthmos vorzugehen; dann werde sich sofort ohne Kampf die feind-
liche Flotte aullösen und jeder Widerstand ein für allemal beseitigt
sein. Ihre Meinung war von so überzeugender Wahrheit, dass es
schwer ist, sich die Verblendung der Perser zu erklären, welche sich
mit ihrer ungelenken Flotte in das ungünstigste Fahrwasser, das
für sie im ägäischen Meere zu finden war, freiwillig hineinbegaben.
Aber Xerxes dachte gar nicht an einen Kampf mit der Flotte, son-
dern nur an ihre Vernichtung, und um sich in eigener Person an
dem Anblicke derselben zu weiden, dazu mochte ihm der eng um-
gränzte, übersichtliche Schauplatz des salaminischen Meeres besonders
geeignet scheinen.
Salamis ist eine langgestreckte, wunderlich ausgezackte Fels-
insel; mit ihrer südlichen Hälfte weil in das Meer von Aigina vor-
gestreckt, während die Nordhälfte sich zwischen die attischen und
megarischen Küsten berge so tief hineinschiebt, dass dadurch die
Bucht von Eleusis wie ein Binnenmeer abgeschlossen wird. Zwei enge
Strafsen fuhren in diese Bucht hinein, die eine längs der mega-
rischen Küste, die andere vom Peiraieus, wo der Zugang durch Vor-
gebirge, Riffe und Felsinseln bis auf etwa sieben Stadien Breite ein-
geengt ist. Um so geschützter ist die innere Bucht, eine treffliche
Rhede von tiefem Fahrwasser. Hier lagen die griechischen Schiffe
an dem flachen Strande von Salamis, wo sich den altischen Bergen
gegenüber eine halbkreisförmige Bucht in die Insel hereinzieht, unter-
halb der Stadt Salamis, welche den Isthmos einnahm, der beide
Inselhälften verbindet. Hier musste der En Ischl uss gefasst werden,
wo und wie man den Ueberrest des freien Griechenlands verlhei-
digen wolle. Auf entschlossenes, einstimmiges Handeln kam Alles
an, und doch war der Kriegsrath der Verbündeten niemals uneiuiger
und unentschlossener.
Keiner war übler daran als Eurybiades, der Oberfeldherr der
Verbündelen. Er war ohne alle Instruktionen von Sparta, dabei per-
sönlich schwach und ohne eine selbständige Auffassung der Sachlage.
Neben ihm auf der einen Seite Themistokles, dessen überwältigende
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DER GRIECHISCHE KRIEGSRATH.
75
Grofse ihm peinlich war und dessen Drängen ihn ängstigte; auf der
»deren Seile Adeimantos von Korinth.
Die Koriniher halten nämlich ihre Stellung zu Alhen gänzlich
verändert. Vor der Schlacht bei Marathon waren sie die thätigslen
Bundesgenossen der Stadt gewesen, weil sie bei ihr ein Gegengewicht
gegen Sparta, eine Bürgschaft für die freie Stellung der Mittelstaaten
und eine kräftige Mitwirkung zur Demülhigung der Aegineten fanden
(S. 31). Wie nun aber Alhen innerhalb weniger Jahre unter Themi-
stokles' Leitung zur ersten Seemacht sich aufschwang, da wurde Alles
anders. Nun war Athen für Korinth der gefahrlichste Staat so wie
Themistokles der verhasstesle Mann ; deshalb war Adeimantos auch
sein entschiedener Gegner und, obwohl er besser als alle Anderen
die günstigsten Aussichten eines salaininischen Seegefechts erkennen
mussle, der Führer der für den Rückzug stimmenden Partei. Die
Angst der Peloponnesier, die Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit Spartas
kamen ihm zu Hülfe. Sie brauchten nur an den Fall eines ungün-
stigen Seekampfes zu erinuern; dann wären sie alle rettungslos ver-
loren und müssten hier in der schrecklichsten Klemme des sicheren
Untergangs gewärtig sein. Schon sei der ganze Heerbann der Pelo-
ponnesier, welcher auf die Nachricht vom Falle des Leonidas aufge-
brochen war, am Isthmos versammelt und daselbst mit dem Bau der
Mauer Tag und Nacht beschäftigt, während eine andere Abtheilung den
skironischen Pass verschütte. Am Isthmos sei die Pforte des eigent-
lichen Hellas.
Millen in die Beralhung traf die Botschaft vom Falle der
attischen Burg. Die Perser hatten sie erst vom Areshügel mit
Wennenden Geschossen beworfen und dann auf heimlichem Pfade
von der Nordseite erstiegen. Die tapfere Schaar, welche die väter-
lichen Heiliglhümer nicht hatte preisgeben wollen, wurde an den
Alliren und iu den Tempeln niedergemacht, mit Feder und Schwert
der ganze Burgraum verwüstet. Es waren Thalen eines wilden Fana-
tismus, wie sie sich der edlere Dareios nicht würde haben zu Schulden
kommen lassen.
So wenig auch dies unvermeidliche Unglück im Stande war, auf
deo Gang der Ereignisse einen bestimmenden Einfluss auszuüben, so
bitte es dennoch eine grofse Wirkung. Ein Theil der Schiflsführer
«die fort, um sich ohne Weiteres zur Abfahrt zu rüsten ; die, welche
Wieben, stimmten mit Korinth. So trennte sich mit Einbruch der Nacht
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TG
MNESIPHILOS UND TBEMISTOKLES
die Versammlung, und Themistokles kehrte missmuthig und von vergeb-
licher Anstrengung ermattet auf sein Schiff zurück. Da trat Mnesi-
philos (I, 346) zu ihm, sein väterlicher Freund, ein Mann, welcher im
Umgange mit Solon seine politische Einsicht und seine Ueberzeugung
von der grofsen Zukunft Athens gewonnen hatte. Ein philosophischer
Geist und frei von Ehrgeiz hatte er, wie es scheint, keine hervorragende
Stellung im Staate gesucht; aber durch Leitung und Unterricht hatte
er einen grofsen Einfluss auf die Jugend und namentlich auf Themi-
stokles. Er hat die Gedanken Solons von der Entwicklung seiner
Vaterstadt lebendig erhalten und ist dadurch ein wichtiges Bindeglied
zwischen der älteren und der jüngeren Generation Athens geworden.
Jetzt griff er unmittelbar in den Gang der Ereignisse ein, und
zwar in der entscheidenden Stunde. Denn als er nach dem Ergebnisse
des Kriegsraths fragte, und vernahm, dass der Rückzug beschlossen
sei, sprach er zu Themistokles: 'Dann wirst du nie mehr um ein Vater-
land kämpfen!'
Das Wort zündete ; die unwiederbringliche Bedeutung des gegen-
wärtigen Augenblicks trat Themistokles in neuer Klarheit vor die
Seele und liefe ihn nicht ruhen und zögern; er sprang wieder in das
Boot und liefs sich an das Feldherrnschiff der Spartaner rudern. Er
hatte jetzt Eurybiades allein vor sich; er machte ihm klar, dass mit
dem Rückzüge von Salamis jeder Seekampf aufgegeben werde. Die
Aegineten und Megarcer würden so wenig wie die Athener sich hinter
Salamis zurückziehen. Ob er, der Oberfeldherr, es verantworten könne,
das stattliche Schiffsheer, das ihm anvertraut sei, ruhmlos aus ein-
ander gehen zu lassen?
Eurybiades lässt von Neuem die Feldherrn rufen, denen Themi-
stokles in mildester und eindringendster Rede seine Ansicht vorträgt ;
Megara und Aigina stimmen bei. Um so bitterer tritt Adeimantos
auf. Themistokles, sagt er höhnend, dürfe gar nicht mitreden, er sei
ein heimalhloser Mann, ein Mann ohne Stadt 'Hier ist Athen, ent-
gegnete ihm Themistokles, indem er auf die 200 Trieren hinweist,
auch ohne Stadt und Land mächtiger als ihr übrigen Alle.' Schonungs-
los enthüllt er dann die schlechten Gesinnungen Korinlhs, die hä-
mische Schadenfreude am Unglücke einer eidgenössischen Stadt, und
wendet sich endlich kurz und entschlossen an Eurybiades. Er sollte
nun wählen zwischen Ehre und Schande. 'Wir Athener, schliefst er,
gehen nicht nach dem Isthmos zurück. Wollt ihr nicht kämpfen, nun
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THEMISTOKLES' LIST
77
wohl, so geben wir mit allen Schiifen fort, um in Italien ein neues
Athen zu gründen. Ihr aber mögt sehen, wie ihr ohne uns euer Land
verlbeidigen könnt!'
Die Teste Haltung des Themistokles verfehlte ihre Wirkung nicht :
denn wenn die Athener abfielen, so war jede Widerstandsfähigkeit ge-
brochen. So kam denn gegen Morgen der neue Beschluss zu Stande,
dass man die Stellung behaupten wolle, und als es tagte, sah man auch
schon vom Phaleron her die feindliche Flotte heranrudern, um sich
am eieusinischen Strande den Griechen gegenüber zu lagern. Gleich-
zeitig rückten die persischen Fufsvölker, Reiter und Wagen gegen die
Küste vor. Wohin man blickte, war Land und Meer von unabseh-
lkhen Feindesmassen bedeckt, welche sich wie Gewitterwolken um
das griechische Häuflein zusammenzogen. Bald war keine Zuflucht,
kern Rückzug mehr vorhanden, als die kahlen Felsen der von jammern-
den Flüchüingen überfüllten Insel.
Da war wiederum aller Muth hin. Die Peloponnesier glaubten
die Feinde schon auf dem Marsche nach dem Isthmos, sie sahen
die verlassene Heimath bedroht und sich selbst nutzlos aufgeopfert,
und zwar zu Gunsten der schon verlorenen Athener. Das Zittern
und Zagen ging in Murren und offene Widersetzlichkeit über, und
Themistokles sah zuletzt nur noch einen Ausweg: die Griechen
musslen gezwungen werden Stand zu halten. Er entschloss sich
deshalb mit dem Perserkönig in Unterhandhing zu treten. Der
Wahrheit gemäfs berichtete er ihm, dass die Uellenen zu entfliehen
beabsichtigten: er möge aber eine so günstige Gelegenheit, die
ganze Flotte ei nzu fangen, nicht vorüber lassen, sondern unverzüglich
auf beiden Seilen die Ausgänge besetzen. Xerxes ging bereitwillig auf
diesen Wink ein; denn Umgehung und Umzingelung war ja das
stehende Programm der nicht sehr erfindungsreichen Taktik des Perser-
königs. Der westliche Flügel wurde bei Eintritt der Dunkelheit gegen
Salamis vorgeschoben , auf der Ostseite das Meer gegen Munichia ab-
gesperrt und PsyttaJeia besetzt.
So standen die Dinge, während im Kriegsrathe noch immer hin
und her gesprochen wurde, als wenn man noch die Wahl zwischen
Kampf und Rückzug hätte, und Themistokles umsonst auf die Vor-
bereitung zur Schlacht drang. Da wurde er aus der Berathung heraus-
gerufen; Aristeides stand vor ihm. Er war von Aigina herübergceilt,
um in der Noth seiner Stadt nicht fern zu sein er reichte Themistokles
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78
SCHLACHT BEI SALAMIS (40. SEPT. 480).
die Hand mit den Worten, dass sie jetzt nur darum streiten dürften,
wer der Vaterstadt am meisten Gutes erweisen könne, und berichtete
dann, wie er nur mit genauer Noth in's Schiffslager gekommen sei,
alle Auswege seien besetzt Er kam also, ohne es zu ahnen, um seinem
Gegner zur rechten Stunde die erwünschte Gewissheit zu bringen, dafs
sein Anschlag gelungen sei. Hocherfreut führt ihn Themistokles in den
Feldherrnralh, um hier sein Zeugniss abzulegen. Ternsche üeber-
läufer kommen dazu, um die Thatsache der völligen Einschliefsung
aufser Frage zu stellen; man musste endlich einsehen, dass man keine
Wahl mehr habe.
Die noch übrigen Nachtstunden wurden eilig benutzt, die Schiffe
zu ordnen. Die Athener wurden am westlichen Ende den Phöniziern
und Kypriern, die Peloponnesier am östlichen den Ioniern gegenüber
aufgestellt; in der Mitte hielten die Schiffe von Aigina und Euboia,
welche die Kilikier und Pamphylier zu Gegnern hatten. Zu den Schiffen
der Verbündeten kam noch das des Phayllos aus Kroton, das dieser auf
eigene Hand ausgerüstet hatte; aufserdem zwei Schiffe aus Tenos und
Lemnos, welche die feindlichen Reihen verlassen hatten. Die Stellung
der Flotte war ungemein günstig, weil die Vorsprünge des salaminischen
Ufers eine Umzingelung unmöglich machten**).
So brach der Schlachttag an, der zwanzigste September (19.
Boedromion). Es war ein heiliger Tag für Athen, denn am Abend des-
selben begann derlakchostag, an welchem das Bild des Gottes in grofsem
Feierzuge nach Eleusis getragen wurde und die Fackeln rings um die
heilige Bucht erglänzten. Während Themistokles die Seinigen zum
entscheidenden Kampfe anfeuerte, kam das Schiff mit den heiligen
Bildern der Aeakiden von Aigina herüber. Glück verheifsend loderten
die Opferflammen, und als gerade drei Gefangene eingebracht wurden,
verlangte das Kriegsvolk, dass sie der Weisung des Sehers Euphrantides
gemäfs den Göttern geopfert würden. Die Kampflust steigerte sich bis
zur Wildheil, und als die Perser ihrer Gegner ansichtig wurden, er-
blickten sie wider Erwarten ein streilfertiges Schiffsheer und hörten
von Trompetenschall und hellen Kriegsliedern die Felsen der Insel
wiederhallen38*).
Auf beiden Seiten war man zum entschlossensten Kampfe ge-
rüstet, denn der Hellenen einzige Hoffnung war ja die Vernichtung
des Feindes, und hinter ihnen standen auf den Höhen von Salamis
ihre Frauen und Kinder, deren das schrecklichste Sklavenloos wartete.
SCHLACHT BEI SALAMIS («©. SEPT. 4*0).
79
wenn nicht ein voller Sieg gewonnen wurde. Hinler der Perserflolle
aber war auf dem Vorsprunge des Berges Aigaleos der silberföfsige
Thronsessel des GrofskOnigs aufgerichtet. Dort safs er inmitten seiner
Truppen, von seinen Rathen und Schreibern umgeben, nahe genug, die
Gewässer zu überblicken, auf deren engem Räume sich Hunderttausende
nun Kampfe zusammendrängten, und bereit, unverzüglich reichen Lohn
so wie die furchtbarste Strafe zu erlheilen. Jeder Schiffsführer glaubte
des Königs Auge auf sich gerichtet zu sehen; der Ehrgeiz wurde ent-
flammt, namentlich bei den loniern, von denen nur Wenige sich ab-
sichtlich zurückhielten. Darum machten die Perser mit grofsem Un-
gestüme den ersten allgemeinen Angriff, und die Hellenen wichen gegen
s»Iaruis zurück, doch in voller Ordnung, indem die Vordertheile der
Schiffe den Feinden zugekehrt blieben. Dann gingen sie wieder lang-
sam vor; zuerst die Athener und Aegineten.
Wie iti den homerischen Schlachten begann der Kampf mit ein-
zelnen Angriffen; kühne Schiffsführer wagten sich vor und zogen die
ährigen in das Handgemenge herein. So wurde allmählich der Kampf
allgemein, und die Vortheile, welche auf Seiten der Griechen waren,
zeigten sich immer deutlicher. Denn die Barbaren, welche sich ganz auf
ihre Masse verliefsen, kämpften ohne Plan und Ordnung, während die
Hellenen, namentlich die Aegineten und Athener, geschwaderweise
zusammenhielten. Die Barbarenschiffe waren schwimmende Häuser,
die mit Truppen besetzt waren; den Griechen war das Schiff selbst
eine Waffe: mit solcher Schnellkraft wussten sie die Feinde anzulaufen.
Ihr Muth wuchs mit jedem Stofse, der ein feindliches Schiff sinken
machte, mit jeder glücklichen Streiffahrt, welche die Ruder der Gegner
zerbrach. Luft und Meer wurden gegen Mitlag unruhiger, die Be-
drängniss der Feinde wuchs; in drei Linien aufgestellt, hatten ihre
schwerfalligen Fahrzeuge keine freie Bewegung; die beschädigten
konnten nicht zurück, um die anderen vorzulassen. Dazu kam,
dass die verschiedenen Flotten mann Schäften gegen einander in eifer-
süchtiger Spannung waren; die Phönizier klagten die lonier des
Verraths an, die Einen überrannten die Anderen, um sich selbst
ra retten. Die Angst der Asiaten war um so gröfser, da sie im
Wasser ihr unvermeidliches Grab vor sich sahen, während den Grie-
chen ihre Gewandtheit im Nah kämpfe, im Springen und Schwimmen
um so mehr zu Gute kam, je gröfser das Gedränge wurde. Ariabignes
der Admiral, des Königs Bruder, und andere hervorragende Männer
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DIE FOLGEN DE« SCHLACHT.
fielen im Kampfe; die Flotte verlor den Zusammenhang, und die
Schilfe fingen an , um sich dem allgemeinen Untergänge zu entziehen,
nach dem Phaleron hin zurückzuweichen. Der Westwind kam ihnen
dabei zu Gute, aber auch auf dem Rückzüge erwartete sie neues Ver-
derben. Denn wahrend die Athener den fliehenden folgten , kreuzte
draußen ein Geschwader von Aegineten, welche sie von vorne angriffen
und ihnen grofsen Schaden zufügten.
Unter diesen Umstanden hatte man keine Zeit, die Truppen auf-
zunehmen, welche auf Psyttaleia ausgesetzt waren, um hier den Grie-
chen den Ausweg aus der Bucht zu sperren. Aristeidcs benutzte diese
Gelegenheit, um auch seinerseits an dem Schlachttage thätigen Antheil
zu nehmen. Er sammelte rasch eine Schaar gerüsteter Bürger, welche
in Salamis dem Seekampfe zusahen, landete mit ihnen auf der Insel,
deren niedriges Gestrüpp den zusammengedrängten Feinden keinen
Schutz darbot, und so wurde die ganze Mannschaft, eine Abtheilung
auserlesener Perser, durch das Schwert der Athener niedergemacht.
Zwei Stunden nach Sonnenunlergang ging der Mond auf; er begünstigte
wesentlich die letzte Verfolgung und zeigte den Griechen die von den
Persern geräumte, von Schiffstrümmern und Leichen dicht bedeckte
Wahblättc der salaminischen Bucht. Zum Danke wurde mit dem
Feste der Mondgötlin Artemis Munichia die Erinnerungsfeier des
Sieges verbunden30).
So glänzend und unbestritten der Sieg der Griechen war, so halte
er doch im Grunde keine Entscheidung gebracht Die feindliche See-
macht war nichts weniger als vernichtet. Im Ganzen mochte sie kaum
mehr als den fünften Theil ihrer Schiffe verloren haben, und der Ver-
lust der Griechen war nicht viel geringer. Das Verhältniss der Streit-
kräfte war nicht wesentlich verändert; die feindliche Landmacht unver-
sehrt. Die Griechen mussten also auf eine Erneuerung des Kampfes
gefasst sein. Aber zum Glücke hatten sie keinen Gegner, welchen eine
erlittene Niederlage zu verdoppelter Anstrengung anfeuerte; vielmehr
war es die persönliche Feigheit des Grofskönigs, welche ihren Sieg
vollständig machte. Sein prahlerischer Hochmut Ii, sein auf eitler Ver-
blendung beruhendes Sicherheilsgefühl war zusammengebrochen; er
hatte immer nur daran gedacht, Siege zu feiern, aber nicht sie zu er-
kämpfen. Nun war plötzlich alles Vertrauen zu seinen Truppen ver-
schwunden; er fürchtete die Feigheit der Einen, die Untreue der An-
deren, und nachdem er eben noch eine Wellmacht ohne Ziel und
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VERFOLGUNG DER PERSER.
81
Schranken aufzurichten gedacht hatte, fasste ihn plötzlich die Angst
am seine eigene Sicherheit. Er erbebte vor dem Gedanken, im Fein-
deslande eingeschlossen zu werden, und die Furcht vor dem Abbruche
der DelJespon tosbrücke war so mächtig, dass er zu schleuniger Um-
kehr entschlossen war. Nur wünschte er , soweit es möglich war, die
königltebe Würde zu wahren.
Hier kam ihm Marclonios entgegen. Dieser hatte nämlich für
seine Person Alles zu fürchten, wenn sofort die ganze Persermacht den
Rückzug nach Asien antrat. Dann wäre ja die Niederlage offen
eingestanden, und er würde von seinen Gegnern für alle Noth des
mißlungenen Krieges zur Verantwortung gezogen worden sein. Dazu
kam, dass er die Pläne seines Ehrgeizes auch jetzt noch keineswegs
aufgegeben hatte; er hoffte vielmehr als selbständiger Oberfeldherr
seinen Zweck, die Errichtung einer europäisch-griechischen Satrapie,
leichter erreichen zu können. Er gab also dem Grofskönige den Rath,
mit der Eroberung Attikas den jetzigen Feldzug ab beendet anzusehen,
mit der Flotte und einem Theile der Truppen nach Asien heimzu-
kehren, ihn selbst aber mit dem Kernvolke des Landheeres in Griechen-
land zurückzulassen, um die Unterwerfung des Festlandes und die
Einrichtung der neu gegründeten Satrapie zu vollenden. Auf diese
Weise werde die Person des Grofskönigs jeder Gefahr entzogen. Um
aber den Aufbruch des Königs nicht als eine unmittelbare Folge der
salaminischen Schlacht erscheinen zu lassen, beschloss man die
Stellung am attischen Ufer zu behaupten und sogar einen Dammweg
nach Salamis hinüber aufzuwerfen, als wolle man um jeden Preis
die Insel nehmen. Während dessen wurde Alles zum Aufbruch vor-
bereitet, und die Flotte erhielt Befehl nach dem Hellespont aufzu-
brechen.
Die Hellenen folgten bis Andros, wo man von Neuem Kriegsrath
hielt. Themistokles wollte gleich nach dem Hellespont, um die Flotte
auf dem Rückzüge anzugreifen und die Schiffbrücke zu zerstören. Das
schien ihm die rechte Benutzung des salaminischen Sieges zu sein;
es war im Grunde derselbe Plan, wie ihn Miltiades an der Donau-
bröcke vertreten hatte, durch Abschneiden der Rückzugslinie denGrofs-
konig mit seinem ganzen Heere im feindlichen Lande zu verderben
und sofort die Befreiung Ioniens zu beginnen, welche dann keine
Schwierigkeit mehr haben könnte. Das attische Schiffsvolk glühte
vor Begierde, an Xerxes die vollste Rache zu nehmen; es drängte
Cvrtist, Gr. Owcb. II. 6. Aal 6
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HEIMKEHR DES XERXES.
daher ungeduldig nach dem Hellespont. Indessen waren die anderen
Feldherrn auch jetzt durchaus nicht gesonnen, dem kühnen Fluge
der themistokleischen Pläne zu folgen. Sie fanden das Vorhaben toll-
kühn, das Gelingen bei den grofsen Hülfsmitteln der nördlichen Land-
schaften und bei dem Anhange, welchen Xerxes dort hatte, mehr als
zweifelhaft; sie missbilligten überhaupt, dass man das fliehende Heer
im Vaterlande zurückhalte und zu einem Kampfe der Verzweiflung
zwinge. Themistokles musste sich fügen ; ja er that nun selbst das
Seine, um die Athener, die auch allein vorwärts wollten, zu beruhigen.
Man solle sich für jetzt an dem Gottesgerichte genügen lassen, das
über den Frevelmuth der Feinde ergangen sei; im Frühjahre wolle
man nach dem Hellespont und Ionien. Einstweilen beschränkte man
sich darauf, die Inseln zu brandschatzen, welche den Persern ge-
huldigt hatten. Unter dem Vorwande die isthmischen Beschlüsse aus-
zuführen, gab Themistokles schon deutlich zu erkennen, dass die
Flotte Athens nicht blofs zur Abwehr des Feindes, sondern zur Be-
gründung einer Herrschaft durch ihn geschaffen worden sei.
Inzwischen wurden in Thessalien die feindlichen Truppenmassen
getlieilL Mardonios, dem als Stellvertreter des Xerxes das königliche
Zelt mit seiner ganzen Einrichtung übergeben wurde, behielt für sich
die zehntausend 'Unsterblichen', die Kerntruppen der iranischen Kriegs-
völker, und aus den übrigen Schaaren die erprobtesten Krieger. Mit
dem Reste des Heeres zog Xerxes weiter, von Thorax geleilet, in
steigender Hast der Brücke zueilend; Artabazos mit fänfzigtausend
Mann begleitete ihn bis zum Hellespont. Von Tag zu Tag häufte sich
das Ungemach : die schlechte Witterung trat vorzeitig ein mit Schnee-
sturm und Kälte; die thrakischen Ströme waren mit trügerischen Eis-
decken überzogen; die Völkerschaften zeigten sich unzuverlässig, da
der eingetretene Glückswechsel nicht zu verkennen war. Der Proviant
war nicht zur Stelle, die nöthigsten Vorkehrungen waren verabsäumt,
Hunger und Krankheit rafften Menschen und Thiere hin. So brachte
Xerxes nur klägliche Trümmer eines aufgelösten Heeres über den
Hellespont, dessen Brücken der Sturm zerrissen hatte, und auch jen-
seits des Sundes starben noch Viele in Folge des erlittenen Unge-
machs 40).
Der Abzug des Xerxes gab den Hellenen das Recht, ein volles
Siegesfest zu feiern. Die erstgenommenen Trieren wurden auf dem
Isthmos, auf Sunion und in Salamis geweiht, gemeinsame Weihge-
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STIMMUNGEN DER GRIECHEN.
S3
schenke den reitenden Göttern in Olympia und Delphi gelobt und die
Preise ausgetheilL Welche Stimmungen und Gesinnungen sich dabei
gellend machten, beweist der Umstand, dass der Feldherrnpreis gar
nicht vergeben wurde, obwohl niemals das Verdienst eines Feld-
berrn unbestrittener hat sein können; aber selbst den zweiten Preis,
welcher von allen Fuhrern einstimmig dem Themistokles zuerkannt
war, wollte man ihm nicht zusprechen. Auch der Tapferkeitspreis
für das Verhalten in der Schlacht wurde den Aeginelen gegeben und
erst nach ihnen zwei Athenern.
Die arge Missgunst, welche gegen Themistokles herrschte, wurde
in Delphi genährt. Denn wie hier die Stimmung war, erkennt man
daran, dass, als es sich später um die Aufstellung der VVeihgeschenke
handelte, von Seiten der Aegineten, welche dadurch als die eigent-
lichen Sieger bei Salamis ausgezeichnet werden sollten, ein beson-
deres Weihgeschenk verlangt wurde, welches in der Vorzelle des
Tempels neben dem Mischkruge des Kroisos aufgestellt wurde (es
war ein SchuTsmast von Erz mit drei goldenen Sternen), während
die Gaben, welche Themistokles von seinem Antheile an der Sieges-
beute dem Gölte darbringen wollte, schnöde zurückgewiesen wurden.
Um so reicher waren die Ehren, welche ihm in Sparta zu Theil
wurden. Er wurde zusammen mit Eurybiades öffentlich bekränzt, mit
einem prachtvollen Wagen beschenkt und durch die dreihundert Ritter
Spartas bis an die Gränze des Landes feierlich geleilet; es waren
Ehren, wie sie niemals einem Fremden zu Theil geworden waren.
So wohllhuend dieselben seinem durch die Preisvertheilung auf dem
ktnmos verletzten Ehrgefühle sein mochten, so waren sie doch nicht
geeignet, bei den Athenern einen guten Eindruck zu machen.
Wenigstens machte sich gleich nach der salaminischen Schlacht der
Einfluss des Aristeides wieder vorzugsweise geltend. Er wurde im
Frühjahre mit außerordentlichen Vollmachten zum Oberfeldherrn der
allischen Landmacht erwählt, während Xanlhippos den Oberbefehl der
Flotte erhielt41).
Man konnte sich in Athen über die noch immer drohende Kriegs-
gefahr nicht tauschen. Des Feindes Ueber macht war noch grofs genug;
die eingetretene Verminderung war für die Perser selbst im Grunde
mehr vortheilhafl als nachtheilig, weil sie die Verpflegung und Lenkung
6*
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DER WIMER OL. 7*. 1; «0-479.
erleichterte. Es waren lauter auserlesene Truppen, von dem ent-
schlossenen Willen eines Feldherm geleitet, welcher Land und Leute
genau kannte, und dessen öffentliche Stellung ganz von dem Ausgange
dieses Feldzugs abhing; sie standen mitten im griechischen Lande, von
treuen Bundesgenossen umgeben, welche ihnen allen möglichen Vor-
schub leisteten. Freilich konnte im Perserheere nicht mehr das alte
Vertrauen zum Siege herrschen; dies war durch die letzten Erfahrungen
und besonders durch den eiligen Abzug des Grofskönigs wesentlich er-
schüttert; trübe Ahnungen gingen durch das ganze Heervolk; und selbst
vornehme Perser, die Führer der Truppen, gestanden offen, dass sie
sich wie von einem dunkeln Verhängnisse in das Verderben gezogen
fühlten; unter den Feldherrn selbst waren Manche, namentlich Arta-
bazos, nichts weniger als kriegslustig und zuverlässig.
Deshalb trat auch Mardonios von Anfang an mit grofser Vorsicht
und Milde auf. Es war offenbar nicht seine Absicht, den Ausgang des
neuen Feldzugs wiederum von einer Schlacht abhängig zu machen.
Darum benutzte er schon die Winterrast in Thessalien, um sich mit
den griechischen Staaten und Heiligthümern in Verbindung zu setzen ;
er suchte bei den Orakeln eine Art Legitimation für seine Pläne zu er-
halten ; er verabredete mit den Argivern, dass sie durch eine feindliche
Unternehmung die Spartaner am Auszuge verhindern sollten. Vor
Allem aber beschäftigten ihn die Verhandlungen mit Athen. Hier hatte
er zum Vermittler den geeignetsten Mann in Alexander von Makedonien
(S. 64), der ein Vasall des Grofskönigs und mit den ersten Familien
des persischen Reichsadels verschwägert war, zugleich ein Heraklide
von griechischem Blute, von Jugend auf griechischer Bildung zuge-
wandt, als Hellene anerkannt in Olympia, ein bewährter Freund der
griechischen Sache, ein Mann, welcher den Athenern schon so manche
Dienste geleistet hatte, dass sie ihn zum Wohlthäter und Gastfreunde
ihrer Stadt ernannt ballen. Durch ihn liefs Mardonios den Athenern
seine versöhnlichen Gesinnungen aussprechen. Alles Geschehene solle
vergessen sein ; er wolle nicht den Untergang der Stadt; ja er wolle
selbst Stadt und Heiliglhümer ihnen wieder aufbauen und ihr Land
grofs machen. Sie sollten nur vom Hellenenbunde abtreten und sich
ihm anschliefsen, ohne darum ihrer Selbständigkeit verlustig zu gehen.
Man sieht, er hatte, vielleicht auf Anralhen der Orakel, den Ge-
danken, unter persischem Protektorale einen griechischen Staatenbund
zu errichten. Er hoffte trotz aller Verfeindung, das ionische Athen
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VERHANDLUNGEN IN ATHEN.
85
immer noch leichter zu gewinnen, als das spröde Doriervolk, und sein
Endziel war, mit Hülfe der attischen Flotte den Peloponnes einzu-
nehmen. Der Plan war klug angelegt, und die Verlockung für die
Athener war nicht gering. Man erwäge nur, wie sie eben von den
Inseln und Kästen heimgekehrt waren, wie sie ohne Häuser, ohne
Erndte in ihrem verwüsteten Lande sich kümmerlich wieder einzu-
richten beflissen waren und dabei in aller ihrer Noth sich von den
Spartanern noch mit ärgster Missgunst behandelt sahen! In Sparta
fühlte man die ganze Bedeutung dieses Augenblicks. Man beeilte sich
Gesandte nach Athen zu schicken, welche für den bevorstehenden Krieg
die treueste Bundeshülfe und jede mögliche Erleichterung der Kriegs-
noth versprachen. In ängstlicher Spannung harrten sie auf den Be-
schluss der attischen Gemeinde, von welchem das Schicksal Griechen-
lands abhängig war.
In solchen Zeiten war Aristeides an seiner Stelle, um den etwa
schwankenden Bürgern klar zu machen, was das Vaterland von ihneu
verlange. Nach seinem Vorschlage wurde in der entscheidenden Volks-
versammlung den lakonischen, wie den von Alexander unterstützten
persischen Gesandten die Antwort ertheilt, welche ewig denkwürdig
bleiben wird, so lange das Gedächtniss der Geschichte auf Erden fort-
lebt. Oeffentlich erklärten die Athener, dass ihnen ihre Freiheit um
keine Schätze der Erde verkäuflich sei; sie seien die Feinde der Perser,
der Zerstörer ihrer Heiligthümer, und würden es bleiben, so lange die
Sonne ihre Bahn wandele; aber um sich selbst auf das Feierlichste an
ihr Wort zu binden, liefsen sie die Priester des Staats die schwersten
Flüche über alle Bürger aussprechen, die dem Hellenenbunde untreu
würden.
So wie die Spartaner sich durch das hochherzige Benehmen der
Athener von ihrer Angst befreit sahen, waren sie wieder die alten,
taumseligen, selbstsüchtigen Bundesgenossen und dachten nicht mehr
daran, ihre Versprechungen zu erfüllen. Als daher die attischen Ge-
sandten nach Sparta eilten, um den Aufbruch des Mardonios aus Thes-
salien zu melden und zu schleuniger Erfüllung der Bundespflichlen
aufzufordern, wurden sie von den Behörden unter allerlei Vorwänden
Wochen lang hingehallen. Es konnte Niemand daran zweifeln, die
Spartaner wollten die neue Demüthigung Athens nicht verhindern.
Endlich aber liefsen sie heimlich bei Nacht ausrücken, um den Athenern,
welche mit den Platäern und Megareern zusammen am folgenden Tage
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ZWEITE RAI Ml lSf. ATHENS OL. 75, 2; 479.
auftraten und jede weitere Verhandlung abzubrechen drohten, höhnend
zurufen zu können : 'warum sie sich so ereiferten? der spartanische
Heerbann sei ja schon nach dem Islhmos unterwegs1/49)
Sie hallen inzwischen ihren Zweck vollständig erreicht. Als
Mardonios, mit den Truppen des Artabazos vereinigt, gegen Süden vor-
rückte, waren die Athener, bei dem Ausbleiben aller Bundeshülfe, aufser
Stande, ihre Gränzen zu vertheidigen. Nachdem sie neun Monate lang
im Besitze ihres Landes gewesen waren, mussten sie dasselbe wiederum
räumen und von Neuem alle Noth der Auswanderung tragen, während
man zu Sparta in aller Behaglichkeit das Fest der H yakin thien feierte.
Mardonios liefs um die Mitte des Julius durch Feuerzeichen die zweite
Besetzung Athens nach Sardes melden, aber er schonte das Land. Er
hoffte noch immer auf eine Sinnesänderung der Athener: er konnte
sich nicht anders denken, als dass das verrätherische Verhalten Spartas
eine günstige Wirkung ausüben müsste. Er schickte darum von Athen
aus noch einmal einen Abgeordneten nach Salamis hinüber, den Helles-
ponlier Murychides, und zwar mit so annehmbaren Vorschlägen, dass
selbst Lykides — ein attischer Areopagit, wie es scheint — sich für
die Annahme derselben erklärte und einen darauf zielenden Antrag an
die Bürgerschaft verlangte. Aber kaum war dies Votum in der draufsen
harrenden Menge bekannt geworden, als das Volk den Unglücklichen
umringte und zu Tode steinigte; ja die Weiber zogen in das Haus des
Lykides und steinigten seine Frau und seine Kinder. Solchen fana-
tischen Freiheitsmulh erhielt sich die heimalhlose Gemeinde: jeder
Gedanke an Unterhandlung galt für schnöden Landesverrat!).
Als nun Mardonios jede Aussicht auf Versöhnung vereitelt sah,
verwüstete er Angesichts der geflüchteten Athener schonungslos ihre
ganze Landschaft und zog dann, nachdem er eine Streifschaar bis Me-
gara halte vorgehen lassen, über den Kithairon zurück nach Böotien,
um in einer für Reiterei günstigen und ihm befreundeten Landschaft
die entscheidende Schlacht zu liefern. In dem wiesenreichen Thale
des Asopos an der Gränze von Plataiai liefs er ein viereckiges Lager
von grofser Festigkeit aufrichten. Hier hatte er Theben, wo die gröfsten
Vorräthe angehäuft waren, im Rücken, die Pässe nach Anika und dem
Islhmos nahe vor sich. Mit Ausnahme der Phokeer, welche sich im
Parnasse unabhängig hielten und mit kecken Streifzügen in die Ebenen
herunter kamen, huldigte ihm das ganze mittlere Griechenland. Am
engsten hatte sich Theben angeschlossen. Hier suchten die regieren-
AUSZUG DER GRIECHEN 479 SOMMER.
87
den Familien mit den persischen Grofsen möglichst nahe Beziehungen
anzuknöpfen; sie legten grofsen Werth darauf, dass in ihrem Lande
das Hauptquartier der persischen Macht sei ; der reiche Attaginos lud
die fremden Heerführer bei sich zu Gaste. Perser und Thebaner sah
man vertraulich neben einander lagern ; der alte Gegensatz zwischen
Hellenen und Barbaren schien verschwunden zu sein, und Mardonios
musste sich schon als Satrap in einem dem Perserreiche einverleibten
Lande fühlen.
Inzwischen hatten sich die Peloponnesier mit den Athenern in
Eleusis vereinigt. Der gemeinsame Führer war Pausanias, der an
Stelle des minderjährigen Pleistarchos, des Sohnes des Leonidas, als
Regent den Heerbefehl hatte; ein Mann von hochstrebendem Sinne,
geistvoll und gewandt. Er führte 5000 Spartiaten, deren Jeder von
7 Heloten begleitet war, und 5000 Lakedämonier, die auch schwerbe-
waffnet waren, in's Feld. Aufserdem waren aus dem Peloponnes
1500Tegeaten, 5000 Korinther, denen sich 300 Polidäaten anschlössen,
600 Orchomenier, 3000 Sikyonier, 800 Epidaurier, 1000 Trözenier,
200 Lepreaten, 400 Achäer aus Mykenai und Tiryns, 1000 Phliasier,
300 Hermioneer, 1000 aus Euboia. 1500 von den westlichen Inseln
und Küsten (Ambrakia, Leukas, Anaktorion, Kephallenia), 500 Aegi-
neten, 3000 Megareer, 600 Platäer und endlich 8000 Athener. Es
waren 38,700 Mann schwerbewaffnetes Fufsvolk und 69,500 Leicht-
bewaffnete, und dazu noch 1800 leichtbewaffnete Männer aus Thespiai.
Ein stattliches Heer, wie Hellas kein zweites wieder zusammengebracht
bat, aber ohne Reiterei, denn alle Reitervölker waren auf persischer
Seite. Darum durfte sich das Heer der Verbündeten nicht in die Ebenen
hegeben; es nahm seine Stellung am Abhänge des Bergzuges, welcher
Kithairon und Parnes verbindet, von Hysiai bis Erythrai, dem Perser-
lager gegenüber, und erwartete hier den Angriff des Feindes43).
Mardonios säumte nicht die Stärke seines Heers in vollem Glänze
zu zeigen. Er liefs seine ganze Reiterei unter ihrem Obersten Makistios
über den Asopos gehen, um die Verbündeten in ihren unteren Stellun-
gen anzugreifen. Die Megareer wurden vorzugsweise bedrängt; sie
hielten ruhig Stand, meldeten aber dem Oberfeld herrn, dass sie abge-
löst werden müssten, wenn sie nicht aufgerieben werden sollten. Pau-
sanias lieJfe umfragen, welches Gontingent den gefahrlichen Posten ein-
nehmen wolle. Alle schwiegen , nur die Athener waren sofort bereit,
freiwillig den Vorkampf zu übernehmen. Olympiodoros führte eine
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SS
DIE VORGEFECHTE AM ASOl'OS.
Schaar von 300 Auserlesenen an den gefährdeten Platz, indem er eine
Schaar Bogenschützen hinzu nahm.
Das Glück war den Tapferen günstig. Denn als die überm Olingen
Reiterschaaren höhnend heraussprengten, wurden sie von so wohlge-
zielten Pfeilen empfangen, dass das goldgeschirrte Ross des Makistios
mit seinem Reiter stürzte; die Leiche blieb nach heftigem Kampfe in
den Händen der Griechen ; von Schrecken ergriffen , flohen die Feinde
in voller Unordnung zurück, und der Kampfesmulh der Hellenen wurde
durch diesen Erfolg nicht wenig gehoben.
Während im Perserlager der gefallene Reiterführer, einer der
Edelsten des Kriegsheeres, unter wilden Ausbrüchen des Schmerzes
beklagt wurde, beschlossen die Verbündeten ihre Stellung zu verändern.
Sie zogen westwärts an Hysiai vorüber in das Stadtgebiet der Pia Laer,
nach der Quelle Gargaphia. Hier hatten sie reichlicheres Wasser; hier
hatten sie an dem festen Plataiai einen passenden Stützpunkt und vor
sich ein breiteres Terrain , in dem sie ihre Fronte gegen Osten auf-
stellten, von der Gargaphia an, wo Pausanias mit dem rechten Flügel
seinen Standort hatte, bis in die Asoposebene hinunter, wo die Athener
lagerten. Dem rechten Flügel standen die Perser entgegen, dem linken
die griechischen Hülfsvölker der Perser, dem Mitteltreffen der pelopon-
nesischen und euböischen Contingente die Meder, Baktrer und
Inder.
Zehn Tage standen sich so die Heere gegenüber. Es wurden von
persischer Seite immer neue Versuche gemacht, einzelne Abtheilungen
der Verbündeten abtrünnig zu machen. Die Freunde des Mardonios
in Theben und unter seinen persischen Ralbgebern vor Allen der weise
Artabazos, des Pharnakes Sohn, waren noch immer der Meinung, man
müsse durch Geldsendungen die einzelnen Gemeinden dahin bringen,
ihre Contingente zurückzuziehen. Man machte kleine Streit'züge, man
schickte Reiterschaaren aus, um unter Führung der Thebaner die
Proviantkolonnen zu überfallen, die vom Peloponnes her über den
Kithairon kamen. Zum Beginne einer Schlacht fehlte der Muth, und
Mardonios selbst forschte ängstlich an jedem Morgen nach dem Be-
scheide der griechischen Zeichenschauer, die in seinem Gefolge waren.
Endlich drängten die Umstände. Das Heer der Verbündeten verstärkte
sich jeden Tag, die Perser fingen an Mangel zu leiden und Mardonios,
von peinlicher Ungeduld erfasst, beschloss, trotz der Gegenrede des
Artabazos, zum entscheidenden Angriffe über den Asopos zu gehen.
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SELB AUFSTELLUNG HEI l'LATAIAI.
89
Alexander von Makedonien setzte in der Nacht vorher die Athener von
dem bevorstehenden Angriffe in Kenntniss.
Diese Nachrieht rief im Griechenheere die grölste Unruhe hervor.
Die Spartaner verlangten, dass die Athener den rechten Flügel ein-
nehmen sollten, weil sie schon früher den Persern gegenüber gestanden
hauen. Die Athener gaben ohne Widerrede nach; als aber die Feinde
eine gleiche Umstellung machten, gingen die Truppen wiederum in ihre
allen Stellungen zurück. Die Perser, durch solche Zeichen der Furcht-
samkeit und Unentschlossenbeit ermuthigt, griffen zuversichtlicher an,
ihnen der ganzen Schlachtreihe grofsen Schaden und verschütteten
selbst die Gargaphia. Pausanias hielt es daher für unmöglich, seine Stel-
lung zu behaupten. Er gab Befehl, mit Einbruch der Nacht noch weiter
westwärts zu gehen und zwischen den kleinen Quellbüclien, welche sich
unterhalb Plataiai zu dem Flüsschen Oeroö vereinigen, den Standort
zu nehmen, wo reichliches Wasser war und der schlüpfrige Boden gegen
die Reiter einigen Schutz versprach. Aber der Befehl wurde nicht be-
folgt. Er fand unter den Spartanern selbst den heftigsten Widerspruch.
AiDompbaretos blieb mit den Pitanaten bei der Gargaphia, während die
Truppen des Bütteltreffens statt eines geordneten Rückzugs an den an-
gewiesenen Platz noch einmal so weit rückwärts flohen und auf diese
Weise ganz aus der Schlachtlinie entwichen. Die Athener aber waren
ruhig auf ihrem Plaue geblieben, um abzuwarten, wie die allgemeine
Verwirrung sich lösen werde.
Unter ungünstigeren Umständen ist also wohl niemals ein Schlacht-
tag aogebrochen. Alle drei Heerhaufen waren ohne Zusammenhang
und zumTheil in sich gespalten. Erst gegen Morgen gelang es Pausanias,
den rechten Flügel wieder zusammenzubringen. Er war noch auf dem
Marsche begriffen , als die Perser heranstürmten. Denn dies war am
ttiile noch eine günstige Folge aller der Unruhe und Unentschlossenbeit
der Verbündeten, dass die Perser, als sie am Morgen des Rückzugs
gewahr wurden, denselben durchaus als Flucht ansaheu und nur rasch
verfolgen zu müssen glaubten, damit die Griechen nicht über das
Gebirge entkämen. Deshalb erfolgte ein unordentlicher Angriff, an
welchem sich nicht die volle Stärke des Heeres betheiligte. Die ganze
Wucht des Angriffs warf sich auf die Spartaner, und diese hatten , da
das Mitteltreffen zurückgewichen war, keinen anderen Zuzug zu erwarten
ak von den Athenern. Die Athener aber, bereit zum Anschlüsse herbei
zu eilen, wurden durch die Böoter und die anderen medisirenden
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<I0
SCHLACHT BEI PLATA1AI (479 ENDE SEPT.).
Griechen (es sollen etwa 50,000 Mann gewesen sein) vom Asopos her
angegriffen und in einen schweren Kampf verwickelt; also mussten die
Spartaner und Tegeaten sich allein helfen. Eine Zeitlang blieben sie
in der Verlheidigung und liefsen sich von den Pfeilen der Perser über-
schütten, welche mit ihren geflochtenen Schilden einen Zaun um sich
gebildet hatten und über denselben wegschössen. So Gelen manche
Tapfere ohne zum Kampfe gekommen zu sein. Endlich wurden die
Zeichen zum Angriffe günstig. Jubelnd vernahmen die erbitterten
Krieger den Befehl, mit gestreckter Lanze vorzugehen; die Schildwehr
wurde niedergeworfen, die Perser stürzten den Speeren entgegen; Mann
gegen Mann fochten sie mit den Griechen in dichtem Handgemenge,
und Ströme von Blut flössen um das Heiligthum der Demeter. Der
lange stehende Kampf wurde endlich durch die schwere Rüstung und
die ruhige Kühnheit der Spartaner entschieden : die Perser wichen, und
als Mardonios selbst, durch einen Steinwurf des Aeimnestos am Kopfe
getroffen, zu Boden sank, da war kein Halt mehr. In verworrener Flucht
drängte sich der Feind die schlüpfrigen Abhänge zum Asopos hinunter,
um so schnell wie möglich das Lagerthor zu gewinnen. Unten standen
Massen von Kriegern, welche gar nicht zum Kampfe gekommen waren.
Hier stand Artabazos, welcher Xerxes an den Hellespont begleitet hatte,
mit 40,000 Mann frischer Truppen. Aber anstatt am Asopos eine neue
Schlacht zu beginnen, trat er, so wie er die Flucht wahrnahm, den
Rückmarsch nach Norden an; er wollte der Nachricht von der
persischen Niederlage und dem Eindrucke derselben voraneilen, um
nicht unter dem Abfalle der griechischen Völker zu leiden.
Als die Spartaner das Lager erreichten, waren die Athener noch
mitten im heifsesten Kampfe. Denn die Böoter fochten unter Führung
der thebanischen Aristokraten, deren ganze Zukunft hier auf dem Spiele
stand, mit verzweifeltem Muthe; es war ein Kampf der heftigsten Partei-
wulh. Endlich gelang es Aristeides die feindlichen Reihen zu werfen,
und vor dem Lagerthore der Perser trafen die beiden tapferen Heer-
flugel zusammen, deren jeder seine eigene Schlacht durchgekämpft
hatte. Die Feigheit des Mitteltreffens wurde dadurch gestraft, dass die
megarischen und phliasischen Truppen, welche erst auf die Kunde des
Sieges wieder zum Vorschein kamen , von den thebanischen Reitern
überfallen und schlimm zugerichtet wurden.
So wie nun die Athener zu den Spartanern stiersen, welche ralh-
los vor den Lagerwällen standen, wurden die Verschanzungen erstiegen,
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VERnA?fnU^GE.1 UNTER DEN VERBÜNDETE*
91
die Thore geöffnet, und eine blutige Niederlage der innerhalb ihrer
Wälle zusammengedrängten Perser beschloß den heifsen Schlachttag44).
Diesmal halten Athen und Sparta sich beide als die Vorkämpfer
tob Hellas bewährt. Die Athener hatten zuerst und zuletzt, im Reiter-
gefechte wie im Festungskampfe, den Ausschlag gegeben; sie waren
stets bereit gewesen, den gefährlichsten Tosten einzunehmen und unter
allen Contingenten hatten sie allein von Anfang bis zu Ende sich
ordentlich gehalten. Die Spartaner dagegen machten auf den Ehren-
preis Anspruch, weil sie dem Kernvolke der Feinde gegenüber den
Sieg gewonnen hätten, und die außerordentlichen Anstrengungen,
welche sie zu diesem Auszuge gemacht hatten, so wie die bewunderungs-
würdigen Leistungen einzelner Spartiaten stimmten das Heer der Ver-
bündeten zu ihren Gunsten. Unter diesen Umständen wurde die Freude
über den grofsen Sieg und das Dankgefühl für die wunderbare Rettung
des Vaterlandes durch den Hader unter den Verbündeten getrübt; die
unheilvollsten Zerwürfnisse drohten auszubrechen, wenn Aristeides sich
nicht wiederum als den guten Genius der Athener und der Hellenen
bewährt hätte; er war es, welcher auch hier den Forderungen einer
uneigennützigen Vaterlandsliebe und einer höheren Sittlichkeit Eingang
zu verschaffen wusste. Ihm verdankte man es, dass seine ehrgeizigen
Amtsgenossen, namentlich Leokrates und Myronides, dem vermittelnden
Vorschlage des KJeokritos aus Korinlh beistimmten, weder Athen noch
Sparta, sondern den Platäern den Ehrenpreis zuzuerkennen. Und
gewiss durfte Niemand diese Anerkennung der kleinen Bürgergemeinde
missgönnen , welche eine so unerschütterte Hingebung an die Sache
der Freiheit bewiesen hatte. Die Plaläer hatten in Marathon mi (ge-
fachten; sie waren, obwohl des Seewesens unkundig, auf attischen
Schiffen bei Artemision gewesen, und jetzt war unter den grufsten
Opfern von ihrer Seite, auf ihrem Boden, unter dem Schutze ihrer
Landesheroen, der letzte Kampf ausgekämpft worden.
So war nach blutiger Feldschlacht der fast schwerere Sieg im
eigenen Lager gewonnen; in gemeinsamem Einverständnisse wurde
die reiche Beute gesammelt und in die den Göttern, den Feldherm und
den Streitern gebührenden Anlheile gesondert. Zum ersten Male ent-
faltete sich hier vor den Augen der Griechen die ganze Pracht des
üppigen Morgenlandes; es war die Ausrüstung eines königlichen Hof-
bits, welche Xerxes seinem Stellvertreter zurückgelassen hatte. Ein
Harem mit Weibern und Eunuchen, Hofküche, Marstall, kostbare Zelte
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02
NATIONALE BESCHLÜSSE
und Gerälhe, Massen von gemünztem Golde, Sklaven und Sklavinnen
fielen den Siegern in die Hände, und wohl konnte Pausanias über die
Thorheit der Menschen lachen, die solche Herrlichkeit geniefsen könnten
und dennoch sich aufmachten, um die kärglich lebenden Hellenen in
ihren Bergkantonen anzugreifen.
Dann folgte die feierliche Bestattung der Gebliebenen und die
Entsühnung des Landes, indem von dem Gemeinherde in Delphi neues,
reines Opferfeuer geholt wurde. Euchidas aus Plataiai war der heilige
Sendbote, welcher in einem Tage nach Delphi hin und zurück lief
und dann, nachdem er das Feuer übergeben, entseelt am Altar nieder-
sank. Im Heiliglhum der Artemis Eukleia wurde ihm ein Heroenmal
errichtet. Wichtiger waren die Einrichtungen von bleibender Bedeutung.
Die Platäer hatten sich den Athenern ganz in die Arme geworfen.
Es wird erzählt, dass sie auf den Vorschlag des Arimnestos beschlossen
hätten, ihr Gebiet Anika einzuverleiben, und zwar aus dem Grunde,
weil Aristeides von Delphi das Orakel erhalten haben sollte, dass den
Athenern nur auf eigenem Gebiete der Sieg gelingen würde. Diese
Selbstvernichtung einer freien hellenischen Stadl und die daraus
folgende Erweiterung des attischen Territoriums mussle aber Anstofs
erregen, und Aristeides konnte nicht wünschen, dass hieran das
Friedenswerk, welchem er sich mit ganzer Hingebung widmete,
scheiterte. Andererseits durfte man die treuen Bundesgenossen den
Angriffen ihrer unversöhnlichen Nachbarn, der Thebaner nicht preis-
geben, es mussle für die dauernde Sicherstellung ihrer Stadt Sorge
getragen werden. Es war daher ein vortreffliches Auskunftsmittel,
dass man einmüthig beschloss, das Weichbild der Stadt, als den
Schauplatz des glorreichen Sieges, für ein heiliges und unverletzliches
Landgebiet zu erklären, dessen Befehdung als ein öffentlicher Friedens-
bruch, dessen Vertheidigung als die religiöse Pflicht aller Hellenen
angesehen werden solle.
Es wurde also dies Gebiet ein neuer Mittelpunkt der Hellenen, zu
dessen gemeinsamen Schutze gegen jeden Angriff alle Bundesstaaten
verpflichtet waren, so dass von einer Beschränkung der Landesver-
teidigung auf die südliche Halbinsel nicht wieder die Rede sein
durfte, und zugleich für die Sicherheit der attischen Landesgränzen
eine neue Bürgschaft gewonnen wurde. Plataiai selbst hehielt seine
volle Selbständigkeit; die Stadt wurde neu aufgebaut, und vor ihrem
Thore ein nationales Heiliglhum Zeus des Befreiers gegründet, an
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NATIONALE BESCHLÜSSE.
93
tiefen Allare alljährlich das Dank- und Siegesfest erneuert werden
sollte, und zwar alle vier Jahre mit besonderen Feierlichkeilen, mit
Wettkämpfen und Preisverteilung. Während sich an diesem Feste
alle Bundesstaaten durch Abgeordnete der Gemeinden und Festge-
^ndtschaften betheiligen sollten, erhielten die Platäer das besondere
Ehrenamt, für die Grabstatten der gefallenen Krieger Sorge zu tragen
und ihre Gedächtnissfeier jährlich mit Opfern und Gebeten zu begehen.
Endlich wurde auch eine neue eidgenössische Wehrverfassung begrün-
det: es wurde beschlossen, dass eine Bundesmacht von 10,000 Mann
Fußvolk, 1000 Reilern und 100 Kriegsschiffen stets bereit sein
tollte, das Vaterland zu vertheidigen. Ohne Zweifel wurden zugleich
über die Verlheilung der Kriegslasten und über die Leitung der
Streitkräfte Bestimmungen getroffen.
Alle diese Einrichtungen, welche die auf dem Isthmos gegründete
Eidgenossenschaft erneuerten, wurden von den versammelten Contin-
genteo als einer hellenischen Nationalversammlung im Namen des gan-
xeo Volks beschlossen, und Aristeides war es, welcher als der Mann des
allgemeinen Vertrauens eine solche Einigung möglich machte ; auf sei-
nen Antrag wurden jene Beschlüsse gefasst, welche dem blutigen Siege
erst die wahre Weihe und Bedeutung gaben.
Die letzte Tbat des versammelten Heeres war der Zug gegen
Theben, um der übernommenen Verpflichtung gemäfs an dem hart-
nackigsten Bundesgenossen des Nationalfeindes die Strafe zu vollziehen.
Elf Tage nach der Schlacht rückte Pausanias vor die Stadt und verlangte
die Auslieferung der Parteihäupter, welche für die Politik Thebens ver-
antwortlich waren. Erst nach zwanzigtägiger Belagerung wurde die
Auslieferung erzwungen. Attaginos war inzwischen entkommen ; Tima-
pnidas aber und die übrigen Führer der Bürgerschaft liefs Pausanias
als Landesverräther hinrichten, nachdem er das Bundesheer entlassen
hatte*»).
Der Sieg von Plataiai war der erste entscheidende Sieg des ganzen
knt^es; denn bei Marathon und Salamis war nur der Muth der Feinde
gebrochen worden, hier war ihre Macht zugleich mit der ihrer Bundes-
genossen vernichtet. Darum ist der Tag von Plataiai der eigentliche
feiumgstag von Hellas; die Gefahr ist vorüber, und damit schliefst
<» Jahrzehen t griechischer Geschichte, welches alle früheren Zeitab-
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91
DIE ÜBERLIEFERUNG.
schnitte derselben an Ereignissen außerordentlicher Art und folgen-
reicher Bedeutung weit übertrifft Das griechische Volk, welches bis
dahin in cantonaler Zurückgezogenheit gelebt hatte, ist plötzlich in
die Welthändel hereingezogen worden.
Diesen Ereignissen ist keine gleichzeitige Geschichtschreibung zur
Seite gegangen. Sie blieben fast ein Menschenalter hindurch münd-
licher Ueberlieferung überlassen; an Kampfplätze, an Weihgeschenke
und Grabmäler knüpften sich Erzählungen an, welche allmählich Volks-
eigenthum wurden, und die Dichter waren geschäftig, nicht nur die
einzelnen Denkmäler mit sinnvollen Aufschriften zu schmücken , son-
dern auch die Thaten der Freiheitskriege zu verherrlichen. Die ver-
schiedenen Stadtgemeinden bewarben sich um die Gedichte eines Si-
monides, um sich dadurch ihren Antheil au jenen Kämpfen bezeugen
zu lassen. An einer reichen Ueberlieferung fehlte es also nicht, als
Herodot, etwa vierzig Jahre nach der Schlacht von Marathon, die Ge-
schichte der Perserkriege aufzuzeichnen begann; aber diese Ueber-
lieferung war weder eine vollständige, noch auch eine durchaus un-
befangene und zuverlässige. Denn bei allen Kriegen, welche in so
aufserordenllicher Weise die gewohnten Zustände eines Landes unter-
brechen und die Theilnahme des ganzen Volks in Anspruch nehmen,
folgt die Sage den Ereignissen auf dem Fufs, und bei einem so phanta-
siereichen Volke, wie die Hellenen waren, können wir am wenigsten
eine Zurückhaltung voraussetzen, welche sich gewissenhaft an das Mafs
des Tatsächlichen hält. Es trat auch nach den Freiheitskriegen
nirgends Ruhe ein, und die forldauernde Aufregung war einer nüchter-
nen Auflassung und Aufzeichnung des Geschehenen keineswegs günstig.
In freudigem Selbstgefühle über die errungenen Siege hielt man sich
nur an das Glänzende uud Grofse, steigerte das Aufserordentliche in's
Wunderbare und veränderte so den Charakter der Geschichte. Die
Poesie that das Ihrige, einzelne Tage und Thaten des Ruhms in das
hellste Licht zu stellen und durch die Erinnerung daran die Gemüther
zu erheben.
Aus einer solchen Ueberlieferung schöpfte Herodot, auf desseii
Darstellung unsere Kunde von den Perserkriegen hauptsächlich be-
ruht. Wir werden ihm daher in solchen Punkleu am wenigsten
unbedingt glauben können, wo eine sichere Berichterstattung ohne
schriftliche Aufzeichnung unmöglich ist, uud wo zugleich eine grofse
Versuchung zur Entstellung der Wahrheit vorhanden war. Das war
aber besonders bei der Schätzung der feindlichen Ueeresmacht der
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VON DEN FREIHEITSKRIEGEN.
95
Fall. Hierüber waren die Griechen von Anfang an im Unklaren,
und da mit jeder Vergrößerung der feindlichen Uebermacht der
eigene Ruhm stieg, so wuchsen die Zahlen im Munde des Volks.
Dem Geschichtschreiber standen aber keine genauen Nachrichten
aus dem feindlichen Heerlager zu Gebote, um darnach die lieber-
treibungen seiner Landsleute zu berichtigen. Zu seiner Zeit war
die volkstümliche Ueberlieferung mit der Geschichte der Freiheits-
kriege schon dergestalt verwachsen, dass eine genaue Scheidung von
Wahrheit und Dichtung unmöglich war. Dazu kam seine eigene poe-
tische Natur, welche die bedeutungsvollen Zuge der Ueberlieferung
ungern beseitigte, so nahm er z. B. gläubig als Thatsache hin, dass
sieh um dieselbe Zeit, da Xerxes über den Hellespont zog, die Sonne
verfinstert habe, weil dies Zusammentreffen natürlicher und geschicht-
licher Ereignisse seiner poetischen Weltauffassung zusagte, während
nach genauer Berechnung die Finsterniss zwei Jahre später ein-
getreten ist46).
Was dagegen seine Darstellung der geschichtlichen Vorgänge
selbst betrifft, so ist das Vertrauen zu ihr nur gestiegen, je um-
fassender und gründlicher man die Geschichte des Alterthums zu
erforschen gesucht hat Denn wenn auch Herodot für das Wunder-
bare in der Eni Wickelung der menschlichen Schicksale eine gröfsere
Vorliebe zeigt, als einer unbefangenen Geschichtsforschung zuträglich
Ut, so bleibt dennoch unbestechliche Wahrheitsliebe und rastloser
Fleifs in Aufspürung des Thatbestandes der Grundzug seines Cha-
rakters. Obgleich sein Werk früh eine grofse Oeffentlichkeit erlangte
und schon in alter Zeit vielerlei Angriffe zu erfahren hat, so haben
ihm doch keine wesentlichen Irrthümer oder Entstellungen der
Wahrheit nachgewiesen werden können. Das Werk selbst aber trägt,
von den leicht erkennbaren Schwächen, welche Herodot als
Geschichtsforscher hat, abgesehen, das unverkennbare Gepräge voller
Zuverlässigkeit in sich; und die einzelnen Thatsachen treten uns in
einem so ungesuchten Zusammenhange entgegen, dass wir Herodot
als einen vollgültigen Gewährsmann anerkennen dürfen, wenn es uns
auch nicht vergönnt ist, seine Darstellung der Perserkriege an dem
Berichte anderer Zeitgenossen zu prüfen.
Herodo ts Geschichte ist keine ruhmrednerische; er ist weit
entfernt, die Zeit der Perserkriege nur als eine Zeit des Glanzes
and Glücks darzustellen. Vielmehr betrachtet er das Erdbeben,
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9f>
RÜCKBLICK AUF IUE
welches unmittelbar vor der Schlacht bei Maralhon die Insel Delos
erschütterte, als eine Kundgebung der Götter, dass nun eine Zeit
beginne, welche in wenig Menschenaltern mehr Noth und Unheil
über Hellas bringe, als in zwanzig Generationen vorher erfolgt sei.
Auch ist Herodot weder gegen die anerkennungswerthen Seiten der
Feinde blind, noch gegen die Schwächen seiner Landsleute. Freilich
glüht er für hellenische Sitte, wo sie in voller Reinheit hervortritt,
für hellenische Freiheits- und Vaterlandsliebe; den Abstand zwischen
Griechen und Barbaren empfindet er in seiner vollen Gröfse; ja, er
traut den Letzteren Handlungen zu, welche ihrer Unvernunft wegen
ganz unglaublich erscheinen. Aber wie deutlich geht doch aus
seinem Werke selbst hervor, dass der Ruhm der Hellenen nichts
weniger als ein ungetrübter war! Bestechung hielt die Flotte bei
Artemision zusammen; gezwungen hielten die Schiffe vor Salamis
Stand, und bei Plataiai war es nur eine Kette zufälliger Umstände,
wodurch dem in sich aufgelösten Heere am Ende doch noch ein
entscheidender Sieg zu Theil wurde. Piaton konnte also mit vollem
Rechte sagen, dass in jenen gefeierten Kriegen Vieles vorgekommen
sei, was den Griechen sehr wenig Ehre mache. Am wenigsten dürfe
man von einem nationalen Erfolge der Hellenen reden; denn nur
die Vereinigung der beiden Grofsstaaten habe zuletzt die drohende
Knechtschaft von Hellas abgewendet47).
So müssen allerdings, wie die Griechen selbst erkannten, die
Perserkriege bei näherer und unbefangener Betrachtung viel von
ihrer Glorie einbüfsen. Aber der vollständige Sieg bleibt doch als
unzweifelhafte Thatsache stehen und muss uns um so mehr über-
raschen, je weniger wir uns über den Mangel an Einigkeil, an
Klugheit und Entschlossenheit auf Seiten der Griechen täuschen.
Die Perser hatten ja Alles, was ihnen den Sieg verbürgen konnte,
eine mafslose Uebermacht, unerschöpfliche Geldmittel, die tapfersten
Truppen, welche mit völliger Hingebung ihrem Heerkönige dienten.
Auch Klugheit und Sacbkenntniss standen ihnen zu Gebote, wie sie
im Griechenlager selbst nicht besser zu finden waren. Wenn die
Rathschläge der Artemisia oder des Demaralos, der eine Landung
in Kylhera empfahl, oder die dem Mardonios ertheilten Rathschläge
der Thebaner, dass er durch Bestechung der Parteiführer die ver-
bündeten Griechen trennen möge, angenommen und befolgt worden
wären, so waren die Griechen unrettbar verloren. Aber die Perser
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GESCHICHTE DER FREIHEITSKRIEGE
97
und wie mit Blindheit geschlagen; sie wissen ihre Starke so wenig zu
benutzen, wie die Schwäche ihrer Gegner, welche, wie es bei einer
Gruppe kleiner Republiken nicht anders sein kann, vorzugsweise in
dem Mangel an Ausdauer lag. Anstatt die Ermattung der Feinde von
ihren unverhältnissmäfsigen Anstrengungen ruhig abzuwarten oder sie
durch Angriffe auf verschiedenen Punkten zur Theilung ihrer Kräfte
za zwingen, lassen die Perser den ganzen Erfolg des Krieges von
einzelnen Schlachtlagen abhängen, in denen der Muth des Augen-
blicks und kluge Benutzung der Terrainverhältnisse «die Entscheidung
brachte.
Im Kampfe selbst aber war es nicht die Tapferkeit, welche
ober die Feigheit siegte, sondern vielmehr die Gewandtheit geübter
Truppen, welche unbeholfenen Massen gegenüber standen, die eherne
Rüstung und der lange Speer, welche vor den unzureichenden Schütz-
ing Angriffswaffen der Asiaten im Vortheile waren. Endlich waren
es zwei Umstände, welche den Persern unter Xerxes und Mardonios
20 grobem Nachtheile gereichten: erstens, dass sie sich von ihrem
Fanatismus fortreifsen liefsen und durch Zerstörung der griechischen
Heiligtbümer die Erbitterung des Volks auf das Aeufserste entfachten;
sie machten den Kampf gegen das Volk zu einem Kampfe gegen seine
Götter und erhöhten dadurch den Muth der Griechen , welche nun des
(Standes ihrer Götter und der Gerechtigkeit ihrer Sache um so ge-
wisser waren. Dann aber wurde in den letzten Kämpfen der Erfolg
4er persischen Waffen dadurch gelähmt, dass die Perser selbst das
Vertrauen verloren hatten und in dumpfer Niedergeschlagenheit ihrem
Verhängnisse entgegen gingen. Von einem glaubwürdigen Zeugen liefe
Berodot sich erzählen, er habe beim Gastmahle des Attaginos (S. 87)
einen Perser zum Tischgenossen gehabt, welcher ihm unter vielen
Thranen mitgetheilt habe, dass er den unvermeidlichen Untergang der
Semigen bis auf einen geringen Ueberrest deutlich vor Augen sehe.
Ebenso dächten viele seiner Landsleute , die gezwungen ihrem Fürsten
W?ten, und das sei das schmerzlichste Menschenloos , wenn man die
neblige Einsicht habe und doch nicht zu helfen vermöge. Die Führer
sowohl wie die Truppen mussten die Ueberlegenheit der hellenischen
Kriegskunst anerkennen , so dass sie nicht mehr mit der alten Sieges-
gewissheit kämpfen konnten.
Der Sieg der Griechen über die Perser war zugleich ein Sieg der
Verfassungsstaaten über den Despotismus. Die Tapferkeit und Tugend,
Ccrti«, Gr. Ge«ch. II. 6. AtiS. 7
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FOLGEN UEIt
wie sie sich nur in griechischen Bürgerstaaten entwickeln konnte,
hatte sich auf den Schlachtfeldern bewährt. Die Heerschaaren, welche
nur als Völker eines Reichs zusammengehörten , waren den durch ge-
meinsames Gesetz zusammengehaltenen Bürgerheeren erlegen, und auf
der Seite, wo kein Herr vorhanden war, welcher über Leben und Tod
unbedingt zu gebieten halte, war mehr Unterordnung unter die höhere
Autorität, mehr Zucht und Thatkraft, als bei den despotisch regierten
Barbaren.
Aber nicht alle Verfassungen bewährten sich in gleicher Weise,
sondem nur die eigentlichen Bürgerstaaten. Für die Oligarchien, welche
sich der nationalen Bewegung verschlossen hatten, wurde der Sieg der
Griechen zu einer Niederlage und tiefen Demüthigung. Aber auch
Sparta hatte sich nicht so bewährt, wie man es von dem kriegstüch-
tigsten Staate Griechenlands erwartet hatte. Es war immer zurück-
geblieben; unzuverlässig, selbstsüchtig, unpatriotisch, selbst gegen die
bessere Stimmung seiner peloponnesi sehen Bundesgenossen, wie sie
sich in Cheileos aussprach. Die Spartaner waren im Stande gewesen,
ihrer kurzsichtigen und unredlichen Isthmospolitik den eigenen König
aufzuopfern, und was sie endlich veranlasste, über die Isthmospässe
hinauszugehen, war kein reiner Patriotismus, sondern vielmehr die
noch immer nicht beseitigte Furcht vor einem Anschlüsse der Athener
an Persien. Bei den Athenern aber, die von Anfang an die Einzigen
gewesen waren, welche ein grofses Ziel unverrückt im Auge hielten,
hatte sich die Verfassung im vollen Mafse als eine siegreiche Macht
bewährt. Dadurch war sie in Athen selbst neu gekräftigt, und der Sieg
über die Perser war zugleich ein Sieg der Demokratie über die Aristo-
kratie, ein Sieg Athens über Sparta. Auch die grundsätzlichen Gegner
der Volksherrschaft mussten das demokratische Athen in seiner
Gröfse anerkennen; auch Pindar konnte nun nicht anders; er musste
der Wahrheit die Ehre geben, er musste Athen die Säule von Hellas
nennen und von den Seegefechten bei Artemision aussagen, dass
dort die Söhne der Athener den glänzenden Grundstein der Freiheit
gelegt hätten48).
Durch die Niederlage der Perser ist Griechenland und seine
ganze O.ultur gerettet worden. Denn es handelte sich hier nicht
um einen mehr oder minder rühmlichen Ausgang des Kampfes, um
eine höhere oder niedrigere Machtstellung der mit einander kämpfen-
den Staaten ; sondern um Vernichtung oder Fortbestehen des griechi-
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UlLIUElTsKIUEGE
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sehen Wesens. Denn mit einer blöken Anerkennung ihrer Ober-
herrlichkeit würden sich die Perser nicht begnügt haben, wie die
Zerstörung der Heiiigthümer beweist, und wenn auch griechische
Gemeinden fortbestanden hätten, so würden Perserfreunde als Ty-
rannen sie beherrscht und jede Freiheit des geistigen Lebens ver-
kümmert haben. Ohne diese Freiheit ist aber kein 'griechischer
Staat, keine griechische Religion, keine griechische Kunst und Wissen-
schaft, also überhaupt kein Griechenthum denkbar. Die Feldzüge
der Perser haben also am Ende das Gegentheil von dem hervor-
gebracht, was sie beabsichtigten. Stolzer als je zuvor, fühlten die
Griechen den Gegensatz zwischen sich und den Barbaren-, die Idee
eines gemeinsamen Vaterlandes war von Neuem geweckt, und statt
gezüchtigt und gedemüthigt zu sein, ist Hellas niemals stärker,
einiger und siegbewusster gewesen, als auf dem Schlachtfelde von
Plntaiai.
7*
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II.
DIE WACHSENDE MACHT ATHENS.
Während der wechselvollen Kriegsereignisse in Attika und Böotien,
welche mit der Schlacht bei Plataiai abschlössen, war schon längst
ein anderer Kampfplatz zwischen Hellenen und Persern eröffnet
worden. Denn Themistokles hatte gleich nach der Flucht des Xerxes
die attischen Schiffe in den Archipelagus geführt; er brannte vor
Ungeduld, die Macht, die er geschaffen hatte, sich entfalten zu sehen;
nicht blofs ein Schild sollte die Flotte sein, sondern auch eine scharfe
Waffe zur Züchtigung und zur Unterwerfung. Darum war er un-
verzüglich und zwar auf eigene Gefahr, ohne Mitwissen der anderen
Feldherrn, daran gegangen, die kleinen Seestaaten zur Verantwortung
zu ziehen, welche den Persern Zuzug geleistet hatten.
Mit herrischem Stolze trat er den Insulanern entgegen und
forderte Strafgelder ein. Sie sollten nicht säumen, denn er habe
zwei mächtige Gottheiten an Bord , die Ueberredung und den Zwang ;
wer der einen nicht folgen wolle, müsse der anderen gehorchen.
Andros wagte zu trotzen und wurde belagert, während Paros,
Karystos und andere Inselstädte die verlangten Bufsgelder ohne Weige-
rung zahlten, um dem Schicksale der Andrier zu entgehen. Schrecken
verbreitete sich in der Inselwelt, für die der Tag von Salamis der
Anfang einer neuen Bedrängniss wurde; Themistokles aber kehrte, als
der glücklichere Nachfolger des Miltiades, mit reichen Geldladungen
nach Athen heim. Die Bürger fühlten, was sie an Macht gewonnen
hatten; sie fühlten sich grofs und mächtig, obwohl ihre Häuser, Höfe
und Mauern in Schutt lagen, obwohl sie den Boden unter ihren Füfsen
nicht ihr eigen nennen konnten. Statt ängstlich und kleinmüthig ihre
Kräfte zusammen zu halten , beschlossen sie, was auch kommen möge,
im nächsten Jahre ihre Flotte wieder auszusenden.
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SA MOS ÜPID MYKALE (7*. S; «7»).
101
Die anderen Staaten wollten Athen nicht allein voran lassen. Mit
Aubruch des Frühjahrs, da Mardonios noch in Thessalien stand, sam-
melte sich bei Aigina eine Flotte von„110 Schiffen unter Leotychides
und Xanthippos. Kaum waren sie vereinigt, da kamen schon Boten
vom jenseitigen Gestade und meldeten, dass die Perserflotte, 300 Segel
>tark. bei Samos läge, um Ionien in Obacht zu halten; zu gleichem
Zwecke sammele sich ein Landheer bei Mykale, und Xerxes selbst
stehe in Sardes, um den Ausgang der griechischen Angelegenheiten
abzuwarten. Aber trotzdem sei Alles in Gährung, in Chios sei die
Erhebung schon zu Stande gekommen. Die Flotte solle sich nur im
ionischen Meere zeigen, und die jenseitigen Städte würden sich offen
den Griechen anschließen.
Die Flotte ging bis Delos vor. Hier kamen neue Botschaften.
Aus Samos selbst, dem Hauptquartiere der feindlichen Macht, er-
schienen Abgeordnete, welche die Feldherrn beschworen, ihre Insel aus
der Herrschaft der Barbaren und des von ihnen eingesetzten Tyrannen
zu befreien. Die Athener zogen die schwerfälligen Peloponnesier mit
sich fort. Samos wurde in die hellenische Bundesgenossenschaft auf-
genommen Angesichts der Perserflotte, welche hier von Neuem den
Griechen gegenüber lag. Sie wagte keinen Widerstand, sondern zog
sieb trotz einer dreifachen Ueberzahl an Schiffen nach dem Vor-
gebirge Mykale zurück, in den Schutz des Landheers; die Schiffe
wurden an das Ufer gezogen und mit starken Verschanzungen um-
geben. Man glaubte vollkommen sicher zu sein und von hier aus
leicht wieder gewinnen zu können, was man für den Augenblick
aufgegeben hatte.
Aber die Griechen waren nicht gesonnen , ihr Werk unvollendet
ra lassen. Leotychides, der sich einmal den Antrieben ionischer
Lebendigkeit und Tbatkraft hingegeben hatte, entschloss sich den
Feinden zu folgen.
Voll Erstaunen sahen die auf Mykale verschanzten Perser, wie
die Griechen landeten, die Truppen sich ausschifften und allem Pfeil-
reaien zum Trotze gegen das feste Schiffslager vorrückten. Die Athener
mit den Korinthern, Sikyoniern und Trözeniern kamen, weil sie kür-
zeren Zugang hatten, am ehesten zum Handgemenge. Sie trieben
die Perser zurück und drangen mit ihnen in das Lager ein. Der Abfall
der griechischen Hulfsvölker, namentlich der Milesier, welche den Rück-
iog in das Gebirge decken sollten und statt dessen die zurückweichen-
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YEIUIANDLOCE* ÖER IONIEN.
den Landtruppen irre leiteten , trug dazu bei , dass die Niederlage der
Perser vollständig wurde, obgleich sie mit ausgezeichneter Tapferkeit
fochten und alle Vortheile der Ue hermacht wie des Terrains auf ihrer
Seile hatten. Die beiden Führer, Tigranes und Mardontes, blieben im
Kampfe. Was vom Heere übrig war, rettete sich in elendem Zustande
nach Sardes, wo Xerxes Hof hielt und die verheifsenen Siegesbot-
schaften des Mardonios erwartete. Während er sich im Besitze von
Griechenland wähnte, sah er sich im eigenen Lande angegriffen und
besiegt; seine Macht war so vollständig gebrochen, dass er aufser
Stande war, den offenen Abfall des nahen Küstenlandes zu verhindern.
Nach der Sage der Griechen wurde der kühne und glänzende Sieg bei
Mykale am Abend desselben Tages gewonnen, da ihre Brüder bei
Plataiai kämpften; ja es sollte auf wunderbare Weise ein Gerücht von
dem gleichzeitigen Siege sich .im Heere verbreitet und dasselbe im
heifsen Kampfe ermuthigt haben.
Die Erfolge, welehe die Hellenen gewonnen, kamen ihnen so
unerwartet, dass sie ganz unvorbereitet waren und deshalb über ihre
eigenen Siege in Verlegenheit geriethen.
Was sollte man mit Ionien machen , das nun zum zweiten Male
von den Persern abgefallen war, mit Betheiligung der Aeolier, wenig-
stens der Insel Lesbos? Sollte man alles Land in die hellenische
Eidgenossenschaft aufnehmen? Das wäre doch, meinten die Pelopon-
nesier, eine allzu grofse Verantwortlichkeit; dann müsse ja immer eine
Griechen flotte auf der Wache sein, um alle die zahllosen Küstenpunkte
zu schützen, sobald die Perser mit erstarkten Kräften wieder aus dem
Binnenlande vordringen würden. Man solle lieber das Land preis-
geben und die Bewohner an anderen Orten ansiedeln, und zwar auf
Kosten der medisch Gesinnten also der Argiver, Böoter, Lokrer und
Thessalier. So liefse sich ein festes, in sich geschlossenes und starkes
Hellas bilden.
Die Athener traten für die Städte auf; sie bestritten den Pe-
loponnesiern das Recht, über attische Pflanzorte (denn als solche
sah man jetzt alle ionischen Städte an) mit zu sprechen und wider-
setzten sich mit Entschiedenheit solchen Mafsregeln, durch welche
den Persem die besten Angriflsplätze gegen Hellas in die Hände
gegeben würden. Ionien müsse vielmehr ein Bollwerk gegen die
Barbaren sein; hier müsse man Herr sein, um des Meeres und der
eigenen Küsten sicher zu sein. Den Athenern kam die Stimmung
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WINTER FELDZUG. FALL VON SESTOS (TS, 2; 478). 103
der lonier zu Hülfe, welche natürlich von einer gewaltsamen Ver-
pflanzung nichts wissen wollten. So wurden denn zunächst Samos,
Lesbos, Chios und eine Reihe anderer Inselstädte in die Bundes-
senossenschaft aufgenommen, und nachdem die Hellenen so eben
noch ihre eigenen Städte aufgegeben und unter den gröfsten Ge-
fahren um den Boden der engsten Heimath gestritten hatten, war
jetzt ein ansehnlicher Theil persischer Unterlhanen zu ihnen abgefallen;
es bildete sich ein neues Hellas, ein griechisches Reich, welches die
leiden Seilen des Meeres umspannte.
Die Vorsicht verlangte, dass man sich vor Allem gegen neue
Heereszüge von Asien nach Europa sichere; denn man glaubte nicht
inders, als dass die Hellespon tosbrücke noch bestehe oder wieder her-
gestellt sei. Als man diese zerstört fand, drangen die Peloponnesier
darauf den Feldzug zu beschliefsen , dessen unerwarteter Erfolg sie
schon viel weiter fortgezogen hatte, als ihre Absicht gewesen war.
Die Athener aber erklärten sich entschlossen, der vorgerückten
Jahreszeit ungeachtet zu bleiben und das Begonnene nicht unvollendet
lassen zu wollen. Sestos, der feste Waffenplatz am Hellespont,
dürfe nicht in Händen der Feinde bleiben, und zwar müsse man
unverzüglich den Angriff wagen, ehe die Stadt sich auf eine Belagerung
eingerichtet habe. Sie liefsen die Peloponnesier heimfahren und
verbanden sich unter Xanthippos' Führung zu dem neuen Unter-
nehmen mit den Schiffen der lonier und Hellespon tier.
Sie fanden kräftigeren Widerstand, als sie erwartet hatten.
Artayktes, der Vogt des Chersonnes, safs in Sestos mit allen
Schätzen, die er angehäuft hatte, und rüstete sich zu verzweifelter
Abwehr, indem er hoffte, dass persische Truppen zum Entsatz der
wichtigen Festung nicht ausbleiben würden. Der Winter kam, und
die Athener fingen schon an, der ungewohnten Anstrengungen über-
drüssig zu werden. Aber die Feldheim wussten die Stimmung auf-
recht zu erhalten, und ihre Verheifsungen erfüllten sich bald. Die
Perser wurden durch Hunger gezwungen die Stadt zu verlassen und
Artavktes fiel in die Hände der Griechen, welche an ihm, als einem
Schänder griechischer Heiligthümer, ein strenges Strafgericht voll-
zogen. Es war ein glänzender Erfolg; der Chersonnes war frei und
reiche Siegesbeute, darunter auch die in Aegypten geflochtenen
Htuckenseile wurden im Triumphe heimgeführt. Die Hauptsache
aber war, dass die Athener allein im Felde geblieben waren, dass
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NEUliAU VON ATHEN (7*. 3; 473).
sie mit den Ioniern sich als eine Seemacht verbrüdert und dass
sie nach solchen Erfolgen einen Siegesmuth gewonnen hatten, dem
nichts mehr zu weit und zu schwierig erschien. Sie sahen in ihrer
Stadt schon den Mittelpunkt der griechischen Küstenländer49).
Aber wie sah es in diesem Athen aus! Ein Paar Stücke der
alten Ringmauer, einige vereinzelte Häuser, wo die persischen Heer-
führer Quartier gemacht hatten, standen noch; sonst war Alles Schutt
und Ruine. Nach der Schlacht von Plataiai waren die Einwohner
aus Salamis, Troizen, Aigina zurückgekehrt; sie hatten nicht einmal
die Flottenmannschaft zur Unterstützung bei der mühevollen Arbeit,
mit welcher die Heimkehr und neue Einrichtung verbunden war.
In einem Lande wie Attika beruhte aller Wohlstand auf ununter-
brochenem, sorgsamem Anbau. Die Grundstücke waren durch die
Verwüstung zum grofsen Theil entwerthet. Man suchte sich zu
helfen, um nothdürftig durch den Winter zu kommen.
Mit Anbruch des Frühjahrs konnte der Neubau begonnen werden.
Alles rührte sich in frohem Wetteifer. Geld und Sklaven waren in
Fülle vorhanden, Material wurde von allen Seiten herbeigeschafft. Man
begreift, wie die Bürger nach der peinlichen Unruhe der Heiraa th-
losigkeit und allem Elend der letzten Jahre darnach verlangen mussten,
endlich wieder in eigener Stadt, an eigenem Herde leben zu können!
Aber auch jetzt dachte man nicht an die Behaglichkeit häuslicher
Einrichtung, sondern vor Allem an die Stadt im Ganzen und ihre
Sicherheit.
Themistokles , der Gründer der Hafenstadt, war in dieser An-
gelegenheit mit Recht der Mann des öffentlichen Vertrauens. Die
Bürger Athens nach dem Peiraieus zu verpflanzen, wie er am liebsten
gethan hätte, war schon aus religiösen Gründen unthunlich. Auch
konnte man im Drange der Umstände nicht daran denken, die Stadt
nach einem neuen und regelmässigen Plane einzurichten; aber man
beschloss, den Umkreis derselben über den alten Mauerring, welcher
aus der Zeit der Pisistratiden oder des Kleisthenes herrührte, nach
allen Seiten auszudehnen, um für den Fall einer neuen Belagerung
dem Landvolke innerhalb der eigenen Stadt eine Zuflucht gewähren
zu können. Die Stadtmauer wurde gegen Norden in die Ebene
vorgeschoben, im Osten der Tempelbezirk des olympischen Zeus
vielleicht erst jetzt in die Stadt hereingezogen; gegen Südwesten
aber wurden auf den Felskämmen, welche sich in dieser Richtung
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▼EBHINDEHONG DES MAI' EUBA LS.
105
langhin erstrecken und seit alten Zeiten dicht bewohnt waren, die
Mauerlinien ausgelegt, welche ein grofses, nach der Seeseite spitz
zulaufendes Vorwerk bilden sollten. Mit hoher Geisteskraft wirkte
Themistokles dahin, dass trotz des augenblicklichen Nothstandes und
trotz der drängenden Eile nicht blofe für das Bedürfniss der Gegen-
wart gesorgt werde, sondern gleich ein wesentlich gröberes und
festeres Athen aus den Trümmern erstehe, damit die Stadt selbst
und zugleich die Landschaft in Stand gesetzt werde, künftigen
Kriegsgefahren in voller Selbständigkeit und Widerstandskraft ent-
gegen zu treten*0).
Aber nicht einmal dies wollte man den Athenern zugestehen,
dass sie nach eigenem Ermessen ihre Befestigungen aufrührten. Ihre
großartigen Unternehmungen erweckten wieder den alten Neid und
die hämische Missgunst Namentlich waren es die benachbarten See-
staaten, welche in so kurzer Zeit überflügelt worden waren und darum
mit wahrer Angst die Macht der Athener im Norden und im Osten des
Ärehipelagus sich festsetzen sahen. Wie sollte ihrer weiteren Aus-
dehnung gesteuert werden!
Darum beeilten sich die peloponnesischen Staaten, vor allen
andern Aigina und Korinth, Sparta auf die Lage der Dinge aufmerk-
sam zu machen. Die Spartaner sollten sich durch die bisherige
Nachgiebigkeit Athens nicht täuschen lassen; es habe nur, so lange es
der eigene Vortbeil erheische, die vorörtliche Stellung Spartas aner-
kannt. Bald werde es Allen über den Kopf wachsen ; es werde dann
jeden Schein von Unterordnung aufgeben und die hellenische Bundes-
verfassung sprengen. Jetzt sei Athen noch wehrlos und aufser Sunde,
die Forderungen Spartas zurückzuweisen; so wie es aber seine Mauer-
werke vollendet habe, sei es jedem Einflüsse Spartas für immer
entzogen. Also jetzt müsse man handeln ; jetzt habe man noch die
Zukunft Griechenlands in Händen.
Die Feinde Athens hatten von ihrem Standpunkte vollkommen
Recht, und da Sparta dem Geiste seiner Gesetze gemäfs überall nichts
von Stadtmauern wissen wollte und sich darüber nicht täuschte, dass
eine wohl ummauerte Stadt der peloponnesischen Kriegskunst unbe-
zuinglicb sei, so wurde in der That beschlossen, den attischen
Maoerbau um jeden Preis zu hindern. Da man aber mit den wirk-
lichen Beweggründen nicht gut vor die Oeftentlichkeit treten konnte,
«o machten die Peloponnesier — natürlich im wohlverstandenen
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THEMISTOKLES IN SPARTA (70, 3; 478).
Interesse des Vaterlandes — die Ansicht geltend, dass ihre Halbinsel
allein zu erfolgreicher Verteidigung sich eigne und dass man, auf die
Erfahrungen der letzten Feldzüge gestützt, darnach ein bestimmtes
Vertheidigungssystem ein für allemal feststellen und beschliefsen
müsse. Man habe sich überzeugt, dass Mittelgriechenland nicht zu
halten gewesen wäre; jeder feste Platz nördlich vom Isthmos würde
bei neuen Kriegsgefahren nur ein gefahrlicher Stützpunkt der feind-
lichen Macht sein, wie man es in Theben erlebt habe. Man schämte
sich nicht, in vollem Widerspruche mit dem platäischen Beschlüsse
diese feige Gesinnung offen auszusprechen, ja die Athener selbst
aufzufordern, an der Schleifung aller Festungswerke im mittleren
Griechenland An th eil zu nehmen. Sparta liefs sich beauftragen, für
Ausführung des Beschlusses zu sorgen und zunächst mit ganzem
Ernste die Einstellung des Mauerbaus zu verlangen.
Athens Feinde hatten einen günstigen Zeitpunkt gewählt. Man
hatte keine Mittel des Widerstandes, wenn ein peloponnesisches
Heer einrücken sollte, um den Majoritätsbeschluss des Bundesraths
durchzusetzen; denn auf ein Treffen im offenen Felde mit der spar-
tanischen Landmacht durfte man es nicht ankommen lassen. Und
so war die Stadt Athen, welche das Aeufserste im Dulden und Handeln
für das gemeinsame Vaterland geleistet hatte, jetzt durch den tückischen
Anschlag ihrer neidischen Nachbarn in die gröfste Bedrängnis* ver-
setzt; sie war in Gefahr, ihre ganze Selbständigkeit einzubüfsen.
Hier konnte nichts helfen als List. Als die Spartaner mit ihrer
herrischen Forderung in Athen auftraten, liefs Themistokles die
Bauten sofort einstellen und versprach mit scheinbarer Nachgiebigkeit
nach Sparta zu kommen, um persönlich das Weitere zu verhandeln.
Wie er dort anlangte, liefs er einen Tag nach dem andern
hingehen, indem er auf seine Mitgesandten zu warten vorgab, wäh-
rend in Athen nach seiner Anweisung Alles, was Hände hatte,
Stadt- und Landvolk, Männer und Frauen, Kinder und Sklaven, un-
ablässig an der Ringmauer arbeitete und dazu fertiges Material jeg-
licher Art benutzte. Selbst die marmornen Grabsteine wurden nicht
verschont, sondern in die Fundamente eingemauert.
So wie nun die Mauer eine solche Höbe gewonnen hatte, dass sie
im Nothfalle verlheidigt werden konnte, reisten die anderen Gesandten
nach Sparta ab. Auch jetzt noch stellte Themistokles mit kecker Stirn
den ganzen Mauerbau in Abrede , und als darüber viel hin und her ge-
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YEKDIE.NST I»ES THEMISTOKLES.
107
hadert wurde und entgegengesetzte Meldungen eingingen, forderte er
endlich die Spartaner auf, zuverlässige Männer nach Athen zuschicken,
um nicht nach den Aussagen ton Reisenden zu urtheilen, sondern sich
amtlich vom Stande der Dinge zu überzeugen. Er sei bereit, mit seinen
Amtsgenossen als Bürge für die Wahrheit seiner Aussage in Sparta zu-
rückzubleiben.
So geschah es. Die spartanischen Gesandten aber wurden , wie
sie in Athen ankamen, verabredeter Mafsen zurückbehalten, um als
Sicherheit für Themistokles zu dienen. Denn so wie dieser von der
gelungenen Ausfuhrung seiner Anschläge Kunde hatte, warf er die
Maske ab und erklärte frei heraus, die Athener hätten in gröfster Nolh,
tod Allen verlassen, zweimal Stadt und Land aufgegeben; so hätten sie
auch jetzt auf eigenen Bescbluss ihre Stadt ummauert, und das werde
für sie wie für ganz Griechenland das Beste sein, denn der hellenische
Staatenbund beruhe auf dem Grundsatze gleicher Selbständigkeit aller
semer Mitglieder.
Die Feinde Athens sahen ihren Anschlag vereitelt und mussten
gute Miene machen, so bitter sie auch die Täuschung empfanden. Man
tbat nun, als wenn man nur einen guten Rath hätte ertheiien wollen,
und am Ende blieb nichts Anderes übrig, als dass die beiderseitigen
Gesandtschaften ruhig nach Hause zurückkehrten.
Diese ziemlich grob angelegte List hätte unmöglich gelingen
können , wenn nicht die Behörden Spartas Themistokles günstig ge-
wesen wären ; sie hatten dem Drängen der Bundesgenossen nachge-
geben, ohne mit der Ausführung Ernst zu machen. Themistokles
moss noch von seiner letzten Anwesenheit in Sparta her einen be-
deutenden Anhang daselbst gehabt haben. Welche Mittel er aber auch
ffirdas Gelingen seines Anschlags angewendet haben mag, sie waren
durch die Noth der Verhältnisse und die Unredlichkeit der Gegner
gerechtfertigt, so dass auch Aristeides kein Bedenken trug, sich an
der Gesandtschaft zu betheiligen. Durch den glücklichen Erfolg der-
selben wurde Themistokles der neue Gründer seiner Vaterstadt, der
Hersteller ihrer Unabhängigkeit. Ihre Zukunft war {gesichert, und
fortan ging es auf gebahntem Wege vorwärts, sowohl was die in-
nere Einrichtung der Stadt betrifft, als auch ihre äufsere Macht-
entwickelung.
Zwei Jahre nach der platäischen Schlacht waren die Ober- und
die Unterstadt ummauert. Denn auch der durch die Kriegszeiten unter-
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PEIRAIEUS.
brochene Bau der Peiraieusmauern war von Neuem in Angriff ge-
nommen; die Steinbruche der Halbinsel lieferten reichliches Material,
und während die Stadtmauern die deutlichen Spuren des übereilten
Aufbaues trugen , wurden die Hafenbauten mit gröfserer Sorgfalt und
mit rücksichtslosem Aufwände ausgeführt.
Anderthalb deutsche Meilen lang zogen sich die Mauern um die
ganze Halbinsel herum, indem sie dem ausgeschweiften Felsrande der-
selben folgten und die drei Hafenbuchten einschlössen. An den Mün-
dungen der Häfen erhoben sich je zwei Thürme einander gegenüber
und zwar so nahe, dass sie durch Ketten mit einander verbunden
werden konnten; das waren die Wasserthore des Peiraieus. Die Mauern
waren bei einer Dicke von etwa 16 Fufs ohne Mörtel durch und durch
aus rechtwinklichten Werkstücken gebaut und wurden unter The-
mistokles , der das doppelte Mafs beabsichtigt haben soll, auf 30 Fufs
Höhe gebracht. Es sollte diese Befestigung, die das Kostbarste aller
Besitzthümer Athens, seine Schiffe, Werften, SchüTshäuser und See-
magazine einschloss, ein Musterbau sein und die Möglichkeit gewähren,
trotz der Nähe eifersüchtiger Seestaaten den Peiraieus mit einer ge-
ringen Besatzung zu sichern61)-
Die Schöpfung des Peiraieus war der Stolz des Themistokles ; es
war nächst der Flotte das zweite Werk, welches Athen als eine Grofs-
stadt kennzeichnete. Themistokles that daher Alles, um die junge
Sladt zu fördern und die leeren Räume mit nützlichen Einwohnern zu
bevölkern. Auf seinen Vorschlag wurde auswärtigen Handwerkern,
Technikern und Künstlern der Zuzug erleichtert, indem man wenig-
stens den Aermeren unter ihnen für eine Zeitlang die Abgaben erliefs,
welche der Staat von den Schutzverwandten einforderte63).
In unglaublich kurzer Zeit war das ganze Ansehen von Attika
verändert. Wenige Jahre zuvor war Alles öde gewesen und Athen
selbst vom Erdboden fast vertilgt; jetzt waren wie durch einen
Zauber zwei grofse Städte da, kaum anderthalb Stunden von ein-
ander entfernt; zwei Stadlburgen mit weitem Mauerkreise umgeben,
zwei Bürgerschaften von wetteifernder Betriebsamkeit. Nun reichten
natürlich auch die alten Verwaltungsbehörden nicht aus; denn die
Seestadt, die aus fremden und sehr verschiedenartigen Bestandteilen
rasch erwachsen war, nahm eine kräftige Polizeiverwaltung in An-
spruch. Es wurde also das Personal der Beamten vergröfsert; es
wurden eigene Polizeimeister (Astynomoi) und Marktmeister (Agora-
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SEÜERÜHCBN I» DER VERWALTUNG UND IN DER VERFASSUNG. 109
nomoi) für den Peiraieus ernannt und ebenso für die Beaufsichti-
gung von Mafs und Gewicht, wie für die des Kornhandels be-
sondere Aeroter (die der Metronomoi und Sitophylakes) daselbst
eingerichtet.
Dann mussten aber auch für das Seewesen neue Behörden gebildet
«erden, und zwar solche, die den Handelshafen, das sogenannte
Empörion, beaufsichtigten, und wieder andere für die Kriegshäfen.
Es musste namentlich eine Behörde da sein, welche das ganze Kriegs-
material unter sich hatte, und die zu ihrer weitläufigen Buchführung
wider eines Personals von Schreibern bedurfte. Wenn aber die
Kriegsflotte ergänzt werden sollte, so wurden dazu aus der Bürger-
schaft wieder besondere Commissionen niedergesetzt, denen andere
Beamte zur Kassenführung I*igeordnet wurden. So hatte sich, seit
die neue Stadt neben der alten erwachsen war, auch der Kreis der
öffentlichen Geschäfte nach allen Seiten hin ansehnlich erweitert.
Athen bedurfte nach den Siegen von Salamis und Plataiai aber
auch einer Umgestaltung seiner staatlichen Verfassung. Was die
eine Partei gefürchtet und die andere gehofft hatte, war in Erfüllung
gegangen. Durch den patriotischen Aufschwung der gesamten
Beiölkerung, durch die Tapferkeit und Hingebung aller Stände war
die Stadt gerettet. Arme und Reiche hatten in diesen Tugenden
mit einander ge wetteifert, und die gemeinsam bestandene Noth hatte
alle Bürger neu mit einander verbrüdert. Darum war es billig, auch
Allen gleichen Antheil an bürgerlichen Ehren und Rechten zuzuer-
kennen und die Bestimmung der Verfassung aufzuheben, nach welcher
nur Mitglieder der ersten solonischen Vermögensklasse, die Penta-
kosiomedimnen (I, 323), zu den Ehrenämtern des Staats gelangen
konnten. Dies war jetzt ein Vorrecht, welches das wohlberechtigte
Selbstgefühl der unteren Klassen verletzen musste. Hatten doch
gerade die Armen, als Flottenmannschaft, am meisten zum Siege
^getragen! Dazu kam, dass Manche der wohlhabenden Bürger
durch die Kriegsereignisse arm geworden waren ; die Grundbesitzer,
deren Höfe niedergebrannt waren, hatten ja am meisten gelitten.
Sollten diese Männer, zu denen auch ein Aristeides gehörte, nun
Heb noch durch den Verlust ihrer bürgerlichen Stellung gekränkt
»erden? Diese Gefahr drohte ihnen, und darum war es schon im
Lager von Plataiai unter den verarmten Grundbesitzern zu ver-
ritheriachen Umtrieben und zu Verschwörungen gegen die Verfassung
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VEKFASS V .N (ISA .V l> EKU> G DES AH IST EI DES (UM 478).
gekommen, deren Gefahr nur durch Aris leides' Geislesgegenwart be-
seitigt worden war5*).
Im Allgemeinen aber hatte das bewegliche Vermögen in Attika
nach und nach solche Bedeutung gewonnen, dass unmöglich der
Grundbesitz allein, wie es Solon bestimmt hatte, als Mafsstab des
Wohlstandes und als eine Burgschaft zuverlässiger Gesinnung gelten
konnte. Aristeides, der in vollem Sinne der 'Gerechte' war, weil er
nicht an starren Satzungen festhielt, sondern die wahre Gerechtig-
keit darin erkannte, dass die Ordnungen des Staats mit der Enl-
Wickelung der geselligen Zustande in richtigem Verhältnisse stehen,
sah die Notwendigkeit der Verfassungsreform ein und stellte selbst
den Antrag beim Volke, der dahin ging, dass mit Ausnahme einzelner
Wurden, die eine besondere Garantie verlangten, die Staatsämter fortan
den Bürgern aller vier Vermögensklassen zugänglich sein sollten. Er
konnte dies um so eher thun, ohne seinem politischen Standpunkte
untreu zu werden, weil er überzeugt war, dass er damit nicht gegen
den Geist der solonischen Gesetzgebung handle, dass der grofse Gesetz-
geber selbst nicht für alle Zeiten jene Schranken aufgerichtet haben
wollte, sondern dass auch nach seinem Sinne mit dem Fortschritte
politischer Reife und Tüchtigkeit die bürgerlichen Rechte sich aus-
gleichen sollten. .Es war die Aufgabe einer weisen Gesetzgebung,
den unabweisbaren Ansprüchen der unteren Volksklassen zuvor zu
kommen, und es war klug von Aristeides gehandelt, dass er diesen
Schritt zum Ausbaue der Verfassung nicht Themistokles und seinen
Parteigängern überliefs; denn er bezeugte dadurch, dass auch die
'besonnenen' Bürger, als deren Führer er angesehen wurde, die Zeit
verstanden und die Ansprüche aller Bürger auf gleichen Antheil an
den Hoheitsrechten ohne Rückhalt anerkannten.
So waren die ersten Jahre nach den Schlachten von Plataiai
und Mykale vergangen. Die Ordnung der inneren Angelegenheiten,
die neue Einrichtung der zerstörten Städte, vor Allem aber der
Hader, der den kaum erneuerten Hellenenbund wiederum in zwei
feindliche Parteien getrennt hatte, die nahe daran waren sich offen
zu bekriegen, dies Alles halte die Aufmerksamkeit der Griechen so
vollständig in Anspruch genommen, dass an gemeinsame Unter-
nehmungen gegen aufsen nicht halte gedacht werden können. Es
war ein Glück, dass die Perser ruhig blieben und nicht den Muth
hatten, diese Zeit zum neuen Vorgehen zu benutzen. Endlich waren
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VERFASSUNGSÄNDERUNG DES ARISTEIDES (UM 478).
III
die Bundes Yerhältnisse äußerlich wieder geordnet. Nachdem den
Peloponnesiern der Versuch misslungen war, Sparta zur alleinigen
Großmacht zu erheben, musste Sparta neben Athen sein vorörtliches
Ansehen zu wahren suchen; eine Aufgabe, die nicht leicht war, wie
die überlegene Thatkraft und die kühn vorangehende Entschlossen-
heil der Athener bei Sestos deutlich genug gezeigt hatte (S. 103).
indessen war Spartas Lage nicht ungünstig. Es hatte doch
mit Ruhm und Glück an der Spitze der Land- und Seemacht grie-
chischer Nation gestanden; das war eine Stellung, wie Sparta sie nie
MTor gehabt hatte, und dadurch war es ja auch zu seinen mafslosen
Ansprüchen verleitet worden. Seine Hegemonie zu Land und Wasser
war io dem neuen Bundesrechte feierlich bestätigt worden, und zwei
thatkräftige Heraküden standen an seiner Spitze, die Sieger von
Plataiai und Mykale, welche die richtigen Männer zu sein schienen,
um Spartas Ehre zu wahren. Namentlich war Pausanias von grofsen
Planen erfüllt, und je unerträglicher ihm die Fesseln waren, welche
zu Hause die Ephoren seinem Ehrgeize anlegten, um so ungeduldiger
strebte er nach Gelegenheit, im Felde neuen Ruhm und Einfluss zu
gewinnen.
Endlich war man so weit, die platai sehen Beschlüsse gemein-
schaftlich ausführen und die Befreiung der hellenischen Städte fort-
setzen zu können. Die Peloponnesier stellten zu diesem Zwecke
zwanzig Schiffe, die Athener dreifsig unter Führung des Aristeides
and Kimon. Dazu kamen die Schiffe der Ionier in bedeutender
Anzahl, so dass es im Ganzen etwa hundert Schiffe sein mochten,
wie es in den platäischen Beschlüssen bestimmt war. Die gesamte
Bundesflotte führte Pausanias; ihre Ausfahrt erfolgte wahrscheinlich
im Frühjahre 476 (75, 4), während um dieselbe Zeit der andere
König, Leotychides , die Feldzüge in Thessalien fortsetzte, um die
Macht der Aleuaden zu brechen, welche bis zuletzt mit dem Landes-
feinde gemeinsame Sache gemacht hatten54).
Diesmal hatten die Griechen keine Flotte aufzusuchen, welche
ihnen die Meerherrschaft streitig machte; sie hatten den Vortheil,
sich die Kampfplätze auswählen zu können, und die raschen Be-
rgungen der Flotte beweisen, dass ihren Führern, und namentlich
dem Oberfeldherrn selbst, keine Unternehmung, welche Erfolg ver-
112
BUNDESFLOTTE VOR CYPERK (7S, 4;476).
hiefs, zu kühn und zu weit war. Man begnügte sich nicht damit,
dass der Archipelagus frei war; auch der Rückkehr der Barbaren
wollte man vorbeugen und ihnen die Land- und Seewege, auf denen
sie einst nach Europa vorgedrungen waren, für alle Zukunft ver-
sperren. Deshalb fasste man zu gleicher Zeit im Norden den Bosporos
und im Süden Kypros in's Auge.
Kypros ist seiner centralen Lage wegen und wegen seines Reich-
thums an Bauholz und Kupfer den Mächten des Orients, die nach
Herrschaft im Mittelmeer strebten, zu allen Zeiten ein unentbehrlicher
Resitz gewesen. Wenn es den Griechen gelang, hier festen Fufs zu
fassen, so gewannen sie nicht nur für ihre eigene Rhederei und
ihren Handel unschätzbare Vortheile, sondern es war auch die See-
verbindung zwischen Persien und Aegypten unterbrochen, und jede
neue Rüstung an der syriscb-phönikischen Küste konnte von hier
aus verhindert werden. Die Perser halten starke Besatzungen in den
Inselstädten, und die Fürsten, welche daselbst regierten, suchten aus
dynastischem Interesse die den Hellenen günstige Stimmung nieder
zu halten. Dennoch gelang es den Verbündeten mit Hülfe der
nationalen Bewegung, welche ihnen günstig war, in wenig Monaten
den gröfsten Theil der Insel den Persern zu entreifsen. Um sie
ganz zu befreien, reichten aber die Mittel nicht aus, und man be-
schloss daher, ehe die Nordwinde des Spätsommers hinderlich würden,
nach den pon tischen Gewässern zu fahren, um hier die Perser in
ihren wichtigen Besitzungen anzugreifen, während ihre Aufmerksam-
keit noch auf das cyprische Meer gerichtet war.
Durch die Eroberung von Sestos war der Weg über den Hel-
lespont den Persem allerdings versperrt; aber am oberen Sunde war
noch Byzanz in ihren Händen mit seinem unvergleichlichen Kriegs-
hafen. Byzanz war fester als Sestos, und die Perser fühlten sich im
Besitze dieses Plaues so sicher, dass sie hier nicht nur eine Menge
von Schätzen untergebracht hatten, sondern es war auch ein Haupt-
quartier ihrer Truppen undder Aufenthalt vieler Perser vom höchsten
Range. Die Griechen fanden die Besatzung vollkommen unvorbereitet;
ehe die Schätze gerettet werden und die Angehörigen des Grofskönigs
sich flüchten konnten, wurden die Mauern erstiegen ; und unermess-
liche Beute fiel den Siegern zu.
Ein solches Glück war zu grofs, als dass Pausanias es zu tragen
verstanden hätte. Er war ein Mann von mafsloser Ruhmbegierde,
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PA USA MUS' VBRRATH T6, 1; 476.
113
und jenes Streben nach unbedingter Herrschermacht, welches immer
Ton Neuem in dem Stamme der Herakliden zum Vorschein kommt,
war die Triebfeder seiner Handlungen. Auf dem Schlachtfelde von
Pbtaiai hatte sich sein Charakter offenbart. Denn als aus dem
Zehnten der Siegesbeute der goldene Dreifufs mit der dreiköpfigen
Schlange geweiht wurde, welcher bestimmt war, neben dem grofsen
Mtare Tor dem Tempel aufgestellt zu werden, wagte Pausanias es,
den Dreifufs eigenmächtig als seine Weihegabe zu bezeichnen, als
ein Werk, welches er als Fehlherr der Hellenen dem delphischen
Gotle errichtet habe. Für diese frevelhafte Ueberhebung hatte er
die Demüthigung erfahren müssen, dass seine von Simonides ver-
fassten Widmungsverse von den Behörden ausgelöscht und statt ihrer
die Namen aller Staaten, welche am Kampfe Theil genommen hatten,
eingeschrieben wurden. Eigenmächtig hatte er sich auch bei der
Verarteilung der thebanischen Volksföhrer gezeigt (S. 93) und sich
Oberhaupt durch sein ganzes Benehmen viele Feindschaft, und von
Seiten der Ephoren eine argwöhnische Beaufsichtigung zugezogen
Aber durch jeden Widerstand und jedes Misstrauen wurde seine
Selbstsucht nur immer mehr gereizt. Der Einblick in die Herrlich-
keit eines orientalischen Fürstenlebens, wie sie ihm im Perserlager
am Asopos zuerst entgegengetreten war, hatte die unreinen Begierden
»eines Herzens entfacht, und als er nun nach seinem glorreichen
Siege in Griechenland auch noch als Flottenführer das ganze Meer
tod Syrien bis zum Pontos siegreich durchzogen hatte, da verlor er
alle Mälsigung; da wurde ihm der Gedanke, sich dabeim wieder der
Centrole der Ephoren fugen zu sollen, immer unerträglicher, und
er beschloss um jeden Preis diesen Verhältnissen ein Ende zu machen.
Er wollte aber nicht nur in Sparta freier Herr und Gebieter sein,
sondern in ganz Hellas. Dazu musste er die Unterstützung einer
aofsergriechischen Nacht haben, und je mehr er sich davon überzeugte,
dass das gegenwärtige Staatensystem in Griechenland unhaltbar wäre,
am so weniger machte er sich ein Gewissen daraus, mit dem Landes-
feinde in Einverständniss zu treten, um die Zwecke seiner Selbst-
sucht zu erreichen.
Solche Pläne zur Reife zu bringen, war Byzanz der geeignetste
Ort Er zog einen gewissen Gongylos aus Eretria als Vertrauten an
sich, machte ihn zum Befehlshaber in der eroberten Stadt und über-
nk ihm die vornehmen Gefangenen mit dem heimlichen Auftrage,
CitÜm. Gr. Oetth. II. «. Aufl. 8
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114
PAUSANIAS' VERRATH 76, 1; 476.
sie unversehrt entkommen zu lassen. So wie dies ausgeführt war,
schrieb er an Xerxes, dass er keinen gröfseren Wunsch habe, als
ihm gefällig zu sein, und dahin zu wirken, Griechenland unter seine
Botmäfsigkeit zu bringen. Der Grofskönig erkannte die Rettung
seiner Angehörigen auf das Dankbarste an und ging voll Eifer auf
die Pläne des Pausanias ein. Um die weiteren Unterhandlungen
zu führen, wurde Artabazos als Satrap in Mysien eingesetzt, derselbe
Feldherr, der bei Plataiai vergeblich von der Schlacht abgemahnt hatte,
und dessen Ansicht, dass man die Griechen durch Griechen besiegen
müsse, d. h. durch Unterhandlung und durch Bestechung, seit dem
Unglücke des Mardonios erst recht zu Ehren gekommen war, so dass
er jetzt des Königs volle Gunst besafs.
Indem Artabazos mit ausgedehnten Vollmachten zum Unter-
händler bestimmt wurde, begann ein neuer Angriff auf Griechenlands
Selbständigkeit, welcher mit der gefährlichsten Waffe geführt wurde,
und die griechischen Angelegenheiten hätten ohne Zweifel die
schlimmste Wendung genommen, wenn Pausanias mehr Selbst-
beherrschung gehabt hätte, um seine Pläne auszuführen. Als dieser
aber die Briefe mit dem königlichen Siegel in seiner Hand hielt und
den mächtigsten Herrn der Welt mit sich wie mit Seinesgleichen
verkehren sah, da verliefs ihn jede Besonnenheit. Es war, als ob
er schon des Grofskönigs Schwiegersohn wäre und sein Statthalter
in den europäischen Provinzen. Mit frevelhaftem Leichtsinne trug
er seine Absichten zur Schau, prunkte in Kleidung und Mahlzeiten
nach persischer Weise, liefs sich auf seinen Umzügen in Thrakien
von ägyptischen und medischen Leibwachen begleiten, behandelte
seine Krieger mit herrischem Uebermulhe und überliefs sich den
empörendsten Tyrannenlaunen. Die Folge war, dass sich im Heere
eine Unzufriedenheit regte, welche sich zu dem heftigsten Unwillen
steigerte, vor Allem bei denen, welche für Freiheit und bürgerliche
Gleichheit die lebhafteste Empfindung hatten, bei den Ioniern und
Athenern.
Die Ionier hatten von Anfang an keine Sympathie für die Spar-
taner, deren barsches Wesen ihnen ebenso unangenehm war, wie
ihre harte und unverständliche Mundart. , Sie sahen in den Athenern
ihre natürlichen Führer, und der Zug der Stammgenossenschaft wurde
durch die Persönlichkeit der attischen Feldherrn nur verstärkt. Denn
wie sehr trat nun neben dem Hochmulh des Spartaners der Charakter
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ABBERUFUNG DES PAUSA.NUS.
115
des Areteides hervor, des schlichten Bürgers, der sich immer gleich
blieb, milde, ruhig und unparteiisch, nur von den grofsen Interessen
des vaterländischen Kampfes erfüllt! Und neben ihm Kimon, der
freigebige, ritterliche Mann, der gegen Alle freundlich und leutselig
war. Die Liebenswürdigkeit dieser Männer wurde aber um so mehr
anerkannt, da sie sich als diejenigen bewährten, deren Sachkenntnis*
und Thalkran alle Erfolge der Seefeldzüge vorzugsweise verdankt
wurden.
Bei ihnen suchten also auch jetzt die lonier Schutz gegen die
tobtll des neuen Tyrannen, und die Athener waren klug genug sie
nicht abzuweisen, sondern sich mit Rath und That ihrer anzunehmen;
dazu glaubten sie um so mehr berufen zu sein, da sie die Städte
loniens als ihre Pflanzstädte ansahen, deren Interessen zu vertreten
eine heilige Pflicht Athens sei. Vor Allem aber mussten sie dafür
Jorgen, dass die wankelmülhigen lonier in ihrer Verstimmung nicht
tou der gemeinsamen Sache abfielen. So ensland eine Spaltung im
Griechenheere; es bildeten sich zwei Flotten, eine ionisch-attische und
eine spartanisch - peloponnesische, so dass Pausanias nur noch dem
Namen nach Oberfeldherr war.
Inzwischen war des Feldherrn Ungebühr und Hoffart in Sparta
ruchbar geworden. Die Ephoren riefen ihn zur Verantwortung heim,
und da er noch nicht die Mittel zu einem offenen Widerstande in
Händen halte, so mussle er Folge leisten. Es ging aber auch das
peloponnesische Geschwader mit ihm zurück; es ist also wahrscheinlich,
dass die Ephoren es im Interesse ihres Staats für rathsam hielten, den
ganzen Feldzug gleichzeitig abzubrechen, dass sie demgemäfs ihre
Anordnungen trafen und die Auflösung der Flotte erwarteten. Diese
Maisregel hatte aber einen ganz anderen und sehr weilgreifenden Er-
folg. Die vorbereitete Spaltung trat nun ganz offen hervor; die Athener
und lonier blieben in Folge ihres Einverständnisses zusammen, und
Athen übernahm nach Abzug des Pausanias förmlich die Oberleitung
der zurückgebliebenen Schiffe50).
Die überraschten Ephoren wollten ihr Versehen wieder gut
machen; sie schickten im Frühjahre einen Nachfolger des Pausanias
mit Schiffen und Mannschaft zur Flotte zurück; aber als derselbe —
Dorkis mit Namen — ankam, hatten sich in der Zwischenzeit die
Verhältnisse so vollständig geordnet, dass der Abfall der Bundes-
genossen und der Verlust der Flottenführung von Seiten Spartas
8*
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116
SPALTUNG DER Rl'.N DESFLOTTE
eine vollendete Thatsache war. Es wäre Aristeides und Kimon bei
dem besten Willen unmöglich gewesen, die Lage der Dinge zu ändern.
Es blieb also Dorkis nichts übrig, als sich entweder der Führung
Athens unterzuordnen oder zurückzukehren. Er wählte natürlich
das Letztere.
Die schmähliche Heimkehr des Oberfeldherrn und die unerwarteten
Folgen, welche sich daran anschlössen, riefen in Sparta die gröTste
Entrüstung hervor. Die Verträge waren gebrochen, die hellenische
Bundesordnung war zerstört und das vorörtliche Ansehen Spartas,
welches in den letzten Jahren so glänzend erneuert war, auf das
Gröbste verletzt Es musste rasch hergestellt oder für immer auf-
gegeben werden.
Es fehlte damals in Sparta nicht an Männern, welche verlangten,
dass man mit der peloponnesischen Mannschaft gegen Athen ausrücken
solle, um Genugthuung zu fordern und die Herstellung der alten Bundes-
ordnung zu erzwingen. Indessen machte sich bald eine andere Ansicht
geltend ; es war die Ansicht der älteren und besonneneren Spartaner,
deren Wortführer Hetoimaridas war, ein Mitglied des Raths der Alten
und ein Heraklide von Abstammung.
Er und seine Gesinnungsgenossen waren immer der Meinung
gewesen, dass es für ihre Stadt nichts Bedenklicheres gäbe, als die
Betheiligung an weit aussehenden Unternehmungen in fernen Ge-
genden, wo die Bürger, jeder Beobachtung der Behörden entzogen,
durch das Zusammensein mit den neuerungssüchtigen loniern jeg-
licher Verführung ausgesetzt wären. Bei der Flottenführung sei für
Sparta ungleich mehr zu verlieren als zu gewinnen ; denn aller Kriegs-
ruhm sei zu theuer bezahlt, wenn darüber der Staat aus seiner Bahn
gerissen und seine Männer verdorben würden. Das Beispiel de*
Pausanias rede deutlich genug. Die erlittene Kränkung sei die Strafe
dafür, dass man den Grundsatz besonnener Mäfsigung und Beschrän-
kung verlassen habe. Im Landheere müsse man Spartas Gröfse sehen,
je mehr Athen sich auf die See werfe. Um sich an Athen zu rächen,
seien jetzt die Mittel unzureichend. Jeder Versuch gewaltsamer Art
werde nur dazu fuhren, den Bruch der Bundesordnung unheilbar zu
machen, während man es durch friedliche Verhandlung erreichen
könne, dass Sparta bei seiner Verzichtleistung auf die Führung des
Seekrieges von seinem guten Rechte nichts aufgebe.
Die Friedenspartei trug den Sieg davon. Man beruhigte sich wohl
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ÜBERGANG DER HEGEMONIE 76,1; 476-7*.
117
auch bei dem Gedanken, dass ein eigentlicher Uebergang der Hege-
monie von Sparta an Athen nicht stattgefunden habe, sondern dass
auf den Wunsch und im Namen Spartas Athen die weitere Krieg-
führung und die Leitung der ionischen Bundesgenossen übernommen
habe57).
In Athen halle man mit grofser Spannung die Entwicklung der
krisis abgewartet, und ihre friedliche Lösung, zu welcher Arisleides
und seine Genossen gewiss das Ihrige beigetragen hatten, war ein
Triumph für die Partei der Besonnenen, deren politisches Ziel kein
anderes war, als ohne Bruch mit Sparta die attische Macht zur vollen
Entfaltung zu bringen. Was früher durch rücksichtslose Gewaltthat
hatte erzwungen werden sollen, das war jetzt in ruhiger Entwicklung
der Verhältnisse gewissermaßen von selbst zu Stande gekommen,
ohne Frevel und ohne Bürgerkrieg. Im Sommer 476 hatte sich der
lebergang vollzogen und das Jahr 76, 1; 476 75 vor Chr. kann man
«ach wahrscheinlichster Rechnung als das erste betrachten, in welchem
Athen die Hegemonie zur See besafs, die wolilverdiente Ehre, welche
den Vorkämpfern von Artemision und Salamis, den Rettern der grie-
chischen Unabhängigkeit, zu Theil wurde6").
Nun aber folgte die schwerere Aufgabe. Denn es kam jetzt darauf
an. dem neuen Bunde eine organische Einrichtung zu geben und aus
vielen ungleichartigen und weit zerstreuten Küstenorten eine Seemacht
zu bilden, welche im Stande wäre, allen Eroberungsgelüsten der Perser
entgegenzutreten und die weiten Seegebiete zu schützen.
Die Sicherheit, mit welcher die Athener diese grofse Aufgabe
anfassen, beweist, dass sie nicht unvorbereitet an dieselbe herantraten,
und wir dürfen mit Sicherheit annehmen, dass schon seit den Tagen
Soions alle weiter blickenden Staatsmänner den Beruf Athens darin
erkannten, dass es einmal die ägäischen Inseln unter seiner Leitung
vereinigen müsse. Aber über die Art und Weise, wie Athen herrschen
sollte, gingen die Meinungen aus einander. Die einen dachten, wie
Mütiades und Themistokles, das Recht des Stärkeren müsse allein ent-
scheiden ; nur durch Entwaffnung und Unterwerfung der Inseln könne
etwas Dauerhaftes erreicht werden. Eine solche Ansicht mussle aber
bei allen Gemäßigten auf entschiedenen Widerspruch stofsen, und
Themistokles konnte deshalb seine Gewaltpolitik nicht durchsetzen.
Sie wurde vollends unmöglich, als so unerwartet rasch ein freiwilliger
Anschluss der asiatischen Städte erfolgte. Diese waren zum Theil grofs
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DIE >EUE EIDGENOSSENSCHAFT
und volkreich geblieben, wie Ephesos; zum Theil hatten sie sich auch
unter persischer Herrschaft von ihrem Verfalle wieder erholt und neu
bevölkert. Hier konnte also von einer unbedingten Herrschaft Athens
nicht die Rede sein. Dazu kam, dass die Spannung mit Sparta Vorsicht
und Behutsamkeit zur Pflicht machte; man mussle die Fehler, durch
welche Sparta seinen Oberbefehl verloren hatte, vermeiden und auf
eine mildere Weise die neuen Bundesgenossen an eine vorörtliche
Leitung zu gewöhnen suchen. Das war die Ansicht, welche Aristeides
vertrat, und darin bestand das grofse Glück Athens, dass es in ihm den
Mann besafs, welcher durch staatsmannische Weisheit und eine in
ganz Griechenland anerkannte Gerechtigkeit dazu geschaffen war, als
ein Vertrauensmann des ganzen Volks die schwierigsten Aufgaben zu
lösen und den neuen Bund so zu ordnen, dass die Rechte der kleineren
Staaten auf das Schonendste behandelt und doch eine Verfassung zu
Stande kam, welche dem Waffenbunde Einheit und Kraft, den Athenern
aber einen bestimmenden Einfluss verbürgte.
Die volkstümlichste und schonendste Verfassung, welche man
einem solchen Bunde geben konnte, war die der Amphiktyonie.
Dazu bedurfte es nach griechischem Rechte eines religiösen Mittel-
punkts, und dieser konnte kein anderer sein, als Delos, das heilige
Eiland in der Milte beider Gestade, das Delphi des Archipelagus,
weichest schon in vorhomerischen Zeiten der Schauplatz von apollini-
schen Festen und der Sammelort der ionischen Stammgenossen von
beiden Seilen des Meers gewesen war. Athen war mit Delos be-
sonders nahe verbunden; Erysichthon der Kekropide sollte die Feier
eingesetzt haben, und wie schon Polykrates und Peisistratos (I, 353.
590) ihre Seeherrschaftspläne an Delos angeknüpft hatten, so wurde
es jelzt der Mittelpunkt einer neuen Eidgenossenschaft, deren Ver-
treter hier um die Zeit des alten Bundesfestes (wahrscheinlich An-
fang Mai) zusammenkamen. Das alte Volksfest sollte in neuem Glänze
aufleben; darum begünstigte auch die dortige Priesterschaft das
Beginnen der Athener, und die Propheten des delischen Apollon ver-
kündeten ihnen die Seeherrschaft5*).
Abwehr der Perser und dauernde Sicherung des griechischen
Meers war der von Allen anerkannte Zweck, zu dessen Erreichung
man einer Kriegsmacht mit einheitlicher Leitung bedurfte. Die dazu
geschlossene Verbindung hatte also mit der peloponnesischen Kriegs-
einrichtung am meisten Uebereinslimmung; denn auch diese war
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IM AK<;niPELA(;LS.
119
ein Waffenbündniss zu gemeinsamem Schutz und Trutz und eine
gegen das Ausland gerichtete, nationale Stiftung, wie der Name
Hellenion zeigt, den der Platz in Sparta trug, wo sich das Bundes-
heer sammelte. Wie es Sparta im Peloponnes gemacht hatte, so
musste hier von Seilen der Athener durch Verträge ein gemeinsames
Kriegswesen geschaffen werden. Die Uebertragung solcher Ein-
richtungen auf die See war aber etwas durchaus Neues; denn was
die Korinther als Seemacht geschaffen hatten, beruhte wesentlich auf
dem Rechte der Mutterstadt den Colonien gegenüber; ein Prinzip,
welches hier nicht angewendet werden konnte, so sehr man auch
iwiliasen war, Athen als Mutterstadt loniens darzustellen.
Bei einem Waffenbündniss zur See hatte die Geldfrage eine ganz
andere Bedeutung als bei continentalen Waffengemeinschaflen. liier
war Aristeides . an seinem Platze, um die Abgeordneten der Städte
zu überzeugen, wie nolhwendig es sei, die Beiträge nach festen
Sätzen zu regeln, weil man ohne Schatz und festes Budget eine
kamptfertige Flotte nicht unterhalten könne. Er selbst wurde be-
auftragt, die Hülfsmittel der einzelnen Staaten genau zu untersuchen
und darnach die Bundesmalrikel aufzustellen. Die Bundesstaaten
übernahmen die Verpflichtung regelmäfsiger Beisteuer, und sie fanden
sich um so eher darin, da sie auch zum Schulze des Handels gegen
Seeräuberei die Nothwendigkeit einer stehenden Seemacht anerkennen
mussten. Auch waren ihnen ja solche Abgaben nichts Neues; denn
die Spartaner halten während ihrer kurzen Hegemonie zur See nach
Willkür Steuern von ihnen erhoben, und vorher der Grofskönig nach
der Schätzung, welche Artaphernes als Satrap von Sardes angeordnet
hatte. Es waren im Grunde nichts als Beiträge zur Kriegskasse,
wie sie Sparta ja auch von den Peloponnesiern forderte; nur dass
sie regelmässig gezahlt werden mussten, weil es sich nicht um ein-
zelne Aufgebote sondern um ein stehendes Heer handelte; es waren
endlich von den Gemeinden selbst bewilligte Beiträge, deren Ver-
wendung von den gemeinsamen Beschlüssen der Bundesmitglieder
abhängig war.
Eine eigentliche Besteuerung aber traf nur die kleineren Städte,
welche keine eigenen Kriegsschiffe hatten noch haben wollten; ihre
Beiträge waren bestimmt, eine ihrer gesamten Volkszahl entsprechende
Anzahl von Schiffen zu unterhalten. Die gröfseren Städte dagegen
gaben keine Geldbeiträge, sondern verpflichteten sich selbst an Maun-
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DIE ANFÄNGE DES
Schaft und Schiffen zu stellen, was ihnen nach dem Ansalze des
Aristeides zukam, welcher sich zu allgemeiner Befriedigung seiner
schwierigen Aufgabe entledigte. Das waren die Anfange des attischen
Seebundes, dessen friedliche und feste Begründung das Verdienst
des Aristeides war. Die fortschreitende Ausdehnung des Bundes
können wir nicht verfolgen; denn wir kennen ihn erst von dem
Zustande an, da er eine gewisse Abrundung und dauerhafte Ver-
fassung erlangt hatte, da durch Kimons Siege aufs er den Inseln auch
die Küstenstädte Kleinasiens so wie die thrakischen Inseln und Städte
sich angeschlossen hatten. Denn dieser Zeit gehört die Summe an,
welche uns zuerst als Gesamtbetrag der jährlichen Zahlungen über-
liefert wird, die Summe von 460 Talenten (690,000 Th.). Die
Bundeskasse war im Heiligthum des Apollon in Delos und ihre Ver-
waltung war das Amt der Hellenotamien. Der Name bezeichnet den
amphiklyonischen Charakter des Bundes, der eine nationalhellenische
Macht sein sollte; den Athenern aber wurde das wichtige Recht
zuerkannt, aus ihrer Mitte das Amt zu besetzen. Die Erweiterung
des Bundes ging aber nicht blofs von Athen aus, sondern auch die
älteren Beziehungen, die zwischen den Seestädten bestanden, erwiesen
sich wirksam, um entlegenere und anfangs widerstrebende Städte
heranzuziehen. So leistete namentlich Chios gute Dienste, indem
es z. B. um die Zeit der Schlacht am Eurymedon die Vermitlelung
übernahm, um Phaseiis in Pamphylien für den Bund zu gewinnen.
Es gab auch Gruppen kleinerer Gemeinden, welche ihre frühere Ver-
bindung aufrecht erhielten und demgemäfs gemeinsame Beiträge
zahlten und zusammen eine Stimme führten. Im Allgemeinen aber
galt der Grundsatz, dass alle Staaten ihre Selbständigkeit behielten,
wie sie sie zuvor gehabt hatten, und ihren Vertreter zu den regel-
mäfsig wiederkehrenden Versammlungen schickten, wo dieselben
einen Bundesrath bildeten, der über Kriegführung, Geldverwendung
und alle gemeinsamen Angelegenheiten zu beschliefsen hatte. Seinen
Sitz hatte er im Heiligthum des Apollon, wo zu der grofsen Frühlings-
leier sich die Festgenossen von nah und fern versammelten
(I, 491)Ä0).
Die Versammlungen der Abgeordnelen waren aber bei der Aus-
dehnung, welche die Bundesgenossenschafl gewann, so grofe und
zugleich in ihren Interessen und Anschauungen so getheilt, dass sie
zu einem einmülhigen Handeln völlig ungeschickt wareu. Dazu kam,
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l>ELli>CUE> SEEBUM>ES.
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dass seit ältester Zeit zwischen den Inseln und Küslenstadten in
Folge der Verschiedenheit ihrer Abstammung und wegeu der sich
kreuzenden Handelsinteressen vielfache Eifersucht und Zwietracht
herrscliten. Um so gröfser war der Beruf und um so bedeutender
der Einfluss Athens, welches an Macht, wie an politischem Blicke
Allen überlegen, das Direclorium des Bundes führte, die Versamm-
lungen berief und leitete, die Beiträge einforderte, die Kasse ver-
waltete, die gemeinsamen Interessen nach innen und aufsen wahr-
nahm, die Feldherrn stellte und alle kriegerischen Unternehmungen
wesentlich bestimmte. Die Macht der Athener wurde ohne ihr
Zuluuu durch die Bundesorle selbst gesteigert, indem diese, als sie
die nächste Gefahr beseitigt und die Sicherheit des Meers wieder
hergestellt sahen, der kriegerischen Anstrengungen überdrüssig wur-
den. Daher wurde die Zahl der Städte immer gröfser, welche es
vorzogen, sich durch Geld abzufinden, um in behaglicher Ruhe
Handel, Landbau und Fischerei zu treiben, und so geschah es,
dass sie auf ihre Kosten die Wehrkraft Athens immer mehr ver-
Sparta und der Peloponnes waren an diesem Aufbau einer
neuen hellenischen Macht ganz unbetheiligt; sie blickten nur mit
Haas und Scheelsucht auf Athen, welches so schnell und glücklich
das grobe Werk vollbrachte, die neue Vereinigung der Hellenen an
beiden Küsten, welche den natürlichen Verhältnissen zuwider aus
einander gerissen waren*1).
Während in Delos diese wichtigen Einrichtungen getroffen wur-
den, lagen sich im Norden des Meers die Streitkräfte der Perser
und Griechen feindüch gegenüber. Denn der neue Seebund halte
keine dringendere Aufgabe, als die Perser aus den festen Stellungen,
welche sie noch in Europa inne hatten, zu verlreiben und dadurch
das Meer frei zu machen. Byzanz, die Schlüsselburg der nördlichen
Seesüraisen , blieb das Hauptquartier der griechischen Schiffe und
ein steter Zielpunkt der Perser. Denn diese hatten ihre diesseitigen
Besitzungen nichts weniger als aufgegeben; sie hatten eine Reihe
toD Garnisonen um den Hellespont herum, es war für sie ein Ehren-
l'unkt, die Eroberungen des Dareios nicht preiszugeben. Darum
waren auch die beiden tapfersten Männer, welche Xerxes kannte,
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I'EKSISCHK BESITZUNGEN IN THIUKIKN
beauftragt, die thrakischen Besitzungen zu bäten, Maskames in
Doriskos und Boges in Eion. Sie standen mit den Thrakern in Ver-
bindung, welche ihnen Getreide zuführten; sie konnten auch auf
Makedonien rechnen; denn die Ausbreitung der neuen griechischen
Seemacht in den nördlichen Gewässern und der Anschluss der chalki-
dischen Städte an den delischen Seebund konnte den Fürsten des
Nordens nicht gleichgültig sein. Man war also persischer Seits
beflissen, die Verbindungen mit den alten Bundesgenossen in Make-
donien und Thessalien zu unterhalten und hoffte immer noch, unter
günstigeren Verhältnissen auf dem europäischen Festlande wieder vor-
gehen zu können.
Auch andere Veranlassungen traten ein, um die Thätigkeit der
Athener nach den nördlichen Meeren zu richten. Denn es hatten
sich auf den Inseln, die das thrakische Meer im Süden begränzen,
namentlich auf Skyros, pelasgische Stämme von rohen Sitten er-
halten, welche das Meer durch Freibeuterei unsicher machten und
den Handel an den thessalischen Küsten störten. Die Ampbiklyonen
in Delphi hatten für einen an thessalischen KaufTahrern verübten
Seeraub Schadenersatz verlangt; die Skyrier verweigerten ihn, indem
sie der Ohnmacht des delphischen Bundestags spotteten. Nun suchte
man Athen zu veranlassen, in dieser Sache einzuschreiten. Es kam
ein delphischer Spruch nach Athen, mau solle der Gebeine des Theseus
gedenken, welche im fernen Skyros ruhten, und die heiligen Reliquien
heimführen. Dies war ein Grund mehr, nachdem die nächsten Gebiete
der Bundesgenossenschaft gesichert waren, die ersten gröfseren Unter-
nehmungen nach Norden zu richten, wo man mit richtigem Takte
den wichtigsten Schauplatz kriegerischer und kolonisirender Thätigkeit
erkannte 62).
An dem rechten Führer fehlte es nicht. Die Athener fanden
ihn in Kimon, dem Sohne des Milliades, dessen Feldherrngabe und
patriotische Gesinnung ihnen von Aristeides auf das Wärmste empfohlen
wurde. Der erste Unwille gegen den Helden von Marathon hatte einer
unbefangeneren Würdigung seiner Verdienste Platz gemacht, und um
so mehr freute man sich, in seinem Sohne den Mann zu erkennen, der
zum Heile der Stadt berufen war, den Ruhm des alten Stammes der
Philaiden zu erneuern.
Als der Sohn eines reichen Fürsten und einer thrakischen Fürsten-
tochter, der Hegesipyle, war er in Ueppigkeit sorglos aufgewachsen,
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K1M0.N ALS BUNbESFELPHEKK.
123
nach der Weise seiner Vorfahren ritterlichen Uebungen ergeben, leicht-
fertig und vergnügungssüchtig in den Tag hineinlebend; dann hatte er,
durch das Ende des Vaters von der Höhe des Glücks heruntergestürzt,
den Ernst des Lebens im vollsten Mafse kennen gelernt. Aufser
Stande, die Bufse zu zahlen, zu welcher der Vater verurteilt war,
musste er sich nach der Strenge der altischen Schuldgesetze behandelt
sehen; er war von allen bürgerlichen Hechten ausgeschlossen und, da
er mit seiner Person für die Schuld haftete, vielleicht selbst seiner
Freiheit eine Zeit lang beraubt. In stillster Zurückgezogenheit lebte er
mit seiner Halbsch wester Elpinike zusammen, wie es heifst, in ehe-
licher Verbiudung, was nach den Ansichten der Alten nicht unerlaubt
war und in diesem Falle auch darin seine Erklärung findet, dass
der drückenden Armulh wegen Elpinike keine Gelegenheit zu einer
standesgemäfsen Verbindung hatte.
Da grifT eine seltsame Fügung in das Leben der Geschwister ein.
Einer der reichsten Bürger Athens, Kallias, fassle eine leidenschaftliche
Liebe zu Elpinike. Er erhielt ihre Hand, er zahlte die 50 Talente und
befreite den Sohn des Miltiades nicht nur aus Notli und Unehre,
sondern gab ihn dadurch noch der Vaterstadt zurück, deren Dienste er
sieb nun mit voller Hingebung widmete.
Die schwere Schule des Lebens hatte ihn gereift und veredelt.
Darum zeigte er keine persönliche Empfindlichkeit oder unedle Rach-
begierde; auch von den einseitigen Traditionen seines Hauses, das in
die Zucht von Rennpferden seinen Stolz gesetzt hatte, wussle er sich
frei zu machen. Denn er schloss sich rückhaltlos der Seepolitik des
Theraislokles an ; ja, in einer Zeit, als die Bürgerschaft noch schwankte
ood die edlen Geschlechter sich spröde zeigten, sah man ihn auf die
Akropolis steigen, um der Stadtgöttin einen Pferdezaum zu weihen,
und daun mit dem Schilde zum Hafen hinabgehen, um seinerseits ein
Zeugniss dafür abzulegen, dass er die Zeit verstehe und nicht in den
Rossen, sondern in den Schiffen die Kraft und die Zukunft Athens
erkenne. Bald bewährte er sich auf der Flotte neben Aristeides als
einen geborenen Feldherrn; er trug wesentlich dazu bei, dass der
lebergang der Seeführung an Athen sich so leicht und glücklich voll-
zog, und es war also eine wohlverdiente Anerkennung, dass man die
ersten gröTseren Unternehmungen der attisch - ionischen Flotte ihm
anvertraute").
Der Sohn des Miltiades schien gerade für diesen Kriegsschauplatz
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BYZAISZ l\\D EIO.N (77, 3-4; 470-65).
vorzugsweise berufen zu sein, nämlich auf den thrakischen Küsten und
Inseln, wie sein Vater gethan halte, mit Persern und wilden Thraker-
stämmen zu kämpfen. Jetzt galt es, der neu geschaffenen Seemacht
die Wasserstraße nach dem Pontos zu öffnen und die den Norden des
Inselmeers beherrschenden Plätze in die Bundesgenossenschaft herein-
zuziehen. Darum wurde vor Allem Byzauz, wo Pausanias sich wieder
eingenistet hatte und eine sehr verdächtige Holle spielte, belagert und
genommen. Dann giug es nach dem Hellespont, an dem die Perser
zähe festhielten, um sich den Uebergang nach Europa frei zu halten.
Darum hatten sie ihre tapfersten Feldherrn als Vögte in die Küsten-
plätze gesetzt und boten die thrakischen Stämme auf, ihnen Beistand
zu leisten. Anfangs verachteten sie das kleine Geschwader, aber bald
sahen sie zu ihrem Schrecken, wie dasselbe unter Kimons Führung
nach einem wohl überlegten Plane mit aller Energie voranging; sie
sahen sich bald im Kücken abgeschnitten, in allen wichtigen Stellungen
angegriffen und überall mussten sie weichen ; nur Doriskos, die Küsten-
sladt westlich vom Hebros (Maritza), blieb unbezwungen durch den
Ueldenmuth des persischen Befehlshabers Maskames, welchen der
Grofskönig als den Tapfersten seiner Tapfern ehrte.
Zuletzt wurde um Eion gekämpft, den mächtigsten und besonders
festen Platz an der Mündung des Slrymon. Der Schwierigkeit seiner
Aufgabe wohl bewusst, hatte Kimon mit Thessalien, wo die nationale
Partei sich wieder freier regte, Verbindungen angeknüpft; er wurde
von Pharsalos aus mit Geld und Truppen unterstützt und war so im
Stande Eion einzuschliefsen. Aber die Mauern wurden unter Boges'
Oberbefehl auf das Tapferste verlheidigt. Er musste den Sturm
aufgeben und warten, bis die Vorrälhe der vollgedrängten Feste aus-
gehen würden. Zugleich dämmte er den unteren Lauf des Slrymon
ab, so dass das Wasser an den Mauern emporstieg und die unge-
brannten Lehmsteine aufgeweicht wurden. Als Boges die Mauern
stürzen sah, versenkte er seine Schätze und tödtete endlich die
Seinigen und sich selbst. Ein wüster Trümmerhaufen fiel den
Athenern in die Hände (Ol. 77, 3 oder 4; 470/69).
Durch diesen Feldzug wurde ein ganz neues Küstengebiel dem
Bunde gewonnen; eine Beihe von thrakischen Seestädten, wie
Akanthos, Olynthos, Stagiros, vielleicht auch Potidaia, traten dem
Bunde bei. Eion wurde colonisirt. Die Beute des thrakischen Feld-
zugs kam in Cbios zur Vertbeilung, und die Athener machten einen
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SKYROS (T7, S-4; 470-69).
125
grofcen Gewinn aus dem Lösegeld, das die vornehmen Perser für
ihre gefangenen Anverwandten zahlten64).
Eine leichtere Aufgabe war die Züchtigung der Skyrier, welche
sich unmittelbar an den strymonischen Feldzug anschloss. Sie war
ihm besonders willkommen; denn nichts konnte den Neigungen
kimons mehr entsprechen, als hier das gesamthellenische Interesse
zu vertreten und der jungen Flotte den Ruhm zuzueignen, im
griechischen Meere Ordnung zu schaffen. Er erwies sich zugleich
seinen tbessalischen Bundesgenossen dankbar, indem er ihre Küsten
sicherte, und verschaffte Athen eine wesentliche Erweiterung seiner
Nacht Denn die Insel wurde attisches Land, und attische Burger
wurden auf dem Grund und Boden angesiedelt, auf dem die Doloper
gehaust hatten. Endlich erhielt diese Kriegsthat Kimons dadurch
eine besondere Weihe, dass des Theseus Grab, dessen Platz als ein
schützendes Heroenmal vermutlich geheim gehalten wurde, glucklich
ausfindig gemacht und seine Gebeine Ol. 77, 4 (469) unter dem
Arthon Apsephion feierlich nach Athen gebracht wurden. Die ganze
Aufgabe aber, welche Kimon so glücklich löste, kam ihm in jeder
Beziehung so erwünscht, dass die Vermuthung nahe liegt, es sei die
doppelte Veranlassung, die zu gelegenster Zeit eintrat, nämlich das
«irlphische Orakel und die Klage der Thessalier, durch gemeinsame
Verabredung herbeigeführt, und dann werden wir in Kimon nicht
nur den thatkräfligen Feldherrn, sondern auch den klug vor-
schauenden und durch seine Verbindungen weithin wirksamen Staats-
mann anerkennen müssen.
Das waren die ersten Unternehmungen, in denen der delische
Seebund sich als eine Macht bewährte, welche schon jetzt im Stande
fei, den in lauter Einzelstaaten zersplitterten Archipelagus zu einigen
and zu beherrschen. Die ganze Fülle ionischer Volkskraft war zum
ersten Male unter einer thatkräfligen Leitung zu grofsen und klar
erkannten Zwecken verbunden. Was konnte einer Flotte widerstehen,
welche das beste Seevolk der Welt vereinigte?
Eine Beihe von Jahren blieben die Verhältnisse günstig, so
lange die gemeinsame Gefahr dauerte und auf der einen Seite Gunst
und Vertrauen, auf der anderen weise Schonung vorwalteten. In-
dessen traten sehr früh auch die Schwächen der Eidgenossenschaft
zo Tage. Sie lagen in der Unzuverlässigkeit des ionischen Charakters;
man spürte die Unlust der Insulaner, sich in gemeinsame Ordnungen
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126
UNTERWERFUNG VON NAXOS (7*, 2; 46T).
zu fugen, und diese angeborene Unlust wurde natürlich sehr gesteigert,
als man inne wurde, dass es mit der Selbständigkeit der einzelnen
Bundesglieder nicht so beschaffen sei, wie man es sich vorgestellt
hatte. Athen konnte nicht anders, als mit voller Strenge auf die
Erfüllung der Bundespflichten achten, und da nun die Vorlheile der
Verbindung ganz den Athenern zufielen, da sie sich mit der Bundes-
flotte Inseln und Küstenstriche eroberten, so erweckte dies Miss-
slimmung und Misstrauen unter den Bundesgenossen, welche sich
zu Werkzeugen attischer Machtvergröfserung herabgewürdigt sahen.
So mussle die Flotte, ehe noch die ersten zehn Jahre seit
Anfang der attischen Hegemonie verlaufen waren, schon dazu ver-
wandt werden, abtrünnige Studie zur Pflicht zurückzuführen, oder
solche Städte, welche sich spröde zurückhielten, mit Gewalt für den
Bund zu gewinnen, in dessen Seegebiet sie lagen. So scheint es mit
Karystos an der Südspitze von Euboia gewesen zu sein, das auch
ohne Unterstützung der anderen Inselstädte einen nachhaltigen Wider-
stand leistete und dann auf dem Wege des Vertrages dem Seebunde
beitrat. Das erste Beispiel einer Auflehnung gegen den Vorort des
Bundes gab aber das mächtige Naxos, dessen Trotz erst durch eine
längere Belagerung gebrochen werden konnte.
Mit heimlicher Freude sahen einerseits die Perser, andererseits
die Spartaner, wie schnell sich die Kräfte des neuen Bundes in
inneren Fehden aufrieben. Aber die nächste Folge dieser Fehden
war doch keine andere, als eine neue Vermehrung der attischen
Macht. Denn jetzt wurde zum ersten Male eine bundesgenössische
Stadt aus der Beihe der selbständigen Inselstaaten ausgestofsen, es
wurde von Bundes wegen erkannt, dass die Naxier durch Auflehnung
gegen die Bundesordnung ihre Rechte verwirkt hätten; sie wurden
aus Mitgliedern zu Unlerthanen des Bundes und als solche einer
härteren Besteuerung und einer strengeren Beaufsichtigung des Vor-
orts unterworfen. So gewann Athen in der Milte des Kykladenmeers
eine mächtigere Stellung und hielt durch Furcht und Schrecken die
Eidgenossenschaft zusammen**0).
Während die Flotte vor Naxos lag, kreuzte ein Schür auf der
Höhe der Insel. Man sah, wie es sich trotz des heftigen Nordwindes
ängstlich von den atiischen Schiffen fern hielt und den Hafen ver-
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TIMOKREO.N UM» THEMISTOKLES.
127
mied. Das Schiff trug den Sieger von Salamis, der als Landes-
verrätner geächtet, von Sparta und Athen verfolgt, auf der Flucht
nach Persien begriffen war.
In dem Jahre nach der Schlacht von Plataiai verschwinden die
Spuren von Themistokles' öffentlicher Wirksamkeit. Er hatte wohl
Recht, wenn er sich einem Baume verglich, unter dessen Schutz
beim Unwetter Alles flüchte, der aber missachtet und jeder Be-
schädigung preisgegeben werde, sobald das Unwetter glücklich vor-
übergegangen sei. Indessen lag die Hauptschuld in ihm selbst. Er
war seiner Natur nach eine Persönlichkeit, die bald unentbehrlich
war, bald unbrauchbar, ja unerträglich; wunderbar begabt, um in
schweren Nothständen das Vaterland zu retten, aber durchaus un-
geeignet, um die gerettete Stadt in ruhigeren Verhältnissen fortzu-
legen. Dazu fehlte ihm der Sinn für gesetzliche Ordnung, die
Achtung vor den Rechten Anderer, die Fügsamkeit widersprechenden
Ansichten gegenüber und die Reinheit des Charakters, welche allein
im Stande war, ein allgemeines und dauerndes Vertrauen zu er-
wecken.
Die Niederlage der Perser hatte die ganze Inselwelt in fieber-
hafte Aufregung versetzt; man erwartete einen plötzlichen und all-
gemeinen Umschwung, und da in allen Seestädten den Perserfreunden
eine nationale Partei gegenübergestanden hatte, so hofften nun alle
diejenigen, welche ihrer hellenischen Sympathien wegen von der
Gegenpartei vertrieben worden waren, alsbald heimkehren und an
ihren Gegnern Rache nehmen zu können. Themistokles war in den
Augen des Volks der Allmächtige und wurde für Alles, was geschah
und was nicht geschah, verantwortlich gemacht; gegen seine Person
richteten sich alle Anklagen, wegen Parteilichkeit, Bestechlichkeit
und aller Ungebühr, welche bei dem ersten Auftreten der Bundes-
flotte im Inselmeer vorgekommen sein sollte.
Unter Allen, die sich in Themistokles getäuscht sahen, war
Timokreon aus Rhodos der Erbittertste. Er war ein bekannter Athlet
und ein Dichter; als Gesinnungsgenosse und Gaslfreund des Themisto-
kles hatte er von ihm die Rückführung in seine Vaterstadt erwartet.
Der Zug nach Rhodos unterblieb, und nun wurde er nicht müde,
Hohn und Schmach aller Art auf Themistokles zu häufen. Er ver-
spottete die schlechte Bewirlhung, welche der knausernde Feldherr
bei dem von ihm veranstalteten Siegesfeste auf dem Isthmos seinen
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128
TIMOKREON OD THEMISTOKLES.
Gästen habe zu Theil werden lassen, und nachdem der neue See-
bund seine gesetzliche Ordnung erhalten hatte, stellte er die ver-
schiedenen Feldherrn und Staatsmänner, welche in der Inselwelt
nach einander aufgetreten waren, also zusammen: 'Anderen mag
'Pausanias, Anderen Xanthippos, Anderen Leotychides behagen. Ich
'preise Aristeides als den besten Mann, der von dem heiligen Athen
'ausgegangen ist; denn Themistokles ist den Göttern verhasst, der
'Lügner, der Ungerechte und Verräther, welcher um schmutzigen
'Geldes willen seinen Gastfreund Timokreon nicht heimgeführt hat
'in seine Vaterstadt Ialysos. Mit drei Silbertalentcn ist der Schurke
'davon gegangen, wider Recht die Einen heimführend, die Anderen
'austreibend; noch Andere bracht' er unTs Leben.1
Die Wahrheit solcher Schmähverse können wir nicht controliren ;
wir wissen nicht, was Themistokles etwa in Ueberschätzung seines
Einflusses dem Emigranten versprochen hat, wir können aber wohl
ermessen, dass um die Zeit, da die Bundesflotte vor Andros lag und
selbst diese Insel nicht zwingen konnte (S. 81 f.), alle weiteren Kriegs-
pläne, wie z. B. eine Intervention in Ialysos als abenteuerlich zurück-
gewiesen wurden, ohne dass Themistokles sich des Wortbruchs gegen
seinen Gastfreund schuldig machte. Auch ist nicht zu verkennen,
dass damals und später, als es Mode wurde, den Gegensatz der beiden
Staatsmänner in grellen Farben auszumalen, mancherlei zu Ungunst
des Themistokles übertrieben oder auch erlogen worden. Aber das
ist gewiss, dass er von Rücksichten nach keiner Seite etwas wissen
wollte, dass ihm das behutsame Verfahren, das leise und schonende
Auftreten des Aristeides zuwider war. Er wollte ohne Verzug Athens
Allgewalt zur See hergestellt sehen, und zu diesem Zwecke war ihm
jedes Mittel recht. Sagte man ihm doch sogar nach, er habe einen Plan
ausgesonnen, um die Schiffe der Peloponnesier, wie sie gerade im
pagasäischen Golfe beisammen lagen, zu verbrennen. Auch mag er
wohl den Wunsch gehabt haben, dass keine andere Seemacht vor-
handen sei, als die von ihm geschaffene; ihr allein sollte das Meer
gehorchen.
Auch auf dem Festlande wollte er nichts von beschrankenden
Rundesformen wissen. Als daher die Spartaner mit Bezug auf die
isthmischen Beschlüsse den Vorschlag machten, den alten Amphi-
ktyonenrath in Delphi neu zu organisiren, und zwar in der Weise,
dass alle Staaten, die am Perserkriege sich nicht betheiligt hätten,
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DIE STELLL.NG DES THEMISTOKLES.
121)
ausgeschlossen würden, trat Themistokles mit aller Kraft gegen diesen
Vorschlag auf und gewiss mit gutem Grunde. Denn wenn Argos
so wie die mittel- und nordgriechischen Stämme ihr Stimmrecht
verloren hätten, so würde Sparta, wie es seine Absicht war, mit
seinen peloponnesischen Bundesgenossen die unbedingte Stimmen-
mehrheit für sich gehabt haben. Darum wollte Themistokles lieber
den alten Bundestag in seiner schattenhaften Existenz fortbestehen
lassen, als dass derselbe, neu eingerichtet, Athen in seiner freien Be-
wegung hemmte und hinderte*5).
Die Folge war, dass nun die Spartaner unablässig thätig waren,
den Einfluss des Themistokles zu untergraben; und das gelang ihnen
bei einer so Vielen anstöfsigen Persönlichkeit ohne zu grofse Mühe
und wurde ihnen dadurch vornehmlich erleichtert, dass sein alter
Gegner höher, als je zuvor, in der öffentlichen Achtung stand. Denn
seitdem Aristeides sich durch sein Reformgesetz als Freund des
Volks bewährt hatte, stand auch die liberale Partei auf seiner Seite,
während seine alten Gesinnungsgenossen Gewicht darauf legten,
dass der Mann, der zu Hause das gröfste Vertrauen genoss, zugleich
in Sparta wohl angesehen sei. Im Ganzen aber hielt die Bürger ein
richtiger Takt zurück, sich Themistokles hinzugeben, da seine Politik
einen vorzeitigen Bruch mit Sparta und einen Bundesgenossenkrieg
hervorgerufen haben würde. Sie fühlten, wie viel auch für einen
Staat auf seinen Ruf ankomme, und sahen sich gern von einem
Manne geleitet, dessen Grundsatz es war, dass das, was gegen Recht
und Sitte verstofse, auch nicht wahrhaft nützlich sein könne. So
wurde Themistokles allmählich zurückgedrängt und die gewaltigste
Kraft, die Athen besafs, zur Unthätigkeit verurteilt; er musste also
von seinem Ruhme zehren und darauf bedacht sein, wenigstens seine
früheren Thaten nicht in Vergessenheit kommen zu lassen.
Dazu fehlte es in Athen und aufserhalb nicht an Gelegenheit.
Als er unter dem Archontat des Adeimantos im Namen seines
Stammes den Festchor für die Dionysosfeier im Jahre 476 (75, 4)
auszurüsten hatte, war es sein Freund, der Dichter Phrynichos, dessen
Tragödie er mit ausgezeichnetem Glänze seinen Mitbürgern vorführte.
Diese Tragödie ist nach wohlbegründeter Vermuthung keine andere,
als die 'Phönizierinnen \ deren Inhalt der Seekrieg der Hellenen, die;
jammervolle Heimkehr des Xerxes, also der Ruhm des Themistokles
war. In einem der folgenden Jahre, wahrscheinlich 472 (77, 1),
Omi*», Or. G«$ch. IL 6. Aufl. 9
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THEMISTOKLES I* ATHEN
besuchte er die olympischen Spiele, und auch hier wurde ihm die
Genuglhuung, dass, so wie seine Anwesenheit kund wurde, Aller
Augen von den Wettkämpfen sich abwendeten und den Helden von
Salamis suchten. Aber auch hier trat er schroff und eigenwillig
auf. Ihn verdross die üppige Pracht, welche Hieron, der Tyrann von
Syrakus, daselbst entfaltete, und die Huldigungen, die demselben
dargebracht wurden. Er verlangte daher von den Behörden, dass
sie das Zelt des Tyrannen umreifsen und seine Rennpferde von den
Kämpfen ausschliefsen sollten, weil seine Dynastie die Theilnahme
an den Perserkriegen verweigert habe68).
In Athen baute Themistokles neben seinem Hause ein Heilig-
thum der Artemis Aristobule, d. i. der Göttin des 'besten Raths',
um auch durch eine religiöse Stiftung die Erinnerung an seine vor-
schauende Klugheit bei den Bürgern lebendig zu erhalten, und in
dem Heiligthume liefs er ein Bildniss von sich aufrichten, welches
in seinen Mafsen klein und bescheiden war, aber doch den Charakter
eines Heroenbildes an sich trug. Diese Benutzung gottesdienstlicher
Stiftungen für die Zwecke persönlicher Eitelkeit verletzte die Athener.
Im Allgemeinen aber wurde ihnen sein ewiges Selbstrühmen; all-
mählich lästig; es wurde um so unerträglicher, je mehr die alten
Siege von neuen verdunkelt wurden, und der Widerspruch, den es
hervorrief, zeigt sich in den 'Persern' des Aischylos, welche 472
(76, 4) auf die Bühne kamen und selbst in der Schlacht bei Salamis
die Person des Themistokles zurücktreten iiefsen. Die Schätzung
seiner Verdienste war zu einer Parteifrage geworden. Und gewiss
würde man dem grofsen Manne die Schwäche der Eitelkeit, die
Hollart und den Hang zu prahlerischer Ueppigkeit nachgesehen und
ihn ruhig in Athen gelassen haben, wenn es ihm möglich gewesen
wäre, den vorwiegenden Einfluss anderer Staatsmänner gelassen zu
ertragen, und wenn sein persönlicher Einfluss geringer gewesen wäre.
Aber er hatte einmal ein nationales Ansehen, wie kein Anderer seiner
Zeitgenossen, und in Athen noch immer einen Anhang unbedingt
ergebener Männer. Darum arbeitete er nicht erfolglos der Politik des
Aristeides entgegen, veranlasste immer neue Unruhe und Gährung,
gefährdete durch seine Anträge das gute Einvernehmen mit Sparta,
so dass endlich, nicht ohne Mitwirken Spartas, durch Kimon, Alk"
maion und die Männer der kimonischen Partei (denn Aristeides
selbst hielt sich von jeder Beteiligung fern) ein Scherbengericht
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PAUSAMAS WIEDER IN BYZANZ.
Hl
in Alben veranlasst wurde, dessen Ergebniss war, dass Themistokles
77. 2; 470 in die Verbannung gehen musste, und Kimon ohne
Nebenbuhler an die Spitze der öffentlichen Angelegenheiten trat67).
Themistokles ging nach Argos, wo der von spartanischem Hasse
Verfolgte der besten Aufnahme gewärtig sein konnte, um so mehr,
weil er ja noch neuerlich den Ausschluss der Argi?er von der
Arophiktyonie vereitelt hatte. Aber auch hier fand der unstäte Geist
keine Ruhe. Sein Ehrgeiz war durch die erlittenen Kränkungen
nur gesteigert, und er durstete darnach, an seinen Feinden, nament-
lich an Sparta, Hache zu nehmen. Dazu fehlte es nicht an Gelegen-
heit Er überzeugte sich auf seinen Reisen durch die Halbinsel, wie
viel GähmngsstofT überall vorhanden war; er sah, wie sehr durch
die letzten Ereignisse das vorörtliche Ansehen Spartas erschüttert
war; er fand die allgemeine Aufmerksamkeit mit dem Prozesse des
Pausanias beschäftigt.
Pausanias nämlich hatte nach der Abberufung von Byzanz
(S. 115) seine Pläne keineswegs aufgegeben. Es gelang ihm durch
Schlauheit und Bestechung die Beweise seiner Ankläger zu entkräften;
Termulhlich stellte er seine Verhandlungen mit dem Grofskönige als
Kriegslisten dar, wodurch er nach themistokleischer Art den Feind
habe verderben wollen. Kurz, nach langen Zeugen verhören und
Untersuchungen, welche etwa das Jahr 474 (76, %) ausfüllten, wurde
er von der Schuld des Hochverraths freigesprochen. Man sieht, wie
mächtig sein Einfluss, wie grofs sein Anhang in Sparta war. Er
blieb Vormund seines unmündigen Vetters Pleistarchos und Regent.
Er verlangte Herstellung seiner alten Würde, um mit voller Macht
nach Bvzanz zurückzukehren. Das konnte er aber nicht durchsetzen;
denn seine Rückkehr hätte offenen Krieg zur Folge gehabt, den man
jetzt in Sparta nicht wollte. Jahre lang zogen sich die Verhandlungen
hin; endlich ging er doch nach Byzanz (um 470); aber nicht als
Regent und Feldherr, sondern ohne öffentlichen Auftrag, auf einem
bennioniseben SchifTe. Er hatte Geldmittel (wahrscheinlich durch
die Perser) und warb Truppen in Thrakien; ja es gelang ihm, sich
mit diesen in Byzanz festzusetzen, ohne Zweifel in der Absicht, den
Platz an die Perser auszuliefern. Aber während er hier auf Unter-
stützung aus Asien rechnete, kamen ihm die Athener zuvor, welche
mit einem Geschwader den Bosporos hüteten. Es kam zu einem
Kampfe in Byzanz (S. 124). Die Athener waren es, die zum zweiten
9*
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PAUSA SIAS' PROZESS UND TOD ÜM 4«T ; 78, i.
Male im gefährlichsten Augenblicke die wichtige Stadt retteten und
Pausanias mit seinen Söldnern zum Abzüge zwangen.
Pausanias ging nach Troas hinüber, wo er in Kolonai verweilte,
um seine Pläne auf eine andere Weise auszuführen. Während er
aber hier auf Gelegenheit wartete (denn als Flüchtling wollte er sich
dem Grofskönige nicht vorstellen), erreichten ihn die Sendboten der
Ephoren, welche ihn wegen der letzten Ereignisse zur Verantwortung
zogen. Pausanias folgte. Er muss geglaubt haben, mit persischem
Gelde ausgerüstet, nicht nur zum zweiten Male der Verurteilung
zu entgehen, sondern auch seine Zwecke in der Ileimath besser
verfolgen zu können. Und in der Tbat wusste er es durchzusetzen,
dass er trotz des erneuerten Hochverrathsprozesses sich in Sparta
vollkommen frei bewegen, seinen Briefwechsel mit Artabazos un-
gehindert fortsetzen, ja sogar in Lakonien Umtriebe machen konnte,
welche olTenbar keinen anderen Zweck hatten, als mit Hülfe der
Heloten, die durch Versprechen bürgerlicher Rechte aufgewiegelt
wurden, die lykurgische Verfassung zu stürzen, das Ephorat zu
beseitigen und das Königsamt mit gröfserer Macht zu bekleiden,
was sich mit einer nominellen Anerkennung der persischen Ober-
hoheit wohl vereinigen liefs.
Viele Monate zogen sich die Untersuchungen und die gleich-
zeitigen Umtriebe des Pausanias hin, bis endlich der Bote, der den
letzten und entscheidenden Brief an Artabazos überbringen sollte,
seinen Herrn verrieth und den Brief an die Ephoren auslieferte.
Nachdem nun diese, um das Geständniss der Schuld aus dem eigenen
Munde des Angeklagten zu erlangen, ihn bei einer Unterredung mit
seinem Boten im tänarischen Heiligthum des Poseidon belauscht
hatten, schritten sie endlich zur Verhaftung. Pausanias flüchtete
von der Slrafse in den Bezirk der Atheoa *zum ehernen Hause*
auf der Burg von Sparta; hier wurde er, da man nicht Hand an
ihn legen durfte, eingeschlossen und erst sterbend aus dem Tempel-
hofe herausgetragen, damit er nicht durch seinen Tod den heiligen
Boden verunreinige. Wie viel Zeit vom Anfange des zweiten Pro-
zesses bis zum Ende des Pausanias verflossen sei, wird nirgends mit
Bestimmtheit angegeben68).
Während der letzten Untersuchungen waren Beweise von einer
Mitschuld des Themistokles in die Hände der Ephoren gekommen.
Dass Pausanias bei seinen Umwälzungsplänen auf Themistokles hoffte,
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VERFOLGUNG DES THEMISTÜKLKS.
133
ist sehr natürlich; er konnte ja bei ihm ein gleiches Mißvergnügen
und einen gleichen Hass gegen die Behörden Spartas voraussetzen.
Tbemistokles boten die damaligen Zustande keinen Raum für seinen
Ehrgeiz, und er war ja selbst schon einmal darauf bedacht gewesen,
sich einen Rückhalt am Perserkönige zu schaffen. Dass Pausanias
ihm seine Pläne mittheilte , ist gewiss, und immerhin mag er in
seinen Briefen an Artabazos die Theilnahme des Tbemistokles als
sieber dargestellt haben, obgleich demselben niemals eine wirkliche
Mitschuld an den verbrecherischen Umtrieben des Pausanias hat
nachgewiesen werden können.
Es ist auch an sich durchaus unwahrscheinlich, dass Tbemi-
stokles sich bereit erklärt haben sollte, die Intriguen des Spartaners,
dessen Charakterschwäche er kannte, ausführen zu helfen. Aber er
hatte darum gewusst und geschwiegen. Die Ephoren säumten nicht,
die vorliegenden Beweise mit giftigem Eifer auszubeuten, um von
der Schmach, welche der ganze Handel auf Sparta warf, wenigstens
einen Theil auf Athen hinüberzuwälzen. Die Hauptsache aber war
für sie, dass sie einen Mann wie Tbemistokles nicht in der Halbinsel
dulden konnten. Hier hatten die Eleer einen Gesamtstaat gegründet
(am 470), welcher bestimmt war, den Einfluss Spartas einzuschränken;
die Arkader waren unbotmäfsig und feindlich in Folge der steten
Aufreizung von Seiten der Argiver. Wie grofs war die Gefahr,
wenn ein unternehmender Mann die feindlichen Mächte zu vereinigen
lusste!
Themistokles wurde also in Athen wegen Theilnahme am Hoch-
verrathe angeklagt. Die Athener hatten keine Lust auf die Sache
einzugehen, und ein edles Gefühl scheint die Bürgerschaft bestimmt
zu haben, die Klage abzuweisen. Durch schriftliche Erklärungen
unterstützte Themistokles dabei seine Freunde. Aber die Gegner
liefsen nicht ab. Aufs Neue verbanden sich die Spartaner mit den
einheimischen Feinden des Verbannten, und Leobotes, Alkinaions
Sohn, von der kimonischen Partei unterstützt, setzte endlich durch,
dass die Klage angenommen wurde. Themistokles wurde, wie es
spartanische Arglist ersonnen halte, aufgefordert, sich wegen Hoch-
Terralhs am gemeinsamen Vaterlande vor einem hellenischen Gerichts-
hofe in Sparta zu stellen. Als er ausblieb, wurde er verurteilt, und
seine Verfolgung, als eine hellenische Angelegenheit, von Sparta und
Athen gemeinsam betrieben.
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FLUCHTKEISE DKS TUEMISTOKLES (467-*6).
Nun erlebte Hellas das unwürdige Schauspiel, dass der Retler
seiner Unabhängigkeit, der gröfste Staatsmann, den Athen seit Solon
gehabt hatte, der Befreier des griechischen Meers, der begabteste
und gefeiertste Mann seiner Zeit, einem gemeinen Verbrecher gleich
von Häschern verfolgt, über Land und Meer, von einem Schlupf-
winkel zum andern gelriebeu wurde. Zu keinem edlen Zwecke
habeu jemals die beiden Städte so einträchtig und so energisch zu-
sammen gehandelt.
Themistokles hatte keine Lust, Hellas zu verlassen; er wollte
nichts thun, was die Verläumdungen seiner Feinde bestätigen konnte.
Er ging von Argos nach Kerkyra; von hier aufgescheucht, nach
Epirus. Es scheint, dass die Verfolger seine Spur verloren; es ver-
breitete sich die Nachricht, er sei nach Sicilien, während er am
Herde des Molotterkönigs Admetos Aufnahme gefunden hatte. Hier
glaubte er bleiben zu können und vor einer weiteren Verfolgung
sicher zu sein. Aber er hatte sich getäuscht. Bald hatten ihn seine
unversöhnlichen Feinde auch hier aufgespürt, und von Neuem musste
er seine Fluchtreise fortsetzen, da sein edler Gastfreund sich den
Forderungen der hellenischen Gesandten, welche seine Auslieferung
verlangten, nicht länger entziehen konnte. Nun war diesseits des
Hellesponts kein sicherer Platz mehr für ihn zu finden, und damit
war jede Hoffnung auf Heimkehr für alle Zeit vernichtet. Auf ein-
samen Pfaden liefs er sich quer durch das wilde Bergland nach
Makedonien hinüberführen und erreichte unerkannt den Hafen von
Pydna. Hier nahm ihn ein Schiff auf, das nach lonien segelferlig
war. Der Sturm trieb es in die Nähe der attischen Flotte, die vor
Naxos lag (S. 126 f.). Jede Berührung mit derselben wäre sein Ver-
derben gewesen. Er gab sich seinem Schilfsführer zu erkennen und
erlangte von ihm durch Bitten und Drohung, dass er Wind und
Wetter zum Trotze sein Fahrzeug fern hielt. So gelangte er endlich
nach Ephesos.
Aber auch hier war er nirgends seines Lebens sicher. Griechen
wie Perser lauerten ihm auf; der Grofekönig hatte einen hohen
Preis auf seinen Kopf gesetzt, und in lonien, wo damals die Zustände
der Art waren, dass sich die persischen und die griechischen Ein-
flüsse überall kreuzten, sah er sich aller Orten vou doppelten Ge-
fahren umringt. Uustät irrte er von einem Orte zum andern, bis
er endlich bei seinem Gastfreunde Nikogenes in Mysien Rath und
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SCHLACHT AM ECU Y. ME HON (78, 4; 465).
135
Hülfe fand, um aus diesem elenden Irrsale erlöst zu werden. Es war
deutlich, dass er nur in Susa, am Hofe des Königs, sichern Schutz
finden könne. Denn wenn auch von allen Menschen Keiner mehr
Ursache hatte, ihn zu verwünschen, so wussle er doch auch, dass
nirgends seine Dienste höher angeschlagen werden würden, und dass es
bei den Acbämeniden von jeher Brauch gewesen sei, gegen hellenische
Flüchtlinge grofsniüthig zu sein. Nikogenes stand in nahen Be-.
Ziehungen mit dem Perserhofe. Er schaffte ein bedecktes Fuhrwerk
an. wie es für den Harem vornehmer Perser benutzt zu werden
pflegte, und in solchem Weiberwagen, hinler dichten Vorhängen ver-
steckt, gelangte Themistokles von Aigai über Sardes nach Susa89).
Die Zeitumstande waren günstig. Denn der Muth der Perser
war durch neues Kriegsunglück tief gebeugt, und der Mangel an
Feldherrn, die den Athenern gewachsen wären, wurde schmerzlicher
als je empfunden.
Nachdem nämlich durch den Tod des Pausanias die Hoffnungen
vereitelt waren, welche man an die verrätherischen Umtriebe des-
selben geknüpft hatte, wurde noch einmal gegen Hellas gerüstet.
Land- und Seetruppen sammelten sich an der südlichen Küste Klein-
asiens, wo die Perser noch am meisten die Herren waren. In
Cypern erhoben sich von Neuem die persisch gesinnten Dynasten;
eine phönikische Flotte war kampflertig. Man wollte wenigstens
den Küstensaum wieder unterwerfen, dessen Städte noch immer in
schwankender Stellung waren und mit ihrem Tribute in den per-
sischen S leuerlisten aufgezeichnet standen; denn die Satrapen waren
nach wie vor verpflichtet, die vorgeschriebenen Summen einzuliefern.
Man musste also dem revolutionären Zustande daselbst ein Ende zu
machen suchen. Aber ehe die Streitkräfte sich vereinigen konnten,
kamen die Athener mit unvergleichlicher Thalkraft jedem Angriffe
zuvor.
Die Flotte war, als Naxos gedemüthigt war, wieder frei. Es
wurde beschlossen, jetzt den noch immer unsicheren Zuständen in
ionien ein Ende zu machen und das für die Herrschaft im ägäischen
Meere unentbehrliche Karien den Persern zu entreifsen. Kimon
ging mit 200 Schiffen nach Asien hinüber; er suchte den Feind
und fand ihn im pamphyliscben Meere. Die Perserflotte wollte trotz
ihrer liebe rm acht dem Kampfe ausweichen und zog sich in die
Mündung des Eurymedon zurück. Aber Kimon ereilte sie und er-
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136 ARTAXERXES* REGIERUNGSANTRITT (78, 4; 464).
zwang eine Seeschlacht. Die zusammengedrängte Flotte wurde völlig
geschlagen; die Flottenmannschaft, welche an das Ufer flüchtete und
sich mit dem Landheere vereinigte, unverzüglich angegriffen und
nach heftigem Widerstande besiegt; das reiche Lager Gel den Athenern
in die Hände, und ehe noch die heranfahrende phönikische Flotte
von der Niederlage Kunde hatte, wurde auch sie auf hohem Meere
angegriffen und zerstreut.
Xerxes erlebte diese Schmach seines Reiches noch, war aber
ohne Kraft sie zu rächen, ja er empfand sie kaum. Träge und
stumpf safs er in seinem Palaste und liefs sich von seiner Gemahlin
Ameslris, von Eunuchen und Hofbeamten willenlos beherrschen. Er
war von Jahr zu Jahr immer tiefer gesunken, und was sich früher
noch an edleren Regungen in ihm gezeigt hatte, war in wüsten Aus-
schweifungen völlig erloschen. Ehe er noch von dem griechischen
Feldzuge nach Susa heimgekehrt war, hatte er die Frau seines Bruders
Masistes zu verführen gesucht; von ihr abgewiesen, buhlte er mit ihrer
und des Masistes Tochter, Arlaynte, die er seinem Thronerben Dareios
verhcirathet hatte.
Dadurch wird die Eifersucht der leidenschaftlichen Amestris ent-
flammt, und die schuldlose Frau des Masistes fällt ihrer grausamen
Wuth zum Opfer. In Folge dessen empört sich Masistes gegen Xerxes
und wird in blutigem Kampfe mit seinem ganzen Hause vernichtet.
Kurz, alle Greuel von Frevel und Schande häuften sich in den letzten
Jahren des Xerxes, und die Griechen konnten darin die gerechte
Vergeltung für das Unglück, das er über ihr Vaterland gebracht
hatte, erkennen. Am eigenen Hofe machtlos und verachtet, wurde
Xerxes endlich von dem Befehlshaber seiner Leibwache, dem Hyrkanier
Arlabanos, ermordet; auch Dareios, der Thronerbe, Gel in dieser Palast-
revolution. Sie war vollzogen, als Themistoklcs nach Susa kam. Er
fand Arlabanos noch als Anführer der Palasttruppen und ward durch
ihn, der seine einflussreiche Stellung eine Zeit lang zu behaupten
wusste, dem jungen Grofsherrn Artaxerxes vorgestellt. Wenig Monate
darauf wurden die Frevel des Hyrkaniers und seine Absicht, den
ganzen Achämenidenstamm zu vernichten, offenbar, und er Gel von der
Hand des Artaxerxes (Ol. 78, 4; 464 70).
Als Artaxerxes die Regierung übernahm, war in Folge der
Eurymedonschlacht noch ganz Persien von Schrecken gelähmt; das
Heer hielt sich furchtsam im Binnenlande zurück, der attischen Flotte
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THEMISTOKLES IN MAGNESIA
137
war die Herrschaft über Meer und Küste überlassen und die Tribute
der Städte gingen nach Delos. Artaxerxes war ein Jungling von hoch-
herzigem Sinne, der die Erbschaft des verwahrlosten und schmach-
bedeckten Reichs mit dem Entschlüsse antrat, das Seinige zu thun,
uro dem Vaterlande wieder aufzuhelfen. Musste er es da nicht für
ein glückverbeifsendes Ereigniss hallen, dass gerade bei seinem
Regierungsantritte der gröfste Seeheld seiner Zeit, von seinen un-
dankbaren Landsleuten ausgestoßen, nach Susa kam, um seine Dienste
anzubieten? Konnte man sich ein besseres Rüstzeug wünschen, um
auf dem ägäischen Meere die Waffen der Achämeniden wieder zu Ehren
zu bringen? Er war nicht der Einzige seiner Art im Perserland. Auch
sein alter Feind Timokreon (S. 127) war aus einem fanatischen Wider-
sacher des Perserreichs ein Anhänger und Schützling desselben ge-
worden und konnte nun nach den abenteuerlichen Wechselföllcn seines
Lebens noch die Spottverse schreiben: 'Also ist's doch nicht Timokreon
allein, der mit den Medern Vertrag schliefst, sondern es giebt noch
mehr Verrälher. Ich bin nicht der einzige Fuchs; ich kenne deren
noch andere' TOa).
Themistokles wusste die Gunst der Verhältnisse und die ent-
gegenkommende Huld des jungen Fürsten wohl zu benutzen. So lange
er durch Dolmetscher sich verständigen musste, konnte er den Einfluss
seiner Persönlichkeit nicht zur Gellung bringen. Er bat also um die
Erlaubniss, eine Zeitlang in voller Zurückgezogenheit leben zu dürfen«
om sich des Landes Sprache und Sitte anzueignen. Wenn er auch
schon ein Sechziger war, so besafs er doch noch die geistige Frische,
das Gedächtniss und die Gewandtheit eines Jünglings, und so war es
möglich, dass er nach Jahresfrist seinen Zweck so weit erreichte,
om sich am persischen Hofe mit Freiheit und Sicherheit bewegen zu
können. Nun gelang es ihm in Susa, wie einst in Athen, seine Um-
gebung zu beherrschen; er ward des Königs Tisch- und Jagdgenosse,
ein Mann von bestimmendem Einflüsse und ehe er noch auf Dank
Anspruch hatte, wurde ihm in lonien durch des Königs Huld eine neue
Heimath gegründet.
Magnesia am Maiandros, welches jährlich fünfzig Talente (75,000
Thaler) einbrachte, wurde ihm als fürstlicher Sitz gegeben; daneben
wurden ihm Myus in Karien, Lampsakos und Perkote am Hcllespont
und Skepsis in AeoLis mit ihren Einkünften überwiesen, indem man
nach persischer Sitte die verschiedenen Besitzungen zu ßrod, Wein,
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13$
THEMIMOKLES IN MAGXESU.
Zukost, Gewand und Lager besonders bestimmte. Die Städte waren
aber offenbar zu dem Zwecke ausgesucht, Themislokles einen weit-
greifenden Einfluss in den am meisten gefährdeten Gränzgebieten zu
verschaffen und ihn schon durch sein persönliches Interesse anzuhalten,
Alles zu thun, um die abgerissenen Theile des Reichs so bald als
möglich wieder zu gewinnen ; denn die ihm angewiesenen Küstenstädte
müssen mit Ausnahme von Magnesia schon dem altischen Seebunde
angehört haben.
Magnesia ward seine Residenz. Hier lebte er geraume Zeit als
persischer Satrap, und noch heute haben wir Silbermünzen, die er mit
seinem Namen in griechischer Schrift und mit griechischen Münz-
bildern nach attischem Gewicht als Herr von Magnesia hat prägen
lassen.
Glücklich und friedlich war freilich auch jetzt sein Loos nicht.
Er blieb ein Gegenstand des Misstrauens wie des Neides und setzte
durch unvorsichtige Keckheil sein Leben oft in Gefahr. So soll er bei
einer Anwesenheit in Sardes den Wunsch geäufsert haben, man möge
das Erzbild einer Wasserträgerin, das er einst als Aufseher der städti-
schen Wasserleitungen den Athenern errichtet hatte, nach Athen
zurückschicken, und dadurch den Zorn des dortigen Satrapen in dem
Grade erregt haben, dass er zu den Weibern des Harems seine Zuflucht
nehmen mussle, um durch ihre Verwendung den üblen Folgen seiner
Unbedachtsamkeit zu entgehen.
Viel misslicher aber war seine Lage dadurch, dass er Verpflich-
tungen übernommen halte, deren Erfüllung ihm schwer, ja unmöglich
sein musste. Freilich war man anfangs geduldig und scheint ihn mit
drängenden Zumuthungen verschont zu haben, um so mehr, da der
König während seiner ersten Regierungsjahre im Innern des Reichs
vollauf zu thun halle. Aber Themislokles musste ja schon durch die
Lage seiner Stalthalterschaft in feindliche Rerührung mit Athen und
den Rundesgenossen gerathen, und diese werden Alles gethan haben,
seinem Einfluss auf die Küstenstädte entgegenzuarbeiten. Es wird
berichtet, dass Kimon gegen die mit Themislokles an die Küsle vor-
rückenden Perser ausgezogen sei ; doch ist uns ein genauerer Einblick
in diese Verhältnisse nicht verstattet71).
Nun trat aber eine neue Verwickelung ein. Die Aegypter fühlten
sich durch die Verwirrungen, welche seit Xerxes' Tode ununterbrochen
im Perserreiche gedauert halteu, ermuthigl, ihre Selbständigkeit wieder
THEMISTOKLES' TOD LIM 400; 80, L
i:3J
zu gewinnen; sie trieben die persischen Steuerbeamten zum Linde
hinaus und fielen ab. Dadurch wurde] das Auge des Grofskönigs, der
soeben den baklrischen Aufstand bewältigt hatte, wieder nach dem
Westen und dem Meere hingewendet, und je mehr hier eine Verbin*
dung zwischen Griechen und Aegyptern zu fürchten war, um so näher
lag es, jetzt endlich von Themistokles kräftige Dienstleistungen zu er-
warten und zu fordern.
Wie über das ganze abenteuerliche Leben des Themistokles, so
waren auch über seine letzten Schicksale schon im Allerthume die
verschiedensten Gerüchte verbreitet. Als er, dem Greisenalter nahe,
die schwierigste Aufgabe seines Lebens übernehmen und sich mit
fremdem Seevolke, auf dessen Tüchtigkeit und Treue er sich nicht
veriasseu konnte, den Trieren seiner eigenen Vaterstadt und ihrem
sieggewohnten Feldherrn gegenüberstellen sollte, starb er plötzlich;
uod sein Tod trat so rechtzeitig ein, um ihn aus der peinlichsten Lage
zu erlösen, dass man sehr allgemein an einen freiwilligen Tod dachte,
lodesseu stellt Thukydides diesen Gerüchten die bestimmte Nachricht
entgegen, dass er an einer Krankheit gestorben sei, und man kann also
nur darüber zweifelhaft sein, ob dieselbe zufällig eingetreten ist, oder
ob sie mit dem inneren Zwiespalt zwischen Vaterlandsliebe und persön-
licher Verpflichtung, in welchen ihn seine unglückliche Stellung ge-
bracht hatte, in Zusammenhang gestanden hat; denn das unerträgliche
Bewusstseiu davon, dass er aus dieser Verwickelung nicht mit Ehren
hervorgehen könne, niusste auch des gewaltigen Mannes geistige und
leibliche Kraft am Ende aufreiben.
Auf dem Markte von Magnesia wurde ihm ein prachtvolles Grab-
mal errichtet, und die aus der Verbannung heimgekehrten Söhne
weihten zu seinem Andenken ein Bild von ihm im Parthenon. Auch
seine Gebeine sollen auf seinen Befehl von seinen Angehörigen heim-
lich nach Attika gebracht worden sein ; doch war diese Thatsache dem
Thukvdides zweifelhaft. Im Peiraieus wurde ein altarforniiges Denk-
mal gezeigt, welches Themistokles als dem Gründer der Hafenstadt und
der Seemacht Athens errichtet worden ist, als man seine unvergäng-
lichen Verdienste wieder unbefangener zu beurteilen im Staude war7*).
Während die Gefahren, die den Athenern durch Themistokles
erwachsen sollten, abgewendet wurden, waren in der Mitte des
Seebuudes selbst sehr gefährliche Spannungen eingetreten, und
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140
DIE ATHENER AN STRYMON 465.
zwar unmittelbar nach dem glanzenden Siege am Eurymedon, nach
welchem auch die lykischen Städte ostwärts bis Pamphylien dem
delischen Bunde einverleibt und alle äufseren Feinde beseitigt waren.
Denn auch im Norden des Meers, wo die Perser den Chersonnes
nicht aufgeben wollten und sich deshalb mit den thrakischen Völker-
schaften verbunden hatten, gelang es Kimon mit einem kleinen
Geschwader die feindliche Macht, die sich hier bilden wollte, zu ver-
nichten und die ganze Halbinsel, welche den Hellespont beherrscht,
das Besitzthum seiner Ahnen, von Neuem für die Athener zu
erobern.
Dieser wichtige Fortschritt führte aber zu neuen Verwickelungen.
Denn indem die Athener sich an den thrakischen Kästen auszubreiten
suchten, trat ihnen eine der bedeutendsten aller Bundesinseln ent-
gegen, die Insel Thasos, welche ihre Anspräche auf eigene See-
herrschaft noch immer nicht aufgeben wollte. Darum war ihr die
Herrschaft der Athener am Strymon ein Dom im Auge (S. 124).
Sie musste früher oder später zu feindlichen Begegnungen fähren:
denn die Insulaner merkten bald, dass die Athener nicht gesonnen
waren, sich mit der Einnahme des Küstenplatzes Efon zufrieden zu
stellen, sondern dass dies nur der Ausgangspunkt für eine allmähliche
Eroberung des thrakischen Landes sein sollte.
Unmittelbar nach dem Falle von Elon ging eine Heeresabtheilung
am Strymon hinauf, um sich eine Stunde oberhalb der Mündung
an den Neun wegen (Enneahodoi) niederzulassen, einem wichtigen
Kreuzpunkte des Verkehrs, woselbst schon Aristagoras eine Ansiedlung
beabsichtigt hatte. Die Unternehmung misslang in dem Grade, dass
nur Wenige sich retteten.
Die Athener liefsen sich aber nicht abschrecken und unter-
nahmen etwa drei Jahre später einen neuen Kriegszug in viel
gröfserem Mafsstahe, um den Zugang in das Innere zu erzwingen.
Zehntausend wehrhafte Colonisten, von Staatswegen aufgeboten und
durch die Aussicht im goldreichen Lande Reicht hü mer zu gewinnen
angelockt, Bürger aus Athen und den Bundesslädlen, sammelten sich
in Eion, besetzten glücklich die Neunwege und drangen dann unter
Führung des Leagros weiter gegen Norden in das Land der Edoncr
vor, um in der Nähe der Bergwerke feste Plätze zu gewinnen.
Aber die thrakischen Stämme vereinigten sich gegen die fremden
Eindringlinge, sie überfielen das Heer bei Drabeskos und brachten
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ABFALL VON THASOS (7S, 4; 4*4). 141
ihm eine so blutige Niederlage bei, dass damit für das Erste allen
Versuchen der Athener, sich im Innern des Slrymonlandes festzu-
stellen, ein Ende gemacht wurde78)«
Diese Umstände glaubten die Thasier benutzen zu müssen, wenn
>ie sich die reichen Hülfsquellen des gegenüberliegenden Festlandes
erhallen wollten, namentlich die Goldgruben des Fangaion, welche
zwischen Elon und der Gegenküste von Thasos in der Mitte lagen.
Gingen ihnen diese verloren, so war damit jede Aussicht der Insulaner
auf eigene Seemacht für immer vernichtet. Sie mussten die Zeit
benutzen, so lange die Athener muthlos und die Thrakier voll
Erbitterung gegen Athen waren. Sie knüpften also mit diesen Ver-
bindungen an und eben so mit den Makedoniern, denen die Athener
gleich unwillkommene Nachbarn waren, und erklärten dann, als ihre
Beschwerden in Athen keine Berücksichtigung fanden, offen ihren
Abfall vom Bunde. Das geschah Olymp. 78, 4; 464, bald nach der
Schlacht am Eurymedon.
Athen musste einen schweren Kampf beginnen, um die trotzige
üuel, welche sich lange im Stillen gerüstet hatte, zu demüthigen;
es galt zugleich die Herrschaft im thrakischen Meere und den Besitz
der Goldküste. Die Athener nahmen alle Kräfte zusammen, und
die Thasier wurden inne, dass sie trotz der heimlichen Unter-
stützung Makedoniens der Flotte Kimons auf die Dauer nicht wider-
stehen würden; sie suchten nach anderen Bundesgenossen, sie
schickten nach Sparta und fanden hier für ihre Anträge eine sehr
günstige Aufnahme.
In Sparta fühlte man, dass etwas geschehen müsse, um Athen
entgegen zu treten. Solche Folgen hatte allerdings Niemand von
dem lebergange des Flottenbefelils erwartet; denn, während Athen
Ton Sieg zu Sieg eilte und in jedem Jahre seine Macht erweiterte,
war Sparta nicht nur stehen geblieben, sondern in der ganzen Zeit
rückwärts gegangen. Der Prozess des Pausanias halte einen bösen
Eindruck gemacht; dazu kam, dass um dieselbe Zeit auch von
Leotycbides ruchbar wurde, er sei von den Aleuaden bestochen und
deshalb so plötzlich aus Thessalien (S. 111) zurückgegangen, das er
schon ganz in seiner Hand hatte. Mitten im Lager hatte man den
Konig mit seinem Golde angetroffen. Er flüchtete nach Tegea;
win Haus wurde niedergerissen, sein Andenken verflucht. So häufte
»ich Schuld auf Schuld in den Familien der Herakliden. Gleich-
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112
ERDBEBEN IN SPARTA (19, 1; 464).
zeilig lockerten sich die peloponnesischen Verhältnisse in bedenk-
licher Weise; im Binnenlande wie an den Küsten erstarkte die
den Spartanern feindliche Partei. Der alte Erbfeind, Argos, hatte
wieder Kräfte gesammelt, um mit neuen Ansprüchen auftreten zu
können.
Unter diesen bedrohlichen Verhältnissen musste Sparta sich
aufraffen und nach neuen Verbindungen umsehen, um Ehre und
Ansehen wieder herzustellen. Die Verbindung mit Thasos hatte aber
viel Lockendes. Denn noch halten die Thasicr ihre Goldbergwerke
in Händen, und Sparta konnte hoffen, hier die Mittel zu gewinnen,
um den Athenern auf der See wieder entgegen treten zu können.
Wie grofs aber die Erbitterung der Spartaner war, geht schon daraus
hervor, dass sie auf Anlass der thasischen Gesandtschaft nicht etwa
blofs Vermittelung und Unterstützung versprachen, sondern sogar
einen unmittelbaren Angriff auf Athen, um dadurch die Entsetzung
der Insel zu erzwingen.
Indessen halten sie mehr versprochen, als sie halten konnten.
Denn ehe sie an's Werk gehen konnten, trat ein ungeheures Natur-
ereigniss ein, das alle Vorbereitungen unterbrach, ein Erdbeben
von solcher Furchtbarkeit, wie es im Eurotasthaie noch nie vorge-
kommen war. Abgründe öffneten sich, Felsen stürzten von den
jähen Gipfeln des Taygetos nieder, Wohnungen und Tempel brachen
zusammen; es gab kein Sparta mehr, nur einige Häusergruppen
waren übrig. Alle Ordnung löste sich auf; denn einen Staat, wie
den spartanischen, hielt ja nur das Band der Furcht zusammen.
Die Heloten, immer zum Aufrühre geneigt, waren aber damals gerade
besonders aufgeregt, weil sie nach Entdeckung der wühlerischen
Umtriebe des Pausanias die grausamsten Verfolgungen hatten erdulden
müssen (S. 132). Man hatte selbst aus dem Heiligthume des
Poseidon in Tainaron die Unglücklichen zur Hinrichtung geschleppt,
und deshalb erschien das furchtbare Naturereigniss wie ein Zorn-
gericht des Erderschütterers, wie ein Ruf zu gerechter Rache. Mit
den Heloten erhoben sich die Messenier. Thuria, Antheia wurden
Sammelplätze des Aufruhrs, und der König Archidamos, des Leo-
tychides Nachfolger, in dessen viertem Regierungsjahre (79, 1 ; 464)
dies Ereignißs eintrat, musste mit der Mannschaft, die er zusammen-
bringen konnte, eiligst aufbrechen, um die abgefallene Landschaft
wieder zu unterwerfen.
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K1M0>S STELLUNG IN ATMEN.
143
Von Unterstützung der Thasier konnte unter solchen Umständen
nicht die Rede sein. Sie wehrten sich mit zäher Ausdauer bis in
das dritte Jahr; dann waren ihre Mittel erschöpft. Alle Schiffe
musste die stolze Insel ausliefern, ihre Mauern niederreiten, die
Kriegskosten zahlen* das Festland mit seinen reichen Metallrenten
aufgeben und zu regelmäfsigem Tribute sich bequemen. Es war ein
glänzender Gewinn der Athener, ein schreckendes Beispiel für alle
schwankenden Bundesgenossen, ein gewaltiger Fortschritt in der
Beherrschung des thrakischen Meers74).
Kimon stand in vollem Glänze des Ruhms, wie kein attischer
Feldherr vor ihm, seit 470 fast ununterbrochen der Führer einer
siegreichen Flotte, ein steter Mehrer der Bundesmacht. Aber er
war mehr als ein gepriesener Feldherr; er genoss in allen öffent-
lichen Angelegenheiten das gröfste Ansehen, er war der Liebling
des Volks, vor dessen Augen er sich auf das Glücklichste entwickelt
hatte. Denn anfanglich hatte er keine besonderen Erwartungen er-
weckt. Man hatte ihn sogar stumpfsinnig und schwerfällig, plump
in seinem Benehmen und junkerhaft gefunden; seine Sitten hatten
mancherlei Anslofs gegeben. Aber unter der Zucht schwerer Lebens-
terhältnisse war aus dem lockeren Jünglinge ein Mann geworden
Dach dem Herzen des Aristeides, aus dem Sohne des Gewaltherrn
ond einer thrakischen Königstochter ein echter Bürger Athens, der
es auch in feinerer Geistesbildung wenigstens dem Themistokles
rar orthat und der in der Volksversammlung das Wort zu führen
wosste. Aus rauher Hülle hatte sich ein edler Kern entwickelt,
eine gesunde und tüchtige Kraft, welche um so segensreicher wirkte,
weil sie den Forderungen der Zeit nicht eigensinnig widerstrebte.
Freudig hatte er die angestammten Jugendneigungen aufgegeben
ond sich der neuen Richtung des attischen Lebens, welcher The-
mistokles Bahn gebrochen, offen und ehrlich angeschlossen, obgleich
er nicht verkennen konnte, dass die neue Zeit dem Ansehen der
alten Geschlechter und ihren Interessen nichts weniger als günstig
sein würde. Und niemals ist patriotische Selbstverleugnung glänzen-
der belohnt worden.
Die gesunde Natur Kimons bewährte sich darin, dass ihn das
Glück nicht verdarb. Er behielt sein freies offenes Wesen, seinen
geraden Sinn, der alle Ränke hasste; er war, ohne eine Spur von
gemachter Herablassung, der liebenswürdigste Gesellschafter, Jedem
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Mi
KIMO.NS STELLUNG IN ATHL.Y
zugänglich; ein Mann, der in seiner Person das Wesen der alten
und der neuen Zeit zu vereinigen wusste. Vor Allem bewahrte er
die Tugenden, durch die von jeher das Haus der Kypseliden berühmt
war, Freigebigkeit und Gastlichkeit, und zwar ohne eine Absichtlich-
keit zu zeigen oder durch Prahlerei zu verletzen. Alles was er an
altem Familiengute wiedergewonnen und durch seinen Antheil an
der Siegesbeute sich neu erworben hatte, schien er nicht für
sich, sondern für seine Mitbürger zu besitzen. Seine Landgüter,
seine Gärten, seine Tafel waren den Wanderern wie den Nachbarn
ofl'en.
Und welchen Eifer zeigte er für gemeinnützige Werke! Ihm ver-
dankten die Bürger die grofse Wohlthat, dass der Stadlmarkt im
Kerameikos mit Hallen umgeben und mit Platanen bepflanzt wurde. Er
sorgte dafür, dass die westlichen Vorstädte, welche sich vom Dipyloti
in die Niederung des Kephisos hinabzogen, mit anmuthigen und be-
deutungsvollen Anlagen ausgestaltet wurden-, im äufseren Kerameikos
wurden die Grabstätten der im Kampfe gefallenen Bürger errichtet;
nach den verschiedenen Schlachtfeldern geordnet, bildeten sie ein
großartiges Denkmal attischen Ruhmes. An den Kerameikos stiefe
die Akademie, deren schattige Spaziergänge Kimon angelegt hatte.
Unter herrlichen Volksfesten hatte er die Gebeine des Theseus heim-
geführt und so dem Volke von Athen den Heroen gleichsam zurück-
gegeben, welchen es als den Gründer seiner bürgerlichen Freiheil zu
preisen liebte. Die Akropolis hat durch ihn eine neue Gestalt er-
halten, indem er ihr durch die Südmauer nach der Seeseile ein
stattliches Ansehen gab und dadurch zugleich für neue Tempelbauten
eine breite Terrasse schuf. Er soll endlich auch, um das grofse
Werk, welches Themistokles entworfen hatte, weiter zu führen, den
Bau der Verbindungsmauern zwischen Athen und dem Peiraieus von
Neuem in AngrifT genommen haben.
Aber wenn Kimon auch noch so vorurteilsfrei der neuen Politik
sich anschloss, wenn er auch wesentlich dazu beigetragen hatte,
Themistokles' Kriegspläne zur Ausführung zu bringen und dann die
von ihm gegründete Seeherrschafl zu verwirklichen, so war er doch
weit entfernt, die ganze Auffassung des Themistokles von der Aufgabe
Athens zu theilen. Er war sein Nachfolger an demselben Werke,
aber er wirkte in einem ganz anderen Sinne. Er wollte der
neuen Zeit das Gute der allen bewahren, Besonnenheit und Mafs,
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KIMONS STELLUNG IN ATHEN.
145
Zucht und ehrbare Sitte. In der Treue gegen die Ueberlieferungen
der Vorzeit stellte er seinen neuerungssüchtigen Mitbürgern Sparta
als Beispiel vor Augen; er hielt den Zusammenhang mit diesem
Staate für ein heilsames Gegengewicht gegen die Neigung der Athener,
sich in unbesonnenen Plänen zu überstürzen. Die Verträge mit den
verbündeten Staaten sollten nicht, wie Themistokles gewollt hatte,
in der Absicht geschlossen sein, um später wie eine lästige Fessel
abgeschüttelt zu werden, sondern sie sollten in zeitgemäfser Um-
wandelung fortbestehen, so dass Athen dadurch nicht behindert werde,
Torwarts und Allen voran zu gehen. Darum hielt er es für das
gröfsle Glück seines Lebens, dass es ihm mit Aristeides gelungen sei,
in friedlicher Weise die Hegemonie zur See an Athen zu bringen. Er
wollte, dass Athen durch weise Mäfsigung das Vertrauen der anderen
Staaten erwerbe, moralischen Einfluss gewinne und so die noch be-
stehenden Spannungen überwinde. Darum verwarf er mit Ent-
schiedenheit jede Politik, welche auf Kosten der anderen Bundes-
Staaten und durch Erniedrigung Spartas Athen grob machen »olhe.
Sein Haus sollte ein echt hellenisches sein, und darum legte er
großen Werth darauf, mit den ansehnlichsten Staaten von Hellas in
Gastfreundschaft zu stehen und ihre Interessen in Athen zu ver-
treten. Darum nannte er auch seine Söhne Thessalos, Lakedaimonios
und Eleios; ein Zeichen, mit welcher Entschiedenheit und Offenheit
er seine Grundsätze vertrat.
Die Spartaner wussten wohl, was ein Mann wie Kimon, den sie
schon vor der Schlacht bei Plataiai als Gesandten bei sich gesehen
hatten, für sie werth sei; sie benutzten also ihre Verbindungen in
Athen, um seinen Einfluss zu stärken und zeigten sich fügsam in
allen Verhandlungen, bei denen er thätig war. So war es ihm ge-
lungen, Themistokles mehr und mehr bei Seite zu schieben, und er
wirkte nach der Verbannung des Themistokles noch etwa vier Jahre
in enger Gemeinschaft mit Aristeides, dem er sich aus voller Ueber-
leugung anschloss.
Neben den glänzenden Thaten der Feldherrn trat die stillere Ar-
beit des ordnenden Staatsmanns zurück, und es ist eine der schmerz-
lichsten Lücken der Zeitgeschichte, dass wir von dem Wirken des
Aristeides in den zehn Jahren, welche der Stiftung des Bundes folgten,
nichts wissen, lieber sein Ende ist noch weniger bekannt, als über
das des Themistokles.
CortiM. Gr. Qttcb. IL 0. Aufl. \Q
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146
AMSTEIDES' TOD UM 7», *; 4«7— «.
Wir hören nur, dass er im Frühjahre 467, als die 'Sieben
gegen Theben' von Aischylos aufgeführt wurden, im Theater war und
dass Aller Augen sich auf ihn wendeten, als man die Worte vernahm,
die den Seher Amphiaraos schilderten, aber auch wohl nach des Dichters
Absicht Aristeides galten:
'dem Mann, der ein Gerechter sein, nicht scheinen will,
4dem aus der tiefen Furche seiner treuen Brust
'des vielbewährten Käthes reiche Saat entspriefst'.
Bald nachher ist er gestorben, und zwar, wie die glaubwürdigste
Ueberlieferung lautet, auf einer in öffentlichen Angelegenheiten unter-
nommenen Fahrt nach dem schwarzen Meere, das durch Kimon für
Athen geöffnet war und von jetzt an zum attischen Bunde in den
wichtigsten Beziehungen stand.
Aristeides' Tod (um 78, 2; 46V) war eine Epoche im Leben Ki-
mons. Jetzt stand er allein an der Spitze des Staats; seine Stellung wurde
schwieriger, arbeitsvoller und gefährlicher. Er war der einzige Führer
derjenigen Partei, welche wir die grofsgriechische nennen können,
einer Partei, deren Programm auf folgenden Hauptpunkten beruhte:
Krieg gegen den Nationalfeind unter Führung Athens, Aufrecht-
erhaltung des Bündnisses mit Sparta, kräftige Leitung der delischen
Amphiktyonie bei möglichster Schonung der verbündeten Staaten78).
Die Siege Kimons waren so glänzend, dass eine Zeitlang kein
Widerspruch laut wurde. Aber er täuschte sich, wenn er glaubte,
dass durch die Verbannung seines Gegners auch der Einfluss desselben
beseitigt wäre. Die Gedanken des Themistokles lebten fort und tauchten
mit neuer Kraft in einer jüngeren Generation auf, welche der Meinung
war, dass der viel geschmähten Einseitigkeit und Schroffheit themisto-
kleischer Politik die einzig richtige Auffassung der gegebenen Ver-
hältnisse zu Grunde liege. Wer immer auf Sparta Rücksicht nehmen
wolle, der könne es mit der Gröfse Athens nicht aufrichtig meinen ;
das sei eine feige Politik, die zu lauter Halbheit führen müsse, und
zwar um so mehr, da man sich auf Spartas Ehrlichkeit und bundes-
freundliche Gesinnung niemals verlassen könne. Darum müsse man
sich von solchen Rücksichten frei machen; man müsse kühn und
entschlossen vorwärts gehen, um im Innern die Bürgerschaft von
jeder Hemmung frei, nach aufsen den Staat so stark wie möglich zu
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DIE GEGNEI1 KIM0S8.
147
uneben, und seine politischen Grundsätze im weitesten Umfange zur
Geltung zu bringen.
Weil Kimon diese Parteiricbtung für verderblich hielt, hatte er
an Stelle des Aristeides den Kampf gegen Themistokles aufgenommen ;
darum hatte er seine Verbannung mit allem Eifer betrieben und
darum setzte er den Kampf gegen seine Anhänger fort, welche auch
mit dem Verbannten in Verbindung blieben und Kimons häuGge Ab-
wesenheit von Athen benutzten, ihre Kräfte zu sammeln. Man hat
Kimon zum Vorwurfe gemacht, dass auf seine Veranlassung Epikrales
von Acharnai zum Tode verurteilt sei, weil er dem landesflüchtigen
Themistokles Frau und Kinder zugeführt habe. Aber wie es sich
aoch damit verhalten mag, gewiss hat Kimon nicht aus gemeiner
Rachsucht gehandelt, sondern es müssen mit jenen Freundschafts-
diensten politische Umtriebe verbunden gewesen sein, welche sich
als slaatsgefährlich und gesetzwidrig nachweisen liefsen. Das freilich
ist deutlich, dass es Kimon nicht vergönnt war, so hoch und frei
über den Zeilrichtungen zu stehen, wie Aristeides, und es wäre ein
Wunder, wenn er, seit er einmal in den Parteikampf eingetreten
war, dadurch nicht schroffer und einseitiger geworden, wenn er von
aller Parteileidenschaft vollkommen frei geblieben wäre. Als Sohn
des Miltiades hatte er eine angeborene Neigung über die gesetzlichen
Schranken des Feldherrnamtes hinauszugehen und bei wichtigen Ge-
legenheiten eigenmächtig zu handeln76).
Die Gegenpartei hatte alle Vortheile einer Fortschrittsparlei für
steh, aber es fehlte ihr noch an Männern, welche es mit Kimon auf-
zunehmen im Stande waren. Zu ihren Führern gehörte Ephialtes,
der Sohn des Sophonides, ein Mann, dessen Energie und Charakter
auch von einem so strengen Richter, wie Aristoteles ist, anerkannt
wurde; ein echter Republikaner, der immer das Wohl des Staats im
Auge hatte und unermüdlich war, das jedem Bürger zustehende
Klagerecht in Anwendung zu bringen, wo er das öffentliche Interesse
gefährdet glaubte; doch nicht blofs ein Mann des Worts, sondern
auch im Kriege als Führer thätig. Zu Ephialtes hielten sich De-
monides von Oia, Lampon, Charinos u. A. Ihre eigentliche Be-
deutung aber erhielt die Partei, als Perikles, des Xanthippos Sohn,
sich ihr anschloss und durch die Gewalt seines überlegenen Geistes
es bald dabin brachte, dass die Anderen von ihm sich leiten
ließen.
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DIE GEGNER KIMONS.
Xanthippos war der Hauptgegner von Kimons Vater gewesen
(S. 29). Aber man würde Perikles Unrecht thun, wenn man glaubte,
dass persönliche Verhältnisse und Familienbeziehungen einen bestim-
menden Einfluss auf seine Parteistellung gehabt hätten. Perikles
hatte sich auf dem Wege eigener Erfahrung seine Ansicht von dem
Berufe Athens gebildet. Er fühlte, dass seine Generation berufen sei,
nicht blofs in Schlachten zu siegen, sondern dauernde Früchte des
Siegs einzuernten und Athen die Stellung zu verschaffen, welche nach
solchen Thaten und Opfern ihm gebührte. So sehr er nun auch
Kimons Charakter und Verdienste ehrte, so konnte er die Beschränkt-
heit seiner politischen Ansichten und die bedenklichen Folgen seiner
lakonisirenden Richtung doch nicht verkennen. So schön der kimo-
nische Wahlspruch auch lautete: 'Friede unter den Stammgenossen,
Krieg mit den Barbaren', so konnte dieser Grundsatz doch unmöglich
ausreichen, um der Politik Athens Ziel und Inhalt zu geben; er hielt
sie vielmehr in Abhängigkeit von äufseren Bedingungen, die man
nicht in der Gewalt hatte; er forderte, was unter Umständen un-
möglich war; er fesselte die freie Bewegung der Stadt und hinderte
sie, ihrem eigenen Genius zu folgen.
Perikles ging daher auf die Gedanken des Themistokles zurück.
Er erkannte, dass Athen, wie es trotz Sparta eine selbständige Stadt
geworden sei, so auch trotz Sparta seine volle Gröfse erlangen müsse.
Seine Gedanken von der Zukunft Athens konnten also nur verwirklicht
werden, wenn Kimons Einfluss gebrochen wurde, und darum schloss
er sich der Partei an, welche diesen Zweck verfolgte. Mit seiner
eigenen Person hielt er vorsichtig zurück, um sich nicht vor der
Zeit zu verbrauchen ; auch hatten nur wenige seiner Parteigenossen
eine Vorstellung von dem, was er aus Athen machen wollte. Darin
aber waren Alle einig, dass es zunächst darauf ankomme, durch ver-
einte Anstrengung Einfluss zu gewinnen und ihre Partei als die der
wahren Volksfreunde geltend zu machen, um so dem glänzenden
Waflenruhme, der gewinnenden Persönlichkeit, der einflussreichen
Freigebigkeit Kimons mit Erfolg gegenüber treten zu können.
Das Mittel, welches zu diesem Zwecke angewendet wurde, war
sehr wirksamer Art. Man benutzte nämlich die Festlust der Menge
und den Hang zum Wohlleben, welcher bei den zuströmenden Reich-
thümem und dem wachsenden Verkehre mit Asien in steter Zu-
nahme war.
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TAKTIK DKR REEORMPARTEI
HO
Die Feste, sagte man, seien doch dazu bestimmt, alt und jung,
arm und reich zu erfreuen und alle Standesunterschiede verschwinden
zu lassen. Aber wie wenig sei dies der Fall, selbst in Athen, der
gepriesenen Stadl bürgerlicher Gleichheit! Nicht einmal an den Festen
im dionysischen Theater, wo zu allgemeiner Erhebung und Freude die
tragischen Chöre ihre Spiele aufrührten, könnten die armen Bürger
als Zuschauer Theil nehmen, seit die neue Thealerordnung eingeführt
sei und an jedem Festtage der Silzplatz für zwei Obolen verkauft
werde! Ob das gerecht und billig sei, die Männer, welche Noth und
Gerahr mit allen Anderen theilten, von den Freudenfesten der Stadt,
den Tagen der Ruhe und Erquickung, auszuschliefsen? Und haben
nicht, fragte raau, alle Bürger ihren Antheil an dem Schatze des
Staats, welcher das Eigenthum des Volkes ist? [Ziemt es sich, hier Geld
angehäuft liegen zu lassen, während die Eigenthümer, desselben sich
die edelsten und für Alle bestimmten Lebensgenüsse versagen müssen?
Es wurde also der Antrag gestellt, aus den üeberschüssen der
öffentlichen Kassen den ärmeren Bürgern das Eintrillsgeld auszuzahlen,
welches am Eingange des neu erbauten Theaters eingefordert wurde.
Das Geld floss in die Hand des Theaterbaumeisters, welcher dafür
die Verpflichtung hatte, die Oertlichkeiten in Stand zu halten, und
anfordern eine Pachtsumme an den Staat entrichtete. Mittelbar
kam also das vom Staate gezahlte Geld wieder iu seine Kassen zurück.
So wurde die Austheilung der zwei Obolen (27 Pf.), die 'Diobolie',
an den Dionysosfesten eingeführt, und nachdem dies Beispiel gegeben,
wurden auch noch für andere Feste Geldvertheilungen gemacht, damit
an denselben Keiner aus Armuth verhindert sei, sich bei einer
reichlicheren Mahlzeit einen guten Tag zu machen ; die Armen sollten
dabei (das war ein Hauptpunkt) nicht von der Freigebigkeil reicher
Börger abhängig sein, welche sich, wie Kimon, durch ihre offene
Tafel Freunde und Anhänger zu gewinnen wüssten. Das war der
Anfang der Theorika oder Festspenden in Athen77).
Nachdem die Reformpartei durch solche Mittel Boden gewonnen
hatte, fand sie bald Gelegenheit zu offenen Angriffen auf Kimon,
indem sie seine Feldberrnthätigkeit einer scharfen Gontrole unterzog.
Es bandelte sieb um sein Verfahren im thasischen Kriege.
Er hatte die Weisung erhalten, gegen Makedonien vorzugehen
und makedonisches Uferland für Athen zu besetzen, ohne Zweifel vor
allem die Grubenbezirke, welche Alexandros ausbeutete. Der König
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150
PER1KLES A.NKLÄGER KIMONS.
hatte sieb, um nicht die Athener zu Nachbarn zu bekommen, den Tha-
siern günstig erwiesen; wenn also Kimon gegen den Willen des Volks die
Gelegenheit, ihn dafür büfsen zu lassen, verabsäumt habe, so sei dies,
wie seine Gegner behaupteten, nur so zu erklären, dass er durch könig-
liche Geschenke bestochen worden sei. Die Bürgerschaft war auf den
Prozess hinlänglich vorbereitet und Perikles wurde als öffentlicher
Ankläger bestellt, um Kimon wegen Ilochverraths vor das Volksge—
rieht zu ziehen. Perikles beschränkte sich auf das Notwendigste.
Er sah, dass zum Sturze seines Gegners die Zeit noch nicht gekommen
sei; der Angeklagte erwies seine Unschuld und die Sache schien ohne
Folgen zu sein78).
Und doch war dies nicht der Fall. Die Parteien hatten sich offen
gegenüber gestanden. Der Kampf war eröffnet, und nun war auch
Kimon gezwungen, mit seinen Gesinnungsgenossen sich enger zu-
sammenzuschliefsen, als der hochsinnige und selbstbewussle Mann es
bis dahin für nöthig erachtet hatte. Er wurde dadurch, dass er eine
planmäfsig vorgehende Gegenpartei vor sich sah, selbst in eine ent-
schiedenere Stellung und zu einem schärferen Ausdrucke seiner An-
sichten gedrängt. Rücksichtsloser pries er die gesetzmäfsige und ver-
fassungstreue Haltung der Bürger Spartas, eiferte heftiger gegen alle
dem väterlichen Herkommen feindlichen Tendenzen des jungen Athens
und sprach immer bestimmter seineu Grundsatz aus, dass Athen und
Sparta Glieder eines Ganzen seien, ein Doppelgespann, von den Göllern
zusammengefügt, in welchem der ruhige Gang des einen, der leb-
haftere des anderen Genossen sich zu gegenseitigem Nutzen und
Frommen ausgleichen sollten. Politische Parteinamen vergröfserten
die Spannung. Wer für Sparta das Wort nahm und spartanische Sitten
entweder lobte oder selbst nachahmte, der wurde dadurch ein Feind
des Fortschritts, ein Feind der Volksfreiheit; der i^konismus' wurde
immer offener als ein Verralh an den vatersläd tischen Interessen be-
zeichnet.
Es ist uns noch von einem zweiten Prozesse Kimons eine dunkle
Kunde überliefert; es war ein peinlicher Prozess, in welchem er nur
durch eine Mehrheit von drei Stimmen vom Tode gerettet und dann
zu einer Geldbufse von 50 Talenten verurteilt wurde. Es handelte
sich dabei um ein Vorgehen Kimons, das ihm als ein Versuch
zum Umsturz der Verfassung ausgelegt werden konnte. Zeit und Ver-
anlassung dieses Kampfes können bis jetzt nicht aufgeklärt werden.
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HÜLFSCESUCII SPARTAS (T9, 3; 4SI).
151
Während sich so die Parteien mit geschärften Waffen gegenüber-
standen, trat das Erdbeben ein und in Folge dessen die Revolution
in Lakonien (S. 142). Sparta konnte der aufrührerischen Massen,
die sieb in Ithome festgesetzt hatten, nicht Herr werden und schickte
endlich Gesandte nach Athen, um Bundeshülfe in Anspruch zu nehmen;
das geschab, wie es scheint, gleich nach Beendigung des thasiseben
Krieges (Ol. 79, 3; 461).
Da traten von Neuem die Parteien gegen einander in die Schranken.
Ej»hialtes hatte für seine stürmische Beredtsamkeit eine sehr dankbare
Aufgabe, wenn er dem Volke vorhielt, welche Thorheil es wäre, den
Sjartanern Hülfe zu schicken, um ihre Despotie im Peloponnes auf-
recht zu erhalten ! Ob sie das um Athen verdient hätten ? Ob sie in
den Nöthen der Perserkriege nicht immer zu spät gekommen wären ?
Ihre wahre Gesinnung hätten sie erst neuerdings verrathen ; denn die
den Thasiern gemachten Versprechungen seien kein Geheimniss mehr.
Dadurch seien die auf dem Siegesfelde von Plataiai erneuten Verträge
tatsächlich gebrochen, und dennoch wolle man nun Truppen aussenden,
om dem gehässigsten Feinde aus der Noth zu helfen und ihn in
Stand tu setzen, den gutmüthigen Athenern bei erster Gelegenheit
wieder Schaden und Unbill zuzufügen!
Es macht der attischen Bürgerschaft grofse Ehre, wenn sie einer
Rede, welche alle Leidenschaft entflammte, nicht unbedingt Gehör gab,
nenn sie am Ende doch dem Kimon zustimmte, welcher verlangte,
dass sie auch die gerechte Aufregung bemeistern, jede unwürdige
Schadenfreude überwinden und ohne Rücksicht auf eigenen Vortheil
den noch zu Recht bestehenden eidgenössischen Verpflichtungen nach-
kommen sollten. Viertausend Schwerbewaffnete, ein Drittel des bürger-
lichen Aufgebots, rückten unter Kimon über den Isthmos, um bei der
Eroberung von Ithome zu helfen. Es war ein glänzender Sieg seiner
Partei, und Sparta hatte allen Grund, ihm für seine Bemühungen
dankbar zu sein.
Aber was geschah? Als die Truppen vor Ithome lagen, als der
Sturm auf die Burgmauern nicht so rasch gelang, wie man erwartet
hatte, und sich die Belagerung von Neuem in die Länge zog, be-
reuten die Spartaner, was sie gelhan. Im gemeinsamen Heerlager
kam es ihnen erst recht zum Bewusstsein, welche Entfremdung
zwischen dorischem und ionischem Volk eingetreten sei und ein
Misstrauen ergriff sie, das sie nicht unterdrücken konnten. Sie
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1.V2
Regeneration von argos
fürchteten, dass sich zwischen Athenern und Messeniern ein Ein-
versländniss bilden möchte; sie kannten die Unzuverlässigkeit der den
Ioniern verwandten Bevölkerung von Argolis; sie mussten unter
diesen Verhältnissen fürchten, dass die längere Anwesenheit eines
attischen Bürgerheeres, in dem so viel unruhiges Streben nach
Neuerungen lebendig war, ihnen gefahrlich werden könne; es quälte
sie der Gedanke, dass die Athener alle Schwächen Spartas zu genau
kennen lernen und dass die dorischen Bürger von den freieren
Lebens- und Staatsanschauungen ihrer Lagergenossen angesteckt
werden möchten. Diese Besorgnisse überwogen jede andere Rücksicht.
Die Athener wurden von allen Bundesgenossen allein verabschiedet,
indem man sich durch den nichtigen Vorwand, ihrer Hülfe nicht
länger zu bedürfen, zu entschuldigen suchte79).
Die Bürgerschaft Athens musste sich durch dies schnöde Ver-
fahren auf das Tiefste verletzt fühlen ; die Reformpartei erlangte so-
fort das Uebergewicht und versäumte nicht, diese Stimmung zu den
folgenreichsten Anträgen zu benutzen. Es wurde beschlossen, den
undankbaren Spartanern das Bündniss aufzukündigen und zugleich
mit den heimlichen Feinden Spartas, die man jetzt näher kennen ge-
lernt hatte, in nähere Beziehungen zu treten; vor allen mit Argos.
Die Argiver hatten sich während einer fast dreißigjährigen Ruhe
von dem kleomenischen Kriege erholt; eine neue Generation war
herangewachsen und fühlte sich muthig genug, an eine politische
Wiedererhebung ihres Staats mit allem Ernste zu denken. Die
städtische Bevölkerung wurde aus den ländlichen Gemeinden verstärkt,
und dann wurden die umliegenden Städte achäischer Bevölkerung,
welche während der Schwäche von Argos selbständige Mitglieder des
hellenischen Bundes geworden waren, so dass sie, wie Mykenai, Tiryns
und Hermion, ihre eigenen Contingente gegen die Perser gestellt
hatten, eine nach der andern mit Krieg überzogen und unterworfen.
Mykenai leistete hinter seinen kyklopischen Mauern zähen Widerstand;
leichler beugten sich Tiryns, Hysiai, Mideia u. A. Argos, aus allen
aufgehobenen Gemeinden durch Ansiedler vergröfsert, wurde eine
ganz neue Stadt, eine Grofsstadt und zum ersten Male im vollen
Sinne die Hauptstadt seiner Landschaft.
Die Anfange dieser Erhebung von Argos gehören schon den
früheren Jahren an, und es ist sehr wahrscheinlich, dass Themistokles,
der nirgends unlhätig sein konnte, seine Anwesenheit daselbst (S.131)
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BRUCH MIT SPARTA, RUND MIT ARGOS (461).
153
benutzt hat, um die Argiver zu diesen Bestrebungen anzuregen und
sie dabei mit Rath und Tbat zu unterstützen; nicht minder wahr-
scheinlich ist es, dass er schon eine engere Verbindung zwischen
Athen und Argos im Auge hatte. Dann ist die Erbitterung, mit
welcher Sparta ihn verfolgte, um so erklärlicher; denn die Erhebung
von Argos war der gefährlichste Angriff auf Spartas Hegemonie. Die
Ausführung jener Mafsregeln aber, namentlich die gewaltsame An-
nexion der umliegenden Städte, erfolgte wahrscheinlich um 463 und
462 (79. 3), als Sparta der inneren Kriege wegen aufser Stande war,
die Fortschritte der argivischen Nacht zu hemmen und die Zer-
störung von Mykenai und Tiryns zu hindern.
So glücklich aber den Argivern auch der Anfang ihrer poli-
tischen Wiedergeburt gelungen war, so bedurften sie doch zu einer
sicheren Stellung auswärtiger Bundesgenossenschaft. Wie erwünscht
kam ihnen also jetzt der Bruch zwischen Athen und Sparta ! Aufser-
dem hatte Argos durch Aufnahme einer zahlreichen ionisch-achä-
ischen Bevölkerung den Charakter einer dorischen Stadt mehr und
mehr verloren ; es hatte eine freie Gemeindeverfassung eingeführt und
war nun um so besser zu einer nahen Verbindung mit Athen ge-
eignet Ende 461 (79, 4) wurde also der Bund zwischen Athen und
Argos geschlossen, der erste Sonderbund, welcher die politische Ein-
heit des hellenischen Volks sprengte.
Die Spaltung der Nation ging auch auf Nordgriechenland über.
Wie Makedonien sich aus Missgunst gegen Athen den Spartanern zu-
wandte und den flüchtigen Mykenäern eine neue Heimat gewährte,
so trat wiederum Thessalien dem Sonderbunde bei, und man hoffte,
durch fortschreitende Ausdehnung desselben den alten Staatenbund
immer mehr zu entkräften.
So triumphirten, nachdem Sparta seine Partei in Athen so un-
Teratfndig preisgegeben hatte, die Gegner derselben; es war für sie
ein unberechenbarer Gewinn , dass nun nicht mehr zu Recht be-
gehende Verbindlichkeiten gegen Sparta vorgeschützt werden konnten,
WD Athen in seiner freien Bewegung zu hemmen79*).
Aber noch immer konnte das junge Athen nicht vorwärts, wie es
wollte. In der Volksversammlung und dem Käthe der Fünfhundert
Deigte sich die Mehrzahl wohl immer entschiedener den Rednern der
Hefannpartei zu ; aber die älteren Bürger, welche von einer noch un-
beschränkteren Beiheiligung des Volks an den öffentlichen Geschäften
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154
STELLUNG DES ARF.OFAGS.
und von allen darauf bezüglichen Einrichtungen nichts wissen wollten,
bildeten noch eine Macht im Staate, und sie hatten ihren Stützpunkt
im hohen Rathe des Areopags, welcher nur solche Bürger in sich
vereinigte, die durch höheres Alter, reiche Lebenserfahrung und
Besonnenheit vom Einflüsse der öffentlichen Meinung unabhängig
waren. Hier safsen vorzugsweise Männer aus den oberen Vermögens-
klassen zusammen und bildeten unter lauter jährlich wechselnden und
rechenschaftspflichtigen Behörden die einzige Körperschaft, welche aus
lebenslänglichen, unverantwortlichen Mitgliedern bestand und deshalb
durchaus geeignet war, mit Festigkeit und Uebereinstimmung ihre An-
sichten im Staate geltend zu machen. Sie waren vermöge ihres Ober-
aufseheramts berufen, das gesellschaftliche Leben zu überwachen, alte
Zucht und Sitte zu wahren und leichtsinniger Neuerungssucht ent-
gegen zu treten. Mächtig durch das Ansehen, welches sie in ganz
Hellas genossen, noch mächtiger durch die Ehrfurcht, mit welcher alle
Athener von Jugend auf gegen den hohen Rath erfüllt waren, war der
Areopag während der Persernoth, wo er durch seine Thatkraft und
seinen Patriotismus zur Rettung Athens wesentlich beigetragen hatte,
noch mehr an Ansehen gestiegen (S. 72). So stand er wie ein festes
Bollwerk allen Versuchen die solonische Verfassung umzugestalten
gegenüber, und je heftiger die Gegner sich anstrengten, je rücksichts-
loser sie vorgingen, um so schroffer und eigensinniger nahm auch der
Areopag seine Stellung ein.
Der Areopag war kein Oberhaus, welchem eine schliefsliche
Bestätigung aller Anordnungen der Gesetzgebung verfassungsmäfsig
vorbehalten war, aber er folgte allen Verhandlungen in Rath und
Bürgerschaft, in deren Versammlungen er wahrscheinlich durch ein-
zelne Mitglieder vertreten war, um bei allen Neuerungen, welche ihm
bedenklich erschienen, Einsprache zu thun. Diese Einsprache war so
gut wie ein Veto, denn für das Erste war jedenfalls die Durchführung
unstatthaft.
In einem Staate, wo Alles nach bestimmten Normen geordnet
schien, war die Macht des Areopags ohne feste Gränzen und deshalb um
so gewalliger; eine Macht, welche in das Rathhaus, auf die Pnyx, ja
bis an den Herd des Privathauses reichte. Jeder konnte vorgefordert
werden, und schon die blofse Verwarnung war ein dauernder Makel.
Die Areopagiten bildeten keine geschlossene Zahl, sondern sie nahmen
Jahr für Jahr die abgehenden Archonten auf (I, 325). Indessen ist
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ZÜC NACH ÄGYPTEN (80, 1? 460).
155
damit nicht gesagt, dass Jeder, welcher den Gesetzen gemäfs sein Amt
bekleidet hatte, ohne Weiteres Mitglied des hohen Raths wurde. Es
fand eine Prüfung Tor der Aufnahme statt, und diese Prüfung wird
dazu benutzt worden sein, um solche Archonten zurückzuweisen, deren
sittliche oder politische Hallung missliebig war. So erklärt sich, dass
der Areopag immer mehr in eine schroffe Parteistellung kam, und dass
er der geistigen Bewegung, welche das junge Athen ergriffen hatte,
immer, mehr sich entfremdete; so kam es, dass um dieselbe Zeit, da
ganz Griechenland in zwei Hälften, in Bund und Gegenbund, zerfallen
war, auch Athen in zwei politische Heerlager sich trennte, welche sich
mit steigender Erbitterung gegenüber standen80).
Millen in diese Zeit der höchsten Spannung traf ein Ereig-
nis, welches für kurze Zeit die Aufmerksamkeit nach aufsen ab-
lenkte.
Aegypten, das immer unruhige Land, war wieder von den Per-
sern abgefallen, und der Libyer Inaros, des Psammelichos Sohn,
wollte die Verwirrung des Perserreichs benutzen, um ein selbstän-
diges Pharaonenreich herzustellen. Er reichte aber mit seinen ein-
heimischen Hülf&mitteln nicht aus, als sich die Perser mit ganzer
Macht auf Aegypten warfen, und so forderte er die Athener zur Unter-
stützung auf, indem er ihnen ohne Zweifel mancherlei Handelsvorlheile
in Aussicht stellte.
Diese Gelegenheit, der Persermacht neuen Abbruch zu thun,
durfte man nicht vorüberlassen. Denn im Umkreise des Archipelagus
war die Persermacht gelähmt; sie zeigte sich nirgends und war der
Mittel beraubt, eine neue Flotte zu bilden. Die Perser zu Lande an-
rogreifen, wo die karischen und lykischen Binnenstädte immer nur
Bitweise dem delischen Bunde angehört haben, dazu fehlten wiederum
den Athenern die Mittel. Das ägyptische Flussland dagegen schien ein
geeigneter Boden für neue Unternehmungen zu sein. Aegypten war
für das kornarme Attika von unschätzbarer Bedeutung; zugleich war
es auch der einzige Theil der persischen Monarchie, wo eine Flotten-
niacht ohne Landheer dauernde und wichtige Erfolge erzielen konnte;
denn ohne den sicheren Besitz Aegyptens war der Grofskönig in allen
tnternebmungen gegen Griechenland gelähmt. Das waren Gründe
8*n»g, um auf das Hülfsgesuch des Inaros einzugehen, und es
«heint, dass Kimon selbst die Flotte von Kypros, wo sie zweihundert
Segel stark lag, nach Aegypten führte; denn trotz der Niederlage,
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156 DAS GESETZ DES EPHIALTES (80, 1; 460).
die seine Politik erlitten hatte, war sein persönliches Ansehen noch
ungebrochen, und seine Gegner wagten nicht, zu den entscheidenden
Schritten vorzugehen, wenn er in Athen anwesend war. Es wird
ausdrücklich überliefert, dass Epbialtes die Abwesenheit des Kimon
auf einem neuen Seefeldzuge benutzte, um bei der Bürgerschaft das
lange vorbereitete Gesetz gegen den Areopag einzubringen81).
Noch einmal stellte er alle Gründe zusammen, um die Bürger von
der Unvereinbarkeit areopagitischer Vollgewalt mit den Grundsätzen
der Demokratie zu überzeugen. Es könne nicht geduldet werden,
dass ein Collegium betagter Leute, welche die Zeit und ihre For-
derungen nicht verständen, mit eigensinnigem Kastengeiste allen
heilsamen und noth wendigen Reformen sich widersetze; ein solcher
Areopag sei nicht mehr, wie Solon gewollt habe, einer der beiden
Anker, welche das bewegte Staatsschiff auf dem Boden der Ver-
fassung hielten, sondern ein lästiger Hemmschuh, eine unerträgliche
Fessel für die nach freier Bewegung verlangende und dazu voll-
berechtigte Bürgerschaft; er sei der Sitz einer volksfeindlichen Partei,
welche aufgelöst werden müsse, um die volle Entfaltung der attischen
Macht möglich zu machen.
Umsonst eiferten die älteren Familienväter, die sich kein Athen
ohne den hohen Rath des Areopags denken konnten; umsonst
warnten Priester und Seher. Das Gesetz ging durch, welches dem
Areopag allen Einfluss auf Politik und Gesetzgebung entzog. Dabei
hütete man sich aber, diejenigen Gerechtsame anzutasten, auf welche
der Areopag ein durch die Religion, geheiligtes und unveräusserliches
Anrecht halte. Darum blieben ihm nach wie vor die Blutgerichte,
die Gerichte über vorsätzlichen Bürgermord. Denn hier konnte die
Sühne nur nach geheimnissvollen Satzungen vollzogen werden, die
zum Cultus der Erinyen, der Rächerinnen der Blutschuld, gehörten.
Die Areopagilen waren aber seit ältester Zeit die Diener dieser
hehren Gottheiten, deren Heiligthum am Areshügel gelegen war, auf
dem die Richter safsen. Somit hörte der Areopag auf, ein hoher
Rath der attischen Gemeinde, eine Oberaufsichtsbehörde von cen-
sorischer und unbestimmter Machtfülle zu sein; er wurde ein
Gerichtshof von bestimmt begränzter Wirksamkeit.
Diese durchgreifende Reform der solon ischen Gesetzgebung ging
am Ende rascher durch, als man erwartet hatte. Die conservalive
Partei sah sich entwaffnet und des wirksamsten Mittels beraubt, um
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KIM0NS VERBANNUNG (80, 1 ;
157
der rücksichtslosen Bewegung entgegen zu treten. Aber noch war sie
nicht enlmulhigt. Kimon kehrte zurück. Ihm lag der Areopag
wegen seiner Geltung in ganz Griechenland vorzugsweise am Herzen.
Er war entschlossen zu retten, was noch möglich war; ja er hielt
es noch für möglich, den verübten Eingriff in die Ordnung des
Staats rückgängig zu machen; denn allerdings konnte die Recht-
niülsigkeit einer solchen Verfassungsreform angefochten werden, weil
der verfassungsmäfsige Einspruch des Areopags unberücksichtigt ge-
blieben war. Er betrachtete die Reform wie eine Revolution und
als ihre nolhwendige Folge den Untergang des Staats; denn was
sollte daraus werden, wenn die Gemeinde schrankenlos und allmächtig
wäre, wenn sie berauscht von dem Gefühle Alles durchsetzen zu
können, nach ihrer Laune regieren wollte!
So kam es noch nach dem Gesetze des Ephialtes zu einem
heftigen Kampfe um den Areopag. Es war ein offener Kampf zweier
Parteien, welche beide mächtig und zum Aeufsersten entschlossen
waren. Unter solchen Umständen konnte nur das Scherbengericht
helfen, um den Staat aus dem gefahrlichsten Zwiespalte zu retten.
In einer Zeit, da Athen und Sparta, und mit ihnen die demokratischen
und die aristokratischen Staaten von Hellas zu offener Fehde gegen
einander Front machten, schien Kimons Anwesenheit in Athen uner-
träglich. Die Bürgerschaft, von den Rednern aufgeregt, wandte sich
von dem Manne ab, den sie zehn Jahre lang als ihren Helden und
Liebling gefeiert hatte, und Kimon wurde verbannt. Allerlei persönliche
Gründe sollen dabei im Spiele gewesen sein. Das allein Entscheidende
aber war, dass Kimon sich in die neue Ordnung der Dinge, welche
die perikleische Partei durch ihren Vorkämpfer Ephialtes durch-
gesetzt hatte, und in die neuen Verhältnisse der griechischen Staaten
zu einander nicht fügen konnte und wollte.
Aus den leidenschaftlichen Gährungen und Kämpfen dieser Jahre
ging wie ein verklärter Ausdruck der Parleibewegungen die Orestie
des Aischylos hervor, welche Ol. 80, 2 (458) zur Aufführung kam.
Aischylos gehörte zu den Athenern der älteren Generation, welche
in Ehrfurcht vor dem Areopag aufgewachsen und mit tiefem Schmerz
Zeugen seiner Erniedrigung waren. Darum suchte er ihn noch in
der vollen Glorie alter Sagen den Athenern vor Augen zu stellen.
Orestes, der irrende Muttermörder, flüchtet von Delphi an den Altar
der Stadtgöltin von Athen. Von den Erinyen eingeholt und um-
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158
BESCHHÄISKUNG DES AREOPAÜS.
ringt, ruft er um Hülfe. Athena erscheint. In eigener Person
verhört sie die Parteien und setzt dann, damit der leidenschaftliche
Streit ordnungsmäßig entschieden werde, aus den Edelsten der
athenischen Bürgerschaft einen Gerichtshof ein. Sie leitet selbst die
Verhandlungen, bei denen Apollo der Sachwalter des Angeklagten ist,
und entscheidet durch ihre Stimme die Freisprechung desselben.
Sie verordnet endlich, dass der von ihr zuerst berufene Rath auf
dem Areshügel für ewige Zeiten bestehen solle.
So stellte der Dichter den Areopag als eine göttliche Gründung
und ein unverletzliches Heiligthum der Stadt dar, um ihn vor
weiteren Angriffen nach Kräften zu schützen, und so erscheint uns
seine Tragödie als der versöhnende Abschluss einer der schwierigsten
Verfassungskämpfe, welche Athen durchzumachen gehabt hat83).
Es war aber kein leichtsinnig begonnener, sondern ein unver-
meidlicher. Denn so ehrenwerlh auch die Beweggründe waren,
welche die älteren Athener veranlassten, sich um den Areopag, wie
um ein Bollwerk alter Zucht und Ordnung, zu schaaren, so ist doch
unverkennbar, dass er der Entwickelung volkstümlicher Verfassung
im Wege stand und zu ununterbrochener Reibung Anlass geben
rousste, ohne im Stande zu sein, den Gefahren, welche das Staats-
leben der Athener zu bestehen hatte, in wirksamer Weise zu begegnen.
Erst seit der Reform des Ephialtes konnten die Grundsätze der
Demokratie, namentlich die allgemeine Rechenschaftspflicht, voll-
ständig durchgeführt werden. Nun gab es keine Körperschaft mehr
im Staate, deren Mitglieder eine lebenslängliche, von der öffentlichen
Meinung unabhängige Macht besafsen und in der Ausübung dieser
Macht nur ihrem eigenen Gewissen verantwortlich waren. Jetzt
erst war die Bürgerschaft von jeder Bevormundung frei und darauf
angewiesen, sich selbst zu regieren und in sich das richtige Mals
der Bewegung zu finden. Sie hat ihre volle Selbstherrschaft erlangt.
Was sie beschliefst, ist Gesetz, und aufser den geschriebenen Gesetzen
giebt es keine andere rechtsgültige Norm des öffentlichen Lebens.
Der Staat ist jetzt 4Rath und Bürgerschaft': der Rath aber besieht
aus jährlich wechselnden Mitgliedern, so dass er keine Partei im Staate
werden und keine selbständige Autorität der Volksversammlung gegen-
über haben konnte. Denn er war im Wesentlichen nur ein Ausschuss
derselben zur Besorgung der Verwaltungsgeschäfte, ebenso wie die
jährigen Beamten nichts Anderes waren, als die Diener des Volkswillens.
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ERSATZ DES AREOPAGS
159
Wenn aber eine Behörde von solcher Bedeutung, wie sie der
Areopag balle, auf einmal ihres maßgebenden Einflusses beraubt
wurde, so musste für einen Ersatz gesorgt werden, damit keiue
Unordnung einreifse und der Staat sich nicht, jeder zurückhaltenden
Kraft beraubt, in vorschneller Entwicklung überstürze. Es musste
namentlich für die Statigkeit des Verfassungslebens, und die Ueber-
einstimmung der älteren und der neuen Gesetze Sorge getragen
werden; es musste auch jetzt eine Controle stattfinden, aber sie
sollte nun von der Bürgerschaft selbst ausgehen.
Zu diesem Zwecke wurde die Einrichtung getroffen, dass jähr-
lich aus den Bürgern eine Commission erloost wurde, die sogenannten
Gesetzeswächter (Nomophylakes), ein Collegium von sieben Männern,
welche bei allen Raths- und Volksversammlungen auf besonderen
Ehrensitzen anwesend waren und die Verpflichtung hatten, die An-
trage der Redner zu prüfen und gegen alle staatsgeßhrlichen oder
verfassungswidrigen Beschlüsse Einspruch zu thun. In dieser Weise
wurde das Veto der Areopagiten dem Staate erhallen; aber freilich
bezog sich die neue Controle in der Regel nur auf die Form der
Anträge, auf äußerliche Uebereinstimmung der Gesetze und Auf-
rech terbaltung der hergebrachten Ordnung.
Aufserdem muss auch für die Beaufsichtigung des öffentlichen
Lebens und namentlich des Jugendunlerrichts, welche einen so
wichtigen Beslandtheil der areopagitischen Thätigkeit bildete, ein
Ersatz eingetreten sein, und es ist wahrscheinlich, dass die Aemter
der Sophronisten, welche die Knabenzucht, und der Gynäkonomen,
welche die Sitten des weiblichen Geschlechts zu überwachen hatten,
erst um diese Zeit eingerichtet oder jetzt erst selbständige Aemter
geworden sind88).
Die Hauptsache aber war, dass fortan alle Bürger berufen
waren, für die Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung zu sorgen
und jede verfassungswidrige Handlung zu rügen. Um so nöthiger
war eine allgemeine Kenntniss des bestehenden Rechts, und des-
halb wurden die solonischen Gesetztafeln von der Akropolis her-
untergebracht und zu gröfserer Oeffentlichkeit in den Hallen am
Markte aufgestellt.
Wenn die Hut der alten Gesetze die Sache des Areopags ge-
wesen war, so wurde für die neuen Gesetze die Einrichtung ge-
troffen, dass sie, wenn sie die verfassungsmäfsige Bestätigung er-
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ZUSTAND DES SEEBUNDS
langt hatten, unter Aufsicht der Nomophylakes amtlich registrirt
und aufbewahrt Wurden. Dies geschah in dem Heiligthum der Götter-
multer am Markte, dem sogenannten Metroon; denn man wollte
die religiöse Sanktion für die Urkunden der Gesetzgebung, wie sie
unter dem Areopag bestanden hatte, auch jetzt nicht aufgeben.
Das Metroon war das neue Staatsarchiv, in dem die Nomophylakes
mit ihren Gehülfen ihre amtliche Thätigkeit ausüblen, und sie hatten
selbst einen priesterlichen Charakter, wie die weifse Kopfbinde,
welche sie trugen, kundgab.
Unabhängig von der Eintragung in das Staatsarchiv war die
Veröffentlichung der Beschlüsse, indem sie auf Steinpfeiler ge-
schrieben und unter freiem Himmel aufgestellt wurden; die Bünd-
nisse und Verträge auf der Burg neben den Heiligtümern, die
Gesetze vor den Staatsgebäuden. Das waren die monumentalen Ur-
kunden des Staatslebens, welche von jetzt an mehr und mehr zu
der äufseren Ausstattung der Stadt gehörten84).
Während man im Innern den Staat neu ordnete und durch
Beseitigung aristokratischer Institute, durch Veröffentlichung des
Hechts, durch Begünstigung der Armen und Heranziehung aller
Bürger zu den Gemeindeangelegenheiten das Prinzip der Demokratie
in vollem Mafse durchführte, suchte man gleichzeitig die Macht
des Staates auf alle Weise zu stärken, und so wurde der Um-
schwung der inneren Verfassung auch für die äufsere Politik eiue
Epoche.
Denn da sich jetzt in jeder Stadt zwei politische Parteien gegen-
überstanden, so war es natürlich, dass die Athener aller Orten den
demokratisch gestimmten Theil der Bevölkerung als die Stütze ihres
Einflusses betrachteten und Alles thaten, diesem die Leitung der
einheimischen Angelegenheiten zu verschaffen. Sie benutzten also
jeden Anlafs, in diesem Sinne die Verfassungen der Bundesorte zu
ändern, und wir besitzen noch heute ein attisches Dekret aus
Kimons Zeit, das genau bestimmt, wie in der ionischen Stadt Erythrai
nach dem Vorbilde von Athen Rath und Bürgerschaft eingerichtet
werden sollen. So wurde der Einfluss von Athen von Stadt zu
Stadt ausgebreitet und die Bundesorte wurden kleine Abbilder ihres
Vororts.
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VERLEGUNG DER BUINDESKASSE.
161
Der delische Bund war auf Rechtsgleichheit gegründet, aber
dieser Grundsatz war nicht durchzuführen. Sollte einmal eine
achtunggebietende Seemacht im Archipelagus zu Stande kommen,
so durfte man es nicht von dem guten Willen der einzelnen Mit-
glieder abhängen lassen, ob sie ihre Verpflichtungen erfüllen wollten,
und ebenso unthunlich war es, zur Erledigung einzelner Geschäfte
oder zur Schlichtung von Streitigkeiten die Synode der Bundes-
genossen zu gemeinsamer Berathung zu vereinigen. Das hatte schon
kfroon anerkennen müssen, so sehr er sonst bestrebt war, in
Aristeides' Sinne die Rechte der Eidgenossen zu schonen. Athen
wurde dazu gedrangt immer eigenmächtiger zu verfahren; die Theil-
nahmlosigkeit der kleineren Orte, welche doch aufser Stande waren
einen Einfluss auszuüben, nöthigte dazu. Je mehr Bundesgenossen
sich vom Kriegsdienste zurückzogen und es bequemer fanden. Ver-
träge zu schliefsen, nach denen sie sich für eine bestimmte Summe
jährlich vom eigenen Dienst loskauften, um so mehr wurde ja die
eidgenossische Flotte eine attische und der delische Bundestag zu
einer blofsen Form. Die Bundespolitik wurde in Athen gemacht.
Die Athener verständigten sich mit den mächtigeren Inselstaaten
über alle wichtigeren Angelegenheiten ; den übrigen theilte man die
beschlossenen Mafsregeln mit, und so wurde die vorörtliche Leitung
immer mehr zu einer Herrschaft.
Auch hier wollte die perikleische Partei, dass man den Muth
habe, die Verhältnisse, wie sie wirklich waren, zur Geltung zu
bringen. War Athen einmal die einzige Bundesstadt, welche eine
selbständige Politik verfolgte, ging die Leitung des Kriegs und die
Beaufsichtigung des Kriegsmaterials von Athen aus, war die Kassen-
verwaltung in den Händen der Athener» waren sie es, welche mit
ihren Schilfen den bedeutendsten Theil und den Kern der Bundes-
flotte bildeten, und zugleich die Einzigen, welche immer schlagfertig
waren, um den von ihnen vertriebenen Barbaren die Rückkehr in's
ägäische Meer zu wehren: dann sollte Athen auch wirklich der
Mittelpunkt des von ihm vereinigten Insel- und Küstenreichs sein,
dann gehörte auch die Verwaltung desselben und namentlich der
Bundesschatz nach Athen.
Die Verlegung der Kasse mag schon zu Lebzeiten des Aristei-
des ein Gegenstand der Verhandlung gewesen sein ; das Nützliche
einer solchen Mafsregel konnte von attischem Standpunkt Niemand
Cnrtlo», Gr. Gweb. II. 6. Aufl. U
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162
YEHLEGL.NG DKK BliMlKSKASSE.
in Abrede stellen, aber man scheute sich damit vorzugehen. Man
wagte nicht einen Schatz anzurühren, welcher im Heiligthum des
Apollon niedergelegt worden war. Man fürchtete das Missliebige
dieses Schritts in politischer Hinsicht, den aufregenden Eindruck
bei Freund und Feind; denn es war deutlich, dass damit auch der
letzte Schein einer gleichberechtigten Eidgenossenschaft aufgehoben
und der eidgenössische Beitrag zur Bundeskasse wie ein Tribut an
Athen betrachtet werden würde.
Wie bedenklich die Athener in diesem Punkte waren, geht
daraus hervor, dass sie auch dann, als sie zu dem entscheidenden
Schritte entschlossen waren, auf Dm wegen ihren Zweck zu erreichen
suchten. Die Kassenverlegung sollte nicht als eine eigennützige
Mafsregel attischer Politik erscheinen; darum wurde dafür gesorgt,
dass aus der Milte der Eidgenossen der Vorschlag ausging. Und
gewiss konnte auch im Interesse der Bundesgenossen die Entfernung
des Schatzes von Delos mit triftigen Gründen empfohlen werden. Das
kleine Eiland, konnte man sagen, liege schutzlos in der Mitte des
Meers, gegen Osten sowohl wie gegen Westen. Die Lakedämonier
hätten schon im thasischen Kriege deutlich gezeigt, wie gerne sie die
erste Gelegenheit benutzten, um die attisch -ionische Seemacht zu
zerstören; seit Auflösung des Hellenenbundes sei die allgemeine Un-
sicherheil in hohem Grade vermehrt; die peloponnesischen Seestaaten
umlagerten das Inselmeer wie lauernde Feinde, und unter diesen
Umsländen könne der Schatz auf Delos nicht mehr so gesichert
erscheinen, wie es das Interesse aller Bundesgenossen verlange. Jetzt
müsse immer eine eigene Schutzflotte in der Nähe sein, und dadurch
werde man dann wieder in der freien Verfügung über die vorhan-
denen Streitkräfte des Bundes gehemmt. Suche man aber einen Platz
von unangreifbarer Sicherheit, so werde ein solcher nur innerhalb
der Mauern Athens gefunden. Wenn einmal attische Behörden den
Schatz verwalteten, so sei es nur folgerichtig und zur Sicherheit des
Bundes geralhen, Athen zur Schatzkammer und seine Bürger zu Hütern
des Schatzes zu machen.
Diese Motive wurden von der attischen Partei geltend gemacht,
welche mit Ausbreitung der demokratischen Verfassung in den Insel-
und Küstenstädten mehr und mehr die Oberhand erlangt halle.
Wenn nun wirklich ein Bundesstaat den Antrag stellte, und
zwar der nächst Athen mächtigste Inselstaat, Samos, so sind nur zwei
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BÜIVDESKASSE IN ATHEN 81, 3; 454.
163
Möglichkeiten denkbar. Entweder hatten die Samier in der That ein
unbedingtes Vertrauen und sahen die Verlegung des Schatzes so
harmlos an, als wenn dadurch in der Lage der Bundesgenossen gar
nichts geändert würde, oder sie handelten, als sie den Antrag stellten,
in einem besonderen Einverständniss mit den Athenern. Die erste
Annahme scheint unmöglich. Denn dazu war die Eifersucht zu wach,
und die Sache, um die es sich handelte, musste, so wie sie in Aus-
sicht stand, als eine entscheidende Krisis in den Bundesverhältnissen
angesehen werden. Darum wird man wohl annehmen, dass die
samiscbe Regierung von den attischen Staatsmännern gewonnen war
den Antrag einzubringen; es konnte nicht an Gelegenheit fehlen,
ihr allerlei Vortheile in Aussicht zu stellen, zumal da mit Verlegung
der ßundeskasse auch die Auflösung des alten Bundesraths verbunden
war, welcher schon seit längerer Zeit alle Bedeutung verloren hatte.
Sah man aber Beides als unvermeidlich an, so war es von Seiten
der ansehnlicheren Bundesorte eine kluge Politik, durch rechtzeitiges
Entgegenkommen sich das Bundesoberhaupt zu verpflichten.
Der Zeitpunkt der Kassenverlegung ist nicht überliefert. Sie ist
nach dem Bruch mit Sparta erfolgt, denn erst seit dieser Zeit musste
man auf Angriffe von Seiten der peloponnesischen Seeslaaten und
selbst auf Verbindungen derselben mit Persien gefasst sein ; also nach
SO, 1 ; 460. Sechs Jahre später war aber die Verlegung der Bundes-
kasse schon erfolgt. Denn 81, 3; 45% sind die Kassenbeamten und
Kassenordnungen in Athen schon eingesetzt, und aus diesem Jahre
stammen die ersten Listen der von den eingehenden Zahlungen an
die Stadtgöttin von Athen abgehobenen Summen.
{ | Damals sind also die Geldvorräte, die sich auf 1800 Talente
(2,930,000 Th.) beliefen, aus dem Ileiligthume des delischen Apollon
herübergebracht und in demjenigen der Stadt- und Burggöttin nieder-
gelegt. Hierher flössen nun die jährlichen Beiträge der verbündeten
Staaten, und nachdem Athen schon so lange der Schwerpunkt des
Seebundes gewesen, war es jetzt erklärter Mafsen die Hauptstadt des
ägäischen Meers, seine Burggöttin die Schutzgottheit des Bundes,
seine Akropolis das Schatzhaus und der heilige Mittelpunkt des ganzen
Insel- und Küstenreichs85).
In dieser Stellung, mit solchen Mitteln ausgerüstet, musste nun
Athen vor Allem darauf bedacht sein, in den engeren Kreisen der
griechischen Nachbarstaaten eine festere Stellung zu gewinnen. Denn
11*
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1G4
BEWEGUNGEN IM PELOPONNES
es war ein seltsamer Widerspruch, dass es mit seiner Flotte bis in
die politischen und phönikischen Gewässer herrschte, aber in dem
Meere, weiches die attische Küste bespülte, noch immer durch die
Nähe feindlicher Staaten gebunden war. Hier musste es sich noth-
wendig freie Hand schaffen; es konnte nicht länger dulden, dass
Angesichts seiner Kriegshäfen feindliche Seestaaten bestanden, welche
nur auf Gelegenheit lauerten, ihm zu schaden.
Durch den Bund mit Argos war etwas Neues begonnen, welches
einer bedeutenden Entwickelung fähig war; aber es war ein An Ca Dg,
der keine Sicherheit und keine Zukunft haben konnte, so lange
Athen von seinem peloponnesischen Bundesgenossen durch feindliche
Städte gelrennt war und an seinen eigenen Landesgränzen keine
freie Bewegung hatte. Es war unmöglich, dass der allpeloponnesische
Bund und der attisch-argivische Sonderbund friedlich einander gegen-
über bestanden; es musste sich der eine auf Kosten des anderen
auszudehnen suchen.
Auch hier war die Lage der Dinge eine für Athen günstige. Denn
unverkennbar waren die peloponnesischen Verhältnisse seit dem Pro-
zesse des Pausanias in zunehmender Auflösung begriffen.
Argos, nicht zufrieden mit seiner eigenen Erstarkung, war schon
seit längerer Zeit in Arkadien thätig, um hier die Städte und Gaue
gegen Sparta aufzuwiegeln, und dies gelang ihm, wenn auch nicht
gleichzeitig, mit den beiden Hauptstädten Arkadiens, Tegea und Man-
tineia. Die Tegeaten waren mit Sparta in feindlicher Spannung, als
Leotychides wegen Hochverraths flüchtig wurde (S. 141); er fand
bei ihnen Aufnahme und Schutz. Zweimal mussten die Spartaner in
Arkadien einrücken, um ihr gefährdetes Uebergewicht herzustellen ;
einmal gegen die verbündeten Argiver und Tegeaten, und dann gegen
ein Heer der Arkader, die mit Ausnahme der Mantineer sämtlich ver-
einigt waren und im mänalischen Gebirge bei Dipaia den Spartanern
gegenüber standen. In beiden Feldzügen blieben die Spartaner Sieger,
aber die alte Sicherheit des Bundesverhällnisses, die Gewohnheit un-
bedingter Unterordnung, war dahin. Auch die Mantineer hatten sich
unter argivischem Einflüsse und nach dem Vorbilde von Argos aus
zerstreuten Gauörtern zu einer festen Stadt zusammengezogen, um
Sparta selbständiger gegenüber zu treten. Hätte nicht alter Partei-
geist und kantonale Eifersucht die Vereinigung der Kräfte gehindert*
so würde es den Spartanern schwer gelungen sein, ihr vorörtliches
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BEWEGUNGEN IM PELOPO.NNES.
165
Ausehen aufrecht zu erhalten. Die von Sparta fernste Land-
schaft, Achaja, war seit langer Zeit antispartanisch und demo-
Endlich hatte auch Elis, das treuste Bundesland, sich vom la-
konischen Einflüsse frei zu machen angefangen; es hatten hier Volks-
bewegungen stattgefunden, welche den Einfluss Spartas gefährdeten.
Bis dahin nämlich war die Landschaft von den adligen Geschlechtern
regiert worden, welche sich ganz auf Sparta stützten. Sie hatten
ihren Sitz in der Stadt Elis am Peneios; das platte Land bestand
aus offenen Flecken, Dörfern und Bauerhöfen, deren Bewohner selten
zur Stadt kamen und die Geschlechter ruhig regieren Helsen. Diese
patriarchalischen Verhältnisse halten sich bei der einförmigen, von
Handel und Seeverkehr abgewendeten Lebensart der Bevölkerung
Jahrhunderte lang ungestört erhalten, und die Geschlechter hatten
sich mit gro&er Klugheit in ihrer regierenden Stellung zu behaupten
gewussL Aber nun machte sich auch hier der Geist der Zeit geltend.
Die bäuerliche Bevölkerung kam in Bewegung; sie verlangte volle
Staatsbürgerrechte; das ganze Land wurde nach seinen örtlichen Be-
zirken neu gegliedert, und durch Zuzug aus den weit zerstreuten
Dorfgemeinden erwuchs die bis dahin kleine Stadt zu einer volk-
reichen Haupt- und Gesamtstadt der ganzen Landschaft. Das geschah
Ol. 77, 2 (471) oder einige Jahre später. Mit dem Sturze der alten
Geschlechter, der Einführung einer demokratischen Verfassungsform
und dem Aufbaue von Neu-Elis war zugleich der Einfluss Spartas
gelähmt und seiner Macht im Peloponnes eine der wichtigsten Stützen
entzogen87).
Dazu kam, um Sparta noch tiefer zu beugen, das Erdbeben (464)
und der große Menschen vertust in Folge desselben, und dann der
messen ische Krieg, welcher zehn Jahre lang den Lakedämoniern die
Hände band. Unter diesen Umständen konnte von Seiten Spartas nichts
geschehen, um der Befestigung und Ausbreitung des attisch-argivi-
schen Sonderbundes kräftig entgegenzutreten, und deshalb rüsteten
die nordpeloponnesischen Staaten auf eigene Hand gegen Athen, um
mit Gewalt zu erreichen, was sie früher durch heimliche Umtriebe
und durch Vorschieben Sparlas erzielt hatten (S. 105). Die Hemmung
der allischen Macht war die Bedingung ihrer eigenen Existenz, und
so bildete sich unter den Mitgliedern der zerrissenen Eidgenossen-
schaft eine neue kriegerische Staatengruppe.
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106
KORINTH UND AIGINA WIDER ATHEN (80, 8; 458,.
Die Koriniher verbanden sieb im Stiilen mit Aigina und Epi-
dauros und suchten auf Kosten von Megara jenseits des Islhmos ihr
Gebiet zu erweitern und feste Stellungen zu gewinnen. Dies erschien
ihnen um so wichtiger, da sie die Megareer, welche mit ihrer kleinen
Landschaft zwischen den beiden feindlichen Bundnissen in der Mitte
lagen, als sehr unzuverlässige Bundesgenossen kannten. Sie waren
zwar durch alte Verträge an die dorische Halbinsel gebunden, durch
Handels- und Yerkehrsverhältnisse aber ganz auf Attika angewiesen ;
denn der gröfste Theil der megarischen Bevölkerung lebte davon,
dass er den attischen Markt mit Fleisch, Gemüse u. dgl. versorgte.
Eine feindliche Haltung Athens würde also den Wohlstand des ganzen
Lfm denen s gefährdet haben. Dazu kam, dass es an demokratischen
Sympathien nicht fehlte, welche durch die Abneigung gegen Korinth
gesteigert wurden.
Was die Korinther besorgten, erfolgte schneller als sie erwartet
hatten. Die bedrängten Megareer kündigten die Verträge mit Sparta
und traten dem Sonderbunde bei.
Das war, so klein das Ländchen war, ein folgenreiches Ereigniss,
nicht blofs des Beispiels wegen, sondern besonders deshalb, weil
Megara für die Kriegsführung eine so wichtige Lage hatte. Dadurch
kamen ja die Pässe der Geraneia, die Aus- und Eingänge der dori-
schen Halbinsel, in die Hände der Athener; Megara wurde ein Vor-
werk von Anika; attische Truppen lagen in seinen Städten, attische
Schiffe kreuzten im korinthischen Meere und fanden hier in Pegai und
Aigosthena ofTene Häfen. Die Athener beeiferten sich, Megara so eng
als möglich mit sich zu verbinden, und bauten deshalb unverzüglich
zwei Mauerlinien, welche Megara mit seinem acht Stadien entfernten
Hafen INisaia verbanden und beide Plätze (den Peloponnesiern un-
einnehmbar machten (SO, 2; 459).
Diese Erweiterung der feindlichen Macht bis an die Grenzen
des Isthmos und in die Gewässer des westlichen Golfs liefs den pelo-
ponnesischen Seestädten keine Ruhe mehr. Korinth, Epidauros und
Aigina traten den Athenern gegenüber in Waffen ; der Krieg war da
ohne Kriegserklärung, und Athen trug kein Bedenken, die Heraus-
forderung, welche in den Rüstungen der Gegner deutlich genug aus-
gesprochen war, anzunehmen88).
Myronides, ein erprobter Feldherr und Staatsmann, der schon
vor neunzehn Jahren als Gesandter mit dem Vater des Perikles in
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KORINTHISCHER KRIEG (80, 3; 458-467).
167
Sparta gewesen war, landete mit einem attischen Geschwader bei
Halieis, wo die Gränzen der Epidaurier und Argiver zusammenstiefsen,
und traf hier ein vereinigtes Heer der Korinther und Epidaurier.
Myronides kämpfte unglücklich. Einige Monate spater trafen sich die
Flotten bei der Insel Kekryphaleia zwischen Aigina und der Küste
von Epidauros. Die Athener siegten, und der Kampf drängte sich
jetzt um Aigina zusammen. Unmittelbar vor der Insel erfolgte eine
zweite grofse Seeschlacht. Siebzig feindliche Schiffe fielen den
Athenern in die Hände, die nun mit ihrer siegreichen Flotte unver-
züglich Aigina umringten.
Die Peloponnesier fühlten, was auf Aigina ankam. Dreihundert
Hopliten kamen der Insel zu Hülfe, die Korinther rückten über die
Geraneia in Megaris ein, um Aigina zu entsetzen. Es schien un-
möglich, dass die Athener, während eine ihrer Flotten im Nillande
kämpfte und eine andere vor Aigina lag, noch ein drittes Heer für
Megara bereit haben sollten. Aber die Leistungsfähigkeit der Athener
war etwas, wovon die Peloponnesier gar keine Vorstellung hatten.
Freilich war der ganze Heerbann aufser Landes und nichts zu Hause,
als was eben zur Vertheid igung der Mauern ausreichen konnte.
Aber nichts desto weniger war man darüber klar, dass man
weder Aigina freigeben noch die neuen Bundesgenossen im Stiche
lassen dürfe.
Myronides rückte mit den Mannschaften, welche das Alter des
Felddienstes schon überschritten oder noch nicht erreicht hatten, den
Korinthern entgegen. Im ersten Gefechte behauptete er das Feld;
als die Feinde zum zweiten Male wiederkehrten, wurden sie mit un-
geheurem Verluste geschlagen; Megara war gerettet und die Thalkraft
der Athener auf das Glänzendste bewährt. Als Zeugen derselben
wurden im Kerameikos die Grabsäulen aufgerichtet, welche aus einem
Jahre (80, 3; 45**) die Namen der bei Kypros, in Aegypten, Phönizien,
Halieis, Aigina und Megara gefallenen Krieger Athens nannten. Ein
Bruchstück dieser denkwürdigen Urkunde ist noch heute erhalten **).
Während so aus lange angehäuftem Zündstoffe plötzlich der hef-
tigste Krieg in Mittelgriechenland aufgelodert war, entspannen sich im
Norden neue Verwickelungen.
Die Tbebaner, welche so tiefe Demüthigung erfahren hatten,
glaubten die Zeit gekommen, wo sie das Frühere vergessen machen
und wieder zu neuer Geltung gelangen könnten. Ihnen gegenüber er-
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168
Sl'AHTAMER IN PB0KI8 (80, 4; 4*7).
hoben sich die Phokeer, welche durch die Fortschritte der attischen
Macht Muth gewannen, um auch in ihrem Berglande dem dorischen
Einflüsse entgegenzutreten; denn ihre Nachbarn, die dorischen Ge-
meinden hinler dem Parnasse, wurden nur durch Sparta gehalten.
Nach der Auflösung des hellenischen Bundes und den vielfachen
Unglücksfällen der Spartaner glaubten die Phokeer einen Angriff auf die
dorische Vierstadt wagen zu dürfen, um hier ihr Gebiet zu erweitern.
Die medische Gesinnung, welche die Städte gezeigt hatten, mochte
als Vorwand dienen.
Es war ein Ehrenpunkt für Sparta, die dorischen Urgemeinden
nicht im Stiche zu lassen. Kräftig raffte es sich auf und brachte
aller Verluste und des fortdauernden Kriegszustandes in Messenien
ungeachtet 11500 Mann zusammen, von denen freilich nur 1500
Schwerbewaffnete aus Lakonien stammten ; die Anderen waren Bundes-
genossen. Befehligt wurden sie von Nikomedes, Kleombrotos' Sohn,
welcher für den minderjährigen König Pleistoanax, den Sohn des
Pausanias, die Heerführung hatte. Sie drangen über den Isthmos
vor, ehe die Athener ihnen ein Hinderniss entgegenstellen konnten,
und zwangen die Phokeer ihre Eroberungen wieder herauszugeben.
Wie die Truppen aber über den Isthmos heimkehren wollten, hatte
Athen die dortigen Pässe besetzt, und eben so war der korinthische
Golf durch feindliche Schilfe unsicher. Es blieb den Lakedämoniern
nichts übrig, als nach Böolien zu ziehen, wo Theben ihre Anwesen-
heit gerne sah ; sie rückten in das Asoposthal und lagerten im Gebiete
von Tanagra unweit der attischen Gränze. So hatten denn die
Athener sich selbst, ohne die Folgen zu übersehen, in eine sehr be-
denkliche Lage gebracht. Nachdem sie seit Jahren nur auf die See
ihr Auge zu richten gewohnt waren, sahen sie sich auf einmal im
Rücken durch eine sehr gefährliche Landmacht bedroht.
Ihre Bedrängniss steigerte sich, als gleichzeitig im Innern der
Sladt böse Anzeichen verrätherischer Umtriebe zum Vorscheine kamen.
Denn seitdem die conservative Partei der verfassungsmäßigen Mittel
beraubt war, welche der Areopag ihr dargeboten hatte, begannen die
Leidenschaftlicheren unter ihren Anhängern auf heimlichen Wegen
der verhassten Demokratie entgegen zu arbeiten.
Ein erschreckendes Wahrzeichen erhitzter Parteiwuth, welche
kein Mittel scheut, war die Ermordung des Ephialles, des hoch-
herzigen Mannes, welcher mit rastlosem Eifer und jedem persönlichen
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VERSCHWÖRUNGEN IN ATHEN
169
Einflüsse unzugänglich, alle Ungesetzlichkeiten verfolgte. Man fand
ihn eines Morgens todt im Bette. Die Anstifter der That suchten
die Schuld auf Perildes zu wälzen, als wenn dieser auf den Vor-
kämpfer seiner Politik eifersüchtig geworden wäre, obwohl man den
von den Oligarchen gedungenen Mörder, Aristodikos aus Tanagra,
kannte90).
Die erbittertsten Feinde der Volksherrschaft schlössen sich enger
zusammen und strebten, da sie in der eigenen Stadt machtlos waren,
nach auswärtiger Unterstützung ; sie verdoppelten ihre Anstrengungen,
als der von Kimon begonnene Mauerbau von Neuem in Angriff ge-
nommen wurde; denn bis jetzt waren Athen und Peiraieus noch
zwei Städte. Wenn aber die Verbindungsmauern einmal fertig
waren, dann konnte Sparta beim besten Willen nicht mehr helfen,
und die spartanische Partei sah voraus, dass sie dann von auswär-
tiger Hülfe völlig abgeschnitten sein würde. Deshalb hatte sie mit
Sparta Verbindungen angeknüpft und durch heimliche Botschaften
das peloponnesische Heer veranlasst, an die Gränzen von Attika zu
rücken.
Bei den Böotiern waren inzwischen die merkwürdigsten Ver-
wickelungen eingetreten.
In Theben war nämlich eine Partei am Ruder, welche mit aller
Energie dahin strebte, Böotien unter thebanischer Hegemonie zu
einigen. Es war nicht mehr die alte Oligarchenpartei, welche es mit
den Persern gehalten und nach der Schlacht von Plalaiai ihren Ein-
fluss verloren hatte, sondern eine neue Partei; eine Partei, welche,
wahrscheinlich durch euböische Emigranten aufgeregt, demokratische
Grundsätze hatte, und durch Erweiterung von Theben die Stadt zur
Hauptstadt des Landes machen wollte, um mit gesammelter Kraft
den Fortschritten der attischen Macht in Mittelgriechenland entgegen-
zutreten. So geschah es, dass die demokratische Regierung sich zu
Sparta hielt, während die Gegenpartei, welche in den alten Familien
der böotischen Städte ihren Schwerpunkt hatte, auf Athen ange-
wiesen war. Die Verhandlungen mit Sparta hatten den günstigsten
Erfolg (80, 4; 457). Durch das Lager bei Tanagra war die
Einmischung Athens abgewehrt und unter dem Schutze lakedämo-
nischer Waffen bauten die Thebaner ihre neue Ringmauer, um
ihre Stadt zu einer Grofsstadt und einem Waffenplatze gegen Athen
zu machen.
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170
TANAGRA (80, 4; 457) UND OINOPHYTA (81, 1; 456).
Die Verhältnisse konnten also für Athen nicht drohender sein.
Darum rückte das ganze Bürgerheer aus; mit den Argivern und
anderen Verbündeten waren es 14000 Mann und ein Corps thessa-
lischer Reiterei. In der Niederung des Asopos unterhalb Tanagra
trafen die Heere zusammen. Es entspann sich ein schwerer, blutiger
Kampf, wo zum ersten Male in geordneter Feldschlacht Athen und
Sparta ihre Kräfte an einander erprobten.
Lange schwankte der Erfolg; da gingen mitten im Treffen die
tbessalischen Reiter über, vermuthlich auf Anstiften der lakonischen
Partei zu Athen. Durch diesen Verrath wurde die Schlacht für Sparta
entschieden, wenn auch patriotische Athener sie niemals zu den ver-
lorenen Schlachten haben rechnen wollen.
Die Spartaner waren aber weit entfernt, die Erwartungen der
Regierung von Theben zu erfüllen. Sie schlössen einen Waffenstill-
stand auf vier Monate und zogen, so wie sie die Islhmospässe wieder
frei wussten, durch Megara ab, indem sie dies Ländchen für seinen
Abfall durch Verheerung des Gebiets büfsen liefsen. Das geschah
im Spätherbst 457. Die Spartaner waren zufrieden, ihr Ansehen in
Mittelgriechenland wieder hergestellt zu haben und weihten als Denk-
mal des Sieges einen goldenen Schild an der Fronte des Zeustempels
in Olympia. Sie rechneten darauf, dass Theben einstweilen stark
genug sei, sich gegen seine Nachbarn zu behaupten; für weitere
Kriegsunternehmungen gegen Athen sollte Tanagra einen Stützpunkt
bilden.
Der Plan war gut, die Verhältnisse lagen günstig. Aber die
Spartaner thaten Alles halb. Sie hatten das Feld geräumt, als es
gerade darauf ankam, die gewonnenen Vortheile auszubeuten und auf
dem Platze zu bleiben. Die Athener aber waren nicht gesonnen,
eine drohende Macht an ihren Landesgränzen sich festsetzen zu lassen.
Ohne daher die gute Jahreszeit abzuwarten, gingen sie am zwei und
sechzigsten Tage nach der Schlacht, ehe man in Böotien an neue
Kämpfe dachte, über den Parnes; Myronides war Feldherr und schlug
das thebanische Heer, welches das Asoposlhal vertheidigen sollte, bei
Oinophyta.
Dieser Tag vernichtete mit einem Schlage alle Pläne Thebens ;
die Mauern von Tanagra wurden geschleift und Myronides zog un-
gehemmt von Stadt zu Stadt, indem er überall im Namen Athens
die Freiheit verkündete, d. h. Befreiung von der aufgedrungenen Cen-
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FALL VON AI6I.NA 80, 4; 4M.
171
tralisauon. Theben war vollständig isolirt, und anstatt dass die
bOoliscben Landstädte sich gegen Athen und Theben vereinigten, traten
sie nun gegen Theben in ein Bundesverhältniss zu Athen.
Nach vorübergehender Demüthigung war Athen mächtiger als
je zuvor; es hatte seine Herrschaft bis an die Thermopylen aus-
gedehnt. Denn nicht nur die Phokeer gewann Myronides für Athen,
sondern auch die opuntischen Lokrer, welche nördlich von Böotien
die fruchtbare Küstenebene am Euripos bewohnten, traten zu ihm
über und stellten hundert Geiseln aus den ersten Geschlechtern
der Gemeinde, welche bis dahin das Regiment in Opus geführt
hatten w).
Inzwischen neigte sich auch die Widerstandskraft der Aegineten
zu Ende. Neun Monate lang hatten sie dem attischen Geschwader,
das unter Leokrates' Führung vor ihrer Stadt lag, Trotz geboten;
vergeblich hatten sie während dieser Zeit nach Sparta, dem sie noch
im messenischen Kriege so treuen Beistand geleistet hatten, vergeblich
nach ihren peloponnesischen Bundesgenossen ausgeschaut. Nun
waren ihre KräRe zu Ende, und die stolze Insel der Aeakiden, die
von Pindar gefeiert war als die Mutter der Männer, welche in herr-
lichen Wettkämpfen allen Hellenen vorleuchteten, sie musste sich vor
dem unwiderstehlichen Glücke der Athener beugen; sie musste ihre
Mauern einreiben, ihre Kriegsschiffe ausliefern und zur Tributzahlung
sich verpflichten (80, 4; 456).
Gleichzeitig wurden die Schenkelmauern zwischen Ober- und
Unterstadt vollendet. Athen stand unangreifbar da. Das eigene Meer
war endlich von allen Feinden frei; zu den weit reichenden Insel-
und Küstengebieten, welche es wie sein Reich beherrschte, war eine
continentale Bundesgenossenschaft hinzu erworben, welche sich von
Argos und Megara ununterbrochen bis nach Delphi und nach den
Thermopylen ausdehnte. Der peloponnesische Bund war aufs Tiefste
erschüttert und Sparta noch immer durch den messenischen Auf-
stand gebunden, während die Athener über ihre Streitkräfte frei ver-
fügen konnten.
Der Kampf der Bünde wurde jetzt in neuer Weise fortgesetzt.
Zum ersten Male sah Sparta sich im eigenen Land aus seiner
Sicherheit aufgeschreckt. Altische Kriegsschiffe, von Tolmides ge-
führt, erschienen an der Küste Lakoniens, und was Themistokles
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172
FALL VON 1THOME (81, 1; 456).
vor Jahren gewünscht hatte, um Athens Seemacht zur allein herr-
schenden zu machen, wurde nun ausgeführt, als die Schiffswerften
von Gytheion in Flammen aufgingen. Tolmides zog, ohne Wider-
sland zu begegnen, um die ganze Halbinsel herum; vermuthlich auch
in der Absicht, die Spartaner in der Unterdrückung des messenischen
Aufslandes zu hindern und den heldenmülhigen Vertheidigern von
lthome, die nun schon im zehnten Jahre Sparta trotzten, mittelbar
zu Hülfe zu kommen.
Indessen waren die Messen i er aufser Stande sich länger zu halten,
und da Sparta unter den gegenwärtigen Umständen um jeden Preis
den Krieg zu beendigen wünschte, wurde den Belagerten mit Weib
und Kind freier Abzug gestattet (Ol. 81, 1; 456), nachdem auch
das delphische Orakel die Schützlinge des Zeus zu schonen be-
fohlen hatte.
Die Athener aber hatten diesen Zeitpunkt erwartet und darauf
Bedacht genommen, den Auswanderern nicht nur ein Unterkommen
zu schaffen, sondern sie auch so unterzubringen, dass sie den Inter-
essen der attischen Politik wesentliche Dienste leisteten.
Es handelte sich damals um den korinthischen Golf, an dessen
Rand die Macht der Athener vorgedrungen war, seitdem die me-
garischen Häfen in ihren Händen waren. Hier war ein Conflikt mit
Korinth unvermeidlich. Denn die Koriniher konnten nicht ruhig an-
sehen, dass sie in ihrem eigenen Golfe von feindlichen Waffenplätzen
bedroht und von dem Verkehr mit ihren Colonien abgeschnitten
würden. Sie mussten also ihren ganzen EinÜuss aufbieten, um
neue Stützpunkte für ihre Herrschaft im Golfe zu gewinnen und
benutzten dazu die Stämme der nördlichen Gestade, namentlich die
Lokrer, welche, seit unvordenklicher Zeit in verschiedene Wohnsitze
getrennt, keine selbständige Entwickeln^ gewonnen hatten und sich
deshalb am leichtesten als Werkzeuge auswärtiger Politik gebrauchen
liefsen.
Es ist uns eine merkwürdige Urkunde in Erz erhalten, welche
ihren Schriflzügen nach der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts
v. Chr. zuzuweisen ist, die Urkunde einer gemeinschaftlichen An-
siedelung der am euböischen und am korinthischen Meere ansässigen
Lokrer in Naupaktos. Eine so energische Unternehmung ist ge-
wiss nicht von Lokris ausgegangen; sie kann nur von den Korinihern
veranlasst worden sein, die nach dem Abfall von Megara an dem
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DIE MESSEMER I* HAUPAKTOS (81, 1; 454).
173
wichtigsten Kostenpunkte an dem schmalen Fahrwasser, das wie ein
Kanal aus dem inneren Golf in den äußeren hinausführt, in dem
alten Fährorte und Schiffsbauplatze Naupaktos (I, 108), einen festen
Platz treuer Bundesgenossen einrichten wollten.
Die Ansiedelung erfolgte, wie es die Korinther veranstaltet
hatten; die Athener blieben aber keine ruhigen Zuschauer. Sie be-
nutzten sofort die neu gewonnenen Stationen am Rande des west-
lichen Meeres. Tolmides vertrieb um SO, 3; 458 die lokrische Gar-
nison aus Naupaktos, und nach der Schlacht von Oinophyta wurden
die opun tischen Lokrer, die sich auf eine gegen Athen gerichtete
Unternehmung eingelassen hatten, gedemöthigt und gezüchtigt. Tol-
mides aber hielt eine Umfahrt um die Halbinsel, holte die Messen ier
ab und verpflanzte sie nach Naupaktos. So wurde aus dem Bollwerk
gegen Athen ein attischer Waffen platz und die Eroberung des benach-
barten Chalkis sicherte vollends den Athenern die Beherrschung des
korinthischen Golfs").
Rastlos gingen sie überall vorwärts. Auch die unglückliche
Wendung, welche in Aegypten eintrat (S. 155), wo im vierten Kriegs-
jahre Megabyzos die Aufstandischen mit überlegenen Streitkräften
angriff, das Jahr darauf die Athener und Aegypter auf der Nilinsel
Prosopitis einschlo88 und daselbst fast völlig vernichtete, entmuthigte
die Bürgerschaft nicht.
Es wurde noch in demselben Jahre ein Zug nach Thessalien
unternommen, bei dem nun zum ersten Male unter Athens Führung
die bootischen und phokischen Bundestruppen vereinigt waren , um
den pbarsalischen Dynasten Orestes zurückzuführen, die Macht der
thessalischen Aristokratie zu brechen und den Einfluss Athens bis
an die Nordgränzen des griechischen Landes auszudehnen ; aber der
Zug blieb ohne Erfolg, weil die Verbündeten in der grofsen Ebene
der feindlichen Reiterei nicht gewachsen waren (Ol. 81, 3; 454^).
Glücklicher war die Flotte, welche in demselben Jahre Perikles
führte. Sein Augenmerk war die Befestigung der attischen Herrschaft
im korinthischen Meere, wo Pegai ein Kriegshafen Athens geworden
war. Von hier aus machte Perikles eine Landung in Sikyon und
schlug die Bürger, welche ihm entgegenrückten. Die achäischen Städte
wurden in den attischen Bund aufgenommen ; dann wurde das akar-
nanische Ufer heimgesucht und namentlich aus dem Gebiete von
Oiniadae grofse Beute heimgebracht.
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K1M0.NS HEIMKEHR UM 81, S; 454.
Nach diesen ungeheuren Anstrengungen und Opfern, nach den
Land und Seezügen, welche sich Jahr auf Jahr folgten, trat eine stillere
Zeit ein. Auch im Innern des Gemeinwesens ward es ruhiger; die
Spannung der Parteien hatte nachgelassen, und seit der tanagräischen
Schlacht fand sich die grofse Mehrheit in einem Wunsche zu-
sammen ; es war der Wunsch nach Kimons Rückkehr, die Sehnsucht
nach dem verbannten Helden. Perikles selbst war seiner Natur nach
nichts weniger als schrofTer Parteimann nach Art des Ephialtes; er
wünschte im eigenen Interesse Kimons Heimkehr. Wenn er es er-
reichte, sich mit ihm zu vereinigen, so konnte seine Machtstellung
dadurch nur an Sicherheit gewinnen; auch lag ihm viel daran, mit
Sparta zu unterhandeln, weil er keinen ununterbrochenen Kriegszu-
stand wollte. Er selbst konnte das nicht; desto besser Kimon, dessen
Rückberufung allein schon als ein einlenkender Schritt Sparta gegen-
über angesehen werden musste.
Dabei kam ihm zu Statten, dass durch die verräterischen Um-
triebe vor der tanagräischen Schlacht die conservalive Partei sich
gespalten hatte. Kimon und seine näheren Genossen verabscheuten
eine Parteileidenschaft, welche das patriotische Gemeingefühl so weit
verleugnen konnte, um mit den Feinden der Stadt zu unterhandeln.
Um deutlich zu zeigen, dass er mit solchen Menschen keine Gemein-
schaft habe, hatte Kimon sich bei Tanagra persönlich eingefunden
und um Erlaubniss gebeten, auch als Verbannter in die Reihen
seiner Mitbürger treten zu dürfen. Er war nicht zugelassen, aber
seine Genossen, hundert an der Zahl, hatten im Handgemenge mit
den Spartanern freiwillig den Tod gesucht, um die Reinheit ihrer
Gesinnung zu bezeugen. Dadurch hatten die Parteien sich genähert,
und Perikles selbst beantragte nun beim Volke Kimons Rückbe-
rufung, nachdem derselbe beinahe fünf Jahre in der Verbannung ge-
lebt hatte.
Ehe dieser Schritt geschah, halten die beiden Staatsmänner schon
eingehend mit einander verhandelt, wobei Elpinike, die Schwester
Kimons, die Vermittlerin gewesen sein soll. Eine Verständigung über
die fernere Leitung des Staats war nothwendig, wenn derselbe nicht
sogleich wieder in zwei feindliche Parteien aus einander fallen sollte;
sie war dadurch erleichtert, dass Kimons Partei in der früheren
Weise nicht mehr bestand. Die wesentlichen Punkte des Ueberein-
kommens lassen sich aus dem entnehmen, was nach der Rückkehr
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WA F FE>'STI L LSTA > D MIT SPARTA (82, 2; 461-460).
175
Kimons geschah und nicht geschah. Denn wenn Kimon in den
inneren Angelegenheiten die Politik des Perikles nicht mehr bekämpfte,
so muss er auf diesem Gebiete sich willig gefunden haben, die einmal
gemachten Reformen nicht weiter anzufechten. Perikles aber muss
sich anheischig gemacht haben, in der auswärtigen Politik Kimons
Wünsche zu unterstützen, ihm wieder den Flottenbefehl gegen Persien
zu verschaffen und Sparta nicht durch fernere Angriffe zu reizen. Es
kann nicht zufallig sein, dass nach Ausgleichung der beiden Staats-
männer die Landungen an der peloponnesischen Küste sofort unter-
blieben. Statt dessen sollte die Thätigkeit der Bürger wieder gegen
das Ausland gelenkt, es sollte ihre Tapferkeit auf neutralen Gebieten
in Uebung erhalten, und durch Aussendung von Pflanzbürgern zu-
gleich für die ärmere Stadtbevölkerung wie für Befestigung der See-
berrschaft an wichtigen Punkten gesorgt werden.
So führte Perikles selbst eine Flotte nach dem Hellespont, wo
die attischen Bundesgenossen von den Thrakiern unaufhörliche Be-
lästigungen erfuhren. Es ist, als wenn er es aus Aufmerksamkeit
gegen Kimon darauf abgesehen hätte, an dem, was dessen Vorfahren
gegründet halten, weiter zu bauen, indem er die Schutzmauer des
Milüades erneuerte und durch Ansiedlung von tausend Bürgern die
Halbinsel am Hellespont zu einem attischen Besitze machte. In
gleichem Sinne wirkte Tolmides, welcher in Euboia und Naxos atti-
sche Bürger ansiedelte.
Während dieser Zeit war Kimon nach dem gemeinsamen Plane
thätig, Athen und Sparta wieder in ein rechtliches Verhältniss zu
einander zu bringen. Denn seit Auflösung des alten Bundes waren
zwei Bündnisse da, die sich feindlich gegenüber lagen; es war ein
offener Kriegszustand innerhalb Hellas, der mit den amphiktyonischen
Satzungen, wie sie noch immer zu Recht bestanden, in grellem Wider-
spruche war. Nun brachte freilich auch Kimon keinen Frieden zu
Stande, wie er und gewiss auch Perikles es wünschten. Denn Sparta
konnte sich nicht entschliefsen, unter so ungünstigen Verhältnissen,
wie sie gegenwärtig waren, sich auf längere Zeit die Hände zu binden :
auch liefsen es die Korinther nicht zu, welche sich durch die Fort-
schritte Athens in ihren Gewässern auf eine unerträgliche Weise ein-
geengt sahen; es kam also nur zu einem Waffenstillstände auf fünf
Jahre. Er war aber doch ein wohlthäliger Ruhepunkt in der steigen-
den Verfeindung der Hellenen; er war das Ende eines neunjährigen
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176
KIMONS FELDZUG UM» TOD (M, 4; 449).
Krieges, welchen wir den ersten peloponnesischen nennen können,
und der Anfang einer neuen Rechtsordnung in Hellas, indem die
beiden Grofsstaaten sich mit ihren Bündnissen zuerst gegenseitig
anerkannten und sich auf dem Wege des Vertrags mit einander
verstandigten. Wie unsicher die Fundamente dieser neuen Ver-
bindung waren, konnte Niemand verkennen, der die feindselige
Aufregung der Gemuther in Hellas kannte. Es kam daher Kimon
Alles darauf an, die Aufmerksamkeit seiner Mitbürger nach aufsen
abzulenken93).
Der ägyptische Aufstand war noch immer nicht zu Ende. Nach
dem Untergange des Inaros hatte Amyrtaios sich in den Sümpfen
des Delta gehalten, und dieser knüpfte nun neue Verbindungen mit
Athen an. Es war eine Ehrensache für Athen, den Tod seiner
Bürger und die Niederlage der nachgeschickten Flotte zu rächen.
Auch in Cypern, das nach dem Abzüge des Pausanias (S. 112) der
nationalen Sache wieder verloren gegangen war, hatte man gleich-
zeitig den Kampf erneuert, ohne dauernde Erfolge zu erreichen.
Man durfte diesen Waffenplatz nicht den Feinden überlassen, man
musste ebenso in Karien die nationale Partei starken und der per-
sischen Macht im phönikisch-cyprischen Meere ein Ende machen.
Kimon betrieb den Krieg aufs Eifrigste und hatte die Genug-
tuung, sich im Frühjahre 449 (Ol. 82, 3) wieder an der Spitze einer
Flotte von 200 Schiffen zu sehen, welche er vom Peiraieus aus gegen
den Nationalfeind führen durfte. Er fühlte sich endlich wieder an
seinem Platze; er stand noch im kräftigsten Mannesalter und sah
eine neue Bahn des Ruhms vor sich aufgeschlossen. Sechzig Schiffe
wurden zur Unterstützung des Amyrtaios abgesendet; er selbst steuerte
nach Cypern, und nachdem die feindlichen Geschwader, die ihm
entgegenfuhren, zurückgeschlagen waren, schloss er Kition ein, um
an der Seeküste einen festen Waffen platz gegen Phönizien und
Aegypten zu gewinnen. Aber vor Kition erkrankte Kimon und fühlte
bald, dass er am Ende seiner Thaten stehe. Er bewährte seine
Heldennatur, indem er die letzten Tage und Stunden seines Lebens
noch für den Ruhm seiner Vaterstadt benutzte. Er befahl nämlich,
seinen Tod zu verheimlichen, damit keine Störung des Feldzugs ein-
träte; nach seinem Befehle verliefs man die Stellung bei Kition,
suchte die phönikisch-kilikische Flotte auf, schlug sie auf der Höhe der
Stadt Salamis und besiegte zuletzt noch zu Lande die feindlichen Trup-
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UNRUHE?! IN PHOKIS UND EÖOTIEN.
177
pen. Weitere Erfolge konnten nicht errungen werden. Eine Theuerung
trat ein und zwang die Athener ihre Truppen zurückzurufen. Die
Belagerung von Kition musste aufgegeben werden ; nachdem die Schiffe
aus Aegypten herangezogen waren, kehrte die Flotte heim und der
noch im Tode siegreiche Feldherr wurde daselbst bei seinen Ahnen
vor dem melitischen Thore bestattet94).
Kimon war durch seinen plötzlichen Tod der Schmerz erspart,
sich von der Unmöglichkeit einer dauernden Befriedigung seines
Vaterlandes zu fiberzeugen. Denn wenn auch die beiden Haupt-
staaten dem Wortlaute der Verträge treu blieben, die Bundesgenossen
konnten keine Ruhe halten.
Namentlich in Nordgriechenland waren durch die gewaltsame
und rasche Ausbreitung der altischen Macht Verhältnisse hervor-
gerufen, die durchaus unhaltbar waren. In ganz Böotien herrschte
die gröfste Gährung, indem die demokratischen Regierungen sich nur
mit Mühe behaupten konnten; ebenso steigerte sich in Lokris und
in Euboia der Widerwille gegen die Herrschaft Athens.
Andererseits waren die Phokeer durch das ununterbrochene
Glück Athens zu neuen Hoffnungen aufgeregt; sie wollten ihr Gebiet
abrunden und das, was innerhalb desselben oder an seinen Gränzen
ihnen entgegen stand, ihrem Staate einverleiben. So wandten sie sich
jetzt gegen Delphi, dessen priesterliche Autonomie sie längst mit
eifersüchtigen Augen betrachtet hatten. Da der alte Bundestag,
welcher die Unabhängigkeit des Heiligthums verbürgte, so gut wie
aufgelöst war, hielten sie auch die alten Verträge für erloschen. Sie
wollten das Heiligthum unter ihre Botmäfsigkeit stellen und waren
der günstigen Stimmung Athens gewiss, weil die in Delphi regieren-
den Geschlechter den Athenern feindlich waren. Sparta, zum Schutze
des Heiligthums aufgerufen, liefs ein Heer ausrücken, um Delphi in
seiner Unabhängigkeit wieder herzustellen. Die Athener vermieden
es den Spartanern im Felde zu begegnen; aber, so wie diese ab-
gezogen waren, schritten sie zu Gunsten der Phokeer ein und gaben
ihnen die Landeshoheit zurück. Perikles führte den Zug, und nach-
dem die Spartaner zum Andenken ihres Feldzugs die ihnen ver-
liehenen Ehrenrechte in Delphi auf die linke Seite des ehernen
Wolfes neben dem grofsen Brandaltare hatten einschreiben lassen,
Helsen die Athener zum Hohne Spartas für sich dieselbe Inschrift
auf die rechte Seile des geduldigen Erzbildes einschreiben95).
Cnrtia», Gr. Ge.eh. IL 6. Aufl. 12
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17S
SCHLACHT VON KOROMEIA {13, 2; 441).
Inzwischen steigerte sich die Verwirrung in Böotien, dessen
Städte bis auf Theben von Athen abhängig geworden waren (S. 1 70),
denn niemals ist ein glänzender Erfolg attischer Waffen schneller
zerronnen, weil sich die durch den Sieg bei Oinophyta hergestellten
Verhältnisse ganz unhaltbar zeigten. Den Gegnern Thebens war die
Hülfe Athens sehr willkommen gewesen, der Bund mit Athen aber
unerträglich. Nachdem nun die demokratische Regierung von Theben
bald in völlige Missachtung gerathen war, erfolgte eine allgemeine
Erhebung gegen Athen, um das aufgezwungene Bundesverhällniss
wieder los zu werden; Freischaaren bildeten sich, welche Chaironeia
und Orchomenos besetzten. Die Athener zögerten nicht, ihre Macht
in Böotien gellend zu machen: sie schickten sofort ein Heer unter
Tolmides aus, nahmen aber, durch ihr Glück verwöhnt, trotz der
Warnung des Perikles, die Sache nicht ernst genug.
Tolmides hatte nur 1000 schwerbewaffnete Bürger aufser den
Bundesgenossen, deren Zuverlässigkeit schwankte. Auch verkannte
der Feldherr selbst die Gefahr der Lage und liefs es an der Hölin-
gen Vorsicht fehlen. So geschah es. dass ipm zwar die Wieder-
besetzung von Chaironeia gelang, aber die hohe Burg von Orcho-
menos zu zwingen hatte er nicht die Mittel und musste unbesiegte
Feinde im Rücken lassen. Als er dann am Südrande des böotischen
Seethals nach Athen zurückging, sorglos wie in Freundesland, wurde
er von den Feinden zwischen Koroneia und Haliartos überfallen.
Nach furchtbarem Kampfe erlitten die Athener eine vollständige
Niederlage. Tolmides selbst fiel mit vielen der Seinigen, jungen
Männern der edelsten Geschlechter, welche im Vertrauen auf sein
Feldherrnglück freiwillig eingetreten waren; eine grofse Zahl ward
gefangen.
Mit einem Schlage war Athens Macht in Böotien vernichtet,
weil sie nirgends Wurzel gefasst hatte, weil die ganze Intervention
im Widerspruche stand mit der Geschichte des Landes wie mit der
attischen Politik. Denn man hatte sich mit einer aristokra tischen
Partei eingelassen, die bei erster Gelegenheit abtrünnig wurde. Die
Athener mussten Frieden machen, um ihre Gefangenen zu befreien.
Sie konnten nicht an Rache denken; denn mit furchtbarer Schnellig-
keit wurden auch die Nachbarländer, welche sich der Herrschaft
von Athen hatten fügen müssen, von denselben Bewegungen er-
griffen w).
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PERIKLBS RETTET ATHEN (8* S; 446).
179
Dem Beispiele Böotiens folgten die Städte von Cuboia. Euhöische
Emigranten waren bei dem Aufstande Böoliens thätig gewesen, um
dann die Inselstädte zu den Waffen zu rufen, und wie Perikles sich
in gröfster Eile hieber gewandt hatte, um den Aufruhr zu dämpfen,
erreichte ihn die Nachricht, dass in Megara die attische Besatzung
überfallen und getödtet sei. Es war nämlich den Korinthern in Ver-
bindung mit ihren beiden auf Athens Gröfse besonders eifersüchtigen
Nachbarslädlen, Epidauros und Sikyon, gelungen, die Megareer zum
Abfalle zu bewegen, und auf diese Weise Athen wieder vom korin-
thischen Meere abzuschneiden. Nur Nisaia blieb noch einstweilen in
attischen Händen.
Alle diese Ereignisse erhielten dadurch erst ihre volle Bedeutung,
dass gleichzeitig der fünfjährige Waffenstillstand mit Sparta abgelaufen
war, und wenn die Spartaner schon vorher die gegen Athen aus-
gebrochenen Bewegungen auf alle Weise begünstigt hatten, so rüsteten
sie jetzt unverholen, um die im letzten Vertrage gemachten Zu-
geständnisse wieder zurückzunehmen; sie liefsen ihren König Plei-
stoanax unverzüglich mit einem starken Heere in Attika einrücken,
dessen Gränzen durch den Abfall von Megara blofsgelegt waren, und
gleichzeitig erhoben sich, wie durch eine gemeinsame Verschworung
verbunden, überall die oligarchischen Parteien, um die Macht der
Athener zu brechen ,T)-
So war Athen auf allen Seiten von Aufruhr und Kriegsnoth
umdrängt. Es kam darauf an, zu retten, was möglich war.
Auf den Ausgang einer Schlacht in Attika durfte man es nicht
ankommen lassen; eben so wenig auf eine Belagerung, weil während
der Zeit Euboia mit den dortigen Bürgerkolonien verloren gegangen
wäre. Also blieb nur ein Mittel, durch dessen rasche Anwendung
Perikles die Vaterstadt rettete. Er wusste nämlich in kluger Unter-
handlung die Unerfahrenheit des Pleistoaoax so wie die Geldliebe
des Kleandridas, welchen die Ephoren dem jungen Könige als Rath-
geber beigegeben hatten, sich zu nutze zu machen und bewirkte,
dass das peloponnesische Heer, das niemals unter günstigeren Ver-
hältnissen den Boden Attikas betreten hatte, ohne ernstliche Feind-
seligkeiten wieder abzog und jenseits des Isthmos sich auflöste.
So wie die Hauptgefahr beseitigt war, eilte Perikles mit 50 Schiffen
und 5000 Hopliten nach Euboia zurück; denn von der Behauptung
dieser Insel war Athens Wohlfahrt unbedingt abhängig. Auch hier
12*
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180
COLOMS1RIWG EUBOIAS.
erreichte er theils durch Unterhandlung, theils durch Gewalt die
raschesten Erfolge. Ja die Insel wurde noch vollständiger als zuvor in
Besitz genommen und noch fester an Attika gekettet, indem die Stadt
Histiaia, die sich an einem attischen Schiffe vergriffen halte, erobert
und ihr Grundbesitz an attische Bürger vertheilt wurde. Zweitausend
Athener siedelten sich mit andern Euböern in der verödeten Stadt an,
welche nun den Namen Oreos erhielt, und so gewann Athen auch an
der Nordseite der Insel, in der Nähe des Artemision, am Eingange zum
malischen und pagasäischen Meerbusen wie zum Euripos, einen festen
und wichtigen Stützpunkt seiner Macht. Auch in Eretria wurden
attische Bürger angesiedelt.
Der wichtigste Punkt blieb Chalkis. Ein Volksbeschluss regelte
von Neuem den Besitzstand daselbst, und wir können annehmen, das»
die Grundstücke der ritterlichen Geschlechter, der 'Hippoboten', welche
in Böoüen und Euboia den Abfall betrieben hatten, in gröfserem Um-
fange eingezogen und an attische Pflanzbürger ausgetheilt wurden. In
einer uns erhaltenen Urkunde werden die Feldherrn, d. h. Perikles
und seine Amtsgenossen, angewiesen, dass der neue Vertrag durch Ver-
eidigung der beiderseitigen Vertreter in Athen abgeschlossen, das Ver-
tragsopfer dem Orakel gemäfs vollzogen und die ganze Insel sicher
überwacht werde. Der Inhalt des Vertrags ist die unbedingte Bot-
mäfsigkeit der Chalkidier, welche beschwören, dass sie der Bürger-
schaft von Athen gehorchen wollen; die rechtliche Form dieser
Unterthänigkeit bleibt die Bundesgenossenschaft mit der Verpflichtung
den jährlichen Tribut zu zahlen, welchen Athen nach Anhörung der
tributpflichtigen Gemeinde festgesetzt hat. Zum Andenken an diese
grofsen Erfolge wurde damals, wie es scheint, das Denkmal der ersten
Besiegung Euboias (I, 387) aus der Zeit nach dem Sturz der Pisistra-
liden auf der Burg von Athen erneuert98).
So war durch Perikles' entschlossene Thalkraft auch die zweite
Kriegsnoth überwunden und das Unentbehrliche gerettet; aber die
Gefahr war noch nicht vorüber. Denn in Sparta halte das Verfahren
von Pleistoanax und Kleandridas die höchste Erbitterung hervorge-
rufen; man wollte das schmählich Versäumte nachholen, um Athen
aus seiner Demüthigung nicht wieder aufkommen zu lassen. In Athen
dagegen war bei allen Besonnenen die Ansicht vorherrschend, dass man
vor Allem bedacht sein müsse, die erschütterte Macht der Stadt auf
ihren wesentlichen Grundlagen von Neuem zu befestigen; sie bedürfe
*
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DER DREISSIGJÄHRIGE FRIEDE (»3, S; 445).
1SI
also zunächst der Ruhe, wenn sie auch durch schwere Opfer erkauft
werden müsse.
Perikles war der entschiedenste Vertreter dieser Ansicht und
er versäumte kein Mittel, um auch bei den einflussreichen Bürgern
Spartas eine dem Frieden geneigte Stimmung hervorzurufen. Es
gelang seinen Bemühungen, einen neuen Waffenstillstand zu Stande
zu bringen; zehn bevollmächtigte Gesandte, darunter Andokides und
Kallias, schlössen ihn in Sparta ab. Wie bei dem letzten Waffenstill-
stände (S. 170) wurde der gegenwartige Besitzstand von beiden Seilen
anerkannt. Aber wie weit war das jetzige Bundesgebiet Athens von
dem verschieden, dessen Anerkennung von Seiten Spartas Kimon be-
wirkt hatte!
Von Böoüen blieb nur Plataiai; alles im Peloponnes Erworbene
wurde aufgegeben, namentlich Troizen, wo die Athener eine Besatzung
hatten, um die Verbindung mit Argos zu erleichtem und Epidauros
in Schach zu halten ; dann mussten die Städte Achajas aus der Bundes-
genossenschafl wieder entlassen werden, und ausserdem, was die
Athener am tiefsten schmerzen mussle, Megara; Nisaia so wohl wie
Pegai wurden geräumt. Die peloponnesischen Seestädte, Korinth, Epi-
dauros und Sikyon, hatten also die nächsten und gröfslen Vortheile
von dem Vertrage. Es wurde von beiden Seiten eine dreißigjährige
Waffenruhe gelobt; während dieser Zeit sollten alle vorkommenden
Zwistigkeiten auf dem Wege rechtlicher Ausgleichung geschlichtet
werden; über Art und Form des einzuschlagenden Rechtsweges wurde
aber auch jetzt nichts festgesetzt Die beiden Bundesgenossenschaflen
erkannten sich von Neuem als zwei Staatengruppen an; jede war
ein geschlossenes Ganzes, ein Reich für sich. Es sollte keine der-
selben auf Kosten der anderen vergröfsert werden; innerhalb der eige-
nen Bundesgenossenschaft hatte der leitende Staat das unbestrittene
Recht, jeden Abfall zu strafen. Dadurch sah Athen seine vorörtliche
Macht im Archipelagus vollständig anerkannt, und Sparta verpflich-
tete sich dadurch, keine Klagen von attischen Bundesgenossen an-
zunehmen ••).
Auch mit Persien ist um diese Zeit unterhandelt worden, und
zwar sollen gleich nach Kimons Tode Verträge abgeschlossen worden
sein, welche dem Kriege ein Ende machten.
Dass man dazu auf beiden Seiten geneigt war, ist nach der
damaligen Lage der Dinge sehr begreiflich; Persien hatte ja nicht die
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182
VERHANDLUNGEN MIT PERSIEN.
geringste Aussicht, seine Herrschaft im ägäischen Meere wieder her-
zustellen; jede neue Schlacht trug nur dazu bei, sein Ansehen zu
schwachen und seine Truppen mehr zu entmuthigen; je mehr es ver-
loren hatte, um so ernster musste es darauf Bedacht nehmen, den
Fortschritten der attischen Bundesgenossenschaft endlich ein Ziel zu
setzen , um wenigstens im kyprischen Meere Herr zu bleiben und
die Verbindung der Athener mit den aufständischen Aegyptern zu
beseitigen. Aber auch den Athenern musste daran gelegen sein, auf
Grund der gewonnenen Erfolge eine friedliche Vereinbarung zu er-
reichen. Sie konnten doch nicht ziellos fortkämpfen und in immer
neue Unternehmungen sich einlassen. Die Erfahrungen, welche man
in Aegypten gemacht halte, mahnten dringend zur Besonnenheit;
auch in Cypern hatte man keineswegs die gewünschten Erfolge
erlangt.
Also war es die Aufgabe einer vernünftigen Politik, das Fernere
aufzugeben, um des Näheren um so sicherer zu sein. Denn auf
die Länge musste es die Kräfte des Staats übersteigen, die ausge-
dehnten Küstenlinien unausgesetzt gegen die Perser zu beschützen,
welche bei einem längeren Kriegszustande sehr im Vortheile waren,
indem sie vom Binnenlande aus zu jeder gelegenen Zeit gegen die
Küste vorgehen konnten, um aus den altischen Bundesorten die fälligen
Tributsummen zu erpressen. Vor Allem aber lag es im Interesse des
Handels, dass dem Kriegszuslande im Archipelagus einmal ein Ende
gemacht werde, damit die Schiffe Athens und seiner Bundesgenossen
freien Zugang zu allen Häfen des persischen Reiches erlangten.
So wünschenswerth aber auch für beide Theile der Friede war,
so konnte doch, so lange Kimon lebte, kein Friede zu Stande kommen.
Er war mit dem Perserkriege zu sehr verwachsen; er sah darin eine
unentbehrliche Ableitung hellenischer Fehdelust und die einzige Bürg-
schaft für inneren Frieden; er sah in der Leitung des National-
kampfes seine Lebensaufgabe, und dass ihm darin keine Schwierig-
keilen gemacht würden, dafür hatte Perikles ihm ohne Zweifel seinen
Ein flu ss zugesagt. Der Tod des Helden befreite Perikles von dieser
Verbindlichkeit; er konnte nun der eigenen Politik, welche einem
ziellosen Fortkämpfen durchaus entgegen war, unbehindert folgen;
es ist daher wahrscheinlich, dass die Flottenführer alsbald die ent-
sprechenden Anweisungen erhiellen und dass eine Vereinbarung
zwischen den kriegführenden Parteien eintrat. Denn so wie Kimon
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GESANDTSCHAFT DES KALLIAS UM 445.
1S3
gestorben, wird von weiteren Kämpfen nichts gemeldet; Amyrtaios
in Aegypten erhält keine Unterstützung mehr; Cypern wird auf-
gegeben.
Dann erfolgte von Athen aus eine feierliche Gesandtschaft, welche
nach Susa ging, um einen dauernden Frieden mit dem Grofskönige
abzuschliefsen. Der reiche Kallias führte sie, der Sohn des Hip-
ponikos, der Enkel jenes Kallias, welcher der muthigsle Gegner
der Pisistratiden gewesen war (I, 34S): er soll, wie Herodot erzählt,
am königlichen Hofe mit einer Gesandtschaft der Argiver zusammen
getroffen sein, welche ihre alten Verbindungen mit Persien zu er-
neuem wünschten. Die Reise des Kallias ßel, wie die einzige uns
erhaltene Zeitangabe meldet, in dieselbe Zeit, da Pleistoanax den Einfall
in Attika unternahm, und gewiss konnte das Friedensbedürfniss
niemals gröfser sein, als damals. Es ist aber auch davon abgesehen
sehr wahrscheinlich, dass gleich nach Kimons Tode vorläufige Ver-
einbarungen mit den persischen Satrapen, mit denen man in Fehde
lag, getroffen wurden und dass dann nach eingetretener Waffenruhe
Kallias beauftragt ward, auf Grund derselben einen definitiven
Friedensschluss mit dem Grofskönige selbst zu Stande zu bringen.
Die Gesandtschaft hatte nicht den gewünschten Erfolg; denn der
Grofskönig zeigte sich wohl bereit den Argivern in huldvoller Weise
dieselbe Freundschaft zuzusichern, wie sie sein Vater Xerxes mit
ihnen unterhalten habe, aber keineswegs den Athenern solche Zuge-
ständnisse, wie sie von diesen erwartet wurden, zu machen und die
gegenwärtigen Machtverhältnisse als mafsgebend und zu Recht be-
stehend anzuerkennen.
Dass Kallias in Erreichung seiner Zwecke unglücklich war, kann
man schon daraus schliefsen, dass Herodot nur mit einem kurzen
Worte seine Sendung erwähnt; es erhellt aber noch deutlicher aus
dem, was nach seiner Rückkehr erfolgte. Er wurde in Athen pein-
lich angeklagt; es wurde ihm die Annahme von Geschenken vorge-
worfen, und Perikles konnte ihn nicht vor einem Hochverraths-
prozesse schützen. Seine Ankläger waren ohne Zweifel die Gegner der
perikleischen Politik; denn es war noch immer eine mächtige Partei
da, welche jede Gesandtschaft nach Susa verabscheute, die den unter-
brochenen Kampf wie eine heilige Volksaufgabe ansah und rastlos
fortgesetzt sehen wollte. Vielleicht war man auch in jener Zeit, da
die Existenz des Staats auf dem Spiele stand, weiter gegangen, als
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184
DER SOGENANNTE KIMOMSCUE I* (II EDEN
mit der Ehre Athens vertraglich schien; man denke an den früheren
Vertrag zur Zeit des Rleisthenes (I, 384). Gewiss ist, dass der
schon hochbetagte Kallias mit Mühe dem Tode entging und zu einer
Geldstrafe von fünfzig Talenten verurteilt wurde.
Leider sind alle näheren Umstände dieser merkwürdigen Ge-
sandtschaft unserer Kenntniss entzogen; die gleichzeitigen Geschicht-
schreiber geben keine Auskunft, während sich in den folgenden
Generationen eine solche Fülle unklarer Ueberlieferungen an jenen
Frieden ansetzte, dass es unmöglich ist, den Kern der Sache zu er-
kennen. Als nämlich etwa 60 Jahre später die Spartaner ihre Ver-
träge mit Persien abschlössen, wodurch sie Ionien dem Könige preis-
gaben, da wurden die Verträge Athens wieder hervorgesucht, und
die altischen Redner wetteiferten, sie als den Glanzpunkt der kimo-
nischen Zeit, und den höchsten Triumph attischer Politik darzustellen.
Sie redeten sich und Anderen ein, dass der Grofskönig feierlich ge-
lobt habe, kein bewaffnetes Fahrzeug in das ägäische Meer zu schicken :
und zwar sollten im Norden die kyaneischen Inseln am Eingange
des schwarzen Meers als Gränze des hellenischen Seegebiets ausge-
macht worden sein, im Südmeere aber die Chelidoneen oder Schwalben-
inseln, welche mit dem Vorsprunge der Solymcrberge, dem heutigen
Cap Chelidöni, die natürliche Gränze zwischen dem rhodisch-lyki-
schen und dem pamphylischen Meere bilden. In Kleinasien selbst
sollte der Grofskönig sich verpflichtet haben, bis auf einen Tage-
marsch, wie ihn die Reiterei zurücklegt, mit allen Truppen von der
Küste fern zu bleiben ; nach Anderen sollte er sogar die Halyslinie
als Gränze seines Machtgebietes anerkannt haben. Diese Verträge
wurden von den Einen nach der Schlacht am Eurymedon, von den
Andern nach dem kyprischen Siege angesetzt.
Diesen verworrenen Nachrichten gegenüber ist nun vollkommen
klar, dass der sogenannte kimonische Friede nichts mit Kimon zu
thun hat, in sofern die Friedensverhandlungen der Politik Kimons
grundsätzlich widersprachen. Ferner ist gewiss, dass, wenn auch
vielleicht einzelne Statthalter des Königs im Drange der Notb sich
bestimmen liefsen, schimpfliche Friedensbedingungen einzugehen, der
Grofskönig selbst sich niemals dazu verstanden hat, die Unabhängig-
keit der abgefallenen Küstenländer anzuerkennen und auf die Tribute
zu verzichten, mit denen sie im persischen Reichsbudget einge-
schrieben waren. Ein förmlicher Staatsvertrag zwischen Athen und
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DIE K1M0MSCUE PARTEI U.VTER THUkYDIDES. 185
Persien, wie ihn Perikles ohne Zweifel wünschte, ist überhaupt nicht
zu Stande gekommen. Thatsächlich aber trat nach Kimons Tode
der Zustand ein, dass einerseits Athen seine Kriegsunternehmungen
aufgab und andererseits die Perser sich von dem Gebiete der attischen
Bundesgenossenschaft fern hielten. Es wurde Friede im ägäiscben
Meere; die Machtverhältnisse, wie sie durch Kimons Siege festgestellt
waren, wurden stillschweigend anerkannt, und ein freier Schiffsver-
kehr zwischen Europa und Asien war der wichtigste Gewinn, den
die Beruhigung des Meeres den Athenern brachte100).
So waren unter Perikles1 Einfluss die auswärtigen Verhältnisse
geordnet Der Perserkrieg war vorläufig beendet, und mit Sparta
waren feste Verträge geschlossen. Freilich wussle er besser als alle
Anderen, dass ein dauernder Frieden mit Sparta unmöglich sei, aber
er bedurfte einer Reihe von Friedensjahren, um in Athen seine Pläne
durchzuführen. Dazu hatte er sich durch die eingetretene Waffen-
ruhe nach aufsen freie Hand geschafft; dasselbe musste er auch im
Innern thun.
Hier war die kimonische Partei nicht ausgestorben. Sie lebte
fort in den vielen Freunden des abgeschiedenen Helden, aber sie war
auseinander gefallen, sie fing an sich aufzulösen und unter der Menge
zu verlieren.
Da wurde sie noch einmal gesammelt und zu einer Macht im
Staate vereinigt durch Thukydides, des Melesias Sohn, aus dem vor-
städtischen Gaue Alopeke. Er war ein Verwandter Kimons. Aber
nicht aus persönlichen Rücksichten trat er als Parteiführer auf,
sondern aus innerer Ueberzeugung; denn er konnte das einseitige
Vorgehen Athens als Grofsmacht nicht billigen; er konnte den Ge-
danken nicht aufgeben, dass der gemeinsame Kampf gegen Persien
nach wie vor die Bedingung einer gesunden Fortentwickelung des
hellenischen Volks sei. Am wenigsten konnte er sich damit ein-
verstanden erklären, dass man die zum Zweck des hellenischen
Kampfes gegen die Barbaren eingeforderten Gelder, statt die Bundes-
genossen zu entlasten, auch im Frieden unvermindert fort erhebe
und ohne Weiteres dazu benutze, die Stadt den Athenern mit Pracht-
bauten zu schmücken. Diese Ausnutzung hellenischer Eidgenossen hielt
er im Sinne der conservativen Partei für ungerecht; er erkannte darin
eine gewissenlose und selbstsüchtige Grobmachtspolitik, welche mit
der malslosen Entwickelung der Demokratie zusammenhänge und
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THUKYDIDES DES NELESIAS SOHN.
nur schlimme Früchte bringen könne. Darum schaarte er die Mit-
glieder der alten Familien um sich, die Anhänger alter Sitte, welche
wie Kimon die lykurgische Bürgerzucht hochschätzten und die Spal-
tung von Hellas in zwei feindliche Lager vermeiden wollten.
Thukydides verstand es, die zersplitterte Partei zu organisiren.
Er war ein Mann, der in ganz Hellas hoch angesehen war, ein Mann
von anerkannter Uneigennülzigkeit und treuer Fürsorge für die Ge-
meinde, zwar ohne das Feldherrn talent Kimons, aber der Rede
mächtiger als dieser, und ohne Scheu, auch wenn es galt, Perikles
vor dem Volke gegenüberzutreten. OfTen sprach er seinen Schmerz
darüber aus, dass Athen seinen guten Namen verloren habe; der
Staat, der immer von Freiheit rede, werde wie ein Tyrann gehasst,
wohin seine Macht reiche. Fremdes Gut habe man sich widerrecht-
lich angeeignet, um die Stadt aufzuputzen, während man in Susa
dem Grofskönige den Hof mache.
Dazu kam, dass ein kimonischer Bau auf der Akropolis wieder
umgerissen wurde, um einem neuen Prachtbau Platz zu machen, bei
dem das von Pheidias auszuführende Goldelfenbeinbild die Haupt-
sache war. Thukydides eiferte gegen die rücksichtslose Vergeudung,
gegen die üppige Pracht, durch welche Athen zu einem eitlen Weibe
gemacht werde, das sich mit Gold und Edelgestein behänge. Das
Alles sei ein Zeichen von Verfall und Entartung, wogegen alle wahren
Patrioten sich erheben müssten.
Mit Kimon hatte Perikles sich zu gemeinsamem Wirken ver-
einigen können; mit Thukydides war es unmöglich. Dieser war
selbst zu sehr Demagoge; er setzte Alles daran, seine Grundsätze zur
Herrschaft zu bringen und war nicht im Stande, sich einem Andern
unterzuordnen oder anzubequemen. Wie ein Paar Ringer kämpften
die beiden Männer an allen wichtigeren Versammlungstagen mit ein-
ander. Die Bürgerschaft halte zwei Führer, das Staalsschiff zwei
Steuerleute, welche gegen einander arbeiteten. So rieben sich
wiederum die besten Kräfte im Parteikampfe auf, bis endlich die
aristokratische Partei, als sie vergeblich gegen den gewaltigen Perikles
ankämpfte, den Weg einschlug, dass sie ihn als einen der Freiheit
gefährlichen Mann verdächtigte und die Anwendung des Scherben-
gerichts beantragte.
Aber die Waffe verwundete die, welche sie ergriffen hatten.
Denn als die Bürgerschaft berufen wurde, ihren Spruch zu thun
THl'KYDIDES VERBANNT (84, 1; 444).
1S7
und dadurch zugleich zwischen den beiden Parteiführern sich zu
entscheiden, wurde nicht Perikles, sondern Thukydides verbannt.
Einige seiner politischen Freunde verliefsen gleichzeitig die Stadt,
so z. B. der Dichter Ion aus Chios, des Kimon vertrauter Freund.
Die Anderen, jeder Fuhrung beraubt, verloren sich unter den Bürgern;
ihre Partei war vernichtet. Die Bürgerschaft hatte klar und ent-
schieden ihr Vertrauen zu Perikles ausgesprochen; er hatte jetzt nach
aufsen wie nach innen freie Hand. Die Zeit war gekommen, dass er
ohne Hinderniss seine Pläne verwirklichen konnte101).
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Hl.
DIE FRIEDENSJAHRE
Das Leben des Perikles fallt in einen Wendepunkt hellenischer Bil-
dung, und die außerordentliche Stellung, welche er in Athen einge-
nommen hat, lässt sich nicht begreifen, wenn man nicht die geistige
Bewegung in das Auge fasst, welche sich zu seiner Zeit von Ionien
nach Attika verpflanzte und hier allmählich eine vollständige Um-
wandlung der alteren Sitte und Denkweise zur Folge hatte.
Die attische Bildung hatte seit Solon ihr eigen thumliches Gepräge
erhalten. Denn eine Verfassung, welche, vom Geiste der edelsten
Weisheit getragen, auf eine Betheiligung der gesamten Bürgerschaft
am öffentlichen Leben berechnet war, musste schon an und für sich
im vollsten Sinne des Wortes eine Schule des Volks werden. Aufser-
dem war durch sie die Sorge der Eltern und Vormünder für die
Erziehung der Jugend eine Bürgerpflicht geworden, deren Vernach-
lässigung vom Areopag gerügt wurde und öffentlichen Makel zur Folge
hatte.
Indessen war der Kreis der Bildungsmittel nicht wesentlich er-
weitert worden; man war der alten Weise treu geblieben, bei welcher
es nicht darauf abgesehen war, dass die Jugend vielerlei wissen-
schaftliche Kenntnisse einsammele, sondern dass die angeborenen
Kräfte in ihr geweckt und geübt würden, dass sie von früher Morgen-
stunde an sich gewöhne, Leib und Seele in geordneter Weise zu wür-
digen Zwecken anzustrengen. Nachdem der Knabe in der Familie die
volkstümlichen Märchen und Geschichten kennen gelernt hatte, die
von Haus zu Haus verbreitet waren, wurde er dem Lehrer übergeben.
Grammatik, Musik und Gymnastik erschöpften den Kreis des Unter-
richts, in welchem die beiden ersten Fächer nahe verbunden waren.
Denn wenn der Knabe lesen und schreiben gelernt hatte, so las er
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DIE ATTISCHE BILDUNG.
ISO
die Dichter, er lernte sie vortragen und eignete sich mit den Worten
derselben den Reichthum ihres Inhalts an. Verstand und Gefühl,
Geschmack und Urleil bildeten sich aus, indem er sich in die Ge-
danken der Meister hineinlebte. Unwillkürlich prägte er sich die
Grundsaue hellenischer Weisheit ein, und die Vorbilder grofser Thaten
entzündeten einen auf das Edelste gerichteten Trieb der Nacheiferung;
er lernte aufser der Heimathsprache die anderen Mundarten kennen,
in denen Dichtung einen mustergültigen Ausdruck gefunden hatte.
Er erlernte an den Dichtern zugleich Sailenspiel und Gesang. Die
musikalische Bildung übte eine wohlthätige Zucht. Denn sie ver-
langte ein genaues Studium der überlieferten Tonweisen, ein sicheres
Taktgefühl und eine strenge Beobachtung der volksthümlichen Normen.
Außer der siebensailigen Cither, an welche sich vorzugsweise der
musikalische Unterricht anschloss, wurde nach den Perserkriegen
auch das bei den Böotiern einheimische Flötenspiel in den Kreis des
Jugendunterrichts hinein gezogen.
Ein anschauliches Bild von dem attischen Schulunterrichte in
perikleischer Zeit giebt uns eine Thonschale des Malers Duris, wo wir
den Knaben, von dem als Pädagogen angestellten Haussklaven be-
gleitet, sittsam in sein Mäntelchen gehüllt, bei dem Lese- und Schreibe-
meisler so wie bei dem Lehrer des Cither- und Flötenspiels in der
Schulstube sehen10*).
So schlicht und einfach diese Geistesbildung war, so ergriff sie
doch den ganzen Menschen, und zwar um so tiefer und energischer,
weil der jugendliche Geist nicht durch ein buntes Vielerlei zerstreut
wurde und sich deshalb um so hingebender mit dem beschäftigen
konnte, was ihm an geistiger Nahrung dargeboten wurde. Und was
konnte doch einem attischen Knaben geboten werden! Das grofse
Weltgemälde des homerischen Epos, welches Heldensinn und Thaten-
lust anregle, die Thierfabel des Aesop, welche mit ihren volksthüm-
lichen Lebensregeln von der Kindheit bis ins reife Mannesalter Allen
vertraut blieb, die gottesdiensüichen Hymnen mit ihrem reichen
Schatze heiliger Tempelsagen, die Lebensweisheit der Gnomiker,
welche in kurzen Kernsprüchen dem Bewusslsein der Besten des
Volks Ausdruck gaben, und dann die ganze Fülle lyrischer Dichtung,
der feierliche Ernst eines Alkman, die kühnen Gedanken eines Archi-
locbos, die feurige Leidenschaft und die Anmulh der Aeolier, und
endlich die Elegie in ihrer reichen Mannigfaltigkeit, die ionische so-
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l')0
IUE ATTISCHE BILDUNG.
wohl wie die attische, welche in eindringlicher Klarheit Alles aus-
sprach, was einem tüchtigen Bürger Athens zu wissen und zu können
ziemte! So konnte der Knabe, wenn er zum Manne heranreifte, alle
Entwickelungsstufen, welche die hellenische Bildung zurückgelegt
hatte, alle Weisen nationaler Kunst, wie sie in den verschiedenen
Stämmen und Landschaften geübt worden war, das ganze geistige
Erbgut seiner Nation, sich angeeignet haben.
Während die geistige Bildung der Jugend mehr den Eltern
überlassen wurde, sorgten die öffentlichen Gymnasien für die körper-
liche Tüchtigkeit, weil vom Gesichtspunkte des Gemeinwohls kein Er-
ziehungszweck wichtiger erschien, als der, einen gesunden Nachwuchs
in kräftigen und schönen, tapferen und gewandten Jünglingen dem
Staate zu sichern.
Der Grundsatz, welcher dem Jugendunterrichte zu Grunde lag,
war das Streben nach einer freien und allgemeinen Bildung; denn
keine der herkömmlichen Uebungen hatte den Zweck, zu bestimmten
Verrichtungen und Geschäften des bürgerlichen Lebens vorzubereiten.
War nun der Jüngling in Aneignung dessen, was von Allen für das
Beste gehalten wurde, was das Volk an geistigen Schätzen besafs,
glücklich herangereift, so galt die Theilnahme am öffentlichen Leben
für die höhere Schule der Ausbildung und Bewährung. Was auf
der Palästra gelernt war, zeigte der Waffendienst in den Reiben der
Wehrmannschaft; Urteil und verständige Rede bewährten sich in
den Versammlungen der Bürger; die in den Schulen gelernten Lieder
tönten fort bei den geselligen Vereinen. Denn die Leier wanderte
umher bei den Gastmälern; sie hielt die Sprüche weiser Dichter in
frischem Gedächtnisse und reizte zu neuen Dichtungen. Belehrende
Gespräche wurden in den Schattengängen der Ringschule wie bei
den Gastmälern der Männer gehalten, und die Freundschaft, deren
sittliche Bedeutung kein Volk tiefer erkannt hat als die Grie-
chen, feuerte die Gemüther an zum Wetteifer in Tugend und Er-
kenn tniss.
Dazu kamen die Bürgerfeste, welche die gemeinsame Bildung
auf der gegebenen Grundlage befestigten und förderten. Hier ver-
nahm man den Vorlrag der homerischen Rhapsodien, der Hymnen,
der Dithyramben, wie sie Lasos von Hermione in Athen eingeführt
hatte (I, 364); hier waren es vor Allem die dionysischen Spiele, die
seit Peisistratos den Glanzpunkt des Festlebens bildeten.
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DIE ATTISCHE BILDUNG
191
Jeder Fortschritt der Dichtkunst war zugleich eine Erweiterung
der Volksbildung; denn die Dichter waren die Lehrer des Volks.
Auch die lyrische Kunst hatte, wie die Musik, ihre strengen Satzungen;
nirgends war etwas Regelloses, nirgends ein hlofser Ausbruch des
erregten Gefühls; vielmehr war jedes gute Gedicht das Erzeugniss
einer Kunstweisheit, die auf ernstem Nachsinnen beruhte. Darum
übten die Dichter die Fassungsgabe des Volks und schärften sein
Urleil; sie läuterten und vertieften sein Bewusstsein; sie wiesen
von den mythologischen Fabeln auf den religiösen Kern der Ueber-
lieferung hin, auf Zeus den Weltregenten, den Hüter der ewigen
Siltengeselze, wie namentlich Archilochos, Terpander und Solon
ihalen; sie wussten alle Begebenheiten der Gegenwart, Glück und
Unglück, Grofsthaten und Tugenden sowohl wie Fehler und Ver-
irrungen Einzelner und ganzer Bürgergemeinden an die Vorzeit an-
zuknüpfen, an die Thaten und Leiden der Stammheroen, mit denen
sich die lebenden Geschlechter in ununterbrochener Gemeinschaa
fühlten. Dadurch wurde ihr Blick über den engen Gesichtskreis der
nächsten Gegenwart erweitert; sie wurden angeleitet, statt Zufall
und Willkür göttliche Ordnung und sittliches Gesetz in den Wan-
delungen der Geschichte zu erkennen. Endlich sorgten die Mysterien
für das tiefere Bedürfniss derer, welche an den öffentlichen Gottes-
diensten keine Genüge fanden, und die Weisheit des Orpheus,
welchen man als den Gründer der heiligen Weihen verehrte, warf
den milden Schein einer über das Irdische hinausreichenden Hoffnung
auf das Leben des Atheners.
Wohl sollte man glauben, dass bei der angeborenen Beweglich-
keit des attischen Volks eine so freie Erzieh ungs weise für die Er-
haltung alter Sitte geringe Bürgschaft dargeboten habe; allein die
Anhänglichkeit an das Hergebrachte, welche in den ehrbaren Bürger-
häusern gepflegt wurde, und die stille Macht der Ueberlieferung,
welche sich an die Religion und mancherlei Ueberreste uralter Ein-
richtungen anlehnte, waren stark genug, das Volk auf der gegebenen
Grundlage zu erhalten. Mit besonderem Eifer pflegte man gerade in
Athen die Erinnerung an die erste Grundlage bürgerlicher Gesittung,
die Einfuhrung des Ackerbaus, in welchem man die unerschütterliche
Bedingung des öffentlichen Wohls erkannte. Diese Ueberzeugung
wurde bei den jährlichen Pflugfesten am Fufse der Akropolis durch
ein Mitglied des Geschlechts der Buzygen, deren Stammheros Buzyges
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1 02
DIE ANFÄNGE IONISCHER BILDUNG
den ersten Pflugstier eingespannt haben sollte, den Athenern immer
aufs Neue in das Gedächtniss gerufen, indem er feierliche Ver-
wünschungen über Alle aussprach, welche es an friedfertigem Gemein-
sinn fehlen liefsen, dem Bittenden Feuer oder Wasser versagten,
dem Verirrten den Weg nicht weisen wollten. Solche Vergehen
gegen die Gesellschaft, welche vor dem bürgerlichen Richter nicht
klagbar waren, wurden der göttlichen Justiz anheimgestellt.
So half die Religion die sittlichen Voraussetzungen des staat-
lichen Lebens erhalten und ergänzte die geschriebenen Gesetze.
Ebenso wachte das Auge der höchsten Götter, Zeus und Atliena,
über den Oelbäumen im attischen Lande, den lebendigen Denkmälern
und Zeugen der ältesten Vorzeit, deren treue Pflege eine gottes-
dienstliche Verpflichtung war. Mit ihrem Landesheroen fühlten sich
die Athener in ununterbrochener Gemeinschaft. Die Marathonkämpfer
glaubten Theseus aus der Unterwelt steigen, die Heroen Maralhon
und Echetlos in ihren Reihen kämpfen zu sehen; bei Salamis waren
die eleusinischen Gottheiten und die Aeakiden hülfreich. Je freier
dag geistige Leben der Athener war, um so leichter konnte es die
neuen Anregungen, welche die Gegenwart darbot, aufnehmen, ohne
in seiner Harmonie gestört zu werden, und so hat sich jene altattische
Bildung, welche sich in der Noth der Perserkriege bewährt hatte,
die alte Ehrbarkeit und Frömmigkeit, auch ohne Gesetzeszwang, wie
er in Sparta herrschte, bis in die Zeit des Perikles in voller Geltung
erhalten
Inzwischen hatte fern von Attika eine Bewegung der Geister
begonnen, welche, von unmerklichen Anfängen anhebend, allmählich
eine Macht geworden war, deren Dasein zuerst nur den Auserwählten
des Volks fühlbar war, bis sie nach und nach das gesamte Volksleben
ergriff. Diese Bewegung ging von Ionien aus.
Während die Staaten des diesseitigen Hellas dem Weltverkehre
noch fern standen und ihre Bürger nur für den beschränkten Kreis
ihrer Gemeindeangelegenheiten erzogen, haben die Ionier zuerst um
fernere Dinge sich bekümmert. Von Natur unstät und in's Weite
blickend, sind sie durch die Berührung mit der babylonischen und
ägyptischen Cultur angeregt worden, über den Kreis ihrer börger-
lichen Aufgaben hinauszugehen, durch Wandern, Fragen und eigenes
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DIE IONISCHEN NATURPHILOSOPHEN.
193
Forschen neue Kenntnisse zu suchen, welche mit dem Staatsleben
nichts zu thun haben , und den Gründen der Erscheinungen nach-
zuspüren. Bei einem Volke, wie die Griechen waren, die sich mit
der umgebenden Natur in unbefangener Harmonie vereinigt fühlten,
war es ein Schritt von unabsehlichen Folgen, als sich das mensch-
liche Bewusstsein der Welt des Erschaffenen zum ersten Male gegenüber
stellte. Freilich wollte man zunächst nichts Anderes, als die natür-
lichen Dinge sich verständlich machen und dem Bedürfnisse des
hellenischen Geistes genügen, welcher überall Gesetz und Ordnung
suchte; der verwirrenden Mannigfaltigkeit der Dinge gegenüber
suchte man also ein Allgemeines festzustellen, von den vielen Stoffen
einen als Urstoff nachzuweisen. Als solchen nannte Thaies von Milet
(!, 565) das Wasser. So wenig er daran dachte, sich durch solche
Lehre mit dem Bewusstsein des Volks und seiner Naturanschauung
in Widerspruch zu setzen, so war dennoch hierzu der entscheidende
Anstofs gegeben.
Es war der Keim einer Geistesarbeit, welche das praktische
Leben der Griechen ergänzte, und doch hatte auch sie mitten im be-
wegten Leben des Tages ihre Wurzel. Darum war sie in der Stadt
zu Hause, welche im sechsten Jahrhundert der bewegteste Weltmarkt
war, wo der Verkehr mit fremden Nationen die Geister weckte, wo
physikalische, mathematische und astronomische Studien unentbehrlich
waren, um die Schiffe sicher über Meer zu führen. Darum war auch
die älteste Philosophie in Milet nichts als ein physikalischer Erklärungs-
versuch der umgebenden Schöpfung.
Nach Thaies trat in derselben Stadt Anaximandros auf und lehrte,
der Urstoff, den man suche, sei kein sichtbares Element, denn jede
räumliche Gränze sei eine Schranke des wahren Seins. Der Dinge
Urgrund müsse also ein Unbegränztes , ein Unendliches sein, das
von Anfang an wäre, eine in sich gleichartige, ewige Urmaterie, die
aus eigener Kraft sich bewege. Aus ihr, lehrt er, scheiden sich die
einzelnen Elemente aus, welche bei der Ausscheidung ihre besondere
Natur gewinnen, aber alle dazu bestimmt sind, einmal in ihren Ur-
grund zurückzukehren, um darin unterzugehen. Dieser Untergang ist
gleichsam die Bufse für das unberechtigte Sonderdasein, welches die
Einzeldinge sich angemafst haben.
Man erkennt, wie viel kühner der Gedanke des Anaximandros
fortschritt, wie viel entschlossener er sich ablöste von dem, was die
Cnrtin», Gr. Oe»cb. II. ö. Aafl. 13
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ELEATEN UM) PYTHAGOREER.
Menschen mit Augen sehen. Den körperlichen Dingen wird schon
das wahre Leben abgesprochen. Aber Anaximandros' Ursloff war
etwas, das nicht deutlich genug gedacht werden konnte und zur
Erklärung der sichtbaren Welt nicht ausreichte. Der Milesier
Anaximenes behielt daher die Unendlichkeit des Urstoffs bei, dachte
sich aber denselben wieder mehr nach Art eines nachweisbaren
Elements und zwar des feinsten und wandelbarsten von allen, der
Luft. Aus einem Lufläther liefs er durch Verdichtung und Ver-
dünnung die verschiedenen Dinge werden. Dadurch fährte er die
Philosophie wiederum dem Gebiete der Physik näher, und es folgle
ihm eine Reihe von Forschern, welche die Prinzipien der ionischen
Naturphilosophen auf die Erklärung der Welt anzuwenden und durch
physikalische Prozesse die Mannigfaltigkeit zu erklären suchten.
Der Reiz der Forschung verbreitete sich von Milet über die
anderen Städte Ioniens und in Folge der politischen Erschütterung
von dort nach weit entlegenen Theilen der griechischen Welt. Denn
als die Perser gegen die Küste vordrangen und die ganze Cultur
Ioniens zu vernichten drohten, wurde dies eine Veranlassung der
Auswanderung und zugleich der Uebersiedelung ionischer Philosophie
nach Italien, wo sie von Neuem Wurzel schlug. So wurde Elea (Hyele),
die am tyrrhenischen Meere von den flüchtenden Phokäern gegründete
Stadt (I, 581), ein Silz der Philosophie, seitdem sich Xenophanes
aus Kolophon bei ihnen niedergelassen hatte, um dieselbe Zeit, als
Pythagoras aus Samos nach Kroton übersiedelte (I, 548), beide bei
aller Verschiedenheit doch darin übereinstimmend, dass sie neue
Wege einschlugen, um die von den milesischen Philosophen ange-
regten Probleme zu lösen.
Die letzten Ursachen der Dinge können nicht in der Materie
liegen ; denn die Ordnung der Welt lässt sich aus einem Urs tone und
dessen wechselnden Verwandlungen niemals erklären. Jede Annahme
der Art führt von einem Rath sei in ein anderes. Ein Höheres muss
zu Grunde liegen, etwas von den Sinnen nicht Fassbares. Dies
höhere Prinzip fanden die Pytbagoreer in der Zahl; denn indem sie
im Kleinen wie im Grofsen, überall wo gesetzmäßige Bewegung und
Ordnung wahrnehmbar ist, in den Tönen der Leier wie in den
Bahnen der Himmelskörper, die Zahl als das Regelnde erkannten
und in der Zahl den Schlüssel des Verständnisses sahen, so nahmen
sie auch in der ganzen Schöpfung, welche sie zuerst als 'Kosmos'
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HERAKLEITOS.
195
auffassten, eine solche Macht und Herrschaft der Zahl an, be-
trachteten dieselbe aber nicht nur als dasRegulativ, nach welchem
die Dinge geordnet wären, sondern als das wahre ihnen zu Grunde
liegende Wesen.
Auch die Eleaten suchten den Urgrund der Dinge außerhalb
der sichtbaren Welt. Mit entschlossener Kraft des Geistes setzten
sie den veränderlichen Erscheinungen, inmitten deren wir leben, ein
unveränderliches, ewiges Sein gegenüber. Nur dieses ist wirklich;
alle Vielheit ist nur Schein ohne Wesenheit, und das Wissen kann
keinen andern Gegenstand haben, als das Eine und in sich Gleiche,
den letzten Grund der täuschenden Erscheinungswelt. Das war der
Ausgangspunkt der Philosophie, welche die Männer aus Phokaia in
Italien, in dem fern gelegenen Elea pflegten. Dieselbe Kühnheit,
welche sie zuerst in die insellose Westsee hinausgeführt hatte, be-
währten sie als Denker, indem sie den Muth hatten, sich von aller
sinnlichen Wahrnehmung loszusagen und in das Gebiet des reinen
Gedankens hmauszusteuern.
So grofs aber auch der Fortschritt ist, welchen diese Schulen
der Philosophie bezeichnen, indem sie mit dem Boden loniens die
im Sinnlichen befangene Anschauungsweise der Ionier verlieben, so
gelang es doch auf beiden Wegen nicht, für die Erklärung der vor-
handenen Dinge eine ausreichende Methode zu finden. Neue Prinzipien
der WeKbetrachtung waren aufgestellt, aber die Vermittlung fehlte,
und weder aus der pythagoreischen Zahl noch aus dem eleatischen
Sein liefs die Welt der Erscheinungen sich begreifen. Darum trat in
schroffem Gegensalze zu beiden Anschauungen die ionische Philo-
sophie mit einer neuen Richtung auf.
Es giebt, lehrte sie jetzt, überhaupt kein Sein, weder ein in der
Sinnenwelt nachweisbares, denn es erweist sich nirgends als ein zu-
verlässiges, noch ein übersinnliches, ewiges und in sich gleiches,
wie es die Speculation der Eleaten erfunden hat; das Einzige, was
wirklich ist und worauf alle Prüfung der Dinge hinführt, ist die
Veränderung, die ewige Bewegung, das unaufhörliche Werden. Die
ganze Welt ist nichts als ein Ineinander von Gegensätzen, die sich
wechselseitig beschränken und aufheben, ein unaufhörlicher Stoff-
und Rollen Wechsel, ein Hinausstreben aus der Einheil in das Viele
und ein Zurückstreben des Vielen zur Einheit, ein Eingehen des Un-
sterblichen in das Vergängliche und ein Erwachen des Todten zum
13*
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196
HERAKLEITOS. EMPEDOKI.ES. LEIKIPPOS.
Leben, ein Sichaustauschen der Dinge unter einander, ein allge-
meiner Fluss. Je mehr etwas an diesem Werden Antheil hat, um
so mehr Wesenheit hat es*, jedes BeharrenwoHen ist Willkür und
Auflehnung gegen die Weltordnung und wird von Dike, der Gerechtig-
keit, gestraft.
So lehrte der Ephesier Herakleitos um die Zeit des Königs
Dareios (S. 40), und es ist, als ob seine Lehre vom ewigen Streite
in Natur und Menschenwelt und vom Kriege, dem 'Vater der Dinge*,
nur der philosophische Ausdruck für jene wildbewegten Zeilen sei,
in denen ein Umschwung aller Staatenverhältnisse eintrat und Völker-
kriege von unabsehlicher Bedeutung einer neuen Zeit Bahn brachen.
Es war ein wichtiger Forlschritt in der Entwicklung des philo-
sophischen Bewusstseins, als er die letzte Frage desselben in ein
neues Gebiet verlegte und in dem Prozesse des Werdens und Ver-
gehens dem Menschengeiste einen überschwanglich fruchtbaren
Gegenstand darbot. Seine aufserordentlichen Anschauungen, seine
mit dem Räthsel des Werdens ringenden Gedanken fanden in der
gewöhnlichen Rede der Hellenen keinen Ausdruck; gleich unver-
ständlichen Orakelsprüchen klang den Ephesiern die Weisheit ihres
grofsen Mitbürgers.
Beruhigung konnte sie nach keiner Seite hin gewähren. Rast-
los drängte der Gedanke vorwärts. Die Eleaten fuhren fort, in
schroffem Gegensatze zu Heraklit die Idee des reinen Seins schärfer
auszubilden und darin den einzigen Ruhepunkt für den forschenden
Geist so wie den einzigen Urgrund der Welt nachzuweisen. In
Agrigent suchte dagegen Empedokles (um 450 v. Chr.) jenen Gegen-
salz zu vermitteln. Er nahm ein ewiges Sein an, ohne den Prozess
des Werdens zu verneinen. Was uns aber als Werden und Vergehen
erscheine, lehrte er, sei nur ein Zusammengehen und Auseinander-
gehen von Grundbestandtheilen oder Elementen, welche durch zwei
Kräfte, durch Liebe und durch Hass, gemischt und wieder getrennt
würden. Gleichzeitig machte Leukippos einen ganz verschiedenartigen
Versuch, die widersprechenden Lehren vom Sein und Werden zu
vermitteln. Er sprach neben dem Seienden auch dem Nichtseienden,
der Leere, Wirklichkeit und Wirksamkeit zu; das Seiende sei zwar
unvergänglich, aber kein in sich Unterschiedsloses, sondern aus un-
endlich vielen, untheilbaren Körpern oder Atomen bestehend. Diesen
kommen die Eigenschaften des eleatischen Seins zu; sie erlangen
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ANAXAGOIIAS. DEMOKIUTOS.
197
Bewegung im leeren Räume; aus ihrer Verbindung und Trennung
erkläre sich der .Wechsel der Dinge. Also glaubte er sowohl das
elea tische Sein, das der speculative Gedanke fordere, als auch das
herakliüsche Werden, auf welches die Erfahrung führe, retten zu können.
Ehe noch diese Lehre der Atomistik sich vollständig ausgebildet
hatte, erkannte Anaxagoras in Klazomenai (geb. um Ol. 70, 1 ; 500)
das Ungenügende jeder Vermittlung solcher ArU zugleich aber auch
die Unmöglichkeit, den ewigen Widerspruch zwischen Sein und
Werden aus den Stoffen und ihrer Natur zu lösen; denn auch die
Eleaten hatten ihr Sein von der Natur des Stofflichen eben so wenig
abzulösen gewusst wie die Pythagoreer ihre Zahl. Nachdem also
schon bei Herakleitos die Vorstellung von einer das All leitenden
Intelligenz sich kund gegeben, erklärte nun auf das Bestimmteste
Anaxagoras, dass in der sichtbaren Welt der letzte Grund weder des
Seins noch des Werdens zu finden sei ; der Anstois zu ihrer Gestal-
lung müsse von aufsen kommen, von einem Wesen, das nicht von
StofTes Art sei, sondern ein in sich Lebendiges. Damit ging ein
neues Liebt im Reiche der Gedanken auf, die Idee eines weltordnenden
Geistes, welcher allem Körperlichen klar und bestimmt gegenüber
gestellt wurde108).
Von unscheinbaren Anfängen beginnend, hatte der menschliche
Gedanke seinen Weg unaufhaltsam durchmessen. Ein reiches, viel-
seitiges geistiges Leben hatte sich entfaltet, das eben so sehr auf
stiller Forschung beruhte wie auf einer umfassenden Beobachtung von
Natur- und Menschenwelt. Demokritos, etwa 40 Jahre jünger als
Anaxagoras, durchreiste die Länder des Orients, namentlich Aegypten
und Persien. Er konnte sich rühmen mehr als einer seiner Zeit-
genossen in der Ferne gesehen und gehört zu haben. Aber die
Vielwisserei verachtete er so gut wie Herakleitos; er blieb ein Philo-
soph, denn die Erforschung der letzten Gründe die Hauptsache war,
und dabei berücksichtigte er sorgfältig die Lehren des Pythagoras
und Anaxagoras. Er fuhr fort im Sinne des Leukippos aus ver-
änderter Atomenverbindung das Entstehen und Vergehen der Dinge
zu erklären; Alles, auch die Seele, war ihm ein Körperliches und der
Geist nur der vollkommenste Körper.
in lebhaftem Widerspruch standen sich die Ansichten über die
Probleme der Speculation gegenüber. Ein Denker hatte des andern
Lehre verdrängt; nur Eines war geblieben, in Einem stimmten Alle
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WIRKUNGEN DER PHILOSOPHIE
überein; das war das Verwerfen der sinnlichen Wahrnehmung und
jedes auf ihr beruhenden Urteils. Heraklit schalt die Sinne 'Lügen-
zeugen' und den Eleaten zerrann die ganze Welt in leeren Schein.
Ehe ein Festes gewonnen wurde, fiel das Bestehende in Trümmer.
Es bildete sich ein immer tiefer gehender Gegensatz gegen die ge-
dankenlos hinlebende Menge, so wie gegen die herkömmlichen Vor-
stellungen von den Göttern und gegen die Dichter des Volks, auf
denen die religiösen Vorstellungen beruhten. Die Pythagoreer lehrten,
dass die Gottheit etwas Unsichtbares sei, das nur mit dem Begriffe
erfasst werden könnte. Nach ihnen musste Homer in der Unterwelt
büfsen für die leichtfertigen Fabeln, die er in Umlauf gesetzt habe,
und Heraklit verlangte die Beseitigung der homerischen Gedichte von
allen Festversammlungen der Hellenen. So wurde jede Autorität er-
schüttert; nichts blieb von der prüfenden Scharfe der philosophischen
Denker verschont. Der unbefangene Glaube, die treuherzige Ver-
ehrung des Hergebrachten, die Harmonie zwischen Mensch und Natur
war dahin.
Nun suchten die Führer der Schulen zwar überall zu festen
Zielpunkten vorzudringen und wurden nicht matt im Ringen nach
einem endgültigen Abschlüsse und positiven Resultate. Die Jüngeren
gingen im Zweifeln und Verneinen überall über die Aelteren hinaus;
so Kralylos über Herakleitos, wenn er behauptete, dass jedes Urteil
unmöglich sei, weil es immer die Aussage über ein Seiendes enthalte.
Die Schulen der Eleaten kamen zu dem Satze: 'Eis ist überhaupt
nichts, und ist etwas, so ist es unerkennbar'. Die Atomistik gab zu
solchen Folgerungen am meisten Handhabe, da in ihr eine mecha-
nische Erklärung der Naturerscheinungen vorwaltete108*).
So wurden die Keime der Skepsis, die in allen Schulen vorhanden
waren, von den Schülern der Philosophen vorzugsweise entwickelt.
Aber es gab auch Viele, welche, ohne auf den Kern der Forschung
einzugehen, bei dem Zweifel stehen blieben. Sie bespöttelten die
Einfalt derer, welche sich bei den Meinungen des Volks beruhigten,
deren innere Widersprüche aufzudecken keine Kunst mehr war, aber
sie gingen selbst nicht ernsthaft daran, die letzte Wahrheit zu suchen.
Wozu auch? Wenn ein dauerndes und bestimmtes Sein, wie Heraklit
gezeigt hat, nirgends vorhanden ist, so ist Jedem das Wahrheit, was
seine Sinne ihm als solche darstellen; darüber aber lässt sich mit
Niemand streiten. So kam es, dass sich eine Klasse von Menschen bildete,
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HIPPODAMOS AUS MILET.
199
welche von Systemen und letzten Gründen überhaupt nichts wissen
wollten, sondern als Hauptsache die Denkübung selbst und die daraus
hervorgehende Gewandtheit und Unabhängigkeit des Geistes betrachteten.
So wird aus der Philosophie eine allgemeine Aufklärung, welche
in praktischer und fasslicher Weise benutzt werden soll, alles Be-
stehende der Prüfung zu unterziehen. Im Lichte dieser Aufklärung
wird Staat und Bürgerleben betrachtet; Theorien werden aufgestellt;
nach allgemeinen Vernunflgründen wird über Wohnung, Nahrung,
Kleidung gebandelt, und Leute, welche nie ein öffentliches Amt be-
kleidet haben, treten mit Reformplänen für die gesamte Ordnung des
bürgerlichen Lebens auf.
Diese Richtung zeigt sich am deutlichsten in Hippodamos, der
um die Zeit, da Athen die Führung der hellenischen Seemacht über-
nahm, in Milet geboren wurde und alle hier zugängliche Wissenschaft
sich eifrig aneignete, so dass er sich frühzeitig einer umfassenden
Natur- und Wellkenn tniss rühmen und sich als einen Mann geltend
machen konnte, der Alles besser verstände als die übrigen Hellenen.
Er war von Hause aus Architekt und wollte zunächst in seinem Fach
Alles nach neuen Grundsätzen reform iren. Der Bau der Häuser und
Städte sollte nicht von Laune und Willkür noch von den Zufällig-
keiten des Bodens abhängen, sondern nach allgemeinen Grundsätzen
behandelt werden. Dass man aber gerade in Milet zuerst darauf kam,
die Stadtgründung als Wissenschaft zu behandeln, lässt sich aus der
Geschichte der Stadt wohl erklären, und die Vorbilder orientalischer
Städte, mit denen die Milesier in Berührung kamen, namentlich
Babylon, wirkten ohne Zweifel darauf ein, dass Hippodamos mathe-
matische Regelmäfsigkeit der Anlage, geradlinige Slrafsen und Plätze,
recht winklicht abgeschnittene Sladtquartiere verlangte.
Aber er ging viel weiter in seinem doktrinären Eifer. Er wollte
eine neue Kleidung einführen, er wollte nach bestimmten Zahlver-
hältnissen die Bürgerschaften bemessen, die Stände gegliedert, die
Gesetze und öffentlichen Angelegenheiten geordnet wissen; Alles sollte
vernunftgemäß construirt werden und dadurch eine allgemeine Geltung
erlangen. So bildeten sich politische Theorien, welche grundver-
schieden waren von der Staatsweisheit der Aelteren, welche wie
Mnesiphilos, der Erbe solonischer Weisheit, im engsten Anschlüsse
an die besondere Aufgabe des einzelnen Staats und seine Geschichte
in kurzen Sprüchen Grundsätze der Politik aufstellten104).
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200
PHILOSOPHIE UND STAAT
Diese moderne Aufklärung, wie sie in Hippodamos recht deutlich
zu Tage tritt, wurde eine Macht, welche sich mehr und mehr aus-
breitete und das Volksleben in seinem innersten Kerne angriff. Am
meisten Fortschritte machte sie natürlich in den Gegenden, wo die
bürgerlichen Verhältnisse schon gelockert waren, also namentlich in
den grofsen Handeisstadien, und zwar zunächst in lonien selbst,
wo von jeher ein Widerstreben gegen strenge Gesamtordnungen
und Neigung zu Neuerungen geherrscht hatte. Unter der Herr-
schaft der Lyder und der Perser war die Bevölkerung sehr gemischt
worden, Hellenen und Barbaren wohnten bunt durch einander;
dadurch wurde das nationale Bewusstsein so getrübt, dass es dem
weltbürgerlichen Sinne, welcher mit der philosophischen Aufklärung
zugleich sich ausbreitete, keinen Widerstand entgegensetzte. Mit
den ionischen Städten standen die Colonien Italiens und Siemens
im nächsten Handelsverkehre ; auch hier war durch ähnliche
Verhältnisse der Boden für die neue Bewegung der Geister vor-
bereitet.
Zwar fehlte es der griechischen Philosophie nicht an Keimen,
welche auch für politische Bildung fruchtbar waren. Herakleitos
eiferte für die Gellung der Gesetze des Staats und war mit seinem
Freunde Hermodoros für die Herstellung einer vernünftigen Ver-
fassung von Epbesos thätig; Pylhagoras suchte die Harmonie, welche
er in der Weltordnung anschaute, auch im menschlichen Staate zu
verwirklichen ; selbst die Eleaten waren nicht so in Spekulation ver-
loren, dass sie nicht, wo es galt, ihren Mitbürgern als thatkräflige
Staatsmänner dienten. Parmenides, der Anhänger des Xenopbanes
(S. 194), wurde Gesetzgeber von Elea und neigte sich auf diesem
Gebiete den pythagoreischen Grundsätzen zu; Empedokles war der
einflussreichste Mann in Agrigent und der Reiter der vaterstädti-
schen Verfassung. Aber solche Wirkungen waren einzeln und vor-
übergehend; die nach philosophischen Grundsätzen geordneten Ver-
fassungen hatten keine Dauer und nur den hervorragendsten Männern
war es gegeben, die neue Bildung mit bürgerlicher Tüchtigkeit und
Gesinnungstreue zu vereinigen. Die allgemeine Wirkung war der
Art, dass sie die Anhänglichkeit an das Herkommen erschütterte, die
Festigkeit der bürgerlichen Ordnungen untergrub und, weil in diesen
Glaube und Sitte wurzelten, auch die sittliche Haltung der griechischen
Gemeinden gefährdete106).
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PHILOSOPHIE UND STAAT.
201
In der Mitte zwischen Ionien und den westlichen Golonien blieb
das europäische Griechenland, welches durch seine staatlichen Ange-
legenheiten ganz in Anspruch genommen war, von dem Einflüsse
philosophischer Aufklarung lange Zeit unberührt.
Aber die Berührung konnte nicht ausbleiben, am wenigsten in
Athen, nachdem es die Aufmerksamkeit der gesamten Griechenweit
erweckt hatte und dadurch aus seiner früheren Zurückgezogenbeit her-
ausgetreten war. Die Anspannung aller körperlichen und geistigen
Kräfte, welcher Athen seine Siege verdankte, war so gewaltig, dass
seine Bürger nach Abwendung der Gefahr nicht wieder in das alle
Geleis väterlicher Gewohnheiten zurückkehren konnten. Ein ganz neues
Selbstbewusstsein war erwacht; es bedurfte neuer Gegenstande, an
denen die Kralle sich versuchen konnten, neuer Ziele, neuer Erwer-
bungen auch auf dem Gebiete geistiger Bildung.
Diesem Bedürfnisse nach Erweiterung des geistigen Gesichts-
kreises kamen nun die Zeitverhältnisse in merkwürdiger Weise
entgegen. Eine Fülle von Anregungen wartete der Athener; durch
Reisende wie durch Schriftverkehr vernahm man die Kunde der neuen
Weisheit, die in den jenseitigen Städten gereift war, bis endlich die
bedeutendsten Persönlichkeiten selbst herüberkamen, vor allen Andern
Anaxagoras, der gleich nach den Perserschlachten als ein junger Mann
Athen aufsuchte; der Erste, welcher Athen zum Sitze der Philosophie
machte. Dann sein Zeitgenosse, Diogenes aus Apollonia in Kreta,
welcher die Richtung der ionischen Naturphilosophen festhielt und fort-
setzte, nachdem ihr Standpunkt durch spätere Forschungen schon
überwunden war. Auch auf die Eleaten üble Athen seine Anziehungs-
kraft aus; Parmenides kam als ein Sechziger zum Feste der Panalhe-
näen (etwa Ol. 81, 3; 454), und mit ihm sein Schüler Zenon, welcher
trotz seiner Anhänglichkeit an das stille und philosophischen Studien
günstige Elea wiederholt in Athen anwesend war106).
Diesen eigentlichen Philosophen, den Gründern und Vertretern
philosophischer Schulen, folgte die gröfsere Zahl derer, welche von
Schulweisheit und Systemen nichts wissen wollten, sondern die Lehren
der Philosophen vielmehr dazu benutzten, um die Unmöglichkeit einer
für Alle gültigen Erkenntniss zu beweisen ; Männer, welche die aus
vielseitigen Studien erworbene Meisterschaft im Denken und Reden
durch Unterricht zu verwerlben wussten. Denn während die stren-
geren Philosophen nur Wenige und Auserwählte des Volks in ihren
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202
SOPHISTEN IN ATHEN.
Kreis zu ziehen vermochten, wendeten jene sich an ein gröfseres
Publicum und machten die Philosophie dem Bedürfnisse einer allge-
meinen Bildung dienstbar.
Als Lehrer, wie sie Griechenland in dieser Art noch nie gesehen
hatte, zogen sie in den gröfseren Städten umher, lockten die Jünglinge
an sich, nicht um sie für gewisse Lehrsätze zu gewinnen, sondern \im
sie mit den Fortschritten der Zeitbildung bekannt zu machen, von Vor-
urteilen zu befreien, ihren Gesichtskreis zu erweitern, sie denk- und
redefertig zu machen, in Beurteilung der Gemeindeangelegenheiten,
in Verwaltung des eigenen Vermögens, in Behandlung der Menschen zu
unterweisen, und indem sie zu solchem Zwecke von ihrer Weisheit
gleichsam Profession machten und einen eigenen Stand bildeten, be-
nannte man sie mit dem Namen der Sophisten, einem Namen, der ur-
sprünglich durchaus keine tadelnde Nebenbedeutung hatte.
Einer der Ersten dieser Sophisten war Protagoras aus Abdera,
welcher um die Mitte des fünften Jahrhunderts in Sicilien wie in
Athen mit grolsem Beifalle auftrat, indem er lehrte, dass es keine
unbedingte Wahrheit gebe, dass alle Gegenstände nur so seien, wie
sie dem Wahrnehmenden erschienen; Alles hänge von dem Gesichts-
punkte des Anschauenden ab, das Mafs der Dinge liege also in ihm.
So stand der Mensch frei und unabhängig Gott und der Welt gegen-
über; er stand außerhalb aller bürgerlichen Satzungen, und es kam
für die Wirksamkeit des Einzelnen nur darauf an, wie weit er im
Stande war, sein persönliches Meinen geltend zu machen.
Merkwürdig ist nun das Verhalten der Athener zu diesen
Männern, welche aus West und Ost mit ihrer Weisheit zu ihnen
kamen und nicht ohne Grund einen günstigen Boden bei ihnen zu
finden erwarteten. Denn was konnte ihnen in dieser Zeit, wo sie
sich von dem bisherigen Bildungskreise unbefriedigt fühlten, will-
kommener sein, als eine Weisheit, die Menschliches und Göttliches aus
neuen Gesichtspunkten betrachtete und zugleich eine unmittelbar
praktische, für alle Verhältnisse brauchbare sein wollte, eine Weisheit,
welche der ionischen Liebe zu freier und unabhängiger Bewegung
vollkommen entsprach, indem sie allen lästigen Satzungen gegenüber
der Persönlichkeit die höchste Berechtigung einräumte, die Redelust
begünstigte und durch den Einfluss, welchen sie ihren Jüngern zu
geben versprach, dem Ehrgeize der jungen Athener im höchsten Grade
zusagte ! Der Geist der Zeit fand in ihr seinen vollkommenen Aus-
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ATHEN UND IONIEN.
203
druck; daher kam es auch, dass an den verschiedensten Orten ohne
äu/seren Zusammenhang sich dieselbe Richtung geltend machte und
überall Anklang und Eingang Tand. In Athen war es ja aufserdem
eine althergebrachte Sitte, auswärtigen Hellenen von geistiger Be-
deutung bereitwillig die Thore zu öffnen und ihnen mit aller Gunst
entgegenzukommen. Reiche Familien rechneten es sich zur Ehre, die
fremden Lehrer bei sich aufzunehmen und ihre Häuser dadurch aus-
zuzeichnen, dass in ihnen die neue Bildung Anerkennung und Pflege
erhielt.
Andererseits trat aber der neuen Weisheit, mochte sie von
Philosophen oder Sophisten dargeboten werden, eine starke Abneigung
entgegen. Man war verstimmt gegen Leute, die sämtlich aus der
Fremde kamen und etwas Absonderliches sein wollten; man hatte
namentlich gegen Alles, was aus Ionien kam, ein gewisses Miss-
trauen ; denn um dieselbe Zeit, da Attika mit Ionien von Neuem in
Verbindung getreten war, hatte sich auch der Gegensalz zwischen
beiden Ländern geschärft. Während zu Solons Zeit ionisches Wohl-
leben in Alben herrschend war, so dass die reichen Bärger sich
darin gefielen, ein üppiges Leben zur Schau zu tragen und mit
Purpur, Gold, Salben, mit Rossen, Jagdhunden, schönen Knaben und
Festgelagen zu prunken: war mit den Perserkriegen unverkennbar
ein gröfserer Lebensernst eingetreten, wie es die Nolh der Zeit mit
sich brachte. Der Stand der atiischen Landwirihe war in Marathon
wieder zu Ehren gekommen, und je mehr sich der Kern des atti-
schen Volks dem ionischen Seevolke überlegen fühlen lernte, um so
mehr lieble er es auch in Sprache, Sitte und Kleidung sich von
ihm zu unterscheiden. Zur Zeit der Perserkriege gingen die reichen
Bürger noch in faltigen Linnengewändern, welche bis auf die Füfse
fielen, und liefsen sich von ihren Sklaven Polsterstühle nachtragen;
mit goldenen Nadeln s leckten sie das künstlich zusammengeflochtene
Haar auf. Das waren Ueberreste einer gewissen zopfigen Putzsucht
und einer üppigen Bequemlichkeit, welche erst um die Zeil des Perikles
allmählich aus der Mode kamen. An ihre Stelle trat eine leichtere,
kürzere, einfachere Tracht, die zu keinem Luxus Anlass gab, das
ärmellose Unterkleid von Wolle, wie es die Dorier trugen, worüber
der aus einem viereckigen Stücke Tuch bestehende Mantel geworfen
wurde: eine Tracht, welche republikanischer Gleichheit besser ent-
fprach und für ein tbäliges Leben ungleich geeigneter war107).
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204
FURCHT VOR DER AUFKLÄRUNG
Viel älter als dieser äußerliche Unterschied zwischen loniern
und Athenern war der Gegensalz in Sitte und Lebensweise. In Ionien
halte man Alles, was den Menschen im Genüsse des Lebens beengte,
und deshalb alle strengeren Formen der Geselligkeit zu beseitigen
gesucht, so auch in Beziehung auf das Verhällniss der Geschlechter. Die
Ehe war den Athenern nicht blofe eine börgerliche Einrichtung von
der höchsten Wichtigkeit, weil die vollgültige Schliefsung derselben
die Grundlage aller familienrechtlichen und staatsbürgerlichen Eigen-
schaften war, sondern auch eine heilige Sache, eine göttliche Stiftung,
welche, so oft sie in Anwendung kam, eine gottesdienstliche Feier
veranlasste, welche mit einer Reihe bedeutungsvoller Gebräuche aus-
gestaltet war. Dazu gehörte das Bad aus heiliger Quelle (I, 357)
und die Einholung des göttlichen Segens im Tempel der Burggöttin.
Die am Herde des Elternhauses entzündete Hochzeitsfackel war das
Wahrzeichen strenger Ueberlieferung, welche von Haus zu Haus, von
Geschlecht zu Geschlecht fortdauern sollte, und wie die Jungfrau
nur für das Vaterhaus gelebt halle, so lebte die Frau nur für das
des Gatten in stiller Zurückgezogenheit und sittsamer Zucht. Nur
an den Festen sah man die Frauen draufsen.
In Ionien stand die Ehe von Anfang an niedriger, und die
Frauen hatten daselbst nicht die Ehre und Würde einer attischen
Hausfrau. Aber gerade diese geringere Stellung reizte die Frauen, sich
in anderer Weise Gellung zu verschaffen, durch sorgfältige Pflege
aller Reize und Talente die Männer zu fesseln, die Schranken ihres
Geschlechts zu beseitigen und auch bei den Festgelagen Zutritt zu
erreichen. Aphrodite trat an die Stelle der ernsten Demeter, der
Götlin des keuschen Ehebundes, und wenn man den Einfluss er-
wägt, welchen die ionischen Buhlerinnen auf das ganze bürgerliche
Leben gewannen, die Macht, welche sie durch ihre geselligen Talente,
ihre Wohlredenheit und Klugheit schon ausgeübt halten (S. 58), so
hallen in der That nicht blofs die atiischen Hausfrauen Grund, auf
die fremden Dirnen zu zürnen, welche ihre Rechte kränkten und
das Familienglück zerstörten, sondern alle besonnenen Bürger musslen
diese Einflüsse Ioniens nach Kräften fern zu halten suchen und zu-
gleich in Allem, was von dorther an glänzenden Gaben geboten wurde,
also auch in der ionischen Aufklärung, ein heimliches Gift fürchten.
Dies Misstrauen steigerte sich, als das Wesen der neuen Bildung
näher bekannt wurde. Denn das Heiligste und Theuerste, was die
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GEGENSÄTZE IN ATHEN. 205
Hellenen an Ueberzeugungen hatten, beruhte ja auf der stillschweigen-
den Uebereinstimmung aller Volksgenossen. Wenn nun Leute zu
ihnen herüberkamen, welche mit rücksichtsloser Zuversicht die ganze
Ueberlieferung des Volks prüften, zersetzten und verneinten, so musste
ihnen das eben so verwerflich erscheinen, als wenn in Beziehung auf
die Staatsgesetze oder die hergebrachte Ordnung des Gottesdienstes
Einzelne ihre abweichende Meinung geltend machen und über das
Gesetz stellen wollten. Von dem Ungeheuern Unterschiede zwischen
einem Anaxagoras und den Sophisten konnte die Menge keinen Be-
griff haben. Man urteilte nach einzelnen Sätzen; darum erschien
alles als gleiche Ketzerei, und man wollte von vorne herein nichts
von einer Bichtung wissen, die zu solchen Ergebnissen führte, dass
man an der Persönlichkeit der vom Staate verehrten Götter so wie
an der Bedeutsamkeit der von ihnen gesendeten Zeichen zweifelte,
dass man vernunftlose Kräfte an Stelle der olympischen Götter
stellte und anstatt des Alles schauenden Helios eine glühende Stein-
masse am Himmel leuchten sah. Je mehr man aber die Kenntnisse
und Geistesgaben der neuen Weisheitslehrer anerkennen musste, um
so mehr fürchtete man, dass sie nach und nach Alles zergrübelten
und auflösten. Man sah Religion, Staat und Sitte gefährdet; denn
wenn die Götter nicht mehr sind, die Hüter des Eides, die Rächer
des Unrechts, was soll dann noch die bürgerliche Gesellschaft zu-
sammenhalten! Auch die nationalen Grundlagen des öffentlichen
Lebens schienen gefährdet, indem der Unterschied zwischen Hellenen
und Barbaren verwischt wurde und die Lehre auftauchte, dass die
Menschen alle zu gleicher Freiheit berufen wären.
Aufserdem gaben die Sophisten durch ihr persönliches Auftreten
mancherlei Anstofs. Ihr unstätes Wesen und rastloses Umherreisen
schien mit dem Wesen eines ordentlichen Bürgers und mit dem
Berufe eines Jugendlehrers un vertraglich ; ihr Hocbmuth verletzte;
die Art, wie sie aus ihrem Lehramte ein Geschäft machten, schien
unanständig, und als nach dem Beispiele des Protagoras die Sophistik
zu einem gewinnreichen Gewerbe wurde, steigerte sich die Abneigung.
Daher kam es, dass Philosophen und Sophisten ihre Wirksamkeit in
Athen verstecken mussten und unter dem Namen von Musik, Grammatik,
Rhetorik und andern hergebrachten Unterrichtszweigen ihre Weisheit
einzuschwärzen suchten ; ein Verfahren, das ihnen um so leichter ge-
lang, je mehr die Sophistik eines positiven Inhalts entbehrte und
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206
PERIKLES JLT,E>'D.
ihrem Wesen nach ein formales Prinzip war, welches leicht auf alle
Gegenstande der Bildung angewendet werden konnte.
So standen sich um die Milte des fünften Jahrhunderts die
Richtungen in Athen schrofT gegenüber. Die Einen gefielen sich darin,
mit der neuen Weisheit zu liebäugeln und mit ihrer Pflege zu prahlen;
die grofse Mehrzahl der Bürger wehrte den Einfluss derselben mit
allen Kräften ab. Am geringsten war die Zahl derer, welche die Bedeu-
tung der geistigen Bewegung zu würdigen, die fruchtbaren Keime der-
selben sich anzueignen und dabei die Unabhängigkeit ihres Geistes
zu wahren wussten. Für diese wurde die philosophische Bildung
eine Macht, welche sie über den Standpunkt der Menge emporhob,
ohne sie dem Gemeinwesen zu entfremden.
In dieser Zeit geistiger Bewegung war Perikles aufgewachsen.
Sein Vater Xanthippos, welcher an den Küsten Ioniens den ersten
Sieg mit attischen Kriegsschiffen erfochten hatte, gehörte zu dem
Geschlechte der Buzygen, welche ein heiliges Bild der Athena, das
Palladion, zu hüten und die auf die Einfuhrung des Ackerbaus be-
züglichen Ceremonien zu vollziehen hatten (S. 191 f.). Er war ein
Mann von hoher Bildung und Kunstliebe, wie wir aus seinem Ver-
hältnisse zu Anakreon schliefsen dürfen, der ihn in seinen Liedern
feierte. Das Standbild des Dichters wurde darum später neben dem
des Xanthippos auf der Burg von Athen aufgestellt. Xanthippos'
Gattin war Agariste, des Megakles Schwester, die Tochter des Hippo-
krates, die Nichte des grofsen Kleislhenes. Es verband sich in dieser
Ehe also das ehrwürdige Eupatridenthum Athens mit dem jüngeren
Adel und in's Besondere mit dem durch ihren Reichthum und ihren
ruhmvollen Anlheil an den Verfassungskämpfen ausgezeichneten Ge-
schlechle der Alkmäoniden. Zu den Schätzen des Hauses gehörten
auch Gedichte des Pindar, in welchen er den Glanz desselben gefeiert
hatte, ein Gedicht aur den Bruder der Agariste und ein anderes auf
den Tod ihres Vaters. So war ihrem Sohne schon durch seine
Geburt die reichste Mitgift zu Theil geworden, eine ruhmreiche,
lebendig bewegte Vaterstadt und ein Elternhaus, welches durch seine
Geschichte und seine Verbindungen vor allen geeignet war, hohe
Gedanken in dem Knaben zu wecken und ihn zu gewöhnen, das Wohl
der Vaterstadt wie eine persönliche Angelegenheit zu betrachten.
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PERIKLES* BILDUNG.
207
Aber nicht blofs für die stadtischen Interessen war sein Haus
ein Mittelpunkt. Die Familie des Vaters stand auch mit den Königen
von Sparta in Gastfreundschaft, und die Verbindungen der Alkmäo-
niden reichten durch die gebildete Welt, so dass in diesem Hause
besser, als an irgend einem andern Orte, über die Verhältnisse des
Orients, über die Beziehungen der griechischen Staaten zu einander
sowie über alle Forlschritte in Kunst und Wissenschaft ein Ueber-
blick gewonnen werden konnte. Zu diesen vielfachen Anregungen
kamen die aufserorden Iiichen Begebenheiten, welche Perikles' Jugend-
zeit ausfüllten. Als Knabe erlebte er den Brand Athens, die Nieder-
lage der Barbaren, die Wiedergeburt der Vaterstadt ; mit der wachsenden
Gröfse Athens wuchs er zum Jünglinge auf, und sein erster Waffen-
dienst liefs ihn an den herrlichsten Siegen Antheil nehmen. Er sah
unter der Hoheit Athens ein weites Insel- und Küstenreich sich
bilden und erkannte die Aufgabe seiner Vaterstadt, einer solchen
Stellung sich würdig zu zeigen.
Zu diesem Ziele mitzuarbeiten war er nicht blofs durch seine
Geburt berufen, sondern auch durch die glücklichsten Anlagen.
Denn er war reich und vielseitig begabt, zur Ausdauer in geistigen
und körperlichen Anstrengungen vorzüglich geeignet; von durch-
dringendem Verstände und angeborener Redegabe; feurig und ideen-
reich wie Themistokles, aber in seinem ganzen Wesen von Jugend
an ungleich gesammelter und geordneter. Denn was ihn vor allem
Andern auszeichnete, war ein unermüdlicher Bildungstrieb, und
Niemand empfand das Bedürfniss der Zeit nach neuer Erkenn tniss
lebhafter, als der junge Perikles. So kam es, dass er sich nirgends
mit dem Herkömmlichen begnügte, sondern den neuen Forschungen
mit allem Eifer nachfragte und, während das Volk sich misstrauisch
von der ionischen Bildung fernhielt, jeder neuen Entwickelung von
Kunst und Wissenschaft mit freudigem Antheil entgegenging.
Er trieb die Musik bei Pytbokleides , einem Pythagoreer aus
Keos, und dann bei Dämon dem Flötenspieler, einem Manne von
einflussreichster Persönlichkeit und erfinderischem Geiste, welcher
noch mehr als Pylhokleides den musikalischen Unterricht benutzte,
um von den Versfüfeen und Tonweisen auf die Charaktere der
Menschen und ihre Behandlung, auf Sitten- und Staatslehre über-
zugeben, ein Sophist vom ersten Range, ein Mann, der auch im
öffentlichen Leben eine Rolle gespielt haben muss, weil er vom
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208 PERIKLES' UÜRGERLICHE STELLUNG.
Ostrakismos betroffen wurde. So machte Perikles um die Zeit, wo
die übrige Jugend ihre Studien abzuschliefsen pflegte, erst recht den
Anfang damit; er suchte begierig den Umgang der hervorragendsten
Künstler und Philosophen ; er wurde der eifrigste Zuhörer des Zenon
und Anaxagoras, im späteren Lebensalter auch des Protagoras. Aber
er lernte nicht blofs um zu lernen; er dachte nicht daran, wie
Anaxagoras, über seine Studien Welt und Menschen zu vergessen;
seine Lebensaufgabe war es nicht, auf dem Gebiete des reinen Ge-
dankens die erwachten Zweifel und die Widersprüche zu lösen.
Perikles behielt immer den Staat im Auge, und im öffentlichen
Handeln suchte er die Versöhnung der Gegensätze, die ihm zum
Bewusstsein gekommen waren. Denn wie er sich selbst durch die
gewonnene Bildung gehoben und gestärkt fühlte, so erkannte er in
ihr eine Macht, welche zum Heile des Staats verwendet werden
müsste. Er blieb auch als Philosoph Staatsmann, und erkannte als
seinen Lebensberuf, durch die Mittel geistiger Ueberlegenheit, welche
die Philosophie gewährte, seine Mitbürger zu beherrschen und den
Staat zu leiten, von dessen Aufgabe er die erhabenste Vorstellung
hatte104).
Dass Perikles auf einem ganz anderen Boden stehe als auf dem
der gewöhnlichen Zeitbildung, merkte man schon in seiner Haltung.
Man sah seinen Gesichtszügen an, dass er mit hohen Gedanken be-
schäftigt zu sein pflegte; man empfand eine unwillkürliche Ehrfurcht
vor dem feierlichen Ernste, der sein ganzes Wesen durchdrang, vor
der unerschütterlichen Festigkeit und Bestimmtheit seiner Persön-
lichkeit. Er hatte bei seinen Philosophen eine Menge von kleinen
Interessen, welche die Alltagswelt am meisten in Bewegung setzen,
verachten, eine Reihe von Vorurteilen ablegen gelernt und dadurch
an Freiheit der Seele gewonnen, so wie an Macht über andere
Menschen.'1 Als beim Eintritt einer Sonnenfinsterniss das Schiffs-
volk verzagte, hielt er dem Steuermanne einen Mantel vor die Augen
und fragte ihn, warum er mehr erschrecke, wenn ein fernerer und
gröfserer Gegenstand ihm das Sonnenlicht verberge. Innerlich der
lebendigste Mensch, war er äufserlich ruhig, kalt und immer sich gleich,
ohne durch Strenge und rauhes Wesen zu verletzen. Seine volle
Ueberlegenheit offenbarte sich in der Rede. Denn er hatte sich in
Zenons Schule gewöhnt, die Dinge von verschiedenen Standpunkten
anzusehen uud seine Gegner durch unerwartete Einwendungen zu
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PERIKLES USD DIE DEMOKRATIE.
209
überraschen. Dialektischen Uebungen verdankte er die Gewandtheit
seines Verstandes und die Macht des Worts, welcher Niemand gleiche
Waffen entgegenzusetzen halte. Seine Beredsamkeit war die Frucht
philosophischer Durchbildung, wie auch Plato anerkannt hat, sie war
der unmittelbare Ausdruck eines der Menge überlegenen Geistes;
darum wusste er, wie kein Anderer, zu erschrecken, zu ermuthigen,
zu überreden; schlagende Gleichnisse, deren zwingender Kraft sich
Niemand entziehen konnte, standen ihm zu Gebote und die ruhige Zu-
versicht, mit welcher er redete, machte ihn vollends unwiderstehlich.
So mancherlei aber auch dem jungen Perikles zu Gebote stand,
was ihn der Bürgerschaft empfahl, der Glanz des Hauses, welcher ihm
ohne Mühe einen bedeutenden Anhang verschaffte, die Macht der
Persönlichkeit, die Kraft des Worts und eine hinreifsende Anmulh
der Stimme, so war ihm doch die öffentliche Thatigkeit durch andere
Umstände sehr erschwert. Es fehlte ihm die Gabe leicht und un-
befangen mit den Leuten des Volks zu verkehren; es fehlte ihm das
leutselige Wesen, durch welches Kimon zu fesseln wusste, der als
ein fröhlicher Lebemann seinen Mitbürgern näher stand. Perikles
war zu verschieden von der Menge des Volks; er fühlte, dass die
Bürger keine Sonderlinge liebten, und dies Gefühl machte ihn be-
fangen. Dazu kam, dass seine Person zu allerlei Misstrauen Anlass
gab. Man hielt seinen Ernst für Hoch mu tu, seine Zurückhaltung für
versteckten Ehrgeiz; man traute dem geborenen Aristokraten keine
wahre Liebe für die Sache des Volks zu; man kannte die Neigung
zur Tyrannis als einen erblichen Hang seiner mütterlichen Familie;
darum wurde Alles, was mit den Alkmäoniden zusammenhing, arg-
wöhnisch von den Bürgern angesehen und deshalb ist auch in dieser
Familie das Scherbengericht so oft zur Anwendung gekommen. Me-
gakles, des Kleisthenes Sohn, wurde verbannt, und Xanthippos, den
Vater des Perikles, soll dasselbe Loos getroffen haben. Dazu kam
nun noch der besondere Umstand, dass man im Gesichle des Perikles
so wie in seiner Art zu reden eine auffallende Aehnlichkeit mit
Peisistratos entdecken wollte; ein Umstand, der von Gegnern und
Neidern nach Kräften benutzt wurde, um die Bürger vor ihm zu
warnen
Weil Perikles fühlte, dass ihm Misstrauen und Vorurteil ent-
gegenstehe, zügelle er seinen Ehrgeiz durch die höchste Besonnenheit,
hielt sich lange von Staatsangelegenheiten fern und suchte sich auf
Cortia», Or. Geich. U. 6. Aufl. U
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210
PERIKLES U>D DIE DEMOKRATIE.
solchen Gebieten auszuzeichnen, die dem politischen Treiben ferner
lagen. Er wird in einem Verzeichnisse der an dem Dionysosfesie sieg-
reichen Dichter als der Burger genannt, der für einen Wettkampf,
in welchem Aischylos und Magnes den Preis gewannen, den Chor aus-
gerüstet habe. Wenn dieser Wettkampf 467 stattfand, als Aischylos
seine 'Sieben gegen Theben' aufführte, so ist sehr wahrscheinlich, dass
dies einer der ersten Anlässe war, bei denen Perikles in Urkunden
genannt wurde und dass darauf die Uebeiiieferung beruht, er habe
sich vierzig Jahre vor seinem Ende zuerst an öffentlichen Angelegen-
heiten betheiligt.
Perikles wollte aber nicht als Kenner und Förderer der schönen
Künste Ansehen gewinnen; er legte vielmehr das gröfste Gewicht
darauf, sich in jeder Dienstleistung, vor Allem im Waffendienste, als
einen Bürger zu zeigen, der mit dem Geringsten seiner Mitbürger
jede Gefahr und Beschwerde zu theilen bereit sei. Hier machte er
sieh von der Einseitigkeil einer vorwiegend theoretischen Bildung frei
und gewann die Eigenschaften, durch welche sich die Athener vor
allen Griechen auszeichneten, Geistesgegenwart und thalkraflige Ent-
schlossenheit. Hier lernte er von Kimon, dessen Feldherrngröfse er
bewunderte, erkannte aber auch die Schwäche seiner Politik, welche
Athen gebunden hielt und mit einseiligem Parteieifer der Vollendung
der Demokratie entgegenarbeitete. Diese hatte sich auf Grund der
solonischen Gesetze mit innerer Notwendigkeit weiter entwickelt,
nicht blofs durch Verfassungsreformen, welche zum Theil von der con-
servaliven Partei ausgegangen waren (S. 110), sondern auch durch
solche Mafsregeln, mit welchen gar keine Verfassungsänderung be-
absichtigt war. So war das Bergwerksgesetz beschlossen, um die
Küsten des Landes zu schützen. In der Thal aber war gerade dies
Gesetz ein Wendepunkt der attischen Verfassung; denn dadurch wurde
die Flotte die Stärke des Staats und dem untersten Theil des Volks
eine hervorragende Wichtigkeit verliehen.
Freilich pflegten die philosophisch Gebildeten der Volksherrschaft
nicht günstig zu sein, welche allem Hervorragenden feindlich ist, und
Niemand hat die Schwächen derselben schärfer gegeifselt als Hera-
kleitos. Perikles selbst war eine durchaus aristokratische Natur und
von dem Herrscherrechte höherer Bildung ganz durchdrungen. In-
dessen war er nichts weniger als einseitiger Theoretiker. Er wollte
sich nicht, wie Anaxagoras und andere Philosophen, von jeder Be-
PERIKLES U.ND DIE DEMOKRATIE.
211
theiligung am Staatswesen abkehren; er dachte auch nicht daran,
wie Herakleitos und Herrn od oros, mit Hülfe einer Minderheit der
Bürger die bestellende Verfassung zu verbessern; er erkannte viel-
mehr die Demokratie mit allen ihren Schwächen als die vollberechtigte
Verfassung an, als die einzige, welche in Athen auf Dauer rechnen
könne; sie war die mit der Geschichte des Staats verwachsene, die
dem Zustande der attischen Gesellschaft entsprechende, in Glück und
Nolh bewährte, die nothwendige Verfassung Athens.
Sie war auch die Stärke Athens; denn diese lag bei der Klein-
heil des Staats und den schwierigen Aufgaben, die ihm gestellt
waren, in der freien und selbstthäligen Theilnahme Aller am Gemein-
wesen, das auf die Opferbereitschaft Aller rechnen kann, weil es
Allen gleiche Ehren und gleichen Einfluss in Aussicht stellt. Auch
die sittliche Haltung der Bürgerschaft beruhte auf der Demokratie.
Denn sie erweiterte das Bewusstsein des Einzelnen über die Gräuzeu
seiner eigenen Interessen; sie nöthigte jeden Bürger, mit seiner Person
für das Ganze einzutreten und machte ihm eine feste Ueberzeugung
zur Pflicht; sie forderte ein vernünftiges Gemeindeleben, in welchem
nach offenkundigen Gesetzen die Verhältnisse geregelt sind; auch gab
die Theilnahme Aller an den Staatsverhandlungen eine Bürgschaft dafür,
dass keine niedrigen und kleinlichen Beweggründe des Egoismus, wie
sie wohl in oligarchischen Kreisen die Entscheidung geben, die Ent-
schliefsungen der Staatsgemeinde leiteten. Eine hinterlistige Politik,
welche, wie die der Spartaner, in einer ängstlichen Geheimlhuerei ihre
Stärke suchte und auf Falschheit ihre Erfolge baute, war iu Athen un-
möglich.
Wenn nun auch Penkies die Demokratie als die zu Hecht be-
stehende und angemessenste Verfassung anerkannte, so war mit dem
Namen und den Formen der Verfassung über die Leitung des Staats
noch nichts entschieden. Der Demos ist souverän. Aber Niemand
konnte mehr als Perikles von der Unfähigkeit des Haufens, selbst zu
regieren, überzeugt sein. Jede Volksmasse muss regiert werden; ihre
Schritte müssen geleitet, ihre Interesseu ihr deutlich gemacht werden,
wenn nicht das Heil des Staats dem Zufalle und der Unvernunft preis
gegeben werden soll.
Diese Leitung konnte unmöglich in die Hände einzelner Ge-
schlechter zurückkehren, welche ein erbliches Anrecht auf Vorrang und
Einfluss geltend machen wollten. Die Zeiten waren vorüber. Die
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PEIUKI.ES U>D DIE DEMOKRATIE.
Macht des Adels war durch inneren Zwist längst zu Grunde gegangen ;
seit die Bauern freie Landbesitzer waren und die bürgerlichen Gewerbe
blühten, hatten die alten Familien weder Besitz noch Waffenruhm noch
Geroeinsinn vor den Uebrigen voraus. Einzelne Häuser hatten sich
wohl noch alten Glanz bewahrt, aber ein Adelstand als Körperschaft
war nicht vorhanden; die Schlachten von Tanagra und Koroneia hatten
seine Beihen vollends gelichtet Es muss also, um das Volk zu leiten,
ein anderer Adel vorhanden sein, ein Adel, der durch eigene Kraft er-
worben wird; von den wahrhaft Besten muss das Volk geleitel werden,
d. h. von Männern, die das edlere Bewusstsein der Menge in sich dar-
stellen, welche sich durch Philosophie über niedere Rücksichten und
Vorurteile erhoben haben, welche durch vorschauenden Versland und
Kraft der Rede im Stande sind, ihre geistige Ueberlegenheit in der
Weise geltend zu machen, dass sie die Vertrauensmänner der Gemeinde
werden. Der wahre Volksführer oder 'Demagog' soll herrschen, indem
das Volk, das in Masse weniger Klarheit, weniger Besonnenheit, weniger
Gewissen und Ehrgefühl hat als der Einzelne, in ihm seine besten Ge-
danken, Neigungen und Stimmungen ausgesprochen sieht. So wird
die bürgerliche Gleichheit, welche den Gesetzen entspricht, mit der
einheitlichen Leitung, welche die Vernunft verlangt, so werden die ver-
fassungsmäfsigen Rechte der Bürger mit den unveräusserlichen Rechten
der höheren Intelligenz verbunden.
Die Idee einer solchen Verbindung von Volksherrschaft und Einzel-
herrschaft, wie sie dem Geiste des Perikles vorschwebte, hatte in seiner
Zeit und in seiner Vaterstadt eine besondere Berechtigung.
Damals war die theoretisch-praktische Bildung, wie Philosophie
und Sophistik sie gewährten, in der That eine Macht, und zwar eine
solche, welche nicht leicht von Einzelnen an die Menge übergehen
konnte. Und dann war die attische Bürgerschaft, die schon an gewöhn-
lichen Versammlungstagen bis 5000 Köpfe stark sein mochte, zwar wie
jede andere Volksmasse unfähig, aus eigenen Antrieben Vernunft- und
zweckmäfsig zu handeln, aber darin war der attische Demos ohne Frage
vor allen Bürgergemeinden ausgezeichnet, dass er durch glückliche An-
lage einen sichern Takt und ein richtiges Urteil in der Wahl seiner
Führer hatte und den erwählten Führern zu folgen wusste, wenn sie
ihm mit erleuchtetem Sinne sein wahres Interesse darlegten. So haben
sich die Athener in den Zeilen der Freiheitskriege unbestritten be-
währt; sie haben den rechten Männern zur rechten Zeit ihr volles Ver-
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PERIKLES ALS PVRTEIMAN.N.
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trauen geschenkt, und dies hingebende Vertrauen war das Unterpfand
des Staatsglücks; es hob die Menge, läuterte und vereinigte sie; es
lieferte den Beweis, dass in Athen auch die gemeinen Leute kein Pöbel
waren. Wenn aber die attische Bürgerschaft in dieser Beziehung die
Ausführung der perikleischen Gedanken erleichterte, so kam es darauf
an, sie von allen anderweitigen Einflüssen und von aller Bevormundung
zu befreien, damit sie sich unbedingt dem Redner hingeben konnte,
der ihr Vertrauen besafs; sie musste die Möglichkeit haben, in voller
Zahl und unbehindert an allen öffentlichen Verhandlungen Theil zu
nehmen.
Um dies zu erreichen, wurde Perikles Parteimann; er verleugnete,
wie einst Kleisthenes, was ihm an aristokratischen Neigungen ange-
boren war; er verband sich mit Ephialtes und den anderen Führern der
Bewegung. Aber wahrend die Demagogen gewöhnlichen Schlags nur
ein nahes Ziel vor Augen hatten und nur an das Hinwegräumen
dachten, hatte Perikles den Plan der neuen Herrschaft entworfen,
welche das Gute einer wahren Aristokratie mit dem der Volksherr-
schaft vereinigen sollte. Perikles verfuhr als Mitglied jener Partei mit
der äufsersten Vorsicht und Zurückhaltung; er versteckte die Macht,
welche er hatte; denn er fürchtete den Ostrakisraos, weil eine mehr-
jährige Entfernung von Athen seinen ganzen Lebensplan vernichtet
haben würde. Man verglich ihn deshalb mit dem attischen Staats-
schiffe, der Salaminia, welches sich nur bei ganz besonderen Anlässen
zu zeigen pflegte110).
Darum ist es auch so schwierig, sein Verhältniss zur Reformparlei
zu beurteilen. Man kann nicht nachweisen, wie viele ihrer Mafsregeln
er selbst angeregt und gefördert, und was er gegen seinen Wunsch hat
geschehen lassen müssen. Denn auch der bedeutendste Mann giebt von
seiner Selbständigkeit auf, wenn er Parteimann wird, und kann im
Gutheifsen der Mittel, welche zu dem gemeinsamen Ziele führen, nicht
so gewissenhaft sein, wie er es sein würde, wenn er allein handelte.
Ganz besondere Versuchungen bietet aber natürlich die Verfassung
solcher Staaten dar, in denen die verschiedenen Parteien genöthigt
sind, sich um die Gunst einer Volksversammlung wetteifernd zu be-
werben. Denn da werden, um die Billigung einzelner Vorschläge oder
ganzer Parteirichlungen zu erlangen, nicht blofs die guten und starken
Seiten der Bürgerschaft benutzt, sondern auch ihre Schwächen; auch
die niedrigeren Triebe, namentlich den Trieb nach Geld und Lebens-
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214
DEMOKRATISCHE POLITIK.
genuss, sucht man zu befriedigen, um Einfluss zu erlangen, und
wendet Mittel an, deren Gebrauch schon davon zeugt, das» man die-
jenigen geringschätzt, bei denen man sie anwendet. Mafsregeln dieser
Art, welche mehr als alles Andere dazu beigetragen haben, die attische
Demokratie und damit zugleich den Namen des Perikles in Verruf zu
bringen, sind durch sehr verschiedene Anlässe hervorgerufen worden.
Die nächste Veranlassung lag in der Macht des Reichthums, welche
man brechen musste, um die freie Enlwickelung der Verfassung mög-
lich zu machen. Denn die Freigebigkeit, welche von Seilen reicher
Bürger geübt wurde, brachte die Armen in Abhängigkeit von ihnen;
sie diente aristokratischen Parteibestrebungen zur Stütze und verwirrte
das politische Bewusstsein. Um also von solchen Einflüssen die Bürger-
schaft frei zu machen, benutzte man die Slaalsgelder, damit die Armen
sich Lebensgenuss verschaffen konnten, ohne sich dafür Einzelnen
ihrer Mitbürger verpflichtet zu fühlen (S. 148 f.).
Es hingen aber die Geldspenden mit dem Geiste der Demokratie
im Ganzen eng zusammen. Denn wenn in allen Staaten mit der Macht
des Herrschers auch ein gewisser Glanz des Lebens verbunden zu sein
pflegt, welcher dem ganzen Staate zur Ehre gereicht, so ist es billig,
dass auch an diesem Herrseberrechte in der Demokratie der Demos
seinen Antheil habe. Je mehr also in Oligarchien Geld und Gut in den
Händen Weniger sich anhäuft, um so mehr ist es die Aufgabe des
Volksstaats, für Verbreitung des Wohlstandes und Wohlbehagens im
Volke, für Abwehr jeder Noth desselben und für eine gewisse Aus-
gleichung der Vermögensunterschiede Sorge zu tragen.
Ein Geist der Milde gehört zum Charakter der Demokratie. Damm
war in Athen auch die Misshandlung eines Sklaven klagbar. Wie viel
mehr musste man innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft die schroffen
Unterschiede zu beseitigen suchen, die für jeden Staat ein Uebel sind,
in der Demokratie aber, welche auf der freudigen Theilnahme aller
Bürger am Gemeinwesen beruht, am tiefsten empfunden werden, weil
es Misstöne sind, welche mit dem Geiste der Verfassung in Wider-
spruch stehen! In dem demokratischen Staate soll keine zurück-
gesetzte Menschenklasse sein, welche sich durch die gesellige Stellung
der Wohlhabenden gekränkt fühlt; es darf der Frieden des Gemeinde-
lebens nicht durch Neid, Eifersucht und Misstrauen zwischen den bür-
gerlichen Ständen gefährdet werden. Denn das Lobpreisen der Demo-
kratie und der in ihr herrschenden Rechtsgleichheit würde ja den Armen
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DEMOKRATISCHE POLITIK.
215
wie ein Hohn klingen und eine gerechte Erbitterung hervorrufen,
wenn die sozialen Verhältnisse damit in schroffem Widerspruch standen.
Darum musste es einer der wesentlichsten Gesichtspunkte demo-
kratischer Politik sein, die dem inneren Frieden gefahrlichen Unter-
schiede möglichst auszugleichen, und wie viel leichter war dies in
Athen, als in irgend einem Staate der modernen Welt, zu erreichen !
Der Gegensatz von arm und reich war überhaupt nicht so grofs und
unüberwindlich. Das Sklaventhum bildete eine breite und bequeme
Unterlage des bürgerlichen Lebens. Ohne die Sklaven wäre die attische
Demokratie eine Unmöglichkeit gewesen; durch sie allein wurde es
auch den Unbemittelten möglich, an den öffentlichen Angelegenheilen
täglichen Antheil zu nehmen. Denn nur Wenige waren so arm, dass
sie sich ohne Sklaven durchhelfen mussten, während wir attische
Familien über peinliche Einschränkung klagen hören, wenn sie nicht
mehr als sieben Sklaven halten können l,ü*).
Erwägt man die Erleichterung des bürgerlichen Lebens, die daraus
hervorging, ferner die Gunst der klimatischen Verhältnisse, welche alle
Noth des Lebens so wesentlich mildert, und endlich die Mäfsigkeit,
welche die Athener in ihren Ansprüchen auf Lebensgen uss hatten, so
l>egreift man, dass der Staat in seiner Sorge für das allgemeine Wohl-
behagen verhältnissmäfsig viel erreichen, dass er durch geringe Zu-
schüsse den Armen befriedigen und die das Wohlergehen des Gemein-
wesens bedrohenden Gegensätze so weit beseitigen konnte, dass sie die
Eintracht des Staats nicht störten.
Die Tbätigkeit, welche dieser Aufgabe galt, war sehr mannigfaltiger
Art. Zuerst liefs man im Allgemeinen sich angelegen sein, alle Erwerb-
zweige zu fördern, welche das Volk bereicherten ; dann sorgte man für
wohlfeile Lebensmittel, namentlich für niedrige Kornpreise. Der Staat
hielt sich verpflichtet, dem Gewerbe der Kornaufkäufer durch strenge
Gesetze entgegenzuwirken. Er hielt selbst Kornmagazine, wie sie
auch im Tempelbezirk der eleusinischen Demeter angelegt waren; er
liefs in bedrängten Zeiten Brod und Getreide zu billigen Preisen ver-
kaufen. Unentgeltliche Austheilungen von Lebensmitteln fanden zuerst
bei den Festen statt; denn hier kam der demokratische Gesichtspunkt
der allgemeinen Gleichheit am meisten zu seinem Rechte. Die Gölter
spenden ihren Segen für arm und reich, und es gereicht zu ihrer Ehre,
wenn möglichst Viele ihrer Gaben froh werden und an ihren Festen
sieb dankbar betheiligen.
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216 TiEGÜNSTIGUNG DER ARMEN.
Darum fanden Volksspeisungen in den Tempelhöfen statt, und
wenn der Staat hei feierlichen Veranlassungen den Göltern Stierheka-
tomben darbrachte, so wurde dabei dem Volke Gelegenheit gegeben,
sich am Opferfleische gütlich zu thun. Die Feste wurden aber immer
zahlreicher, die Opferschmäuse immer häufiger und reichlicher. Das
Volk gewöhnte sich daran, beim Staate zu Gaste zu gehen, sich von
ihm unterhalten und bewirthen zu lassen und fand immer mehr Ge-
schmack daran, ohne Arbeit und Kosten zu geniefsen. Vertheilungen
von baarera Gelde aus den Ueberschüssen der Staatskasse hatten schon
vor Themistokles stattgefunden; einen neuen Anlass gab der Theater-
bau (S. 149), und daran knöpften sich vielfache Erweiterungen. Die
Reformpartei hatte darin das wirksamste Mittel gefunden, ihre Popularität
zu sichern und die Freigebigkeit ihrer Gegner unschädlich zu machen.
Damonides aus dem Gaue Oa galt für den Erfinder dieser Mafsregel.
Er ist, wie anzunehmen ist, kein anderer als Dämon, Perikles' Lehrer
(S. 207), der sich auf diesem Wege zu einem Parteiführer aufschwang,
bis er dem Ostrakismos erlag. Es ist also heftig um diese Mafsregel
gestritten worden und es muss dabei ein Zeitpunkt eingetreten sein,
wo die Bewegungspartei beim Scherbengericht in der Minderheit blieb.
Allmählich wurden die Schaugelder oder Theorika auch auf solche Feste
ausgedehnt, an denen keine Schauspiele stattfanden; es wurden Tag-
gelder, mit denen sich die Bürger bei den öffentlichen Gastereien selbst
beköstigten; für mehrtägige Feste wurde die Spende verdoppelt und
verdreifacht111).
Schon dies 'Theorikon' nannte man in Athen Lohn oder Sold, in
dem allgemeineren Sinne des Worts, wonach jede Art von Geldge-
winn aus der Staatskasse damit bezeichnet wird. Dafür wurden nun
bald noch ganz andere Anlässe und Gesichtspunkte aufgefunden. Nicht
der gesamten Bürgerschaft sollte der Genuss des öffentlichen Wohl-
standes zu Gute kommen, auf den sie als der Souverän des Staats ein
Anrecht halte und wozu die öffentlichen Feste die passendste Gelegen-
heit darboten , sondern es sollten auch die Dienstleistungen, welche
von Seiten des Staats dem einzelnen Bürger zugemuthet wurden und
die mit persönlichen Opfern verbunden waren, aus Staatsmitteln ver-
gütet werden. Besoldung für öffentlichen Dienst war dem älteren
Staatswesen der Hellenen durchaus fremd; was der Bürger für das Ge-
meinwesen that, that er für sich selbst; es war seine Pflicht und seine
Ehre. Auch Kriegersold kannte man nicht. Seit aber die Athener
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SOLD IN KRIEG UND FIWEOKN.
217
durch ihre Verhältnisse dahin geführt waren, dass sie ein immer
schlagfertiges Heer haben mussten, konnte man den Bürgern nicht zu-
muthen, solchen Anforderungen ohne Entschädigung zu genügen, da
sie nicht wie die Spartaner Staatssklaven hatten, die ihnen während der
Kriegszeit die Aecker bestellten. Darum wurde in der perikleischen Zeit
der Truppensold eingeführt, welcher an Löhnung und Verpflegungs-
geldern täglich vier Obolen (50 Pf.) betrug.
Was den Staatsdienst im Frieden betrifft, so wurden Geldent-
schädigungen ursprünglich nur für aufserordentliche Dienste gewährt,
wie z. B. die Gesandten von Staatswegen Ausrüstung und Reisegelder er-
hielten; die oberen Staalsämter aber, deren Inhaber die Träger der
Hoheitsrechte des Volks waren, wurden sämtlich als Ehrenämter be-
trachtet, während die Diener der Behörden, welche nur die Mühwaltung
hatten und fortwährend im Dienste blieben, die Aerzle, Herolde, Schrei-
ber, Rathsdiener, Polizeibeamten, besoldet wurden. Auch dieser Grund-
satz wurde vom Standpunkte der Demokratie angefochten. Für den
Armen ist die Zeit, welche er auf öffentlichen Dienst wendet, ein Opfer,
für den Reichen nicht; also ist der Arme in offenbarem Nachtheile, in-
dem ihm die Ausübung der Rechte, welche ihm verfassungsmäfsig zu-
stehen, erschwert wird.
Der Bewegungspartei musste daran liegen, dass eine möglichst
allgemeine Betheiligung an den öffentlichen Angelegenheiten statt-
fände; denn in der Menge der ärmeren Bürger lag ihre Macht, und die
geringen Leute sollten sich weder aus Scheu noch aus Dürftigkeit fern
halten. Um also die durch Aristeides begründete Gleichberechtigung
aller Bürgerklassen in Wahrheit durchzufuhren, mussten Entschä-
digungen für öffentlichen Dienst, d. h. Diätenzahlungen, eingeführt wer-
den. Denn alle Bürger sollten sich die politische Bildung erwerben
können, welche sich nur in der Praxis erlangen lässt, namentlich in
der Theilnahme an den Gerichten und an den Verhandlungen im Raths-
collegium. Kein Bürger soll durch seine Verhältnisse verhindert sein,
sich nach besten Kräften um das Gemeinwesen verdient zu machen;
sonst bleibt allen Verfassungsgesetzen zum Trotz Bildung, Erfahrung
und Macht ein Privilegium der Reichen.
Sobald dieser Gedanke einmal aufgestellt war, musste er auch
nach und nach in allen Beziehungen durchgeführt werden; am
ehesten bei den Gerichten.
Durch Solon war mit der obersten Staatshoheit auch die ober-
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21S
KKKLEStA 1>D HELIAIA
richterliche Gewalt der Bürgergemeinde übertragen worden; sie war
befugt, die abtretenden Beamten zur Rechenschaft zu ziehen, und der
attische Bürger durfte vom Richterspruche des Beamten an die Ge-
meinde appelliren. Dies war Ton allen Volksrechten das wichtigste,
von allen Zugeständnissen das folgenreichste.
Die Börgerschaft kam fortan in zwiefacher Form zusammen ; ent-
weder als 'Ekklesia', um bei der Regierung des Staats ihre Hoheits-
rechte wahrzunehmen, d. h. die Beamten zu wählen und die Gesetze
zu bestätigen, oder als 'Heliaia' zur Ausübung ihres Oberrichteramts
(I, 324), abgesehen von den aufserordentlichen Fällen, in denen die
Volksversammlung selbst als Gerichtshof tagte.
Heliaia ist ursprünglich nichts Anderes als Volksversammlung,
und wahrscheinlich hat es eine Zeit gegeben, da die gesamte Bürger-
schaft als Heliaia zusammenkam, so lange die Berufung an die oberste
Instanz selten vorkam. Wir kennen das attische Volksgericht aber
nur als eine kleinere Bürgerschaft, als einen Ausschuss, welcher
aus den mehr als dreifsigjährigen Bürgern durch das Loos ausgehoben
wurde. Auf diesen Ausschuss übertrug die Bürgerschaft ihre ober-
richterliche Vollmacht, und die Mitglieder desselben wurden durch
einen besonderen Eid, dessen Formel aus Solons Zeit stammen sollte,
verpflichtet, unparteiische Hüter der Gesetze zu sein. Sie waren keine
Beamte, hatten aber ein öffentliches Mandat; sie hatten also eine
Mittelstellung zwischen Privatleuten und Beamten.
An die Ausbildung der Volksgerichte hat sich die Entwickelung
der Demokratie vorzugsweise angeschlossen. Denn es ist nach Solon
allmählich dahin gekommen, dass die Beamten, welche mit der He-
gierungsgcwnlt auch die richterliche Entscheidung über alle zu ihrem
Amiskreise gehörigen Rechtssachen hatten, auf die formale Einleitung
des Prozesses beschränkt wurden ; d. h. sie nahmen die in ihren
Amiskreis gehörigen Klagen an, verhörten die Parteien und brachten
die Sache, wenn sie spruchreif war, zur Entscheidung an das Volks-
gericht.
Als Kleisthenes die Demokratie neu befestigte und vollendete,
werden auch diese Einrichtungen ihre bleibende Form erhalten haben.
Es wurde jedes Jahr durch die Archonten aus allen zehn Bürger-
stämmen eine Anzahl von Heliasten erloost, welche auf der Hochfläche
des Ardettos oberhalb des panalhenäischen Stadiums vereidigt wurden.
Die Geschwornen wurden dann in zehn Sectionen getheilt; jede der-
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EST WICKELUNG DER HELIAYA,
219
selben, aus allen Stämmen gemischt, bildete einen Gerichtshof (Dika-
sterion). Die Normalzahl jeder Section betrug 500 ; es konnten aber
dieselben Börger verschiedenen Seclionen angehören. Von der Be-
deutung der einzelnen Rechtssachen hing es ab, ob ganze Seclionen
den Gerichtshof bildeten oder nur Theile derselben oder auch mehrere
Seclionen zu einem Gerichtshofe verbunden wurden. Je gröfser der
Gerichtshof war, um so weniger war Bestechung der Richter zu be-
fürchten. Auch die Oeffentlichkeit des Verfahrens schützte vor par-
teiischen Urteilssprüchen und ebenso der Umstand, dass erst unmit-
telbar vor der Sitzung aus den verschiedenen Gauen die Geschwornen
durch das Loos zu einem Gerichtshöfe vereinigt wurden m).
Eine neue Epoche trat nach der Beschränkung des Areopags ein.
Man suchte nach Ersatz und stiftete das Collegium der Gesetzes wächter
(S. 159). Diese Einrichtung scheint sich nicht bewährt zu haben.
Man kam auf einen andern Gedanken, nämlich eine Reihe von Befug-
nissen des allen Areopags auf die Geschwornen zu übertragen und
diesem Institute der Demokratie eine gewisse conservative Bedeutung
zu geben. Ja, wir können darin einen Gedanken echter Slaatsweis-
heit erkennen , dass man nach Aufhebung der Bevormundung durch
den Areopag die Bürgerschaft von Athen sich selbst controliren und be-
aufsichtigen liefs; d. h. die grofse Bürgerschaft durch die kleinere, die
Volksversammlung durch die Heliaia, in welcher die kleinere Anzahl,
der Ausschluss der Unreifen, die Gebundenheit durch den Eid und die
Form der Verhandlung eine Bürgschaft dafür gaben, dass eine ge-
wissenhafte Erörterung der öffentlichen Angelegenheilen stattfinden
werde. Wie weitPerikles bei dieser Einrichtung persönlich betheiligt ge-
wesen ist, lässt sich nicht entscheiden. Wir können uns aber von dem
Wesen ^derselben eine Vorstellung machen, wenn wir die Punkte zu-
sammenstellen, in welchen die attische Heliaia eine über die Juris-
diktion hinausgehende, wesentlich politische Bedeutung gehabt hat.
So beschwören die Heliasten als Vertreter der Gemeinde neben dem
Rath den Vertrag mit Chalkis (S. 180). Die endgültige Bestätigung sol-
cher Verträge, welche natürlich erst nach eingehender Prüfung erfolgte,
fällt also in die Competenz der Gerichtshöfe; ebenso die Feststellung
der Tributsätze für die Bundesgenossen, nachdem Alles, was von beiden
Seiten zu Gunsten der niedrigeren wie der höheren Sätze vorgebracht
werden konnte, vor den Geschwornen erörtert worden war. Auch
die von der Volksversammlung erlassenen Gesetze wurden von den Ge-
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POLITISCHE BKDEUTU.NC DER HEI.IAIA.
schwornen geprüft, ebenfalls in Form eines Rechtshandels, bei dem
die Ansprüche der alten und der neuen Salzungen gegen einander ab-
gewogen wurden. Ferner entschied der Ausspruch der Geschwornen
über die Würdigkeit eines zu einem öffentlichen Amte erbosten Bür-
gers, wenn dieselbe beanstandet worden war; eine richterliche Ent-
scheidung, bei welcher auch die politische Gesinnung in Betracht kam.
Auch die in Amt und Würden stehenden Beamten konnten während
der Amtszeit zur Verantwortung gezogen werden. Von besonderer
Wichtigkeit war aber die Prüfung persönlicher Würdigkeit hei der
Aufnahme eines Fremden in die Bürgergemeindc.
An den Finanzen waren die Geschwornen betheiligt, insofern sie
zur Uebernahme dauernder Verpflichtungen, wie Dotationen und dgl.
ihre Zustimmung gaben und die gewissenhafte Erfüllung solcher
Verpflichtungen veranlassen mussten. Die Gerichte bildeten also in
Athen eine Art von ständiger Behörde mit einem geordneten Vor-
stande, den 'Nomotheten', nach denen auch wohl das ganze Collegium
genannt wird, und wir können sagen, dass mit Ausnahme der laufen-
den Verwallungsgeschäfle Alles, was mit dem öffentlichen Leben zu-
sammenhing, in die Competenz der Gerichte gezogen werden konnte
oder musste. Unbeschadet des Prinzips der Volkssouveränität hat
man darin ein Mittel gefunden, den Gefahren der Unbesonnenheit
und Uebereilung vorzubeugen. Alle wichtigeren Beschlüsse der Volks-
versammlung wurden von vereidigten Richtercollegien noch einmal
geprüft; in der prozessualischen Form der Verhandlung aber lag die
Nölhigung, alle fraglichen Punkte scharf zu erörtern und eine bündige
Entscheidung zu erzielen. So war in dieser merkwürdigen Organi-
sation der Geschwornengerichte in der That etwas erreicht, was dem
politischen Oberaufsich Urechte entsprach, wie es der Areopag bis 80,
1 ; 460 ausgeübt hatte. Dies System blieb für die folgenden Zeiten
mafsgebend, auch als die rein gerichtliche Thätigkeit der Geschwor-
nen sich zusehends vergröfserte.
Freilich bestand noch aus alter Zeit das Institut der Gaurichter,
welche in der Landschaft umherzogen, um Bagatellsachen zu schlichten,
und aufserdem das der Schiedsrichter oder Diäteten, welche entweder
von den Parteien gewählt oder vom Staate verordnet waren und viele
Sachen erledigten, und endlich die Handelsgerichte. Aber es war
dennoch bei dem schnellen Anwachsen der Bevölkerung und dem
Aufschwung von Handel und Verkehr die Zahl der Prozesse in
• KMCHTSZWA.NG DER COLONIBK ÜKD B0XDESGE.NOSSE1H. 221
solcher Zunahme, dass die Geschäftslast der Geschwornen von Jahr
zu Jahr stieg und auch die Unbemillelten herangezogen werden
musslen.
Den bedeutendsten Einüuss übten hier die bundesgenössischen
Verhältnisse. Als nämlich die Hegemonie Athens immer mehr zu
einer Herrschaft wurde, nahm die attische Börgergemeinde über alle
Bundesgenossen das oberrichterliche Recht in Anspruch. Die eidge-
nössischen Orte behielten nur ihre Untergericlile, die bis zu einem
gewissen Satze die Entscheidung hatten; alle wichtigeren Privat-
händel, alle Öffentlichen und alle peinlichen Sachen kamen vor die
attischen Geschwornen.
Dieser Gerichtszwang hatte einen zwiefachen Ursprung. Denn was
die Streitigkeiten zwischen den Bundesgliedern betrifft, so waren
ursprünglich die Versammlungen derselben berufen, solche Händel
zu schlichten. Als nun der Bundesschatz nach Athen verlegt war
und die Tagsatzungen aufhörten, traten die attischen Gerichte an
die Stelle derselben. Zweitens war der Gerichtszwang eine Form
des Souveränitätsrechts, welches Athen in Beziehung auf die Bundes-
genossen in Anspruch nahm, indem nach griechischem Rechtsbe-
griffe die Unselbständigkeit eines Staats nicht bestimmter ausgedrückt
werden kann, als wenn die Angehörigen desselben angehalten werden,
vor den Gerichten eines andern Staats nach dessen Gesetzen Recht
zu suchen.
Dies galt besonders von den Colonien, welche nach ältestem
Brauche ganz allgemein ihre Rechtshändel in der Muttersladt führen
musslen. Dem Colunial rechte war aber auch der Begriff der Hege-
monie entlehnt; denn die Heeresfolge war ebenfalls eine Pflicht der
Colonien. Da nun Athen sich als Mutterstadt der ionischen Städte
ansah, so knüpfte es allerdings auch bei Einführung des Gerichts-
zwangs an Normen des älteren griechischen Staatsrechts an. Indessen
war dieselbe zu dieser Zeil und in diesem Umfange doch nichts als
ein Schritt der Gewalt, wenn man auch allerlei Formen ausfindig
machte, um den schroffen Eingriff in fremde Rechte zu mildern.
Man wird scheinbar die freiwillige Zustimmung der Bundesorte er-
langt und Verträge darüber geschlossen haben. Dann erklärt sich
auch, wie man die Prozesse der Bundesgenossen zu der Gattung von
Rechtssachen rechnen konnte, welche 4nach Verträgen1 erledigt wurden.
Es war ein milderer Ausdruck für ein aufgezwungenes Verhältniss,
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BERICHTS- UND VOLKSVER.vVMMLL.NGSSOLD.
wie ja auch der Name 'Bundesgenossen' slatl 'Unlerlhanen' nur der
Milde wegen beibehalten wurde113).
Dieser Gerichtszwang hat freilich nie für das ganze Bundesgebiet
wirklich bestanden« aber seine Ausdehnung war bedeutend genug,
um die altischen Gerichte mit Geschäften zu überladen. Mit Ausnahme
der Fest- und Volksversammlungstage safsen die Geschwornen Tag
für Tag in ihren verschiedenen Abiheilungen. Die ganze Stadt
glich einem grofsen Gerichtshofe, wenn man am frühen Morgen voll
Amtseifer das Heer der Geschwornen, etwa den zehnten Theil der
Bürgerschaft, in Bewegung sah, um sich in ihre verschiedenen Lokale
zu verlheilen. Hier wurde also so viel Zeit und Mühe für den öffent-
lichen Dienst gefordert, dass eine Entschädigung der Bürger billig
war; um so mehr, da die in der Stadt und ihrer Umgebung
wohnenden uuverhältnissmäfsig stark in Anspruch genommen wurden,
während man in den ferneren Gauen ruhig seinen Geschäften leben
konnte. Dazu kam, dass eine Vergütung für das Rechtsprechen alter
Sitte entsprach; auch die Schiedsrichter wurden von ihren Parteien
bezahlt; hier endlich waren durch die Gerich tssporleln die Mitlei am
leichtesten zu beschatten. So kam es denn auf diesem Gebiete zu-
erst dazu, dass die Bürger für die Uebernahrae von Pflichten, welche
mit der Ausübung eines der Hoheils rechte der Gemeinde verbunden
waren, Geld erhielten; die Geschwornen bekamen für jeden Gerichts-
tag, an welchem sie thälig geweseu waren, einen Obolos (14 Pf.), eine
Entschädigung, für die sie gerade im Stande waren, sich für den
Tag Brod zu kaufen. Zwei 0 holen erhielt der Fufssoldat als Tages-
sold und ebensoviel Verpflegungsgeld ; der Reiter das Doppelle. Unter
schwierigen Umständen wurde der Sold erhöht.
Dazu kamen noch andere Löhnungen im Friedeusdienst. Es
wurden Silzungsgelder für die Mitglieder des Raths im Betrag von
6 Obolen oder einer Drachme Festgesetzt. Auch die öffentlichen
Redner wurden bezahlt, wenn sie im Auftrage des Staats sprachen.
So breitete sich das Löhnungswesen (Misthophorie) immer weiter
im Gemeindeleben aus, und keine von allen Neuerungen hat in das
Wesen des ganzen Staats tiefer eingegriffen, weil man sich dadurch
von der alten Ansicht der Hellenen lossagte, welche die Vertretung
der Gemeinde in Krieg und Frieden ab eine Ehrensache ansahen
und bei Allen, die sich mit Staatsgeschäflen abgeben_wolllen, eine
gewisse Unabhängigkeit der bürgerlichen Stellung voraussetzten.
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DIE VOLLENDETE VOLKSH ERBSCHAFT.
223
Perikles ist im Alterthum immer als derjenige angesehen worden,
welcher diesen Umschwung veranlasst habe, und er ist von seinen
Gegnern, den gleichzeitigen wie den nachgebornen, für das verant-
wortlich gemacht, was man vorzugsweise als das Unwesen der
vollendeten Demokratie ansah.
Myronides, der zur Zeit der Perserkriege schon Staatsämter be-
kleidete, galt für den Vertreter der 'guten alten Zeil1, wie die Conser-
valiven sie nannten. 'Als der edle Myronides noch im Regiment
war* sagt Aristophanes, 'da wollte Keiner sich für Besorgung öffent-
licher Angelegenheiten bezahlen lassen1. Perikles, sagt Plato, habe
das Volk träge, geschwätzig und geldgierig gemacht; ihm gab man
Schuld, dass die Leute Feldarbeit und Handwerk liegen liefsen, um
ihre Zeit in Versammlungen zu sitzen und an politischen Debatten
Theil zu nehmen.
Es lässt sich aber nur die Richterbesoldung auf Perikles zurück-
führen, während die Tagegelder für Volksversammlungen in seiner
Zeit überhaupt nicht nachgewiesen werden können. Auch hat es
damit offenbar eine ganz andere Bewandtniss. Denn während das
Rechtsprechen als eine, zum Theil für Fremde, übernommene Mühe
angesehen werden konnte, als die Uebernahme amtlicher Funktionen,
zu denen man sich meldete, war die Theilnahme an den Berathungen
der Volksversammlung ja nichts Anderes als die einfache Ausübung
von Rechten und Pflichten, zu denen alle Bürger als solche berufen
waren. Gewiss war die dafür eintretende Besoldung die späteste,
und es hat sich bis jetzt noch nicht ermitteln lassen, wann der
Volksversammlungsoboios in Athen eingeführt worden sei114).
Im Allgemeinen aber ist des Perikles Stellung zu diesen Neu-
erungen klar. Seine Gegner waren die Aristokraten, deren vorwiegen-
der Einfluss gebrochen werden musste, wenn seine Ideen verwirklicht
werden sollten. Das geschah, je mehr auch die gewöhnlichen Bürger
sich am Staatsleben belheiligen konnten. Bei der hohen Bedeutung,
welche, wie wir gesehen haben, auch in politischen Dingen die Ge-
richte hatten, kam es Perikles besonders darauf an, die Theilnahme
daran auch den Aermeren zu erleichtern; die Entschädigungsgebühren
waren sehr karg bemessen und so blieb der gewissenhafte Dienst
immer noch ein Opfer.
Es bat keinen Staat gegeben, welcher an die Bürger so hohe
Ansprüche gestellt hat wie das perikleische Athen. Deshalb durfte
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ME STELLUNG DES PERIKLES.
auch Ehre und Einfluss im Staat nicht von den Zufälligkeiten der
VermögensverhällniBse abhängig sein.
Es sollte ein Ruhm der Stadl sein, dass durch alle Stände Kennt-
niss des Staatswesens in seinen inneren und äufseren Beziehungen,
Kennmiss des Rechtsgangs, Sicherheit des Urteils und Uebung der
Rede verbreitet sei und dass möglichst alle Bürger abwechselnd selbst
regierten und regiert wurden. Perikles begünstigte eine solche Aus-
bildung der Demokratie, weil die alten Parteien und Standesunter-
schiede, welche Thukydides, des Melesias Sohn, wieder zu beleben
gesucht halte, dadurch beseitigt wurden, weil die Stadt dadurch an
Einigkeit und Festigkeit gewann, und weil nach Beseitigung der
inneren Spaltungen die gesamte Bürgerschaft um so leichler zu leiten
war. Die vollendete Volksherrschaft war die notwendige Vorstufe zur
persönlichen Herrschaft des Perikles.
Darum war Perikles auch ein Anderer, als er die Herrschaft in
Händen hatte; nichl als ob er seine Grundsätze verändert oder eine
Maske abgeworfen hätte; aber er konnte nun die demagogischen
Mittel verschmähen, welche nothwendig waren, um die Bestrebungen
seiner Gegner zu überwinden; er konnte freier aus sich selbst heraus
handeln, seit er aufgehört hatte, Parteigänger zu sein. Darum trat
er, der selbst ein geborener Aristokrat war, ernster und strenger auf
und liefs den Abstand, der zwischen ihm und allen übrigen Athenern
war, deutlicher hervortreten. Nachdem er seit dem Tode des
Aristeides vier und zwanzig Jahre lang seine Zwecke unverändert
verfolgt hatte, war er nach Verbannung des Thukydides an seinem
Ziele angelangt; die Bürgerschaft halte sich gewöhnt ihm zu ge-
horchen115).
Wenn sich Perikles nun fünfzehn Jahre lang an der Spitze des
Staats behauptete und eine auf ihre Rechte eifersüchtige Bürger-
schaft ohne Gewalt und ohne Verfassungsbruch nach seinem Willen
regieren konnte, so kamen ihm dabei die Zeilverhältnisse in so fern
zu Gute, als man in Athen der Zwistigkeilen müde war, welche die
Bürgerschaft so lange in unausgesetzter Spannung gehalten halten.
In den letzten vierzig Jahren war ein Parteikampf dem anderen
gefolgt; man hatte Xanthippos gegen Milliades, Themislokles gegen
Aristeides, Kimon und Ephialles, Thukydides und Perikles mit ein-
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PERIKLES ALS VOLKSREDNER.
225
ander kämpfen und das Gemeinwesen zwischen den verschiedensten
Einflüssen zurückhaltender und vorwärts drängender Politik hin und
her schwanken gesehen. Der letzte, erbittertste Kampf hatte den
Ueberdruss gesteigert, und als die kimonische Partei entwaffnet war,
wünschte die grofse Mehrzahl der Bürger dem Staate innere Ruhe
und gegen aufsen eine feste, stetige Haltung. Diese Stimmung
machte sich Perikles zu Nutze, und darum nannten die Komiker
ihn, als er dem olympischen Zeus gleich über der Stadt waltete,
den Sohn des Kronos und der Stasis, d. h. der Parteifehde; denn
die vorangegangenen Parteifehden hatten ihn grofs gemacht116).
Die Athener waren schwer zu regieren, weil Jeder selbst prüfen
und urteilen wollte, wie denn die Demokratie überall nichts von
Leuten wissen mag, welche Gehorsam fordern. Dazu kam, dass
die Ungleichheit zwischen Beamten und Nichtbeamten durch den
raschen Wechsel sich möglichst verringerte, und dass seit Einführung
des Looses der Respekt vor den obrigkeitlichen Personen in steter
Abnahme war.
Hier war seit den Perserkriegen Vieles anders geworden. In
der älteren Zeit hatten die Reichen und Vornehmen schon im
Standesinteresse dafür gesorgt, dass nur die Tüchtigsten als Bewerber
auftraten. Auch später noch wurden Untüchtige dadurch von der
Bewerbung zurückgehalten, dass sie des Tags gedachten, an welchem
sie persönlich und öffentlich Rechenschaft von ihrer Amtsführung
abzulegen hatten. Aber diese Scheu verlor sich allmählich; der
Zufall des Looses gewann gröfseren Spielraum, und damit sank die
Ehre des Amts. Die Archontenstellen behielten noch eine gewisse
Würde, weil sie unbesoldet blieben und einigen Aufwand verlangten;
deshalb hielten sich die Aermeren von ihnen fern; aber es waren
Ehrenposten ohne politischen Einfluss.
Je mehr die Regierungsstellen an Bedeutung verloren, um so
mehr ging die leitende Macht des Staats in die Hände der Volks-
redner über; denn ihr Einfluss war vom Jahreswechsel und von
Rechenschaftspflicht unabhängig; ihnen gehorchte das Volk, weil sie
nicht Gehorsam verlangten, sondern überzeugen wollten. Wem also
die Gemeinde das Vertrauen schenkt, dass er die Interessen des
Gemeinwesens am besten zu beurteilen und am klarsten auszusprechen
wisse, der herrscht als Vertrauensmann der Bürgerschaft. Diese
Stellung vermochte Niemand dem Perikles streitig zu machen; denn
CnrtlM, Gr. Gmcb. IL 6. Aufl. 15
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226
PERIKLES ALS ORERFELDHERR.
die Männer, welche neben ihm in Athen lebten und bei hohem
Ansehen verschiedene Ansichten vertraten, wie Myronides und Toi*
niides und Leokrates, der Besieger Aiginas; sie waren tapfere Feld-
herrn, aber aufser Stande, einem Perikles die Leitung der Bürger-
schaft streitig zu machen.
Wenn aber Perikles nur als Privatmann seinen EinQuss hätte
ausüben sollen, so wäre er in seiner Wirksamkeit sehr beengt ge-
wesen; dann hätte er immer nur in den von Anderen berufenen
Volksversammlungen reden können. Er konnte deshalb, wenn er
ohne Verletzung der Verfassung die Regierung führen wollte, amt-
licher Vollmachten nicht entbehren. Es gab aber unter den Aemtern,
welche eine besondere Befähigung verlangten und eben darum durch
Wahl der Gemeinde besetzt wurden, kein wichtigeres als das der
Feldhauptmannschaft oder Strategie.
Dies Amt war an Bedeutung gestiegen, je mehr die Loosämter
gesunken waren; es wurde immer wichtiger, je mehr Athen eine
auf Waffengewalt gegründete Herrschaft führte, und man blieb dabei,
zu diesem Amte vorzugsweise Männer aus angesehenen Familien zu
wählen, deren Namen eine gute Vorbedeutung hatten. Die Strategen
hatten aber nicht nur den Oberbefehl der Land- und Seetruppen;
sie ernannten und beaufsichtigten auch die Führer der Trieren,
welche für den kriegstüchtigen Zustand ihres Schifies einstehen
mussten; sie leiteten zugleich die auswärtigen Verhältnisse, sie
nahmen die Anträge fremder Gesandten entgegen, setzten die Bürger-
versammlungen an, wo sie die Gesandten einführten, und bereiteten
die Angelegenheiten zur Entscheidung vor. Sie hatten eine allgemeine
Aufsicht über die Sicherheit der Stadt und waren deshalb befugt,
Volksversammlungen zu verbieten oder aufzulösen, wenn sie zur Zeit
grolser Aufregung dem Staate gefahrlich werden konnten.
Die lange Kriegsschule, welche Perikles durchgemacht, die seltene
Verbindung von Vorsicht und Energie, welche er in jedem Commando
gezeigt hatte, hatten ihm auch in dieser Beziehung das wohlverdiente
Vertrauen der Bürgerschaft erworben. Auch die Unfälle des Staats,
wie der Schreckenstag von Koroneia, hatten sein Ansehen erhöht, weil
er zur rechten Zeit, wenn auch vergeblich, gewarnt hatte (S. 178).
Darum wählte sie ihn eine Reihe von Jahren nach einander zum Feld-
hauptmann, bekleidete ihn als solchen auch mit außerordentlichen
Vollmachten, wodurch die Stellen der anderen neun Feldherrn zu
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PERIKLES' AUSSERORDENTLICHE MACHTBEFUGNISSE. 227
blofsen Ehrenämtern wurden, weiche man mit Personen besetzte, die
ihm genehm waren. Eis kam auch vor, dass die zehn Feldherrn eines
Jahres aus den zehn Stämmen gewählt wurden, Perildes aber außer-
ordentlicher Weise aus der gesamten Bürgerschaft hinzugewählt wurde.
So liel während der Zeit seiner Verwaltung der ganze Schwerpunkt des
öffentlichen Lebens in dies Amt; als Strateg hat er die wichtigsten
Gesetze durchgebracht; als solcher war er der dirigirende Präsident der
Republik, und der Helm, mit welchem er sich von den Bildhauern dar-
stellen liefs, diente nicht dazu, seinen spitzen Schädel zu verstecken,
wie die Komödiendichter spottweise sagten; sondern er bezeichnet das
Feldherrnamt als den Kern seiner öffentlichen Stellung, und es wird
auch ausdrücklich überliefert, dass die von Jahr zu Jahr verlängerte
Strategie die eigentliche Grundlage seiner den Staat beherrschenden
Vollmacht gewesen sei117).
Weniger klar ist sein Verhältniss zum Staatshaushalt. Denn das
Amt eines obersten Finanzvorstehers, welches wie das des Feldhaupt-
manns durch Wahl besetzt wurde, lässt sich in der perikleischen Zeit
nicht nachweisen, und wir wissen nicht, wie damals die Finanz Ver-
waltung an oberster Stelle geordnet war. Aber das können wir mit
Sicherheit annehmen, dass Perikles diesen Verwaltungszweig voll-
kommen überschaute und ihn während der Jahre seiner Staatsleitung
entweder durch eigene Ausführung oder dadurch, dass von ihm ab-
hängige Männer an entscheidender Stelle standen, in seiner Hand
hatte m).
Wichtig waren endlich die commissarischen Geschäftsführungen,
welche auch durch Wahl übertragen wurden, um durch geeignete
Männer Beschlüsse der Bürgerschaft, deren Ausführung einer sachver-
ständigen und kräftigen Oberleitung bedurfte, in's Werk zu setzen.
Dazu gehörten die Ergänzungen der Kriegsbereitschaft an Waffen und
Schiffen, die Wiederherstellung und Verstärkung der Befestigungs-
werke, die Anordnung bürgerlicher Feste und vor Allem die öffent-
lichen Bauten, welche zu Ehren der Götter und zum Schmuck der
Stadt unternommen wurden. Die Vorsteher (Epistaten) der öffentlichen
Werke erhielten von der Bürgerschaft ihre Vollmacht für die Dauer des
Geschäfts und hatten während dieser Zeit eine sehr ausgedehnte Amts-
gewalt, indem die Menge der Künstler, Handwerker und Arbeiter, also
ein grofser Theil der von Tagelohn lebenden Einwohnerschaft Attikas,
unter ihrem persönlichen Einflüsse stand; sie vertheilten die Arbeit
15»
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228
DIE STAATSLEITUNG DES PEIUKLES.
und beaufsichtigten die Arbeiter, sie safsen zu Gericht über alle unter
ihnen vorkommenden Streitigkeiten, sie hatten bedeutende Summen zu
verwenden und erlangten dadurch, wenn sie wiederholt und auf längere
Zeit zu grofsen Bauführungen durch das Vertrauen der Bürger-
schaft berufen wurden, einen sehr bedeutenden und weitgreifenden
Einfluss.
Wenn nun Perikles mit den Vollmachten einer ausserordentlicher
Weise verlängerten Strategie bekleidet war, wenn er das immer ver-
wickelter werdende Finanzwesen besser als irgend ein Anderer durch-
schaute und die oberste Finanzverwaltung durch seinen Einfluss be-
herrschte, wenn er wiederholt und auf lange Jahre Vorsteher der
öffentlichen Bauten war, wenn er ab erwählter Ordner oder Athlothet
die grofsen Bürgerfeste leiten und glänzend erweitern konnte, wenn er
ausserdem so viel persönlichen Einfluss hatte, dass er die Wahlen der
Bürgerschaft in allen wichtigen Fällen nach seinem Wunsche zu lenken
vermochte: so begreift man, wie Perikles in Kriegs- und Friedens-
zeiten den Staat in seiner Hand hatte, wie die durch's Loos besetzten
Aemter für die Politik des Staats ganz bedeutungslos wurden und
auch die Macht von Rath und Bürgerschaft wesentlich in seine Hände
überging. Es war das mit allen gesetzlichen Vollmachten ausge-
stattete, von der Gemeinde Jahr für Jahr neu anerkannte, persön-
liche Regiment eines Mannes, dem seine Mitbürger als dem vor Allen
zur Leitung berufenen Staatsmanne huldigten.
Dadurch wurde eine folgerechte und feste Staatsregierung möglich,
wie sie in gefährlichen Zeiten alle vernünftigen Bürger wünschen
mussten: aber freilich waren auch die wesentlichsten Grundsätze der
Demokratie thatsäcblich aufgehoben, der Wechsel der Amtsgewalt, die
Vertheilung der Macht, ja selbst die Rechenschaftspflicht, die erste
Bürgschaft der Volkssouveränität. Unter dem Titel 'notwendiger
Staatsbedürfnisse' durfte er Summen von zehn Talenten verrechnen
(wie er sie z. B. bei Kleandridas und Pleistoanax anwendete, S. 179),
ohne dass Jemand wagte, im Namen des Volks eine offene Darlegung
des Sachverhalts zu fordern. Ein Beamtenstand, welcher Widerstand
leistete, war nicht vorhanden, weil alle Beamten sofort in das Privat-
leben zurückkehrten. Perikles allein mit einer fortwährenden Amts-
gewalt bekleidet, welche alle Richtungen des öffentlichen Lebens be-
herrschte, stand in einsamer Gröfse fest und ruhig über dem bewegten
Staate1").
PERIKLES' HÄUSLICHE VERHÄLTNISSE.
229
Perikies war klug genug, immer nur die Hauptsache im Auge zu
haben und alles Aeufserliche zu vermeiden, was ihn der bürgerlichen
Gemeinschaft entfremden oder Neid erregen konnte. Er wusste wohl,
dass seine Macht vom grofsen Haufen erst dann mit Missgunst ange-
sehen werden würde, wenn sie mit äufserem Prunk und glänzendem
Lebensgenüsse verbunden wäre. Darauf Verzicht zu leisten wurde ihm,
dem Philosophen, nicht schwer. Er war das Muster eines mäßigen
und nüchternen Mannes. Er machte sich zur Regel, an keinem Fest-
gelage Antheil zu nehmen, und kein Athener konnte sich erinnern,
Perikies, seit er an der Spitze des Staats stand, mit Freunden beim
Weine gesehen zu haben. Niemand kannte ihn anders, als vollkommen
ernst und gesammelt, nachdenkend und vielbeschäftigt. Sein ganzes
Leben war dem Staatsdienste gewidmet und seine Macht mit so viel
Selbstverleugnung und Arbeit verbunden, dass sie der lebenslustigen
Menge wahrlich nicht als ein beneidenswerther Vorzug erscheinen
konnte. Sein Gang war ruhig wie alle seine Bewegungen; auch sah
man ihn nie vor der Stadt lustwandeln oder an öffentlichen Plätzen
sich der Mufse freuen. Für ihn gab es nur einen Weg, den man ihn
täglich gehen sah, den Weg von seinem Hause nach dem Markte, dem
Rathhause und dem Strategion, dem Gebäude, wo das Feldherrn-
collegium zusammenkam und die wichtigsten Beschlüsse vorbereitet
wurden.
So streng er äufserlich erschien, war er doch milde und menschen-
freundlich, auch gegen die Geringsten seiner Umgebung, und je ein-
gezogener er lebte, um so mehr widmete er bewährten Dienern eine
väterliche Zuneigung. Die Bildhauer bemühten sich Lieblingssklaven
darzustellen, die in seinem Hause grofe geworden, und als er über den
Sturz eines geschickten Arbeiters untröstlich war, soll ihm im Traume
das Heilmittel von Athena offenbart worden sein.
Seine häuslichen Verbältnisse waren nicht glücklich. Er hatte
sich (schon vor 83, 2; 451) mit einer Verwandten vernein» thet, welche
zuvor die Frau des reichen Hipponikos, des Sohnes des Kallias (S. 183),
gewesen war; sie gebar ihm zwei Söhne, Xanthippos und Paralos.
Aber die Neigungen der Eheleute passten nicht zu einander. Der ver-
wöhnten Frau mochte das strenge Wesen des Mannes wenig zusagen,
während er durch Aspasia von Milet den Zauber eines auf tiefer
Neigung und gegenseitigen Verständnisses beruhenden weiblichen Um-
gangs kennen gelernt hatte, welcher ihm das bestehende Verhältniss
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230
FERIKLES UND ASrASlA.
unerträglich machte. Die Ehe wurde getrennt. Die Frau folgte ihrer
Neigung, indem sie eine dritte Verbindung einging, Perikles aber nahm
Aspasia zu sich1'0).
Aspasia, die Tochter des Axiochos, war eine Frau nach Art der
Thargelia (S. 58), welche derselben Stadt angehörte und als ihr Vor-
bild angesehen wurde. Auch sie war keine Dienerin üppiger Freude,
wie die gewöhnlichen Buhlerinnen von Ionien und Korinth ; sie wollte
nicht nur Genuss verschaffen und selbst geniefsen, sondern durch
Schönheit und Bildung die bedeutendsten Männer an sich ziehen und
durch die Verbindung mit ihnen Einfluss und Macht gewinnen. So
kam sie nach Athen, in der Zeit, wo alles Neue und Außerordentliche,
wo Alles, was eine Erweiterung des Herkömmlichen zu sein schien,
mit Freuden aufgenommen wurde. Auch sah man bald, dass es keine
angelernten Verfuhrungskünste waren, wodurch sie die Gemuther
fesselte; es war eine hohe, reichbegabte Natur, voll Sinn für alles
Schöne, harmonisch und glücklich entwickelt Zum ersten Male sah
man den vollen Schatz hellenischer Bildung im Besitze eines weiblichen
Wesens und betrachtete voll Erstaunen diese wunderbare Erscheinung.
Mit hinreifsender Anmuth wusste sie sich über Staat, Philosophie und
Kunst, über Alles, was das Interesse der Gebildeten in Anspruch nahm,
zu unterhalten, so dass die ernstesten Athener, selbst Männer, wie
Sokrates, sie aufsuchten, um ihrer Rede zuzuhören. Ihre eigentliche
Bedeutung für Athen erhielt sie aber an dem Tage, da sie mit Perikles
bekannt wurde und sich ein Verbältniss gegenseitiger Liebe zwischen
ihnen entwickelte; denn die dauernde Lebensgemeinschaft, welche
Perikles mit ihr schloss, zeugt dafür, dass es nicht Genussliebe und
flüchtige Aufregung war, worauf dies Verhältniss beruhte. Es war ein
wirklicher Ehebund, welchem nur deshalb die bürgerliche Anerkennung
fehlte, weil sie eine Ausländerin war; es war ein Bund treuer Liebe, der
nur durch den Tod gelöst wurde, die reiche Quelle eines häuslichen
Glücks, dessen Keiner mehr bedurfte, als der von allen äußeren Zer-
streuungen zurückgezogene, unablässig arbeitende Staatsmann.
Gewiss war der Besitz dieser Frau in vielen Beziehungen für
Perikles unschätzbar. Nicht nur, dass ihre Gaben die Mußestunden
erfreuten, welche er sich gönnte, und seinen sorgenvollen Geist er-
frischten, sie erhielt ihn auch im Verkehre mit dem täglichen Leben ;
sie besafs, was ihm fehlte, eine leichte und bequeme Weise, mit
Menschen aller Art umzugehen; sie war von Allem, was in der Stadt
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PERIKLES' ÖFFENTLICHER CHARAKTER.
231
vorging, unterrichtet; auch das Ferne entging ihrer Aufmerksamkeit
nicht, und sie soll mit der sicilischen Beredsamkeit, welche sich
damals entwickelte, Perikles zuerst bekannt gemacht haben. Sie
unterstützte ihn durch ihre mannigfaltigen Verbindungen im In-
und Auslande, wie durch den Scharfblick weiblicher Klugheit und
Menschenkenntniss. So lebte die geistreichste Frau ihrer Zeit neben
dem Manne, der mit überlegenem Geiste die erste Stadt der Hellenen
leitete, ihrem Freunde und Gatten treu ergeben; und so begierig
auch die Spötter in Athen Alles aufsuchten, was an Perikles' Leben
auszusetzen war, so ist doch keine Verläumdung im Stande gewesen,
diesen Bund zu verunglimpfen und das Andenken desselben zu ver-
un ehren.
Mit Verwaltung seines Vermögens sich selbst zu beschäftigen,
hatte Perikles keine Zeit. Er verpachtete seine Besitzungen und über-
gab das Geld seinem erprobten Sklaven Euangelos, der das Mafs,
welches seinem Herrn das richtige schien, genau kannte und darnach
den Hausstand besorgte, der freilich von dem der reichen Familien
Athens sehr abstach und dem Geschmacke der heranwachsenden Söhne
wenig entsprach. Denn da war kein Ueberfluss, kein fröhlicher und
sorgloser Aufwand, sondern eine so haushälterische Wirthschaft, dass
Alles bis auf Drachme und Obolos berechnet wurde121).
Perikles war überzeugt, dass nur eine vollkommen tadellose Un-
bescboltenheit und die allerstrengste Uneigennützigkeit einen dauer-
haften Einfluss auf die Bürgerschaft möglich mache, indem man den
Neidern und Feinden auch nicht die geringste Blöfse gebe. Nachdem
Tbemistokles zuerst das Beispiel gegeben hatte, wie man als Staats-
mann und Feldherr reich werden könne, war Perikles in dieser Be-
ziehung der Bewunderer und treuste Nachfolger des Aristeides und
ging auch in seiner Gewissenhaftigkeit viel weiter als Kimon, indem
er jede Gelegenheit, welche das Feldherrnamt zu einer durchaus be-
rechtigten Bereicherung darbot, grundsätzlich verschmähte. Alle Be-
stechungsversuche, die gemacht wurden, sind erfolglos geblieben. Seine
hohe Gesinnung bezeugt, was er dem auch in seinen alten Tagen ver-
liebten Sophokles zurief: Nicht nur die Hände, auch die Augen des
Feldheim müssen enthaltsam sein ! Je lebhafter sein eigenes Gefühl
namentlich für weibliche Reize war, um so höher ist der Gleichmut»
zu schätzen, welchen er sich durch eine zur Gewohnheit gewordene
Selbstbeherrschung erworben hatte, und nichts machte auf die wetter-
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FERIKLES' ÖFFENTLICHEN CÜAKAKTEH.
wendischen Athener einen mächtigeren Eindruck, als die unerschütter-
liche Ruhe des groüsen Mannes. So lässt er von einer Volksversammlung,
die bis zum Abend gewährt hat, einen Bürger, dem seine Rede miss-
fallen, scheltend und drohend hinter sich hergehen. Er erwiedert kein
Wort und befiehlt, da er im Hause angekommen ist, seinem Sklaven, er
sulle den Mann mit der Fackel begleiten, damit er sich auf dem Rück-
wege nicht verletze.
Perikles redete weder viel noch häufig. Nichts scheute er mehr
als überflüssige Worte, und darum soll er, wenn er vor das Volk trat,
gebetet haben, dass Zeus ihn nichts Unnützes sagen lasse. Die kurzen
Worte prägten sich um so tiefer ein. Er dachte zu ernst und zu hoch
von seinem Berufe, als dass er sich dazu hergegeben hätte, der Menge
nach dem Munde zu reden. Er scheute sich nicht, wenn er die Bürger
schlaff und unentschlossen sah, ihnen herbe Wahrheiten und ernsten
Tadel auszusprechen. Seine Reden suchten immer den einzelneu Fall
an Allgemeineres anzuknüpfen, um die Bürger zu belehren und zu er-
heben ; er wies immer von Neuem darauf hin, dass kein Einzelglück
denkbar sei ohne die Wohlfahrt des Ganzen; er wies ihnen das Anrecht
nach, welches er sich auf ihr Vertrauen erworben habe; er entwickeile
klar und bündig seine politischen Ansichten, indem er nicht zu über-
reden, sondern zu überzeugen suchte m).
Das Volk giebt sein Urteil nach einfachen Gesichtspunkten, und
deshalb beruht die ächte Popularität eines Staatsmannes darauf, dass
die leitenden Ideen seiner Politik klar und fasslich sind, dass sie dem
gesunden Menschenverstände einleuchten, das Gemülh ansprechen und
durch Erfolge sich bewähren. Die Grundsätze der perikleischen
. Staatsleitung waren in der That so einfach, dass alle Bürger sie ver-
stehen konnten, und Perikles legte einen besonderen Werth darauf,
dass die Athener nicht wie die Lakedämonier in Geheimthuerei ihre
Stärke suchten und nicht durch Täuschung oder listige Uebervorlhei-
lung ihre Gegner besiegen wollten.
Nachdem sich Athen allen Versuchen spartanischer Herrschsucht
glücklich entzogen hatte, bestand die Einheit Griechenlands nur noch
in dem Bunde der beiden Grofestaaten. Auch dieser Bund war nach
dem dritten messeniseben Kriege zerrissen. Seitdem gab es Bund
und Gegenbund. Der attisch-argivische Gegenbund machte solche
Fortschritte, dass es eine Zeitlang den Anschein hatte, als wenn Sparta
gänzlich zurückgedrängt werden und der neue Bund mit Athen an der
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l'EKIKLES' AUSWÄRTIGE POLITIK.
233
Spitze allmählich ganz Hellas umfassen könnte. Diese Pläne wurden
bei Koroneia vernichtet. Seitdem standen sich die beiden Hälften
Griechenlands mit gesteigerter Eifersucht gegenüber, und alle Staaten
wurden in diesen Gegensatz hereingezogen, der einen dauernden
Frieden unmöglich machte.
Wie Themistokles den Perserkrieg, so sah Perikles den Kampf
mit Sparta als unvermeidlich vor sich. Die Friedenszeit, welche noch
gestattet ist, muss also, so dachte er, dazu benutzt werden, dass sich
Athen auf den bevorstehenden Kampf vorbereite, und zwar dadurch,
dass es seine Kräfte sammelt und urganisirt; der äufseren Machtaus-
dehnung bedarf es nicht, ja, eine solche ist nur gefährlich, wie die
Geschichte der letzten fünfzehn Jahre deutlich genug gelehrt hatte;
denn alles Unglück war die Folge übereilter Unternehmungen, deren
Ausgang Perikles warnend vorausgesagt hatte.
Vorsicht und MäTsigung ist also die erste Norm der auswärtigen
Politik ; denn eine Macht, wie die attische, wird durch jeden Unfall,
der die Furcht der Bundesgenossen aufhebt, in ihrem Bestehen ge-
fährdet. Eine Continentalherrschaft neben der Seeherrschaft ist un-
möglich, weil eine dauernde Unterwerfung von Böotien und Lokris nur
durch militärische Besetzung möglich wäre; dadurch würde Athen
aber seine Streitkräfte vollständig zersplittern und sich in unaufhör-
liche Fehden verwickeln. Das Leben eines seiner Mitbürger unnütz
auf das Spiel zu setzen erschien ihm als der gröfste Frevel, und es
wird berichtet, dass er, so oft er den Kriegsmantel umlegte, sich war-
nend zugerufen habe: 4Gieb Acht, Perikles, es sind Hellenen, die du
fuhrest, es sind Bürger von Athen!'
Athen soll kein Kriegerstaat sein, der in ewiger Unruhe von einer
Unternehmung zur andern übergeht. Darum war er der kimonischen
Partei entgegengetreten, nach deren Programm die Bürger immer
gegen Persien in Waffen stehen sollten. Noch weniger billigte er die
Ansicht einer jüngeren Partei, welche in den letzten Zeiten seiner
Staatsleitung hervortrat, einer Partei, die mit Feldzugsplänen nach
Italien, Sicilien und Afrika uniging. Perikles war auf das Entschie-
denste gegen jeden unnöthigen Krieg und stellte vorsichtige Selbstbe-
schränkung ab die erste Norm auswärtiger Politik hin. Athen soll
alle üble Nachrede mit Gleichmuth tragen; es soll seine Interessen
fest und ruhig vertreten, es soll Sparta keinen Vorrang zugestehen
und keinen Besitz aufgeben, selbst aber keinen Feind reizen. Kommt
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234 VOLLENDUNG DER SCBEItKELMACERTf UM 44« (M, «.
endlich die Stunde der Entscheidung, so soll Athen unüberwindlich
dastehen; dann soll sein Schild die Mauer, sein Schwert aber die
Flotte sein.
Was die Ummauerung Athens betrifft, so war sie, als Perikles
die Leitung des Staats übernahm , noch immer nicht fertig. Denn
nachdem man von den Schenkelmauern erst die nördliche gebaut
hatte, welche nach der eleusinischen Seite hin die Verbindung zwischen
Stadt und Häfen sichern sollte, und dann die phalerische Mauer, blieb
zwischen dieser und der Ringmauer des Peiraieus eine Lücke, ein
offenes Ufer. Hier konnten die Peloponnesier landen, Truppen aus-
setzen, zwischen den Schenkelmauern vorrücken und so Athen von
seinen Häfen abschneiden. Das Befestigungssystem bedurfte also, um
geschlossen zu sein, einer dritten Mauer, welche der nördlichen parallel
lief und mit ihr zusammen eine vollkommen sichere Verbindung
zwischen Ober- und Unterstadt herstellte.
Die Bürgerschaft hatte wenig Lust, zu diesem Werke die Gelder
zu bewilligen. Man hatte das Mauerbauen satt; die nördliche Mauer
hatte des sumpfigen Terrains wegen unendlich gröfsere Kosten ver-
ursacht, als man veranschlagt hatte; man war ärgerlich, eine dritte
Mauerlinie bauen zu müssen, wo zwei, richtig angelegt, vollkommen
genügt hätten, und Perikles musste mehrfach die ganze Kraft seiner
Beredsamkeit anwenden, um die Bürger von der Noth wendigkeit des
Baus zu überzeugen. Auch nachdem die Mittel bewilligt waren, hatte
das Werk nur lahmen Fortgang, wie die Spottverse des Kratinos be-
zeugen:
er bauet lange schon
Mit seinen Reden emsig dran, das Werk geht doch nicht
vorwärts.
Endlich wurde die Mauer unter Kallikrates' Leitung fertig, einige
Jahre nach dem dreifsigjährigen Frieden ; ein Mauergang von 550 Fufs
Breite und einer Meile Länge führte nach dem Thore des Peiraieus,
und nun war Athen endlich so fest, wie Themistokles gewollt hatte.
Es war so gut wie eine Inselstadt, peloponnesischen Landheeren voll-
kommen unzugänglich, mit der See in unlösbarer Verbindung und
dadurch im Stande, seine ganzen Streitkräfte mit Ausnahme der
nöthigen Besatzungstruppen für die Flotte zu verwenden. Athen und
Peiraieus waren eine Stadt, und doch hatte jede ihren besonderen
Charakter ; denn sie bildeten als Land- und Seestadt, als Alt- und Neu-
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ATHENS FLOTTE.
235
Stadt, einen sehr bestimmten Gegensatz zu einander. Auf dem Boden
Athens erhielten sich in den alten Häusern noch immer die Traditionen
der alten Geschlechter; im Peiraieus lebte eine bunt zusammenge-
setzte Bevölkerung von Handel, Industrie und Seefahrt, die mit der
älteren Geschichte des Landes wenig Zusammenhang hatte.
Je mehr Perikles dem ehrgeizigen Streben nach Erweiterung der
Herrschaft entgegen war, um so gröfseres Gewicht legte er darauf,
dass die gewonnene Macht gewahrt werde. Attika und die Inseln
sollten so gut wie ein Staat und ein Land sein; er nahm für Athen
eine Art Territorialherrschaft im Archipelagus in Anspruch und ge-
stattete für fremde Kriegsschiffe eben so wenig freien Durchzug, wie
fremde Heere durch das Land ziehen durften. Deshalb stand das
Meer fortwährend unter genauester Aufsicht Ueberall hatte man wohl
gelegene Stationen. In vier Tagen konnte ein attisches Geschwader
vom Peiraieus nach den Gewässern von Rhodos gelangen, in eben so
kurzer Zeit nach dem Pontos. Eine Flotte von sechzig Trieren kreuzte
während des grofsten Theils des Jahres im Inselmeer, um Wache zu
halten; sie diente zugleich als Uebungsgesch wader, welches dadurch,
dass Schiffe und Mannschaft regelmässig wechselten, die ganze Kriegs-
macht Athens seetüchtig erhielt. Auf diese Weise wurde Athen in
noch höherem Grade, als Sparta, eine stets schlagfertige Kriegsmacht.
Auch während des Friedens feierte man nicht, sondern die Waffenstill-
stände wurden gerade am eifrigsten benutzt, das ganze Material der
Kriegsmacht durchzumustern, die alten Schiffe auszubessern und neue
Trieren zu bauen.
Im Baue selbst wurden immer neue ErGndungen gemacht. Wäh-
rend unter den Schiffen, welche bei Salamis kämpften, noch viele
offene sich befanden, und Themistokles seine ganze Aufmerksamkeit
darauf richtete, schlanke und leichtbewegliche Fahrzeuge zu haben,
wurden zu Kimons Zeit die Trieren vollständiger, breiter und geräu-
miger gebaut, um für Schwerbewaffnete mehr Platz zu gewinnen; er
verband die getrennten Theile des Verdecks durch Gänge, welche die
Bewegung der Krieger erleichterten. Perikles erfand zum Entern
feindlicher Schiffe die 'eisernen Hände*.
Für den Zustand von Flotte und Arsenal war der Rath der
Fünfhundert verantwortlich, und das abtretende Collegium erhielt
keinen Ehrenkranz, wenn ihm eine Verabsäumung dieser wichtigsten
Aufgabe des Staats vorgeworfen werden konnte. Auf vierhundert
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I'EIUKLES' lil.NDESl'OLlTIK.
Schiffe waren die Kriegshäfen Athens berechnet. Dreihundert war die
IS'ormalzahl der Trieren, die fertig auf den Werften lagen und stets be-
reit waren, ein Heer von 60,000 in's Meer hinauszuführen. Die
Bürger, welche als Trierarchen verpflichtet waren die einzelnen Schifte
zu führen und in Stand zu halten, waren im Voraus bestimmt; das
Mobilmachen der Flotte ging rasch von Statten, und denen, die zu-
erst ihr Schiff seeferüg hatten, wurde eine Belohnung zu Theil. Unter
der Mannschaft waren viele Schutzgenossen, Freigelassene und Un-
freie; ja es beruhte die Ruderkraft, also auch die Siegesstärke der
Flotte zu einem sehr bedeutenden Theile auf Sklavenarmen. Aber
eine grofse Zahl freier Athener bildete den Kern der Mannschaft,
und so verleugnete das Flottenheer seiner bunten und ungleichen
Mischung ungeachtet doch nicht den Charakter eines altischen Bür-
gerheers "*).
Was die Behandlung der Bundesgenossen betrifft, so war Perikles
seiner Klugheit wie seinem Gerechtigkeitssinne zufolge gegen jede
Ueberbürdung derselben und jede aufreizende Mafisregel. Das beweist
schon der Umstand, dass gleich nach seinem Tode die Tributsummen
so rasch gestiegen sind. Es war ja das Verhältniss Athens zu den Bun-
desgenossen die Hauptstütze seiner Macht, aber zugleich ein zartes
und sehr schwieriges Verhältniss, welches die höchste Klugheit und
Vorsicht in Anspruch nahm. Der rechte Volksfuhrer, dachte Perikles,
muss darin mehr Takt und ein zarteres Gewissen haben, als die Bür-
gerschaft im Ganzen; er muss ihren überm üth igen Herrscherlaunen
entgegentreten und dafür sorgen, dass Ungerechtigkeiten der Befehls-
haber nicht ungestraft bleiben ; eine rücksichtsvolle Gerechtigkeit, die
auf Pietät und Vertrauen Anspruch machen kann, soll der Charakter
der attischen Seeherrschafl sein.
Andererseits vertrat Perikles mit voller Entschiedenheit die Ansicht,
dass man mit der scheinbaren Selbständigkeit der Kleinstaaten keine
Umstände machen müsse. Es gab nach ihm ein Recht des Stärkeren,
das in der Politik seine volle Berechtigung hat, wie schon Aristeides
anerkannt hatte, dass öffentliche Verhältnisse nicht nach dem Mafs-
stabe privatrechtlicher Normen zu behandeln wären. Athen hatte ja
die Inseln nicht erobert ; es war von den Seegriechen zur Hegemonie
berufen, es war durch die Verhältnisse gezwungen worden, sich an
die Spitze zu stellen und die angetragene Führerschaft zu übernehmen.
Seit es nun an der Spitze stand, musste es mit aller Energie die
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ATHEN UND DIE BUNDESGENOSSEN.
237
zum ersten Mal verbundenen Gemeinden zusammenhalten oder seine
ganze Macht in Frage stellen. Es war ringsum von lauernden
Feinden umgeben, und jeder Abfall von Bundesgenossen würde ein
unmittelbarer Zuwachs der feindlichen Macht werden; denn die
kleinen Staaten waren ja unfähig, ein Ganzes für sich zu bilden und
eine eigene Politik zu verfolgen. Weichliche Nachgiebigkeit wäre ein
Aufgeben der Vaterstadt, ohne dass den Insulanern daraus Heil er-
wachsen konnte.
Auch im peloponnesischen Bunde war ja die Selbständigkeit der
Bündner trotz alles Rühmens der Spartaner eine blofse Redensart,
und wenn sich dort mehr Selbständigkeit erhalten hatte, so lag der
Grund mehr in der Schwäche Spartas als in seinem guten Willen.
Athen verfuhr hierin wenigstens oflTen und ehrlich, und gerade
Perikles war es, der rückhaltlos und mit ganzer Entschiedenheit
den GrundsaU geltend machte, dass Athen keine Verpflichtung habe,
den Bündnern Rechenschaft zu geben. Das Geld gehört dem, der es
empfangt; der Empfänger ist nur verpflichtet, das vertragsmäßig
Festgestellte zu leisten. Ob er dabei übrig behält oder zusetzt, geht
den Zahlenden nichts an. So wurden nun freilich die Beiträge zu
Tributen, die Bundesgenossen zu Unterthanen, die Insel- und Küsten-
länder zu Provinzen, und es war nur eine weitere Ausbildung dieses
Verhältnisses, wenn auch in den inneren Angelegenheiten den Bundes-
staaten die Souveränität entzogen wurde, wenn man ihnen zwar
eigene Behörden liefs, aber nur die untere Gerichtsbarkeit, auch die
Verfassungen der Staaten den Interessen Athens gemäfs, d. h. demo-
kratisch, einrichtete und die bürgerlichen Zustände durch besondere
Commissarien fortwährend beaufsichtigte. So war man am Ende
doch zu dem gekommen, was Themistokles von Anfang an als das
Unvermeidliche und Notwendige erkannt hatte und was er ohne
beschönigenden Namen und ohne Rücksichten hatte durchführen
wollen1").
Indessen war das Verhältniss Athens zu den Seeorten nach Lage,
Gröfse und Bevölkerung ein sehr verschiedenes.
Zuerst muss man ein engeres und ein weiteres Machtgebiet
unterscheiden. Man legte nämlich grofses Gewicht darauf, so weit an
den Küsten entlang hellenische Gemeinden wohnten, Athen als die
hellenische Grofsmacht anerkannt zu sehen. Darum hatte Aristeides
schon im Pontos Verbindungen angeknüpft, und Perikles unternahm
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23 S
GHOSSE OD KLEINE BUNDESSTAATEN.
dorthin einen mit besonderem Glanz ausgestatteten Seezug, um den
Hellenen und Barbaren daselbst die Macht der Stadt vor Augen zu
fuhren. Man liefs es sich angelegen sein, den Wünschen der dortigen
Griechenstädte entgegenzukommen und freundschaftliche Verbindungen
anzuknöpfen, aber man begnügte sich im Allgemeinen mit dem
moralischen Ansehen, welches Athen als Schutzmacht aller griechi-
schen Seegemeinden in Anspruch nehmen konnte. Vorübergehend
sind einzelne Seeorte, wie z. B. das im äufsersten Winkel des
schwarzen Meeres gelegene Nymphaion, tributpflichtige Mitglieder
des Bundes gewesen. Im Ganzen aber blieb der Pontos außerhalb
der eigentlichen Machlsphäre Athens und eben so Makedonien,
Karien und Lykien, wenn auch zeitweise das Bundesgebiet über
Phaseiis hinaus ausgedehnt wurde. Auch Städte des westlichen
Meeres kamen zu Zeiten in volle Abhängigkeit von Athen; doch lässt
sich nicht nachweisen, dass sie jemals als tributpflichtige und dem
Gerichtszwange unterworfene Bundesgenossen betrachtet worden
wären.
Innerhalb des Archipelagus waren Inseln dorischer Bevölkerung,
wie Melos, Thera, Anaphe, die sich bei Stiftung des Bundes ausge-
schlossen hatten, fortdauernd fern geblieben1*4).
Unter den bundesgenössischen Orten, den 'Städten', wie man
sie kurzweg zu benennen pflegte, hatten sich die kleineren Inseln
ionischer Bevölkerung an Athen, als ihre natürliche Hauptstadt, am
vollständigsten angeschlossen. Sie hatten der Mehrzahl nach frei-
willig auf eigene Schiffe verzichtet, und durch ihre Wehrlosigkeit
war ihre politische Stellung bestimmt. Denn wenn sie auch recht-
lich ihre Autonomie nicht verloren hatten, so blieb ihnen doch
thatsächlich nichts übrig als den Befehlen der Athener willenlos zu
gehorchen.
Anders war es mit den gröfsern Inseln, welche eigene Kriegs-
schiffe hatten. Auch diese mussten verlragsmäfsig ihre Contingenle
stellen ; aber man schonte ihre Souveränitätsrechte, man liefs ihnen
ihre Verfassung, man gestattete ihnen auch wohl, wenigstens der
Form nach, eine gewisse Betheiligung an den wichtigern Beschlüssen ;
man befleißigte sich ihren Eifer anzuerkennen und öffentlich zu
ehren, wie dies die Mytiienäer selbst bezeugten, als sie mit Sparta
in Unterhandlung traten. Diese Staaten hatten selbst wieder ab-
hängige Ortschaften und führten mit ihren Nachbarn Kriege, in
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SA MOS VHÜ MILET IM KRIEG 440 (M, 4).
239
welche sich Athen erst einmischte, nachdem es von einer der streiten-
den Parteien angerufen worden war. Das bekannteste Beispiel ist die
Fehde zwischen Samos und Milet.
Samos war nach Unterwerfung von Thasos und Aigina unter
allen Bundesinseln diejenige, welche am meisten Anspruch auf
Selbständigkeit machte. Sie war ja eine Zeitlang die erste Seemacht
im Archipelagus gewesen; sie hatte aus jener Zeit eine wohlge-
schulte Marine, einen stattlichen Kriegshafen und eigene Colonien
(I, 593); ihre Bewohner hatten unter allen Ioniern zur Befreiung
der asiatischen Inseln und Küsten am meisten beigetragen und
waren deshalb von Athen mit besonderer Rücksicht behandelt worden.
Hier war ionische Bildung am reichsten entfaltet, hier die lebendigste
Erinnerung früherer GröÜse und selbständiger Geschichte. Die
Leitung der Gemeinde lag aber in den Händen einer Aristokratie,
welche die demokratischen Bewegungen niederzuhalten, jede Ein-
mischung Athens abzuwenden und die ihnen zustehende Autonomie
zur vollen Wahrheit zu machen suchte.
Es handelte sich zwischen Samos und Milet um den Besitz von
Priene, welches der Insel gegenüber zwischen dem milesischen Ge-
biete und dem festländischen Besitze der Samier lag. Im sechsten
Jahre des von Perikles begründeten allgemeinen Friedens (S. 185)
brach der Krieg aus; die Milesier konnten Priene nicht halten, sie
wandten sich nach Athen, wo sie von der demokratischen Partei
der Samier unterstützt wurden. Athen verlangte, dass man seiner
Entscheidung die Streitsache anheimstellen solle, und als die samische
Regierung dies verweigerte, ging Perikles als Feldherr unverweilt mit
40 SchhTen in See, und ohne dass ein erheblicher Widerstand er-
folgte, wurde in Samos durch attische Commissarien eine demo-
kratische Verfassung eingerichtet; zugleich suchte man die neue
Ordnung der Dinge dadurch zu sichern, dass man aus dem Kreise
der adligen Familien fünfzig Männer und eben so viel Knaben als
Geiseln nach Lemnos bei den dort ansässigen Atheuern in Ver-
wahrsam brachte. Die oligarchische Partei war aber nichts weniger
als entmuthigt. Ihre aus Samos flüchtigen Führer verschafften sich
Zuzug von Pissuthnes, dem Satrapen in Sardes; sie traten mit Byzanz
in Verbindung, sie wussten ihre Geiseln zu befreien, die attische
Garnison bei Nacht zu überwältigen, und erklärten dann offen ihren
Abiall von Athen.
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210
BELAGERUNG VON SAMOS (85, 1; 440).
Die Lage war sehr ernst; es war der Anfang eines Bundes-
genossenkriegs. Zündstoff war überall; die Unlust der Bündner
Kriegssteuern zu zahlen war während der Friedensjahre mehr und
mehr gestiegen, die Perser mischten sich ein, die phönikische Flotte
war aufgeboten, endlich wurde auch Sparta zur Unterstützung auf-
gefordert und eine mächtige Partei daselbst war, des eben abge-
schlossenen Friedens ungeachtet, für Gewährung des Hülfsgesuchs.
Es wurde geltend gemacht, dass eine günstigere Gelegenheit, für
die Freiheit hellenischer Gemeinden einzutreten, sich nicht finden
werde, man dürfe deshalb das mächtige Samos nicht fallen lassen.
Auf der Insel stand Melissos, des Ithagenes Sohn, ein Philosoph
aus der Schule des Parmenides, an der Spitze der Bewegung, ein
Mann, der sich als Feldherr durch Einsicht und Thatkraft auszeichnete.
Von ihm geführt, gingen die Oligarchen mit solcher Kühnheit vor,
dass sie nach Wiederherstellung ihrer Herrschan den Krieg auf dem
Festlande unverzüglich wieder aufnahmen, ohne Zweifel, um hier
eine feste Stellung zu gewinnen und sich mit dem Binnenlande in
Verbindung zu setzen.
Nur die gröfste Entschlossenheit konnte das Ansehen Athens
retten. Perikles erschien mit sechzig Schiffen vor Samos (Ol. 85,
1; 440), schickte sechzehn derselben theils nach dem karischen
Meere, um die Bewegungen der phünikischen Schiffe zu beobachten,
die im Frühjahre auslaufen sollten, theils nach Chios und Lesbos,
um die Bundesmacht aufzubieten; zu dieser Sendung benutzte er
seinen Amtsgenossen Sophokles, welcher im Jahre zuvor mit der
Antigone gesiegt hatte. Er selbst schlug mit den übrigen Schiffen
die siebzig Segel starke Flotte der Samier, die vom Festlande heran-
kam, und schloss dann, durch neuen Zuzug verstärkt, die Stadt
Samos auf der Land- und Seeseite ein.
Da wurde die Annäherung der Phönizier gemeldet. Perikles eilte
ihnen mit allen entbehrlichen Schiffen entgegen; die Belagerten aber
benutzten seine Entfernung, durchbrachen unter Melissos' Führung die
Biokade und beherrschten vierzehn Tage lang das Meer, so dass sie
sich mit Waffen und Lebensmitteln versehen konnten und für jeden
Zuzug der Weg frei war. Aber die Peloponnesier blieben aus. Denn auf
der von Sparta berufenen Tagesatzung hatten die Koriniher, welche das
griechische Colonialrecht ausgebildet haben (I, 266), gegen Sparta den
Grundsatz geltend gemacht, dass jeder Mutterstadt das Recht zustehen
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SA MOS UND BYZAltZ BESIEGT (M, 1; 439).
241
müsse, ihre Bundesgenossen in Ordnung zu halten und zu zuchtigen.
Sa mos blieb allein; die Phönizier waren zurückgeworfen, und als
Perikles aus dem südlichen Meere wieder bei Samos anlangte, schlug
er Melissos und erneuerte die Blokade.
Im Sommer kamen neue Feldherrn von Athen, darunter Hagnon
und Phormion, mit neunzig neu gerüsteten Trieren; Perikles wurde
sein Feldherrnamt au/serordentlicher Weise verlängert und durch die
Belagerungsmaschinen, welche sein trefflicher Ingenieur Artemon er-
baut hatte, unterstützt, erreichte er es, dass im neunten Monate nach
Ausbruch des Kampfs die Samier sich ergeben mussten. Ihre Trieren
wurden ausgeliefert, ihre Mauern geschleift; sie mussten Geiseln
stellen, die Kriegskosten zahlen, die Verfassung nach dem Willen der
Athener ändern und auf jede Selbständigkeit verzichten. Die Insel
Amorgos, früher von Samos abhängig, trat jetzt in die Reihe der den
Athenern tributpflichtigen Bundesgenossen ein.
Die Urkunde, in welcher die Schatzmeister der Athena über die
aus dem Schatze für den samischen Krieg gezahlten Summen Rechnung
ablegen, ergiebt, dass über 1276 Talente (c. 5,817,000 M.) ausgegeben
worden sind126).
Dieser sa mische Krieg, von beiden Seiten mit bewunderungs-
würdiger Energie geführt, hatte weitreichende Folgen. Der einzige
Staat, der Athen gefährlich werden konnte, war vollständig ge-
demüthigt, Perikles' Ansehen aber durch den kurzen und ruhmvollen
Feldzug ungemein befestigt; auch das Missgeschick der Athener hatte
nur dazu gedient, seine Unentbehrlichkeit von Neuem zu beweisen.
Gleichzeitig musste Byzanz wieder in den Bund eintreten. Lesbos und
Chios blieben also die einzigen selbständigen Staaten unter den Bundes-
genossen. Alle übrigen waren in gleicher Weise den Athenern unter-
thänig, wenn es auch nicht möglich war, in den Städten des jenseitigen
Festlandes die Abhängigkeit von Athen und namentlich den Gerichts-
zwang in gleicher Strenge durchzuführen, wie in den nächstgelegenen
Inseln. Es waren aber ausserdem noch viele andere Unterschiede in
der Stellung der Eidgenossen.
Es gab begünstigte Städte, welche nach der ursprünglichen
Schätzung des Aristeides ihren Tribut fortzahlten; andere, die nach
einer ihnen überlassenen Selbstschätzung steuerten. Mit einer Reihe
von Städten waren schon bei ihrem Eintritte in den Bund nach den
Siegen bei Mykale und am Eurymedon besondere Verträge geschlossen,
CartiBi, Gr. Gweh. II. 6. Aufl. *1C
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242
DIE EPOCHEN DES SEEHUNDES.
welche mit den Verpflichtungen gegen den Vorort zugleich die ein-
heimische Verfassung regelten und die Grundlage des spateren Ver-
hältnisses blieben, so mit Erythrai, Kolophon u. a. Attische Com-
missare (Episkopoi) und Befehlshaber attischer Truppen (Phrurarchoi)
finden wir in den Städten anwesend, um die neuen Verfassungen ein-
zuführen, und solche Beamte waren nicht nur bei dem ersten Eintritt
der Städte in den Bund thätig, sondern sie wurden auch in späterer Zeit
verwendet, um dem Bedürfnis^ gemäß* das Interesse des Vororts wahr-
zunehmen und mit Hülfe attischer Besatzungen das Bundesgebiet in
Botmäfsigkeit und Sicherheit zu erhallen.
Die Mannigfaltigkeit der Rechtsverhältnisse innerhalb des Bundes-
gebiets trug wesentlich dazu bei, die Herrschaft Athens zu sichern.
Denn dadurch verminderte sich die Gefahr eines gemeinsamen Abfalls
der Bundesgenossen, die aufserdem durch ihre weithin zerstreuten
Wohnsitze so wie durch Stammverschiedenheit und durch nachbar-
liche Eifersucht von einander getrennt, nicht dazu gelangen konnten,
sich gemeinsam gegen Athen zu erheben. Nur ein Gefühl war überall
dasselbe, die Furcht vor der immer nahen Kriegsflotte. Auch wirkte
der Gerichtszwang dahin, dass man Alles vermied, was eine Verstim-
mung in der Hauptstadt erregen und bei vorkommenden Prozessen
einen nachtheiligen Einfluss üben konnte.
So war, wenn wir zurückblicken, in einer Reihe von Stufen
Schritt für Schritt eine der merkwürdigsten Reichsbild angen zu Stande
gekommen.
Der Keim war eine Gruppe von Gontingenten der gegen Persien
kämpfenden Seegriechen, welche sich freiwillig zu einem Sonderbunde
an Athen anschlössen und sich, ohne an eine Beeinträchtigung ihrer
Autonomie zu denken, zu bestimmten Leistungen verpflichteten
(S. 125). Nachdem diese Anfänge sich gelegentlich gemacht hatten,
folgte die planmäßige Erweiterung des Seebundes durch die Feldzüge
Kimons erst an der hellespontischen und thrakischen Küste und dann
in Ionien und Karien, bis Phaseiis (S. 135). Mit der Eurymedon-
schlacht trat die dritte Epoche ein. Nachdem die Bundesgenossen-
schaft die nothwendige Abrundung erhalten hatte, wurde sie reichs-
mäfsig organisirt, das Reichsbudget festgestellt, die Reichskasse einge-
richtet, und die Matricularbeiträge wurden mehr und mehr zu Tributen.
Die vierte Epoche war die Verlegung der Kasse nach der Reichshaupt-
stadt (S. 163) und als fünfte können wir den samischen Krieg an-
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DIE QUARTIERE DES SEEBUNDES.
243
sehen ; denn der rasche Erfolg trug wesentlich dazu bei, die Herrschaft
der Athener im ganzen Insel- und Küstengebiet zu befestigen, und die
Einkünfte waren durch die in Terminen abzuzahlenden 200 Talente,
die den Samiern als Kriegskostenentschädigung aufgelegt waren, an-
sehnlich erhöht
Während dieser Epochen hatte sich auch die Verwaltung des
Bundesgebiets stufenweise ausgebildet. Aristeides hatte begonnen, die
ptlichtmäfsigen Leistungen der einzelnen Bundesgenossen nach ge-
rechter Vertheilung auf Grund gegenseitiger Uebereinkunfl festzu-
stellen. Seine Ansätze blieben die Grundlage für das Reichsbudget, das
nach seinem Tode eingerichtet wurde, und was früher auf dem
Wege des Vertrags geordnet worden war, wurde spater von den Be-
hörden der Hauptstadt festgesetzt und mit ihrem Finanzwesen eng
verbunden.
Ein Zweites war die Gruppirung der eidgenössischen Gemeinden
nach Bezirken oder Quartieren. Für eine Organisation dieser Art gab
es in der griechischen Geschichte keine Vorgänge, und es ist nicht un-
wahrscheinlich, dass hier die Steuerbezirke des Perserreichs als Vor-
bild benutzt wurden; die Bezirksein theilung ist aber nicht erst in der
Zeit entstanden, als das gesamte Bundesgebiet abgerundet den Athenern
vorlag, sondern sie ist, wie wir annehmen müssen (denn in der Ge-
schichte der inneren Verwaltung sind die Stufen nur undeutlich zu
erkennen), der Entwickelung der politischen Verhältnisse schrittweise
gefolgt. Die ersten Bundesgenossen vereinigte man nämlich zu einem
'Inselquartier\ da die Cykladen von Natur zu Attika gehörten. Aber
auch so fern liegende Eilande, wie Lemnos und Imbros, hat man. weil
sie zum Kern der ältesten Eidgenossenschaft gehörten, diesem Kreise
angeschlossen. Das waren die ersten administrativen Einrichtungen,
die wahre^ednlich von demselben Staatsmanne herrühren, welcher der
Hann des allgemeinen Vertrauens war und in der Abschätzung der
Bunilesorte sein organisatorisches Talent bewährt hatte.
Als der Gang der Ereignisse die Erwartungen der Athener weit
überholt hatte, wurden neue Verwaltungsbezirke nöthig. Das 'helles-
pon tische' Quartier wurde eingerichtet, um die beiden Ufer des Helles-
ponts, die Städte der Propontis und des Bosporos so wie einen Theil
von Aeolis mit Tenedos aufzunehmen ; das 'thrakische' Quartier um-
fasste die Städte Thraciens und Macedoniens nebst Samothrake und
den nördlichen Sporaden. Die äolischen Küstenstädte Ioniens bildeten
16*
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244 DAS ATTISCHE Kl STE^REICH
den 'ionischen' und die der karisch-lykischen Küste nebst Rhodos und
den umliegenden Inseln den 'karischen' Kreis.
So ist der natürliche Zusammenhang der Seegestade, auf welchem
die ganze Geschichte der Hellenen beruht, durch die Klugheit und
Thalkraft der attischen Burgerschaft politisch durchgeführt worden.
Eine Küstenstrecke von ungefähr 1200 geogr. Meilen Länge, von zu-
sammengehörigen, aber weit zerstreuten und schwer zu einigenden
Bürgergemeinden bewohnt, war zum ersten Mal ein Ganzes geworden
und durch administrative wie militärische Organisation zu einem Reiche
vereinigt, das durch ein straffes Regiment zusammengehalten wurde.
Das ägäische Meer wurde in dem Grade attisches Reichsgebiet, dass
das Erscheinen lakedämonischer Kriegsschiffe im Norden des Pelo-
ponnes als eine Gebietsverletzung angesehen wurde. Wie der Grofs-
könig den jenseitigen Gontinent und Sparta die dorische Haibinse),
so nahm Athen das ganze Seegebiet bis zum Pontos für sich in An-
spruch und rechnete dazu auch diejenigen Städte, welche thatsächlich
unabhängig waren"7).
Die Erhebung Athens von der Hauptstadt des Ländchens Attika
zu einem regierenden Bundeshaupte der Seestädte musste auch auf die
innere Staatsverwaltung, namentlich auf den ganzen Staatshaushalt
einen durchgreifenden Einfluss ausüben. Freilich sollte die Tüchtig-
keit der Bürger nach wie vor das Hauptkapital des Staats bleiben;
die Athener sollten nicht auf ihren Lorbeem ruhen, sondern fort-
fahren, durch Tapferkeit und Kriegsübung die Vorkämpfer der Bundes-
genossen zu sein. Aber dies durfte nicht die einzige Grundlage bleiben.
Seit Athen Seemacht geworden, war das Geld der Nerv des Staats,
und wenn in älteren Zeiten die Finanzverwaltung noch keinen be-
sondern Zweig der Staatsverwaltung gebildet hatte, so war es jetzt
anders, und die Weisheit attischer Staatsmänner musste sich jetzt
vorzugsweise darin zeigen, dass sie die öffentlichen Hülfsquellen auf-
zufinden, zu organisiren und zweckmässig zu benutzen wussten.
Wie in einem wohlbestellten Hauswesen die Bedürfnisse aus den
festen Einkünften eigener Güter bestritten werden, so bestritt auch der
Staat seinen Bedarf zunächst aus dem, was ihm aus seinen Besitzungen
an Forsten, Triften, Ländereien, Häusern, Bergwerken, Fruchtbäumen
u. s. w. zufloss ; dazu kamen die Zölle. Beide Arten von Einkünften,
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EIKKÜNFTE ATHENS.
245
welche nicht unmittelbar vom Staate eingezogen, sondern in Pacht ge-
geben wurden, waren durch die Machterweiterung Athens wesentlich
vergröfsert worden. Von den Domänen der unterworfenen Staaten
waren manche in den unmittelbaren Besitz des attischen Staats über-
gegangen, wie dies z. B. von den thrakischen Bergwerken angenommen
werden darf. Eben so hatten sich mit dem Aufschwünge des Handels
die Zolleinnahmen ungemein gehoben, sowohl die Ertrage der Ein- und
Ausfuhrzölle, welche den Grofshändler, als auch die der Marktzölle,
welche den Kleinhändler trafen. In gleichem Mafse waren diejenigen Ein-
nahmen gestiegen, welche als Kopf- und Gewerbsleuer von den Schutz-
verwandten einkamen, da dieser Stand seit Themistokles an Zahl und
Bedeutung aufserordentlich zugenommen hatte. Endlich waren durch
die vermehrten Rechtshändel die Gerichtsgebühren, Geldbufsen und
Strafgelder, welche einen sehr bedeutenden Theil der öffentlichen Ein-
künfte bildeten, vervielfältigt. Mit diesen Einnahmen konnte der Staat
bestehen, ohne die Steuerkraft seiner Bürger unmittelbar in Anspruch
zu nehmen, und deshalb blieb Athen von allen finanziellen Verlegen-
heiten und von allen Klagen über Abgabendruck lange Zeit unberührt.
Denn was an indirekten Abgaben von den Handel- und Gewerbe-
treibenden erlegt wurde, war ja im Grunde nur eine Gegenleistung
an den Staat, der den Verkehr schützte und (orderte, und konnte
von denen, welche die Abgaben entrichteten, leicht wieder eingebracht
werden *").
Wenn aber die Bürger auch nicht als Steuerzahler den ge-
wöhnlichen Bedarf des Staats herbeizuschaffen hatten, so standen sie
dennoch der Vaterstadt, so oft diese zu besonderen Zwecken ihrer be-
durfte, mit Allem, was sie besafsen, zu Diensten. Die Veranlassungen
zu besonderem Aufwände lagen aher vorzugsweise in den öffentlichen
Festen und in den Kriegsrüstungen. Diese Ausgaben wurden zum
grofsen Theile unmittelbar aus dem Vermögen der reichen Bürger be-
stritten, welche von ihren Mitbürgern aus den zehn Stammen aus-
gewählt wurden und in einer gewissen Reihenfolge die in jedem Jahre
wiederkehrenden so wie die aufserordentlichen Ausgaben als Staats-
leistungen oder 'Liturgien' übernahmen.
Zu den regelmäßigen Liturgien gehörte die Einübung und der
Unterhalt der Chöre, welche in scenischen und musikalischen Auf-
führungen mit einander wetteiferten, ferner die Vorbereitung der
anderen Wettkämpfe, welche zu Pferde und zu Fufs auf den Renn-
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246
ÖFFENTLICHE LEISTUNGEN (LITURGIEN).
bahnen und auf den Ringplätzen oder zu Schüre abgehalten wurden;
außerdem die Uebernahme von Festgesandtschaften zu auswärtigen
Heiligthümern, die Besorgung feierlicher Umzöge, die Speisung der
Stammgenossen bei festlichen Veranlassungen u. s. w. Zu den ausser-
ordentlichen Liturgien gehörte Tor Allem die Trierarchie, d. h. die
Verpflichtung der Bürger, die dem Staate gehörigen Schiffe in segel-
fertigen Zustand zu setzen, Mannschaft anzuwerben so wie mancherlei
Unkosten und Vorschüsse dabei für den Staat zu übernehmen.
Die Schattenseiten dieser Einrichtungen sind nicht zu verkennen;
denn es war unmöglich, auf diese Weise eine gerechte Verkeilung der
Staatslasten zu erzielen. Durch eine Gränzlinie, welche immer etwas
Willkürliches behalten musste, wurde die ganze Bürgerschaft in zwei
Hälften getheilt, in die der Vermögenden und der Unvermögenden. Die
Einen wurden gar nicht in Anspruch genommen; sie wollten nur vom
Staate verdienen und durch ihn geniefsen, die Anderen wurden über-
mässig angestrengt. Von den Reichen wiederum wussten sich Einige
den Lasten möglichst zu entziehen, während Andere aus Patriotismus
oder aus Eitelkeit ihr Vermögen zu Grunde richteten. Denn der Staat
rechnete, namentlich bei den Leistungen für das Kriegswesen, auf die
opferbereite Gesinnung seiner Bürger, und das Volk gewöhnte sich, bei
der Ausstattung der Feste seine Ansprüche fortwährend zu steigern.
So lange aber der Wohlstand der Bürger blühte und der Gemeinsinn
lebendig war, hatte der Staat von dem System der Liturgien unzweifel-
haft den gröfsten Vortheil. Denn es wurden der Staatskasse dadurch
sehr bedeutende Ausgaben abgenommen und gerade solche, bei denen
eine sparsame Einrichtung unstatthaft war. Die öffentlichen Leistungen
waren eine Ehrensache und ein Gegenstand des Wetteifers. Auch
waren die Liturgien nicht blofs Geldopfer, sondern sie waren mit per-
sönlichem Dienste verbunden, welcher Tüchtigkeit und Geschick ver-
langte und deshalb die Ausbildung der Bürger für alle Seiten des
Staatslebens in Krieg und Frieden beförderte. Die Choregen führten
in älterer Zeil selbst ihren Chor, die Trierarchen ihr Schiff; sie
hatten zugleich ein Aufsichtsrecht über die von ihnen angestellten
Leute und wurden so durch Ehre und Einfluss für ihre Opfer einiger-
maßen entschädigt1").
Wenn das System der Liturgien auch erst mit der Demokratie
und Seeherrschaft seine volle Entwickelung erhielt, so war es doch
schon in früherer Zeit begründet; denn wahrscheinlich ist auch hier
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DIE TRIBUTE.
247
Peisistratos der schöpferische Staatsmann gewesen, der auf diese
Weise das Kapital heranzog, um die städtischen Feste zu heben.
Etwas ganz Neues in der griechischen Geschichte waren nun aber
die Staatseinkünfte, welche aus der Steuer der Bundesgenossen ein-
gingen, in so fern sie nicht wie im Peloponnes nach dem Bedürf-
nisse des Augenblicks ausgeschrieben, sondern regelmäfsig Jahr für
Jahr eingezahlt wurden und demnach als feste Summen im Budget
verrechnet und im Staatshaushalte verwendet werden konnten.
460 Talente (zu 4715 Mark) bilden die erste feste Summe,
welche als Jabresbetrag der Bundeseinnahme überliefert ist. Diese
Feststellung erfolgte gleichzeitig mit der Einsetzung der Helleno-
tamien, welche die Beiträge in Empfang nahmen. Wann diese Ord-
nung der Dinge eingetreten ist, lässt sich nicht mit Sicherheit be-
stimmen; wahrscheinlich erst nach den grofsen Siegen Kimons, als
bei zunehmender Sicherheit die Seestädte sich aus Bequemlichkeit
durch Geldzahlung mit dem Vororte abzufinden liebten. Dazu kamen
die Bundesexekutionen, welche der Stellung eigener Schiffe ein Ende
machten.
Die Tributsätze waren seit Aristeides der finanziellen Leistungs-
fähigkeit der Stadtgemeinden entsprechend angesetzt. Es wurde Ge-
brauch, die Sätze alle vier Jahre einer Revision zu unterziehen, und
zu diesem Geschäfte wurden besondere Beamte (Taktai), als Ver-
trauensmänner der athenischen Bürgerschaft, durch Wahl berufen,
je zwei für jeden Steuerbezirk. So hatten die Staatsmänner der
Hauptstadt Veranlassung, die inneren Verbältnisse der einzelnen Bundes-
orte genau kennen zu lernen.
Die erhaltenen Tributlisten geben also einen Maftstab für den
Wohlstand der Stadigemeinde, die nun zuerst zu einem Ganzen ver-
einigt war. Die finanzielle Lage war aber nicht das allein Mafs-
gehende. Von den Städten, die am Helles pont nahe zusammen lagen,
zahlten Abydos 4, Lampsakos 12, Perinthos 10, Selymbria 5, Chal-
kedon 9, Byzanz 15 Talente, Rhodos ohne seine festländischen Be-
sitzungen 18, Lindos später allein 15.
Wo Erwerbsquellen besonderer Art vorhanden waren, finden
wir auch aufserortlenlliche Steuersätze. So bei Paros 16 (später
30) Talente. Es scheint, dass man die Marmorbrüche als eine Art
von Reichsdomänen ansah, welche man den Insulanern zur Benutzung
überliefs. Aus gleichem Gesichtspunkte werden auch die 30 Talente
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248
DIE TRIBUTE.
zu erklären sein, auf welche das metallreiche Thasos erhöht wurde.
Die 30 Talente der Aegineten müssen dagegen als Strafsatz gelten,
als eine Art stehender Kriegscontribution , durch welche eine un-
barmherzige Politik die letzten Ueberreste des alten Reichthums der
Insel aufzehren wollte.
Andererseits gab es Gegenden, in denen eine kluge Politik
Vorsicht und Schonung zur Pflicht machte. Das waren besonders
die ferneren Gränzbezirke, die man nicht so sicher in der Hand
hatte. Hier durfte man den Städten nicht Anlass geben sich zu be-
klagen, dass sie in der attischen Bundesgemeinschaft schwerer
belastet seien als einst im Perserreich. Eine schonende Behandlung
zeigt sich bei den Städten um den karischen Golf, wo die 5 Talente
der Insel Kos den höchsten Steuersatz bilden. Auch in Ionien und
Aeolis. Milet zahlt mit Leros, Teichiussa u. a. 10 Talente, Kolophou,
Phokaia je 3; Ephesos 1%% zeitweise 6. Man glaubte wohl die
Priesterschaft des reichen Heiligthums ihres großen Einflusses wegen
mit besonderer Rücksicht behandeln zu müssen.
Alle Rücksichten dieser Art fielen weg, wo es sich um Gegen-
den handelte, die im nächsten Umkreise attischer Macht lagen. Darum
sehen wir bei dem Inseltribut die verhältnissmälsig höchsten Sätze.
6 Talente 4000 Drachmen bei Naxos, 12 (später 15) bei Andros, 3 bei
Kythnos. Die euböischen Städte finden wir nach Besieg ung von Chalkis
(S. 180) auf 33 Talente eingeschätzt.
Ganz absonderlich sind die Rubriken derjenigen Städte, welche
'sich selbst die Tributzahlung aufgelegt haben' und 'welche von
Privatleuten als tributzahlende Städte eingeschrieben worden sind',
zwei Rubriken auf der Liste von 85, 4; 437. In beiden Rubriken
finden wir vorzugsweise thrakische Städte, und es ist vorauszusetzen,
dass man um die Zeit der Gründung von Amphipolis die an dieser
Küste gelegenen Orte durch freundliche Behandlung zu gewinnen sich
besonders angelegen sein liefe. Amorgos dagegen, das zur ersten
dieser Rubriken gehört, war den Samiern tributpflichtig gewesen.
Wahrscheinlich hatte sich also die Insel bei dem samischen Kriege
freiwillig an Athen angeschlossen und war deshalb, als die samische
Bundesgenossenschaft aufgelöst war, durch eine bevorzugte Stellung
belohnt worden; ebenso die dorischen Sporaden, Kasos und Syme.
Wenn aber einzelne Städte, auch meistens in Thracien gelegen,
durch Vermittelung von Privatleuten in den Bund eingeführt worden
DIE TRIBUTE.
249
sind, so lässt sieb vermulben, dass Bürger derselben, etwa die wohl-
habenderen Kaufte ute, sich zusammenthaten , eine gewisse Tribut-
summe aufzubringen, um ihrer Stadt die mercantilen Vortheile zu
verschaffen, welche mit der Zugehörigkeit zum attischen Seebund
verknüpft waren, wenn aus besonderem Grund ein formlicher Bei-
tritt von Staatswegen nicht thunlich schien180).
Die Gesamtzahl der zinspflichtigen Städte wird von Aristophanes
auf 1000 angegeben, eine runde Zahl, der vielleicht keine zu grobe
Uebertreibung zu Grunde liegt, wenn alle kleineren Ortschaften, die
in den Listen nicht namentlich aufgeführt sind, eingerechnet werden.
Es zeigen aber dieselben Listen, dass wir es nicht mit einem
Reiche von scharfer Umgränzung und festem Zusammenhange zu
thun haben. Es lockerte sich nach aufsen hin, wo es sich an dem
Saum des überseeischen Continents entlang zog, und die Abhängig-
keit mancher in den Listen aufgeführten Stadt war zeitweise nur
eine nominelle. Darum sind auch ansehnliche Ausfälle nachzuweisen.
So kamen in der letzten Zeit zw. Ol. 83, 3—85, 1 (446—40) von
460 — 480 Talenten kaum 400 ein. Auch in den Namenreihen
zeigen sich merkwürdige Ungleichheiten.
Nachdem 83, 4; 443 die Städte des ionischen und karischen
Steuerkreises zusammen 71 betragen haben, werden 86, 1; 436
beide Kreise vereinigt und haben zusammen nur 46 Städte. Die
Lykier, welche ab Städtebund in die Buntlesgenossenschafl einge-
treten sind mit 10 Talenten, verschwinden nach 83, 3; 446 vollständig,
während das fernere Phaseiis, die äufserste der Bundesstädte im Osten,
bleibt, ein durch seine ausgedehnte Bhederei auf nahen Verkehr mit
Athen angewiesener Seeplatz.
Auf die Finanzen des Reichs haben diese Schwankungen keinen
nachweisbaren Einfluss geübt Nachdem die Summe von 460 Talenten
sich als Gesamtbetrag sechzehn Jahre lang erhallen hatte, trat um
85, 3; 438 eine höhere Besteuerung ein, für die wir bei den
tbrakischen Städten einen Mafsstab haben, in dem z. B. Mende von
5 auf 8 Talente gesetzt wurde, die Samothrakier von 4 auf 6,
Potidaia von 6 auf 15.
So ist in der Zeit des Perikles der Gesamtbetrag auf 600 Ta-
lente gestiegen, eine Summe, die noch weniger als der frühere Be-
trag zu Kriegszwecken verwendet werden konnte, und so war aus
den Leberschüssen der Staatsschatz erwachsen.
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STAATS- l.ND TEMPELSCHATZ.
Die Idee eines öffentlichen Schatzes ist in Athen so alt wie der
Beschluss eine Seemacht zu bilden; denn eine Flotte ohne Schatz
ist undenkbar. Die Silbererze von Laurion waren das Grundkapital
des altischen Schatzes; die eigentliche Geschichte desselben beginnt
aber erst mit der Ueberführung der Kasse von Delos (S. 163). Es
wird erzählt, die Gelder seien Perikles übergeben worden ; und dar-
nach dürfen wir annehmen, dass er es gewesen ist, welcher nicht
nur die Verlegung des Schatzes vorzugsweise betrieben, sondern
auch die Verwaltung desselben als eines attischen Staatsschatzes ge-
ordnet habe.
Wie bedeutend sein Einfluss in dieser Beziehung gewesen sei,
geht schon daraus hervor, dass auf ihn vorzugsweise der Grundsatz
zurückgeführt wurde, Athens Machtstellung beruhe auf seinen Ein-
künften. In früheren Zeiten hatten die Tyrannen ihre Macht auf
Geld gestützt, Polykrates sowohl wie Peisistratos und die Gewalt-
herro Siciliens; in freien Staaten konnten aber die Mittel, welche
einem Tyrannen zu Gebote standen, um einen Schatz zu sammeln,
nicht angewendet werden, und darum waren sie aufser Stande,
Gröfseres zu unternehmen. Athen war der erste griechische Staat,
wo die Energie freier Bürger mit der Macht des Geldes verbunden
war, und diesen von Themistokles begründeten Vorzug im vollen
Mafse verwerthet zu haben, ist das Verdienst des Perikles; er erkannte
darin die Stärke Athens, namentlich Sparta gegenüber, das wegen
Mangel an öffentlichen Geldern bei aller Tapferkeit seiner Bürger
und der Gröfse des peloponnesischen Bundesheers in seinen Be-
wegungen immer gelähmt war und in entscheidenden Zeitpunkten,
wo es Geld haben musste, um handeln zu können, von dem guten
Willen seiner Bundesgenossen oder von den Priesterschaften in
Delphi und Olympia, welche Geldvorschüsse zu leisten vermochten,
abhängig war. Daher kam es, dass Sparta immer nur einzelne
Heerzüge unternehmen und nur vorübergehende Ziele verfolgen
konnte. Eine unabhängige und feste Politik war nur mit Hülfe eines
Schatzes möglich, und darum hielt Perikles es für die wichtigste Auf-
gabe der Friedensjahre, einen Staatsschatz zu sammeln, welcher in
die Obhut der Stadlgöttin gestellt wurde131).
Die Tempel waren seit Alters die sichersten Kassenorte; in ihnen
sind zuerst Capitalien zusammengebracht worden, und von den Priestern
hat man die Geldwirthschaft gelernt (I, 497). Wenn nun innerhalb
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STAATS- UM» TEMPELSCHATZ.
251
eines an öffentlichen Miltein armen Gemeinwesens ein Heiligthum
von ansehnlichen Einnahmen und Geldvorrathen vorhanden war, so
lag die Versuchung nahe, die Macht des Staats dahin geltend zu
machen, dass er von diesen Geldmitteln für seine Zwecke Nutzen
ziehen könne, ohne von dem guten Willen der PriesterschaOen ab-
hängig zu sein. Eingriffe dieser Art sind in der Zeit der Pisistratiden
vorgekommen (I, 674). Die Stadtgöttin ist damals auf feste Ein-
nahmen angewiesen worden, welche der Staat ihr garantirte; dagegen
bat der Staat eine Aufsicht und ein Verfügungsrecht über die Tempel-
schätze erhalten. Es war eine Art von Säcularisation der Tempel-
guter, die unter möglichst schonenden Formen durchgeführt worden
ist, eine Vereinbarung zwischen Staat und Priesterthum, bei welcher
im Wesentlichen Alles auf den Vortheil des Staats hinauskam, die
religiösen Rücksichten aber nicht aus dem Auge gesetzt wurden188).
Wir können diese merkwürdige Verbindung der attischen Finanzen
mit den Tempeln, welche von den Tyrannen vorbereitet ist, nur in
der perikleischen Zeit genauer erkennen.
Damals wurde, was der Staat nach Deckung der gewöhnlichen
Ausgaben von den Einkünften des Jahrs übrig hatte, 'der Stadtgöttin
übergeben' und mit ihrem Tempelschatz vereinigt unter gleichem
Schutz des heiligen Orts. Diese Ueberschüsse (d. h. wesentlich die
Tributsummen) waren aber nur ein Depositum; sie blieben öffent-
liche Gelder, für deren Aufbewahrung der Staat seit Ueberführung
der Bundeskasse ein Sechzigstel der Jahreseinnahme zahlte, die
Tempelquote, die als eine wie von einer Erndte abgehobene Weihe-
gabe angesehen wurde.
Ausserdem hatte die Göttin ihren eigenen Schatz, welcher aus
den Pachtgeldern, aus Pflichtabgaben der attischen Familien (I, 359),
Bußgeldern und Zehnten seine jährlichen Zugänge hatte. Er bildete
mit dem Depositum zusammen die sogenannten 'Gelder auf der Burg1.
Dazu kamen die anderen Werthgegenstände, das ungemünzte Gold
und Silber so wie die Weihgeschenke vom Staat und von Privaten.
Endlich steckte ein besonderes Capital in dem Goldmantel der
ParlhenoB.
Nun hatte der Staat eigentlich nur über sein Depositum freie
Verfügung; alles Andere war heiliges Geld, Eigenthum der Göttin,
deren volles Recht dadurch anerkannt wurde, dass jede Benutzung
zu Staatszwecken nur in Form einer Anleihe erfolgte, bei welcher
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232
STAATS- I.NU TEMI'ELSCHATZ
der Slaat die Verpflichtung der Verzinsung und Rückzahlung über*
nahm. Aber bei diesem Finanzgeschäfte wurde die Einwilligung
des Eigenthümers stillschweigend vorausgesetzt. Man nahm die
heiligen Gelder in Anspruch, noch ehe das Depositum erschöpft war,
und wenn man auch, sobald es die Mittel erlaubten, mit der Rück*
Zahlung Ernst machte, — so wurden die Kriegskoslen für den
samischen Krieg aus den Ratenzahlungen der besiegten Samier heim-
gezahlt — , so kamen doch auch diese Zahlungen eben so wie die
Zinsen und Tempelquoten am Ende dem Reservefonds zu Gute,
und der Sinn der ganzen Einrichtung war im Grunde kein anderer
als der, dass der Staat, wenn es darauf ankam, über alle Barschaften
auf der Burg, so wie über alle Werthgegenstände, Weihgeschenke
und Inventarstücke verfügen konnte.
Es handelte sich dabei nicht nur um das Eigenthum der Staats-
und Schutzgoltheit von Athen, der Athens Polias, sondern auch um
das der Athena-Nike, und nachdem diese beiden Tempelschätze ver-
einigt waren, ging man weiter in der Concentration aller Geldvorräthe
auf der Burg. Es wurden auch die Schätze der 'anderen Götter'
in einen Centraischatz auf der Burg vereinigt. Er wurde neben dem
Schatz der Athena aufbewahrt; er wurde in ganz entsprechender
Weise organisirt und den Staatszwecken ebenso dienstbar gemacht.
Dies geschah durch ein Gesetz von 86, 2; 435, durch welches unter
Perikles die finanzielle Organisation in der Hauptsache vollendet
wurde.
Nun hatte man alle Gelder auf der Burg in einer Schatzkammer
zusammen, die ohne Weiteres verfügbaren Staatsgelder so wie den
heiligen Schau, den der Athena und den der 'anderen Götter', beide
nur unter beschränkenden Bestimmungen zu benutzen. Diese waren
aber im Grunde nur scheinbar; denn die Zinsen, welche gezahlt
wurden (1 % Prozent), waren so gering, dass sie nicht in Betracht
kamen. Aber die Beschränkungen dienten doch dazu, den Unter-
schied zwischen Staatsgut und heiligem Gut aufrecht zu erhalten
und dem Geldverbrauch einen Zügel anzulegen. Denn der Gesichts-
punkt, aus dem die ganze Einrichtung hervorging, war ein zwie-
facher. Einmal sollte der Staat in letzter Instanz aller auf der Burg
vereinigten, gemünzten und ungemünzten Geld wer the sicher sein,
wenn er ihrer bedurfte; andererseits sollte einer leichtsinnigen Be-
nutzung, wie sie in einem demokratischen Gemeinwesen leicht vor-
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FI31NZVERWALTÜKG. SCHATZÄMTER.
253
kommen konnte, gesteuert werden. Darum wurden auch gewisse
der Göttin übergebene Summen ausgeschieden, um als unantastbar
für Fälle ausserordentlicher Art, einen SeeangrifT auf Athen u. dgl.
bei Seite gelegt zu werden. Es wurden auch Regulative für die
Verwendung der Gelder erlassen, welche für das Ausgabebudget
bestimmte Posten festsetzten. So wurde in dem Gesetz von 86, 2;
435 eine feste Summe für öffentliche Bauten angesetzt, indem die
Zuschösse zum Baufonds auf höchstens 10000 Drachmen limitirt
wurden. Anträge, welche diesen Festsetzungen widersprechen, werden
mit Strafe bedroht, falls nicht eine besondere Erlaubnis^ dazu von
der Börgerschaft erwirkt worden ist Auch solche Normen sollten
der Gefahr vorbeugen, dass plötzliche Einfalle eines Volksredners,
welche geneigtes Gehör fanden, das richtige Verhältniss zwischen
Einnahmen und Ausgaben störten1").
Den finanziellen Gesichtspunkten entsprach die Art der Ver-
waltung. Die Kassenbeamten hiefsen 'Schatzmeister der Göttin1, und
'Verwalter der heiligen Gelder der Athena', denen später die 'Schatz-
meister der andern Götter1 an die Seite traten. Sie waren scheinbar
Tempelbehörden, in Wahrheit aber Gemeindebeamte, aus der ersten
Vermogensklasse der Bürger jährlich erloost, aus jedem der zehn
Bürgerstämme Einer; sie waren von Staatswegen zur Föbrung
genauer Inventarien angewiesen, der Gemeinde rechenschaftspflichtig
und auch während der Amtsführung jederzeit unter öffentlicher Controle.
Rein staatliche Beamte waren die zehn Hellenota mien, deren Amt
durch Gründung des Seebundes veranlasst und aus Delos ubertragen
war; auch sie wurden aus den wohlhabendsten Bürgern erloost. Sie
hatten aus den Ueberschüssen der Einnahmen, deren ältester Bestand
der delische Schatz war, diejenigen Summen auszuzahlen, welche
auf Antrag des Raths von der Bürgerschaft angewiesen waren , zu-
nächst für Bundesangelegenheiten , dann auch für ferner liegende
Zwecke. Sie leisteten am Ende jedes Jahres die Abgabe des
Sechzigstels an den Tempelschatz in Gemeinschaft mit der Ober-
rechenkammer, den 'Logisten' oder 'Dreifsigern'; sie standen mit
ihrer Kasse unter beständiger Aufsicht des Raths, und der 'Epistates'
oder Tagespräsident der Prytanen (I, 377) führte den Schlüssel zn
der Schatzkammer.
So war durch collegialische Einrichtung der Aemter, durch
Concurrenz verschiedener Staatsbehörden, so wie durch den Census
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F I > i A > Z V E R NN A L T V X IG . SUIATZURKL'MDEM
der Kassenbeamten für eine gewissenhafte Geld wir thschafl möglichst
Sorge getragen.
Jetzt war also der Hergang dieser, dass die fälligen Tribute,
welche in Delos direkt an die Hellenotamien gegangen waren, vom
Rath der Fünfhundert in Empfang genommen wurden und zwar durch
Vermittlung der zehn Generaleinnehmer oder 'Apodekten'. Das
geschah in jedem neunten Monat des attischen Jahres, an dem
grofsen Dionysosfeste. Yon den Apodekten kamen die Gelder in die
Kasse der Hellenotamien, welche die angewiesenen Zahlungen
leisteten und den Rest in den Schatz der Athena ablieferten. Die
ganze Berechnung der zu- und abgehenden Gelder wurde schliefslich
den Logisten zur Revision eingehändigt184).
Das ganze Rechnungswesen des Staats steht uns in seinen auf
Stein geschriebenen Urkunden wohlbezeugt vor Augen.
Es giebt Urkunden, in welchen die Einschätzung der Bundes-
genossen aufgezeichnet und öffentlich ausgestellt war. Besser erhalten
und darum wichtiger sind diejenigen Verzeichnisse, in welchen die
von den Tributsummen abgehobenen Sechzigste! der Reihe nach auf-
gezählt werden. Diese Listen beginnen von Ol. 81, 3; 454, d. b.
unmittelbar nach Ueberfährung des Schatzes von Delos, und reichen
15 Jahre hindurch, bis 440 v. Chr. Soviel Urkunden waren zu
einem Steingefüge vereinigt, welches neben dem grofsen Tempel
aufgerichtet stand. Sie bezeugen den Gesamtbetrag der Jahr für
Jahr wirklich eingezahlten Tribute und zugleich die Gewissenhaftig-
keit, mit weleher der Staat seine Verpflichtungen gegen die Göttin
erfüllt, während andere Verzeichnisse, die von den Schatzmeistern
zusammengestellt wurden, nach den Zahltagen jede aus dem Schatz
zu Staatszwecken gemachte Ausgabe berechneten; es waren monumen-
tale Schuldscheine, die bis auf Drachme und Obolos angaben, was
der Staat der Göttin an Kapital und Zinsen schuldig war.
An allen diesen Einrichtungen hat, wie wir annehmen dürfen,
Perikles einen hervorragenden Antheil gehabt, da ihm bei seiner
staatsmännischen Thätigkeit die Organisation der Geldkräfte Athens
vor allem Andern am Herzen lag. Die Hülfsmittel der Stadt sind
dadurch wesentlich gehoben; die Verwendung derselben in gewöhn-
lichen und außerordentlichen Fällen ist sicher geregelt. Die Bundes-
kasse ist mit den städtischen Finanzen zu einem Reichshaushalt un-
auflöslich verbunden, und neben der strengen RechenschaftspQichtig-
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PER! KL ES UND DIE FINANZEN.
255
keil aller Beamten diente die Oeffentlichkeit der Verwaltung dazu,
allen Unredlichkeiten und Nachlässigkeiten vorzubeugen. Nur so war
es möglich gewesen, dass die Umwandlung, welche Athen durch-
machte, indem es im Laufe von wenig Jahren aus einer bescheidenen
Landstadt am saronischen Golf die regierende Hauptstadt eines
weiten Küstenreichs geworden war, ohne Verwirrung und Unordnung
durchgeführt wurde.
Freilich war durch die Mannigfaltigkeit und die zum Theil un-
sichere Beschaffenheit der Hilfsquellen, durch die Menge der ver-
schiedenen Kassen so wie der einnehmenden, zahlenden und con-
trolirenden Behörden, und durch die formelle Unterscheidung von
Staats- und Tempelgut die Uebersicht des gesamten Staatsbaushalts
bei aller Oeffentlichkeit eine sehr schwierige Aufgabe. Diese Schwierig-
keiten nöthigten die Bürgerschaft einen leitenden Vertrauensmann zu
haben ; sie steigerten die Bedeutung eines Staatsmanns, wie Perikles
war, und machten ihn, der die Aufgabe und die Leistungsfähig-
keit der Stadl wie kein Anderer überschaute, der Bürgerschaft
unentbehrlich "').
Auch in Betreff der Bundesgenossenschaft wollte Perikles keine
Erweiterung, welche den Bestand derselben gefährden könnte. Um
so eifriger war er bedacht, in den Gebieten, wo Athen keine Herr-
schaft gründen konnte, das Ansehen der Stadt gellend zu machen,
wie er es am Gestade des Pontos that, und neue erspriefslicue Ver-
bindungen mit dem Auslande anzuknüpfen. Dazu diente die Aus-
sendung von Kleruchien und Colonkn.
Klerucben nannte man die Inhaber der 'Kleroi' oder Ackerloose,
welche attischen Bürgern angewiesen wurden, wenn dem Staate
außerhalb Attika Ländereien zur Verfügung standen. Er konnte
auf verschiedenen Wegen in den Besitz derselben gekommen sein;
der gewöhnlichste Weg war der der Eroberung.
Wir wissen jetzt, dass auch hier Peisistratos vorangegangen ist,
indem er auf Salamis die erste Landanweisung attischer Bürger an-
ordnete (1, 343). Diese Politik wurde in groisem Mafsstabe auf-
genommen und Chalkis war die erste Stadt, wo die Athener einen
Theil der Bürger ausgetrieben und ihren Grundbesitz eingezogen
hatten, die erste Griechenstadt, an welcher man mit rücksichtsloser
Strenge das Recht des Eroberers vollzog (1, 3S7).
Nach Gründung des delischen Sgebundes erfolgten ähnliche Mafs-
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256
DIE KLERUCHIEJt.
*
regeln, welche zur Befestigung der Seeherrschaft und zur Sicherheit
des Handels noth wendig erschienen. So wurde das verwüstete
Elon am Strymon (S. 124) mit Athenern besetzt, und die Insel
Skyros wurde aus einem Seeräuberstaate, welcher den Verkehr mit
Thracien hemmte, eine attische Kleruchie.
Was zu Kimons Zeit in Folge besonderer Veranlassungen ge-
schah, wurde durch Perikles eine Mafsregel, die sich von Zeit zu
Zeit wiederholte und die man allmählich, eben so wie die Spenden
und Speisungen, als etwas zum Wesen einer demokratischen Ver-
fassung Gehöriges anzusehen gewohnt wurde. Die Kleruchien der
perikleischen Zeit müssen viel zahlreicher gewesen sein, als die erhal-
tenen Nachrichten erkennen lassen; denn es ist eine Thatsache, dass
namentlich von Euboia ein beträchtlicher Theil — wie es heifst,
zwei Drittel — allmählich in die Hände attischer Bürger gekommen
ist. Es haben also wahrscheinlich um die Zeit, da Histiaia zerstört
und Oreos gegründet wurde (S. 180), auch in Chalkis, Eretria,
Karystos u. a. Orten Landeinziehungen stattgefunden. Ebenso in
Samos. Zugleich mit den Athenern wurden auch ihre Gotter und
Heroen angesiedelt und mit Grundeigenthum beschenkt. Das waren
Filiale des hauptstädtischen Heiligthums, und die Einkünfte derselben
flössen in den Schatz der Stadtgötün, kamen also auch den öffent-
lichen Hülfsmitteln Athens zu Gute.
Aber nicht blofs auf dem Wege des Kriegsrechts, sondern auch
durch Verträge ist bundesgenössisches Land in den Besitz von
Athenern gekommen und gewiss war dies ganz besonders im Sinne
des Perikles, eine friedliche Ausbreitung attischer Bevölkerung im
Archipelagus zu befördern, um durch vertragsmäfsige Aneignung
Besitzungen zu erwerben, deren volle Berechtigung niemals in Frage
gestellt werden konnte.
Spuren solcher Verträge lassen sich in den Tributsätzen er-
kennen. Bei den Thasiern z. B. wird sich die plötzliche Erhöhung
des Tributs um das Zehnfache kaum anders erklären, als dadurch,
dass ihnen eingezogenes Land wieder zurückgegeben wurde. Viel
häufiger aber ist der Fall, dass auf den Inseln, wo attische Kleruchen
angesiedelt wurden, die Tributsätze plötzlich vermindert werden.
Athen kaufte Landgebiet und verzinste die Kaufsumme durch einen
entsprechenden Erlass an dem jährlich zu zahlenden Tribut. Solche
Verträge waren beiden Theilen vortheilhaft. Denn die Bundesgenossen
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DIE KLERUCHIF.N.
257
erhielten eine bedeutende Erleichterung, und Athen hatte den un-
schätzbaren Vortheil, immer mehr feste Stützpunkte seiner Macht
zu gewinnen. So konnten im samischen Kriege die Geiseln bei
den Kleruchen in Lemnos aufbewahrt werden. In gleicher Weise
wohnten an der thrakiscben Küste, auf Andros, auf Naxos und
Imbros attische Börger neben den ursprünglichen Einwohnern, welche
als tributpflichtige Bundesgenossen fortbestanden. Die Athener hiefsen
wohl nach ihrem neuen Wohnorte Irabrier, Lemnier u. s. w., blieben
aber als attische Bürger in ihren attischen Phylen, deren zehn Heroen
dort ihre Heiligthümer erhielten; sie gehörten nach wie vor zur
attischen Land- und Seemacht, vertraten überall das Interesse der
Vaterstadt und hielten die nicht-attische Bevölkerung in Obacht.
Ausserdem hatte man den Vortheil, eine Menge armer Bürger nach
und nach zu wohlhabenden Grundbesitzern zu machen, ohne an
Bürgerzahl einen Verlust zu haben. Man verwertete die Volks-
kraft zum Besten des Staats und schützte ihn zugleich vor den
Lebelständen, welche eine Uebervölkerung der Hauptstadt mit sich
bringen musste. Es war also eine der wirksamsten Mafsregeln
äufserer wie innerer Politik.
Freilich haben von allen Unternehmungen, welche Athen vermöge
seiner Seeherrschafl ausführte, die Kleruchien am meisten Hass her-
vorgerufen, weil sie häufig mit Gewalttätigkeit und mit Uebervor-
theilung der Bundesgenossen verbunden waren. Doch wurde, so lange
Perikles den Staat regierte, mit weiser Mäfsigung verfahren. Das
Schicksal von Histiaia war durch besondere Vorgänge gerechtfertigt;
Chalkis wurde dagegen mit grofser Milde behandelt. Allgemeiner
Billigung erfreute sich besonders der Auszug nach dem thrakischen
Chersonnes, wohin Perikles selbst 82, 1 ; 452 tausend Bürger führte,
um so die wichtige Halbinsel auf das Engste mit Athen zu verbinden.
Auch den politischen Feldzug (S. 238) benutzte Perikles zur Coloni-
sation und siedelte in Sinope nach dem Sturze des Timesilaos sechs-
hundert Athener an, denen die Grundstücke des vertriebenen Tyrannen
übergeben wurden. Amisos wurde unter Führung des Athenokles als
i'eiraieus' neu gegründet18*).
So gingen die Bürgercolonien über die Gränzen des Archipelagus
hinaus, und im Norden desselben war es besonders Thrakien, das man
sich seines Holz- und Metallreichthums wegen allen Schwierigkeiten
zum Trotz immer mehr anzueignen suchte. Noch heute ist uns die
Cortio*. Gr. Oescb. H. 6. Aufl. 17
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258
COI.ONISATION VON' BRKA.
alte Steinurkunde des attischen Volksbeschlusses erhalten, auf Grund
dessen um Ol. 84 die Stadt Brea im Lande der Bisalter, in wasser-
reicher Berggegend nördlich von der Chalkidike (I, 418) und südlich
vom Strymon zum Wohnsitz einer attischen Bürgergemeinde unter
unmittelbarem Einflüsse des Perikles eingerichtet worden ist. Wir
finden darin die Bestimmung wegen eines für die neue Pflanzstadt dar-
zubringenden Staatsopfers, die Wahl von zehn Landauftheilern, die
Bevollmächtigung des Demokleides, der den Antrag gestellt hatte, zur
Einrichtung der Colon ie, wobei die heiligen Bezirke, welche vorhanden
sind, erhalten bleiben sollen, die Verpflichtung der Pflanzbürger, zu
den grofsen Panathenäen einen Stier und zwei Schafe nach Athen zu
senden; ferner die Verpflichtung zu vertragsmäßiger Hülfeleistung in
Zeiten der Gefahr, und endlich die Bestimmung über Aufstellung von
Steinurkunden mit den Namen aller Colonisten, über Ausrüstung von
30 Schiffen zur Ueberfahrt u. s. w. Aufserdem wird bestimmt, dass
bei einem Angriffe auf das Gebiet der Kleruchen nach den über die
thrakischen Städte vereinbarten Verträgen die anderen Bundesstädte
unverzügliche Hülfe leisten sollen. Die soziale Bedeutung der Colon i-
sation tritt aber darin hervor, dass ausdrücklich die beiden unteren der
solonischen Vermögensklassen als diejenigen bezeichnet werden, aus
denen die Colonisten von Brea genommen werden sollen1*7).
Auf diese Weise sorgte man in der Zeit des Perikles für die un-
bemittelten Bürger. Aber seine Gedanken gingen auch hier über das
städtische Interesse und den unmittelbaren Nutzen weit hinaus. Athen
hatte schon durch seinen Seebund die glänzende Stellung einer tochter-
reichen Metropole; denn man liebte es, das Verhältniss der abhängigen
Städte zu Athen mit dem Verhältniss der Colonien zur Mutterstadt
gleichzustellen und nach diesem Gesichtspunkte auch die Betheiligung
der Städte an den religiösen Festen des Vororts zu verlangen. Athen
sollte nun aber auch für ganz Griechenland die Colonisation leiten und
sich an der Spitze nationaler Unternehmungen als die erste Seemacht
der Hellenen bewähren. Dazu bot sich eine treffliche Gelegenheit in
Italien dar.
Hier hatte Sybaris über ein halbes Jahrhundert in Schutt gelegen,
als die Familien der alten Stadt, welche in ihren Pflanzstädten, Skidros
und Laos, Zuflucht gefunden hatten, den Entschluss fassten, heimzu-
kehren und an alter Stelle ein neues Sybaris aufzubauen. Sie griffen
das Werk rüstig an, wurden aber von ihren allen Feinden, den Kro-
NEU-SYBARIS.
259
toniaten (I, 432), gehindert, es durchzuführen. Sie sahen sich also
nach auswärtiger Hülfe um und schickten nach Sparta, für das die
Geschlechter mehr Sympathie hatten als für das demokratische Athen;
auch war es natürlich, dass die auswärtigen Seestädte bei jeder Ver-
bindung mit Athen für ihre Selbständigkeit fürchteten. Indessen
wies man in Sparta die Anträge zurück, und die Gesandten kamen nach
Athen.
Hier wurde die Angelegenheit mit greisem Eifer ergriffen, denn
nach dem Unglücke von Koroneia war eine neue Unternehmung von
glücklicher Vorbedeutung doppelt willkommen. Alte Orakel, welche
von der Herrschaft der Athener in Italien redeten, wurden hervorge-
zogen; das alte Glück der Sybariten trat in lockenden Bildern den
Athenern vor die Seele, und die ganze Bürgerschaft gerieth in eine er-
wartungsvolle Aufregung. Der eifrigste unter den Eifrigen war Lampon,
der vielgeschäftige Prophet und Orakeldeuter. Perikles selbst aber
war es, der als Staatsmann die ganze Angelegenheit in seine Hand nahm,
und schon vor dem Abfalle von Euboia, Ol. 83, 3 (446), gingen unter
Lampons Führung die ersten attischen Schiffe nach Italien hinüber.
Aber ehe noch die Mauern und Häuser des neuen Sybaris aufgerichtet
waren, gerieth die ganze Gründung wieder in Gefahr der Auflösung.
Die syba ritischen Familien, welche an alter Stelle ihre Wohnsitze be-
hielten, nahmen eine Reihe von Ehrenämtern, den Vortritt bei den
Opfern und die Ländereien in der Nähe der Stadt für sich in Anspruch ;
sie wollten ein städtisches Patriziat bilden und weigerten sich den
neuen Ansiedlern ein gleiches Bürgerrecht einzuräumen. Es kam
zum Kampfe; die Sybariten wurden vertrieben und zum gröfsten Theile
getodtet
Nun hatten die Athener freie Hand, und auf Antrieb des Perikles,
der nach Abschluss des Friedens ein besonderes Interesse daran haben
musste, die Stadt von unruhigem Volke zu befreien, erfolgte gegen
Ende von Ol. 84, 1, im Frühjahre 443, eine Neugründung der ita-
lischen Stadt. Man wählte einen Ort im Gebiete der alten Sybariten,
wo eine starke Quelle. Namens Thuria, noch aus früherer Zeit als
Röhrbrunnen floss. Von ihr erhielt die Stadt den Namen Thurioi.
Man beschränkte sich jetzt nicht auf altische Bürger; denn es lag
Perikles daran, dass etwas Nationalhellenisches zu Stande käme und
dass der Versuch gemacht würde, aufserhalb des engeren Griechen-
lands die schroffen Gegensätze der Stämme auszugleichen.
17*
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THlMOt U>D AMPHIPÜLIS.
Unter Leitung des Hippodamos von Milet (S. 199) wurde Thurioi
nach Vorbild des Peiraieus als eine grofse Stadt mit regelmäfsigen
Quartieren eingerichtet; vier Hauptstraßen durchschnitten die Stadt in
der Länge, und drei in der Breite; die Bürgerschaft aber wurde nach
ihren Bestandteilen in zehn Stämme gegliedert; drei derselben,
Arkas, Elea, Achais, umfassten die peloponnesischen Ansiedler; Athe-
nais, Boiotia und Amphiktyonis die aus Mittelgriechenland; Doris und
las die Asiaten, Euboiis und Nesiotis die Insulaner. Dann wurde
mit Benutzung der Gesetze des Charondas (I, 547) eine gemafsigle
Demokratie eingerührt; es wurden mit den umliegenden Orten Ver-
träge geschlossen, und das glückliche Aufblühen der jungen Stadt
lockte eine Menge ausgezeichneter Männer aus allen Gegenden herbei.
So kam gleich nach der Gründung Empedokles; es kam Protagoras,
der auch für die Gesetzgebung von Thurioi thätig war, Tisias, der
Meister sicilischer Redekunst, Lysias, des Kephalos Sohn, aus Athen,
Herodot aus Halikarnass u. A. Ein reiches, aber wohlgeordnetes Ge-
meinwesen gestaltete sich; die fruchtbare Landschaft begünstigte den
Wohlstand, und das Gedeihen der Pflanzstadt war ein glänzender Ruhm
Athens und seines" grofsen Staatsmannes138).
Endlich gehörte in die Reihe dieser Stadtgründungen, die unter
Perikles' Leitung zu Stande gekommen sind, Amphipolis am Stryraon.
Lange Zeit hatte man nach den bei Drabeskos erlittenen Unglücks-
fallen (S. 140) jeden Versuch aufgegeben, das Strymonthal aufwärts
in das Land der kriegerischen und freiheitsliebenden Edoner vorzu-
dringen. Man begnügte sich die Mündung des Stroms in der Gewalt
zu haben. Erst 85, 4 (437) nahm man den Kampf wieder auf.
Man befestigte einen steilen Hügel, welchen der Strymon im Halb-
kreise um fliefst, nachdem er aus einem langgestreckten See heraus-
getreten ist Hagnon, des Nikias Sohn, war der Führer der Ansiedler,
welche die Stadt Amphipolis auf jenem Hügel anbauten; sie beherrschte
die Strafse, welche von Makedonien her das Land durchschneidet und
die Verbindung mit dem Hellesponte bildet Sie war so vortheilhaft
gelegen, dass sie nur an der Ostseite einer Quermauer bedurfte,
welche an beiden Enden den Strom berührte. Auch diese Gründung
bestand aus griechischem Volke verschiedener Herkunft, aber Athen
war der leitende Staat, ihm kamen die Handelsvortheile vorzugsweise
zu Gute18»).
Durch diese Mafsregeln der perikleischen Verwaltung wurde
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GEWERBFLEISS IN AT II EIN.
261
Athens EinAuss immer »eiler ausgedehnt und der Wohlstand der
Stadt auf das Wirksamste gefördert. Wohlstand, Mufee und Lebens-
genuss sollten in Athen ein Gemeingut aller Bürger werden, und
dieser Zweck wurde so weit erreicht, wie es in menschlichen Slaats-
gemeinschaften möglich ist. Die dem Lande eigentümlichen Hülfs-
quelien an Korn, Wein, Oel, Honig, Salz u. s. w. waren durch kluge
Benutzung immer ergiebiger geworden; die Hüttenwerke standen in
vollem Flor und die Marmorberge Athens erhielten erst ihre volle
Bedeutung, seit Mittel und Neigung da waren, sie zu öffentlichen
Werken zu verwenden. Bei der ungemein dichten und stets zu-
nehmenden Bevölkerung des Landes bedurfte es einer grofsen Rührig-
keit und Betriebsamkeit, um immer neue Erwerbsquellen ausfindig
zu machen, und die Athener haben ihren Wohlstand, um den sie
bald von Allen beneidet wurden, dadurch erworben, dass sie arbeitsam
und vorurteilsfrei waren. Im Gegensatze zu jener vornehm thuenden
Trägheit, welche lieber darben will, als zu Erwerbsmitteln greifen,
die eines freien Hellenen unwürdig schienen, war in Athen der
MüTsiggang ein Laster, und wer die Arbeit verschmähte, welche der
Dürftigkeit abhelfen konnte, verunehrle sich in den Augen seiner
Mitbürger. Der Gewerbfleifs erschien aber um so weniger unanständig,
da das rein Mechanische Sklavenhänden überlassen blieb; die Auf-
gabe der Bürger war es, die Arbeit zu beaufsichtigen, sie durch er-
findsamen Geist zu vervollkommnen: den Werth derselben durch
kaufmännischen Sinn zu erhöhen und so dem Geschäfte eine Aus-
dehnung zu geben, wodurch es aus dem Bereiche des Handwerks
hervorragte. Die Demokratie wirkte überhaupt dahin, von einseitigen
Standesvorurleüen zu befreien, jedem rechtlichen Verdienste seine
Ehre zu geben, alle Formen kastenförmiger Gebundenheit zu beseitigen
und so durch freie Coucurrenz den Aufschwung der Gewerbe zu
begünstigen.
Diesem Aufschwung kam nun der freie Verkehr zu Gute, dessen
sich Athen erfreute. Es war im Gegensatze zu Sparta eine offene,
zugängliche und menschenfreundliche Stadt. Jene Gastlichkeit, die
seit alten Zeiten einer der liebenswürdigsten Züge des attischeu
Nalionalcharakters und einer der fruchtbarsten Keime der Gröfse
Athens gewesen ist, war ein Grundsalz des Staatslebens geworden,
welchen Themistokles und Perikles mit außerordentlichem Erfolge
angewendet haben. Denn seitdem Athen aus seiner bescheidenen
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VERKEHR UND GEWERBE.
Stellung hervorgetreten war, wurde es ein Mittelpunkt der griechischen
Weit, und wer sich in seiner Kunst etwas Besonderes zutraute, wusste,
dass es keinen besseren Ort gäbe, um Anerkennung und Verdienst
zu finden.
Die Menge der in Athen domicilirten Fremden, der Schutz-
genossen oder Metöken, war seit Themistokles (S. 108) sehr ange-
wachsen und bildete einen für die Geschichte der Stadt ungemein
wichtigen Stand. Sie standen als Fremde unter der Gerichtsbarkeit des
Polemarchen (I, 298), sie waren vom Rechte des Grundbesitzes auf
attischem Boden ausgeschlossen und leisteten eine persönliche Steuer,
das Meloikion oder Schutzgeld. Die rechtlichen Unterschiede machten
aber keine schroffe Scheidung, sondern wurden im gesellschaftlichen
Leben durch den Geist attischer Humanität ausgeglichen.
Je gröfser die Aufgaben des Staats wurden, um so mehr wurden
auch die Fremden in die Interessen desselben hineingezogen.
Sie wurden zum Waffendienst im Heer und auf der Flotte benutzt.
Reiche Metöken, welche als Grofshändler oder Fabrikanten viele
Sklaven hielten und ein grofses Haus machten, betheiligten sich mit
Hingebung an den Liturgien und zeigten sich, wenn man Geld
gebrauchte, zu Vorschüssen bereit. Hatten sich Einzelne von ihnen
besonders verdient gemacht, so wurden sie als 'Isotelen' ausgezeichnet
und von der Zahlung des Schutzgeldes befreit Es fanden sich unter
den Metöken Männer von hervorragendem Geiste, welche es grund-
sätzlich vorzogen, von allen börgerlichen Geschäften fern zu bleiben
und einer freien Mufse zu pflegen. Ein solcher Metökenstand musste
auf das ganze Leben einen stillen, aber tiefgehenden Einfluss üben;
er vermehrte nicht nur die Hülfsmittel der Stadt, er führte ihr
auch eine Fülle fruchtbarer Keime allgemein griechischer Bildung
zu; ein abgeschlossenes Stadtbürgerthum, wie es in den meisten
Gemeinden Griechenlands festgehalten wurde, war in Athen unmöglich.
Aus allen Orten wurden die verschiedensten Industriezweige
nach Athen eingeführt, wo durch Welteifer der Einheimischen und
Fremden und den Austausch der neuesten Erfindungen alle Gewerb-
zweige zu einer noch unerreichten Vollkommenheit gediehen. Sie
blieben dort einheimisch, weil keine andere Stadt mit Athen wett-
eifern konnte. Athen wurde die Bildungsschule für Industrie und
Handwerk, der Hauptmarkt für alle höhere Fabrikation, wo die Preise
sich bestimmten und der Geschmack sich feststellte. Wer Athen
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ZERSETZUNG DER BÜRGERSCHAFT.
263
nicht kannte, kannte Griechenland nicht, und wer es kannte, konnte
sich an andere Orte nur schwer gewöhnen.
Die Anziehungskraft der Stadt hatte auch ihre bedenkliche Seite.
Die Alten hallen eine natürliche Abneigung gegen übergrofse Städte;
sie liebten eine mäfsige und übersichtliche Bürgerzahl und mussten
also dem Zuzüge zu steuern suchen. Auch lag es in dem familien-
haften Charakter der alten Städte begründet, dass man nichts mehr
scheute als Vermischung der Bürgerschaft mit fremdem Blute, weil
das unvermeidlich eine Zerrüttung der Familien und der häuslichen
Gottesdienste, eine Veränderung der Sitten und Lebensgewohnheiten
zur Folge haben musste. Das waren , wie Viele meinten , veraltete
Gesichtspunkte, aber sie waren keineswegs abgethan und bedeutungslos.
Im Gegentheile; wo die Bürgerschaft den Staat regierte, kam es um so
mehr darauf an, den alten Stamm nicht von fremdem Zuwachse
überwuchern zu lassen. Es war also die Aufgabe einer weisen Politik,
ohne den freien Verkehr in nachtlieiliger Weise zu beschränken, das
attische Bürgerthum vor Zersetzung und Entartung zu schützen.
Das erkannte Perikles in vollem Mafse, und deshalb ging er in einer
Zeil, wo man immer nur vorwärts strebte und alle noch vorhandenen
Schranken zu beseitigen suchte, auf die ältere und strengere Gesetz-
gebung Athens zurück.
Es bestand nämlich ein alles Gesetz, nach welchem nur die-
jenigen auf volles Bürgerrecht Anspruch hatten, welche von Vater-
und Mutterseite attische Landeskinder waren ; denn nur die zwischen
Bürgersohn und Bürgertochter geschlossene Ehe war eine vollgültige.
Diese Satzung war nicht in Geltung geblieben.
Denn wenn auch gewisse äufserliche Unterschiede zwischen Voll-
bürtigen und Halbbürtigen bestanden (S. 15), so übte man doch, was
die wesentlichen Bürgerrechte betrifft, keine strenge Controle. In der
Zeit der Persernoth, wo jeder Zuwachs an Kraft willkommen war, war
am wenigsten Veranlassung dazu gewesen, und was wäre aus Athen
geworden, wenn man alle Halbbürtigen, also auch einen Themistokles
und Kimon, von dem Bürgerrechte hätte ausschliefsen wollen ! Anders
ward es in den folgenden Friedenszeiten, als immer mehr fremdes Volk,
Männer und Frauen, nach Athen strömte, von den Lustbarkeiten und
Festen wie von dem gewinnreichen Markte der Stadt angelockt. Durch
die Menge der ionischen Hetären wurden uneheliche Verbindungen
immer zahlreicher, und gleichzeitig wurde das attische Bürgerrecht mit
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2B4
PERIKLES' BÜRGERGESETZ (ÖS, 4; 445— U).
der Entwicklung der Demokratie und dem steigenden Ruhme der
Stadl immer mehr zu einem einträglichen Privilegium. Dazu gehörte
Antheil an den Landvertheilungen so wie der Genuss der Geschenke,
welche von fremden Wohllhätern nicht selten der Bürgerschaft gemacht
wurden.
In diesen Zeiten wurde eine sorgfältigere Beaufsichtigung des
Börgerrechts wünschenswerth, und Perikles war es, welcher die
Strenge der älteren Gesetzgebung wiederherstellte; es war eine der
ersten Mafsregeln, welche er durchsetzte, nachdem er seinen vollen
Einfluss erlangt hatte, und wenn gerade bei dieser Gelegenheit die
Kraft und Entschlossenheit seines Verfahrens gerühmt wird, so kann
man daraus schliefsen, welcher Aufregung er begegnen, welchen Hem-
mungen und Anfeindungen er entgegentreten musste. Es war eine
volksfreundliche Malsregel, insofern zu Gunsten der echten Athener
die unberechtigten Theilnehmer an den Vortheilen ihrer Gemeinschaft
zurückgewiesen wurden, wenn eine neue Landanweisung auf den Inseln
im Werke war; es war aber zugleich eine Mafsregel im Sinne aristo-
kratischer Staatsordnung; denn sie ersetzte die Thätigkeil, welche in
älteren Zeiten der Areopag in Beaufsichtigung der Bürgerlisten und
Entfernung unnützer, unberechtigter oder gefahrlicher Bestandteile
geübt halte.
Das Gesetz konnte nicht gleich mit rücksichtsloser Strenge durch-
geführt werden. Aber der Grundsatz war von Neuem festgestellt, und
als nun in einem Jahre grofser Theurung (83, 4; 445^) ein Korn-
geschenk von 40,000 Schefleln aus Aegypten einlief, um unter den
Bürgern verlheilt zu werden, da veranlasste schon der Eigennutz der
Bürgerschaft, die Durchführung des perikleischen Gesetzes nachdrück-
lich zu unterstützen. Die Anzahl derer, welche an der Spende Theil
nahmen, war über 14,000; 4760 wurden ausgestofsen. Darunter sind
nicht blofe Halbbürtige zu verstehen, sondern Nichtbürger, Fremdlinge
aller Art, die sich in die Bürgerlisten eingedrängt hatten. Viele der-
selben mussten das Land verlassen; Andere blieben als Schulzver-
wandte; noch Andere endlich, welche gegen ihren Ausschluss den
Rechtsweg eingeschlagen hatten, wurden, wenn sie den Prozess verloren
hatten, als Sklaven verkauft140).
Nachdem die Gefahren beseitigt waren, welche dem Staate aus
einem unbeschrankten Zuströmen von Fremden erwuchsen, konnte er
sich um so unbedenklicher die Vortheile zu nutze machen, welche sich
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FABRIKEN UND HANDEL.
2(35
daraus für alle Gebiele des öffentlichen Lebens ergaben. Die BlQthe
der attischen Gewerbe hatte die Folge, dass die Erzeugnisse derselben
aller Orlen gesucht waren, wie z. B. die altischen Metallarbeiten,
Lederwaaren, Lampen, Gerätbe jeglicher Art, namentlich Thon geschirr.
Es war einer der gröfslen Jahrmärkte Griechenlands, welcher am
zweiten Tage des Anthesterienfestes mit Thonwaaren gehalten wurde.
Ueber alle Küsten des Mittelmeers verbreitete sich diese attische Waare;
ja den Nil hinauf bis nach Aethiopien wurde sie durch phönikische
Händler vertrieben. So schloss sich an die Industrie ein lebendiger
Ausfuhrhandel, der reichliches Geld nach Athen brachte und die Er-
werbsquellen seiner Bürger verviehlüligte.
Zum Seehandel hatte der ionische Stamm von Natur einen ent-
schiedenen Beruf, so dass es weniger als anderswo einer künstlichen
Belebung bedurfte. In allen Ständen war ein rastloser Unternehmungs-
sinn, und, wo grofses Capital fehlte, bildeten sich Vereine, Genossen-
schaften, um durch gemeinsame Einzahlungen ein lohnendes Geschäft
mit Erfolg betreiben zu können. Der Staat versäumte nichts, um
diese Thäligkeit zu fordern; denn während die aristokratischen Ver-
fassungen einem unruhigen Unternehmungssinn ungünstig waren, lag
es im Sinne der Demokratie, dass sich möglichst Viele an den See-
geschäften betheiligten, weil dieselben mehr als alles Andere den
Volksreichthum mehrten, die Bürger selbständig machten, den Gewerb-
fleils belebten, die Seemacht forderten und den EinQuss der adeligen
Grundbesitzer zurückdrängten. Darum wurde der Handel ein Gegen-
stand der Staatskunst, namentlich in Athen, wo mit der Blüthe des
Handels auch die Ruhe des Landes und die Machtstellung der Stadt auf
das Engste zusammenhingen.
In dieser Hinsicht waren auch Beschränkungen des unbedingten
Freihandels geboten. Die Athener haben die unsicheren Grundlagen
ihrer Seeherrscbaft niemals verkannt, und weil sie die vielen Hülfs-
mittel, welche der Staat bei der Kleinheit und Dürftigkeit der eigenen
Landschaft nöthig hatte, um jeder Zeit seiner Aufgabe gewachsen zu
sein, mit ängstlicher Sorgfalt im Auge behielten, glaubten sie dem
Handel von Athen nicht die Freiheit der Bewegung geben zu dürfen,
welche seiner Entfaltung sonst am zuträglichsten gewesen wäre. Was
also zu dem unentbehrlichen Staatsbedarfe in Krieg und Frieden ge-
hörte, wie Getreide, Bauholz, Pech, Flachs u. s. w., durfte überhaupt
nicht ausgeführt werden. Andere Artikel, wie Oel, durften erst dann
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266
ATHENS HANDELSPOLITIK
ausgeführt werden, wenn der öffentliche Bedarf hinreichend ge-
sichert war.
Am drückendsten waren die Bestimmungen in Betreif des Korn-
handels, weil es keinen Staat gab, welcher von auswärtigem Korne so
abhängig war, wie Athen. Jede Stockung der Zufuhr, jede Steigerung
der Marktpreise, ja jede Besorgniss vor einer solchen war eine Ge-
fahrdung der Ruhe und bürgerlichen Ordnung. Wohlfeiles Brod war
das erste Interesse der Bürgerschaft, eine der wesentlichsten Aufgaben
der Gesetzgebung und Verwaltung.
Deshalb durfte hier der kaufmännischen Speculation, welche einen
öffentlichen Nothstand in eigennütziger Absicht ausbeuten konnte, am
wenigsten Spiel rau m gelassen werden. Die attischen Rheder und Grofs-
händler, welche das Korn vom schwarzen Meere holten, durften sich
also nicht die Häfen aussuchen, wo sie für ihre Ladungen den besten
Absatz zu erwarten hatten; sie mussten Alles nach Athen führen.
Die Kleinhändler wiederum durften nicht nach Belieben einkaufen,
sondern zur Zeit nur eine bestimmte Zahl von Scheffeln, und den
Scheffel nur um einen Obolos theurer verkaufen, als sie eingekauft
hatten. Sie waren also gewissermaßen Agenten, denen von Staats-
wegen nur ein bestimmter Prozentsatz als Gewinn erlaubt war. Be-
sondere Beamte (S. 109) überwachten die Gesetze des Korngeschäfts,
jede Uebertretung wurde wie ein Majestätsverbrechen geahndet. Denn
auch der Kaufmann sollte vor Allem Staatsbürger sein und seiner
Bürgerpflicht genügen; es war also ein Verbrechen, wenn er zu seinen
Gunsten die Verlegenheit des Staats ausbeuten wollte.
Eben so gewaltsame Mafsregeln wendete man an, um die See-
geschäfte im Peiraieus zu concentriren, der von Natur keineswegs so
gelegen war, um ein Mittelpunkt des Handels zu sein. Darum durften
die Athener nur auf solche Schiffe Geld ausleihen, welche bestimmt
waren Rückfracht nach Athen zu bringen; denn kein attisches Ver-
mögen sollte fremden Handelsplätzen zu Gute kommen. Auch den
Bundesgenossen wurden Verträge abgenöthigt, nach welchen sie ver-
pflichtet waren, gewisse Waaren nach keinem andern Hafen als nach
dem Peiraieus zu verschiffen, und zwar nur in bestimmten, vom Staate
angewiesenen Fahrzeugen. Ein solches Gesetz bestand z. B. in Be-
ziehung auf den Röthel der Insel Keos, welcher ein auch für den
Schilfbau wichtiges Färbematerial war. So scheute man keine Zwangs-
mafsregeln, um den Peiraieus, der unter allen Häfen Anikas allein
ATHE.NS HANDELSPOLITIK
207
Stapelrecbt hatte, zu einem Stapelplatze von ganz Hellas zu machen,
und die mit Athen verbundenen Seestädte gewannen für den Verlust
ihrer Selbständigkeit nicht einmal den Vortheil, dass sie innerhalb
des Bundesgebiets freien Verkehr und Umsatz hatten. Sie konnten
ihr Bauholz, Eisen und Kupfer, ihren Flachs und ihr Korn nur so
zu Verkauf bringen, wie es der Beherrscher des Meeres ihnen vor-
schrieb.
Wenn politische Rücksichten dem freien Aufschwünge des Handels
hart und hemmend entgegentraten, so geschah andererseits Alles, um
denselben zu befordern, und die Centralisation des Verkehrs hatte das
Gute, dass für den einen Stapelplatz in desto grofsartigerem Mafs-
stabe gesorgt werden konnte. Der Staat sicherte durch seine Kriegs-
flotte die Pfade des Meeres, und unter ihrem Schutze waren die Kauf-
fahrer in den Gewässern Lykiens und im Po mos so sicher wie an den
Küsten von Atlika. Für die Interessen der Rheder sorgte man durch
Begünstigung der in kaufmännischen Unternehmungen angelegten
Küpitalien, welche bei Ausschreibung von Kriegssteuern geschont
wurden, so wie durch Einrichtung von Handelsgerichten, welche in
den Winlermonaten safsen und zu rascher Erledigung der Prozesse ver-
pflichtet waren, um den Kaufleuten jeden Verlust an Zeit und Ver-
dienst möglichst zu ersparen; eine Einrichtung nach Vorgang der
Aegineten, von denen die Athener in Handelseinrichtungen viel gelernt
haben. Die Zölle waren gering (2 Prozent vom Werthe).
Durch die Sorge, welche der Staat für gutes Geld wie für rich-
tiges Mals und Gewicht übernahm, wurde der Geschäftsverkehr er-
leichtert und gesichert. Der Doppelstempel, welcher in Athen sehr früh
an Stelle der einseitigen Münzprägung eintrat und dann in Kleinasien
u. s. w. nachgeahmt wurde, erschwerte die Falschmünzerei und
forderte dadurch die Sicherheit des Verkehrs. Wie die anderen Grofs-
handelsstädte der griechischen Welt, Chios, Samos, Rhodos, erkannte
auch Athen, dass für den Kredit des Geldes nichts wirksamer sei, als
das Festhalten am alten Prägbilde. Darum blieben auch auf dem atti-
schen Drachmengeld Athenakopf und Eule im Wesentlichen unver-
ändert; eben so wurde die plumpe Form des Geldstücks beibehalten.
Zur Sicherheit des Verkehrs wirkten auch die strengen Schuld-
geselze Athens, weil sie dazu dienten, den Kredit zu befestigen. Jede
Gattung bürgerlicher Betriebsamkeit hatte Ehre und Schutz. Es
herrschte ein lebhafter und erspriefslicher Geldumsatz; in Fabriken
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GEISTIGES LEREN IN ATHEN.
und Bodmerei, Waaren- und Geldge8chäfl, Bergwerken, Mietshäusern
u. 8. w. waren die Kapitalien vorlheilbaft angelegt. Niemand dünkte
sich zu vornehm, um sich am Geschäfte zu betheiligen.
Für die an auswärtigen Plätzen befindlichen Kaufleute sorgten die
daselbst ansässigen Geschäftsträger (Proxenoi), welche vermöge ihres
Ehrenamts als ölten Iii che Gastfreunde sich der Bürger des ihnen be-
freundeten Staats annahmen. Der Bürger Athens war aber auch ohne
dies durch die Macht des Staats, der für ihn eintrat, gegen jede Unbill
gesichert, und die Furcht vor den attischen Richtern trug dazu bei,
dass im Umkreise ihrer Gerichtsbarkeit Niemand an altischem Eigen-
thuine sich zu vergreifen wagte. Je mehr der Wohlstand Athens sich
hob, um so mehr wurde die Stadt ein Mittelpunkt des weiten See-
gebiets und ihr Hafen der erste Markt, wo die Waaren aller Küsten-
länder zusammenflössen, wo die Sklaven, die Fische und Felle des
schwarzen Meers, die Bauhölzer Thrakiens, das Obst Euboias, die
Trauben von Rhodos, die Weine der Inseln, die Teppiche von Milet,
die Erze von Cypern, der Weihrauch von Syrien, die Datteln von
Phönizien, der Papyrus Aegyptens, das Silphium von Kyrene, die
Leckereien Sicilieus, das feine Schuhwerk von Sikyon, kurz alle aus-
wärtigen Produkte eben so reichlich wie die der eigenen Landschaft
zu Kauf standen141).
Es knüpf ten sich aber an den reichen Verkehr, dessen sich Athen
in den perikleischen Friedensjahren erfreute, noch ganz andere Vor-
theile als die für Gewerbe und Handel; denn auch die höheren Geistes-
richtungen fanden immer mehr ihren Mittelpunkt in Athen, und
Niemand ist eifriger bedacht gewesen dies zu fördern als Perikles.
Darum lud er persönlich solche Männer ein, von denen er sich eine be-
deutende Wirkung aur die Belebung wissenschaftlicher Studien und
die Förderung einer höheren Geselligkeit versprach. So war auf seine
Einladung der Syrakusaner Kephalos nach Athen übergesiedelt, ein be-
güterter angesehener Mann, dessen Vorfahren in dem Kampfe gegen
die Tyrannen seiner Vaterstadt sich ausgezeichnet hatten, und in dessen
Hause die edelsten Studien mit Liebe gepflegt wurden. Dreifsig Jahre
lebte er im Peiraieus und war als Mann und Greis das Musterbild eines
frommen und weisen Hellenen. Er war dem perikleischen Staate,
welchem er als Schutzbürger angehörte, mit ganzer Liebe zugethan, so
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A> FÄNGE DER GESCHI CHTSCHREinr>*G.
209
dass er es sich zur Ehre anrechnete, kostspielige Leistungen für den-
selben zu übernehmen; sein gastliches Haus war ein Sammelort der
geistvollsten Männer1").
Aber auch ohne besondere Aufforderung fühlten sich die bedeu-
tenderen Männer der Zeit nach Athen gezogen. Denn je weniger der
literarische Verkehr ausgebildet war, um so wichtiger war der persön-
liche Umgang und der mündliche Austausch der Ideen, namentlich in
einer Zeit, wie die damalige war, wo in Folge der grofsen, nationalen
Begebenheiten die Geister nach allen Seiten hin lebendig angeregt
waren und ein wissenschaftliches Streben sich Bahn brach, welches
auf keinem Gebiete bei dem Hergebrachten und Gewöhnlichen sich be-
ruhigen wollte. Wie einst nach Sparta (I, 281), so wurden jetzt nach
Athen alle neuen Entdeckungen gebracht, welche der hellenische Geist
in Kunst und Wissenschaft gemacht hatte. Aber der Unterschied war,
dass Athen nicht blofs ein Sammelplatz hervorragender Männer,
sondern auch ihre Heimath wurde, und dass die wissenschaftlichen
Ideen hier nicht blofs einen Markt fanden, auf dem ihnen Anerkennung
und Verbreitung zu Theil wurde, sondern auch einen Boden, in dem
sie Wurzel schlugen, indem das Volk von Athen ein aufmerksames,
lernbegieriges, und lebendig auflassendes Publikum war.
Peisistratos und die Pisistratiden hatten hier vorgearbeitet.
Die Schriftensammlung, welche Athen ihnen verdankte, gewährte für
literarische und historische Forschung Vortheile, welche an keinem
andern Orte zu finden waren. Darum ist es nicht überraschend,
wenn wir schon vor der perikleischen Zeit forschende Männer nach
Athen wandern sehen. Zu ihnen gehört Pherekydes aus Leros, der
in Athen seine zweite Heimath fand; ein Mann, welcher ganz in den
Ueberlieferungen der Vorzeit lebte und darauf ausging, die Masse
der Götter- und Heroensagen zu sichten. Dabei fand er Gelegen-
heit, die Stammväter derjenigen Geschlechter, die zu seiner Zeit in
den Freiheitskämpfen neuen Ruhm gewannen, in seinen Schriften
hervorzuheben, und so stieg er aus dem Nebel heroischer Vorzeit
zu den glänzenden Thaten der Gegenwart, vom Sohne des homerischen
Aias bis zu dem Sieger von Marathon herab.
Es war natürlich, dass die älteren Geschichtsforscher, denen
auch Pherekydes seiner ganzen Weise nach angehörte, nur die
Sagenkreise und Alterthümer einzelner Geschlechter, einzelner Städte
und Landschaften in das Auge fassten; es waren dies die ionischen
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270
HEKATAIOS. HEROÜOT VON HALIK AIO'ASS.
Logographen, wie man sie nannte, weil sie in ungebundener Rede
aufzeichneten, was sie über die Gründung der Städte, über die
Sogen der Vorzeit, über Beschaffenheit und Einrichtung verschiedener
Lander Bemerkenswertes gesammelt und erforscht hatten. So
schrieben schon in der Mitte des sechsten Jahrhunderts K ad mos von
Mitet und Akusilaos von Argos über die heimathlichen Alterthümer.
Viel tiefer und weiter ging die Forschung des Hekataios (I, 61S),
welcher schon in einer zu bewegten Gegenwart stand, als dass er
sich an einem harmlosen Wiedererzählen vorzeitlicher Ueberlieferungen
hätte genügen lassen. Er suchte den Kreis der Lander- und Völker-
kunde über alle Küsten der benachbarten Meere auszudehnen; er
verbesserte die milesischen Karten (I, 499, 620) und erforschte mit
besonderem Eifer die Einrichtungen des ägyptischen Volks. Es war
ein wissenschaftlicher Geist von bahnbrechender Wirksamkeit, dem
andere Landsleute, wie Gharon aus Lampsakos, sich anschlössen.
Aber so mannigfaltig und fruchtbar auch die Keime der historischen
Forschung waren, welche sich unter den loniern entwickelten, so
gab doch lonien selbst keinen StofT für eigentliche Geschichtschrei-
bung; es war keine Stadt da, welche mit Ausdauer und Helden-
sinn grofse Ziele verfolgte. Noch weniger konnte von einer Volks-
geschichte die Rede sein, so lange die Hellenen in ihren vielen
Stadtgemeinden diesseits und jenseits des Wassers ohne gemeinsame
Interessen neben einander dahin lebten. Erst durch die Vereinigung
der hellenischen Volkskräfte gegen die Perser unter dem Vortrille
eines Staats, wie Athen, konnte der Standpunkt genommen werden,
von welchem eine Gesamtgeschichte der Hellenen möglich war, und
diesen Standpunkt zuerst mit klarem Blicke erfasst zu haben, ist
das unsterbliche Verdienst des Herodotos von Halikarnass, welcher
dadurch die Sagen- und Länderkunde der Logographen zur Kunst
der Geschichtschreibung erhoben hat148).
Schon seine Geburtsstadt war vorzugsweise geeignet, ihm einen
freien und weiten Blick zu eröflnen; denn hier am Rande von
Karien, inmitten eines belebten Handelsverkehrs, konnte er Barbaren-
thum und Hellenenthum, dorisches und ionisches Wesen, bürger-
liche Freiheit, städtische Tyrannis und orientalische Reichs Verfassung,
Landmacht und Seemacht, kurz alle Gegensätze, welche die Welt
bewegten, von frühester Jugend an besser kennen lernen, als an
irgend einem andern Orte.
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HERODOT UND PAM'ASLS.
271
Halikarnassos war als eine Stadt der Dorier gegründet und war
lange Zeit ein Mitglied des dorischen Städtebundes, zu welchem
Knidos, Kos und die drei Städte der Rhodier gehörten. Ihr heiliger
Mittelpunkt war der Tempel des Apollo auf dem Vorgebirge Triopion
bei Knidos, wo sich die sechs Gemeinden zu Opfern und Festspielen
vereinigten und die bei den Wettkämpfen vertheilten Preisgeßfse
aufstellten. Halikarnass aber war ein Pflanzort von Troizen (I, 115)
und hatte bei seinem ionischen Yolksthum eine Abneigung gegen die
Strenge dorischer Satzungen. Als daher ein Bürger der Stadt,
Agasikles, den gewonnenen Dreifuß» nicht im Heiligthum weihte,
sondern mit nach Hause nahm und die Gemeinde keine Genug-
tuung gewährte, wurde die Stadt von der dorischen Sechsstadt
ausgeschlossen und hatte seitdem ihre eigene Geschichte.
Zu Herodo ts Zeit waren, wie die Inschriften bezeugen, ionische
Mundart und Schrift daselbst in offiziellem Gebrauch; auch seine
Familie war eine ionische; sie war eine der angesehensten der
Bürgerschaft und auch nach Chios verzweigt. Er wuchs auf in
ehrerbietiger Anschauung des grofsen Perserreichs, dem seine Vater-
stadt, als er geboren wurde (zwischen 490 und 4S0 v. Chr.), seit
zwei Menschenaltern angehörte. Sie war aber zugleich der Mittel-
punkt eines eigenen Staats, welcher die umliegende Küste mit der
vorliegenden Inselgruppe Kos, Nisyros und Kalymna vereinigte, der
eine kleine Flotte hatte und unter karischen Fürsten, namentlich
unter der hochherzigen und staatsklugen Artemisia (S. 74) zu grofsem
Wohlstande gelangt war. Das hellenische Gemeindeleben in Hali-
karnass war aber auch unter der karischen Dynastie kräftig und
bewegt genug gebbeben, um für den jungen Herodot eine reiche
Schule politischer Erfahrung zu werden144).
Poetische Anregung und Kenntniss der hellenischen Volkssagen
und Dichtungen verdankte er seinem Oheim Panyasis, einem Manne,
welcher in der Kunde göttlicher Wahrzeichen und Orakelsprüche be-
sonders bewandert und zugleich eiu Dichter von selbständiger Geistes-
kraft war; denn er war im Stande das ionische Epos wieder zu er-
wecken, ohne ein matter Nachahmer Homers zu sein ; er behandelte
mit umfassender Gelehrsamkeit den Sagenkreis des Herakles, welcher
mehr als alle anderen Heroen die hellenische und die nicht hellenische
Welt mit einander verband. So wurde auch durch ihn Herodot an-
geleitet, seinen forschenden Blick über das Einzelne und Oertliche
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272
HERODOT UM) H ALIKARNASS.
hinaus zu einem weiteren Gesichtskreise zu erheben, und die aufser-
ordentlichen Thatsachen, welche den jähen Verfall des persischen
Weltreichs ankündigten, richteten das Nachdenken des heranwachsen-
den Junglings dahin, den Gesetzen nachzuforschen, nach welchen
Staaten mächtig werden und wieder zu Grunde gehen. Mit alt-
gläubigem Sinne sah er die Götter herrschen über Hellenen und Bar-
baren und hörte in den Orakeln ihre mahnende Stimme. Den Bar-
baren sind ihre Wege verborgen, aber dem helleren Auge der Hellenen
enthüllen sie sich, und Herodot selbst setzte sein Leben daran, ein
vielbewegtes, unstates Wanderleben, das ihn von Kyrene bis Agbatana,
von Elephantine bis zum kimmerischen Bosporos führte, aber zu-
gleich ein Leben voll innerer Sammlung, welches darauf gerichtet
war, die bunte Mannigfaltigkeit der menschlichen Dinge zu über-
blicken und den Zusammenhang in dem Gange ihrer Entwickelung zu
erkennen.
Indessen war es Herodot nicht beschieden, nur in sinniger Be-
schaulichkeit die Welt zu betrachten, sondern er ist persönlich in die
Kämpfe der Zeit hineingezogen worden. Es kam nämlich nach Arte-
misia, deren er mit unverkennbarer Hochachtung gedenkt, und ihrem
Sohne Pisindelis ihr Enkel Lygdamis zur Regierung in Halikarnass.
Unter diesem Fürsten trat gegen die nationale Bewegung, welche sich
seit dem Tage von Mykale in den meisten Griechen Städten der klein-
asiatischen Küste gezeigt hatte, eine durch Persien unterstützte Re-
action ein. Die Führer der Volkspartei, darunter Panyasis und Herodot,
wurden vertrieben. Sie fanden in Samos eine neue Heimalh, wo der
junge Mann die griechische Gultur in ihrer höheren Entwickelung
kennen lernte, und seine politischen Grundsätze befestigte. Nach
wiederholten Versuchen, die Vaterstadt wiederzugewinnen, wobei
Panyasis durch Lygdamis das Leben eingebüßt hat, gelang es den Ver-
bannten, die Heimkehr zu erzwingen ; sie wurden durch einen feier-
lichen Vertrag in ihre Grundstücke wiedereingesetzt, und durch Zu-
geständnisse von Seiten des Tyrannen kam eine Ausgleichung der
Parteien zu Stande , so dass Lygdamis wenigstens einen Theil seiner
Gewalt behielt. Dann aber wurde er vertrieben; in den Listen der
attischen Bundesgenossen erscheint Halikarnass bereits Ol. 81, 3; 454
als freie Stadt >").
In diese Zeit fällt Herodots wichtigste Reise, die Erforschung des
Nilthals.
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I1ER0D0T IN ATHEN,
273
Aegypten war die hohe SchuJe für alle Hellenen, welche das
Bedürfniss fühlten, über das Vaterländische hinaus ihre Erkenntniss
zu erweitern; denn hier allein gab es eine Ueberlieferung gelehrter
Priesterschaften, hier allein uralte Geschichtskunde, und schon damals
wurde lebhaft darüber gestritten, was die Aegypter vor den Hellenen
voraus hätten und was von dort nach Hellas übertragen sei. Seit-
dem das ägyptische Reich sich auf Griechen stützte (I, 413), war die
Auskundschaftung des alten Wunderlandes wesentlich erleichtert.
Psammetichos hatte den im Lande ansässigen Ioniern ägyptische
Knaben übergeben, damit sie in griechischer Schrift und Sprache
unterrichtet würden, und die gegenseitige Annäherung der beiden
Völker diente dazu, dass man nicht nur das Absonderliche und
Aufserord entliehe des ägyptischen Alterthums, sondern auch das
mit hellenischer Ueberlieferung Uebereinstimmende sicherer erkennen
konnte.
Herodot benutzte zu seinem Aufenthalte in Aegypten die Zeit, da
sich das Land nach dem grofsen Aufstande (S. 173) wieder beruhigt
hatte, also die Zeit nach 81, 2; 455 und begann dann, in die
Heimath zurückgekehrt, das gesammelte Material in Mufse auszu-
arbeiten.
Hier kam er aus der Betrachtung des Urallen und Unveränder-
ten in eine Welt gährender Entwickelung, welche sich an die T baten
des Tbemistokles, Aristeides und Kimon anschloss, und nachdem
ihm in Samos, dem Bindcgliede von Ionien und Athen, die Bedeutung
der Stadt aufgegangen war, welche jetzt den Mittelpunkt griechischer
Geschichte bildete, zog es ihn mit unwiderstehlicher Macht aus dem
Orient, dessen Kraft gelähmt war, aus Ionien, das unfähig war sich
selbst zu helfen, nach Athen in die Mitte der Bürgerschaft, an welche
sich die Zukunft des ganzen Volks anknüpfte.
Je mehr er als vielgereister und vielbelesener Mann im Stande
war, Länder und Zeiten zu vergleichen, um so deutlicher wurde ihm,
dass die Thaten der Athener an wahrer Gröfse und folgenreicher
Bedeutung alles Frühere übertrafen, dass sie der Zeitgeschichte ihr
Gepräge gaben. Und wenn er nun das attische Leben nicht in wilder
Gährung fand, wie das der ionischen Republiken, sondern bei voller
Entfaltung bürgerlicher Freiheit wohlgeordnet und von einem hervor-
ragenden Geiste sicher und ruhig geleitet, so musste er in diesem
den Genius der Zeit erblicken.
Curtius, Or. Geich. II. G. Aufl. 18
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271
HF.RODOT DU PERIKLES.
Wie Herodot dem Perikles huldigte, hat er selbst angedeutet,
indem er des Traumes der Agariste gedenkt, welche kurz vor ihrer
Entbindung das Gesicht halte, dass sie einen Löwen gebäre. Auf
solche Weise wird die Geburt weltgeschichtlicher Männer* von den
Göttern angezeigt, um sie in ihrer aufserordentlichen Sendung zu
heglaubigen. Je zurückhaltender aber Herodot sonst in seiner epischen
Ruhe ist, und je deutlicher aus seinem ganzen Werke hervorgeht,
dass die Ueberzeugung von dem hohen Ruhme Athens als der Stadl,
die Hellas gerettet hat, aus seiner eigenen Betrachtung der Zeitge-
schichte hervorgegangen ist, um so mehr ist sein Werk die gröfste
Verherrlichung der Athener, deren Thaten ihn aus einem Ethnogra-
phen zum Historiker gemacht und überhaupt die hellenische Ge-
schichtschreibung hervorgerufen haben. Ohne Zweifel hat Herodot
auch mit Perikles in persönlichen Beziehungen gestanden; denn es
konnte für Perikles keine gröfsere Befriedigung geben, als dass er
die politische Mission seiner Vaterstadt und seine eigene nationale
Politik von einem Ionier, und zwar von einem so selbständigen und
weitausschauenden Geiste in diesem Grade anerkannt sah. Er musste
nichts mehr wünschen, als dass es Herodot gelänge, sein grolses Werk
in der Weise zu Stande zu bringen, dass die Ansprüche der Athener
auf Leitung der griechischen Angelegenheiten als das natürliche Er-
gebniss der vorangegangenen Entwicklungen erscheinen mussten und
dass seine Geschichtsanschauung die gröfste Verbreitung fände. Darum
wird es auf Perikles' Veranstaltung geschehen sein, dass Herodot aus
seinen ersten Büchern, welche etwa um 446 in Athen zu Stande
kamen, öffentliche Vorlesungen daselbst hielt.
Auf Antrag eines Atheners, Namens Anytos, wurde ihm von Seiten
der Bürgerschaft ein Ehrengeschenk von 10 Talenten (47,100 M.) zu-
erkannt Man fühlte, dass der Ruhm am besten verbürgt sei, der
keines anderen Herolds bedürfe als eines wahrheitstreuen Geschicht-
schreihers. Wie populär seine Bücher um 441 v. Chr. in Athen
waren, zeigt die im Frühling dieses Jahres aufgeführte Antigone des
Sophokles, in welcher eine Anspielung auf Herodot enthalten ist, die
darauf berechnet war, im Publikum sofort verstanden zu werden.
Herodot war aber noch zu jugendlich, um sich bei dem zu be-
ruhigen, was er kennen gelernt hatte. Nachdem er in ganz Hellas
und namentlich auch in Sparta die Denkmäler durchforscht und die
Familientraditionen gesammelt hatte, bot ihm die Gründung von
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HF.LLANIKOS VON LESBOS.
275
Thurioi zur Erweiterung seiner Weltkunde eine Gelegenheit, welcher
er nicht widerstehen konnte. Seine Geschichte der Freiheitskriege
war allmählich zu einer Geschichte der attischen Politik geworden,
und darum folgte er ihr auch nach den westlichen Schauplätzen,
welche zum ersten Male in ihren Kreis hereingezogen wurden. Nach
432 v. Chr. scheint er wieder in Athen anwesend gewesen zu sein,
um hier sein unterbrochenes Werk zu Ende zu führen146).
Durch die neue Epoche der griechischen Geschichtschreibung ist
die ältere Weise, die der sogenannten Logographen, nicht beseitigt
worden. Man fuhr fort die Ueberlieferungen der Vorzeit zu ordnen,
wie Pherekydes gethan halte, und machte die ersten Versuche*, eine
chronologische Ordnung für die älteste Geschichte herzustellen. Dazu
konnten nur die Stammbäume einzelner Fürstengeschlechter benutzt
werden, und namentlich waren es die Geschlechtsregister der attischen
Neliden, welche dazu verwerthet wurden, Stammbäume, die in Athen
wahrscheinlich zur Zeit der Pisistratiden angefertigt und mit einiger
Sicherheit bis etwa in den Anfang des neunten Jahrhunderts v. Chr.
hinaufgeführt waren.
Während Herodot seine Rechnungen an die Genealogien orien-
talischer Dynastien und namentlich an die lydischen Herakliden (I, 554)
anknüpft, um danach die Zeit des griechischen Herakles und des
troischen Kriegs zu bestimmen, so war es sein Zeitgenosse, Hellanikos
Ton Lesbos, der zuerst nach griechischen Ilülfsmitteln ein chrono-
logisches System der vorgeschichtlichen Zeit aufstellte. Unter diesen
Hülfsmitleln erschienen ihm die attischen Königslisten als die best-
geordneten und brauchbarsten ; in ihnen wurde die ganze Regierungs-
zeit der Neliden bis zur Einfuhrung des 10jährigen Archontats (Ol. 7,
1; 752), also von Alkmaion rückwärts bis Melanthos auf 397 Jahre
berechnet. Die Ankunft der Neliden wurde, weil sie durch den Ein-
bruch der Herakliden veranlasst war, als Zeitbestimmung für den
letzteren benutzt und demgemäfs das Jahr 1149 vor Chr. dafür ge-
wonnen und zwei Geschlechter rückwärts 1209 der Fall Trojas an-
gesetzt.
Dadurch wurde zugleich eine synchronistische Chronologie der
griechischen Vorzeit begründet, und wenn dies auch nicht geschehen
konnte, ohne dass man im Eifer der Systematik der Ueberlieferung
vielfach Gewalt anthat, indem man den gewünschten Gleichzeitigkeiten
zu Liebe die Listen der Sagenkönige und Heroen willkürlich kürzte
18*
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276
IONS DENKWÜRDIGKEITEN.
oder verlängerte, so bezeugte sich doch auch hierin der Trieb des
hellenischen Geistes, die Masse des Stoffs zu beherrschen, zu sichten
und zu ordnen, und auch hier wurde Athen eine Macht auf dem
Gebiete der Literatur. Indessen erlangte das chronologische System
des Hellanikos keine nationale Geltung; es bildeten sich abweichende,
peloponnesische Rechnungsweisen, an welche sich später die alexan-
drinischen Chronologen anzuschließen für gut fanden147).
Es entwickelte sich aber unter dem Einflüsse Athens noch eine
dritte Art historischer Beobachtung und Darstellung, das war die
eigentliche Zeitgeschichte. Denn während Herodot die Ereignisse dar-
stellt, welche in dem raschen Entwickelungsgange bald zur Vergangen-
heit geworden waren, und mit feinfühlender Zurückhaltung es ver-
meidet, Zeitgenossen und Freunde näher zu schildern oder den idealen
Charakter seines Werkes durch Parteifarbung zu entstellen: gab es
andere Schriftsteller von ionischem Geblüt, die mit ionischer Lebendig-
keit ins volle Leben der Gegenwart hineingriffen und die Eindrücke
aufzeichneten, welche sie von den hervorragendsten Persönlichkeiten
des Tages empGngen.
Der ausgezeichnetste unter ihnen war Ion von Chios, ein echter
lonier, vielseitig, geistreich und gewandt; einer der Ersten, der in
Versen und in Prosa schrieb, in der Tragödie mit den Meistern Athens
den Wettkampf aufnahm und auch die alte Geschichte seiner Heimath
darstellte. Sein Element aber war die unmittelbare Theilnahme am
bewegten Lebeu und der Verkehr mit den bedeutendsten Zeitgenossen
in den verschiedenen Städten Griechenlands. Denn auch in Sparta
finden wir ihn, wie er an der königlichen Tafel ein Preislied anstimmt
zu Ehren des Königs aus Prokies' Stamme, wahrscheinlich des Archi-
damos, des Nachfolgers des Leotychides (S. 1 42). Am meisten war
er aber in Athen einheimisch und zwar noch vor Herodot. Hier
hatte er Umgang mit Aischylos; hier stiftete er ein Weihgeschenk,
von dessen Widmung noch heute die Ueberreste vorhanden sind, und
schmückte, wie wir vermuthen dürfen, während seiner Anwesenheit
die zu Ehren des Siegers von Elon errichteten drei Hermen am Markt
mit seinen Versen. Mit Kimon war er viel zusammen ; er hörte ihn
beim Male Lieder vortragen und in zwangloser Laune aus seinen
Kriegsthaten erzählen, wie er z. B. die thrakische Siegesbeute (S. 124 f.)
in zwei Hälften getheilt und den Bundesgenossen die Wahl gelassen
habe, ob sie die Gefangenen haben wollten oder den Schmuck der-
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10*. STESJMUKOTOS.
277
selben, den er auf einen Haufen zusammengelegt hatte. Die Bundes-
genossen hätten, wie Kimon vorausgesehen, nach der Hälfte gegriffen,
welche ihr Auge reizte, und in der Stille den einfältigen Feldherrn
verlacht, weil man mit den zur Arbeit untauglichen Persern nichts
anfangen könne. Nachher aber hätte das hohe Lösegeld den Athenern
einen überreichen Gewinn gebracht, so dass man vier Monate lang
davon die Flotte unterhalten und viel Gold in den Schatz über-
geführt habe148).
Auch mit Perikles kam Ion zusammen und hörte, wie derselbe
nach dem samischen Feldzuge in stolzem Selbstgefühle sich mit
Agamemnon verglich, der zehn Jahre vor Ilion gelegen habe, während
es ihm gelungeu sei, in wenig Monaten den mächtigsten Inselstaat zu
zwingen. Die anmuthigste Schilderung aber giebt uns Ion von seinem
Zusammentreffen mit Sophokles auf Chios bei dem Gastmahle, welches
Hermesileos, der attische Proxenos daselbst, dem berühmten AÜiener
gegeben habe. Da schildert er uns den Dichter, wie er gegen einen
pedantischen Schulmeister einige Verse des Phrynichos vertheidigt,
und wie er mit wohlangelegter Kriegslist einem schönen Knaben, der
als Mundschenk aufwartete, einen Kuss abgewinnt, und dadurch den
Perikles zu widerlegen sucht, welcher von ihm zu sagen pflegte, er
sei zwar ein guter Dichter, aber ein schlechter Feldherr.
Solche Züge, welche uns in das tägliche Leben der grofsen
Männer Athens einen Blick thun lassen und die spärlichen Leber-
lieferungen anmuthig ergänzen, zeichnete Ion in seinen historischen
Denkwürdigkeilen auf, indem er es nicht verschmähte, auch die Aeufser-
lichkeiten der handelnden Personen, die Gestalt und das wallende
Haar Kimons, die strenge und steife Vornehmheit des Perikles u. dgl.
zu schildern. Freilich war er kein unparteiischer Beobachter; er
wird von Hause aus eine aristokratische Richtung gehabt haben.
Darum hing er Kimon an und zog sich auch nach dem Sturze der
kimonischen Partei längere Zeit aus Athen zurück (S. 187)*.
Eine ähnliche Stellung zur Zeitgeschichte hatte Stesimbrotos,
welcher als Bürger von Thasos auch den Ioniern beigezählt werden
darf (S. 5). Cr war gröfstentheils in Athen ansässig bis in die Zeit des
peloponnesischen Kriegs, indem er nach Art der Sophisten mit Unter-
richt beschäftigt war, homerische Studien trieb und das Leben des
Tbemistokles, Thukydides und Perikles darstellte; dabei behandelte
er diesen wie Themislokles mit unverkennbarer Missgunst, während
278
PHILOSOPHIE r>D SOPHISTIK
er den Sohn des Melesias und mit ihm Kimon als die Vertreter der
alten, guten Zeit verehrte. Bei ihm war also noch mehr als bei Ion
die Parteistellung massgebend, und so verdienstlich es auch von Beiden
war, dass sie, von der inbaltreichen Gegenwart angeregt, eine bio-
graphische und memoirenartige Zeitgeschichte begründeten, so ist
dieser Zweig griechischer Geschichtschreibung doch von Anfang an
durch Parteisucht und Liebhaberei für stadtische Klatschgeschichten
entstellt worden149).
Vou allen Richtungen des forschenden Geistes war es die Philo-
sophie, an welcher Perikles den persönlichsten Antheil nahm. Aber
er hütete sich wohl vor der Einseitigkeit, in welche die Pythagoreer
verfallen waren; er wollte keinerlei Art von Staatsphilosophie, keine
Genossenschaft, welche ihren Grundsätzen des Lebens und Denkens
einen bestimmenden Einfluss zueignen und eine Aristokratie im Staate
bilden wollte. Er huldigte selbst keinem einzelnen Systeme, weil er
fühlte, dass sich dies mit dem Berufe des Staatsmanns nicht wohl
vereinigen lasse. Er pflegte den Umgang mit Anaxagoras, mit Zenon,
Dämon, Protagoras wie seinen höchsten Lebensgenuss und trug das
Seinige dazu bei, dass alle seine Mitbürger, welche höhere Geistes-
bedürfnisse empfanden, Gelegenheit hatten, die neu eröffneten Quellen
der Weisheit zu benutzen, ohne sie an verschiedenen und entlegenen
Orten aufsuchen zu müssen.
Aber es wurde mehr und Wichtigeres erreicht. Die philoso-
phische Bildung wurde nicht nur den Athenern und dadurch auch
den übrigen Hellenen zugänglicher gemacht, sondern die Entwicklung
der Erkenntniss selbst wurde in neue Bahnen gelenkt. Die For-
schungen traten aus dem örtlichen Zusammenhange der Schule heraus
und machten sich von den Beschränkungen derselben frei. Es be-
gegneten sich die verschiedenartigsten Richtungen, um sich gegen-
seitig zu ergänzen, zu berichtigen und zu fördern; man wurde sich
des Gemeinsamen so wie der Gegensätze in der nationalen Bildung
bewusst; die ganze Vielseitigkeit des geistigen Volkslebens trat erst
in Athen übersichtlich zu Tage, und dies war nicht das Ergebniss
einer künstlichen Veranstaltung oder einer zufalligen Fügung, sondern
es war die noth wendige Folge der gesamten Volksgeschichte, dass
Athen der Sitz der Philosophie, der Herd aller höheren Erkenntniss
wurde. Hier trafen die Denker loniens, die Schüler des Parmenides
und des Empedokles und die Sophisten zusammen; der Trieb nach
"WISSENSCHAFTLICHE STUDIEN.
279
Erkenntniss erwachte immer kraftiger, und immer neue Gegenstande
wurden wissenschaftlicher Betrachtung unterzogen.
Freilich gerieth der Wissenstrieb auf mancherlei Abwege; das
Streben nach Ausbreitung und Verallgemeinerung der Kenntnisse
schadete dem Ernste und der Gründlichkeit der Wissenschaft. Die
Sophislik ging ja darauf aus, durch allgemeine Geistesbildung, durch
formale Denk- und Redeübung die auf gründlicher Kenntniss und
Erfahrung beruhenden Fachwissenschaften überflüssig zu machen ; sie
war der Ausdruck des Zeitgeistes, der Alles vernunftgemäß reformiren
und in vornehmem Klugheitsdünkel die herkömmlichen Ansichten und
Gewohnheiten als altväterlich beseitigen wollte; so musste sie zu einem
eitlen und ungründlichen Vielwissen verleiten, wie es sich in Hippias
von Elia, dem jüngeren Zeitgenossen des Protagoras, am deutlichsten
dargestellt hat. Es gab nichts Grofses und nichts Kleines, worüber
die Sophisten dieser Art nicht ihr fertiges Urteil hatten; die tieferen
Lebensfragen der Philosophie traten hinter einer inhaltleeren und
zungenfertigen Scheinweisheit zurück.
Andererseits waren aber in der Sophistik auch viele fruchtbare
Keime echter Wissenschaft enthalten, deren Entfaltung dem periklei-
schen Athen wesentlich zu Gute kam. So eröffnete Protagoras die
sprachwissenschaftlichen Studien, indem er den grammatischen Bau
der Sprache, die Formen der Wörter, die Wendungen der Rede
theoretisch untersuchte, ihren richtigen Gebrauch lehrte und eine
wissenschaftliche Terminologie begründete. Jüngere Sophisten, wie
namentlich Prodikos von Keos und Hippias, beide auch als Staats-
männer in Athen thätig, setzten diese Studien fort. Prodikos ver-
band Denk- und Redeübung, indem er die genaue Unterscheidung
sinnverwandter Wörter lehrte. Solche Studien mussten in weiten
Kreisen anregend wirken; sie schärften das Sprachgefühl, trugen zur
feineren Ausbildung mündlicher und schriftlicher Rede bei und führten
zu eingehenderer Beschäftigung mit älteren Dichterwerken, zu literar-
geschichtlichen und philologischen Forschungen, wie die Arbeiten des
Stesimbrotos über Homer bezeugen. Hippias stellte aber auch auf
dem Gebiete der politischen Geschichte ganz neue Gesichtspunkte
auf; er begann die Einrichtungen der verschiedenen Staaten mit ein-
ander zu vergleichen und legte so den Grund zu einer historisch-
kritischen Staatswissenschaft.
Wie durch Hippodamos (S. 199) Strafsenanlage und Städtebau
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2S0
DIE ASTHONOMIE IN ATHEN.
zu einem Gegenstande der Wissenschaft gemacht worden war, so
wurde auch Land- und Gartenwirtschaft theoretisch behandelt; die
Erfahrungen der Heilkunde, welche bis dahin in den Heiligthümern
des Asklepios ein Geheimniss priesterlicher Geschlechter gewesen
waren, wurden veröffentlicht. Der Asklepiade Hippokrates aus Kos,
welcher auch zu Perikles' Zeit in Athen anwesend war und Ehren-
bürger der Stadt wurde, kann als der Gründer einer medicinischen
Literatur angesehen werden. Er war ein Forscher und Lehrer im
gröfsten Stile, und auch durch seine sittliche Gröfse, namentlich
seine hohe Uneigennützigkeit , von dem sophistischen Zeitgeiste am
weitesten entfernt, obgleich auch er ein Schüler der Sophisten ge-
nannt wird.
Unter den Naturwissenschaften war es besonders die Astronomie,
welche um diese Zeit in Athen einheimisch wurde. Welche Kennt-
niss in diesem Fache sich schon die ionischen Griechen durch eigene
Forschung wie durch Benutzung orientalischer Weisheit angeeignet
hatten, beweist Thaies von Milet (I, 565). Sein Zeitgenosse Phere-
kydes war in Syros beschäftigt, die Sonnenwende zu beobachten.
Eine Felshöhle der Insel, die unter dem Namen der Sonnenhöhle
bei den Alten bekannt war, scheint er dazu benutzt zu haben. An
andern Orlen waren es Felsberge, welche dadurch, dass sie den
Horizont mit scharfen Linien schneiden, die Beobachtung des nörd-
lichsten und südlichsten Aufgangspunktes der Sonne sehr erleichterten.
So diente den Methymnäern auf Lesbos der hohe Lepetymnos, den
Einwohnern von Tenedos der Ida; hier machte Kleostratos, dort
Matriketas astronomische Forschungen.
Athen erwies sich nun auch in dieser Beziehung als ein zur
Ausbildung der Wissenschaften von Natur ausgezeichneter Ort, weil
der im Nordosten der Stadt kühn aufsteigende Lykabetlos die Dienste
des Lepetymnos und Ida in vorzüglichem Grade leistete. Denn
man sieht am längsten Tage die Sonne gerade aus dem Winkel auf-
steigen, welchen die scharfen Kanten des Lykabettos und die dahinter
liegenden Berglinien des Brilessos mit einander bilden. Dieser eigen-
thümliche Vorzug des attischen Landes wurde erkannt und ver-
werthet, als ein gewisser Phaeinos sich als Schutzgenosse in Athen
ansiedelte, die in Kleinasien begonnenen Himmelsbeobachtungen dort-
hin verpflanzte und sich mit Hülfe des Lykabettos eine genauere
Kenntniss der Sonnenwende erwarb160).
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DAS JAHR DES METO*.
2Si
Seitdem war Athen auch ein Silz der Astronomie, und zu
Perikles' Zeit wurden die Himmelsbeobachtungen mit grofsem Eifer
betrieben, namentlich von Meton, einer der bekanntesten Persön-
lichkeiten des damaligen Athens. Er tbeilte die sophistische Bildung
desselben; er war ein Meister in der Kunst des Messens, welche
aus dem Nillande, der Heimath der Geometrie, nach Griechenland
gekommen war, und ein Baukünstler in der Weise des Ilippodamos;
er legte Wasserwerke an, die seinen Namen berühmt machten.
Seinen eigentlichen Ruhm verdankt er aber der Astronomie, wo er
sich den Studien des Phaeinos anscbloss und, um zu einer wissen-
schaftlichen Bestimmung des jährlichen Sonnenlaufs zu gelangen,
ein Instrument erfand, welches er Heliotropion nannte. Es muss
einer Sonnenuhr ähnlich gewesen sein, eine Platte mit einem senk-
rechten Stifte, welcher in der Mittagsstunde des längsten Tages den
kürzesten Schalten warf und so dazu benutzt wurde, den Tag der
sommerlichen Sonnenwende zu bezeichnen. Dies Heliotropion wurde
Ol. 86, 4 (433) in Athen aufgestellt. Meton arbeitete gemeinschaft-
lich mit Euktemon und Philippos, und von dem großartigen Mafs-
stabe ihrer Arbeiten zeugt die Nachricht, dass von Athen aus auch
auf den Cykladen und in Makedonien und Thracien Beobachtungen
angestellt wurden. Auch gingen aus dieser Schule sehr wichtige
Arbeiten zur Verbesserung des attischen Kalenders hervor.
Bis dahin hatte man nur die Oktaeteris (I, 313, 332), die Periode
von acht Jahren, von welchen drei Jahre dreizehnmonatlich waren,
um so Mond- und Sonnenjahre auszugleichen. Da aber S solcher
Sonnenjabre noch immer nicht ganz 99 Mondmonate ausmachen,
so konnte dieser Zeitkreis seinem Zwecke nicht genügen; es be-
durfte neuer Aushülfen, und da man hiebei rein empirisch verfuhr,
rissen immer neue Verwirrungen ein. Man hatte zu wenig Zusatz-
lage eingelegt, und daher kam es in Perikles' Zeit häufig vor, dass
die Monatsanfänge vor den Neumond zurückwichen. Meton und seine
Genossen rechneten aus, dass innerhalb eines Zeitkreises von 6940
Tagen eine richtigere Ausgleichung zu gewinnen sei. Das waren
235 Monate, welche einen Cyklus von 19 Jahren bildeten, das so-
genannte grofse oder metonische Jahr. Mit der Erfindung dieses
Schaltcyklus hängt die Aufstellung eines neuen Kalenders zusammen.
Meton stellte eine Tafel auf, in welcher die Jahre nach seinem Cyklus
geordnet und zugleich die Tage der Sonnenwende und der Aequi-
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2S2
ATTISCHE BEREDSAMKEIT
noctien so wie die Auf- und Niedergänge von Sternen, welche für
die bürgerlichen Geschäfte von Wichtigkeit waren oder für die
Witterungsverhältnisse von Einfluss sein sollten, aufgezeichnet
standen.
Dieser Kalender wurde als ein wichtiger Fortschritt der Wissen-
schaft anerkannt und bewundert ; eine unmittelbare Einführung des-
selben von Staatswegen erfolgte aber nicht. Die alte Oktaeteris galt
für eine durch die Religion geheiligte Einrichtung und, was sich
in der Bürgerschaft von conservativer Gesinnung erhalten hatte,
sträubte sich gegen die Neuerung. Aufserdem konnte man mit
Hecht geltend machen, dass der Kalender sich erst in der Erfahrung
bewähren müsse, ehe man nach ihm das attische Jahr umändere
und sich von dem gesamthellenischen Herkommen entferne. Dazu
kam, dass die Aufstellung des Kalenders an den Schluss der Friedens-
jahre, in die Zeit grofser Gährung und leidenschaftlicher Auflehnung
gegen die perikleische Staatsleitung fiel. So sehr also Perikles
selbst wünschen mochte, dass Athen auch mit einem neu geordne-
ten Jahre allen andern Staaten vorleuchle, so blieb der alte Kalender
mit all seiner Unordnung dennoch im öffentlichen Gebrauche, und
Athen hatte zunächst nur den Ruhm einer wissenschaftlichen Ent-
deckung, welche allmählich in Griechenland und Italien die viel-
seitigste Anerkennung fand161).
Von allen Zweigen der Literatur ist keiner mehr mit dem Staats-
leben verwachsen als die Beredsamkeit.
Die Entwickelung derselben war nur unter Ioniern möglich,
denn nur in diesem Stamme war die angeborne Lust zu lebendiger
Mittheilung, der Sinn für Fluss, Fülle und Glanz der Rede vor-
handen. Auch hat sich in den ionischen Städten ohne Zweifel die-
jenige Beredsamkeit zuerst entfaltet, welche sich die Aufgabe stellt,
die Stimmung der Bürgerschaft und ihre Entschlüsse zu leiten.
Ihre wahre Ausbildung erhielt aber die griechische Beredsamkeit erst
in Athen. Hier hat sich die öffentliche Rede mit der Redefreiheit und
der Redepilicht des attischen Bürgers entwickelt. Sie schien mit
dem attischen Verfassungsleben so nahe zusammenzuhängen, dass
man schon den Staat des Theseus als durch sie gegründet sich
vorstellte (I, 332). Die Rede war aber eben deshalb kein Gegen-
stand einer besonderen Kunst, die vom öffentlichen Leben getrennt
zu denken wäre, sondern der einfache Ausdruck praktischer Er-
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SCflRIFTGEBRAUCH. EKTWICKELUSG DER PROSA. 283
fahrung und staatsmännischer Klugheit; denn man konnte sich da-
mals noch keinen Volksführer denken, welcher nicht zugleich ein
in Krieg und Frieden erprobter Staatsmann war und sich durch sein
öffentliches Leben ein Anrecht darauf erworben hatte, dass die
Bürgerschaft auf sein Wort höre. Je mehr nun die Rede eine
Macht wurde, welche das Gemeindeleben beherrschte, um so mehr
wurde die Sprache selbst auf eine neue Entwicklungsstufe gehoben,
als Athen ein Mittelpunkt der Geschichte wurde, und zwar bildete sich
keine aus den Eigenthümlichkeiten verschiedener Gegenden zusammen-
fliefsende Mischsprache, auch keine Kunstsprache, welche matt und
frostig werden muss, so wie sie sich dem Boden des Volkslhums
entfremdet, sondern es erwuchs aus der einheimischen Redeweise
ein neues Idiom, in welchem sich die der hellenischen Sprache in-
wohnende Kraft erst vollkommen entfaltete, indem sie der Ausdruck
attischer Bildung wurde.
Die griechische Sprache halte in Ionien eine vielseitige Ent-
wicklung erhallen. War doch aufser dem homerischen und nach-
homerischen Epos und den Hymnen der ganze Schatz elegischer und
jambischer Dichtung in ionischer Mundart niedergelegt. In Ionien hatte
man auch von der Schrift zuerst umfassenderen Gebrauch gemacht.
Er schloss sich zunächst an die einheimische Kunst an; denn die
epischen Gesänge, welche ohne Hülfe der Schrift gedichtet und Eigen-
tum des Volks geworden waren, wurden mit Hülfe derselben ausge-
breitet, festgestellt und fortgeführt. In den Rhapsodenschulen ist Lesen
und Schreiben zuerst eingerührt worden; daher stellte man sich Homer
selbst als einen Lesemeisler vor, und als die spätem Epiker, welche
nach dem Anfange der Olympiaden in Ionien thätig waren, Arktinos,
Lesches u. A., an die grofsen Heldengedichte ihre Gedichte anschlössen,
in welchen sie den Inhalt der Odyssee und llias zu ergänzen, zu er-
weitern und zu verknüpfen suchten, war der Gebrauch der Schrift den
Dichtern schon geläufig; die Rhapsodik selbst erhielt dadurch einen
mehr wissenschaftlichen Charakter.
Dann aber begann, ebenfalls in Ionien, mit dem Schriftgebrauche
eine ganz neue Art literarischer Millbeilung, welche nicht darauf be-
rechnet war, eine hörende Menge zu begeistern, sondern die Ergeb-
nisse wissenschaftlicher Forschuug in weiteren Kreisen zu verbreiten.
Die Philosophen und Historiker schrieben in ungebundener Rede für
die Oeffentüchkeit, und im sechsten Jahrhundert verbreitete sich die
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2S4
POESIE L.Mi MOSA.
Lust zum Schreiben und Lesen mit grofser Schnelligkeit durch ganz
Ionien, wo besonders Samos eine Schule für die Ausbildung des
Schriflwesens war.
Indessen bildete sich keine Prosa im Gegensatz zur Poesie aus ;
es trat noch keine Scheidung der Gattungen ein. Die Umgangssprache
des Lebens, der frische Volkston war gerade von den Fabeldichtern
aufgenommen, und aus äsopischen Erzählungen gingen die Kernsprüche
des Volkswitzes und der Volksweisheit in die Literatur über. Archi-
lochos benutzte sie mit Vorliebe und eben so Herodot. Auch war man
so sehr gewöhnt von den Dichtern zu lernen, dass selbst spekulative
Philosophen ihre Theorien poetisch einkleideten, wie Xenophanes
(S. 194), der umherreiste und seine Lehren als Rhapsode vortrug. So
waren auch Herodots Vorträge auf Erwärmung einer hörenden Menge
berechnet, und der poetische Charakter seiner Darstellung ist unver-
kennbar. In behaglicher Breite eines epischen Vortrags strömt seine
Rede dahin; seine Sätze sind nur in lockerem Zusammenhange an ein-
ander gereiht, und einem Dichter gleich sieht er das Volk um sich, das
er durch die fesselnde Erzählung erfreuen und begeistern will. Auch
in der Philosophie ging die Sprache noch nicht darauf aus, die Ent-
wickelung der Gedanken in scharfer und genauer Form wiederzugeben,
lleraklits Lehren trugen das Gepräge von sibyllinischen Sprüchen ; er
hebte eine poetische, mehr andeutende als entwickelnde, Bildersprache
und, von der Schwierigkeit der Gedanken abgesehen, war auch der
Bau der Sätze so wenig klar und durchsichtig, dass man nicht mit
Sicherheit die Gliederung der Rede zu erkennen wusste.
So reich also auch die Literatur der Ionier war, so war doch
noch keine Prosa vorhanden; noch weniger in andern Gegenden.
Poesie und Prosa haben sieb überhaupt sehr spät als zwei ver-
schiedenartige Gattungen bei den Griechen entwickelt. Man bedenke,
wie in den Hymnen Pindars neben den schwungvollsten Bildern
Wendungen und Gedanken vorkommen, welche einen ganz prosaischen
Ton haben. Die Ausbildung eines prosaischen Stils war ein Fort-
schritt der Literatur in Athen. Die Sprache war noch frisch und
jung genug, um das eigen thümliche Gepräge des attischen Geistes
aufzunehmen und wiederzugeben, und dieser Geist bezeugt sich, Ionien
gegenüber, wie in Tracht und Sitte so auch in der Sprache, durch
gröfsere Einfachheil und schlichtere Form.
In Anika redete man eine Mundart, welche eine gewisse Mitte
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DIE ATTISCHE REDE.
285
einnahm zwischen den Dialekten der verschiedenen Stimme Griechen-
lands und deshalb vorzüglich geeignet war, das Organ einer all-
gemeinen Verständigung der gebildeten Hellenen zu werden. Denn,
wenn auch dem Ionischen nahe verwandt, so hatte sich die attische
Mundart doch von Manchem frei erhalten, was sich auf den Inseln
und den jenseitigen Küsten an ionischen Eigenthümlichkeiten aus-
gebildet hatte, so namentlich von der Neigung zu Vokalauflösungen,
und andererseits sich Manches bewahrt, was mit den Mundarten des
europäischen Festlandes übereinstimmte, besonders den Gebrauch
des langen A-Lauts, welcher sich nach R so wie nach Vokalen und
Diphthongen erhalten hat, während die Trübung in langes E bei den
Ioniern durchgeht1").
Diese Mundart wurde das Organ, in dem der Geist der Athener
sich ausprägte. Ihr energischer Sinn scheute jede Art von Zeilver-
geudung, ihr Sinn für Mafs hasste Schwulst und Breite, ihr heller
Verstand alles Unklare und Verschwommene; sie waren gewohnt, in
allen Dingen gerade und entschlossen auf das Ziel los zu gehen.
Darum ist in ihrem Munde der Ausdruck knapper und kürzer, die
Sprache ernster, männlicher und kräftiger geworden. Die Wörter
sind zu schärferen Begriffen ausgeprägt ; statt sinnlicher Anschaulich-
keit ist der Gedanke mehr zu seinem Rechte gekommen; anstatt
einfacher Anreihung der Sätze hat man die verschiedenen Formen,
in welchen ein Gedanke den anderen begründet, bedingt und er-
weitert, durch feinere Salzverbindung ausdrücken gelernt, und da-
durch sind in der griechischen Sprache Kräfte entwickelt worden,
welche in der älteren Sprache, derjenigen der Poesie und des Gesanges,
niemals zum Vorschein gekommen waren. So unterschied sich schon
der philosophische Vortrag des Anaxagoras, der in Athen seine Werke
abfasste, von dem seiner Vorgänger durch eine schärfere Gliederung
der Rede, wenn auch bei ihm noch die Gewohnheit vorherrschte,
kleine Sätze an einander zu reihen.
Im Fortschritte dieser Entwickelung bildete sich die attische
Rede, wie sie in Perikles' Munde eine Macht wurde, welche den
Staat regierte. Es war die Zeit, wo in Athen Lesen und Schreiben
schon allgemein verbreitet war, und dies trug wesentlich dazu bei,
aus der Beredsamkeit ein Studium zu machen. Denn ursprünglich
galt die Rede für nichts Anderes als den natürlichen Ausdruck der
gewonnenen Einsicht; man glaubte, dass dieselbe Kraft des Geistes
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2S6
STAATS- UND GEFUCHTSREDE.
die Einsicht schaffe und das richtige Wort gebe; man führte des-
halb auch Perikles' Beredsamkeit auf den Umgang mit Anaiagoras
zurück.
Das Aufschreiben der Reden förderte die künstlerische Aus-
bildung; die Redner gewöhnten sich, höhere Forderungen an sich selbst
zu stellen; der Ausdruck wurde gedrungener, überlegter; man fassle
größere Gedankenreihen in einer Periode zusammen. Perikles selbst
hütete sich, über wichtige Angelegenheiten aus dem Stegreife öffent-
lich zu sprechen. Dessen ungeachtet wurden die Reden keine schrift-
stellerischen Werke, sondern sie blieben durchaus für den prak-
tischen Zweck der Gegenwart bestimmt und auf die persönliche
Wirkung im Munde des Redners berechnet. Die Schrift war nur
die Vorübung der Rede, deren volle Kraft durch keine Neben-
zwecke gelähmt und durch keine rhetorische Gefallsucht entnervt
wurde m).
Neben derjenigen Beredsamkeit, welche dem Berufe des Staats-
mannes diente und mit den Mitteln einer überlegenen Bildung die
Volksgemeinde leiten sollte, entwickelte sich in Athen die gerichtliche
Rede, die von Anfang an schulmätsiger geübt wurde und mehr einer
schriftstellerischen Arbeit glich, indem sich eine Klasse von Leuten
bildete, welche für Andere Prozessreden ausarbeiteten. Denn es war
attisches Gesetz, dass Jeder seine Rechtssache selbst führen mussle.
Wrer sich also von einem Sachwalter die Rede machen liefs, musste
sie selber vortragen. Hier trat also die Persönlichkeit des Redners,
welche bei Staatsreden von so grofsem Gewicht war, gänzlich zurück ;
er war nur Redenschreiber (Logograpuos), und anstatt öffentlicher
Dinge waren es Privatangelegenheiten, um die es sich handelte. Diese
Gattung der Redekunst trat nun auch mit der Sophistik in eine viel
nähere Beziehung, weil diese gerade darauf ausging, dem Geiste die
Gewandtheit zu geben, jeden vorliegenden Gegenstand mit Geschick
zu behandeln und ihm die mannigfachsten Seiten der Betrachtung
abzugewinnen.
Dazu kam die angeborene Redelust der Athener und ihr Gefallen
an Wortkämpfen, in deneu Einer den Andern an Schlagfertigkeit
überbietet. Diese Neigung, welche sich ja auch auf der altischen
ßühne so deutlich bezeugt, machte die Athener besonders geschickt,
das Prozessverfahren und die gerichtliche Rede kunslmäfsig auszu-
bilden.
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ANTIPHON UND THUKYDIDES.
2S7
Einer der Ersten von denen, welche dies Redenschreiben als ein
literarisches Gewerbe betrieben, war Antiphon aus Rhamnus, der
Sohn des Sophilos, der wenig jünger als Perikles war, ein Mann von
gewaltiger Geisteskraft, so dass das Volk sich fürchtete vor dem Ein-
drucke seiner Reden, welche durch Scharfsinn, Witz und Gedanken-
fülle den Hörenden überwältigten. Seine Thätigkeit tritt erst in der
Zeit des grofsen Krieges deutlich hervor; doch kann sein geistiger
Einfluss schon älter sein. Er hat durch seine aufserordentliche Per-
sönlichkeit auch auf solche gewirkt, die ihm an Jahren fast gleich
standen und eine Schule der Beredsamkeit gestiftet, welche auf die
Ausbildung der altischen Prosa einen tiefgreifenden Einfluss übte.
Aus dieser Schule ist nach alter Ueberlieferung auch Thukydides
hervorgegangen, welcher die Kunst der Rede auf ein neues Gebiet
übertrug, auf die Darstellung der Zeitgeschichte, und wenn wir die
beiden Geschichtschreiber, welche in ihrem Lebensalter nur etwa
30 Jahre von einander entfernt waren, Herodot und Thukvdides,
neben einander stellen, so tritt uns die rasche und kräftige Ent-
wickelung, welche die griechische Prosa in Athen gewonnen hat, recht
deutlich vor Augen. Der grofse Gegensatz aber, in welchem die beiden
Historiker zu einander stehen (ein Gegensatz, welcher Thukydides
selbst ungerecht gegen seinen Vorgänger macht), beruht vorzugsweise
darauf, dass Herodot bei seiner Darstellung noch an eine hörende
Volksmenge dachte, während Thukydides von Anfang an den Beifall
des grofsen Publikums verschmähte; er suchte keinen fesselnden Reiz
auszuüben, sondern allein der Wahrheit gerecht zu werden; er schrieb
nur, um gelesen zu werden, und zwar von Solchen, welche den
öffentlichen Angelegenheilen eine ernste Theilnahme zuwendeten und
welche fähig waren, mit gesammeltem Geiste und männlicher Denk-
kraft ihm in seiner gedrängten Darstellung des Geschehenen zu folgen.
Aber bei aller Verschiedenheit hatten sie doch e i n Gemeinsames, das
war ihre Stellung zu Perikles. Beide haben ihn gekannt und seiner
Gröfse gehuldigt; beide haben in der geistigen Atmosphäre seiner
Wirksamkeit den Mittelpunkt ihres Lebens gefunden. Für Herodot
war das perikleische Athen der Schlusspunkt einer Entwicklung,
die er mit Bewunderung begleitete, für Thukydides der Ausgangs-
punkt, an den er den Faden seiner Geschichte anknüpft. Thukydides
war noch lange ein Zeitgenosse des Perikles; in der eindringenden
Betrachtung seiner Person und seiner öffentlichen Thätigkeit ist er
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2S8
ATTISCHE BEREDSAMKEIT.
zu einem Geschichtschreiber von staatsmännischem Urteil heran-
gereift; von Perikles hat er gelernt, nicht in den Formen der Ver-
fassung, sondern in dem Geiste, welcher ein Gemeinwesen beseelt
und leitet, das Heil der Staaten zu erkennen. Er war auch ein
Schüler des Anaxagoras, durch Bildung und Charakter dem Perikles
verwandt; er gehörte zu der jüngeren Generation, auf welche Perikles
seine Hoffnung setzte; wahrscheinlich ist er auch seines näheren
Umgangs gewürdigt worden. Am Lebenswerke desselben fortzu-
arbeiten war ihm nicht beschieden; aber er ist der treue Zeuge von
der Wirksamkeit des grofsen Staatsmannes geworden, und er war
vor allen Zeitgenossen dazu berufen, die tiefsten Gedanken desselben
mit vollem Verständnisse darzulegen und auch von der Beredsamkeit
desselben der Nachwelt eine lebendige Vorstellung zu geben164).
Welche Macht die öffentliche Rede in Athen war, zeigt Niemand
besser als Thukydides, dem es unmöglich schien ein wahres Bild
der Ereignisse zu geben, wenn er nicht die leitenden Staatsmänner
. redend seinen Lesern vorführt.
Eine besondere Art öffentlicher Rede, welche im perikleischen
Athen Bedeutung erlangt hat, war die Rede zu Ehren der im Kampfe
gefallenen Bürger. Durch ein eigenes Gesetz, welches aus der kimo-
nischen Zeit stammte, war mit der öffentlichen Bestattung eine solche
Gedächtnissrede verbunden, und es war Sitte, dem bestbewährten
Volksredner der letzten Zeit durch den Auftrag, im Namen der Ge-
meinde die Grabrede zu halten, eine ehrende Auszeichnung und eine
Anerkennung seiner öffentlichen Wirksamkeit zu geben. Wortreiche,
aufgeputzte Preisreden waren nicht im Geiste der Zeit. Würdiger
schien es, die Bürger in solchen Momenten, wo sie sich durch schwere
Verluste erschüttert fühlten, zu ermuthigen, ihre Klage in Dank, ihren
Schmerz in Stolz und Freude umzustimmen, indem man ihnen die
hohen Interessen des Staatslebens, für welche ihre Mitbürger das
Leben gelassen halten, vor die Augen führte und die Anwesenden zu
gleicher Opferfreudigkeit ermunterte.
Wenn in der Zeit des Perserkriegs, deren Früchte in den peri-
kleischen Friedensjahren zur Reife kamen, alle Künste und Wissen-
schaften das kräftigste Gedeihen fanden, so kann man sich wundern,
dass diejenige Kunst, welche sich allen geistigen Bewegungen am
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LYRISCHE POESIE. 2S9
■
engsten anzu schlief sen pflegt, die lyrische Kunst, nicht in gleichem
Mafse sich fortentwickelt hat, und dass Freiheitskriege, die so national
und gerecht waren und nach schweren Drangsalen so überraschend
glucklichen Erfolg hatten, keinen volleren Wiederhall in volkstüm-
lichen Liedern gefunden haben. Dies erklärt sich aus verschiedenen
Umständen.
Die Heimath der äolischen Lyrik stand der Bewegung der Zeit
femer, und jener Schwung, welcher dort ein Jahrhundert vor den
Perserkriegen die Gedichte von Alkaios und Sappho hervorgerufen
hatte, war ermattet Die Chorlyrik aber (I, 541) war zu sehr mit
dem Gottesdienste und den älteren Volkszuständen verwachsen; sie
war zu sehr gewöhnt, den alten Geschlechtern, deren Glanz mehr der
Vergangenheit als der Gegenwart angehörte, mit ihrer Kunst zu dienen,
als dass sie sich in die neue Zeit recht hinein finden konnte. Nament-
lich war der thebanische Sänger (S. 52) mit seiner Vaterstadt, die von
den Freiheitskriegen nichts als Schmach und Unglück erntete, und mit
Delphi, welches von Anfang an den Freiheitsbestrebungen ungünstig
war, so eng verbunden, dass es ihm unmöglich war, mit voller Un-
befangenheit die Gröfse der neuen Zeit zu würdigen, wenn er auch
grofsherzig und frei genug war, der siegreichen Stadt der Athener seine
Bewunderung und den Preis seines Liedes nicht zu versagen. Die
Thebaner bestraften Pindar, weil er Athen die 'Säule von Hellas' ge-
nannt hatte; die Athener belohnten ihn dafür, indem sie darin mit
Recht einen Triumph der guten Sache erkannten. In Sparta geschah
nichts Namhaftes für die Feier der Freiheitskriege. Seine Gemeinde-
verfassung gestattete keine Freiheit geistiger Bewegung; sie gab zu
wenig Wohlbehagen und Befriedigung, als dass die Dichtkunst hier
einen gedeihlichen Boden hätte finden können.
In der Elegie, der ältesten Weise griechischer Lyrik (I, 201),
welche in ihrer Beweglichkeit und Vielseitigkeit der echte Ausdruck
des ionischen Geistes ist, hatte sich neben der älteren Gattung, in
welcher zuletzt Theognis seine Parteileidenschaft und Solon seine staals-
männische Weisheit vorgetragen hatten, schon in Ionien eine andere
Form entwickelt, eine leichtere Gattung, welche sich in harmlosem
Ton dem Leben anschloss, das Lied froher Geselligkeit, das den
Freuden des Mals durch ethische Gedanken eine höhere Weihe gab.
'Trinken, scherzen und gerecht gesinnt sein* sang Ion und brachte
auch öffentliche Angelegenheiten in anmuthiger Form zur Sprache.
Curia«, Gr. Gwch. II. «. Aufl. 19
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LYRISCHE POESIE.
Ion schloss sich in dieser Gattung Dionysios der Athener an, ein an-
gesehener Staatsmann der perikleischen Zeit. Ja diese leichtere Form
der Elegie war dem geistigen Charakter der damaligen Athener so
entsprechend, dass auch Aischylos und Sophokles solche Elegien
dichteten. Das fünfte Jahrhundert war so reich an Bewegung und
Inhalt, dass diese Gelegenheitsdichtung sich in üppiger Fülle ent-
wickelte, und nur eine Nebengattung derselben war das Epigramm,
dessen knappe Form ursprünglich darauf berechnet war, die Aufschrift
eines öffentlichen Denkmals zu sein und sich deshalb von allen Dich-
tungsarten am unmittelbarsten an die grofsen Ereignisse der Zeit-
geschichte anschloss.
Als Zeit- und Gelegenheitsdichter im höchsten Sinne des Worts
war Simonides von Keos vor allen Andern in ganz Griechenland an-
gesehen, so dass auch Sparta den Preis seines Leonidas dem ionischen
Sänger übertrug. Er hatte bei den Pisistratiden, so wie am Hof der
Skopaden und Aleuaden in Gunst gestanden und zur Zeit der Kämpfe
von Marathon schon die Mitte der Sechziger überschritten. Aber mit
frischer Begeisterung folgte er den Athenern auf ihrer Siegeshahn
und hat in allen Formen der Dichtung, mit allen Mitteln seines uner-
schöpflichen Geistes dem Ruhme der Stadt gehuldigt. Mit unerreichter
Meisterschaft wusste er in kurzen, bedeutungsreichen Epigrammen auf
Denkmälern jeglicher Art die Thatsachen der Freiheitskriege zu ver-
ewigen, in Elegien die Gefallenen zu preisen, in schwungvollen Cran-
ialen, welche von Festchören aufgeführt wurden, die Schlachttage von
Artemision und Salamis zu feiern.
Der Staat that das Seinige, um die Kunst zu fördern; er gab durch
Siegesfesle den Dichtern glänzende Veranlassungen sich zu bewähren
und setzte Preise aus für die besten Kunstleistungen. Wie Simonides
dem Themistokles (S. 62), so stand der geistvolle Ion dem Kimon zur
Seite und war für dessen Nachruhm thätig (S. 276). Perikles aber
that aus eigener Neigung wie aus staatsmännischer Rücksicht Alles,
um die Kunst des Gesanges in Athen zu pflegen. Er führte zu
diesem Zwecke die musischen Wettkämpfe bei den Panathenäen ein,
um alle Talente zu öffentlichem Wettkampfe aufzurufen. Er war
selbst Ordner und Gesetzgeber auf diesem Gebiete und bestimmte
mit tiefem Kunstverständnisse die Weise, in welcher die Sänger
und Citherspieler am Feste auftreten sollten. Wenn aber dessen-
ungeachtet auch in dem perikleischen Athen die lyrische Dichtung nicht
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DITHYRAMBOS.
291
die Bedeutung gewann, wie man erwarten sollte, und Simonides
keine namhafte Nachfolge fand, so liegt der Hauptgrund darin, dass
eine andere mächtigere und reichere Dichtungsart sich entfaltete, in
welche die Lyrik aufgenommen wurde, so dass sie als besondere Gat-
tung zurücktrat
Von allen lyrischen Dichtungsarien hatte nämlich keine eine so
ausgezeichnete und erfolgreiche Pflege in Athen gefunden, wie der
Dilhyrambo8, das Preislied auf den segenspendenden Gott Dionysos,
das Gedicht, welches von allen Zweigen religiöser Poesie die gröfste
Entwicklungsfähigkeit zeigte. Lasos von Hermione, der Lehrer Pin-
dars, hatte das Lied, das ursprünglich nur ein Organ des enthusias-
tischen Naturdienstes war, zu einem kunslmäfeigen Ghorliede umge-
bildet und demselben durch kühne und mannigfaltigere Rhythmen
so wie durch rauschende Flötenmusik solchen Glanz verlieben, dass
er den Ruhm des Arion, als des Erfinders dieser Gattung (I, 265),
verdunkelte. Lasos brachte die neue Kunst aus dem Peloponnes
nach Athen, an den Hof der Pisistratiden (I, 364). Es war eine
Zeit, wo Alles, was auf den Dionysosdienst sich bezog, besondere
Gunst erfuhr; der Dilhyrambos wurde an den Staatsfesten eingeführt,
und die reichen Bürger wetteiferten mit einander in der Ausstattung
und Einübung bachischer Festchöre, welche, fünfzig Personen stark,
um den brennenden Altar des Dionysos ihre Kreistänze aufführten;
man scheute keine Kosten, um von den ersten Sangmeistern, wie
Pindar und Simonides, neue Lieder für die altischen Dionysien zu
erhallen. Simonides konnte sich rühmen, nicht weniger als sechs
und fünfzig dithyrambische Siege in Athen gewonnen zu haben.
Aber hier blieb die Entwickelung nicht stehen.
Der Dilhyrambos umfasste nicht nur die Tonarten und Rhythmen
aller früheren Gattungen der Lyrik, sondern er enthielt auch solche
Elemente, welche über das Gebiet lyrischer Dichtung hinauszugehen
drängten. Denn indem die Festchöre den Gott, den sie verherr-
lichten, als einen nahen und gegenwärtigen betrachteten und in
enthusiastischer Erregung alle Schicksale desselben, seine Verfolgungen
wie seine Siege gleichsam mit erlebten, so lag es nahe, diese Be-
gebenheiten, an welche die Lieder anknüpften, nicht blofs als be-
kannt vorauszusetzen, sondern sie durch Erzählung in das Gedächtniss
zu rufen oder durch Darstellung zu veranschaulichen. Die Vorsänger
des dithyrambischen Ghors unterbrachen also die Gesänge durch
19*
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292 DAS ATTISCHE DRAMA.
erzählenden Vortrag, und so wurden Epos und Lied verbunden.
Dann wurde der epische Vortrag durch Handlung und Kostüm be-
lebt; man sah den Gott selbst leidend und triumphirend vor sich;
der Chorführer übernahm seine Rolle, die Fesltänzer verwandelten
sich in Satyrn, die Begleiter des Gottes und Genossen seiner Schick-
sale, und so erwuchs aus der Verbindung der älteren Dichtungs-
arten eine neue, die reichste und vollkommenste von allen, das
Drama.
Die Hellenen waren von Natur voll dramatischer Anlage. Eine
angeborene Lebendigkeit drängte sie, jeden Zweifel, jede Erwägung
in die Form einer Wechselrede einzukleiden. So finden wir schon
bei Homer die Keime des Dramas, welchem nun die ganze Ent-
wicklung der älteren Kunstweisen zu Gute kam. Denn Alles, was
an wohlgeordneten Rhythmen, an wirkungsvollen Tonweisen, an
poetischen Bildern, was in Tanz und Gesang erfunden war, ver-
einigte sich hier, belebt durch die Kunst der Mimik, welche die
ganze Person zum Organ des künstlerischen Vortrags machte, und
erwärmt von dem Feuer bachischer Fesllust.
Indessen musste der Kreis der Darstellung ein sehr beschränkter
bleiben, so lange man durch den Cullus auf die Gegenstände der
bachischen Religion angewiesen war. Man ging also einen Schritt
weiter, indem man die Schicksale des Dionysos durch andere Gegen-
stände, die ebenfalls ein lebhaftes Mitgefühl zu erwecken geeignet
waren, ersetzte. So strömte, nachdem die Kunstform erfunden war,
eine Fülle von Stoff und fruchtbarem Inhalte zu; denn der ganze
Schatz des homerischen und nachhomerischen Epos wurde aufge-
schlossen, die nationalen Heroen wurden in neuer, lebendiger Weise
dem Volke vorgeführt, ein weites Feld war der dramatischen Kunst
eröffnet.
Auch dieser Fortschritt war schon aufserhalb Altika gemacht
worden; denn in Sikyon war der Held Adrastos vor der Zeit des
Kleisthenes an Stelle des Dionysos getreten (I, 244), und auch in
Korinth hatte vielleicht schon eine ähnliche Erweiterung der dithy-
rambischen Gattung stattgefunden. Aber nur in Athen sind diese
Anlange des Dramas zu voller Entwickelung gediehen, und wie das
Epos das Spiegelbild der heroischen Vorzeit ist, wie dann nach Ab-
slerben des Epos die Lyrik drei Jahrhunderle hindurch der Ent-
wickelung des Volks zur Seite geht, so ist das Drama diejenige
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ENTWICKELUNG DES DRAMAS.
293
Dicbtungsart, deren Entfaltung beginnt, so wie Athen der Mittel-
punkt der hellenischen Geschichte wird. Aus unscheinbaren An-
fängen zur solonischen Zeit entstanden, erwuchs und erstarkte es
mit der Gröfse der Stadt und hat die Geschichte derselben durch
alle Stufen ihrer Entwicklung begleitet.
Thespis hatte die attische Tragödie begründet (I, 364), indem
er den Wechsel von Vortrag und Gesang, so wie Ko9lüm und Bühne
ordnete. Solon wollte, wie man erzählte, von der neuen Kunst
nicht viel wissen, weil er die heftige Erregung des Gefühlslebens
durch phantastische Darstellungen für nachtheilig hielt, die Tyrannen
aber begünstigten die Volkslustbarkeit, wie Alles, was mit dem demo-
kratischen Cultus zusammenhing; ihrer Politik entsprach es, auf
Rosten der Wohlhabenden den Bürgern glänzende Unterhaltungen
zu schaffen; sie riefen den Chormeister um 535 v. Chr. aus Ikaria
in die Stadt; die Wettkämpfe tragischer Chöre wurden eingeführt
und die Bühne bei der Schwarzpappel am Markte war ein Mittel-
punkt attischer Festlust.
Mit Herstellung der Freiheit gewannen alle bürgerlichen Feste
einen höheren Schwung, die verschiedenen Gattungen sonderten sich;
die Tragödie schied die niederen Elemente bachischer Festlust aus
und erhob sich zu gröfserer Würde ; so erhielt sie durch Pratinas und
Choirilos eine feste Kunstform, und erging sich immer freier in der
Wahl ihrer Stoffe. Darüber wurde aber das Alte nicht aufgegeben;
die ländliche Jugend wollte sich ihren gewohnten Mummenschanz
nicht nehmen lassen, die Satyrchöre mussten dem Volke bleiben.
Man trennte aber, was nicht ohne gegenseitige Beeinträchtigung zu-
sammen gehen konnte, und so erwuchs neben der Tragödie das
Satyrdrama. Pratinas, der aus Phlius nach Athen einwanderte, gab
diesem Spiele seine besondere Gestalt; in ihm wurde der ursprüng-
liche Charakter bachischer Lustbarkeit, das Ländlich -bäuerliche, die
lustige Genossenschaft der Satyrn mit ihren ausgelassenen Tänzen
und derben Späfsen beibehalten. So wurden der poetischen Litera-
tur auch diese Elemente erhalten, ohne dass die Tragödie in ihrer
weiteren Entwickelung durch dieselben gestört und gehemmt wurde.
Derjenige Zeilpunkt, da Athen als Grofsmacht auftrat und seine
Trieren über das Meer sandte, um die Erhebung Ioniens zu unter-
stützen, war auch für die attische Tragödie eine Epoche. Um die-
selbe Zeit brachen die Holzgerüste zusammen, von denen man
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294 AUSBILDUNG DER TRAGÖDIE.
die Festspiele des Pratinas, Choirilos, Phrynichos und des jungen
Aischylos angeschaut hatte, und das Drama hatte damals schon eine
solche Bedeutung in Athen gewonnen, dass man einen großartigen
Theaterbau unternahm. Innerhalb des heiligen Bezirks des Dionysos
am Südabhange der Burg wurde eine ständige Bühne aufgemauert
und der Zuschauerraum mit seinen im Halbkreise aufsteigenden
Sitzen in den Felsen der Akropolis hineingebaut, so dass das Publikum
zur Linken nach dem llisos und Hymettos, zur Rechten nach den
Häfen blickte.
Gleichzeitig ging der innere Ausbau der Tragödie mit sicherem
Schritte vorwärts. Der StofT wurde mannigfaltiger, Tanz und Musik
immer reicher ausgebildet; weibliche Rollen wurden den männlichen
hinzugefugt. Dennoch blieb bis zu den Perserkriegen das Lyrische
vorherrschend; Phrynichos, der gröfste Vorgänger des Aischylos,
wurde seiner lieblichen Chorlieder wegen noch am meisten bewundert.
Mit dem grofsen Drama des Freiheilskrieges begann auch das Bühnen-
drama erst seine vollen Lebenskräfte zu entfalten, und nirgends zeigt
sich deutlicher als hier die neugewonnene Energie, welche das attische
Leben nach allen Richtungen hin durchdrang.
Die Bedeutung der grofsen Zeit in der tragischen Kunst zum
Ausdrucke zu bringen war Aischylos berufen, des Euphorion Sohn,
aus Eleusis, der Sprössling einer alten Familie, durch welche er mit
einem der ehrwürdigsten Heiligthümer des Landes verbunden war.
Darum nennt er sich auch selbst einen Zögling der Demeter und
bezeugt dadurch, dass die ernsten Tempeldienste von Eleusis nicht
ohne nachhaltigen Einfluss auf sein Gemüth geblieben sind. Als
Knabe sah er die Tyrannis stürzen, die den Familien des allen Land-
adels besonders verhasst war; zum Manne gereifl, kämpfte er, 35 Jahre
alt, bei Marathon und auf seinem Grabsteine hat er selbst bezeugt,
dass er nicht auf seine Tragödien stolz sei, sondern auf seinen An-
theil an jenem Ehrentage, obwohl er hier nur ein Bürger unter
Bürgern war, als Dichter aber eine unvergleichliche Stellung vor
allen Zeitgenossen einnahm. Denn er war es, der mit schöpferischer
Kraft die attische Tragödie begründete, so dass alles Frühere nun un-
vollkommenen Versuchen glich.
Er führte den zweiten Schauspieler ein und machte so das
Bühnenspiel zum wirklichen Drama; denn dadurch wurde erst eine
lebendige Wechselrede möglich. Der Dialog, zu dem die Athener
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ORGANISATION DER TRAGÖDIE.
295
durch ihre Gesprächslust, durch Geistesgegenwart und Schärfe des
Verstandes eine besondere Anlage hatten, wurde auf die Buhne über-
tragen, und dadurch ein ganz neues Interesse geweckt. Die Sprache
des Dialogs war im Wesentlichen die des täglichen Lebens, während
im Chorliede eine ältere Lautregel vorherrschte, welche dem Ohr
fremdartiger war und deshalb den Eindruck des Feierlichen und
Würdevollen machte, wie es dem ältesten Bestandteile der Tragödie,
dem religiösen Kernstücke derselben entsprechend war. Um die
Handlung kräftiger hervortreten zu lassen, wurden die Chorlieder
gekürzt, die Charaktere der handelnden Personen schärfer ausge-
prägt, Haupt- und Nebenrollen unterschieden; die Rollen der Neben-
personen, welche untergeordneten Ständen angehörten, trugen im
Gegensatze zu den heroischen Gestalten das Gepräge des niedrigeren
Volkstons. Die Bühne selbst erhielt eine vollständige Ausbildung.
Sie wurde durch Agatharchos, den Sohn des Eudemos, einen sami-
schen Künstler, der mit wissenschaftlichem Sinn die Dekorations-
malerei ausbildete, als ein idealer Schauplatz wirkungsvoll ausge-
stattet, und die Mechanik wurde aufgeboten, um durch künstliche
Vorkehrungen Schalten aus der Tiefe zu heben und Gölter durch
die Luft schweben zu lassen; das ganze Schauspiel gewann zugleich
an feierlicher Würde wie an geistigem Gehalt und sittlicher Be-
deutung 165).
Während die früheren Dichter noch immer vorzugsweise darauf
ausgegangen waren, Stimmungen auszudrücken und zu erwecken,
sollten nun die Sagen des Alterthums in grofsem Zusammenhange
vollständig zur Darstellung kommen, und zu diesem Zwecke wurde
das attische Drama in der Weise organisirt, dass drei Tragödien zu
einem Ganzen verbunden wurden, um in ihnen nach einem Plane
die Handlung der mythischen Geschichte in ihren wesentlichen Ent-
wicklungsstufen zur Anschauung zu bringen, und diesen drei Tra-
gödien, welche eben so viel Akle eines grofsen Dramas waren, folgte
als Nachspiel ein Satyrdrama. Nach dem erschütternden Ernsle der
Tragödien führte es zum Schlüsse wieder auf den volkstümlichen
Boden der Dionysosfeier zurück, wo bei den kurzweiligen Abenteuern,
deren Zeugen und Theilnehmer die Satyrn waren, die Gemüther der
Zuschauer zu harmloser Festlaune zurückkehrten. Es war ein Zug
des gesunden Volkssinns, wie er sich auch in Vasengemälden und
Tempelskulpturen offenbart, dass Scherz und Ernst mit einander
296
DIE DICHTU.NG DES AISCHYLOS.
verbunden wurden, ohne dass die Harmonie des Ganzen dadurch
gestört wurde.
Das war das Vierspiel oder die Tetralogie des altischen Dramas,
dessen Organisation, wenn auch nicht frei erfunden von Aischylos,
doch durch ihn ihre künstlerische Vollendung empfangen hat. Der
dithyrambische Chor wurde in Gruppen von 12 (später 15) Personen
getheilt, damit so für jeden Theil der Tetralogie ein besonderer
Chor vorhanden war, um die Handlung der Bühnenpersonen iheil-
nehmend zu begleiten und die Pausen der Handlung mit Tanz und
Gesang auszufällen. Der Platz des Chors, die Orchestra, lag
zwischen der Bühne und dem Zuschauerraum; so halte auch der
Chor selbst eine ideale Mittelstellung zwischen Publikum und Bühnen-
personen.
Die Hellenen waren gewohnt, in den Dichtern ihre Lehrer zu
sehen, und es konnte keiner von ihnen Geltung gewinnen, welcher
etwa blofs durch Talent, Phantasie und Kunstfertigkeit zum Dichter
berufen zu sein glaubte; es bedurfte einer inneren Durchbildung von
Herz und Verstand, einer tiefen und umfassenden Kenntniss der
Ueberlieferuug, einer klaren Einsicht in göttliche und menschliche
Dinge, Darum nahm der Dichterberuf den ganzen Menschen und
sein ganzes Leben in Anspruch, und keiner hat ihn höher aufge-
fasst als Aischylos. Er führt, wie Pindar, seine Zuhörer in die
Tiefen des Mythos hinein, indem er den sittlichen Emst desselben
hervorkehrt und ihn im Lichte geschichtlicher Erfahrungen beleuchtet.
Die Menschheit, wie sie in dem Titanen Prometheus von Aischylos
dargestellt ist, die in Kampf und Noth ausharrende, im Selbst-
bewusstsein stolze, in erfinderischem Denken unermüdliche, aber
auch zur Unbesonnenheit und zu dünkelhafter Ueberhebung ge-
neigte, ist die Generation seiner eigenen Zeitgenossen, die rastlos
vorwärts strebende; aber nur die Weisheit taugt, welche von Zeus
stammt, nur die Klugheil, welche auf sittlicher Frömmigkeit be-
ruht. So ist der Dichter ohne kleinliche Absichllichkeit ein achter
Lehrer des Volks; in der Zeit des beginnenden Zweifels sucht er
die väterliche Religion zu stützen, die Vorstellungen abzuklären und
aus dem bunten Flitter mythologischer Fabeln den religiösen Kern
heilsamer Wahrheil herauszuheben; es war der Dichter Beruf, die
Ueberlieferung des Volks mit dem fortschreitenden Bewusstsein im
Einklang zu erhalten.
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MYTHISCHE UND HISTORISCHE STOFFE.
297
Aber die Dichter standen auch mitten im bürgerlichen Leben,
und in einer Stadt, wie Athen, war es undenkbar, dass Männer,
welche bei öffentlichen Festen der versammelten Gemeinde ihre
Geisteswerke vorführten, gegen die Fragen der Gegenwart gleich-
gültig waren. Sie mussten Männer einer bestimmten Partei sein,
und ihre Ansicht von dem, was dem Staate frommte, musste, wenn
sie wahr und freimüthig waren, in ihren Werken sich erkennen
lassen. Freilich blieb die Wahl des Stoffs vorzugsweise auf die Mythen
beschränkt; die Willenskraft des Menschen, sein Handeln und Leiden,
die Widersprüche zwischen menschlichem und göttlichem Gesetze,
zwischen Freiheit und Verhängniss, stellte man am liebsten an den
Charakteren der Heroenzeit dar, welche das Epos überliefert hatte;
sie waren die Vorbilder des Menschengeschlechts, ihre Leiden die
allgemein menschlichen Leiden und Verwickelungen; in ihrer An-
schauung sollten also die Zuschauer ihr Eigenes an Kümmerniss
und Sorge los werden, ihr enges Selbstbewusstsein erweitern und
so mit dem edelsten Kunstgenüsse zugleich eine Befreiung und
heilende Läuterung des Gemüths davon tragen. Den vorzeitlichen
Heroen entsprach der ideale Charakter, den man der ganzen Bühnen-
welt zu geben beOissen war; der ergreifende Eindruck war aber
darum kein geringerer, wenn auch die Welt, in die man sich ver-
setzt fühlte, eine nebelhafte Vorzeit war. Den kriegerischen Stücken
des Aischylos merkte man doch den Geist des Marathonkämpfers
an, und wer seine 'Sieben gegen Theben' angehört hatte, fühlte
sich von Eifer entbrannt, für das Vaterland die Waffen zu führen.
Indessen halte schon Phrynichos gewagt, Tagesgeschichte auf die
tragische Bühne zu bringen; sein 'Fall von Milet* und seine 'Phöni-
zierinnen' hatten ohne Zweifel eine politische Tendenz (S. 129). In
einer viel grofsartigeren Weise folgte aber Aischylos dem Beispiele
seines Vorgängers, als er vier Jahre nach den Phönizierinnen des
Phrynichos Ol. 76, 4 (472) sein Perserdrama zur Aufführung brachte.
Er schildert die Niederlage des Grefskönigs. Aber mit feinem Kunst-
verstande hat er nicht Anika, sondern Persien zum Schauplatz der
Tragödie gemacht Also die Folgen der Schlacht, ihre Rückwirkung auf
das feindliche Reich wird uns in der Hauptstadt desselben vor Augen
geführt. Dareios wird aus dem Grabe beschworen, um in ihm, dem
frommen und besonnenen Fürsten, die Herrlichkeit des unversehrten
Perserreichs darzustellen, während der Nachfolger aller Würde beraubt
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298 AISCHYLOS.
aus Hellas heimkehrt, ein warnendes Beispiel, wie thörichle Selbst-
überhebung alle Herrschergröfse zu Grunde richtet. Die Idee der
Vergeltung, welche durch die Perserkriege im Gemüth der Hellenen
lebendig geworden war, ist es, welche die ganze Dichtung beseelt.
Wenn in Phrynichos' Siegestragödie Themislokles tot Allen
gefeiert wurde, wird bei Aischylos nur flüchtig auf ihn angespielt,
als den Erfinder einer schlauen List. Dagegen wird durch eine aus-
führliche Schilderung des Kampfes auf Psyttaleia (S. 80) des Aristeides
Ruhm gepriesen, der wesentlich zum salaminischen Siege beigetragen
habe, und zwar im Land- und nicht im Seegefecht.
Die 'Perser' waren das Mittelstück einer Trilogie, das in sich
keinen Abschluss hat. Der Schatten des Dareios weist auf fernere
Niederlagen, auf die Kämpfe bei Piataiai hin. Aus dem dritten
Stücke 'Glaukos' ist eine Anspielung auf Himera enthalten. Das erste
Stück 'Phineus' hatte seinen Namen von dem mythischen Seher,
welcher den Argonauten die Fahrt nach dem nordischen Barbaren-
lande anzeigt.
Es ist also in hohem Grade wahrscheinlich, dass alle drei
Stücke durch einen Gedanken zusammenhingen, durch die Idee,
welche in allen denkenden Zeitgenossen lebendig war, von dem grofsen
Kampfe zwischen Barbaren und Hellenen, zwischen Asien und Europa,
der in dem Argonautenzuge sein mythisches Vorspiel hatte und auf
den Schlachtfeldern Griechenlands und Siciliens seine glorreiche Ent-
scheidung. So hat Herodot den Perserkrieg als Glied einer geschicht-
lichen Entwickelungsreihe aufgefasst, so hat Pindar die Tage von
Salamis, Piataiai und Himera als gleich berechtigte Ehrentage der
Hellenen zusammengestellt und die Persertrilogie würde gewiss nicht
am Hofe Hierons aufgeführt sein, wenn seine Ruhmliebe nicht volle
Genugtuung darin gefunden hätte.
Wie also Aischylos die mythische Geschichte der Pelopiden in
den drei Stücken der Orestie, die des thebanischen Königshauses
und die des thrakischen Königs Lykurgos ebenfalls in je drei unter
sich zusammenhängenden Dramen dargestellt, wie er die Prometheus-
sage so entwickelt hat, dass die in den Einzelstücken übrig bleiben-
den Conflikte und Missklänge innerhalb eines gröfsern Zusammen-
hangs eine befriedigende Auflösung finden, so hat der Dichter Mythus
und Geschichte in einem Ganzen verwoben. Vorzeit und Gegenwart,
Orient und Occident, Mutterland und Colonien gestalten sich zu
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AISCHYLOS
299
einem grofsen Weltgemälde, zu einer Kette von Ereignissen, welche
durch Weissagungen und wechselseitige Beziehungen mit einander
zusammenhangen. Vorwärts und rückwärts schauend, deutet der
Dichter wie ein Prophet den Gang der Geschichte, dessen innere
Notwendigkeit sich dem Auge des Geistes enthüllt Er erhebt das
ßewusstsein seines Yolks, indem er die überall steigende Macht der
Hellenen und das Sinken der Barharenmacht darstellt, ohne dass
eine Beimischung von Hohn oder Schadenfreude den sittlichen Adel
seiner Dichtung trübte. Er mäfeigt zugleich das Selbstgefühl des
Sieges, indem er auf das selbstverschuldete Unglück der Perser hin-
weist und auf die ewigen Gesetze göttlicher Gerechtigkeit, deren
Beachtung auch für das Glück der Hellenen die unerlässliche Bedingung
sei »*).
Auch in den Tragödien mythischen Inhalts fehlte es nicht an
Aussprüchen, welche eine unmittelbare Anwendung auf die Gegen-
wart erlaubten und selbst forderten. Solche Beziehungen gingen
nicht aus frostiger Absichtlichkeit hervor, welche den reinen Eindruck
der Poesie trübte, sondern ein Mann wie Aischylos konnte nicht
anders; er musste dem, was er für das Heil des Staats und für das
Gepräge des besten Bürgers hielt, auch in seinen Dichtungen Aus-
druck geben, wenn er nicht seine lebendigsten Gefühle absichtlich
zurückdrängen wollte; dies gab aber um so weniger einen Missklang,
weil ja im Alterthume die Grundsätze sittlicher und politischer Weisheit
so nahe zusammen fielen. Das Publikum aber, das sich ja auch
im Theater als Bürgergemeinde fühlte, fasste rasch und unwillkürlich
Alles auf, was auf die Gemeindeverhältnisse eine Anwendung ge-
staltete und auf einen Staatsmann wie Aristeides sich bezog (S. 146).
Nächst Aristeides war es Kimon, dem Aischylos' Muse huldigte.
Mit Kimon vertrat er das gemeinsam Hellenische, die väterliche Sitte»
die Herrschaft der Besten, die Zucht der alten Zeit, und als daher
die Wogen der Volksbewegung immer höher gingen und auch das
letzte Bollwerk, den Areopag, bedrohten, da führte der siebzigjährige
Dichter seine Muse in den Kampf der Parteien hinein und bot alle
Mittel auf, um seinen Mitbürgern die heilige Würde des Areopags,
als einer göttlichen Stiftung, an das Herz zu legen und vor den
Folgen unseliger Zügellosigkeit zu warnen (S. 157 f.). Die «Eumeniden'
des Aischylos bezeugen in glänzender Weise, wie ein grofses Dicht-
werk ein Gelegenheits- und Tendenzstück sein kann, ohne dadurch
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300
SOPHOKLES.
an durchsichtiger Klarheit und einer für alle Zeiten mustergültigen
Erhabenheit einzubüßen. Wenn nun auch der Areopag als Gericht
unangetastet blieb (und gerne mögen wir dem Gedichte des Aischylos
hierauf einen bestimmenden Einfluss zuschreiben), so fühlte der
Dichter sich doch fremd und vereinsamt in der Stadt der vollendeten
Demokratie. Das war nicht die Freiheit, für die er in den Schlachten
geblutet hatte; die Zahl der Freiheitskämpfer schmolz immer mehr
zusammen; die Orestie war das letzte Werk, das er in Athen auf-
führte; er starb im sicilischen Gela.
Die Zeit der Maralhonkämpfer war vorüber; die neue, die peri-
kleische Zeit fand in einem jüngeren Geschlechte, und auf der attischen
Bühne in Sophokles ihren Ausdruck.
Er war wie Aischylos von edler Geburt, wie schon das Priester-
thum des Heros Alkon anzeigt, das er bekleidete; aber sein Vater
war ein Gewerbtreibender, der Leiter einer grofsen Waflenfabrik. In
dem erzreichen Gaue Kolonos um Ol. 70, 4 (496) geboren, war er
in der ländlichen Anmulh des Kephisosthales aufgewachsen, unter
dem Schatten heiliger Oelbäume, den Zeugen ältester Landesgeschichte,
aber zugleich nahe der Hauptstadt und nahe dem Meer, das er von
der Felshöhe des Kolonos überblickte, wo er während seiner Knaben-
zeit die Hafenstadt vor seinen Augen aufwachsen sab. In der ersten
Blüthe jugendlicher Schönheit tanzte er als Reigenführer beim salami-
nischen Siegesreste; zwölf Jahre später trat er schon als selbständiger
Dichter dem grofsen Aischylos gegenüber, dessen begeisternde Kunst
ihn in die gleiche Bahn des dichterischen Ruhms hereingezogen
halle. Es war ein Tag ungewöhnlicher Aufregung für ganz Athen,
als das Volk auf den Ausgang des Wettkampfes zwischen dem auf-
strebenden Dichterjünglinge und dem bald sechzigjährigen, mit zwie-
fachem Lorbeer geschmückten, Aischylos harrte. Es war an demselben
Dionysosfeste, als Kimon nach glänzender Beendigung des thrakischen
Feldzugs (S. 124) vom Peiraieus herauf kam und in der Orchestra
des Thealers sein Dankopfer darbrachte; das Volk war entzückt über
pie Reliquien des Theseus, die er heimgebracht halte, und der Archon
Apsephion wählte unter froher Zustimmung der versammelten Bürger
Kimon und seine Milfeldherrn , als die würdigsten Vertreter der
zehn Stämme, aufserordentticher Weise zu Kampfrichtern. Der
Erfolg war, dass die Triptolemostrilogie des Sophokles den Preis
erhielt»*).
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DIR KUNST DES SOPHOKLES
30 t
Sophokles' Kunst stand nicht im Widerspruche zu der seines
Vorgängers. Er blickte mit Ehrfurcht zu dem Manne hinauf, welcher
mit so ursprünglicher Geisteskraft zur Vollendung der tragischen
Kunst die Bahn gebrochen hatte. Seiner liebenswürdigen Natur
waren Neid und Scheelsucht fremd. Er war aber ein selbständiger
Schüler des grofsen Meisters und seiner ganzen Begabung nach sehr
verschieden von ihm. Er war milder, schlichter, ruhiger und, was
seinen Geschmack betrifft, dem Pathetischen und Pomphaften ab-
geneigt. Er mäfsigte daher die Kraft der Bühnensprache, wie sie
Aischylos eingeführt halte, und suchte die Charaktere, ohne sie in
das Gewöhnliche herabzuziehen, menschlicher darzustellen, so dass
die Zuhörer sich ihnen verwandter fühlten. Dies steht in naher
Beziehung zu der veränderten Behandlung des tragischen Stoffs. In
tragischer Sagencomposition hat Aischylos das Gröfste geleistet, was
aus griechischem Geiste hervorgegangen ist; hierin konnte er nicht
überboten werden. Sophokles erkannte aber, dass die Sagen nicht
immer von Neuem in gleicher Breite dem Volke vorgeführt werden
dürften, indem das Interesse daran sich allmählich erschöpfen musste.
Es kam also darauf an, innerhalb der einzelnen Tragödien mehr
Leben zu entwickeln, die Charaktere schärfer aufzufassen und das
psychologische Interesse lebhaRer anzuregen.
Nachdem nun schon Aischylos die Trilogie in der Weise behandelt
hatte, dass er sich nicht an den Verlauf einer mythischen Geschichte
band, wurde die trilogische Verbindung von Sophokles wenn auch nicht
völlig aufgelöst, doch so weit gelockert, dass nun jede einzelne Tra-
gödie ein Ganzes war, das in sich seinen Abschluss halte und als
besonderes Kunstwerk beurteilt sein wollte. Dadurch wurde gröfsere
Freiheit gewonnen; die Motive des einzelnen Stücks konnten ein-
gehender behandelt und das poetische Gemälde durch das Hervortreten
von Nebenfiguren reicher gegliedert werden. So lässt Sophokles in seiner
Darstellung der Orestessage die That des Multermordes und ihren
Urheber zurücktreten und giebt dem vielbesungenen Gegenstande eine
wesentlich neue Fassung, indem er statt Orestes seine Schwester
Eleklra zur Hauptperson macht, in ihrem Gemülhe den ganzen Hergang
sich spiegeln lässt und dadurch Gelegenheit gewinnt, ein vielbewegtes
Seelengemälde, das Bild eines weiblichen Heldenmuttis zu schaffen,
welchem wieder durch die Darstellung der anders gearteten Schwester
ein trefflicher Hintergrund gegeben wird.
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302 DIE KUNST DES SOPHOKLES.
Um diese Mittel einer feineren und fortgeschrittenen Kunst zur
Geltung zu bringen, fährte Sophokles den dritten Schauspieler ein
und machte dadurch eine ungleich lebhaftere Handlung, so wie eine
reichere Schaltirung und Gruppirung der Charaktere möglich. Auch
war Sophokles der Erste, der obwohl selbst ein Meister in Gesang und
Tanz, von der eigenen Darstellung der Rollen zurücktrat. Seitdem
trennte sich die Thäligkeit des Schauspielers von der des Dichters, und
die Kunst des ersteren erhielt eine selbständigere Bedeutung. Dem
Chore wurde eine ruhigere Stellung aufserhalb der Handlung ange-
wiesen, und das Dramatische trat nun bedeutungsvoller als der Kern
der Tragödie hervor. Aischylos selbst erkannte den Fortschritt der
Kunst an; denn er nahm nicht blofs die äußerlichen Vervollkomm-
nungen der Tragödie an, sondern erhob sich, durch den jüngeren
Nebenbuhler gefördert, selbst zu einer reiferen Kunst des Dramas.
Sophokles war so wenig wie Aischylos dem öffentlichen Leben
fremd, aber er war ganz Dichter und hatte keine Neigung, sich durch
Staatsgeschäfte und Parteitreiben die heitere Ruhe seines Geistes
trüben zu lassen. Ion (S. 276 f.) schildert uns den Dichter, wie er ihn
als 55 jährigen Mann und zwar als attischen Strategen in Chios antraf
und in ihm den heitersten und liebenswürdigsten Gesellschafter fand,
der selbst über seine Feldherrn würde allerlei Spafs machte. Nichts
desto weniger war aber auch seine Kunst getragen von der grofsen
Zeit, in welcher Athen seine Macht über alle Küsten des Archipelagus
ausbreitete; aber in demselben Mafse wie Athen an eigener Geschichte
und selbständiger Politik vorgeschritten war, war er auch mehr
Athener und mehr attischer Patriot als Aischylos, dem das gemeinsam
Hellenische näher am Herzen lag. Sophokles trug dazu bei, dass
a t tische Stolle mit Vorliebe behandelt wurden; sein 'Triplolemos' feierte
Anika als die Heimath höherer Bildung, die sich von hier über ferne
Länder siegreich ausbreitete; der Oedipussage giebt er auf attischem
Boden, in seinem Heimalhsgaue Kolonos, einen versöhnenden Abschluss
und den Standpunkt des Atheners zeigt auch die 'Elektra', indem als
Zielpunkt der Handlung der Sturz einer gesetzwidrigen Herrschaft, die
Erkämpfung der Freiheil dargestellt wird.
Seine Tragödien trugen vor allen andern Werken dazu bei, der
Zeit der äufseren Macht und Herrlichkeit Athens eine innere, geistige
Bedeutung zu geben, wie es das Streben des Perikles war. Er suchte,
wie dieser, die allen Gottesdienste und Sitten des Landes, die unge-
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DIE ATTISCHE KOMÖDIE.
303
gebliebenen Satzungen des heiligen Rechts, in Ehren zu erhalten, aber
zugleich jeden Fortschritt geistiger Bildung und jede Erweiterung des
Gesichtskreises sich anzueignen. Die Sprache des Dichters bezeugt
eine ausgebildete Kraft des Verslandes, welche sich im gedrungenen
Ausdrucke oft bis an die Gränze der Faßlichkeit wagt; aber wie weifs
er dabei deu Reiz der Anmulh zu bewahren, und welch ein Geist
glücklicher Harmonie geht durch alle seine Werke hindurch! Er war
ein Mann nach dein Herzen des Perikles, und dass er zu diesem in
persönlich nahem Verhältnisse stand, beweist die heilere und unge-
zwungene Art, mit welcher der Staatsmann den Dichter als seinen
Milfeldherrn im Heerlager behandelte. Sophokles ist nie in dem Sinne
Parteimann und Parteidichter gewesen, wie Aischylos es war, und auch
Phrynichos es gewesen zu sein scheint Aber seine Kunst war ein
Spiegel der edelslen Zeitrichtungen, ein verklärter Ausdruck des peri-
kleischen Athens. Sein klares und gediegenes Urteil über bürgerliche
Verhältnisse tritt uns an allen Stellen entgegen, wo er besonnenen Rath
als das Heil der Staaten preist, und das attische Volk wusste in ihm
den wahren Dichter der Zeit zu würdigen; denn Keiner hat so viel
Preise gewonnen und so ungestört seinen Ruhm genossen, wie
Sophokles, und erst als die perikleische Zeit vorüber war, konnte
Euripides als sein Nebenbuhler Glück machen, welcher, obwohl nur 15
oder 16 Jahre jünger, doch schon einer ganz anderen Epoche angehörte;
aber auch ihm ist Sophokles nie erlegen.
Neben der Tragödie hat sich aus gleichem Keime, d. h. aus
bachischen Festlichkeiten, die Komödie entwickelt. Sie ist die
leibliche Schwester der Tragödie, aber sie ist länger in ländlicher
L'ngebundenheit aufgewachsen und viel später in städtische Zucht
und Pflege genommen; daher hat sie auch den Charakter ihres Ur-
sprungs treuer bewahrt. Ihr Ursprung liegt nämlich in den Lust-
barkeiten der Weinlese, in dem Festjubel der Landleute über den
neuen Segen des Jahrs, wie er sich in allen Weinländern wiederholt.
In schwärmenden Maskenzügen wurde das Lob des freudebringenden
Gottes gesungen und daneben in trunkenem Uebermuthe allerlei
Spott und Scherz mit denen gelrieben, welche dem Zuge begegneten
und Anlass zu Neckerei und MuthwiUen darboten; die Tagesgeschichte
wurde reichlich ausgebeutet, und wer die lustigsten Einfälle zum
Besten gab, wurde von einem dankbaren Publikum herzlich belacht
und gefeiert.
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304
DIE ATTISCHE KOMÖDIE.
So wurden die Herbstfeste auch in Attika, namentlich in dem
Gaue lkaria unweit Marathon begangen, welcher durch seinen Dionysos-
dienst gleichsam die Pflanzstätte des ganzen Dramas der Athener
wurde, denn auch Thespis war ja von dort ausgegangen. Nach
lkaria kam Susarion der Megareer; er brachte aus seiner Heimath
den derben Witz der megarischen Posse mit und gab den Ton an,
der sich für die nächste Zeit auch in Attika behauptete. Aus seiner
Schule stammte Maison, der zur Pisislratidenzeit grofse Geltung
hatte. Der nächste Schritt war, dass die ländliche Schaubühne nach
der Hauptstadt verlegt, vom Staate als Bestandteil der Dionysosfesle
anerkannt und mit öffentlichen Mitteln unterhalten wurde. Das ist
nach den Perserkriegen noch in der Zeit Kimons geschehen, und
der kräftige Geist, welcher damals das Leben der Athener durch-
drang, bewährte sich auch hier, indem er die rohe und halbfremde
Posse zu einer wohl organisirten , inhaltsreichen und echt attischen
Kunstgattung umgestaltete, als deren Begründer Chionides und Magnes
der Ikarier angesehen wurden.
Seit das ikarische Spiel auf dem Schauplatze der Tragödie
Heimatrecht gewonnen hatte, wurden von den fertigen Formen des
tragischen Dramas viele auf die jüngere Gattung übertragen; es wurden
auch für sie von Staatswegen öffentliche Wettkämpfe, Preise und
Preisgerichte so wie die Choregie als öffentliche Leistung (S. 245)
angeordnet; sie erhielt in Beziehung auf die Bühne, auf Dialog, Chor,
Schauspielerzahl u. s. w. eine gleichartige Organisation, aber ohne
dadurch ihre Eigenthümlichkeit einzubüfsen. Denn während die
Tragödie die Zuschauer in höhere Sphären entrückte und mit allen
Kunstmitteln solche Gestalten und Verhältnisse zur Anschauung zu
bringen suchte, welche über das Mafs des gewöhnlichen Lebens weit
hinausreichten, blieb die Komödie mit der Gegenwart und dem Alltags-
leben in nächster Verbindung. Sie blieb ungezwungener im Tanze,
in Verskunst und Rede, wie in der dichterischen Anlage; ja sie
behielt so den Charakter eines auf den Moment berechneten Gelegen-
heitsstücks, dass der Dichter den Chor benutzte, um während des
Stücks den Zusammenhang desselben vollständig zu unterbrechen,
um seine persönlichen Angelegenheiten oder brennende Tagesfragen
mit dem Publikum in ausführlichen 'Parabasen' zu besprechen.
Diese Gattung dramatischer Dichtung konnte nur in der Luft
der Demokratie gedeihen, welche sie durch alle Stadien ihrer Ent-
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DIE ATTISCHE KOMÖDIE.
Wickelung begleitet bat. Von ihrem Ursprung an auf die verkehrten
und lächerlichen Erscheinungen im Menschenleben gerichtet, geißelte
sie alle Thorheiten, Gebrechen und Schwächen; dazu konnte es ihr
bei einem so vielbewegten und durchsichtigen Gemeindeleben, wie
das der Athener war, an Stoff niemals fehlen, und eben so wenig
fehlte ein witziges, geistreiches, lachlustiges und für jede Anspielung
empfängliches Publikum. Aber sie zog auch die Missbräuche, Ent-
artungen und Widersprüche des öffentlichen Lebens an das Licht.
Darin lag der Ernst ihres Berufs; denn ohne den Hintergrund einer
ernsten und patriotischen Gesinnung würde ihr Scherz matt, wir-
kungslos und verächtlich geworden sein. Die Komödiendichter
wollten keine leichtfertigen Voiksbelustiger sein, sondern Lehrer
der Erwachsenen und Leiter des Volks, wie die Tragödiendichter,
und das, was sie in der Zeit fieberhafter Bewegung geifsellen, war
gerade das Neumodische. Die Komödie hatte einen aristokratischen
Charakter; sie verlrat das Einheimische gegen das Fremde, sie rügte
unerbittlich jede falsche Richtung in Leben und Kunst, jeden Unfug
und Missbrauch von Gewalt. Sie pflegte das Andenken der Freiheils-
krieger und ermunterte, ihrem Beispiele nachzueifern; sie schloss
sich gerne an bedeutende Tagesbegebenheiten an, wie die 'Thrakerinnen'
des Kratinos an die Colonisation im thrakischen Lande.
Man begreift, welche Anziehungskraft diese Gattung für geniale
Köpfe haben musste. Hier hatten sie einen unbeengten Schauplatz,
ihr Talent zu zeigen; hier waren sie in Erfindung und Behandlung
der Fabel an keine Tradition gebunden. Phantasie und Laune halten
volle Freiheit und das Publikum sah die mit witzig ersonnenen
Attributen ausgestatteten Chortanzer als Wolken, Frösche, Vögel vor
sich aufziehen ; kein guter Einfall, so keck er war, brauchte unter-
drückt zu werden. Alle Mittel der Poesie, um durch erhabenen
Schwung zu begeistern, durch Anmuth zu entzücken, durch Spott
und Witz zu unterhalten, durch lustige Schwanke zu erheitern, durch
neue Wörter und Gedanken zu überraschen, standen dem Dichter
zu Gebote; unter dem Schulze der Bühnenfreiheit konnte er die
Mächtigsten im Staat keck zur Rede stellen, und das zujauchzende
Volk erkannte in ihm den Vertreter bürgerlicher Freiheit.
Freilich, je ungebundener die Thätigkeit des Dichters nach Form
und Inhalt war, um so schwieriger war die Kunst. Der Dichter
musste ein in selbständigem Denken gereifter Mann sein und über
Cartiu», Gr. Owch. II. 6. Aufl. 20
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306
I»IE KOMUOIEMMCHTER.
alle göttlichen und menschlichen Dinge ein sicheres Urteil haben.
Die Ansprüche an ihn waren grofs und beim Beginn jedes neuen
Stücks fragte man sich ungeduldig: Was wird der Dichter heute
uns zu sagen haben? Auch bei der gröfslen Begabung halte er
den Wechsel der Gunst zu fürchten, denn das Publikum liefs seine
Lieblinge fallen, deren Verse in Aller Munde waren, wenn die
sprudelnde Erfindungsgabe zu versiegen anfing.
Krale s und Kratinos sind die Gründer der Komödie als einer
altischen Kunst. Kratinos war wenig jünger als Aischylos und wie
dieser ein urkräftiger, schöpferischer Geist, aber durch ungebundenen
Sinn und unerschöpfliche Laune zum Lustspieldichter geboren und
durch seinen derben Wahr hei Issinn dazu berufen, die Komödie zu
einer Macht im Staate zu machen. Dies geschah um dieselbe Zeil,
als Perikles in Athen mächtig wurde, und wenn es auch nicht in
Kratinos' Weise lag, einer der streitenden Parteien sich unbedingt
anzuschließen, so wissen wir doch, dass er in seinen 'Archilochoi'
(einer Komödie, deren Chor aus Spöttern wie Archilochos bestanden
hat) gleich nach Kimons Tode einen attischen Bürger reden liefs,
welcher 'den göttlichen Mann' beklagte, 'den gastfreundlichsten, den
besten aller Panhellenen, mit dem er ein heiteres Alter zu verleben
gehofTt habe, nun aber sei er zuvor dahingegangen '. Dem gewaltigen
Kratinos folgten Aristophanes und Eupoüs, beide bei unverkennbarer
Geistesverwandtschaft und Uebereinsliminung der Gesinnung kunst-
gerechter, milder, gemäfsigter. Aber nur der Erstere verstand mit
diesen Eigenschalten einen Reichthum schöpferischer Erfindung zu
verbinden, welcher hinter Kratinos nicht zurückblieb m).
Alle diese Männer, Philosophen und Historiker, Redner und
Dichter, von welchen jeder Einzelne eine Epoche in der Entwickelung
von Kunst und Wissenschaft bezeichnet, waren nicht nur Zeilgenossen,
sondern lebten zusammen in einer Stadt, theils in ihr geboren und
durch den Ruhm der Vaterstadt von Jugend auf genährt, theils durch ihn
herbeigezogen; und zwar standen sie nicht äufserlich nebeneinander,
sondern sie wirkten, bewusst oder unbewusst, zu einem gemeinschaft-
lichen Werke. Denn mochten sie dem grofsen Staatsmanne, welcher
der Mittelpunkt der attischen Welt war, persönlich nahe stehen oder
nicht, ja mochten sie selbst zu seinen Widersachern gehören, so haben
sie ihn dennoch in seiner Lebensaufgabe, Athen zur geistigen Hauptstadt
Griechenlands zu machen, wesentlich unterstützen müssen.
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GEISTIGES LEBEN IN ATHEN.
307
Hier gewann, was aus fremden Landschaften an Bildungskeimen
eingeführt war, ein neues Leben; die ionische Länder- und Völker-
kunde wurde zur Geschichtschreibung, wie Herodo t mit Athen in
Berührung kam; aus dem peloponnesischen Dithyrambos erwuchs
in Athen die Tragödie, aus der Posse von Megara das attische Lust-
spiel; grofsgriechische und ionische Philosophie fanden sich hier,
um sich gegenseitig zu ergänzen und die Entwickelung einer attischen
Philosophie Torzubereiten; selbst die Sophistik ist nirgends so ver-
werthet worden wie in Athen. Während früher jede Landschaft,
jede Stadt oder Insel ihre eigen thümliche Schule und Richtung hatte,
so drängten sich jetzt alle lebenskräftigen Geistesrichtungen hier
zusammen; die Orts- und Summunterschiede in Charakter und
Mundart glichen sich aus, und gleichwie das Drama, von allen Kunst-
gattungen die am meisten attische, alle Kunstweisen in sich auf-
nahm, um sie zu einem organischen Zusammenwirken zu vereinigen,
so erwuchs aus allen Errungenschaften des hellenischen Geistes eine
allgemeine Bildung, welche zugleich eine attische und eine national-
griechische war. So sehr die andern Staaten dem politischen Vor-
range Athens widerstreben mochten, so konnte doch Niemand ver-
kennen, dass hier, wo man Aischylos, Sophokles, Herodot, Zenon,
Anaxagoras, Prolagoras, Krates und Kratinos vereinigt wirken sah,
der gemeinsame Herd aller höheren Bestrebungen, dass hier das
Herz des ganzen Vaterlandes, Hellas in Hellas, sei.
So wenig uns auch ein Einblick in die persönlichen Verhältnisse
dieser grofsen Zeitgenossen vergönnt ist, so können wir uns doch
aus einzelnen Ueberlieferungen eine Vorstellung davon machen, wie
Perikles mit den hervorragendsten Männern, und diese unter einander
verkehrten. Wir wissen, dass er zu einer Aufführung, in welcher
Aischylos gesiegt hat, den Chor ausrüstete. Wir kennen die Freund-
schaft von Herodot und Sophokles, ja wir besitzen noch heute den
Anfang eines Gelegenheitsgedichts, das der Dichter in seinem 55 sten
Lebensjahre an Herodot gerichtet hat, ein Sendschreiben im elegischen
Mafse, welches der Zeit angehört, da der Geschieh tschreiber nach
Thurioi auswanderte und dem genussreichen Zusammenleben mit
den besten Männern Athens sich entzogen hatte. Sophokles war
vorzugsweise eine gesellige Natur, und wir hören, dass er einen den
Musen geweihten Kreis kunstverständiger Männer gebildet habe, der
seine regelmäfsigen Zusammenkünfte hatte. Unter gegenseitiger An-
20»
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GESUNDHEIT DES GEISTIGEN LEBENS.
regung erfolgte überall eine stetige Fortbildung. Wie im Bau
des Trimeters im Drama, so können wir in jeder Kunstweise die
Epochen der Entwickelung nachweisen. Wenn aber die griechische
Kunst überhaupt dadurch so sichere Fortschritte machte, dass die
Jüngeren nicht darauf ausgingen, durch Haschen nach Originalität
einen Vorsprung zu gewinnen, sondern dass überall das Gute bei-
behalten, das einmal Bewährte bereitwillig angenommen und ausge-
bildet wurde: so sehen wir auch in Athen die älteren Meister von
ihren Jüngern, Aischylos von Sophokles, Kratinos von Aristophanes,
dankbar geehrt und gepriesen.
Was das geistige Leben in Athen besonders auszeichnete, war
der Umstand, dass die hervorragenden Männer, so ernst sie auch
ihren Beruf auffassten, doch ihre Meisterschaft keiner engherzigen
Beschränkung auf ihr Fach verdankten. Sie standen mitten im
Gemeindeleben, und das erhielt sie gesund, nährte und stärkte ihren
Geist und verhinderte, dass zwischen dem bürgerlichen und dem
den Wissenschaften und Künsten zugewendeten Leben eine nach
beiden Seiten hin nachtheilige Entfremdung eintrat. Jeder wollte
ein voller Mensch, ein ganzer Bürger sein. Von den bedeutenden
Männern der Zeit finden wir die Meisten jahrelang auf Reisen, die
zu ausgedehnten Beziehungen und zu erspriefslichem Austausche
der geistigen Richtungen führen; Philosophen und Dichter sind als
Staatsmänner, als Krieger und Feldherrn thätig; zu Unterhandlungen
mit anderen Staaten waren Männer von nationalem Ruhme wie
Sophokles sehr wohl zu gebrauchen, und auch diejenigen, welche
sich dem Musendienste vorzugsweise widmeten, waren Dichter und
Schauspieler zugleich und der Kunst des Gesanges wie der des
Tanzes Meister1*8).
Diese Vielseitigkeit war nur möglich bei der grofsen Lebens-
kraft, welche die Zeitgenossen des Perikles auszeichnete, und es
scheint, als wenn die hohe Blülhe, deren sich damals das hellenische
Volk erfreute, sich darin ganz besonders deutlich bezeugte, dass
geistige und körperliche Kräfte sich so häufig in bedeutendem Mafse
vereinigt fanden. Wir bewundern die Männer, welche sich bei un-
ermüdlicher Arbeit bis in ein hohes Greisenalter die volle Kraft zu
erhalten wussten und bis zuletzt in der Vollendung ihrer Kunst
fortschritten.
Nachdem Sophokles 113 Dramen gedichtet hatte, soll er den
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DIE SCHÖNEN' KÜNSTE.
309
Cbor des kolonischen Oidipus vorgelesen haben, um zu beweisen,
dass er nicht, wie ihm nachgesagt wurde, aus Altersschwäche un-
fähig sei sein Vermögen zu verwalten. Kratinos war 91 Jahre alt,
als er seine *Frau Flasche' aufführte und mit diesem kecken Lust-
spiele Aristophanes besiegte, der ihn schon als einen abgelebten Gegner
betrachtet hatte. Eben so waren Simonides, Xenophanes, Par-
menides, Zenon als Greise Musler von Kraft und Gesundheit. Ti-
mokreon (S. 127 f.) verband mit dem Dichterberufe die Tüchtigkeit
eines Athleten. Polos, des Sophokles Lieblingsschauspieler, war im
Stande, binnen vier Tagen in acht Tragödien die Hauptrollen zu
übernehmen. Endlich zeigt sich auch darin die gesunde Tüchtig-
keit und Vielseitigkeit der damaligen Meister, dass sie bei der un-
gemeinen Fruchtbarkeit an schöpferischen Werken zugleich über die
Aufgaben und Mittel ihrer Kunst zu wissenschaftlicher Klarheit zu
gelangen strebten, dass sie mit der Begeisterung des Dichtergemüthes
volle Besonnenheit und Liebe zu theoretischer Forschung verbanden.
$o war Lasos, der Gründer des Dithyrambos in seiner vollendeten
Form, zugleich ein kritischer Kopf und einer der ersten Schrift-
steller über Theorie der Musik, und Sophokles schrieb selbst über
den tragischen Chor, um seine Ansichten von der Bedeutung des-
selben im Organismus der Tragödie zu entwickeln. So schrieben
auch die ersten Baumeister wissenschaftliche Werke über ihre Kunst,
Polyklet entwickelte die Zahlentheorie, auf welcher die plastische
Symmetrie beruhe, und Agatharchos die Grundsätze der Optik, nach
denen er die Bühnendecoration eingerichtet hatte: er öffnete dadurch
eine Bahn, auf welcher Demokritos und Anaxagoras die Lehre von
der Perspective weiter entwickelten158*).
In Beziehung auf die Kunst der Rede und Dichtung wie auf die
Fortschritte der Wissenschaft kann der Staat nur mittelbar einwirken,
indem er den Meislern Gelegenheit giebt, für öffentliche Zwecke wirksam
zu sein, Dichter von anerkanntem Rufe besoldet und Preise austheilt,
indem er die Werke eines Herodot dem versammelten Volke vortragen
lässt, indem er die Feste leitet, an denen die Schauspiele in würdigster
Ausstattung aufgeführt werden. Anders ist es mit den bildenden
Künsten. Diese sind abhängiger von äufseren Umständen; sie bedürfen,
um Grofses zu Stande zu bringen, solcher Mittel, wie sie nur der Staat
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THONBILI»EREI UND MALEREI
gewähren kann; auch ist hier eine obere Leitung noth wendig, um zu
gemeinsamen Zwecken alle vorhandenen Kräfte zusammen zu fassen,
damit sie nicht in kleinen Aufgaben zersplittern1'9).
Attika ist für die Pflege der Künste seit ältester Zeit die günstigste
Stätte gewesen. Seine Bewohner hatten den Sinn für das Schöne,
welcher das Volk der Hellenen auszeichnet, in besonders hohem Grade;
Landschaft und Atmosphäre trugen dazu bei, ihren Form- und Farben-
sinn auszubilden, und der Boden lieferte dem betriebsamen Geschlechte
unvergleichlichen Stein zum Bauen und Bilden so wie vorzügliche
Erde zum Modelliren, zur Töpferei und Thonmalerei.
Beides war ursprünglich Eins. Denn der Töpfer suchte nicht nur
durch Feinheit der Technik und edle Form, sondern auch durch Firnisa
und Ornament seinen Fabrikaten einen höheren Werth zu geben. Dann
erfolgte, wie der Betrieb schwunghafter wurde, Theilung der Arbeit.
In den grofsen Werkstätten wurden für die figürliche Ausstattung
eigene Arbeiter angestellt. So entwickelte sich aus dem Handwerk ein
Kunstzweig, und die ersten Malernamen, die uns bekannt werden,
finden sich neben denen der Töpfer auf bemalten Schalen und Krügen.
Diese Malerei war nichts als eine farbig ausgefüllte Umrisszeichnung;
schwarze Figuren, welche sich von dem rothen Tbongrunde abhoben.
So hatte man die Gefafsmalerei aus Korinth überkommen und ahmte
sie nach, indem man dieselben Stoffe in gleichem Stil, in gleichen Fi-
guren und Gruppen wiederholte. Dann erfolgte eine einfache, aber
durchgreifende Aenderung der Technik. Man sparte für die Figuren
den Thongrund aus und liefe dieselben in leuchtendem Roth auf
schwarzem Grunde hervortreten. Damit begann ein neues Leben, ein
ganz neuer Stil in Form und ßiklschmuck der Gefafse, und diese
epochemachende Reform ist in Athen zu Hause.
Der Umschwung erfolgte um dieselbe Zeit, welche in jeder Be-
ziehung der Beginn einer neuen geistigen Bewegung war. Um 500 v. Chr.
gab es berühmte Werkstätten, in denen erst schwarzfigurig gemalt und
dann nach einer kurzen Zeit des Schwankens rasch und entschieden
zu dem neuen Stil übergegangen wurde; so namentlich die des Cha-
chrylion. Auch Andokides malte noch in beiden Stilen, und im Anfang
hatten die rothen Figuren noch viel von dem steifen und gezwungenen
Charakter der altmodischen Zeichnung.
Bei Chachrylion arbeitete Euphronios, der dann ein eigenes Atelier
gründete. Euphronios und Duris wuchsen in den vollen Segen der
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TH0NB1LD.NEREI UWD MALEREI
311
perikleischen Zeit hinein, und wir sehen an den Werken ihrer Hand,
wie sie in Schrift und Zeichnung der Zeitbewegung folgten und von
dem Zwange eines veralteten Formengesetzes sich stufenweise zu
freierer Anmuth erhoben.
Es waren Handwerker, den unteren Ständen angehörig, welche
auch nicht correkt zu schreiben verslanden; auch viel eingewanderte
Leute, die sich durch ihre un griechischen Namen (Amasis, Brygos,
Skythes) zu erkennen gaben. Aber die Fremden wurden unter attischer
Leitung allmählich selbst Athener und die Handwerker zu Künstlern,
indem sie die Bewegung der Zeit verstanden, ihren grofsen Inhalt mit
empfänglicher Seele in sich aufnahmen und rastlos vorwärts strebten.
Im Verlauf von wenig Olympiaden, welche ungefähr mit der Zeit der
kimonischen Feldzuge zusammenfallen, war ohne Bruch mit der älteren
Praxis eine neue Kunst entwickelt, welche mehr als alle anderen Zweige
antiker Werkthätigkeit erkennen lässt, was die Hellenen mit den be-
scheidensten Mitteln der Technik zu leisten vermochten und wie sie
das gewöhnliche Gerälh mit idealem Leben ausstatteten. Der enge
Bilderkreis peloponnesischer Kunst, welcher sich an die Darstellungen
auf dem Kypseloskasten anschloss, wurde verlassen. Freier und
voller schöpfte der Künstlergeist aus der Gölter- und Heroenwelt
wie aus dem Menschenleben; die attischen Sagen traten in den Vorder-
grund, und wenn wir die reiche Fülle von Kampfscenen und heiterer
Fesllust, von Mythologie und Alltagsleben in den Vasenbildern des
Duris, Euphronios u. A. vor Augen haben, können wir nicht umhin, sie
als Meister in ihrer volkstümlichen Kunst anzuerkennen.
Das Tbonbild war die Schule der Malerei. Auf den unbequemen
Flächen der Gefäfse lernte man das sichere Zeichnen, die charak-
teristische Grundlage der griechischen Malerei. Wie die Farbe auf
Stein übertragen wurde, zeigen die attischen Grabpfeiler, auf denen
das Bild des Verstorbenen dargestellt ist, eine farbige Umrisszeichnung
von schlichter, anmuthigster Einfachheit, wie der Denkstein des
Lyseas aus der Pisistratidenzeit159*).
Zu umfangreicheren Malereien gab der Cultus Anlass, namentlich
bei Weihgeschenken, die an Begebenheiten erinnern sollten, bei denen
eine gröfsere Anzahl von Personen mithandelnd betheiligt war, wie
z. B. der Bau der Bosporosbrücke (I, 606) oder die Prozession der
Tempelfrauen, welche um Abwendung der Persernoth zur Aphrodite
in Korinth flehten. Der Cultus gab auch Anlass die Wände der
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IMF. KUNST HKS IMMAGNOTOS
Tempelzellen mit Gemälden auszustatten. Man überzog die Wände
oder Wandtafeln mit feinem Stuck, der dann nach Art der Tafelbilder
als Unterlage der Farbe auch auf Thongefäfse übertragen wurde. So
wurde in Samos, Korinlh, Chalkis, Paros, Thasos u. a. 0. die Maler-
kunst langsam weiter geführt.
Der Fortschritt zu einer grofsen und monumentalen Kunst wurde
aber erst in Athen gemacht, und zwar verdankt die Stadt auch
diesen Ruhm ihrer siegreichen Flotte. Denn als die reiche Insel
der Thasier mit Athen den Kampf aufzunehmen wagte, blühte dort
die Malerei und zwar vorzüglich in dem Hause des Aglaophon.
Aglaophons Sohn und Schüler war Polygnotos, den wir mit Kimon
in persönlicher Verbindung finden. Es ist daher in hohem Grade
wahrscheinlich, dass es kein Anderer als Kimon war, welcher Polygnot
nach dem thasischen Kriege zur Uebersiedelung nach Athen veranlasst
und dadurch seinem Siege eine für attisches Kuns lieben unvergäng-
liche Bedeutung verliehen hat. Aber schon vorher muss man in
Delphi das Augenmerk auf Polygnotos gelenkt haben ; denn das älteste
von ihm bekannte Werk waren die grofsen Wandbilder in der Lesche
oder Gasthalle, welche die Knidier dem pythischen Gott geweiht hatten.
Für diese Bilder schrieb Simonides, der schon vor dem Siege am
Eurymedon gestorben ist, das Epigramm. In Plalaiai schmückte Poly-
gnotos die Tempelwände der Athena Areia. Seine neue Heimath aber
wurde Athen, wo die Säulenhalle am Stadtmarkte, welche Peisianax,
ein Verwandter Kimons, gebaut halle, der Dioskurentempel und das
heilige Gemach bei den Propyläen, das später unter dem Namen der
Pinakothek bekannt war, durch seine Werke weltberühmt wurden.
Er wurde selbst Bürger von Athen, und es ist bewundernswürdig,
wie rasch auch diese neue Kunst sich in Athen einbürgerte. Allische
Meister, Mikon und Panainos, schliefsen sich ihm an, und sie malen
mit ihm an denselben Gebäuden, ohne dass ihre Werke als unter-
geordnete Leistungen angesehen werden. Es war eine attische Schule
da, und ihr Einfluss greift auch sofort in den handwerksmäfsigen
Betrieb der Kunst ein; denn wir sehen jetzt den jüngeren Vasenstil
sich entwickeln, mit seiner ausdrucksvolleren Gruppirung, der
reicheren Erfindung und ansprechenden Anmuth, welche um so
wirkungsvoller ist, je mehr sie von einem strengen Ernste getragen
wird. Hier erkennt man die Nachwirkung der grofsen Epoche, die
mit Polygnots Aufnahme in Athen begann.
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DIE KUNST DES POLYGNOTOS.
313
Niemals hat sich die Gastlichkeit der Athener reicher belohnt;
denn zum Danke für das verliehene Bärgerrecht malte er ihnen,
ohne Geld zu nehmen, die grofsen Wandbilder, welche ihre Stadt
vor allen anderen auszeichneten, und machte ihre Malerschule zur
ersten in Hellas.
Polygnotos war in seiner Kunst ein durchaus grofsdenkender
Mann, und nichts lag ihm ferner, als durch Farbenreiz und
täuschenden Schein das Auge ergötzen zu wollen. Das sinnlich
Wirkende verschmähte seine Kunst; sie sollte nichts, als die Gedanken
des Künstlers in einfachster Form zum Ausdruck bringen. Er lebte
aber mit seinem Gemülhe ganz in den Ueberlieferungen der Religion
und des Epos, und wie Pindar und Aischylos suchte er den Inhalt
derselben mit der Gegenwart zu verbinden. Nach Analogie einer
aeschy leisen en Trilogie stellten die drei Gemälde der Markthalle,
welche, wenn auch von verschiedenen Händen, doch ohne Zweifel
nach einem Plane gemacht wurden, — die Amazonenschlacht, die
Zerstörung Ilions und der Kampf bei Marathon — die verschiedenen
Epochen des grofsen Kampfes zwischen Asien und Europa dar. In
Plataiai malte er die Niederlage der Freier im Hause des Odysseus
mit deutlicher Beziehung auf die barbarischen Eindringlinge, welche
bei Plataiai ihre Strafe gefunden hatten.
Polygnot ist der Begründer einer Historienmalerei, deren hoher
Stil niemals übertreffen worden ist. Das stolze Selbstbewusstsein, das
die Zeitgenossen Kimons beseelte, erfüllte alle Werke, die aus seiner
Schule hervorgingen, mochten sie epische StofTe oder Gegenstande der
Zeitgeschichte behandeln. Bei den letzten befleifsigle man sich der
gröfsten Treue. So sah man in der Schlacht von Marathon Miltiades
persönlich dargestellt, wie er voranschreitend die Athener zum An-
griffe anfeuerte; man sah die Perser, wie sie in die Sümpfe gedrängt
wurden, den Kampf bei den Schiffen, den Heldentod des Kallimachos;
aber auch hier fehlte die Beziehung auf die unsichtbare Well nicht,
indem die Schatten der Landesheroen emporstiegen, um am Kampfe
Theil zu nehmen. Einen solchen rein attischen Stoff hatte Polygnot
ebenso wie den Kampf mit den Amazonen attischen Künstlern zur
Ausführung überlassen.
Er selbst hatte an gesamthellenischen Stoffen besonderes Gefallen;
für ihn konnte also keine anziehendere Aufgabe gefunden werden, als
die Ausschmückung der delphischen Halle, wo Hellenen aller Gegenden
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314
ATTISCHE BILDKUNST.
und Mundarten als Genossen eines Volkes, als Diener derselben Götter
zusammentrafen. Hier entfaltete er in vollem Reichthume die home-
rischen Sagen; aber er begnügte sich nicht, die Gruppen in epischer
Weise an einander zu reihen, sondern, wie jede einzelne Gruppe in
wenig Personen klar und übersichtlich gegliedert war, so waren sie auch
alle wieder um gewisse Mittelpunkte vereinigt. Jeder erkannte den
denkenden Geist, der den StofT vollkommen beherrschte, indem er
zugleich sein Gemüth von den sittlich religiösen Ideen des Künstlers
ergriffen und erwärmt fühlte. Denn in Delphi trat die theologische
Richtung Polygnots bestimmter hervor. In dem Untergange Trojas wie
in der Darstellung der Unterwelt wusste er die den Wandel menschlicher
Dinge beherrschende Gerechtigkeit der Götter an erschütternden Bei-
spielen darzustellen. Wer die einfache, aber tiefsinnige Symbolik des
Künstlers verstand, erkannte im Bilde des Antenor, der die brennende
Stadt ruhig verliefs, den Lohn der Gastfreundschaft und sah in den
Figuren der Eingeweihten den Segen der Mysterien ausgedrückt, welcher
über das Grab Ii inausreichte mb).
Die bildende Kunst hatte in Griechenland eine ungleich reichere
Vergangenheit als die Malerei. Während der Tyrannenzeit waren die
Werkstätten der attischen Bildner und Bauleute viel beschäftigt gewesen,
in den vornehmeren Familien regte sich der Ehrgeiz, durch reichere
Stiftungen bekannt zu werden, und die alte Zunft der Dädaliden blieb
unausgesetzt thätig, in Holz, Marmor und Elfenbein der Religion zu
dienen ; die Götterbilder attischer Künstler, wie des Endoios, erfreuten
sich eines Ruhms, welcher über die Gränzen des Landes weit hinaus-
ging. Was sie auszeichnete, war ein strenger feierlicher Stil, religiöser
Ernst und ruhige Würde. In dieser Weise arbeiteten die Athener weiter,
und Alles, was von attischen Bildwerken aus der Zeit bis zu den Perser-
kriegen durch Beschreibung oder Ueberreste bekannt ist, zeigt , dass
bei grofsem Fleifse und ernstem Streben nach Naturwahrheit im Ein-
zelnen, die Darstellung im Ganzen trocken und steif, unfrei und un-
lebendig blieb und lange Zeit den Charakter alterlhümlicher Gebunden-
heit behielt. In dieser Art sind die Athenabilder von Marmor, lang-
bekleidet, mit anliegenden Armen, feierlich thronend.
Charakteristisch aber ist für die attische Schule der Basreliefstil,
welcher den Umriss der Figuren als Silhouette auf die Steinplatte
zeichnet, ganz nach Arteines Vasenbildes; so besonders auf den schmalen
Grabpfeilern, die, in einen Sockel eingelassen, als Denkzeichen auf dem
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PELOPO>NESISCHE BILDKUNST
Grabe emporragen, gerade so breit und hoch, dass eine menschliche
Figur in LebensgrÖfse darauf dargestellt werden kann. Das knappe
Mafs ist für die alte attische Kunst kennzeichnend und ebenso eine ge-
wisse Unbeholfenheit, die sich lange erhält, wie die conventioneile
Behandlung der Gesichtszüge und des Haars zeigt. Das grofse und
starre Auge erscheint in voller Breite auf den Profil köpfen, während
im Modelliren der Wange sich schon eine feine Naturbeobachtung ver-
räth und die Umrisse ein unverkennbares Streben nach individueller
Wahrheit kund geben160).
Ein ungleich regeres Leben herrschte im Peloponnes, wo der Erz-
guss in voller Blüthe stand, wo die Kunst an Weihgeschenken und
Siegerbildnissen zu freierer und vielseitigerer Entwicklung gelangt war.
Die Kunstschulen von Sikyon , Aigina und Argos waren damals die
blühendsten der griechischen Welt; in Sikyon die Schule des Kanachos,
der um die Zeit der Perserkriege fürMilet und für Theben Apollostatuen
bildete; in Aigina die altberühmte Schule einheimischer Erzgiefser
(I, 531 f.), welche mit dem Wohlstande und der Macht der Insel immer
glänzender sich aufschwang und ihren Höhepunkt in Onatas erreichte.
0 na las war ein Meister von hellenischem Ruhme. Er schuf einen
Apollokoloss aus Erz, dessen Postament in Pergamon zu Tage gekom-
men ist, und eine Demeter für Phigaleia; die letzlere war dadurch aus-
gezeichnet, dass er sich nicht wie die älteren Künstler mit peinlicher
Aengstlicbkeit an die geschmacklose Form des Volksglaubens anschloss,
sondern sich von der priesterlichen Tradition frei machte und nach
eigener Eingebung die Form des Götterbildes veredelte. Seine volle
Künsllergröfse aber zeigte sich in der Composition historischer Gruppen
von gröfserem Umfang. So schuf er für die Städte Achajas ein Weih-
geschenk, das die griechischen Helden darstellte, welche das Loos ent-
scheiden liefsen, wer von ihnen den Kampf mit Hektor übernehmen
solle; im Auftrage der Tarentiner aber bildete er die Gefechte zu Ross
und zu Fufs, welche die Bürger mit den italikem bestanden hatten;
die Schutzheroen Taren ts waren anwesend zu sehen. Ein anschauliches
Zeugniss von der Tüchtigkeit dieser Schule sind die Bildwerke des
Atbenatempels in Aigina (S. 7). Sie sind von Marmor, und lassen
dennoch deutlich erkennen, dass es der Erzguss gewesen ist, welcher
die äginetische Kunst zu den schlanken Formen und zu der ausdrucks-
vollen Lebendigkeit der Bewegung geführt hat, wie sie in jenen Bild-
werken uns entgegentritt, während der Marmor, der in Athen vor-
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316
kAL AIIIS. AGELADAS. MV RON.
herrschend war, mehr zu solchen Darstellungen führte, in denen
eine ruhige Harmonie sich entfaltete und das Geistige im Kopfe zum
Ausdruck kam.
Gleichzeitig mit Onalas und zum Theil gemeinschaftlich mit
ihm arbeiteten Ageladas und Kaiamis. Kaiamis stand um die Zeit
der Perserkriege auf der Höhe seines Ruhms, als die Bürger von
Akragas bei ihm eine Reihe betender Knabengestalten bestellten und
Pindar eine von ihm gebildete Statue des Zeus Ammon in Theben
weihte. Er war ein Meister in Erz, in Marmor, in Silber, in Gold und
Elfenbein; gleich geschickt in Darstellung von Göttern, Thieren und
Menschen; ein Mann, in dem sich schon die ganze Vielseitigkeit des
altischen Talents ankündigte, und der, wenn auch nicht nachweislich
Athener von Geburt, doch in Athen wirksam war, wahrend Ageladas
in Argos an der Spitze einer berühmten und vielbeschäftigten Kunst-
schule stand. Hier war, wie in Aigina, Erzguss die Hauptsache, und
in Folge der zahlreichen Weihgeschenke, welche für Tarentiner, Epi-
damnier, Messenier u. s. w. bei ihm ausgeführt wurden, in Einzelbildern
und Gruppen, Götterbildern und Viergespannen, erreichte man hier
eine Vielseitigkeit und Gewandtheit der Technik wie der Composition,
welche auch aus entfernteren Orten die strebsamsten Talente nach
Argos zog, um in Ageladas' Schule sich auszubilden, und die hohe Be-
deutung dieses Meislers wird durch keine Thatsache deutlicher bezeugt,
als dadurch , dass nach alter Ueberlieferung drei der gröfsten Künstler
der allen Welt, Myron, Polykleitos und Pheidias, aus seiner Lehre her-
vorgegangen sind.
Myron aus Eleutherai, dem Gränzorte Atlikas gegen Böotien, war
wohl der älteste unter ihnen. Er brachte attischen Geist mit in die
Werkställe der peloponnesischen Künstler, attische Erlindsamkeit und
Energie, welche sich nicht bei den herkömmlichen Motiven beruhigte,
sondern nach vielen Seiten neue Wege eröffnete. Das dramatische
Leben, wie es sich in der allischen Poesie entfaltete, beseelte auch seine
Kunst und führte sie über die gewöhnlichen Siegerbildnisse hinaus.
So stellte er Ladas dar, den Sieger im Laufe, wie er mit dem letzten
Alhemzuge auf der Lippe das Ziel erreichte, und sein Diskoswerfer ver-
anschaulichte in der niedergebeugten Figur die höchste Spannung aller
Muskeln, einen lebensvollen, dramatischen Akt, dem man ansah, dass
im nächsten Momente eine völlig veränderte Lage aller Glieder folgen
müsse. Man sieht die volle Sicherheit der Schule, die er sich in Argos
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MYRON. POLYKLEITOS.
317
angeeignet hatte, und zugleich den neuen Gebrauch, welchen er von
den Mitteln derselben zu machen wusste. Dabei war er nach Anleitung
der attischen Werkmeister ein tüchtiger Götlerbildner, während zugleich
eine gewisse derbe Natürlichkeit, worin man etwas von dem böotischen
Naturell zu erkennen glaubt, ihn dahin führte, dass er mit besonderer
Liebhaberei und besonderem Glücke Thiergestalten, wirkliche wie fabel-
hafte, bildete und auch Scenen des gewöhnlichen Lebens genreartig
darstellte.
Diese geniale Vielseitigkeit hatte Polykleitos nicht, der aus Sikyon
nach Argos übergesiedelt war-, aber er war eine in sich harmonische
Künstlernatur, welche zur Anschauung und Darstellung vollendeter
Schönheit vorzudringen rastlos bestrebt war und deshalb die normalen
Verhältnisse des menschlichen Körpers wissenschaftlich zu erörtern
und zugleich in mustergültigen Formen darzustellen suchte. Seine
Bildnisse waren also meist in ruhiger Hallung und von gröfster Ein-
fachheit; um aber dabei die Gefahr der Einförmigkeit zu vermeiden,
machte er es sich zum Gesetze, seine Standbilder vorzugsweise auf
einem Fufse ruhen zu lassen, so dass in der Darstellung des Körpers
ein anmuthiger Gegensatz zwischen der tragenden und der getragenen,
der straffer angespannten und der loseren, lässigeren Seite hervortrat.
Durch Abklärung des Persönlichen erhob er das Körperliche zu vollen-
deter Wohlgestalt, und an makelloser Schönheit; an Adel und Würde
sind Polyklets Werke niemals überboten worden. Aber der bedeutende
Inhalt fehlte; es fehlte dem Künstler eine Vaterstadt mit lebendiger
Geschichte und eine Bürgerschaft, welche die Kunst als eine öffentliche
Angelegenheit ansah. Der bedeutendste Auftrag, der ihm zu Theil
wurde, nach dem Brande des Heraion (89, 2; 423) für den neuen
Tempel des Eupolemos das Goldelfenbeinbild der thronenden Hera an-
zufertigen, ist wahrscheinlich erst in Folge dessen, was inzwischen in
Athen geschehen war, ausgeführt worden.
Die attischen Kunstschulen waren von denen in Thasos, Sikyon,
Korinth, Aigina und Argos übertroffen worden. Aber so sehr diese
kleineren Staaten geeignet waren, unter günstigen Umständen in ge-
wissen Richtungen die Entwicklung der schönen Künste zu hegen und
zu fordern, so konnte die hellenische Kunst doch nur dort zu voller
Entfaltung kommen, wo ein Mittelpunkt hellenischer Geschichte, ein Sitz
der Macht, ein Schauplatz des Ruhms war; denn die Künste folgen dem
Siege, und ihre schönste Aufgabe ist es zu allen Zeilen gewesen, grofse
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318
DIE ATTISCHE KU.NST.
Erfolge, welche menschlicher Klugheit und Tapferkeit gelungen sind,
in dauernden Werken zu verewigen. So hatten schon die Tyrannen
gedacht und jene glänzenden Weihgeschenke gestiftet, welche ihr Glück
den kommenden Geschlechtern bezeugen sollten. Aber an diesen Werken
halte das Volk keinen Antheil, weil das Tyrannenglück auf Gewalt-
thäligkeit beruhte, und aus selbstsüchtigen Absichten einzelner Macht-
haber keine volkstümliche Kunst erwachsen konnte. Jetzt war Alles
anders. Eine grofse nationale Bewegung hatte das ganze Volk ergriffen ;
ein freier Bürgerstaat hatte an der Spitze der Bewegung gestanden;
Reichthum und Macht war ihm durch den Sieg über die Barbaren zu
Theil geworden. Nun durfte es nicht dabei bleiben, dass einzelne Kunst-
freunde, freigebige Eupatriden, wie Kallias, des Hipponikos Sohn, der
bei Kaiamis arbeiten liefs, Weihgeschenke stifteten, sondern der Staat
musste selbst als Auftraggeber eintreten, und die Bürgerschaft von Athen
war kunstsinnig genug, um die Errichtung grofser Denkmäler als eine
öffentliche Angelegenheit ersten Ranges zu betrachten.
Für diese Epoche war allmählich Alles vorbereitet. Attika war seit
der Tyrannenzeit mehr und mehr ein Theil des Archipelagus geworden,
und was unter ionischem Himmel von glücklichen Verhältnissen be-
günstigt hier und dort gereift war, fand eine neue Heimath in Athen.
Marmor aus Paros war der erste plastische Marmor, der dort verarbeitet
wurde ; mit dem Stein kamen die Steinarbeiter. Immer deutlicher er-
kennen wir, wie sich die Kunstschulen von Chios und den Cycladen schon
vor den Ferserkriegen in Attika einbürgerten. In viel gröfserem Mafs-
stab erfolgte der fruchtbare Zuzug überseeischer Techniker durch die
Mafs regeln des Themistokles (S. 108); dann wurde man durch die Feld-
züge Kimons erst mit den Städten loniens vertraut und lernte von ihnen
den Stadtmarkt mit Marmorhallen einfassen, in deren schattigen Gängen
die Bürger sich ihrer Mufse freuen konnten. Kimon und Perikles hatten
im Grunde dieselben Gesichtspunkte und konnten daher auch eine Zeit
lang einträchtig zusammen gehen; nur war bei Perikles die Kunstliebe
und Kunstpflege mehr eine zielbewusste und durchdachte Politik.
Er wollte keine prahlerische Schaustellung des attischen Reichthums,
sondern sein Streben ging dahin, dass die bildende Kunst, welche mehr
als alles Andere Hellenen und Barbaren unterschied, nachdem sie in den
verschiedensten Stoffen die Technik ausgebildet und ihre Schule durch-
gemacht, in der Verherrlichung Athens die Aufgabe finden solle, in
welcher Alles, was in griechischen Lokalschulen an Industrie und Kunst
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PHEIDUS' FHIHERE ARBEITEN
319
sich entwickelt hatte, zu vollster Blüthe und mustergültiger Vollen-
dung sich entfalten sollte. Für die Machtstellung Athens , welche er
anstrebte, war es nothwendig, dass die hellenische Kunst eine attische
werde, zu der sich alle früheren Leistungen wie Vorstufen verhielten.
Wenn aber Perikles in diesem Theile seiner slaatsmännischen Aufgabe
glücklicher war als in allen anderen , so liegt der Grund nicht blofs in
seinen persönlichen Gaben , sondern ganz besonders in der Gunst der
Umstände, welche ihm zu diesem grofsen Werke die rechten Männer
zuführte, und zwar vor allen Anderen den Pheidias161).
Pheidias, des Charmides Sohn, war um einige Jahre älter als
Sophokles. Er gehörte einer Familie an , in welcher mit dem Dienste
der Athena Ergane, der „Werkmeisterin", eine vielseitige Kunstübung
erblich war. Er selbst war zuerst Maler, wie sein Bruder oder Neffe
Panainos, und wandte sich erst später ausschließlich der Bildkunst zu,
die er in allen ihren Zweigen auf das Sorgfaltigste studirte. Er ging
sehr jung nach dem Peloponnes, wo Ruhe herrschte, während man in
Attika um den Boden des Landes stritt, und gewann in der Werkstätte
des Ageladas die Anschauung von einer grofsartigen Kunstthätigkeit
Nach seiner Rückkehr war er bald einer der angesehensten Künstler,
so dass er bei Ausführung der Denkmäler, welche man den Siegern von
Marathon schuldig geblieben war, schon an erster Stelle mitwirkte.
Man benutzte dazu auch die aus späteren Siegen gewonnenen Schätze,
weil es den Athenern besonders am Herzen lag, das Andenken von
Marathon zu feiern. Kimon hatte ein persönliches Interesse, dies Be-
streben zu fördern. Denn nachdem der unglückliche Prozess seines
Vaters in Vergessenheit gekommen war, tauchte der Ruhm desselben
wieder hell empor, und während Kimon selbst und seinen Amtsgenossen
für die thrakischen Siege kein anderer Siegesdank zu Theil wurde, als
die Vergünstigung, am Markte drei Hermen mit Epigrammen aufstellen
zu dürfen, wurden zur Feier des Tags von Marathon die Bronzegruppen
bestellt, welche in der Werkstätte des Pheidias für Delphi ausgeführt
wurden. Es waren die Heroen der zehn attischen Stämme, als Ver-
treter der Bürgergeineinde, neben ihnen Kodros, Theseus und als
Dritter wahrscheinlich Philaios, der Sohn des Aias, der Salamis an
Athen gebracht hatte, der Stammvater der Philalden, zu denen Miltiades
und Kimon gehörten; endlich Miltiades selbst neben Apoll on und Athena.
Glänzender konnte das Andenken des Helden nicht gesühnt
werden; es war eine überschwängliche Genugthuung. Um dieselbe Zeit
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PERIKLES L'MD PHEIDIAS.
ging auch der Erzkoloss der Alhena Promachos, der „Vorkämpferin'4,
aus der Hand desselben Meisters hervor, und wurde auf der Akropolis
westlich von dem Tempel der Burggöttin aufgestellt, ein herrliches
Sinnbild des vorkämpfenden Muths, mit dem die Athener den Persern
zuerst entgegengegangen waren. Auch aufserhalb Athens galt er als
der erste Meister und erhielt von den Platäern den Auftrag, das
Kolossalbild der Alhena Areia herzustellen, ein vergoldetes Holzbild mit
Kopf, Händen und Füfsen aus pentelischem Marmor ies).
So gab schon die kimonische Zelt dem Künstler zu bedeutenden
Schöpfungen reichen Aniass. Aber es waren immer noch einzelne
Gelegenheitsarbeiten, auf Bestellung ausgeführt, wie auch in den Werk-
stätten des Ageladas gearbeitet wurde, nur mit dem großen Unterschiede,
dass Pheidias' Arbeiten dem Buhme des eigenen Landes galten und unter
sich einen inneren Zusammenhang halten. Bei diesen Werken reifte
der Genius des Künstlers der perikleischen Zeil entgegen, und nachdem
er schon innerhalb und aufserhalb seiner Vaterstadt die ehrenvollste
Anerkennung sich verschafft hatte, trat er nach Kimons Tode in das
engste persönliche Verhältniss zu Perikles; es war ein Bund von zwei
grofsen Männern, der für die Geschichte der Kunst epochemachend
geworden ist.
Denn Pheidias halle in vollem Mafse jene Vielseitigkeit geistiger
Kraft, welche seine Zeitgenossen auszeichnete. Er war nicht nur Maler
und Bildbauer, wie es auch bei Mikon der Fall war, dem Milarbeiler
Polygnots; er beherrschte alle Gebiete der Kunst, war überall reich an
Erfindung. Er war durchdrungen von dem hohen Berufe seiner
Vaterstadt und dabei ein denkender Kopf, ein Mann, der vollen Anlheil
an der Bildung der Zeit hatte, welche bei ihm so wenig wie bei Aischylos
und Sophokles einen Bruch mit der väterlichen Ueberlieferung veran-
lasst hatle. Darum war er im Stande, auf die Ideen des Perikles mit
vollem Verständnisse einzugehen, wie er andererseits durch seinen
weiten, alle Kunstzweige beherrschenden Blick befähigt war, grofse
Unternehmungen mit sicherer Hand zu leiten, weil die anderen Künstler
die unzweifelhafte Ueberlegenheit seines Geistes anerkennen mussten.
Bei aller Freiheit eines ungehemmten Wetteifers war er der König
im Gebiete der Kunst, wie Perikles im Staalsleben; er wussle den
Künstlern die richtige Stellung anzuweisen; herrschend und leitend
stand er in ihrer Mitte, ohne ihren Buhm zu schmälern oder ihren
guten Willen zu beeinträchtigen.
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PERIKLES1 PANHELLENISCHK VERSUCHE.
321
Was Perikles und Pheidias wollten, war im Grunde eine helle-
nische Angelegenheit. Denn das ganze Vaterland war durch die
Freiheitskriege gerettet worden, das ganze Volk zu beiden Seiten des
Meers neu vereinigt, und doch war lange nicht geschehen, was hätte
geschehen müssen, um die grofse Zeit der siegreichen Volkserhebung
und den Segen, der ihr gefolgt war, in bleibenden Denkmälern zu
bezeugen. Ein neues Geschlecht war herangewachsen, und viele der
zerstörten Heiligthämer lagen noch immer in Schutt; die Gelübde
waren ungelöst, und das den Göttern gebührende Dankfest war durch
die Zeiten gegenseitiger Spannung schmählich unterbrochen worden.
Das Versäumte nachzuholen war also eine nationale Pflicht, und
Perikles unternahm es, sie als solche zu behandeln. Der Hellenen-
bund, der durch Athen gegen Persien zu Stande gekommen war,
sollte nun als ein Verein zu Friedenswerken wieder aufleben.
Zu dem Zwecke wurden zwanzig Männer von vorgerücktem Alter,
welche selbst die Freiheitskriege mitgemacht hatten , aus der Bürger-
schaft ausgewählt. In vier Gruppen wurden sie ausgesendet, die Einen
zu den asiatischen Ioniem und Doriern und zu den Inselstaaten, die
Anderen nach dem Hellespont und Thrakien; die dritte Gesandtschaft
ging nach Böotien , Phokis und dem Peloponnes , die letzten endlich
nach Euboia und Thessalien. Alle freien Staaten wurden eingeladen,
einen Nalionalcongress in Athen zu beschicken und hier nach gemein-
samer Verständigung die Mafsregeln zu treffen, um die zerstörten
Heiligthümer herzustellen und alle unerfüllten Gelübde in würdiger
Weise zu vollziehen. Ein neues, grofses Nalionalfest sollte gestiftet
und für den friedlichen Verkehr aller hellenischen Staaten zu Wasser
und zu Lande neue Bürgschaft gewonnen werden. Die Zeit dieser Ge-
sandtschaften wird nirgends bestimmt angegeben; wahrscheinlich
schlössen sie sich dem dreifsigjährigen Frieden an, der durch Perikles
Ol. 83, 3 (445) zu Stande kam, oder schon dem durch Kimon ver-
mittelten fünfjährigen Waffenstillstände (82, 2; 451).
Auf jeden Fall war es eine Idee, in welcher beide Staatsmänner
sich begegnen mussten. Denn nachdem sich in den Freiheitskämpfen
ein neues Volksthum gebildet hatte und namentlich durch Themistokles
der Grundsatz rücksichtslos geltend gemacht war, dass nur diejenigen
wahre Hellenen wären, welche gegen die Perser im Felde gestanden
hätten, kam es jetzt darauf an diesen Gegensatz zu mildern und die
gerechten Ansprüche der Athener und Genossen auf besondem Kriegs-
Curtini, Gr. Gweb. II. 6. Aufl. 21
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322
NEUBAUTEN IN ATTIKA.
ruhm zurücktreten zu lassen, damit ohne Eifersucht alle Hellenen
in versöhnter Stimmung den neuen Aufschwung des gemeinsamen
Volkslebens anerkannten. Wie Kimon immer im Interesse von
ganz Hellas seine Flotte führte, so wollte auch Perikles nichts lieber,
als dass die alte Eifersucht der Stämme sich beschwichtigte und nur
ein friedlicher Wetteifer auf dem Gebiete der Kunst und der Erkennt-
niss übrig bliebe. Er hat sein Streben nach Verwirklichung eines
weiteren Volksthums, seine panhellenische Politik in der Anlage der
überseeischen Colon ien deutlich bezeugt (S. 257 ff.).
In diesem Sinne trat also Athen zum ersten Male als nationaler
Mittelpunkt auf, indem es eine Angelegenheit in die Hand nahm, welche
eigentlich eine amphiklyonische war und von Delphi hätte ausgehen
müssen , wenn der dortige Bundestag noch eine Macht gewesen wäre.
Was den Erfolg dieser Mafsregeln betrifft, so begreift man leicht, warum
die Gesandten mit ausweichenden oder ablehnenden Antworten heim-
kehrten. Die grüfseren Staaten, Sparta vor allen, waren durchaus
abgeneigt. Athen einen Vortritt in nationalen Angelegenheiten einzu-
räumen und sein Ansehen erhöhen zu helfen ; denn jede Auffrischung
der Kriegserinnerungen konnte nur dazu dienen, den Ruhm der
Athener zu heben. Nachdem also der Plan einer nationalen Vereinigung
hatte aufgegeben werden müssen, war es um so gerechtfertigter, alle
Mittel auf Athen zu verwenden, um hier in's Werk zu setzen, was man
zum Ruhme des ganzen Vaterlands mit nationalen Mitteln in großarti-
gerem Mafsstabe hatte erreichen wollen ,6S).
Die Kunstthätigkeit beschränkte sich aber nicht auf Athen. Alle
Theile von Attika waren verwüstet und die heiligen Stätten mit be-
sonderer Wuth von den Barbaren verheert worden. Im ganzen Lande
sollten nun die Spuren derselben verschwinden, um an Stelle des Zer-
störten neue und schönere Bauten entstehen zu lassen. Manches war
schon in der kimonischen Zeit geschehen, jetzt aber wurde das Begon-
nene großartiger und planmäfsiger durchgeführt; wahrscheinlich ge-
währte der Staat den einzelnen Heiligthümern zu ihren eigenen Mitteln
noch besondere Zuschüsse; der Wetteifer freigebiger Bürger kam dazu,
und eine Reihe tüchtiger Baumeister, Iktinos an der Spitze, stand mit
Perikles und Pheidias in naher Verbindung. Aus dieser Zeit stammen
die Bauten aufSunion, dem inselartigen Vorgebirge , das mit seinen
abschüssigen Felswänden in das Cykladenmeer vorspringt, ein dem
Schiffervolke heiliger Platz des Poseidon und zugleich der Athena.
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SIMON. RHAMMS. ELEUSIS.
323
Ein passenderer Ort konnte nicht gefunden werden, um den Inseln
gegenüber Attika beim ersten Anblicke als das gottesfürchtige, glück-
liche und kunstliebende Land der Pallas Alhena zu kennzeichnen.
Darum wurde hier der im Kriege zerstörte, ältere Tempel aus Poros-
stein in Marmor neu aufgebaut; eine stattliche Thorhalle führte in den
Tempelhof hinauf, wo die Tempelhalle, weithin sichtbar, in heiterer
Würde über der Brandung des Meeres sich erhob. Der Tempel war
der Mittelpunkt eines Festes, das alle vier Jahre mit besonderem
Glänze von Staatswegen gefeiert wurde; ein Theater, in die Uferhöhen
hineingebaut, nahm das Volk auf, wenn die altischen Trieren hier
ihre Wettkämpfe ausführten. Sunion war nicht nur die Mittelstation
zwischen Athen und den Inseln, sondern selbst ein volkreicher Ort
und die Umgegend wegen der Bergwerke eine der belebtesten von
ganz Attika.
Ganz anders das stille Rhamnus, in einer versteckten Schlucht der
Diakria, Euboia gegenüber, eine Stunde nördlich von Maralhon. Ober-
halb der Schlucht lag das Heiligthum der Nemesis, welches der ganzen
Gegend ihre Bedeutung gab. Hier wurde, wie es scheint, neben dem
älteren ein neuer, gröfserer Tempel errichtet; das Marmorbild der
Göttin, das aus der Werkstätte des Pheidias hervorging, wies durch
die Siegesgöttinnen an ihrem Stirnbande und die mit Aethiopen ver-
zierte Schale in ihrer Hand auf die Niederlage der Barbaren hin. Ja,
man war so sehr gewöhnt, das ganze Werk mit Marathon in Verbin-
dung zu setzen, dass man sogar erzählte , der Marmorblock der rha-
mnusischen Nemesis sei von den Persern hierher geschleppt worden
und ursprünglich bestimmt gewesen, ein persisches Siegesdenkmal
zu werden. Man sieht, wie die Idee der Vergeltung der ethische
Gedanke war, welcher die Geraüther der Athener erfüllte m).
Am entgegengesetzten Ende von Attika, dem salaminischen
Schlachtfelde benachbart, lag das allheilige Eleusis, das neben Athen
immer eine gewisse städtische Geltung behauptete, einen eigenen Hafen
und andere Gerechtsame halle. Der Neubau der eleusinischen Heilig-
thümer nahm die Kunst der attischen Baumeister auf ganz besondere
Art in Anspruch. Hier lag die Aufgabe vor, für den Cultus der grofsen
Göttinnen, welcher eines der wichtigsten Staatsinstitute war und mit
dem Staate an Ruhm und Ansehen zugenommen hatte , ein Haus her-
zustellen, welches geräumig genug war, sämtliche Eingeweihte, also
eine Menge, wie sie sonst nur in offenen Theatern und Stadien zu-
21*
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324
die Hafenstadt.
sammenkara, als eine Gemeinde zu geroeinsamer Feier in sich zu
vereinigen. Der Bau wurde zu den bedeutendsten Werken der peri-
kleischen Zeit gerechnet. Iklinos führte die Leitung des Ganzen;
Koroibos richtete das untere Stockwerk ein, einen quadratischen Raum
am Nordoslabhange des Berges, mit sechs Säulenreihen im Inneren.
Die Sitzstufen der Zuschauer waren zum Theil im Felsen ausgehauen ;
Metagenes errichtete darauf die obere Säulenstellung mit den Gallerien,
und Xenokles erwarb sich einen Namen, indem er für die Licht-
Öffnung in der Mitte des Daches eine neue Art von kuppeiförmiger
Bedeckung erfand. Nach aufsen war der Bau ohne Hallen, ernst und
abgeschlossen; nach allen Seiten von festen Mauerzügen umgeben,
welche einen zwiefachen Tempelhof einschlössen.
In der mittleren Ebene von Attika waren Athen und Peiraieus,
seitdem Perikles die südliche der beiden Parallelmauern gebaut hatte
(S. 234), zu einer Doppelstadt unzertrennlich verbunden, aber im Innern
einander sehr unähnlich. Athen war auf altem Schutte eilig wieder
aufgebaut, wie es die Nothdurfl verlangte, und blieb eine unordentliche,
planlos angelegte Stadt mit engen und krummen Gassen. Es war un-
möglich, hier im Ganzen etwas Neues zu schaffen. Anders war es im
Peiraieus. Hier halte man freieren Spielraum; hier brauchte man mit
der Bevölkerung, die grofsentheils aus Metöken bestand, weniger Um-
stände zu machen. Hier sollte nun nach Perikles' Absicht eine allen
Forderungen der neuen Zeit entsprechende Normalstadt geschaffen
werden und so wurde auf seine Veranlassung dem Milesier Hippodamos
der glänzende Auftrag zu Theil, eine neue Hafenstadt innerhalb der
themistokleischen Ringmauer aufzubauen, wie eine Colonie, nach kunst-
gerechtem Plane. Als feste P#hkte dienten die Höhe von Munichia
(die Akropolis der Hafenstadt mit dem Heiliglhume der Artemis) und
die Häfen. Von den drei Buchten war nur die gröfste, der eigentliche
Peiraieus, zum Centrum der Seestadt geeignet, weil die beiden andern
zu eng und durch Felshöhen vom Binnenlande gesondert waren.
Der Peiraieushafen war in zwei Theile gegliedert ; rechts von der
Einfahrt lag in einer kleineren Bucht der Kanlharos, einer der drei
Trierenhäfen, mit 94 Schiffshäusern und allen auf die Kriegsflotte be-
züglichen Einrichtungen. Der übrige, mehr als doppelt so grofse, nörd-
liche Theil der Bucht diente als Handelshafen, welcher allmählich immer
vollständiger ausgestattet wurde. Der flache Rand desselben wurde
mit Dämmen eingefasst, die weit genug vorgeschoben waren, um das
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PEIRAIEUS.
325
Laden und Löschen der Schiffe möglichst zu erleichtern. Kleinere
Dämme sprangen in das Meer vor. um die Schifte nach Verschiedenheit
ihrer Ladungen in übersieh tliche Gruppen zu Iheilen. Hinter dem
breiten Uferrande erhoben sich die öffentlichen Hallen, welche die
Bucht im Halbkreise umgaben ; vor allen ausgezeichnet die perikleische
Getreidehalle, wo das uberseeische Korn aufbewahrt wurde; dann die
Magazine, in denen für eine dem Staate zu zahlende Lagermielhe die
Waaren, auch die, welche weiter verschifft werden sollten, unter-
gebracht wurden, die Amtslocale der Hafenpolizei und Zollbeamten,
das Deigma oder Börsengebäude, wo die Kaufleute und Schiflfsherrn
zusammenkamen, sich die Proben ihrer Waaren vorlegten, Handels-
geschäfte und Verträge aller Art mit einander abschlössen, deren
Urkunden bei den Geldwechslern niedergelegt wurden. In demselben
Gebäude wurden auch die Handelsgerichte abgebalten, und zwar vor-
zugsweise im Winter, in der Zeit der Geschäflsslille. In der Nähe
waren öffentliche Herbergen und Gasthöfe, die der Staat verpachtete,
und Kaufläden, welche für die Bedürfnisse der Seefahrer eingerichtet
waren.
Dieser ganze Stadttheil unmittelbar am Meere war durchaus für
den überseeischen Verkehr bestimmt; er war der Stapelplatz und Frei-
halen für ganz Attika, der Verkehrsort für Einheimische und Fremde,
mit einem Heiligthume der Aphrodite, wie es an keinem Seemarkte
fehlte. Dieser Handelshafen war von dem Kantharos, dessen Bezirk nur
die von Amtswegen dort beschäftigten und dem Staate verpflichteten
Personen betreten durften, von den Werften, Schiffshäusern und Trieren
streng gesondert; indessen dienten die am Eingange der ganzen Bucht
liegenden Kriegsschiffe zugleich dazu, die Handelsmarine so wie die
reichen Waarenniederlagen gegen unvermuthete Seeangriffe zusichern.
Beide Stadttheile, der Handels- wie der Kriegshafen, waren Staats-
eigen tb um und der Staatsregierung allein untergeordnet.
Der dritte Theil war die innere Stadt, welche unter der stadtischen
Polizei des Peiraieus stand. Die Gränze desselben war durch Inschrift-
steine bezeichnet, von denen noch mehrere aus der Zeit des Hippodamos
erhalten sind. Auf dieser Linie verzollte man alle Waaren , die zum
attischen Verbrauche eingingen; zugleich wurde dadurch das Getümmel
der Fremden und des Seevolks von der inneren Stadt des Peiraieus
fern gehalten. Diese Stadt hatte ihren besonderen Markt, den 4hippo-
damischen'; von hier führte eine breite Strafse gerade zu dem Heilig-
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326
UNTERSTADT UND OBERSTADT.
thume der Artemis Munichia hinauf, an dem Theater vorüber. An den
Abhängen des Burghügels gegen das Meer bauten sich die Häuserreihen
amphithealralisch auf und gewährten dem , der zwischen den beiden
Thürmen (S. 108) in das Hafen ihor einfuhr und den wohlbewachten,
Ton Schiffen voll gedrängten, von einer Reihe glänzender Säulenballen
eingefassten Peiraieus überschaute, einen ungemein stattlichen Anblick.
Es war hier durch Perikles eine Seestadt geschaffen, welche den späteren
Anlagen von Rhodos und selbst von Alexandreia als Muster diente.
Ganz anders waren die Verhältnisse in der oberen Stadt. Hier war
ein durchgreifender Neubau unmöglich; man musste sich also begnügen,
die Umgebungen der Stadt zu schmücken, und, wie bei vielen alten
Städten, waren auch hier die Vorstädte ungleich anmuthiger und
glänzender ab der Kern der Stadt. Seit der Zeit der Pisistratiden hatte
sich die Stadtbevölkerung immer mehr nach Norden und Westen aus-
gedehnt (I, 355) ; ein Theil des alten Töpfergaus oder Kerameikos war
längst ein Stadtquartier geworden; der andere Theil blieb Vorstadt.
Zwischen beiden lag das Doppelthor oder Dipylon, der natürliche Aus-
gang des ganzen nördlichen Stadtgebiets nach dem Thallande des Ke-
phisos, das breiteste und glänzendste Thor der Stadt; denn hier war
die Stirnseite derselben, und es lag im Sinne der Alten, den Hauptein-
gang von Städten und Tempelhöfen so würdig wie möglich auszustatten.
Von hier ging der breite Fahrweg aus, welcher, die Höhengruppen in
flacher Curve umgehend, die Hafenstadt mit der Oberstadt verband, von
hier gerade gegen Westen der 'heilige Weg', die Strafte nach Eleusis,
die Bahn der Festzüge, welche mit Fackelschein den Gott der Mysterien
Iakchos nach den Heiliglhümern der grofsen Göttinnen führten. Von
dieser Strafse zweigte wiederum gleich aufserhalb des Thores die
Strafseab, welche nach der Akademie führte, der baumreichen Niederung
am Kephisos, der mit zahllosen Wasseradern den ganzen Boden durch-
dringt und eine Ueppigkeit der Vegetation hervorruft, welche mit den
dürren Felshöhen der Stadt einen so erquickenden Gegensatz bildet,
dass hierher zu allen Zeiten die nach Schatten und frischer Luft ver-
langenden Städter sich hingezogen fühlten. Diese Lieblingsgegend der
Athener nach Zerstörung der früheren Anlagen aus der Tyrannenzeit
von Neuem zu schmücken, hatte schon Kimon sich angelegen sein
lassen; ihm verdankte die Akademie die schönen Baumpflanzungen,
welche zum Schmucke des dortigen Gymnasiums dienten.
Die Landstrafsen waren mit Grabmonumenten eingefasst, welche
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DIE VORSTÄDTE ATHEISS.
327
das Gedächtniss der vorangegangenen Generationen lebendig erhielten,
vorzugsweise der Weg durch den äufseren Kerameikos. Denn hier war
der öffentliche Begräbnissplatz für die im Kriege gefallenen Bürger.
Der grofse Raum war in Felder eingelheilt, die den verschiedenen
Schlachtfeldern im In- und Auslande entsprachen. Zur Zeit des thasi-
schen Kriegs, als Kimon in der Stadt mächtig war, erfolgte die feierliche
Beisetzung der Helden von Drabeskos (S. 140), die unter besonders
erschütternden Umständen gefallen waren. Vielleicht wurde damals auf
Kimons Anregung beschlossen, die Ueberreste auch der früheren Ge-
fallenen heimzuholen, wie Kimon es mit den Gebeinen des Theseus ge-
than hatte. Denn es wird ja schon bei Homer die Heimführung der
Asche als eine Pietät gegen die Todten erwähnt. Die Gräber von Mara-
thon aber hat man unberührt gelassen, weil die marathonischen Helden
als Ortsdämonen angesehen wurden , welche man von dem durch sie
geheiligten Boden nicht trennen dürfe. Wenn von allen anderen
Schlachtfeldern die Ueberreste nach dem Kerameikos geschafft worden
sind, so konnte der grofse Friedhof mit seinen Grabsäulen in der
Thal eine vollständige Geschichte der attischen Feldzüge darstellen m).
Die Ostseite der Stadt war die stillere und abgelegenere. Hier
führte das Thor des Diochares zum Lykeion hinaus, dem heiligen Platze
des Apollondienstes unweit des rechten Uisosufers, wo Perikles nach
dem Vorgänge des Peisistratos ein grofses Gymnasium erbauen liefs.
Ein drittes war weiter nördlich, das dem Herakles heilige Kynosarges.
Diese drei grofse n Uebungsräume für die attische Jugend waren durch
ihre Hallen, Ringplätze und Stadien, ihre Brunnen und Baumgruppen
ein Hauptschmuck von Athen ; sie waren nicht blofs die Tummelplätze
der Jugend, sondern auch ein Lieblingsaufenthalt der Männer und
Greise, welche sich hier ihrer Mufse freuten. Je mehr sich die Lust
an geistiger Bildung in allen Ständen des Volks verbreitete, um so mehr
wurden auch die vorstädtischen Gymnasien zu ernsten Zusammen-
künften geistesverwandter Bürger, zu anregendem und belehrendem
Verkehre zwischen Männern und Jünglingen benutzt.
Aber auch innerhalb Athens fehlte es nicht an Gelegenheit zu künst-
lerischen Anlagen. Der innere Kerameikos war seit der Tyranneuzeit
Mittelpunkt des bürgerlichen Lebens und wurde es nach dem Sturz der
Tyrannen noch in ganz anderer Weise. Denn es lag im Geiste der De-
mokratie, dass der Platz, wo die Bürger ihren täglichen Sammelort
hatten, mit Denkmälern der Stadtgeschichte sich füllte und dass Alle,
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.NEUBAUTEN AM KEHAMEIKOS
welche sich als Freunde der Verfassung bezeugen wollten, für die Aus-
stattung der Agora thätig zu sein suchten. Darum schien nach Vertrei-
bung der Perser nichts dringender zu sein als die Erneuerung des
Freihcitsdenkmals auf der Terrasse oberhalb des Marktplatzes. Schon
Ol. 75, 4; 47^ wurden die von Xerxes fortgeschleppten Standbilder
von Harmodios und Aris togei ton durch die Werke des Kritios und Ne-
siotes ersetzt. Der Markt selbst aber erlüelt jetzt eine neue künstle-
rische Form; denn Kimon wusste, dass er seinen Mitbürgern nichts
mehr zu Liebe thun könne, als wenn er den Sammelplatz der Bürger
nach dem Vorbilde ionischer Stadtmärkte mit offenen Hallen ausstaltete.
An der Westseite erhoben sich nun die Marmorhalle des Zeus
Eleutherios mit einem Kolosse des Gottes, dessen Beiname diese Werke
als Denkmäler der Freiheitskriege bezeugt, und die Halle des Archon-
König (I, 298) oder 'Sloa Basileios' , das Amtsgebäude, in welchem ein
Theil der solonischen Gesetze aufbewahrt war. Gegenüber an der Ost-
seite erbaute Peisianax, ein Verwandter Kimons, die Halle, welche dann
auf Kimons Veranstaltung zur Gemäldehalle oder 'Poikile' wurde. Im
Süden bildeten die eigentlichen Regierungsgebäude die Einfassung des
Marklraums : das Rathhaus mit den Steintafeln solonischer Gesetze vor
seinem Eingange, das Tholosgebäude oder Herdgemach, wo die regie-
renden Prylanen ihren Sitz hatten, und das Metroon, welches in der
perikleischen Zeit durch ein Götterbild des Pheidias geschmückt wurde,
das athenische Staatsarchiv, welches einst unter der Obhut des Areo-
pags gestanden hatte (S. 160). An der Nordseite blieb die Agora durch
Hermensäulen begränzt, zwischen denen die Slrafse vom Dipylon her
einmündete. Auch den allerthümlichen Hermen wusste man jetzt eine
geschichtliche Bedeutung zu geben; drei derselben waren die mit Denk-
versen (S. 319) ausgestalteten Siegeszeichen der glorreichen Feldzüge
in Thrakien, auf denen weder Kimon noch ein anderer mit Namen an-
geführt wurde. Denn am Gemeindeplatze sollte nur die Gemeinde selbst
den Siegesruhm haben. Auch der Miltelraum gewann allmählich ein
anderes Ansehen. Er wurde durch Kimon mit Platanen bepflanzt: an
Wasserleitungen und Brunnen durfte es dabei nicht fehlen.
Unweit des Markts auf dem Wege zur Burg war das von Kimon
gegründete Heiliglhum des Tbeseus, dessen Innenwände mit drei Ge-
mälden aus dem Leben des Heroen ausgestattet waren. Auf dem flachen
Feldhügel aber, der im Westen die Niederung des Kerameikos überragt,
wurde der Marmortempel erbaut, welcher heute der von allen griechi-
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THESE10.N. IIERAKLEIUN. THEATER.
329
sehen Tempeln besterhaltene ist. Man kennt ihn unter dem Namen des
Theseustempels, doch ist die wahre Bedeutung desselben noch immer
zweifelhaft. Am wahrscheinlichsten ist es, darin das Herakleion iu er-
kennen, welches ein hoch angesehenes Heüigthum des Gaues Melite war.
Der Tempel war ein hervorragender Schmuck der Unterstadt und kann
mit Wahrscheinlichkeit auch der kimonischen Zeit zugeschrieben werden.
Denn die bildliche Ausstattung zeigt wenigstens in den Metopen unver-
kennbar die Absicht, Theseus und Herakles als zwei ebenbürtige und
engverbundene Kampfgenossen darzustellen, und diese Vereinigung des
ionischen und des dorischen Heros erscheint als ein Ausdruck klo-
nischer Politik, welche Sparta und Athen neben einander brüderlich
verbunden sehen wollte. Mit dieser Zeit stimmt es auch, dass die Bild-
werke aus parischem Marmor eingesetzt sind, weil man damals noch
der Ansicht war, dass dieser Marmor allein zu gutem Bildwerk tauglich
sei, während man in den Tagen, da Perikles die öffentlichen Arbeiten
leitete, den pentelischen Stein gleichmäfsig für Sculptur und Architek-
tur benutzte.
Ebenso hatte der südöstliche Stadttheil wesentliche Umgestaltun-
gen erfahren, namentlich durch den Bau des Felstheaters an der Burg
im Heiligthum des Dionysos; es war eines der stattlichsten Denkmäler
Athens, das mit der wachsenden Herrlichkeit der Stadt immer reicher
ausgestattet wurde und schon durch seine Gröfse, die auf 30 000 Zu-
schauer berechnet war, jedem Fremden anschaulich machte, wie die
Pflege der Künste eine Hauplangelegenheit des attischen Staats sei.
Hier wurden die beiden städtischen Dionysosfeste mit Aufführung von
Dithyramben, Tragödien und Komödien gefeiert, das Winterfest der Le-
näen und das Frühlingsfest der 'grofsen Dionysien'. Die Lenäen waren
ein Fest der attischen Bürger. Zum Frühling aber, wenn die See wieder
offen war, kamen die schaulustigen Gäste aus nah und fern und die
Bundesgenossen brachten ihre Tribute. Es war ein Beichsfest, und die
Dramen eines Aischylos und Sophokles, eines Kratinos und Aristo-
phanes wurden vor einem panhelfenischen Publikum aufgeführt, welches
sich dem Eindruck nicht entziehen konnte, dass eine Stadt, welche so
unvergleichliche Feste feiern könne, würdig sei an der Spitze der helle-
nischen Welt zu stehen. Die Bürger von Athen, welche im Namen
ihrer Stämme den siegreichen Chor gestellt halten, richtelen die Preis-
dreifüfse reibenweise in der Umgebung des Theaters auf. So bildete
sich eine Strafse von Siegesdenkmälern , welche von der Nordseite der
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330 OLYMPIEION. PYTHION. ODEIOK.
Burg um die Ostecke derselben umbog, das sogenannte Tripodenquartier,
in welchem jedes Denkmal ein Kunstwerk war und durch seine Inschrift
zugleich eine Urkunde zur Geschichte der dramatischen Poesie "**).
Das grofse Zeusheiligthum , welches auf der Terrasse am Iiisos
von den Tyrannen im großartigsten Stile angelegt worden war (I, 361),
wurde nach dem Kriege ohne Zweifel auch wieder hergestellt, und
nach einer freilich unsicheren Vermuthung war Pheidias in seiner
ersten Zeit bei Ausmalung der Tempelzelle beschäftigt So viel aber
ist gewiss, dass dies Tempelgebäude später liegen gelassen wurde;
das demokratische Athen scheint keine Lust gehabt zu haben, ein
Bauwerk auszuführen, welches ursprünglich bestimmt gewesen war,
der Tyrannis als Prachtdenkmal zu dienen.
Dagegen blieb in vollen Ehren der benachbarte Bezirk des pythi-
schen Apollon oberhalb der Kallirrhoe, der alte Schauplatz des Erndte-
festes, der Thargelia, an welchem Männer- und Knabenchöre in Tanz
und Gesang wetteiferten. Auch hier wurden als Preise Dreifufse ver-
theil l und, mit Inschriften versehen, im Pythion aufgestellt. Gegenüber
lagen die Tennen mit dem alten Odeion am Ufer des Iiisos. Ein neues
Odeion baute Perikles am südöstlichen Abhänge der Burg, neben dem
Theater, ein rundes, bedecktes Gebäude, welches für musikalische Auf-
führungen vor einem kleineren Publikum bestimmt war. Das zeltför-
mige Dach galt für eine Nachbildung des Prachtzelts, welches König
Xerxes einst auf altischem Boden aufgeschlagen hatte. Ja man ging in
den beliebten Beziehungen auf die Perserkriege so weit, dass man sich
erzählte, zu den Balken des Daches seien die Mäste persischer Schiffe
verwendet worden. Der Bau dieses Odeions fällt noch vor die Verban-
nung des Thukydides (S. 187).
Der wichtigste Schauplatz, auf dem Perikles und Pheidias ihre
schöpferische Thätigkeit entfalteten, war aber die Akropolis und erst
die letzten Entdeckungen haben darüber, wie sich hier die Bauten
der Tyrannen, Kimons und seines Nachfolgers an einander geschlossen
haben, ein unerwartetes Licht verbreitet.
So vorzüglich von Natur die Burghöhe zur Aufnahme grofsartiger
Kunstwerke geeignet und vorbereitet erscheint, so war sie doch in
ihrem ursprünglichen Zustande auf ihrer Oberfläche sehr uneben, zer-
klüftet und abschüssig; der harte Fels machte viel Arbeit, um gün-
stigen Baugrund zu gewinnen und war für die Athener eine Schule
ausdauernder Geduld.
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NEUBAUTEN AUF DER BUHG.
331
Hart neben dem Erechtheion, an der südlichen Seite desselben,
wurde in der vorpersischen Zeit zuerst durch Aufschüttung und Fels-
bearbeitung eine breitere Terrasse hergestellt, um auf derselben einen
Prachtbau aufzurichten, einen dorischen Tempel mit 6 Säulen an den
Fronten und 12 an den Langseiten; die Säulen aus Porosstein, Ge-
bälk, Metopen und Dach aus weifsem Marmor. Den Innenraum bildete
eine fast quadratische Cella mit einer Vorhalle nach Osten und ein
Hinterhaus mit zwei Kammern, zu dem die westliche Vorhalle führte.
Dieser Tempel, welcher der Tyrannenzeit angehört, wurde im Per-
serbrande zerstört und ist niemals vollständig hergestellt worden; die
Säulentrümmer und Gebälkstücke wurden für die neue Burgmauer be-
nutzt und die ganze Akropolis erhielt eine neue Gestalt. Denn oben
wurde über dem Schutte des Brandes und den zu Boden geworfenen
Denkmälern eine breitere Hochfläche hergestellt, und gleichzeitig errich-
tete man an beiden Langseiten der Burg neue Mauern, um derselben,
nachdem die alten Befestigungen aus der Tyrannenzeit niedergerissen
waren, von Neuem ein würdiges Aussehen zu geben und geräumige
Bauplätze zu stützen. Für diesen Terrassenbau hat Kimon den
gröfsten Eifer gehabt und sein Andenken erhielt sich besonders an dem
Bau der Südmauer, welche wesentlich dazu beitrug, von der Seeseite
her einen imponirenden Eindruck zu machen. Diese 'kimonische'
Mauer galt alle Zeit hindurch für einen Prachtbau hellenischer Be-
festigung. Kimon hat aber auf der neugewonnenen Hochfläche für den
älteren sechssäuligen Tempel auch einen zweiten, weiter nach Süden
vorgeschobenen Prachtbau gegründet mit 8 Säulen an den Fronten, von
dessen äufseren Hallen die Spuren noch erkennbar sind. Daran wurde
emsig gearbeitet, so lange Kimon lebte. Dann stockte der Bau; die
unvollendeten Säulenstücke wurden für die Vollendung der Südmauer
benutzt, und nun wurde auf dem von Kimon geschaffenen Baugrunde
und über den Fundamenten seines Tempels nach Überwindung
des heftigen Widerspruchs der kimonischen Partei ein neuer Tempel
errichtet, der perikleische Parthenon (S. 186). Von diesen drei
Gebäuden war keins bestimmt, das alte Burgheiligthum zu ersetzen
oder zu beseitigen. Das am Nordrande gelegene Doppelheiligthum, wo
die Priester aus dem Geschlechte der Butaden den Dienst der unter
einem Dach vereinigten Gottheiten versahen, blieb nach wie vor die
heiligste Stätte der Burg; die Westhälfle gehörte dem Poseidon-Erech-
theus, die Osthälfte der Polias, neben welcher Pandrosos verehrt wurde.
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332
POLIASTEMPEL ODER ERECHTHEION.
Hier lag die Aufgabe vor, die ehrwürdigsten Malstätten der
väterlichen Religion in einem Gebäude zusammen zu fassen. Daran ist
in verschiedenen Zeiten gearbeitet worden. Die kleine, unscheinbare
Kapelle mit dem Gnadenbilde der Athena Polias ist nach dem Perser-
kriege erweitert worden, und an die von Westen nach Osten ge-
streckte Doppelcella, den Kern des Ganzen, schlössen sich in der peri-
kleischen Zeit zwei stallliche Vorbauten, die ionische Nordhalle mit
der zum Poseidon -Erechtheus führenden Prachtthüre, und der süd-
liche Vorbau, dessen Dach von sechs Jungfrauen getragen wird, die
sogenannte Karyatiden halle. In faltenreichem Festgewande langsam
vorschreitend, vereinigen sie auf vollkommene Weise die Ruhe, welche
bei gebälkstützenden Figuren erforderlich ist, und eine leise Be-
wegung, ohne welche die Marmorbilder slarr und leblos erscheinen
würden. Diese Halle erstreckte sich auf den Boden des pisistratischen
Tempels, dessen Säulenumgang also nach dem Perserbrande nicht
wieder hergestellt worden ist 16*).
Bei dem Ausbau des alten Burgheiligthums war die Kunst der
Architekten immer eine durch örtliche Bedingungen gebundene. Darum
wurden im Süden die drei .anderen Tempel gebaut, bei denen man
über den Raum frei verfügen konnte; alle drei hatten die Formen
heiliger Architektur, wie die Schatzhäuser in Olympia u. a., weil es
zum Gottesdienste gehörige Bauwerke waren; aber es waren keine
Wohnhäuser von Gottheiten, und bei keinem derselben ist ein Cultus-
bild, eine Priesterschaft oder ein regelmäfsiger Opferdienst nachzu-
weisen. Es waren Gebäude dorischen Stils, welche wesentlich dazu
dienten, die der Gottheit geweihten Gegenstände sowie die zu den
grofsen Staatsfesten erforderlichen Gerälhe aufzubewahren. Außer-
dem hatten schon die Pisistratiden ihrem Bau noch eine andere
Bedeutung gegeben; denn wir Gnden neben dem Schatzraum eine
dreischifßge Cella, die zur Aufstellung eines Bildes bestimmt war,
das die Burggöttin in freierer und würdigerer Weise darstellte.
Aufserdem war dies Gebäude wahrscheinlich von Anfang an auch
dazu bestimmt, die für Staatszwecke gesammelten Gelder als einen
bei der Burggöttin deponirten Schatz aufzunehmen. Als nun im
Jahre 454 der Bundesschatz von Delos nach Athen übergeführt war,
benutzte man für ihn das neu hergerichtete Hinterhaus desselben Ge-
bäudes, legte aber gleichzeitig den Grund zu dem neuen Tempel, den
wir den kimonischen nennen dürfen, bis Perikles 44^ auf den Funda-
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DER PARTHENON.
333
menten desselben den dritten Tempel gründete, der in vollkommener
Weise zeigen sollte, was die attische Kunst zu Ehren der Landesgöttin
leisten könne 1M*).
Der Baumeister, nach dessen Entwürfen im Einverständniss mit
Perildes und Pheidias der Parthenon au Ige rührt wurde, war Iktinos;
Kallikrates, der geschäftskundige Architekt der südlichen Schenkel-
mauer (S. 234), stand ihm zur Seile.
Es handelte sich nicht um etwas wesentlich Neues in Grundriss
und Aufbau ; man schloss sich vielmehr in der Hauptsache ganz an
das Hergebrachte an, die Einlheilung des Gebäudes in Bildraum und
Schatzraum, die dreiscbifßge Cella, das Hinterhaus und die offenen
Vorhallen im Osten und Westen, — dies Alles entsprach durchaus dem
Tempel der Pisistratiden. Dieselbe Raumeintheilung zeigt auch der
Tempel in Olympia, das Werk des Libon, der 10 Jahre fertig da
stand, als der Parthenon begonnen wurde, wie wir aus der Widmung
des tanagräischen Schildes wissen (S. 170). Auch ging man beim
Parthenon nicht darauf aus, durch kolossale Verhältnisse etwas
Außerordentliches zu leisten. Die Mafse blieben bescheiden, die
Hohe von der untersten Stufe bis zur Giebelspitze betrug nur
65 Fufs. Wenn man aber die übliche Zahl der Säulen an den
Tempelfronten von 6 auf 8 vermehrte, so war hierin schon der
kimonische Tempel vorangegangen.
Dennoch hatte der Parthenon in vielen Stücken seinen eigen-
thümlichen Charakter. Vor Allem war das Augenmerk darauf ge-
richtet, Architektur und Plastik vollständiger als es bisher geschehen
war, mit einander zu verbinden, die bildliche Ausstattung zu höherer
Vollendung zu erheben und mit feinem Verständniss das zu ver-
einigen, was an verschiedenen Orten für den hellenischen Tempelbau
an künstlerischen Erfindungen gemacht worden war. Den feier-
lichen Ernst des dorischen Stils zu überbieten, war unmöglich ; ja, man
kann sagen, dass die Verengung der Frontsäulen durch die damit
verbundene Verminderung der Intercolumnien im Vergleich zum
olympischen Tempel den Eindruck des Wuchtigen und Grofsarligen
abschwächte. Aber eine reichere An muth wurde erzielt und die gleich -
mäfsige Verwendung des pentelischen Marmors machte es möglich, die
Werkstücke mit vollkommenerer Technik zusammen zu fügen und auch
die kleinsten Bauglieder sauber auszuführen. Man machte sich zugleich
von dem strengen Schema des älteren Dorismus frei; man nahm denan-
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334
DER PARTHENON.
routhigen Schmuck des Bildfrieses (Zophoros) aus der ionischen Kunst
herüber; denn auch hier sollten die alten Unterschiede hellenischer
Kunstweisen ausgeglichen und zu einer höheren Harmonie verbunden
werden; man baute also nicht dorisch noch ionisch, sondern attisch.
Das Langhaus selbst war um 50 Fufs länger als das des ältesten
der drei Tempelgebäude. Aus dem östlichen Säulengange trat man in
eine Halle von sechs Säulen , das Pronelon. Von hier öffnete eine
Erzthör den inneren Raum, die 100 Fufs tiefe Cella, den Hekatompedos,
der durch eine doppelle Säulenreihe der Länge nach in drei Schiffe
getheilt war ; darüber erhob sich eine zweite Säulenstellung, welche
eine obere Gallerie und die Marmordecke trug. Hinter der Cella lag
der Opisthodomos, welcher im engeren Sinne den Namen Parthenon
führte, um ihn von dem Hinterhause des pisislralischen Baus zu
unterscheiden; ein von vier Säulen getragener rechteckiger Raum,
welcher sich nach der westlichen Vorhalle öffnete.
Bei der bildlichen Ausstattung des Tempels bewährte sich der Ge-
nius des Pheidias in seiner vollen Bedeutung, weil er hier als schaffen-
der Künstler thälig war und eine Welt lebensvoller Gestalten, wie sie
Griechenland noch nie gesehen, aus seinen Werkstätten hervorgehen
liefs. Freilich ist es unmöglich, die mehr als fünfzig kolossalen Sta-
tuen und die 4000 Quadratfufs von Hoch- und Flachrelief, welche in
14 Jahren für den Parthenon ausgeführt wurden, als Werke von
Pheidias anzusehen. Aber er waltete über Allem, er war der geistige
Urheber der reichen und sinnvollen Ausstattung, und bei aller Ver-
schiedenheit im Einzelnen tragen die Sculpturen alle den Stempel
desselben Geistes; man erkennt eine durchgebildete Schule und einen
inneren Zusammenhang, in welchem der leitende Gedanke des Meisters
unverkennbar ist, nach dessen Zeichnungen und Modellen das Einzelne
ausgeführt wurde.
Die architektonischen Räume, welche mit Bildwerken ausgestattet
wurden, waren von dreierlei Art, und darnach unterschieden sich auch
die Bildwerke nach Stil und Ausführung. Der stattlichste Raum war
das grofse Dreieck, welches die nach den Langseiten abfallenden Dach-
schrägen an der Ost- und Westfronte bilden. Diese Giebelfelder pflegten
mit kolossalen Bildwerken angefüllt zu werden und so hatten schon die
Pisistratiden an ihrem Tempelbau die Besiegung der Giganten dar-
stellen lassen. Die letzten Vorbilder aber waren die beiden Giebel in
Olympia, der Weltkampf des Pelops und der Kentaurenkampf. Pheidias
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DER PARTHENON.
335
ging hier am kühnsten über alles Hergebrachte hinaus. Er wagte es,
die beiden bedeutendsten Thatsachen der Athenareligion, welcher das
ganze Gebäude gewidmet war, darzustellen. Den Giebelraum der Ost-
seite füllte die Versammlung der olympischen Götter, eingefasst von
den Gottheiten des Tageslichts und der Nacht. In der Mitte der
Olympier erscheint Athena, neugeboren, aber vollkommen reif, schön
und wehrhalt, neben ihrem Vater Zeus der leuchtende Mittelpunkt der
grofsen Versammlung, zu dem von beiden Seilen mit staunender Be-
wunderung die Gölter und Göllinnen hinschauen. Der Westgiebel
dagegen ist durch die Gottheiten attischer Gewässer, welche nach dem
Vorgange des olympischen Ostgiebels in liegenden Eckßguren die
Darstellung einschließen, als altischer Boden bezeichnet. In der Milte
steht Athena neben Poseidon, jene mit ihrem Gefolge attischer Landes-
gottheiten, dieser von den Dämonen des Wassers begleitet. Sie haben
um Athen mit einander gestritten. Der Kampf ist entschieden , der
wildere Gott muss weichen ; aber das glückliche Land , um das die
unsterblichen Götter einander beneiden, bat von beiden Seiten Gaben
unvergänglicher Bedeutung empfangen, und auch der Streit ist ihm
zum Segen geworden.
Unter dem Tempeldache erstreckt sich der Architrav, der an
beiden Schmalseilen mit goldenen Schilden geschmückt wurde, und
darüber der Triglyphenfries (I, 514). Die zwischen den Triglyphen-
blöcken eingelassenen Metopenlafeln wurden sämtlich mit Bildwerk
ausgestattet; 92 Tafeln von fast quadratischer Fläche, deren jede
eine in sich abgeschlossene Compositum forderte. Pheidias wählte
meist Kampfgruppen, Kämpfe der Gottheiten, namentlich der Athena
gegen die Giganten, Kämpfe der Heroen, die als Vorbilder der atti-
schen Jugend in höchster Kraftanstrengung mit den rohen Gewalten
kämpfen, welche einem sittlich geordneten Staatsleben widerstrebten,
wie die der Ehe feindlichen Amazonen und die Kentauren, die Friedens-
störer und Frauenräuber, die Feinde des Theseus, des Gründers gesetz-
licher Ordnung. Aber auch friedliche Thaten waren dargestellt, Stif-
tungen heiliger Satzungen, auf denen das attische Religionswesen beruhte.
Endlich zog sich innerhalb des Säulenurogangs ein Fries entlang,
welcher 528 Fufs lang wie ein schmales Band die äufsere Cellenwand
umfasste. Für einen solchen Raum konnte keine angemessenere Dar-
stellung ersonnen werden, als die eines figurenreichen Zuges, welcher
einen ununterbrochenen Zusammenhang hatte, eines Festzugs, der in
336
OER PARTHENON.
unmittelbarer Beziehung zu dem Gebäude stand. Bei dem Parthenon
konnte man nur an die Panathenäen denken, und wenn man nun von
zwei Seiten die Frauen mit heiligen Geräthen, die von Männern ge-
führten Opferthiere, die Zuge von Musikern mit Blas- und Saiten-
instrumenten, die Viergespanne und die Reitergeschwader heran-
kommen sieht und in der Mitte der Frontseite die Götter erblickt,
welche vom Olymp herabgestiegen sind, um sich als Zuschauer an
dem Börgerfeste der Athener zu erfreuen, so ist in der Hauptsache
kein antikes Kunstwerk verständlicher als der Parthenonfries. Doch
sehen wir keine Copie des in voller Ordnung einherschreitenden
Festzuges vor uns; jede Darstellung dieser Art würde weit hinter der
Wirklichkeit zurückgeblieben und in eine langweilige Feierlichkeit ver-
fallen sein. Man gab ihm also dadurch gröfsere Mannigfaltigkeit und
dramatisches Leben, dass man den Festzug noch im Werden dar-
stellte. Ein Theil der Reiler rüstet sich erst zum Zuge, dienende
Theilnehmer werden von den Beamten noch unterwiesen, Festgeräthe
werden ausgegeben. Dadurch erhielt der Künstler gröfsere Freiheit
und eine Mannigfaltigkeit von Motiven für losere und geschlossenere
Gruppen. Zugleich hatte man den Vorlheil, auf diese Weise den
Eifer und Ernst zur Anschauung zu bringen, mit dem man das Fest
ins Werk setzte; darin bezeugte sich der Geraeinsinn der Bürger und
der religiöse Sinn, mit dem sie ihre Götter ehrten 187).
Diese großartigen Tempelsculpluren zeigen uns die attische Bild-
kunst, wie sie durch Pheidias ihren eigenthümlichen Charakter erhallen
hat, in Rundgestalten so wie im Relief. Auch im Relief ist der Unter-
schied des Stils festgestellt. Denn von den Metopentafeln springen die
gymnastischen Gestalten in kräftigem Hochrelief hervor, so dass sich die
Leiber zum Theil ganz von der Rückfläche ablösen; im Friese dagegen
heben sich die Gestalten nur wenig von der Grundfläche ab , und das
Auge gleitet an ihnen wie an einer Zeichnung entlang. Es ist der milde
Fluss einer dem bürgerlichen Leben entlehnten, aber durch religiöse
Feierlichkeit erwärmten und gehobenen Darstellung, während in den
Giebelgruppen ein dramatisches Leben uns entgegentritt, dessen Be-
wegung sich in einem bedeutungsvollen Momente gipfelt und dann
nach rechts und links in die epische Ruhe sitzender und lagernder
Gestalten austönt.
Die altische Bildkunst ist aus der Behandlung des Marmors er-
wachsen; das fühlt man ihr auch auf der Stufe an, welche sie im peri-
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ATTISCHE FHLDKUNST.
337
kleischen Zeitalter erreicht hat. Daher die Ruhe der Gestalten, die
breiten Formen, die volleren Massen im Gegensatze zu den schlankeren
und kühneren Figuren, wie sie aus den Kunstschulen hervorgegangen
sind, welche vorzugsweise für den Erzguss gearbeitet haben. Je mehr
aber der Marmorstein den Künstler bindet, um so mehr weist er ihn
darauf hin, auch in der Ruhe Bewegung und Leben auszudrücken. Die
Lebendigkeit der Marmorbilder ist eine innerlichere, geistigere; der Bild-
hauer vermag dem Gesichte einen tieferen Ausdruck zu geben, bei dem
der Beschauende theilnehmend verweilt, während bei dem Erzbilde das
Auge über die glatte Fläche hingleitet und das Werk mehr nach dem
körperlichen Gesamteindrucke aufzufassen pflegt Die Kunst den Mar-
mor zu beseelen ist in Athen zur Entfaltung gekommen. Man erkennt
an den Marmorkolossen noch die Strenge der Zeichnung, wie sie der
älteren Schule eigen war, und die scharfe Gliederung, aber jede Härte
und steife Symmetrie ist überwunden; in anmuthiger Nachlässigkeit
liegen und sitzen die Gestalten neben einander, die Gewänder schmiegen
sich in natürlichen Massen und Fallen dem Körper an; man fühlt den
Athem, welcher die Glieder bewegt, und spürt in den verklärten Ge-
stalten, welche den Giebel füllen, etwas von dem seligen Leben der
olympischen Götter. In den Metopen, welche Kämpferpaare darstellen,
tritt die Einwirkung peloponnesischer Kunstschulen deutlicher zu Tage.
Ganz eigenthümlich attisch ist dagegen wieder der Stil des Frieses,
dessen Anmulh darin besteht, dass auch nicht die geringste Absicht
auf Effekt zum Vorschein kommt, sondern Alles vollkommen schlicht
und einfach dargestellt wird. Diese Art der Darstellung, welche mit
wenig Mitteln so viel erreicht, war auch am meisten geeignet, in den
handwerksmäfsigen Betrieb der Kunst überzugehen, und die unzähligen
Grabsteine, welche Mann und Frau, auch Eltern und Kinder in trau-
licher Gruppe vereinigen, zeigen denselben Charakter des attischen
Basreliefs, wie er unter Pheidias' Augen in dem Parthenonfriese aus-
geprägt und festgestellt worden ist. Was aber allen Gattungen
attischer Tempelsculptur gemeinsam ist, das ist die Unterordnung
derselben unter die Gesetze der Architektur. Denn wir finden hier wie
in der Tragödie und in den Gemälden des Polygnotos ein hohes Mafs
geistiger Freiheit, dem ein ebenso hohes Mafs von Gebundenheit das
Gleichgewicht hält. Ueberall sind dem Bildbauer geometrische Räume
vorgezeichnet von bestimmter und zum Theil sehr unbequemer Form.
Aber dieser äufsere Rahmen wird nirgends als eine Schranke
CurtioB, Gr. Geech. II. 6. AuS. 22
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338
RELIGIÖSE PLASTIK.
empfunden; der angewiesene Raum wird auf das Glücklichste aus-
gefüllt, ohne dass man den Bildwerken Zwang und Beengung anfühlt.
Indessen hatte die bildende Kunst ein Recht darauf, auch in voller
Unabhängigkeit aufzutreten, von jeder Dienstbarkeit frei, und eine
solche Stellung war erforderlich, wenn sie im Geiste der Zeit die Ideen
der attischen Religion zum Ausdruck bringen sollte. Denn mit dem
nationalen Bewusstsein entwickelt sich auch die Vorstellung der Nation
von ihren Göttern; sie stattet dieselben mit den Kräften und Vorzügen
aus, deren sie sich selbst bewusst geworden ist, und die Kunst ist
berufen, diese geläuterten und inhaltreicheren Vorstellungen zu ver-
körpern. Die Kunst der perikleischen Zeit hatte dazu einen besonderen
Beruf. Denn der Geist der Aufklärung hatte den Volksglauben er-
schüttert, und ein gedankenloses Dahinleben in den hergebrachten
Vorstellungen war nicht mehr möglich. Gegen rohen Götzendienst
hatte sich das philosophische Denken laut und heftig aufgelehnt. 'Sie
beten zu Bildern' sagte Herakleitos, 'als wenn Jemand mit Häusern
redete', und derselbe Philosoph hatte das erbliche Priesteramt, welches
er bekleidete, seinem jüngeren Bruder abgetreten. Ein gefährlicher
Bruch stand bevor, wenn nicht in zeitgemäfser Weise der väterliche
Glaube gereinigt und gehoben wurde, um den sittlichen und nationalen
Gehalt desselben zu retten. Es kam darauf an, auch in der Religion
dem freien Gedanken Raum zu geben, und die Ueberlieferung der Vor-
zeit mit der neuen Aufklärung zu versöhnen. Ein solches Versöh-
nungsamt übten die grofsen Dichter Athens, der allgläubige Aiscby-
los und der fromme Sophokles; mit ihnen übereinstimmend dachte
auch Perikles, der trotz seiner Philosophie öffentlich und zu Hause
den Göttern eifrig opferte und nie ohne Gebet ein gröfseres Geschäft
begann. In gleichem Sinne wirkte auch Pheidias, indem er die reli-
giöse Sculptur, durch welche Attika seit alten Zeiten ausgezeichnet
war, in eine neue Sphäre erhob, und dies ist der Theil seiner künstle-
rischen Thäligkeit, durch den er bei Zeitgenossen und Nachkommen
bei weitem den gröfslen Ruhm gewonnen hat
Freilich wollten die Gölter die Formen, unter denen sie vom Volke
seit aller Zeit angebetet wurden, nicht verändert wissen, und Niemand
konnte daran denken, das alte Gnadenbild der Athena durch neue
Bilder zu verdrängen. Aber es konnten Gestalten geschaffen werden,
welche keine Gegenstände der Anbetung sein sollten, wie die allen
formlosen Holzbilder, und doch religiöse Werke waren, insofern sie
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RELIGIÖSE PLASTIK. 339
das Wesen der Gottheit darstellten und die Gemüther zur Frömmigkeit
stimmten. Solche Bilder war man der Gottheit schuldig als Weih-
geschenke, durch welche die Bürger sich dankbar erzeigten für allen
Zuwachs an Glück und Ruhm, den sie unter dem Segen ihrer Schutz-
gotlheit gewonnen halten. Hier mussten daher alle Nittel der Kunst,
auch in Erz und Edelmetall, aufgeboten werden, um in monumentalen
Prachtwerken die Göttin und in der Göttin die Stadt zu ehren. Auch
im Erzguss war Athen nicht zurückgeblieben, und wie sehr Pheidias
ein Meister desselben war, zeigt am deutlichsten die Statue der Athen a,
die auf der Burg von den Athenern geweiht war, welche 447 als
Kleruchen nach Lemnos ausgezogen waren. Sie wollten in dem
Weihebilde ihre Liebe zur Mutterstadt und den unzerstörbaren Zu-
sammenhang mit derselben bezeugen. Pheidias stellte die Göttin
also mit unbedecktem Haupte in friedlicher Anmuth dar, und diese
'Lemnierin', wie man sie im Volksmunde nannte, war das populärste
Werk des grofsen Meisters, das durch die edelste Symmetrie, den
zarten Umriss der Wangen und weiblichen Liebreiz bis in späte
Zeiten berühmt war.
Auch dies Werk schloss sich an die Geschichte der Stadt an.
Aber in ganz anderem Sinne war dies bei den Werken der Fall,
welche im Auftrage der Gemeinde als Prachtwerke monumentaler
Plastik von Pheidias ausgeführt wurden, um die Stadtgottheit als
solche im Bilde zu veranschaulichen.
So entstand die Athena Promachos, ein Erzkoloss über 50 Fufs
hoch. Er stand auf der Burg unter freiem Himmel, zwischen dem
Burgthore und dem alten Athenatempel auf einem mächtigen Fufsge-
stelle; es war die kriegerische Göttin mit Lanze und vorgestrecktem
Schilde; die goldene Lanzenspitze und der Helmbusch waren die ersten
Wahrzeichen, an denen man, von Sunion heranfahrend, die attische
Burg erkannte. Entschlossener Kriegsmuth, der jedem Feinde ent-
gegentritt, war in dem Bilde der Göttin ausgeprägt; sie war das Ideal,
welchem das Geschlecht der Marathonkämpfer nacheiferte; aus der
marathonischen Beute war das Standbild geweiht worden um die Zeit,
da Aristeides starb und Perikles anfing Geltung zu erlangen.
Die Promachos war die Göttin des kimonischen Athens, die
'Vorkämpferin' von Hellas. In der perikleischen Zeit erweiterte und
vertiefte sich die Staatsidee und damit auch die Vorstellung von der
Schutzgöttin des Staats. Es war also schon mit dem Entwürfe des
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340
ATHENA PARTHE.NOS.
Parthenon der Plan entstanden, im Innern desselben ein neues Bild
der Athena aufzurichten, und die breitere Raumanlage, welcher die
kimonische Gründung geopfert wurde, hängt gewiss mit diesem Vor-
haben zusammen. Alle Mittel sollten aufgeboten werden, um hier ein
kolossales Prachtwerk herzustellen, welches staunende Bewunderung
erweckte und von dem Reichlhume der grofsen Handelsstadt, von der
Hlüthe der Künste und dem religiös-politischen Sinne, der in den Bür-
gern lebte, ein volles Zeugniss gab. Darum verschmähte man die ein-
fachen Stoffe und wählte die glänzendste aller Gattungen plastischer
Darstellung, die Goldelfenbeinarbeit. Werke dieser Art gingen über das
engere Gebiet der Plastik weit hinaus. Denn wenn auch dem Bildhauer
die Hauptaufgabe blieb, indem er die Idee des Ganzen fasste und in
körperliche Formen zu gestallen hatte, so war es doch auch eine archi-
tektonische Aufgabe, das feste Gerüste herzustellen, welches den Holz-
kern des Kolosses bildete, die vielerlei und vielartigen Theile desselben
zweckmäfsig und dauerhaft zu verbinden und das Ganze so aufzustellen,
dass alles zusammenwirkte, das großartige Götterbild voll zur An-
schauung zu bringen. Endlich beruhte der Gesamteindruck des Kunst-
werks wesentlich auch auf der Pracht und Harmonie der Farben. Der
milde Glanz der Elfenbeinplatten, welche die nackten Theile bildeten,
wurde durch den Schimmer des Goldes gehoben ; die Wahl der bunten
Edelsteine für die Augen , die Färbung der Wangen und Haare , die
Verkeilung von Licht und Schatten in der Anordnung des Gewandes,
dies und Anderes verlangle den Kunstversland eines Malers.
Ein solches plastisches, tektonisches und malerisches Kunstwerk
war die Athena des Pheidias, welche vorzugsweise als Jungfrau, 'Par-
thenos', aufgefasst wurde, als die keusche, unnahbare Tochter des
Zeus, in welcher des Vaters Weisheit und Denkkraft sich persönlich
darstellt. Sie ist die heimatliche Göttin; darum sah man die Burg-
schlange, das Sinnbild des Einheimischen, zu ihrer Linken sich empor-
ringeln ; sie ist die kriegerische Göttin mit Helm , Schild und Speer,
und die siegverleihende mit einem Standbilde der Nike auf der ausge-
streckten Rechten; aber ruhig und friedlich steht sie da, nicht kampf-
lustig und herausfordernd, sondern still und gesammelt vor sich hin-
blickend , sich selbst genügend , mit milden und klaren Gesichtszügen ;
der Helm, unter dem das volle Haar hervorquillt, ist mil den Symbolen
von Sphinx und Greifen ausgezeichnet, welche Denkkraft und Scharf-
blick bedeuten. Diese Athena war aber keine allegorische Figur, den
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PARTHE.NOS. PANATHENÄEN.
341
Kolossen ähnlich, welche man in alten und neuen Zeiten als Personi-
ficationen einer Landschaft oder einer Stadt aufgerichtet hat, sondern
einer Gottheit Bild, die von Anfang her des Staates Schutzgöttin ge-
wesen war, und dies Gottesbild dachte man sich mit allen Vorzögen
ausgestattet, deren Athen sich bewusst war, mit allen Tugenden,
welche den altischen Börger auszeichnen sollten. Darum ist denn
auch die Parthenos des Pheidias, wie kein anderes seiner Bildwerke,
in die volkstümliche Kunst ubergegangen, und während wir an den
älteren Urkunden- und Weihreliefs die Gestalt der kämpfenden
'Göttin vorherrschend finden, wie sie auf den panathenäischen Preis-
amphoren erscheint, die dem alterthömlichen Typus treu bleiben,
tritt auf den jüngeren die Idee der friedlichen Göttin, welche der
Parthenos zu Grunde liegt, in den Vordergrund188).
Indem es nun Pheidias gelang, in solcher Weise dem Volke
seine Götter zur Anschauung zu bringen und hierbei den Besten des
Volks für alle Zeit zu genügen , wurde er ein Gesetzgeber im Gebiete
der religiösen Kunst; der Künstler gewann das Ansehen eines Theo-
logen, der die väterliche Religion vertieft und veredelt habe; seine
Werke waren wie Offenbarungen des Göttlichen und erlangten eine
allgemeine Anerkennung, weil er nicht willkürlich und nach per-
sönlichem Geschmack neuerte, sondern aus dem Volksgeisle heraus
und in vollem Einklang mit den Dichtern des Volks. Darum waren
seine Werke, wiewohl echt attisch, zugleich national; die attische
Kunst war auch hier nur die Vollendung der früheren Stufen, und es
war die gröfste Genugthuung für die Bestrebungen des perikleischen
Athens, dass seine Künstler auch nach Olympia berufen wurden und
dass dort aus attischen Werkstätten das Bild des Zeus hervorging,
welches noch prachtvoller ausgestaltet war als das der Parthenos und
als Ideal des hellenischen Zeus bei allen Hellenen mustergültig wurde.
Der Parthenon stand in engster Beziehung zu dem Feste der
Panathenäen, welches mit dem Staate zugleich stufenweise an Glanz
und Würde gestiegen war. In der alten Eupatridenstadt waren es nur
ritterliche Festspiele gewesen, die zu Ehren der Göttin gehalten
wurden; dann traten die gymnastischen dazu (I, 359); darauf folgten
die durchgreifenden Reformen der Pisistratiden, welche die *grofsen
Panathenäen' stifteten und die Kunst der Rhapsoden heranzogen.
Diese Einrichtungen blieben nach Herstellung der Verfassung; ja man
feierte nun an jenem Feste zugleich den Jahrestag des Tyrannen-
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3 42
DIE PANATH E!SÄEN.
mordes und das Andenken von Harmodios und Aristogeiton. Neue
Festlichkeiten traten hinzu, die den älteren vorgeschoben wurden, und
zuletzt führte Perikles als Festordner die Wettkämpfe in den musi-
kalischen Leistungen ein. Seitdem bestand wahrscheinlich ein sechs-
tägiger Cyklus von Feierlichkeiten, an denen sich alle Stande der
Bürgerschaft betheiligen und alle Kunstfertigkeiten, die im Staate
blühten, sich zeigen konnten.
Den Anfang machten die Aufführungen im Odeion, wo die Meister
des Gesanges und der Recitation, des Citber- und Flötenspiels sich
hören liefsen , während die Chorgesänge im benachbarten Theater auf-*
geführt wurden. Dann folgten die gymnastischen Spiele, wozu aufser
den gewöhnlichen Wettkämpfen im Stadion, Lauf, Ringkampf u. s. w.
auch der Fackellauf gehörte, der in mondloser Nacht vor dem Dipylon
(S. 326) gehalten wurde und ein Glanzpunkt der ganzen Feier war.
Die meisten dieser Spiele wurden in verschiedenen Alterstufen auf-
geführt, von Knaben, Jünglingen und Männern, und zwar traten die
Kämpfer tbeils im eigenen Namen auf, theils im Namen der Stamme.
Die Ersteren empfingen als Siegespreise bemalte Thongefäfse mit atti-
schem Oel, das von den heiligen Oelbäumen der Akademie, den
4Moriai\ gewonnen war, und zwar wurden den einzelnen Siegern 6 bis
140 solcher Preisamphoren zuerkannt; die Anderen erhielten nur
Ehrengaben , welche im Namen des siegreichen Stammes der Göttin
zu Ehren verwendet wurden. Auch darin wetteiferten die zehn
Stämme der Bürgerschaft unter einander, welcher aus seiner Mitte die
schönsten und kräftigsten Männer und Greise stellen könnte.
Unweit des Peiraieus war der Hippodrom, wo mit Reitpferden
und Viergespannen gekämpft wurde ; vor dem Peiraieus aber fanden
Wettfahrten der Trieren statt, und dem Stamme, dessen Kriegsschiffe
sich am Besten bewährt hatten, wurde Geld ausgezahlt, um Opferstiere
zum Dankfeste anzuschaffen. Nach Beendigung aller Festspiele wurde
dann zum Beschlüsse der grofsen Panathenäen am drittletzten ifeka-
tombaion, dem heiligen Tage der Athena, die Prozession unternommen,
welche mit Aufgang der Sonne im Kerameikos sich versammelte, um
auf die Burg zu ziehen. Wie an den kleinen Panathenäen der Göttin
jährlich ein Gewand dargebracht wurde, welches unter priesterlicher
Aufsicht von attischen Mädchen gewebt war, um das alte Holzbild am
Geburtslage der Göttin neu zu bekleiden, so wurde auch an den grofsen
Panathenäen ein Prachtgewand, als Segel an einem Rollschifle befestigt,
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DIE FANA-rHENAEX.
343
hinaufgefahren, ein Gewand, welchem die Tbaten der Göttin einge-
wirkt waren, aber auch Begebenheiten vaterländischer Geschichte
und selbst die Bildnisse von Bürgern, welche sich uro die Vaterstadt
verdient gemacht hatten. Diesem Feierzuge schlössen sich nun die
Sieger der vorigen Tage an; die schönsten und kräftigsten Athener
aller Alterstufen, zu Wagen, zu Pferde und zu Fufs, in glänzender
Ausstattung, bekränzt und in feierlicher Ordnung; es war die
Auswahl der Börgerschaft, welche sich der Gottheit des Staats dar-
stellte.
Aber auch die Macht des Staats offenbarte sich im Panathenäen-
zuge. Denn den Bürgern folgten die Schutzgenossen, die gewisse
Dienstleistungen übernahmen, indem sie Sonnenschirme, Sessel,
Prachtgefafse, Näpfe, Krüge u. s. w. tragen mussten; sie wurden so an
ihre Unselbständigkeit erinnert, aber sie durften Theil nehmen an dem
Feste des Staats, zu dessen Blüthe sie wesentlich beigetragen hatten.
Alle Tochterstädte Athens wurden durch Gesandtschaften vertreten,
welche der Göttin Rinder und Schafe darbrachten; auch Gesandle
fremder Städte pflegten um diese Zeit nach Athen geladen zu werden,
um bei der glänzendsten Schaustellung der Macht und des Reichthums
Athens anwesend zu sein, und überhaupt kam, wer Athen kennen .
lernen wollte, am liebsten zur Zeit der grofsen Panathenäen.
Für dieses Fest hatte Perikles das Odeion gebaut (S. 330); für
dasselbe Fest baute er den Parthenon und es war die glänzendste Pan-
athenäenfeier , welche Athen jemals erlebt hat, als Ol. 85, 3 (43%)
unter dem Archon Theodoros die Parthenos des Pheidias vollendet
war und zum ersten Mal dem versammelten Volke sichtbar wurde.
« Nach den Panathenäen wurde auch die Finanzverwaltung ge-
ordnet; denn von einem Jahresfest zum andern hatten die vom Volke
ernannten Schatzmeistercollegien ihre Rechnungen einzureichen, wie
es durch das Gesetz von Ol. 86, 2; 43% (S. 252) angeordnet war.
Mit dem folgenden Jahr beginnen die nach vierjährigen Perioden zu-
sammengestellten Urkunden, die doppelten Inventare über die beiden
Schatzabtheilungen, die sogenannten Uebergab-Urkunden, welche, auf
Marmorpfeiler geschrieben, bei dem Parthenon aufgestellt wurden, um
zu öffentlicher Kenntniss zu bringen, was nach Ablauf von vier Verwal-
tungsjahren im Schatzbause vorhanden und den Nachfolgern im Amte
zugezählt und zugewogen worden war. Von diesen Urkunden sind die
auf den Schatz der Athena bezüglichen von 434 bis 407 v. Chr. ziemlich
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344
DER I'AKTHENON ALS SCHATZ- UND FESTHAUS.
vollständig erhalten und geben die Benutzung der verschiedenen Räum-
lichkeiten des Parthenon an.
Es waren drei Räume und über jeden derselben wurden besondere
lnvenlare geführt. In der Vorzelle (Pronelon), deren Säulen vergittert
waren, standen goldene und silberne Schalen, Weihebecken, Lampen
und andere Prachtgerät he. In der Cella waren um das Bild der Par-
thenos die der Göttin dargebrachten Weihegeschenke vereinigt, Stand-
bilder, kostbare Kränze u. dgl. Der dritte Raum war ein Magazin, in
welchem die verschiedenartigsten Gegenstände, die nicht zum An-
schauen bestimmt waren , Geräthe aller Art, Möbel, Kleider, Kostbar-
keilen, Urkunden gelagert waren. Der eigentliche Schatzraum aber
blieb nach wie vor das Hinterhaus des pisistratischen Gebäudes, der
„Opisthodom", wie er offiziell genannt wurde, und nachdem bestimmt
worden war, dass mit dem Schatze der Athena auch die der anderen
Gottheiten und Heroen des Landes, der Artemis von Agrai, des deli-
schen A pol Ion, der Dioskuren, des Theseus, des llisos u. A. vereinigt
werden sollten, wurde durch das Gesetz von 43% angeordnet, dass von
den beiden Kammern, die jetzt im Grundrisse wieder sichtbar sind, die
südliche dem Schatze der Athena vorbehalten bleibe, die nördliche den
Schätzen der 'anderen Götter' eingeräumt werde. Das war der Ab-
schluss der perikleischen Einrichtungen, welche Cultus und Architektur
in so merkwürdiger Weise mit der Finanzverwallung verbanden.
Von den drei Räumen des Parthenon war die Cella auch für die
Festlichkeiten der Panathenäen das wichtigste Lokal. Denn hier safsen
zu den FüCsen der Parthenos die Staatsbeamten und Kampfrichter;
hier empfingen angesichts der Göttin die Sieger ihre Kränze und Ehren-
gaben; eine auserwählte Festversammlung füllte den unteren Ra^m,
während von den Gallerien Preis- und Feiergesänge herabtönten. Die
Beziehungen auf den Wettkampf, der die Seele des perikleischen Athens
war, treten uns, wie im Tempel zu Olympia, so auch im Parthenon
überall entgegen. Dahin gehört nicht nur das Bild der Nike, welche
von der Hand der Parthenos den Siegern entgegenschwebte, sondern
auch die Preisgefäfse auf der Höhe des Tempelgiebels und die Schilder
an seinem Architrav. Die Giebelfelder zeigen Athena als die im Himmel
wie auf Erden vorleuchlende und siegreiche Göttin ; in den Metopen
sind die Heroen in siegreichen Kämpfen dargestellt, im Friese die
Athener selbst im verklärten Abbilde des Panalhenäenzuges, als die Er-
sten der Hellenen in Frömmigkeit und jeder menschlichen Tüchtigkeit.
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DIE FORMEN DES ATHE.NAMENSTES
345
So hängt der Bau, welcher anschaulicher als alles Andere den
Geist der perikleischen Stadt kennzeichnet, mit den greisen Pan-
athenäen zusammen. Es war ein Cultus, dessen Mittelpunkt der Staat
war, ein Fest, welches mit Allem, was dazu gehörte, wesentlich
politischer Natur war. Es blieb also der Poliastempel nach wie vor das
eigentliche Heiligthum, der Mittelpunkt des Athenadienstes, die Opfer-
stätte der Priester und der Bürger, mit den Gräbern der Landesheroen,
mit dem Gemache des schlangenförmigen Erichthonios, mit dem Oel-
baume und dem Brunnen des Poseidon. Er blieb immer vorzugsweise
der 'Tempel auf der Burg', und seinem urallen Holzbilde galten die
eigentlich religiösen Burgfeste, die Kallynterien und Plynterien, an
denen das Heiligthum gereinigt wurde, so wie die jährigen Panathenäen,
wo das unter priesterlicher Aufsicht gefertigte Gewand der Athena als
Geburtstagsgabe dargebracht wurde.
Neben der Polias wurde Pandrosos verehrt, die Nymphe des
Thaus, welche mit Athena verschmolzen war und an das auf Natur-
leben bezügliche Wesen der Göttin erinnerte, das hinter der ethisch-
politischen Bedeutung derselben mehr und mehr zurückgetreten war.
Neben dem Parthenon hatte Athena ein Heiligthum als Ergane, d. h.
als Meisterin weiblicher Kunstarbeit; sie hatte am Burgaufgange als
Athena-Nike ein uraltes Holzbild und wurde daselbst als Göttin des
Siegs und des durch Tapferkeit erföchte nen Friedens verehrt. Als
speerschwingende Kriegsgötlin hiefs sie Promachos, als Burgwächteria
Kleiduchos, die 'Schlüsselhalterin'; sie wurde als mütterliche, kinder-
pflegende Gottheit, als Stifterin der Oelzucht, als Spenderin des Erd-
segens, als Erlinderin des Pflugs und der Rosslenkung, als Hygieia
oder Ifeilgöttin verehrt. Der Athena Hygieia weihte Perikles selbst
einen Altar auf der Burg, nachdem sie ihm im Traume das rettende
Heilmittel für einen seiner Werkführer angegeben hatte, welcher beim
Baue zu Schaden gekommen. So dachte man sich die Göttin persön-
lich an Allem betheiligt, was unter Perikles auf der Burg zu ihren
Ehren geleistet wurde.
Jede Bürgergemeinde in Griechenland hatte ihre Schutz- und
Burggottheit; aber nirgends ist der Cultus derselben in so grofsar-
tiger Weise durchgeführt worden, und einen charakteristischen Zug
des attischen Cultus erkennen wir darin, dass dabei der altpelasgische
Zeus immer in vollen Ehren geblieben ist. Vater und Tochter sind
Eins, nicht nur im öffentlichen Cultus, sondern auch im Volks-
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DIE PROPYLÄEN.
hewusstsein, so dass auch beim Gastmahle gesungen wurde: 'Herrin
Alhena, halt' aufrecht unsere Stadt und die Bürger, ohne Leid, ohne
Aufruhr und vorzeitiges Sterben, du und der Vater!'"9).
Um die der Burggöttin neu geweihte Akropolis auf eine des Staats
würdige Weise zur Vollendung zu bringen, bedurfte es zuletzt noch
eines neuen Eingangsthores, welches den ganzen Burgbezirk als einen
heiligen Festraum der Athena bezeichnete. Das war nach dem Odeion
und dem Parthenon der dritte grofse Bau des Feinkies: die Thorhallen
oder 'Propyläen' nebst der Aufgangstreppe. Der Baumeister war
Mnesikles. Seine Aurgabe war, das westliche Ende des Burgfelsens,
wo derselbe allein zuganglich ist, mit einem Gebäude zu überspannen,
welches bestimmt war, den Burgraum an seiner schmälsten Stelle ab-
zuschließen, aber zugleich in feierlicher Weise zu eröffnen. Eine
dorische Säulenreihe mit tempeiförmigem Giebel empfing den Herauf-
steigenden; dann trat man in eine Halle von 50 Fufs Tiefe, deren
prachtvolle Marmordecke von sechs ionischen Säulen getragen wurde.
Diese Halle wurde durch eine Quermauer geschlossen, welche mit fünf
Gitterthoren den Verschluss der Burg bildete. Aus ihnen trat man
wieder in eine sechssäulige dorische Halle und durch sie auf den inne-
ren Raum der Burg. Von dem Mittelbau, dem eigentlichen Thorgange,
sprang rechts und links ein Flügel vor, um den Abschluss des Burg-
felsens zu vervollständigen; der nördliche umfasste den für Gemälde
bestimmten Raum, die Pinakothek. Beide Flügel öffneten sich mit
Säulenhallen nach der breiten Freitreppe, welche in gemächlicher
Steigung zur Tborhalle hinan führte und die Oberstadt mit der Unter-
stadt verband. Rechts von diesem Aufgange trat die kimonische
Mauer mit einer thurmartigen Bastion, die das Heiligthum der Athena-
Nike trug, gegen die Treppe vor; sonst war Alles entfernt, was an die
alte Festung erinnerte. Mit gastlichen Säulengängen, welche weithin
in die Ebene hinahglänzten, erschloss sich die Akropolis Allen, welche
die Tempel und Feste der Athener besuchen wollten; sie erhob sich
aus der Unterstadt, wie die Krone des Ganzen, wie ein grofses
Weihgeschenk, mit ihren Kolossen, Tempeln und Hallen, und wie
ein Geschmeide glänzte an ihrer Stirnseite der Marmorbau der
Propyläen170).
Als die Propyläen gebaut wurden, war Pheidias von Athen ab-
wesend.
Ein Ruhm, wie der seinige nach Vollendung des Parthenon, war
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ATTISCHE KUNST IN HELLAS
347
noch keinem griechischen Bildhauer zu Theil geworden, und es musste
als ein Triumph der perikleischen Politik gelten, dass Athen jetzt
nicht nur als die hohe Schule der bildenden Künste angesehen wurde,
sondern dass seine Meister auch nach auswärts berufen wurden, wo
ein Staat die Mittel halte und sich verpflichtet fühlte, etwas den
Ansprüchen der Gegenwart Entsprechendes in öffentlichen Bau- und
Bildwerken herzustellen.
So finden wir attische Künstler an hervorragenden Plätzen der
verschiedensten Gegenden thätig, unter anderen in Delphi, wo man
ja von jeher bestrebt gewesen war, die besten Kräfte aus allen Land-
schaften heranzuziehen. An dem von Spintharos erbauten Tempel
(I, 5 IS) wurden die Giebelfelder von zwei Athenern ausgeführt.
Praxias wurde zuerst berufen, nach dessen Tode Androsthenes das
grofee Werk vollendete. Im östlichen Giebel sah man Apollon nebst
Artemis und Leto, von den Musen umgeben, im Westen Dionysos
mit den Thyiaden, entsprechend dem delphischen Festjahre, dessen
Sommer der Apollodienst erfüllte, während die winterliche Hälfte
dem Dienst des Dionysos geweiht war. Beide Künstler waren
Pheidias' Zeitgenossen, aber nicht seine Schüler. Man sieht, dass
auch die älteren Schulen auswärtige Geltung erlangten und nament-
lich den delphischen Behörden genehm waren. Praxias war ein
Schüler von Kaiamis (S. 316), und sein Nachfolger arbeitete in der
Weise des sonst unbekannten Eukadmos.
Auffallender ist, dass auch bei Doriern und Peloponnesiern die
attische Kunst volle Anerkennung fand. Polyklets gröfste Werke
wurden schon unter Einfluss von Athen vollendet, und es scheint,
als ob auf dem Gebiete der Kunst die alte Eifersucht der Stämme
sich beruhigte. Half doch Pheidias selbst dem Megareer Theokosmos
bei der Ausführung eines Zeusbildes; von seinen Schülern ar-
beitete Thrasymedes für Epidauros, Agorakrilos für Koroneia in Bö-
otien und der Baumeister des Parthenon, Iktinos, wurde von den
Phigaleern in Südarkadien mit dem Baue ihres Apollotempels be-
auftragt1").
Mit dem dreifsi&jährigen Frieden (S. 181) war eine gewisse Be-
ruhigung eingetreten, so dass an panhellenische Werke gedacht werden
konnte, und nachdem manche Pläne dieser Art gescheitert waren,
musste es für Perikles eine besondere Genugtuung sein, dass sein
Freund Pheidias mit Panainos nach Elis berufen wurde, um in dem
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DER ZEUSTEMPEL ZU OLYMPIA.
heiligen Mittelpunkt der dorischen Halbinsel das Bild des Zeus mit
allen Mitteln der in Attika entfalteten Kunst herzustellen, und dass
dafür die in Olympia gesammelten Tempelschätze benutzt wurden, auf
welche man sich in Sparta für den Fall eines Krieges mit Athen
Rechnung machte.
Elis hatte sich gleich nach dem Perserkriege vom Einfluss Spartas
gelöst (S. 165), und es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Neubau
des Zeustempels mit der Epoche zusammenhängt, da die ganze Land-
schaft sich zuerst um eine Hauptstadt einigte und man nun auch in
der Ausstattung von Olympia Gröfseres zu leisten suchte, um dem
peloponnesischen Heiligthume mehr und mehr das Ansehen eines
gesamthellenischen zu geben.
Nachdem man also den Bau des Tempels aus einheimischem
Kalkstein durch einen einheimischen Künstler, Libon, hergestellt
hatte (S. 333), berief man, wie in Delphi, auswärtige Meister für
diejenigen Arbeiten, welche plastisches Compositionstalent ver-
langten, also vor Allem für die Ausfüllung der Giebelfelder, die für je
21 Kolossalßguren Raum hatten. Als die Schöpfer derselben kannte
man in Olympia Paionios aus Mende an der thrakischen Küste und
Alkamenes, den Athener. Im Ostgiebel stellte Paionios die bevor-
stehende Wettfahrt von Oinomaos und Pelops dar, deren Erfolg über
das Schicksal der Landschaft entscheiden sollte, im Westgiebel Alka-
menes den Kampf der Lapithen und Kenlauren bei der Hochzeit des
Peirithoos. Beide Bildhauer müssen also um Ol. 80 (461) berühmte
Meister gewesen sein , beide ursprünglich von Pheidias' Schule unab-
hängig. Ein Zusammenhang ihrer Kunst mit Athen ist aber unver-
kennbar. Attischer Marmor ist neben dem parischen angewendet. Die
Eckfiguren des Ostgiebels entsprechen den Wassergottheiten im Parthe-
nongiebel und scheinen ihnen als Vorbilder gedient zu haben. Das
Motiv des Westgiebels wurde gewählt, um Theseus zu verherrlichen
als den Beistand in der Noth ; in den Kampfgruppen aber können wir
die Uebereinstimmung mit den rolhGgurigen Vasen von Athen er-
kennen und hier deutlicher als anderswo nachweisen, dass die Malerei
der Plastik in lebensvoller Gomposition vorangegangen ist, und ihr
den Muth zu bewegterer Gruppirung gegeben hat.
Ost- und Westgiebel zeigen hierin einen sehr merkwürdigen Unter-
schied. An der Ostseile herrscht noch eine unverkennbare Gebunden-
heit des Stils, ein steifer Parallelismus neben einander aufgestellter
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DAS ZEUSBILD ZU OLYMPIA.
349
Figuren; im Westgiebel aber entfaltet sieb innerbalb des architektoni-
schen Dreiecks eine überraschende Fülle von dramatischem Leben und
ein kecker Naturalismus, welcher in den Köpfen nach scharfer Charak-
teristik strebt. Man erkennt hier eine jugendliche Kraft, die das Her-
gebrachte ungeduldig durchbricht und lieber zu viel als zu wenig giebt.
Die Mitte des fünften Jahrhunderts v. Chr. erscheint hier recht deut-
lich als eine Zeit des Uebergangs , in welcher treue Anhänglichkeit an
das Ueberlieferte mit ungestümem Vorwärtsdrängen nach gesteigerter
Lebendigkeit sich begegnen. Eis sind die Vorstufen des Parthenon,
wo epische Ruhe und dramatisches Leben sich zu einer höheren Har-
monie verschmelzen.
Die Eleer wollten aber nicht nur Giebelgruppen von hervorragen-
den Künstlern besitzen, wie die Delphier, sondern auch das Innere des
Zeustempels so ausgestattet sehen, dass er dem Parthenon eben-
bürtig erscheine. Beide Gebäude waren sich aber darin gleich, dass
sie nicht Culttempel waren, sondern Fest- und Schatzhäuser. Denn
der Mittelpunkt des Gottesdienstes in Olympia war nicht der Tempel,
sondern der grofse Aschenaltar, welcher nordöstlich vom Tempel
stand und vollständig unabhängig von demselben war. Im Tempel
aber fand die feierliche Kränzung der Sieger statt, und hier sollte sich
nun als Weihgeschenk der Eleer in der 100 Fufs langen Tempelzelle
ein Prachtbild des Zeus erheben, das an Glanz und Reichthum die
Partbenos noch überbieten sollte.
Zu diesem Zwecke wurde Pheidias berufen, nachdem dieParthenos
geweiht war (438) , und übernahm mit Panainos gemeinschaftlich das
grofse Werk, welches ihm von den Tempelbehörden für eine bestimmte
Summe vertragsmäfsig übergeben war. Es wurde ihm eine Werkstätte
eingerichtet, in welcher er sich mit einer ganzen Colonie seiner Arbeiter
niederliefs, wie einst Balbykles in Amyklai (1, 579), um die gröfste Auf-
gabe zu übernehmen, welche der hellenischen Plastik gestellt werden
konnte; denn es galt mit allen Mitteln der in Athen gereiften Kunst aus
Gold und Elfenbein den Vater der Gölter und Menschen, den höchsten
Lenker der Völkergeschicke, welcher bildlos angebetet wurde, nun im
Bilde so darzustellen, dass die besten Hellenen darin den Ausdruck ihrer
Gefühle erkannten.
Es war ein Sitzbild von acht- bis neunfacher Menschen gröfse, für
welches auch das mächtige Gotteshaus als eine zu enge Behausung er-
schien. Es stand frei im Mittelschiffe auf einem Postament, das ein
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350
UAS ZECSUILI) ZU OLYMPIA.
Drittel der Cellalänge einnahm. In seinem Haupte waren Allmacht und
Gnade, Hoheit und leutselige Milde vereinigt; die Locken waren die
des homerischen Zeus, bei deren Bewegung der Olymp erbebte. Das
goldene Gewand , das die unteren Theile bedeckte, liefs die gewaltige
Brust frei; in der Linken hielt er das Adlerscepter; auf der Rechten
trug er das Bild der Siegesgöttin, wie die Parthenos. Denn auch er war
hier nicht nur selbst als bekränzter Sieger gedacht, der alle Feinde
niedergeworfen, sondern als der Siegverleibende, weil vor seinem Ange-
sicht und in seinem Namen die olympischen Siegeskranze, die höchsten
Preise hellenischer Tüchtigkeit, ausgelheilt wurden. Der Thronsessel
schimmerte von Gold und Edelgestein und war mit runden oder halb-
runden Figuren ausgestattet, welche die von Zeus ausgehenden Gerichte
so wie Kampfscenen und Siegesgöttinnen darstellten, während Chariten
und Hören die Rücklehne krönten, und die Füfse auf einem Schemel
ruhten, dessen Vordersaum einen Amazonenkampf darstellte. Das
Postament von etwa zwölf Fufs Höhe war mit vergoldetem Metallrelief
überzogen und stellte den von Helios und Selene eingefassten Kreis
der Olympier dar, welche die aus dem Meer aufsteigende Aphrodite
begrüfsen. Innerhalb der Cella aber wurde vor dem Bilde ein beson-
derer Raum eingerichtet, eine Art Vorhof, nach dem Bilde hin offen,
nach den anderen Seiten durch wandartige Schranken geschlossen,
welche von Säule zu Säule reichten. Diese Wände schmückte Panainos
an den Innenseiten mit neun Gemälden von je zwei Figuren; es waren
Scenen aus der Heroen weit, symmetrisch angeordnet Das Ganze diente
dazu, dass in einem künstlerisch eingehegten Räume das Gemülh sich
sammle, um das grofse Kunstwerk anzuschauen; ein Beweis, wie uner-
müdlich die attische Kunst vorwärts ging, um in immer neuer Weise
Architektur, Plastik und Malerei harmonisch zu verbinden. Als Pantarkes
Ol. 86 unter den Knaben siegte, arbeitete Pheidias an dem Zeusbilde
(436 v. Chr.) und stellte ihn am Throne dar, wie er sich die Sieges-
binde umlegte.
So war die reifste, reichste und grofsartigste Frucht attischer
Kunst in Elis zu Stande gekommen, ein Gottesbild, von dem man sagte,
dass es die Vorstellung der Hellenen von ihrem höchsten Gotte erhöht
und verklärt habe; das gemeinsame Werk des Phefdias und seines Ge-
nossen Kolotes, eines auserwählten Meisters der Goldelfenbeinarbeit, der
auch den in gleicher Kunstweise ausgeführten Tisch hergestellt hatte,
welcher dazu bestimmt war, dass die Siegerkränze aus den Zweigen
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ATTISCHE Kl'NST IN ELIS.
35 t
des wilden Oelbaums vor der Verlheilung darauf gelegt wurden. Auch
Panainos arbeitete mit Kolotes gemeinschaftlich an einer Athenastalue
in Elis. Pheidias selbst aber schuf noch eine Aphrodite Urania, welche
den Fufs auf eine Schildkröte stellte. So wurde in der Werkstätte des
Pheidias von ihm und seinen Freunden für Olympia, für die Stadt Elis
wie für die Hafenstadt Kyllene gearbeitet, und die WerkJeute von Elis
bildeten sich nach den Vorbildern und unter Anleitung attischer Meisler.
Zu dieser Genossenschaft dürfen wir auch Paionios zählen, welcher
nach Vollendung seines Giebelfeldes in Zusammenhang mit Elis blieb;
denn hier war noch Geld und Ruhm zu gewinnen , als die Stadt des
Perikles schon von inneren und äufseren Kämpfen ergriffen war.
Paionios erhielt von den Messeniern in Naupaktos den Auftrag,
aus dem Zehnten ihrer Kriegsbeute eine Siegesgöttin in Marmor auf-
zustellen. Sie wurde — wahrscheinlich mit stillschweigender Beziehung
auf den während der Ausführung eingetretenen Sieg bei Sphakteria —
in ganz ungewöhnlicher Weise auf einem tburmhohen dreieckigen
Marmorsockel vor der Ostseite des Zeustempels aufgestellt, ein Werk
von genialer Kühnheit, in welchem Nike mit ausgespannten Flügeln
durch die Luft niederschwebend dargestellt war, um den in der Altis
versammelten Hellenen die Gro&thaten der Messenier zu verkünden.
Es ist vielleicht erst um 422 v. Chr. vollendet worden.
Auch Nachkommen des Pheidias blieben in Olympia, mit dem
Ehrenamt der 'Phädrynten' bekleidet, welche für die Erhaltung des
Zeuskolosses zu sorgen hatten. Nicht blofs in fernen Colonien, wie es
Perikles versucht hatte (S. 321), sondern im Mutterlande selbst, im
dorischen Peloponnes trat eine Verschmelzung dessen ein, was in den
verschiedenen Stämmen und Städten gereift war, und diejenigen
Staaten, welche sich am engsten zu Sparta gehalten hatten, wie Elis
und Arkadien, wendeten die reichsten Mittel darauf, Athen nachzueifern
und Kunstwerke attischer Meister bei sich ausführen zu lassen.
Perikles war unermüdlich, immer neue Mittel und Wege ausfindig
zu machen, um Athen und Hellas mit einander zu verschmelzen, und
seiner nationalen Politik dürfen wir es auch zuschreiben , dass wie der
panhellenische Zeus, so auch die Religion der Demeter benutzt wurde,
um die griechischen Stämme und Städte zu einigen. Eleusis war mit
Athen an Ansehen gestiegen und unter den attischen Gottesdiensten
batle der der Demeter am meisten einen allgemein volkslhümlichen
Charakter. Die delphische Priesterschaft wurde dafür gewonnen, ihm
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352
EL EIS INISCHER DEMETERDIENST.
eine nationale Bedeutung zu geben. Von Delphi erging die Weisung
an Athen, man sollte bedacht sein, die heiligen Stätten, von wo Tri-
ploleraos die Segnungen des Ackerbaus verbreitet hatte, dadurch zu
ehren, dass die alten Verpflichtungen erneuert würden, welche man der
Göttin schuldig geblieben sei. Auf Grund der delphischen Mahnung
wurde von Rath und Bürgerschaft beschlossen, dass der Zehnte der
Kornerndte von Weizen und Gerste wieder an die Göttin von Eleusis
abgegeben werde. Für die attischen Gaue und alle dem attischen Herr-
schaftsgebiete angehörigen Staaten war dies eine Verpflichtung, deren
Versaumniss straffällig war. Die übrigen Hellenen aber wurden aufge-
fordert, sich dieser Verpflichtung freiwillig anzuschliefsen, und es wurde
bestimmt, dass vom Ertrage des Kornzehnten Weihgeschenke errichtet
werden sollten mit der Inschrift 'Die Hellenen weihen dies vom Zehnten
an die Demeter1. Lampon, der Seher, war an dieser Mafsregel beson-
ders betheiligt; auf seinen Antrag wurden über diesen Beschluss Slein-
urkunden errichtet, von denen eine uns erhalten ist. Durch diesen Be-
schluss wurde auch dem Eleusinion am Fufse der Akropolis eine neue
Bedeutung gegeben; denn hier sollten die Weihebilder für Demeter
aufgestellt werden und die Auftrage zu diesen Werken im Einverständ-
niss mit dem heiligen Rath von Eleusis durch die Bürgerschaft von
Athen erfolgen. So wurde auch diese Mafsregel benutzt, die Stadt der
Athener mit neuen Kunstwerken auszustatten und der attischen Kunst
in Griechenland eine nationale Bedeutung zu geben ,TI).
Athen war in der kurzen Frist der perikleischen Friedensjahre
eine andere Stadt geworden, und wenn man die erstaunliche Mannig-
faltigkeit künstlerischer Thätigkeit überblickt, die sich dort entfaltet
hat, so begreift man, welchen Einfluss sie auf das ganze soziale und
gewerbliche Treiben der Bürgerschaft haben musste.
Schon der Transport des Rohmaterials veranlasste , dass in jener
erfindungsreichen Zeit auch die Wissenschaft der Mechanik grofse Fort-
schritte machte, und auf diesem Gebiet erwarb sich vor allen Zeil-
genossen Artemon einen Namen (S. 241). Alle Handarbeiter, welche zu
den grofsen Kunstleistungen in Beziehung standen, die Bau- und Zim-
merleule, Bildhauer, Schmiede, Erzgiefser, Steinmetzen, Färber, die
Goldarbeiter, welche das Metall zum Ueberzuge des Holzes verarbeite-
ten und die Elfenbeinarbeiter, welche den spröden Stoff so geschmeidig
zu machen wussten, dass er sich wie eine Haut an den Holzkern an-
schmiegte, die Maler, Holzschnitzer, Teppichwirker, die Gold- und
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KUNSTLBBEK Uf ATHEN. 353
Silbersticker, die Steinschneider u. s. w. Alle hatten ihren Antheil an
der glänzenden Entwicklung menschlicher Kunstfertigkeil. Auch die
bescheidene Kunst mit der Nadel und dem Webschiffe wurde in Athen
zur höchsten Vollendung gebracht; auch sie wurde hier eine öffentliche
Kunst, indem sie für das Prachtgewand der Burggöttin, den Peplos der
Athena, unentbehrlich war. Jede Gattung des Kunstbandwerks wurde
von einem höheren Leben beseelt; in Terracotten und Grabreliefs er-
kennt man trotz der handwerksmäßigen Ausführung den feinen Form-
sinn, die Klarheit des Vortrags, die Ruhe und Heiterkeit, die geistige
Wurde, welche den Arbeiten des Pheidias eigen war. Seine Werkstätten
waren eine Schule des Volks von umfassender und dauernder Wirkung.
Bis dahin waren alle künstlerischen Gewerbe in einheimischen Fa-
milien gepflegt, welche von Vater auf Sohn die ererbte Technik fort-
pflanzten. Diese Art der Kunstpflege finden wir in der Musik und Poesie,
wie die Familien des Simonides, Bakchylides, Pindaros, Stesichoros,
Sophokles u. A. beweisen, und ebenso in allen bildenden Künsten. Hier
hatte der Familienzusammenhang einen besonders wichtigen Einfluss,
indem er die sicher und stätig fortschreitende Vervollkommnung der
Technik wesentlich unterstützte; ja sie war nur auf diese Weise möglich.
Die Zeit des Perikles war auch in dieser Beziehung eine rechte
Übergangszeit, indem die Schranken jener familienhaften Ueberliefe-
rung, so weit sie hemmend wirken konnten, gebrochen wurden ; denn
die freiste Concurrenz wurde nicht nur innerhalb der Bürgerschaft er-
öffnet, sondern auch von aufsen kamen die Künstler herbei, um sich
an dem Wetteifer des Talents in Athen zu betheiligen. Schon mit Po-
lygnotos, dem Thasier, gleichzeitig arbeiteten in Athen Agatharchos aus
Samos, Nikanor und Arkesilas, zwei Maler aus Paros, und dann kamen
von derselben Marmorinsel, welche an tüchtigen Bildhauern immer be-
sonders fruchtbar war, Agorakritos, einer der Lieblingsschüler des Phei-
dias, Kolotes, welchen der Meister als einen seiner geschicktesten Mit-
arbeiter schätzte, Thrasymedes, Lokros, Aristandros, der Vater des
Skopas. Alle fanden in Athen eine neue Heimath und eine ruhmvolle
Thütigkeit, und deshalb darf man wohl sagen, dass sich niemals unter
günstigeren Bedingungen ein nationales Kunstleben entfaltet hat.
Frei erwachsen an den verschiedensten Orten des Vaterlandes,
bei Doriern und Ioniem, wurden die Künste hier zum ersten Male zu
großartigen Leistungen vereinigt, unter der Pflege des reichsten Staats,
unter der Obhut des erleuchtetsten Kenners, der Jahre lang mit unbe-
Cartini, Gr. Ge«ch. II. 6. Aufl. 23
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354 WIRKUNG OES ATTISCHEN KUNSTLEDENS.
schränkten» Willen über die Staatsmittel verfügte, unter der Leitung
eines überlegenen Geistes, welcher alle Gebiete der bildenden Kunst
beherrschte. Im perikleischen Athen war es möglich, dass mit dem
wohlthätigen Einflüsse fester Oberleitung ein allgemeiner Wetteifer
sich vereinigte, und die vom Staate anbefohlenen Arbeiten in frei-
willigem Enthusiasmus ausgeführt wurden, der sich nicht auf die
Künstlerwelt beschränkte. Denn dem rührigen und erwerblustigcn
Volke der Athener gefiel die Betriebsamkeit, welche die perikleischen
Bauten veranlassten. Alle Stände waren bei dem öffentlichen Kunst-
leben betheiligt, von dem Künstler an, der in der Einsamkeit seine
Gedanken reift und seine Pläne entwirft, durch alle Klassen der Kauf-
leute, Gewerbleute und Handarbeiter bis zu den Bergleuten und Wege-
bauern, den Wagnern und Seilern, den Bhedern und Fuhrleuten, welche
dafür zu sorgen halten, die unzähligen Marmorblöcke auf die Höhe der
Burg zu fördern. Aller Verdienst geht vom Staate aus, Alle werden in
seine Zwecke verflochten. Die Kapilalisten sind zufrieden, weil zum An-
legen des Geldes in vortheilhaften Geschäften immer mehr Gelegenheit
sich darbietet; sie können für ihre Häuser, ihre Schiffe, ihre Sklaven
immer höheren Mielhzins erhalten. Die Landleute, sind zufrieden, weil
die Preise des Bodens und seiner Früchte im Steigen sind. Auch die
ganz Unbemittelten werden vom Staate versorgt und zwar nicht als
Stadtarme, sondern als Bürger, welche an den öffentlichen Unterneh-
mungen thätigen Antheil nehmen und bei der Höhe des Tagelohns rasch
auf einen ihren Talenten entsprechenden Verdienst rechnen können.
Die perikleischen Bauten trugen also wesentlich dazu bei, eine glückliche
Verkeilung des Geldes unter der freien Bevölkerung zu begünstigen.
An die öffentlichen Werke schloss sich eine bürgerliche Kunst, die
Kunst im Hause. Die Malerei des Agatharchos war besonders geeignet,
wohlhabenden Bürgerhäusern durch Dekoration der Zimmerwände
einen künstlerischen Schmuck zu geben. Das Haus des Morychos in der
Nähe des Olympieion war eines der ersten Häuser in Athen, das sich
durch vornehme Ausstattung auszeichnete. So wurde derKunstindustrie
neuer Verdienst eröffnet. Die Erzgeräthe zeugten von geschmack-
voller Einrichtung und die Speisesäle erhielten kunstvolle Felderdecken.
Der allgemeine Wohlstand wurde also in dem Grade gefördert,
dass die Menge des Volks schon deshalb der perikleischen Politik
freudig zugestimmt haben würde, wenn sie auch nicht zugleich von
dem Gefühle durchdrungen gewesen wäre , dass jene Werke mehr als
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DIE WIRKUNGEN DES ATTISCHEN KUNSTLEBENS.
355
alles Andere zum Ruhme der Vaterstadt beitrügen. Ein höherer Pa-
triotismus theilte sich den Bürgern mit, wenn sie ihre Vaterstadt vor
allen anderen Städten mit den edelsten Kunstwerken ausgestattet
sahen; und wenn diese Kunstwerke bei aller Pracht eine edle Einfach-
heit besaßen, wenn sie durchgängig von erhebenden Gedanken durch-
drungen, von Mafs und Ordnung erfüllt, voll Klarheit und Würde
waren, so konnten sie nicht anders als bildend und läuternd auf die
Gemüther derer einwirken, welche Zeugen ihrer allmählichen Vollen-
dung waren und das Vollendete täglich vor Augen hatten. Denn es
lag eine Kraft in ihnen, welche den Menschen über die Enge seiner
persönlichen Verhältnisse erhob und ihn nöthigte, von dem Staate, der
Solches schaffen konnte, und dem eigenen Bürgerberufe grofs und
würdig zu denken. Dieser Bürgerstolz ruhte auf gutem Grunde. Denn
so viel Neues auch in der perikleischen Zeit geschaffen wurde, so war
doch Alles allmählich erwachsen und der Kern der Bürgerschaft nicht
wesentlich verändert; die bewegenden Kräfte fanden ein heilsames
Gegengewicht in der Anhänglichkeit an das üeber lieferte. Der uralte
Zeusdienst ist nirgends so in Ehren geblieben , wie bei den Athenern,
und ihr conservati?er Sinn bezeugt sich auch in Sprache und Schrift.
Des lebendigsten Seeverkehrs ungeachtet haben sie den alten Hauch-
laut H als solchen festgehalten und sich länger als die Insulaner der
beiden Zeichen für die Doppelkonsonanten enthalten, welche den phö-
nikischen Buchstaben angereiht worden sind. Treuer Familiensinn ist
besonders in den attischen Grabsteinen bezeugt. Die lebende Gene-
ration fühlte sich mit den vorangegangenen in ununterbrochenem Zu-
sammenhange und in jedem Bürgerhause fühlte man es als eine heilige
Verpflichtung, die Almen zu ehren; denn kein Zweifel trübte die Ueber-
zeugung, dass die Bande des Bluts das Grab überdauern, und die My-
sterien der Demeter gaben dem angestammten Volksbewusstsein eine
religiöse Beglaubigung.
Perikles , Pheidias und Polygnotos, wie Aischylos und Sophokles
thaten Alles, um diese einheimische Grundlage attischer Gultur zu
pflegen, damit unter den Bürgern kein Riss zwischen Altem und Neuem
entstehe.
Aber auch die, welche nicht als Altathener die Stadt anschauen
und lieben konnten, auch die Unterlhanen und die Fremden konnten
sich dem Eindrucke der Herrlichkeit Athens nicht entziehen; die Einen
mussten es leichter Gnden, einer solchen Stadt zu gehorchen; die
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356
DIE WIRKUNGEN DES ATTISCHEN KUNSTLEBENS.
Andern mussten erkennen, dass Alles, was die Hellenen auszeichnete,
Geistesbildung und edle Kunst, hier seine volle Entwicklung gefunden
habe, und wer hiefür Sinn hatte, der musste Athen als die Hauptstadt
Griechenlands und sich in gewissem Sinne selbst als Athener fühlen.
Das war es, was Perikles erstrebte; Athen sollte sich würdig
zeigen , über Hellenen zu herrschen , und die Verwendung der Büttel
zu diesem Zwecke war keine Verschwendung; denn sie hat nicht
blofs für die Gegenwart Wohlstand und Zufriedenheit verbreitet,
sondern es ist in jenen Kunstwerken ein unveräusserlicher Schatz für
Athen gewonnen worden, ein Kapital, von dessen Zinsen die Stadt bis
in die spätesten Zeiten gezehrt hat, so dass kein Staatsmann materielle
Vortheile von dauerhafterer Bedeutung seiner Stadt verschallt hat als
Perikles. Er dachte aber auch an den zukünftigen Ruhm der Stadt;
er wollte, dass Denkmäler ihrer Gröfse vorhanden wären, welche ihre
Geschichte überlebten, und dass die Akropolis noch in späten Jahr-
hunderten Zeugniss ablege von dem Zeitalter des Perikles.
An den Propyläen ist begonnen worden , ehe der Parthenon ganz
fertig war. Denn 43% (86,3), also im vierten Jahre nach der
Weihe der Parthenos, wurden noch Gelder für die Giebelstatuen an-
gewiesen; vierzehn Jahre nach dem Beginn des Tempelbaues ist der-
selbe vollendet worden.
Bei den Propyläen war Perikles nicht so glücklich wie beim Par-
thenon. 2012 Talente (gegen 9# Mill. Reichsmark) sind im Ganzen
dafür ausgegeben worden, aber der Bauplan des Mnesikles ist niemals
durchgeführt. Zwei Seitenflügel von gleicher Breite sollten sich an
den Mittelbau anschließen und an der inneren Seite eine Säulenhalle
sich von einem Burgrande zum andern erstrecken. Die Ausführung
stiefs auf den Widerstand der Priesterschaften, welche von dem Terrain
der brauronischen Artemis und der Athena Nike nichts hergeben
wollten. Perikles musste also die Ausführung des Ganzen auf bessere
Zeiten aufschieben; der Südflügel wurde eingezogen und der innere
Hallenbau unterblieb. Auch der verkümmerte Bauplan ist nie zur
Vollendung gelangt Im dritten Baujahre wurden die außerordent-
lichen Ausgaben für Bauzwecke auf jährlich 10000 Drachmen be-
schränkt. Im vierten und fünften wurde mit steigender Hast gearbeitet,
und ehe die Glättung des Marmors am Fufsboden und an den Wänden
ausgeführt war, brach der Krieg aus, welcher die Mittel des Staats
vollständig in Anspruch nahm175).
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VIERTES BUCH.
DER PELOPONNESISCHE KRIEG.
L
DER KRIEG BIS ZUM TODE DES PERIKLES.
In dem Segen der Friedensjahre, welchen die Athener Perikles ver-
dankten, lag zugleich der Keim eines unvermeidlichen Kriegs. Die
eidgenössischen Gemeinden konnten die Vernichtung ihrer Selbstän-
digkeit nicht verschmerzen; den Megareem und Böotiern war der
Glanz Athens ein Aergerniss ; ebenso den Peloponnesiern und nament-
lich den Spartanern, deren Eifersucht schon durch den ersten Auf-
schwung Athens nach Vertreibung der Pisistratiden so heftig gereizt
worden war. Mit welchen Augen mussten sie jetzt erst nach Athen
hinüberblicken! Indessen Uelsen sie es bei einem unthätigen Grollen
bewenden, und so bilter sie es auch empfanden, immer mehr aus
ihrer hervorragenden Stellung herausgedrängt zu werden, so gingen
doch aus dieser Stimmung keine Entschlüsse hervor. Athen aber ver-
mied es auf das Sorgfältigste, irgend einen Anlass zu Feindseligkeiten
zu geben, und seit der Zeit, da Perikles die Verwendung der Geld-
mittel in seiner Hand hatte, soll sogar eine jährliche Summe von
zehn Talenten verwendet worden sein, um der Kriegspartei in Sparta
entgegen zu arbeiten. So unsicher diese Nachri cht erscheint, so ist
es doch sehr wahrscheinlich, dass Perikles, nachdem er einmal durch
Bestechung die Vaterstadt gerettet hatte (S. 179), auch bei anderen
Gelegenheiten die gröfste Schwäche des Feindes, die Geldliebe seiner
Staatsmänner, verwerthet habe, nicht um den Frieden zu erkaufen,
sondern um den Anfang des Kriegs in der Hand zu haben. Zu diesem
Zwecke musste er persönlichen Einfluss in Sparta haben, wo er
die Stimmungen immer hin und her schwanken sah. Eine feste,
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360
DIE LAGE VON KOIUNTH.
unabhängige und rastlose Politik hatten unter den Feinden Athens
nur die Korinther; denn was in Sparta Ehrensache war, das war für
Korinth eine Lebensfrage 1).
Korinth war eine Handelsstadt, welche ohne Flotte und Colonien
nicht bestehen konnte. Sie musste auf jeden Staat eifersüchtig
sein, der ihr das Meer streitig machte und ihre Seeverbindungen ge-
fährdete. Um Aigina zu demüthigen, hatten die Korinther einst Athen
unterstützt (S. 31); um so gröfser war ihr Aerger, als sie die gering
geschätzten Anfange der attischen Flotte in wenig Jahren so gewaltig
anwachsen sahen, dass sie vollständig überflügelt wurden. Umsonst
hatten sie in den Perserkriegen den Siegeslauf Athens zu hemmen
gesucht (S. 75); umsonst gegen den Mauerbau Protest eingelegt
(S. 105); ihre Lage verschlimmerte sich immer mehr. Denn seit der
Gründung der attischen Bundesgenossenschaft sahen sie sich nicht nur
von allen Früchten hellenischer Seesiege ausgeschlossen, sondern ihre
eigenen Colonien, namentlich Potidaia, gingen an Athen verloren;
ihr Einfluss im Archipelagus war vernichtet, ihr asiatischer Handel
gänzlich zerstört Als nun vollends Megara und Acbaja den Athenern
ihre Häfen öffneten und Naupaktos durch die Messenier ein attischer
Wallenplatz wurde (S. 173), da waren sie in ihren eigensten Ge-
wässern nicht mehr die Herren. Auch waren die Messenier durchaus
nicht Willens, sich ruhig zu verhalten; sie machten ihre neue Stadt
zu einem Kriegshafen und unternahmen gleich nach ihrer Ansiede-
lung einen Eroberungszug nach Westen, nach der Achelooslandschaft,
welche durch ihre Fruchtbarkeit ausgezeichnet war, und wo sie
der korinthischen Macht am meisten Abbruch thun konnten (f, 255).
Es war gewiss im Einverständniss mit Athen, wenn sie zum Ziele
ihrer Unternehmungen Oiniadai wählten, eine durch Mauern und
Sümpfe feste Stadt im unteren Acheloosthale , welche sich von jeher
den Korinthern treu und den Athenern feindlich gezeigt hatte. Sie
eroberten die Stadt und hielten sich ein Jahr^ lang in derselben , bis
sie durch ein Heer der umwohnenden Stämme Akarnaniens gezwungen
wurden , den Platz wiederum zu räumen. Gleich darauf erschien eine
attische Flotte unter Perikles an der Acheloosmündung (S. 173); sein
Versuch, Oiniadai zu nehmen, misslang freilich, aber die Korinther
sahen sich fortwährend in ihren unentbehrlichsten) Golonialgebieten
bedroht; sie befanden sich in einem förmlichen Belagerungszu-
stande*).
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DIE POLITIK VO.N K0IU3TU
3(51
Durch den dreißigjährigen Frieden erhielten sie endlich freiere
Bewegung; sie athmeten nieder auf. Aber sie wussten sehr gut, dass
Athen die erste Gelegenheit benutzen würde, im westlichen Meere von
Neuem Macht zu gewinnen. Dazu kam, dass die achäischen Städte
unzuverlässig waren; auch Akarnanien war missgünstig gegen Korinth,
das seine Küsten zu beherrschen suchte, und neigte sich den Athenern
zu; die Insel Zakynthos hatte sich dem peloponnesiscben Bunde von
jeher feindlich erwiesen; Naupaktos aber lag einem Wachtposten gleich
am Eingange des korinthischen Golfs, und man wusste, was man von
den Messeniern zu erwarten habe, die zu Lande wie zu Wasser gleich
unternehmungslustig waren, die Todfeinde Spartas und seiner Bundes-
genossen, den Athenern rückhaltlos ergeben. Es kam also, wie man
in Korinth wohl erkannte, Alles darauf an, die Küstenstädte und
Inseln, welche dem peloponnesischen Interesse treu geblieben waren,
an sich zu ziehen und den Zusammenhang mit den Colonien wiederum
herzustellen. Kurz, Korinth war der einzige Staat, welcher mit
wachsamem Auge allen Bewegungen Athens folgte, und im Stillen
unausgesetzt thätig war, mit Delphi und Theben so wie mit den
argivisehen Seestädten in Einverständniss zu bleiben. Es schloss
Megara, das 15 Jahre entfremdet gewesen war, so eng wie möglich
an sich an, pflegte seine Verbindungen mit Elis und den ionischen
Inseln und suchte sich für alle Fälle an Sparta und dem pelopon-
nesischen Bunde einen Rückhalt zu sichern. Es konnte keine an-
dere Absicht haben, als durch Vereinigung der vereinzelten Kräfte eine
Seemacht zu gründen, welche wenigstens in den westlichen Meeren
der attischen Macht entgegen zu treten vermochte; es musste darauf
ausgehen, hier eine Hegemonie zu gewinnen und von den Beziehungen
zu seinen westlichen Colonien und Bundesgenossen alle fremden Ein-
mischungen fern zu halten. Darum hatten die Korinther auch im sami-
schen Kriege (S. 240) gegen die Einmischung der Peloponnesier ge-
stimmt, weil sie den Grundsatz der Nicht-Einmischung, welchen die
Athener für sich geltend machten, auch für ihre Seepolitik anerkannt
sehen wollten.
Bei Durchführung dieser Politik fehlte es ihnen nicht an wichtigen
Stützpunkten. Dazu gehörte vor Allem die volkreiche und kriegerische
Stadt der Ambrakioten, welche treu zu Korinth hielt und mit der Insel
Leukas (Santa Maura) und Anaktorion zusammen den ambrakischen
Golf (Mb. von Arta) beherrschte. Auch im akarnanischen Lande war
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362
KORINTH UM» KERKYRA.
aufser Anaktorion Oiniadai treu gesinnt, und von den anderen Völkern
des Festlandes die Aetoler und Epiroten. Kein Staat aber stand der
Politik der Koriniher hemmender im Wege, als Kerkyra, welches in
den Kämpfen mit Epiroten und Illyriem frühzeitig eine grofse Selb-
ständigkeit gewonnen hatte, so dass es seit Menschengedenken immer
mit. Trotz den Korinthern gegenüber gestanden hatte. Es hatte sich
zuerst unter den Bacchiaden und dann nach der Blüthezeit Periandcrs
zum zweiten Male von Korinth losgerissen; es hatte sich allen Pietäts-
pflichten einer Tochterstadt längst entzogen und war mit einer Flotte
von 120 Trieren jeden Augenblick bereit, seine volle Selbständigkeit
zu vertreten.
Die Kerkyräer waren in der griechischen Welt wenig beliebt. Sie
waren in Folge ihres rasch erworbenen Glücks übermüthig und geld-
stolz; sie waren hart und ungastlich, wenn fremde Schiffe bei ihnen
Zuflucht suchten ; sie liefsen sich selbst wenig in fremden Häfen sehen.
Mit egoistischer Handelspolitik hüteten sie argwöhnisch das Seegebiet,
in dessen Mittelpunkte sie wohnten , kümmerten sich nicht um natio-
nale Interessen und hielten eine bewaffnete Neutralität für die vortbeil-
hafteste Stellung, um die Gunst ihrer Lage zwischen den griechischen,
illyrischen und sicilischen Küsten ausbeuten zu können. So wie nun
also Korinth mit der Absicht, seine See- und Colonialherrschaft zu
heben, deutlicher hervortrat, war eine Erneuerung der alten Fehde
unvermeidlich. Dazu kam, dass mehrere Küstenslädte einst von beiden
Staaten gemeinschaftlich gegründet worden waren und die gemischten
Bevölkerungen schon zu mancherlei Reibungen geführt hatten. So war
es namentlich über die Metropolitanrechte in Leukas zu einem Streite
gekommen, welchen Themistokles als erwählter Schiedsrichter zu
Gunsten Kerkyras geschlichtet hatte. Ernstere Verwickelungen konnten
nicht ausbleiben; sie kamen schneller, als man erwartete8).
Fünfzehn Meilen nördlich vom akrokeraunischen Vorgebirge, das
die Gränze des ionischen und adriatischen Meeres bildet, lag auf einer
vorspringenden Landzunge die Stadt Epidamnos (das spätere Dyr-
rhachium, jetzt Durazzo), von Kerkyra gegründet um die Zeit, als
Periander zur Herrschaft kam (I, 265). Sie war durch den illyrischen
Handel grofs und reich geworden, voll von Sklaven und gewerbtrei-
benden Fremden. Trotzdem hatten sich die Geschlechter im Regiment
erhalten und bildeten einen strenge abgeschlossenen Herrenstand, aus
dessen Mitte ein Staatsoberhaupt erwählt wurde, welches mit fast
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AUFSTAND IN EPIDAMNOS.
363
königlicher Gewalt die Verwaltung beherrschte. Dieser städtische Erb-
adel betrieb selbst den Land- und Seehandel, und zwar in Form einer
Handelsgesellschaft, welche mit einem gemeinsamen Capital und auf
gemeinschaftliche Rechnung arbeitete (I, 261). Der Großhandel war
also ein Monopol der Geschlechter, die Gewerbe wurden durch öffent-
liche Sklaven besorgt; die Bürger waren auf Ackerbau, Küstenschiff-
fahrt und Kleinhandel beschränkt, um auf diese Weise um so leichter
in politischer Abhängigkeit erhalten zu werden. Diese Verhältnisse
blieben lange Zeit unverändert und sind wohl nicht eher erschüttert
worden, als bis die äulsere Lage der Stadt durch Anfeindungen der
Illyrier gefährdet wurde und deshalb die ganze Gemeinde zu ange-
strengteren Diensten aufgeboten werden musste.
Die erste Neuerung war die Einsetzung eines grösseren Raths,
wodurch die ausschliesslichen Regierungsrechte des Herrenstandes auf-
gehoben wurden. Indessen konnten vereinzelte Zugestandnisse keinen
Frieden schaffen ; die Stadt litt unter einer unhaltbaren Mischung aristo-
kratischer und demokratischer Einrichtungen , und endlich brach ein
Aufstand aus, in Folge dessen die Adelsgeschlechter aus Epidamnos
vertrieben wurden. Sie schlössen sich den Illyriern an, um mit ihrer
Hülfe die Vaterstadt wieder zu erobern, und die neu eingerichtete
Börgergemeinde gerieth in grofse Bedrangniss. Sie suchte also auch
auswärtige Hülfe und wendete sich zunächst nach Kerkyra. Hier fand
sie aber die Stimmung sehr ungünstig. Denn Kerkyra selbst litt, wie
die meisten griechischen Staaten zu dieser Zeit, an Uebervölkerung und
politischer Gährung; die regierenden Familien, welche eifrig bestrebt
waren, den wachsenden Ansprüchen der Gemeinde entgegenzutreten,
missbilligten die Revolution in Epidamnos und die Gesandten gingen
auf Gebeifs des delphischen Gottes nach Korinlh4).
Hier war man sofort entschlossen, die Gelegenheit zu ergreifen;
denn die Verhältnisse konnten nicht günstiger liegen, um die Hegemonie
Korinths im ionischen Meere wieder aufzurichten. Unter Autorität von
Delphi konnte man eine hellenische Bürgergemeinde, die von ihrer
Mutterstadt verlassen war, gegen die Barbaren und die mit ihnen ver-
bündeten Parteigänger in Schutz nehmen; zugleich hoffte man in
Epidamnos einen festen Punkt von gröfster Wichtigkeit zu gewinnen,
und sagte darum auch nur unter der Bedingung Hülfe zu, dass korin-
thische Ansiedler und korinthische Besatzung bei den Epidamniern
Aufnahme fanden. Dann schickte man sofort auf dem Landwege ein
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364
FEHDE DER KERKYRÄER UND KORINTH Efl.
Heer über Apollonia nach Epidamnos, um die Burgergemeinde zu
starken und der bedrängten Stadt aufzuhelfen.
Dieser Schritt war die Losung zum Kriege; denn die Kerkyräer
waren nicht gesonnen, ihre Pflanzstadt in feindliche Hände übergehen
zu lassen. Sie legten sich mit 40 Schiffen vor Epidamnos und drohten
mit allen Gewaltmitteln, wenn die neuen Ansiedler nicht unverzüg-
lich entlassen würden. Aber die Stadt verliefs sich auf Korinth, wel-
ches 30 Kriegsschiffe bemannte und gleichzeitig einen Aufruf erliefs,
sich an einer gröfseren Niederlassung in Epidamnos in Person oder mit
Geld zu betheiligen; es bot alle seine Bundesgenossen auf und ver-
schaffte sich Geldvorschüsse von Theben und Phlius, so dass die
Kerkyräer, von dieser Thatkraft überrascht, ernstliche Ausgleichungs-
versuche machten. Denn sie waren ihrerseits durchaus abgeneigt,
fremde Verbindungen zu suchen, und gingen so weit, Delphi die Ent^
Scheidung des Streits anheimgeben zu wollen. Im Weigerungsfalle
gaben sie den Korinthern zu verstehen, dass sie Schritte thun würden,
mit denen beiden Staaten nicht gedient sein könne.
Korinth war aber nicht mehr einzuschüchtern noch aufzuhalten.
Es erklärte den Krieg und liefe eine Flotte von 75 Schiffen an der Küste
hinauf nach Epidamnos fahren. Die Mündung des ambrakischen Meers
betrachteten die Kerkyräer als die Gränze ihres Territoriums; hier
forderten sie also noch einmal Rückkehr der Flotte, gingen dann, als
ihre Vorstellungen erfolglos blieben, sofort mit allen Schiffen, die sie zu
Hause hatten, in See und besiegten die Korinther vollständig. An dem-
selben Tage ergab sich Epidamnos, und nun beherrschten die Kerky-
räer das ganze ionische Meer, so dass bis Eh's hinunter die Küsten der
feindlichen Bundesgenossen geplündert wurden. Das geschah Ol. S6,
2 (Herbst 435 oder Frühjahr 434).
So war aus dem Bürgerzwiste in den Ringmauern eines illyrischen
Küstenorts ein hellenischer Krieg entbrannt, welcher nicht mehr auf
ein bestimmtes Gebiet begränzt werden konnte. Denn keiner der
kriegführenden Staaten war gesonnen nachzugeben, und keiner von
ihnen konnte darauf rechnen, mit seinen Mitteln als Sieger aus dem
Kriege hervorzugehen. Zwei ganze Jahre gingen hin mit Werbungen,
Rüstungen und auswärtigen Verhandlungen: denn die Kerkyräer säum-
ten nicht ihre Drohung wahr zu machen, und auch die Korinther
mussten nun zu ihren ärgsten Feinden Gesandte schicken , um eine
Vereinigung derselben mit Kerkyra zu verhindern. So gelangte die
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GESANDTSCHAFTEN IN ATHEN
365
Sache der beiden kriegführenden Parteien vor die Bürgerschaft von
Athen.
Die Gesandten Kerkyras sprachen sehr offen. Sie wären ihren
Grundsätzen zu Folge am liebsten allen Verbindungen fern geblieben,
and nur die Noth habe sie in die attische Burgerversammlung geführt.
Wie aber die Dinge jetzt lägen , so lasse sich für Athen gar keine gün-
stigere Lage denken. Den Athenern nämlich müsse es ohne Zweifel
am liebsten sein , wenn keine Flotte aufser der attischen vorhanden
wäre. Nun sei aber die zweite Seemacht von Hellas bereit, sich frei-
willig anzuschliefsen , also die größte Machterweiterung sei ohne
jegliche Gefahr zu erreichen. Eine Stärkung der Macht müsse aber
jetzt doppelt willkommen sein; denn alle Welt wisse, dass der allge-
meine Krieg schon so gut wie ausgebrochen sei. Frage man aber
nach dem Rechte, so könne von einer Verletzung desselben keine Rede
sein, wenn Athen die Kerkyräer unterstützte. Denn ihr Pietatsverbält-
niss zu der Mutterstadt sei durch blutige Fehden längst aufgelöst;
auch das heiligste Anrecht werde durch Missbrauch verwirkt Kerkyra
sei vollkommen frei und könne sich anschließen, wem es wolle.
Während so die Kerkyräer ihrer eigenen Politik gemäfs den
Gesichtspunkt des Vortheils unumwunden in den Vordergrund stellten,
verweilten die Korinther um so lieber bei dem des Colonialrechts. Die
treue Gesinnung ihrer übrigen Golonien bezeuge, dass es nicht die
Schuld der Mutterstadt sei, wenn das Verhältniss zu Kerkyra von jeher
ein schlechtes gewesen sei. Der unfriedliche Geist der Kerkyräer sei
aller Welt bekannt, und ihre in letzter Stunde gemachten Vermitt-
lungsvorschläge seien nicht annehmbar gewesen, da sie inzwischen im
Besitze aller Vortheile geblieben wären. Diese Erwägungen hatten
für Athen wenig Bedeutung; auch die Ansprüche auf Dankbarkeit von
Seiten Korinths konnten keinen Eindruck machen. Wichtiger war die
Berufung auf die bestehenden Verträge. Die Gesandten wiesen darauf
hin , dass Korinth als Mitglied der peloponnesischen Eidgenossenschaft
auch mit Athen im Bundes verhältniss stehe; die höchste Spannung
der Bundesverhältnisse sei freilich vorhanden, aber noch könne das
Schlimmste vermieden und unabsebliches Leid von Hellas abgewendet
werden. Auch möge man bedenken, dass auf die Dauer nützlich nur
das Gerechte sei.
So warben die beiden Seemächte zweiten Ranges um die Gunst
der ersten ; die eine verlangte Bündniss, die andere nur Neutralität Bei
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366
ATHENS BUND MIT KEHKYRA.
einer nur auf den Vorlheil bedachten Politik konnte die Wahl nicht
zweifelhaft sein. Wenn dennoch die Entscheidung schwankte, ja die
erste Volksversammlung den Korinthern gunstig war, so erkennt man
daraus, wie sehr man in Athen Bedenken trug, den entscheidenden
Schritt zu thun , mit dem die Verträge zerrissen waren und der Frie-
denszustand zu Ende ging. Gewiss hätte man am liebsten Korinth und
Kerkyra ihre Sache unter sich ausfechten lassen , wenn man darauf
hätte rechnen können, dass beide Theile dabei ihre Kräfte und Geld-
mittel erschöpfen würden. Korinth schien aber durch seine Verbindun-
gen und seine Rüstungen augenblicklich im Vortheile zu sein, und der
Gedanke war den Athenern unerträglich , dass möglicher Weise durch
Vernichtung der Selbständigkeit Kerkyras eine peloponnesische See-
macht erwachsen könnte, welche im Stande wäre, ihnen die Spitze zu
bieten und ihre Machterweiterung nach Westen zu hemmen. Diese
Erwägung war entscheidend, und in der zweiten Versammlung beschloss
die Bürgerschaft, zwar nicht die Kerkyräer, wie von diesen beantragt
war, förmlich in die attische Bundesgenossenschaft aufzunehmen und
mit ihnen gemeinschaftliche Sache gegen Korinth zu machen; aber
es wurde doch ein Bündniss zu gegenseitigem Schutze mit ihnen
geschlossen, so dass beide Staaten sich verpflichteten, jeden Angriff,
welcher auf sie oder ihre Bundesgenossen erfolgen sollte, mit ver-
einigter Macht abzuwehren. So glaubte man sich in dem aus-
gebrochenen Kriege möglichst vortheilhaft gestellt zu haben, ohne sich
eines Friedensbruchs schuldig zu machen. Denn wie vorsichtig man
in dieser Beziehung zu Werke ging, erhellt auch daraus, dass man nach
Abreise der Gesandten nur zehn Schiffe in das ionische Meer schickte;
auch war es wohl nicht ohne Absicht, dass man an die Spitze dieses
Geschwaders Lakedaimonios, den Sohn Kimons (S. 145), stellte, von
dem man erwarten konnte, dass er zu vorschnellen Schritten gegen die
Peloponnesier am wenigsten geneigt sein werde*).
Indessen war ein Bündniss geschlossen, durch welches die
griechischen Staatenverhältnisse wesentlich verändert wurden, und
die Korinther rüsteten nun um so eifriger, um der vergröfserten
Gefahr gewachsen zu sein. Sie hatten endlich eine stattliche Kriegs-
flotte von 150 Trieren beisammen, mit der sie im Frühjahre 432
(Ol. 86, 4) siegesmuthig ausliefen, um den Feind in seinem Meere
aufzusuchen.
Diesmal fuhren sie, ohne Widerstand zu finden, vor der Mündung
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SEESCHLACHT HEI SYBOTA (86, 4; 432).
367
des ambrakischen Meerbusens vorüber, an der Küste von Epeiros
entlang, und schlugen vor dem Eingange des Sundes von Kerkyra
bei dem Vorgebirge Cheimerion, wo die Landbevölkerung ihnen Zuzug
und mancherlei Vorschub leistete, ein Lager auf, in dessen Schutze
die Schiffe lagen. Die Kerkyräer hielten mit 110 Trieren bei den
Felsinseln Sybota, welche dem südlichen Ende ihrer Insel gegenüber
vor der Küste des Festlandes gelegen sind. In diesem Sunde kam
es zur Schlacht, der gröfsten Schlacht, welche bis dahin zwischen
griechischen Schiffen geliefert worden war. Die Korinther hatten
die kleineren Contingente ihrer Bundesgenossen in's Mitteltreffen, die
Megareer und Ambrakioten auf den rechten Flügel gestellt; sie selbst
bildeten mit ihren 90 wohlgeübten Trieren den linken, wo ihnen
die Kerkyräer selbst und aufser diesen die attischen Schiffe gegen-
über standen, welche strengen Befehl hatten, sich beobachtend zu
verhalten und nur eine unmittelbare Gefahrdung der Insel kräftig
abzuwenden. In dieser Absicht blieben sie den Kerkyräern zur Seite,
als Zuschauer des Kampfes, der ihnen ein unerwartetes Schauspiel
darbot. Denn die Westgriechen hatten noch ganz die alte, kunst-
lose Art des Seegefechts und verstanden nichts von den schnellen
Bewegungen der Trieren, wodurch es möglich war, ohne Blutver-
giefsen die feindlichen Schiffe zu entwaffnen und lahm zu legen.
Schiff drängte sich an Schiff; von Verdeck zu Verdeck fochten, wie
in einer Landschlacht, die Hopliten, Bogenschützen und Wurfspiefs-
träger gegen einander, und die Schiffe konnten im wüsten Gedränge
gar nicht wieder von einander los kommen.
Endlich wurde der rechte Flügel der Korinther in Masse zum
Weichen gebracht und nun von den Kerkyräern unbesonnener Weise
bis Cheimerion verfolgt, so dass die siegreichen Schiffe, deren Mann-
schaften nur die Plünderung des Lagers im Auge hatten, sich ganz
vom Schlachtfelde entfernten. Hier aber wurden sie um so mehr
vermisst, weil der linke Flügel der Korinther inzwischen entschei-
dende Vortheile gewonnen hatte und diese so energisch verfolgte,
dass es den attischen Schiffen unmöglich wurde, unparteiisch zu
bleiben. Sie wurden handgemein mit den Korinthern und zogen sich
dann mit den Kerkyräern vor der Ue hermacht an die Küste der
Insel zurück. Die Koriniher, welche sich vollkommen siegreich
wähnten, kreuzten im Sunde, suchten in blinder Wuth so viel wie
möglich an Schiflsvolk zu tödten, wobei sie sich im Getümmel auch
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308
SEESCHLACHT HEI SYBOTA {%&, 4; 432).
an eigenen Schiffen vergriffen, und fuhren dann an die Küste des
Festlandes zurück, wohin das Landheer der Epiroten nachgerückt
war, die schon auf den Fall der stolzen Kerkyra lauerten. Dann
gingen die Korinther, nachdem sie ihre Todten und ihre Schiffstrümmer
in Sicherheit gebracht hatten, von Neuem vor, entschlossen wo
möglich noch vor des Tages Ende die volle Entscheidung herbei-
zuführen. Zum zweiten Male fuhren die Flotten mit allen noch
kampffähigen Schiffen gegen einander; das Schlachtgeschrei ertönte
wiederum auf beiden Seiten — da wichen plötzlich die Korinther
zurück und gaben den Kampf auf. Der Grund war, dass in diesem
Augenblick ein Geschwader sichtbar wurde, in welchem sie attische
Trieren erkannten. Man hatte nämlich bei der Nachricht vom Aus-
zuge der Korinther 20 Schiffe unter Glaukon und Drakontides nach-
geschickt, da man die Unzulänglichkeit der ersten Sendung schon
dem Perikles zum Vorwurfe gemacht hatte. Ihr Anblick genügte,
um den Korinthern allen Muth zu nehmen. Im Augenblick der
höchsten Gefahr war die Flotte der Kerkyräer gerettet, und am
nächsten Morgen zogen diese mit nunmehr dreifsig attischen Trieren
gegen Sybota vor, um eine neue Schlacht anzubieten. Die Korinther
aber wichen jedem Kampfe aus und zogen, da die Athener sich ent-
schieden weigerten einen Angriff auf sie zu machen, unangefochten
nach Hause. Die blutige Schlacht war also an sich ohne alle Ent-
scheidung, und beide Parteien glaubten sich berechtigt, Siegeszeichen
aufzurichten; aber dennoch hat dieser Kampf die weitgreifendsten
Folgen gehabt. Denn im Sunde von Kerkyra haben attische und
peloponnesische Schiffe zuerst mit einander gekämpft; thatsächlich
ist der Friede gebrochen und die Wuth der Leidenschaften entfesselt.
Die Korinther konnten es den Athenern nie vergessen, dass sie ihnen
den schwer errungenen Sieg aus den Händen entwunden haben, und
einem offenen Feinde gegenüber müssen nun auch die Athener ent-
schlossener und rücksichtsloser auftreten9).
Nun erfolgten neue Verwickelungen an der entgegengesetzten Seite
des hellenischen Festlandes, in Thrakien, wo der Küste Makedoniens und
Thessaliens gegenüber die lange Halbinsel Pallene in's Meer ausläuft
Auf der schmalen Landenge, welche Pallene mit dem thrakischen
Continente verbindet, lag Potidaia, von zwei Meeren bespült, wie seine
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ABFALL VON PÜTIHAlA (87,1; 432).
369
Mutterstadt Korinlh; eine tapfere Börgergemeinde, welche gleich nach
der salaminischen Schlacht von den Persern abgefallen war, die Be-
lagerung von Ärtabazos mit Hülfe der Meerfluth standhaft abgewehrt
und dann mit den Korinthern bei Plataiai gekämpft hatte. Sie war in
die attische Bundesgenossenschaft eingetreten, aber ohne ihr Verhältniss
zu Korinth aufzulösen ; denn sie erhielt jährlich von dort einen Ober-
beamten (Epidemiurgos) , welcher Ehren halber an der Spitze der
Gemeinde stand.
Nach dem Tage von Sybota war eine solche Doppelstellung nicht
mehr aufrecht zu erhalten, um so weniger, da der makedonische König
Perdikkas den Athenern feindlich war und Korinth anreizte den attischen
Interessen entgegenzuarbeiten. An der empfindlichsten Stelle des atti-
schen Machtgebiets drohte Potidaia ein Mittelpunkt feindlicher Bestre-
bungen zu werden; also durfte man nicht zaudern. Die Flotte, welche
gegen Perdikkas die Kästen des thrakischen Meeres zu sichern hatte,
erhielt sofort den Auftrag, von den Potidäaten Niederreifsung ihrer
Ringmauern, Rücksendung der korinthischen Beamten und Stellung
von Geiseln zu verlangen. Die erschrockenen Potidäaten schickten ihre
Boten gleichzeitig nach Athen und nach dem Peloponnes; dort fanden
sie kein Gehör, hier wurde ihnen sichere Aussicht auf Unterstützung
gewährt. Die Folge war ein offener Abfall, zu dem sie sich um so muthi-
ger entschlossen, da die umliegenden Seestädte der Chalkidike (I, 418)
und die Bottiäer am thermäischen Meerbusen (Mb. von Thessalonich)
zum Anschlüsse bereit waren.
Perdikkas schürte das Feuer und veranlasste die Chalkidier ihre
kleinen Küstenorte, welche einzeln gegen Athen nicht gehalten werden
konnten, zu verlassen, um weiter hinauf im Binnenlande bei Olynthos,
anderthalb Meilen oberhalb Potidaia, eine Gesamtstadt zu gründen.
Korinth entwickelte seinerseits die eifrigste Thätigkeit, und schon am
vierzigsten Tage nach Abfall von Potidaia traf Aristeus, Adeimantos'
Sohn, ein, um die Verteidigung der Stadt zu übernehmen, die ihm
durch persönliche Beziehungen besonders am Herzen lag. Eine Menge
Freiwilliger hatte sich angeschlossen, so dass er ein Heer von 2000
Mann bei sich hatte. Inzwischen waren auch die Athener nicht säumig.
Sie hatten auf die Nachricht vom Abfalle vierzig Schiffe unter dem
Feldherrn Kahlas mit 2000 Schwerbewaffneten in die thrakischen Ge-
wässer nachgeschickt. Die Geschwader vereinigten sich in Makedonien.
Für ein doppeltes Kriegstheater waren aber die Streitkräfte nicht aus-
Cnrtio», Gr. Gcach. II. 6. Aufl. 24
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370 KRIEG IN DER CHALK1MKE (87, 1; 4S2).
reichend; als daher Aristeus' Ankunft bekannt wurde, konnten die
Athener nicht anders als sich mit Perdikkas verstandigen und Makedo-
nien räumen, um gegen Potidaia freie Hand zu haben. Die Jahreszeit
trieb zur Eile, und nachdem sie einen vergeblichen Versuch gemacht
hatten, Strepsa, einen wichtigen Knotenpunkt der makedonisch-thra-
kischen Slrafsen, durch einen Handstreich zu nehmen, zogen die
Truppen neben der Flotte her auf dem Küstenwege gegen Potidaia.
Perdikkas hatte den Vertrag, durch welchen er sich die Athener
aus dem Lande geschafft, auf der Stelle wieder gebrochen, und um sich
dem chalkidischen Kriege, dem er für die Entwickelung der thrakischen
Verhältnisse eine entscheidende Bedeutung beimafs, ganz hingeben zu
können, hatte er seinen Vertrauten, Iolaos, als Regenten in Makedonien
eingesetzt und führte selbst die Reiterei der aufständischen Städte. Das
Fufsvolk befehligte Aristeus. So standen die Truppen zum Schutze von
Potidaia vor der Stadt auf der Landenge, die Athener erwartend, um
ihnen den schmalen Zugang zur pallenischen Halbinsel zu wehren.
Die Athener standen zwischen zwei Feinden; denn sie hatten
Olyuthos im Rücken, als einen zweiten Waffenplatz, der durch Signale
mit Potidaia in Verbindung stand. Dennoch griffen sie an, denn die
Gefahr wuchs mit jeder Stunde. Der Kampf war ungleich. Die Ko-
rinther fochten vorzüglich; sie trieben ihre Gegner bis hart unter die
Mauern von Olyntbos. Auf dem anderen Flügel aber waren die Athener
vollständig siegreich; die ihnen gegenüberstehenden Potidäaten und
Peloponnesier flohen nach den Thoren von Potidaia, und so kam es»
dass Aristeus sich, als er von der Verfolgung umkehrte, von beiden
Städten abgeschnitten sah. Er war rasch entschlossen, sich nach Poti-
daia durchzuschlagen, und es gelang ihm wirklich in heldenmüthigem
Kampfe auf dem schmalen Meerdamme, durch die überschlagenden
Wellen und durch die Geschosse der Feinde hindurch das Stadtthor
glücklich zu erreichen. Die Olynthier waren bei der raschen Entschei-
dung des Kampfes gar nicht dazu gekommen, Antheil an demselben zu
nehmen. Dennoch hatten die Athener 150 Mann verloren, darunter
ihren Feldherrn Kallias; aber unverzüglich warfen sie einen Wall auf,
um Potidaia gegen den Isthmos und Olynth abzusperren, und als neuer
Zuzug unter Phormion ankam, zogen sie einen zweiten Querwall gegen
Pallene, so dass nun, da die Flotte in zwei Abtheilungen beide Meer-
seilen hütete, die Einschliefsung vollständig war. Hülfe war nur noch
von aufsen zu hoffen. Aristeus schlüpfte also durch die Wachtschiffe
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KOTUNTH LND SPAKTA.
hinaus, um durch Streifzüge den Athenern Abbruch zu thun und die
Peloponnesier durch Botschaften in Bewegung zu setzen, während Phor-
mion mit dem bei der Belagerung entbehrlichen Theil des Heers die
kleineren chalkidischen und bottiäischen Plätze, welche abgefallen
waren, wieder zu gewinnen suchte7).
So war schon der zweite Krieg ausgebrochen, in dem Pelopon-
nesier und Athener zu Land und Wasser in blutigen Kämpfen zu-
sammen gestofsen waren. Aber noch immer that man, als wenn Frieden
in Griechenland herrsche und als ob die attisch-korinthische Fehde
eine Sonderangelegenheit der beiden Staaten sei, bei welcher die Ver-
träge fortbestehen könnten; darum hatten die Korinther keine wichti-
gere Aufgabe, als diesem Scheinfrieden ein Ende zu machen. Sie
hatten in zwei Meeren für ihr mutierstädtisches Recht heldenmüthig
gestritten; jedesmal war der Erfolg ihnen wieder entrissen worden,
weil die vereinzelten Contingente der Bundesgenossen nicht Stand
gehalten hatten. Sie bedurften also der schlagfertigen Macht Athens
gegenüber eines kräftigeren Rückhalts; der peloponnesische Bund
musste aus seiner trägen Ruhe herausgerissen und in die Waffen ge-
rufen werden; die korinthische Sache musste Bundessache werden;
nur ein allgemeiner Krieg konnte Korinth retten.
Also wurde der Winter benutzt, Sparta zu bearbeiten, wo in Folge
der letzten Ereignisse grofse Aufregung herrschte, und das Erste, was
Sparta that, die erste Malsregel, mit der es sich aus seiner Schlaffheit
ermannte und wieder als Hüter des nationalen Rechts und als Schieds-
richter in allgemein hellenischen Angelegenheilen auftrat, zugleich aber
auch sein erster feindlicher Akt gegen Athen war ein öffentlicher Erlass,
in welchem es Alle, die wider Athen zu klagen hätten, aufforderte, ihre
Beschwerden vorzubringen; man wolle darüber beschliefsen und die
Beschlüsse den Verbündeten zur Annahme vorlegen. Die Verhandlung
vor der spartanischen Bürgerschaft erfolgte im November oder De-
cember, unmittelbar nach der Einscbliefsung von Potidaia.
Die Hauptbeschwerdet'ührer waren die Aegineten und dieMegareer.
Jene klagten in heimlichen Botschaften darüber, dass die Athener
ihnen die in den Verträgen versprochene Selbständigkeit vorenthielten ;
die Megareer, dass die Athener gegen sie eine Handelssperre verhängt
hätten, welche sie von allen Häfen und Märkten des attischen Herr-
24*
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372
VERHANDLUNGEN IN SPARTA.
schaftsgebietes ausschlösse und den Wohlstand ihres Landes voll-
ständig zu Grunde richtete. Diese Mafsregel ist wahrscheinlich im
Sommer 432 gleich nach der Schlacht bei Sybota von den Athenern
ausgegangen, und zwar auf persönliche Veranlassung des Perikles,
welcher nach der offenen Parteinahme Megaras für Korinth eine
Demüthigung und Züchtigung des kleinen Staats für angemessen
hielt, Man wollte nicht, dass die, welche gegen Athen gefochten,
ohne von ihm gereizt zu sein, Tag für Tag auf dem Stadtmarkte
von Athen verkehren und verdienen sollten: man hoffte wohl auch,
auf diese Weise den Sturz der Partei herbeiführen zu können, welche
jetzt die Politik von Megara leitete und den attischen Interessen im
höchsten Grade hinderlich war. Endlich schien es eine Pflicht der
Vorsicht zu sein, allen feindlichen Umtrieben und verräterischen
Verbindungen hier bei Zeiten vorzubeugen. Von einer bestimmten
Rechtsverletzung konnte aber in beiden Fällen keine Rede sein; denn
die in älteren Vertragsurkunden vorkommenden Ausdrücke über Selb-
ständigkeit der hellenischen Staaten und über gegenseitige Freiheit
des Verkehrs waren viel zu allgemeiner Art, als dass den Athenern
ein Vertragsbruch nachgewiesen werden konnte8).
Darum legten auch die Korinther, die überall das Feuer schürten
und sich an dem Tage, da die Beschwerden in der Bürgerschaft ver-
handelt wurden, die letzte Rede vorbehalten hatten, auf die einzelnen
Punkte wenig Werth und gingen nur darauf aus, die Lage von Hellas
im Ganzen so darzustellen, dass Ehre und Pflicht von Sparta ein ent-
schlossenes Vorgehen verlange. Nicht ohne Ironie rühmten sie das
wackere Wesen und den braven Sinn der Spartaner, die ruhig ihren
Weg gingen und keine Vorstellung davon hätten, wie es draufsen in
der Welt aussähe. Und doch liege für Jeden, der sehen wolle, offen
am Tage, wie Athen unablässig um sich greife und eine immer
drohendere Stellung gegen den Peloponnes einnehme; es sei also
lächerlich, da noch in einzelnen Punkten erörtern zu wollen, ob die
Athener den Peloponnesiern Schaden zufügten oder nicht. Ueber den
Charakter der Athener müsse man doch endlich im Klaren sein. Sie
hätten immer etwas Neues vor und gingen bei der Ausführung jedes-
mal über die ursprünglichen Absichten hinaus. Während die Spar-
taner nicht aus ihrer Stadt herauszubringen wären, seien die Athener
nirgends lieber als auf fremdem Boden. Absicht und That, Hoffnung
und Besitz sei für sie so gut wie Eins; unthätige Ruhe aber hassten
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KORI.NTH DBAXJT ZUM KRIEG.
37 3
sie mehr als alle Mühseligkeiten und wüssten sich immer neue Hülfs-
mittel des Kriegs und Siegs anzueignen , während in Sparta Alles ver-
altet sei. Sie seien der Art, dass sie weder selbst Ruhe halten noch
Andere in Ruhe lassen könnten, und wenn es so fortgehe, gerathe
unzweifelhaft ganz Hellas unter ihre Herrschaft. Bei dem Allen
sehe man die Spartaner, die berufenen Hüter der Freiheit von
Hellas, in vornehmer Ruhe bleiben; aber diese Ruhe sei im Grunde
nichts als Abstumpfung und Trägheit. 'Verharrt ihr Spartaner',
schlössen sie, in eurer Zauderpolitik, so löst ihr den Bund auf,
dessen Glieder ihr nicht schützt, und zwingt uns, anderweitige Ver-
bindungen zu suchen.'
Die Rede der Korinther war ein unumwundenes Tadelsvotum
gegen die spartanische Bundesleitung in Anwesenheit der Bundesge-
nossen. So konnten nur die reden , welche dem Bunde unentbehrlich
waren und deren geistige Ueberlegenheit im Versländniss der poli-
tischen Verhältnisse nicht verkannt werden konnte. Auch hatten sie
längst ihren Anhang unter den Beamten. Es konnte daher auf die
Entscheidung keinen grofsen Einfluss haben, dass Gesandte von Athen,
welche gerade in Sparta anwesend waren , um Gehör bei der Bürger-
schaft baten ; es waren Männer, welche in die Grundsätze perikleischer
Politik vollständig eingeweiht waren und es jetzt für ihre Pflicht
hielten, ein freimüthiges und ernstes Wort zu reden.
'Macht, die dem Unwürdigen zu Theil wird, sagten sie, mag mit
'Recht Erbitterung und Neid hervorrufen. Wir aber haben unsere
'Stellung durch vorkämpfende Tapferkeit in den Perserkriegen uns
'redlich verdient, und die Hegemonie zur See haben wir übernommen,
'weil Sparta freiwillig zurücktrat. Sie festzuhalten, verlangt Ehre
'und Sicherheit. Ein solches Festhalten ist aber nicht thunlich ohne
'Anwendung von Mitteln, welche den kleinen Staaten nicht immer
'gefallen. Wer aber kann verlangen, dass wir die einzelnen Staaten,
'wenn sie in übler Stimmung sind, aus purer Gutmüthigkeit wieder
'entlassen, nachdem wir unsere ganze Stadt darauf eingerichtet haben,
'an der Spitze einer solchen Verbindung zu stehen? Das hiefse, uns
'selbst aufgeben. Unter den Persern klagten die Städte nicht, da
'sie voller Willkür preisgegeben waren ; über die Athener klagen sie,
'weil sie ihnen gegenüber Ansprüche auf Gleichheit machen. Unsere
'Mäfsigkeit erkennen sie nicht an und beschweren sich nur über Ein-
'bufse an freier Selbstbestimmung, die bei jeder Hegemonie unver-
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374
KRIEGSBESCHLISS IN SPARTA (87, 1; «2).
'meidlich ist, und Euch würde ganz dasselbe Loos treffen, wenn Ihr
'die Seeherrschaft festgehalten hättet. Dies Alles sagen wir nicht,
'um uns hier zu verantworten , denn Ihr seid unsere Richter nicht,
'sondern nur um den Unkundigen Aufklärung zu geben und um
'Euch zu warnen, ehe Ihr durch Bruch der Verträge uns zwingt,
(um unsere Existenz gegen Euch zu kämpfen.'
Nun traten alle Fremden ab; die Bürgerschaft blieb mit ihren
Beamten allein. Wenn jetzt der beantragte Beschluss abgelehnt wurde,
so war die ganze Sache abgethan und kam gar nicht vor die Bundes-
genossen. Die Gemüther waren aber so erhitzt und die Ephoren so
sehr im Interesse Korinths, dass eine eigentliche Friedenspartei sich
gar nicht geltend machen konnte. Auch die, welche Frieden wollten,
warnten nur vor übereilten Beschlüssen, verlangten vorläufige Unter-
handlung und wiesen auf die Unzulänglichkeit der Rüstungen hin. Ihr
Sprecher war der alte König Archidamos (S. 142). Als Gastfreund des
Perikles musste er besonders vorsichtig sein; doch vertrat er frei-
müthig und durch die herrschende Stimmung unbeirrt die spartanische
Politik und forderte dringend auf, sich wohl zu besinnen , ehe man
vorzeitig einen Krieg beginne, dessen Ende nicht abzusehen sei.
Die ernsten Königsworte blieben nicht ohne Wirkung. Aber um
so hastiger sprang nun der Ephore Slhenelafdas auf; in stürmischer
Rede schalt er jeden Aufschub des gerechten Kriegs als unverantwort-
liche Saumseligkeit und ergriff dann die ungewöhnliche Marsregel,
dass er bei der Abstimmung, die sonst nur durch Zuruf erfolgte, die
Bürgerschaft in zwei Haufen auseinander treten liefs, um sie zu einer
entschlosseneren Kundgebung zu zwingen. Dadurch wurden manche
der Besonneneren eingeschüchtert, und eine ansehnliche Mehrzahl
erklärte sich dafür, die Verträge seien von Seiten der Athener
gebrochen 9).
So kam in Sparta der Beschluss zu Stande, der über das Schick-
sal Griechenlands entscheiden sollte, unter dem Einflüsse einer leiden-
schaftlichen Partei und einer aufgeregten Tagesstiromung. Seit dem
zweiten Perserkriege hatte Sparta so gut wie nichts gethan. Es hatte
keine Besitzungen oder Bundesgenossen gewonnen, keine neue Hilfs-
quelle eröffnet, keine Verbesserung seiner staatlichen Einrichtungen
getroffen , es war nur rückwärts gegangen ; denn es hatte durch Erd-
beben, Aufstände und Kriege an Volksmenge eingebüfst, und noch
mehr hatte es an nationalem Ansehen verloren durch die Politik,
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MOTIVE DER KRIEGSPARTEI. 375
welche es seit mehreren Menschenaltern befolgte. Wenn man an den
Zug des Anchimolios (I, 369), an die beiden Feldzöge des Kleomenes,
an die Schmach des Pausanias, an den Verlust der Hegemonie, an den
dritten messenischen Krieg, an die erfolglose Schlacht bei Tanagra,
an die schimpfliche Rückkehr des Pleistoanax, an die unterbliebene
Unterstützung der Thasier, der Aegineten, der Samier denkt, so
begreift man, dass der Rückblick auf eine solche Vergangenheit eine
leidenschaftliche Erbitterung bei allen denen hervorrufen musste,
welchen die Ehre des Staats am Herzen lag. Nun sollte auf einmal
Alles gut gemacht werden; nun wurde geltend gemacht, dass Sparta
niemals auf seine Vorrechte verzichtet, dass es sich grundsätzlich
nichts vergeben habe. Wie bei dem Uebergange der Hegemonie zur
See an Athen, so habe es auch in den späteren Traktaten immer nur
die gegenwärtigen Verhältnisse vorläufig anerkannt. Nun sollte nach
älterem Staatsrechte Sparta auf einmal wieder die alleinige Grofsmacht
in Hellas sein, die oberste Instanz in allen griechischen Angelegen-
heiten. Weil Sparta es langst verlernt hatte, eine vernünftige und feste
Politik zu verfolgen, zeigte es sich auch jetzt durchaus haltungslos und
ging, von Korinth aufgehetzt, aus einer furchtsamen, berechnenden
und den Schein des Rechts ängstlich hütenden Stellung urplötzlich in
eine bastige Kriegslust über, welche kein Mafs hielt, keine Vernunft
annahm, kein Recht achtete. Denn eine unverantwortliche Uebereilung
war es doch, dass man an eine Prüfung der Rechtsfragen, wie die
Verträge sie verlangten, gar nicht dachte. Ja, schon in der Frage-
stellung der Ephoren, 'ob Athen den Peloponnesiern Schaden zufüge
und die Verträge gebrochen habe', lag eine absichtliche Unklarheit.
Denn das Erstere konnte allerdings Niemand in Abrede stellen, wenn
man an Potidaia, Epidamnos, Kerkyra und Megara dachte, aber das
Zweite lieis sich nicht erweisen. Denn Niemand konnte aus den Ver-
trägen Athen das Recht streitig machen, seine abgefallenen Rundesorte
zu züchtigen, und eben so wenig war das Bündniss mit Kerkyra etwas
Vertragswidriges, da ja die Insel kein vom peloponnesischen Runde
abgefallener Staat war.
Während also die den Athenern vorgeworfenen Rechtsverletzun-
gen durchaus unerweislich waren, brach man in Sparta offenbar das
Recht, indem man sich erlaubte, einem hellenischen Staate, mit dem
man in beschworenen Verträgen stand, Vertragsbruch Schuld zu geben
und dies als Thatsache öffentlich hinzustellen, ohne zuvor eine Ver-
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376
MOTIVE DF.H K lUEGSI'ARTEI
ständigung darüber mit ihm versucht zu haben. Aber man wollte
keine Verständigung ; die Kriegspartei trieb vorwärts und drängte zu
Halsregeln, welche jedes Einlenken unmöglich machen sollten. Und
wenn man nach den Gründen forscht, welche jetzt gerade einen so
unerhörten Kriegseifer hervorriefen, so war die Verbindung zwischen
Athen und Kerkyra gewiss die Hauptursache. Denn dies war ein
Ereigniss, welches denen keine Ruhe liefe, die Athen hassten, die
Sparta als das einzig rechtmäfsige Haupt von Hellas betrachteten und
die ganze Entfaltung der attischen Macht nur wie eine ordnungswidrige
Unterbrechung der griechischen Staatenordnung ansahen. Wenn
Athen und Kerkyra die korinthische Seemacht vernichteten, so war
für die peloponnesischen Küsten kein Schutz mehr vorhanden und
gar keine Aussicht, das übermüthige Athen jemals zu demüthigen.
Kerkyra war aber zugleich die Schwelle des sicilischen Meers, und
je mehr sich nach dieser Seite der Einfluss Athens ausdehnte, in
demselben Mafee wurden die Verbindungen mit den dorischen Golonien
jenseits des Meers gefährdet und der Peloponnes durch die an-
wachsende Macht Athens allmählich von allen Seiten umstellt Diese
Besorgnisse waren die eigentliche Triebfeder der Kriegspartei, und
sie hatte in der Hauptsache gewonnen, als die spartanische Bürger-
schaft sich durch ihren Bescbluss gebunden hatte und nun die
Bundesgenossen auf einen nahen Termin einberufen wurden , um auf
allgemeiner Tagsatzung einen Gesamtbeschluss wegen des Kriegs zu
fassen.
Die korinthischen Gesandten waren inzwischen von Stadt zu
Stadt gereist, um die peloponnesischen Bürgergemeinden einzeln zu
bearbeiten, und die Rede, welche sie in der Versammlung der Ab-
geordneten hielten, zeigt deutlich genug, dass sie noch immer mit
einer sehr starken Abneigung gegen den Krieg zu kämpfen hatten,
namentlich bei den Binnenländischen, die nicht einsehen wollten,
warum sie für überseeische Golonien in das Feld rücken sollten. Die
Koriniher suchten ihnen also zu beweisen, dass Athens zunehmende
Macht auch ihre Interessen gefährde, indem der Wohlstand der Gebirgs-
bewohner auf dem Austausche zwischen Oberland und Küste beruhe,
und dieser vortheilhafte Tauschverkehr werde gestört werden, wenn
die Athener im peloponnesischen Meere Gewalt gewännen.
So sprachen die Korinther im Interesse ihrer Stadt als des
ersten Handelsplatzes und Ausfuhrorts der Halbinsel. In vollem
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PELOPONNESISCHER KRlEGSBESCHLL'SS (87, 1; 432).
377
Widerspruche mit der Politik des Perikles schilderten sie Athen als
unersättlich in Eroberungen; es gäbe also keinen gerechteren und
keinen noth wendigeren Krieg, als wenn man die Einen der Hellenen
aus der Knechtschaft befreie, die Anderen vor Knechtschaft bewahre.
Zugleich suchten sie die Besorgnisse wegen eines unglücklichen Aus-
ganges zu beseitigen , indem sie auf die unsicheren Grundlagen der
attischen Macht hinwiesen, die auf Geld beruhe und deshalb auch
durch Geld gestürzt werden könne. Geldmittel könne man sich aber
durch Anleihe aus den Tempelschätzen von Delphi und Olympia ver-
schaffen und durch höhere Löhnung den Athenern ihre Matrosen ab-
wendig machen ; Abfall der Bundesgenossen werde die altische Macht
vollends erschüttern, während die ihrige nicht auf Miethlingen, sondern
auf dem freien Willen einheimischer Krieger beruhe; es komme also
nur auf Opferbereitschaft und einmüthiges Handeln an , um in dem
unvermeidlichen Kampfe des herrlichsten Sieges gewiss zu sein.
Inzwischen hatten die Spartaner auch vom delphischen Orakel
eine entschiedene Erklärung zu Gunsten der peloponnesischen Sache
erlangt; ein Erfolg, der in Beziehung auf die öffentliche Meinung nicht
bedeutungslos war, und so kam es dazu, dass durch die Verbindung
Spartas und Korinths auf der peloponnesischen Tagsalzung die Mehr-
heit der Stimmen für den Krieg gewonnen wurde. Dieser Abstim-
mung folgte unmittelbar der Beschluss, eine allgemeine Rüstung vor-
zunehmen und so wie die Abgeordneten in ihre Gaue heimkehrten,
war es im ganzen Peloponnes mit der Ruhe vorbei. Die Städte,
grofs und klein, wurden zu Waffenplätzen; die Hirten und Bauern
wurden einberufen und eingeübt. Die Korinther thaten das Mögliche,
um die Rüstungen zu fördern, denn sie waren in steigender Angst
um Potidaia10).
Nachdem der spartanische Antrag auf Kriegsbereitschaft zum
Bundesbeschlusse erhoben worden war, begann Sparta als Vorort des
Bundes die Verhandlungen mit Athen. Dass denselben keine ernst-
liche Friedensabsicht zu Grunde lag, geht schon daraus hervor, dass
sie begonnen wurden, als der Krieg beschlossen war; die Verhand-
lungen hatten also keinen anderen Zweck, als dass man für den
Beginn der Feindseligkeiten scheinbare Veranlassungen herbeiführen
wollte. Man wollte Athen, das vollkommen ruhig seine Stellung be-
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378
VERHANDLUNGEN MIT ATHEN (87. 1; 432).
hauptete, reizen; man suchte Händel, ohne doch unmittelbar den
Ausbruch des Krieges zu wollen; denn Sparta wollte Zeit gewinnen,
um zu rösten. Darum schickte man Gesandte hin und her, brachte
Forderungen und Beschwerden vor, welche unter sich und mit den
früheren Klagepunkten zum Tbeile in gar keinem Zusammenhange
standen; nur das Eine war allen gemeinsam, dass Sparta den Athenern
wieder mit Ansprüchen auf vorörtliche Rechte entgegentrat, wie sie
ihm selbst gegen die peloponnesischen Staaten nicht zustanden, mit
Ansprüchen, die auf jeden Fall längst verjährt und durch spätere Ver-
träge vollständig aufgehoben waren.
So schickten sie zuerst Gesandte und liefsen darüber Beschwerde
erheben , 'dass in Athen das heilige Recht verletzt und die Stadt eine
schuldbefleckte sei, weil man das Geschlecht der Alkmäoniden in
der Gemeinde dulde, welches an schutzflehenden Bürgern gefrevelt
habe (I, 306). Als nämlich Athen einst in der Gewalt des Königs
Kleomenes war, hatte dieser die Alkmäoniden vertrieben (I, 380); daran
knüpfte man an und verlangte von Neuem die Ausweisung, indem
man sich den Anschein gab, als sei Sparta für die Aurrechterhal-
tung des heiligen Rechts in ganz Hellas verantwortlich. Dieser
religiöse Eifer stand den Spartanern sehr übel an, da sie selbst gegen
die Schützlinge des Poseidon viel ärger gefrevelt hatten (S. 142),
während die Blutschuld der Alkmäoniden eine längst gesühnte war.
Es lag aber der anmafsenden Forderung eine persönliche Absicht zu
Grunde, welche nicht schwer zu erkennen war. Der Mann, auf dem
die Macht Athens vorzugsweise beruhte, war ja von mütterlicher
Seite Alkmäonide, und die glühendsten Bewunderer des Perikles
konnten seiner Gröfse kein glänzenderes Zeugniss ausstellen, als es
die Spartaner thalen, indem sie ihre ersten Anträge gegen ihn
richteten und so zu erkennen gaben, dass sie Athen nicht fürchteten,
wenn Perikles vom Staatsruder entfernt wäre. Zugleich lag in der
Forderung die tückische Nebenabsicht, die Feinde des groben Staats-
mannes, namentlich die priesterliche Partei, aufzuregen und ihnen
Gelegenheit zu geben, denselben als den Friedensstörer anzugreifen.
Nachdem diese Forderung durch die Gegenforderung erledigt war,
dass Sparta zuvor die im eigenen Lande begangenen Frevel, nämlich
die an den Heloten und die an Pausanias im Athenatempel (S. 132)
begangene Blutschuld, sühnen solle, kamen neue Staatsboten und ver-
langten, dass man die Blokade von Potidaia aufheben, Aigina freigeben
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FRIEDENS- UND KRIEGSPARTEI IM ATHEN.
379
und den Megareern den Verkehr wieder gestatten solle. Wenn man
den letzten Punkt in dem Grade betonte, dass man davon die ganze
Kriegsfrage abhängig machte, so war der Grund wiederum kein anderer,
als Perikles zu stürzen. Denn die Aufhebung des 'megarischen Volks-
beschlusses' wäre eine Niederlage seiner Politik gewesen , und es sollte
ein gehässiges Licht auf ihn werfen, dass um eine so geringfügige An-
gelegenheit ganz Hellas in Bürgerkrieg gestürzt würde. Auch diese For-
derung wies man einfach zurück, indem man das Verfahren gegen
Megara durch die von dorther erfolgten Gebietsverletzungen rechtfer-
tigte. Endlich kam eine Gesandtschaft, welche sich als die letzte an-
kündigte; drei angesehene Männer übergaben das Ultimatum Spartas.
Nach einem versöhnlichen Eingange, in dem von ernster Friedensliebe
die Rede war, wurde unumwunden verlangt, Athen solle seinen Bundes-
genossen die Selbständigkeit zurückgeben. Das war die Forderung, für
welche die Spartaner unter den Hellenen am meisten Anklang zu finden
hofften, die Forderung, welche als die uneigennützigste und grofsher-
zigste erscheinen musste; darum wählten sie diese in der letzten Stunde
als Kriegsloosung.
Nun rückte also die Entscheidung unabweislich an die Athener
heran; die Bürgerschaft wurde berufen; in voller Versammlung sollten
die streitenden Ansichten noch einmal zur Sprache kommen, damit
die Lage der Dinge allen Athenern zu klarem Bewusstsein gebracht
werde. Gewiss wusste man das Glück des Friedens zu schätzen in
Athen, welches im vollsten Genüsse seiner Segnungen stand; man
fühlte wohl, dass man zunächst nur verlieren könne. Auiserdem war
Alles, was gegen Perikles war, für den Frieden; denn seine Macht
konnte nur steigen , wenn die Zeit der Bedrängniss und Gefahr eine
einheitliche Staatsleitung mehr als je nöthig machte. Darum waren
die Stimmen getheilt, und auch die Friedensparlei stellte ihre Redner,
die wenigstens dafür sich aussprachen, dass man wohl den megarischen
Volksbeschluss preisgeben könne, um die Schrecknisse des Bürger-
krieges zu vermeiden, und dass man auf diese Grundlage hin noch
einmal eine Verständigung zu erreichen versuchen solle. Zuletzt trat
Perikles vor die Bürgerschaft.
'Er wisse wohl, sprach er, den Ernst der Lage zu würdigen, und
leichtsinnig dürfe man nicht einen Krieg beschliefsen, dessen Wechsel-
te aufser aller menschlichen Berechnung lägen. Aber man solle
'doch nicht wähnen, dass es sich um einzelne Verordnungen handle.
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3S0
HEDE DES PERIKLES
'Haben wir, sagte er, in einem Punkte nachgegeben, so kommt eine
'andere Forderung, eine gleich ungerechte, aber härtere, und wir haben
'unser gutes Recht aufgegeben. Und warum sollen wir uns fugen?
'Aus Furcht oder Schwäche? Wozu haben wir denn unsern Schatz,
'unsere Flotte, unsere Mauern? Einen verächtlichen Gegner haben die
'Peloponnesier sicherlich nicht, und sie haben niemals dazu getaugt,
'langwierige und überseeische Kriege zu fuhren. Ihre Kriegssteuern,
'zu den einzelnen Feldzügen erhoben, können nicht lange vorhalten ;
'ihre ganze Bundesverfassung ist durchaus mangelhaft und zu kräftigem
'Handeln ungeeignet. Von den vielen Mitgliedern glauben die Einzelnen,
'dass es auf sie nicht gerade ankomme, und so geht das Ganze lahm;
'alles Kriegsglück hängt aber von der raschen Benutzung des Augen-
blicks ab. Das Meer ist unser, das bedeutet in Hellas viel, und wenn
'die Korintber es ihren Bundesgenossen als eine leichte Sache vor-
spiegeln, uns auf dem Meere die Spitze zu bieten, so hat das bei den
'Peloponnesiern, die meistens Landbauer und Viehzüchter sind, gute
'Weile; denn so nebenbei lässt sich keine Seemacht herrichten.
'Euer Land können sie verwüsten; ihr bedürft desselben nicht; ja,
'es ist nur ein Hinderniss eurer völligen Sicherheit, und, wenn ihr
'mir folgtet, so legtet ihr selbst eure Felder wüste, um ihnen zu zeigen,
'dass ihr um Aecker und Höfe eure Freiheit nicht hingebt. Darum ist
♦eure Kriegsflotte den Feinden viel gefährlicher, als ihr Landheer euch.
'Denn was ihnen das wichtigste ist, der Grundbesitz, ist euren Angriffen
'blofsgeslellt, während sie nur das für uns Unwichtige erreichen können.
'Ist aber eure Lage eine so günstige, was soll es denn frommen, einen
'unvermeidlichen Krieg kleinmüthig hinaus zu schieben? Denn es
'handelt sich darum, ob wir uns gutwillig unterwerfen, oder zur Er-
'haltung unserer Selbständigkeit den Gefahren des Kriegs muthig ent-
gegen gehen. Also erklären wir noch einmal, dass wir bereit sind,
'in allen Streitpunkten uns einer schiedsrichterlichen Entscheidung
'nach dem Wortlaute der Verträge zu unterwerfen. Befehlen lassen
'wir uns nicht; wir stellen, wie es zwischen gleichberechtigten Staaten
'üblich ist, eine Forderung gegen die andere. Wollen die Lakedä-
'monier ihre Gränz- und Hafensperre aufheben, so wollen wir die
'Megareer bei uns zulassen. Wir wollen auch von unsern Bundes-
genossen allen denen, welche zur Zeit des dreißigjährigen Friedens
'selbständig waren, die Selbständigkeit zurückgeben, aber dann soll
'auch im Peloponnes kein Staat angehalten werden, sich den in
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LETZTE AMTWORT ATHENS.
381
'Sparta geltenden Grundsätzen anzubequemen. Dies sei unsere
'Antwort Wir fangen keinen Krieg an, werden aber Jeden, der
'uns angreift, zurückweisen; denn unsere Loosung darf keine
'andere sein, als dass wir die Macht des Staats, den unsere Väter
'grofs gemacht haben, unseren Nachkommen unvermindert über-
leben'.
Der Weisheit und Ueberzeugungskraft dieser Rede konnte Keiner
widersprechen. Punkt für Punkt wurde die Antwort beschlossen,
wie Perikles sie in Vorschlag gebracht hatte; es war eine endgültige
Antwort; aller weitere Gesandtschaftsyerkehr zwischen Sparta und
Athen wurde nach Perikles' Willen abgebrochen. Der bürgerliche
Verkehr ging noch eine Weile fort, aber nur mit ängstlicher Vorsicht
Die Verträge galten für aufgehoben; es gab kein Bundesrecht mehr in
Hellas11).
Die Spartaner hatten von den vielen Hin- und Hersendungen
allerdings den Vortheil, dass sie ihre Rüstungen in Mufse hatten voll-
enden können, und man könnte fragen, warum doch die Athener, die
lange gerüstet waren, ihrem Gegner diesen Vortheil überliefsen, warum
sie nicht früher auf entschiedene Erklärungen drangen und, wenn der
Krieg unvermeidlich war, rascher vorgingen ? Perikles legte aber das
gröfste Gewicht darauf, dass das Recht offenkundig auf Seite der
Athener wäre. Ganz Hellas sollte Zeuge sein, dass sie, die immer als
die Neuerer und Unruhstifter verschrieen wurden, bis zuletzt an den
Verträgen fest hielten; sie wollten die Angegriffenen sein, wenn auch
Kriegsvortheile dabei verloren würden. Und zwar war dies kein
pedantischer Eigensinn, sondern die wirksamste und klügste Politik,
wie der Erfolg zeigte. Denn wenn dem gewaltigen Aufschwünge,
welchen Sparta genommen hatte, um alles Versäumte nachzuholen,
um an die glorreichste Zeit seiner älteren Geschichte wieder anzu-
knüpfen und wie damals die Gewaltherren, so jetzt den Gewaltstaat zu
stürzen, der mit tyrannischer Obmacht so viele hellenische Gemeinden
niederhalte, wenn diesem energischen Aufschwünge die spätere Krieg-
führung sehr wenig entsprach und von den grofsartigen Projekten
nichts zu Stande kam, so lag ein Hauptgrund in dem klugen Verhalten
des Perikles. Hätte man sich in Athen zu vorschnellen Aeufserungen
der Erbitterung und feindseligen Mafsregeln hinreifsen lassen, so
würde man dadurch der Kriegspartei in Sparta den gröfsten Vorschub
geleistet haben , welche nichts mehr verdross als die leidenschaftslose
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3S2
PELOPON>'ESISCHE KRIEGSPLÄNE.
Haltung der Athener und ihr ruhiges Beharren auf dem Rechtsboden
der Verträge. Dadurch schob man dem Gegner die Schuld des
Friedensbruchs zu, und die Partei der Bedenklichen, die in Sparta
immer sehr grofs war, mit König Archidamos an ihrer Spitze, der den
heifsblütigen Ephoren gegenüber die Einhaltung des vertragsmäfsigen
Rechtswegs verlangt hatte, konnte sich nicht darüber beruhigen, dass
der Krieg von spartanischer Seite ein ungerechter war. Dadurch
wurde der Eifer in Ausführung der Kriegspläne von Anfang an gelähmt.
Es fehlte der Muth eines guten Gewissens.
Die Lakedämonier, von denen der Angriff ausging, mussten sich
allerdings längst einen Kriegsplan gemacht haben. Sie hatten dabei
die Wahl, ob sie mit ihren vorhandenen Kriegsmitteln und ihrer her-
kömmlichen Kriegsführung auszukommen gedächten oder neue Wege
versuchen wollten. Das Letztere war die Ansicht der Korinther,
welche allein unter allen Peloponnesiern von der Macht Athens einen
Begriff hatten. Sie wussten, dass Athen nur zur See mit Erfolg
bekämpft werden könne; darum müsse man, selbst auf die Gefahr hin,
Anfangs Niederlagen zu erleiden, zur See den Athenern entgegen-
treten; denn nur so sei man im Stande, die Bundesgenossen zum
Abfalle zu ermuthigen und den Athenern die Geldzuflüsse sowohl wie
die Lebensmittel abzuschneiden. Allmählich werde sich schon eine
Flotte bilden, welche im Sunde sei, ihnen die Spitze zu bieten. Zu
diesem Zwecke müsse man Alles in Bewegung setzen, die Tempel-
schätze in Anspruch nehmen und keine Hülfe verschmähen. Hatte
doch in Sparta selbst König Archidamos es unumwunden ausge-
sprochen, dass man, um einen Staat wie Athen zu zwingen, sich nicht
scheuen dürfe, auch bei den Persern Unterstützung zu suchen, was
freilich mit dem nationalen Programme Spartas und den politischen
Grundsätzen eines dorischen Staats in seltsamem Widerspruche stand.
Vor Allem aber musste man die Bundesgenossenschaft zu erweitern
und über die Grenzen auszudehnen suchen, welche dieselbe seit den
letzten Traktaten, d. h. seit dem dreifsigjährigen Friedensschlüsse
hatte. Man erneuerte die Beziehungen alter Stammverwandtschaft,
man zog die überseeischen Pflanzorte heran; man scbloss Verträge mit
den Städten in Sicilien und Grofsgriechenland; man rechnete auf ihre
Subsidien und dachte ernstlich daran, eine Bundesflotte von 500
Trieren zusammenzubringen, von denen die Golonien in Italien und
Sicilien 200 stellen sollten; einstweilen aber sollten sie nicht in den
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KRIEGSPLANE SPARTAS. 383
Kampf eintreten, sondern die Athener ruhig zulassen, wenn sie mit
einzelnen Schiffen kämen13).
Eine zweite Angriffs weise, von der man sich Erfolg versprechen
konnte, war die Anlage eines festen Platzes in Anika, von wo aus
man den Feind unausgesetzt bedrängen, die flüchtigen Sklaven an
sich ziehen und mit der Partei der Unzufriedenen in der Hauptstadt
in Verkehr treten konnte. Diese Kriegführung war den Doriern nicht
fremd; denn so hatten ihre Vorfahren selbst die älteren Staaten der
Halbinsel überwunden (I, 108 f.). Allein auch zu solchen Unter-
nehmungen zeigten sich die Lakedämonier nicht entschlossen genug,
und da auch die mit den überseeischen Bundesgenossen in Aussicht
genommenen Verträge nicht verwirklicht wurden, so kamen die
Spartaner nach dem hastigen Auflodern des ersten Kriegseifers, nach
ihren ausgedehnten Rüstungen und hochQiegenden Machtplänen doch
am Ende dahin zurück, sich vorzugsweise auf ihre eigene Landmacht
zu verlassen, indem sie sich dem Glauben hingaben, durch jährliche
Sommerfeldzüge die Widerslandskraft Athens überwinden zu können.
Man konnte sich nicht vorstellen, dass die Athener ihre Jahresernten
gleichgültig preisgeben und ruhig innerhalb ihrer Mauern sich halten
würden; wenn sie aber zur Abwehr auszögen, rechnete man darauf,
sie zu schlagen, und hoffte, dass eine Niederlage der Athener im
eigenen Lande den Abfall der Bundesgenossen zur unausbleiblichen
Folge haben werde.
Auf der andern Seite hatte Perikles die Verhältnisse mit klarem
Blicke erwogen; ihm lag nichts ferner als dünkelhafte Ueberschätzung
der eigenen Macht, und gewiss sah er die Lage Athens ernster an, als
er in seinen Reden zu erkennen gab, weil es ihm hier vor Allem
darauf ankommen musste, die Bürger mit Muth und Selbstvertrauen
zu erfüllen. Trotz aller Saumseligkeit und trotz der augenfälligen
Mängel seiner Bundesverfassung war Sparta dennoch ein gewaltiger
Feind. Der ganze Peloponnes stand zu ihm mit Ausnahme von Argos
und Achaja, und auch von achäischen Städten hielt sich Pellene, die
Nachbarstadt Sikyons, mit ihren tapferen Bürgern zu Sparta. Die
Spartaner wurden noch immer in ganz Griechenland als Helden an-
gesehen, auf denen der Geist des Leonidas ruhte, und der Name der
Peloponnesier galt nach alter Gewohnheit als ein Ehrenname. Aufser-
halb der Halbinsel waren die Böotier die unversöhnlichen Feinde
Athens. Bei ihrer niedrigeren Bildungsstufe und trägeren Geistes-
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3S4
BUNDESGENOSSEN SPARTAS
anläge wurden sie von den Athenern gering geschätzt und bespöttelt;
aber es war ein derber Volksschlag von grofser Thatkraft und
soldatischer Tüchtigkeit; ein Volk, das seine Geschichte erst beginnen
wollte, nachdem es in den Perserkriegen nur Unglück und Unehre
eingeerntet hatte. Zu diesem Zwecke suchte Theben die Kräfte des
Landes zu vereinigen, und die kühnen Plane der dortigen Oligarchen
fanden in der allgemeinen Erbitterung, welche wegen Plataiai, wegen
der attischen Besetzung von Oropos und von Euboia und wegen der
früheren Eroberungsversuche Athens in der ganzen Landschaft
herrschte, kräftige Unterstützung, namentlich in den Städten Tanagra,
Orchomenos, Kopai u. a., in denen sich ein strenges Adelsregiment
erhalten hatte. Freilich hatten die Böolier keine gemeinsame Heeres-
ordnung, aber die Gontingente der einzelnen Städte waren im
geschlossenen Reihenkampfe ausgezeichnet; in den Gymnasien wurde
eine hohe Ausbildung des Körpers erzielt, und die edlen Familien
stellten auserwählte Kriegsschaaren , in denen zwei und zwei, durch
Freundschaft verbunden, unzertrennlich zusammen kämpften. Wie
die Böotier waren auch die opuntischen Lokrer von Anfang an ent-
schlossen, die Sache der Peloponnesier zu der ihrigen zu machen;
denn bei ihnen war die Erinnerung der attischen Gewaltherrschaft,
welche sie selbst erduldet hatten (S. 173), noch lebendig, und eben
so sehr die Erbitterung über die Besetzung von Naupaktos, durch
welche auch sie sich geschädigt sahen. Durch die Lokrer war Attika
im Rücken bedroht, und nicht nur Attika, sondern auch Euboia; sie
waren außerdem im Stande, durch Reiterei die spartanische Heeres-
macht zu ergänzen. Auch Phokis hielt sich trotz seiner Feindschaft
mit Delphi zu den Peloponnesiern, wahrscheinlich aus Hass gegen
Thessalien, das mit Athen verbündet war, und in Folge der aristo-
kratischen Verfassungen, die seit Abschluss des dreifsigjährigen
Friedens in Phokis wie in Böotien vorherrschten.
Endlich fehlte es auch zu einer Seemacht den Peloponnesiern
nicht an dem nöthigen Material, da Korinth mit seinen Golonien
Ambrakia und Leukas, ferner Megara, Sikyon, Pellene, Elis, Epi-
dauros, Troizen, Hermione Schiffe und Seevolk stellen konnten; die
Spartaner selbst richteten ihre Schiffswerften in Gytheion wieder
ein und begannen von Neuem Kriegsschiffe zu bauen, nachdem sie
seit dem Verralhe des Pausanias auf alle Seeherrschaft verzichtet
und nach den Grundsätzen des Hetoimaridas (S. 116) von jeder
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DIE VORTH EILE DER PELOPOJWESIER. 385
Einmischung in die überseeischen Angelegenheiten sich fern gehalten
halten.
Ihre eigentliche Starke lag aber in der Uebermacht des Land-
heers. Denn der Peloponnes war im Ganzen volkreicher als je zuvor
und konnte trotz der Neutralität von Argos und Achaja mit Einschluss
der Hälfstruppen 60,000 Schwerbewaffnete ausrücken lassen. Daneben
hatten die Peloponnesier den Vortheil, dass ein Hauptstaat ihres
Bundes, das mächtige und vor allen Andern thätige Korinth, unmittel-
bar am Thore der Halbinsel lag, als ein auserwählter Waffenplatz, und
dass sie die Pässe des Festlandes in ihrer Gewalt hatten.
Die allergröfste Gefahr für Athen lag aber darin, dass es nicht nur
von offenen Feinden auf allen Seiten umgeben, sondern im eigenen
Lager von Verrath und Untreue überall bedroht war. Die pelopon-
nesischen Staaten hatten keinen anderen Mittelpunkt als Sparta ; sie
waren von Natur darauf angewiesen, in Glück und Unglück zusammen
zu halten, sie waren durch eine lange Geschichte, durch gemeinsame
Interessen, durch Sitte und Stammverwandtschaft unauflöslich unter
einander verbunden. Athens Bundesgenossen dagegen lauerten nur
auf Gelegenheit, das lästige Joch abzuschütteln; zu freier Selbständig-
keit unfähig, wollten sie dennoch dem Starken nicht gehorchen. Sie
konnten als Hellenen den Verlust der Unabhängigkeit nicht ver-
schmerzen, und ihre Erbitterung war durch böswillige Aufregung zu
einer fieberhaften Hitze gestiegen. Während die Einen sich losmachen
wollten, glaubten die Anderen in letzter Stunde ihre bedrohte Selb-
ständigkeit sichern zu müssen. Eine gerechte und billige Beurteilung
der Verhältnisse war nirgends zu hören. Was Athen zum Ruhme des
griechischen Namens in Krieg und Frieden gethan hatte, daran dachte
Niemand; alle Anerkennung und Dankbarkeit war in Hass um-
geschlagen; der Glanz der Hauptstadt, welcher die Unlust des
Gehorchens mildem sollte, war nur ein Gegenstand des Aergers, und
je unklarer und launenhafter der allgemeine Widerwille war, um so
schwerer war er zu bekämpfen. Alte Abneigung der Dorier gegen die
Ionier, Hass der Aristokraten gegen die Volksherrschaft, Neid der
Armuth gegen den Reichthum, Missgunst geistiger Beschränktheit
gegen hervorragende Bildung und glänzende Verdienste — alle diese
Triebe wirkten zusammen.
Darin also lag Spartas gröfster Vortheil, dass ihm die allgemeine
Stimmung der Hellenen in solchem Grade zu Gute kam. Man
Cortio», Gr. Qetcb. IL fl. Aufl. 25
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386 DIE VORTHEILE DER PELOPONKES1ER.
•
wünschte ihm den Sieg. Jeder Erfolg seiner Waffen, jeder Unfall der
Athener musste ihm neue Bundesgenossen zuführen von Seiten derer,
welche sich von offener Parteinahme noch ängstlich zurückhielten.
Aller Orten war das leichtbewegte Volk von der eitlen Hoffnung erfüllt,
Sparta werde allen Hellenen eine neue glückliche Zeit der Freiheit
zurückbringen.
Dabei war die Menge der Hellenen über Sparta in völliger Täu-
schung ; man kannte es gar nicht. Man wusste nicht, wie der lykur-
gische Staat immer mehr zu einer selbstsüchtigen Aristokratie gewor-
den war, in welcher engherzige Familieninteressen mafsgebend waren;
man sah nicht oder wollte nicht sehen , dass Sparta in seiner Macht-
sphäre eben so despotisch verfuhr, wie Athen, dass es nach seinem
Nutzen allein die Bundesverhältnisse regelte und die freie Entwickelung
des Verfassungslebens hemmte. Es hatte ihm nur an Muth und Geist
gefehlt, um eine gleiche Herrschaft, wie Athen, herzustellen. Aber der
Umstand, dass die Spartaner sich keine Tribute zahlen liefsen, ge-
nügte, um sie als Vertreter der Freiheil gegen den Despotismus Athens
anzusehen. Diese Täuschung wurde nun zu ihrem Nutzen auf das
Wirksamste ausgebeutet. Es sollte gar nicht von einem Kriege die
Rede sein, in welchem sich zwei Mächte gleichberechtigt gegenüber
stehen, sondern Spartas Sache, sagte man, sei Volkssache, die heilige
Sache des Rechts; Athen sei die revolutionäre Macht, welche das hel-
lenische Recht umgeslofsen habe. Also konnte Sparta es wie eine
Pflicht betrachten, dass man seine Sache fördere; wer sie hinderte, be-
ging ein nationales Verbrechen und trug eine Mitschuld an der Ver-
nichtung der Volksrechte. Nicht Sparta, sondern Hellas, von Sparta
geführt, kriegte gegen Athen.
So stellte man also ganz ähnliche Gegensätze auf, wie zur Zeit
der Freiheitskriege ; es gab wieder eine nationale oder Patriotenpartei
und eine entgegenstehende. Aber die Stellungen hatten sich umgekehrt.
Die damaligen Führer der Nationalen waren jetzt die 'Verräther*, und
diejenigen Staaten , welche griechischen Boden den Barbaren preisge-
geben hatten , standen nun auf Seiten der 'Befreier', als Vertreter des
hellenischen Rechts, ohne ihre Ueberzeugungen verändert zu haben.
Denn überall, wo Adelsfamilien sich noch eine Macht bewahrt hatten,
in Megara, in Böotien, in Thessalien, Lokris, Phokis u. s. w. schlössen
sich diese auf das Engste an Sparta an, weil sie Athen als den Herd
der Demokratie hasslen, und so hatten die Peloponnesier eben
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ME KRIEGSMITTEL ATHENS.
387
sowohl den unklaren Freiheitsschwindel unterdrückter Bürgergemein-
den, wie den Ehrgeiz und die Herrschsucht der Aristokraten zu ihren
Bundesgenossen
Dessen ungeachtet war es Perikles vollkommen klar, dass Athen
den Frieden nicht durch feige Zugestandnisse erkaufen dürfe. Denn,
wenn die Stadt nicht freiwillig von ihrer Höhe herabsteigen wollte, so
war der Krieg unvermeidlich, und es war keine Aussicht, dass Athen
an Hülfsmitteln und Wehrkraft gewinnen sollte. Dreihundert schnell-
rudernde Trieren waren kriegsbereit, genügend um in verschiedenen
Geschwadern die Seezufuhr zu decken, die Bundesgenossen in Obacht
zu halten und die feindlichen Küsten zu brandschatzen. Transport-
schiffe und Hülfsboote waren in entsprechender Zahl vorhanden. 29,000
Mann Fufsvolk waren schlagfertig; davon 16,000 für den Besatzungs-
dienst in Athen und den festen Plätzen, zu dem auch die Wohlhabenden
der Metöken herangezogen wurden; 13,000 bildeten die Feldarmee.
Dies waren Alle Schwerbewaffnete. Dazu kamen 1200 Reiter und ein
Corps von 1600 Bogenschützen, das aus ärmeren Bürgern und Gewor-
benen bestand. Das Heer war kriegsgewohnt und in bestem Zustande;
auch die Flottenmacht beruhte nicht, wie die Korinther es darzustellen
liebten, auffeilen Söldlingen, sondern Bürger führten die Trieren und
verlheidigten den Bord jedes Schiffes wie ein Stück ihres vaterländischen
Bodens. Auch die Schutzbürger, welche die Ehre des Waffendienstes
theilten, waren zuverlässig und mit den Interessen des Staats ver-
wachsen. Athen hatte eine Menge von Bürgern, welche zu selbstän-
digen Commandos befähigt waren, während Sparta keine Gelegenheit
gehabt hatte, Feldherrn zu bilden.
Der Staatshaushalt war in musterhafter Ordnung. Auf den Marmor-
pfeilern, welche den Burgtempel umgaben, hatte man den Bestand des
Schatzes klar vor Augen so wie die jährlichen Einkünfte an Tribut.
Genaue Controle war auf diesem Gebiete der erste Gesichtspunkt atti-
scher Staatsweisheit, und mit Rücksicht auf den bevorstehenden Krieg
war Perikles gerade in den letzten Jahren eifrigst bestrebt gewesen, die
Geldkräfte des Landes immer völliger zur Verfügung des Staats zu
stellen (S. 252).
Der Reservefonds enthielt nach Abzug dessen, was die Propyläen
nebst anderen Bauten und die Belagerung von Potidaia gekostet hatten,
noch 6000 Talente (zu 4715 Mark), von denen 1000 Talente als eiser-
ner Fonds ausgeschieden waren. Das ungemünzte Gold und Silber auf
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388
DIE HLLFSMITTEL ATHENS.
der Burg in Wertbgegenständen aller Art belief sich auf 500 Talente;
einen gleichen Werth hatte der Goldmantel der Parthenos, aber den
man im Nothfall verfügen konnte. Dazu kamen als laufende Jahresein-
künfte die 600 Talente der Tribute. Dabei waren die regelmäßigen
Einkünfte, welche die Stadt an Domänen, Zöllen, Steuern u. s. w. hatte,
nicht gerechnet, weil sie nicht in bestimmter Summe angegeben
werden konnten, und eben so wenig die heiligen Schätze, welche noch
nicht auf der Burg vereinigt waren. Eine finanzielle Leistungsfähigkeit
dieser Art war noch von keinem Staate Griechenlands erreicht worden.
Sie war wesentlich das Werk des Perikles , und er konnte mit gutem
Gewissen seine Mitbürger darauf hinweisen, um ihnen Muth einzu-
sprechen, wenn der Krieg unvermeidlich war.
Sein Friedensregiment war keine Zeit der Erschlaffung gewesen,
sondern der umsichtigen Rüstung. Athen und der Peiraieus war eine
unangreifbare Festung; für Kriegsvorräthe aller Art war gesorgt; die
Zeughäuser waren mit Waffen, Geschossen und Maschinen angefüllt;
die Flotte, nach Unterwerfung von Samos gefürchteter als je zuvor,
war in allen Theilen des Meers, in allen Sunden und Hafenbuchten zu
Hause; sie war durch Hau und Ausrüstung der Schiffe so wie durch
die liebung des Seevolks auch bei gleicher Zahl allen anderen Ge-
schwadern weit überlegen. Das Bundesgebiet war durch Flottenstatio-
nen, Besatzungen und Kleruchien allmählich zu einem Reich geworden
und in dem weiten Gebiete desselben wurden, wenn es das Bedürfniss
forderte, auch See- und Landtruppen ausgehoben. Als selbständige
Bundesgenossen hatte Athen Lesbos und das treue Chios. Aufserhalb
des eigentlichen Bundesgebiets hatte sich seine Machtsphäre nach
Westen erweitert. Den korinthischen Golf beherrschte es durch Nau-
paktos, die mächtigsten Flottenstaaten des jenseitigen Meers, Kerkyra
und Zakynthos waren durch die Feindschaft mit Korinth an Athen ge-
bunden. Mit dem kriegstüchtigen Volk der Akarnanen stand es in
freundlichen Beziehungen, eben so mit Kephallenia, so dass es jetzt
auch das ionische Meer als sein Gebiet ansehen konnte und die wich-
tigsten Waffenplätze gegen die peloponnesische Westküste in Händen
hatte. Im nordischen Festlande endlich hatte es die alte Bundesge-
nossenschaft mit den Thessaliern erneuert , welche es mit Reiterei
unterstützen konnten14).
Wenn nun diese Fülle von Hülfs mittein durch einmüthiges Ver-
trauen einer patriotischen Bürgerschaft der Weisheit eines Staats-
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DIE STELLUNG DES PERIKLES.
3S9
manns und Feldherrn, wie Perikles war, anvertraut wurde, so konnte
man in der That auch einem furchtbaren Feinde gegenüber der Zu-
kunft ruhig entgegen sehen. Mit einem kleinen Heere durften die
Peloponnesier nicht kommen, mit einem grossen aber konnten sie nur
kurze Zeit in Attika sich halten , wenn Heerden und Mundvorrath in
Sicherheit gebracht waren. Athen war darauf eingerichtet, seine Land-
schaft entbehren zu können. An eine Belagerung war nicht zu denken,
da die Peloponnesier aufser Stande waren , die Zufuhr abzuschneiden.
Die Gränzen waren durch Festungen gesichert , welche das Landvolk
aufnehmen konnten. Perikles hatte seine Friedenswerke wie seine
Kriegsrüstungen vollendet; durch Aufschub konnte nur verloren
werden. Denn erstens konnte keine günstigere Gelegenheit, einen ge-
rechten Vertheidigungskrieg zu führen, eintreten; dann war jedes
Zeichen von Furcht schon eine Niederlage und eine Ermuthigung für
die Feinde. Endlich fehlte es auch nicht an Anzeichen, die ein
längeres Warten bedenklich erscheinen liefsen, selbst wenn auch ohne
Verletzung der Ehre Athens ein Aufschub des Kriegs hätte erreicht
werden können. Denn das durfte und musste sich Perikles sagen,
dass der Erfolg des Kriegs zum grofsen Theile davon abhing, wie weit
die Bürgerschaft ihm ihr volles Vertrauen erhielt, und wie weit er die
Körper- und Geisteskraft behauptete, um sie nach seinem Willen
lenken zu können.
Was den ersteren Punkt betrifft, so war der Widerspruch gegen
Perikles niemals ganz beseitigt, sondern nur zurückgedrängt worden.
Die Grundeigentümer sahen sich durch einseitige Bevorzugung der
See- und Handelsinteressen verletzt; die priesterliche Partei hasste
den Freidenker, die alte Aristokratie war unversöhnlich geblieben, und
eben so wenig konnten die eifrigen Freunde der Demokratie mit einem
Manne zufrieden sein, welcher die Grundsätze derselben tatsächlich
authob. Die Einen hofften in der Stille, dass mit dem Sturze des
Perikles auch das demokratische System , auf welches er seine Macht
gebaut hatte, fallen, die Anderen, dass es dann erst recht zur Wahrheit
werden würde. Wenn nun beide Parteien zu ihrem nächsten Zwecke
sich verbanden, so musste dies von bedenklichen Folgen sein. Noch
stand Perikles in unerscbüttertem Ansehen; seine erfolgreiche Thälig-
keit nach innen und aufsen, die entschlossene und klare Folgerichtig-
keit seiner Politik war über jeden Angriff erhaben. Lebhafte Aner-
kennung fehlte ihm nicht; selbst neue Ehren, die noch keinem Bürger
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390
ANFEINDUNG DES PERIKLES.
zu Tiicil geworden, wie der von Staatswegen zuerkannte Olivenkranz,
schmückten sein Haupt; es war der Siegesdank für den im Dienste der
Staatsgöttin ruhmreichen Staatsmann, den Helden des Friedens.
Derselbe Mann wurde aber auch verläumdet und verspottet. Die
eigenen Söhne machten sich über seine Beschäftigung mit sophisti-
schen Denkübungen lustig; sein Stolz verletzte, sein Ansehen war den
Bürgern lästig. Je weniger man ihm offen entgegenzutreten wagte, um
so mehr wurde an seinen Mafsregeln getadelt, und die lautersten Ab-
sichten wurden schändlich gemissdeutet. So z. B. wurde in der kerky-
räischen Angelegenheit über die Flotte von 10 Schiffen gespottet und
dieser 'halben Mafsregel' die Absicht untergeschoben , dass sie blofs
darauf angelegt sei , dem Lakedaimonios einen Streich zu spielen und
ihn selbst mit seinen Parteigenossen in Missachtung zu bringen
(S. 366). Auch die tückische Anfeindung, welche von Sparta ausging
(S. 378), fand ihren Boden in Athen ; denn nur so ist es zu erklären,
dass Herodot um diese Zeit sich veranlasst sah, in seinem Werke nach-
träglich für das Haus der Alkmäoniden einzutreten und die hohen Ver-
dienste dieses Geschlechts um die Sache der bürgerlichen Freiheit den
Athenern in das Gedächtniss zu rufen. Man sieht also, dass nicht blofs
die alte Blutschuld wieder aufgewärmt wurde, sondern auch andere Ver-
dächtigungen gegen die loyale Gesinnung des Hauses und seiner Ange-
hörigen Anklang fanden.
Perikles konnte man persönlich nichts anhaben, aber schlimm
war es, dass seine Umgebung nicht immer von der besten Art war. Er
war in dem Grade der Erste in Athen, dass Männer von selbständigem
Charakter sich nicht immer bereit fanden, die Organe seiner Thätigkeit
zu sein. Um so mehr drängten sich Leute untergeordneter Art an ihn
heran, um mit Verzicht auf selbständige Thätigkeit allerlei persönliche
Vortheile für sich zu erreichen. Einer von diesen war Metiochos oder
Metichos, ein Rhetor und Architekt, der auch das Feldherrnamt mit
Perikles getheilt hat und dem Grundgesetz der Demokratie zuwider
mehrere, wenn auch kleinere, doch einflussreiche Aemter zugleich be-
kleidete; deshalb hörte man auf den Gassen die Spotlverse absingen:
Metichos ist Trappenführer, Wegebauherr Metichos,
Metichos sorgt für's Gebäck und Metichos für Korn und Mehl,
Metichos ist aller Orten, Metichos wird's übel gehn!
Zu diesem Anhange des Perikles gehörte Charinos , welcher den mega-
rischen Volksbeschluss abfasste , und Menippos , dessen sich Perikles
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VERSPOTTUNG DES PERIKLES.
391
mehrmals als seines Unterfeld herrn bediente. In noch üblerem Rufe
stand der reiche und üppige Pyrilampes, des Antiphon Sohn, der sich
ein Vogelhaus eingerichtet hatte, welches zu den Sehenswürdigkeiten
von Athen gehörte und am ersten jedes Monats Einheimischen wie
Fremden gezeigt wurde. Besonders viel that er sich auf seine Pfauen
zu Gute, die damals in Griechenland noch unbekannt waren, und er
lieferte davon, wie man sich erzählte, dem Perikles, welcher sie als
Liebesgescbenke für seine Buhlerinnen verwende.
Solche Stadtgeschichten griff die Komödie auf, der nichts will-
kommener war, um die Lachlust der Athener zu befriedigen, als wenn
sie ihnen den erhabenen 'Olympier* vorführen konnte, wie er auf
Wegen menschlicher Schwäche wandelte. Darum würzte sie ihre
Stücke mit offeneren oder versteckteren Anspielungen auf den Ge-
flügelhof des Pyrilampes, und auf die Frau des Menippos, die ihrem
Manne zur Feldherrnwürde verholfen haben sollte, so wie auf die
schönen Albanerinnen, von denen das Gerede ging, dass sie in Pheidias'
Werkstätten aus- und eingingen und dort gelegentlich mit dem kunst-
sinnigen Staatsoberhaupte bekannt würden. Einen 'Fürsten der Sa-
tyrn1 nannte Hermippos den Perikles mit Hinblick auf die unwürdigen
und charakterlosen Menschen , welche ihn umgaben ; auch der Spott-
name der 'neuen Pisistratiden' war eine Erfindung der Komödie, durch
welche sie den Anhang des Perikles mit den Hofleuten eines Tyrannen
verglich. Auch der kimonisch gesinnte Kratinos (S. 306) schonte seiner
nicht. Die Anfeindungen wurden so zügellos, dass man die Wahrung
des öffentlichen Interesses nicht den Beamten überlassen wollte,
welche die Festfeier leiteten und dafür ve rant wortlich waren t sondern
ein besonderes Gesetz für nöthig hielt, um den Ausschreilungen der
Bühne zu steuern. Es galt besonders dem Schutz einzelner Bürger,
welche nicht mehr unter ihren Namen oder durch ihre Porträtmaske
gekennzeichnet, dem Spott preisgegeben werden sollten. Das Gesetz
wurde unter dem Archontat des Murychides gegeben, 85, 1 ; 440, als
Perikles nach Unterwerfung der Samier auf der Höhe seines Einflusses
stand. Also muss auch diese Gesetzgebung wesentlich durch ihn ver-
anlasst worden sein. Sie erhielt sich aber nur bis in das dritte Jahr.
Viel ernsterer Art, als diese Reibungen mit dem Publikum und der
Bühne, waren die Angriffe auf seine Politik, welche von den allen und
neuen Feinden derselben ausgingen. Die alten Anklagen wurden wieder
laut: Vergeudung des Staatsguts, Begünstigung der Freigeisterei und
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392 ANGRIFFE AUF PHEIDIAS.
anderer verderblicher Richtungen, welche dem väterlichen Herkommen
widersprächen. Zunächst aber wendeten sich diese Angriffe nicht un-
mittelbar gegen Perikles , sondern gegen diejenigen Personen, welche
als die hervorragendsten und ihm zunächst stehenden Vertreter jener
Richtungen angesehen wurden, gegen Pheidias, Anaxagoras und
Aspasia15).
Wer sollte nicht denken, dass über einen Mann, dessen Thätigkeit
eine so offenkundige und so unvergleichlich ruhmvolle gewesen ist,
wie die des Pheidias, eine sichere Ueberlieferung vorliege, welche uns
in Stand setzte, ihn Schritt für Schritt bis an sein Ende zu begleiten?
Und doch ist es anders. Es konnten sich vielmehr schon im Alterthum
zwei ganz verschiedene und einander widersprechende Erzählungen
von den letzten Schicksalen des Meisters bilden.
Nach der einen Ueberlieferung soll Pheidias schon als Flüchtling
nach Elis gekommen, dort von Neuem nach Vollendung des Zeusbildes
wegen Unterschleif angeklagt, verurteilt und von den Eleern hinge-
richtet worden sein. Nach der anderen ist er von Olympia, wo Ange-
hörige seiner Familie als Phädrynlen des Zeus (S. 351) ansässig
blieben, nach Athen zurückgekehrt und hier sofort den Anfechtungen
anheimgefallen, welche Perikles und seinen Freunden bereitet wurden.
Wir folgen der letzteren Ueberlieferung und sehen den hochbetagten
Künstler , nachdem es ihm vergönnt war, auf den Koloss des olympi-
schen Gottes seinen Namen zu setzen, in vollem Ruhme nach Athen
heimkehren, als hier die Parthenongiebel eben vollendet waren und
der Propyläenbau sich seiner Vollendung näherte (S. 356). Perikles
hatte denselben nicht durchführen können , wie er ihn mit Mnesikles
entworfen halte. Die priesterliche Partei hatte dabei in Verbindung mit
den Unzufriedenen im Kreise der Conservativen wie der Demokraten
ihre Macht erprobt, und Perikles konnte weiteren Angriffen auf seine
Stellung entgegensehen; er musste dabei Pheidias zur Seite haben,
und dieser war entschlossen, treu und tapfer bei dem Freunde auszu-
harren.
Auf Pheidias wurden die Angriffe gerichtet, welche Perikles galten,
und man kann aus dem, was überliefert ist, noch deutlich erkennen,
welche Mittel in Bewegung gesetzt werden mussten, um die Stellung
eines Mannes zu erschüttern, welcher ein Jahrzehent hindurch in
seiner Staatsleitung keinem hemmenden Widerspruch begegnet war.
Ein untergeordneter Künstler , Menon mit Namen, wurde veranlasst,
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ANGRIFFE AUF PHEJDIAS
393
sich an den Marktaltären niederzusetzen, wie die zu thun pflegten,
welche sich in den Schutz der Gemeinde stellten, um ohne Gefahr für
ihre Person gegen hervorragende Bürger eineAnklage zu erheben. Diese
Angelegenheit wurde wie eine Staatsaction behandelt. Ein gewisser
Glykon beantragte bei Rath und Bürgerschaft, dass dem Schutzflehen-
den volle Sicherheit verbürgt werde, und nun beschuldigte dieser den
Pheidias, dass bei dem Parthenosbilde, nach dessen Vollendung er
Athen verlassen habe, falsche Rechnung abgelegt und bei ihrem Gold-
mantel öffentliches Geld unterschlagen worden sei.
Auf diesen Angriff war man vorbereitet; der Mantel war ein Tbeil
des Staatsschatzes (S. 251) und auf Perikles' Veranstaltung hatte man
die Einrichtung getroffen, dass derselbe ohne Beschädigung der Bild-
werke abgenommen werden konnte. Er wurde gewogen und den
Rechnungen gemäfs vollwichtig gefunden.
Die feindliche Partei halte aber, nachdem der erste Angriff ge-
scheitert war, schon einen zweiten vorbereitet, eine arglistig ersonnene
Denunciation, in der sich noch deutlicher die Intrigue einer der periklei-
schen Staatsleitung seit lange feindlichen Priesterpartei zu erkennen
giebt, eine Anklage wegen Gottlosigkeit. Es wurde nämlich darauf
hingewiesen, dass in der Amazonenschlacht am Schilde der Parthenos
zwei Figuren zu erkennen seien, welche die Züge von Perikles und
Pheidias trügen. Die Thalsacbe war richtig. Der Künstler hatte sich
selbst als einen kahlköpfigen Alten dargestellt, der mit zwei Händen über
seinem Kopfe einen Felsblock hob , Perikles aber in der edlen Gestalt
eines Speerwerfers, und zwar so, dass er mit der eigenen Hand die
Mitte des Gesichts verdeckte; aber auch so erschien die Aehnlichkeit
unverkennbar. Darin wurde eine die Heiligkeit des Tempels ver-
letzende Selbstsucht anerkannt; die Bürgerschaft verlangte persönliche
Haft, ein Zeichen, dass man dem Gegenstande der Anklage den Cha-
rakter staatsgefährlicher Umtriebe zu geben wusste, und während der
lügnerische Angeber als ein Wohlthäter der Stadt gefeiert wurde,
wanderte Pheidias, der den Ruhm seiner Vaterstadt mit glänzen-
derem und unbestrittenerem Erfolge als irgend einer seiner Zeitge-
nossen begründet hatte, als Verbrecher in das Getan gniss. Nach der
gewöhnlichen Ueberlieferung ist er hier gestorben, ehe die Unter-
suchung zu Ende geführt war, von Alter und Gram gebeugt, und auch
nach seinem Tode ruhte die giftige Missgunst nicht, sondern sprengte
das Gerücht aus , Perikles selbst habe seinen Freund aus dem Wege
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394
AMJR1FFE AUF AXAVAGORAS U.ND ASI'ASIA.
räumen lassen, um die weitere Untersuchung zu verhindern und
schlimmen Enthüllungen vorzubeugen16).
Ein neuer Angriff traf Anaxagoras, der lange Jahre ruhig in Athen
gelebt hatte, eingezogen und unbescholten, ohne Ehrgeiz, ganz seinen
philosophischen und mathematischen Studien hingegeben, nicht ein-
mal beflissen, eine Schule zu gründen. Aber er war der vertrauteste
Freund des Perikles, und diesen konnte man nicht schmerzlicher
kränken, als indem man seinen Anaxagoras verfolgte. Zu diesem
Zwecke verbanden sich Männer der verschiedensten Parteifarbe, ehr-
liche Anhänger väterlicher Religion und Sitte, wie Thukydides, des
Melesias Sohn, der seiner alten Gesinnung treu, aus der Verbannung
zurückgekehrt, von Neuem als Gegner des Perikles auftrat, und
andererseits die Vorkämpfer unbeschränkter Volksherrschaft, wie
Kleon, denen es nur darum zu thun war, die Autorität des Perikles zu
stürzen. Das Hauplorgan des religiösen Fanatismus war Diopeithes,
ein Priester und Volksredner von leidenschaftlichem Temperament, der
mit dem verstellten Wahnsinne eines Gottbegeisterten die Augen der
Menge auf sich zog, Orakelsprüche mit gellender Stimme vortrug und
das Volk aufregte. Er setzte den Beschluss durch, dass alle diejenigen,
welche die Landesreligion verläugneten und über die göttlichen Dinge
philosophirten, als Staatsverbrecher belangt werden sollten. Nun halte
man gegen die philosophischen Freunde des Perikles die Waffe in
Händen. Dämon (S. 207 f.) wurde verbannt, und Anaxagoras in einen
peinlichen Prozess verwickelt, so dass Perikles die Unmöglichkeit er-
kennen musste, die Freisprechung durchzusetzen. In voller Treue be-
kannte er sich zu ihm, aber er musste sich glücklich schätzen , dass er
sein Leben zu retten vermochte; er musste ihm selbst anrathen, Athen
zu verlassen, und mit tiefem Schmerze sah er den greisen Philosophen
nach Lampsakos auswandern.
Durch diesen Erfolg ermuthigt, rückte die feindliche Partei
kecker gegen Perikles vor und richtete den nächsten Angriff gegen
seine Hausgenossin, gegen Aspasia, welche auf der komischen Bühne
als die Hera des olympischen Zeus, als die neue Omphale, die
den gewaltigen Herakles gebändigt habe, und als Deianeira ver-
spottet worden war. Jetzt wurde aus dem Scherze Ernst. Der
Komödienscbreiber Uermippos wurde zum öffentlichen Ankläger und
rief die stolze Milesierin zur Verantwortung vor die Geschworenen
wegen Gottlosigkeit und wegen ihrer Versündigung gegen Ehrbarkeit
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ANGRIFFE AUF PERIKLES (87, 1; 481). 395
und Sitte, indem er sie beschuldigte, dass sie freigeborene Frauen zu
schmählichem Gewerbe in ihr Haus locke. Hier konnte Penkies nicht
nachgeben. Sein ganzes Ansehen legte er in die Wagschale; er wollte
mit ihr stehen oder fallen. Er trat als ihr Sachwaller vor das Volk,
aber er war nicht mehr der stolze, siegesbewusste, ruhige Staatsmann,
sondern mit vielen Thränen beschwor er die Richter, ihm eine solche
Kränkung zu ersparen, und so erlangte er die Freisprechung seiner
Freundin von der peinlichen Anklage, welche aus Feindschaft wider
ihn erhoben war und deshalb als Parteifrage behandelt wurde17).
Endlich wurde unmittelbar gegen Perikles vorgegangen. Seine
Gegner beschuldigten ihn der Unterschlagung öffentlicher Gelder.
Auf Antrag des Drakontides — wohl desselben, der das Geschwader
nach Kerkyra führte (S. 368) — wurde beschlossen, dass Perikles
vollständige Rechnung über die Staatsgelder, welche durch seine Hand
gegangen wären, bei den Prytanen einzureichen habe, und dass über
seine Schuld oder Unschuld in feierlicher Weise auf der Rurg am
Altare der Athena gerichtet werde, um die Richter um so mehr an-
zuhalten, dass sie, von allen persönlichen Rücksichten unbeirrt, der
Heiligkeit ihres Eides gedenken sollten. Dies Verfahren wurde in-
dessen auf Hagnons Antrag wieder umgeändert und zwar dahin, dass
die Sache vor einem Gerichtshöfe von 1500 Geschworenen entschieden
werde; ihrem Ermessen wurde es dabei anheimgegeben, ob die Sache
als ein Prozess wegen Unterscbleifs oder wegen Restechung oder im
Allgemeinen wegen Beeinträchtigung des Staatswohls behandelt werden
sollte
Wenn auch diesmal der Angriff der Feinde misslang, so beweisen
diese Thalsachen doch zur Genüge, wie bedenklich Perikles" Stellung
geworden war, seitdem die conservative Partei der alten Aristokraten
mit der neuen Demokratenpartei, die sich während der Friedensjahre
gebildet hatte, gemeinschaftliche Sache gegen ihn machte und priester-
licher Fanatismus die Erbitterung unablässig zu steigern suchte. Diese
Bestrebungen blieben nicht ohne Erfolg; denn bei aller Klugheit hatte
Perikles es doch nicht vermeiden können, dass seine ganze Stellung
im Staate und namentlich auch sein Leben mit den Künstlern, den
Philosophen und den ionischen Frauen an das Wesen der Tyrannis
erinnerte und deshalb vielfältigen Anstofs gab.
Diese Kämpfe, welche Perikles für sich und seine Freunde zu
bestehen hatte, fallen in das Jahr 87, V2 (431), also in dieselbe Zeit,
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396
PER1KLES WÜNSCHT DEN KRIEG.
da die Lakedäraonier ihre Gesandtschaften schickten, und wir können .
nicht bezweifeln, dass man in Sparta von der Veränderung, welche
in der Stimmung der Bürgerschaft vorgegangen war, wohl unterrichtet
war, und dass man wahrscheinlich nicht ohne Mitwirkung der
aristokratischen Partei in Athen die Forderung auf Ausweisung der
Alkmäoniden stellte.
Perikles selbst war aus allen persönlichen Anfeindungen sieg-
reich hervorgegangen, aber er konnte sich die Schwierigkeiten seiner
Stellung nicht verhehlen. Denn die Parteien der Gegner bildeten eine
Macht im Staate und konnten sich jeder Zeit zu neuem Angriffe ver-
einigen. Darum war er auch in Beziehung auf seine Person der
Meinung, dass der einmal unvermeidliche Krieg nicht zu besserer Zeit
ausbrechen könne; er konnte erwarten, dass gemeinsame Gefahr die
Aufmerksamkeit von den inneren Angelegenheiten ablenken, die
Stärke seiner Gegner unschädlich machen, den Gemeinsinn stärken
und seine Unentbehrlichkeit den Athenern deutlich machen werde.
So ungerecht also auch die Anschuldigung der Komödiendichter war,
die den ganzen Krieg auf Rechnung des Perikles schoben , welcher,
um sich aus seinen Verlegenheiten zu befreien, *den megarischen
Volksbeschluss wie einen Funken in das mit Brennstoff angefüllte
Hellas hineingeschleudert habe' : so ist der Zusammenhang des Kriegs
mit den erwähnten Staatsprozessen doch nicht zu läugnen; denn diese
haben nicht nur die Feinde des Perikles in Sparta ermuthigt, sondern
auch ihn selbst entschlossener gemacht, den Krieg anzunehmen, von
dem er die Hoffnung liegte, dass er bald und glücklich zu Ende
geführt sein werde. Die schwüle Atmosphäre konnte nicht besser als
durch einen gerechten Kampf gereinigt werden, wenn Perikles auch
keinen Augenblick verkennen konnte, dass der Krieg ihm persönlich
wieder neue Gefahren bereiten würde. Denn er sah, wie seine Reden
beweisen, mit voller Klarheit, dass jedes unerwartete Unglück seinen
Sturz veranlassen könne; er kannte die Unbeständigkeit und Ungeduld
der Athener, er wusste, dass er sein Kriegssystem nicht durchführen
könne, ohne den Bürgern die gröfsten Opfer aufzulegen. Sie mussten
Selbstüberwindung genug haben, um mit Gleichmuth den Feinden
ihre Aecker preiszugeben; denn nur so konnte es erreicht werden,
dass die Peloponnesier sich in vergeblichen Anstrengungen erschöpften
und zum Frieden gezwungen sähen. Um diesen Kriegsplan durch-
zuführen, bedurfte es eines Mannes von unerschütterlicher Ruhe und
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PER1KLES WÜNSCHT DEN KRIEG.
397
bewährtem Ansehen, eines Staatsmanns und Feldherrn, welcher ohne
Widerspruch der Erste unter seinen Mitbürgern war. Perikles durfte
sich sagen, dass das Gelingen an seine Person geknüpft sei; darum
musste er, und zwar nicht aus Selbstsucht, sondern aus reinster Vater-
landsliebe wünschen, dass der Krieg beginnen möchte, so lange er
noch die volle Kraft habe, Athen zu leiten19).
So lagen sich die beiden Staaten kriegsbereit und kriegsent-
schlossen gegenüber, ohne dass es zum Angriffe kam. Athen wollte
grundsätzlich nur abwehrend verfahren, Sparta scheute sich vor dem
entscheidenden Schritte. Im ganzen Volke aber harrte man mit ängst-
licher Spannung, was die nächste Zukunft bringen werde, die Einen
ungeduldig vorwärtsdrängend, die Anderen von trüben Ahnungen
erfüllt. Denn die junge Mannschaft diesseits und jenseits des Isthmos,
im Frieden herangewachsen und unbekannt mit den Schrecken eines
Bürgerkriegs, hatte ein unbestimmtes Verlangen nach Veränderung
eines Zustandes, welcher ihr unerträglich war, ein Verlangen nach
endlicher Entscheidung, bei welcher sich die Kräfte messen können.
Ihr schien es besser, dass der Gegensau der Parteien im ofTenen Felde
durchgefochten werde, als dass er noch länger wie ein schleichendes
Gift am Leben des Volkes zehre. Die Erfahreneren und Bedächtigeren
aber erwogen wohl die unabsehbaren Folgen, die das erste blutige
Zusammentreffen der beiden Grofsstaaten nach sich ziehen müsse,
und ihre bangen Erwartungen fanden Ausdruck und Bestätigung in
den düsteren Orakelsprüchen, welche im Munde des Volks umgingen;
böse Vorzeichen aller Art wurden gesucht und gefunden, schreckende
Naturereignisse traten ein, namentlich ein Erdbeben auf Delos, das
erste nach genauer Erkundigung, welches die heilige Insel betroffen
hatte, die man unerschütterlich im Meeresgrunde befestigt dachte;
die Kunde davon steigerte die angstvolle Spannung80).
Da erfolgte der Ausbruch des Kriegs auf eine durchaus uner-
wartete Weise, weder von Sparta noch von Athen, sondern von
Theben.
Theben hatte die merkwürdigsten Schwankungen durchgemacht.
Eine demokratische Partei hatte sich des Regiments bemächtigt , um
die Stadt zur Hauptstadt von Böotien zu machen (S. 169). Dadurch
waren die böotischen Landstädte zu einer Verbindung mit Athen
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AUSBRUCH DES KRIEGS (8T. 1; 431).
gedrängt worden, welche durchaus unnatürlich war und durch den
blutigen Tag von Koroneia wieder zerrissen wurde (S. 178). Diese
Kämpfe halten nur dazu beigetragen, die leidenschaftliche Erbitterung
gegen Athen zu steigern; man konnte es der Stadt nicht vergessen,
dass sie den verwegenen Versuch gemacht hatte, Böotien dem
attischen Staate einzuverleiben, und nachdem auch in Theben die
aristokratische Partei wieder fester als je zuvor am Ruder war, hatte
sie keinen anderen Gedanken als alle Stützpunkte attischer Politik in
Böotien zu vernichten und Alles auszurotten, was daselbst an Sym-
pathie für Athen vorhanden war. Der einflussreichste Mann in Theben,
der Führer der oligarchischen Partei, war Eurymachos, des Leontiadas
Sohn, ein geschworener Feind der perikleischen Politik. Er wollte
seine Vaterstadt, die als Vorort an der Spitze des böotischen Städte-
bundes stand, durch eine kühn vorgehende Politik wieder zur Haupt-
stadt des Landes erheben, und dazu schien ihm nichts geeigneter, als
ein Handstreich gegen Plataiai.
Die platäische Mark war durch die Verträge als ein heiliges Gebiet
anerkannt (S. 92); die Stadt war mit Athen auf das Engste verbunden
und wurde demokratisch regiert; sie trennte zugleich die Thebaner
von dem peloponnesischen Bundesgebiete, das jenseits des Kithairon
anfing, und war ihnen in jeder Beziehung ein Dorn im Auge. Denn
seit den Freiheitskriegen ruhte ein besonderer Glanz auf dem Namen
der Platäer; sie hatten mit Sparta wie mit Athen ehrenvolle .Familien-
verbindungen, und wenn auch die nationalen Einrichtungen, welche
Aristeides gegründet hatte, namentlich die eidgenössischen Versamm-
lungen in Plataiai, niemals in's Leben getreten waren, so hatten doch
die Bürger der Stadt von ihrem Antheile an der Siegesbeute herrliche
Tempel und Weih gesehen ke gestiftet; Pheidias und Polygnot hatten
ihr Heiligthum der Kriegsgöttin Athena ausgeschmückt (S. 312), und
die Feste Zeus des Befreiers, so wie die jährlichen Todtenfeste zum
Andenken der gefallenen Helden erhielten den Ruhm der Stadt
lebendig, deren Bürger auch nach den Freiheitskriegen immer an
der Seite der Athener gewesen waren, wo es galt etwas Ruhrawürdiges
auszuführen.
Das waren Gründe genug, dem Neide und Hasse der Thebaner
immer neue Nahrung zu geben. So lange aber die beiden Grofsstaaten
zusammenhielten, glaubte man an keine Veränderung der Territorial-
verhältnisse denken zu können. Jetzt aber schien die Gelegenheit
ÜBERFALL VON PLATAIAI {% APRIL 431; 87, 1).
399
günstig, um die gehasste Nachbarstadt zu überwältigen. Wenn die
anderen Verträge gelöst waren, warum sollten die platäiscben bestehen
bleiben? Je früher der Angriff ausgeführt wurde, um so mehr
Aussicht auf Erfolg hatte man, und war der Handstreich einmal ge-
lungen, so konnte man der Billigung Spartas gewiss sein, welches für
seine Kriegführung keinen gröfseren Vortheil gewinnen konnte, als
wenn es an den attischen Gränzen einen befreundeten Waffenplatz
hatte, wie einst schon Tanagra dazu bestimmt war (S. 170).
Eurymachos also knüpfte mit oligarchischen Parteigängern in
Plataiai ein Einverständniss an, rüstete in aller Sülle ein Heer und
schickte eines Abends (es war im Anfang April, kurz vor Neumond)
dreihundert Schwerbewaffnete nach Plataiai voraus, welchen durch
verräterische Hand die Thore geöffnet wurden, und ehe noch die
Bürger, die sich nach einem öffentlichen Feste friedlich zur Ruhe
gelegt hatten, von dem schändlichen Friedensbruche etwas ahnten,
standen die feindlichen Truppen auf ihrem Markte unter dem Befehl
von zwei Bundesfeldherren (Böotarchen), Pythangelos und Diem-
poros.
Als die Thebaner sich im Besitze der Stadt wähnten, wünschten
sie ihrer schlechten Sache einen besseren Anstrich zu geben, indem
sie sich weigerten, dem Wunsche der Verräther zu willfahren und die
Häupter der Demokraten zu ergreifen; sie versuchten vielmehr den
Weg der Ueberredung und hofften von den erschreckten Bürgern
eine Erklärung zu erlangen, dass sie bereit wären, sich dem böotischen
Städtebunde unter Thebens Hegemonie anzuschliefsen. Dann würde,
wie sie hofften, bei ihrer geringen Truppenmacht der Anschluss der
Stadl als ein freiwilliger erscheinen, und man konnte dann die Sache
so darstellen, als wenn die Platäer nur auf eine Gelegenheit gewartet
hätten, um sich von der unnatürlichen Verbindung mit Athen los-
zumachen.
Und wirklich begann man schon mit den eingedrungenen
Feinden zu unterhandeln. Aber während der Unterhandlung merkte
man, wie unbedeutend die Zahl der Thebaner sei, und enlschloss sich
rasch zum Kampfe. Die Bürger durchbrachen die Wände ihrer Häuser,
um sich heimlich zu gemeinsamem Angriffe zu vereinigen, und als die
Thebaner ihres Erfolgs vollkommen sicher zu sein glaubten, wurden
sie plötzlich, nachdem sie die Nacht hindurch in strömendem Regen
gestanden hatten, gegen Tagesanbruch mit solcher Erbitterung über-
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400
BLUTBAD IN PLATAIAI.
fallen, dass sie nach hartnäckigem Widerstande ihr Heil in der Flucht
suchen mussten.
Dabei begann aber erst recht die Noth. Sie verirrten sich in den
engen und schmutzigen Gassen, welche mit Karren gesperrt waren ; sie
wurden in der Stadt umhergejagt, ohne einen Ausweg zu finden, denn
auch das Thor, durch welches sie hereingekommen waren, das einzige
offene, war von einem Platäer verriegelt worden. Die Mehrzahl der
Unglücklichen wurde getödtet; Wenige retteten sich von den Stadt-
mauern hinab; 180 mussten sich auf Gnade und Ungnade ergeben.
Dies Alles war geschehen, ehe das thebanische Heer herankam, das
durch den angeschwollenen Asopos aufgehalten war. Die Thebaner
suchten nun im platäischen Gebiete Gefangene zu machen, um sie zur
Auslösung ihrer Landsleute zu benutzen, zogen sich aber dann zurück,
nachdem, wie sie behaupteten, die Rückgabe der Gefangenen ihnen
eidlich zugesagt worden war. Während dessen beeilten sich die Platäer,
Alles, was auf dem Felde war, in die Stadt zu retten, und nachdem
dies geschehen, tödteten sie sämtliche Thebaner, die in ihrer Gewalt
waren. Der Bote, welchen Perikles schickte, um von voreiligen
Schritten auf das Dringendste abzumahnen, kam zu spät. Das Schreck-
liche war geschehen. Die Platäer leugneten ihrerseits, ein bindendes
Versprechen in Betreff der Gefangenen gegeben zu haben ; es ist sehr
möglich, dass eine ruhige Uebereinkunfl nicht zu Stande gekommen
war. Auf jeden Fall war aber diese That eben so unmenschlich wie
un weise; denn die lebenden Thebaner wären für Plataiai und seine
Verbündeten ein unschätzbarer Besitz gewesen, während ihr Tod nur
die Folge hatte, dass jeder Gedanke an Versöhnung für immer beseitigt
war. Mit Verrath und Mord hat in jener schauerlichen Nacht der
Krieg in Griechenland begonnen. Der Anfang zeigte jedem Einsich-
tigen, was von dem Verlaufe desselben zu erwarten wäre11).
So wie die böotischen Ereignisse in Sparta kund wurden, gingen
die Boten aus, um das peloponnesische Heer und das der übrigen
Bundesgenossen, zwei Drittel der vollen Heeresstärke, nach dem
Isthmos zu entbieten. Hier übernahm Archidamos den Oberbefehl
der Truppen; es war das ansehnlichste Heer, das jemals zusammenge-
kommen war, um über die Landenge vorzugehen. Archidamos blieb
seinem Charakter treu. Er ging nicht darauf aus, den Kriegsmuth zu
entflammen, vielmehr tbat er Alles, um die hochgehenden Hoffnungen
seiner Truppen herabzu stimmen; denn er verhehlte seine Ueberzeu-
DIE VORKEHRUNGEN DES PERIKLES.
401
gung von der gefährlichen Macht des Gegners auch jetzt nicht und
verleugnete nicht die Unlust, welche er noch immer empfand, den
Feldzug wirklich zu beginnen. Erst als Melesippos , den er als letzten
Friedensboten nach Athen entsandt hatte, vor den Thoren der Stadt
abgewiesen war, rückte er langsam durch Megaris vor.
Jetzt kam das von Perikles entworfene Vertheidigungssystem zur
Anwendung, und damit trat er selbst, als Feldhauptmann der Stadt,
mit seinen Amtsgenossen, welche nur die Werkzeuge seiner Absichten
waren, kraftvoller und unumschränkter als je an die Spitze der öffent-
lichen Angelegenheiten; es bedurfte ausserordentlicher Mafsregeln,
deren energische Durchführung keinem Anderen möglich gewesen wäre.
Die Bundesgenossen wurden aufgeboten, hundert Schiffe im Pei-
raieus segelfertig gemacht, die festen Plätze des Landes in Kriegsbe-
reitschaft gesetzt, die Truppen im Waffendienst geübt, namentlich die
Reiterei, die mit den Thessaliern zusammen im freien Felde verwendet
werden sollte. Die Bürgerreiterei war auf zehn Geschwader von je
hundert Mann vermehrt worden; sie wurde jährlich aus den vor-
nehmsten und reichsten Familien ausgehoben und war die einzige
stehende Landtruppe der Athener ; es war die Blüthe der Jugend , der
Schmuck und Stolz der Stadt, auf welchen Perikles grofsen Werth
legte. Zugleich erging der Befehl an das Landvolk, mit Frauen und
Kindern eine sichere Zuflucht aufzusuchen. Wie zur Zeit der Perser-
noth flüchtete Alles von Haus und Hof; aber diesmal nicht auf die
Inseln und die jenseitigen Küsten, sondern für die grofse Mehrzahl
war Athen selbst wie eine rettende Insel, und in dichten Zügen
drängten sich viele Tage lang die Landleute, mit ihren Habseligkeiten
beladen, in die Stadtthore und die engen Gassen herein, während die
Heerden über das Meer gebracht wurden, meistens nach Euboia.
Es war ein schweres Opfer für die an ländliche Unabhängigkeit
gewöhnten Grundbesitzer, von ihren Höfen, Feldern und Weinbergen,
von allen ihren Einrichtungen, welche nach dem Perserkriege erst vor
Kurzem wieder vollständig hergestellt waren , auf ungewisse Zeit Ab-
schied zu nehmen ; sie schieden zugleich von ihren Heiligthümern und
Grabstätten und von allen glücklichen Lebensgewohnheiten; es war
ein bitteres und demüthigendes Gefühl, dies Alles ohne Kampf preis-
geben zu müssen.
Innerhalb der Stadtmauern wurde nach Möglichkeit Raum ge-
schafft, und die Gastfreundschaft erleichterte, wie sie konnte. Aber
Cortiu», Or. Ge»ch. II. G. Aufl. 26
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402
ARCHIDAMUS 1> ATTIKA (87, 2; 4SI JUM).
die Notb drängte, auch heilige Räume, wie gemeine, zu benutzen, und
warnenden Orakeln zum Trotze wurde auch das sogenannte Pelargikon
unter der Burg zu Wohnplätzen verwendet. Wohlhabende Landleute
mussten sich mit ihrem Gesinde in den Thürmen der Ringmauer ein-
nisten; zwischeu den drei Hafenmauern, und wo sonst leerer Platz
war, wurden Zelte, Hütten und Lagerstätten nolhdürftig eingerichtet.
Perikles wusste, dass Archidamos noch immer auf seinen Sturz hoffte.
Die letzte Sendung war nur darauf berechnet gewesen, der Gegenpartei
in Athen noch einmal Gelegenheit zu geben, sich zu rühren. Eine neue
List war zu befürchten. Archidamos konnte auf den Gedanken kommen,
Perikles, seines Gastfreundes, Güter zu schonen, um auf diese Weise
Misstrauen zu erregen; Perikles erklärte deshalb, dass seine Güter,
wenn der Feind sie verschone, Eigenthum des Volkes sein sollten. In
der Stadt selbst sorgte er für Handhabung der strengsten Ordnung; alle
Bürgerversammlungen waren untersagt; ehe der Feind sich gezeigt
hatte, war Athen im Belagerungszustande. Es durfte jetzt nur Ein
Wille herrschen ; denn die Feinde im eigenen Lager, welche jede Noth,
jede Verlegenheit, jede Verletzung alter Sitte ausbeuteten, um Perikles
zu schaden, waren gefahrlicher als der äulsere Feind, mit dem sie
dasselbe Ziel verfolgten. So viel auch Perikles in seinem vielbewegten
Leben an Noth und Gefahr durchgemacht hatte, jetzt begann doch
seine schwierigste Aufgabe ").
Die vorbereiteten Mafsregeln wurden ihm durch die Langsamkeit
des feindlichen Feldherrn erleichtert, dessen Verfahren sich daraus er-
klärt, dass er zunächst im Einverständnisse mit den Thebanern han-
delte. Denn während diese das Gebiet von Plalaiai verwüsteten, rückten
die Peloponnesier an der andern Seite des Kilhairon entlang und
griffen Oinoe an, die attische Gränzfestung, welche am Fufse des Ge-
birges lag bei den Quellen des Kephisosbaches, der nach Eleusis hin-
unter fliefst. Die Spartaner folgten auch hier älterer Tradition. Denn
schon zur Zeit des Königs Kleomenes (I, 386) war mit den Böoliern
ein Angriff auf Oinoe verabredet, weil dieser Platz an dem Wege nach
Theben lag und also zur Verbindung mit dem Peloponnes eben so
wohl gelegen war wie zur Beherrschung der eleusinischen Ebene.
Indessen bewährten sich die perikleischen Vorkehrungen; der
Platz hielt sich trotz der angestrengtesten Bemühungen des Archida-
mos, so dass dieser die ganze Sache aufgab und die Truppen aus dem
Gebirge in die Ebene hinabführte, wo die Junisonue inzwischen das
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AUFREGUNG DER BÜRGERSCHAFT. 403
Getreide gereift hatte. Es waren elf Wochen seit dem Ueberfalle von
Plataiai vergangen, als sich die Truppen beutegierig über die wohlge-
pflegten Fluren ergossen. Das feste Eleusis blieb ungefährdet. Dann
rückte man gegen Athen selbst vor, aber nicht auf der geraden Straf se
durch die Schlucht des Pythion, sondern weiter nördlich durch die
breitere Einsattelung, welche den Aigaleos vom Parnes trennt und
nach dem oberen Theile der athenischen Ebene führt, wo Acharnai der
Hauptort war. Dies war der bevölkertste Gau von Attika , der sich
durch einen derben kräftigen Menschenschlag auszeichnete und ein sehr
beträchtliches Contingent zum attischen Landheere stellte; es waren
Kohlenbrenner, die am Parnesgebirge ihr Geschäft trieben, und Wein-
bauern.
Hier rechnete Archidamos mit Bestimmtheit auf eine bedeutende
Wirkung seiner Kriegführung. Denn jetzt konnte man von den Mauern
der Stadt die Wachtfeuer der Truppen sehen , welche in den Feldern
und Weinbergen lagerten, und den kriegstüchtigsten Einwohnern
wurde zugemuthet, ruhige Zuschauer zu bleiben, wenn ihre Häuser
und Hofgebäude in Flammen aufgingen. Wohl war der Schaden nicht
so grofs, wie man es sich nach dem Mafsstabe neuerer Zeiten vorstellt.
Denn die Häuser waren meist nur von Lehm, und alle Privatwohnungen
sparsam eingerichtet. Aber der Frieden hatte doch den Luxus geför-
dert, und es waren an vielen Orten geschmackvolle Villen und behag-
liche Landsitze entstanden, so dass Archidamos in dem Erfolge seiner
Mafs regeln sich nicht getäuscht sah.
Die Bürger murrten und lärmten; besonders die Grundbesitzer,
welche ohnehin die schwersten Kriegslasten zu tragen hatten und nun
ihren Ruin vor Augen sahen. Denn was sollte aus ihnen werden,
wenn sich diese Einfälle Jahr für Jahr wiederholten und man dabei
verharrte, nichts zum Schutze der Felder zu thun? Hätte Perikles
eine Versammlung auf der Pnyx gestattet, es wäre vielleicht zu den
unbesonnensten Beschlüssen gekommen. Statt dessen sah man nun
auf Strafsen und Plätzen das Volk sich zusammenrotten , um Perikles
zu schmähen, den Urheber des Elends, den Feigen, den Verrätber.
Das sei, hiefs es, doch das Uebermafs von Tyrannei, dass Einer die
Macht habe, ein ganzes Volk in den Mauern einzusperren und den Bür-
gern das Recht zu nehmen, ihre eigenen Aecker zu verlheidigen !
Eine Probe dieser Schmähungen ist in dem Bruchstücke einer
Komödie des Hermippos erhalten: *0 du Satyrn-Fürst, so willst du
2C*
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404
FLOTTENZÜGE DER ATHENER (87, «; 4SI SOMMER)
'denn nie aufheben den Speer« du vermaßest doch sonst mit gewal-
'tigem Wort dich als Kriegsfeidherrn, wo ist dein Muth nun geblieben?
4Du knirschest vor Wuth, wenn Einer am Stein sein Messer sich
'schärft, seit Kleon, der Wilde, dich zauste.' Kleon, der Lederfabrikant,
in Verbindung mit Gleichgesinnten, beutete also die Gelegenheit aus,
um sich als Stimmführer der Unzufriedenen eine Bedeutung zu ver-
sebaffen. Perikles liefe nur die Reiterei hinaus, und es war gewiss ein
Grund neuer Verstimmung, dass nur dieser aristokratischen Truppe
die Ehre zu Theil wurde, sich mit den Feinden zu messen und in glück-
lichen Gefechten die nächsten Fluren um die Stadt beschützen zu
können. Gleichzeitig bemannte Perikles eine stattliche Flotte von
hundert Schiffen mit den besten Truppen , aber er selbst blieb daheim
auf dem schwierigeren Posten, wo ihn Niemand ersetzen konnte. Fest
und sicher hielt er das Steuer des Staats in der Hand; kein Poltern
veranlasste ihn wider seine Ueberzeugung zu handeln und Kürgerleben
im offenen Felde zu opfern. 'Lasst eure Bäume', rief er den Athenern
zu, nur abhauen, die wachsen bald wieder; die Menschen nicht!' Un-
erschüttert ruhig stand er über der gährenden Menge.
Um dieselbe Zeit, als die Flotte vom Peiraieus auslief, verlief»
Archidamos das attische Gebiet, nachdem sein Heer vier bis fünf
Wochen lang den ganzen Norden der Landschaft bis Euboia hin ver-
wüstet hatte; wie ein Heuschreckensch warm zog es wieder ab, nach-
dem die Fluren abgeweidet waren. Wahrscheinlich wirkte darauf auch
der Anblick der Flotte, die man nach dem Peloponnes steuern sah,
weil die Truppen ihrer schutzlosen Dörfer und Familien in der Heimath
gedachten*8).
Der Best der guten Jahreszeit gehörte den Athenern. Ihre
Flotte ging um den Peloponnes herum und griff Melhone (Modon) an,
einen der wichtigsten Hafenplätze auf der Südspitze der messenischen
Halbinsel (I, 203 f.), der Inselgruppe der Oinussen gegenüber. Der
Angriff misslang durch die Geistesgegenwart des Brasidas, der sich
rasch in den bedrohten Ort hineinwarf, und die Athener, welche sich
mit 50 kerkyräischen Schiffen vereinigt hatten, zogen nun an der
Westküste des Peloponnes entlang, wo die reichen Grundbesitzer von
Klis für die Verwüstungen des attischen Landes büfeen mussten. Dann
nahmen sie zwei korinthische Plätze an der Küste von Akarnanien und
erlangten den freiwilligen Beitritt der Insel Kephallenia, welche mit
ihren vier Städten der altischen Bundesgenossenscbaft sich anschloss.
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AUSTREIBUNG DER AEGI.NETEN. MEGARA
405
Gleichzeitig war ein Geschwader von 36 Schiffen durch den Kanal
von Euboia gegen Norden gegangen, um die Lokrer zu züchtigen.
Zwei ihrer Städte wurden zerstört, ihre Kästen gebrandschatzt und
auf der kleinen Insel Atalante Verschanzungen aufgeworfen, welche
attische Besatzung erhielten, um die Lokrer in Obacht zu halten. End-
lich wurde beschlossen, die Aeginelen sämtlich von ihrer Insel zu ver-
treiben ; hatten sie doch durch heimliche Angehereien vor Allen dazu
beigetragen, den Peloponnes gegen Athen aufzuhetzen; Perikles be-
durfte aufserdem einer neuen Landanweisung zur Beruhigung der
Bürgerschaft , und endlich erschien ihm aus militärischen Rücksichten
nichts nothwendiger, als sich der Insel zu versichern, welche auf
halbem Wege nach dem Peloponnes gelegen, als Flottenstation den
Athenern eben so nützlich als gefährlich werden konnte. Darum
wurden die Grundstücke unverzüglich an attische Bürger ausgethan
und die alten Aegineten mit Weib und Kind an die peloponnesischen
Küsten ausgesetzt.
Nächst den Aegineten waren die Megareer, als Ankläger Athens,
am meisten verbasst. Zu ihrer Züchtigung rückte Perikles selbst als
Feldhauptmann aus mit 10,000 schwerbewaffneten Bürgern, 3000
Schutzbürgern in gleicher Rüstung und einem grofeen Haufen Leicht-
bewaffneter. Ihm war die Gelegenheit willkommen, das attische Land-
heer in voller Stärke in's Feld zu führen und zugleich der Welt zu
zeigen, wie übel diejenigen berathen seien, welche sich auf Spartas
Schutz verliefsen. Die peloponnesischen Contingente waren längst in
ihre Städte und Dörfer heimgekehrt, und auch die Korinther sahen
ruhig zu, wie man ihr Nachbarland so gründlich verwüstete, dass bis an
die Mauern der Stadt alle Gartenpflanzungen vernichtet wurden. Ja, es
erfolgte um diese Zeit auf Antrag des Gharinos ein neuer 'mega-
rischer Volksbeschluss', in welchem den Megareern auf ewige Zeiten
unversöhnliche Fehde angekündigt und über jeden auf attischem Boden
Betroffenen Todesstrafe verhängt, den attischen Feldherrn aber im
Amtseide die Verpflichtung auferlegt wurde, jährlich zweimal einen
Einfall in Megaris zu machen. Es war zugleich die Strafe für die
Tödtung des Herolds Anlbemokritos, welcher in öffentlichem Auftrage
zu den Megareern geschickt und von diesen erschlagen worden war ; es
war endlich wohl auch eine strategische Mafsregel, um durch voll-
ständige Verwüstung des Gränzlandes den Peloponnesiern künftige
Feldzüge zu erschweren.
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4 06
BUND MIT KÖNIG SITALKES (87. 8; 431).
In ähnlicher Absicht wurden auch andere Malsregeln getroffen.
Eine sorgfaltige Bewachung des ganzen Landes wurde angeordnet und
bis auf Salamis ausgedehnt, um von hier jede Bewegung an der me-
garischen Küste beobachten und nach dem Peiraieus durch Signale
melden zu können; es wurde beschlossen, die alten Trieren nicht wie
sonst bei Seile zu schieben , sondern zu Transportschiffen umzubauen,
um wirksamere Angriffe auf Feindesland machen zu können ; es wurde
verordnet, dass zum Schulze des Landes die hundert besten Trieren
mit ihren zugewiesenen Trierarchen stets bereit bleiben sollten, um
für den Fall eines Seeangriffs Athen und Atlika zu vertheidigen ; und
zu gleichem Zwecke wurden 1000 Talente als Reservefonds niederge-
legt, mit der Bestimmung, dass Todesstrafe darauf stehe, wenn Jemand
das Volk bereden wolle, diese Schalzabtheilung zu einem andern
Zwecke anzugreifen. So wollte Perikles erreichen, dass auch über
die Zeit seiner Macht und seines Lebens hinaus die Republik sich selbst
Gewalt anthue, um sich vor leichtsinnigen Schritten zu hüten.
Endlich war man auch in diplomatischen Verhandlungen thätig
und benutzte dazu die entlegeneren Städte der Bundesgenossen, welche
mit ausländischen Reichen in Beziehungen standen. Besonders nütz-
lich erwies sich Abdera an der Südseile von Thrakien, eine Stadt, deren
Reichthum und Kunstliebe durch eine Reihe herrlicher Silbermünzen
bezeugt ist. Ein angesehener Bürger der Stadt, Namens Nymphodoros,
hatte seine Schwester an Sitalkes, den König der Odrysen, ver-
lieiratheL Das Reich dieses Thrakerkönigs war bis gegen die Seeküste
vorgeschoben und er strebte darnach, durch hellenische Verbindungen
seine Macht und seinen Einfluss zu vergröfsern. Den Athenern war
aber jede Stärkung ihrer Macht in dieser Gegend doppelt wichtig, weil
Potidaia noch immer ihrer Belagerung trotzte und die Städte der
Chalkidike im Aufstände verharrten. Nymphodoros wurde zum Proxe-
nos Athens ernannt, und es gelang ihm wirklich, den mächtigen
Thrakerkönig zum Bundesgenossen der Stadt zu machen; er vermittelte
zugleich eine Versöhnung mit Perdikkas, dem Therme (das spatere
Thessalonike) zurückgegeben wurde, und so gewann Athen auf einmal
freie Hand in diesem so wichtigen Coloniallande und konnte einer
baldigen Beendigung der gefährlichsten aller bisher entbrannten Fehden
entgegensehen").
Als das erste Kriegsjahr zu Ende ging, musste die Stimmung der
Peloponnesier eine sehr gedrückte sein. Auf ihnen lastete die Verant-
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PERIKLES' LEICHENREDE (87, 2; 481).
407
wortlichkeit für den Beginn des einheimischen Kriegs, dessen Spuren
dem Boden des Vaterlandes schon tief eingeprägt waren; ihre Absichten
auf den Sturz desPerikles waren misslungen, ihre ganze Kriegführung
erwies sich als unzulänglich. Die Unnahbarkeit der feindlichen Stadt,
ihre Beherrschung des Meers, die Energie ihrer Politik hatte sich von
Neuem bewährt. Der Peloponnes war durch den Beitritt von Kephal-
lenia den attischen Angriffen noch mehr bloßgestellt; die Korinther
mussten in Thrakien alle ihre Hoffnungen aufgeben, und wenn sie
auch mit ihren Schiffen an der Küste Akarnaniens nach Entfernung
der Athener einige Vortheile gewonnen hatten , so waren sie doch im
Ganzen in ihren Erwartungen bitter getäuscht. Perikles dagegen wurde
nach allen Anfechtungen die Genugtuung zu Theil, dass ihm, als dem
bewährten Staatsmanne, das Ehrenamt übertragen wurde, bei der feier-
lichen Bestattung der im ersten Kriegsjahre gefallenen Börger im Namen
des Staats die Leichenrede zu halten.
Es war der Gefallenen nur eine kleine Anzahl. Um so eher
konnte Perikles von dem gewöhnlichen Gange solcher Reden abweichen
und von den Todten, welche der Staat schon durch das Leichenbe-
gängniss und die Sorge für die Hinterbliebenen ehrte, auf die Ge-
meinschaft der Lebenden übergehen und den Staat selbst schildern, für
welchen die Bürger in den Tod gegangen wären. Und es ist in der
That eines der grofsartigsten Schauspiele, wenn wir uns die attische
Bürgerschaft in voller Zahl an den Gräbern des Kerameikos um
Perikles vereinigt denken, der von einem Gerüste zu ihnen redete.
Noch hatten sie im frischen Gedächlniss die unsägliche Noth des
Krieges; rings um sie her lagen die verödeten Felder und ausgebrannten
Höfe ; ein gleicher Nothstand war in wenig Monaten von Neuem vor-
auszusehen, und während dieser Zeit, die Allen empfindliche Verluste
brachte, mussten sie nicht nur auf jede Annehmlichkeit des Lebens,
sondern auch auf den Genuss ihrer theuersten Rechte und Freiheiten
Verzicht leisten. Und dennoch drängen sie sich um den Mann, der
ihr Schicksal in Händen hatte, und hören mit Begeisterung auf die
Rede, in welcher er ihnen die Herrlichkeit ihrer Stadt vor Augen stellt,
die ein Vorbild aller Hellenen sei. Mit edler Unbefangenheil rühmt er
ihre Verfassung, die zwar im vollen Sinne eine volksherrschaftliche sei,
jndem sie das Wohl des ganzen Volkes bezwecke und allen Bürgern
gleiche Rechte gewähre, aber eben dadurch geeignet sei, die Besten
unter ihnen in die ersten Stellen des Staats gelangen zu lassen. Er
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408
ZWEITER EINFALL (»7, «; 430 MAI).
preist die hohen geistigen Genüsse, welche die Stadt darbiete, die freie
Liebe der Bürger zur Tugend und Weisheit, ihre allgemeine Theil-
nahme am Wohle des Staats, die edle Gastlichkeit derselben, die
Mäfsigkeit und Tüchtigkeit, welche der Friede und die Liebe zum
Schönen nicht erschlafft habe , so dass die Stadt der Athener unter
allen Umstanden ein Gegenstand gerechter Bewunderung für Mit- und
Nachwelt sein werde.
So stellte Perikles den Bürgern die Beschaffenheit ihres Staats
vor Augen und schilderte ihnen das Yolk von Athen, wie es sein sollte.
Ihr besseres Selbst hielt er ihnen vor, um sie zu stärken und über
sich selbst zu erheben, um sie zur Selbstverleugnung, zur Sündhaftig-
keit und zu besonnener Tapferkeit zu erwecken. Mit neuem Lebens-
muthe kehrten sie von den Gräbern heim und gingen den weiteren
Schickungen entgegen. Als daher zum zweiten Male Archidamos in
Attika einrückte, hatten sie sich schon besser in das Unvermeidliche
gefunden. Die im vorigen Jahre verwüsteten Felder waren nicht
wieder bebaut worden, und so mussten die Spartaner durch die besten
Fluren rasch hindurchziehen , um in den östlichen Strichen der Land-
schaft bis Cap Sunion hinunter Unterhalt zu finden. Man gewann
bereits mehr Vertrauen zu dem Systeme des Perikles und lernte ver-
schmerzen, was im vorigen Jahre noch unerträglich schien.
Da brach ein neues Unglück herein, eine aufserhalb aller mensch-
lichen Berechnung liegende Noth.
Man hatte schon längere Zeit von bösen Krankheiten gehört,
welche in Aegypten und den asiatischen Satrapien wütheten und bis
nach Lern n os vorgedrungen waren. Auch im Westen , in Sicilien und
Italien, waren um dieselbe Zeit furchtbare Sterbejahre, und die Ur-
sache lag, wie man später nachzuweisen glaubte, in einer Reihe feuch-
ter Winter, in denen sich viel Wasser auf und unter der Erdoberfläche
angesammelt habe. Dadurch sei die Luft verpestet und die Landes-
frucht verdorben worden. Auch die jährlichen Nordwinde, die Etesien,
welche die Atmosphäre reinigen, waren ausgeblieben. So soll um jene
Zeit, als der Krieg ausbrach, der die gesellschaftliche Ordnung der
griechischen Welt auflöste, auch die natürliche Ordnung gestört
worden sein; eine Ansicht, die damals weit verbreitet war; denn
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DIE ATTISCHE PEST SOMMER 430; 87,
409
man glaubte, dass niemals so viel schreckende Naturereignisse ein-
getreten seien, wie seit Anfang des Kriegs96).
Attika, sonst durch Gesundheit und frische Luft vor allen Land-
schaften ausgezeichnet, erfuhr zum ersten Male die Gefahren, denen
ein belebter Seeplatz ausgesetzt ist Denn kaum war die Schiffahrt
eröffnet, so zeigten sich die ersten, ängstigenden Sterbefälle. Sie
kamen an verschiedenen Punkten Griechenlands vor, aber sie blieben
dort einzeln und verschwanden wieder. In Attika aber fand die Krank-
heit einen vorbereiteten Boden, auf dem sie sich einnistete und in
unerhörter Weise ausbreitete. Die ganze Bevölkerung hatte sich so
eben wieder in die Mauern geflöchtet. Eine Menge von Menschen war
eng zusammengedrängt, die aus allen Gewohnheiten herausgerissen
waren, die in Sorge, Aufregung und vielfacher Kümmerniss lebten, im
Freien schliefen, und für Bewegung, gute Nahrung und Reinlichkeit
nicht gehörig sorgen konnten. Im Peiraieus, der besonders voll-
gedrängt war, waren die Wasserwerke noch unvollendet; es gab nur
Cisternenwasser. Nun kam die Sommerhitze dazu. So geschah es,
dass bald in der Ober- und Unterstadt die Seuche zur vollen Herr-
schaft kam. Die anderen Krankheiten verschwanden. Alle Stande
ohne Unterschied von Alter und Geschlecht wurden ergriffen, und
überall waren die Krankheitserscheinungen dieselben. Es war ein
typhöses Fieber, ähnlich den Fiebern, welche als Folge von Kriegsnoth
in Lagern und Städten vorkommen. Das Leiden trat plötzlich mit
Kopfhitze und Entzündung der Augen ein. Dann wurden die inneren
Organe ergriffen ; Zunge und Mundhöhle schwollen an , ein schmerz-
hafter Husten stellte sich ein, galliges Erbrechen und ein anhaltendes,
qualvolles Würgen. Auf der Haut zeigten sich Bläschen und Geschwüre.
Von aufsen fühlte man dem Körper keine Hitze an , aber die innere
Gluth war so grofs, dass die Kranken alle Kleider von sich warfen und
Einzelne sich wie wahnsinnig in die Brunnen stürzten. An dieser
inneren Hitze gingen die Meisten zu Grunde nach sieben oder neun
Tagen, ohne dass äufserlich ihr Körper verfiel. Andere überdauerten
den ersten Anfall und starben dann in Folge von Durchfall und Ent-
kräftung. Noch Andere kamen wohl mit dem Leben davon, aber es
blieb eine Geistesschwäche zurück, oder sie überlebten die Krankheit
nur nach Verlust einzelner Gliedmafsen.
Die Wissenschaft war nicht müfsig. Hippokrates selbst (S. 280)
erforschte die Krankheit. Auch hat er, wenigstens im späteren Ver-
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WIRKUNG DER PEST.
laufe derselben, den Athenern seine Erfahrungen zu Gute kommen
lassen , indem er namentlich durch Feuer die Atmosphäre zu reinigen
suchte: ein Verfahren, auf welches ihn die Beobachtung geleitet haben
soll, dass von allen Bürgern der Stadt die Schmiede am meisten
verschont blieben. Zunächst aber waren alle Heilmittel, die man bei
Priestern und Aerzten suchte, vollkommen wirkungslos. In dumpfer
Verzweiflung liefs man das Uebel walten. Die Ansteckung war so
grofs, dass Freunde und Verwandte ihre Kranken im Stiche liefsen
und dass auch die den Griechen so heilige Sitte des Begräbnisses ver-
absäumt wurde. Schaarenweise sah man Sterbende und Todte um die
Brunnen herumliegen, wo sie die letzte Erquickung gesucht hatten;
heilige Plätze wurden zum ersten Male durch Leichen verunreinigt
Während andere Nolhstände das Volk zu einigen pflegen, löste diese
Noth die Bande der Familie wie die bürgerlichen Bande. Man wurde
gleichgültig gegen Gesetz und Ordnung, stumpf gegen Ehre und
Pflicht; man grollte Göltern und Menschen. Nach Verschiedenheit
der Gemüthsart gaben die Einen sich einem finstern Missmuthe hin
und sahen sich den Strafen unversöhnlicher Mächte preisgegeben,
während die Anderen sich in ungezügelter Frechheit alleji schlechten
Trieben überliefsen und in mafslosem Genüsse Betäubung oder Zer-
streuung suchten*4).
Die Lage der Athener war in der That furchtbar. Während man
sonst bei allen Krankheiten zuerst durch Luftveränderung und Flucht
in's Gebirge sich zu helfen suchte, sah man sich nun bei der steigen-
den Hitze innerhalb der Mauern eingesperrt; die Landschaft durch-
zogen die Peloponnesier, um den letzten Best des ländlichen Wohl-
standes zu vernichten, während im Innern der schlimmere Feind
wülbete, dem die Menschen wie wehrlose Schlachtopfer rettungslos
erlagen. Aller Verkehr stockte, die Preise der Lebensmittel stiegen;
die Armen litten doppelte Noth, während den Beichen all ihr Geld und
Gut nichts half.
Der Partei wuth war kein Mittel zu schlecht, um es nicht zum
Sturze eines verhassten Gegners anzuwenden; auch die gegenwärtige
Noth wurde zur Waffe gegen Perikles. Die spartanische Partei beutete
den Aberglauben der Menge aus und wies in der Pest die Hand des
Apollon nach , der sich durch sein Orakel nicht vergeblich zum
Bundesgenossen Spartas erklärt habe; er helfe der guten Sache, darum
sei auch der ganze Peloponnes von der Seuche verschont geblieben.
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WIRKUNG DER PEST. PERIKLES' SEEZUG (480 ; 87, S). 411
Es möge doch mit der Alkmäonidenschuld , die auf dem ersten Manne
des Staats liege, nicht so leicht zu nehmen sein. Und wo auch eine
solche Auflassung keinen Eingang fand, da hiefs es doch, die Pest sei
die Folge des Kriegs, der Krieg aber die Schuld des Perikles. Also
derselbe Mann, sagte man, der die Bürger um alle Freiheiten gebracht
hat, der hochtönende Reden zum Preise der Demokratie hält, während
er sie nur zu einer verfassungswidrigen Selbstherrschaft benutzt, er
ist auch der Urheber der gegenwärtigen Noth , und ihm mag es ganz
recht sein, wenn durch Pest und Kriegsnoth die Bürgerschaft auf-
gerieben wird, damit er um so vollständiger seine ehrgeizigen Pläne
erreichen könne.
Die Gegner des Perikles benutzten die Zeit, da er selbst, als
Feldherr, mit einer Flotte von 150 Trieren nach Epidauros abging.
Epidauros widerstand, aber die ganze Küste von Argolis, so weit es im
Bunde mit Sparta war, die reichen Landschaften von Troizen und
Hermione wurden wüste gelegt und Prasiai genommen , um als fester
Platz an der lakonischen Gränze den Athenern zu dienen. Als die
Flotte heimkehrte, waren die Peloponnesier so eben wieder abgezogen,
nachdem sie volle vierzig Tage lang im Lande gehaust hatten. Die
Angst hatte sie am Ende fortgetrieben, als sie von der immer steigen-
den Sterblichkeit hörten und den Qualm der Scheiterhaufen über der
unglücklichen Stadt liegen sahen. Den Befehl der Flotte übernahmen
die beiden Mitfeldherrn des Perikles, Hagnon (S. 260) und Kleopom-
pos; er selbst blieb in der Stadt zurück, wo nun die schwierigste Auf-
gabe seiner wartete.
Er fand die Lage ganz verändert; die Umtriebe seiner Gegner
waren nur zu erfolgreich gewesen, er hatte das Volk nicht mehr in
seiner Hand. Aus verstecktem Grolle war offener Widerspruch gewor-
den; man hatte sogar seinen Befehlen zum Trotz Bürgerversammlungen
gehalten, und die Partei der Widersacher , welche jetzt Frieden um
jeden Preis erstrebte, hatte es durchgesetzt, dass Gesandte nach Sparta
geschickt wurden , um zu unterhandeln. In Sparta wusste man diesen
Zeilpunkt nicht zu benutzen; wahrscheinlich hielt man Perikles schon
für gestürzt, Athen für verloren und kannte kein Mafs in seinen For-
derungen; kurz, die Verhandlungen zogen sich in die Länge, und nun
wendete sich der volle Verdruss in offenen Angriffen gegen Perikles.
Er musste eine Versammlung berufen, um sich und seine Politik zu
vertheidigen. Er that es, aber nicht in schmeichelnder oder nach-
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412
PER1KLES' RECHTFERTIGUNG.
giebiger Art, sondern stolzer und fester, strenger und selbstbewusster
als je zuvor, trat er ihnen gegenüber. Niemals hat er seine Ueber-
legenheit und seinen persönlichen Beruf, der Erste zu sein, so ein-
fach und würdig, so frei von falscher Bescheidenheit seinen Mit-
bürgern dargelegt, als in der Stunde der höchsten Gefahr; sie sollten
fühlen, dass sie ihn schmähten und verkannten, weil sie seiner nicht
mehr würdig waren.
'Was habt ihr mir vorzuwerfen ?' rief er ihnen zu. 'Ich bin der-
selbe geblieben, ihr seid die Schwankenden; nicht den Muthigen trifft
'der Tadel, sondern den Kleinmütbigen und Kurzsichtigen. War der
'Kriegsbeschluss ein Fehler, so habt ihr gleiche Schuld, wie ich; ihr
'durftet aber nicht anders handeln. Thorheit und Verblendung ist es,
'einen glücklichen Frieden leichtsinnig zu brechen; aber eine Herr-
' schaft, wie die eurige, freiwillig aufzugeben, ist nicht nur schimpflich,
'sondern es ist auch unmöglich, ohne euch den gröfsten Gefahren preis-
zugeben. Warum verzagt ihr? Euch gehört das Meer; alle Küsten
'und Häfen sind euer; es steht nur bei euch, wenn ihr wollt, eure Herr-
'schaft noch weiter auszudehnen; denn kein König, kein Volk der Erde
'wagt euren Trieren entgegen zu treten. Und ihr härmt euch um eure
'Gütchen und Wirtschaftsgebäude? Wohl ist zu der Kriegsnoth, auf
'die wir gefasst sein mussten, eine unerwartete getreten und hat eure
'Sündhaftigkeit auf die schwerste Probe gestellt Euren Schmerz ehre
'ich, aber euer Kleinmuth ist nicht gerechtfertigt, und keine Noth darf
'euch so weit beugen, dass ihr mit Schanden preisgebt, was eure Väter
'mit Ehren errungen haben ; vielmehr gilt es, in dem Gedanken an das
'blühende Gemeinwesen das häusliche Elend standhaft zu tragen; lasst
'ihr jenes verfallen , so ist ja doch auch für den Einzelnen ein glück-
licher Zustand undenkbar.'
Noch einmal gelang es Perikles die gesunkene und ihm entfrem-
dete Bürgerschaft zu sich empor zu heben. Sie beschloss alle Unter-
handlungen abzubrechen und den Krieg nach seinem Plane fortzusetzen.
Aber seine Feinde ruhten nicht und setzten Alles daran, dass die Auf-
regung, die sie so emsig geschürt hatten, nicht wirkungslos vorüber-
gehe. Der geringe Erfolg der Seezüge dieses Jahrs war ihnen günstig.
Von Potidaia kehrte die Flotte, die Perikles seinen Mitfeldherrn über-
geben halte, in trübseligem Zustande nach Athen zurück; anstatt den
Fall der Stadt endlich herbeizuführen, hatte sie dem Belagerungsheere
nur das Unheil der Seuche mitgebracht; von viertausend Kriegern war
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PERIKLES VERURTEILT (E.M>E 87, 2; 430).
413
in wenig Wochen über ein Viertheil hingerafft worden. Jeder Misser-
folg wurde Perikles aufgebürdet und es scheint, dass er noch während
seines Amtsjahrs (87, 2 ; 430) durch ein ausserordentliches Verfahren
vor Gericht gezogen wurde, indem Simmias, Lakraiidas und Kleon
einen Recbenschaftsprozess gegen ihn anhängig machten. Es wurden
ihm Nachlässigkeiten in der Verwaltung von Staatsgeldern vorgeworfen,
die Oberrechenbehörde fand die Belege nicht in Ordnung, er wurde
in eine hohe Geldstrafe verurteilt, die er nicht aufzubringen vermochte.
Perikles blieb also vom Amte suspendirt und war auf einmal aller
Macht entkleidet; ja er hatte als Staatsschuldner nicht einmal die
Ehrenrechte des gewöhnlichen Bürgers und musste sich jeder öffent-
lichen Thätigkeit enthalten "0-
Er zog sich in das Privatleben zurück. Aber hier wartete seiner
neues Herzeleid; denn es sollte ihm, dem betagten Manne, welcher sein
ganzes Leben rastlos dem öffentlichen Besten gewidmet hatte, nicht
vergönnt sein, bei den Seinen oder im engsten Kreise treuer Genossen
für die wankelmüthige Gesinnung der Menge Trost und Entschädigung
zu finden. Die Seuche räumte fürchterlich in seiner nächsten Umgebung
auf. Von den beiden Söhnen, welche ihm seine Gattin geboren hatte
(S. 229), starb der ältere, ohne dass eine Versöhnung eingetreten war;
eine ihm nahe verbundene Schwester wurde ihm entrissen; dann eine
Reihe von Männern, welche die Werkzeuge seiner Thätigkeit waren
und die Vertrauten seiner Verwaltung. Ein wehmüthiges Gefühl der
Vereinsamung überkam den Schwergeprüften; aber er blieb uner-
schültert und kräftig, ruhig und voll Gleichmuth; seine Feinde konnten
ihm keine schwache Stunde nachweisen. Da ergriff die Seuche auch
seinen jüngeren Sohn, den er mit einem, Athens Seeherrschaft andeu-
tenden, Heroennamen Paralos genannt hatte, und als er ihm den Todten-
kranz um die Schläfe legte, da brach das Vaterherz, und zum ersten
Male sahen die Athener den hohen Mann von der Wucht des Schmerzes
überwältigt und laut jammernd über das Unglück seines Hauses.
Inzwischen suchten seine Gegner den Staat zu lenken, aber es
ging nicht; sie waren planlos, unentschlossen und ohnmächtig. Je
öfter sie vor die Bürgerschaft traten, um so mehr wurde man des
Unterschieds inne, welcher zwischen ihnen und Perikles bestand ; man
hatte sich daran gewöhnt, von einem kräaigen Willen gelenkt zu
werden, und so geschah es, dass sich das Murren wider Perikles in
Sehnsucht nach ihm umwandelte. Man fühlte sich verlassen und ver-
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PERIKLES WIEDER FELDHERR (87, 3; 480).
waist, und der erste Trost, welcher dem tiefgebeugten Manne von
seinen Freunden gebracht werden konnte, war die Meldung von
der Umsümmung der Bürger, von ihrer Reue, von ihrem Verlangen
nach ihm.
Er hielt sich eine Zeitlang scheu von der Oeffentlichkeit zurück ;
aber immer dringender wurde die Stimme der Bürger; das Schiff des
Staats schwankte ohne sichere Leitung, und endlich liefs sich der greise
Staatsmann noch einmal bewegen, das Steuer in die Hand zu nehmen.
Die vollständigste Ehrenerklärung wurde ihm zu Theil und die Ober-
feldherrnwürde mit ausgedehnten Vollmachten von Neuem in seine
Hand gegeben. Als Unterpfand des wiedergekehrten Vertrauens ver-
langte er die Annahme eines Antrags, durch welchen sein eigenes Ge-
setz, dass nur die Kinder aus rechlmäfsiger Bürgerehe als Bürgersöhne
gelten sollten (S. 263 f.), aufgehoben wurde. Man wusste wohl, dass er
dabei zunächst an sein Haus dachte und für einen Sohn von Aspasia
die Anerkennung wünschte; denn das Aussterben des Hauses war für
einen Hellenen das schwerste Unglück, welches ihn treffen konnte.
Indessen ist wohl anzunehmen, dass Perikles nach den Verheerungen
der Pest überhaupt eine Umänderung und Milderung jenes Gesetzes
für angemessen hielt").
Ihm kam zu Gute, dass die Erbitterung gegen Sparta durch einen
unerwarteten Zwischenfall neue Nahrung erhalten hatte. Gegen Ende
des Sommers wurde nämlich eine peloponnesische Gesandtschaft nach
Persien geschickt, um durch Vermittelung des Pharnakes, des Satrapen
in Kleinasien, den Grofskönig zur Unterstützung der peloponnesischen
Sache zu veranlassen.
An der Spitze der Gesandtschaft stand Aristeus, des Adeimantos
Sohn (S. 370), der dieselbe gewiss vor allen Anderen betrieben hatte,
vor Allem um Polidaia zu retten ; denn die Korinther waren daselbst
durch Phormion dergestalt eingesperrt, dass ihre Schiffe nicht aus-
noch einfahren konnten. Aufserdem gingen drei Spartaner und ein
Tegeate von Am Uwegen mit.
Unterwegs sollte Sitalkes, der nach dem Grofskönige der mäch-
tigste Barbarenfürst war, den Athenern abwendig gemacht werden,
aber statt dessen wussten es die Athener durch ihren Ehrenbürger
Sadokos, des Sitalkes Sohn, durchzusetzen, dass die Gesandtschaft, wie
sie im Begriffe war über den Hellespont zu fahren, ergriffen und den
Athenern ausgeliefert wurde. Als sie nach Athen eingebracht wurden.
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HINRICHTUNG DES GESANDTEN. DRITTES KRIEGSJABR. 415
war die Wulh des Volkes nicht zu zugein, und namentlich war der Hass
gegen Aristeus, den gefahrlichsten aller Peloponnesier, den Anstifter
des Abfalls von Potidaia, Schuld daran, dass man sie am nämlichen
Tage unverbörter Sache hinrichten liefs. Die Lakedä monier erkannten
in diesem furchtbaren Ereignisse den Fluch des Tallhybios, welcher
ihnen noch darüber grolle, dass sie einst die Gesandten des Königs
Dareios gelödtet hatten. Xerxes hatte es verschmäht, an den ihm aus-
gelieferten Herolden Rache zu nehmen ; sie waren unverletzt zurückge-
kommen und nun , meinte man, würde an ihren Söhnen, Nikolaos und
Aneristos, die Nemesis vollzogen.
Wenn die That der Athener auch durch die landesverrälherischen
Absichten der Gesandtschaft und durch ähnliche Gewaltlhaten von
Seiten Spartas entschuldigt werden konnte, so kann man doch kaum
glauben, dass sie nach wiederhergestelltem Ansehen des Perikles erfolgt
sei. Jetzt aber erschienen alle Friedensaussichten auf immer vernichtet,
und um so leichter konnten die Anhänger des Perikles durchdringen,
welche den Krieg mit voller Energie fortgesetzt wissen wollten. Nach
einer Zeit der Erschlaffung trat in der That eine neue Anspannung
ein, als Perikles wieder am Ruder war.
Pbormion wurde mit zwanzig Schiffen ausgeschickt, um den ko-
rinthischen Meerbusen in Obacht zu halten, Meiesander mit sechs nach
Karien und Lykien. Die Belagerung von Potidaia wurde mit neuem
Eifer aufgenommen, und im Winter musste sich die Stadt ergeben;
ihre Widerstandskraft war durch die äufserste Hungersnolh gebrochen,
nachdem sie sich über zwei Jahre gehalten hatte; auch die Belagerer
befanden sich bei der rauhen Jahreszeit in einem so übelen Zustande,
dass sie den Bürgern, um nur zum Ziele zu kommen, zum Aerger der
Athener freien Abzug bewilligten. Die Stadl wurde von attischen An-
siedlern neu bevölkert. Es war ein grofser Gewinn , aber ein schwer
erkaufter. Die Möglichkeit eines erfolgreichen Widerstandes war den
Bundesgenossen gezeigt worden und viele solcher Belagerungen konnten
auch die attischen Finanzen nicht ertragen19).
Im Frühlinge des dritten Kriegsjahrs zeigten die Peloponnesier
keine Lust, das verödete und verpestete Attika von Neuem heimzu-
suchen; sie rückten vielmehr unter Archidamos vor Plataiai, während
um dieselbe Zeit eine attische Flotte nach Thrakien ging, wo die
Stämme oberhalb Potidaia noch immer in Aufstand waren und
namentlich Olynthos ein gefährlicher Waffenplatz geblieben war.
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416 PHORMION IM KORINTHISCH EN GOLF (87. %\ 4M).
Unweit Olynthos lag Spartolos, vor dessen Mauern es zu einem
Kampfe kam, in dem die Athener bedeutende Verluste erlitten.
Ein dritter Kriegsschauplatz war Akarnanien, eine Landschaft,
welche beiden Parteien ein günstiges und wichtiges Terrain für ihre
Politik zu sein schien, ein Land von grofser Fruchtbarkeit, mit vielen
festen Plätzen, aber ohne entwickeltes Städteleben, ohne festen
Zusammenhang und gemeinsame Oberleitung. Eis waren Gruppen
selbständiger Gemeinden, deren Sympathien zwischen Sparta und
Athen gelheilt waren, wenn auch die Mehrheit attisch gesinnt war.
An SlofT zur Fehde fehlte es also nicht. Der Anstofs zum Kriege ging
von Ambrakia aus, der unternehmendsten unter allen korinthischen
Tochterstädten, welche die Lage der Dinge für günstig hielt, um das
Nachbarland der Akarnanen sich zu unterwerfen.
Zu diesem Zwecke verbanden sich die Ambrakioten mit den
Völkerschaften von Epeiros und zogen mit einem gewaltigen Heere
das Acheloostbal hinab gegen Stratos, die Hauptstadt der Akarnanen,
während verabredeter Malsen auch die Peloponnesier zu Lande wie
zur See die Unternehmung unterstützten; denn man hoffte nicht
nur Akarnanien von Athen losreißen, sondern auch die Inseln
Kephallenia und Zakynlhos, ja selbst Naupaktos nehmen und den
korinthischen Meerbusen wieder frei machen zu können. Deshalb
hatten sich tausend Schwerbewaffnete aus Sparta unter dem Adalirale
Knemos mit den Ambrakioten zum Angriffe auf Stratos vereinigt
Aber derselbe misslang wegen des Mangels an Leitung und der un-
vernünftigen Beutelust der nordischen Bundesgenossen vollkommen,
obgleich Phormion sich aufser Stande sah, der bedrängten Stadl zu
Hülfe zu kommen, denn eine korinthisch -sikyonische Flotte von
37 Schiffen war im Anzüge und suchte heimlich über den Golf zu
fahren. Dies vereitelte nicht bloß der kluge und wachsame Phormion,
sondern griff unvermuthet die feindliche Flotte auf hoher See mit
solcher Ueberlegenheit seemännischer Taktik an, dass er ohne eigenen
Verlust die fast doppelte Zahl der feindlichen Schiffe in Verwirrung
brachte, zwölf Trieren nahm und eine Menge Gefangener fortführte.
Es war der glänzendste Sieg, der Athen in diesem Kriege zu Theil
geworden war.
Phormion wusste, dass die Gefahr nicht vorüber sei. Er bat
dringend um Verstärkung. Zwanzig Schiffe wurden ausgerüstet, aber,
durch falsche Vorspiegelungen verleitet, schickte man sie erst nach
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PHORMKWS ZWEITER SEESIEG.
417
Kreta, um Kydonia zu nehmen; ein Handstreich, welcher gänzlich
misslang. Aufserdem wurde die Fahrt durch Nordwinde verzögert
und die kostbarste Zeit ging verloren. Auch die Kerkyräer zeigten
sich bei diesen Kämpfen theilnahmlos, während sie doch früher so
grofses Gewicht auf ihre Bundesgenossenschati gelegt hatten. Da-
gegen brachten die Lakedämonier, voll Entrüstung über die zwie-
fache Vereitelung ihrer Pläne in kürzester Zeit eine neue Flotte von
77 Schiffen zusammen. Phormion sah sich in der bedenklichsten Lage,
weil die feindliche Flotte nicht nur beinahe um das Vierfache über-
legen war, sondern diesmal auch von klugen Führern geleitet wurde.
Denn Knemos hatte Brasidas (S. 404) zur Seite, welcher die Ueber-
zahl sehr geschickt zu benutzen wusste, indem er, um ein Gefecht
auf hober See zu vermeiden, durch einen verstellten Angriff auf
Naupaktos die attischen Trieren in die Lage brachte, dass sie hart am
Ufer, wo sie keine freie Bewegung hatten, plötzlich überfallen und
neun von ihnen abgeschnitten wurden, während die übrigen elf nach
Naupaktos entkamen. Indessen wurden die eingeschlossenen Trieren
zum Theil noch gerettet durch den wunderbaren Muth der Messenier,
die zu Lande den Athenern folgten und trotz der schweren Rüstung
in das Wasser stiegen, die Schiffe erkletterten und sie vertheid igten.
Die entkommenen Schiffe aber machten vom Hafen aus gegen ihre
Verfolger einen neuen, entschlossenen Angriff und begannen ein so
glückliches Gefecht, dass sie nicht nur die verfolgende Abtheilung der
feindlichen Flotte vollständig in die Flucht schlugen, sondern auch
ihre eigenen Schiffe wieder befreiten, mehrere der feindlichen nahmen
und die ganze peloponnesische Flotte zwangen, sich in ihren Hafen
Panormos zurückzuziehen. Bald nachher kam auch das verspätete
Geschwader aus Kreta und, wie nun die Sommerzeit zu Ende ging,
waren alle Unternehmungen der Peloponnesier zu Lande wie zu
Wasser vollständig vereitelt, die Siegeskraft der attischen Schiffe in
bewunderungswürdiger Weise bewährt, und trotz aller Anstrengungen
der Feinde der korinthische Golf sicherer als je zuvor in den Händen
der Athener80).
An allen diesen Kämpfen in den östlichen und westlichen Ge-
wässern hatte Perikles keinen persönlichen Antheil. Auch in Athen
selbst war er nicht mehr der Alte. Die verkehrte Unternehmung
gegen Kydonia beweist, dass Dinge geschehen konnten, welche seiner
Art den Staat zu leiten durchaus zuwiderliefen. Zu einer peri-
Curtiu», Gr. G««eh. II. «. Anfl. 27
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PEHIKI.ES' TOD (W, 4; «9 HERBST) .
kleischen Staatsleitung gehörte eine volle Gesundheit des Leibes und
der Seele; aber seine Kraft war gebrochen und der Kern seines Lebens
angegriffen. Noch immer wüthete die Krankheit in Athen, und
nachdem sie sein Haus und seinen Freundekreis verödet hatte, ergriff
sie auch ihn, aber nicht auf einmal, sondern wie ein heimliches Gift
zehrte sie langsam an seinem Marke und warf ihn endlich auf das
Krankenbett. Auch die hohe Kraft des Willens war gebrochen, und
um den Freunden zu zeigen, was aus dem grofsen Perikles geworden
sei, wies er sie auf das Amulet hin, welches abergläubische Frauen
ihm als Schutzmittel umgehängt hatten. Da lag er, von den besten
seiner Mitbürger umgeben, welche sich mit trostlosen Blicken fragten,
was aus Athen ohne Perikles werden solle, und während sie ihn schon
bewussüos glaubten und wie zu seinem Andenken von den herrlichen
Thaten des Mannes redeten, da erhob er sich noch einmal und fragte
sie, warum sie doch das Beste verschwiegen, nämlich dass um seinet-
willen kein Athener ein Trauerkleid angelegt habe! Also nicht seinen
hohen Geist, nicht die Herrscherkraft seines Worts, nicht sein Feld-
hermglück hielt er für das Beste an sich, sondern seine Mäfsigung,
seine Selbstbeherrschung und vorsichtige Besonnenheit; er konnte sich *
das Zeugniss geben, dass auch die giftigsten Anfeindungen ihn niemals
verleitet hatten, sich in Zornaufwallung an seinen Feinden zu rächen.
Zwei Jahre und sechs Monate hatte der Krieg gedauert, als
Perikles starb. Er wurde im äufseren Kerameikos bestattet, rechts
von der Heerstrafse, die zu den Häfen führte, nahe bei dem grofsen
Friedhofe der für das Vaterland gefallenen Athener. Sein Bild blieb
der Nachwelt in trefflichen Darstellungen erhalten; die vorzüglichste
war von der Hand des Kresilas, welcher darin seine Kunst bewährte,
einen edlen Mann wahrheitsgetreu darzustellen und doch die geistige
Persönlichkeit noch deutlicher auszudrücken, als die Körperformen
selbst es vermocht hatten. Die Tiefe des sittlichen Ernstes, der uner-
schütterliche Muth des Staatsmanns und Feldherrn, die königliche
Ruhe des Weisen treten uns auch in der erhaltenen Nachbildung un-
verkennbar entgegen; die überlegene Denkkraft zeigt sich in Auge
und Stirn , während man den zartgeformten Lippen die Anmuth der
Hede anzusehen glaubt, welche ihnen einst entflossen ist31).
Niemand wird von Perikles behaupten wollen, dass er durchaus
neue Gesichtspunkte attischer Staatsverwaltung aufgestellt habe; er
knüpfte vielmehr in allen wesentlichen Punkten an die ältere Ge-
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PEfilKLES' STAATSVERWALTUNG.
419
schichte der Stadt an, und sein ganzes Streben ging nur dahin, Athens
Gröfse auf den gegebenen Grundlagen zu erhalten, zu befestigen und
in würdigster Weise darzustellen. Wenn Perikles das Seine thal, um
die Bürgerschaft von dem Einflüsse bevorzugter Stande immer mehr
zu befreien und den Antheil aller Staatsbürger an den öffentlichen
Angelegenheiten zu fördern, so trat er in die Fufstapfen von Solon
und Kleistheues. Wenn er aber von der Ansicht ausging, dass sich
auf dem Meere entscheiden müsse, welcher Staat der herrschende in
Griechenland sein werde, und von den Athenern verlangte, dass sie
die Landschaft preisgeben und ihre Stadt wie eine Insel vertheidigen
sollten, so waren dies ja die Gedanken des Themistokles, dessen
Scharfblick die wahren Grundlagen der attischen Macht zuerst erkannt
hatte. Aber wie sehr unterschied er sich von ihm in der Wahl der
Mittel und in der Vielseitigkeit seiner Politik! Denn in der sittlichen
Auffassung seines Berufs war er der treuste Nachfolger des Ari-
steides; alle gegen seinen Charakter gerichteten Angriffe sind ge-
scheitert, und der grofse Geschichtschreiber seiner Zeit, welcher zu-
gleich der strengste und wahrhaftigste Sittenrichter ist, hat ihn von
jedem Vorwurfe des Eigennutzes frei sprechen können. Wenn er aber
die wahre Gröfse Athens nicht in den Mauern und Schiffswerften
suchte, sondern in der hervorragenden Geistesbildung, und deshalb
alle höheren Richtungen hellenischer Bildung in Athen einbürgerte,
um hierin seiner Vaterstadt einen unbestrittenen Vorrang zu sichern, so
waren das ja schon die Gedanken Solons gewesen, welche dann von
den Pisistratiden mit ruhmwürdigem Eifer verfolgt worden waren.
Auch von anderen Staaten nahm er auf, was nachahmungswürdig war,
wie er z. B. in der Gründung überseeischer Städte korinthische Staats-
klugheit zum Muster nahm. Kurz , Perikles' Bedeutung besteht recht
eigentlich darin, dass er alle grofsen und fruchtbaren Ideen früherer
Zeiten in sich vereinigte, aber geläutert, geordnet und in grofsartigem
Zusammenhange. Die Gröfse Athens, für welche er bis an sein Ende
gestrebt hat, ohne sich weder durch Glück noch durch Unglück irre
machen zu lassen, sie war also nicht eine von ihm ersonnene, sie war
kein aus philosophischen Theorien gebildetes Ideal, sondern die Ent-
fallung und Blüthe dessen, wozu die Athener von Natur geschaffen
waren, und das Ziel, welches die Vergangenheil forderte, ein Ziel, das
Athen erreichen musste, wenn es nicht sich selbst und seinem ge-
schichtlichen Berufe untreu werden wollte.
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nÜCKW.lCK AUF
Wer will behaupten , dass er vollkommen selbstlos seine Lebens-
aufgabe erfüllt habe? Wenn aber Perikles ohne Selbstüberhebung sich
sagen konnte, dass er zur Leitung des Staats vor allen Athenern
berufen sei, so war es kein gemeiner Ehrgeiz, der ihn antrieb, diese
Stellung mit aller Energie zu erstreben. Dazu musste er das Vertrauen
des Staatsoberhaupts, d. h. des Demos von Athen, haben; der geborene
Aristokrat, der mit Misstrauen angesehen wurde, musste ein Mann
des Volks werden, wenn seine Ideen von der Gröfse Athens nicht
Träume bleiben sollten. Dazu konnte er nur durch demagogische
Mittel gelangen, indem er sich der Reformpartei anschloss und der
Menge Vortheile verschaffte, welche an sich nicht unberechtigt waren,
aber, wie er sich nicht verhehlen konnte, manche Gefahren mit sich
führten, indem sie Ansprüche weckten, die sich steigern und ver-
vielfältigen mussten und das Volk zur Genusssucht und zum Müßig-
gänge verleiteten. Perikles war hier, wenn er seinen Lebensberuf
erfüllen wollte, in der Auswahl der Mittel nicht frei. Ist er hier weiter
gegangen, als er verantworten konnte? Trifft ihn eine Mitschuld an
der Entartung des Demos, die mit den Festgeldern und Löhnungen
zusammenhängt? Täuschte er sich in dem Gedanken, dass er die Übeln
Folgen wieder gut machen könnte, wenn er auf diesem allein mög-
lichen Wege die Herrschaft erlangt habe? Diese Fragen zu beant-
worten sind wir aufeer Stande, da wir über Anfang und Fortgang des
Löhnungwesens zu mangelhaft unterrichtet sind.
Noch weniger sind wir im Stande, über Perikles als Feldherrn zu
richten. Hier haben die scharfen Augen seiner Gegner am wenigsten zu
tadeln gefunden, und wer sich in der Republik so lange unangefochten
an der Spitze des Heerwesens gehalten hat, der muss auch auf diesem
Gebiet als der Erste gegolten haben, und zwar wurde den Fehlern
gegenüber, zu welchen eine Demokratie vorzugsweise neigt, an Perikles
vor Allem die höchste Besonnenheit und Vorsicht gerühmt Ob darunter
bei aller persönlichen Tapferkeit in einzelnen Fällen die Kühnheit des
Entschlusses gelitten habe, welche gröfsere Erfolge hätte erzielen können,
wer will darüber heute zu Gericht sitzen, da kein Kampf so genau
beschrieben ist, dass wir die Taktik des Feldherrn zu beurteilen im
Stande sind ? Dass aber die einseilige Seepolitik ihm nicht zum Vorwurf
gemacht werden könne, dafür zeugen die schweren Unglücksfalle, welche
nach kurzen Erfolgen mit allen Unternehmungen verbunden waren, die
eine Continental-Herrschaft in Mittelgriechenland zu ihrem Ziele hatten.
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PERIKLES' STAATSVERWALTUNG. 421
Am meisten könnte man berechtigt seint eine Schwäche des
Staatsmannes darin zu erkennen, dass er in seiner panhellenischen
Politik sich getäuscht habe.
Mit prophetischem Blick erkannte er vor allen seinen Zeit-
genossen, dass die Eifersucht der hellenischen Volksstämme unter
einander ihre Beruhigung finden müsse und dass in attischer Bildung
das gemeinsam Hellenische einen Ausdruck finden werde, dem die all-
gemeine Anerkennung nicht fehlen könne. Er hatte zu dem nationalen
Sinne der Hellenen das Vertrauen , dass sie auch ohne ziellose Fort-
setzung der Perserkriege sich immer mehr als ein Ganzes fühlen und
dass in den überseeischen Colonien die feindlichen Gegensätze sich
allmählich ausgleichen würden. Er selbst war, wie kein Anderer,
zugleich Hellene und Athener, und was in seinem Bewusstsein sich
harmonisch verbunden hatte, verleitete ihn wohl zu dem Glauben, dass
das, was in der That das höchste Ziel und die einzige Rettung
nationaler Entwickelung war, leichter und schneller erreichbar sei, als
es die realen Verhältnisse gestatteten. Wenn Perikles sich in diesem
panhellenischen Optimismus getauscht hat, so dürfen wir ihn des-
wegen doch nicht als einen kurzsichtigen Staatsmann anklagen ; denn
eine höhere Aufgabe konnte er sich nicht stellen, und das schöne Ver-
trauen, mit dem er sein Werk durchführte, so weit es menschliche
Kräfte vermochten, war die Quelle seiner Kraft und seines bis ans
Ende ausharrenden Muthes. Und wer wagt es, den Wunsch aus-
zusprechen, Perikles möchte nüchterner und kleinmüthiger gewesen
sein während der Jahre, in welchen er unbedingt über die Hülfs-
mittel der Stadt gebot?
Perikles hat ohne Verfassungsbruch die bestehende Demokratie
so umgestaltet, dass der Schwerpunkt der Macht den Aemtern zurück-
gegeben wurde, welche nicht durch den Zufall des Looses, sondern
durch das Vertrauen der Gemeinde besetzt wurden. Er hat dieselben
so an seine Leitung gewöhnt, dass sie ihn Jahr aus Jahr ein zu ihrem
Feldhauptmann erwählten, als könnte es gar nicht anders sein, und
während er diese einzig artige Stellung einnahm, hat er sich aller
Anfeindungen ungeachtet zu keinem Missbrauche seiner Macht ver-
leiten lassen. Er beherrschte seine Mitbürger, indem er sie zu sich
emporhob und sie immer höher von ihrer Stadt denken lehrte. Je
mehr bei wachsenden Schwierigkeiten und Gefahren seine Politik sich
bewährte, um so mehr konnte er hoffen, dass man die Unentbehrlich-
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422 RÜCKBLICK AUF
keit seiner Person erkennen werde, da die Majoritäten grofser Bürger-
Versammlungen unfähig waren, die verwickelten Verhältnisse eines
weitläufigen Reichs zu überblicken und in kritischen Fällen rasch zu
handeln.
Aber, fragt man, wie sollte sich ein solches Regiment auf die
Dauer erhalten, wie sollte es nach Perikles von einem Andern über-
nommen werden können? Gewiss hat Perikles dies Jahre lang vorbe-
dacht, und unter den Vertrauten, welche um ihn standen, bis die
Seuche ihn vereinsamte, waren gewiss Männer, welche ihm geeignet
schienen sein Werk fortzusetzen. Aber auch, wenn er in keiner Weise
darauf rechnen konnte, dass die Gröfse Athens eine dauerhafte sein
würde, durfte dies ihn abhalten, an die Verwirklichung des vorgesteck-
ten Ziels seine volle Kraft zu setzen? Um so mehr galt es, mit
entschlossener Thatkraft die Gegenwart zu benutzen , welche so nie-
mals wiederkehren konnte. Er wusste, dass der Inhalt einer grofsen
Zeit nicht von der Dauer derselben abhängig sei ; er wusste , dass es
ein ewiger Besitz seiner Stadt und seines Volks sein würde, wenn das
höchste Ideal einer hellenischen Gemeinschaft in Athen verwirklicht
würde. Sein Streben war ein hohes Wagen, aber zugleich von voller
Besonnenheit getragen, und darum ist sein Lebenswerk, so wehmüthig
auch sein Ende war, von einem unvergänglichen Erfolge gekrönt
worden.
Freilich ist dieser Erfolg nicht gleich zu Tage getreten; denn
niemals ist wohl ein grofser Staatsmann ungerechter beurteilt und
auch von den Besten seines Volks mehr verkannt worden, als Perikles.
Die Stimmen der Zeitgenossen zeigen, wie widerwillig man seine Gröfse
anerkannte und wie man sich dem lästigen Gefühle unbedingter Be-
wunderung durch hämische Ausstellungen und Verleumdungen zu ent-
ziehen suchte. In der aufgeregten Zeil, welche dem Kriege vorausging,
war eine unbefangene Würdigung seiner Verdienste unmöglich. Alle
Parteien waren gegen ihn, und seine Verunglimpfung war das Einzige,
worin Aristokraten und Demokraten sich begegneten. Nachdem aber
der Krieg begonnen und eine so ungünstige Wendung genommen hatte,
warf man die Schuld auf ihn als den Anstifter des Kriegs, ohne zu be-
denken, dass das Missgeschick eine Folge von Ereignissen war, die
auch der weiseste Staatsmann nicht in Anschlag bringen konnte.
Auch von der nachfolgenden Generation ist Perikles nicht unbe-
fangen beurteilt worden. Denn man machte ihn für alle Missbräuche
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PERIKLES' STAATSVERWALTUNG.
423
der entarteten Demokratie verantwortlich, indem man die Demagogen
als seine Nachfolger ansah , deren Haltung und Wirksamkeit das volle
Gegentheil perikleischer Staatsleitung war, wie wir sie kennen gelernt
haben. So ist er von Geschichtschreibern und Philosophen, auch von
Piaton und Aristoteles verkannt worden. Um so dankbarer sind wir
dem Einen, der es uns möglich macht, aller Entstellungen ungeachtet
die ursprunglichen Züge des Bildes wieder zu erkennen ; um so
erfreuender ist die Aufgabe, an der Hand des Thukydides allen Spuren,
welche der grofse Geist der Geschichte seines Volks eingedrückt hat,
mit Bewunderung nachzugehen39).
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II.
DER KRIEG BIS ZUM FRIEDEN DES NIKIAS.
Im ganzen Verlaufe des Kriegs ist kein verhängnissvolleres Ereignis*
eingetreten, als die attische Pest und der durch sie herbeigeführte Tod
des Perikles. Denn wenn auch die äußere Stellung eine Zeitlang
dieselbe blieb, so war Athen doch im Innern wesentlich verändert.
Die Stadt war durch den Menschenverlust erschöpft Aus den
dienstpflichtigen Klassen allein waren 4400 Mann des Fufsvolks und
300 Reiter der Seuche erlegen. Die Bürgerschaft war in ihrem inner-
sten Kerne angegriffen. Viele Häuser, in denen sich noch alte Zucht
und Sitte erhalten hatte, waren ausgestorben und der lebendige Zu-
sammenhang mit den Tagen des Aristeides und Kimon zerrissen. Die
reifen Männer, welche die Pest überlebten , blieben wohl dieselben ;
aber die aufwachsende Generation war eine andere. Der hochherzige
Sinn fehlte und der feste Glaube an die Zukunft der Stadt. Die Zeiten
waren aber nicht dazu angethan, dass die Aufregung sich legte und der
alte Bürgersinn wieder erstarkte. Denn der Krieg, der immer heftiger
entbrannte , hatte nicht nur den alten Ilellenenbund in zwei feindliche
Heerlager gespalten, sondern er zerriss auch jede einzelne Gemeinde in
Parteien von unversöhnlichem Gegensatze. Dadurch wurden alle Bürger-
schaften zerrüttet; überall wurden die Leidenschaften aufgeregt und
die Triebe der Selbstsucht entfesselt. Die Zeit war vorüber, für welche
Herodot seine Geschichte geschrieben hatte, das Geschlecht, welchem
die Gröfse Athens zugleich der Ruhm von Hellas war. Was die Liebe
zum gemeinsamen Vaterlande an sittlicher Kraft und Weibe gegeben
hatte , verlor seine Bedeutung , und die Tugenden , die im hellenischen
Vaterlandsgefühl ihre Wurzel hatten, starben allmählich ab.
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UMWANDLUNG DER BÜRGERSCHAFT. 425
In dieser Atmosphäre wuchs das neue Geschlecht heran. Daher
die weit verbreitete Klage über Entartung der Jugend, über missrathene
Biirgersöhne. Perikles war nicht der Einzige unter den grofsen Hel-
lenen, der solche Erfahrungen in seinem Hause machte. Auch die
Nachkommen des Themistokles , des Aris leides, des Thukydides, des
Sohnes desMelesias, waren traurige Beispiele der Entsittlichung; ebenso
die Söhne des grofsen Bildners Polykleitos, welche nach Athen über-
gesiedelt waren. Das von den Vorfahren langsam gesammelte und
haushälterisch verwaltete Vermögen wurde in leichtsinniger Genuss-
sucht verthan; die edelsten Häuser der Stadt kamen in Verfall und Un-
ehre. So jenes erlauchte Geschlecht, in welchem das Amt der Herolde
und Fackelträger in den eleusinischen Mysterien erblich war, das Ge-
schlecht, welchem Kallias angehörte, der stolze Gegner der Pisistratiden,
dessen Enkel Kallias bei Marathon kämpfte und Gesandter in Susa war.
Ihm folgte Hipponikos (S. 229), der 600 Sklaven in den Bergwerken
hielt und an Glanz des Reichthums alle Zeitgenossen überstrahlte, der
Letzte, der die Ehre des Geschlechts aufrecht erhielt. Denn sein Sohn,
der dritte Kallias, begann bald nach Perikles' Tode die tollste Wirt-
schaft im väterlichen Hause und verschleuderte mit Buhlerinnen, So-
phisten und nichtsnutzigen Schmarotzern in kurzer Zeit das ererbte
Gut, so dass er, der Träger der heiligsten Priesterwürden, auf der ko-
mischen Bühne als ein Bild des entarteten Athens zur Schau gestellt
werden konnte").
Dazu kam , dass nach dem grofsen Menschenverluste die frühere
Strenge in Beziehung auf das attische Bürgerrecht aufgegeben worden
war. Perikles selbst hatte dazu den Anlass gegeben (S. 414), und die
Folge war, dass eine Menge fremder Bestandteile in die Bürgerschaft
eindrang und die Familienverhältnisse durch die Aufnahme vieler un-
ehelicher Kinder noch mehr zerrüttet wurden. Ferner waren durch
Kriegsnoth und Krankheit die Bürger von den gymnastischen Uebungen
entwöhnt worden, welche so wesentlich dazu beigetragen hatten, die
männliche Jugend an Leib und Seele gesund zu erhalten. Die öffent-
lichen Uebungsplätze vor der Stadt verödeten, während auf dem Markte
vom Morgen bis Abend eine geschwätzige Menge sich immer dichter
zusammendrängte. Denn viele Einwohner von Attika, welche durch
die Kriegs Verhältnisse aus ihren Beschäftigungen herausgerissen waren,
hatten sich an ein müfsiggängerisches und leichtfertiges Sladtleben
gewöhnt; das ganze Verhällniss von Stadt und Land hatte sich geändert.
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426
VERÄNDERUNG DER RUR GERSCHAFT
Die alten Athener liebten das Landleben, und wer es irgend haben
konnte, der fühlte sich draufsen auf seinem Gutchen wohler und mehr
zu Hause als in den Mauern der Stadt. Darum waren ihnen die länd-
lichen Einrichtungen im Ganzen behaglicher als die Stadtwohnungen,
und viele Bürger kamen kaum zu den Festen herein. Jetzt war (ins
anders geworden. Die Grundslücke, die man von den Vorfahren ererbt
und durch verständigen Haushalt von Jahr zu Jahr verbessert halte,
waren mit ihren Anlagen und Einrichtungen zerstört Die alten Lebens-
gewohnheiten und Lebensfreuden waren den Besitzern für immer ver-
leidet; denn wie war es möglich, wieder Vertrauen zur Zukunft zu
gewinnen! Das wohlthuende Gleichgewicht zwischen Land- und Stadt-
leben hörte auf; viele Landleule kehrten nicht wieder zum Pfluge
zurück, sondern blieben in der Stadt, wo sie im Wechsel der Genüsse
und in der Aufregung des Parteitreibens die Un behaglich keit ihrer
Existenz zu vergessen suchten, und so bildete sich in Athen eine unzu-
friedene und unruhige, eine pöbelartige Menge, wie sie das ältere Athen
nicht gekannt hatte. Dazu kam, dass mit Beginn des Kriegs alle
gröfseren Bauunternehmungen aufgegeben waren; der Tagelohn war
rasch gesunken. Handel und Wandel stockten. Um so mehr wurde die
Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten ein Zeitvertreib der
unbeschäftigten Menge, und es entwickelte sich in der ungesunden
Atmosphäre der eingeschlossenen Stadt eine neugierige Nichtsthuerei,
eine faule Geschwätzigkeit, welche von den allen Gegnern der Demo-
kratie bald als ein Kennzeichen des attischen Bürgers angesehen
werden konnte.
So wurde binnen kurzer Zeit aus der Bürgerschaft Athens eine
haltungslose Menge, die sich von unklaren Stimmungen beherrschen
liefs, eine Menge, welche zwischen Ueberhebung und Mutlosigkeit,
zwischen Unglauben und abergläubischer Aufregung hin- und her-
schwankte. Die altbürgerliche Gesinnung, welche der sophistischen
Aufklärung Widerstand geleistet halte, war machtlosgeworden, und
deshalb verbreitete sich unaufhaltsam der Abfall von der väterlichen
Religion, die Zweifel- und Spottlust und die Verachtung der Götter.
Die Religion war aber auch die Grundlage des sittlichen Lebens; denn
sie war bei den Griechen in hervorragendem Grade eine Religion des
Gewissens, wie die Idee der Erinys am deutlichsten zeigt, welche bei
den allen Athenern eine so hohe Geltung hatte. Um so gefahrlicher
war für das ganze bürgerliche Leben die Abnahme der Gottesfurcht.
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VERÄNDERUNG DER VOLKSLEITUNG.
427
Andererseits suchte man in dem Gefühle geistiger Leere doch
wieder nach religiösem Tröste und liefs sich dann an den öffentlichen
Einrichtungen des Gottesdienstes nicht genügen, sondern wandte sich
zu absonderlichen Heilsgebräuchen, die aus vergessenen Ueberliefe-
rungen hervorgesucht oder aus der Fremde eingeführt wurden , und
vereinigte sich zu Privatmysterien, in denen neue Sühnmitlei und
Ceremonien angewendet wurden. Durch den Seeverkehr mit den
jenseitigen Küsten und durch zahlreiche Einwanderungen waren
fremdländische Gottesdienste herübergekommen, namentlich solche,
die mit sinnlich aufregender Feier und rauschender Musik verbunden
waren. So der phönikische Adonisdienst aus Cypern, der Dienst
des phrygischen Sabazios, der thrakischen Bendis und Kotytto.
Fremde Priester, welche religiöse Verbindungen stifteten , ausländische
Wahrsager erlangten den gröfsten Einfluss. Umsonst eiferte die
Komödie gegen das Unheil, das damit in das Land kam. Das alte
Herkommen war überall erschüttert; selbst der allgemeine hellenische
Grufs des 'Chaire' (Freude mit dir!) wurde jetzt altmodisch und
durch andere, gesuchtere Ausdrucksweisen ersetzt3*).
Diese sittliche Veränderung der attischen BürgerschaR halte sich
schon zu Perikles' Lebzeiten vorbereitet, aber er war doch bis zu den
Tagen seiner letzten Krankheit der Mittelpunkt des Staats geblieben;
das Volk war immer wieder zu ihm zurückgekehrt und hatte in der
Unterordnung unter das persönliche Ansehen des grofsen Mannes seine
eigene Haltung immer wieder zu gewinnen gewusst. Nun war die
Stimme verstummt, welche die unruhige Bürgerschaft auch wider ihre
Neigung zu beherrschen vermocht hatte. Eine andere Autorität war
nicht vorhanden, keine Aristokratie, kein Beamtenstand, kein Collegium
sachverständiger Staatsmänner, nichts war da, was der Bürgerschaft
einen Halt geben konnte. Man empfand den Mangel, die Leere; man
sehnte sich wieder nach ihm zurück, dem Vielgeschmähten, und der
Dichter Eupolis liefs den alten Feldherrn Myronides in die Unterwelt
steigen, um Perikles zurückzuholen, damit das Bürgerheer nicht von
verweichlichten Jünglingen geführt werde. Aus der Komödie sehen
wir, wie klar man in Athen den raschen Umschwung im öffentlichen
Leben erkannte, welcher während des archidamischen Kriegs erfolgte.
Sie zeigt uns im treuen Spiegelbild die veränderte Stadt, die der
Palästra entwöhnte Jugend in ihrer sophistischen Altklugbeit, ihrer
Leppigkeit und Grofsthuerei , das erschlaffende Ehrgefühl unter den
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428
IUE NEUE DEMAGOGIE.
Bürgern, die Dienstscheu der Männer, die einreibende Zuchtlosigkeit
der Mannschaften, welche ihren Führern entgegensprechen, die krank-
hafte Prozesssucht der Alten, welche in den Sitzungen der Geschworenen
ihren Unterhalt und Zeitvertreib finden. Der Verfall trat mit er-
schreckender Plötzlichkeit ein und schon von Aristophanes wird die
Blüthe der Stadt in Krieg und Frieden als eine Vergangenheit betrachtet,
wenn er von den Athenern sagt:
Tüchtig einst im Männerreigen, tüchtig einst im Männerkampf.
Die volle Selbständigkeit, deren Verlust die Bürgerschaft be-
klagt hatte, war ihr zurückgegeben, aber sie bedurfte mehr als je der
Führung, und je mehr sich inzwischen Redefertigkeit und sophistische
Gewandtheit in Athen verbreitet hatte, um so gröfser war die Zahl
derer, welche sich nun als Volksredner und Stimmführer vordrängten.
Da aber Keiner unter den Vielen im Stande war, in der Weise des
Perikles die Menge zu leiten, so entwickelte sich nothwendig eine
andere Art der Volksleitung oder Demagogie.
Perikles stand über der Menge. Er herrschte, indem er das Edle
und Thatkräftige in den Bürgern anregte; sie wurden durch den Ernst,
mit dem er sie behandelte, und durch die sittlichen Forderungen,
welche er an sie stellte, über sich selbst erhoben; sie schämten sich,
ihre Schwächen und niederen Gelüste vor ihm laut werden zu lassen.
Seine Nachfolger mussten zu anderen Mitteln greifen ; sie benutzten,
um Einfluss zu erlangen , nicht sowohl die starken , als die schwachen
Seiten der Bürgerschaft; sie machten sich beliebt, indem sie den
Bürgern nach dem Munde redeten und ihren niedrigen Neigungen Be-
friedigung zu verschaffen suchten. So wurden die Demagogen aus
Führern und Berathern des Volks die Diener und Schmeichler desselben.
Da nun in dieser Weise der Volksführung nicht Wenige mit einander
wetteifern konnten, so verdrängte Einer den Anderen; es trat ein
rascher Wechsel einflussreicher Persönlichkeiten ein, und dadurch
wurde zugleich eine folgerechte Leitung der öffentlichen Angelegen-
heiten nach festen Gesichtspunkten unmöglich.
Mit dieser Wendung der Dinge hängt eine andere wesentliche Ver-
änderung nahe zusammen.
Die attische Aristokratie war, als Macht im Staate, längst ge-
brochen, und der Adel halte keinerlei Vorrechte innerhalb der bürger-
lichen Gesellschaft. Indessen kann man nicht sagen, dass derselbe alle
Bedeutung für das öffentliche Leben verloren hätte, und man braucht
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DIE NEUE DEMAGOGIE
429
nur die Reibe der Männer zu mustern, welche in und außerhalb Athen
während des fünften Jahrhunderts v. Chr. in Wissenschaft und Kunst
sich am glänzendsten hervorgethan haben, wie Herakleitos, Anaxagoras
und Parmenides, Pindaros und Aischylos, Sophokles, Herodotos und
Thukydides, um sich zu überzeugen, dass die alten Geschlechter der
Nation noch immer besonders fruchtbar an ausgezeichneten Kräften
geblieben und dass der ererbte Wohlstand so wie die höhere Bildung
und Geistesrichtung, welche in angesehenen Bürgerhäusern herrschten,
noch immer nicht unwirksam waren, um die angeborenen Talente
glücklich zu entwickeln und Persönlichkeiten auszubilden, welche unter
den Zeitgenossen hervorragten. Auch die Staatsmänner, welche sich
bis dahin in der Leitung des attischen Staats gefolgt waren, gehörten
alten Familien an, und Perikles selbst hat seine aristokratische Herkunft
und Gesinnung niemals verleugnet, wenn er auch sein Adelsrecht auf
andere Vorzüge, als auf den der Geburt, zu gründen wusste.
Jetzt wurde es anders. Jetzt drängten sich auch Leute aus dem
niederen Bürgerstende vor, um eine politische Rolle zu spielen, Leute
des Gewerb- und Handwerkersundes, welcher sich in Athen an Bildung
und Wohlstand so kräftig gehoben hatte. Aber darum waren die alten
Vorurteile nichts weniger als beseitigt, und es war den Anhängern alter
Sitte noch immer anstöfsig, wenn Leute, die ein bürgerliches Geschäft
trieben, die in den Werkstätten grofe geworden waren und einer freien
Erziehung durch Musik und Gymnastik entbehrten, in den Volksver-
sammlungen das Wort führen und einflussreiche Staatsämter bekleiden
wollten. Diese Leute waren ihrerseits vor den Aristokraten sehr im
Vortheile; denn es wurde ihnen leichter, die Menge zu behandeln und
mit ihr fertig zu werden; sie standen dem geroeinen Manne näher und
gingen nicht darauf aus, ihn aus seinen gewöhnlichen Anschauungen
und Stimmungen herauszureifsen. Ihnen kam daher die Menge mit
Vertrauen und Nachsicht entgegen; ihr gefielen die Männer, welche
nicht besser sein wollten , als der grofse Haufen , und vor denen man
nicht das peinliche Gefühl der Unterordnung halte , wie vor einem
Perikles. Wenn nun die Bürgerschaft selbst im Laufe der Kriegsjahre
eine wesentlich andere geworden war, und die Führer, welche aus ihrer
Mitte auftraten, ihren Sitten und Stimmungen sich anzubequemen be-
flissen waren, so musste natürlich auch die Behandlung der öffent-
lichen Geschäfte einen anderen Charakter annehmen.
Die Versammlungen der Bürgerschaft, in welchen die Leute der
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430
FELDHERRN UND VOLKSREDNER.
vierten Klasse etwa zwei Drittel der Menge bildeten, wurden voller,
lauter und zuchtloser, die Berathungen leidenschaftlicher und tumul-
tuarischer, weil die Leitung eines überlegenen Geistes fehlte; deshalb
betheiligte sich die ganze Menge unmittelbarer an den Verhandlungen
und gab ohne Scheu ihre augenblicklichen Stimmungen, ihre Gunst
und Ungunst, ihr Behagen und ihre Ungeduld deutlich zu erkennen.
Die wichtigsten Angelegenheiten wurden eilig und mit Leidenschaft-
lichkeit bebandelt; persönliche Motive traten an Stelle sachlicher
Grunde. Der Gegensatz der Partei drängte sich in alle Verhältnisse;
mit der Harmlosigkeit des Gemeindelebens war es vorbei; der Alt-
bürgerliche wurde als Zopfathener verspoltet, der Bedächtige als Ver-
fassungsfeind verdächtigt, das Schlichte und Einfache als Einfalt ver-
lacht. So traten alle Schattenseiten des öffentlichen Lebens grell zu
Tage, und die Folge war, dass den verständigen Bürgern, welche dabei
blieben, dass Sachkenntniss und Besonnenheit das erste Erforderniss
politischer Thätigkeit sei, alle öffentlichen Geschäfte gründlich ver-
leidet wurden. Viele Bürger von hervorragender Bildung und unab-
hängiger Lebensstellung hielten sich nun von den Volksversammlungen
fern, weil sie die allein wirksamen Mittel des Erfolgs nicht anwenden
mochten; sie zogen sich von der praktischen Politik in ein beschau-
liches Leben zurück, da sie sich aufser Stande sahen, an dem Gang der
Dinge etwas zu ändern , und so nahm nicht nur bei den Aristokraten,
über die schon Perikles ärgerlich war, dass er sie mit dem Geist der
attischen Verfassung nicht auszusöhnen vermochte, sondern auch im
weiteren Kreise der besonnenen Athener, die Aemterscheu immer
mehr überhand. Die Folge war, dass die besten Kräfte dem Staat ent-
zogen wurden und den neuen Demagogen das Feld immer vollstän-
diger überlassen blieb.
Indessen waren die neuen Volksführer doch nicht zu jedem
Dienste in gleichem Grade brauchbar. Denn wenn sie auch die Redner-
bühne mit Talent und Glück beherrschten, so hatten sie doch zur
Truppenführung in der Regel weder Beruf noch Lust. Dazu bedurfte es
einer andern Vorbereitung und anderer Eigenschaften, und darum
blieben die militärischen Aemter vielfach in den Händen von Männern,
die aristokratischen Familien angehörten, wie Nikias, Euryniedon,
Laches, Hippokrates u. A. Darin bestand also eine der wichtigsten
Veränderungen, welche um diese Zeit eintraten, dass sich das Feld-
herrnamt von dem des Volksführers trennte. Denn früher hatte man
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FELIU1ERRN PROZESSE,
431
sich kaum einen Staatsmann denken können, welcher nicht zugleich
im Felde sich bewährt hatte, und Perikles war das leuchtende Vorbild
des in Rath und That, mit Wort und Schwert, auf der Flotte wie auf
der Pnyx gewaltigen Führers. Jetzt durften auch Solche, welche keine
Kriegsehre gewonnen und niemals ihr Leben eingesetzt hatten, vor dem
Volke über Kriegführung reden, und die Männer, welche draufsen Noth
und Gerahr bestanden, ihrem Urteile unterwerfen und zur Verant-
wortung ziehen.
Dazu kam, dass die Feldherrn auf strenge Mannszucht halten
mussten und sich dadurch bei einer Bürgerschaft, welche sich der
Zucht immer mehr zu entziehen suchte, unbeliebt machten , um so
mehr, da im Laufe des Kriegs auch die Bürger der untersten Ver-
mögensklasse, die Theten, als vollgerüstete Krieger zum Dienste heran-
gezogen wurden. An mancherlei Reibung konnte es also nicht fehlen,
und die Volksredner waren in der Regel bereit, gegen die Feldherrn
Partei zu nehmen. So musste denn aus der Trennung der beiden ein-
flussreichsten aller öffentlichen Stellungen eine Verfeindung derselben
entstehen, und dies Missverhällniss zwischen Feldherrn und Volks-
rednern wurde der Keim des gröfsten Unglücks für Athen. Das Feld-
herrnamt wurde zu einem Märtyrerlhume, und die tapfersten Männer
fühlten sich durch die Aussicht, vor feigen Demagogen und einer
launenhaften Volksmenge über ihre Feldzüge Rede stehen zu sollen,
in der Freudigkeit des Wirkens überall gestört und in ihren Erfolgen
gehemmt36).
Es fehlte den Athenern nicht an bewährten Feldherrn. Noch
stand Phormion, des Asopios Sohn, in voller Kraft, der im samischen
Kriege neben Perikles eine bedeutende Wirksamkeit gehabt, vor
Potidaia befehligt und zuletzt im krisäischen Meerbusen Siege erfochten
halte, welche zu den glänzendsten der attischen Kriegsgeschichte ge-
hören. Er war ein Kriegsmann von altem Schrot und Korn, ein Mann
nach Art des Myronides, kurz von Worten, entschlossen und streng,
ein Muster von Genügsamkeit und untadeliger Sitte. Und dennoch hat
auch er schon einen Prozess zu bestehen gehabt, in welchem er von
dem Volksgerichte zu einer Geldbufse von 10,000 Drachmen verurteilt
wurde, die der uneigennützige und gänzlich mittellose Mann nicht auf-
bringen konnte. Die Folge war, dass er seiner bürgerlichen Ehren be-
raubt wurde und sich aufs Land zurückzog. Wie Phormion, so haben
auch die anderen namhaften Feldherrn, welche neben ihm oder nach
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432
DIE NEUEN DEMAGOGEN.
ihm attische Truppen geführt haben, Xenophon, Laches, Pythodoros,
Paches, Demosthenes, Sophokles, Eurymedon , ähnliche Kämpfe mit
den Volksrednern zu bestehen gehabt, oder waren von ihnen ange-
feindet und wurden durch die immer drohenden Gefahren verhindert,
ihre volle Thatkraft zu entfalten M).
In der Heerführung konnte Perikles durch Männer aus der alten
Kriegsschule einigermafsen ersetzt werden, obwohl auch hier die feste
Durchführung bestimmter Kriegspläne aufhörte, wie sie nur möglich
war, wenn die Feldherrnwürde Jahre lang einem Manne anvertraut
war (S. 226). Auf der Rednerbühne war der Contrast viel gröfser.
Hier that sich zuerst ein gewisser Eukrates hervor, ein plumper und
ungebildeter Mann, der auf der komischen Bühne als der 'Eber' oder
der 'Bär aus Melite' (das war der Gau , dem er angehörte) verspottet
wurde, ein Werghändler und Mühlenbesitzer, der sich nur kurze Zeit
als Wortführer geltend machte. Der Nachfolger, der ihn verdrängte,
war Lysikles, der sich durch Viehhandel Vermögen erworben hatte.
Dass dies kein Mann von gewöhnlicher Art war , lässt sich daraus ab-
nehmen, dass Aspasia nach Perikles' Tode sich mit ihm vermählte, und
dass er durch ihren Umgang sich zum Redner ausgebildet haben soll.
Er muss also schon zu Perikles' Lebzeiten in ihrer und seiner Nähe
gewesen sein. Es scheint auch, dass er wieder die kriegerische Thätig-
keit mit der Volksleitung verbinden wollte; denn er war im Jahre nach
dem Tode des Perikles Feldherr in Karien und kam hier um's Leben.
Nun kamen die Demagogen in die Höhe, welche in der Oppo-
sition gegen Perikles sich bekannt gemacht hatten, und unter ihnen
war Kleon der Erste, welcher im Stande war längere Zeit Einfluss zu
behaupten , so dass in seiner Handlungsweise während der folgenden
Kriegsjahre der Charakter der neuen Demagogie sich erst vollständig
ofTenbart87).
Natürlich fehlte es bei der Veränderung , welche in der Leitung
der öffentlichen Geschäfte vor sich ging, in Athen selbst nicht an
Widerspruch. Es waren ja noch immer nicht alle Unterschiede der
bürgerlichen Kreise ausgeglichen. Durch Geburt, Wohlstand und
feinere Bildung fühlten sich Viele in einem nothwendigen Gegensatze
gegen die grofse Menge, welche sich mit Wohlbehagen ihren neuen
Führern hingab, und die religiösen Einrichtungen sowohl wie der
Waffendienst trugen dazu bei, inmitten der vollendeten Demokratie
aristokratische Richtungen zu erhalten. Denn nicht nur blieben die
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DIE ARISTOKRATISCHEN KREISE.
433
heiligsten Priesterthümer des Staats ein erbliches Vorrecht gewisser
Familien, welche dadurch einen besonderen Glanz voraus hatten,
sondern auch zu solchen religiösen Diensten, welche jährlich wechselten
(wie z. B. zu dem Amte der Arrhephoren, welche gleichsam als Ver-
treterinnen der Gemeinde unter Aufsicht der Priesterin den Dienst bei
der Stadlgöttin auf der Burg versahen, und zu dem Reigen der Oscho-
phoren oder Rebenträger, welche die durch Theseus aus Kreta ge-
rettete Jugend der Stadt darstellten), wurden nur Töchter und Söhne
aus vornehmen und reichen Häusern ausgewählt. Auch pflegte man
zu auswärtigen Vertretern der Stadt nach wie vor Männer aus vor-
nehmen Familien zu wählen. Endlich hatte in derselben Zeit, in
welcher der Waffendienst im Ganzen an Ehre verloren hatte, der
Reiterdienst an Bedeutung gewonnen. Die Reiter waren in Athen die
einzige stehende Truppe; nach der Art ihrer Aushebung (S. 401) bil-
deten sie eine Genossenschaft, in welcher ein aristokratischer Standes-
geist sich erhalten musste. Die Zahl der attischen Reiter war vor dem
Kriege auf 1000 Mann erhöht worden, und es ist aller Grund anzu-
nehmen, dass Perikles das Corps, welches er am Parthenon in so
glänzender Weise darstellen liefs, begünstigt und gepflegt hat, um in
ihm ein Gegengewicht gegen die Masse zu gewinnen.
Der Widerspruch, welcher von diesen aristokratischen Kreisen
aus der neuen Demokratie entgegentrat, war zwiefacher Art. Denn
erstens gab es in den vornehmen Familien noch immer grund-
sätzliche Feinde der Verfassung, welche nur in einer vollständigen
Umkehr Heil und Rettung sahen. Diese zogen sich entweder in
tiefer Verstimmung von allen öffentlichen Dingen zurück, oder sie
suchten in heimlichen Genossenschaften ihre politischen Grundsätze
zu befestigen und sich für kommende Gelegenheiten zu offener Tbätig-
keit vorzubereiten. Das war die revolutionäre Partei, welche sich in
den Tagen von Marathon, von Plataiai und Tanagra (S. 25, 109 f., 160)
bereit gezeigt halte, die Vaterstadt den Feinden zu verrathen, wenn
durch ihre Hülfe nur die Demokratie gestürzt würde; eine Partei,
welche sich zum Sturze des Perikles mit der Masse und ihren Führern
verbunden hatte und auch jetzt fortfuhr, unter dem gleifsenden
Scheine von Religion und höherer Politik die zu Recht bestehende
Verfassung zu bekämpfen. Ihr waren die Ausartungen derselben nicht
unwillkommen, weil ihre heimlichen Hoffnungen durch eine steigende
Verwirrung des Staats genährt wurden.
Curtlu«, Or. Getcb. II. 6. Aufl. 28
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DIE PARTEI DER GENÄSSIGTEN.
Viel gröfser war die andere Partei, die Partei derer, welche von
Hause aus auch keine Demokraten waren, es aber dennoch nicht über
sich gewinnen konnten, in das Oligarchenlager überzugehen. Sie
erkannten die Verfassung als zu Recht bestehend an, suchten aber
ihren Missbräuchen entgegenzutreten und dem unbeschränkten Ein-
flüsse der neuen Volksredner entgegenzuarbeiten. Die Stellung dieser
Männer war eine ungemein schwierige, weil ihre Aufgabe vor Allem
die war, zu steuern, zu mäüsigen und die Stimme der Besonnenheit
geltend zu machen, während die Demagogen mit kühnen Projekten
auftraten, glänzende Erfolge der Menge vorspiegelten und bestimmte
Ziele, welche den Wünschen derselben entsprachen, mit leidenschaft-
licher Wärme verfolgten. Je mehr nun die Bürgerschaft von den neuen
Volksrednem verwöhnt war, um so schwieriger musste es den Führern
der Gemäfsigten werden, Einfluss zu erlangen. Sie waren gezwungen,
auch ihrerseits um die Gunst der Menge zu werben; von lauernden
Feinden umgeben, mussten sie ängstlich Alles vermeiden, was irgend
zu ihrer Verdächtigung benutzt werden konnte; sie mussten Frei-
gebigkeit und volksfreundliche Gesinnung zur Schau tragen und auf
allerlei Umwegen ihre Ziele zu erreichen suchen. Endlich lag es auch
in der Natur der Verhältnisse, dass diejenigen, deren gemeinsame
Absicht es war, den Missbräuchen der Verfassung zu steuern, kein so
bestimmtes Programm haben konnten, wie es nölhig ist, um eine
politische Partei zu vereinter Thätigkeit fest und dauernd zusammen-
zuhalten; eine grofse Zahl ihrer Mitglieder, die wohlhabenden und
ruhigen Bürger Athens, waren von Hause aus zu einer lebhaften
Parteinahme nicht geeignet, und Männer, wie Diodotos, der Sohn des
Eukrates, obgleich von tapferer Gesinnung und von grofsen Redner-
gaben, nahmen, soweit die Ueberlieferung die innere Politik Athens
erkennen lässt, nur ganz vorübergehend an den öffentlichen Angelegen-
heiten thätigen Antheil. Je schwieriger also die Stellung dieser Partei
war, um so mehr kam es auf ihre Leitung an.
Die Wahl war hier nicht schwer; denn unter den wohlhabenden
und gemäfsigten Bürgern war Nikias, des Nikeralos Sohn, damals eine
hervorragende Persönlichkeit, so dass sich um ihn nach Perikles' Tode
alle diejenigen vereinigten, welche die gefährliche Wendung der öffent-
lichen Dinge erkannten.
Nikias war der reichste Mann in Athen. Er hatte grofse Be-
sitzungen in Laurion (S. 32), wo tausend Sklaven für ihn in den
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MK.IAS, DES MKEIIATOS SOH>.
435
Silberschachten arbeiteten. Dabei war er im vollen Besitze attischer
Bildung, des Staatswesens kundig und der Rede mächtig, wenn er
auch kein geborener Redner war; ein Mann von tadelloser Ehren-
haftigkeit und bewährter Tüchtigkeit, den auch die Komödie meistens
mit Achtung behandelte. Er war noch neben Perikles Feldherr ge-
wesen und von ihm mehrfach hervorgezogen und empfohlen worden.
Die Flotte konnte keiner sichereren Hand anvertraut werden; darum
war er nach Perikles' Tode fünf Jahre nach einander Feldherr. Er
war nach Kimons Vorbilde ein freigebiger Mann; er sehmückte die
Stadt mit ausgezeichneten Weihgeschenken, und, wenn die Reihe an
ihn kam, so benutzte er die Liturgien, um dem Volke die aufser-
ordentlichsten Schauspiele vorzuführen. Den Armen spendete er
reichlich, aber nicht blofs aus Gutmüthigkeit und mildem Sinne,
sondern auch aus Aengstlichkeit und Besorgniss; er suchte nicht
blofs seine Freunde warm zu halten, sondern auch Abgeneigte zu
gewinnen, die ihm etwa schaden könnten. Man merkte die Absicht-
lichkeit; aber das Volk hatte sein Wohlgefallen daran, weil es daraus
sehen konnte, wie viel dem mächtigen Nikias auf die Meinung der
Menge ankam. Auch in seinem öffentlichen Wirken war es ihm
um einen gewissen Schein zu thun; er zog sich, wie Perikles, von
dem geselligen Verkehre zurück; seine Anhänger waren bemüht,
den Ruf seiner unablässigen Arbeitsamkeit zu verbreiten und zu-
dringliche Besucher von seiner Thüre abzuweisen. Er war gemessen
und feierlich in seinem Benehmen; er verleugnete seine Ueber-
zeugungen nicht, aber sprach sich ungern aus, weil er von Natur
scheu war und immer besorgte, in Wort oder That sich etwas zu
vergeben; es fehlte ihm der Muth, seine Person einzusetzen. Auch
war er ohne Ehrgeiz und wurde mehr durch die Verhältnisse, als
durch eigenen Trieb dazu gebracht, eine hervorragende Stellung
einzunehmen. Als er in dieselbe eintrat, war er kränklich und nicht
mehr jung; den angeborenen Mangel an Entschlossenheit konnte er
nicht mehr überwinden; auch als Feldherr suchte er seine Haupt-
stärke darin, jeden Unfall zu vermeiden. Je mehr es ihm aber an
entschlossener Selbstbestimmung fehlte, um so mehr suchte er nach
äufseren Haltpunkten. Denn anstatt wie Perikles mit freiem Geiste
dem Volke gegenüber zu stehen und alle Einflüsse des Aberglaubens,
wo sie sich geltend machten, zu vernichten, war er selbst in hohem
Grade von solchen Einflüssen abhängig; die Abneigung gegen moderne
«8»
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DIE MACHT DES GELDES
Freigeisterei hatte bei ihm das Gegentheil hervorgerufen; denn io
ängstlicher Weise achtete er auf Vorzeichen aller Art so wie auf die
Aussprüche der Wahrsager, deren er immer einen als Hausgenossen
bei sich hatte. Dadurch gelang es Menschen von verächtlichem
Charakter, wie Diopeithes, Macht aber ihn zu gewinnen. In seiner
politischen Ueberzeugung war er durchaus verfassungstreu und loyal
gesinnt, wohlmeinend gegen das Volk und ein Feind aller heimlichen
Umtriebe. Er wollte Sparta gegenüber seiner Stadt nichts vergeben,
aber er sah den Krieg als ein Unglück an und hielt einen ehren-
vollen Frieden für möglich»8).
Man sieht leicht, dass Nikias keine solche Persönlichkeit war.
welche die gro&en Schwierigkeiten, mit denen die Partei der Ge-
mäfsigten zu kämpfen hatte, überwinden konnte. Indessen hatte die
Bürgerschaft noch Urteil genug, um zu erkennen, dass neben den
neuen Demagogen Männer wie Nikias ihr im höchsten Grade nützlich
wären; sie fühlte doch das Bedürfnis nach Männern, welche ihr
eine unwillkürliche Hochachtung einflößten; darum bewahrte sie
ihm immer ihr Zutrauen und schätzte ihn als einen treuen Rathgeber.
Auch konnte ihm nicht leicht ein Anderer seine Stellung streitig
machen, weil eine solche Vereinigung von Charakter und Verdienst
mit edler Geburt und Reichthum sich sonst nicht vorfand. Die
Macht des Geldes war aber in Athen eine sehr bedeutende, und aller
demokratischen Gleichheit ungeachtet konnten tapfere Feldherrn, wie
La mach os, ihrer Mittellosigkeit wegen nicht zu dauerndem Ansehen
gelangen. Nikias seihst betrachtete sein Vermögen als das Fundament
seiner Macht und war in Verwaltung desselben ungemein gewissen-
haft; er verschmähte keinen Gewinn und vermiethete seine Sklaven
um Tagelohn Anderen zur Arbeit. Seines Reichthums wegen war
er Parteihaupt geworden, und es stellte sich jetzt schroffer als zuvor
der Gegensatz der Armen und Reichen in Athen heraus; denn die,
welche viel zu verlieren hatten, hatten am meisten Interesse dabei,
einer unbesonnenen Staatsleitung entgegenzuarbeiten. Diese Spaltung
war ein neuer Keim von Missgunst und Misstrauen; denn wenn die
Partei des Nikias sich unbesonnenen Kriegsplänen widersetzte, so
entstand gleich der Verdacht, dass sie aus selbstsüchtigen Beweg-
gründen einer energischen Kriegführung entgegen wäre, weil die
Kriegslasten vorzugsweise auf ihren Mitgliedern ruhten. Die Redner
aber, welche die Vertreter der Menge waren, beuteten zu ihrem
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AUSDEH.M'.NQ DES KRIEGS.
437
Vortheile dies Misstrauen aus und suchten durch Anfeindung der
wohlhabenden Bürger ihre eigene Popularität zu heben.
Während sich so die inneren Verhältnisse Athens gestalteten,
ging der Krieg ununterbrochen vorwärts und entbrannte immer
heftiger. Denn nachdem die kriegführenden Staaten in den ersten
Jahren nur Versuche gemacht hatten, wie sie einander beikommen
könnten, fingen sie jetzt an, ihre Erfahrungen zu wirksameren An-
griffen zu benutzen.
Die Peloponnesier hatten schon zur See den Athenern die Spitze
zu bieten gesucht, und da sie zu Lande aufser Stande waren, eine
Feldschlacht zu erzwingen und in altspartanischer Weise zu siegen, so
hatten sie gegen ihre Gewohnheit eine regelmäßige Belagerung be-
gonnen, um die treusten Bundesgenossen Athens, die Platäer, zu züch-
tigen und einen festen Waffenplatz im Rücken des Feindes zu ge-
winnen. Die Noth, welche Athen zu bestehen gehabt hatte, ermulbigte
zu kräftigerer Kriegsführung und Männer, wie Brasidas (S. 404),
hatten schon Gelegenheit gehabt, sich durch Tüchtigkeit hervorzuthun.
Gleichzeitig dehnte sich die Belheiligung am Kriege immer weiter
aus. Denn aufser Anika und Böotien war nun auch Akamanien
Kriegsschauplatz geworden; auch die Völkerschaften des Nordens,
welche bis dahin der griechischen Staatengeschichte gänzlich fern
geblieben waren, wurden nun zum ersten Male in die Verwickelung
hereingezogen, und ihren Stammhäuptern ging die Ahnung auf, dass
der Zwiespalt der Griechenstädte ihnen die Möglichkeit gebe, Einfluss
zu gewinnen und Beute zu machen. So waren epirotische Stämme
vom adriatischen Meere her unter ihren Häuptlingen das Acheloos-
thal herunter gekommen, um den Ambrakioten gegen die Akarnanen
zu helfen (S. 416); der Odrysenkönig hatte schon in sehr wirksamer
Weise für Athen Partei genommen, während der schlaue Perdikkas
immer auf der Lauer lag, um zu seinem Vortheile die Verhältnisse
auszubeuten, und kein Bedenken trug, während er mit Athen im
Bunde stand, den Feinden Athens Hülfstruppen nach Akarnanien zu
schicken. Unter den Bundesgenossen gährte es, auf den Inseln wie
auf der Küste Kleinasiens, und von Pissuthnes, der arkadische Söldner
im Dienste hatte, wusste man, was er für ehrgeizige Pläne hegte
(S. 239). In Hellas selbst stieg aber die Erbitterung, sowohl zwischen
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SITA LK ES* KRIEGSZTG (87, 4;«%).
den Parteien , welche in den einzelnen Gemeinden einander gegen-
über standen , als auch zwischen den kriegführenden Staaten, und bei
dem gesteigerten Eifer, dem Gegner Schaden zuzufügen, gönnte man
sich nun auch im Winter keine Ruhe.
So machten die Peloponnesier nach den Kämpfen im korin-
thischen Golfe noch im Spätjahre 429 (87, 4) unter Knemos und
Brasidas einen Angriff, der an Kühnheit Alles übertraf, was sie bis
dahin unternommen hatten. Die Mannschaft von 40 Schiften wurde
bei Korinlh ausgesetzt; jeder Matrose nahm sein Ruder, sein Sitz-
polster und seinen Riemen mit sich, und so wanderten die Leute
quer über die Landenge, zogen in aller Eile vierzig Schiffe aus den
Schiffshäusern von Nisaia und steuerten nun gerades Weges nach dem
Peiraieus, von dem man wusste, dass er von der Meerseite offen war.
Die Schiffe waren unterwegs, Alles war günstig; da wurde den Pelo-
ponnesiern vor ihrer eigenen Kühnheit bang, und statt den Augen-
blick zu benutzen, landeten sie in Salamis, nahmen die dortigen
Schiffe, drei an der Zahl, und verheerten die Insel. Nun wurden
die Athener durch Feuerzeichen alarmirt; es war ein ungeheurer
Schrecken, als sie sich urplötzlich in ihrem eigensten Seegebiete
überfallen sahen, aber sie kamen mit dem Schrecken davon und
zogen sich daraus die Lehre, ihren Hafen in Zukunft besser zu hüten.
Auch im Norden des ägäischen Meeres begann mit Eintritt des
Winters neuer Kriegslärm. Perdikkas nämlich hatte die Ver-
sprechungen, mit denen er sich dem Bunde der Odrysen und Athener
angeschlossen, nicht gehalten; Sitalkes sammelte deshalb ein üeer von
100,000 Mann Fufsvolk und 50,000 Reitern, um in Makedonien ein-
zurücken. Bis nach den Therm opylen hin erzitterte Alles vor dem
Barbarenheere, welches die streitbarsten Völkerschaften des Nordens
vereinigte, und die Feinde Athens glaubten nicht anders, als dass es
auf ihre Unterwerfung abgesehen sei. Sitalkes' nächste Absicht war,
den Prätendenten Amyntas auf den makedonischen Thron zu setzen,
und er rechnete dabei auf die Unterstützung der Athener, welche ihn
zu dem ganzen Kriegszuge veranlasst hatten. Mit unwiderstehlicher
Macht überzog er die chalkidischen Städte und rückte bis zum
Axiosflusse vor, aber die attischen Schiffe blieben aus, und nun
änderte sich plötzlich die ganze Lage der Dinge. Die den Athenern
feindliche Partei, an deren Spitze Seulhes, der Neffe des Sitalkes,
stand, gewann die Oberhand; die Beschwerden des Winters traten
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VIERTES KR1EGSJAHR (87, 4; 428 SOMMER).
439
ein, und Perdikkas beeilte sich, diese Umstände zu Friedensvorschlägen
zu benutzen, welche sofort angenommen wurden. Seuthes wurde des
Königs Schwager, das grofse Thrakerheer löste sich auf, und damit
hatte die vielverheifsende Verbindung zwischen Athen und dem
Odrysenreiche für alle Zeil ein Ende. Möglicher Weise ist das Aus-
bleiben der allischen Schiffe nur durch Fahrlässigkeit veranlasst oder
durch Mangel an gehöriger Verständigung, wenn man nicht annehmen
will, dass die Athener schon bei der ersten Kraftentwickelung ihres
neuen Bundesgenossen auf denselben eifersüchtig geworden seien
und ihn absichtlich im Stiche gelassen haben. Auf jeden Fall aber
zeigte sich schon hier ein Mangel an rechtzeitiger Energie, wie er nach
Perikles' Tode hervortreten musste").
Endlich war auch auf dem akarnanischen Kriegsschauplatze keine
Winterruhe, sondern Phormion landete gleich nach Auflösung der
peloponnesischen Flotte in Astakos, trieb aus verschiedenen Städten
Akarnaniens die den Athenern feindliche Partei aus und wollte auch
Oiniadai nehmen, den Hauptsitz dieser Partei; aber der angeschwollene
Acheloos, welcher die Stadt wie ein See umringle, machte jeden An-
griff unmöglich. Phormion kehrte also nach Naupaktos zurück und
brachte von dort mit Eintritt des Frühjahrs die genommenen SchifTe
und die Gefangenen nach Athen.
Gleich nach der Rückkehr wurde Phormion angeklagt und zu
einer ihm unerschwinglichen Geldbufse verurteilt (S. 431); bald darauf
muss er gestorben sein; denn .als die Akarnanen im folgenden Sommer
nach Athen kommen, erbitten sie sich einen Sohn oder Anverwandten
Phormions als Feldherrn. Asopios geht mit einem Geschwader nach
Akarnanien. Nach einem vergeblichen Angriffe auf Oiniadai macht er
einen Zug nach Leukas und fällt hier in einem blutigen Kampfe40).
Derselbe Sommer (es war der des vierten Kriegsjahrs) brachte ein
Ereigniss zur Reife, welches sich Jahre lang vorbereitet hatte. Denn
schon vor Ausbruch des ganzen Kriegs hatten sich die Lesbier, welche
neben Chios die einzigen noch freien Bundesgenossen Athens waren,
heimlich mit Sparta in Verbindung gesetzt, und zwar gingen diese Ver-
handlungen von Mylilene aus, der gröfsten unter den fünf Städten von
Lesbos. Der Küste Kleinasiens nahe gegenüber, lag sie auf einer
Höhe, welche gegen den Meersund vorspringt und von zwei Hafen-
buchten eingefasst ist, einer nördlichen (Maloeis) und einer südlichen;
die letztere war der eigentliche Kriegshafen. Beide Buchten aber
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440
DER ABFALL VON MYHLE. NE.
waren durch einen Kanal verbunden, der mitten durch die Stadt floss.
Schönheit und Festigkeit der Lage waren mit allen Vortheilen des
Seeverkehrs hier in seltener Weise vereinigt
Wenn schon diese städtische Einrichtung von dem grofsarügen
Sinne der Bürger zeugt, so noch vielmehr die Geschichte der Stadt.
Denn sie hatten sich an dem Wohlstande eines blähenden Seeplatzes
nicht genügen lassen , sondern über die Gränzen ihres Gebiets hinaus
eine Herrschaft aufgerichtet, und zwar zunächst auf der eigenen Insel.
Hier hatten sie nach einander Antissa, Eresos und Pyrrha unterworfen
und die drei Stadtgebiete ihrem Gebiete einverleibt. Dann hatten sie,
wie Samos und Thasos , auch auf dem gegenüberliegenden Festlande
einen ansehnlichen Besitz zu erwerben und behaupten gewusst. Hier
waren ja die wichtigsten Plätze einst von Lesbos aus gestiftet worden
(I, 114), namentlich Assos und Gargaros; das leidenschaftliche Streben
der Mytilenäer ging nun dahin, auf Insel und Festland ihre herrsch-
süchtige Politik weiter zu verfolgen, und hier wie dort stand ihnen
Athen im Wege.
Alle Gegensätze, welche die griechische Welt in Spannung hielten,
waren hier wirksam. Denn erstens herrschte in Mytilene eine ge-
schlossene Zahl vornehmer und reicher Familien ; sie hatten durch
Energie und Klugheit die Stadt grofs gemacht, sie hatten der Masse der
Bürger gegenüber ihre Privilegien festgehalten und hassten darum das
demokratische Athen. Unwillig gaben sie ihre Schiffe her, um der
Macht Athens zu dienen und waren voll Besorgniss, über kurz oder
lang ihr einheimisches Regiment von dortaus gefährdet zu sehen.
Ferner waren die Städte des Festlandes, die alten Pflanzstädte der
Lesbier, gröfstentheils attische Tributstädte geworden. Auf diesem
Boden herrschte eine alte Eifersucht zwischen Athen und Lesbos,
welche schon in der Pisistratidenzeit zu blutigen Kämpfen geführt
hatte (I, 350 f.). Die alten Vorgänge waren nicht vergessen, und alle
Pläne auf Vergröfserung des festländischen Besitzes waren jetzt
natürlich mehr als je durch die Macht Athens unausführbar geworden.
Viel empfindlicher und brennender aber war der dritte Punkt, wo
Mytilene sich durch Athen beeinträchtigt sah, das war die Beherrschung
der eigenen Insel. Denn die Vereinigung derselben zu einem Gebiete
und Gesamtstaate wurde seit Jahren gehindert durch den Widerstand
von Methymna, der zweitgröfsten Stadt auf Lesbos, welche an der
Nordküste der Insel, Troas gegenüber, lag, demokratisch regiert wurde
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DER ABFALL VON MYTILEXE.
441
und treu zu Athen hielt, weil es in dieser Verbindung die einzige
Bürgschaft seiner dauernden Selbständigkeit besafs.
Endlich kam zu diesen Gegensätzen, welche aus politischen Grund-
sätzen und Plänen erwuchsen, noch der alte Gegensatz der Stämme,
welcher ja durch den gegenwärtigen Krieg aller Orten wieder aufgeregt
worden war. Wie auf dem Festlande die Böotier, so waren es im
Archipelagus die Lesbier, in welchen die alte Eifersucht des äoliscben
Stammes gegen die attischen lonier wieder hervorbrach; es war ein
gleichzeitiger Versuch, auf altäolischem Stammgebiete, in Asien wie
in Europa, eine selbständige Macht aufzurichten. Auch standen die
beiderseitigen Bestrebungen in unmittelbarem Zusammenhange. Die
oligarcbischen Grundsätze, welche in Theben wie in Mytilene
herrschten, hatten eine Annäherung zwischen beiden Staaten, eine Er-
neuerung des gemeinsamen Stammgefühls und ein gemeinsames poli-
tisches Handeln veranlasst. Nachdem also die ersten Anknüpfungen,
welche Mytilene schon vor dem peloponnesischen Kriege in Sparta ver-
sucht hatte, erfolglos geblieben waren, regten die Tbebaner nach Aus-
bruch des Kriegs neue Unterhandlungen an ; sie erkannten , dass der
peloponnesische Bund kaum einen wichtigeren Zuwachs erhalten
könne, als durch den Beitritt von Mytilene. Sie hofften jetzt auch bei
Sparta eine gröfsere Bereitwilligkeit und Entschlossenheit zu finden ;
ihre Stammgenossen selbst aber fanden sich bereit, den entscheiden-
den Schritt zu thun. Es war ihr Interesse, nicht zu zaudern; sie
wussten nicht , wie lange das gegenwärtige System gegen die Demo-
kratie der eigenen Insel noch zu halten sei, sie glaubten durch
längeres Warten nur verlieren, nicht gewinnen zu können41).
Die regierenden Familien wussten, wie sehr Athen durch die Pest
gelitten, wie die Belagerung Potidaias seine Finanzen erschöpft habe,
und wie die Flotte an verschiedenen Punkten gleichzeitig in Anspruch
genommen sei. Der kecke Versuch Spartas, Athen an seinen eigenen
Küsten anzugreifen, hatte den Muth der Mytilenäer gesteigert; sie
rechneten auf die Unzufriedenheit in Aeolis und lonien, sie standen
wahrscheinlich auch mit Pissuthnes in Verbindung und beschlossen
mit aller Umsicht und Energie den Abfall vorzubereiten. Sie bauten
neue Schiffe, warfen Dämme auf, welche ihre Häfen sicherten, sie
füllten ihre Kornspeicher und liefsen skythische Bogenschützen werben.
So vorsichtig aber auch die Mytilenäer hiebei zu Werke gingen,
so war es ihnen doch unmöglich, ihre Pläne geheim zu halten. Die
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DER ABFALL VON MYT1LE.NE.
Eifersucht von Tenedos und Methymna, sowie die Spaltung der Par-
teien in der Stadt, wo die Verhältnisse sehr gespannt waren, kamen den
Athenern zu Gute. Ein Bärger von Mylilene, Doxandros, der für seine
Söhne um zwei vornehme Erbtöchter geworben hatte und schnöde
zurückgewiesen worden war, rächte sich an den Aristokraten, indem
er ihre Absichten den Athenern verrietb, mit denen er. in Gastfreund-
schaft stand. Es zeigte sich auch hier, wie wichtig diese Proxenoi für
Athen waren, indem sie unter der Hand und ohne amtlichen Auftrag
die Stimmung der Bundesstädte beobachteten und von gefährlichen
Bewegungen rechtzeitige Meldung nach Athen gelangen Uelsen. So
erhielt man um dieselbe Zeit, als Archidamos zum dritten Male gegen
Attika vorrückte, d. h. um Anfang des vierten Kriegssommers, in
Athen die Gewissheit, dass ein neuer und gefahrlicher Seekrieg un-
vermeidlich sei.
Nachdem man sich lange gesträubt hatte, die gemeldete Thatsache
zu glauben, versuchte man durch Gesandtschaften die Mytilenäer von
ihrem Vorhaben abzubringen, aber vergeblich, und so musste man sich
endlich entschliefsen, Ernst zu machen. Es wurden also die lesbischen
Schiffe, die bei der Flotte waren, sofort mit Beschlag belegt, und vierzig
Trieren unter Klelppides ausgeschickt Aber es fehlte die Energie, wie
sie beim Abfall von Samos ein Perikles bewährt halte. Denn nicht nur
wurde die Ueberrumpelung, zu der man ein vorslädtisches Apollonfest
benutzen wollte, vereitelt, sondern es gelang sogar den Behörden der
aufrührerischen Stadt, durch schlaue Unterhandlungen den attischen
Flottenführer von einem raschen Angriffe zurückzuhalten und den ge-
wonnenen Waffenstillstand zur Vollendung ihrer Rüstungen, wie auch
zu einer Sendung nach Sparta zu benutzen. Es war ein Glück für
Athen, dass die Spartaner noch viel unentschlossener waren. Denn
anstatt auf eigene Verantwortung rasch zu handeln, so lange die be-
drohte Stadt noch zugänglich war, beschieden sie die Gesandten nach
Olympia, wo gerade das grofse Fest bevorstand , welches durch den
Krieg zu einem rein peloponnesischen geworden war und zur Er-
ledigung von Bundesangelegenheiten benutzt wurde.
In Olympia hielten die Mytilenäer eine Rede, welche ihrem kühnen
und männlichen Sinne alle Ehre machte. Sie klagten nicht über
schlechte Behandlung, durch welche sie gezwungen wären auswärtige
Hülfe zu suchen; sie schmähten auch nicht auf attische Tyrannei; sie
erklärten nur, dass ihre Selbständigkeit eine mehr scheinbare, als
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DIE LESBIER VX OLYMPIA (88, 1; 4M JULI).
443
wirkliebe, eine unsichere und von der Gnade Athens abhängige sei.
Dieser Zustand sei ihnen unerträglich; sie wollten nicht einem Bunde
angehören, welcher seinen ursprünglichen Charakter so vollständig
verändert habe, sie wollten nicht Athen als Werkzeuge dienen, um
seine selbstsüchtige Herrschaft zu stützen. Es war die stolze Sprache
einer Aristokratie, welcher die Abhängigkeit von der Bürgerschaft in
Alben unleidlich war. Sie kamen nicht mit leeren Händen, sondern
wie die Kerkyräer den Athenern, so machten sie den Peloponnesiem
klar, dass diese ihr Bündniss als einen unschätzbaren Gewinn ansehen
müssten, weil es ihnen den wohlgelegensten Waffenplatz, Geld und
Schiffe gegen Athen verschaffe, weil es die Mittel gewähre, Athen nicht
blofs in Altika, wo man ihm am allerwenigsten anhaben könne, son-
dern an den Punkten anzugreifen, wo es am meisten zu fürchten habe.
Durch die Aufforderung der Böotier seien sie zu einem früheren Ab-
falle, als sie beabsichtigt hätten, veranlasst worden; deshalb hätten sie
um so gerechteren Anspruch auf schleunige Bundeshülfe; von der
Thatkraft, mit welcher sie ausgeführt werde, sei das Ansehen Spartas
abhängig.
Der nächste Erfolg der Rede war vollständig. Die Mytilenäer
wurden als Mitglieder des peloponnesischen Bundes aufgenommen und
schleunige Bundeshülfe versprochen. Ein neuer Angriff zu Wasser
und zu Lande sollte sofort gegen Athen ausgeführt werden ; die Spar-
taner standen auch in kürzester Zeit mit ihrem Heere wieder am Isth-
mos und legten Hand an , um die in Lechaion liegenden Trieren nach
dem jenseitigen Hafen hinüberzubringen. Aber die anderen Pelopon-
nesier kamen nicht zur Stelle; sie waren bei der Erndte beschäftigt
und im höchsten Grade unlustig, in demselben Sommer zum zweiten
Male auszurücken. Die Athener dagegen erkannten in vollem Mafse
die Bedeutung des Augenblicks. Sie mussten jetzt zeigen, dass ihre
Macht ungebrochen sei und dass sie an den verschiedensten Plätzen
bereit seien, ihren Feinden zu begegnen. Die Spartaner sahen zu ihrem
Erstaunen eine Flotte von hundert Trieren am Isthmos erscheinen,
welche alle Pläne daselbst sofort vernichtete; gleichzeitig vernahmen
sie, dass eine zweite Flotte die lakonischen Küsten brandschatze. Es
waren die dreifsig Trieren des Asopios (S. 439), welcher zwölf davon
mitnahm nach Akarnanien, die andern zurückfahren liefs. Anstatt
endlich die Schiffe von Mylilene abzurufen, wie die Feinde erwartet
hatten, wurde ihre Zahl verstärkt.
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PACHES VOR MYTILENE (M, 1; 4M HERBST).
Die Mylilenäer hatten inzwischen die Zeit benutzt, um skh auf
ihrer Insel kampfluchtiger zu machen. Ihr Angriff auf Methymna war
misslungen, aber die abhängigen Städte wurden neu befestigt; man
war entschlossen, jeden einzelnen Platz zu halten. Da erschien Paches
am Anfang des Herbstes mit 1000 Hopliten; die aufrührerische Stadt
wurde an der Landseile ummauert, und als der Winter eintrat, war
sie rings umschlossen und von aller Hülfe abgeschnitten41).
Inzwischen hatte die Unternehmung gegen Plataiai, welche im
dritten Kriegsjahre, während die Pest in Athen herrschte, begonnen
war, eine ganz andere Wendung genommen, als die Spartaner erwartet
hatten. Denn als sie sich mit dem ganzen Bundesheere vor der kleinen
Stadt zeigten, hoffte man durch Unterhandlung zum Ziele zu kommen,
und als die Platäer sich auf die feierlich verbürgte Unverletzlichkeit
ihres Gebiets beriefen, erhielten sie die arglistige Antwort, dass man
nichts Anderes wolle, als ihnen die volle Selbständigkeit geben, welche
ihnen zukomme; jetzt aber wären sie nicht frei und unabhängig; sie
sollten daher nur von dem attischen Bündnisse abtreten und voll-
kommen neutral bleiben. Die Platäer wiesen auf ihre Lage hin, welche
sie nöthige, an einen grdfseren Staat sich anzuschließen ; auch sei ja
der Anschluss an Athen, der ihnen jetzt als Verbrechen ausgelegt
werde, auf Spartas ausdrückliche Weisung erfolgt (I, 383). Die Tren-
nung von Athen sei ja nichts Anderes, als eine Auslieferung der Stadt
an ihre gehässigsten Feinde. Archidamos brach diese Erörterungen ab,
welche für jeden Spartaner, in dem noch eine Spur von ehrenhafter
Gesinnung war, peinlich genug sein mussten; er wies die Platäer auf
ihre unter allen Umständen gefährliche Lage hin und machte ihnen
den Vorschlag, sie sollten auswandern und ihm für die Zeit des Kriegs
ihr Stadtgebiet übergeben; ihre unbewegliche Habe solle genau ver-
zeichnet und nach Beendigung des Kriegs mit dem Grund und Boden
unverkürzt zurückgegeben werden.
Der Vorschlag war von Seiten des Königs gewiss ehrlich gemeint;
er schien um so mehr gerechtfertigt, als die Kinder und Frauen und
alles Volk bis auf 400 Bürger schon nach Attika ausgewandert waren;
Sparta wollte sich selbst verpflichten , für die Ernährung der Bürger-
schaft während des Exils Sorge zu tragen. Man begreift leicht, dass
die Platäer diesen Vorschlag nicht ohne Weiteres abwiesen; sie legten
ihn den Athenern zur Begutachtung vor. Die Athener verwarfen ihn
und verbieten thätige Hülfe.
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UMMAUBRÜISG VON PLATAIAI (88, 1; 438 SEPT.). 445
In Folge dessen schwankten die Platäer keinen Augenblick ; sie
erklärten ihren Feinden von der Hauer herab , dass sie entschlossen
wären, dem Bunde mit Athen unter allen Umstanden treu zu bleiben,
und rüsteten sich zur entschlossensten Verteidigung. Archidamos
rousste nun Ernst machen. Nachdem er durch feierliche Anrufung
aller Götter und Heroen des Landes sein Gewissen zu beruhigen und
alle Schuld des Kriegs auf die Platäer zu wälzen gesucht hatte, liefe er
die Abhänge des Kithairon, an denen die Stadt gelegen war, abholzen,
Pallisaden machen und mit Hülfe derselben einen Wall aufführen, um
von der Höhe desselben die Yertheidiger der Stadtmauer anzugreifen.
Man wollte um jeden Preis eine lange und kostspielige Belagerung ver-
meiden und liefe die Soldaten Tag und Nacht an der Schanze arbeiten.
In siebzig Tagen war sie fertig. Aber die Platäer erhöhten dagegen
ihre Mauern und Brustwehren, zerstörten durch unterirdische Gänge
die feindlichen Erdarbeiten und bauten hinter dem bedrohten Stücke
ihrer Mauer eine zweite Mauer, um sich hinter dieselbe zurückziehen
zu können. Ebenso wussten sie die Mauerbrecher unschädlich zu
machen, indem sie die Köpfe derselben zerschmetterten oder durch
Schlingen den Stöfs abfingen. Endlich wurde von den Belagerern die
Macht des Feuers aufgeboten, indem sie den Raum zwischen
Mauer und Schanze mit brennbaren Stoffen anfüllten und einen Brand
hervorriefen, der durch Qualm und Gluth die ganze Stadt und ihre
Yertheidiger zu vernichten drohte; aber in der höchsten Noth
brachte ihnen, wie erzählt wird, ein Gewitterregen unerwartete
Rettung.
Nun mussle Archidamos, der sich schon mit dem Widerwillen
eines alten Spartaners zu den Schanzarbeiten und zur Anwendung von
Belagerungsmaschinen entschlossen hatte, jeden Gedanken aufgeben,
mit Gewalt die kleine Schaar plataischer Bürger zu besiegen; man
musste sich bequemen, die ganze Stadl mit einem Walle zu umgeben,
um sie auszuhungern. Die abschüssige Lage der Stadt erschwerte die
Arbeit, aber man scheute keine Mühe ; die Erbitterung hatte sich wäh-
rend des Kampfes gesteigert, und die Thebaner thaten das Ihrige, um
das Werk nicht in Stocken gerathen zu lassen. Eine doppelte Mauer
wurde nun um die ganze Stadt gebaut, mit einem Graben gegen die
belagerte Stadt und einem Graben gegen aufeen; die Mauern waren in
gleichen Abständen mit Thürmen versehen; der Gang zwischen den
Mauern, der 16 Fufe Breite hatte, war bedeckt und bildete gleichsam
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DURCHBRUCH DER PLATÄER (88, 1; 438 DEC).
ein grofses Wachthaus, das die feindliche Stadt umringte. Gegen Mitte
September war das ungeheure Werk vollendet; die Mehrzahl der
Truppen konnte entlassen werden; die Bewachung der Ringmauer
wurde zwischen peloponnesischen und thebanischen Truppen getheilt;
jede Schaar hatte ihren angewiesenen Platz; ein Corps von drei-
hundert diente als Reserve für unvorhergesehene Fälle.
Ein volles Jahr hatten die Platäer in ihrem Gefängnisse ausge-
harrt, von jedem Verkehre abgeschnitten, ohne UolTnung auf Entsatz,
von Feinden umlauert, die nach ihrem Blute lechzten. Die Lebens-
mittel begannen zu mangeln. Deshalb beschlossen die Tapfersten einen
Durchbruch zu wagen. Nachdem man sich mit Leitern versehen,
welche die Höhe der feindlichen Mauern hatten , benutzte man eine
stürmische und rauhe Decembernacht, da man voraussetzen konnte,
dass sich die Wachtposten in die Thürme, die ihnen als Schilderhäuser
dienten, zurückgezogen haben würden.
Zweihundert und zwanzig Männer verlassen die Stadt; sie sind
leicht bewaffnet und nur am linken Fufse mit einem Schuh versehen,
der für den Fall eines Gefechts fesleren Stand gewährte; den rechten
Fufs tragen sie blofs, um leichter durch den Schlamm zu kommen.
In mäfsiger Entfernung von einander, um jedes WatTengeräusch zu
vermeiden, übersteigen sie den Graben, erklimmen die Mauer, indem
Einer dem Andern den Schild hinaufreicht; die Wachtposten in den
nächsten Thürmen zur Rechten und zur Linken werden getßdtet; Alles
gelingt ohne Geräusch , die Platäer sind im Besitz eines Mauerstücks
mit zwei Thürmen, welche besetzt werden ; die Meisten sind glücklich
oben. Da fällt ein Ziegel von der Mauer, und die Besatzung wird alar-
mirt. Sieben Platäer kehren um, weil sie Alles verloren geben. Aber
während die Feinde in völliger Ungewissheit über den Vorgang bleiben
und Keiner sich getraut, seinen Posten zu verlassen, steigt Einer der
Tapfern nach dem Andern die äufsere Mauer hinunter; zuletzt ver-
lassen auch die, welche die Thürme gehütet hatten, ihren Posten und
gelangen glücklich an den äufsern Graben. Dieser ist voll Wasser und
mit dünnem Eise bedeckt. Dadurch wird der Uebergang verzögert,
und ehe noch Alle hinüber sind, sehen sie Mannschaft mit Fackeln
herbeieilen; es ist das Streif korps der Dreihundert, welches sie am
Graben erreichte. Aber die Fackeln sind den Verfolgern hinderlich,
indem sie diese blenden, den Platäern aber den Kampf erleichtern.
Nur ein Bogenschütze wird gefangen. Die Andern kommen sämtlich
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VIERTER EINFALL IN ATTIKA (»8, 1; 417).
447
hinüber und schlagen den Weg nach Theben ein, weil sie voraussetzen,
dass sie auf der attischen Strafse verfolgt werden würden. Erst bei
Erythrai wenden sie sich rechts in's Gebirge und kommen am Morgen
nach Athen, um dieselbe Zeit , als ihre Kameraden Herolde an die Be-
lagerer schickten, um sich die Leichen der Ihrigen auszubilten, welche
sie sämtlich für verloren hielten. Niemals ist tapferer Muth und
kluge Entschlossenheit herrlicher belohnt worden. Zugleich war den
Zurückgebliebenen jetzt die Möglichkeit gegeben, mit ihrem Mund-
vorrath länger auszuharren48).
So war im Anfange des fünften Kriegsjahres das Interesse an zwei
Belagerungen geknüpft; beide Belagerungen waren mit den schwersten
Opfern für die Belagerer verbunden; in beiden Plätzen hoffte man
noch immer auf die versprochene Hülfe und in beiden gleich vergeblich.
Freilich wurde im Frühjahre die peloponnesische Flotte endlich
fertig, und Alkidas fuhr mit 42 Segeln von Gytheion in das ägäische
Meer hinaus. Es war das erste Mal seit Gründung des attischen See-
bundes, dass peloponnesische Kriegsschiffe sich in den Gewässern
zeigten, welche Athen als sein Herrschaftsgebiet ansah. Um diesem
Seezuge noch mehr Nachdruck zu geben, rückte gleichzeitig das Land-
heer der Peloponnesier unter Kleomenes in Attika ein; er war der
Vormund seines Neffen Pausanias, des Sohnes des Pleistoanax, und
in der Heerführung des Archidamos Nachfolger, der nach 42 jähriger
Regierung kurz zuvor gestorben war.
Dieser vierte Heerzug war für die Athener besonders verderblich,
weil er sich so lange wie möglich im feindlichen Lande zu halten
suchte, denn man hoffte die Nachrichten von den glücklichen Erfolgen
des Alkidas in Attika abwarten zu können. Aber diese Erwartungen
erwiesen sich bald als gänzlich unbegründet. Denn der spartanische
Admiral that aus Ungeschick und Feigheit Alles, was geschehen konnte,
um den Zweck seiner Unternehmung zu vereiteln. Aengstlich kreuzte
er zwischen den Cykladen umher, während die Noth in Mytilene den
höchsten Grad erreicht hatte. Man konnte hier nicht länger warten,
und deshalb gab der Spartaner Salaithos, welcher sich einige Monate
zuvor in die Stadt hereingeschlichen hatte , um die nahende Hülfe zu
melden, der Regierung den Rath, ihr letztes Heil in einem Ausfalle zu
suchen. Zu dem Ende wurden alle Waffenrüstungen vertheilt, welche
im Besitze der Stadt waren, auch an die unteren Bürgerklassen, welche
in dem aristokratischen Staate bis dahin nur als Leichtbewaffnete ge-
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44S
ÜBERGABE VOPf MYTILENE (W, 8; 427).
dient hatten. Aber kaum war dies geschehen, so erklärte sich das Volk
gegen die Regierung; es verlangte, dass alle Kornvorräthe geöffnet
werden sollten, und drohte, sofort mit den Athenern in Unterhandlung
zu treten. Den regierenden Herren blieb unter diesen Umständen nichts
übrig, als gemeinschaftlich mit dem Volke zu bandeln und die Unter-
handlungen mit Paches zu beginnen; sonst wären sie allein als Urheber
des Aufstandes ausgeliefert worden. Paches versprach, bis die Ent-
scheidung von Athen eingeholt sei, Keinen zu binden, zu knechten
oder zu tödten. Trotzdem safsen die Oligarcben, als die Athener ein-
rückten , angstvoll auf den Stufen der Altäre ; sie fühlten sich weder
vor ihren Mitbürgern noch vor den Feinden ihres Lebens sicher und
wurden dann nach Tenedos in Gewahrsam gebracht.
Sieben Tage waren seit Uebergabe von Mytilene verflossen , da
kam Alkidas und ankerte Lesbos gegenüber in der Nähe von Erythrai.
Der Hauptzweck war verfehlt ; aber nichts desto weniger war es ein
aufserordentliches Ereigniss, dass an der ionischen Küste eine pelopon-
nesische Flotte lag. War man einmal so weit gekommen, so musste
man zu erreichen suchen, was noch möglich war. Auch fehlte es in
der Umgebung des Admirals nicht an Rathgebern, welche die Bedeutung
des gegenwärtigen Moments vollkommen erkannten. Teutiaplos, der
Eleer, verlangte, dass man unverzüglich die Athener in Mytilene über-
fallen solle, ehe sie auf einen Angriff gefasst wären. Und dann kamen
ionische Flüchtlinge und Lesbier auf die Flotte und drangen in Alkidas,
etwas Entscheidendes zu thun. Er solle sich in einer ionischen Stadt
oder im äolischen Kyme festsetzen , die Unzufriedenen an sich ziehen,
die von Sparta verkündete Politik zur Wahrheit machen und die Frei-
heit der hellenischen Städte in Ionien und Aiolis verkünden. Eine
altische Flotte war nicht zur Stelle, Gährung herrschte aller Orten. Die
Perser waren geschäftig, die gegen Athen herrschende Aufregung aus-
zubeuten und ihre Macht an einzelnen Küstenpunkten wieder herzu-
stellen; Kolophon war ihnen mit Hülfe einer einheimischen Partei
schon im Sommer 430 (Ol. 87, 3) wieder zugefallen, und auch aus
Nolion, dem Hafen der Kolophonier, waren die attisch gesinnten Bürger
mit Gewalt verdrängt worden. Pissuthnes hatte durch seine arkadi-
schen Söldner dabei geholfen, derselbe Satrap, der schon im sa mischen
Kriege seine Feindschaft gegen Athen und seine Bereitwilligkeit, sich
in die griechischen Angelegenheilen einzumischen, gezeigt hatte. Wenn
also der spartanische Feldherr sich mit ihm in Einverständniss setzte,
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VERHANDLUNG ÜBER MYTILENE.
449
so konnte Athen auf die allergefahrlichste Weise bedroht werden. Aber
Alkidas ging auf nichts ein. Er fuhr ängstlich an der Küste entlang
und verrichtete keine anderen Thaten, als dass er harmlose Ionier auf-
greifen und hinrichten liefs, bis ihn die samischen Oligarchen, welche
beim letzten Aufstand aus Samos vertrieben in Anaia sich niederge-
lassen hatten, daran erinnerten , dass dies wohl nicht das richtige Ver-
fahren sei, ihn als einen Befreier von Hellas zu empfehlen. So wie er
aber vermuthen konnte, dass man ihm von Athen aus auf der Spur
sei, ging seine ziellose Fahrt in angstvolle Flucht über, so dass er quer
über das Meer nach Hause eilte und erst glücklich war, wie er die
peloponnesischen Küsten wieder vor Augen hatte. Die Athener sahen
sich also ohne ihr Zuthun aus aller Noth befreit und konnten ihre
Flotte sogleich benutzen , um auch in Kleinasien ihr volles Ansehen
wiederherzustellen; die Stadt Notion, wo eine Zeit lang, durch eine
Mauer getrennt, die beiden feindlichen Bürgerparteien, die attische und
die persisch gesinnte, neben einander gehaust hatten, wurde mit Arg-
list und Gewalt unter die Botmäfsigkeit Athens zurückgeführt; end-
lich vollendete Paedes ohne Mühe die Unterwerfung der Insel Lesbos
und schickte die lesbischen Aristokraten so wie den Spartaner Salai-
thos, der in einem Verstecke aufgefunden war, nach Athen, damit
sie dort ihr Urteil empfingen44).
Als die Unglücklichen im Peiraieus ausgeschifft wurden, war die
Bürgerschaft in fieberhafter Aufregung, und der Prozess, welcher nun
begann, zeigt deutlich, welche Veränderung die letzten Jahre in den
Öffentlichen Verhältnissen Athens hervorgebracht hatten.
Die Gründe der Aufregung liegen nicht fern. Die Belagerung der
abtrünnigen Stadt hatte aufserordentliche Opfer verlangt; der Schatz
war bis auf den Reservefonds erschöpft, und zum ersten Male musste
eine Vermögenssteuer ausgeschrieben werden, um zur Fortführung der
Belagerung eine Summe von 200 Talenten aufzubringen. Wenn diese
Mafsregcl schon eine grofse Bestürzung hervorgerufen hatte, da man
bei Anfang des Kriegs auf den Schatz vorzugsweise die Hoffnung des
Siegs gegründet hatte, so war die Erbitterung gegen die Abtrünnigen
um so gröfser. Die gefahrliche Lage ihres Staats war den Athenern
in erschreckender Weise vor Augen getreten. Persien bedrohte ihre
Bundesorte, eine feindliche Flotte hatte sich in Ionien gezeigt, und es
war nur der gänzlichen Unfähigkeit ihres Führers zuzuschreiben, dass
sich an den Abfall von Lesbos keine Erhebung des ionischen und
Curti», Gr. G«»ch. II. 6. Aufl. 29
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450
DIE STELLUNG KL EONS.
äolischen Festlandes angeschlossen hatte. Zu dieser Angst um die
überseeischen Besitzungen kam nun die Erbitterung über die neue
Verheerung des eigenen Landes und die schwere Sorge um Plataiai.
In dieser vielfachen Aufregung hatte die Bürgerschaft keinen Führer,
der die Macht oder den Willen hatte, sie zu beruhigen, sondern ihre
Redner waren nur darauf aus, diese Stimmungen zu nähren und die
Leidenschaftlichkeil zu steigern; vor allen Kleon, der damals am
meisten Einfluss hatte45).
Kleons Vater Kleainetos war ein Fabrikbesitzer und unterhielt
eine Menge Sklaven, welche Felle gerbten und Lederwaaren bereiteten;
ein Gewerbzweig, welcher in Athen sehr blühend, aber wenig geachtet
war. Die Umgebung, in welcher Kleon aufwuchs, war nicht geeignet,
ihm eine höhere Bildung zu geben; er hatte ein plumpes und gemeines
Aussehen, eine rauhe Stimme und eine polternde Art zu sprechen. In
rohem Kraftgefühle that er sich etwas darauf zu Gute, nichts Anderes
zu sein als ein Mann des Volks, und er war der geborene Wortführer
gegen alle diejenigen, welche im Besitze einer höheren Bildung der
Menge vornehm gegenübertraten. So hatte er Perikles angefeindet
und sich selbst mit Männern, wie Diopeithes und Thukydides, zum
Angriffe auf die philosophischen Freunde des Perikles verbunden
(S. 394). Die Genugtuung, welche die Bürger dem gekränkten
Staatsmanne gaben, war eine Niederlage für Kleon, in Folge deren er
sich in der nächsten Zeit stiller hielt. Dann trat er von Neuem in den
Vordergrund und, nachdem Eukrates bei Seite geschoben und Lysikles
im Maiandrosthale gefallen war (S. 432), konnte er sich als den ersten
Mann in Athen ansehen.
Unter den Mitteln, welche Kleon angewendet hat, um sich die
Volksgunst in solchem Grade zu erwerben, war die Erhöhung des
Richtersolds, die wahrscheinlich auf seinen Antrag erfolgt ist, eine der
wirksamsten. Man kann zugeben, dass sie durch die Verteuerung der
Lebensmittel, welche seit Beginn des Kriegs stattgefunden haben muss,
einigermafsen gerechtfertigt werden konnte; auf jeden Fall ist die Be-
deutung der ganzen Einrichtung seitdem eine wesentlich andere ge-
worden. Denn ein Sitzungsgeld von drei Obolen oder einer halben
Drachme (38 Pf.) war für den armen Athener immer ein lockender
Gewinn. Dafür liefsen sie schon ihre Hand wer ksgeräthe liegen und
drängten sich zu den Gerichten; namentlich die älteren Leute, welche
keinen Waffendienst mehr leisten konnten, und denen der bequeme
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GERICHTE UND SYKOPflANTEN.
451
Erwerb sehr willkommen war; auch von den Landleuten fand Mancher
darin einen Ersatz für den Ertrag seiner Felder, um den die Kriegs-
noth ihn gebracht halle , und so geschah es, dass das Richterpersonal
der grofsen Mehrzahl nach aus unbemittelten Leuten bestand. Als Ge-
schworene versafsen sie die besten Tagestunden, durch die Aufregung,
welche das Anhören der Prozesse erweckte, aufs Angenehmste unter-
halten , in behaglichem Selbstgefühle und vollem Genüsse der Macht,
welche ihnen die Stellung der attischen Gerichtshöfe über Leben und
Eigenthum so vieler Tausende gab. War die Sitzung zu Ende, deren
Länge nach der Geduld der Geschworenen eingerichtet wurde, so
konnten sie sich, ohne für weiteren Erwerb Sorge zu tragen, für
ihre drei Obolen bei Bad und Mahlzeit von ihrer öffentlichen Thälig-
keit erholen.
Man begreift also die Dankbarkeit, welche die Athener dem
Urheber dieser Solderhöhung erwiesen. Kleon war der Held des Tags,
der Liebling und Wohlthäler des Volks, der gefeierte Gerichtspatron,
und je mehr nun die Gerichts wuth der Athener, welche schon Kra-
tinos verspottet hatte, im Zunehmen war, um so mehr stieg auch die
Macht des Kleon. Denn man hatte längst die Erfindung gemacht, die
Gerichte zu politischen Parteizwecken zu benutzen , indem man her-
vorragende Männer mit peinlichen Anklagen verfolgte. Nun aber kam
das Geschäft der Aufpasser oder 'Sykophanten' erst recht in Auf-
schwung; es bildete sich eine eigene Menschenklasse, welche ein Ge-
werbe daraus machte, Stoff zu Anklagen zusammenzutragen und ihre
Mitbürger vor Gericht zu ziehen. Diese Angebereien waren aber vor-
zugsweise gegen Solche gerichtet, welche durch Reichthum, Geburt
und Verdienste hervorragten und deshalb Anlass zu Verdacht gaben ;
denn die Angeber wollten sich als eifrige Volksfreunde und wachsame
Hüter der Verfassung geltend machen. Je deutlicher aber die Mangel
der Verfassung hervortraten , je wilder und unordentlicher es in den
Versammlungen herging, je mehr sich die Partei der Gemäfsigten von
dem grofsen Haufen absonderte und die Gebildeteren vom öffentlichen
Leben zurücktraten, um so argwöhnischer wurde das Volk, um so
mehr griff die Furcht vor Verrath , die Angst vor verfassungsfeind-
lichen Bestrebungen um sich; überall witterte man Umtriebe und Ver-
schwörung , und die Volksredner beredeten die Bürgerschaft , keinem
Beamten, keinem Bevollmächtigten, keiner Commission zu trauen,
Alles in voller Versammlung zu verhandeln, die ganze Verwaltung an
29*
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452
KLEONS MACHT IN ATHEN
sich zu ziehen. Von diesem allgemeinen Misstrauen lebten die Sy-
kophanten und beuteten es aus, um sich wichtig zu machen. Ohne
Scham machten sich junge namenlose Menschen, die zum Theile nicht
einmal von attischem Geblute waren, an die Veteranen der Perser-
kriege, und man erlebte es, dass Feldherm, welche ihr Leben vielfach
für die Stadt eingesetzt und ihre Flotte zum Siege geführt hatten , als
Greise von böswilligen Anklägern verfolgt und von den Volksgerich len
verurteilt wurden. Das Gewerbe der Sykophanten wurde auch nur um
schändlicher Gewinnsucht willen betrieben; sie drohten mit Anklagen,
um dadurch von Schuldigen und Unschuldigen Geld zu erpressen;
denn auch unter denen, die sich schuldlos fühlten, waren Viele, welche
einen Staatsprozess mehr als alles Andere scheuten, weil sie zu einem
Geschworenengerichte kein Vertrauen hatten, welches so häufig in
leidenschaftlicher Stimmung war und meistens in seiner eigenen Sache
richtete.
In dieser Sykophantenkunst war Klcon selbst ein Meister, und sie
war für ihn eines der wirksamsten Mittel, um seine Macht zu gründen.
Sie gab ihm Gelegenheit, Alle, die ihm gefahrlich schienen, zu be-
seitigen, andersgesinnte Redner aus dem Felde zu treiben und ihnen
die öffentliche Thäügkeit zu verleiden; er wusste bei seiner Gewalt
über das Volk und bei seiner völligen Rücksichtslosigkeit Alles einzu-
schüchtern und solche Furcht um sich zu verbreiten , dass Niemand
mit ihm sich zu messen wagte und ihm in feiger Servilität der Hof ge-
macht wurde. Das höchste Gut der Athener, das freie Wort, war that-
sächlich ihnen genommen. Mit ehrlichen Mitteln war gegen ihn nicht
aufzukommen; für Geld war er zu gewinnen, und er wusste seine
Macht zu benutzen, um ein ansehnliches Vermögen zu erwerben 46).
Was also Kleon im Staat erstrebte und was er durch seine
Energie wie durch eine angeborene Redner- und Herrschergabe glück-
lich erreichte, war wieder ein persönliches Regiment, ohne welches in
schwierigen Zeiten die Demokratie gar nicht zu denken war. Als er
sein Ziel erreicht hatte, änderte er in einigen Stücken sein Wesen.
Er zog sich aus der Gemeinschaft früherer Genossen zurück und ge-
wann dadurch das Recht, alle geheimen Verbindungen zu politischen
Zwecken um so heftiger zu verfolgen. Auch war seine eigene Politik
nicht der Art, dass er solcher Hülfe bedurfte, um ihr Anerkennung zu
verschaffen. Denn er verfolgte keine ferneren Ziele, für welche ein Zu-
sammenhalten aller Parteigenossen nöthig war; vielmehr suchte er nur
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KLEO>S POLITIK.
453
die Majorität der Börgerschaft immer fester an seine Person zu ketten
und die einzelnen Tagesfragen zu diesem Zwecke auf das Geschickteste
auszubeuten.
Bei der Stellung, welche Kleon zum Volke einnahm, konnte man
erwarten, dass er sich berufen fühlte, die Interessen der niedrigeren
Bürgerklassen zu vertreten, welche bis dahin nicht zu ihrem Rechte
gekommen wären. Aber solche Gesichtspunkte lassen sich nicht nach-
weisen. Wenn überhaupt im höheren Sinne des Worts von einer
Politik, welche Kleon verfolgte, die Rede sein kann, so war es keine
andere, als dass er die friedliche Beendigung des Kriegs mit Sparta von
Jahr zu Jahr unmöglicher und den Riss zwischen den griechischen
Staaten immer unheilbarer zu machen suchte. Was aber bei einer
solchen Politik das nächste Augenmerk eines Staatsmanns sein musste,
die Kräfte des Gemeinwesens auf alle Weise zu stärken , die Kriegs-
mittel desselben durch weisen Haushalt zusammenzuhalten und die
Fundamente seiner Macht zu befestigen , das war Kleons Sorge nicht,
sondern er schwächte Athen, indem er in der schwersten Kriegszeit
den Gerichtssold dergestalt erhöhte, dass die jährliche Ausgabe dafür
auf 150 Talente (c. 700,000 M.) berechnet werden konnte, während
die Summe der jährlichen Staatseinkünfte beim Anfang des Kriegs nur
tausend Talente betrug. Die Folge war, dass man die Einkünfte von
den Bundesgenossen auf alle Weise zu steigern suchte. Das war aber
ohne einen schroffen Terrorismus nicht möglich, welcher scheinbar
die Macht der Stadt vergröfserte, in der That aber die Grundfesten
derselben erschütterte, und zwar in einer Zeit, da der Staat sich immer
tiefer in die Gefahren des unheilvollen Kriegs verwickelte.
kleon konnte sich über die Lage der Dinge nicht täuschen, aber
er war weit entfernt, die Gefahren derselben den Bürgern klar zu
machen, um eine entsprechende Kraftanstrengung und Opferbereit-
schaft in Anspruch zu nehmen, wie es die Pflicht eines gewissenhaften
Staatslenkers sein musste; sondern er täuschte die Masse der Bürger-
schaft über die Macht des Staats, er verleitete sie die Einkünfte des-
selben und die Vorlheile ihrer unbeschränkten Herrschaft zu geniefsen.
Er unterhielt ihren Kriegseifer, indem er ihnen die Besiegung der
Gegner als einen gewissen Erfolg vorstellte und damit zugleich neue
Erweiterungen ihrer Vortheile und Genüsse. Orakel wurden in Umlauf
gesetzt, in denen von einer Unterwerfung des ganzen Peloponnes die
Rede war und von einem Gerichtssolde von fünf Obolen, welcher einst
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454
KLEOJN UND PERIKLES
aus Arkadien den Athenern zufallen werde. Das war die Politik
Kleons, und dazu bedurfte er nicht der Unterstützung politischer
Genossenschaften, weil sie an sich dem grofsen Haufen sehr mund-
gerecht war47)«
Wenn aber Kleon seine früheren Verbindungen löste, so hängt
dies auch damit zusammen, dass er nun selbstgewisser und machlbe-
wusster vor dem Volke auftreten und den Abstand zwischen sich und
denen , die früher in der Opposition gegen Perikles Seinesgleichen ge-
wesen waren , fühlen lassen wollte. Er selbst hatte Perikles Manches
abgesehen, was er in seiner Weise nachmachte. Auf der Rednerbühne
freilich war er in allen Stücken sein volles Gegenbild. Denn während
Perikles mit unerschütterlichem Gleichmuthe dem Volke gegenüber
trat und auch im Feuer der Rede das Gleichmafs der Stimme und die
ruhigste Haltung bewahrte, so dass selbst der Mantelwurf unverändert
derselbe blieb, sah man Kleon, wenn er redete, in heftigster Bewegung
auf und nieder gehen; einem Ringer gleich sah man ihn die Arme ent-
blöfsen ; das Gewand wurde hin und her geworfen und die Stärke
* seiner lauten Stimme bis zum äufsersten Mafse angestrengt Perikles
war seinen Mitbürgern ein Vorbild der Ruhe, weil er bei jeder öffent-
lichen Angelegenheit die besonnenste Erwägung verlangte; Kleon fühlte
sich am meisten an seinem Platze, wenn das Volk in fieberhafter Auf-
regung war und er benutzte alle Mittel, dieselbe zu nähren und zu
steigern. Perikles hatte immer die Sache im Auge; Kleons Meister-
schaft bestand darin, durch Schmähung der Gegner seine eigene Person
zu heben. Perikles suchte durch Vernunftgründe zu wirken und jede
Einwirkung unklarer Stimmungen zu beseitigen ; Kleon benutzte die
Leichtgläubigkeit des grofsen Haufens, um ihn durch aufregende Mel-
dungen aller Art, namentlich durch Weissagungen, erdichtete Orakel-
sprüche u. dgl. in die heftigste Aufregung zu versetzen. Je leiden-
schaftlicher die Stimmung war, um so sicherer hatte er die Bürger-
schaft in seiner Hand , um so mehr fühlte er sich als ihren geborenen
Vertreter und um so siegsbewusster tönte seine Stimme über die
lärmende Menge hin. Trotzdem war Kleon klug genug, auch die Mittel
anzuwenden, deren Wirksamkeit er selbst an Perikles wahrgenommen
hatte, und darin bewährte er sein aufserordentliches Talent, dass er
nicht immer einem schlauen Sklaven gleich, der seinen launischen
Herrn zu beherrschen weifs, dem Volke nach dem Munde redete,
sondern er sagte ihm auch mitunter derbe Wahrheiten und wusste
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DIE BERATHUINGE.N ÜBER MYTILE3E.
455
unter Umständen mit grofsem Glücke den Ton perikleischer Bered-
samkeit anzuschlagen. Dazu bot sich ihm in der myülenäischen An-
gelegenheit eine besonders günstige Gelegenheit dar.
Als die Gefangenen eingebracht wurden, beherrschte die Menge
nur ein Gefühl, der Durst nach Rache, und dadurch wurde jede ver-
nünftige Erwägung ausgeschlossen. Der Gegenstand der höchsten
Wuth war Salaithos. Was ihn betraf, so wagte Niemand ein Wort der
Milde oder eine Rücksicht der Vernunft geltend zu machen, obwohl
der vornehme Spartaner, wenn er als Geisel festgehalten wurde, von
grofsem Nutzen sein konnte und selbst die Rettung der Platäer in Aus-
sicht stellte, wenn man ihm das Leben schenkte. Er wurde sofort
hingerichtet, üeber die Mytilenäer wurde in der Bürgerschaft berat-
schlagt, und verschiedene Anträge wurden gestellt. Die Einen redeten
der Milde das Wort, die Anderen verlangten, dass die ganze waffen-
fähige Mannschaft der Insel getödtet, die übrigen Einwohner als
Sklaven verkauft werden sollten. Im Sinne der Ersteren sprach Dio-
dotos, der Sohn des Eukrates, der Wortführer der Gemäßigten, welche
zwischen Schuldigen und Unschuldigen einen Unterschied machen
wollten.
Man wusste ja, dass in Mytilene nur die Regierungspartei den
Aufstand erregt, dass der gröfsere Theil der Bevölkerung daran voll-
kommen unbetheiligt war, ja dass er sogar von dem Augenblicke an,
da er die Waffen in der Hand hatte , die Regierung zur Unterhandlung
mit Athen gezwungen halle. Man sollte denken, diese Erwägung
hätte auch bei der leidenschaftlichsten Erregung Eingang finden und
die Beschlüsse der Bürgerschaft bestimmen müssen. Allein das Ge-
gentheil fand statt. Kleon hatte die Parole gegeben , dass man das
Kriegsrecht in seiner unbedingtesten Härte geltend machen müsse.
Ein zweiter Aufruhr dieser Art könne die Herrschaft Athens und alle
Vorlheile, welche sie den Bürgern gewähre, vernichten. Darum müsse
ein schreckendes Beispiel gegeben und kein Unterschied zwischen den
Mytilenäern gemacht werden. Dieser Beschluss ging durch, und un-
verzüglich wurde die Triere abgefertigt, welche segelfertig im Peiraieus
lag, um Paches die entsprechende Instruction zu überbringen.
Aber kaum hatte sich die Bürgerschaft getrennt, so machte sich
in der öffentlichen Meinung eine Gegenströmung bemerklich. Viele,
die in der tobenden Volksversammlung nicht Muth und Kraft genug
gehabt hatten, der Stimme ihres Gewissens zu folgen, waren nun, ein-
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DIE BERATH UNGEN ÜBEN MYTILEKE.
zein genommen, ruhigeren Erwägungen zugänglich und erschraken
über ihre Theilnahme an einer so entsetzlichen That.
Die Führer der Minorität benutzten diese Stimmung; die Myti-
lenäer, welche als Gesandte in Athen anwesend waren, verbanden sich
mit ihnen zu eifrigster Thätigkeit, und so gelang es, die Prytanen zu
bewegen, dass sie am anderen Tage eine neue Versammlung beriefen,
obgleich es gegen die Grundsätze des altischen Staatsrechts war, über
einen durch Volksbeschluss erledigten Gegenstand von Neuem ab-
stimmen zu lassen. Die neue Beralhung war ein Angriff auf die All-
gewalt des Kleon; er mussle seine ganze Beredsamkeit aufbieten, um
den ersten Beschluss aufrecht zu erhalten, er musste zugleich die
günstige Gelegenheit benutzen , als Vertreter der Gesetze sich geltend
zu machen, den Abfall von seiner Meinung als Schwäche und Wankel-
muth darzustellen und die, welche sich vorzugsweise für die Gebildeten
ausgäben, als die Verführer des Volks zu schelten.
Da zeige sich , sagte er , von Neuem , was er so oft gesagt habe,
wie unfähig eine Demokratie sei, andere Staaten zu regieren, denn
nichts sei verkehrter, als die Gemüthlichkeit, wie sie unter Mitbürgern
herrsche, auf die auswärtigen Verhältnisse zu übertragen. Man müsse
denMuth haben, allen gutmüthigen Täuschungen zu entsagen. Die
Herrschaft im Archipelagus sei eine Gewaltherrschaft, die sogenannten
Bundesgenossen seien nichts, als lauernde Feinde; da sei für Milde und
Nachsicht kein Dank zu gewinnen; das Schlimmste aber sei Schwäche
und Wankelmuth. Die Gesetze verböten wohlweislich die Erneuerung
abgeschlossener Verhandlungen, aber was kümmerten sich die Athener
um Herkommen und Gesetze ! Dazu wären sie viel zu klug und ge-
bildet. Der Staat aber wäre besser daran, wenn sie weniger klug und
dafür treuer den Gesetzen wären; besser mangelhafte Gesetze, die be-
folgt würden, als die besten Gesetze, die nicht zur Ausführung kommen.
'Ich bin immer derselbe', sagte er dann mit unverkennbarer Aneig-
nung einer Wendung, welche in Perikles' Munde oft eine mächtige
Wirkung zur Folge gehabt halte. 'Ihr Athener aber lasst euch immer
'wieder an dem für Recht Erkannten irre machen, weil ihr den Reden
'zuhört, als wenn ihr im Schauspiele säfset, und die Kunst der Redner
'ist es, die euch beschäftigt, nicht die Lage der Dinge. Die Mylilenäer
'haben ohne alle Ursache den verderblichsten Aufruhr begonnen und
'alle Mittel aufgeboten, euren Staat zu vernichten. Darum komme als
'gerechte Strafe die Vernichtung über sie. Gutherzige Milde wird nur
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KLEOÜ ÜJtD DIODOTOS.
457
'neuen Abfall zur Folge haben und neuen Verlust an Menschen und
'Geld; eure arglistigen Feinde aber werden, wenn sie siegen, eure
'Milde euch schlecht belohnen.'
Dieser klugberechne ten Rede, welche scheinbar das Volk meisterte,
in Wahrheit aber nur seiner Rachbegier und seinem Hasse schmei-
chelte, trat Diodotos, derselbe, welcher schon in der ersten Volksver-
sammlung wider Kleon gesprochen halte, männlich und fest entgegen.
Nicht mit entlehnten Wendungen perikleischer Beredsamkeit, sondern
im Geiste derselben vertrat er das besonnene Wort als das Heil des
Staats und bezeichnete diejenigen, welche das Volk zu unüberlegten
Handlungen drängten, als die Feinde des Staats, deren Rathschläge der
Art wären, dass sie eine eingehende Prüfung derselben scheuen
müssten, und welche zu dem Mittel dreister Verleumdung griffen, um
alle Staatsmänner entgegenstehender Ansichten von der Rednerbühne
zu verscheuchen. Diodotos will die Mytilenäer nicht vertheidigen , er
will keine Rührung hervorrufen. Auch soll die Angelegenheit nicht
als ein Rechtshandel aufgefasst werden, sondern als eine politische
Frage, von welcher Ilass und Leidenschaft fern zu hallen ist. Es
handle sich überhaupt nicht um einen einzelnen Fall, sondern um die
Politik des Staats im Ganzen und um das, was für die Zukunft das
Heilsame sei; Kleons Abschreckungstheorie sei verkehrt und unpoli-
tisch. Mafslose Strenge werde neuen Abfällen nicht vorbeugen, son-
dern nur dazu führen, dass die Gegenwehr um so verzweifelter, die
Unterwerfung um so kostspieliger und der Ruin der Bundesgenossen,
deren Wohlfahrt die Grundlage der attischen Macht sei, um so voll-
ständiger werde. Durch Hass und Leidenschaft werde man sich die
attisch gesinnte Partei an allen Orten entfremden; Gerechtigkeit und
Grofsmuth sei das einzige Mittel, neuen Abfall zu verhüten.
Unter ungeheurer Aufregung wurde endlich durch Handaufheben
abgestimmt und eine geringe Mehrheit entschied zu Gunsten Diodotos'.
Die Partei der Gemässigten hatte diesmal den Terrorismus des Dema-
gogen gebrochen und von einer entsetzlichen Blutschuld das Gewissen
und die Ehre der Stadt befreit. Aber nun kam es darauf an, dass der
neue Beschluss für die Verurteilten nicht wirkungslos sei. Die Gefahr
war grofs ; das Schiff mit dem Blutbefehle hatte einen Vorsprung von
24 Stunden. Es geschah, was möglich war; die mytilenäischen Ge-
sandten versahen die Besatzung des zweiten Schiffs mit Vorräthen,
setzten ihr grofse Belohnungen aus und erreichten es, dass auf der
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458
BESTRAFUNG MYTILENES (88, 1; 427).
ganzen Fahrt bis Lesbos unablässig gerudert wurde. Das Wetter war
günstig; die Mannschaft des ersten Schiffs war zum Glück weniger
eifrig gewesen und so gelang es, dass die Botschaft der Gnade recht-
zeitig ankam , um einer Menge von vielen tausend unschuldigen My ti-
lenäern das Leben zu retten.
Auch so war der Ausgang des Kriegs blutig genug; denn über
tausend waren es, welche auf Kleons Antrag hingerichtet wurden. Es
war die Gesamtzahl derer, welche als engere Bürgerschaft die Regie-
rung der Stadt in Händen gehabt hatten ; mit ihr war die ganze Aristo-
kratie vernichtet. Die Insel wurde als Siegesbeute behandelt; alle
Kriegsschiffe wurden ausgeliefert, die Befestigungen zerstört; die Län-
dereien aller Inselstädte mit Ausnahme von Methymna, das seine Selb-
ständigkeit und seine Flotte behielt, wurden eingezogen und daraus
3000 Landloose gemacht, von denen 300 als Zehnter den Göttern zu-
gewiesen, die übrigen an attische Bürger ausgetheilt wurden. Indessen
blieben die alten Besitzer auf ihrem Grund und Boden und zahlten den
neuen Eigentümern von jedem Landstücke ein jährliches Pachtgeld
von 2 Minen (150 M.). Ein Theil der Athener blieb als Besatzung
dort; die Mehrzahl kehrte nach Athen zurück und bezog dort die
Rente ihrer überseeischen Besitzungen. Eine Anzahl von Städten an
der troischen Küste, (der sogenannten Akte) , welche von den Mytile-
näern abhängig gewesen waren und ihnen gesteuert hatten, traten
nun als selbständige Städte in den attischen Bund und zahlten ihren
Tribut nach Athen48).
Die Peloponnesier hatten für das Unglück von Mytilene und die
Schmach, welche ihnen daraus erwuchs, keinen anderen Trost als die
Aussicht auf den bevorstehenden Fall von PlataiaL
Zweihundert Platäer und fünfundzwanzig Athener waren in der
Stadt zurückgeblieben und hielten sich bis in den Sommer hinein. Da
gingen die letzten Lebensmittel aus, und keine Hülfe zeigte sich. Wohl
fragt man mit Recht, warum denn die Athener nichts thaten, um die
Unglücklichen zu retten, welche nur im Vertrauen auf die zugesagte
Bundeshülfe alle günstigen Anerbietungen des Archidamos zurückge-
wiesen hatten? Konnten doch die Athener über eine Landmacht von
13,000 Schwerbewaffneten gebieten und alljährlich in Megara ein-
fallen; sollte es ihnen unmöglich gewesen sein, die Bürger zu retten,
wenn sie auch die Stadt nicht zu halten vermochten?
Die Uiithätigkeit der Athener lässt sich in der That nur daraus
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ÜDERGABE VON PLATAlAl.
459
erklären, dass sie immer einseiliger ihre ganze Aufmerksamkeit dem
Meere zuwendeten und sich dadurch ganz entwöhnt hatten, zu Lande
etwas Entschlossenes zu wagen. Ein stehendes Landheer war ja nicht
da; es bedurfte also zu jedem Auszuge einer gunstigen Stimmung und
einer dringenden Veranlassung; sittliche Verbindlichkeiten, wie sie hier
obwalteten, traten im demokratischen Athen, wie es jetzt war, aber
immer mehr zurück. Dazu kamen die schlimmen Erfahrungen, welche
man auf böo tischen Feldzügen gemacht hatte; auch hatten die The-
baner gewiss das Mögliche gelhan, um jeden Zuzug zu erschweren
und ihres Schlachtopfers gewiss zu sein. Endlich konnten die Athener
die Ueberzeugung hegen, dass sie nach Uebergabe der Stadt bald Ge-
legenheit haben würden, die braven Platäer aus den Händen der Spar-
taner wieder auszulösen; denn wie konnte man voraussetzen, dass die
Platäer anders als wie Kriegsgefangene behandelt werden würden! Am
wenigsten zu erklären und zu entschuldigen bleibt freilich immer, dass
man bei der Behandlung der Mytilenäer und namentlich des Salaithos
(S. 455) gar keine Rücksicht auf das Schicksal der Platäer nahm,
welche doch drei und neunzig Jahre lang mit beispielloser Treue unter
den schwierigsten Verhältnissen an der attischen Bundesgenossenschaft
fest gehalten hatten.
Indessen hatten die Feinde, welche blutdürstig auf den Fall der
Stadt lauerten, während der langen Belagerungszeit ganz andere Pläne
ausgebrütet, als man auch in diesen Kriegszeiten für möglich gehalten
hatte, und sie sollten nun verwirklicht werden.
Ein Angriff auf die Mauern überzeugte die Belagerer, dass die von
Hunger entkräftete Besatzung zu jedem Widerstande unfähig wäre. Sie
hüteten sich aber, mit Gewalt einzudringen, sondern liefsen durch
einen Herold zur Uebergabe auffordern; denn auch jetzt noch sollte
der Schein gewahrt werden, als wenn die Stadt sich freiwillig der pelo-
ponnesischen Sache angeschlossen habe! Man wollte nämlich auch für
den Fall, dass etwa in künftigen Verträgen die Rückgabe der mit Waffen-
gewalt genommenen Städte ausgemacht werden sollte, des Besitzes von
Plataiai gewiss sein. Auf das feierliche Versprechen, dass Keinem wider
Recht ein Leid geschehen sollte, ward die Stadt übergeben. Und
allerdings wurde nun ein Gericht eingesetzt, ein Gericht aus fünf
Spartanern, die dazu von Sparta gesandt wurden; unter ihnen war
Aristomenidas, von dem wir wissen, dass er ein Parteigänger der
Thebaner war. Ebenso wird es mit den Andern gewesen sein. Denn
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4G0
VERHANDLUNGEN ÜBER DIE PL ATA KI'..
das ganze Rech U verfahren war nur eine schnöde Verhöhnung aller
Rechlsgrundsätze, eine unwürdige Komödie, die nach arglistiger
Verabredung zwischen Theben und Sparta mit dem Leben der
Unglücklichen gespielt wurde. Statt eines kriegsrechtlichen Verhörs
wurde ihnen blofs die Frage vorgelegt, ob sie im Laufe des Kriegs
den Peloponnesiern und ihren Bundesgenossen etwas Gutes erwiesen
hätten; die bekannte Frage der Spartaner (S. 375), welche auf dem
von ihnen ersonnenen Grundsatze beruhte, dass, wer wider Sparta
sei, als Vaterlandsverräter gelten müsse.
Diese Fragestellung rousste den Platäern jede Täuschung be-
nehmen. Dennoch erprobten sie noch einmal die Kraft des Wortes.
Lakon, dessen Name schon an die engen Familienverbindungen zwi-
schen Sparta und Plataiai erinnerte, welche aus der Zeit des Pausanias
stammten, und Astymachos waren die Sprecher. Sie konnten nicht
blofs die Verdienste ihrer Stadt um das gesamte Vaterland hervor-
heben, sondern auch des Zuzugs gedenken, welchen sie den Spartanern
im üelotenkriege geleistet hätten; ihr Bundesverhällniss zu Athen sei
auf Sparlas Anweisung geschlossen, ihre Feindschaft mit Theben durch
thebanischen Angriff verursacht, der mitten im Frieden und gar in fest-
licher Zeit erfolgt sei. Sie wiesen die Spartaner hin auf die Gräber
ihrer Väter, die in platäischem Boden ruhten und alljährlich mit
Opferspenden aus den Früchten desselben geehrt würden. Diese
heiligen Dienste würden zerstört und die Ueldengräber entweiht, wenn
die Bundesgenossen der Meder die platäische Mark beherrschten. Sie
hielten Sparta die Pflicht vor, sich einen guten Namen bei den Hellenen
zu erhalten, sie erinnerten endlich an die letzte feierliche Verabredung;
denn wenn sie, statt vertragsmäfsig gerichtet zu werden, der Rache
ihrer Feinde preisgegeben werden sollten, so wollten sie lieber in ihre
Ringmauer zurückkehren, um dort Hungers zu sterben.
Niemals ist wohl eine gerechte Sache in würdigerer Weise ver-
treten worden, und obwohl das Urteil lange vor diesem Schein prozesse
entschieden war, besorgten dieThebaner dennoch, dass .die Rede einen
Eindruck machen könnte. Nachdem also ihren Feinden gegen die Ver-
abredung das Wort gegeben war, verlangten auch sie das Wort und
stellten einen Redner aus ihrer Milte, welcher die Ansprüche wie die
Beschuldigungen ihrer Gegner als nichtig erweisen sollte. Ihr Angriff
auf Plataiai, liefsen sie ihn sagen, sei durch angesehene Bürger dieser
Stadt veranlasst worden, und er habe nichts als eine friedliche Zurück-
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VERHANDLUNGEN ÜBER DIB PLATAER.
461
führung der abtrünnigen Gemeinde zur Absicht gehabt. Denn die Unter-
ordnung von Plataiai unter die Hauptstadt des Landes sei das normale
Verhältniss; Plataiai sei eine Tochterstadt Thebens (also auch hier
wurden Colonialrechte geltend gemacht), ihre Abtrennung daher ein
Abfall. Durch den unnatürlichen Anschluss an eine fremde Stadt seien
die Plataer von Athen abhängig geworden; ihre Haltung im Perser-
kriege sei also nicht ihr Verdienst, und eben so wenig könne man das
jetzige Theben für seine damalige Politik verantwortlich machen. Das
seien abgethane Dinge; seitdem habe sich Alles umgekehrt. Denn seit
an Stelle der Perser die Athener als Feinde griechischer Freiheit auf-
getreten seien, da hätten sich die Plataer dazu hergegeben, die Ge-
nossen Athens bei jeder Ungerechtigkeit gegen griechische Staaten,
gegen Aigina u. s. w. zu sein. Ihre Ehrenlhaten hätten sie unfreiwillig,
ihre Scbandlhaten freiwillig begangen, während die Thebaner mit aller
Aufopferung der attischen Eroberungspolitik widerstanden und bei
Koroneia die Unabhängigkeit Mittelgriechenlands wieder hergestellt
hätten. Das werde Sparta, die Hüterin des Rechts, anzuerkennen
wissen und, durch schwungvolle Reden unbeirrt, ohne weichliche
Schwäche, den Einen die verdiente Anerkennung, den Anderen die ge-
rechte Strafe zu Theil werden lassen.
Merkwürdig ist die Rede besonders dadurch, dass zwei gleich-
berechtigte Kriegsparteien gar nicht anerkannt werden; hier finden wir
die peloponnesische Kriegstheorie also vollkommen durchgeführt, dass
freiwilliger Anschluss an Athen eine Auflehnung gegen Hellas und als
ttundesverrath zu bestrafen sei. Bundestreue gegen Athen wird nur als
Mitschuld an seinen Verbrechen angesehen.
Durch diese Rede war der Eindruck der früheren verwischt. Die
Spartaner waren nicht gesonnen, eine ihnen so vorteilhafte und von
ihnen selbst aufgestellte Ansicht der Staatenverhältnisse zurückzu-
weisen; sie nahmen die Blutschuld auf sich, welche die Rachsucht
Thebens auf ihr Haupt wälzte. Das ganze Gerichtsverfahren kehrte zu
der ersten Frage zurück, ob die Angeklagten nachweisen könnten, für
Sparta und seine Bundesgenossen etwas Nützliches gelhan zu haben,
und da diese Frage Keiner bejahen konnte, so wurden alle 200 Plataer
und aufserdem die 25 Athener vor den Augen ihrer Feinde Einer nach
dem Andern hingerichtet. Die Frauen wurden Sklavinnen. Stadt und
Gebiet wurden den Thebanern übergeben , welche Leute ihrer Partei
aus Megara und aus der früheren Bürgerschaft von Plataiai vorläufig
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462
PARTEIUNG IN KERKYRA.
dorl wohnen liefsen. Später wurde die ganze Stadt mit Ausnahme der
Heiligthümer von Grund aus zerstört und die Reisenden, welche des
Wegs kamen, fanden auf dem Öden Räume keine andere Wohnung als
eine mit dem Heralempel verbundene Herberge49).
Inzwischen war die spartanische Flotte auf ihrer Flucht vor den
attischen WachtschifTen (S. 449) bis nach Kreta hinunter verschlagen
worden und hatte sich erst allmählich wieder an der peloponnesischen
Küste zusammengefunden, wo eine neue Bestimmung ihrer wartete.
Die Spartaner wollten nämlich die einmal gemachten Rüstungen
benutzen, um sich während der Zeit, da das Augenmerk ganz nach
den kleinasiatischen Gegenden gerichtet war, rasch auf die entgegen-
gesetzte Meerseite zu werfen, wo augenblicklich keine feindliche
Macht vorhanden war, abgesehen von einem Geschwader von zwölf
Kriegsschiffen auf der Station Naupaktos.
Zu diesem Zwecke wurde Brasidas dem unfähigen Admiral an
die Seite gestellt. Er war es ohne Zweifel, welcher zu diesem
neuen Entschlüsse die spartanischen Behörden vermocht und sich
deshalb mit den Korinthern verständigt hatte. Denn diese bewiesen
sich auch jetzt als die einzigen Peloponnesier, welche eine bestimmte
Politik mit Energie und Klugheit verfolgten und jeden Vortheil zu
benutzen wussten. Sic hatten noch vom epidamnischen Kriege her
250 angesehene Kerkyräer als Kriegsgefangene, und weit entfernt,
dieselben nach Art der Spartaner und Thebaner einer rohen Rach-
gier preiszugeben, hatten sie Alles gethan, diese Männer für sich zu
gewinnen, die Abneigung gegen Athen in ihnen zu nähren und die
gemeinschaftlichen Interessen der Kerkyräer und Peloponnesier ihnen
deutlich zu machen; sobald sie aber gewiss waren, dass die Ge-
fangenen ihnen als Werkzeuge ihrer Politik in der Heimalh dienen
würden, hatten sie dieselben unbeschädigt entlassen. Gleichzeitig
hatten sie Sparta von dem zu erwartenden Umschwünge der Ver-
hältnisse in Kerkyra benachrichtigt und zur Unterstützung desselben
durch die Flotte dringend aufgefordert.
In Kerkyra war inzwischen mit dem Anschlüsse an Athen die
demokratische Partei an das Ruder gekommen, und um so eifriger
waren nun die entlassenen Kriegsgefangenen, welche den früher
regierenden Familien der reichen Kapitalisten angehörten; denn die
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BL'RGERFEHDB IN KERKYRA (SS. «i 427).
463
peloponnesischen Interessen fielen mit ihren eigenen Sundesinteressen
zusammen. Sie gingen von Haus zu Haus, um ihre Mitbürger zu
gewinnen; die ganze Bürgerschaft wurde in die heftigste Aufregung
versetzt; auf allen Strafsen und Plätzen wurde über Politik gehadert,
und als um dieselbe Zeit eine attische und eine korinthische Triere
ankamen, beide mit Abgeordneten ihrer Staaten, so wurde in ihrem
Beisein der Beschluss gefasst, dass man zwar die Verträge mit Athen
aufrecht erhalten, aber zugleich mit den Peloponnesiern wieder freund-
schaftliche Beziehungen anknüpfen wolle. Eis lässt sich denken, dass
das Schicksal von Mytilene einen grofsen Schrecken verursacht halte,
und dass die Bürgerschaft deshalb eifrig wünschte, sich eine möglichst
freie Stellung zwischen den kriegführenden Parteien zu sichern. In-
dessen war dies eine halbe Mafsregel, die gar nicht durchzuführen war,
und welche den korinthischen Parteigangern auch nicht genügen
konnte. Sie mussten also zu schärferen Mitteln greifen, um die
regierende Partei zu stürzen.
An der Spitze der letzteren stand Peithias, der Gastfreund
Athens; er war Mitglied des Raths und der einflussreichste Staats-
mann. Er wurde also verrä Iberischer Verbindungen mit den Athenern,
denen er die Insel ausliefern wolle, angeklagt; aber Peithias verstand
es, sich von jedem Verdachte zu reinigen. Dabei liefe er es aber nicht
bewenden, sondern griff nun seinerseits fünf der reichsten Mitbürger,
welche die Gegenpartei führten, an und zwar mit der Anklage, dass
sie aus heiligen Waldungen Holzpfahle für ihre Weinberge hätten
sclüagen lassen. Sie wurden verurteilt; auch die erbetene Erleich-
terung in Abzahlung der Bufee wurde ihnen abgeschlagen.
Es war eine Niederlage der ganzen Partei, und Peithias war ent-
schlossen, dieselbe zu benutzen, um noch vor seinem Austritte aus
dem Rath an Stelle der bisherigen Vertrage ein vollständiges Bundes-
verhältniss mit Athen zu Stande zu bringen. Da griffen seine Gegner
zu Gewaltmitteln; sie stürmten mit Dolchen in das Rathhaus, lödteten
Peithias nebst einer grofsen Zahl seiner Amtsgenossen, traten dann
vor das Volk und rechtfertigten ihre Tbat als ein notwendiges Mittel,
um Kerkyra vor drohender Knechtschaft zu bewahren. Die alte Neu-
tralitätspolitik sollte nun wieder eingeführt werden und fremde Schiffe
sollten nur einzeln in die Häfen zugelassen werden ; zugleich schickte
die neue Regierung Abgeordnete nach Athen, um das Geschehene dort
im günstigsten Lichte darzustellen.
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464
DIE KÄMPFE IN KEIlKYRA.
Aber diese Schreckensherrschaft der Aristokraten, die sich durch
Anwesenheit der korinthischen Triere ermulhigt fühlten, war von
kurzer Dauer; ihre blutige That liefs sich nicht beschönigen noch ver-
gessen machen. Die ganze Bürgerschaft trennte sich in zwei Heerlager.
Die Vornehmen besetzten den Markt, um den herum ihre Häuser und
Waarenräume lagen, nebst dem Hafen, der dem Festlande gegenüber
lag, von wo sie Zuzug erwarteten; das Volk besetzte die Burg und den
anderen Hafen. Beide Parteien warben die Sklaven für sich, die aber
vorzugsweise der Volkspartei sich anschlössen ; die Andern verstärkten
sich durch Miethstruppen aus Epeiros; auch die Weiber nahmen in
fanatischer Wuth am Kampfe Theil, der mitten in der Stadt ent-
brannte. Denn die Volksmenge drang gegen den Markt vor, so dass
die Aristokraten, um sich zu schützen, die ganze Umgebung desselben
in Brand steckten. Eine Menge von Kaufmannsgütern ging in Flammen
auf, und als die Volkspartei die Oberhand gewann, fuhren die Korinther
ab und die Miethstruppen zogen sich zurück.
Statt dessen trifft nun Nikostratos mit den 12 Trieren und 500
Messeniern aus Naupaktos ein. Er erlangt einen Stillstand der Bürger-
fehde; die zehn Anstifter der Revolution, die sich schon geflüchtet
hatten, werden zum Tode verurteilt, und Kerkyra in die attische Bun-
desgenossenschaft aufgenommen. Um die demokratische Regierung
zu sichern, erklärt Nikostratos sich bereit, fünf seiner Schiffe zurück-
zulassen und statt ihrer firnf kerkyräische mitzunehmen. Zur Be-
satzung derselben werden nun lauter Bürger ausgewählt, die als
Athenerfeinde bekannt waren. Diese weigern sich ; denn sie glauben
nicht anders, als dass es nur darauf abgesehen sei , sie der Rache der
Athener auszuliefern. Sie flüchten sich von einer heiligen Statte zur
anderen. Die Wuth des Volks steigt mit jedem Tage und nur durch
Vermittlung der Athener wird ein neues Blutbad vermieden.
Während dieser furchtbaren Spannung kommt endlich die Flotte
des Alkidas und Brasidas in Sicht, welche nach dem korinthischen
Plane bestimmt war, den Umsturz der kerkyräischen Regierung zu
unterstützen (S. 462). In wilder Angst stürzen die Bürger zu den
Schiften; ohne gehörige Vorbereitung, ohne Plan und taub gegen den
Rath der Athener, gehen sie mit einzelnen Schiften den Feinden ent-
gegen. Die Folge war, dass sie unglücklich fochten ; dreizehn Schifte
wurden genommen und die übrigen nur durch die ruhige Uner-
schrockenheit des Nikostratos gerettet, welchem die Spartaner bei
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AUSGANG DER FEHDEN IN KERKYRA.
465
aller Uebermacbt nichts anhaben konnten. Die ganze Stadt war in
peinlicher Angst ; die Gefahr war grofs, wenn Alkidas den Muth hatte,
Brasidas' Rath zu folgen und die Stadt unverzüglich anzugreifen. Statt
dessen machte der Admiral eine ganz unnütze Landung am südlichen
Theüe der Insel, und damit war der entscheidende Moment versäumt;
denn in der nächsten Nacht sah man die Feuersignale einer grofsen
Flotte. Es war Euryniedon , der Sohn des Thukles , der auf die erste
Kunde von den Vorgängen in Kerkyra mit 60 Schiffen von Athen auf-
gebrochen war. Nun war Alkidas auf nichts bedacht, als glücklich
davon zu kommen, und sein eiliger Rückzug entschied die Angelegen-
heiten der Kerkyräer.
Die Angst, welche die Bürger ausgestanden hatten, ging nun un-
aufhaltsam in die grausamste Rachsucht über; von den Aristokraten,
die in's Heraion geflohen waren, wurden fünfzig beredet, sich zur Un-
tersuchung zu stellen und dann sofort hingerichtet; die auf heiligem
Boden Zurückgebliebenen tödteten sich gegenseitig. Sieben Tage hin-
durch wüthete auf der Insel der entfesselte Parteihass, der während
des Blutvergiefsens immer mehr sich steigerte; die angeborene Roh-
heit des Inselvolks offenbarte sich in vollem Mafse; die Betheiligung
der vielen freigelassenen Sklaven kam dazu, ein Schauspiel des Ent-
setzens zu veranlassen, wie es in Griechenland noch nicht erlebt war.
Alle bösen Leidenschaften kamen zum vollen Ausbruche. Unter dem
Vorwande volksfeindlicher Bestrebungen wurden Alle ermordet, die
man zu verdächtigen wusste; die Schuldner entledigten sich ihrer
Gläubiger, Kinder vergriffen sich an ihren Ellern. Keine Bande des
Bluts galten mehr, keine Scheu vor dem Heiligen war vorhanden.
Dennoch wurde kein vollständiger Sieg der Volkspartei erzielt. Fünf-
hundert entschlossene Männer der Gegenpartei verschanzten sich auf
dem Festlande, schnitten der Stadl die Zufuhr ab, gingen später sogar
auf die Insel zurück, verbrannten ihre Schifle und setzten sich auf der
Berghöhe von Islone fest, um von hier das platte Land zu brand-
schatzen 60).
So war für die Peloponnesier auch diese mit so grofser Schlau-
heit von Seilen Korinlhs vorbereitete Unternehmung auf Kerkyra gänz-
lich verunglückt, eben so wie der Seezug nach Mylilene; hier wie dort
war der günstige Moment versäumt, hier wie dort nur Schande ge-
emdtet und die Partei, welche auf Sparta gehofft hatte, dadurch in
das gröfste Elend gebracht, ja so gut wie vernichtet. Zu Lande war
Curtiu», Gr. Gwcb. II. «. Aull. 30
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Am
SITTLICHE FOLGEN DES KHIF.GS.
ebenfalls nach sechs Feldzügen trotz der aufserordenüichen Schwächung,
welche Athen durch die Krankheit erlitten hatte, nichts erlangt als die
Vernichtung der kleinen Stadt Plataiai. Die Spartaner hatten an Ach-
tung und Vertrauen nur verloren; ihre Verheifsungen waren alle uner-
füllt geblieben, ihre Anstrengungen überall erfolglos.
Nur ein Resultat des Kriegs lag unzweifelhaft vor, das war die
mit entsetzlicher Schnelligkeit um sich greifende Verwilderung des
hellenischen Volks. Alles Böse der menschlichen Natur, das bis dahin
durch Religion, Gewissen und Vernunft gebunden gehalten wurde,
brach unverhalten und ohne Scheu hervor. Denn da allgemeine Ge-
setze der Humanität den Alten unbekannt waren, so beruhte ihr sitt-
liches Verhalten vorzugsweise auf den Verpflichtungen gegen Staat und
Volk. Das Gefühl eines bruderlichen Verhältnisses vereinigte Alle,
welche gleiche Sprache, Sitte und Gottesverehrung hatten , und der
Hellene hatte ein Recht darauf, von jedem Volksgenossen sich alles
Guten zu versehen. Mit der Auflösung dieses Bandes, welches Phei-
dias in Olympia von Neuem zu knüpfen gesucht hatte, war die ganze
Sittlichkeit des Volks untergraben und jede Haltung verloren. Die
Verfeindung, die den Kampf hervorgerufen, hatte sich im Kampfe
furchtbar gesteigert. Die fromme Scheu, Hellcnenblut zu vergiefsen,
war wie ausgelöscht. Selbst ohne Rücksicht auf Gewinn und Nutzen
wurden die Gefangenen einer erbarmungslosen Rachsucht geopfert,
und gegen die Spartaner, welche auf ihrem ruhmlosen Zuge längs der
Küste Kleinasiens wehrlose Einwohner tödtcten, welche dann nach
langem Vorbedachte den ganzen Ueberrest einer hellenischen Gemeinde
erwürgten und den ehrlosen Treubruch noch durch heuchlerische
Formen rechtlicher und religiöser Gebräuche zu verstecken suchten,
erscheint selbst der Zorn der Athener über den vcrrätherischen Abfall
ihrer Bundesgenossen menschlich und ihre schnelle Reue liebens-
würdig.
Nun griff aber die Verfeindung immer mehr um sich, und die
grofse Spaltung des Hellenenvolks wiederholte sich in jeder Gemeinde.
Denn so günstig auch im Anfange des Kriegs die Lage der Spartaner
war, so war ihnen doch nichts weniger gelungen, als die vollen Sym-
pathien der Hellenen sich zu gewinnen, sondern in jedem Gemein-
wesen, welches ein politisches Leben hatte, traten sich immer schroffer
eine lakedämonische und eine attische Partei gegenüber, und dieser
Gegensatz blieb nicht ein rein politischer, sondern es verband sich da-
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SITTLICHE FOLGEN DES KRIEGS.
467
mit, was sonst in den Gemeinden an Hass, Missgunst und Neid vor-
handen war; alle selbstsüchtigen Begierden wurden in diesen Gegen-
satz hereingezogen, alle Unzufriedenheit, welche aus Zerrüttung häus-
licher Verhältnisse entspringt; die Vornehmen und Geringen, die
Armen und Reichen traten sich feindselig gegenüber; der Riss ging
immer tiefer in Gemeinde und Familie, und die aus so verschieden-
artigen, trüben und unklaren Motiven vereinigten Parteien stellten sich
so feindlich einander gegenüber, dass hinter dem Parteiinteresse das
Gemeinwohl vollständig zurücktrat. Der Gemeinsinn der Bürger ging
zu Grunde, und da in dem Gemeindeleben die Tugenden der Hellenen
wurzelten , so wurde der Charakter des ganzen Volks wesentlich ver-
ändert, um so mehr, da Familiensinn und Religion nicht im Stande
waren , der Auflösung des bürgerlichen Lebens Einhalt zu thun. Die
Leidenschaft wurde frei gegeben und der Mafsstab des sittlichen Ur-
teils allmählich ganz verändert. Die Tugenden der Hellenen kamen in
Missachtung; wer früher bewundert war, wurde nun verlästert. Fried-
fertigkeit und Besonnenheit wurden als Schwäche und Stumpfsinn an-
gesehen, Mäfsigung als Feigheit und Schläfrigkeit des Geistes, Ueber-
legung als Selbstsucht, Gewissenhaftigkeit als Einfalt, rücksichtsloser
Hass dagegen als männlicher Muth. Die Menschen wurden geschätzt
nach dem , was sie durchsetzten ; darum wurden Treubruch und Arg-
list gut geheifeen, wenn sie den Parteiinteressen Nutzen brachten;
dem Ehrgeize gestattete man die Benutzung jedes Mittels, und die
Parteigenossenschaft galt für ein stärkeres Band, als langjährige
Freundschaft, Dankbarkeit und ßlutsgemeinschaft.
Von dieser Zerrüttung des geselligen Lebens waren die Ereignisse
in Kerkyra ein erschreckendes Beispiel; hier traten die Symptome der
Krankheit, welche das griechische Volksleben ergriffen hatte und sich
epidemisch von Stadt zu Stadt verbreitete , zum ersten Male in voller
Stärke auf, und die denkenden Zeitgenossen wurden mit Entsetzen
inne, an welchen Wendepunkt die Geschichte ihres Volks gelangt sei.
Herodot hat um diese Zeit sein Werk liegen lassen, da die Hoffnungen,
in denen es unternommen wurde, sich so wenig erfüllten; Thukydides
hat mit stärkerem Geiste den trüben Erfahrungen Stand gehalten und
die pathologische Betrachtung nicht gescheut , zu welcher die Zeitge-
schichte mehr und mehr werden musste").
30*
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408
GRÜNDUNG VON HERAKLEIA (M, 8; 416).
Nach dem trägen Gange der kriegerischen Unternehmungen in
den ersten fünf Jahren bereiteten sich im sechsten Kriegssoromer
gröfsere Unternehmungen vor und entscheidendere Ereignisse. Beide
Parteien suchten neue Stützpunkte; in beiden Staaten gelangten kräf-
tigere Persönlichkeiten zu einflussreicher Stellung. Sparta erkannte
den Werth des Brasidas; Athen erholte sich allmählich von den Folgen
der Pestilenz, nachdem sie noch einmal (Ol. 88, 2; 427) schwer auf
der Stadt gelegen hatte, und der Vertreter des ermuthiglen Staats war
Demosthenes, des Alkisthenes Sohn.
Dass Attika selbst von einem neuen Heerzuge verschont blieb,
verdankte es einem Erdbeben, welches die schon am Isthmos ver-
sammelten Peloponnesier zurückschreckte. Es waren Erderschütterun-
gen, welche ganz Mittelgriechenland betrafen und von Meerfluthen
begleitet waren, die besonders in den engen Meersunden, an den
Küsten von Euboia und dem gegenüberliegenden Gestade, durch Ueber-
schwemmung vielfachen Schaden anrichteten. Die Peloponnesier aber
suchten sich durch eine andere Unternehmung zu entschädigen.
Die alte Stadt Trachis, vor den Thermopylen am Oeta gelegen
(S. 65), war von den ötäischen Völkerschaften zu Grunde gerichtet.
Ihre Bewohner, welche zuerst an Athen gedacht hatten, wendeten sich
dann um Hülfe nach Sparta, das ihnen zuverlässiger erschien und durch
alte Ueberlieferungen mit ihrer Heimath verbunden war (I, 102).
Ihrem Hülfsgesuche schlössen sich die Dorier an, die zwischen Parnass
und Oeta wohnenden, die in derselben Bedrängniss waren. In Sparta
erkannten die weiter blickenden Bürger, unter denen gewiss Brasidas
vor allen Andern das Wort führte, die ungemein günstige Lage von
Trachis. Es war ein Waflenplatz nach zwei Seiten hin, wie man ihn
nicht besser wünschen konnte; einmal gegen Euboia und die dortigen
Besitzungen und SchiiTsstalionen der Athener, und dann für alle Unter-
nehmungen gegen Norden, nach den thrakischen Colonien, worauf
Brasidas vorzugsweise sein wachsames Auge gerichtet halte. Das del-
phische Orakel gab seinen Segen dazu, obgleich diese Kriegsstalion
sehr wenig im Sinne seiner alten Colonisationspolitik war, und so
wurde auf einmal ein kräftiger Anlauf genommen. Es erfolgte ein Auf-
ruf an alles griechische Volk, mit Ausnahme der lonier und Achäer,
sich an der Neugründung von Trachis zu betheiligen. Viertausend
Peloponnesier, sechstausend Nichtpeloponnesier, besonders Böotier,
leisteten dem Aufruf Folge. Unter dem Namen ilerakleia' wurde die
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FELDZÜGE DES MKIAS (8t. S; 436).
469
Stadt neu aufgebaut und ummauert, an den Thermopylen ein Hafen-
platz nebst einer Befestigung des Passes angelegt. Die Macht der
Dorier schien an den alten Stammsitzen des Volks neu aufzublühen,
und die Athener sahen sich an den gefahrlichsten Punkten ihrer aus-
wärtigen Herrschaft sehr ernstlich bedroht. Indessen hatte die junge
Stadt kein Gedeihen. Die der Stadt zunächst wohnenden Völker-
schaften, die Aenianen, Doloper, Malier, von den Thessaliern aufge-
wiegelt, bedrängten sie durch unausgesetzte Feindseligkeiten, und die
Spartaner thaten das Ihre, um durch Missbrauch ihrer Amtsgewalt und
Ungeschick aller Art ihr eigenes Werk zu beeinträchtigen, so dass die
Athener jeder Mühe, der von dort drohenden Gefahr zu begegnen,
überhoben wurden").
Um so kräftiger konnten sie ihre eigenen Pläne durchfähren, um
zu Lande wie zu Wasser ihre Macht zu erweitern. Nikias, welcher
nach dem Falle von Mytilene durch den Sieg der gemäfsigten Partei an
Einfluss gestiegen war, hatte noch in demselben Sommer einen glück-
lichen Zug nach der Insel Minoa gemacht, das mit Nisaia zusammen
eine peloponnesische Küstenstation war, welche von Salamis aus in
Obacht gehalten werden musste. Zu grösserer Sicherheit wollte Nikias
den megarischen Hafen selbst in seiner Gewalt haben und legte deshalb
ein Kastell auf Minoa an. Das Jahr darauf (88, 3; 426) führte er ein
Geschwader von 60 Schiffen nach Melos, um diese durch ihre Lage
und ihre Häfen wichtige Insel zum Anschlüsse an die attische Bundes-
genossenschaft zu zwingen; denn seit die Peloponnesier eine Flotte
hatten, schien es um so noth wendiger zu sein, im ägaischen Insel-
meere keine feindliche Macht bestehen zu lassen und das Gebiet atti-
scher Seeherrschaft vollständiger abzurunden. Es gelang aber nicht,
Melos zu zwingen, und Nikias wendete sich rasch nach dem euböi-
schen Meere, schiffte seine 2000 Hopliten bei Oropos aus und ver-
einigte sich im Gebiete von Tanagra mit dem attischen Landheere,
welches unter Hipponikos (S. 425) und Eurymedon in Böotien ein-
fiel. Die Tanagräer wurden nebst den thebanischen Hülfsvölkern ge-
schlagen; es war ein Rachezug für Plataiai, welcher die Böotier aus
ihrer Sicherheit aufschreckte58).
GrÖfsere Pläne verfolgte mit seinem Geschwader Demosthenes,
der gleichzeitig mit Nikias ausgelaufen war, ein Mann, welcher vortreff-
lich geeignet schien, die Thätigkeit seines Amtsgenossen zu ergänzen.
Er war ein kühner und weitblickender Mann, kühn als Feldherr und
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DEMOSTHEIS'ES' KRIEGSPLÄNE.
Staatsmann, unerschöpflich an Rath und voll neuer Ideen. Ihm ward
es klar, dass Athen mit seinen Bürgersoldaten allein nicht siegen
könne, sondern dass es lernen müsse, seine Bundesgenossen besser zu
benutzen. Sein Kriegseifer war gleichmäfsig gegen Theben, wie gegen
Sparta gerichtet; er war der erste Taktiker der Athener, der die ver-
schiedenen Terrainverhältnisse, Jahreszeiten und Waffengattungen zu
benutzen wusste; er lernte zuerst den Nutzen leichtbewaffneter
Truppen würdigen und entwickelte in seinen Kriegsanschlägeii eine
Combinalionsgabe, wie sie nur im Kriege selbst gereift werden konnte.
Durch einzelne Unfälle ungebeugt, wusste er auch die Truppen mit
seinem Muthe zu erfüllen und ihr Vertrauen zu gewinpen; er stand
überhaupt dem gemeinen Manne näher, als der vornehm steife
Nikias.
Demosthenes' Gedanken waren auf das westliche Kriegstheater
gerichtet. Nach dem Vorgange des Phormion, im Einverständnisse mit
den tapferen und unternehmenden Naupaktiern, in Verbindung mit den
Akarnanen und Kerkyräern wollte er die Macht der Korinther in den
westlichen Landschaften zerstören und den Athenern eine continentale
Bundesgenossenschaft erwerben, aufweiche sie seit dem dreifsigjährigen
Frieden verzichtet hatten. Er war es also, der die alte Politik des
Myronides und Tolmides (S. 167, 178) erneuerte, und wir dürfen wohl
voraussetzen, dass der schmachvolle Untergang von Plataiai in vielen
Patrioten, denen die Ehre der Stadt am Herzen lag, den Gedanken er-
weckte, dass Athen einer Stärkung seiner Landmacht dringend be-
dürfe und dass das eigene Bürgerheer nicht ausreiche, um den feind-
seligen Nachbarn gewachsen zu sein. Um den Akarnanen gefällig zu
sein, bekriegte Demosthenes zunächst mit Hülfe der andern westlichen
Bundesgenossen die Leukadier, die korinthisch gesinnt waren und
deren Gebiet, halb Insel, halb Continent (denn die Korinther hatten
es vor Zeiten durch einen Durchstich zur Insel gemacht), den Akar-
nanen in ihrer Machtstellung besonders gefahrlich war. Die Insel
wurde verheert, das Volk in die feste Stadt zusammengedrängt, und
die Akarnanen verlangten nun, man solle sofort eine Belagerung be-
ginnen, weil die Stadt aufser Stande sei, sich zu halten. Allein Demo-
sthenes hatte keine Lust, Schanzen und Mauern aufzuwerfen, um so
weniger, da die Akarnanen gewiss nicht geneigt waren, eine attische
Besatzung sich hier festsetzen zu lassen. Statt dessen reizte seinen
feurigen Geist der Plan, welchen die Messenier in ihm angeregt hatten,
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DEMOSTUEXES IJ* AETOLIEN (d8, 8} 486).
471
nämlich das ätolische Volk, von dem Naupaklos unaufhörlich be-
drängt wurde, zu unterwerfen.
Dies grofse Volk war bis dahin noch gar nicht an den griechi-
schen Händeln betheiligt gewesen, und sein Land war den Hellenen
ganz fremd geblieben oder vielmehr fremd geworden. Denn ursprüng-
lich waren ja die Aeloler desselben Geschlechts wie die Lokrer und die
Einwohner von Elis (I, 107), aber sie waren durch Zuwanderung von
Norden barbarisirt und der griechischen Cultur gänzlich entfremdet
worden; sie redeten eine unverständliche Mundart, lebten ohne um-
mauerte Städte in loser Gaugenossenschafl und wohnten weit aus ein-
ander vom Acheloos bis in die Nähe von Thermopylai. Demoslhenes
hoffte daher, durch rasches Vorgeben der Vereinigung der Stämme zu-
vorzukommen, und seine Pläne gingen weit über das nächste Ziel hin-
aus; denn er rechnete auf die günstige Stimmung der ozolischen Lokrer
und der angränzenden Phokeer; ja er sah sich im Geiste schon an der
Spitze einer grofsen con Linen Laien Heeresmacht, zu welcher ganz West-
griechenland sich vereinigen sollte, und gedachte mit dieser vom Par-
nasse her in Böotien eindringen zu können, um hier ohne ein Aufge-
bot altischer Bürger die Macht Thebens zu Boden zu werfen.
Demosthenes unterschätzte die Schwierigkeiten eines ätolischen
Feldzugs; er baute so blind auf sein WalTenglück, dass er nicht ein-
mal auf den Zuzug der Lokrer wartete und sich auch dadurch nicht
abschrecken liefs, dass die Akarnanen , welche über die Nichtachtung
ihrer Wünsche erzürnt waren, ihre Bundeshülfe entzogen. Er drang
nach einigen glücklichen Erfolgen bis Aigition vor, das zwei Meilen
vom Meere lag. Hier begann schon die Noth. Denn die Aeloler, welche
viel mehr Zusammenhang zeigten, als man erwartet hatte, hielten in
grofser Zahl die Höben besetzt und fugten den Alhenern, ohne sich
mit ihnen in geordneten Kampf einzulassen, die gröfsten Verluste zu.
Es fehlte Demosthenes an leichten Truppen, um sich der feindlichen
Bogenschützen zu erwehren. Zuletzt blieb nichls übrig, als ein schleu-
niger Rückzug. Aber dieser brachte neues Verderhen.
Der Naupaktier, welcher als Führer gedient hatte , war gefallen.
Durch Sümpfe, pfadlose Berggegenden und brennende Wälder kam
Demoslhenes mit Mühe an die Küste zurück; sein Amisgenosse
Prokies, 120 Bürger mit ihm waren nutzlos geopfert. Der ganze Feld-
zug hatte keine anderen Folgen, als dass die Akarnanen gegen Athen
verstimmt waren, das ganze Volk der Aeloler aber in feindseliger
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I'ELOPOMXESIEIl AM ACHEI.OOS (83, 3; 425).
Aufregung sofort mit Korinth und Sparta in Verbindung trat. Wahr-
scheinlich waren es die Korinther, welche auch hier wieder rasch bei
der Hand waren, um die Lage der Dinge zu ihrem Yorlheile auszu-
beuten; sie werden die Aetoler aufgehetzt und das verhasste Naupaktos
zum Zielpunkte einer Unternehmung gemacht haben , die mit grofser
Schnelligkeit in's Leben gerufen wurde. Denn noch in demselben
Sommer sammelte sich ein peloponnesisches Heer von dreitausend
Schwerbewaffneten, darunter 500 aus dem neugegründeten Herakleia,
am Parnasse. Eine Proklamation , von Delphi aus erlassen , forderte
die Lokrer zum Anschlüsse an das peloponnesische Bündniss auf; die
lokrischen Städte stellten Geiseln, Sparta war mächtiger als je im
Herzen Mittelgriechenlands. Das mächtige Bundesheer rückte gegen
den korinthischen Meerbusen vor, und Naupaktos schwebte in der
gröfsten Gefahr. Zum Glücke war Demosthenes, nachdem er die
Schiffe mit den Gefallenen heimgeschickt hatte, selbst in der Stadt
zurückgeblieben , weil er mit gutem Grunde Bedenken getragen halte,
sich nach dem Ausgange seines ätolischen Feldzugs in Athen zu zeigen.
Die Akarnanen schlössen sich ihm wiederum an, und so wurde
Naupaktos gerettet").
Als der Sommer zu Ende ging , stand das grofse Peloponnesier-
heer am Acheloos , ohne Ziel und Kriegsplan. Aber seine Anwesenheit
diente dazu, die Parteiungen in den umliegenden Landschaften zu
neuem Brande anzufachen. Die Ambrakioten glaubten die Gelegenheit
benutzen zu müssen, um gegen ihre alten Feinde, die Amphilochier
und Akarnanen, einen Streich auszuführen (S. 416). Sie besetzten
Olpai, einen festen Küstenpunkt im amphilochischen Gebiete mit
dreitausend Hopliten; zweitausend Mann liefsen sie nachkommen, und
Miethstruppen aus den benachbarten Kriegsstämmen wurden auf-
geboten. Gleichzeitig gfng der spartanische Feldherr Eurylochos über
den Acheloos und vereinigte sich glücklich mit dem Heere der
Ambrakioten, so dass nun auf einmal das Ufer des ambrakischen
Meerbusens der Schauplatz eines gewaltigen Kriegsgetümmels wurde.
Die Akarnanen boten rasch ihre Truppen auf; sie beriefen Demo-
sthenes als Feldherrn und bewogen auch Aristoteles und Hierophon,
weiche ein attisches Geschwader von zwanzig Schiffen in den pelo-
ponnesischen Gewässern befehligten, zur Hülfsleistung. Demosthenes
brannte, seine Niederlage wieder gut zu machen und war trotz Ein-
tritt des Winters gleich nach Eurylochos mit messenischen Hopliten
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DEMOSTHENES* SIEG BEI OLPAI (88,8; 42%).
473
und sechzig attischen Bogenschützen vor Olpai. Die Uebermacht der
Peloponnesier und Ambrakioten war nicht unbedeutend; aber Demo-
sthenes verstand mit überlegenem Feldhermtalente die Oertlichkeit so
wohl zu benutzen , dass er im offenen Felde einen vollständigen Sieg
über die Spartaner erfocht. Eurylochos selbst fiel im Gefechte, und
die mit den Ambrakioten eingeschlossenen Peloponnesier geriethen in
eine hoffnungslose Niedergeschlagenheit, so dass sie nur an ihre eigene
Rettung dachten.
Diese Stimmung benutzte Demostbenes, um mit dem Feldherrn
Menedaios einen Sondervertrag abzuschliefsen , worin er ihm und
seinen Truppen ungehinderten Abzug zusagte. Er glaubte keinen
grofseren Gewinn erreichen zu können, als wenn er den Ambra-
kioten, welche diesen Kampf so überm üth ig begonnen hatten, die Hülfe
entzog und zugleich aller Welt zeigte, wie rücksichtslos Sparta seine
Bundesgenossen preisgebe. Und in der That konnte die Ehre der
Spartaner durch keine Niederlage mehr gekränkt werden, als durch
das, was jetzt geschah. In Folge einer entehrenden Uebereinkunft
entfernten sich die Peloponnesier einzeln aus der eingeschlossenen
Feste; sie stahlen sich von ihren Waffenbrüdern weg und entliefen
ihnen dann, da sie von ihnen verfolgt wurden, in ofTener Flucht.
Inzwischen nahte sich Zuzug aus Ambrakia , der durch amphi-
lochisches Gebiet gegen die Küste vorrückte. Demosthenes benutzte
den Umstand, dass er amphilochische Truppen bei sich hatte, und
legte in dem Passe von Idomene einen Hinterhalt, der vollständig seiner
Absicht entsprach. Die ganze Mannschaft wurde aufgerieben, und die
Ambrakioten erhielten durch die zwiefache Niederlage und den Verrath
der Bundesgenossen einen solchen Schlag, dass sie gänzlich entkräftet
und widerstandlos waren. Demosthenes wollte Ambrakia selbst nehmen,
um ein für allemal den korinthischen Einfluss an diesem wichtigen
Meerbusen zu vernichten. Aber die Akarnanen hinderten ihn daran;
ihnen war es lieber , ihre alten Feinde , nachdem die Kraft derselben
gebrochen war, als die Athener zu Nachbarn zu haben.
Von der Eifersucht, mit welcher die Westgriechen den Einfluss
Athens abwehrten, zeugt auch der Umstand, dass sie sich beeilten,
ohne fremde Vermittelung ihre Verhältnisse zu ordnen. Denn nachdem
Ambrakia auf den Besitz des amphilochischen Gebiets verzichtet hatte,
wurde ein hundertjähriger Friede zwischen den Akarnanen und Am-
brakioten geschlossen; alle Nachbarfehden sollten beendet sein; man
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471
FESTFEIER IN DELOS (88, 8} 42fi FRÜHJAHR).
wollte sich gegenseitig gegen jeden Angriff beistehen ; nur sollten die
Einen niemals wider Athen, die Anderen, d. h. die Ambrakioten, nie
wider die Peloponnesier zu HölTsleistungen verpflichtet sein. Es
wurden also doch auf beiden Seiten die alten Beziehungen Test-
gehalten, und so konnte es geschehen, dass die Korinther später
wiederum eine Besatzung nach Ambrakia legten. Trotzdem war die
Wirkung der letzten Kriegserfolge eine außerordentliche. Die attischen
Truppen hatten sich von Neuem auch im Landkampfe glänzend be-
währt; Demosthenes kehrte noch im Winter nach Athen zurück, und
die 300 von ihm erbeuteten Waffenrüstungen erglänzten an den
Tempeln der Vaterstadt **).
Inzwischen waren auch durch eine gottesdienstliche Feier die Ge-
müther der Bürger zu neuer Freudigkeit erhoben. Denn mitten in den
blutigen Kriegswirren hatte man beschlossen , dem Apollon in Delos
eine grofsartige Huldigung darzubringen; eine Huldigung, welche ohne
Zweifel mit dem vollständigen Aufhören der Pest, welche bis in's
fünfte Kriegsjahr angedauert hatte, zusammenhängt. Sie bestand darin,
dass man die ganze Insel von Neuem dem gnadenreichen Gölte
heiligte, alle Todtenkisten aus derselben entfernte, und fortan Rheneia
zur alleinigen Grabstätte bestimmte. Es war eine Vervollständigung
dessen, was einst Peisistratos unternommen (I, 353), und es war auch
wohl die Absicht, durch glänzende Erneuerung der delischen Feier die
Macht Athens im Inselmeere zu befestigen, der ionischen Welt, welche
von den peloponnesischen Festen ausgeschlossen war, einen festlichen
Mittelpunkt zu geben und dieselbe an Athen immer enger anzu-
schliefsen. Aber gewiss war der Hauptzweck ein sittlich-religiöser. Man
wollte die Gemüther der Bürger beruhigen und erheben. Die feierliche
Entsühnung von Delos sollte, wie die von Athen zu Solons Zeit (1,310),
nach trüben und zerrissenen Zuständen der Anfang einer neuen,
besseren Zeit sein; deshalb wurde die Apollonfeier neu geordnet und
ein neues, alle vier Jahre zu feierndes Frühlingsfest eingerichtet; die
alten Wettkämpfe homerischen Angedenkens wurden wieder herge-
stellt; eine neue Zuthat zu Ehren des Gottes war das Wettrennen.
Ohne Zweifel war es die Partei der Gemäfsigten, welche diese delische
Angelegenheit in Athen betrieben hat, um die alten Ueberlieferungen
des Volks, welche immer mehr in Vergessenheit geriethen, und den
religiösen Sinn wieder kräftig anzuregen. Darum sehen wir auch
Nikias mit ganz besonderem Eifer an dem delischen Feste sich be~
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SIEBENTES KRIEGSJAHR («8. H; 425).
475
theiligen, und es ist sehr wahrscheinlich, dass es die erste Feier des-
selben war, bei welcher Nikias als Fuhrer der attischen Festgesandt-
schafl (S. 246) sich durch aufserordentliche Freigebigkeit auszeichnete.
Er liefs nämlich in einer Nacht den vier Stadien breiten Meersund
zwischen Rheneia und Delos (I, 590) überbrücken, so dass am anderen
Morgen die Menge staunte, als sie eine mit Teppichen, Kränzen, Ge-
mälden und kostbaren Geräthen ausgestattete ProzessionsstraXse vor
sich sah, auf welcher die Athener ihren Einzug auf die Insel hielten.
Aufserdem machte er Schenkungen von Grundstücken, stiftete neue
Weibgeschenke und that Alles , um den Hellenen zu zeigen, dass in
Athen weder die Ehrerbietung gegen die Götter erloschen sei noch die
Mittel fehlten, sie würdig zu ehren50).
Während Nikias durch Friedensfeste die Gemüther zu beruhigen
suchte, waren Demosthenes' Gedanken unablässig darauf gerichtet,
dem Kriege eine kräftige Wendung zu geben; der schleppende Gang
desselben, bei dem die Hülfsmittel sich nutzlos verzehrten , war ihm
unerträglich; er suchte nach neuen Angriflsweisen , um die feindliche
Macht in ihrem Kerne zu fassen. Dazu waren ihm die Erfahrungen,
welche er auf den westlichen Feldzügen gemacht hatte, nicht ohne
Nutzen. Namentlich hatte er hier die Tüchtigkeit der Messenier erprobt,
so wie ihren Unternehmungssinn und ihren unauslöschlichen Spartaner-
hass kennen gelernt. So wenig die Ausgewanderten ihre Mundart ver-
lernt hatten , so wenig hatten sie auch ihre Heimath vergessen. In
Altmessenien selbst lebten noch die Ueberreste desselben Stammes;
das Land war grufstentheils verödet; denn die Spartaner hatten nicht
verstanden , ihre Eroberung zu verwerthen ; die ganze Westküste war
menschenleer, der Hafen von Pylos (Mb. von Navarin), der beste der
ganzen Halbinsel, verwahrlost, unbewohnt und unbenutzt (I, 204).
Diese Verhältnisse zu Gunsten Athens auszubeuten, war also ein nahe
liegender Gedanke, und ohne Zweifel war in dem Verkehre des Demo-
sthenes mit den Messeniern der Plan gereift, jenen Hafen in die
Gewalt der Athener zu bringen, Spartas Hausmacht an der ver-
wundbarsten Stelle anzugreifen und die messenische Provinz auf-
zuwiegeln.
Demosthenes hielt seinen Plan geheim. Er war augenblicklich
ohne Amt; denn bei der letzten Feldberrnwahl waren seine akarna-
nischen Siege in Alben noch nicht bekannt gewesen. Er benutzte die-
selben jetzt, um sich einen besonderen Vertrauensposten vom Volke
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470
DEMOSTHENES IN PYLOS.
geben zu lassen, als im Frühjahre Eurymedon und Sophokles nach dem
sicilischen Meere mit vierzig Schiffen ausgesandt wurden und zugleich
den Auftrag erhielten, den noch immer bedrängten Kerkyräern gegen
die Aristokraten Beistand zu leisten (S. 465). Demosthenes begleitete
die Flotte als Commissar des Volks und erhielt den Auftrag, auf der
Fahrt die Besetzung passender Küstenpunkte in Vorschlag bringen zu
dürfen. Als nun die Schifle um die südlichen Vorgebirge der Halbinsel
herum waren und am messenischen Küstengebirge entlang fuhren, rief
Demosthenes die Feldherrn und zeigte ihnen den verlassenen Flotten-
hafen mit seinen zwei schmalen Eingängen und dem Vorgebirge
Koryphasion , welches sich oberhalb der nördlichen Einfahrt 800 Fufs
hoch mit steilen Felsen erhebt und die ganze Gegend beherrscht. Er
schlug ihnen vor, die Höhe zu besetzen, welche mit geringer Mühe
befestigt und leicht vertheidigt werden könne; die Besatzung finde
Quellwasser auf dem Berge; er selbst wolle mit sechs Schiften den
Platz einrichten und halten.
Die Feldherrn weigern sich anzuhalten; Denn der verwegene
Demosthenes mit seinen abenteuerlichen Plänen war bei der Partei der
Vornehmen wenig beliebt; in seiner jetzigen Stellung, die er gewisscr-
mafsen als Vertrauensmann des Volks hatte und die allem Herkommen
widersprach, war er ihnen doppelt lästig. Die Flotte geht vorüber. Da
bricht ein Sturm los, und wider Willen sehen die Feldherrn sich ge-
zwungen umzukehren und in dem wohl geschlossenen Hafen von Pylos
besseres Wetter abzuwarten. Demosthenes erneuert seine Vorschläge,
aber ohne Erfolg. Da hätte man viel zu thun, heifst es, wenn man alle
verödeten Küstenpunkte der Halbinsel besetzen wollte! Auch die
unteren Befehlshaber und die Mannschaften zeigen keine Lust. Aber
das Unwetter hält an, und die Langeweile des SchifTsvolks kommt
Demosthenes zu Gute. Auf einmal erbieten sie sich aus freien Stücken
den Berg zu befestigen, und nun bewährt sich im vollen Mafse das
rührige und anstellige Wesen der Athener. Denn da sie ohne Geräthe
zum Behauen und Versetzen der Steine waren, suchten sie aus den
Trümmern des Felsgesteins und älteren Bauten alles brauchbare
Material zusammen, luden sich einander die nasse Lehmerde auf den
Rücken, indem sie dieselbe mit rückwärts zusammengelegten Händen
festhielten, stiegen die steilen Klippen unverdrossen auf und nieder
und brachten unter Aufsicht des Demosthenes nach sechs Tagen die
alte Burghöhe in einen vertheidigungsfahigen Zustand. Die Flotte
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[>EMOSTHE.\ES IN PYLOS (96, 42*).
477
steuerte weiter nach Kerkyra, und Demosthenes blieb mit fünf Schiffen
im feindlichen Lande zurück.
Die Athener spürten sehr bald die heilsame Wirkung dieses
kühnen Handstreichs; denn König Agis, welcher so eben wieder in
Attika eingefallen war (es war der fünfte Einfall der Spartaner), zog
in Folge der messenischen Nachrichten nach vierzehntägigem Aufent-
halte in den Peloponnes zurück; zugleich wurde aber auch die Flotte,
welche noch einmal versuchen sollte , die peloponnesische Partei in
Kerkyra zu stützen, zurückbeordert, um dem frechen Unternehmen in
Pylos ein rasches Ende zu machen, und Demosthenes sah nun von
seiner öden Meerburg aus drei und vierzig Kriegsschiffe in den Hafen
einlaufen, während der ganze Strand mit Kriegsvölkern sich anfüllte,
welche von Sparta eiligst herübergeschickt waren. Aber er verzagte
nicht, sondern handelte mit entschlossener Geistesgegenwart. Nachdem
er noch zwei SchifTe abgesendet hatte, um die attische Flotte zu
schneller Hülfsieist ung zu entbieten, vertheilte er seine kleine Mann-
schaft auf die Schanzen und stieg dann selbst mit sechzig auser-
wählten Kriegsleuten und einer Anzahl von Bogenschützen an den
Strand hinunter, wo die einzige Gefahr drohte. Denn die guten
Landungspunkte waren hinreichend verschanzt; es kam also ö>rauf an,
die Stelle zu sichern , wo man der Untiefen wegen eine höhere Ver-
schanzung für unnöthig gehalten hatte. Hier musste jeder Landungs-
versuch abgewehrt werden; denn so wie die Feinde auf dem Berge
Fufs fassten, war Burg und Mannschaft unrettbar verloren.
Die Peloponnesier besetzten zuerst die Insel Sphakteria, welche
sich zwischen der nördlichen und südlichen Einfahrt des Hafens hin-
streckt, um dadurch die ganze Hafengegend sicher zu beherrschen,
und ruderten dann auf die unverschämte Uferstelle hin, wo die kleine
Mannschaft der Athener in Reih und Glied aufgestellt war; sie sollte
für die Frechheit büfsen, mit der sie sich auf peloponnesischem
Boden festgesetzt hatte.
Beim Angriffe zeigten sich aber unerwartete Schwierigkeiten.
Denn nur wenig SchifTe konnten zugleich heranfahren, und auch
diese waren jeden Augenblick in Gefahr, auf dem felsigen Grunde
aufzulaufen. Die Ungeschicklichkeit und Wasserfurcht der Pelopon-
nesier kam dazu, um jeden Erfolg zu vereiteln. Umsonst eiferte
Brasidas, er konnte die Aengstlichkeit seiner Leute nicht überwinden;
umsonst trieb er sein eigenes Schilf auf die Klippen von Koryphasion
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47S
WAFFENSTILLSTAND
und stieg, um das Beispiel zu geben, selbst von der SchifTsieiter in
die Brandung hinunter. Von den Geschossen getroffen taumelte
er bewusstlos zurück. Die Athener aber standen wie eine Mauer, und
nach zwei Tagen gaben ihre Gegner, anstatt mit immer frischen
Truppen vorzugehen und so die kleine Schaar zu ermüden, den
Kampf auf, und schickten nach Asine, um Holz zu Belagern ngs-
gerälhen zu holen und an besseren Landungsplätzen den Angriff
erneuern zu können.
Damit war der entscheidende Moment versäumt Denn während
dieser Pause kamen die Athener von den ionischen Inseln heran mit
fünfzig Kriegsschiffen; darunter waren vier von Chios; auch Wacht-
schiffe von Naupaktos hatten sich dem Zuge nach Messenien an-
geschlossen. Nun boten die Athener draufsen im offenen Meere eine
Seeschlacht an, drangen dann durch beide Eingänge in den Hafen ein,
überfielen die noch ungeordneten Schiffe der Peloponnesier und
trieben sie auf das Ufer. Darauf rückten diese noch einmal und zwar
mit beispiellosem Kampfeifer vor; denn es war ihnen plötzlich klar
geworden, dass es sich ja um das Leben aller auf der Insel aus-
gesetzten Spartaner handele. Ein furchtbarer Flottenkampf entspann
sich; das Ende war, dass die Athener den Hafen behaupteten, und
wenn sich auch das Landheer durch Zuzug aus dem ganzen Felo-
ponnes fortwährend vergröfserte, so war es doch aufser Stande, den
abgesperrten Spartanern, die man so nahe vor Augen hatte, Bei-
stand zu leisten oder auch nur Mundvorrath auf die öde Felsinsel zu
bringen.
Als dieser Stand der Dinge nach Sparta gemeldet wurde, be-
schloss man, die Behörden der Stadt selbst nach Pylos zu senden, um
daselbst mit unbedingter Vollmacht zu handeln. Sie fanden nichts zu
thun als einen Waffenstillstand zu schiiefsen und zwar unter Bedin-
gungen, welche für die Peloponnesier, die am Ufer ihres eigenen
Landes mit voller Land- und Seemacht zur Stelle waren, unglaublich
hart und demütbigend waren. Alle Trieren Spartas, sechzig an der
Zahl, wurden den Athenern auf die Dauer des Waffenstillstandes über-
geben, und dafür wurde nichts gewährt, als dass den Spartanern
auf Sphakteria täglich in bestimmten Rationen Mundvorrath zugeführt
werden durfte; die Insel selbst sollte unter strengster Bewachung
bleiben, bis in Athen über Krieg und Frieden ein Beschluss gefasst
worden wäre6')-
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FRIEI)E.\SüESANDTSCeAFT IH ATHEN (it. 4; 426).
470
Die Ueberra schling der Athener war aufserordentlich , als die
Schiffe einliefen, welche die Kunde von den Erfolgen in Pylos, und
zugleich die obersten Beamten Spartas nach dem Peiraieus brachten.
Die Spartaner wollten Frieden und rechneten mit Sicherheit darauf,
dass er zu Stande käme. Nur im Hinblicke darauf halten sie sich die
Bedingungen des Waffenstillstandes gefallen lassen. Die Unabseh-
barkeit des Kriegs war ifonen immer deutlicher geworden; sie hatten
im Grunde nichts als Schande und Schaden davon getragen und hatten
wenig Gewinn in Aussicht. Mit ihren Bundesgenossen standen sie in
schlechtem Verhältnisse; neuerdings war zu allem Seeunglücke die
Niederlage ihrer Landtruppen gekommen, und als nun der unersetz-
liche Verlust von 420 spartanischen Männern drohte, da hörte jedes
Bedenken auf. Dies Unglück schien ihnen noch der ehrenvollste
Anlass zu sein, um sich zu einem Friedensgesuche zu bequemen;
sie handelten ohne Rücksprache mit den Bundesgenossen, denn sie
wollten rasch zum Ziele gelangen.
Die Rede der Gesandten war eindringend und überzeugend. Sie
zeigten, dass die Athener niemals unter günstigeren Verhältnissen
Frieden schließen könnten. Ein rechtschaffener und ehrlicher Friede
komme am ersten zu Stande, wenn man nicht darauf ausgehe, einem
überwältigten Feinde unerträgliche Bedingungen aufzuzwingen, welche
ihn zur Gegenwehr der äufsersten Verzweiflung drängten. Spartas
Macht sei nicht gebrochen, aber es wünsche ehrlich den Frieden und
werde sich den Athenern um so aufrichtiger zu neuer Bundesgenossen-
schaft verpflichtet fühlen, je mehr diese mit Edelmuth und Mäfsigung
verführen. Sie möchten den Wechsel des Kriegsglücks erwägen, welchen
sie oft erfahren hätten.
Der Erfolg entsprach dem Wunsche der Redner nicht. Denn das
attische Volk war von seinem Glücke so berauscht, dass es jede Ver-
handlung für überflüssig hielt; man glaubte Alles in Händen zu haben.
Ein mafsloser Uebermulh hatte die Bürgerschaft ergriffen, und ehe
demselben durch vernünftige Redner entgegengetreten werden konnte,
drängle Kleon sich vor, um diese Stimmung zu benutzen und seine
Person wieder zu voller Geltung zu bringen ; denn zu einer dauernden
und unangefochtenen Leitung der öffentlichen Angelegenheiten nach
Art des Perikles hatte er es doch nicht bringen können58).
Trotz des Terrorismus, welchen Kleon in der Volksversammlung
ausübte, trat ihm in Athen selbst noch immer ein unüberwindlicher
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480
KLEON UND ARISTOPHANES.
Widerspruch entgegen, und zwar am unverholensten von der komi-
schen Bühne. Denn während die Tragödie ihrem Berufe treu blieb, die
Gemüther aus der trüben Gegenwart in das Gebiet einer idealen Welt
zu versetzen, gewann die Komödie erst in diesen Jahren ihre volle Be-
deutung, indem sie die Gebrechen der Zeit geifselte und das freie Wort,
das auf der Bednerbühne so gut wie verstummt war, auf der Bühne
den Athenern zu erhalten wusste. Seit Ausbildung der demokratischen
Institutionen, bei welchen eine consequente Leitung des Staats ohne
das Vorherrschen einer Persönlichkeit unmöglich war, finden wir die
Komödie immer in der Opposition. So war Perikles von Kratinos,
Hermippos, Telekleides u. A. angegriffen worden, und nach seinem
Tode wurde er von Aristophanes für den ganzen Krieg verantwortlich
gemacht. Während der Kriegszeiten eiferte Aristophanes gegen Alles,
worin er verderbliche Zeitrichtungen erkannte, und griff namentlich
die Politik Kleons in ihrem Kern an. Der Mangel an Ueberlegung, die
leichtfertige Behandlung der Staatsangelegenheiten, der Unfug des Ge-
richtswesens, die Willkür der Beamten, die schmähliche Bedrückung
der Bundesgenossen (welche er in seinen (Babyloniern' als arbeitende
Mühlknechte darstellte) — das waren die Schäden der entarteten
Demokratie, die er mit ernstem Zorne angriff, ohne dass er die
Absicht hatte, die zu Becht bestehende Verfassung selbst in Miss-
achtung zu bringen und den Bürgern zu verleiden. Freilich dürren
bei einem Komödiendichter die einzelnen Ausdrücke nicht auf die
Goldwage gelegt werden, und wir werden auch zugeben, dass persön-
liche Erbitterung den Stachel seiner Worte geschärft hat; im Ganzen
aber ist die Ueberzeugungstreue des Dichters unverkennbar und wir
müssten ihn für einen gewissenlosen Menschen halten, wenn nicht
seiner Darstellung volle Wahrheit zu Grunde läge.
Seines Wahrheitsinns wegen war er von den Bundesgenossen be-
wundert, die in Athen sich herandrängten, um den Dichter zu sehen,
welcher den Muth hatte, bei offenen Bürgerfesten 'dem athenischen
Volk aufrichtig zu sagen, was Becht ist'; weil er die Wahrheit sagte,
wurde er von Kleon auf das Bitterste gehasst, und da das Gesetz,
welches wenig Jahre hindurch die Freiheit der Bühne beschränkt hatte
(S. 391), wieder aufgehoben war, musste Kleon andere Mittel er-
greifen, um sich an seinem kecken Widersacher zu rächen. Er ver-
klagte ihn gleich nach Aufführung der 'Babylonier' (März 426; 88, 2)
bei dem Bathe, dass er an dem grofsen Staatsfeste der Dionysien in
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FRIEDENSVERHANDLUNGEN (JULI ODER AUG. 41B). 4SI
Anwesenheit so vieler Fremden und Bundesgenossen auf eine höchst
unpatriotische und gefährliche Weise die Politik der Stadt verhöhnt
habe. Die Anklage war in der That nicht ohne alle Berechtigung, aber
die Richter liefsen sich nicht bestimmen, der Komödie das Recht zu
bestreiten, die Seiten des öffentlichen Lebens, welche sie als Miss-
bräuche ansah, als solche darzustellen; sie erkannten darin kein Ver-
brechen gegen die Interessen des Staats, und die darauf gerichtete
Klage wurde abgewiesen. Kleon versuchte einen anderen Weg, dem
kecken Widersacher beizukommen, indem er ihm die echtbürgerliche
Herkunft streitig machte, eine Anklage, in deren Behandlung die Sy-
kophantenkunst sehr geübt war. Aber auch dieser Versuch, die lästige
Opposition zu beseitigen, misslang ihm. Dazu kam, dass er um die-
selbe Zeit mit ganzen Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft in Streit
gerieth, namentlich mit den aristokratischen Kreisen, welche in den
Reitergeschwadern vertreten waren, der einzigen Truppe, welche
immer zusammen blieb und nach dem perikleischen Kriegsplane
allein Gelegenheit hatte, sich im Felde mit dem Feinde zu messen
(S. 401). Kleon hatte wahrscheinlich im Rathe der Fünfhundert ihre
Leistungen bemängelt und sie dadurch erbittert. Deshalb trat sie als
politische Partei auf und verband sich mit Aristopbanes, welcher nun
entschiedener gegen den Demagogen vorzugehen entschlossen war").
Um so eifriger ergriff Kleon die erste Gelegenheit, welche sich
darbot, nämlich die Ankunft der Gesandten Spartas, um sich wieder
als den ersten Mann des Staats in vollem Ansehen geltend zu machen.
Er hatte gleich eine der herrschenden Stimmung entsprechende Ant-
wort fertig, welche man den Gesandten geben sollte. Es war die For-
derung, dass die Männer auf Sphakteria sämmtlich als Gefangene nach
Athen gebracht und die früheren Besitzungen der Athener im Pelo-
ponue8 und in Megaris, Nisaia, Pegai, Troizen und ganz Achaja sofort
zurückgegeben werden sollten. Wenn dies geschehen sei, dann möge
man die Gefangenen abholen und über einen Waffenstillstand be-
liebiger Dauer verhandeln.
Man sollte erwarten, dass nach dieser Antwort jede Verhandlung
abgebrochen worden sei, denn Schlimmeres konnte ja auch eine völlige
Niederlage nicht bringen. Indessen wiesen die Gesandten auch diese
Antwort nicht unbedingt zurück, sondern verlangten, dass man Männer
auswähle, mit denen sie weiter verhandeln könnten. In Sparta hatte
man nicht übel Lust, auf ein Programm einzugehen, über welches man
Cortioe, Gr. Gweh. II. 6. Aufl. 31
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482
FRIEDENSVERHANDLUNGEN (JULI ODER AUG. 425).
auf eine Verständigung hoffen konnte. In Sparta waren Viele, denen
die Agitation der Mittel- und Kleinstaaten, welche den Vorort in den
verderblichen Krieg gehetzt hatten, im höchsten Grade lästig war;
man fühlte sich unfrei und einer stetigen Controle unterworfen, von
unbequemen Ansprüchen umdrängt, denen man nie genügen konnte
und wollte. Man wünschte im Grunde nichts mehr, als innerhalb des
Kreises der peloponnesischen Hegemonie eben so frei zu sein wie Athen
in seinem Gebiet, und dies führte die Spartaner dahin, dass sie mit
Athen verhandelten, wie ein Grofsstaat mit dem andern. Darauf ging
man aber in den Kreisen der gemäfsigten Athener nicht ungern ein;
man erkannte darin den einzigen Weg zum Frieden zu gelangen, man
sah darin eine zeitgemäfse Erneuerung der kimonischen Politik und
hoffte dabei auf eine Stärkung der conservativen Interessen. Wir
wissen, dass Archeptolemos als ein Vertreter dieser Parteirichtung in
Sparta verhandelt hat und einen annehmbaren Frieden seinen Mit-
bürgern anbieten konnte.
Solche Verhandlungen aber, in welchen Sparta sich von seinen
Bundesgenossen losmachen wollte, konnten natürlich nicht in öffent-
lichen Volksversammlungen besprochen werden. Deshalb erfolgte der
Vorschlag einer kommissarischen Behandlung. Kleon aber hatte in
seinem Interesse guten Grund diesen Projekten mit aller Energie ent-
gegen zu arbeiten ; denn ihr Gelingen würde ein Sieg der Gemäfsigten
und eine dauernde Stärkung ihres Einflusses gewesen sein. Er benutzte
gerade den Antrag auf kommissarische Behandlung in geschickter
Weise zu den heftigsten Ausfällen. Da sähe man, sagte er, wieder recht
deutlich, dass von Seiten Spartas nichts ehrlich gemeint sei. Es sei
nur darauf abgesehen , mit den vornehmen Herren , den alten Feinden
der Volksherrschaft, ein heimliches Abkommen zu treffen, um das gut-
müthige Volk zu tauschen; was lauter und rechtmäfsig sei, brauche
die Oeffentlichkeit nicht zu scheuen. So erreichte Kleon nach harten
Kämpfen vollständig seinen Zweck.
Dreimal, wie Aristophanes sagt, wurde der Friedensantrag in der
Bürgerschaft gestellt und dreimal verworfen. Die Gesandten reisten ab
und die Gelegenheit eines ehrenvollen Friedens, bei dem zugleich eine
vollständige Auflösung der ganzen peloponnesisch-böotischen Bundes-
genossenschafl in Aussicht stand, war verscherzt. Die wichtigste An-
gelegenheit war wieder in roher Weise und mit unverantwortlichem
Leichtsinn abgethan worden. Deshalb war Kleons Stellung zum
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NEUER KAMPF IN PYL08 («8. 4; 4M).
483
Kriege in den Augen seiner Mitbürger von jetzt an eine andere. Für
den Anfang desselben konnte er nicht verantwortlich gemacht werden;
dafür aber, dass im siebenten Kriegsjahre die Friedensverhandlungen
scheiterten und für alle Folgen davon, — dafür fallt nach Aristo-
phanes die Schuld auf sein Haupt60).
Im Meerbusen von Pylos begann also nach einer zwanzigtägigen
Pause der Krieg von Neuem und zwar damit, dass die Feldherrn Athens
sich weigerten, die ausgelieferten Schiffe wieder zurückzugeben. Aber
trotz dieses Gewallstreichs, welcher dadurch, dass die Peloponnesier
ihrerseits die Bestimmungen des Waffenstillstandes verletzt haben
sollten, nothdürflig entschuldigt werden konnte, änderte sich bald in
sehr empfindlicher Weise die günstige Lage der Athener. Denn die
von Tag zu Tage erwartete Uebergabe der eingeschlossenen Spartaner
fand nicht statt Sie hatten sich mehr Mundvorrath aufgespart, als
man dachte, und die Heloten, durch hohe Versprechungen angetrieben,
wussten mit grofeer Kühnheit und Geschicklichkeit heimlich auf die
Insel zu gelangen. Dagegen machte sich bei den Athenern der Mangel an
Quellwasser in der peinlichsten Weise fühlbar; der Wachdienst um die
Insel herum war äufserst beschwerlich; man fürchtete, dass die
schlechte Jahreszeit herankommen werde, die Stimmung wurde immer
unzufriedener, und statt der Siegeskunde und vollen Siegesbeute, der
man in Athen von Stunde zu Stunde entgegensah, kamen Meldungen
an, welche den ganzen Erfolg in Pylos als zweifelhaft erscheinen
liefsen und wiederum neuen Zuzug verlangten.
Nun schlug die Stimmung der Bürger vollständig um; sie em-
pfanden die bitterste Reue über ihr unverstandiges Benehmen, und
Kleon musste alle Mittel aufbieten, um einer vollständigen Niederlage
zu entgehen. Zunächst bestritt er die Wahrheit dessen, was aus Pylos
gemeldet war; als er aber dann vom Volke aufgefordert wurde, sich in
Begleitung des Theagenes (der wahrscheinlich zur Partei der Vor-
nehmen gehörte) von dem Zustande der Flotte persönlich zu über-
zeugen, entgegnete er sehr vernünftig, dass solche Sendungen ein reiner
Zeitverlust seien; wenn die Feldherrn Männer wären, so würden sie
leicht im Stande sein, durch einen kühnen Handstreich der peinlichen
Lage in Pylos ein Ende zu machen. Das war nichts als ein Ausfall auf
Nikias, welcher das Feldherrnamt bekleidete; und dieser wollte nun die
Gelegenheit nicht unbenutzt lassen, um den verhassten Demagogen für
seine Großsprecherei büfsen zu lassen; er verzichtete also in seinem
31*
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KLEONS COMMANDO IX TVLOS.
und seiner Collegen Namen auf das Feldherrnamt und trug darauf an,
dasselbe kleon zu übertragen. Kleon machte Ausflüchte, aber die
Bürgerschaft, welche an diesem ungewöhnlichen Hergange Gefallen
fand, liefe ihn nicht los, so dass er sich endlich fügen musste und nun
auch alsbald seine alte Keckheit wieder erlangte, so dass er dem Volke
versprach, innerhalb zwanzig Tagen die Spartaner von Sphakteria nach
Athen zu bringen oder sie dort zu tödten. Er liefs sich die Vollmacht
geben, Demosthenes zum Mitfeldherrn zu nehmen; denn von ihm
wusste er, dass er schon langst darauf gedrungen hatte, die Insel mit
Gewalt zu nehmen.
Das Glück begünstigte ihn in aufserordentlicher Weise. Denn als
er bei der Flotte ankam, war die Stimmung der Truppen, welche bei
der Belagerung alle Mühseligkeiten eines belagerten Heeres zu tragen
hatten, entschieden für einen entschlossenen Angriff; dazu kam, dass
die Holzungen auf Sphakteria, welche einen Angriff bis dahin ungemein
gefährlich gemacht hatten, inzwischen niedergebrannt waren. Demo-
sthenes hatte den Plan des Angriffs schon lange fertig; als er daher
durch Kleon freie Hand bekam und aufserdem frische Truppen,
namentlich Leichtbewaffnete und Bogenschützen, zur Verfügung hatte,
so wurde rasch an's WerK gegangen.
Die Spartaner hatten die Insel wie eine Festung besetzt. Am Ufer-
rande hatten sie ihre Vorposten ausgestellt; in der mittleren Senkung,
welche ein kleiner Quell bewässert, war ihr Hauptquartier. Von hier
erhebt sich der Boden gegen Norden zu dem festesten Punkte, dem
Gipfel der ganzen Felsinsel, wo mit Hülfe älterer Befestigungsreste
eine engere Verschanzung eingerichtet war. Nachdem die Vorposten
überwältigt waren, gingen die in kleinere Gruppen verlheilten Mann-
schaften des Demosthenes auf die mittlere Höhe hinauf, indem sie durch
Pfeile, Steine und Wurfspiefse dem zusammengedrängten Haufen der
Feinde von allen Seiten zusetzten. Die Gegenwehr war durch den
Waldbrand, der jede Schutzwehr vernichtet hatte, und zugleich durch
den unerträglichen Aschenstaub in hohem Grade erschwert. Die Spar-
taner wichen endlich auf den Gipfel zurück, zum tapfersten Kampfe
entschlossen. Dieser Punkt war nicht zu zwingen. Der gröfste Theil
des Tages war vorüber; die Athener erschöpft von Sonnengluth und
Durst; auch Demosthenes wusste keinen Rath.
Da bewährte sich die Klugheit seiner messenischen Freunde und
ihres Führers Komon. Sie hatten unter den senkrechten Felsen der
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I HERGÄBE VON 8PHAKTERIA (88, 4; 432 ADG.).
485
Nordspilze einen Platz ausfindig gemacht, wo es auch ohne Pfad mög-
lich war hinaufzuklettern. Auf diese Weise kamen sie den Spartanern
in den Röcken, und als diese sich nun von vorne und hinten ange-
griffen sahen, gingen sie endlich auf die Vorschläge des Kleon und De-
mosthenes ein und ergaben sich ihnen, 292 an der Zahl, darunter
120 spartanische Bürger, nachdem sie 72 Tage auf der Insel einge-
schlossen gewesen waren. Sie wurden nach Athen in Verwahrsam ge-
bracht, indem man erklärte, dass sie bei dem ersten Einfalle in Atüka
hingerichtet werden wurden. Dagegen wurde eine Abtheilung von
Messeniern nach Pylos gelegt, die von hier aus mit grofsem Erfolge
Streifzüge durch die Umlande anstellten. Zu der Plage der Ver-
heerungen kam die Unsicherheit im eigenen Lande, die Angst vor
inneren Aufständen. Die Heloten fingen an überzulaufen; die ganze
Noth messenischer Kriege drohte von Neuem. Aufserdem war die
Flotte verloren, und die Rücksicht auf die Gefangenen verbinderte jede
kräftige Benutzung des Landheers; man war also auf einen Ver-
teidigungskrieg angewiesen, der keinen Ruhm und keinen Erfolg dar-
bot. Das Allerschlimmste aber war der Verlust an Achtung bei den
Hellenen. Dass Enkel des Leonidas mit den Waffen in der Hand sich
ergeben konnten, galt bis dahin für eine Unmöglichkeit; das Ver-
trauen der Bundesgenossen war aber schon durch den Verrath,
welchen Menedalos verübt halle (S. 473), vollständig erschüttert, und
die engherzige Selbstsucht der spartanischen Politik bei allen Griechen
eine offenkundige Thalsache.
Unter diesen Umständen war Sparta selbst des Kriegs so müde,
dass es von Neuem mit Athen Unterhandlungen anknüpfte. Aber hier
war Kleon mächtiger, denn je zuvor, der Held des Tages und derWohl-
thäter der Stadt, die durch ihn von langjähriger Kriegsnoth befreit war.
Zum Andenken seiner Waffen that war ein Standbild der Siegesgöttin
auf der Burg geweiht, ihm selbst lebenslängliche Speisung im Pryta-
neion, die höchste Staatsehre, zuerkannt; kurz, er war auf dem Gipfel
von Macht und Ehre , von der Menge bewundert und gefürchtet, und,
wie ein Tyrann, von einer Schaar von Schmeichlern umringt; er ge-
traute sich selbst den Bürgern mit Uebermuth zu begegnen, konnte
man ihn doch auf der komischen Bühne darstellen , wie er eines Gast-
mahls wegen die Verhandlungen der versammelten Bürgerschaft ver-
tagte. Nikias hatte dagegen in gleichem Mafse von seinem Ansehen
eingebüßt, nicht nur bei seinen Gegnern, sondern auch bei seinen
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486
ATHENS FINANZLAGE.
politischen Freunden. Denn diese konnten es ihm nicht vergessen
dass er so unzeilig auf sein Feldherrnamt verzichtet hatte und dadurch
selbst die Ursache gewesen war, Kleons Macht auf solche Höhe
zu bringen. Die Partei der Gemäßigten war in sich zerfallen und
machtlos; den Friedensanträgen Spartas wurden immer höhere
Forderungen entgegengestellt, und alle Unterhandlungen zerschlugen
sich61).
Bei den umfassenden Rüstungen, welche zur Fortsetzung des
Kriegs nöthig wurden, kam es vor Allem auf Herbeischaffung der Geld-
mittel an. Denn bei den ungeheuren Ansprächen der Kriegsjahre er-
wies sich auch die perikleische Geldwirthschaft (S. 387 f.) völlig unge-
nügend. Anfangs hatte man, um den Staatsschatz möglichst zu schonen,
bei dem Tempel geborgt; so für die Unternehmungennach Kerkyra
und Makedonien. Dann 'rousste man die eigenen Bestände angreifen.
Ol. 88, 1 ; 428 waren beide Quellen erschöpft, sowohl die Schätze der
Athena und die der anderen Götter, als auch die Staatsgelder mit Aus-
nahme der zurückgelegten tausend Talente. An Rückzahlung und Ver-
zinsen der Anleihen konnte nicht mehr gedacht werden; man fing
sogar an, die jährlichen Tempeleinkünfte in Anspruch zu nehmen. Mit
seinem eigenen Jahreseinkommen konnte der Staat nicht weit reichen,
wenn eine einzige Belagerung, wie die von Potidaia, 2000 Talente
(gegen 9!^ Millionen Mark) verschlang. Die Belagerung von Mytilene
machte dies noch deutlicher.
Man musste sich in anderer Weise zu helfen suchen. Das Erste
war, dass man eine direkte Besteuerung des bürgerlichen Vermögens
ausschrieb. Es war eine Malsregel, welche mit dem herrschenden Re-
gierungssystem in sofern stimmte, als sie die Kriegslasten auf die
Schultern der Besitzenden wälzte, während die Armen unbelästigt
blieben. Bei Aristophanes droht der Demagoge seinem Widersacher,
er wolle schon dafür sorgen, dass er in die Liste der Reichen einge-
tragen würde, damit er von den Steuern gehörig mitgenommen werde.
Die Belagerung von Mytilene veranlasste die erste Kriegssteuer, welche
nicht mehr als 200 Talente einbrachte.
Das zweite Mittel war Erhöhung der Tribute.
Bald nach Kleons Rückkehr von Pylos wurden unter dem
Archonten Stratokies durch Thudippos, einen sonst unbekannten
Staatsmann, die einleitenden Mafsregeln zu einer neuen Schätzung be-
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NEUE SCHÄTZUNG (88, 4; 488). 487
antragt und ein Volksbesch) uss in der zweiten oder dritten Prytanie
des Jahres 88, 4; 425 angenommen, nach welchem die Tribute im
Ganzen auf das Doppelte erhöht wurden. Die Bündnisse (S. 248 f.)
wurden aufgelöst und auch solche Städte, die noch nie eine Steuer ge-
zahlt halten, auf die Listen gesetzt, wenn sie ihrer geographischen
Lage nach zu dem Gebiet gehörten, das die Athener als ihr Territorium
ansahen. Ebenso wurden als tributpflichtig auch alle diejenigen
Städte auf den Listen verzeichnet, welche, sei es wegen Abfall vom
Bunde, sei es aus anderen Gründen, ihre Beiträge zur Zeit nicht mehr
einlieferten.
Durch die rücksichtslose Vernichtung aller früheren Verein-
barungen und den eigenmächtigen Eingriff in die Bundesverhältnisse
war ein neues Prinzip der Souveränität der athenischen Bürgerschaft
aufgestellt; das ganze Bundesgebiet wurde noch mehr als früher wie
ein Reich eingerichtet und im Gesetze selbst wird die frühere Zeit
als die 'alte Herrschaft' bezeichnet: das finanzielle Resultat aber war
eine Steigerung der Gesamteinnahme an Tributen auf 1200 oder 1300
Talente").
Man begreift, welche Aufregung diese Neuerung in der Stadt und
im ganzen Umkreise des ägäischen Meers hervorrief. Die conservative
Partei hatte seit den Tagen Kimons die selbstsüchtige Behandlung der
Bundesgenossen grundsätzlich bekämpft (S. 185), und in ihrem Sinne
hatte Aristophanes, ehe noch von einer systematischen Bedrückung
die Rede sein konnte, das traurige Loos der abhängigen Städte in
seinen 'Babyloniern' dargestellt. Wie lebhaft musste jetzt der Wider-
spruch sein ! Man schalt die Neuerung gewissenlos, unberechtigt, un-
weise. Aber es fehlte der Opposition an Nachdruck und Zusammen-
hang. Wer den Krieg fortgesetzt sehen wollte, musste die Noth wendig-
keit einer Vermehrung der Geldmittel einräumen ; darum stimmten
auch Manche von der Partei des Nikias für das Gesetz. Die demo-
kratische Politik aber ging mit vollen Segeln vorwärts; denn ihr Wort-
führer hatte es ja deutlich ausgesprochen , dass man den Muth haben
müsse, aller Gefühlspolitik zu entsagen; es sei Thorheit, auf Sym-
pathie zu rechnen, wo nur die Macht des Stärkeren herrsche. Man
dürfe keinen andern Gesichtspunkt haben als die Macht der Stadt.
Neue Orakelsprüche wurden in Umlauf gesetzt, welche dem Demos
von Athen verkündeten, dass er einem königlichen Adler gleich über
Land und Meer herrschen solle.
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488
NEUE SCHÄTZUNG (M. 4; 4M).
Gegen die Annahme des Reformgeselzes war alle Verstimmung
machtlos gewesen; die Durchführung hatte aber mit zahlreichen
Schwierigkeiten zu kämpfen. Es wurden von Seiten der Städte alle
Mittel versucht, um ihr Schicksal zu mildern. Die Mitglieder der
Schätzungscommissionen wurden bestochen, um günstigere Salze zu
erlangen, und die Verschiedenheit der neuen Tribute im Verhältnis«
zu den frühern zeigt, dass allerlei besondere Erwägungen bei den
einzelnen Bundesgenossen stattgefunden haben. Eine Reihe von ge-
richtlichen Verhandlungen wurde durch die Beschwerden der Städte
veranlasst, welche sich über ihr Vermögen besteuert glaubten, und es
ist wahrscheinlich, dass Antiphon's Reden über den Tribut der Lindier
und der Samothrakier bei solchen Gelegenheilen gehalten worden sind.
Die Vermehrung der Gerichtsverhandlungen diente dazu, die Erhöhung
des Gerichtssoldes zu rechtfertigen, welche nach der Einnahme von
Sphakteria erfolgt ist, und die neuen Kosten, welche dem Staate daraus
erwuchsen, wurden auf die vermehrten Einnahmen berechnet. So
standen die beiden eingreifenden Neuerungen, zwei Haupterfolge der
Politik Kleons, in nahem Zusammenhang unter einander.
Was die Durchführung der Schätzung betrifft, so wurden in jeden
der vier Bezirke des bundesgenössischen Gebiets (S. 243 f.) je zwei
Gommissare (Taktai) gesendet. Die hohen Strafbestimmungen des
betreffenden Gesetzes gegen alle Beamten, durch deren Schuld die Aus-
führung verschleppt wurde, zeigen, wie energisch man vorging. Be-
sondere Gommissare (Epimeletai) sollen die Einzahlung überwachen und
die Einwohner der Bundesstädte vor Gericht ziehen, welche ihre Vater-
stadt anstiften wollen , ihren Verbindlichkeiten nicht zu genügen. Man
suchte auch die ferneren Küstengebiete mit strafferen Banden heranzu-
ziehen. Ein Geschwader der zum Eintreiben der Tribute beorderten
Kriegsschiffe unter Demodokos, Aris leides und Lamachos wurde in
die ponlischen Gegenden geschickt. Lamachos verlor seine Schiffe in
einem Unwetter bei Herakleia; es werden aber verschiedene Städte des
Pontos, darunter auch Nymphaion , auf der taurischen Halbinsel beim
Eingang in den Bosporos auf der Liste von 88, 4 (42%) unter den
tributzahlenden Bundesgenossen aufgeführt Vor Ol. 89, 1 kann aber
das Gesetz des Thudippos nicht durchgeführt worden sein; die Ver-
handlungen schlössen mit der Vereidigung der Bundesgenossen auf
den neuen Tarif").
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ZUG GEGEN KOniMH (S8, 4} 4M).
489
Inzwischen gingen die auswärtigen Unternehmungen energisch
Torwarts , indem man nach der von Demosthenes glänzend eröffneten
Kriegsweise im Peloponnes Eroberungen zu machen und feste Waffen-
plätze anzulegen suchte. Es war dieselbe Kriegsweise, mit welcher die
Dorier einst die Halbinsel erobert hatten, und der erste Punkt, auf den
man das Augenmerk richtete, war wirklich der Standort eines dorischen
Heerlagers gewesen, nämlich der Hügel Solygeios, eine halbe Meile
Tom Isthmos entfernt, zwischen Korinth und Epidauros. Ein offenes
korinthisches Dorf lag auf der Höhe, welche leicht verschanzt und durch
Mauern mit dem nahen Meere verbunden werden konnte. Man wollte
also auch die zweite Macht der Halbinsel, die man in ihrem Seegebiete
mehr und mehr eingeengt hatte, in ihrem eigenen Landgebiete angreifen.
Es war ein kühner Plan, welcher in einem so reichen und mit Sklaven
überfüllten Staate, wie der korinthische war, grofse Vortheile versprach.
Nikias landete unweit Kenchreai mit 80 Trieren ; eigene Transport-
schiffe führten attische Reiterei hinüber, die sich mit grofsem Eifer
betheiligte. Indessen waren die Koriniher von Argos aus gewarnt
und hatten Solygeios besetzt. Auf dem abschüssigen Boden zwischen
Dorf und Meer kam es zu einem blutigen Kampfe. Die Athener waren
siegreich durch die Tapferkeit der Reiter, aber die Unternehmung
selbst war vereitelt. Statt dessen gelang ihnen die Besetzung der vul-
kanischen Halbinsel Methone, welche vom trözenischen Lande aus
gegen Aigina vorspringt und nur durch eine schmale Landenge mit
dem Festlande verbunden ist. Diese Landenge vermauerten sie und
gewannen so gegen Epidauros und Troizen einen ausgezeichneten
Waffenplatz, der dem Peiraieus gegenüber lag und durch Feuerzeichen
leicht mit ihm in Verbindung gesetzt werden konnte.
Inzwischen war die Flotte des Eurymedon und Sophokles (S. 465)
nach Kerkyra weiter gegangen und hatte hier in Verbindung mit den
Kerkyräern, welche durch die Besatzung von Istone noch immer schwer
bedrängt wurden, die Raubfeste genommen. Die Parteigänger, welche
dort verschanzt gewesen waren, übergaben sich der Gnade des attischen
Volks. Da jedoch die Flottenführer, welche schon in Pylos alle Waffen-
ehre Anderen hatten überlassen müssen, keine Lust hatten, die ge-
fangenen Aristokraten, die erbittertsten Feinde der attischen Politik,
durch Andere im Triumph nach Athen einbringen zu lassen (denn sie
selbst mussten weiter nach Sicilien), so begünstigten sie die Arglist
der Kerkyräer, welche nichts mehr fürchteten, als die mögliche Be-
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NEUES BLUTBAD IN KERKYRA (68, 4; 425).
gnadigung ihrer Mitbürger in Athen, und deshalb tückischer Weise die
Gefangenen zu einem Fluchtversuche verleiteten. Dieser Versuch wurde
dann den Feldherrn verrathen und von diesen benutzt, um die Vertrüge
für aufgehoben und den attischen Schutz für erloschen zu erklären.
Die ganze Schaar der Unglücklichen wurde der Wuth des Volks preis-
gegeben und ein Blutgericht an ihnen vollzogen, das an ausschweifender
Rachsucht Alles überbot, was bis dahin auf der Insel vorgefallen war.
Die Ruhe kehrte nicht eher zurück, als bis die Parteiwuth ihre letzten
Opfer verschlungen hatte; es war eine Ruhe der Erschöpfung nach
gesättigter Rachgier. Die Weiber der Ermordeten wurden Sklavinnen.
Damit war die letzte Hoffnung der Korinther, ihre Herrschaft im ioni-
schen Meere wieder herzustellen, für immer vereitelt, und um die
Niederlage Korinths zu vervollständigen, eroberten die Athener noch
vor Ablauf des Jahres mit den Akarnanen zusammen das wichtige
Anaktorion am Eingange des ambrakischen Meerbusens. Die Stadt
wurde aus sämtlichen Städten Akarnaniens neu kolonisirt 64).
Je mehr die Spartaner und ihre Bundesgenossen gelähmt und in
ihren Kriegsmitteln beschränkt wurden, um so rüstiger gingen die
Athener vorwärts; sie waren es, die jetzt allein einen Angriffskrieg
führten, sie konnten jetzt frei über ihre Streitkräfte verfügen , da sie
zu Hause nichts zu fürchten hatten, und der Gedanke, dass eine Be-
zwingung der Halbinsel möglich sei, steigerte die Tbatkraft zu immer
gröfseren Unternehmungen, welche zugleich von einer richtigen Kennt-
niss des feindlichen Landes zeugten.
Die Insel Kytbera (Cerigo) , die südliche Fortsetzung der pelopon-
nesischen Gebirge, war von jeher der unzuverlässigste Theil von Lake-
daimon gewesen, weil sie bei ihrer günstigen Handelslage und ihrer
von alter Zeit her gemischten Bevölkerung den dorischen Satzungen
am hartnäckigsten widerstrebte und eine strenge Gränzsperre unmöglich
machte. Sie wurde, wie ein erobertes Land, von einem besonderen
Statthalter und einer spartanischen Besatzung im Zaume gehalten.
Der weise Chilon hatte darum den Spartanern gesagt, die Götter
könnten nichts Besseres für Sparta thun, als wenn sie Kythera in's Meer
versinken liefsen, und Demaratos konnte Xerxes keinen besseren Rath
geben, als dass er seinen Krieg gegen Sparta mit einer Besetzung von
Kythera beginnen solle (S. 96). Die gefahrliche Küsteninsel wurde
nochf gefährlicher, als sich während des peloponnesischen Kriegs eine
demokratische Partei daselbst bildete, welche mit Athen und namentlich
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ACHTES KRIEGSJAHR. KYTHBRA, THTRBA (88, 4; 419). 491 •
mit Nikias in Unterhandlung trat. So gelang es diesem, als er um die
Sommerzeit des achten Kriegsjahres mit sechzig Trieren und zwei-
tausend Schwerbewaffneten in Kythera landete, die beiden Inselstädte
ohne Schwierigkeit zu nehmen, eine Besatzung zurückzulassen und das
ganze Eiland in die attische Bundesgenossenschaft aufzunehmen.
Unmittelbar darauf wurden die schutzlosen Kästenstädte Lakoniens
geplündert und dann* eine Landung in Kynuria, dem Gränzlande
zwischen Sparta und Argos, gemacht, die zu blutigen Auftritten Anlass
gab. Hier waren nämlich die vertriebenen Aegineten (S. 405) ange-
siedelt, denen die Spartaner die Stadt Thyrea ubergeben hatten, um sie
als einen Gränzposten ihrer Landschaft zu benutzen. Sieben Jahre
hatten sie hier gesessen und waren beschäftigt, mit Hülfe lakedämo-
nischer Truppen einen wohlgelegenen Küstenplatz, 10 Stadien von
Thyrea, zu befestigen. Bei diesem Baue wurden sie von der attischen
Flotte überrascht, und da die Spartaner nicht den Muth hatten, den
Küstenplatz verlbeidigen zu helfen, sondern sich in das Gebirge zurück-
zogen, so wurde Thyrea ohne Schwierigkeit genommen und die Schaar
der Aegineten getödtet oder in die Gefangenschaft geschleppt.
Mit reicher Beute kehrte Nikias heim, nachdem er die Meerherr-
schaft Athens um eine wichtige und reiche Insel vergröfsert hatte.
Ueber die gefangenen Aegineten safs das Volk zu Gericht und verur-
teilte sie, als unversöhnliche Feinde der Stadt, zum Tode; es war eine
blutige Vergeltung für die Hinrichtung der Platäer, die das Beispiel
gegeben hatte, politische Gegner als Verbrecher zu strafen. Der mit
den Aegineten gefangene Spartaner Tantalos aber wurde zu den
Männern von Sphakteria in Verwahrsam gebracht. Die oligarchisch
Gesinnten, welche Nikias aus Kythera nach Athen geführt hatte,
wurden auf verschiedenen Inseln untergebracht und für Kythera selbst
ein jährlicher Tribut von 4 Talenten (18860 Mark) festgestellt. Nach
Besetzung von Minoa, Pylos, Methone, Kythera und Thyrea war der
ganze Peloponnes in einem vollständigen Belagerungszustande65).
Nachdem die Athener eine Zeitlang mit unverändertem Kriegs-
glücke den Peloponnes bekämpft hatten, gingen ihre Pläne weiter; sie
glaubten dem kühnen Demosthenes, dass die Zeit gekommen sei, nun
auch gegen ihre Feinde in Mittelgriechenland wieder energisch vorzu-
gehen, und auch hier wie im Peloponnes Waffenplätze zu gewinnen,
um gegen die Bundesgenossen Spartas entscheidende Schläge auszu-
fuhren.
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492
KRIEGSPLANE in mitteix.riecüenland. megara.
Böotien war jetzt die gefahrlichste, ja die allein gefahrliche Macht.
Es kam darauf an, diese Landschaft vom Peloponnes zu isoliren und
die Macht, welche man in Westgriechenland hatte, zu benutzen, um
von verschiedenen Seiten und mit allen jetzt verfügbaren Streitkräften
das verhasste Theben zu demüthigen. Zu diesem Zwecke bot sich zu-
nächst in Megara eine günstige Gelegenheit dar.
Dies unglückselige Ländeben hatte von allen Theilen Griechen-
lands am furchtbarsten unter derGeifsel des Bürgerkriegs zu seufzen;
ja man begreift kaum, wie bei den jährlichen Verheerungen desselben
und bei der fortwährenden Blokade der Seeküsten der kleine Staat
überhaupt noch fortbestehen konnte. Aber bei all dieser Noth und
dem Mangel an den notwendigsten Lebensbedürfnissen (selbst seiner
Salinen war es durch die Besetzung von Minoa beraubt worden) , ent-
spann sich in Megara selbst ein neuer Parteizwist , welcher die Folge
hatte, dass eine Anzahl der heftigsten Aristokraten ausgestofsen wurde.
Diese bemächtigten sich der westlichen Hafenstadt Pegai, sperrten nun
auch von dieser Seite jede Zufuhr ab und verheerten das ausgesogene
Ländchen. Die Folge war, dass sich eine Partei bildete, welche mit
den attischen Feldheim Demosthenes und Hippokrates, dem Sohne
Ariphrons, in Unterhandlung trat; denn sie wollten lieber die Athener
in ihrer Stadt haben, als die Verbannten.
Der Verrath wurde mit aller Umsicht vorbereitet; attisches
Schiffsvolk landete unvermerkt und drang, von Demosthenes geführt,
in das geöffnete Thor der langen Mauern ein, welche Nisaia und Megara
verbanden. Dann kam zur rechten Zeit das Landheer von Eleusis
an ; die peloponnesische Besatzung von Nisaia musste sich ergeben und
auch die Hauptstadt würde gefallen sein, wenn nicht Brasidas, der
mit Truppensammlung in der Nähe des Islhmos beschäftigt war, ein
Heer von 6000 Peloponnesiern und Böotiern zusammengebracht hätte.
Die beiden Heere standen sich in der Ebene gegenüber, aber die
Athener hatten nicht Lust, um den Besitz von Megara eine entschei-
dende Landschlacht zu wagen. Die Stadt kam dadurch in die Hände
der verbannten Partei, welche ihr oligarchisches Schreckensregiment
damit eröffnete, dass sie hundert Männer von den athenisch Gesinnten
zum Tode verurteilen Hefa, ein Bluturteil, welches sie durch An-
ordnung offener Abstimmung zu erzwingen wusste. Nisaia, das keine
Viertelmeile entfernt lag, blieb attisch; aber der Plan einer Besetzung
von Megaris und einer Absperrung des Istbmos war misslungen.
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ANGRIFF AUF DüOTIE* (89, 1; 424).
493
Nichts desto weniger setzte Demosthenes seine kühnen Unter-
nehmungen unverzagt fort und veranstaltete im Spätherbste mit
Hippokrates einen Angriff auf Böotien in gröfstem Maßstäbe. Denn zu
gleicher Zeit sollte erstlich von Naupaktos eine Landung an der Küste
des Landes gemacht, zweitens vom Parnasse aus (wo man auf die
Unterstützung der Phokeer rechnen konnte) Chaironeia besetzt und
endlich noch am euböischen Meere ein fester Küstenpunkt angelegt
werden, um die ganze Landschaft mit attischen Waffenplätzen zu um-
ringen und so die Widerstandskraft Thebens allmählich zu ermüden,
wie es mit Sparta schon gelungen war. Auch nach Euboia hatte man
in demselben Jahre einen Kriegszug unternommen , und aus dem Ge-
winn desselben eine Kornspende versprochen, die aber sehr unter der
Erwartung der Bürger von Athen blieb.
Diese kriegerischen Mafsregeln gegen Theben zu unterstützen,
waren gleichzeitig mit den demokratischen Parteigängern und allen
Feinden der thebanischen Hegemonie heimliche Unterhandlungen an-
geknüpft worden, welche das Gelingen zu verbürgen schienen. Aber
gerade in diesem Parteitreiben und in den verrätherischen Verbin-
dungen, welche nun immer mehr bei allen Kriegsunternehmungen den
Ausschlag geben sollten, lag die Schwäche des Kriegsplans, weil man
genöthigt war, vielerlei fremde und unzuverlässige Personen in da»
Geheimniss hereinzuziehen. Theben wurde gewarnt, und als Demo-
sthenes mit den akarnanischen Bundesgenossen vor Siphai, dem Hafen-
orte der Thespieer, erschien, fand er denselben zur Vertheidigung voll-
ständig ausgerüstet, und ebenso wurde die Ueberrumpelung von
Chaironeia vereitelt. Aufserdem hatte man sich in der Berechnung der
Zeit geirrt Der rastlose Demosthenes war zu früh gekommen, so dass
die Böotier, ehe sie von der Ostseite angegriffen waren, gegen ihn
ihre Gränzen vertheidigen und dann wieder ihre ganze Macht gegen
Hippokrates verwenden konnten.
Dieser nämlich hatte inzwischen alle waffenfähige Mannschaft,
über die Athen verfügen konnte, auch Schutzgenossen und Fremde,
aufgeboten, um über Oropos in das Gebiet der Tanagräer einzurücken
und hier an der Küste, Eretria gegenüber, Delion zu besetzen, einen
Tempelort des Apollon. der das Meer unmittelbar überragte und für die
Verbindung mit Euboia eben so wohl gelegen war, wie zur Be-
herrschung des Asoposthals. Aufser den Schwerbewaffneten waren
20,000 Mann dabei, welche mit Geräthen für Schanzarbeiten versehen
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SCHLACHT BEI DELIO> (89, l; 424).
waren. Ganz AÜien war in Bewegung, um in dem langen, erbitterten
Kampfe mit Böotien endlich etwas Entscheidendes auszuführen und
das wichtige Küstenland am Asopos in attische Gewalt zu bringen.
Da der Tempelort gänzlich verwahrlost und in Verfall gerathen war,
glaubte man wohl um so weniger ein Unrecht zu tbun, wenn man ihn
besetzte, da man diesen Gewaltschritt später durch Wiederherstellung
des Heiligthums sühnen konnte.
Am dritten Tage nach dem Ausmarsche begann die Verschanzung
und am fünften Tage war ein vertheidigungsfähiger Waflenplatz mit
Wall und Graben hergestellt. Hippokrates blieb in'Delion, um die
Vollendung des Werks zu beaufsichtigen ; das Heer kehrte zurück, und
Alles schien nach Wunsch gelungen zu sein. Inzwischen hatten sich
aber die Böotier bei Tanagra gesammelt, und obgleich die meisten der
Führer abgeneigt waren, mit den Athenern, welche schon wieder an
der Gränze waren, den Kampf zu suchen, so überwog doch die
Stimme des Pagondas, welcher unter den elf Böotarchen gerade an
der Reihe war das Commando zu führen. Er war ein thebanischer
Aristokrat, ein Mann von entschlossener Tbatkraft und eindringender
Beredsamkeit Er wusste die Truppen zu überzeugen, dass man die
Athener nicht aus dem Lande heraus lassen dürfe, ohne dass sie für
ihren frechen Einbruch Bufse zahlten. Er wusste zugleich die günstige
Gelegenheit wahrzunehmen, um das abziehende Heer durch einen
Flankenangriff zu überraschen. Hippokrates eilte zum Heere, das eine
halbe Stunde von Delion Halt gemacht hatte. In den Schluchten des
Gebirges trafen die Truppen zusammen. Den 7000 schwerbewaffneten
Bootiern war die attische Macht an Zahl gewachsen ; aber die Masse
der Leichtbewaffneten war schon weit nach Athen voraus. Außerdem
hatten die Böotier den Vortheil des Angriffs, den sie versteckt vorbe-
reiten konnten. Es entspann sich ein furchtbarer Kampf. Den Einen
schwebte der Sieg von Koroneia , den Andern der von Oinophyta vor
Augen. Die Athener warfen glücklich den linken Flügel der Feinde,
aber auf der andern Seite erlangte die Wucht der the Dänischen
Phalanx, welche 25 Mann tief aufgestellt war, einen vollständigen Sieg,
so dass auch der siegreiche Flügel der Athener in die allgemeine Flucht
hereingezogen wurde. Die Reiterei wurde in wirksamster Weise be-
nutzt, und obgleich der Kampf erst Nachmittags begonnen hatte und
die Nacht den Flüchtenden günstig war, so blieb doch Hippokrates
selbst mit fast tausend Bürgern auf der Wahlstätte.
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BRASIDAS' KRIEGSPOLITIK
495
Siebzehn Tage lagen sie daselbst unbestattet; ein unerhörter Fall
in der Geschichte des Kriegs; denn bei aller Verwilderung war doch
das Recht der Todten den Griechen heilig geblieben, und noch niemals
war die Bestattung von Seiten des Siegers an Bedingungen geknöpft
worden. Aber die Böotier, welche das Schlachtfeld inne hatten,
weigerten sich die Leichen herauszugeben, bis DeJion geräumt wäre,
indem sie jetzt auf einmal eine grofse Gottesfurcht zur Schau trugen
und im Namen Apollons solche Forderung zu stellen sich berechtigt
fühlten. Das Ende dieses widerwärtigen Streits wurde dadurch herbei-
geführt, dass die Böotier mit korinthischer Hülfe Delion eroberten.
Der gröfsere Theil der Besatzung rettete sich aus der brennenden Feste
auf die Schiffe; 200 wurden zu Gefangenen gemacht. So war der
Kriegsplan gegen Böotien auf allen Punkten gescheitert und der sieges-
stolze Sinn der Athener durch eine schwere Niederlage auf das Tiefste
gedemüthigt; denn sie erkannten, was für feindliche Mächte noch un-
bezwungen ihnen gegenüberstanden66).
Aber auch Sparta ermannte sich von Neuem. Sein Unglück hatte
begonnen , als Brasidas im pylischen Hafen zu Boden sank (S. 478) ;
sein Geschick wendete sich , als dieser Held genas und nun keinen
andern Gedanken im Sinne trug , als seine Vaterstadt an ihren über-
müthigen Feinden zu rächen.
Brasidas , der Sohn des Tellis , gehörte wie Demosthenes zu den
Männern, welche im Kriege selbst zu Feldherrn gereift waren und
sich aus den Erfahrungen desselben ihre Kriegspolitik gebildet hatten.
Er war ein glühender Patriot und begeistert für den Beruf seiner
Vaterstadt, an der Spitze der Hellenen zu stehen, aber das volle Gegen-
bild der damaligen Spartaner, eben so entschlossen und that kräftig,
wie diese lahm und schwerfällig waren, ein Mann von altspartanischer
Ehrliebe und Rechtschaffenheit und eben darum ein entschiedener
Gegner der oligarchischen Kreise, aus denen die Ephoren gewählt
wurden, welche durch eine eben so unredliche wie unverständige und
gedankenlose Politik Sparta in Unglück und Unehre verkommen
liefsen. Er erkannte, dass man einen mächtigen Feind nicht besiegen
könne, ohne von ihm zu lernen und seine starken Seiten sich anzu-
eignen; er war Staatsmann und Feldherr in einer Person, wie die
Besten der Athener, und zugleich der hellenischen Rede mächtig, wie
kaum ein anderer Lakedämonier vor ihm gewesen war. Obwohl er
überall , wo ihm zu handeln Gelegenheit gegeben war , sich glänzend
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DRASIDAS' KRIEGSPOLITIK.
bewährt, obgleich er Methone und Megara gerettet und selbst die Flotte
Albens in grobe Bedräugniss gebracht hatte (S. 404, 417,492), so
war dennoch in dem engherzigen Sparta, wie leicht zu begreifen ist,
dem hervorragenden Manne keine entsprechende Thätigkeit angewiesen
worden; er hatte nur an einzelnen Punkten helfen und nur in unter-
geordneter Stellung wirken können, und doch ging sein feuriges
Streben dahin, die ganze Politik Spartas aus ihrem Schlendrian heraus-
zureifsen und ihr die richtigen Wege zu zeigen.
Seine Pläne waren sehr einfach und klar. Sparta, so dachte er,
muss aus seinem Belagerungszustande heraus; es muss wieder an-
greifend vorgehen, um seine Waffenehre herzustellen. Athen selbst
kann der gefangenen Spartaner wegen nicht angegriffen werden, und
dieser Umstand ist ein Glück für Sparta, indem es dadurch zu wirk-
sameren Angriffsweisen genöthigt wird. Athen muss auf seinem
Bundesgebiete angegriffen werden. Das ist die Lehre, welche die
Mytilenäer gegeben hatten, und Niemand wusste besser, was damals
versäumt war, als Brasidas, welcher dem unfähigen Alkidas beigegeben
war, als dieser von Lesbos heimkehrte. Das Versäumte muss nach-
geholt und die nächste Gelegenheit benutzt werden, den Krieg in die
Colonialländer Athens zu verlegen, und zwar so, dass der erste Erfolg
nicht von einem Flottenkampfe abhängig ist; d. h. man muss von der
Landseite den attischen Bundesorten beizukommen suchen. Zu einem
Einfalle in so ferne Gebiete kann man aber kein spartanisches Bürger-
Ii eer gebrauchen; dazu bedarf es eines anderen Materials, das sind die
Heloten.
Vor den Heloten im eigenen Lande ängstigten sich die Spar-
taner mehr als vor den Feinden draufsen, namentlich jetzt bei der
Nähe der feindlichen Waflenplätze in Kythera und Pylos. Hatte man
doch vor Kurzem erst zwei tausend Heloten, die kriegstüchtigste
junge Mannschaft, durch den schändlichsten Venrath bei Seite ge-
schallt, nachdem man ihnen aufs Feierlichste die Freiheit verheifsen
hatte. Das war Spartas Dank für die treue Hingebung der Heloten bei
Sphakteria !
Niemand empfand das Schmachvolle eines solchen Verfahrens
tiefer als Brasidas; er erkannte aber auch die Thorheit des Staats,
der die besten Kräfte seines Landes freventlich vernichtete. Ihm
leuchtete ein, dass man sie aufserhalb der Heimath verwenden müsse,
indem man spartanische Feldherrn mit Heloten und Peloponnesiem
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ATHENS THRAKISCHE BESITZUNGEN.
497
in die Colonien schickte, welche zum Abfalle von Athen bereit wären,
um die Erhebung derselben zu unterstützen und in ihrem Gebiete sich
die Hülfsmiltel anzueignen, welche zu einer endlichen Besiegung
Athens unentbehrlich waren. Denn das musste jetzt auch dem kurz-
sichtigsten Spartaner klar geworden sein, dass ohne Flotte keine Ent-
scheidung des Kriegs möglich sei. Deshalb hatte man sich nach
Vereitelung der letzten Friedensverhandlungen schon an den Grofs-
könig gewendet, und im vergangenen Winter war ein Bevollmächtigter
desselben den Athenern in die Hände gefallen, welcher den Auftrag
hatte nach Sparta zu gehen, um sich klare Auskunft über die Ab-
sichten der Spartaner zu verschaffen. Jetzt bot sich eine Gelegenheit
dar, um in würdigerer Weise zum Ziele zu gelangen. Sie knüpfte sich
an die Person des Brasidas.
Obwohl Brasidas noch kein selbständiges Commando bekleidet
hatte, so war er doch als der einzige Held und Staatsmann, den
Sparta hatte, schon weit bekannt. Die Korinther, mit denen er
in Beziehung stand (S. 462), hatten gewiss nicht unterlassen, auf
ihn hinzuweisen, und so waren auch die fernen Colonien mit
seinem Namen bekannt und hofften von ihm Hülfe gegen Athen zu
erlangen.
Hülfsbedürftig fühlten sich damals aber vor allen andern die
thrakischen Küstenstädte; denn diese waren noch unter Waffen;
Olynthos (S. 370) trotzte noch immer den Athenern, aber zu einem
nachhaltigen Widerstande fühlten sich die Städte nicht kräftig genug,
und sie mussten voraussetzen, dass Athen sein jetziges Waffenglück
ohne Säumniss benutzen werde, um seine volle Herrschaft in Thrakien
herzustellen. Welches Schicksal aber dann die Abtrünnigen erwartete,
lehrte das Beispiel von Mytilene. Unter diesen Umständen war es
rathsam, sich bei Zeiten nach fremder Hülfe umzusehen. Ihre ganze
Hoffnung ruhte auf Brasidas. Perdikkas von Makedonien, der erste
König des Nordens, welcher auf die griechischen Angelegenheilen
einen Einfluss geltend gemacht hat, begünstigte ihre Bestrebungen,
weil er damals mit dem Fürs tengeschlechte der Lynkesten im Streite
lag und die rasche Beendigung desselben mit Hülfe fremder Truppen
zu erreichen wünschte. Darum schickte auch er Gesandte nach Sparta,
um die Aussendung des Brasidas dringend zu befürworten und seiner-
seits allen Vorschub zu versprechen.
Dem spartanischen Feldherrn konnte keine Gelegenheit geboten
Curtio», Or. QflMh. II. 6. Aufl. 32
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498
RRASIDAS' KRIEGSI'OLITIK.
werden, welche seinen Kriegsplänen mehr entsprach als diese. An der
thrakischen Küste waren die Goldbergwerke noch unerschöpft und
Schiflsbauholz in Fülle. Dort war der beste Küstenplatz im ganzen
Archipelagus, um einen Floltenbau zu beginnen, dort war bei Weitem
das günstigste Kriegstheater gegen Athen; dort war noch am meisten
trotziger Unabhängigkeilssinn und ungebrochene Kraft vorbanden;
kein Colonialland war den Athenern wichtiger, und keines schwieriger
für sie zu behaupten, als das thrakische Küstenland.
Dennoch würden die Behörden Spartas auch bei den günstigsten
Aussichten diese Unternehmung schwerlich gebilligt haben, wenn sie
Opfer verlangt hätte. Da aber die chalkidischen Städte den Unterhalt
der Truppen übernahmen und firasidas nur 700 Heloten als Kriegs-
geleit verlangte, so billigte man den Zug, so abenteuerlich er auch den
Meisten erschien. Es schien wenig dabei gewagt zu werden. Den
Einen mochte es ganz recht sein, wenn der unruhige Neuerer mit
seinem edlen Kriegsvolke draufsen für seine Tollkühnheit hülsen
musste; die Anderen hofften im besten Falle, dass man einzelne Plätze
gewinnen könne, welche zur Auswechselung gegen die von Athen
besetzten Orte und zur Befreiung der Gefangenen benutzt werden
könnten; denn auf kürzestem Wege zum Frieden zu gelangen, war der
in Sparta allgemein vorherrschende Wunsch. Unter diesen Umständen
gelang Brasidas der kühne Griff, den Krieg auf einmal aus dem ein-
geschlossenen Peloponnes in ein fernes Colonialland der Athener zu
verlegen, wo man nicht nur freie Hand halte, sondern auch neue
Bundesgenossen und Kriegsmittel gewann. Es war die erste grofse und
kluge Unternehmung Spartas im peloponnesischen Kriege; es war der
Anfang einer neuen Kriegführung auf einem andern Schauplatze, mit
anderen Kriegsmitlein und in einem ganz anderen Geiste, als bisher;
es war der entscheidende Wendepunkt der ganzen Kriegsgeschichte,
der so unerwartet eintrat, dass die umsichtigsten Zeilgenossen an die
Möglichkeit einer solchen Wendung gar nicht gedacht hatten67).
Dafür giebt die Schrift 'vom Staate der Athener1 ein merkwür-
diges Zeugniss, eine politische Flugschrift, welche in demselben Jahre
entstanden ist, mitten aus den Erfahrungen der Kriegsjahre heraus
geschrieben, eine unschätzbare Ergänzung der Kriegsgeschichte des
Thukydides.
Der Verfasser ist ein entschiedener Gegner der Demokratie. An
ihm sehen wir, wie das nachperikleische Athen in sich entzweit ist.
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DIE SC BMFT 'VOM STAAT DER ATHE>BR'
499
Seine Bürger gehorchen den GeseUen einer Verfassung, aber die
aristokratisch Gesinnten stehen ihr wie Fremde gegenüber und sprechen
von dem Demos wie von einer feindlichen Macht. Die alte Tradition
war durch die Pestjahre zerrissen. Die Bürgerschaft ist ein Mischvolk
geworden, zersetzt durch fremdländische Griechen und Barbaren,
welche der Gewinn herbeilockt und die Menge der Feste. Das ent-
artete Athen ist den Aristokraten ein Sitz der Ungerechtigkeit, denn
Alles ist zum Vortheil der kleinen Leute eingerichtet, welche nichts
zu verlieren haben, und zum Nachtheile der Gebildeten und Be-
sitzenden ; denn diese haben alle Kriegslasten zu tragen und müssen
im Felde auf ihre Gefahr die verantwortlichsten Stellen übernehmen.
Die Bundesgenossen werden wie Sklaven behandelt und sehen sich
gezwungen den Athenern zu schmeicheln , weil es ihre Richter sind.
Der öffentliche Geschäftsgang ist so schwerfallig, dass Auswärtige
unter Umständen ein Jahr warten müssen, ehe sie bei den Behörden
Vortritt erlangen.
So streng aber auch der Verfasser mit den innern Zuständen in
das Gericht geht, ebenso entschieden erkennt er in BetrefT der aus-
wärtigen Verhältnisse die günstige Lage der Stadt an. Hier war das
Erbe der perikleischen Zeit noch unverkürzt erhalten. Der Kriegsplan
des Perikles hatte sich glänzend bewährt. Denn mit der See be-
herrschte Athen auch das Land der Hellenen. Mit seinen Schiffen
sperrte es den Sund von Rhion; Atalante, Minoa, Kythera, Methone,
Pylos waren in den Händen der Athener. Für die Herren der See gab
es keine Schranke. Sie konnten sich von ihrem Centrum beliebig ent-
fernen, sie konnten sich die wichtigsten Küstenplätze nach Wunsch
aussuchen und unvermuthet am Platze sein. Dagegen hat eine Land-
macht, wenn sie auch die erste ist, mit den gröfsten Schwierigkeiten
zu kämpfen, um in langen und gefahrlichen Tagemärschen ein ent-
ferntes Ziel zu erreichen.
So schreibt der Verfasser des 'Staats der Athener' im Jahre 424
(88, 4 — 89, 1), indem er das bundesgenössische Gebiet der Stadt für
vollkommen unangreifbar hielt, und in demselben Jahre machte sich
Brasidas auf den Weg, um im fernsten Küstengebiet von der Landseite
her die Seemacht der Athener zu erschüttern. Es war das erste Mal,
dass Sparta alle Erwartungen überflügelte, welche von seinen An-
hängern und Bewunderern gehegt wurden*7*).
Freilich war Brasidas auch nach Einwilligung der Behörden noch
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500
BRASIDAS IN THESSALIEN (89, 1; 424).
weit vom Ziele, und es erhoben sich Schwierigkeiten, welche für jeden
andern Spartaner unübersteiglich gewesen wären. Die erste Gefahr
erlebte er noch im Peloponnes ; denn wenn Megara den Athenern in
die Hände gefallen wäre, so hätte Brasidas am Isthmos stehen bleiben
müssen. Indess gelang es ihm in letzter Stunde den wichtigen Platz
zu retten (S. 492) und sich freie Bahn zu schaffen. Während dann
die Athener ganz mit ihren Operationen gegen Theben beschäftigt
waren, zog er, verstärkt durch tausend Mann, welche er im nördlichen
Peloponnes für thrakisches Geld geworben hatte, durch Böolien nach
Herakleia (S. 468). Hier begannen die eigentlichen Schwierigkeilen ;
denn ganz Thessalien musste durchmessen werden, ehe Brasidas in
das Gebiet seiner Verbündeten gelangte. Ein solcher Truppenmarsch
war nach griechischem Völkerrechte nur gestattet, wenn die Landes-
behörden ihre Zustimmung gegeben halten. Die Bevölkerung Thes-
saliens war aber der grofsen Mehrheil nach den Athenern zugethan,
und sie war neuerdings durch die Anlage von Herakleia mehr als je
gegen Sparta in Aufregung. Es war also kein geringes Wagniss,
mit einer kleinen Heerschaar, welche die Aufgabe halte, attische Co-
lonien abtrünnig zu machen , mitten durch das unbekannte und feind-
lich gestimmte Land voll kriegerischer Stämme hindurchzugehen.
Indessen verliefs sich Brasidas auf den ungeordneten Zustand der
öffentlichen Verhältnisse in Thessalien. Denn noch immer standen,
wie zur Zeit der Perserkriege, in den einzelnen Städten Volkspartei
und Adel einander schroff gegenüber, ohne dass es einer Partei ge-
lungen wäre, ein dauerndes Uebergewicht zu erlangen; die Macht der
alten Geschlechter, welche ihrer antinationalen Haltung wegen von
Leotychides gebrochen werden sollte (S. 141), hatte sich noch immer
behauptet, und der Verrath, den Spartas König vor 45 Jahren begangen
hatte, kam jetzt den Spartanern zu Gute. Denn die damals persisch
gesinnte Partei war nun auf Seile von Sparta. Mit ihr setzte sich
Brasidas also in Verbindung. Zu ihr gehörten auch die Anhänger und
Gastfreunde des Perdikkas und der Chalkidier; sie kamen dem Feld-
herrn nach Südlhessalien entgegen, um ihn durch das Land zu geleiten.
Mit ihrer Hülfe führte Brasidas seine Absichten so klug und ent-
schlossen durch, dass die Bevölkerung des Landes erst in Alarm
gerieth, als er auf dem Wege nach Pharsalos den Enipeusfluss über-
schreiten wollte. Hier wurde ihm von thessalischen Haufen der Ueber-
gaug streitig gemacht. Es kam zu Unterhandlungen. Brasidas wusste
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BRASIDAS IN THRAKIEN (89, 1 ; 424 HERBST).
501
die Aufregung der Bevölkerung zu beschwichtigen ; er überzeugte sie,
dass er nicht in feindlicher Absicht gekommen sei, wie etwa Demo-
athenes in Aetolien eingedrungen wäre; er wolle nur freien Durchzug,
und auch diesen werde er nie erzwingen wollen. Während nun die
Thessalier heimgingen, um eine weitere Beratschlagung zu veran-
lassen , rückte Brasidas auf Anralhen seiner Führer in beschleunigten
Märschen weiter und gelangte glücklich über die Pässe des Olympos,
ehe die Gesammtheit der Thessalier über die Zulässigkeit dieses
Durchzugs einen Beschluss zu Stande gebracht hatte.
In Makedonien erkannte er bald die Unzuverlässigkeit des Per-
dikkas, der ihn wie einen Condottiere benutzen wollte, um durch seine
Hülfe Arrhabaios, den Häuptling der Lynkesten, welche im oberen
Berglande ihre Unabhängigkeit aufrecht erhalten wollten, zu besiegen.
Brasidas aber hatte keine Lust, sich hier in Kämpfe verwickeln zu
lassen , welche ihm ganz gleichgültig waren ; auch hielt er es nicht für
vortheilhaf t , den makedonischen König von seinem Gegner völlig zu
befreien, weil derselbe dann für Sparta ein um so lässigerer Bundes-
genosse sein würde; er zog es daher vor, den Streit der Fürsten durch
Vertrag zu vermitteln, obgleich Perdikkas damit schlecht zufrieden
war und einen Theil der versprochenen Subsidien sofort zurückzog.
Brasidas aber gewann freie Hand, um noch vor Ende des Sommers
quer über den Rücken der cbalkidischen Halbinsel hinüber an den
strymonischen Meerbusen zu gelangen, wo die Städte lagen, von
welchen die Aufforderung zur Hülfe an ihn gekommen war. Hier war
die verwundbare Ferse der attischen Macht. Hier wohnten streitbare
Völker, die ihre Geschichte begannen, und denen Athens Seemacht im
Wege stand. Wer an diesen Küsten festen Fufs fasste, konnte mit
Hülfe der Nordwinde den Archipelagus beherrschen. Als Brasidas hier
auftrat, da war es nicht eine einzelne Wetterwolke, die am Horizont
aufzog, sondern ein Umschwung aller Verhältnisse, der in unschein-
baren Ereignissen seinen Anfang nahm.
Brasidas zog zuerst vor die Thore von Akanthos, einer blühenden
Stadt an dem Isthmus des Athosgebirges, welchen Xerxes durchge-
graben hatte. Die Aufnahme, welche er hier fand, entsprach seinen
Erwartungen nicht. Denn er überzeugte sich bald, dass nur eine
Minderzahl der Bürger ihm günstig sei und dass durchaus nicht alle
Gemeinden, wie er geglaubt hatte, in einer Erhebung gegen Athen
begriffen wären. Er verlangte darum auch nicht mehr, als dass er
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VERHANDLUNGEN MIT AKANTHOS.
allein zugelassen werde, um der versammelten Bürgerschaft seine Ab-
sichten offen darlegen zu können. Er wurde eingelassen und zeigte
in der Versammlung eine Gewandtheit der Rede, welche im Munde
eines Spartaners eben so überraschte wie die unglaubliche Geschwindig-
keit, mit welcher er von Sparta an das thrakische Meer gelangt war,
Staunen erregte. Er redete nicht für die Akanthier allein, sondern
zugleich für alle benachbarten Städte und entwickelte ihnen nun zum
ersten Male das Programm seiner kriegerischen und politischen
Thätigkeit.
Der ganze Krieg, sagte er, sei hier in Thrakien zum Ausbruch
gekommen. Damals habe Sparta gleich den Städten seine Hülfe ver-
sprochen; bis jetzt sei es aber durch den unvorhergesehenen Gang
des Kriegs ferngehalten worden; endlich sei der Augenblick gekom-
men, wo es sein Wort löse und seinen Beruf als Befreier der unter-
drückten Pflanzstädte bewähre. Sparta darin zu unterstützen sei die
Pflicht aller Hellenen, und ihnen, den Akanlhiern, sei die Ehre zu-
gefallen, den Grundslein des Befreiungswerkes zu legen. Das Beispiel
einer so angesehenen und ihrer Einsicht wegen anerkannten Bürger-
schaft sei von grofser Wichligkeil. Keine Furcht dürfe sie zurück-
halten, sich zu ihrem eigenen Ruhme an dem Werke zu betheiligen.
Denn er könne ihnen auf das Feierlichste verbürgen, dass er keinen
Umsturz der Verfassung, keine Auslieferung der Volksfreunde an die
Gegenpartei, überall keine Gewaltmafsregeln beabsichtige, sondern die
volle Selbständigkeit aller Gemeinden in Ehren halten werde; dazu
hätten auch die Behörden Sparlas ihm gegenüber sich eidlich ver-
pflichtet. Andererseits könne er aber nicht zugeben, dass sein grofses
nationales Werk durch eigensinnigen Widerstand einzelner Städte ver-
eitelt werde, und deshalb sehe er sich im Falle der Weigerung ge-
zwungen, als Feind aufzutreten und durch Verheerung des Gebiets den
Anschluss an Sparta mit allen Mitteln zu erzwingen. Dann würden sie
mit vernichtetem Wohlstande sich dazu bequemen müssen, was sie
jetzt ohne Schaden zu erleiden und sogar mit grofsem Ruhme frei-
willig thun könnten.
Trotz der gewinnenden Rede und der drohenden Gefahr machte
sich eine grofse Meinungsverschiedenheit geltend, und wenn die Ab«
Stimmung unter den Bürgern schliefslich doch zu Gunsten des Brasidas
ausfiel, so lag der Hauptgrund iu dem Umstände, dass die Weinberge
rings um die Stadt herum eben zur Lese reif waren und die Bürger
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BRASIDAS AM STRYMON (89, 1; 491 WINTER). 503
sich nicht entschließen konnten, den ganzen Jahre9segen preiszu-
geben. Akanthos öffnete seine Thore. Es war der erste Erfolg, den
Sparta am thrakiscben Meere gewann, ein unblutiger, aber um so
glänzenderer Sieg, welcher dem Vertrauen erweckenden Eindrucke
einer kräftigen und gewandten Persönlichkeit verdankt wurde. Es
war damit der Grund zu einer neuen Bundesgenossenschaft gelegt
worden, welche durch weise Schonung fremder Rechte und Aner-
kennung der bestehenden Verfassungen im Stande war, die wich-
tigsten Plätze der attischen Seeherrschaft auf die Seite Spartas hin-
überzuziehen.
Das Beispiel der Akanthier wirkte unmittelbar auf die Nachbar-
s lädt e, welche ebenfalls von Andros herstammten; zunächst auf
Slageiros und Argilos. Ehe der Sommer zu Ende ging, war Brasidas
Herr an der westlichen Seite des strymonischen Meerbusens. Von
vielen Städten kamen Gesandtschaften, welche ihm huldigten, und mit
Einbruch des Winters, um die Zeit der Niederlage des Hippokrates
bei Delion, konnte er, ohne Widerstand zu finden, gegen Amphipoüs
vorrücken, die Golonie des Hagnon (S. 260), die Hauptstadt der ganzen
Gegend, welche den kleineren Nachbarstädlen, namentlich Argilos,
schon längst ein Dorn im Auge gewesen war; deshalb haben sie mit
gröfstem Eifer die Unternehmung dahin befördert.
Als die Kunde von dem Zuge des Brasidas nach Athen gelangte,
blieb man hier nicht gleichgültig. Man erklärte dem Könige Perdikkas
sofort den Krieg und gedachte des Schutzes der Bundesstädte, aber zu
raschen und kräftigen Mafsregeln kam es nicht. Der Muth der Bürger-
schaft war durch das böotische Unglück gelähmt; man konnte sich
nicht entschliefsen, im Spätjahre, wo die Nordwinde herrschten, eine
Flotte nach Thrakien auszurüsten. Man verkannte die neue Gefahr
nicht, aber man hielt sie nicht für so dringend, um die Unlust zu
überwinden, welche man gegen thrakische Winterfeldzüge hatte. So
blieb denn einstweilen die Vertheidigung des gefährdeten Küstenlandes
zwei Männern überlassen, welche für den ganzen Kriegsschauplatz ver-
antwortlich waren und doch nur so geringe Streitkräfte zur Verfügung
hatten, dass es ihnen unmöglich war, in wirksamer Weise den Fort-
schritten des Brasidas entgegenzutreten. Der Eine war Eukles, der
Andere Thukydides, der Sohn des Oloros (S. 287), ein naher Ver-
wandter des Miltiades und Abkömmling eines thrakischen Königs-
geschlechts. Thukydides selbst besafs Goldminen an der Küste, war
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EUKLES UND THUKYDIDES
mit einer Thrakierin verheirathet und genoss in den umliegenden
Städten eines greisen Ansehens.
Die beiden Befehlshaber halten sich in die Beaufsichtigung der
wichtigsten Punkte zu theilen. Eukles übernahm das Commando in
Amphipolis, Thukydides lag mit sieben Kriegsschiffen in der Bucht von
Thasos. Die Wahl dieses Standorts kann nicht eine Laune des
Thukydides gewesen sein, sondern sie mussle entweder auf einer Ver-
abredung zwischen beiden Feldherrn oder auf Instruktionen von Athen
beruhen, und sie erklärt sich daraus, dass man den Bergwerkdistrikt
Thasos gegenüber für besonders gefährdet hielt. Die Bevölkerung
daselbst war, wie die nächsten Ereignisse zeigten, im höchsten Grade
unzuverlässig; man gedachte der alten Verbindungen Spartas mit den
Thasiern und seiner Absichten auf die Goldküsle (S. 142) und hielt
ohne Zweifel Thukydides für den Mann, der mehr als alle Anderen
geeignet sei, durch sein persönliches Ansehen einer feindlichen Er-
hebung an jener Küste mit Erfolg entgegen zu wirken.
Was Amphipolis betrifft, so schien hier eine Vermehrung der
Streitkräfte für's Erste nicht geboten zu sein. Denn nach allen bis-
herigen Kriegserfahrungen konnte man bei einer mit Waffen und
Vorräthen ausgerüsteten, durch Strom und Mauer so wohl befestigten
Stadt, wie Amphipolis, wo ein attischer Feldherr den Oberbefehl
führte, einer geringen peloponnesischen Schaar gegenüber an eine
plötzliche Gefahr unmöglich denken. Aber man halte sich getäuscht,
und zwar nicht nur in Betracht der Klugheit und der Energie des
Brasidas, sondern auch in Ansehung der Bürgerschaft. Denn diese
bestand nur zum kleinsten Theile aus Athenern, die grofse Mehrzahl
• aber aus einem bunten Volksgemenge, das sich an dem neuen
Handelsplatze zusammen gefunden hatte und weder in sich einen
festen Zusammenhang besafs, noch auch den Athenern im Ganzen
mit Treue anhing. Von dieser Bevölkerung war ein Theil von Per-
dikkas gewonnen , und Andere hielten es heimlich mit ihren Lands-
leuten, den aufständischen Ghalkidiern.
Nachdem also Brasidas mit diesen ein Einverständniss angeknüpft
hatte, ging er mit seinen Truppen gegen den Strymon vor, von den
Argiliern geführt, deren Gebiet bis an den Strom reichte. Es war eine
rauhe Winternacht, in welcher Schnee fiel und Keiner eines Angriffs
gewärtig war. Mit Tagesanbruch stand er unvermuthet unterhalb der
Stadt an der Brücke, welche so schwach besetzt war, dass er die
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FALL VON AMPHIPOLIS (89, 1; 424).
505
Mannschaft ohne Mühe bewältigte. Die Stadt selbst war auf nichts
vorbereitet Eine grofse Anzahl von Bürgern fiel sogleich in seine
Hand, und ein rascher Angriff würde ihn sofort zum Herrn der Stadt
gemacht haben; er zog aber den Weg der Milde vor und stellte den
Einwohnern die günstigsten Bedingungen. Es sollten Alle, die in der
Stadt wären, Athener wie Amphipoliten, nach Belieben bleiben oder
gehen dürfen; Keinem solle ein Leid geschehen. Diese Milde über-
raschte und entwaffnete jeden Widersland; die lakedämonisch Ge-
sinnten, von den Angehörigen der vor der Stadt Gefangenen unter-
stützt, fanden immer offenere Beistimmung, und EukJes sah sich
aufser Stande, die Stadt zu halten. Wenig Stunden nach ihrer Ueber-
gabe lief Tbukydides, der auf die erste Kunde von der Gefahrdung von
Amphipolis seinen Standort verlassen hatte, mit seinem Geschwader
in den Slrymon ein, befestigte rasch die unlere Stadt, Eion, deren
Bevölkerung auch schon an Unterhandlung dachte, sammelte hier die
flüchtigen Athener und verlheidigte den Platz, dessen Besetzung
Brasidas für den nächsten Morgen sich vorbehalten hatte. Denn ohne
Eion hatte Amphipolis nur halben Werth für ihn, weil er die Mündung
des Flusses nicht in der Gewalt hatte. Auch der untere Küstenweg
war durch Eion gesperrt. Thukydides war also der Einzige, der in
dieser Zeit einen Erfolg erreichte 'und mit geringen Mitteln die Ab-
sichten des Brasidas, der sich schon im Besitze des Slrymon wähnte,
vereitelte. Dennoch traf ihn wegen des Falls von Amphipolis der Zorn
der Bürgerschaft und trieb ihn in die Verbannung. Er war damals
acht und vierzig Jahre alt und wendete nun seine unfreiwillige Mufse
dazu an, die Geschichte des Kriegs zu schreiben, an welchem er bis
dahin im Dienste seiner Vaterstadt einen thätigen Antheil genommen
hatte.
Es ist wahrscheinlich, dass Thukydides des Landesverrates ange-
klagt und schuldig befunden wurde, sei es dass er nur aus Fahrlässig-
keit oder auch aus übler Gesinnung die Interessen des Staats be-
schädigt haben sollte. Der hochherzige Mann, welcher seine Abneigung
gegen das herrschende System der Demokratie nicht versteckt haben
wird, musste den damaligen Machthabern missliebig sein, und es
konnte seinen mächtigen Feinden nicht schwer werden, den geborenen
Aristokraten, den Verwandten ausländischer Fürsten, den reichen
thrakischen Grundbesitzer, als einen schlechten Patrioten darzustellen
und die Verstimmung der Bürger zu seinem Schaden auszubeuten.
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DIE SCHULD DES THUKYDIDES.
Thnkydides selbst, welcher in diesem Wendepunkte seines Lebens
sein eigener Geschieh tscbreiber ist, hat in strenger Enthaltsamkeit
nichts gelhan, um den Verdacht einer wirklichen Schuld von sich ab-
zuwälzen; er sagt nur, Eukles sei der Hüter von Amphipolis gewesen,
und damit lehnt er in schlichter Kürze die Verantwortlichkeit für
Amphipolis von sich ab; denn unmöglich konnte bei dem raschen
Gange der Ereignisse ein Mann zu gleicher Zeit die Lage der Dinge
am Strymon und an der Bucht von Thasos überschauen. Wenn daher
Einer der Feldherrn Schuld trägt, so ist es Eukles; seine Aufgabe war
es, die Stimmung in Amphipolis zu prüfen; er hat sich von Brasidas
vollständig überraschen lassen, obgleich dessen Absichten nicht zweifel-
haft sein konnten; er hat es unbegreiflicher Weise versäumt, den
wichtigsten Punkt, der zugleich am leichtesten zu verlheidigen war,
die Strymonbrücke, zu verschanzen und mit hinreichender Mannschaft
zu decken. Dieser Punkt konnte gewiss so lange gehalten werden, bis
Hülfe herbei kam , und der Abfall der Bürgerschaft erfolgte erst, als
Brasidas mit ihr in Unterhandlung getreten war und die Geiseln
in Händen hatte").
Der Fall von Amphipolis machte bei Freund und Feind den tief-
sten Eindruck. Athen war an der empfindlichsten Stelle getroffen,
seine Schwäche war aufgedeckt, seine Küsten herrschaft erschüttert.
Noch eben hatte Eupolis (S. 306) in seinem Lustspiele 'die Städte'
die ganze Reihe zinspflichtiger Bundesorle den stolzen Athenern vor
Augen geführt, und jetzt war der Kranz zerrissen, eine der wichtigsten
Pflanzstädle Athens auf einem mit so viel Blut erkauften Boden
von den Lakedämoniern mühelos gewonnen, dreizehn Jahre nach-
dem sie mit so viel Glanz gegründet war, der Stolz Athens, eine Stadt,
welche ansehnliche Einkünfte lieferte, die Hauptstadt mit Schiff-
bauholz versorgte und die Verbindung zwischen dem östlichen
und westlichen Thrakien, zwischen Makedonien und dem Hellespont
beherrschte Ä9).
Brasidas dachte an keine Winterruhe, er wollte die Gunst der
Umstände ungesäumt benutzen, um sich vor Ankunft feindlicher
Schiffe in Thrakien so fest wie möglich zu setzen. Er zog deshalb mit
seinen neuen Bundesgenossen, unter denen kecke und der Gegend
wohl kundige Parteiführer waren (wie namentlich Lysistratos aus
Olynthos), gegen die Städte der 'Akte'; das ist die östliche der drei
Felszungen, welche südlich im Athosberge sich gipfelt, ein Felsland
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BRASIDAS' EROBERUNGEN (89. 1 ; 48^)-
507
wie die beutige Maina in Lakonien , wo sich trotz des umflulh enden
Meeres sehr alterthümliche Volkszustände erhalten halten; denn die
Cbalkidier bildeten hier nur einen kleinen Theil der Bevölkerung;
die gröfsere Menge gehörte vorhellenischen, pelasgischen Stammen an,
die theils von den südlichen Gestaden, von Lemnos und Attika her, in
diese Felsensitze gedrängt, theils von Norden aus den Landschaften
der Bisalter und der Edonen eingewandert waren. Die ganze Halb-
insel enthielt ihrer Beschaffenheit nach nur kleine Städte, die zugleich
Berg- und Seestädte waren. Die meisten derselben öffneten Brasidas,
als er heranzog, die Thore; nur Sane, unweit Akanthos, am Xerxes-
kanale gelegen und Dion blieben den Athenern treu.
Dann ging Brasidas nach der mittleren der drei Halbinseln, der
si thonischen , um Torone zu nehmen (I, 418). Hier lag eine attische
Besatzung, und ein paar Wachtschiffe hüteten den Hafen. Man war
eben beschäftigt die Werke der Stadt auszubessern; aber ehe dies ge-
schehen , halten peloponnesische Parteigänger Brasidas herbeigerufen ;
sieben Leute von seinem Heere, mit Dolchen bewaffnet, waren voraus-
geschickt und heimlich eingelassen worden. Inzwischen rückte Brasidas
bei Nacht heran; zwei entgegengesetzte Thore wurden von innen ge-
öffnet, und die ganze Ueberrumpelung gelang so vollkommen, dass die
Feinde unvermuthet mit hellem Kriegsruf auf doppeltem Wege in die
Stadt eindringen konnten , ohne dass die Besatzung von einer Gefahr
wusste.
Die Athener zogen sich nach der Feste Lekythos, die auf einer
in's Meer vorspringenden Halbinsel lag, zurück und wiesen hier un-
geachtet des verfallenen Zustandes der Befestigungen auch die gün-
stigsten Vorschläge zurück. Zum ersten Male musste Brasidas Gewalt
gebrauchen und suchte durch höbe Belohnungen die Seinen zum
Stürmen anzufeuern. Der Sturm wurde abgeschlagen, aber ein Holz-
thurm, den man auf schwachen Grundlagen aufgerichtet, brach zu-
sammen und setzte die Belagerten in solche Bestürzung, dass sie zum
grofsen Theile auf die Schiffe flüchteten. Brasidas liefs die Zurück-
gebliebenen tödten, den ganzen Platz aber von Schutl und Mauern
räumen und der Göttin Athena weihen , welche seit Alters daselbst ein
Heiligthum halte. Ihr schrieb er den unerwarteten Erfolg zu und
schenkte ihrem Tempel die Summe, welche er dem tapfersten Vor-
kämpfer bestimmt halte. So erwies er sich gegen die Gottheiten des
Landes freigebig und aufmerksam, im Gegensatze zu den Athenern,
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ERFOLGE DES BRASIDAS,
welche fremde Heiligthümer gewaltsam zu Wallenplätzen umwandelten.
Den Rest des Winters benutzte Brasidas dazu, die gewonnenen Städte
für den Fall einer Belagerung widerstandsfähig zu machen ; denn mit
Anbruch des Frühjahrs musste man die vollen Streitkräfte Athens in
diesen Gewässern erwarten, und deshalb liefs er nicht ab, in Sparta
auf Verstärkung seiner Macht zu dringen, und Keiner konnte gegründe-
teren Anspruch haben auf Anerkennung und Förderung von Seiten
der Heimalh als er.
Während die Spartaner in ihrer Halbinsel sich nicht rühren
können , während sie ihre Küsten in Feindeshand sehen müssen und
vor den eigenen Sklaven zittern, hat ihr Feldherr, ohne Bürgerkraft
und Geldmittel des Staats in Anspruch zu nehmen , Sparta auf einmal
im fernen Lande zu Ehren und Ansehen gebracht. In Sparlas Namen
entscheidet er die Streitigkeiten makedonischer Fürsten, nimmt eine
Küsten Stadt nach der anderen in Eid und Pflicht, macht eine der
wichtigsten und unentbehrlichsten Pflanzstädte Athens zum Mittel-
punkte eines sich rasch erweiternden Bundesreiches, beginnt einen
Flottenbau auf dem Strymon, um auf dieselbe Weise, wie einst
Hisliaios es versucht hatte (I, 611), hier eine Seemacht zu gründen.
Myrkinos, die Hauptstadt der Edoner, am Pangaion, die thasischen
Colonien am Festlande , welche Thukydides im Zaume gehalten hatte,
und andere Städte jenseits des Strymon, wo die Goldschätze Thrakiens
bereit lagen, huldigen ihm, theils durch offenen Abfall, theiis in heim-
lichen Bolschaften; eine Stadt sucht der anderen zuvorzukommen.
In Chalkidike selbst wird Alhen auf die westliche Halbinsel be-
schränkt.
Man sieht und bewundert in Brasidas seine Vaterstadt, die solche
Bürger zu erziehen wisse; man glaubt, endlich habe Sparta sich
ermannt, um sich so zu zeigen, wie es die lange getäuschten Hellenen
am Anfange des Kriegs erwartet hatten, als ein uneigennütziger,
gerechter, thalkräf liger Staat, der keinen anderen Zweck verfolge, als
den Bürgergemeinden ihre Selbständigkeit wieder zu geben. Denn
nur als Vertreter hellenischer Freiheit fordert Brasidas von den Athenern
das gewaltsam besetzte Eigenthum der Bundesgenossen zurück, be-
handelt auch sie milde , sobald sie sich in Güte zurückziehen, und von
diesem Standpunkte aus will er auch die Parteigänger, welche ihm die
Stadtthore öffnen, nicht als Verräther angesehen wissen, sondern als
freiwillige Werkzeuge zur Befreiung der Hellenen, als verdienstvolle
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PLEISTOANAX' HEIMKEHR (UM 416; 88, 3).
509
Patrioten, und im Verfolge dieser eben so klugen wie thatkräftigen
Politik hat er am Ende des achten Kriegsjahres dem ganzen Kriege
eine vollkommen neue Wendung gegeben; darum ging er auch der
Eröffnung des neuen Feldzugs mit Muth entgegen und glaubte auf
kräftige Unterstützung rechnen zu können.
Aber in Sparta herrschte damals eine ganz andere Stimmung,
als im Lager des Brasidas. In Sparta war die Abneigung gegen
seine Person durch den Ruhm seiner Thaten nur gestiegen, und
man freute sich seiner Erfolge nur, in so weit sie der Friedens-
politik förderlich schienen. Denn seit dem Unglücke von Pylos war
diese durchaus herrschend geblieben; man hatte seitdem kein höheres
Kampfziel vor Augen, als dass man sich in Besitz solcher Gegenstande
setzen wollte, welche zum Austausche benutzt werden konnten. Um
dieselbe Zeit also, da Brasidas den Krieg wie von Neuem anfing und
seine Manifeste erliefe von der Befreiung der Hellenen, die nun endlich
zur Wahrheit werden solle, war Sparta selbst des Kriegs vollkommen
überdrüssig und durchaus bereit, alle nationalen Pläne aufzugeben;
nach der egoistischen Politik eines Geschlechterstaats waren sie ent-
schlossen Alles, die Bundesgenossen wie die eigene Ehre, preiszugeben,
um nur die Mitglieder ihrer Bürgerfamilien aus den Gefängnissen von
Athen zu erlösen.
Eine eigenthümliche Verwickelung persönlicher Verhältnisse kam
dazu, um die Friedenspartei in Sparta in ihren Bestrebungen zu unter-
stützen. Nämlich jener König Pleistoanax, des Pausanias Sohn,
welchen Perikles durch Geld zum Abzüge aus Attika veranlasst hatte
(S. 179), lebte seitdem in der Verbannung und zwar auf der Höhe des
Lykaion, des heiligen Berges der Arkader, als ein Schützling des lykä-
ischen Zeus, wo er sich an der Mauer des Heiligthums eine Wohnung
eingerichtet hatte, so dass er sich jeden Augenblick vor seinen Ver-
folgern auf geweihten Boden zurückziehen konnte. Lange Jahre hatte
er oben auf der stürmischen Waldhöhe gehaust, aber den Gedanken
der Rückkehr niemals aufgegeben. Zu diesem Zwecke hatte er sich an
die delphischen Priester gewendet und hier erreicht, dass die Spar-
taner lange Zeil hindurch, so oft sie nach Delphi Gesandte schickten,
die Weisung erhielten, sie sollten 4den Spross des Herakles, des Sohnes
des Zeus, aus der Fremde heimführen, sonst würden sie noch mit
silbernen Pflugschaaren pflügen müssen', d. h. es würde eine Theue-
rung über sie kommen, so dass das Notwendigste nur mit grofsen
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510
FIUEHENSSTIMMl'NG IN SPARTA.
Geldopfern zu erlangen sein würde. Diese Mahnungen blieben nicht
erfolglos, und nach neunzehnjährigem Exile wurde der König mit den
feierlichsten Ehren eingeholt, um auf dem Throne der Herakliden
wieder eingesetzt zu werden. Als nun aber bald darauf die einhei-
mische Noth höher stieg als je zuvor, und die Mittel bekannt wurden,
durch welche das Orakel gewonnen worden war, da entstand eine
grofse Verstimmung über das Geschehene, und man schob jetzt
wiederum alles Unglück auf die gesetzwidrige Handlung, zu der man
sich habe verleiten lassen.
Unter diesen Umständen konnte Pleisloanax keine andere Politik
verfolgen, als die, so bald als möglich den Krieg zu beendigen; denn
er glaubte sich nicht anders halten zu können, als wenn der Staat in
das Geleise ruhiger Friedenszustande zurückgeführt und die Gefangen-
schaft der Spartaner beendet werde; die Heimführung der lange ver-
misslen Männer sollte seiner Regierung Glanz verleihen und sie als
eine glückliche Epoche bezeichnen. Zu gleichem Ziele wirkte Delphi
mit allen Kräften; denn wenn man daselbst auch den Ausbruch des
Kriegs begünstigt halte , so hatte man doch mehr und mehr erkannt,
wie wenig ein für Spartas und Delphis Interessen glückliches Ende in
Aussicht stehe und wie während des Kriegs der religiöse Sinn, die
Ehrerbietung vor den gemeinsamen Volksheiligthümern , der Besuch
derselben, die frommen Stiftungen und Huldigungen zum gröfsten
Nachtheile der priesterlichen Institute immer mehr in Abnahme
kämen 70).
So geschah es, dass die thrakischen Siege im Grunde die ent-
gegengesetzte Wirkung hatten, als die der Sieger beabsichtigte. Denn
anstatt dass die Spartaner stolzer und fester geworden wären, wurden
sie dadurch nur angetrieben, um so eifriger Frieden zu suchen, weil
sie zu der Dauer dieser Erfolge kein Vertrauen hatten und also einem
neuen Umschlage der Verhältnisse zuvorzukommen suchten. Sie be-
trachteten Brasidas wie einen vom Glücke begünstigten Abenteurer;
seine Popularität erfüllte sie mit Argwohn, da sie keine Mittel hatten,
jene fernen Gegenden, wo schon so mancher Feldherr auf selbstsüchtige
nerrscherpläne gekommen war, in ihrer Gewalt zu behalten, und so
bequem es für die Spartiaten war, mit fremdem Gelde und bewaffneten
Heloten ihre Siege zu erkämpfen, so erfüllte sie doch auch dieser Um-
stand mit Angst und Besorgniss. Kurz , Königthum und Aristokratie
in Sparta wollten um jeden Preis Frieden, um den erschütterten Staat
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FRIEDE.NSST1MMUPIG IN ATHEN
511
im Innern wieder ihren Inleressen gemäfs einzurichten, und es wurde
ihnen nicht schwer, noch in dem laufenden Winter die Anknüpfung
von Unterhandlungen in Athen durchzusetzen.
In Athen war die Stimmung während des letzten Kriegsjahres
natürlich auch eine andere geworden. Die Partei der Gemäfsigten, von
welcher die leichtfertige Abweisung der ersten Friedensgesuche offen
und lebhaft gemissbilligt worden war, hatte neuen Boden gewonnen,
seit das Unglück in Böolien ihre Warnungen vor dem Wechsel des
Kriegsglücks so bald bestätigt hatte. Seit der Niederlage von Delion
war Athen kampfesmüde. Man hatte nicht Lust, die Einpferchung in
die Stadtmauern und die Verwüstung der Landschaft sich wieder
erneuern zu sehen; man verwünschte die ewigen Marschordres für
erfolglose Streifzüge, für die man sich verproviantiren sollte; man
spürte schmerzlich die Stockung jedes Exports, man entbehrte die
bootischen Fische und Vögel auf den attischen Tafeln. Auch standen
sich jetzt die Kriegs- und die Friedensparlei ganz anders gegen-
über, seitdem man die Mittel in Händen hatte, so bald man wollte,
einen ehrenvollen Frieden zu erlangen. Ziellose Fortsetzung des Kriegs
musste jetzt als ein freventlicher Uebermuth erscheinen, und die
öffentliche Stimme erklärte sich immer lauter dagegen, vornehmlich
auf der Bühne.
Hier hatte Aristophanes schon im Februar 425 (Ol. 83, 3) (also
kurz vor der Besetzung von Pylos) seine 'Acbarner' aufführen lassen,
worin er den Ehrenmann Dikaiopolis einführt, welcher zur Stadt
kommt, um für den Frieden zu sprechen. Der ehrliche Landmann
durchschaut mit seinem schlichten Verstände die Verkehrtheiten der
attischen Politik, die tauschenden Vorspiegelungen glänzender Alli-
anzen und das ganze Unwesen der Demagogie, welche die Bürgerschaft
in ewiger Aufregung erhält und allen vernünftigen Leuten den Mund
schliefst. Er selbst lässt sich aber auch durch die grimmigen Bauern
von Acharnai, die den Spartanern die Verwüstung ihrer Weinberge
noch nachtragen wollen (S. 403), nicht irre machen; er lässt für sich
verschiedene Sorten Frieden aus Sparta kommen , er ist entzückt, wie
er den dreifsigjährigen kostet, und schliefet ohne Weiteres einen
Separatfrieden für sein Haus, auf das nun Segen und Glück herab-
strömen, so dass Allen der Mund wässert, daran Theil zu nehmen.
Viel ernster und kühner trat der Dichter im folgenden Jahre
unter eigenem Namen auf, mit seinen Freunden, den Ritlern (S. 481)
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512
WAFFENSTILLSTAND (89, 1 ; 425 MÄRZ).
eng verbunden, nach denen er das Stuck benannte, weil eine Ab-
theilung von Rittern den Chor bildete. Es ist ein geharnischtes Partei-
stück der Aristokratie. Der Staat von Athen erscheint als das Haus-
wesen eines Alten, der sich mit Allem , was er hat, einem paphlagoni-
schen Sklaven übergeben hat ; der Paphlagonier wird durch die dema-
gogischen Kunstgriffe eines Rivalen überboten, und, wie er fortist,
lebt der alte Herr in neuer Jugend wieder auf zu neuem Glücke und
schämt sich gründlich seiner früheren Thorheiten n).
Aristophanes halte in Folge seiner 'Ritter' einen neuen Prozess zu
bestehen und für seine Kühnheit zu leiden. Denn Kleon setzte noch
eine Weile seinen Terrorismus fort; er war es, wie wir voraussetzen
dürfen, der die Verbannung des Thukydides veranlasste, er bewies dem
Volke, wie Brasidas nur durch die Fahrlässigkeit der Feldherrn und die
Schlaffheit der Bürger solche Fortschritte gemacht habe. Aber er war
nicht im Stande, die wachsende Friedenspartei zu unterdrücken, und
nachdem die Anträge Spartas dreimal zurückgewiesen worden waren,
kam mit Beginn des Frühjahrs ein jähriger Waffenstillstand zu Stande,
den man auf beiden Seiten als die Vorbereitung eines Friedens-
schlusses ansah.
Die Form des Vertrags , der von Sparta aus den Athenern ange-
boten wurde, zeigt, dass die delphische Priesterschaft bei der Ab-
fassung ihre Hand im Spiele hatte. Denn voran stand die Bestimmung,
dass der Tempel von Delphi wieder freien Zugang zu Lande und zu
Wasser haben solle. Sparta und Athen sollten vereint für den Frieden
von Delphi und für den Besitz des Gottes einstehen. Das ägäische
Meer sollte den Lakedämoniern und ihren Verbündeten wieder frei ge-
geben werden, aber nur für Segel- d. h. für Kauffahrteischiffe, die
noch dazu eine bestimmte Gröfse nicht überschreiten durften, damit
auf keine Weise Verstärkung an Brasidas gelangen könne; auch
zwischen Athen und dem Peloponnes sollte freier Verkehr hergestellt
werden. Bis zum Abschlüsse des Friedens sollte der gegenwärtige Be-
sitzstand unverändert bleiben, und deshalb wurden für die lakedämo-
nischen Besatzungen sowohl wie für die Athener in Pylos, Kythera,
Nisaia, Minoa und Troizen genaue Demarcationslinien festgesetzt,
welche nicht überschritten werden durften; auch sollten während der
Waffenruhe von beiden Seiten keine Flüchtlinge angenommen werden.
Der ganze Verlrag war so eingerichtet, dass er der grofsen Zahl
der Hellenen, welche nach Wiederherstellung des freien Verkehrs Ver-
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NEUE KÄMPFE IN THRAKIEN (89,3; 423).
513
langen trugen, erwünscht sein musste, während zugleich Alles ver-
mieden war, was den Machtbestand der Athener irgendwie zu be-
drohen schien. Sie waren durch ihre Erwerbungen immer noch im
Vortheile; ihre unbedingte Seeherrschaft wurde schon in diesen Präli-
minarien vollständig anerkannt und zugleich dem drohenden Abfalle
der Bundesgenossen ohne Aufwand neuer Kriegsmittel ein Damm ge-
setzt. Die Beziehungen zu Delphi wieder zu ordnen, lag der conser-
vativen Partei sehr am Herzen; aber auch hierin hatte sie die
Stimmung der Bürgerschaft für sich, und das Bild eines allgemeinen
Friedens mit ungetrübter Feier der grofsen Nationalfeste trat wieder
mit lockenden Zügen vor die Augen der Griechen. Darum gelang es
auch dem Laches, welcher in dieser Angelegenheit das Organ der Ge-
mäßigten war, die Annahme des Vertrags von Seiten der Bürgerschaft
zu erlangen, und derselbe wurde im Elaphebolion (März) von drei
athenischen Feldherm und den Gesandten der Lakedämonier, Korin-
ther, Megareer, Sikyonier und Epidaurier beschworen. Man hoffte,
dass, wenn die Staaten nur einige Monate erst den Segen des Friedens
gekostet hätten, bald eine allgemeine Beruhigung der Gemüther und
Abneigung gegen den Krieg eintreten würde, und in Athen selbst war
die Stimmung so günstig, dass die Feldherrn der Stadt sofort er-
mächtigt wurden, wegen Grundlage eines dauernden Friedens mit den
Peloponnesiern in Unterhandlung zu treten. Das Nächste war, dass
man zwei Commissare nach Thrakien abordnete, um dort den Vertrag
bekannt zu machen. Die Lakedämonier wählten guter Vorbe-
deutung wegen dazu einen Bürger, Namens Athenaios , die Athener
Aristonymos '*).
Diese fanden die Lage der Dinge daselbst wesentlich verändert.
Denn Brasidas hatte sich inzwischen um Alles, was zu Hause vorging,
gar nicht bekümmert, sondern in vollem Kriegseifer die Gelegenheit
benutzt, auch auf der dritten der chalkidischen Halbinseln, Pallene,
einen festen Platz zu gewinnen. Hier nämlich war die Stadt Skione,
welche an der Südküste von Pallene lag, zu den Peloponnesiern über-
getreten, obwohl sie nicht nur vom Meere aus der attischen Flotte
ausgesetzt, sondern auch im Rücken durch Potidaia bedroht war,
welches jeden Zuzug von der Landseite unmöglich machte. Dieser
Abfall war zwei Tage nach Abschluss des Waffenstillstandes erfolgt.
Aristonymos weigerte sich also, Skione zu den Platzen zu rechnen,
deren Besitz der Vertrag vorläufig den Lakedämoniern überliefs, Bra-
Cortin*, Gr. Gc*eh. II. AolL 33
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514
NEUE KÄMPFE I* THRAKIEN (89, I; 423).
sidas dagegen dachte nicht daran, den Platz aufzugeben, und es war
unmöglich, eine Verständigung zu erzielen. Als die Kunde davon nach
Athen kam, schlug die friedfertige Stimmung der Burgerschaft in die
heftigste Erbitterung um, und Kleon, der mit der Minderheit allen
Verträgen entgegengearbeitet hatte, fand nun wiederum die allseiligste
Zustimmung, wenn er die Treulosigkeit Sparlas schalt und die
Thorheit derer, die ihm trauten. Auf seinen Antrag wurden sofort
50 Trieren nach Thrakien beordert und sämtliche Skionäer als Ver-
rather zum Tode verurteilt.
Als die Flotte unter Führung des Nikias und Nikostratos in
Potidaia anlangte, war inzwischen noch eine zweite Stadt der palleni-
sehen Halbinsel, Mende, am Vorgebirge Poseidion, dem Tempepasse
gerade gegenüber gelegen, zu Brasidas übergegangen und hatte pelopon-
nesische Besatzung erhalten, während Brasidas selbst mit dem Kerne
seiner Truppen in das Innere Makedoniens hinaufzog, um Perdikkas
gegen die Lynkesten beizustehen (S. 501). Denn so ungelegen ihm
auch dieser Feldzug war, erschien ihm doch das Einverständniss mit
dem Könige zu wichtig, als dass er es wagen durfte, die verlangte
Hülfe abzuschlagen. Aber er musste diesen Schritt bitter bereuen.
Denn erstens wurde er durch die Treulosigkeit der Makedonier bei
einem unerwarteten Angriffe der Illyrier in die gefährlichsten Kämpfe
verwickelt, aus denen er nur durch die gröfste Klugheit und Tapfer-
keit noch glücklich hervorging; dann aber wurde von den erbitterten
Truppen ein Theil des königlichen Gebiets verwüstet und in Folge
dessen die Verbindung mit Perdikkas doch zerrissen. Der König
näherte sich sofort den Athenern und noch kurz vor Ablauf des
Waffenstillstandes kam ein förmlicher Vertrag zwischen Athen und
Perdikkas zu Stande.
Inzwischen hatte Nikias glückliche Fortschritte gemacht, er hatte
Mende zurückerobert und Skione eingeschlossen; Brasidas dagegen
konnte nichts unternehmen, und eine ansehnliche Verstärkung, welche
unterwegs war, musste an der Gränze Thessaliens wieder umkehren.
Das war schon eine Folge des Bruchs mit Perdikkas. Denn dieser be-
nutzte jetzt seinen thessalischen Einfluss gegen die Spartaner, theils
aus eigener Politik, theils um auf die Forderung des Nikias den
Athenern eine Probe seiner veränderten Parteistellung zu geben.
Brasidas die Verbindung mit Herakleia und dem Peloponnes abzu-
schneiden, scheint auch der Zweck der athenischen Gesandtschaft ge-
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AUSTREIBUNG DER DELIER (*9, 2; 42S).
515
wesen zu sein, welche mit Amynias, dem Sohne des Sellos, um diese
Zeit nach Thessalien geschickt wurde. So geschah es, dass die
Truppen am Durchmarsche gehindert wurden und nur der Führer
derselben, Ischagoras, in Begleitung einiger Spartaner, welche zu
Befehlshabern in den eroberten Plätzen bestimmt waren, nach Thrakien
gelangte. Man fürchtete nämlich in Sparta, dass aus dem Kriegs-
gefolge des Brasidas Personen niederen Standes zu solchen Posten
aufrücken möchten. Diese Sendung konnte also nur dazu beitragen,
den Feldberrn zu verletzen und in seinen Plänen zu hindern. Ein
kecker Angriff auf Potidaia, den er im Winter unternahm, misslang,
und so blieben die Verhältnisse unverändert bis zum Ablaufe des
Waffenstillstandes, der in Thrakien niemals zur Geltung gekommen
war").
In Griechenland selbst hatte man inzwischen die Annehmlich-
keit der Waffenruhe und allgemeinen Sicherheit gekostet, obwohl die
Athener auch diese Zeit nicht hatten vorübergehen lassen, ohne einen
Akt der Gewaltsamkeit auszuführen, welcher unter den Hellenen
grolses Aufsehen erregte. Man entdeckte nämlich, dass die frühere
Reinigung von Delos (S. 474) ungenügend gewesen sei; nicht nur die
Todten, so hiefs es jetzt, verunreinigten die heilige Insel, sondern auch
die dort lebenden Einwohner, welchen irgend welche Versündigung aus
alter Zeit vorgerückt wurde. Ob Athen Ursache hatte, den Deliern
nicht zu trauen, oder ob es nur darauf ankam, die Kriegsflotte auf
eine den Bürgern nützliche Weise zu beschäftigen, wozu es an pas-
senden Vorwänden niemals fehlte, ist schwer zu entscheiden. Gewiss
ist, dass das Vorhaben mit rücksichtsloser Gewalttätigkeit ausgeführt
wurde; die Delier mussten mit Weib und Kind nach Mysien aus-
wandern, wo Pbarnakes ihnen in Adraniytteion Wohnplätze einräumte,
und attische Bürger zogen in die verlassenen Grundstücke ein. Es
war ein schnödes Spiel mit religiösen Förmlichkeiten, welches ge-
wissermafsen zur Verhöhnung des frommen Nikias und seiner Ge-
sinnungsgenossen von der ihnen feindlichen Partei durchgesetzt wurde.
Darum wurde auch das folgende Kriegsunglück als eine Strafe der
Götter angesehen und ein Jahr später unter delphischem Einflüsse die
Rückführung der Delier beschlossen74).
Die Kriegspartei nahm jetzt alle Kräfte zusammen, um die durch
den Ablauf des Vertrags wieder gewonnene freie Bewegung zu be-
nutzen, und an ihrer Spitze stand Kleon. Er fühlte, dass seine Gel-
33«
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516
ZEHNTES KRIEGSJAIIR (89, 2; 422).
tung in demselben Mafse abnehmen müsse, wie die Gemüther sich
beruhigten und die allgemeinen hellenischen Sympathien wieder Kraft
gewännen. Er bedurfte bewegter Zeiten, um sich auf der Höhe seines
Einflusses zu erhalten. Je mehr also die wohlhabenden Bürger sich
des Kriegs überdrüssig zeigten, um so entschiedener wendete er sich
an die unteren Volksklassen, schalt die Feigheit der Reichen, schil-
derte die Schmach der Athener, wenn sie Amphipolis langer in den
Händen des Brasidas liefsen, und setzte endlich einen Volksbeschluss
durch, welcher die Ausrüstung einer neuen Flotte anbefahl.
Die Friedenspartei war überstimmt, aber sie war mächtig genug,
um den Erfolg dieses Unternehmens von Anfang an zu lähmen. Ihr
waren die von Brasidas gewonnenen Vortheile im Grunde gar nicht
unlieb, weil dadurch die Friedensaussichten genährt wurden. Denn
wenn Sparta gegen Pylos, Kythera u. s. w. gar keine Tauschobjekte
in Händen hatte, so war voraus zu sehen, dass auf Kleons Antrag
Friedensbedingungen gestellt werden würden, auf welche es Sparta
unmöglich wäre einzugehen. So geschah es denn, wahrscheinlich auf
Veranstaltung der Friedenspartei, dass Kleon selbst zum Heerführer
ernannt wurde, der trotz seines Glücks in Sphakteria für einen un-
tüchtigen Feldherrn angesehen wurde; auch waren die Truppen,
welche ihn begleiteten, freilich ansehnlich an Zahl (es waren 1200
Schwerbewaffnete und 300 Reiter), wohlgerüstet und aus dem Kerne
der Bürgerschaft ausgehoben; aber sie waren von Anfang an wider-
willig und ohne Zutrauen, und es waren Viele darunter, welche zu
den leidenschaftlichsten Gegnern Kleons gehörten und dem eigenen
Feldherrn eine Niederlage wünschten.
Brasidas befand sich in einer durchaus entgegengesetzten Lage.
Er hatte wenig Kernvolk, und der gröbere Theil seiner Truppen be-
stand aus thrakischen Miethsvölkern und den Contingenten der chal-
kidi sehen Städte; es war ein buntgemischtes Heer von mangelhafter
Ausrüstung, aber er beseelte es durch seinen Geist; er stand wie ein
Heros in der Mitte seiner Truppen , bewundert und geliebt von den
chalkidischen Städten , für die mit seiner Ankunft eine neue Zeit be-
gonnen hatte , die nun auf ihn, der von Perdikkas verrathen und von
seiner Heimath abgeschnitten war, allein angewiesen waren und mit
ihm dieselben Hoffnungen und Befürchtungen theilten.
Kleon hütete sich, einen solchen Feind sogleich aufzusuchen. Er
verstand es, die schwachen Punkte der thrakischen Küste ausfindig
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KLE03 VOR AMPHIPOLIS («9, 3; «2 HERBST).
517
zu machen und überraschte Torone , dessen Befestigung auf Brasidas'
Veranlassung in einer Erweiterung begriffen war, durch einen glück-
lichen Angriff, der die Stadt den Athenern in die Hände lieferte.
Gegen Ende des Sommers lief er in den Strymon ein und machte von
Efon aus einen glücklichen Zug nach den Bergwerksdistrikten. Gegen
Amphipolis selbst aber zögerte er vorzugehen; denn Brasidas hatte
gleiche Truppenmacht und alle Vorlheile der Stellung. Die Stadt
selbst war durch ihn noch ungleich fester geworden; denn er hatte
einen Wall mit Pallisaden von der Ringmauer bis an die Strymon-
brücke gezogen, so dass er ohne die Verschanzungen zu verlassen den
Strom überschreiten konnte; dadurch war die jenseitige Burghöhe
Kerdylion in die städtischen Werke hereingezogen, und von dieser
Höhe konnte Brasidas das ganze Thal bis zur Mündung überblicken,
so dass ihm keine Bewegung der Athener verborgen blieb. Er hatte
nur Eines zu fürchten , nämlich die Ankunft makedonischer Truppen,
welche einen gleichzeitigen Angriff von beiden Ufern möglich machen
würde; deshalb wünschte er den Kampf so bald wie möglich und
hoffte, dass es ihm an Gelegenheit nicht fehlen würde.
Seine Hoffnung tauschte ihn nicht; denn, wie er vorausgesehen,
hatte Kleon im eignen Lager nicht Autorität genug, um seine Bundes-
genossen ruhig erwarten zu können; die Truppen murrten so laut,
dass er etwas unternehmen musste. Er zog also am linken Ufer
hinauf bis zu der Höhe, welche Amphipolis mit dem Gebirge ver-
bindet, wo man über die lange Mauer hin (S. 260) alle Strafsen
und Plätze der Stadt übersehen konnte. Seine Absicht war nur, das
Terrain zu überschauen, dessen Kennlniss ihm unentbehrlich war, um
mit den erwarteten Makedoniern gemeinsam handeln zu können, und
<la er seinerseits für jetzt keinen Angriff beabsichtigte, glaubte er
thöricht genug, dass er es in seiner Hand habe, ohne Kampf in das
Lager zurückkehren zu können. Brasidas hatte aber sofort den Angriff
vorbereitet.
Da die Masse seines Kriegsvolks so schlecht gerüstet war, dass er
fürchtete, ihr Anblick würde auf die Feinde nur ermuthigend wirken,
sammelte er 150 Hopliten um sich, stellte ihnen in kurzer Ansprache
vor Augen, dass dieser Tag entscheiden werde, ob sie freie Bündner
Sparlas oder Sklaven Athens sein sollten, und brach dann im Sturm-
schritte aus dem unteren Thore, dem Wallthore, vor. Denn die
Athener hatten, so wie sie die Absichten des Brasidas merkten, eiligst
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518 TOD DER BBIDBPf FELDHBRRN.
den Rückzug angetreten, um sich nicht von Lager und Flotte ab-
schneiden zu lassen; der linke Flügel voran, das übrige Heer folgte,
aber ohne Kampfordnung, ohne Schluss und Haltung, die rechte
schildlose Seite den Thoren von Amphipolis zugekehrt. Hier griff nun
Brasidas mit vollem Ungestüme den mittleren Heerzug der Feinde an,
und so wie er im Handgemenge war, öffnete sich in der Ringmauer
ein zweites Thor, aus welchem Klearidas mit größerer Truppenzahl
gegen den rechten Flügel vorstürzte, welcher noch auf der Höhe stand,
während der linke sich schon von ihm abgerissen hatte und in voller
Flucht nach Efon voraus geeilt war. Kleon hatte alle Fassung ver-
loren; das Heer war ohne Befehl, ohne Zusammenhang. Die Einzigen,
welche ihre Schuldigkeit thaten, waren die Männer des rechten Flügels,
welche Klearidas mehrmals zurückwarfen. Aber die Reiter und
Schützen ermüdeten ihren Widerstand. Brasidas selbst warf sich nach
Besiegung des Mitteltreffens auf sie, und so mussten sie den Platz
räumen und durch pfadlose Gegenden unter grofsen Verlusten nach
Elon zurückweichen.
Als man sieb sammelte, fehlten 6000 Mann. Kleon selbst war
auf der Flucht getödtet Der Sieg der Peloponnesier war so voll-
ständig, dass sie nicht mehr als sieben Mann verloren haben sollen.
Aber bei dem Angriffe auf den rechten Flügel war Brasidas selbst
schwer verwundet worden; er starb unmittelbar nach seiner glän-
zendsten Waffen that in Amphipolis. Die Trauer der Bürger bezeugte
sich in den Ehrenerweisungen, welche sie ihm zu Theil werden liefsen.
Inmitten der Stadt wurde ihm ein Grabbezirk geweiht und ein Todten-
dienst mit Opfer und Spielen eingesetzt. Die Ehren eines Stadt-
gründers wurden auf ihn übertragen, und dadurch wurde Amphipolis,
als Tochterstadt Spartas, enger als je zuvor mit der Vaterstadt des
Brasidas verbunden75).
Wenn die Friedenspartei in Athen gewünscht oder wohl gar
darauf hingearbeitet hatte, dass der Kriegszug gegen Amphipolis so
auslaufen möge, dass die Gegenpartei eine gründliche Niederlage
erleide, so waren diese Pläne über Erwarten in Erfüllung gegangen;
ein Triumph, der freilich theuer erkauft war. Jetzt war der Führer
der Kriegspartei nicht nur beseitigt, sondern seine Niederlage war
auch der Art gewesen, dass dadurch alle Anhänger seiner Person
und seiner Politik beschämt wurden. Wohl eiferten noch in seinem
Sinne allerlei leidenschaftliche Leute, kriegslustige Heerführer, wie
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FRIEDENSVERHANDLUNGEN (89, 3; 42*4 WINTER).
519
Lamachos, Demagogen, wie Kleonymos und Hyperbolos; ihnen hingen
diejenigen an, welche vom Kriege Vortheil zogen, wie die Waffen-
schmiede u. s. w., oder welche ehrgeizige Pläne verfolgten; aher
Nikias hatte durch Kleons Tod freie Hand gewonnen, die Stimmung,
welche in allen gebildeten Kreisen vorherrschte, konnte sich offener
geltend machen, und nicht umsonst hatte Aristophanes nach den
Rittern noch drei Stücke auf die Bühne gebracht, welche sämtlich
darauf ausgingen, das Friedenswerk in Griechenland zu unter-
stützen.
Andererseits hatte sich freilich die Lage der Dinge sehr zum
Nachtheile verändert. Denn Sparta hatte ja inzwischen einen Sieg
erfochten, wie nie zuvor, indem seine Feldherrn mit den Contingenten
attischer Bundesorte, mit Heloten und barbarischen Miethstruppen
den Kerntruppen Athens eine vollständige Niederlage beigebracht
hatten. Aber dieser Sieg war doch nicht im Stande, die Spartaner
von ihrer Friedenspolitik abwendig zu machen oder sie zu einer
wesentlichen Steigerung ihrer Forderungen zu veranlassen. Zu den
überseeischen Erwerbungen, welche sie weder zu Wasser noch zu
Lande erreichen konnten, hatten sie nach wie vor wenig Vertrauen
und sahen dieselben immer nur als Unterpfänder für ihre Gefangenen
und die besetzten Küstenplätze ihres Landes an. Dieser Auffassung
war Brasidas freilich entschieden entgegen gewesen, und hätte er
seinen Sieg überlebt, so würde er sich schwerlich dazu verstanden
haben, auf alle seine Eroberungen gutwillig zu verzichten und die
neuen Bundesgenossen, welchen er sein Wort verpfändet hatte, der
Herrschaft der Athener wieder auszuliefern. Sein Tod befreite die
Spartaner aus dieser Verlegenheit, und da nun so auf beiden Seiten
die Stimmen verstummt waren, welche Fortsetzung des Kriegs bis
zur Vernichtung des Gegners verlangten, da außerdem der Ablauf des
spartaniscb-argivischen Vertrags nahe bevorstand und es in Spartas
Interesse lag, um diese Zeit keinen offenen Feind zu haben, welchem
sich die Argiver anschließen konnten, so begannen unter dem vor-
herrschenden Einflüsse des Pleistoanax und des Nikias bald nach der
Schlacht von Ampbipolis die Friedensunterhandlungen, welche nun
von beiden Seiten mit Eifer und Ernst betrieben wurden. Freilich
liefsen die Spartaner zum Frühjahre noch einmal die Bundesgenossen
aufbieten, sich zur Anlage eines Waffenplatzes in Attika zu rüsten, aber
ehe das Frühjahr kam, hatten sich die beiden Staaten dahin geeinigt,
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520
FRIEDE DES NIKIAS (d9, 3; 421 APRIL).
dass sie die Wiederherstellung des Besitzstandes vor dem Kriege zur
Grundlage des Friedens machen wollten.
Nachdem diese Verständigung erfolgt war, wurden die Bundesge-
nossen Spartas zur Zustimmung eingeladen. Sie erfolgte von Allen,
mit Ausnahme der Böotier und der Korinther, denen sich Megara und
Elis in ihrem Proteste anschlössen. Böotien und Korinth waren durch
die letzten Kriegsereignisse zu neuen Hoffnungen aufgeregt worden;
Korinth hatte schon an eine Wiederherstellung seiner Macht in
Thrakien gedacht und konnte sich nicht entschließen, alle seine Pläne
wieder aufzugeben, und sogar Anaktorion (S. 490) in den Händen von
Athen zu lassen ; eben so wenig wollte Megara auf Nisaia verzichten
(S. 469). Theben hatte freilich durch Sparta den dauernden Besitz
von Plataiai erlangt (und zwar unter dem heuchlerischen Vorgeben,
dass diese Stadt freiwillig zu Theben übergetreten sei!), aber es wollte
das jüngst überrumpelte Panakton an der Gränze Anikas nicht aus-
liefern. Trotz dieser Widersprüche kam durch Mehrheit der Stimmen
der Vertrag ordnungsmäßig zu Stande und wurde Anfang April von
den Bevollmächtigten Athens und Spartas beschworen. Zu Anfang der
Urkunde standen die herkömmlichen Bestimmungen über den freien
Zugang der nationalen Heiligthümer und die unverletzliche Selbständig-
keit von Delphi. Dann folgte der Hauptpunkt, der fünfzigjährige
Friede zwischen Athen und Sparta und ihren beiderseitigen Verbünde-
ten zu Lande und zu Wasser. Dann die einzelnen Bestimmungen,
. welche einerseits die Rückgabe von Amphipolis und den chalkidischen
Städten, andererseits die von Pylos, Kythera, Methone und den beiden
miltelgriechischen Küstenpunkten, der Insel Atalante und dem phthio-
tischen Hafen Pteleon, anordneten, inzwischen wurde das Verhältniss
der chalkidischen Städte so geordnet, dass sie zwar Tribut an Athen
zahlen, aber nicht nach der Schätzung von 88, 4 (S. 487), sondern
nach dem Satze des Aristeides, sonst sollten sie frei und selbständig
sein ; auch sollte keinem Bürger verwehrt werden, mit Hab und Gut
ungekränkt auszuwandern. Unter den abgefallenen Bundesorten wer-
den Argilos, Stageiros, Akanthos, Skolos u. s. w. besonders hervorge-
hoben, die in keiner Bundesgenossenschaft stehen sollen; es soll aber
den Athenern unverwehrt sein, sie zu freiwilligem Beitritt zu veran-
lassen. Solche Sonderverträge scheinen denn auch mit bottiäischen
Städten geschlossen worden zu sein. Alle Gefangenen sollen von beiden
Seiten herausgegeben werden. Endlich soll die Friedensurkunde in
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WAFFENBUND ZWISCHEN SPARTA UND ATHEN
521
den National heiligthümem, sowie zu Athen und Sparta aufgestellt
und die feierliche Beschwörung derselben jährlich erneuert werden.
Dies ist der seit alten Zeiten so genannte Friede des Nikias,
welcher den Krieg der beiden griechischen Staatenbundnisse beendigte,
nachdem er etwas über 10 Jahre gedauert hatte, nämlich von dem bö-
otischen Angriffe auf Plataiai Ol. 87, 1 (Anfang April 431 v. Chr.) bis
Ol. 89, 3 (gegen Mitte April 421 v. Chr.). Daher war er auch unter
dem Namen des zehnjährigen Kriegs bekannt, während die Pelo-
ponnesier ihn den attischen Krieg nannten. Sein Ende war ein
Triumph für Athen; denn alle Pläne seiner Feinde waren zu Schanden
geworden; Sparta hatte von allen Versprechungen, mit denen es den
Krieg eröffnet hatte, keine verwirklichen können und musste am Ende
die Herrschaft Athens in ungemindertem Umfange anerkennen. Aller
Missgriffe und Schwankungen, aller verschuldeten und unverschuldeten,
aller aufserordentüchen und unberechenbaren Unglücksfälle ungeachtet
hatte sich also die Ausrüstung, welche Perikles seiner Stadt gegeben,
vollkommen bewährt und alle Wuth der Gegner hatte ihr nichts an-
haben können. Sparta selbst war mit den Vortheilen zufrieden, welche
ihm der Friede für seine eigenen Lande gewährte; um so unzu-
friedener aber seine Bundesgenossen, namentlich die Mittelstaaten, die-
selben, welche von Anfang an den Krieg herbeigeführt und Sparta in
denselben hereingezogen hatten. Denn Sparta strebte jetzt offenbar
dabin, sich von ihrem Kinlluss los zu machen und eine ähnliche Grofs-
machtstellung zu erreichen, wie Athen sie in seinem Kreise hatte.
Darum war es auch nach Abschluss des Friedens unmöglich , Theben
und Korinth zum Beitritte zu bewegen. Für Sparta hatte er also die
Folge, dass die Bundesgenossenschaft, an deren Spitze es den Kampf
begonnen hatte, sich auflöste, und es fühlte sich dadurch in so be-
denklicher Weise isolirt, dass es gegen die eigenen Bundesgenossen an
Athen einen Rückhalt suchte. Daher wurde der Friede des Nikias noch
in demselben Jahre in ein fünfzigjähriges Bündniss verwandelt, durch
welches Sparta und Athen sich zu gegenseitiger Hülfsleistung wider
jeden feindlichen Angriff verpflichteten. Sparta sollte die altischen
Dionysien, Athen die Hyakintbien in Amyklai durch Festgesandte be-
schicken, um durch diese Festgemeinschaft den Waffenbund zu stärken,
durch welchen die beiden Grof »Staaten Griechenlands den wider-
strebenden Mittelstaaten gegenüber den allgemeinen Frieden dauernd
zu begründen hofften T8).
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DL
ITALIEN UND SICILIEN.
Während ganz Hellas bis Makedonien und Epeiros hinauf in den Kampf
der bejden Städte hereingezogen wurde, blieben die westlichen Colonien
äufserlich unbetheiligt. Sie hatten ihre besondere Geschichte, welche
in gleichartiger Entwickelung neben der des Mutterlandes herging.
Denn sie haben um dieselbe Zeit ihren höchsten Wohlstand erreicht ;
sie haben ihre Tyrannen gehabt und ihre Freiheitskriege gegen die Er-
oberungsgelüste der Barbaren; sie sind dann in innere Parteiungen
verfallen, welche sie ebenso, wie die Staaten des Mutterlandes, in zwei
feindliche Heerlager trennten, so dass die Fehden diesseits und jenseits
des ionischen Meers am Ende in einen Krieg zusammenflössen.
Die Geschichte Siciliens ist durch die Lage und Natur des Landes
gewissermafsen vorgezeichnet In der Milte des Mittelmeers zwischen
den libyschen, tyrrhenischen und griechischen Gewässern gelegen,
nach drei Seiten seine offenen Küsten streckend, dabei anlockend
durch den reichsten Segen der Natur, welche die Schätze des grie-
chischen und italischen Bodens mit denen des nordafrikanischen
Klimas vereinigt, ist Sicilien von Anbeginn der Schifffahrt her ein
Zielpunkt colonisirender Seevölker gewesen. Seine Geschichte ist also
die eines Coloniallandes , deren Schauplatz der Küstensaum ist, eine
Geschichte einzelner Seestädte. Die Küsten sind durch ein gebirgiges
Binnenland getrennt, welches für städtische Ansiedelungen keine
günstigen Lagen darbietet, ein Land, das im Ganzen mehr für Heerden-
zucht als für Ackerbau geeignet ist und den von der Küste ver-
drängten Insulanern als Wohnort diente, wo sie ihre Unabhängigkeit
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DIE HELLENE« IN SICILIEN
523
behaupten konnten. Auf diese Weise konnte sich keine gemeinsame
Landesgeschichte bilden, auch keine Bundesverfassung mit eidge-
nössischem Rechte. Dazu waren die Städte auch ihrer Herkunft und
ihrer politischen Stellung nach zu verschiedenartig. Denn die Städte
der Westküste mit ihrer aus Griechen, Libyern und Phöniziern ge-
mischten Bevölkerung hielt Karthago unter seiner Hoheit (I, 437), so
dass nur die griechischen Golonien eine selbständige Geschichte haben
konnten. Aber auch unter ihnen bestanden wiederum sehr bestimmte
Gegensätze, deren Keime schon bei der Gründung aus dem Mutter-
lande herüber getragen worden waren. Denn so wie die Ghalkidier
mit ionischem Volke die Umlande des Aetna besetzt hatten, suchten
auch schon die Dorier von Korinth und Megara aus ihrer weiteren
Ausbreitung zuvorzukommen, und ehe sich die Korinther an die Süd-
küste vorgewagt hatten, bauten sich die Rhodier daselbst in einer
Reibe von Städten an.
Freilich war der Gegensatz der Stamme hier von Anfang an
weniger schroff als im Mutterlande, weil sich auch bei den Aus-
sendungen der dorischen Seestädte viel ionisches Volk betheiligt hatte.
Darum hat sich das dorische Wesen hier nicht in seinen strengeren
Formen ausgeprägt; denn wenn auch die Städte nach chaikidischer
und dorischer Mundart, nach chalkidischen und dorischen Satzungen
unterschieden blieben, so finden wir doch in den dorischen Städten
von früher Zeit an Handel und Seeleben, unbeschränkten Luxus,
Herrschaft des Geldes und Tyrannis, wie in den ionischen Städten,
und die dorischen Städte befehden sich gegenseitig ohne Rücksicht
auf die Stammesgemeinschaft. Sicilien war überhaupt der Schauplatz,
wo mehr als anderswo die verschiedensten Nationalitäten sich be-
gegneten und vermischten. Dorier und Ionier verschmolzen hier zu
Bevölkerungen, welche eine halb dorische, halb ionische Mischsprache
redeten, wie z. B. die Himeräer, welche aus Zankle und aus Syrakus
stammten. Aus hellenischem und barbarischem Blute war an der
Westküste das Misch volk der Elymer entstanden (I, 438); endlich
hatten sich auch die eingebornen Sikuler an allen Küsten mit helle-
nischem Volke verbunden, und diese mannigfache Verbindung ver-
schiedener Völker und Stämme, wie sie nur in Sicilien zu Stande
kam, gab den Einwohnern der Insel wieder den besonderen Charakter,
an welchem man unter allem Volke, das griechisch redete, die Sike-
boten, d. h. die sicilischen Griechen erkannte. Es waren vorzüglich
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524
DIE PERIODEN SICILISCHER GESCHICHTE
gewandte und weltkluge Leute, erfinderisch und gewerbfleifeig, sinn-
lich und zu behaglichem Wohlleben geneigt, aber dabei von auf-
gewecktem Geiste und feiner Beobachtungsgabe, lebhaft und geist-
reich; es waren Leute, die immer ein treffendes Wort bei der Hand
hatten und sich auch durch Widerwärtigkeiten niemals so weit her-
unterbringen liefsen, dass sie nicht durch witzige Einfalle sich und
Andere zu belustigen wussten.
Die weitere Gestaltung der Verhältnisse war von dem Gedeihen
der einzelnen Küslenstädte abhängig. Denn wenn sie auch fast alle
einen hohen Grad von Wohlstand erreichten, so war doch die Ent-
wicklung von Kraft und Macht bei ihnen eine sehr verschiedene.
Und zwar waren es nicht die durch Fruchtbarkeit des Gebiets und
behagliche Lage am meisten begünstigten Städte der Ghalkidier in der
Nähe des Aetna, welche vor den andern den Vorsprung gewannen.
Auch Syrakus, obgleich vor allen Pflanze lad ten durch seine Küstenlage
bevorzugt, griff nicht auf selbständige Weise in die Geschichte der
Insel ein, sondern die rhodischen Städte waren es, von denen die
Bewegungen ausgingen, welche eine gemeinsame Staatengeschichte in
Sicilien veranlassten. Sie waren es, welche zuerst höhere politische
Zwecke verfolgten, welche die engen G ranzen ihrer Stadtgebiete über-
schritten und durch Unterhandlung wie durch Gewalt die Hülfskräfte
verschiedener Staaten mit einander verschmolzen.
Darnach gliedert sich die ganze ältere Gescl lichte Sicilien s in
drei Perioden. Die erste ist die Zeit der Stadtgründungen, eine lange
Zeit von anderthalb Jahrhunderten. Dann folgt die Zeit der inneren
Entwickelung der Städte, in der die chalkidischen Colonien jene
Rechtsordnungen einführten und ausbildeten, welche dem Gesetz-
geber Charondas zugeschrieben wurden (I, 547). Das ist die Periode,
die vorzugsweise das sechste Jahrhundert einnimmt, in welchem jede
der drei Inselseiten und wiederum jede einzelne Stadt daselbst ihre
besondere Geschichte hatte; ein Zeitraum, über den es an allen
zusammenhängenden Nachrichten fehlt. Denn erst um Ol. 70 (500
v. Chr.) treten die Städte aus der Dunkelheit heraus; da beginnt
gleichzeitig an den verschiedensten Punkten ein bewegteres Leben;
die Parteikämpfe beginnen in den Gemeinden, deren buntgemischte
Bestandteile eine ruhige Entwickelung nicht gestatten. Kriegerische
Männer reifsen die Gewalt an sich und der Ehrgeiz führt sie zu immer
weiter greifenden Unternehmungen. Die engen Gränzen der Stadt-
GESCHICHTE VON GELA
525
gebiete, in denen die verschiedenen Gemeinden friedlich neben ein-
ander gewohnt hatten, werden überschritten. Es bildet sich ein Unter-
schied von Grofs- und Kleinstaaten; eine Stadt erhebt sich über die
andern, es entstehen Bündnisse und Gegenbündnisse, welche endlich
die Einmischung auswärtiger Mächte herbeiführen. Erst in dieser
Periode kann von einer Geschichte Siciliens die Rede sein. Ihr Aus-
gangspunkt ist Gela (I, 435).
Die rhodischen Geschlechter, welche den unvergänglichen Ruhm
haben, die Südküste der Insel für hellenische Cultur gewonnen zu
haben, waren mit vielerlei Volk aus Kreta, Rhodos, Thera und den
kleineren Inseln Telos, Nisyros u. s. w., welche vor der kleinasiatischen
Küste liegen, herübergekommen. Die Mannigfaltigkeit der Pflanz-
bürger steigerte die Kraft der jungen Gemeinden, rief aber auch sehr
frühzeitig Spaltungen hervor, welche das Bestehen der Staaten in
Frage stellten.
So waren auch in Gela zwei Parteien, welche sich schroff gegen-
über standen, bis endlich die eine Partei nach Maktorion oberhalb
Gela auswandern mussle; der Staat war in sich zerfallen und eine
Fehde ausgebrochen, ähnlich wie die zwischen Athen und Leipsydrion
(I, 368).
Da gelang es einem Bürger der Stadt, Telines mit Namen,
welcher aus der Insel Telos stammte, den drohenden Bürgerkrieg
abzuwenden. Unter dem Schutze religiöser Weihe, die er als Priester
der unterirdischen Gottheiten hatte, ging er in's feindliche Lager hin-
aus, und es gelang ihm durch verständige Rede die Parteien zu ver-
söhnen. Der Bestand der Gemeinde war gerettet, und Telines wurde
dadurch belohnt, dass ihm seinem Antrage gemäfs das erbliche
Priesterthum jener Gottheiten, mit deren Hülfe er den Frieden wieder
hergestellt hatte, von Staatswegen übertragen wurde (I, 460).
Die Herrschaft der Geschlechter konnte aber nicht auf die Dauer
hergestellt werden. Aus neuer Parteifehde erwuchs die Tyrannis des
Kleandros, welchem OL 70, 3; 498 sein Bruder Hippokrates folgte.
Dieser begann nun mit grofser Schlauheit und rücksichtsloser Energie
eine erobernde Politik, indem er die Streitigkeiten in den Nachbar-
Städten für seinen Ehrgeiz ausbeutete und Bündnisse schloss, die er
so lange hielt, als sie ihm Nutzen gewährten. Die ganze Insel gerielh
durch ihn in Unruhe und Unsicherheit, die Zeil der Stadlfehden nahm
ihren Anfang, eben so wie es im Peloponnes der Fall war durch
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526 DER TYRANN HIPPORR AT ES (»0, 8—7«, 8; 498-1).
die ersten Uebergriffe der Spartaner in das Gebiet ihrer Nachbar-
länder.
Es war aber die Versuchung zu eroberndem Vordringen hier
ungleich gröfser als im Mutterlande; denn die Städte lagen auf dem
schmalen Küstenrande viel dichter neben einander, und die auf-
blähenden Gemeinden mussten sich auf allen Seiten beengt fühlen.
Dann waren freilich auch in Sicilien die verschiedenen Stadtgebiete
durch natürliche Gränzen von einander getrennt; denn die kleinen
Flussebenen sind, gleich den Ebenen von Argos und Athen, alle nach
dem Meere offen und im Hintergrunde durch Gebirgsringe vom
Binnenlande gesondert und bilden natürliche Kantone. Aber diese
Gliederung war doch nicht so kräftig und durchgreifend, wie die der
Bergreihen im Mutterlande; sie gab dem schwächeren Staate zu wenig
Schutz und Zuversicht. Da nun, wie die Verhältnisse lagen, auch kein
gemeinsames Recht vorhanden sein konnte, welches die schwankenden
Gränzen sicherte, und keine religiösen Ordnungen, die den Landfrieden
hüteten, so war dem Eroberungstriebe der kräftigeren Stadtgemeinden
keinerlei wirksame Schranke gesetzt77).
Die Fehden, welche nun begannen, waren keine Stammfehden;
denn der erste Angriff, der von dem kriegerischen Gela ausging, war
gegen Syrakus gerichtet; es waren also zwei dorische Städte, die mit
einander den Kampf eröffneten.
Die Syrakusaner hatten 135 Jahre nach Gründung ihrer Stadt,
also um die Zeit Solons, eine Colonie an die Südküste gefuhrt und
Kamarina gegründet zwischen dem Vorgebirge Pachynon und Gela,
nachdem die Megareer schon ein Menschenalter vorher im westlichen
Theile der Südküste Selinus gebaut hatten. Das schnell empor-
gewachsene Kamarina riss sich Ol. 67 (um 512) von seiner Mutter-
stadt los wie Kerkyra von Korinth. Es wurde bezwungen und zerstört
von den Syrakusanern, so dass ihr Gebiet jetzt unmittelbar an das von
Gela reichte. Hippokrates griff den Nachbarstaat an. Am Flusse
Heloros standen zuerst Griechenheere einander gegenüber. Die Syra-
kusaner wurden durch Zuzug von Korinth und Kerkyra in ihrer Selb-
ständigkeit erhalten, aber das Gebiet von Kamarina mussten sie ab-
treten, und an der verödeten Stelle ihrer Colonie erwuchs nun eine
ihnen feindliche Stadt, ein Vorposten von Gela gegen Syrakus.
Die Unternehmungen des Hippokrates dehnten sich inzwischen
immer weiter aus. Er griff im Rücken von Syrakus, das nun gänzlich
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HIPPOKRATES VXU ZANKLE (UM 493).
527
isolirt wurde, nach dem Gebiete der Chalkidier hinüber, brachte Leon-
tinoi, Naxos, Zankle in Abhängigkeit, und welche Mittel er bei seiner
Eroberungspolitik anwendete, zeigt sich bei dem letztgenannten Orte
am deutlichsten.
Zankle war unter den chalkidischen Colonien der Insel die
lebenskräftigste. Ihr Landgebiet war im Verhältniss zu dem der
andern dürftig und wenig ergiebig; um so mehr war sie aber darauf
angewiesen, ihren vortreulichen Hafen zu benutzen, und ihre Lage am
sicüi sehen Sunde nöthigte sie, sich den Verkehr zwischen dem
tyrrhenischen und ionischen Meere zu sichern und die Hafenplätze der
Nordküste in griechische Hände zu bringen. Die Zankläer hatten hier
eine noch schwierigere Aufgabe, als die Rhodier im Süden; denn das
Nordgestade ist felsig, unwegsam und zum Theil sehr ungesund;
aufserdem hatten sie nicht nur die Karthager zu feindlichen Nachbarn,
sondern auch die Tyrrhener und die Sikuler, welche im Norden
mächtiger geblieben waren als an den andern Seiten der Insel.
Dennoch gelang es den Zankläern am nächsten Vorgebirge der Nord-
küste Mylai zu gründen und dann hart an der punischen Gränze die
Stadt Himera, welche zu einem selbständigen und volksreichen Ge-
meinwesen erwuchs.
So hatte sich ein ausgedehnteres Staatsgebiet gebildet, welches
um die Zeit des ionischen Aufstandes von Skythes, dem Herrscher von
Zankle, regiert wurde, einem staatsklugen und weitblickenden Manne,
der auch mit den Verhältnissen im Orient vertraut war.
Er kam daher auf den Gedanken, die Bedrängniss der asiatischen
Griechen zu benutzen, um für die Hellenisirung der Nordküste neue
Kräfte zu gewinnen. Milesier und Samier folgten seiner Aufforderung,
aber wie sie mit ihren Schiffen in Rhegion anliefen, gelang es der
Arglist des Anaxilaos von Rhegion, sie zu einem Angriffe auf Zankle
zu überreden (I, 628). Skythes, der gegen die Sikuler zu Felde lag,
sali sich plötzlich von seiner eigenen Stadt ausgeschlossen und rief nun
seinen Bundesgenossen Hippokrates zur Unterstützung herbei. Aber
auch von ihm wurde er auf die hinterlistigste Weise getäuscht; denn
der Tyrann von Gela bemächtigte sich seiner Person, so wie der Zan-
kläer, und lieferte die dreihundert Vornehmsten der Stadt den Samiern
aus, um sie zu tödten. Die Samier vollzogen diese Blutthat nicht,
aber sie schlössen einen Vertrag, durch welchen sie mit ihm die reiche
Beute theilten und gewiss auch die Oberhoheit von Gela anerkannten.
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528
GELON TYRANN VON GELA (72, S; 491).
Hippokrates hatte zwei Männer zur Seite, deren Feldherrngaben
er seine glänzenden Erfolge Torzugsweise verdankte. Der Eine war
Gelon, der Sohn des Deinomenes, aus der priesterlicben Familie des
Telines; der Andere Ainesidemos, welcher einem noch erlauchteren
Geschlechte angehörte, dem der Aegiden, demselben Geschlechte, das
aus dem siebenthorigen Theben nach Sparta gekommen war, den
dortigen Staat hatte aufrichten helfen und sich dann nach Thera, nach
Kyrene und nach Rhodos verzweigt hatte (I, 167). Aus Rhodos war
wiederum ein Zweig dieses lebenskräftigen und wanderlustigen
Stammes nach Gela gekommen; das war die Familie der Emmeniden,
welcher Ainesidemos angehörte.
Ainesidemos wie Gelon waren Männer von hochiliegenden Plänen
und beide nicht gesonnen, Werkzeuge fremder Herrsch ergröfse zu
bleiben. Gelon, der Jüngere von ihnen, gewann den Vorsprung. Er
blieb, nachdem Hippokrates in einem Kampfe mit den Sikulern ge-
fallen war, an der Spitze der Truppen, und unter dem Vorwande, das
Thronfolgerecht der unmündigen Tyrannensöhne zu vertheidigen, be-
siegte er das Bürgerheer der Geloer in offener Schlacht und eignete
sich dann die Herrschaft selbst an, um seines Vorgängers Plan, ein
griechisches Reich auf der Insel zu gründen, in gröfserem Mafsstabe
zu verwirklichen. Namentlich war er auf die Schöpfung einer See-
macht bedacht, und weil die Städte der Südküste mit ihren offenen
Rheden hiezu nicht geeignet waren, so richtete er sein Augenmerk auf
Syrakus, welches ihm durch seinen gro£sen Flottenhafen zur Haupt-
stadt der Insel berufen zu sein schien. Die Verhältnisse begünstigten
seine Pläne. Denn das Mutterland war durch die drohende Perser-
macht völlig in Anspruch genommen, so dass von dort keine Ein-
mischung zu erwarten war, und eben so kamen die inneren Zustande
der Nachbarstadt den Absichten Gelons fördernd entgegen 7B).
Die erste Ansiedelung der korinthischen Pflanzbürger hatte auf
Ortygia stattgefunden (I, 429), wo das Artemisheiligthum bei der
Quelle Arethusa stand und der Athenatempel, die beiden heiligen
Statten der Insel, in deren Nähe auch die alten Familien der Stadt ihre
Häuser hatten. Dies war der Grundstamm der Ansiedler von Syrakus,
welche sich nach dorischer Weise in den eroberten Grundbesitz ge-
theilt hatten, und von dem Besitze ihrer Landloose die Grundherren
oder 'Gamoren' hiel&en. Neben diesen Altbürgern, welche die Re-
gierung in Händen hatten, sammelte sich in der Stadt eine gewerb-
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Geschichte vo* Syrakus. 529
treibende Bevölkerung, welche rasch anwuchs und durch Kornhandel,
SchiflTahrt, Kunst und Handwerk zu Wohlstand gelangte. Eis war die
schutzverwandte Einwohnerschaft. Einen dritten Stand bildeten die
sogenannten Killikyrier, die unfreien Ueberreste der alten Bevölkerung,
welche als Hörige den Grund und Boden der Gamoren bebauten, in
ihrer Lage den Heloten und Penesten ähnlich.
Die regierenden Geschlechter haben in Syrakus, wie in der
Mutterstadt, mit welcher sie immer in genauen Beziehungen geblieben
waren, eine grofse Tüchtigkeit bewiesen. Sie haben das Küsteneiland
Orlygia durch einen mächtigen Damm mit der grofsen Insel verbunden ;
sie haben damit ihre Hand auf dieselbe gelegt und die Herstellung eines
Inselreichs begonnen. Denn nicht nur das nächste Ufer haben sie in
ihre Ansiedelung hereingezogen, sondern auch nach allen Richtungen
Colonien ausgeschickt. So im siebzigsten Jahre ihrer Stadt nach Akrai
(29, 1; 664), zwanzig Jahre später nach Kasmenai und dann (45, 2;
599) nach Kamarina. Auf diese Weise umgürteten sie ihr Stadtgebiet
mit festen Punkten, machten sich zu Herrn der südöstlichen Ecke
Siciliens und gewannen wohlgelegene Wattenplätze zu weiteren Unter-
nehmungen. Aber auch in das Innere drangen sie vor, um griechische
Cultur auszubreiten und sich der fruchtbarsten Theile des Binnen-
landes zu versichern. So sollen sie in der Mitte Siciliens das hochge-
legene und quellenreiche Enna um dieselbe Zeit wie Akrai gegründet
haben; die zahlreichen Pflanzorte dienten zugleich dazu, die unruhige
Stadtbevölkerung zu verlheilen und die bestehende Regierung zu be-
festigen79).
Indessen war den syracusanischen Geschlechtern aller Klugheit
und Energie ungeachtet weder in ihrer inneren noch in ihrer äufseren
Politik ein dauernder Erfolg vergönnt. Denn an der Südküste, wo ihr
Vorgehen nolhwendig zu Conflikten mit Gela führen musste, verloren
sie ihre Besitzungen an Hippokrates, welcher nach der Schlacht am
Heloros bis in die nächste Umgebung der Stadt siegreich vordrang.
Das äufsere Unglück erschütterte das Ansehen der Aristokratie, wie es
auch mit den korinthischen Bakchiaden der Fall war (I, 261). Die
beiden unteren Stände verbanden sich zu einer gemeinsamen Erhebung;
die Geschlechter wurden vertrieben und flüchteten nach Gela, um bei
den dortigen Tyrannen, welche am meisten zu ihrem Sturze bei-
getragen hatten, Unterstützung zu suchen. Dies geschah, als Gelon
sechs Jahre Herr von Gela war.
Curtiup, Gr. Co»ch. II. 6. Anfl. 34
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530
SYRAKUS UNTER GELON (73, 4; 485).
Gelon wusste die dargebotene Gelegenheit im vollsten Mafse zu
benutzen. Er kehrte mit den Vertriebenen zurück, ehe noch in der
aufständischen Stadt eine neue Ordnung zu Stande gekommen war.
Die Bürger legten ihr Schicksal in seine Hand und Gelon war hoch er-
freut, das Hauptziel seiner Politik schnell und vollständig erreicht zu
haben, indem er sich von allen Ständen der in sich zerfallenen Stadt
als Ordner der inneren Angelegenheiten freiwillig anerkannt sah. Er
übergab sofort seinem Bruder Hieron die Verwaltung von Gela, nahm
selbst seinen Silz in Syrakus und damit begann für diese Stadt so wohl
wie für die ganze Insel eine neue Epoche.
Gelons nächste Aufgabe war, Syrakus zu einer grofscn Hauptstadl
und einem glänzenden Fürstensitze umzuschalten, um das Frühere ver-
gessen und die Rückkehr desselben unmöglich zu machen. Zu dem
Zwecke verpflanzte er alle Kamarinäer nach Syrakus und eben so den
grofseren Theil von Gela. Auch von der Ostküsle her bevölkerte er die
neue Hauptstadt. Hier lag an der schönen Bucht unmittelbar neben Sy-
rakus die Stadt Megara (I, 429), die Mutter Stadt von Selinus; zwischen
den Leon tinein und Syrakusanern eingeengt, hatte sie es zu keinem
rechten Gedeihen bringen können; wie sollte sie sich jetzt gegen den
übermächtigen Nachbarn halten ! Und dennoch war der Adel der Stadt
entschlossen, seine Selbständigkeit zu vertheidigen und der gewalt-
samen Einverleibung in das Tyrannenreich mit allen Mitteln zu wider-
streben. Gelon konnte erst durch eine Belagerung sein Ziel erreichen.
Syrakus vergröfserte sich weit über das Doppelte. Denn nachdem
die Bevölkerung sich schon seit lange über den Isthmus von Ortygia
auf das Festland vorgeschoben hatte, wurde jetzt die grofse Hochfläche
desselben vom Isthmus bis an das nördliche Meer (Achradina) städtisch
eingerichtet und befestigt, und landeinwärts neben Achradina der
Sladttheil Tyche, anderthalb bis zwei Stunden Wegs von der Insel ent-
fernt. Bei diesen riesenhaften Anlagen wurden alle Arbeitskräfte an-
gespannt und fanden den reichsten Verdienst. Die Aufmerksamkeit
wurde von allen Verfassungsfragen abgezogen. Zugleich wurde die Be-
völkerung in dem Grade zersetzt, dass eine Erneuerung der alten
Parteiungen unmöglich wurde; es war wie eine neue Sladtgründung,
und Gelon erreichte dadurch, dass inmitten der von allen Seilen zu-
strömenden Menschenmenge, inmitten der grofsen Bauten und Ein-
richtungen seine Person unentbehrlich war, weil sie dem Ganzen allein
Halt und Zusammenhang gab.
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IHK POLITIK GELONS
531
Die Politik Gelons war nickt die eines gewöhnlichen Tyrannen,
sondern er wusste die Grundsatze aristokratischer und demokratischer
Regierung in eigentümlicher Weise zu verbinden. In Megara war es
der Adel gewesen, der gegen ihn die Waffen ergriffen hatte und
deshalb vor seiner Rache zitterte. Statt dessen wurde derselbe, ohne
irgend eine Einbufse zu erleiden, in die neue Hauptstadt verpflanzt;
das geringe Volk aber, worunter auch viele Sikuler waren und Leute
phönikischer Herkunft, wurde nach aufsen in die Sklaverei verkauft.
Eben so geschah es mit chalkidiscben Ortschaften. Gelon wollte eine
grofse Stadt, aber ohne Proletariat; er wollte eine Einwohnerschaft von
möglichst viel gebildeten und begüterten Bürgern, in welcher sich
nicht nur die Sonderinteressen verschiedener Stände und Städte,
sondern auch die Besonderheiten des dorischen und ionischen Wesens
ausgleichen sollten. Syrakus kann deshalb die erste hellenische Grofs-
stadl genannt werden, weil Einbeimische und Fremde daselbst gleiche
Rechte und Ehren genossen.
Nach Art aristokratischer Regierungen hielt Gelon die Bürger
sonderlich zum Ackerbau an und überwachte die Felder, aber zugleich
entfesselte er die Kräfte der bürgerlichen Gesellschaft und eröffnete
alle Hülfsquellen des Wohlstandes, welche Schiffbau und Handel dar-
bieten; der Galeerenbau wurde in grofsem Mafsstabe betrieben, das
Volk in Wfaffen geübt, und die ganze Bürgergemeinde als Inhaberin
der höchsten Gewalt angesehen. Darum erklärte er sich, als er auf
dem Gipfel seiner Macht stand, bereit, die Regierung in ihre Hände
zurückzugeben; er konnte überzeugt sein, dass die Bürgerschaft nicht
anstehen würde, ihn als ihren Retter, ihren Wohllhäter und König
zu begrüfsen, weil Glück und Sicherheit der neuen Stadt auf ihm
beruhte80).
Sein Blick ging weit über die Mauern von Syrakus und selbst
über die Küsten Siciliens hinaus. Er kannte die Verhältnisse des
jenseitigen Griechenlands, die Zerrissenheit desselben und die Macht
des Grofskönigs. Die Gelegenheit schien günstig zu sein , um den
Sikelioten Einfluss im Mutterlande zu verschaffen und das Gefühl des
Stolzes, mit dem man von den blühenden Pflanzslädlen auf das ältere
Hellas binblickle, in glänzender Weise zu befriedigen. Denn während
die Staaten des Mutterlandes erst anfingen, Flotten zu bauen, und was
die Landmacht betrifft, auf das Aufgebot ihrer Bürgerwehren an-
gewiesen waren, an Reiterei und leichten Truppen aber den gröfsten
34*
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532
GEL03 UND
Mangel hatten, auch in Geldmitteln beschränkt und in Bezug auf
Getreidezufuhr von fernen Gegenden abhängig waren, hatte Gelon eine
vollständige und wohlgeübte Streitmacht, ein schlagfertiges Landheer
von 20,000 Bürgern und Söldnern; dazu Schleuderer, Bogenschützen,
schwere und leichte Reiterei. Die Zahl der Galeeren soll sich auf 200
belaufen haben. Dazu hatte er einen Schatz und Kornmagazine,
welche sich aus dem Ueberflusse der Insel füllten. Er hatte offenbar
von seinen Nachbarn, den Karthagern, gelernt, eine Reichsmacht zu
bilden, wovon man im Mutterlande keine Ahnung hatte; er halte
jenseits des Wassers, so wie auf der eigenen Insel den Nationalfeind
vor sich und war dadurch genöthigt eine wohl organisirte und stets
schlagfertige Streitmacht zu haben, und seine Absicht konnte keine
andere sein, als mit Hülfe derselben die ganze Insel unter seiner
Herrschaft zu vereinigen und das unvollständig gebliebene Werk der
griechischen Colonisation Siciliens zu vollenden.
Zu diesem Zwecke hatte er schon mit den Staaten des Mutter-
landes Unterbandlungen begonnen und namentlich Sparta zu ge-
winnen gesucht, dass es ihm zur Unterwerfung der westlichen Insel
Beistand leiste. Den Spartanern selbst waren solche Pläne nicht fremd
geblieben. Denn wenig Jahre zuvor hatte ja des Königs Kleomenes
Bruder Dorieus (S. 55) eben daselbst mit Phöniziern und Elymern
gekämpft und war im Kampfe gefallen. Gelon stellte also den Spar-
tanern vor, dass sie den Tod des Herakliden rächen und jene aben-
teuerliche und erfolglose Unternehmung durch einen wohlvorbereiteten
Feldzug in seiner Gemeinschaft wieder gut machen müssten. Zugleich
hob er hervor, welch ein Gewinn es für das Mutterland sei, wenn alle
Häfen der kornreichen Insel den Puniem entrissen und den griechi-
schen Handelsschiffen geöffnet würden. So sollte Sicilien zum Mittel
punkte der griechischen Geschichte werden und der König von
Syrakus Oberfeldherr der griechischen Contingente.
Sparta wollte und konnte auch damals auf solche Pläne nicht ein-
gehen. Man begreift aber, wie stolz Gelon auftrat, als einige Jahre
nachher vom Isthmus (S. 61) die Gesandten herüberkamen, um seine
Bundeshülfe gegen Xerxes in Anspruch zu nehmen. Er sah seinen
Staat als die einzige Grofsmacht an, welche mit griechischen Volks-
kräften zu Stande gekommen war; er hielt die Republiken des Mutter-
landes bei ihren geringeren Hülfsmitteln und dem Mangel an einheit-
licher Leitung für durchaus unfähig, den Persern zu widerstehen, und
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DAS MITTLRLA.\D.
533
glaubte sich in dem bevorstehenden Völkerkriege unentbehrlich. Die
Notli der Griechen sollte ihm dazu dienen, seine wohlbegründeten
Machtansprüche von den jenseiligen Staaten anerkannt zu sehen; er
verlangte also, wenn er helfen sollte, die Führung des geraeinsamen
Kriegs zu Wasser und zu Lande. Als nun der Vertreter Spartas voll
Entrüstung den Gedanken zurückwies, dass seine Könige, die Nach-
folger Agameranons, einem fremden Fürsten die Führung der Hellenen
überlassen sollten, gab Gelon so weit nach, dass er den Gesandten die
Wahl liefe, ob sie ihm zu Lande oder zu Wasser die Führung über-
tragen wollten. Dieser Vorschlag war den Spartanern gegenüber nichts
Anderes als ein Antrag auf Ueberlassung des Flottenbefehls, und
darum ergriff nun der Athener das Wort im Namen seines Staats,
dessen aufkeimende Gröfse auch Gelon nicht zu würdigen wusste.
Die Athener, so wurde ihm entgegnet, die niemals ihren Wohnsitz
verändert halten, dürften jüngeren Staaten und ausgewanderten Hel-
lenen den Vorrang nicht zugestehen. Nicht Feldherrn suche man,
sondern Truppen. Bei so entschlossenem Gegensatze war keine Ver-
mittelung möglich, und nach heftigem Wortwechsel entliefe Gelon die
Gesandten, indem er nach Art der Sikelioten ihres Unverstandes
spottete; sie sollten heimgehen und ihren Landsleuten sagen, dass
ihrem Jahre der Frühling genommen sei, d. h. sie hätten sich selbst
des besten Theils nationaler Macht beraubt.
So lautet die griechische Ueberlieferung von der Gesandtschaft,
wie Herodot sie uns mitlheüt. In Sicilien dagegen wollte man nicht
einräumen, dass die Verhandlungen an dem Ehrenpunkte des Ober-
befehls gescheitert seien; Gelon sei vielmehr auch unter Spartas
Hegemonie zu thäliger Bundeshülfe bereit gewesen und nur durch
einheimischen Krieg daran verhindert worden. Und allerdings war
schon zwei Jahre vor dem Zuge des Xerxes ein sicilischer Krieg
der gefahrlichsten Art in Aussicht; schon deshalb ist es in der Thal
unwahrscheinlich, dass ein so kluger Fürst wie Gelon ernstlich daran
gedacht haben sollte, sich an einem Kriege im ägäischen Meere zu
betheiligen und zwar mit einer so ansehnlichen Macht, um darauf den
Anspruch auf Oberbefehl zu gründen.
Ganz ferne durfte er indessen den griechischen Angelegenheiten
nicht bleiben. Er musste hinreichend unterrichtet sein, um nach dem
Gange derselben bei Zeiten seine Politik einrichten zu können ; denn
wenn die griechischen Streitkräfte schnell erliegen sollten, wie er es
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GESCHICHTE VON AKHAGAS.
ja nicht anders voraussetzen konnte, so stand zu erwarten, dass die
Perser-, welche das sicilische Meer schon ausgekundschaftet hatten
(I, 612), sich am griechischen Mutterlande nicht genügen lassen
würden; sie konnten keine günstigere Zeit gewinnen, um Sicilien zu
unterwerfen, als die des schon begonnenen Kriegs mit Karthago, und
deshalb musste Gelon Alles aufbieten, um eine Verbindung der beiden
Erbfeinde griechischer Nation rechtzeitig zu verhindern. Deshalb
schickte er einen seiner zuverlässigsten Diener, Kadmos, den Sohn des
Skylhes (S. 527), mit drei SchifTen und reichen Geschenken nach
Delphi, um dort an neutraler Stelle den Gang der Ereignisse zu be-
obachten; er halte die Weisung, im Falle des Siegs der Barbaren dem
Grofskönige schon in Griechenland Gelons Huldigung darzubringen
und allen Feindseligkeiten vorzubeugen. Kadmos war zu dieser Mission
ganz besonders geeignet, weil er selbst unter persischer Hoheit Statt-
halter in Kos gewesen und wie sein Vater am Hofe des Grofskönigs
wohl angesehen war. Gelons eigene Thätigkeit aber wurde ganz
von den sicilischen Verwickelungen in Anspruch genommen, welche in
Akragas ihren Ausgangspunkt hatten81).
Akragas, zwischen Gela und Selinus gelegen, eine der jüngsten
unter den griechischen Colonien, hatte ungemein rasch die meisten
der Inselslädte überflügelt (I, 437). Es war gleich als Grofsstadt an-
gelegt worden, eine Stunde vom Meere, auf breiter Felsterrasse, die,
im Rücken von höheren Gebirgen überragt, gegen das Meer und nach
den Seiten mit steilen Wänden abfallt, so dass es an vielen Stellen gar
keiner Stadtmauer bedurfte. In verschiedenen Stufen erhob sich die
Felsenstadt zu der Akropolis, welche, 1200 Fufs hoch, die Tempel der
Götter trug. Die Leitung der öffentlichen Bauten wurde dem Phalaris
übertragen, einem ehrgeizigen Bürger, welcher die mit solchem Amte
verbundene Macht (S. 228) benutzte, um sich zum Herrn der Stadt zu
machen, nachdem sie kaum zwanzig Jahre lang bestanden hatte. Gewiss
war seine Regierung von wohlthäligem Einflüsse, in so fern sie wesent-
lich dazu beitrug, die junge Stadt in kurzer Zeit grofs, fest und an-
sehnlich zu machen. Sonst aber war die Herrschaft nach allgemeiner
Ueberlieferung, wie sie sich in der Erzählung vom Stier des Phalaris
ausspricht, eine gewaltthätige und verhasste, so dass ihr Sturz um
Ol. 57, 4 (559) als eine glückliche Epoche im Andenken blieb.
Indessen gelang es der Gemeinde auch dann nicht, in das Geleis
einer ruhigen Entwickelung der bürgerlichen Zustande einzulenken,
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THERON TYRANN VON AKRAGAS. 535
und die grofsen Schwierigkeiten, mit welchen die Leitung einer ver-
schiedenartigen und schnell angewachsenen Menschenmenge verbunden
war, brachten den Staat immer wieder in die Gewalt einzelner Macht-
haber. Unter den eingewanderten Pflanzbürgern waren auch Mitglieder
aus der Familie der Emmeniden (S. 528); ihr gehörte Telemachos an,
welcher schon beim Sturze des Phalaris eine hervorragende Rolle
gespielt hatte, und nachdem noch zwei Machthaber, Alkamenes und
Alkandros, nach einander in Akragas geherrscht hatten, trat das Haus
der Emmeniden von Neuem in den Vordergrund. Ainesidemos näm-
lich hatte in Gela seinem Nebenbuhler Gelon weichen müssen; er
suchte sich darauf eine Zeillang in Leontinoi zu halten und siedelte
endlich nach Akragas über, wo es seinen beiden Söhnen, Theron und
Xenokrates, gelang, dem alten Ruhm des Hauses in glänzender Weise
eine neue Statte zu bereiten.
Die Tyrannis der Emmeniden in Akragas war der des Gelon
ihrem Ursprung und Weseu nach durchaus entsprechend. Theron
war Feldherr der Stadt und wusste die Kriegsmacht an seine Person
zu fesseln, so dass er Ol. 72, 4 (489) die Stadt in seine Gewalt
bringen und daselbst 10 Jahre ungestört regieren konnte. Denn er
regierte mit weiser Milde, so dass die durch Waffen gegründete Herr-
schaft nicht als Gewaltherrschaa empfundeu wurde. Der beste Reweis
dafür ist, dass er auch nach seinem Tode in gesegnetem Andenken
geblieben ist. Er schloss sich an seinen mächtigeren Nachbarn an, gab
ihm seine Tochter Demarete zur Gemahlin; er sorgte nicht nur dafür,
die beherrschte Stadt mit allen Künsten des Friedens zu schmücken,
sondern ging auch nach Gelons Beispiel darauf aus, ihr Gebiet durch
neue Erwerbungen zu erweitern. Jenseits der Berge, von denen die
Gewässer nach Akragas herabfliefsen, lag die Colonie der Zankläer,
Himera (S. 527), auf welche schon Phalaris sein Augenmerk gerichtet
haben soll. Dort herrschte Teriilos, des Krinippos Sohn, der die
ionisch- dorische Bevölkerung der Stadt in strenger Zucht hielt. Mit
seinen Gegnern setzte Theron sich in Verbindung, vertrieb ihn in
einem glücklichen Feldzuge und herrschte nun, wie Gelon, an zwei
Küsten der Insel. Teriilos aber stand nicht allein; er war mit
Anaxilaos, seinem Schwiegersohne verbündet; er bot alle Hülfsmittel
des Widerstandes auf und rechnete vorzugsweise auf Karthago").
Hier hatten die Phönizier eine Macht gebildet, wie sie im Mutter-
lande nicht zu Stande gekommen war, eine Reichsmacht, welche sich
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DIE MACHT KARTHAGOS.
in einem an Hilfsquellen unerschöpflichen Lande zwischen Meer und
Wusle ausdehnte, mit festen Plätzen sich rings umgab und von hier
aus im westlichen Mittelmeere die phönikische Macht aufrecht zu
erhalten suchte, nachdem sie in den östlichen Gewässern überall
zurückgedrängt worden war. Als Karthager haben die Punier sich für
ihre früheren Niederlagen an den Hellenen gerächt; von Karthago aus
haben sie den bis dahin ungehemmten Fortschritten hellenischer
Macht Schranken gesetzt, haben in Afrika ihre Keicbsgränzen gegen
Kyrene und Barke vertheidigt und in Sicilien gegen Selinus und
Akragas ihre Besitzungen behauptet. Die Vorposten des afrikanischen
Reiches waren die kleinen Inseln südlich und südwestlich von Sicilien,
welche den griechischen Städten eben so lästig waren, wie einst
Aigina den Athenern; namentlich Gaulos (Gozzo) und Melite (Malta),
das mit seinen steilen Küsten und leicht zu verschliefsenden Häfen
eine Festung im Meere war und eine unvergleichliche Flotten Station.
Je mehr die phönikischen Städte im Mutterlande durch ein-
heimische Kriege in Anspruch genommen wurden, um so mehr sah
Karthago sich gezwungen, eine selbständige Stellung einzunehmen
und nicht nur für seine eigenen Handelsinteressen einzustehen,
sondern auch eine Hegemonie über die andern vom Mutlerlande
verlassenen Stapelplätze und Ptlanzorte der Phönizier zu übernehmen.
Im sechsten Jahrhundert v. Chr. tritt es mit kriegerischer Macht auf.
Die Folge davon ist, dass die hellenische Colonisation Siciliens plötz-
lich in Stocken geräth, dass die Rhodier und Knidier um 5S0 (Ol. 50)
von Lilybaion zurückgeschlagen werden, dass die Karthager sich mit
den Elymern einerseits, andrerseits mit den Tyrrhenern enger ver-
binden, dass sie Sardinien besetzen, dass sie die Phokäer, welche sich
in ihr Seegebiet mit grofser Kühnheit eingedrängt hatten, mit den
Tyrrhenern zusammen wieder aus Kyrnos (Korsika) verlreiben und
nach dem Verluste der liparischen Inseln (I, 439) die Westspilze
Siciliens nebst den ägatischen Inseln um so zäher festhalten. Dort
hatten sie drei feste Punkte: Motye an der Westküste, mit einem
durch Klippeninseln wohl verlheidigten Kriegshafen, der zur Ver-
bindung mit Afrika diente, und an der Nordküste, zur Verbindung mit
Sardinien, Panormos, den besten Flottenhafen Siciliens, und Soloeis.
Quer durch Sicilien ging also von Nordost nach Südwest die Gränz-
linie, jwelche hellenisches Land- und Seegebiet von dem nichthelle-
nischen trennte83).
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DIE MACHT KARTHAGOS.
537
Mit diesem Zustande der Dinge konnte man von keiner Seite
zufrieden sein. Die Punier fühlten sich üherall eingeengt, bedroht
und von den wichtigsten Seeslrafsen, wie namentlich vom sicilischen
Sunde, ausgeschlossen. Das mächtige Aufblühen der rhodischen Städte
hatte sie längst mit Misstrauen und Eifersucht erfüllt; als nun vollends
Syrakus zu einem grofsen Kriegshafen wurde und die beiden mäch-
tigen Dynastien in Syrakus und Akragas sich immer näher mit ein-
ander verbanden, um eine gemeinsame Kriegsmacht zu bilden, da
konnte über den Zweck dieser Rüstungen kein Zweifel sein. Nun
kamen die Verwickelungen im Osten dazu, welche den alten Gegen-
satz zwischen Hellenen und Phöniziern in neuer Stärke hervortreten
liefsen. Die SchifTe von Tyrus und Sidon waren es ja, welche einst
lonien besiegt hatten; auf den phönikischen Hülfskräflen beruhten
auch bei dem Angriffe auf Hellas vorzugsweise die SiegeshofTnungen
der Perser, die Könige von Sidon und Tyrus waren die ersten Vasallen
des Xerxes (S. 73). Da nun schon Dareios seine Kriegspläne gegen
Hellas bis auf die westlichen Pflanzstädte der Hellenen ausgedehnt
hatte, wie sollten die Perser es versäumt haben, auch die Colonien der
Phönizier in diese Pläne hereinzuziehen (hatten sie es doch schon zu
Kambyses' Zeit darauf abgesehen , die Kräfte Karthagos ihrem Reiche
dienstbar zu machen!), und wie sollten nicht die Phönizier selbst, im
Mutterlande wie in den Colonien, daran gedacht haben, im eigenen
Interesse die Umstände zu benutzen, um im Westen wie im Osten
die hellenische Seemacht zu brechen? Es ist daher kein Grund, die
Gesandtschaften, welche die Grofskönige nach Karthago geschickt
haben sollen, in Zweifel zu ziehen84).
Karthago war mächtiger und gerüsteter, als je zuvor. Es war
aus einem colonisirenden ein erobernder Staat geworden, und der
eigentliche Urheber dieser grofsarligeren Politik, der Gründer seiner
Kriegsmacht, war Mago oder Anno, wie Herodot ihn nennt. Er hatte
das Heerwesen geordnet und strenge Kriegsgeselze eingeführt, wie
sie bei einem so buntgemischten Heere unentbehrlich waren. Denn
Bürger bildeten den kleinsten Theil; die Masse der Truppen bestand
aus Numidiern und Libyern, Balearen, Spaniern und Galliern,
Lignrern und Italikern und griechischen Söldnern. Darin lag auch
der Grund, dass man die Feldherrn mit ausserordentlichen Voll-
machten bekleidete; es waren Heerkönige, die man, wenn sie ein-
mal sich bewährt hatten, ohne bestimmte Zeitgränze im Amte liefs;
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538
KARTHAGOS INTERVENTION.
ja man liefe ihre Macht Übergehn auf die Söhne, die in ihrer Schule
unter den Waffen grofs geworden waren, so dass sich eine Art von
Feldherrndynastie bildete, um so mehr, da auch die Würde des Stadt-
königs oder Oherrichters mitunter den Feldherrn Obertragen worden
zu sein scheint So stand das Haus des Mago damals an der Spitze
des Staats, und sein Einfluss beruhte nicht blofs auf Feldherrntalenten
und Herrschergaben, sondern auch auf höherer Bildung. Griechische
Bildung hat zur Blölhe des ganzen Staats 6ehr wesentlich beigetragen
(1, 444), und jenes Haus war ganz besonders mit griechischen
Familien durch Gastfreundschaft und Verwandtschaft verbunden.
Hamiikar oder Amilkas, der Sohn des Mago, war mit einer Syra-
kusanerin vermählt, und demselben Hause gehört auch Anno oder
Hanno an, der den grofsen Entdeckungszug in das atlantische Meer an
die Kästen Westafrikas ausführte und eine Reisebeschreibung ver-
fasste, von welcher noch jetzt Bruchstücke in griechischer Ueber-
setzung vorhanden sind85).
Nachdem Magos älterer Sohn Hasdrubal in Sardinien kämpfend
gefallen war, bekleidete Hamiikar die Oberfeldherrn würde; er musste
sich durch seine persönlichen Verhältnisse zu einer Einmischuug in
die sicilischen Angelegenheiten besonders berufen fühlen und that
daher Alles, um Terillos dem Schutze der Karthager zu empfehlen,
als derselbe aus Himera flüchtig herüber kam, um so mehr da er
sein Gastfreund war. Terillos brachte den Karthagern zugleich die
Bundesgenossenschaft des Anaxilaos, welcher die beiden Städte am
sicilischen Sunde beherrschte und aus Eifersucht über den Glanz der
Herrscher von Syrakus und Akragas so weit ging, dass er zum Unter-
pfande der Treue seine beiden Söhne den Karthagern als Geiseln aus-
lieferte. Aufserdem waren auch die Selinuntier aus Hass gegen
Akragas auf Seiten Karthagos. Das griechische Sicilien war also in
sich zerfallen ; die Sikuler im Inneren der Insel waren den Küsten-
slädten feindlich, und an Hülfe vom Mutlerlande war nicht zu denken.
Günstiger konnten also die Verhältnisse für einen Angriff auf die
sicilischen Griechen gar nicht liegen, und Hamiikar halte gewiss
nichts Geringeres im Sinne, als die ganze Insel zu einem punischen
Vasallenlande zu machen, wie es Sardinien schon geworden war.
Darum erfolgte auch ein Auszug im gröfsten Mafsstabe. Zweihundert
Galeeren gingen in See, und eine ungeheure Transportflotte schloss
sich an; die Masse der Landungstruppen wird auf 300,000 angegeben;
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IIA MI I.KAR VOR HIMKRA IM 480.
539
doch ist den Zahlen hier noch weniger zu trauen, als in der Schätzung
<ler Persermacht, welche um dieselbe Zeit Hellas überschwemmte.
Von den Reitern und Streitwagen ging ein grofser Theil zu Grunde, ehe
Hamilkar Panormos erreichte. Er rückte dann vor Himera, schlug da-
selbst ein doppeltes Lager auf, eines für das Landheer, das andere für
die Schiffe, die er an's Ufer ziehen liefs, weil der Strand hafenlos ist.
Er setzte Alles daran, die Stadt dem Theron zu entreifsen; sie sollte
ein neuer Waffenplatz für die karthagische Macht in Sicilien werden.
Himera hatte eine sehr feste Lage. Eine breite Bergterrasse fallt
mit hohen und steilen Rändern gegen die Küstenebene ab und eben
so in das Thal des Flusses, der im Südosten die Stadt schützt; auf den
andern Seiten hängt die Stadthöhe mit dem schluchtenreichen
Gebirge zusammen. Nur ein Weg fuhrt vom Ufer hinauf, welcher
zwischen dem Stadtrande und einem einzeln vorspringenden Bergkegel
(cozzo della Signora) in engem Passe ansteigt. Die Belagerung zog
sich in die Länge, und die Verbündeten halten Zeit, ihre Streitkräfte
zu vereinigen, ehe sie einzeln von der feindlichen Uebermacht Schaden
erlitten. Gelon errichtete zum Schutze der Stadt ein festes Lager im
Flusslhale, wo er mit der Stadl so wohl wie mit dem Binnenlande im
Zusammenhange stand, der Beobachtung des Feindes aber entzogen
war, während man von der Stadt das Doppellager der Punier und alle
Bewegungen derselben vollkommen überschaute. Auch benutzten die
Syrakusaner ihre Reiter mit bestem Erfolge, um die Feinde zu
überfallen, so wie sie in's Freie kamen, so dass die Himeräer sich bald
von aller Furcht befreit fühlten, während die Belagerer selbst in einen
Zustand von Belagerung gerielhen und sehnlichst auf Zuzug von
Reiterei aus Selinus warteten. Gelon erfuhr durch aufgefangene Boten
den Tag ihrer Ankunft, und es gelang ihm, eine Schaar eigener
Reiterei unerkannt in die Verschanzungen der Feinde hineinzubringen,
indem er den wirklichen Zuzug (wie sich vermuthen lässt) unterwegs
aufzuhalten wusste. So wie nun Gelon das Gelingen seiner Kriegslist
wahrgenommen hatte, brach er mit seiner ganzen Macht aus dem
Flusslhale gegen das feindliche Heerlager vor, und wie sich die
Karthager dem Sturme entgegen warfen, loderten plötzlich in ihrem
Rücken die Schiffe auf, welche die eingedrungenen Reiter in Brand
gesteckt halten. Hamilkar selbst fiel, wie die Einen sagten, von den
Reitern erschlagen, während bei seinen Landsleuten die Sage ging,
dass er sich freiwillig in die Flammen des Opfers gestürzt habe, bei
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DEH SIKG IIEI HIMtltA.
dein er gerade beschäftigt gewesen sei. Nach seinem Tode löste sich
die bunte Truppen masse, welche seine Person allein zusammengehalten
hatte, in wilder Unordnung auf. Eine geringe Zahl fand auf den
Schi (Ten Rettung, welche dem Brande entgangen waren.
Das war der glorreiche Sieg, dessen Pindar gedachte, als er 474
(Ol. 76, 3) das erste pythische Lied dichtete. 'Salamis, sagt er, er-
4 warb des Ruhmes Dank, welcher den Athenern gebührt; in Sparta
'feiere ich den Kampf am Fufse des Kithairon, wo die bo gen f üb ren-
alen Meiler erlagen; am quell reichen Ufer des Himeras aber gebührt
'der Preis den Söhnen des Dcinomenes, deren Kraft die feindlichen
'Männer bezwang.' So wussten schon die Zeitgenossen den sicilischen
Sieg in die gemeinsame Weltgeschichte einzuflechten. Die drei Völker-
schlachten waren ihnen ein Ganzes, so dass man keine derselben
erwähnen konnte, ohne der andern zu gedenken. Es war ein drei-
facher Sieg, ein Triumph des griechischen Volks. In Sicilien wie
in Hellas war die Uebermacht der Barbaren hellenischer Tapferkeit
erlegen; hier wie dort war es ein Kampf zur Rettung nationaler
Unabhängigkeit. Auch in den einzelnen Umständen herrscht eine
merkwürdige Uebereinstimmung. Denn auch in Sicilien war es eine
überseeische Invasion, welche die Rückführung einer griechischen
Regentenfamilie bezweckte, und in Sicilien wie in Hellas waren es die
beiden Grofsstaaten, welche gegen den Nationalfeind zusammenhielten,
während Mittel- und Kleinstaaten auf feindlicher Seite standen. Im
Mutterlande aber wurde der Sieg mit längerem Kampfe und schwereren
Opfern erkauft, in Sicilien brachte ein Tag die volle Entscheidung mit
unermesslichein Gewinn, da dem Besiegten kein Rückzug möglich
war; die Zahl der Gefangenen war so grofs, dass eine ganze Klasse
dienender Bevölkerung daraus erwuchs; ganz Libyen, sagte man, sei
kriegsgefangen in Sicilien. Wenn man den Himerasieg nun auch auf
denselben Tag ansetzte, an welchem entweder bei Thermopylai oder
bei Salamis gestritten worden ist, so ist diese Ueberlieferung aus dem
poetischen Triebe der Hellenen hervorgegangen, welche die merkwür-
dige Uebereinstimmung nationaler Geschichte an beiden Seilen des
Meers noch wunderbarer erweisen und die göttliche Fügung in der
gleichzeitigen Dcmüthigung der Barbaren noch deutlicher zum Aus-
druck bringen wollten88).
Karthago konnte nach der vollständigen Niederlage von Heer
und Flotte an eine Fortsetzung des Kriegs nicht denken, sondern
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GELONS TOD
511
suchte nur zu retten, was möglich war, und wenn Gelon sich willig
finden liefs, einen Frieden zu gewähren, in welchem die sicilischen
Besitzungen den Karthagern gelassen wurden, so lag der Grund wahr-
scheinlich darin, dass er freie Hand haben wollte, um in den Perser-
kriegen, deren Ausgang er erwartungsvoll beobachtete, seine Stellung
nehmen zu können. Zu dem Zwecke war die Bereicherung seines
Schatzes so wie die Stärkung der Kriegsmacht sein nächstes Augen-
merk, und in dieser Beziehung gewann er durch die reiche Beute,
durch die 2000 Talente, welche Karthago an Kriegskosten zahlen
musste, so wie durch die Menge der Kriegsgefangenen die gröfsten
Vortheile. Zugleich erlangte er durch die Aufmerksamkeit, mit
welcher er seinen Bundesgenossen Theron behandelte, so wie durch
die weise Milde, deren er sich gegen seine (Jntcrthanen und gegen die
anderen Griechen befleifsigte, dass nun auch die früher feindlich ge-
sinnten Städte ihm huldigten und dass unter seiner Führung die
Hülfskräfte des griechischen Siciliens sich zu einer Reichsmacht ver-
einigten.
Indessen war es ihm nicht vergönnt, dieselbe zu neuen Siegen
zu verwenden. Die Perserkriege wurden wider sein Erwarten ent-
schieden, ehe er das Gewicht seiner Macht in die Wagschale legen
konnte, und nachdem er noch von den ersten Thaten der Athener im
Angriffe auf Persien die Kunde empfangen hatte, starb er an der
Wassersucht Ol. 76, 1 (476). Seine Mäfsigung bewährte er noch im
Tode, indem er letztwillig verfügte, dass er den Gesetzen gemäfs,
welche er selbst zur Beschränkung des Aufwandes gegeben halle, in
bürgerlicher Weise und fern von der Stadt begraben werden sollte.
Um so ehrenvoller war die freiwillige Betheiligung der ganzen Bevöl-
kerung, welche einen Weg von mehreren Meilen nicht scheute, um
ihre dankbare Anerkennung dem Manne zu bezeugen, welcher die
kleine Inselstadt grofs und mächtig gemacht, sie neu begründet und
segensreich verwaltet hatte als ein gerechter und leutseliger Fürst.
Darum war die Bürgerschaft auch geneigt, der Familie Gelons
ihr Vertrauen zu erhalten. Er selbst hatte testamentarisch bestimmt,
dass während der Minderjährigkeit seines Sohnes sein Bruder Hiaron
oder Hieron die Regentschaft führen, Polyzelos aber, der andere
Bruder, welchen er besonders schätzte, seine Wittwe heiralhen, die
Erziehung seines Sohnes leiten und das Amt der Truppenführung
bekleiden sollte. Aber diese Verhältnisse waren unhaltbar. Hieron,
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512
MILROY TYRANN (77. 1-7S. 2; 47d-487).
der nun von Gela nach Syrakus übersiedelte, war ein Mann von
leidenschaftlichem Temperamente, der wenig Lust halle, sich mit
einem Regenlentitel abfinden zu lassen, von dem man Herrschaft und
Macht getrennt hatte. Er suchte sich also des Polyzelos zu entledigen,
indem er ihm Aufträge gab, die seinen Untergang herbeiführen sollten.
Er sammelte einen Anhang um sich, der seiner Person rücksichtslos
ergeben war; es bildeten sich am Hofe zwei Parteien, eine hieronische
und eine dem Polyzelos und Theron ergebene. Endlich musste
Polyzelos, so grofser Liebe er sich auch bei den Bürgern erfreute, bei
seinem Schwiegervater Schutz suchen. Die beiden Städte, deren
treues Einversländniss ein Hauptaugenmerk der geionischen Politik
gewesen war, rüsteten wider einander; ihre Heere traten sich am
Gelaflusse zur entscheidenden Schlacht gegenüber; nur mit Mühe
gelang es, eine Ausgleichung herbeizuführen und durch die Vermäh-
lung Hierons mit einer Nichte des Herrschers von Akragas die fried-
liche Verbindung der beiden Regentenhäuser zu erneuern. Hieron war
dieser Ausgang erwünscht, weil seine ehrgeizigen Gedanken schon weil
über Sicilien hinausgingen und die Hülfsgesuche der italischen
Griechen zu weiteren und ruhmreicheren Unternehmungen die er-
wünschte Gelegenheit darboten87).
In Italien haben die Griechen einen schwierigeren Stand gehabt
als in den meisten anderen Ländern ihrer überseeischen Colonisation,
namentlich an der Westküste, weil ihnen hier aufsei* den Binnen-
völkern der Halbinsel auch ein seemächtiges Volk entgegentrat; das
waren die Tyrrhener, das Küstenvolk des südlichen Etruriens, das-
selbe Volk, mit welchem schon die Phokäer (I, 580) jenen verderb-
lichen Kampf bestanden hallen, in Folge dessen sie die Insel Kyrnos
(Korsika) mit der Stadt Alalia wieder aufgeben mussten. Dies Volk
war um so gefahrlicher, weil es mit griechischen Kräften den Griechen
entgegentrat. Denn nach alter Ueberlieferung hing es mit den Tyrrhe-
nera zusammen, welche oberhalb Ephesos im Kaystrosthaie wohnten,
und es ist kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln, dass in jener
Zeit, da das pelasgisch-ionische Volk Kleinasiens sich zur See aus-
breitete und den Bahnen der Phönizier folgend in schwärmenden
Zügen die Küsten des westlichen Meers erreichte, auch das etruskische
Küstenland, das Gestade nördlich von der Tibermündung, solche An-
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TYRRHENER UND ETRUSKF.lt.
543
siedelt] ngen erhalten hat, welche den ersten Grund einer griechischen
Cultur daselbst legten. Diese Cultur hat indessen nie zu reiner Ent-
faltung gelangen können, weil sie sich der fremden Einflüsse nicht er-
wehren konnte; denn wenn die Verbindungen mit dem Mutterlande
auch niemals aufhörten, wenn auch in der Mitte des siebenten Jahr-
hunderts v. Chr. aus Korinth bei dem Sturze der Bakchiaden von
Neuem griechische Familien zuwanderten, so hat die griechische
Volkstümlichkeit sich hier nicht frei und ungestört erhalten können,
sondern es gerielhen die Küstensitze in Abhängigkeit von binnen-
Kindischen Mächten.
Eine solche Macht war die des etruskischen Volks, welches im
sechsten Jahrhundert sich bis Campanien gewaltig ausbreitete, die
tyrrhenischen Orte seinen Slädtebündnissen einordnete und die
griechischen Volkskräfte sich dienstbar machte. Freilich trat keine
vollständige Verschmelzung ein. Die Küstenstädte Pisai, Aision, Agylia,
Pyrgoi haben ihren griechischen Ursprung niemals verleugnet Agylia,
das spätere Caere, drei Meilen nördlich von der Tibermündung ge-
legen, der Hauptsitz der Tyrrhener, hatte sein eigenes Schatzhaus in
Delphi; dem pythischen Gotte gehorsam, sühnte es die Blutschuld,
welche es an gefangenen Phokäern begangen hatte ; es bewahrte sich
hellenischen Sinn für Gemeindeordnung und unterschied sich von den
Barbaren auch dadurch, dass es völkerrechtliche Satzungen ehrte. Die
vielseitigste Bildung ging von hier in die Uralande aus.
Trotzdem entfremdeten diese Küstenstädte ihrem Muttervolke so
sehr, dass sie, wie die Elymer in Sicilien, demselben feindlich gegen-
über standen, und dieser Widerstand war um so gefahrlicher, da die
Tyrrhener, um sich ihr Meer von störenden Eingritren der Hellenen
frei zu halten, seit alter Zeit mit den Puniern in Verbindung standen.
Dadurch waren sie im Stande gewesen, den Fortschritten der grie-
chischen Colonisation in Unterhaben, namentlich den achäischen
Städten, Schranken zu setzen, und so war es gekommen, dass Kyme
am Golfe von Neapel (1, 425) ganz vereinsamt geblieben war, weit
getrennt von allen stammverwandten Niederlassungen, ein vereinzelter
Vorposten hellenischer Bildung, den Angriffen der Barbaren preis-
gegeben. Denn diese suchten ihre Macht nach Süden auszudehnen. Bis
in das östliche Meer hinein zitterte man vor ihren Schiffen, so dass
Anaxilaos beim Skyllaion einen festen Platz errichtete, als Standort
von Kriegsschiffen, um den tyrrhenischen Freibeutern die Seestrafse
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HIERONS KIUKUSTIIATEN
von Messana zu schliefsen. Gleichzeitig drängle die etruskiscbe Land-
macht gegen Süden, und Kyme wurde immer naher bedroht. Freilich
bewiesen die Bürger eine bewunderungswürdige Kraft des Widerstandes;
sie erwehrten sich um Ol. 64 (524) eines gewaltigen Heerzugs der
Barbaren, welcher, wie so viele Unternehmungen dieser Art, durch die
eigene Masse zu Grunde ging; ja sie unterstützten sogar die Bürger
von Aricia gegen den gemeinsamen Feind. Aber immer von Neuem
zogen drohende Gefahren auf, und die Kymäer mussten sich um Ol.
76, 3 (475) nach fremder Hülfe umsehen. Sie wendeten sich an den
mächtigsten Hellenenfürsten ihrer Nachbarschaft, an Hieron von Syra-
kus; die sicilische Flotte gewann einen glänzenden Sieg, und noch
heute ist ein Erzhelm erhalten, welchen Hieron von der tyrrhenischen
Beute dem Zeus in Olympia geweiht hat88).
Als Hierons mächtiger Arm bis an den Golf von Neapel reichte
und die beiden einzigen Seemächte, welche den Griechen noch ge-
fährlich gegenüberstanden, vollständig gedemülhigt waren, trat auch
in den griechischen Angelegenheilen das Ansehen des Herrschers
von Syrakus immer kraftvoller hervor. Hatte er doch schon vor dem
kymäischen Feldzuge auf der Südspitze Italiens Frieden gestiftet, als
Lokroi und Khegion mit einander in Krieg gerathen waren. Der
ruhelose Anaxilaos hatte nämlich die Nachbarstadt angegriffen, um
seine Herrschaft auf der Halbinsel zu erweitern, da er in Sicilien
dazu keine Aussicht mehr halte. Hieron schickte seinen Schwager
Chromios hinüber, und sein blofser Machtbefehl genügte, um dem ehr-
geizigen Tyrannen Einhalt zu thun, so dass dieser ohne Widerstand
nachgab, und die Lokrer dem Herrscher von Syrakus die Erhaltung
ihrer Selbständigkeit dankten.
In Sicilien brachte der Tod Therons eine Aenderung hervor
(Ol. 76, 4 oder 77, 1; 472). Theron hatte es in weiser Mäfsigung
verstanden, Akragas grofs und blühend zu machen, ohne den Frieden
mit Syrakus zu gefährden, auf dem das Heil der Insel beruhte. Sein
Sohn Thrasydaios war von anderer Gemüthsart. Er war nicht ge-
sonnen, die Hegemonie von Syrakus anzuerkennen und brachte des-
halb aus den Städten der westlichen Insel ein Heer von 20,000 Mann
zusammen; aber Hieron siegte, obwohl er selbst krank auf einer Sänfte
getragen wurde; Thrasydaios büfste Herrschaft und Leben ein, und
die Oberherrschaft von Syrakus war nun vollständiger als je in Italien
und Sicilien anerkannt89).
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HIEKO.NS STADTGRÜ.NDUNT.E.N
545
Die Thätigkeit Hierons war aber keine einseitig kriegerische. Er
war eifrig bedacht, auch durch Friedenswerke seinen Namen zu ver-
ewigen und seine Macht zu benutzen, um neue Gründungen von
dauernder Bedeutung in's Leben zu rufen. So schickte er Colonisten
nach den Inseln, welche an der Westküste Italiens vor Cap Misenum
liegen, und liefs auf der Hauptinsel, dem heutigen Ischia, eine be-
festigte Stadt anlegen; ein Zeichen, wie vollständig er den Widerstand
der Tyrrhener gebrochen hatte und wie kühn er die Vorposten helle-
nischer Macht gegen Norden vorschieben konnte. Es waren dieselben
Inseln, von denen einst die Chalkidier auf das Festland hinüber ge-
gangen waren, um Kyme zu gründen (I, 425), und wie sehr Hieron
darauf ausging, an den Plätzen, wo Ionier einst ihre Thalkraft entfaltet
hatten, die dorische Macht gellend zu machen, das zeigte er auch in
Sicilien, indem er in den Gegenden chalkidisch-ionischer Bevölkerung
eine neue Stadt nach dorischen Satzungen gründete.
Diese Gründung war sein Lieblingswerk, bei dessen Ausführung
er mit rücksichtsloser Gewaltthätigkeit verfuhr. Die Gemeinden von
Naxos und von Katane wurden aufgehoben; die ionische Bevölkerung,
die hier nach den Gesetzen des Charondas Jahrhunderte lang glücklich
und rühmlich gelebt hatte, wurde in Leontinoi zusammengedrängt, wo
sie von Syrakus aus in Obacht gehalten werden konnte, und dann an
Stelle des zerstörten Katane am Fufse des Aetna eine neue Stadt ge-
baut, welcher er den Namen des Berges gab. Hier siedelte er aus Sy-
rakus, Gela, Megara und dem Peloponnes 10,000 Bürger an und setzte
daselbst seinen Sohn Deinomenes als Statthalter ein, während er sich
selbst 'Bürger von Aetna' nannte und seinen Stolz darin suchte, dass
der Name der neuen Stadt jenseits des Meers durch glänzende Sie^e
bekannt wurde, welche er und seine Verwandten mit Rennpferden und
Maulthieren gewannen.
Freilich erfolgte Hierons Betheiligung an den hellenischen Fest-
spielen nicht ohne Widerspruch, indem Themistokles, wie glaubwürdig
berichtet wird, ihm in leidenschaftlicher Weise das Recht dazu bestritt
(S. 130). Zum ersten Male tritt hier eine feindliche Spannung zwischen
Athen und Syrakus hervor, eine gegenseitige Gereiztheit, deren Gründe
nicht schwer zu erkennen sind. Denn den sicilischen Herrschern war
es ärgerlich, dass ohne ihr Zulhun die grofsen Thaten im ägäischen
Meere gelungen waren, während andererseits die Athener auf ihren
wohlerworbenen Ruhm eifersüchtig waren und keine Neigung hatten,
C.irtin». Gr. Geich. II. 8. Aofl. 35
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546
SIEGE UND WEIHGESCHhNKE IN OLYMPIA.
die Siege der sicilischen Hellenen als ebenbürtig anzuerkennen. Dazu
kam, dass die Dynasten von Syrakus eine Politik von ausgesprochener
Feindseligkeit gegen den ionischen Stamm verfolgten, und seitdem die
Verhältnisse zwischen Sparta und den Athenern gespannter wurden,
musslen diese in den sicilischen Städten, und namentlich auch in dem
neu gegründeten Aetna, gefahrliche Stützpunkte dorischer Macht er-
kennen.
Aus denselben Gründen waren die Peloponnesier den Macht-
habern von Sicilien geneigt. Sie sahen dort den dorischen Namen zu
neuen Ehren gelangen. Sie traten durch Olympia in mannigfache und
unmittelbare Beziehung zu den jenseitigen Städten, sie freuten sich,
wenn die prächtigen Ross- und Maulthierzüge am Alpheios landeten
und den olympischen Festen einen nie gesehenen Glanz bereiteten.
Auch Söhne des Mutterlandes, welche, durch bürgerlichen Zwist
oder durch abenteuernden Geist getrieben, ihre Inseln oder Bergkantone
verlassen hatten, sah man aus der glücklichen Insel als reiche Leute
heimkehren, um Siegeskränze zu gewinnen und kostbare Weihge-
schenke zu stiften. Darum sagt Pindar von dem Kreter Ergoteles, der
als Himeräer Ol. 77 (472 v. Chr.) siegte, er würde, wenn er an seinem
Geburtsorte geblieben wäre, aller Tüchtigkeit ungeachtet, den Hellenen
unbekannt geblieben sein, wie ein Haushahn, der in dem engen Um-
kreis eines bürgerlichen Hofs seine ritterlichen Thaten ausführt.
Besonders aber zogen aus dem arkadischen ßerglande die jungen
Leute in die überseeischen Grofsstädte hinüber, um Ehre und Gewinn
zu suchen, wie Phormis der Mänalier und Praxiteles des Krinis Sohn,
welcher sich als Syrakusaner und Kamarinäer in Olympia ausrufen liefs
und den Festplatz durch ein prachtvolles Denkmal schmückte.
Dann kamen auch einheimische Sikelioten immer zahlreicher her-
über. Das Wichtigste aber war der hohe Werth, den die Herrscher
Siciliens nach dem Vorbilde der peloponnesischen Tyrannen auf ein
gutes Einvernehmen mit den Nationalheiligtbümern und auf die olym-
pischen Ehren legten. Dadurch wurde das peloponnesische Heiligthum
erst in vollem Mafse ein Mittelpunkt der hellenischen Well und helle-
nischen Geschichte.
Die Akragantiner stellten zur Erinnerung an ihren Sieg über die
phönikische Stadt Motye eine Reihe betender Knaben auf den Mauern
der Altis auf; Anaxilaos prägte zum Andenken seines olympischen Siegs
Münzen mit dem Bilde seines Maulthiergespannes, und Hieron, welcher
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GEISTIGES LEBEN IM SICILIEN.
als Geloer, als Syrakusaner und als Aelnäer am Alpheios siegle, lieLs
von Kaiamis und 0 na las seine Viergespanne und Rennpferde in Erz-
gruppen in Olympia aufstellen. Die Stadt Gela hatte daselbst neben
dem Stadion ihr eigenes Schalzhaus, worin die Weihgeschenke der
Deinomeniden aufbewahrt wurden. Ja, es wurde auf Anlass des Siegs
von Himera in Olympia ein besonderes Schatzgebäude errichtet, das
sogenannte Schatzhaus der Karthager, wo Beutestücke, die den Bar-
baren abgenommen waren, als Weihgeschenke niedergelegt wurden.
Wie lebendig und wichtig die Beziehungen zu Olympia waren, zeigen
am anschaulichsten die Münzen Siciliens, indem die geflügelte Sieges-
göttin, deren Bild in Elis zu Hause ist, mit dem siegreichen Gespanne
verbunden, ein Haupttypus der sicilischen Städte wurde und sich in
Syrakus, Akragas, Kamarina, Katane, Gela, Himera, Leuntinoi, Messana
und Egesta wiederholt. In solchem Grade war Olympia ein Bindeglied
zwischen Hellas und den westgriechischen Städten90).
Aber nicht blofs durch Siege und Schaustücke fürstlichen Glanzes
wollten die Herrscher von Syrakus sich in Griechenland bekannt
machen, sondern sie suchten auch die hervorragenden Dichter des
Mutterlandes zu gewinnen, um durch sie ihre Thaten feiern und sich
selbst als vollberechtigte Theilnehmer an dem grofsen Kampfe der
Hellenen gegen die Barbaren anerkennen zu lassen. Diese Aunäherung
gelang um so leichter, da die westlichen Colonien dem Mutterlande
niemals fremd geworden waren und der hohe Wohlstand derselben
einer allseitigen Entwickelung des geistigen Lebens zur Förderung ge-
reichte. Auch standen sie von Anfang an in einem so großartigen
Weltverkehre, dass in den dorischen Städten ein spröder Dorismus
sich niemals geltend machen konnte. Die ionischen Epiker waren in
Sicilien so bekannt wie im Mutterlande; durch Kinaithos aus Ghios,
den homerischen Hymnendichter, war Syrakus mit der Kunst der
Rhapsoden vertraut. Befand sich doch schon im Gefolge des Gründers
von Syrakus ein berühmter Dichter, der Bakchiade Eumelos (I, 257),
und die lebendige Fortsetzung des geistigen Verkehrs mit den jensei-
tigen Gestaden bezeugt Arion, Perianders Zeitgenosse, der lesbische
Dichter, welcher auch in den sicilischen Städten begeisterte Auf-
nahme fand.
Sicilien begnügte sich aber nicht mit dem Mutlerlande geistig
fortzuleben, sondern es brachte auch selbständige Richtungen und neue
Kunstarten hervor, wie sie sich dort vorzugsweise zu entwickeln
35*
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548
STES1CH0R08 UND IBYKOS
pflegten, wo verschiedene Stämme griechischer Nation in denselben
Gemeinden vereinigt waren und wo durch Uebersiedelungen aus einem
Wohnorte in den anderen ein mannigfaltiger Austausch von Ideen und
Erfindungen hervorgerufen wurde.
Das sieht man recht deutlich an dem ersten und gröfsten aller
sicilischen Dichter, an Stesichoros, dessen Eltern von Matauros nach
Sicilien herübergekommen waren. Matauros war eine Pflanzstadt der
Lokrer, und so hing sein Geschlecht mit den Gebieten des Mutter-
landes zusammen, wo die äolische Poesie des Hesiodos zu Hause war,
während Himera, wo der Dichter geboren wurde, eine halb ionische,
halb dorische Stadt war. Unter diesen Verhältnissen gelang es ihm
nuch mehr als seinem Zeitgenossen Arion eine gesetzgebende Bedeu-
tung für die Entwickelung der griechischen Poesie zu gewinnen; er nahm
den StofT des Epos auf, aber nicht um ihn in voller und gleichmäßiger
Breite auszuspinnen , sondern er gestaltete ihn in einzelnen Com-
positionen und benutzte ihn zu Gedichten, welche zum öffentlichen
Vortrage in vielstimmigem Gesänge mit Citherspiel und Tanz geeignet
waren.
Diese Hinüberleitung aus dem Epischen in das Lyrische, aus der
ionischen in die dorische Kunst war ein ungemein fruchtbarer Fort-
schritt in der Entwickelung der nationalen Poesie; die homerische
Sage wurde dadurch in neuer Weise belebt, es wurde zugleich für die
Chordichtung und namentlich für den strophischen Bau der griechi-
schen Rhythmen der feste Grund gelegt; von welchem die Hellenen
niemals abgegangen sind. Man erkennt in Allem, was von Stesichoros
überliefert wird, einen ungemein kräftigen und schöpferischen Geist,
dem eine Fülle von Kenntnissen und Welterfahrung zu Gebote stand.
Das ferne Tartessos war ihm bekannt, während er zugleich in Hellas
wie in lonien zu Hause war.
Wie Himera, so war auch das benachbarte Rhegion halb dorisch,
halb ionisch. Aus Rhegion stammte Ibykos, welchen seine Sängerzüge
bis an den Hof des Polykrales führten (I, 590). Er schloss sich nahe
an Stesichoros an; aber der feierliche Ernst dorischer Chordichtung
erscheint bei ihm gemildert, und seine Muse wendete sich mit beson-
derem Glücke dem schwungvollen Ausdrucke der Liebe zu.
Am eigentümlichsten waren die Westgriechen in ihren Fest-
spielen und mimischen Festtänzen, welche sich an die Dionysosfeier so
wie an die heileren Erntefeste des in Sicilien einheimischen Demeter-
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DIE SICIL1SCHE KOMOEME
495
cultus anschlössen und die hier, wie im Mutterlande, eine neckische
Volksdichtung in dramatischer Form hervorriefen. Solche Spiele mit
feinem Witze zu würzen, waren die Sikelioten ganz besonders geeignet,
weil sie so vielerlei Sitten und Gewohnheiten auf ihrer Insel zu be-
obachten Gelegenheit hatten und eine sprudelnde Gabe des Witzes
besafsen, um an Allem das Charakteristische und Ergötzliche aufzu-
finden. In Selinus, wo barbarische und hellenische Lebensweisen sich
am nächsten berührten, hat Aristoxenos zuerst den Ton muth williger
1 a mben dich tun g angestimmt, wie er für die spätere Komödie der Sike-
lioten massgebend blieb, und der Geist dieser Dichtung scheint mit
dem Boden und den Lebensverhältnissen der Insel so verwachsen zu
sein, dass auch die aus der Fremde zuwandernden Dichter von
diesem Geiste in merkwürdiger Weise ergriffen wurden, wie Epi-
charmos beweist.
Bedenken wir nun, wie auch die erwachende Philosophie durch
Pythagoras aus Saroos und Xenophanes aus Kolophon (S. 194) im
westlichen Griechenland eine Heimath fand, wie tief die kritische
Richtung der eleatischen Schule hier eindrang und durch Erschüt-
terung der hergebrachten Glaubenslehre viel früher als im Mutterlande
eine freigeistige Richtung hervorrief; bedenken wir ferner, wie prak-
tische Staatsweisheit und schriftliche Gesetzgebung in den chalki-
dischen Städten sich ausgebildet hat, wie die bildende Kunst seit alten
Zeiten in diesen Gegenden blühte, und die Baukunst vornehmlich in
Akragas, Selinus und Syrakus: so ahnen wir, eine wie reiche Volks-
entwickelung stattgefunden hatte, als nun durch die Tyrannen von
Gela und Akragas der sicilischen Geschichte ein grofser und glän-
zender Inhalt gegeben wurde, welcher auch dem geistigen Leben einen
neuen Aufschwung geben musste91).
Alleinherrschaft ist in den griechischen Staaten der Kunst und
Wissenschaft immer förderlich gewesen, wie die Geschichte der älteren
Tyrannis zur Genüge beweist. Hier war nun eine Tyrannis von ganz
besonderer Art. Denn hier standen ihr viel ansehnlichere Hülfsmittel
und ungleich reicher entfaltete Volkskräfte zu Gebote. Hier waren die
Tyrannen Männer aus altem Geschlechte, geborene Aristokraten, die
nach königlicher Weise regierten, Männer von grofsen Herrscher-
tugenden, von mildem und edlem Charakter, welche an der Spitze der
nationalen Bewegung standen, und deren Politik es war, die hervor-
ragenden Geister der Nation um sich zu sammeln. Gelon selbst war
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550
EPICHARMOS IN MEGARA.
freilich kein Kunstverständiger; er war, wie sein Vater, ein Reiter-
genera), und als bei einem Feste an ihn die Reihe kam, zur Citber zu
singen, befahl er, wie erzählt wird, sein Ross vorzuführen, um sich in
seiner Kunst zu zeigen. Aber er wusste die Talente zu schätzen; er
zog Männer, wie den weisen Phormis (oder Phormos), an seinen Hot
und übertrug ihm die Erziehung seiner Kinder. Phormis war Ko-
mödiendichter und seine Berufung beweist schon, wie hoch man diese
Dichtungsart schätzte, welche besonders durch Epicharmos in Syrakus
zu Ehren gekommen ist.
Epicharmos, der Sohn des Helothaies, war auf der Insel Kos ge-
boren, aber so früh von dort herübergekommen, dass er für einen
echten Sicilianer angesehen werden konnte, und wenn er auch aus der
Heimath seines Geschlechts gewisse Anregungen und Neigungen mit
herüber gebracht hat, wie namentlich sein Interesse für Arzneikunde,
so erhielt er doch erst in seiner neuen Heimath diejenige Richtung,
welcher er seine literarische Bedeutung verdankte. Er verlebte näm-
lich im sicilischen Megara seine Jugend und den gröfsten Theil seines
Lebens; das megarische Völkchen aber hatte hier wie im Mutterlande
eine besondere Begabung für launiges Festspiel und mimische Dar-
stellung, und die Aristokratie, welche in Megara herrschte (l, 271),
muss dies Volksspiel begünstigt haben, so dass es ein gewisses An-
sehen erlangte, auch mit einem Chore ausgestattet und durch öffent-
liche Aufführungen mit Wettkämpfen gehoben wurde. Epicharmos er-
kannte die bildungsfähigen Keime, welche in diesen Volksspielen
lagen; nachdem er also durch vielseitige Studien seinen Geist be-
reichert und in Italien namentlich durch Pythagoras zu tieferen
Lebensanschauungen und höheren Zielen angeregt worden war,
kehrte er zurück und suchte die volkstümliche Posse zu einer Kunst-
gattung umzubilden, welche einen dichterischen Werth und einen sitt-
lich bedeutenden Inhalt erhalten sollte. Dies gelang ihm, und zwar
bedeutend früher als Athen die megarische Posse bei sich aufnahm und
veredelte; wahrscheinlich kamen schon um Ol. 68 (nach 508) die
epicharmischen Lustspiele in Megara zur Aufführung; als aber Megara
aufgehoben und mit dem Besten, was es hatte, nach Syrakus verpflanzt
wurde (S. 531), wanderte auch Epicharmos mit seiner Komödie nach
der neuen Hauptstadt, welche in ähnlicher Weise wie Athen alles Be-
deutende, was in den Umlanden sich entwickelt hatte, allmählich an
sich zog.
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F.PICHARMOS Vi SYRAKUS (484; 74,2).
551
Freilich war Syrakus keine Republik, und eine attische Komödie
war daselbst unmöglich. Das megarische Lustspiel hatte aber den
Vortheil, zugleich volksthümlich und hoffähig zu sein; denn es ent-
wickelte sich seinem Inhalte nach besonders in zwei, den Gewaltherrn
gleich ungefährlichen Richtungen. Einmal stellte es das Volksleben
in kräftig gezeichneten Charakteren zur Schau, so dass man die
verschiedenen Stände, den Bauer, den Matrosen, den Wahrsager,
den Schmarotzer u. s. w. besonders von ihren lächerlichen Seiten
dargestellt sah, zweitens zog es auch die Gölter des Olympos auf
die Bretterbühne herab und führte die Geschichten der Götter- und
Heroenwelt in lustigen Schwänken auf. Beide Richtungen aber, die
Charakterkomödie und die mythologische Travestie, gingen auch in
einander über; denn wie Zeus beim olympischen Hochzeitsfeste
dargestellt wurde, war er im Grunde nichts Anderes, als das Vor-
bild der sicilischen Feinschmecker. Aber ein Mann wie Epicharm,
ein Forscher und Denker, wollte mehr als bunten Zeitvertreib der
Menge darbieten. Ein tiefer Ernst lag seinen Werken zu Grunde,
und die edlen Sprüche, die Lehren echter Lebensweisheit, in treffen-
den Kernworten ausgeprägt, geben uns eine Vorstellung von dem
philosophischen Gehalte, dessen Silberader die rohere Masse des Lust-
spiels durchzog. In der Kraft des gnomischen Ausdrucks erinnert er
lebhaft an seinen Zeitgenossen Theognis (I, 273f.), den grofsen Dichter
des mutterländischen Megara, welcher auch nach Sicilien gekommen
sein soll. Beide Dichter geben ein glänzendes Zeugniss vom Geiste der
Megareer, welche es im Mutterlande so wenig wie in der Colonie zu
einer glücklichen Staatsentwickelung bringen konnten, aber eine be-
wundernswürdige Höhe geistiger Bildung gewonnen haben. Die nahe
Berührung mit nicht dorischem Volke mag zur Erweckung ihres
Geistes beigetragen haben.
Epicharmos blieb am Hofe des Hieron, Jessen rühmliche Thaten,
namentlich die Rettung der Lokrer, er in seinen Stücken anzubringen
wusste, und von Seiten der Tyrannen wurde nichts verabsäumt, um
die Schaulust des großstädtischen Publikums und die angeborne
Liebhaberei der Sikeliolen für dramatische Unterhaltung zu befriedigen.
Ein stattliches Theater wurde in Syrakus von Demokopos gebaut,
wahrscheinlich schon in der Zeit der beiden ersten Tyrannen, und
wir dürfen annehmen, dass das ganze Bühnenwesen hier in manchen
Beziehungen früher geordnet war als in Athen. Phormis, Deino-
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552
EI'ICIIAKMOS UM) SOI'HRC».
lochos u. A. wetteiferten in derselben Kunstgattung, und bei der
reichen Entfaltung, welche sie dadurch gewann, ist es kein Wunder,
wenn sie auch aufserhalb der Insel Nachahmung fand. So wusste man
namentlich in Athen die sicilische Erfindung zu würdigen und Krates
(S. 306) soll daselbst zuerst das Beispiel gegeben haben, statt ein-
zelner Charaktere des öffentlichen Lebens ganze Klassen von Menschen
zum Gegenstande komischer Darstellung zu machen, und neben der
Charaklerkomödie fand auch die mythologische Travestie aus Syrakus
in AÜien Eingang, wie sich schon von Kratinos und seinen Zeit-
genossen nachweisen lässt9').
Ein Geistesverwandter Epicharms war sein jüngerer Zeitgenosse,
der Syrakusaner Sophron, der nicht in Versen, und wie es scheint,
auch nicht für die Bühne schrieb, und dennoch ein dramatischer
Dichter von erstem Range war. Denn er verstand es, in seinen
'Mimen', die bei geschicktem Vortrage ganz den Eindruck drama-
tischer Scenen machten, Bilder des sicüischen Lebens in voller Frische
darzustellen und zwar in körniger, mit Sprichwörtern gemischter,
volkstümlicher Sprache. Dabei entwickelte er aber nicht nur die
schärfste Beobachtung in der Schilderung männlicher und weiblicher
Charaktere, sondern auch die höchste Kunst der Darstellung, und durch
die ursprüngliche Geisteskraft, welche in seinen Werken lebte, hat er
auf Dichter und Philosophen der Griechen und Römer einen sehr be-
deutenden Einfluss geübt.
Während Epicharmos sich einer in Sicilien blühenden Richtung
der Poesie anschloss und sie so ausbildete, dass sie auch in Athen
Anklang fand, brachten andere Meister die im Mutterlande gereiften
Künste herüber, und so entwickelte sich zwischen den beiderseitigen
Gestaden der fruchtbarste Austausch.
Die griechischen Künstler, namentlich die Sänger, waren von
jeher wanderlustig, und was Männer wie Pindar, Aischylos, Simonides,
Bakchylides nach Sicilien lockte, war nicht blofs die Aussicht auf Ehren
und Vortheile aufserordentlicher Art, welche an den Höfen von Akragas
und Syrakus ihrer warteten, sondern auch der Ruf vielseitiger Geistes-
bildung, dessen die Insel sich erfreute, der Glanz eines seltenen
Fürstenglücks, der Reiz einer tiefen Ruhe nach glänzenden Thaten,
wie sie dem Mutterlande nicht zu Theil geworden war, und endlich
die ganze Fülle von Merkwürdigkeiten, von denen Alle zu erzählen
wussten, welche das städtereiche Inselland gesehen und bewundert
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1IEH HOF DES HIEIIO.V
553
hatten. Darunter aber war nichts, was die Phantasie der Griechen in
lgeichem Make beschäftigte, wie der Aetna, der gerade um den Re-
gierungsantritt Hierons nach langer Pause wieder angefangen halle,
mit hohen Feuersäulen das Westmeer zu beleuchten; Pindar wie
Aischylos zeugen von dem Kindrucke, welchen das Naturereigniss auf
die Zeitgenossen machte •*).
Diesen Zug, den die Griechen des Mutterlandes nach Sicilien
fühlten, suchte Hieron, welcher persönlich ein lebendiges Interesse für
Wissenschaft und Kunst hatte und selbst die Dichtkunst übte, auf
das Eifrigste auszubeuten. Er halte schon, was Sicilien an bedeuten-
den Männern besafs, um sich versammelt. Korax, der Gründer der
sicilischen Beredsamkeit, der erste Grieche, der die Kunst der Rede
wissenschaftlich bearbeitete, war ein angesehener Mann bei Hieron ;
zu derselben Zeit waren auch Philosophie und Naturwissenschaft,
Mathematik und Medizin in voller Blüthe, und zwar durchdrangen sich
Kuust und Wissenschaft in denkwürdiger Weise, wie z. B. Epicharmos
die Heilkunde, selbst die Thierheilkunde, in Schriften behandelte;
kurz, eine universale Richtung, ein philosophisches Streben, welches
allen Gegenstanden mit Nachdenken folgte und alle menschlichen
Dinge in ihrem Zusammenhange zu erfassen suchte, war in dem
geistigen Leben der Sikelioten unverkennbar vorhanden. Dazu kamen
nun die fremden Meister, so dass sich am gastlichen Herde des Hieron
eine Reihe von Weisen und Dichtern, ein auserwählter Kreis ver-
einigte, der seines Gleichen in Griechenland nicht hatte. Und diese
Männer dienten nicht blofs der Eitelkeit des Hieron, indem sie seinen
Musenhof verherrlichten und dem Herrschersitze seinen besten Glanz
verliehen, sondern es übten namentlich die fremden Meister auch eine
wohlthätige Macht aus, wie z. B. Simonides als Friedensstifter zwischen
Hieron und Theron; sie waren als unabhängige Leute zu einer freieren
Stellung ihm gegenüber berufen; sie waren endlich die besten Bürgen
für deii Ruhm der sicilischen Fürsten.
Darum lud Hieron bald nach seiner Thronbesteigung den Aischy-
los zu sich ein, der mehrere glückliche und für seine Poesie höchst
fruchtbare Jahre bei ihm verlebte ; er verherrlichte Hierons Lieblings-
werk in seinen 'Aetnäerinnen', einem großartigen Festgedichte zu
Ehren der neuen Stadt (76, 1; 476); er verknüpfte die sicilische Ge-
schichte mit der des Mutterlandes, und was konnte dem ruhmbe-
gierigen Fürsten erwünschter sein, als wenn er sicilische Siege mit
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AISCHYLOS I Xli PINDAROS
Salamis und Plataiai zusammen als in sich zusammenhängende und
ebenbürtige Nationalsten gefeiert sahl Die Aufführung der 'Perser*
in Syrakus war eine glänzende Epoche in der Geschichte des dortigen
Theaters, und es leidet wohl keinen Zweifel, dass das ganze Werk
durch die in Sicilien empfangenen Anregungen und auf sicilischem
Boden entstanden ist. Aischylos lebte sich so in Sicilien ein, dass
man in der Sprache seiner späteren Dramen den Einfluss des dortigen
Aufenthalts zu erkennen glaubte, und die Liebe zu der schönen Insel
führte den lebensmüden Dichter noch einmal dorthin zurück94).
Noch enger ist Pindar mit den sicilischen Fürstengeschlechtern
verflochten. Auch er liebt die Insel, die Zeus der Persephone als
Ehrengabe verliehen habe ; mit Begeisterung preist er ihre Saatfluren,
und fleht zu den Göttern, 'dass das herrliche, fruchtschwere Land
immerdar leuchten möge in strahlendem Glänze, prangend mit reicher
Städte Häuptern, von einem Volke bewohnt, das stets des erzklirren-
den Kriegs gedenkt, hoch zu Boss streitend und oft bekränzt mit des
olympischen Oelzweigs Blättern'. Für ihn, den treuen Verehrer der
von Delphi ausgegangenen Satzungen, den Bewunderer der alten Ge-
schlechter,, ist es ein wahrer Triumph, dass auf der fernen Insel die
durischen Staatsordnungen zu neuem Glänze gelangen und dass aus
uralten, erlauchten Stämmen hellenischer Nation hier neue Zweige zu
solcher Blüthe kommen.
Ganz besonders ist er darum den Emmeniden (S. 528) zugethan,
welche, wie der Dichter selbst, dem kadmeischen Hause angehören
und seinen Glauben an die Erbtugenden grofser Geschlechter so herr-
lich bewähren. Mit warmem Herzen preist er darum Therons Tugenden,
seine Gastlichkeit, seine Menschenliebe, seine Freude Andern zu
helfen, und als die feindliche Spannung zwischen den beiden Tyrannen-
häusern eingetreten war, stand Pindar auf der Seite der Emmeniden,
während Simonides und Bakchylides sich mehr zu Hieron hielten.
Aber auch in Syrakus war Pindar ein angesehener Mann ; er wusste
Hierons Verdienste anzuerkennen und zu preisen ; er wetteiferte mit
Aischylos, den Gründer von Aetna der ganzen Griechenwelt bekannt
zu machen; aber seine Preislieder werden zu ernsten Mahnungen.
Er sucht das leidenschaftliche Gemüth des Fürsten zu beruhigen und
es zur Genügsamkeit und friedlichen Heiterkeit zu stimmen. Er be-
währt sein Wort, 'dass der gerad sprechende Mann in jeder Ver-
fassung, auch bei dem Tyrannen, der Beste sei', und mit Hinblick auf
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DIE BAUTEN HER TYRANNEN.
555
das unwürdige Spioniersystem, welches Hieron eingeführt hatte, um
sich von allen Bewegungen in der Hauptstadt in Kenntniss zu setzen,
scheut er sich nicht, die Höflinge und Ohrenbläser, welche den König
seiner besseren Natur untreu machen, mit dem bittersten Spotte anzu-
greifen.
So war Syrakus im Zeitalter seiner Tyrannen ein Mittelpunkt des
vielseitigsten geistigen Lebens, eine auserwählte Stätte hellenischer
Macht und Bildung. Dem gemäfs war auch die Stadt selbst eine ganz
andere geworden. Sie war schon längst von der Insel Ortygia auf das
feste Land übergegangen, und zwar hatte sie sich nicht, wie es am
natürlichsten scheint, vom Isthmus aus gegen Westen um die Bucht
des grofsen Hafens herum ausgedehnt, sondern gegen Norden auf das
Kalksteinplateau von Achradina; man hatte sich vom Hafen entfernt
und das unbequemere Terrain vorgezogen, weil nur hier trockner
Boden war und gesunde Luft. Gelon hatte den nächstgelegenen Theil
der Hochebene ummauern lassen, den Stadttheil Achradina, der allein
schon vier bis fünfmal gröfser ist als die Inselstadt, und neben Achra-
dina gegen Westen Tyche. Das war die Dreistadt Gelons, mit ihren
Häfen und Schiffswerften, ihren Palästen, Heiligthümern und öffent-
lichen Gebäuden die grofsartigste Stadt der hellenischen Welt. Die
Tyrannenburg nebst den ältesten Heiligthümern war auf der Insel;
daselbst auch unweit des Isthmus der Apollontempel, dessen östliche
Stufe eine Weihinschrift trägt, welche derselben Zeit angehört, wie
die auf dem von Hieron geweihten Helme (S. 544). Vor den Mauern
von Achradina baute Gelon nach dem Siege von Himera einen Pracht-
tempel der grofsen Göttinnen, durch welche sein Geschlecht zu Ehren
gekommen war (S. 525). Jenseits des Anapos aber, welcher in den
innersten Theil des grofsen Hafens mündet, war eine Vorstadt ent-
standen, welche den Tempel des olympischen Zeus zum Mittelpunkte
hatte. Die heilige Baukunst war von Korinth, der alten Schule des
Tempelbaus, nach Sicilien übertragen, und auch hier gingen die
Colonien darauf aus, alle gleichzeitigen Leistungen des Mutterlandes
an Großartigkeit und Pracht zu überbieten.
Der Sieg bei Himera war eine Epoche für die Baugeschichte der
sicilischen Städte, ähnlich wie die Perserkriege für Athen. Nicht nur
dass die Tempel mit Weihgeschenken'und Kostbarkeiten sich anfüllten,
wie der vorstädtische Zeuslempel bei Syrakus, dessen Bildsäule Gelon
aus der karthagischen Beute mit einem gediegenen Goldmantel
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WA SS EH RA UTEN IN SICILIE.N.
schmückt«, sondern die Masse der Sklaven wurde auch dazu ver-
wendet, um Gebäude zu Stande zu bringen, welche an Gröfse alles
Frühere übertrafen. An einheimischem Marmor fehlte es; aber man
hatte in den Gebirgen der Insel eine Fülle von brauchbaren Stein-
brüchen und wusste dem Kalksteine durch Anwurf einen marmor-
artigen Glanz zu geben. Als Siegesdenkmal wurde bei Himera selbst
ein Tempel erbaut, dessen Ueberreste neuerdings wieder zu Tage ge-
treten sind. Das gewaltigste aller sicilischen Bauwerke aber war das
Olympieion der Akragantiner, am Hafenwege gelegen. Der Dienst des
siegverleihenden Zeus war auch hier, wie in Syrakus, nach dem Musler
des peloponnesischen Gottesdienstes eingerichtet, aber die Mafse des
Tempels waren der Art, dass er nur dem ephesischen Artemision an
Gröfse nachstand. Die Höhe übertraf den Parthenon um das Doppelte.
Das Gebäude war von aufsen mit plastischen Werken auf das Reichste
ausgestaltet; im Innern standen oberhalb der unteren Pfeilerreihe
kolossale Giganten, welche mit den Unterarmen und vorgeneigtem
Kopfe das Gebälk der Cella stützten, in welcher das Ebenbild des
olympischen Zeus, des Gigantenüberwinders, aufgestellt war05).
Freilich fehlte diesen Gebäuden die innere Gröfse und die feine
Durchbildung, welche der heiligen Baukunst in Athen eigen sind, und
die wahre Kunst litt unter dem Streben nach äufserlicher Wirkung.
Um so eigentümlicher und bewunderungswürdiger war die Ausbil-
dung der bürgerlichen Baukunst, welche die Fürsten Siciliens sich
ganz besonders angelegen sein liefsen, und noch heute ist der Insel-
boden reich an Anlagen jener Zeit, welche eine staunenswerte Aus-
bildung wissenschaftlicher Technik bezeugen. Dahin gehören beson-
ders die Kanäle von Syrakus, welche die Quellen des Gebirgs durch
die ganze Felsstadt und unter dem Meeresboden hin nach Ortygia
führen, wo sie in der Arelhusa wieder aufsprudeln, und andererseits
einen Arm des Anaposflusses in einem künstlichen Bette nach der
Stadl bringen. Durch zahlreiche Brunnenschachte sind die unter-
irdischen Wassergänge überall der Benutzung zugänglich gemacht
worden, wie in Atlika (I, 357), und hier wie dort ist ein Theil der
Leitungen bis auf den heutigen Tag in Dienst geblieben. Noch be-
rühmter waren die Wasserbauten von Akragas, die Kanäle, welche
man daselbst Phäaken nannte (sie waren, wie auch ein Theil der syra-
kusischen Kanäle, durch karthagische Kriegsgefangene gearbeitet
worden), und die Fischteiche, welche für den Luxus der Gastmähler
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SICILISCHK MÜNZEN.
557
angelegt waren und, von Schwänen und anderem Geflügel belebt,
einen anmuthigen Schmuck der Stadt bildeten. Endlich war auch
der Hausbau, namentlich in Akragas, prachtvoller als im übrigen
Griechenlande. Die Wohnungen der Reichen waren Paläste, deren
Einrichtung über das Bedürfnis» der Familie weit hinausging. Man
suchte seinen Stolz darin, möglichst viele Gäste bei sich aufnehmen zu
können. Die Politik der Tyrannen ging überhaupt darauf hinaus, dass
ihre volkreichen Residenzen zugleich durch Sauberkeit und gute Ord-
nung sich auszeichneten. Darum suchten sie auch nur vornehme
Geschlechter und wohlhabende Familien in die Stadt hereinzuziehen
(S. 531) und jede Ansammlung von armem Stadtvolke möglichst zu
verhindern96).
Für den auswärtigen Ruf ihrer Städte waren sie auch dadurch
in einer sehr wirksamen Weise thätig, dass sie auf die Ausprägung der
Münzen eine besondere Sorgfalt verwenden liefsen, und in keiner Re-
zieh ung hat die sicilische Kunst sich glänzender bewährt. Denn wäh-
rend man im Mutterlande die Münzen als Geldstücke ansah und nur
auf vollwichtige Ausprägung die öffentliche Aufmerksamkeit richtete,
ist hier die Schönheit des Gepräges zuerst als ein Gegenstand des
öffentlichen Interesses angesehen worden. Die Vorstufen der Unbe-
holfenheit, auf denen die Münzen anderer Städte lange zurückblieben,
sind hier schnell überwunden worden. Um 480 v. Chr. finden wir die
doppelseitige Prägung (S. 267) schon vollständig ausgebildet. Nach
Ueberwindung der technischen Schwierigkeiten werden die Stempel-
schneider Künstler, und daher kam auch hier vorzugsweise die Sitte
auf, dass sie ihren Namen auf den Münzen anbringen durften.
Und in der That sind von allen bedeutenderen Städten der Insel
Münzen erhalten, welche durch geschickte Anordnung der Symbole,
durch vollendete Technik und geistvollen Ausdruck der Köpfe vollen
Anspruch haben als wahre Kunstwerke zu gelten. Es sind nicht nur
Denkmäler der einheimischen Gottesdienste, sondern auch historische
Denkmäler, und sie verkünden nicht nur die Wagensiege der Ty-
rannen, sondern wissen auch in epigrammatischer Kürze wichtige
Epochen der Stadtgeschichte darzustellen. So sieht man auf den Di-
drachmen von Selinus den Fluss Hypsas am Altare des Asklepios
opfern. Es ist ein Opfer des Dankes für die Entsumpfung der Nie-
derung, welche auf Empedokles' Rath zu Stande gekommen war ; ein
missmuthig abziehender Sumpfvogel bezeichnet eben so witzig wie
prägnant die heilsame Umwandelung des Stadtgebiets.
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558
SICILISCHE MÜISZK.N
Die schönsten aller Kunstwerke dieser Gattung sind aber die
greisen, medaillenarügen Silbermönzen (Zehndrachmenstücke) von
Syrakus, welche auf der Rückseite ein siegreiches Gespann von Rossen
darstellen und vielleicht selbst zu Siegespreisen benutzt wurden ; auf
der Vorderseite aber tragen sie einen an muth reichen Frauenkopf,
welcher von Delphinen umgeben ist und die Göttin der A reih usaquelle
darstellt, welche reich an Fischen, die der Göttin heilig waren, in
Orlygia aufsprudelte. Zu der älteren Reihe dieser Münzen gehört wahr-
scheinlich auch das Geldstück, das zum Andenken der Tochter Therons
den Namen Damaretion führte. Sie verband die beiden Fürstenhäuser,
auf deren brüderlichem Vereine die ruhmreiche Zeit siciliseber Ge-
schichte beruhte; sie soll nach geschlossenem Frieden einen Goldkranz
von Karthago geschenkt erhalten haben und den Werth desselben zum
allgemeinen Besten haben ausmünzen lassen. Ihr Andenken knüpfte
sich auch an das Weihgeschenk in Delphi, den Dreifufs von 'dama-
retischem Golde', und derselbe Simonides, welcher die Siegesdenkmäler
des Mutterlandes durch seine Epigramme weihte, hat auch für das der
Deinomenideu die Aufschrift gemacht und ihnen darin bezeugt, dass
sie durch Besiegung der Barbaren den Hellenen bülfreiche Bruderhand
zur Sicherung der Freiheil dargeboten hätten97).
Das sind die Werke und Denkmäler der Friedensjahre, welche
dem glorreichen Siege folgten und in ihrer Bedeutung für die Insel der
Friedenszeit entsprachen, welche das Mutterland und namentlich AÜien
nach den Perserkriegen feierte. Freilich waren es nicht freie Gemein-
den, welche die Siege gewonnen und gefeiert haben; aber nirgends ist
so sehr wie hier Ruhm und Glück der Dynasten mit bürgerlichem
Wohlstande verbunden worden; nirgends haben die Gewaltherrn es so
wie hier verslanden, ihre Macht mit Mäfsigung zu gebrauchen uud eine
Zeit lang die unvereinbarsten Dinge, Tyrannis und gesetzliche Ord-
nung, neben einander aufrecht zu erhalten.
So sehr sich aber auch die sicilischen Tyrauuen vor allen
früheren auszeichnen, so sind ihre Herrschaften dennoch dem Schick-
sale der anderen Tyrannenhäuser anheimgefallen ; sie sind ohne Dauer
gewesen, und zwar deshalb, weil die köuigliche Herrschaft, wie sie
Gelon und Theron erstrebt hatten, in Despotismus und Parleiherr-
schaft ausartete und der jüngeren Generation, welche in Glück und
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ENDE DER TYRANNIS (78,4; 4M).
559
Ueppigkeit aufgewachsen war, die Tugenden fehlten, durch welche
ihre Vorgänger des Hauses Macht begründet hatten.
So brach das Glück der Emmeniden schon mit dem Sohne des
grofsen Theron zusammen, und Gelons Sohne widerfuhr das trau-
rigste Schicksal, welches einem Thronerben zu Theil werden kann.
Er kam — wahrscheinlich nach dem Tode seines Stiefvaters — in die
Hände seines Oheims Thrasybulos, des jüngsten von den vier Söhnen
des Deinomenes ; und dieser ging, von freventlichem Ehrgeize geleitet,
darauf aus, seinen Neifen in ein ausschweifendes Leben hereinzu-
ziehen, so dass er körperlich und geistig zu Grunde gerichtet wurde.
Thrasybulos war dabei von einer Partei unterstützt, welche ihn am
Ruder zu sehen wünschte. Gleichzeitig erhob sich aber auch eine
republikanische Partei, welche die innere Zerrüttung des Tyrannen-
hauses förderte, um dasselbe desto leichter beseitigen zu können, und
so kam es, dass Thrasybulos zwar nach Hierons Tode Herrscher wurde,
aber auch durch die höchste Gewaltsamkeit nicht einmal ein Jahr lang
den Thron behaupten konnte. Es kam in Syrakus zu einem offenen
Kampfe zwischen Bürgern und Söldnern, zwischen Tyrannis und Re-
publik; es war ein Kampf, an dem sich auch die anderen Inselstädte
Akragas, Gela, Selinus u. s. w. betheiligten, und endlich musste Thra-
sybulos zufrieden sein, freien Abzug zu erhalten und zu Lokroi in
Italien eine Zufluchtsstätte zu finden.
Das war das Ende der achtzehnjährigen Tyrannis der Deino-
meniden in Syrakus. Nach Vorgang von Akragas wurde in Gela und
Syrakus die Republik wieder hergestellt, und um den Anfang einer
neuen, glücklichen Zeit zu bezeichnen, stifteten die Syrakusaner
Zeus dem 'Befreier' das Fest der Eleulherien.
Indessen war dieser Uebergang von schweren Kämpfen und
langen Nothständen begleitet. Grofsstädte sind ja an und für sich zu
republikanischem Gemeinleben wenig geschickt; hier aber hatten die
Tyrannen zu gewaltsam in das innere Leben der Städte eingegriffen,
und die Bürgerschaften waren zu sehr mit fremden Bestandteilen
zersetzt worden, als dass sich in friedlicher Weise ein neues Ge-
meindeleben hätte gestalten können. Man versuchte freilich in Syra-
kus die Alt- und Neubürger zu einer Körperschaft zu vereinigen, aber
da man die Letzteren von den Ehrenämtern ausschloss, verletzte man
sie auf das Empfindlichste und veranlasste eine Spaltung, welche zu
blutigen Kämpfen innerhalb der Stadt führte. Die verschiedenen
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500
FOLGEN I>ES TYFUNNENSTTRZES.
Stadtquartiere wurden zu Festungen, aus denen die Parteien einander
bekriegten, und die siebentausend Söldner und Neubürger, die von
denen, welche Gelon in die Stadt aufgenommen hatte, übrig waren,
bemächtigten sich der beiden inneren Stadttheile Ortygia und Achra-
dina, so dass die Altbürger in die Vorstädte hinausgedrängt wurden,
wo sie sich auf dem westlichen Theile des weitläuftigen Stadtberges,
in Epipolai, verschanzten, um der Stadt die Zufuhr von der Landseite
abzuschneiden. Und so gelang es endlieh, die Gegner zum Abzüge zu
zwingen.
Die Wirkungen des Tyrannensturzes gingen aber weit über Syra-
kus hinaus. Denn auch die Sikuler, welche durch die Macht der
Deinomeniden eingeengt waren, erhoben sich jetzt von Neuem, und da
sie in Duketios einen kühnen Führer fanden, suchten sie unter ihm
eine engere Verbindung herzustellen, um den Hellenen gegenüber eine
ebenbürtige Stellung zu gewinnen. Der Hass gegen die Tyrannen und
alles von ihnen Herstammende vereinigte jetzt sogar die Syrakusaner
mit den Sikulern; sie unternahmen einen gemeinschaftlichen Zug
gegen die Tyrannenstadt Aetna, die Beiden ein Dorn im Auge war.
Die hieronische Bevölkerung wehrte sich tapfer, aber endlich musste
sie weichen, und nach kurzem Bestände wurde die stolze Königsstadt,
welche von Hieron unter den glänzendsten Feierlichkeiten wie für die
Ewigkeit gegründet war, wieder aufgelöst und das Ehrenmal des Stadt-
grunders vernichtet; die alten Katanäer zogen wieder heim (461 ; Ol.
79, 4), die Sikuler erhielten ihr Land zurück, und die Aetnäer wur-
den nach Inessa verpflanzt, wo sie unter ihrem früheren Gemeinde-
namen fortbestanden98).
Am längsten hielt sich die Tyrannis in den beiden Städten am
sicilischen Meersunde, welche Anaxilaos zu einem Reiche vereinigt
hatte. Dasselbe hatte seit Ol. 76, 1 (476) Mikythos verwaltet, ein
Mann, der dem Sklavenstande angehörte, und dann durch das Ver-
trauen des Anaxilaos Vormund seiner Söhne und Regent von Rhe-
gion und Zankle geworden war. Als solcher herrschte er vorsichtig
und gemässigt, indem er Tyrannis und bürgerliche Verfassung zu
vermitteln suchte, aber auch entschlossen und thalkräflig, so dass
er z. B. den bedrängten Tarentinern Beistand leistete und Colonien
nach der Westküste Italiens aussendete. Es kam dahin, dass Hieron
auf ihn eifersüchtig wurde und deshalb die Tyrannensöhne veran-
lasste, ihr väterliches Erbe in Anspruch zu nehmen. Mikythos ging
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DAS REPUBLIK AN ISCHE SICILIEN.
561
bereitwillig darauf ein und legte in der tadellosesten Weise von seiner
Verwaltung öffentliche Rechenschaft ab. Doch liefs er sich von seinen
Mündeln, als dieselben ihr Vorgehen bereuten, nicht bestimmen seinen
Entschluss zu ändern, sondern schiffte sich mit seinem Privatgute ein
und begab sich, von den Segenswünschen einer dankbaren Bürgerschaft
geleitet, nach Tegea in Arkadien, um dort in stiller Zurückgezogenheit
sein wechselvolles Leben zu beschließen. Das geschah Ol. 78, 2 (467).
Ein glänzendes Andenken erhielten ihm seine zahlreichen Weihge-
schenke in Olympia. Die Söhne des Anaxilaos aber behaupteten sich
noch etwa sechs Jahre, dann wurden auch sie vertrieben.
Nun war endlich in dem ganzen griechischen Sicilien ein gleich-
artiger Zustand hergestellt. Die Bürgerschaften waren nach Entfernung
aller derer, welche der Tyrannenzeit ihre Einbürgerung verdankten,
gereinigt; die Verbannten waren heimgekehrt, die Domänen der Ty-
rannenhäuser waren Bürgergut geworden , die freien Verfassungen
überall wieder in Kraft gesetzt. Nach den Zeiten der Gewaltherrschaft
durchdrang alle Gemeinden ein freudiger Aufschwung, wie es in Athen
der Fall war nach dem Sturze der Pisistratiden.
Es fehlte zwar nicht an ehrgeizigen Parteiführern, welche die
Wirren der Uebergangszeit benutzten und Versuche machten, die
Alleinherrschaft wieder herzustellen. So geschah es namentlich in
Syrakus, wo ein gewisser Tyndareon Geld unter die Menge austheilte
und schon eine Schaar um sich versammelt hatte, die bereit war, ihm
zur unbedingten Macht zu verhelfen. Aber ehe er stark genug war
den Gerichten zu trotzen, wurde er zur Untersuchung gezogen und hin-
gerichtet. Um ähnlichen Versuchen vorzubeugen, wurde in Syrakus ein
Verfahren eingerichtet, wie der attische Ostrakismos, welcher ja auch
ähnlichen Verhältnissen seinen Ursprung verdankt. In Syrakus nannte
man es Blättergericht (Petalismos), weil hier nicht auf Thonscherben,
sondern auf Oelblätter der Name dessen eingeritzt wurde, welcher der
Verfassung gefährlich erschien. Das war der volle Sieg der demokra-
tischen Bewegung, welche durch die ganze Insel ging; sie hat sich
in einzelnen politischen Einrichtungen, wie es scheint, an Athen
angeschlossen und hat wiederum dazu beigetragen, die Erfolge der atti-
schen Reformpartei in den dortigen Parteikämpfen zu unterstützen ").
Für die einzelnen Städte Siciliens, und namentlich für Syrakus,
war der vollständige Sieg der Demokratie auch in Beziehung auf das
geistige Leben eine Epoche. Denn die Menge von Privalhändeln, welche
Curtins. Gr. G<Mtrh. II. 6. Aufl. 36
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562 FOLGEN DER BEFREIUNG.
durch die Umwälzung aller Besitz Verhältnisse veranlasst wurde, weckte
die gerichtliche Beredsamkeit, und die Volksversammlungen, in denen
jetzt die Staatsbeschlüsse zu Stande kamen, wurden eine Schule der
politischen Beredsamkeit.
Für künstlerische Behandlung der Rede hatten die Sikelioten ein
angeborenes Talent, dessen frühzeitige Ausbildung auch die Komödien
des Epicharmos beweisen. Jetzt that Korax (S. 553) als Rechtsanwalt
sich glänzend hervor und verfasste mit Hülfe seiner reichen Er-
fahrungen eine Theorie der Beredsamkeit, in welcher er die Behandlung
verschiedenartiger Rechts fälle lehrte. Sein Schüler war Tisias, dem
sich wiederum Gorgias anschloss, so dass sich rasch und kräftig eine
neue Richtung hellenischer Redekunst entfaltete, welche Sicilien durch-
aus eigen thümlich war. Unter gleichen Verhältnissen entwickelte sich
auch in Akragas die Beredsamkeit, wo Empedokles der Philosoph sich
als Volksredner geltend machte, so dass er von Aristoteles als Be-
gründer der Rhetorik angesehen werden konnte; er wusste die Partei-
bewegungen, welche auf Herstellung der Alleinherrschaft hinzielten,
siegreich zu bekämpfen, und widerstand, wie Solon, selbst jeder Ver-
suchung, eine fürstliche Stellung in seiner Vaterstadt einzunehmen.
Auch der historischen Forschung kam die allgemeine Regsamkeit
zu Gute. Wissbegierige Männer sammelten den reichen Stoff einhei-
mischer Geschichte und verarbeiteten ihn. So schrieb in den Jahr-
zehnten, welche der Vertreibung der Tyrannen folgten, der Syraku-
saner Anliochos, des Xenophanes Sohn, ein umfassendes Werk über
die Städte Italiens und Siciliens, das schon Thukydides benutzt zu
haben scheint, ein Werk, das wir am schmerzlichsten entbehren, wenn
wir uns ein geschichtliches Bild von dem westlichen Griechenland zu
entwerfen suchen.
Was die Gesamtverfassung der Insel betrifft, so hielten für's Erste
alle Städte zusammen, die dorischen wie die ionischen, und beschickten
gemeinsame Landtage, um sich zu einer gleichen, nationalen Politik zu
vereinigen. Auch mit den Sikulern lebten die hellenischen Städte in
friedlichem Einverständnisse, und selbst gegen die heimathlos ge-
wordenen Söldner war man so grofsmüthig, dass man ihnen im Ge-
biete von Zankle einen Platz einräumte, wo sie eine eigene Nieder-
lassung gründeten. Indessen hatte diese glückliche Zeit nationaler Er-
hebung und Einmüthigkeit keine lange Dauer; die Uebel der Tyrannis
waren glücklich beseitigt, aber damit auch die grofsen Zwecke vereitelt.
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DIE HELLENEN IN ITALIEN.
563
welche die Tyrannen von Akragas und Syrakus erstrebt hatten, die
Ausgleichung der Stammesunterschiede, die Verschmelzung der sici-
lischen Griechen zu einem Volke, die Vereinigung ihrer gesamten Hülfs-
kräfle zu einer Reichsmacht, die allen auswärtigen Feinden Trotz bieten
und alle auswärtige Einmischung verhindern sollte. Die Insel ging
wieder in Einzelstaaten aus einander; die Wehrkraft der Staaten verfiel,
und die Volksherrschaft war überall von den gröfsten Unordnungen
begleitet, da die Gemeinden keine Zeit gehabt hatten, sich allmählich
an die Freiheiten zu gewöhnen. Darum rissen alle Uebel der Demo-
kratie, Parteigeist, Zuchtlosigkeit und gehässige Anfeindung der Wohl-
habenden schnell ein und verzehrten die Kraft der Gemeinden, denen
keine höheren Ziele vorschwebten. Gleichzeitig erwachte die Eifersucht
der Dorier und lonier von Neuem; die Sikuler erhoben sich zu immer
keckeren Ansprüchen, und nach der gewaltsamen Unterbrechung des
allgemeinen Rechlszustandes, welche die Tyrannis herbeigeführt hatte,
war es nun um so schwieriger, zu festen Verfassungszuständen zu ge-
langen 10°).
In Italien kann noch weniger als in Sicilien von einer Gesamt-
geschichte der griechischen Städte die Rede sein. Denn hier ist weder
durch die amphiktyonischen Heiliglhümer (I, 433) noch durch vor-
wiegende Macht einzelner Städte eine dauernde Verbindung zu Stande
gekommen. Hier war im Ganzen eine noch viel ärgere Zersplitterung
der hellenischen Volkskräfte und ein schrofferer Gegensatz zwischen
den Städten ächäischer, dorischer und ionischer Herkunft, welche in
dichter Reihe neben einander aufgeblüht waren.
Während der ersten zwei Jahrhunderte nach ihrer Gründung ist
diese Blüthe der Städte auf dem überschwänglich reichen Boden Grofs-
griechenlands zur Entfallung gekommen. Die Geschichte dieser Ent-
wickelung, welche Anliochos geschrieben halte, ist uns verloren, so
dass als Hauptquelle nur die Münzen übrig sind, welche den hohen
Wohlstand der Städte, die Gottesdienste derselben so wie ihren Zu-
sammenhang unter einander bezeugen. Denn die dünn geschlagenen
und mit Schrift versehenen Silberstücke der achäischen Slädte, die
einerseits vertieft, andererseits erhaben geprägt sind, beweisen im
Gegensatze zu den dicken Metallstücken des Mutterlandes, wie geschickt
man hier bereits im siebenten Jahrhundert v. Chr. den Falschmünzern
das Handwerk zu legen wusste. Von der politischen Bildung der itali-
36*
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SCHICKSALB DER ITA LISCH Elf STÄDTE.
sehen Gemeinden zeugen ihre Gesetzgebungen (I, 547), von der Macht
derselben die Pflanzstädte an der westlichen Küste; die Burger von
Sybaris, Kroton und Lokroi herrschten an beiden Meeren der Halb-
insel. So wie aber die Städte aus den dunkeln Jahrhunderten ihrer
allmählichen Machtentfaltung heraustreten, finden wir sie in heaiger
Eifersucht gegen einander entbrannt, so dass der Boden Grofsgriechen-
lands zu einem Schauplätze der blutigsten Kämpfe zwischen helleni-
schen Nachbarstädten wurde. Ja, in keinem Theile der griechischen
Welt finden wir so furchtbare Zerstörungen, so schroffe Uebergänge
aus der Fülle menschlichen Glücks in tiefstes Elend und vollständige
Verödung.
Zuerst sind die achäischen Städte die mächtigsten gewesen,
Sybaris, Kroton und Metapont; sie suchten gemeinschaftlich die Nieder-
lassungen der anderen Stämme zu überwältigen und in Folge dieser
Verbindung ist das altionische Siris zwischen Metapont und Sybaris
von Grund aus zerstört worden (um Ol. 50; 5S0 v. Chr.). Dann
zerfielen die achäischen Städte unter einander; Kroton und Sybaris
bekriegten sich, und die letztere Stadt wurde so vollständig besiegt,
dass die Krotoniaten den Krathisfluss über die Stätte derselben
leiteten, um jede Spur der Stadt zu vertilgen (Ol. 67, 3; 510). So
waren schon vor der Zeit der Perserkriege die beiden Städte, die wir
in der Fürstenhalle des Kleislhenes (I, 250) als die glänzendsten
Griechens lädte Unteritaliens kennen gelernt haben, vom Erdboden ver-
schwunden.
Der Fall von Sybaris war aber auch den Siegern verderblich. Nach
der Mitte des fünften Jahrhunderts v. Chr. erfolgte eine vollständige
Zerrüttung der achäischen Städte; in stürmischen Volksbewegungen
wurde der Einfluss der Pythagoreer, welcher Kroton stark und grofs
gemacht hatte, und damit die Macht der aristokratischen Familien
vernichtet (I, 548 f.). Aufruhr und Blutvergiefsen herrschte lange Zeit.
Aus den verschiedensten Theilen Griechenlands kamen Gesandtschaften,
um Rath und Hülfe zu bringen, und, da es den Achäern nicht gelang
aus eigener Kraft in geordnete Zustände zurückzukehren, so halfen
ihnen zuletzt die Städte des Mutterlandes Achaja, deren politische
Satzungen von den Colonien angenommen wurden; eine Thatsache, die
wir von Polybios erfahren, ohne dass wir im Stande sind, die Zeit, in
welcher diese Annäherung erfolgte, und die Zeitverhältnisse genauer zu
bestimmen101).
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KÄMPFE UNTEn DEN STÄDTEN.
565
Im Ganzen ist die Geschichte Grofsgriechenlands von der des
Mutterlandes getrennt geblieben, und obgleich die italischen Städte
deutlich genug erfahren hatten, dass auch auf sie die Eroberungsgelüste
des Perserkönigs gerichtet waren, kam doch nur ein einziges Schiflf
den Hellenen bei Salamis zu Hülfe, das SchifT des Krotoniaten Phayllos.
Die Kraft seiner Vaterstadt, welche so lange allen Hellenen als Muster
vorgeleuchtet hatte, der Heimath des Demokedes (I, 611) und des
Milon, der Stadt, welche mehr Kränze aus Olympia davongetragen
hatte als irgend eine andere Griechenstadt, war durch Bürgerzwist
und Niederlagen gebrochen. Mit der Verödung der Ringschulen schwand
auch die Wehrkraft und der Siegesmuth der Krotoniaten. Dazu kam,
dass um dieselbe Zeit, da die Punier Sicilien und die Perser Hellas be-
drängten, auch die italischen Völker in massenhafter Bewegung gegen
das griechische Küstenland begriffen waren, namentlich die Iapygier
oder Messapier (I, 423) nebst den ferner wohnenden Peuketiern.
Tarent war nach dem Verfalle der achäischen Städte die glän-
zendste Stadt Grofsgriechenlands, der Hauptsitz des unteritalischen
Handels. Sein üppiger Reichthum lockte vorzugsweise die Barbaren,
und trotz der Hülfe, welche die Rheginer leisteten, erlitt die Stadt eine
schwere Niederlage, die gröfste Niederlage hellenischer Völker, welche
Herodot kannte, um Ol. 76, 4 (473).
So wurde um dieselbe Zeit, da Hieron die Tyrrhener besiegte, die
Ostküste Italiens bis zum sicilischen Sunde hin den Barbaren Preis ge-
geben. Indessen war die Macht von Tarent nicht gebrochen. Die
alten Familien der Stadt wurden zwar in diesem Kampfe aufgerieben,
aber nun kamen auch hier die Bewegungen zum Durchbruche, welche
seit dem Ende des sechsten Jahrhunderts v. Chr. durch die ganze
griechische Welt gingen. Die unteren Volksklassen gewannen Antheil
an der Staatsverwaltung, und mit der Umwandlung der aristokratischen
Verfassung in eine demokratische erfolgte ein kräftiger Aufschwung,
so dass die Tarentiner den Kampf mit Glück erneuerten und um
Ol. 78 und 80 in Delphi grofse Siegesdenkmäler aufstellen konnten,
Werke des Ageladas und Onalas, welche die tapferen Kämpfe zu Ross
und zu Fufs gegen die Barbaren in Erzgruppen darstellten10*).
Nach Besiegung der Barbaren brachen hier wie im Mutterlande
die Streitigkeiten zwischen den griechischen Städten von Neuem aus.
Eine Hauptursache des Zwistes war Sybaris, dessen Bürger auch in der
Zerstreuung nicht aufhörten, die Wiederherstellung ihrer Stadt zu er-
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ATHEN UND ITALIEN.
streben. Bei dem ersten Versuche um Ol. 76, 1 (476) hofften sie auf
Syrakus, und Hieron wollte sie mit Ueeresmacht gegen Kroton unter-
stützen, aber der Hülfzug unterblieb, und die Sybariten erlagen zum
zweiten Mal. Dann sammelten sie sich 58 Jahre nach der Zerstörung
ihrer Stadt von Neuem aus ihren Pflanzstädten (S. 258), wurden aber
schon im fünften Jahre (83, 2; 447) aus ihrem wieder gewonnenen
Wohnsitze durch die Kroloniaten verdrängt. Ihr Muth war noch nicht
gebeugt. Sie wendeten sich jetzt nach dem Multerlande und zwar erst
nach Sparta, dann nach Athen, und dies HülfVgesuch wurde nun die
Veranlassung, dass von Hellas Unternehmungen ausgingen, welche
zum ersten Male auf nachhaltige Weise in die Geschichte GroCs-
griechenlands eingriffen.
Im Ganzen bat die Bekanntschaft des Mutterlandes mit der west-
lichen Halbinsel langsame Fortschritte gemacht, auch bei den Athenern,
so dass eine Fahrt nach dem adriatischen Meere lange Zeit auch bei
ihnen der sprichwörtliche Ausdruck für ein keckes Wagniss blieb-
Erst als sie mit Ionien in engere Beziehung traten, rückte ihnen auch
Italien näher, das mit den ionischen Seestädten seit alter Zeit in den
genauesten Verbindungen gestanden hatte, wie namentlich Sybaris mit
Milet. Die Reize Italiens wurden nun mehr und mehr bekannt, und
besonders waren es die Kornfluren von Siris, welche von den Athenern
in's Auge gefasst wurden, seit sie zu einem Flottenstaate geworden
waren. Auf diese altionische Gegend, deren Schönheit der Dichter
Archilochos gepriesen hatte, glaubten sie ein Anrecht zu haben; Orakel-
sprüche waren im Umlaufe, welche ihnen diesen Besitz zuwiesen, und
als sie eine Zeitlang darauf gefasst sein mussten, wie die Bürger von
Phokaia, ihrer Heimalh zu entsagen, waren sie entschlossen, nach Siris
auszuwandern, wie Themistokies dem Eurybiades erklärte (S. 77). Der
große Staatsmann war in seinen Gedanken mit den fernen West-
gestaden viel beschäftigt, so dass er zwei seiner Töchter nach ihnen
benannte, die eine llalia, die andere Sybaris. Was er im Sinne trug,
wurde auch auf diesem Gebiete durch Perikles ausgeführt, welcher die
attischen Beziehungen zum Westen mit sicherer Hand förderte. Es
wurden ausgezeichnete Sikeliolen nach Athen berufen (S. 268). Es '
wurden Bündnisse mit einzelnen Städten geschlossen, wie mil Rhegion
(86, 4); es wurde endlich unter Athens Leitung eine hellenische Co-
lonie in das Gebiet der Sybariten geführt108).
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TARENT UND THÜRIOI
567
Die Gründung von Thurioi sollte allerdings keine Kriegsunter-
nehmung sein, sondern ein Friedenswerk und zur Versöhnung des
alten Stammhaders dienen. Dazu schien dieser Boden besonders
günstig, weil hier von Anfang eine gröbere Mischung stattgefunden
hatte und auch in der einzigen dorischen Stadt, in Tarent, nichts
weniger als ein schroffer Dorismus herrschte. Auch schloss sich
Thurioi einheimischen Stadtordnungen, wie den Gesetzen des Cha-
rondas, an; Athen selbst trat als Schutzmacht der neuen Ansiedelung
mit grofser Vorsicht auf und vermied Alles, was herrschsüchtige Ab-
sichten hätte verrathen können. Dennoch konnte das Werk nicht ohne
Kampf vorwärts gehen; denn die Eifersucht der italischen Städte
wurde auf das Lebhafteste erregt. Vor Allen waren es die Tarentiner,
welche darin einen Versuch sahen, das Uebergewicht ihrer Stadt,
welcher in Grofsgriechenland keine ebenbürtige Macht mehr gegen-
überstand, zu beschränken und ihre weitere Ausbreitung zu hemmen,
um so mehr, da die neue Stadt sehr rasch aufblühte und sich mit den
Städten achäischen Ursprungs in Verbindung setzte. So mussten also
die Thuriaten auch als Feinde von Tarent an die Stelle von Sybaris
treten, und von Neuem entbrannten die Nachbarfehden um die GeGide
von Siris, da die Thuriaten die alten Ansprüche ihrer Mutterstadt ver-
wirklichen wollten. Es war ein seltsames Zusammentreffen, dass ihr
Feldherr in diesem Kampfe gegen die dorische Stadt ein Lakedämonier
war, nämlich jener Kleandridas, welcher von Sparta verbannt war, weil
er sich von Perikles hatte bestechen lassen (S. 179). Es kam schliefs-
lich zu einem Theilungsvertrage , wobei den Tarenlinern das Kecht
zugestanden wurde, auf ihrem Anlheile der Siritis eine Colonie zu
gründen, während die Thuriaten die alte Herrschaft von Sybaris
(I, 432) herzustellen suchten und ihr Gebiet bis an das tyrrhenische
Meer vorschoben.
Durch die Gründung von Thurioi waren die Beziehungen zwischen
Athen und Grofsgriechenland sehr lebhaft geworden. Thurioi bedurfte
immer [frischer Kräfte, und bis in die Mitte des peloponnesischen
Kriegs siedelten viele Athener über, theils auf öffentliche Veranlassung,
theils aus persönlichen Antrieben; namentlich 'wohlhabende Schutz-
bürger, welche sich zu Hause durch das Unwesen der Sykophantie be-
lästigt fühlten; auch von den Bundesgenossen wanderten Manche aus,
welche die Herrschaft Athens, die Erhöhung der Tribute und Anderes
schwer empfanden. Aber nicht blofs Unzufriedenheit trieb die Hel-
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56S
WANDKRUNG NACH ITALIEN
lenen über das Meer, sondern auch ein allgemeiner Zug nach den
besperischen Ländern, welcher in jener Zeit sehr lebhaft und weit
verbreitet war, der mannigfaltige Reiz, den das jenseitige Land
für wanderlustige Leute hatte, der Ruhm der herrlichen Städte,
in denen üppige Pracht sich so glänzend entfaltet halte , die gröfsere
Wohlfeilheit des Lebens, welche in den korn- und heerdenreichen
Landschaften herrschte, und endlich auch die mannigfaltige uud
eigenlhümliche Bildung, welche dem Wohlstande der Städte ge-
folgt war.
So halte sich aus der Festlust der Taren Ii ner (I, 457) eine Gat-
tung heiterer Dichtkunst entwickelt, welche in dramatischen Spielen
die Gestalten der Volkssage, Götter wie Heroen, mit Scherz und Spott
behandelte und dabei Züge des täglichen Lebens in lustiger Weise ein-
zuweben wusste. Es waren Dichtungen, welche der sprudelnden Laune
ihre Entstehung verdankten und daher immer den frischen Charakter
von Improvisation behielten. Aber auch der Ernst fehlte nicht; auch
ernste Wahrheiten wurden mit lachendem Munde dem Publikum mil-
getheilt. Denn die philosophische Richtung hatte ja in Grofsgriechen-
land tiefer als anderswo Wurzel gefasst und hier eine Bedeutung für
das öffentliche Leben gewonnen, welche die denkenden Köpfe unter
den Griechen in hohem Grade beschäftigte. Darum suchten Viele die
Heimath der pytliagoreischen Weisheit auf und bewunderten besonders
die Männer, welche musische und gymnastische Bildung so zu ver-
binden wussten , wie der berühmte Ikkos aus Tarent, welcher in der
Zeit nach den Perserkriegen den olympischen Kranz gewann, der erste
Meister gymnastischer Kunst unter den Hellenen und zugleich ein
Weiser von anerkanntem Rufe. Die griechischen Schiffe wurden
immer heimischer in den westlichen Meeren ; Euktemon (S. 281), der
Genosse Metons, stellte schon über die Heraklessäulen genaue Ansichten
auf, und der Handel verband die westlichen Golonien immer enger mit
Athen, nachdem die Ausgleichung des Münzfufses den Verkehr wesent-
lich erleichtert hatte104).
In Italien war nämlich das Kupfer der allgemeine Werlhmesser ;
das Pfund Kupfer, libra (litra), in 12 Unzen gelheilt, bildete die Ein-
heil des Geldes und Gewichts, und das darnach geregelte Münzsystem
verbreitete sich auch nach Sicilien. Die griechischen Kautleute und
Colon isten fanden dasselbe ausgebildet vor, sie brachten ihre einhei-
mischen Geldsorten mit herüber, und diese gewannen nun neben ein-
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münzvekhXltnisse.
569
ander Eingang. Die wichtigsten Einwirkungen gingen aber von Ko-
rinth uud von Athen aus.
Korinth hatte sich im Anschlüsse an das in Kleinasien geltende
babylonische Goldgewicht schon frühzeitig sein eigenes Münzsystem ge-
bildet ; es hatte vor Athen die Goldwährung auf das Silber übertragen,
und der korinthische Silberslater bürgerte sich mit seinem kleinasia-
tiscben Theilungssysteme in Dritteln, Sechsteln und Zwölfteln bei
den Achäern in Italien, den Krotoniaten, Sybariten u. a. ein. Auf die
Dauer konnten aber die fremde und einheimische Währung nicht so
unvermittelt neben einander stehen, und im Interesse des Verkehrs
gaben die Koriniher ihre alte Eintheilung auf und setzten den Staler
(Zweidrachmenstück) zu 10 Lilren an und ein Zehntel desselben
prägten sie als Silbermünze (nomos, nummus) aus, welche also das
Aequivalent von einem Pfund Kupfer war. So haben die Koriniher,
als die geborenen Vermittler von Ost und West, die drei Werlhmetalle
der alten Welt in ihrer Währung zuerst mit einander in Verbindung
gesetzt uud das italische Litrensystem mit dem Drachmen Systeme
verschmolzen ; ja sie haben auch in der eignen Heimath nach Lilren
gerechnet. Neben den Korinthern haben die Athener mit ihrem
Münzfufse im Westen Eingang gewonnen, namentlich in Etrurien, in
Taren t und in Sicilien. Auch haben sie gerade um die Zeit, als ihre
Beziehungen zu Unteritalien recht lebhaft wurden, ihre Abneigung
gegen das Kupfergeld überwunden. Der durch die Einführung des-
selben bekannte Staatsmann und Dichter Dionysios der 'Kupfermann',
war einer von den Führern der Colonie Thurioi105).
Je näher aber in jeder Beziehung der Westen den Athenern ge-
rückt wurde, um so natürlicher war es, dass in Athen auch andere
Pläne auftauchten, dass man es nicht bei der perikleischen Politik be-
wenden lassen wollte, welche nur auf friedlichem Wege das Ansehen
der Stadt im westlichen Meere geltend gemacht halte, dass man auch
als herrschende Macht dort aufzutreten dachte. Solche Pläne sollten
bald auch durch Bündnisse, die mit einzelnen Staaten geschlossen
wurden, Nahrung erhalten. Als Kerkyra in den atiischen Bund auf-
genommen wurde, hatte man da^ei schon Sicilien und Italien im Auge
(S. 366). In dem Hasse gegen Korinth lag ein fortwährender Antrieb
zu Eroberuugsplänen auf dem Gebiete korinthischer Colonisalion. Um
diese Pläne zur Ausführung zu bringen, bedurfte es also nur einer
günstigen Gelegenheit, welche die Eiumiscbung Athens in die inneren
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57Ü
.NEUE GEGENSÄTZE IN SICILIEN.
Verhältnisse der Colonien veranlassen konnte, und diese Veranlassung
ging von Sicilien aus.
Sicilien konnte nicht zu dauernder Ruhe gelangen. Da war zu
viel Gährungsstoflf vorhanden, theils in den einzelnen Städten, in denen
Versuche gemacht wurden die Tyrannis zu erneuern, theils in den Be-
ziehungen der Städte zu einander, theils endlich in denen der griechi-
schen Städte zu den Sikulern. Denn diese hallen in Duketios (S. 560)
zum ersten Male einen persönlichen Mittelpunkt gefunden, und dieser
Mann begnügte sich nicht, als kecker Häuptling die unwegsamen Ge-
birgsdistrikte zu benutzen, um einzelne Angriffe auf die Küstenstädte
auszuführen, sondern er suchte nach hellenischer Weise Städte zu
gründen, und zwar vereinigte er zuerst eine sikulische Stadtgemeinde
bei Palikoi, einem durch vulkanische Erscheinungen ausgezeichneten
und von den Eingeborenen heilig gehaltenen Platze westlich von
Leontinoi. Es gelang ihm selbst die vereinigten Truppen von Akragas
und Syrakus zu schlagen, und nachdem er dann, von den Griechen
besiegt, eine Zeitlang Sicilien hatte meiden müssen, benutzte er die
Entzweiung der beiden Städte, um an der Nordseite der Insel eine
neue Stadt zu gründen, Kaie Akte 'Schönküste' genannt, als festen und
wohlgelegenen Mittelpunkt eines sikulischen Reichs. Aber ehe er
seinem Werke einen festen Bestand sichern konnte, starb er in seiner
neuen Residenz Ol. 85, 1 (440), und die Syrakusaner, welche in-
zwischen Akragas gedemüthigt hatten, konnten nun ohne grofse
Schwierigkeit alle Unabbängigkeitsbestrebungen der Sikuler unter-
drücken und alle Plätze derselben in der Nähe ihres Gebiets sich
unterwerfen.
Syrakus war mächtiger als je zuvor. Es erneuerte also die Pläne
einer die ganze Insel umfassenden Herrschaft; Reiterei und Seemacht,
die seit der Tyrannenzeit vernachlässigt waren, wurden wieder ver-
mehrt; die sikulischen Orte wurden mit Härte und die clialkidischen
Städte mit rücksichtslosem Uebermuthe behandelt. Die Folge war,
dass die alte Abneigung der Stämme gegen einander, welche bei dem
gemeinsamen Kampfe wider die Tyrannen eine Zeitlang zurückgetreten
war, von Neuem sich gellend machte, und zwar um dieselbe Zeit, als
die Gegensätze zwischen Doriern und Ioniern durch den Ausbruch des
peloponnesischen Kriegs in der ganzen hellenischen Welt wieder er-
weckt und geschärft wurden.
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GESANDTSCHAFT DES GORGIAS
571
Sparta trat mit den dorischen Inselstaaten in Verbindung (S.
382), und wenn auch die sicilischen Stadtgemeinden sich viel gleich-
gültiger und theilnahrnloser zeigten, als die Spartaner gehofft und die
Korinther den Spartanern vorgespiegelt hatten, so entwickelte sich
doch auch in Sicilien eine immer schroffere Parteistellung zwischen
den Anhängern der attischen und der peloponnesischen Sache, nament-
lich seitdem die Athener im ionischen Meere Macht gewannen und mit
ihren Stammgenossen jenseits desselben in nähere Verbindung traten.
So wurde bereits Ol. 86, 4 (433) eine Bundesgenossenschaft mit
Rhegion abgeschlossen. Um dieselbe Zeit wendeten die Gesandten der
Kerkyräer das Augenmerk der Athener auf die westliche Griechen weit
und kamen dadurch den Plänen entgegen, welche die äufsersle Partei
der Demokraten schon zu Perikles' Lebzeiten gefasst hatte.
Als nun durch den Uebermuth von Syrakus die Chalkidier
Siciliens immer rücksichtsloser bedrängt wurden, kam es auch in
Sicilien zu einer offenen Spaltung; es bildete sich ein doppeltes Heer-
lager, zwei Kriegsparleien standen sich auch hier gegenüber. Einer-
seits die ionischen Städte, Leontinoi, Katane und Naxos, denen sich
Rhegion anschloss und auch das dorische Kamarina, welches nach
Vertreibung der Tyrannen wieder hergestellt worden war; denn der
Hass gegen Syrakus, von dem man eine dritte Aufhebung der Stadt-
gemeinde besorgen musste, überwog die Stammgefühle und trieb
Kamarina in das Lager der chalkidischen Ionier. Auf der anderen Seite
standen die dorischen Colonien nebst Lokroi, das sich schon früher an
Sparta angeschlossen hatte. Die Leontiner, zu Lande wie zu Wasser
von Syrakus bedrängt, thaten den entscheidenden Schritt, indem sie
im fünften Kriegssommer (Ol. 88, 1; 427) eine Gesandtschaft nach
Athen schickten und um Unterstützung nachsuchten lue).
Der Führer dieser Gesandlschaft war Gorgias, damals schon
ein Sechziger; aber auch er gehörte zu den Hellenen, deren geistige
Bedeutung und Wirksamkeit durch eine aufserordentliche Lebens-
kraft gelragen war (S. 308). Es war eine stattliche Persönlichkeit
voll Zuversicht und Selbstvertrauen, wie Empedokles, dem er auch
in seiner Bildung sich angeschlossen halle. Denn er war ein Mann
von gröfster Vielseitigkeit, in der Naturphilosophie bewandert so
wohl wie in der Dialektik der Eleaten. Diese philosophische Bil-
dung benutzte er aber vorzugsweise zu praktischen Zwecken, indem
er durch überraschende Gedankenverbindungen, durch unerwartete
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572
GESANDTSCHAFT UES GOJMJf AS
Schlösse und Beweisführungen sich der Gemülher bemächtigte und
die Entschließungen der Zuhörer bestimmte. Er gehörte durchaus
der sophistischen Richtung an, aber er wollte kein Weisheitslehrer
sein wie Prodikos und kein Encyklopädist und Polyhistor wie
Hippias, sondern er wollte nur Rhetor sein nach Art des Korax
und Tisias (S. 562) , als Redner wirken und Andere zu Rednern
bilden. Je mehr er aber auf diesen Zweck alle Kräfte vereinigte, um so
vollendeter war die Meisterschaft, welche er hierin erreichte, und
die Athener wussten den glänzenden Eindruck derselben in vollem
Mafse zu würdigen.
Es war etwas ganz Neues für sie; denn die Reden des
Gorgias bildeten einen aulfallenden Gegensalz zu der keuschen
Haltung und dem kernigen Inhalte perikleischer Beredsamkeil; sie
wirkten wie eine bezaubernde Musik auf die Sinne der Athener,
bei denen er sich in Privatkreisen wie auch im Theater hören
liefs; sie wirkten durch eine hinreifsende Anmuth, durch eine
Fülle von Bildern, durch geistreiche Wendungen, durch poetische
Färbung, durch reichen Schmuck und schwungvolle Diktion; die
Gedanken wurden in rhythmischer Gliederung an einander gereiht,
fein ersonnene Gegensätze erhielten die Aufmerksamkeit in lebhafter
Spannung; man hatte den Eindruck eines vollendeten Kunstwerks.
Es war daher von grofser Bedeutung, dass eine so ausgezeich-
nete Persönlichkeit an der Spitze der Gesandlschaft stand. Aber das
Anliegen der bedrängten Leontiner halle auch an und für sich eine
unverkennbare Wichtigkeit; denn wenn der schwache Ueberrest ioni-
scher Bevölkerung in Sicilien vollständig überwältigt wurde, so war dies
bei der damaligen Spaltung der Nation eine Niederlage der altischen
Politik, den Peloponnesiern aber erwuchs in Syrakus, wenn es seine
Herrschaftspläne durchführte, ein mächtiger Bundesgenosse, der allein
schon durch Kornzufuhr den Feinden Athens den gröfsten Vorschub
leisten konnte10**).
Die Athener gingen entschlossen, aber vorsichtig zu Werke. Sie
schickten gegen Ende des Sommers 427 ein Geschwader von 20
Schiffen unter Ladies und Charoiades in die sicilischen Gewässer,
um Leonlinoi zu schützen, aber zugleich mit dem Auftrage, neue
Verbindungen anzuknüpfen und das ganze Kriegslheater daselbst
auszukundschaften. Rhegion wurde ihre Hauptstation. Noch während
des Winters wurde von den Athenern ein Versuch gemacht, * sich
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DIE ATHENER I> SICILIEN.
573
der Hparischen Inseln (I, 439) zu bemächtigen. Aber die kleinen
Eilande, deren Wehrkraft sich in den Kämpfen mit den Tyrrhenern
geübt hatte, leisteten einen unerwarteten Widerstand und gaben den
Athenern einen Maisslab für die Energie und Macht, welche in
den dorischen Pflanzorten vorhanden war. Nicht besseren Erfolg
hatte ein zweiler Angriff auf diese Inseln im nächslen Winter
(426 — 25). Nachdem Charoiades in einem Kampf wider die Syra-
kusaner gefallen war (426), hatte Ladies allein den Oberbefehl. Es
wurden Streifzüge in's Innere Siciliens unternommen, wobei sich
zeigte, dass man unter den Sikulern, welche den Syrakusanern
unterworfen waren, zahlreiche Bundesgenossen hatte; es wurden
Angriffe auf einzelne Seeplätze gemacht, Mylai und dann auch
Messana eingenommen; aber ein bestimmter Plan wurde nicht ver-
folgt und deshalb nirgends etwas Bedeutendes erreicht. Statt den
Leontinern Hülfe zu bringen, half Laches den Rheginern ihre Fehden
gegen die Epizephyrischen Lokrer ausfechten. Als daher eine zweite
Gesandtschaft der sicilischen Bundesgenossen in Athen erschien, und
um Verstärkung des Geschwaders bat, beschloss man eine gröfsere
Expedition auszurüsten, und schickte zunächst Pythodoros mit einigen
Schilfen voraus, welcher als Stratege an Laches' Stelle trat.
Im nächsten Frühjahre (425) gingen dann 40 Schiffe nach Sicilien
ab unter Eurymedon und Sophokles. Es war dieselbe Flotte, welche
Demoslbenes an Bord hatte, und für die sicilischen Angelegenheiten
war der Aufenthalt bei Pylos, über welchen die Feldherrn gleich An-
fangs unwillig waren, so wie der zweite, kürzere in Kerkyra (S. 476.
489) in der That sehr nachteilig. Denn ein ganzer Sommer ging da-
durch verloren. Messana, dessen Bevölkerung nur zum Theil den
Athenern günstig war, kam durch Verrath der Gegenpartei in die
Hände der Syrakusaner. Zwar roisslang denselben der Plan, im Verein
mit den Messeniern die Flotte der Athener und Rheginer in der Meer-
enge zu besiegen, bevor die Verstärkung angekommen sei, indem sie
sich dem Geschwader des Pythodoros doch nicht gewachsen sahen,
und auch ein Anschlag auf Kamarina, um diese Stadt den Athenern ab-
wendig zu machen, wurde durch rechtzeitige Ankunft der athenischen
Schi flu vereitelt; aber bei dem von den Leontinern unterstützten An-
griff auf Messana richteten die Athener nichts aus, und Pythodoros ver-
mochte den für den Krieg gegen Syrakus so überaus wichtigen Platz
nicht wieder in seine Gewalt zu bringen.
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574
GEGENSATZ DER VERFASSL'NGSPARTEIEN.
Im Spatherbst traf endlich die Flotte des Eurymedon an ihrem
Bestimmungsorte ein, und für den Anfang des achten Kriegssommers
(424) schien sich nun auch in Sicilien Grobes vorzubereiten. Eine
mächtige Flotte von 50 bis 60 Segeln lag in Rhegion und die grofsen
Erfolge, welche im Peloponnes gewonnen waren, erfüllten die Truppen
mit Zuversicht und Unternehmungslust. Dieselben Umstände führten
aber auch in Sicilien einen Umschwung herbei, wodurch allen Unter-
nehmungen der Athener plötzlich ein Ziel gesetzt wurde101).
Seitdem Syrakus eine freie Verfassung hatte, finden wir daselbst
ganz ähnliche Verhältnisse, wie in Athen, Gegensätze der Armen und
Reichen, der älteren und jüngeren Generation, der gemäfsigten Bürger
und der Vorkämpfer einer unbedingten Volksherrschaft; es wogten
aber die politischen Richtungen hier noch regelloser hin und her. Es
bestand eine Partei, welche kein Hehl daraus machte, dass sie in der
mafslosen Demokratie das Verderben des Staats erkenne, und obgleich
sie rastlos von den Demagogen bekämpft wurde, die nach Kleon's Art
alle einer verfassungsfeindlichen Richtung Verdächtigen mit Erbitterung
verfolgten, so gab es doch noch Männer aristokratischer Gesinnung,
welche sich zu behaupten wussten, Männer, die in gewöhnlichen Zeiten
übertäubt und zurückgedrängt wurden, bei aufserordentlichen Anlässen
aber immer wieder hervortraten, weil sie aller Anfechtungen unge-
achtet durch ihre Geschäflskenntniss, ihre Tapferkeit, ihre Festigkeit
und Unbestechlichkeit einen festen Besitz von Achtung und Vertrauen
in der Gemeinde hatten.
Der Gegensatz der Verfassungsparteien bezog sich auch auf die
auswärtige Politik. Denn wie in Athen, so war auch hier die demo-
kratische Partei in Beziehung auf die kleineren Staaten rücksichtslos
und gewaltsam und wollte der Stadtgemeinde von Syrakus um jeden
Preis die Herrschaft über Sicilien verschaffen, während ihre Gegner
nur durch Mäfsigung, Vorsicht und Gerechtigkeit eine dauerhafte Ord-
nung der sicilischen Angelegenheiten erreichen zu können glaubten.
Nachdem man nun durch Uebergriflfe aller Art den Krieg in Sicilien
hervorgerufen hatte, erkannte man plötzlich die Gefahren, in welche
die demokratische Politik den Staat gebracht hatte. Man sah mit
Schrecken, dass Athen jetzt freie Hand hatte, dass Sparta aufser
Stande war zu helfen und dass die dorischen Pflanzstädte allein die
Athener nicht abwehren konnten. Darum erschien es nothwendig,
Alles aufzubieten, um die Athener zu entfernen, und zu dem Ende
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<
FRIEDENSTAG IN GELA (89, 1; 4M). 575
musste man den Weg einer versöhnenden Politik einschlagen, um, wo
möglich, alle Misshelligkeiten auf sicilischem Boden ohne Einmischung
Athens beizulegen.
Unter diesen Umständen erlangte die aristokratische Partei wieder
das Uebergewicht, und der bedeutendste Mann derselben war Hermo-
krates, des Hernion Sohn, ein Syrakusaner von vornehmer Herkunft,
ein entschiedener Gegner Athens und der attischen Politik; dabei ein
erprobter Feldherr, ein hellblickender Staatsmann von grofser Bered-
samkeit und ein Mann von untadeligem Rufe, der deshalb vor Allen
geeignet war, ein allgemeines Zutrauen in Sicilien zu erwecken. Ihm
kam zu Gute, dass die Gegner von Syrakus keinen festen Zusammen-
hang hatten und dass die Nähe der attischen Flotte so wie der dro-
hende Ausbruch eines grofsen Inselkriegs auf alle Städte einen er-
schreckenden Eindruck machte. Es gelang ihm daher zuerst Kamarina
mit Syrakus zu versöhnen und dann einen allgemeinen Congress in Gela
zu Sunde zu bringen, wo alle Streitigkeiten verhandelt werden sollten.
Als nun hier die siciliscben Städte, eine nach der andern, ihre
besonderen Interessen zur Sprache gebracht halten, trat Hermokrates
auf, um in eindringlicher Rede das Gesamtinteresse aller Inselstädte
den Abgeordneten an das Herz zu legen. Es galt den Versuch, eine
Reihe griechischer Städte, für welche es keinerlei amphiktyonische
Ordnungen gab, an die man anknüpfen konnte, auf Grund vernünftiger
Erwägung gemeinsamer Wohlfahrt so zu einigen, dass die Unterschiede
der Herkunft überwunden wurden. Mit der Einmischung der Athener,
sagte Hermokrates, könne keiner Gemeinde gedient sein ; denn diese
kämen ja nicht, um ihren Verbündeten zu helfen, sondern um die ganze
Insel, Freund wie Feind, Dorier wie lonier, zu unterwerfen. Diesen
herrschsüchtigen Absichten gegenüber müsse man sich zu einer sicili-
scben Politik vereinigen , um das gemeinsame Vaterland vor Knecht-
schaft zu bewahren. Im Namen der gröfsten Inselstadt reiche er den
Stadtgemeinden allen die Hand der Versöhnung: alle Zwistigkeiten
sollten durch friedliche Auseinandersetzung beigelegt werden, und
Sicilien ein einiges Reich sein, eine Eidgenossenschaft frei verbündeter
Städte, deren Bürger sich nicht als Dorier und lonier, nicht als Leon-
tiner und Syrakusaner, sondern als Sikeliolen fühlen sollten.
Syrakus selbst bewährte durch thalsächliche Zugeständnisse seine
Friedensliebe, und so gelang die allgemeine Beruhigung vollkommen.
Eine Reihe von Vertragspunkten wurde festgestellt und beschworen;
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576
>El*F. STREITIGKEITEN.
darunter auch die Bestimmung, dass man auswärtigen Mächten die
Häfen nicht öffnen dürfe, wenn sie mit mehr als einem Kriegsschiffe
kämen. Sicilien war gegen Athen einiger, als es je den Barbaren gegen-
über gewesen war. Man war aber klug genug, keine feindliche Stel-
lung einzunehmen, sondern die Feldherrn Athens wurden von den Be-
schlüssen in Kenntniss gesetzt; sie wurden aufgefordert, denselben
ihrerseits beizutreten und dann heimzukehren, da der Zweck ihrer
Anwesenheit auf anderem Wege erledigt sei.
Eurymedon blieb nichts übrig, als beizustimmen. Jeder Einspruch
würde die eigennützigen Pläne Athens aufser Zweifel gesetzt und die
Insulaner in ihrer Abneigung und Furcht nur bekräftigt haben. Trotz-
dem wurden die rückkehrenden Feldherrn in Athen mit unverhohlenem
Aerger aufgenommen; sie wurden mit Verbannung und Geldbufsen
bestraft, als wenn sie die Interessen Athens absichtlich preisgegeben
hätten. Denn das Volk in seinem übermüthigen Siegesgefühle hatte
sich schon im Besitze von ganz Sicilien geträumt und glaubte nun ein
für allemal in seinen Hoffnungen getäuscht zu sein. Die Einsichtigeren
aber erkannten, dass die rasche Beruhigung der Insel keinen Bestand
haben würde und dass früher, als sie wünschten, neue Verwickelungen
zu erwarten wären107*).
Und in der Tbat brachen bald nach dem Friedenstage von Gela
neue Unruhen aus. Zuerst in Leontinoi. Hier halte die demokratische
Regierung eine Menge von Neubürgern aufgenommen und wollte zu
ihren Gunsten eine neue Ackerlheilung durchsetzen. Die Reichen ver-
banden sich dagegen mit Syrakus, verlrieben die Volkspartei, hoben
die Stadt auf und siedelten selbst nach Syrakus über, wo man wieder
unvermerkt in die verführerische Bahn einer herrschsüchtigen Politik
einlenkte. Inzwischen führte die Liebe zum heimatlichen Boden bald
einen Theil der alten Einwohner nach dem verödeten Leontinoi zu-
rück , wo sie sich in einzelnen festen Punkten gegen die Syrakusaner
hielten, während die gröfsere Zahl in der Verbannung lebte und nun
auf das Eifrigste um die Hülfe der Athener sich bemühte.
Athen war damals durch die Niederlage bei Delion (S. 494)
gelähmt und durch die thrakischen Angelegenheiten so beschäftigt,
dass es, um nicht ganz unthälig zu bleiben, nur zwei Kriegsschiffe
nach Sicilien schickte, deren Führer Phaiax den Auftrag hatte, der
syrakusanischen Politik durch Verhandlungen entgegen , zu arbeiten
und die Gegenpartei zum Ausharren zu ermuthigen. Da aber nichts
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SELINUS UND EG EST A.
577
Ernsthaftes unternommen wurde, so gelang es Syrakus, das Gebiet
von Leontinoi sich vollständig anzueignen.
Bald darauf entspann sich auf dem westlichen Theile der Insel
eine neue Stadtfehde, nämlich zwischen Selinus und Egesta108).
Die Selinuntier hatten sich nach der Schlacht von Himera mehr
als früher den griechischen Inselstädten zugewendet; sie hatten an der
Vertreibung der Tyrannen aus Syrakus Antheil genommen und wäh-
rend des fünfzigjährigen Friedens, welcher darauf folgte, eine glückliche
Zeit gehabt. Ihr Schatz war gefüllt. Die Gruppen ihrer Tempel in der
Ober- und Unterstadt bezeugen noch heute die Epochen einer reichen,
einheimischen Kunstentwickelung, und noch anschaulicherzeigen uns
die herrlichen Silbermünzen, welchen hohen Grad von Wohlstand und
Bildung die Stadt damals erreicht hatte (S. 557).
Sie lebte seit alten Zeiten in Hader mit Egesta oder Segesta,
der nördlichen Nachbarstadt, dem Hauptorle der Elymer (S. 523),
denen der hohe Felsberg Eryx an dem nordwestlichen Hände Siciliens
mit der gleichnamigen Stadt gehörte. Die Elymer wurden von den
Doriern als Barbaren angesehen und selbst von den attischen Ge-
schichtschreibem so genannt, wenn sie sich auch in Sprache, Sitte
und Kunst der Entwickelung hellenischer Bildung angeschlossen hatten,
wie ihre Bauten und Münzen beweisen. Die dorischen Nachbarn
scheuten jede Verbindung mit ihnen ; darum war es wegen des Ehe-
rechts schon öfters zu Streitigkeiten zwischen Egesta und Selinus ge-
kommen. Gränzstreitigkeiten kamen dazu, und da nun die Syrakusaner
das Ihrige thaten, um die Selinuntier aufzureizen und dieselben sogar
mit ihren Truppen im Kampfe gegen Egesta unterstützten, so wurde
die von aller Hülfe verlassene Stadt zu Wasser und zu Lande schwer
bedrängt. Vergeblich suchte sie in Akra gas wie in Karthago Unter-
stützung zu erlangen und wandte sich endlich an Athen, um hier die
früher den Leon tinern geleistete Hülfe als einen Grund geltend zu
machen, weshalb auch sie in gleicher Bedrängniss auf attische Hülfe
Anspruch hätte. Zehn Jahre nach der Gesandtschaft des Gorgias,
im Spätsommer 416 (Ol. 91, 1) kamen die Egestäer nach Athen, und
ihre Ankunft war es, welche den attisch-sicilischen Krieg endlich zum
Ausbruche brachte109).
Dieser Erfolg erklärt sich aus den Veränderungen, welche seit dem
Frieden des Nikias in den Staaten des Mutterlandes eingetreten waren.
Curtius, Gr. Ge*ch. II. 6. Aufl.
37
IV.
BIS ZUM ENDE DES SICILISCIIEN KRIEGS.
Durch den Frieden des Nikias, dem wenig Wochen später der Ab-
schluss des Waflenbündnisses folgte, war im Mutterlande eine ganz
neue Ordnung der Dinge eingetreten, ein neues Staatensystem. Die
beiden Grofsmächte hatten sich wiederum gegenseitig anerkannt und
zur Durchführung des Friedens so wie zur Erhallung ihres Besitz-
standes mit einander verbunden. Wenn sie zusammenhielten, so war
eine ernstliche Gefahrdung der Ruhe in Hellas eben so wenig zu
fürchten wie eine äufsere Gefahr. Die Urkunden des neuen Staatsver-
trags waren rechtmäfsig beschworen und auf steinernen Tafeln im
Amyklaion einerseits, andererseits im Heiligthum der Burggöttin von
Athen feierlich aufgestellt worden, und an ernstlichen Friedensfreunden
fehlte es auf beiden Seiten nicht. Trotzdem war kein wirklicher Friede
zu Stande gekommen, sondern es waren nur die Uebelstande des
Kriegs, die am schwersten empfunden wurden, vorläufig beseitigt;
unter Einfluss der Friedensparteien war eine nothdürftige Verständigung
erzielt, aber keine Versöhnung der beiden Staaten, keine wirkliche
Vereinigung ihrer Interessen, keine Neugestaltung der nationalen An-
gelegenheiten, welche auf Dauer rechnen konnte. Darum zeigte sich
gleich nach Abschluss des Friedens, dass nirgends Befriedigung
herrschte. Das allgemeine Missbehagen war gröfser, die Verhältnisse
waren gereizter, als vor dem Ausbruche des Kriegs, und zwar zunächst
zwischen Sparta und seinen Bundesgenossen, dann zwischen den
Hauptstaaten selbst, und endlich im Innern der beiden Staaten, in
welchen neue Parteien zur Herrschaft kamen.
IIEWF.GIWT. DER MITTELSTAATEN.
579
Die erste Thatsacbe, die sich nach dem Nikiasfrieden heraus-
stellte, war die Trennung der peloponnesischen Bundesgenossen, ein
Ereigniss, welches sich lange vorbereitet hatte.
Die Bundesgenossen verlangten von dem Bundesoberhaupte eine
aufrichtige und kräftige Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen, sie
verlangten eine peloponnesische Politik; statt dessen waren sie inne
geworden, dass man in Sparta nichts als die engherzigste Hauspolitik
verfolgte und dass man alle Rechte der Führung in Anspruch nahm,
ohne den Pflichten derselben zu genügen. Um gefangener Spartaner
willen war der Friede seit Jahren gesucht und endlich erreicht; dar-
über waren alle Beschwerden und Wünsche von Seiten der Bundesge-
nossenschaft, welche den Krieg wesentlich herbeigeführt hatten, gänz-
lich verabsäumt worden, und Sparta musste deshalb, seiner Schuld
wohl bewusst, mit seinem Feinde ein WafTenbündniss schliefen, um
nicht ganz isolirt zu sein. Athen bedurfte desselben nicht; Sparta
war es, welches Schutz suchte, selbst gegen seine eigenen Heloten.
Also trat zu der Erbitterung über Spartas rücksichtslosen Egoismus
auch das Gefühl der Geringschätzung und Verachtung. Die Pelopon-
nesier fühlten sich verrathen, und namentlich hatte der Schlusssatz
des Traktats, worin Athen und Sparta sich ausdrücklich vorbehielten,
die Bestimmungen desselben nach ihrem Ermessen zu verändern, eine
grofse Aufregung hervorgebracht: denn darin sah man nicht nur eine
gänzliche Nichtachtung aller Staaten zweiten und dritten Ranges, son-
dern auch eine heimliche Verabredung, welche zu ihrer Unterwerfung
führen sollte.
Korinth, welches seiner unermüdeten Thätigkeit ungeachtet nichts
von dem erreicht hatte, was es wollte, das nun sogar seine wichtigsten
Plätze am ionischen Meere, Sollion und Anaktorion, in feindlichen
Händen lassen musste, trat an die Spitze der Bewegung und setzte vor
Allem seine Hoffnung auf Argos.
Argos hatte, wie den Perserkrieg, so auch den letzten Krieg in
ruhiger Stellung mit angesehen. Seit der Verfeindung der beiden
Hauptstaaten hatte es auf Athens Seite gestanden, aber vorsichtig sich
zurückgehalten und um Ol. 82, 3 (450) einen dreifsigjährigen Frieden
mit Sparta geschlossen. Durch diesen Vertrag geschützt, halte es sich
alle Vortheile zugeeignet, welche neutralen Staaten in Kriegszeiten zu-
zufallen pflegen. Es hatte sich in tiefem Frieden von seinen früheren
Niederlagen erholt, aber die Erinnerung seiner alten Grofse, seine An-
37*
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580
ARGOS, KORHHTH UND EL1S.
sprüche auf die Thyreatis und seine trotzige Ablehnung der sparta-
nischen Hegemonie niemals aufgegeben. Von aufsen eingeengt, hatte
es sich im Innern durch Concentration der Landschaft gestärkt; es
hatte eine demokratische Verfassung ausgebildet, aber zugleich seine
Wehrkraft in einer sehr eigentümlichen Weise zu mehren gesucht,
indem tausend auserlesene Männer aus den angesehenen Familien eine
Kernlruppe bildeten, welche auf öffentliche Kosten unterhallen wurde
und ganz dem Waffendienste lebte; ein deutlicher Beweis, wie ernst
man gegen Sparta rüstete und ihm mit ebenbürtigen Kriegern gegen-
über zu treten beabsichtigte. Bezeichnend ist auch für die Politik der
Argiver, dass sie trotz ihrer Schwäche der Stellung eines Grofsstaats
niemals entsagen wollten und deshalb auch mit dem persischen Grofs-
könige ihre eigenen Beziehungen unterhielten. Kallias (S. 183) traf
in Susa mit Argivern zusammen, welche sich der Gunst des Artaxerxes
versicherten 1 10).
Nun begann mit dem Nikiasfrieden eine neue Zeit für Argos,
welches durch Ablauf des Vertrags freie Hand bekam. Die Zeit schien
gekommen zu sein, wo es aus seiner Zurückgezogenheit hervortreten
und die alten Pläne seines Ehrgeizes verwirklichen konnte. Denn jetzt
hiefs es im Peloponnes, Sparta habe die Führerschaft durch schnöden
Verrath verwirkt ; sein Platz sei offen, und die Stadt Agamemnons sei
berufen, ihre alte Ehrenstelle wieder einzunehmen. Die Korinther,
welche selbst immer nur an zweiter Stelle thätig sein konnten, liefsen
nicht ab Argos aufzureizen, und, als sie Gehör fanden, beriefen sie die
Abgeordneten der Peloponnesier zu einer Tagsatzung in ihre Stadt,
um vor Aller Augen einen Sonderbund zu stiften, welcher die Inter-
essen der Mittelslaaten vertreten sollte. Die achäischen Städte zeigten
sich zum Anschlüsse bereit. Elis war seit langer Zeit (S. 165) den
Spartanern entfremdet und neuerdings wegen Lepreon in offene Feind-
schaft mit ihnen gerathen.
Die Lepreaten, welche im südlichen Triphylien zwischen den
Eleern, Arkadern und Messeniern wohnten, waren, von den Arkadern
bedrängt, in grofse Kriegsnoth gerathen, so dass sie sich gezwungen
sahen, den Beistand der Eleer anzurufen. Diese fanden in der Ver-
legenheit ihrer Nachbarn eine längst erwünschte Gelegenheit, ihr Ter-
ritorium nach Süden auszudehnen und machten den Anschluss von
Lepreon zur Bedingung ihres Beistandes. Es wurde nun ein Staats-
vertrag mit sehr eigenthümlichen Bestimmungen geschlossen. Die Le-
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DER PEL0P0NISES1SCHE SOISDERBUND W, 4; 420). 58 t
j) realen traten in den Verband der Landschaft Elis ein, so dass ihre
Milbärger, die in Olympia gesiegt halten, als Eleer aus Lepreon ausge-
rufen wurden; das Stadtgebiet wurde aber nicht zu Elis geschlagen,
sondern die eine Hälfte blieb selbständig, für die andere, nördliche
Hälfte aber verpflichteten sich die Lepreaten jährlich ein Talent an das
olympische Heiligthum zu zahlen. Dieser Vertrag ist etwa um die
Milte des fünften Jahrhunderts geschlossen und bis zum Ausbruch des
Kriegs gehalten worden. Dann weigerten sich die Lepreaten die Ab-
gabe zu zahlen und stellten den Lakedämoniern die Entscheidung
ihrer Streitigkeit anheim. Da nun die Eleer, ohne die Entscheidung
abzuwarten, Lepreon mit Krieg überzogen, legten die Spartaner eine
Besatzung in diese Stadt und weigerten sich auch nach Abschluss des
Friedens, den Eleern das Gebiet zurückzugeben, während diese nach
der Bestimmung des Vertrags, dass der Besitzstand vor Ausbruch
des Kriegs aller Orten hergestellt werden sollte, gerechten Anspruch
auf das Gebiet der Lepreaten zu haben glaubten.
Dazu kamen die Bewegungen in Arkadien, wo die Argiver ihre
frühere Politik (S. 164) wieder aufnahmen. Auch in Arkadien traten
Kleinstaaten mit ganz neuen Ansprüchen vor, vor allen die Stadt Man-
tineia, welche, von Argos unterstützt, sich zu einer Stadt erhoben
hatte, welche nun zum ersten Male einen selbständigen Platz unter
den Staaten zweiten Ranges einnahm. Ihre Bürger hatten die Gebeine
des Arkas, des gemeinsamen Stammkönigs, vom Mainalosgebirge in
ihre Stadt gebracht, um ihr dadurch eine centrale Bedeutung zu geben;
sie suchten im Innern Arkadiens, wo die Gebirgsstämme in lockeren
Gaugenossenschaften lebten, durch Eroberung ihr Stadtgebiet auszu-
dehnen und nahmen jetzt offen gegen Sparta Partei, weil diese Macht
das Interesse hatte, jeder Veränderung in den altherkömmlichen Ver-
hältnissen der Halbinsel vorzubeugen.
Der Anschluss einer arkadischen Stadt an den Sonderbund
machte den gröfsten Eindruck; das ganze peloponnesische Staalen-
system schien aus den Angeln gehoben, alle Ehrfurcht vor Sparta
in Hass und Geringschätzung umgeschlagen. Sparta schickte nach
Korinth, um durch ernsten Einspruch dem revolutionären Treiben zu
steuern; es berief sich auf das peloponnesische Recht, nach welchem
die Majoritätsbeschlüsse für alle Bundesgenossen bindende Kraft
hätten. Korinlh dagegen berief sich auf die heiligere Verpflichtung eid-
licher Verbindlichkeiten und erklärte, dass es unter keinen Umständen
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582 DER PELOPONNESISCHE SONDERBUND (89, 4; 4*0).
die Sache der chalkidischen Städte preisgeben dürfe. Nachdem die
Korinther also ihre Politik gerechtfertigt hatten, schlössen die Eleer
mit ihnen und dann mit den Argivern ein Bündniss ab. In Argos
traten dann auch die chalkidischen Städte bei, welche so eben durch
den Fall von Skione, dessen Mannschaft Athen getödtet und durch
Platäer ersetzt hatte, in höchstem Grade beunruhigt waren.
Der peloponnesische Bund war aufgelöst, und es kam nun darauf
an, die schwankenden Staaten, Megara und Theben, zu gewinnen und
die den Spartanern treuen Staaten zu dem argivisch-korinthischen
Sonderbund herüberzuziehen.
Das gemeinsame Handeln des Bundes begann mit einer Gesandt-
schaft nach Tegea, aber hier scheiterte jeder Versuch ; denn die nach-
barliche Feindschaft zwischen Tegea und Mantineia überwog alle
anderen Rücksichten. Tegea war dies Mal aus Eifersucht gegen die
keck aufstrebende Nachbarstadt unerschütterlich fest, und an der
Treue der Tegeaten richtete sich auch Sparta wieder auf. Pleistoanax
rückte in Arkadien ein, die Mantineer wurden aus ihren Eroberungen
zurückgedrängt und Lepreon durch eine Besatzung von Heloten, die
sich unter Brasidas die Freiheit verdient hatten, aufs Nachdrücklichste
gegen Elis geschützt. Diese Schritte machten auf die Unternehmungen
des Sonderbunds einen sehr entmuthigenden Eindruck; die Mittel-
staaten hatten viel zu voreilig auf einen allgemeinen Abfall der Pelopon-
nesier gerechnet; es fehlte Vertrauen und Zusammenhang, es fehlte
an gewiegten Staatsmännern, und namentlich war Argos, das so un-
erwartet schnell zu einer hervorragenden Rolle berufen war, ohne alle
Hebung und Vorbereitung zur Leitung politischer Unternehmungen.
Unsicher und ängstlich schwankte es hin und her ; auch die anderen
Staaten konnten sich das Missliche ihrer Lage nicht verhehlen, da
sie mit beiden Grofsstaaten verfeindet waren und bald einsehen
mussten, wie schwierig es sei, eine dritte Macht in Griechenland zu
bilden1 »).
Die Bewegungen der Mittelstaaten wären in der That ohne alle
Bedeutung geblieben, wenn die beiden Grofsstaaten es ehrlich mit ein-
ander meinten. Aber auch zwischen ihnen war keine Einigung zu
Stande gekommen. Kaum ein halbes Jahr dauerte ein leidliches Ein-
verstand ni ss, und die Ausführung der Friedensbedingungen wurde
nicht einmal ernstlich in Angriff genommen, obwohl man sich eidlich
verpflichtet hatte, sie nötigenfalls mit Gewalt durchzusetzen. Namenl-
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POLITIK DER NEUEN EPHOREN (89, 4; 420). 583
lieh konnte man sich in Sparta nicht entschließen, die in Thrakien
gewonnenen Erfolge ohne Weiteres wieder aufzugeben und die Athener
daselbst ihre volle Macht wiederherstellen zu lassen. Nachdem man
also die Hauptsache erreicht hatte, nämlich die Befreiung der pylischen
Gefangenen, war es den Spartanern im Grunde ganz recht, dass
Rlearidas (S. 5 IS), der die Politik des Brasidas aufrecht hielt, sich
weigerte, Amphipolis herauszugeben und die anderen von Athen abge-
fallenen Nachbarstädte. Sie erklärten, ihren guten Willen dadurch be-
zeugt zu haben, dass sie ihrerseits die attischen Gefangenen heraus-
gegeben und ihre Truppen aus den thrakischen Städten herausgezogen
hätten; Amphipolis zu zwingen stehe nicht in ihrer Macht. Eben so
blieb die Gränzfeste Panakton (S. 520) in den Händen der Böolier. Die
natürliche Folge war, dass auch Athen Pylos besetzt hielt und nur so
weit nachgab, dass es die aus Messeniern und Heloten bestehende Be-
satzung fortnahm und dafür athenische Mannschaft hinschickte. So
ging der Sommer unter schleppenden Verhandlungen hin, die zu
keinem Resultate führten. Aber es wurden immer neue Annäherungs-
versuche gemacht, und die Spartaner machten sich sogar anheischig,
Böotien zur Auslieferung der streitigen Gränzfestung zu zwingen ; denn
noch standen in beiden Staaten die Parteien am Ruder, welche wirk-
lich den Frieden wollten.
Dies änderte sich aber schon im Herbste. Es wurde ein neues
Ephorencollegium gewählt, und nun traten Männer in dasselbe ein,
welche eine andere Richtung hatten ; unruhige und ehrgeizige Männer,
namentlich Kleobulos und Xenares. Sie waren entschieden gegen den
Frieden, welcher Sparta nichts als Demüthigung und Schwächung ge-
bracht hatte; sie traten der Partei, welche, von Pleistoanax geführt,
altlakonischer Gewissenhaftigkeit das Wort redete und von ängstlicher
Abneigung gegen weitaussehende Unternehmungen erfüllt war, als Ver-
treter des jüngeren Sparta, als Leiter der Bewegung, keck entgegen;
sie arbeiteten dahin, die unnatürliche und hemmende Verbindung,
welche man mit Athen geschlossen hatte, so bald wie möglich wieder
aufzuheben. Da man nun einstweilen noch durch die Traktate ge-
bunden war und selbst keine Verträge schlielsen durfte, so mussten
die Ephoren auf Umwegen zu ihrem Ziele zu gelangen suchen und
gingen zunächst darauf aus, Theben und Argos mit einander zu ver-
einigen. Diese Staaten sollten den Anfang einer neuen Verbindung
gegen Athen bilden, der sich Sparta zu gelegener Zeit offen anschliefsen
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564
BUND ZWISCHEN SPARTA UND TU EBEN (89.4; 420).
könnte; dadurch hoffte man zugleich den Gefahren von Seiten des
Sonderbundes zu entgehen.
Der Plan war schlau angelegt und wurde mit Glück angesponnen.
Denn die Argiver waren nach den schwungvollen Anfängen ihrer neuen
Politik wieder ängstlich zurückgewichen; sie fürchteten dem feindlichen
Nachbar gegenüber allein sitzen zu bleiben und eilten daher, mit Ver-
zicht auf ihre ehrgeizigen Pläne, sich Sparta zu nähern.
Viel schwerer waren die steifen Böotier zu behandeln. Die Bundes-
feldherrn derselben waren freilich bereit auf Alles einzugehen, aber die
Rathscollegien, welche die oberste Verwaltungsbehörde bildeten, wei-
gerten sich, ihnen die gewünschten Vollmachten zu erlheilen, und zwar
aus keinem anderen Grunde, als weil sie fürchteten, dass man durch
eine Verbindung mit den abtrünnigen Peloponnesiern, den Sonder-
bündlern, Sparta, den natürlichen Verbündeten Böoüens, beleidigen
würde. Sie durchschauten nicht die hinterlistige Politik der Ephoren
und, da die heimlichen Absichten nicht verrathen werden durften, so
scheiterte an diesem Missverständnisse die ganze Verhandlung, welche,
wie man sieht, allzu fein angelegt worden war.
Die Spartaner mussten nun gerader zu Werke gehen. Ihr nächstes
Ziel war, Pylos zu befreien, und dies konnten sie nur durch Panakton
zu erreichen hoffen. Sie beschickten also die Böotier, um diese zur
Herausgabe des Gränzorts zu bewegen ; die Böotier weigerten sich ent-
schieden, wenn nicht Sparta mit ihnen ein Bündniss abschlösse. Sie
drängten Sparta zu diesem Schritte, um dadurch einen Bruch der Ver-
träge herbeizuführen ; sie waren durch dieselben aus ihren allen Ver-
bindungen herausgeschoben und wollten nun die Gelegenheit benutzen,
wieder eine feste Stellung in den griechischen Angelegenheiten zu ge-
winnen. Die Spartaner gaben nach, weil sie ihre nächsten Zwecke auch
so zu erreichen hofften und ihnen, abgesehen davon, die Erneuerung
der thebanischen Bundesgenossenschafl zur Stärkung gegen Athen sehr
willkommen war. Der Bund wurde also im Frühjahre 420 (Ol. 89, 4)
in Theben abgeschlossen, und die spartanischen Abgeordneten gingen
sofort nach Athen, um hier nach Uebergabe der streitigen Gränzfesle
und aller in Böotien noch zurückgehaltenen Kriegsgefangenen die Aus-
lieferung von Pylos zu erlangen. Aber sie täuschten sich sehr, weun
sie so mit leichter Mühe einen doppellen Vortheil davon zu tragen
hofften. Panakton war inzwischen von den Böoticrn geschleift worden,
und darum konnte die Uebergabe des Platzes von den Athenern in der
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MKIAS UND DIE FIUEDESSI »ABTEI.
585
That nicht als eine ehrliche Erfüllung der Friedensbedingungen ange-
sehen werden. Aufserdem wurde ihnen der abgeschlossene Vertrag
mit Recht als ein offener Friedensbruch vorgerückt, da Athen wie
Sparta sich verpflichtet hatten, keine Sonderverträge mit einem dritten
Staate abzuschließen. Die Folge war, dass die Atliener sich nun auch
ihrerseits von allen Verbindlichkeiten gelöst erklärten und die Ge-
sandten mit einer sehr unfreundlichen Antwort entliefsen. Die The-
baner hatten also ihren Zweck vollkommen erreicht: das ihnen ver-
hasste Bündniss zwischen den beiden Grofsstaaten war so gut wie auf-
gelöst, und die weitere Folge war, dass nun auch in Athen eine andere
Partei die Oberhand gewann118).
Athen war der einzige Staat, welcher in den Verwirrungen, die
dem Frieden folgten, fest und ungefährdet dastand. Nikias war auf der
Höhe seines Einflusses. Seinen Plänen kamen auch die Verlegenheilen
Spartas zu Gute; denn er konnte sie benutzen, um die Spartaner zu
überzeugen, dass sie sich um so enger an Athen anschliefsen müssten,
wenn sie durch die Bewegungen der Heloten, durch den Abfall der
Peloponnesier und die Widerspenstigkeit ihrer früheren Bundesgenossen
ihre Hausmacbl auf eine so bedenkliche Weise erschüttert sahen.
Darum hatte er die Umwandlung des Friedens in ein Waflenbündniss
eifrig betrieben und glaubte, dass ein den beiderseitigen Interessen ent-
sprechendes ehrliches Zusammenhalten von Athen und Sparta, die sich
ihren Machtbestand gegenseitig garantirten, die beste und die einzige
Bürgschaft für einen dauernden Frieden in Griechenland sei. Es war
also im Wesentlichen die alte kimonische Politik, die er von Neuem zu
Ehren zu bringen holfte.
Die allgemeine Stimmung war ihm günstig. Denn dass nun nicht
mehr einzelne Stämme und Parteien, sondern die Bevölkerung im
Ganzen nach Beendigung der Kriegsnolh verlangte, das bezeugt der
'Frieden' des Arislophanes, der kurz vor Abschluss der Verträge an den
grofsen Dionysien aufgeführt wurde, ein schon vom Vorgefühle des
nahen Glücks gleichsam berauschtes Festspiel, in welchem die einge-
kerkerte Friedensgöttin jubelnd befreit und herunter geholt wird nebst
ihren lange vermissten Gefährtinnen, der 'Herbstwonne' und der 'Fest-
lust'; denn die beiden Mörserkeulen, mit denen der Kriegsgott das arme
Hellas zerstampft habe, Kleon und Brasidas, seien nun glücklich be-
seitigt. So wurde Nikias in weilen Kreisen als Wohllhäter geschützt
und gepriesen. Jetzt konnte man hoffen, dass die Lücken der Bürger-
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586
ALK1BIADES, DES KLEIMAS SOH.N.
schaft durch frischen Nachwuchs sich ergänzen würden; die ersten
Gelder konnten wiederum im Schatze niedergelegt werden, und schon
in dem Jahre nach Abschluss des Nikiasfriedens zahlten die Schatz-
meisler der Athen a eine Summe von 5163 Drachmen an die Be-
amten aus, welche zur Herstellung der Festgeräthe von der Bürger-
schaft ernannt waren. Auch mit Delphi fühlte man sich zur Be-
ruhigung vieler frommer Herzen wiederum in gutem Einvernehmen
und führte auf des Gottes Geheifs die vertriebenen Delier (S. 515)
nach ihrer Insel zurück.
Das alte Unglück der grofsgriechischen Politik in Athen bewährte
sich aber auch jetzt; ihr Erfolg war immer von der Haltung Spartas
abhängig; jede Untreue Spartas war eine Niederlage für sie. Nikias
war kurzsichtig genug, eine Verbindung für dauerhaft zu halten, zu
welcher Sparta sich nur in augenblicklicher Verlegenheit und unter
Einfluss des Pleistoanax und seiner Partei" verstanden hatte; er war
auch bei der Ausführung der Verträge unvorsichtig gewesen. Denn
wenn er auch, wie überliefert wird, selbst die Mittel der Bestechung
nicht verschmähte, um es zu erreichen, dass Sparta mit Erfüllung der
Friedensbedingungen den Anfang machte, so nahm er doch den Befehl
zur Uebergabe von Amphipolis schon als eine vollendete Thatsache,
verfügte die Freilassung der pylischen Gefangenen, ehe die thrakischen
Städte übergeben waren, und gab so den kräftigsten Hebel auf, den
man in Händen hatte, um Sparta zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten
zu bewegen. Die Athener sahen sich getäuscht; die Ränke Spartas ent-
hüllten sich immer mehr, und die tiefe Verstimmung gegen die Leitung
der auswärtigen Angelegenheiten fand ihren leidenschaftlichen Aus-
druck in den Reden des Alkibiades m).
Die Zeit, in welcher die Schicksale der Stadt von einzelnen
Bürgern abhängig waren, schien in Athen vorüber zu sein. Die all-
gemeine Bildung glich die Unterschiede der Charaktere und Fähigkeiten
immer mehr aus. Auch Kleon und Nikias hatten nicht sowohl als
hervorragende Persönlichkeiten gewirkt, deren Ueberlegenheit sich
die Bürgerschaft unterordnete, als vielmehr dadurch, dass gewisse
Stimmungen und Parteirichtungen in ihnen den entsprechendsten
Ausdruck fanden. Nun aber trat aus der Menge des Volks wieder
ein Mann hervor, der durch die reichste Begabung einzig in seiner
Art war und durch den Glanz seiner Persönlichkeit einen dämoni-
schen Einfluss auf seine Mitbürger ausübte, so dass die Schicksale des
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DIE JUGEND DES ALKIHIADES.
5S7
Staats bis zum Ende des ganzen Kriegs wesentlich durch ihn be-
stimmt wurden.
Schon eine Reihe von Jahren hatte man sich in Athen auf das
Lebhafteste mit dem jungen Alkibiades beschäftigt; denn Alles, was
die Aufmerksamkeit des Publikums fesseln konnte, war in ihm ver-
einigt. Er war der Enkel jenes Alkibiades, welcher als Freund des
Kleisthenes bei den Reformen desselben nahe betheiligt war (I, 368),
der Sohn des Freiheitshelden Kleinias, der auf eigener Triere bei
Artemision den Preis der Tapferkeit gewonnen hatte, und dann die
vom Vater überkommene Verbindung mit den Alkmäoniden dadurch
befestigte, dass er des Megakles Tochter, Deinomache, heimführte. Er
tiel in der Schlacht von Koroneia (S. 178) und hinterliefs zwei Knaben,
Alkibiades und Kleinias, welche durch eine letztwillige Bestimmung
der vormundschaf iiichen Leitung des Perikles und seines Bruders
Ariphron überwiesen waren.
Alkibiades war damals etwa fünf Jahre alt und wuchs nun unter
den Augen seiner Mutter auf, ohne väterliche Zucht, welche eine Natur*
wie die seinige, am wenigsten entbehren konnte. Denn mit den viel-
seitigsten Anlagen, welche ihm geistige und körperliche Uebungen jeder
Art zum Spiele machten, entfaltete sich zugleich ein trotziger Heber-
muth, der keine Schranken kannte, ein stolzes Bewusstsein von dem
Reichthume und Glänze seiner Familie, ein keckes Selbstgefühl,
welches durch eine in voller Gesundheit aufblühende Jugendkraft,
hohen Wuchs und eine seltene Schönheit genährt wurde. Der thra-
kische Sklave, welchen ihm seine Vormünder als Pädagogen bestellt
hatten, war nicht im Stande, den lebhaften Knaben zu zügeln, und so
wuchs er zum Jünglinge heran, wohl unterrichtet in allen Zweigen
attischer Bildung, aber innerlich ungebändigt, wild und launenhaft,
niemals an Gehorsam gewöhnt und durchaus unfähig, sich selbst zu
überwinden. Sein Eintritt in das öffentliche Leben war nicht geeignet,
wieder gut zu machen, was an dem Knaben versäumt und verdorben
war. Denn bei einem Volke, das für den Eindruck glänzender Eigen-
schaften so empfänglich war, wie die Athener, wurde der vornehme
und geistvolle Jüngling der Gegenstand einer allgemeinen Huldigung;
alle tollen Streiche wurden ihm verziehen, ja mit lautem Beifall von
Mund zu Munde getragen. Was der Sohn des Kleinias that, wie er sich
kleidete und wie er sich ausdrückte, das galt als feinste Sitte in Athen
und wurde als neueste Mode nachgeahmt; die Künstler nahmen ihn
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58S
ALKIBIADES UND PERIKLES.
zum Modell ihrer Ilermesbilder, in denen sie die Wohlgestalt des
atiischen Ephehen darstellten, und es drängten sich nicht nur Menschen
gewöhnlichen Schlags mit ihren Schmeicheleien um den eitlen Jüngling,
sondern auch die berühmtesten Männer der Zeit, ein Prodikos und
Protagoras, huldigten dem Zauber seiner Persönlichkeit und fühlten
sich durch jede Gunst desselben hochgeehrt.
Und Perikles? War er gleichgültig gegen den jungen Verwandten,
den das Vertrauen des edlen Vaters ihm an's Herz gelegt hatte? That
er nichts, um der sittlichen Verwahrlosung seines Mündels zu steuern,
aus welcher diesem selbst und der ganzen Stadt nichts als Unheil er-
wachsen konnte? Freilich ist er schon in alten Zeiten der Fahrlässig-
keit beschuldigt worden, und es ist möglich, dass er durch die Er-
fahrungen, die er an den eigenen Söhnen machte, dahin gebracht
worden ist, den Einfluss der Erziehung und des Beispiels überhaupt zu
gering anzuschlagen und deshalb den jungen Alkibiades mehr, als gut
war, sich selbst und seinem untüchtigen Pädagogen zu überlassen. Von
vormundschaftlicher Sorgfalt zeugt aber doch der Umstand, dass er den
jüngeren Bruder Kleinias von Alkibiades trennte, damit er nicht von
diesem verdorben werde, und so unverbesserlich ihm Alkibiades auch
oft erscheinen mussle, so hat er ihn doch, wie überliefert wird, eine
Zeit lang im eigenen Hause gehabt; er muss den edlen Richtungen,
die ihm angeboren waren, doch vertraut haben, und trotz aller Unzu-
friedenheit hat er die persönliche Verbindung mit ihm niemals ab-
gebrochen; denn Alkibiades gehörte zu den Verlrauten, welche ihm
auch nach seinem Rücktritte nahe blieben und ihn beredeten, noch
einmal zu den Staatsgeschäften zurückzukehren (S. 413). Alkibiades
konnte nicht anders als Perikles in seiner geistigen Kraft und Gröfse
anerkennen; aber für das Beste in ihm, für seine Ruhe, seine Mäfsigung
und Besonnenheit hatte er keinen Sinn. Es kam ihm vor, als wenn
Perikles auf halbem WTege stehen geblieben wäre; und es ist für die
Verschiedenheit der beiden Charaktere, wie die Zeilgenossen sie be-
urteilten, gewiss sehr bezeichnend, wenn man sich erzählte; dass Alki-
biades seinen Vormund einmal vor dem Tage der Rechenschaftsablage
in sorgenvoller Ueberlegung gefunden und ihm dann den Rath gegebeu
habe, er solle seine Sorge doch lieher darauf wenden, wie er keine
Rechenschaft mehr vor den Bürgern abzulegen habe. Also auch ihn
meisterte er, auch ihm wollte sich sein hochfahrender Geist nicht
unterordnen114).
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A I.K IUI ADES UND SOKBATES.
5S9
Was dem grofsen Perikles nicht gelungen war, gelang einem
unscheinbaren Manne, welcher in freiwilliger Armuth, barfufs und in
dürftiger Kleidung damals durch die Strafsen Athens wanderte, seines
Standes ein Handwerker, der seine Werkstatte verlassen hatte, weil
ihn eine innere Stimme antrieb, unter der Menge umherzugehen, mit
Menschen aller Stände Unterhaltung zu pflegen, von ihnen sich be-
lehren zu lassen oder in ihnen Fragen anzuregen, welche der Keim
ernster Selbstprüfung und sittlicher Erhebung wurden, Das war So-
krates, des Bildhauers Sophroniskos Sohn, der um die Todeszeit des
Perikles vierzig Jahre alt war. Unter der bunten Bevölkerung, in wel-
cher nach den furchtbaren Heimsuchungen durch Pest und Krieg
Sittenlosigkeit, Leichtsinn und dünkelhafte Halbbildung immer reifsen-
dere Fortschritte machten, suchte er unablässig nach Menschen, denen
er seine Dienste anbieten könnte; so fiel sein Auge denn auch auf den
Sohn des Kieinias, der damals etwa 19 Jahr alt war, und ihn ergriff
der Gedanke, dass es ihm gegeben sein könnte, den reichbegabten
Jüngling dem Taumel der Sinnenlust zu entreifsen und sein besseres
Selbst zu retten; er fühlte, dass er sich kein gröfseres Verdienst um
Athen erwerben könnte.
Als Sokrates sich zuerst dem Alkibiades näherte, glaubte dieser,
wie die meisten Athener, nur mit einem Sophisten sonderlicher Art zu
thun zu haben, und es gefiel ihm, in gewandter Wechselrede und
schlagfertiger Dialektik, worin er keinem Athener nachzustehen glaubte,
sich mit ihm zu messen. Das seltsame Wesen des Mannes reizte seine
Neugier; dieUneigennützigkeit, mit welcher er Zeit und Mühe für Andere
aufwendete, war ihm merkwürdig. Aber bald erwuchs in ihm ein
ganz anderes Interesse. Denn Sokrates war Keiner von denen, die dem
Ersten Besten ihre Weisheit in fertigen Sätzen feil boten und dabei
mehr eine eitle Selbstbefriedigung suchten als eine tiefe und nachhal-
tige Einwirkung auf ihre Schüler. Er knüpfte gelegentlich an die
unscheinbarsten Dinge des täglichen Lebens seine Gespräche an; er
suchte durch eine Reihe schlichter Fragen einen Trieb zu ernstem und
selbständigem Nachdenken zu erwecken, welcher das ganze Gemüth
ergrhT, den Jünglingen die Tiefen des eigenen Seelenlebens zum ersten
Male aufschloss und eine ahnungsreiche schmerzhafte Bewegung her-
vorrief, die sie selbst nicht begreifen noch beherrschen konnten; eine
Bewegung, welche Sokrates mit den Geburtswehen verglich, die der
Entfallungeines neuen Lebens vorhergehen, und darum wollte er selbst
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ALKIHIADES IM) SOKRATES.
nur der Geburlshelfer sein, um die in der Menschenseele ruhenden
Keime des Göttlichen von den hemmenden Gewalten zu entbinden
und glücklich an das Licht zu führen.
Da gingen auch dem Alkibiades zum ersten Male die Augen auf
über sein nichtiges Thun und Treiben ; eine geistige Welt trat ihm
entgegen, von der er keine Ahnung gehabt hatte, eine Tugend und sitt-
liche Gröfse, vor der er staunend verstummte. Bis dahin von allen
Seiten verzogen, bewundert und beneidet, von Schmeichlern umringt,
deren eigennützige und lüsterne Zudringlichkeit ihn mit Verachtung
gegen die Menschen erfüllen musste, fand er nun einen Mann, der seine
Schönheit und alle seine Glücksgüter für nichts achtele, der ihm
seine Schwächen und Fehler schonungslos aufdeckte, der allen ver-
führerischen Gunstbezeigungen, die Alkibiades aufwendete, unzugäng-
lich blieb und nichts suchte als seine unsterbliche Seele. Und wenn
Alkibiades sich nun sagen musste, dass all dies Suchen und Mühen
keinen anderen Grund hatte, als die tiefste und reinste Menschen-
liebe, wie sie ihm noch nirgends entgegengetreten war, so war es ihm
unmöglich der Macht dieser Liebe, welche mit dem hohen Ernste
echter Weisheit verbunden war, zu widerstehen.
Zum ersten Male fühlte er sich verwirrt, gedemüthigt und tiet
beschämt Die leeren Einbildungen von seinen glänzenden Vorzügen,
von seiner angeborenen Genialität, welche ihm alles Lernen und For-
schen ersetzte, von seinem staatsmännischen Berufe u. s. w. zerrannen
in nichts. Es ging ihm die Wahrheit auf, dass die Selbsterkenntnisse
die der delphische Gott fordere, die Grundlage aller Tugend sei, und
dass, wer Andere beherrschen wolle, zuerst sich selbst beherrschen
müsse; ihm trat das Bild eines Staats vor die Seele, dessen Gröfse
nach den Gedanken des Perikles auf Geistesbildung, Bürgerlugend
und Einigkeit beruhte ; er ahnte, dass es nichts Nützliches und Heil-
sames geben könne, welches der Idee der Gerechtigkeit widerspreche,
und begrifT wohl, welche Stellung er solcher Erkenn tniss gemäfs im
Gemeinwesen einnehmen müsse. Unter heifsen Thränen bekannte er,
dass ein Leben, welches dem Sokrates nicht gefalle, kein wahres Lebeu
zu nennen sei.
Auch blieb es nicht bei flüchtigen Rührungen, sondern er schloss
sich dem Sokrates, wie einem väterlichen Freunde mit dankbarem
Herzen an, theilte mit ihm seine Mahlzeiten, besuchte mit ihm die Ring-
schulen, war im Felde sein Zeitgenosse, und wie er in den Kämpfen bei
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ALKIHIAIIES UND SOKRATES
591
Poüdaia (Ol. 67, 1 ; 432) dem Sokrates sein Leben verdankte, so rettete
er ihn wiederum in der unglücklichen Schlacht bei Delion mit Gefahr
des eigenen Lebens. Die frivole Menge bespöttelte und verdächtigte
diese seltsame Verbindung mit dem hässlichen Philosophen, aber er
liefs sich nicht irre machen, und dies Jahre lang fortgesetzte Verhält-
niss ist in der That ein unwidersprechliches Zeugniss für die edlen
Grundzüge im Wesen des Alkibiades, welcher zu Allem, auch zu den
höchsten Aufgaben des sittlichen Lebens, von Natur geschaffen und
berufen war.
Was die Empfänglichkeit des Alkibiades betrifft, so war Sokrates
also nicht zu spät gekommen; denn er fand in ihm noch eine der
reinsten Begeisterung fähige Jünglingsseele, welche Schwungkraft genug
hatte, sich aus dem Schmutze der Sinnlichkeit zu erheben. Aber eine
wirkliche Umkehr, eine dauernde und feste Sinnesänderung herbeizu-
führen, das lag auch aufser der Macht eines Sokrates. Die Tugend der
Alten bedurfte einer frühen Gewöhnung, und in dieser Beziehung hatte
Alkibiades den väterlichen Freund zu spät gefunden. Er konnte schwär-
men für sokratische Tugend, aber ihren Grundsätzen treu zu bleiben,
sich selbst mit Allem, was sein Stolz war, zu verleugnen und ein
anderer Mensch zu werden, das vermochte er nicht; er schwankte
zwischen zwei Lebenszielen hin und her, die unvereinbar waren, und
wurde endlich von seinem Ehrgeize dahin forlgerissen, wo Glanz und
Macht ihm winkten.
Nun mussle er die Stimme des Gewissens, die in ihm geweckt
worden war, wieder betäuben, und durch den bewussten Abfall von
dem, was er für Recht erkannt hatte, wurde er gewissenloser und sitten-
loser als je zuvor. Sokrates' Absicht war es nicht gewesen, ihn dem
öffentlichen Leben zu entziehen; aber der sokratische Weg, welcher
durch die Schule ernster Selbstprüfung hindurch zum staatsmännischen
Berufe führte, war der leidenschaftlichen Ungeduld des Alkibiades zu
weit, zu unbequem und zu unsicher. Er wollte alle Mittel benutzen, die
ihm verliehen waren, der Erste in Athen zu sein, und so wie daher die
Aussichten auf eine glanzvolle Laufbahn sich eröffneten, stürzte er sich
in das Gewühl der Parteien hinein, nicht um eine bestimmte Ansicht,
die er von der richtigen Leitung des Staats halte, mannhaft zu ver-
treten, sondern um auf jede Weise seine Herrschsucht zu befriedigen.
Die Politik seiner Familie war in den letzten Generationen anti-
lakonisch gewesen; ihn aber zog sein Ehrgeiz und Widerspruchsgeist
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592
DIE POLITISCHE HALTUNG
auf die entgegengesetzte Seite. Er erschien in der Zeit nach Perikles'
Tode, wie die Mehrzahl des jungen Adels, als ein Gegner der Volks-
herrschaft und ihrer damaligen Vorkämpfer; er knöpfte sogar die alten
Verbindungen seines Hauses mit Sparta, welche der Grofsvater aufge-
kündigt hatte, wieder an, und bemühte sich um die Gefangenen aus
Pylos, um sich dadurch in ihrer Heimalh einen guten Namen zu er-
werben. Darauf berief er sich, als die Verhandlungen zwischen den
beiden Grofsstaaten eröffnet wurden, und, da er von Anfang an zu
diplomatischen Geschäften besondere Neigung und Befähigung in sich
fühlte, hätte er gern als Vertrauensmann Spartas eine hervorragende
Rolle gespielt. Aber Sparta nahm seine Dienste nicht an; Nikias wurde
als ein zuverlässigerer Mann ihm vorgezogen, und über diese Vereitelung
seiner Absichten war er so erbittert, dass er sich nun auf die andere
Seite warf, um als Führer des Demos und als Feind Spartas seine
Stellung zu gewinnen116).
Dazu lagen die Verhältnisse günstig. Das Volk hatte keinen
Führer, welcher der Partei der Vornehmen gegenüber gestellt werden
konnte. Freilich hatte Kleon einen Nachfolger in Hyperbolos, der eine
Zeit lang grofsen Erfolg hatte. Es war ein Mann von dunkler Herkunft,
seines Berufs ein Lampenfabrikant, welcher sich ein Vermögen erwor-
ben und Anhang verschafft hatte. Er war frühzeitig auf der Redner-
bühne zu Hause, keck und mundferlig, leidenschaftlich für den Krieg
und ein hitziger Gegner des Nikias; vor Allem aber ein Meister in der
Kunst, Prozesse zu schmieden und einflussreich im Gerichtswesen. Er
war der Erbe Kleons auch darin, dass er den Hass der Komödie über-
kam, welche die Interessen der Conservativen vertrat. Wie seine
Vorgänger von Aristophanes mitgenommen waren, so griffen Eupolis,
Hermippos und Pia ton mit bitterem Hohn den Hyperbolos an.
Eupolis' Marikas stellte in seiner Person das ganze Unwesen der
damaligen Demagogie an den Pranger, die in leidenschaftlicher Heftig-
keit und Fertigkeiten untergeordneter Art ihre Stärke hatte. Jeder
sittliche Adel fehlte und Alles das, was die Athener unter 'musischer
Bildung' verstanden, die Frucht einer liberalen Erziehung, eines ge-
ordneten Jugendunterrichts in Wissenschaften und Künsten. Diese
Mängel traten in Hyperbolos zu deutlich hervor, und darum hat er nie
auf die Dauer ein Mann des öffentlichen Vertrauens werden können.
Dazu kam, dass die ganze Art der Staatsleitung, wie Kleon sie
eingeführt hatte, durch seine letzten Unternehmungen in Missachtung
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DES ALKIBIADES
503
gekommen war. Man fühlte doch das Bedürfniss nach Männern von
höherer Begabung« welche die Bienge zu leiten vermöchten, und da
war Keiner zu finden , der in solchem Grade die Neigungen und Rich-
tungen der grofsen Menge theilte und doch zugleich durch Ueber-
legenheit des Geistes und entschlossene Thalkraft, durch Reichlhum
und Geburt die Menge überragte wie Alkibiades. In ihm schienen
sich die verschiedenen Eigenschaften zu vereinigen, welche einen Peri-
kles, einen Nikias und einen Kleon zu mächtigen Parteiführern ge-
macht hatten; darum schloss sich ihm die führerlose Menge bereit-
willig an und glaubte von ihm die kräftigste Vertretung ihrer In-
teressen erwarten zu können. Sein Einfluss stieg in demselben Grade,
wie die Unzufriedenheit mit der Politik des Nikias in Athen allge-
meiner wurde116).
Als Kleon bei Arophipolis gefallen war, glaubte Nikias sich von
seinem schlimmsten Widersacher befreit zu sehen. Aber jetzt begann
für ihn, der nichts höher schätzte als eine ruhige und unangefochtene
Stellung, ein ungleich schwierigerer Kampf, jetzt erst die eigentliche
Noth seines Lebens. Denn er hatte nun einen Gegner, welcher alle
Talente hatte, die ihm fehlten, der ruhelos und gewissenlos war wie
Kleon, und dabei ein Mann von schöpferischer Geisteskraft. Nikias
selbst hatte sich nicht bewährt. Er hatte vorzeitig die Freilassung
der Gefangenen veranlasst, ehe man eine genügende Bürgschaft für die
Uebergabe von Amphipolis hatte. Entscheidend aber war der Ab-
schluss des spartanisch-böotiscben Bündnisses (S. 5S4). Denn dies
war eine Thatsache, welche keinen Zweifel darüber liefs, dass Athen
in seiner ehrlichen Friedenspolitik schmählich hintergangen sei ; sie
konnte Niemand erwünschter sein, als denen, welche dem faulen
Frieden so bald wie möglich ein Ende machen und das verrätherische
Sparta verderben wollten. Unter ihnen aber war Alkibiades der
Führer, weil er auf diesem Wege sich am empfindlichsten an den Spar-
tanern rächen konnte, weil er bei Gelegenheit eines neuen Kriegs seine
Talente am glänzendsten zeigen und am schnellsten zu Ruhm und un-
bedingtem Einfluss gelangen zu können hoffte. Denn hier hatte er den
gröfeten Theil der Menge für sich, denselben, welcher Kleons Kriegspo-
litik Jahre lang gestützt hatte, und aufserdem eine grofse Zahl junger
Leute, die seinem Glücke trauten und mit ihm gewinnen wollten.
Was seine Kriegspläne betrifft, so wollte er keinen Verteidi-
gungskrieg, wie Perikles ihn geführt hatte, sondern einen Angriffs-
CartiuB, Or. Oe»ch. IL 6. Aufl. 38
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POLITIK 1>ES ALKIBIAUL>.
krieg, der Ruhm und Gewinn in Aussicht stellte. Da indessen zu einer
Wiederaufnahme des direkten Kriegs augenblicklich die Zeit uoch nicht
gekommen war, so ging sein Plan dahin, Sparta während des Friedens
an seiner verwundbarsten Stelle anzugreifen, indem er die Zerrüttung
der peloponnesischen Bundesverhältnisse benutzte, um Athen einen
kräftigen Bundesgenossen in der dorischen Halbinsel zu verschaffen.
Darum hatte er schon mit Argos Verbindungen angeknüpft, um die
dortigen Volksführer von dem bevorstehenden Sturze der lakonischen
Partei in Athen zu benachrichtigen und sie für ein allisches Bündnis*
zu gewinnen. Der Augenblick drängte ; denn Argos war durch den
Anschluss Böotiens an Sparta so erschreckt, dass es eilig bestrebt
war, sich auch durch eine Ausgleichung mit Sparta sicher zu stellen.
Alkibiades handelte mit rücksichtsloser Entschiedenheit, als wenn
er schon Herr in Athen wäre. Auf seine Veranstaltung erschienen
argivische Abgeordnete in Athen, von Bürgern verbündeter Gemeinden,
namentlich Eleern und Manlineern, den zähesten Feinden Spartas, be-
gleitet. Sie trafen im Frühjahr 420 (Ol. SO, 4) mit den Gesandten
Spartas zusammen, welche den Auftrag hatten, die Erbitterung Athens
wegen des Bündnisses mit Theben zu beschwichtigen und um jeden
Preis das Einverständniss der beiden Grofsstaaten wieder herzustellen.
Diese versöhnende Annäherung verfehlte ihre Wirkung nicht. Alki-
biades sah sein Ansehen für alle Zeit auf das Spiel gesetzt; er mussle
also zu den verwegensten und rücksichtslosesten Mitteln greifen,
damit nur nicht die auf seine Versprechungen bauenden Argiver ab-
gewiesen würden.
Er beredet die Spartaner, welche sich mit unbedingten Voll-
machten dem Rathe der Fünfhundert vorgestellt hatten, vor der Volks-
versammlung so zu sprechen, als wenn sie nicht zum Abschlüsse der
Verhandlungen bevollmächtigt wären, und verspricht ihnen für diesen
Fall, dass er die Uebergabe von Pylos erwirken werde. Die Spartaner
gehen arglos in die Falle, und Alkibiades benutzt nun den Widerspruch
ihrer Aussagen, um sie am nächsten Tage vor dem versammelten
Volke ihrer Unzuverlässigkeit wegen auf das Heftigste anzufahren und
dadurch zugleich der ganzen Friedenspartei eine unerwartete Nieder-
lage beizubringen. Nun sehe man, hiefs es, doch deutlich genug, dass
mit Sparta ehrliche Verhandlungen unmöglich wären, sie führten jeden
Tag eine andere Rede; man müsse neue Freunde suchen, Freunde,
deren Staaten durch gleiche Verfassung und gleiche Interessen auf
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DER VIERSTAATENBUND (W, 4; 4M). 595
Athen angewiesen wären, und die man unterstützen und warm halten
müsse, damit sie nicht gezwungen in das feindliche Lager übergingen.
So gut wie Sparta mit Theben, könne auch Athen mit Argos sich ver-
binden.
Die Gesandten Spartas mussten mit Schimpf und Schande ab-
treten, und nachdem Nikias in Athen und Sparta alles Mögliche ver-
gebens dagegen versucht hatte, wurde zwischen Athen einerseits,
Argos, Mantineia und Elis andererseits ein Vertrag und WafTenbündniss
auf hundert Jahre abgeschlossen. Die Athener beschwören den Vertrag
für sich und die Bundesgenossen, 'welche sie beherrschen', die drei
peloponnesischen Staaten jeder für sich. Die Urkunde wurde in Stein
auf der Burg von Athen aufgestellt, von den Argivern und Mantineern
in den Heiligthümern des Apollo und des Zeus am Markt; den Eleern
aber wurde aufgetragen, die Urkunde im Namen aller Betheiliglen, in
Erz geschrieben, bei dem bevorstehenden olympischen Feste in der
Allis aufzustellen. Aufeer der Abschrift, welche Tbukydides seiner
Geschichte eingefügt bat, liegt uns von dem auf der Akropolis auf-
gestellten Marmordenkmal ein ansehnliches Bruchstück vorli;).
Durch diesen Vertrag waren die Verhältnisse der griechischen
Staaten wesentlich verändert. Athen stand jetzt an der Spitze eines
peloponnesischen Sonderbundes; eine neue Kriegspolitik war eröffnet,
welche aus den Anschlägen eines Mannes hervorgegangen war; die
Geschicke Griechenlands lagen in der Hand des Alkibiades.
Er war aber nicht gesonnen, die Ausbeute dieser glänzenden Er-
folge auf spätere Gelegenheit zu verschieben. Es sollte sich gleich
zeigen, dass Athen für seine Unternehmungen jetzt einen neuen und
vielversprechenden Schauplatz gewonnen habe; die Friedensverträge
wurden zwar nicht aufgehoben, thatsächlich wurde aber mit dem
Sommer 419 (Ol. 90, ]±) der alte Kampf wieder eröffnet.
Alkibiades war Feldherr, und unter seiner Leitung trat der Vier-
staatenbund als eine Waffenmacht auf; es begann ein peloponnesischer
Krieg im eigentlichsten Sinne des Worts. Denn der Plan war Arkadien
zu gewinnen, um auf diese Weise Argos und Elis mit einander zu ver-
binden und Sparta im Süden zu isoliren, wie es schon in alten Zeiten
durch den Argiver Pheidon geschehen war (1, 235) ; wie damals durch
die Pisaten, so wurde Sparta jetzt durch die Eleer von der Feier der
Olympien ausgeschlossen. Andererseits war es auf Korinth abgesehen,
das sich unter den gegenwärtigen Umständen natürlich vom Sonder-
38*
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596
ATHENS STELLUNG IM PELOPONNES.
bunde wieder losgesagt hatte. Um aber am korinthischen Meere neue
Stützpunkte der attischen Macht zu gewinnen, war keine Landschaft
geeigneter als Achaja. Darum knüpfte Alkibiades mit den Bürgern von
Patrai Unterhandlungen an, die so erfolgreich waren, dass sie dem
attischen Bündnisse beitraten und zugleich ihre Stadt durch lange
Mauern mit dem Meere zu verbinden beschlossen, so dass sie gegen
Sparta geschützt und attischer Hülfe immer zugänglich waren117*).
So reichte eine Kette attischer Waffen platze von Naupaktos bis zu
den ionischen Inseln hinüber. An der Westküste hatte man die Häfen
von Elia zur Verfügung. Messenien konnte man jederzeit von Pylos
angreifen. An der Ostküste gehörte das ganze hafenreiche Gestade von
Argolis zum attischen Bundesgebiete, und wenn man den Umkreis der
Halbinsel musterte, so musste ein Punkt als nächstes Ziel attischer
Politik ins Auge fallen, das war Epidauros, dessen Berge von Athen
aus sichtbar sind, dessen Hafen, gerade gegenüber nach Südwesten ge-
legen, vom Peiraieus und Aigina aus die bequemste Anfahrt darbot.
Hatte man Epidauros in Händen, so war Korinth auch von der Ost-
seite fortwährend in Schach gehalten, und die beiden Hauptstädte des
Sonderbundes, Argos und Athen, bis dahin auf den weiten Umweg
um Cap Skyllaion angewiesen, waren danu auf dem nächsten Wege
mit einander verbunden. Epidauros war also für alle Unternehmun-
gen im Peloponnes die wichtigste Operationsbasis, und man hoffte,
sich derselben bei der grofsen Entfernung von Sparta ohne zu grofse
Schwierigkeit bemächtigen zu können.
Aber die Epidaurier hielten bei ihrer aristokratischen Verfassung
nach alter Gewohnheit sehr fest an Sparta; die Korinther, welche nach
dem Frieden des Nikias ein Defensivbündniss mit Argos zu schliefsen
geneigt waren, hatten sich in Folge des letzten Umschwunges der argivi-
schen Politik wieder den Lakedämoniern zugewandt; sie erkannten
sofort die neue Gefahr, welche drohte, und setzten Sparta in Bewegung.
So entwickelte sich eine unerwartete Energie im peloponnesischen
Bunde, und es knüpfte sich an die Stadtfehde zwischen Argos und
Epidauros eine Folge der wichtigsten Ereignisse.
Zunächst galt es einen Vorwand zum Kriege zu finden. Argos
beschuldigte die Nachbarstadt, die Opfergaben an das Ueiügthum des
Apollon Pylhaeus (I, 152) schuldig geblieben zu sein. Um dem Gotte
sein Recht zu verschaffen , rückten die Argiver in das Gebiet von
Epidauros ein. König Agis setzte sich gleichzeitig mit voller Heeres-
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FEHDE ZWISCHEN AAG0S UND EPIDAÜROS (90, %i 419)
597
starke in Bewegung — aber ungünstige Opferzeichen hielten ihn in
Lakonien zurück, und es wurde der Auszug über den bevorstehenden
Festmonal der Kameen hinaus vertagt Die Argiver aber, die noch vor
Beginn des Monats ausgezogen waren, wussten denselben durch Ein-
schaltungen in der Weise hinauszuschieben, dass sie, während die
Bundesgenossen der Epidaurier sich durch die Waffenruhe gebunden
sahen, das Gebiet derselben ungestört verwüsteten, weil für sie der
Karneios noch nicht angebrochen sei.
So ging der Sommer bin, ohne dass die Bundes- und die Sonder-
bundstruppen zusammentrafen und die tausend Schwerbewaffneten,
welche unter Alkibiades in den Peloponnes geschickt waren, kehrten
wieder heim, weil keine Gefahr vorhanden war.
Im Winter (419—8) kam die Angelegenheit plötzlich in eine neue
Entwickelung. Den Lakedämoniern gelang es, eine Schaar von 300
Mann unter Agesippidas unbemerkt zu Schiff nach Epidauros zu bringen
und dadurch Athen wie Argos in die peinlichste Ueberraschung zu
versetzen.
Die Argiver beschwerten sich bitter über Vernachlässigung der
See wacht von Seilen Athens und klagten Sparta des Friedensbruchs
an, weil es die Gränzen des attischen Bundesgebiets verletzt habe.
Alkibiades setzte es durch, dass auf der Friedenssäule der Zusatz ge-
macht wurde, die Spartaner hätten den Verlrag nicht gehalten ; dadurch
verschaffte die Kriegspartei der attischen Politik freie Hand, und es
wurden auch auf Antrag der Argiver sofort wieder Messenier und
Heloten (S. 583) anstatt der Athener als Besatzung nach Pylos ge-
bracht, um das lakonische Gebiet zu brandschatzen.
Weiter reichte aber Alkibiades' Einfluss nicht; die Spannung der
Parteien lähmte jeden weiteren Entschluss. Man begnügte sich mit
dem gegen Sparta erhobenen Proteste und für das nächste Kriegsjahr
wurden Anhänger der Friedenspartei, darunter Laches und Nikostratos,
zu Feldherrn gewählt11*).
Dagegen nahm im Peloponnes die kriegerische Bewegung einen
mächtigen Aufschwung. Die Bedrängniss der Epidaurier, die man auf
keinen Fall preisgeben wollte, und die zunehmende Unsicherheit aller
peloponnesiscben Verbältnisse hatten den Entschluss hervorgerufen,
diesmal alle Mittel aufzubieten. Die Lakedämonier rückten in voller
Kriegsstärke aus, und die treugebliebenen Peloponnesier, aufeerdem
Megara und Böotien, zeigten den gröfsten Eifer, um mit einem Haupt-
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59S
AGIS' RÜCKZUG.
schlage die sonderbündlerischen Umtriebe zu Boden zu werfen. Man
hatte nie ein stattlicheres Bundesheer beisammen gesehen, als das,
welches sich um die Mitte des Sommers unter König Agis sammelte.
Die verbündeten Argiver, Mantineer und Eleer stellten sich bei
Methydrion in den Weg, doch gelang es Agis die Vereinigung aller
Truppen in Phlius zu Stande zu bringen und so von ISemea gegen Argos
vorzurücken. Das argivische Heer wurde innerhalb der Ebene umstellt,
von der Stadtseite durch die Lakedämonier, vom Gebirge her durch die
Bundesgenossen eingeschlossen. Eine entscheidende Schlacht schien
unvermeidlich, und auch die Sonderbundstruppen waren trotz des
empfindlichen Mangels an Reiterei voll Kriegsmutb.
Da begaben sich zwei Argiver, Thrasyllos, einer der fünf Feldherrn
und Alkiphron, der Geschäftsführer Spartas in Argos, zum König Agis
und suchten ihn davon zu überzeugen, dass das furchtbare Blutver-
gießen, welches unmittelbar bevorstehe, vermieden werden könne und
müsse. Sie verbürgten sich dafür, dass das alte Bundesverhältniss
wieder hergestellt werden solle und versprachen für das, was die demo-
kratische Partei gegen Sparta unternommen habe, vollständige Genug-
tuung. Obgleich ohne amtliche Vollmacht, wussten sie doch den
König zu gewinnen. Er muss es für seine königliche Pflicht gehalten
haben, die blutige Schlacht, so viel an ihm liege, zu vermeiden; er
glaubte, die grofsartige Entfaltung spartanischer Ueberraacht genüge,
um die Argiver von ihrer Sonderbundspolitik gründlich zu bekehren,
und da er für seine versöhnliche Politik augenblicklich bei den Heer-
führern kein Gehör finden konnte, machte er nur einen der begleiten-
den Ephoren zum Vertrauten seines Entschlusses und schloss eigen-
mächtig mit den beiden Argiver n einen Waffenstillstand auf vier Monate,
innerhalb dessen sie dafür sorgen sollten, dass das von ihnen Ver-
sprochene ausgeführt werde.
Die Verkündigung dieses Waffenstillstandes erregte auf beiden
Seiten die gröfste Erbitterung. Thrasyllos entging bei der Heimkehr
der Argiver mit Mühe der Steinigung und wurde mit Einziehung seiner
Güter bestraft. Das peloponnesische Heer trat ohne Widerspruch den
Rückzug an, aber mit heftigem Unwillen sprach man sich darüber aus,
dass die Treue der Bundesgenossen missbraucht werde und eine
unwiederbringliche Gelegenheit zur Demüthigung der Argiver leicht-
sinnig aus der Hand gegeben sei; auch in Sparta fand das Verfahren
des Königs solche Missbilligung, dass eine neue Einschränkung des
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ZUG GEGEN ORCHÜMENOS.
590
königlichen Oberfeldherrnamts die Folge war; es wurde beschlossen,
dass künftig bei allen Unternehmungen ein Kriegsrath von zehn
Männern dem Könige zur Seile stehen solle119).
Bald nach Agis' Rückzüge kamen die Athener, tausend Mann stark
mit dreihundert Reitern, unter Ladies und Nikostratos in Argos an,
um ihren Verbündeten gegen Sparta beizustehen; statt dessen fanden
sie Argos in einem Verlragsverhültniss mit Sparta, und die Partei des
Thrasyllos war so stark, dass der unverzügliche Abmarsch der Athener
gefordert und Alkibiades, der als politischer Agent das Heer begleitete,
der Zutritt zur Volksversammlung versagt wurde. Aber die Mantineer
und Eleer, welche sich von den Argivern preisgegeben sahen, wussten
es durchzusetzen, dass doch mit den Athenern verhandelt wurde, und
als diese zum Worte kamen, gelang es ihnen bald, die Argiver zu über-
zeugen, dass der Vertrag mit Agis völlig nichtig sei und dass man den
Krieg unverzüglich wieder aufnehmen müsse. Den Mantineern und
Eleern lag vor Allem daran, die Macht der Spartaner im Innern der
Halbinsel und an der Westküste zu brechen. Darum wurde auf ihren
Antrieb ein Zug gegen Orchomenos beschlossen, welchem die Argiver,
wenn auch zögernd, sich anschlössen. Die arkadische Feste war der
wichtigste Stützpunkt der lakedämonischen Macht im Binnenlande.
Sie wurde genommen, und die Verbündeten rückten vor Tegea.
Aber schon jetzt schwächte sich das Heer durch innere Spaltung;
denn die Eleer waren unzufrieden, dass man nicht vor Allem daran
gehen wolle, die lakedämonische Besatzung aus Lepreon zu vertreiben,
und ihre 3000 Schwerbewaffneten zogen in die Heimath ab, gerade als
die höchste Gefahr drohte, als die Spartaner unter König Agis mit fünf
Sechstel ihrer gesamten Kriegsmacht ausrückten, voll Eifer, Argos für
seinen Treubruch zu strafen und das aus Friedensliebe Versäumte
wieder gut zu machen.
Die Verbündeten zogen sich aus der Tegea tis in das Gebiet von
Mantineia zurück und besetzten die Höhen, welche so fest waren, dass
Agis einen schon begonnenen Angrifl* wieder aufgab. Er ergrifT statt
dessen ein Kriegsmittel, welches die Tegeaten in ihren Nachbarfehden
nicht selten angewendet halten; er leitete nämlich den Bach Ophis,
welcher aus einem Stadtgebiete in das andere floss, ab, so dass die
Felder der Mantineer, welche den niedrigeren Theil der gemeinsamen
Ebene inne hatten, mit einer vollständigen Ueberschwemmung bedroht
wurden. Die Folge war, dass die Mantineer nicht mehr auf der Höhe
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600
SCHLACHT BEI MA5TKEIA (dO. 3; 418 AUG.).
zu ballen waren ; jeder Widerspruch der Feldherrn war wirkungslos
und zu seiner Ueberraschung sab Agis am nächsten Morgen den Feind,
wie er es gewünscht hatte, in der Ebene vor sich in Schlachtreibe auf-
gestellt. Durch den Abmarsch der Eleer hatte er die Ueberzahl auf
seiner Seite und aufserdem den Vortheil, an der Spitze eines durch
gleiche Kriegszucht und Kriegsübung vereinigten Heerkörpers zu stehen.
Mit dem gröfsten Muthe und sicherem Feldherrnblicke leitete er den
Kampf, welcher bald in der ganzen Breite der SchlachÜinie auf das
Heiligste entbrannte; er warf das feindliche Mitteltreflen , das die
Argiver inne hatten, und den linken Flügel, dessen Spitze die Athener
bildeten. Dann eilte er, ohne seine Vortheile zu hitzig zu verfolgen,
auf die andere Seite der Schlachtreihe, wo die Man tineer, welche den
rechten Flügel bildeten, siegreich vorgedrungen waren. Nun mussten
auch sie das Feld räumen und erlitten dabei die schwersten Verluste.
Es war eine Schlacht von der gröfsteo Bedeutung, weil dieUeber-
legenheit spartanischer Waflenkunst auf einmal wieder in das klarste
Licht gestellt wurde und eben so die innere Schwäche des Sonder-
bundes. Hatten doch die Argiver, die den Kern desselben bilden
wollten, nicht einmal das Anrücken der feindlichen Lanzenreiben er-
warten können. Wie thöricht erschienen also ihre Ansprüche, den Spar-
tanern die Hegemonie streitig zu machen! Die Athener, zu schwach
an Zahl, um eine Entscheidung zu geben, waren nur mit Mühe einer
volligen Niederlage entgangen ; welche Anstrengung es aber gekostet
haben muss, die Mannschaft zusammenzuhalten, beweist der Umstand,
dass beide Feldherrn im Handgemenge fielen. Es war noch ein Glück,
dass Agis, der Alles that, um seinen Kriegsruhm wieder herzustellen,
in seinem Eifer durch Pbarax gezügelt wurde, ein einflussreiches Mit-
glied des Kriegsraths. Er veranlasste ihn namentlich, die auserlesene
Mannschaft der Argiver, welche mit tollkühnem Muthe in den Kampf
gegangen war, zu schonen, weil er wohl erkannte, dass diese Mann-
schaft, am Leben erhalten, den Spartanern noch wesentliche Dienste
leisten könne, während ihr Untergang nur dazu dienen würde, der
Demokratie in Argos eine unbedingte Herrschaft zu sichern110).
Auch nach der Schlacht war der Krieg nichts weniger als zu Ende.
Denn da die Lakedämonier zu dem Karneenfeste heimkehrten, konnte
sich das geschlagene Heer in aller Ruhe wieder sammeln, und bald
war es stärker als vor der Schlacht, denn die dreitausend Eleer, welche
der gemeinsamen Sache untreu geworden waren, kehrten zurück, da
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ARGOS MIT SPARTA VERBÜNDET (WINTER 418; »0, 3). 601
sie von der Bedrängniss der Man tineer hörten, und aus Athen kam
eine zweite Hülfsschaar von tausend Schwerbewaffneten. Auch ver-
ständigte man sich sofort über weitere Unternehmungen, und zwar be-
schloss man, ohne Zweifel auf Antrieb der Athener, gegen Epidauros
zu ziehen; ein Beschluss, der um so zeitgemäfser erschien, da die Epi-
daurier am Tage vor der Schlacht einen grolsen Einfall in das argivi-
sche Gebiet gemacht hatten. Die Stadt wurde umzingelt und eine
regelrechte Belagerung eingeleitet. An der Untüchtigkeit der Eleer und
Mantineer scheiterte aber das Werk; denn nur was die Athener be-
gonnen hatten, die Umwailung des Heraion am Strande, wurde fertig,
und hier liefe man eine gemischte Besatzung zurück, während das Heer
sich mit Ende des Sommers auflöste.
Inzwischen hatte sich in Argos die Nachwirkung der Schlacht ge-
zeigt. Die demokratische Partei war entmulhigt, während ihre Gegner,
des Thrasyllos und Alkiphron Gesinnungsgenossen, neue Unterhand-
lungen mit Sparta anknüpften, um durch dessen Hülfe an das Ruder
zu kommen. Die Schaar der Tausend (S. 580), welche in der Schlacht
allein ihre Ehre gewahrt hatte, war der Herd oligarchischer Bewegun-
gen. Als daher im Winter Gesandte von Sparta kamen, um Frieden
und Bündniss anzubieten, und gleichzeitig mit einem schon bis Tegea
vorgerückten Heere drohten, gelang es den lakedämonisch Gesinnten,
trotz der Anwesenheit des Alkibiades, die Bürgerschaft zur Annahme
der Friedensanträge zu bewegen. Die Geiseln und Gefangenen wurden
ausgetauscht, dieArgiver stellten ihre Feindseligkeiten gegen Epidauros
ein; alle Angriffe gegen den Peloponnes sollten fortan gemeinsam zu-
rückgewiesen werden, sonst sollten alle Staaten sich nach eigenem
Gutdünken regieren. Das war der erste Sieg der Oligarchen. Bald
darauf gelang es ihnen, die vollständige Auflösung des attischen Bünd-
nisses durchzusetzen und statt dessen ein fünfzigjähriges Bündniss mit
Sparta abzuschließen, welches so abgefasst war, dass die Ansprüche
der Argiver in sehr schonender Weise behandelt wurden, indem ihnen
scheinbar eine gleichberechtigte Stellung neben Sparta an der Spitze
des peloponnesiscben Bundes eingeräumt wurde131).
Damit begann denn auch sofort eine feindliche Haltung gegen
Athen. Vereinigle Gesandtschaften von Argos und Sparta gingen nach
der thrakischen Küste, um hier mit den abtrünnigen Städten zu ver-
handeln und Perdikkas wieder auf ihre Seite zu ziehen; mit gröfstem
Nachdrucke verlangte man dann in Athen die Räumung des Gebiets
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002
R F.AKTION IM PELOPO>NF.S
von Epidauros, woselbst noch attische und peioponnesische Truppen
lagen, die letzten Ueberreste eines sonderbündnerischen Heeres. Die
Athener, welche den Abfall ihrer peloponnesischen Bundesgenossen
nicht aufzuhalten vermochten, schickten Demosthencs, um die Truppen
aus Epidauros abzuholen. Er erfüllt aber diesen Auftrag nicht, sondern
weifs sich durch eine List der Verbündeten zu entledigen, um für
Athen allein diesen wichtigen Funkt festzuhalten. Es sollte ein Pylos
für die Nordküste der Halbinsel sein ; das war der kühne Gedanke des
Demoslhenes. Aber die Friedenspartei hatte in Athen die Oberhand;
das eigenmächtige Verfahren des Feldherrn wurde nicht bestätigt; er
musste dem Befehl gehorchen, und mit der Bäumung des Heraion war
der ganze Anschlag, welcher die letzten Kriegsereignisse unmittelbar
hervorgerufen hatte, vollständig gescheitert183).
Um dieselbe Zeit erfolgte auch in verschiedenen peloponnesischen
Staaten eine entweder gewaltsame oder aus den Umständen sich er-
gebende Beaktion. Mantineia trat wieder in seine frühere unbedeu-
tende und den Spartanern gehorsame Stellung zurück; in Sikyon
wurde durch ein gemeinsames Heer des neu errichteten Bundes die
verfassungsmäfsige Begierung gestürzt, weil man ihr demokratische
Bichtung Schuld gab, und zuletzt erfolgte, was offenbar das Ziel dieser
vorbereitenden Schritte gewesen war, ein gleicher gewaltsamer Um-
schwung in Argos selbst, und zwar durch eine blutige Revolution,
welche noch gegen Ende des Winters den ganzen Staat in die Hände
der oligarchischen Partei brachte, deren Häupter den Tausend ange-
hörten. So unbedingt hatte Sparta lange nicht in der Halbinsel ge-
herrscht; mit Ausnahme von Elis, das man ruhig grollen liefs, weil es
nicht schaden konnte, waren alle Staaten durch Bündniss und gleich-
artige Verfassung vereinigt; selbst in Achaja wurden jetzt nach dem
Belieben Spartas die Verfassungen umgeändert, um es den Städten
unmöglich zu machen, dem Beispiele der Paträer (S. 596) zu
folgen113).
Während der peloponnesischen Begebenheilen hatten in Athen
die alten Parteispannungen fortgedauert und ihren Einfluss auf die
auswärtige Polilik deutlich genug erkennen lassen.
Die Friedenspartei betrachtete es als ein vergebliches und frevel-
haftes Unternehmen, den peloponnesischen Bund sprengen zu wollen
und suchte ihren Gegnern nachzuweisen, wie sehr sie sich über Sparta
getäuscht hätten, wenn sie es als einen in voller Auflösung begriffenen
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PARTEISPANNCNG IN ATHEN
G03
Staat darstellten, und eben so sehr über die Verbündeten und ihre Zu-
verlässigkeit. Alkibiades dagegen konnte mit gutem Grunde be-
haupten, dass nicht seine Rathschläge am Misslingen Schuld seien,
sondern die Unentschiedenheit der Athener. Denn wenn man die
Feldherrn bald aus einer, bald aus der andern Partei nehme, wenn
man mitten im Kriege den Schein des Friedens erhalten wolle und
vereinzelte Truppensendungen abgehen lasse, welche nicht zusammen-
wirken und den Feind nur reizen, aber nicht besiegen könnten, so
dürfe man freilich keine Erfolge erwarten; so müssten die günstigsten
Gelegenheiten verloren gehen und alle sich darbietenden Vortheile ins
Gegenlheil umschlagen. Also entscheiden mussle man sich. Der
Gegensatz der Parteien war zu einer unerträglichen Spannung ge-
steigert. Ob Nikias oder Alkibiades Recht habe, konnte zweifelhaft
sein, aber zweifellos war es, dass eine zwischen Beiden hin und her
schwankende Politik unter allen Umständen verderblich sein musste.
Entweder musste man mit allein Ernste ein Einverständniss mit
Sparta zu erzielen suchen oder den Krieg mit voller Energie wieder
aufnehmen.
In dieser Lage der Dinge blieb nichts Anderes übrig als das
Scherbengericht, welches einst zwischen Aristeides und Themistokles,
zwischen Perikles und Thukydides entschieden und dadurch den Staat
aus unerträglichen Parleispannungen glücklich befreit hatte. Es war
eine Herausforderung, welche die beiden Staatsmänner gegen einander
richteten, indem wahrscheinlich nach gegenseitiger Verständigung der
Antrag gestellt wurde, die Bürgerschaft solle in voller Versammlung
ihre Entscheidung abgeben. Einer von beiden musste den Platz
räumen, damit der attischen Staatsleitung wieder eine feste Richtung
gegeben werde.
Während diese Entscheidung vorbereitet wurde und beide Partei-
häupter emsig beschäftigt waren ihren Anhang zu ordnen, gelang es
unerwarteter Weise dem Hyperbolos, sich noch einmal auf der Redner-
bühne gellend zu machen, indem er die schwüle Stimmung, die der
Entscheidung vorherging, für sich auszubeuten suchte und mit unver-
schämter Zunge gegen Nikias so wohl wie gegen Alkibiades aufhetzte.
Da nun von beiden Parteiführern Keiner sicheres Vertrauen zum Aus-
gange der Entscheidung hatte, da im Grunde Keinem damit gedient
sein konnte, mit einer geringen Mehrzahl von Stimmen seinen Neben-
buhler zu verdrängen, und Keiner von ihnen rücksichtslos ent-
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604
DER LETZTE OSTRAKISMOS (OL. 90, S; 417).
schlössen war, seine ganze Stellung und politische Zukunft dem Zufall
der Volksabstimmung anheim zu stellen, so geschah es, dass Nikias
und Alkibiades sich in letzter Stunde vereinigten gegen einen Dritten
und dass kurz vor der Abstimmung beide Parteien die Weisung er-
hielten, den Namen des Hyperbolos auf die Scherben zu schreiben,
der durch seine Hetzerei Beiden verhasst und lästig war. Hyperbolos
soll sechs Jahre in der Verbannung gelebt haben und ist 92, 1 (411)
gestorben; darnach ist das Scherbengericht 90, 2 oder 3, April 418
oder 417 anzusetzen.
So brachte der Tag, an welchem die Geschicke Athens sich ent-
scheiden sollten, gar keine Entscheidung; es blieb zum gröfsten Schaden
der Stadt, wie es zuvor gewesen war. Dieser Nachtheil war um so
"größer, weil der Ostrakismos dadurch in Missachtung kam, dass
gegen den Sinn dieses Instituts ein unwürdiger und unbedeutender
Mensch, der auf keiner Seite wahres Vertrauen hatte und kein eigent-
liches Parteihaupt war, von demselben betroffen wurde. 'Um solcher
Menschen willen', sagt der Komödiendichter Piaton, 'ist die Scherbe
nicht erfunden'. Das attische Scherbengericht wurde nicht offiziell
aufgehoben, aber es ist nie wieder angewendet worden.
lieber die Einzelheiten des merkwürdigen Ereignisses waren schon
im Alterthum verschiedene Ansichten verbreitet, zwischen denen wir
nicht entscheiden können. Namentlich war aufser Nikias und Alki-
biades auf eine uns unerklärliche Weise auch Phaiax, der Sohn des
Erasistratos, an dem Parteikampfe betheiligt, ein Mann, der als Ge-
sandter gedient hatte (S. 576) und zum Kreise des Nikias gehörte.
Eins aber ist klar. Der Ostrakismos, welcher so wesentlich zum
Verfassungsleben von Athen gehörte und zur Entwickelung des Staats
so viel beigetragen hat, setzt eine Gesundheit des Volkslebens voraus,
welche nicht mehr vorhanden war. Es fehlte dem Gemeinwesen die
Kraft, um auf gesetzmäfsigem Wege die Elemente auszuscheiden,
welche hemmend oder störend einwirkten; es fehlte dem Volke an
innerer Einheit, an Ernst und Klarheit, um sich mit ansehnlicher
Mehrheit für ein politisches Programm zu entscheiden; es war auch
Keiner da, der in vollem Mafse sein Vertrauensmann war. Dazu kam,
dass unter den gegenwärtigen Umstanden die Verbannung eines
mächtigen Parteihaupts dem Staate neue und gröfsere Gefahren
bringen konnte. Denn einem Alkibiades konnte man nicht zutrauen,
dass er, dem Volksspruche gehorsam, zehn Jahre ruhig im Auslande
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STURZ DER OLIGARCBEN IN ARGOS.
605
verweilen würde; man musste fürchten, ihn durch die Ausweisung
sofort in das feindliche Lager zu treiben, und so konnten Parteihäupter
außerhalb Athens dem Staate ungleich gefährlicher sein, als innerhalb
der Stadt. Darum schien es denn bequemer und sicherer, die beiden
Staatsmänner zu behalten, die sich einander die Wage halten sollten.
In der That aber war der Tag, an dem diese Entscheidung getroffen
wurde, der Tag des letzten Ostrakismos, ein Unglückstag für Athen,
ein trübes Zeichen vom Verfalle des öffentlichen Lebens und ein Vor-
bote unheilvoller Zustände1").
Von den beiden Staatsmännern, die nun von Neuem ihren Partei-
karopf aufnahmen, war Alkibiades, wie sich denken lässt, der ge-
schäftigere und wirksamere. Ihm gelang es bald, die Bürger zu über-
zeugen, dass die letzten Erfolge Spartas, welche man zu seiner Be-
schämung ausgebeutet hatte, nicht von dauerhafter Beschaffenheit seien.
Zwischen Argos und Sparta war in der That ein ehrliches Einverständ-
nis eben so unmöglich, wie zwischen Athen und Sparta. Auch standen
sich die Parteien in Argos mit wildem Hasse gegenüber, zur Erneuerung
des Kampfes jeden Augenblick bereit. Die Loosung zum Ausbruche
gab Bryas, der Anführer der Tausend, indem er durch schnöde Ge-
waltthat die Feier einer Bürgerhochzeit störte. Die geraubte Braut
rächte sich an ihm, indem sie ihm im Schlafe die Augen ausstiefs,
und suchte dann Schutz beim Volke, das sich in Masse gegen den sol-
datischen Uebermuth der Oligarchen erhob und das auf Sparta ge-
stützte Regierungssystem nach achtmonatlicher Dauer stürzte.
Athen war bei diesen Vorgängen unbetheiligt, in Sparta wurde
man aber von dem bevorstehenden Umschwünge schon bei Zeiten in
Kenntniss gesetzt und schob auf die dringenden Hülfsgesuche der lako-
nischen Partei selbst das Fest der Gymnopädien auf, um rechtzeitig in
Argos zur Hand zu sein. Als aber die Spartaner in Tegea erfuhren,
dass Argos im Besitz der Volkspartei sei, kehrten sie um und Uelsen
sich nun durch nichts davon abbringen, ihr Fest ruhig zu Ende zu
feiern.
Inzwischen war der Vertrag der Argiver und Spartaner noch
keineswegs aufgehoben; vielmehr schickte die neue Regierung Gesandte
nach Sparta und beantragte in aller Form die Erhaltung des Bundes;
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606 AROOS MIT ATHEN VERBÜNDET (90, 4; 417 SOMMER).
der Staat wollte in dem peloponnesischen Bunde verharren. Dagegen
waren aber auch die vertriebenen Oligarchen vertreten, welche sich
noch immer als das wahre Argos betrachteten und gegen das Ansuchen
der Demokraten Protest einlegten. Nach langen Verhandlungen, an
denen auch die Bundesgenossen sich betheiligten, wurde die Streit-
frage zu Ungunsten der neuen Begierung entschieden, und in Folge
dessen sollte nun durch eine gemeinsame peloponnesiscbe Unter-
nehmung die alte Verfassung in Argos hergestellt werden. Zur Aus-
führung solcher Heerzuge hatten aber die Bundesgenossen immer sehr
geringe Neigung (I, 387), weil sie in Verfassungsangelegenheiten die
Selbständigkeit der Einzelstaaten gewahrt wissen wollten, und Korinlh
betheiligte sich daher an dem Unternehmen nicht. Die Argiver aber
mussten, nachdem sie in Sparta abgewiesen waren, von Neuem den
Athenern sich anschließen, um sich gegen Sparta und die vertriebene
Partei halten zu können; man schickte Gesandte nach Athen, und
Alkibiades that redlich das Seinige, um diesmal den Bund fester zu
machen. Er leitete selbst mit Hülfe einer Menge attischer Handwerker
den Bau der langen Mauern, durch welche sich die Argiver dem Insel-
und Küstenreiche Athens völlig einverleiben sollten. Denn eine in
Verbindung mit ihrem Hafen ummauerte Stadt war für Sparta noch
immer so uneinnehmbar wie eine Insel. Die Spartaner fielen in das
Land und zerstörten einen Theil der Hafenmauern, aber die Stadt selbst
hielt sich, und Alkibiades liefs nun, um einem neuen Abfalle vorzu-
beugen, dreihundert Bürger, welche als Spartanerfreunde bekannt
waren, auf die attischen Schiffe führen und auf die Inseln in Ge-
wahrsam bringen. So wurde Argos im Sommer 417 (Ol. 90, 4) fester
als je mit Athen verbunden, und die alten Bundesgenossen der Argiver
fingen an, sich von dem Schrecken, welche die Niederlage bei Manli-
neia verursacht hatte, wieder zu ermannen196).
Das andere Gebiet, wo der Nikiasfrieden nie zur Wahrheit ge-
worden ist und der Kriegszustand immer fortgedauert hat, ist das Ge-
biet der chalkidischen Städte an der thrakischen Küste.
Im Friedensvertrage war für Amphipolis sowohl wie für die an-
deren Städte ausgemacht worden, dass sie an Athen übergeben werden
sollten, aber es waren bei der Uebergabe so viel Vorbehalte gemacht,
dass man die Absicht nicht verkennen kann, den Athenern Schwierig-
keiten zu bereiten und dafür zu sorgen, dass es hier nie an Gelegen-
heit zu Intrigue und Hader fehle. Die Städte sollten Tribut zahlen,
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DIE THRAKISCHEN KÜSTENSTÄDTE.
607
aber nur als einen Beitrag zur Sicherung des Meers, nicht als Mit-
glied des attischen Bundes; denn sie sollten unabhängig sein, in voller
Neutralität zwischen Athen und Sparta, und nur auf gütlichem Wege
dürften die Athener sie für ihre Bundesgenossenschaft zu gewinnen
suchen ; auch dürften sie nie einen höheren Tribut, als den nach dem
Salze des Aristeides, von ihnen einfordern (S. 520).
Man merkt diesen Bestimmungen an, dass sie nur nach langem
Hin- und Hermarkten zu Stande gekommen sind, und dass die Lakedä-
monier, wahrscheinlich auf Anstiften der Korinther, die künstlich ge-
ordneten Zustände benutzen wollten, ihre Hand im Spiele zu behalten.
Unter den chalkidischen Städten unterscheidet der Friedensver-
trag zwei Gruppen, erstens Mekyberna, Sane und Singos, von denen
wir voraussetzen dürfen, dass sie zur Zeit des Vertrags lakedämonische
Besatzung hallen; dann Argilos, Stageiros, Akanthos, Skolos, Olynthos
und Sparlolos. Von den letzteren ist Olynthos dem Vertrage sicher-
lich nicht beigetreten, wahrscheinlich auch die anderen nicht, denn es
steht ja fest, dass eine Anzahl chalkidischer Städte dem Vertrage sich
nie gefügt und mit Korinth dem argivischen Bunde angeschlossen hat
(S. 582).
Der nördliche, festländische Theil des chalkidischen Gebiets war
den Athenern also auf die Dauer abhanden gekommen; um so mehr
hatten sie sich auf den drei Halbinseln zu befestigen gesucht; sie
halten Potidaia, das Brasidas vergeblich belagert hatte, mit altischen
Kleruchen besetzt ; dasselbe können wir in Torone voraussetzen, nach-
dem Kleon die Stadt genommen hatte. Auch Skione, das an Brasidas
abgefallen war und im Vertrage von Sparta preisgegeben wurde, kam
durch Sturm in die Hände der Athener; die Bürgerschaft wurde hin-
gerichtet und ihre Stadt an Platäer gegeben.
So waren die Halbinseln Pallene, Sithonia und Akte im sichern
Besitz von Athen, und der Ausfall an Tribut war nicht so erheblich,
etwa 10 bis 12 Talente. Aber der feste Zusammenhang des thraki-
schen Coloniallandes war dahin, die Autorität der Hauptstadt er-
schüttert, da die abgefallenen Städte es durchsetzen konnten, ihr zu
trotzen. Alles aber überwog der Verlust von Amphipolis, und es war
ein geringer Ersatz, dass man die Strymonmündung durch Eion in der
Gewalt halte1").
Da die Städte sich auf die Dauer ausser Stande sahen, nach-
haltigen Widerstand zu leisten, waren sie genöthigt, sich nach Bundes-
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608
DIE THRAKJSCHE.N KÜSTENSTÄDTE.
hälfe umzusehen; andererseits mussten auch die Athener gegen die
schwierig gelegenen Städte continentale Unterstützung zu gewinnen
suchen. Auf diese Weise war das thrakische Uferland unausgesetzt
der Herd heimlicher Umtriebe, ein Schauplatz unaufhörlicher Fehde,
eine Gegend, welche die Athener fortwährend durch Küstenflotten in
Obacht halten mussten.
So schlössen sich die Städte, die sich geweigert hatten dem Nikias-
vertrage beizutreten, schon 89, 4; 421 mit den Korinthern dem argivi-
schen Bunde an; die Korinther aber beriefen sich auf Verträge, durch
welche sie gebunden wären, die Städte nicht preiszugeben; sie nahmen
noch immer gewisse mutierstädtische Pflichten in Anspruch, und die
Städte hallen an ihnen einen Rückhalt. Durch das wenig aufrichtige
Benehmen der lakedämonischen Gesandten, welche dem entschiedenen
Befehle der Behörden gegenüber die Uebergabe der Städle nicht voll-
zogen, war ihr Trotz noch gestiegen. Bald darauf wurde daher schon
den Athenern die Stadt Thyssos am Athos durch einen Handstreich
genommen ; den folgenden Winter finden wir die Chalkidier wieder mit
den Korinihern zusammen beschäftigt, die Böotier dem korinthisch-
argivischen Bunde zu gewinnen, und die Olynthier setzen sich durch
einen Handslreich in Besitz der Stadt Mekyberna. 418 im Sommer
trifft Euthydemos aus Athen in den thrakischen Gewässern ein, und
die Städte sind zur Vorsicht genöthigt, weil Perdikkas noch auf atheni-
scher Seile stand. Dann versuchen es die damals mit Sparta verbün-
deten Argiver ihn von Athen abzuziehen, und zwar mit gutem Erfolg,
wenn sie ihn auch nicht gleich zu offenem Bruche veranlassen. Den
Sommer darauf (417), in welchem Dion am Athos von Athen abfiel,
sollte endlich eine gröfsere Unternehmung zur Ausfuhrung kommen,
aber sie blieb, obwohl Nikias und Lysislratos zusammen den Heerbefehl
übernommen hatten, erfolglos, weil Perdikkas, auf dessen Mitwirkung
man gerechnet hatte, nicht zur Stelle war. Zur Strafe wurden noch
im Spätjahre die makedonischen Häfen blokirt1'7).
Ol. 96, 4 (416) stand Chairemon, Charikles' Sohn, als Feldherr in
Thrakien. Es war jetzt vor Allem auf Makedonien abgesehen, und 415
ganz zeitig, noch im sechszehnten Kriegsjahre, landeten makedonische
Verbannte zusammen mit attischen Reitern in Melhone, um Perdikkas
auch von der Landselte zu beunruhigen, während mit den Chalkidiern
Waffenruhe bestand, deren Bruch die mit Makedonien im Bunde stehen-
den Lakedämonier vergeblich herbeizuführen suchten. Bald darauf
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ATHEN UND MEI.OS.
609
muss eine Versöhnung Athens mit dem Könige eingetreten sein, denn
414 Ende des Sommers unternahm Euetion einen Feldzug gegen
Amphipolis mit Hülfe des Perdikkas; aber auch diesmal ohne Erfolg,
obgleich man eine grofse Anzahl thrakischer Söldner zur Verfügung
hatte und im Himeraion einen günstigen Standpunkt gewonnen hatte,
nachdem die Trieren den Strom heraufgefahren waren.
So standen die Dinge in Thrakien nach dem Nikiasfrieden. Auch
hier, wie im Peloponnes, war kein Friede, sondern ununterbrochene
Befehdung zwischen Athen und Sparta, und man begreift, dass dieser
indirekte Krieg einen viel gehässigeren und bösartigeren Charakter an-
nahm, als wenn man in offener Fehde gegen einander in das Feld ge-
rückt wäre. Denn jetzt, da die Erbitterung gröfser und die Kriegspartei
thätiger war, als je zuvor, aber eine Aufkündigung der Verträge dessen
ungeachtet nicht durchsetzen konnte, suchte sie immer nach Gelegenheit,
um trotz der Verträge die Spartaner so schmerzlich wie möglich zu
kränken; darum wurde auch die Kriegslust gegen kleinere Staaten ge-
lenkt, welche mit Sparta in Verbindung standen, aber im Grunde nichts
gethan hatten, um die Rachgier Athens zu reizen. Wie man solche
Unternehmungen durchführte, zeigt der Feldzug gegen Melos18').
Melos gehört zu den vulkanischen Inseln, welche sudlich von der
Cykladengruppe an der Gränze des kretischen Meers liegen. Sie war
vor sieben Jahrhunderten vom Peloponnes aus durch dorische An-
siedler besetzt, betrachtete sich als Tochterstadt Spartas und hielt in
unerschütterlicher Treue zum peloponnesischen Bunde. Dass die
Athener diese Insel in ihre Bundesgenossenschaft hereinzuziehen
wünschten, war sehr natürlich, denn sie gehörte der Lage nach zu
ihrem Seegebiete.
Sie fragten, wenn es auf Abrundung ihres Seegebiets ankam, nicht
nach der Herkunft der Insulaner und machten keinen Unterschied
zwischen dorischen und ionischen In sein. So wurden auch Melos und
Thera, die beiden einzigen Inseln des Archipelagus, welche ihrem
Bunde noch nicht beigetreten waren, 88, £ (426) zum Beitritt aufge-
fordert. Thera, die fernere und mit Sparta so eng verbundene Insel,
war sofort beigetreten. Melos hatte sich geweigert und Widerstand
geleistet (S. 469). Diese Weigerung wurde als nicht berechtigt ange-
sehen, und auf der Schätzungsliste von 88, 4 (424) stand die Insel in
der Reihe der tributpflichtigen Städte, und zwar mit 15 Talenten
(70,740 M.), während Thera von 3 auf 5 Talente erhöht war.
Curtio«, Qr. G««eh. II. 6. Aufl. 39
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610
ZWEITE EXPEDITION GEGEN MEI.OS
Nun musste Ernst gemacht werden, und wenn den Athenern im
Allgemeinen jede Gelegenheit erwünscht war, ihre Flotte in Bewegung
und das Inselmeer in Angst zu erhalten, so hatte Melos für sie eine
ganz besondere Bedeutung.
Melos war eine reiche Insel, wie der Tributsatz bezeugt; eine
Insel, die den Athenern viel nützen und schaden konnte. Sie lag der
peloponnesischen Küste am nächsten und war durch einen Hafen, der
sich breit und tief in die Insel hineinzieht, zu einem WafTen platze der
attischen Seemacht wie geschaffen. Seitdem die Unternehmungen der
Athener im Peloponnes begannen, ward die Insel noch wichtiger. Dazu
kamen die Anreizungen der anderen Insulaner, welche sich darüber
ärgerten, dass ihre Nachbarn, von allen Tributen und Leistungen frei,
nach ihren väterlichen Satzungen leben durften. Auch die Aussiebt,
neue Landaustheilungen gewähren zu können, war lockend genug;
die Hauptsache aber war die, dass man in den dorischen Insulanern
den Spartanern wehe thun wollte; man wollte sich rächen für den
Verlust bei Mantineia und zugleich ältere Gewailthaten, wie namentlich
die platäische, ihnen heimzahlen.
Denn allerdings hat der Zug gegen Melos eine grofse Aehnlichkeit
mit dem der Spartaner gegen Plataiai. Hier wie dort wird ein grie-
chischer Ort plötzlich überfallen, um mit überlegener Waffenmacht
gezwungen zu werden, von einem alten und geschichtlich wohl be-
gründeten Bundesverhältnisse in ein anderes überzutreten, d. h. seine
alten und stammverwandten Freunde ohne Grund zu seinen Feinden
zu machen. Dabei war nur der Unterschied, dass die Athener keine
falschen Gründe vorschoben, wie es die Spartaner mit dem Aushänge-
schilde einer nationalen Politik zu thun pflegten, sondern unverhohlen
und gerade heraus die Grundsätze aussprachen, denen gemäfs sie die
Unterwerfung von Melos fordern müssten. Schöne Heden waren um
so weniger an der Stelle, da die attischen Feldherrn, Kleomedes und
Tisias, nicht mit einer Volksgemeinde zu thun hatten, sondern nur
mit dem die Staatsgeschäfte leitenden Rathe. Jede Erörterung des
Hechtspunkts wurde kurzweg abgewiesen, denn eine solche gehöre
nur dahin, wo gleiche Gewalten einander gegenüberständen. Hier
handele es sich nur darum, was beiden Staaten im gegenwärtigen
Augenblicke das Nützlichste sei.
'Unser Interesse', sagten die von den Feld heim abgeschickten
Gesandten, 'ist die Befestigung unserer Seemacht; das eurige ist die
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FALL VON MELOS (91. 1; 416).
611
'Erhaltung eurer Gemeinde und eures Wohlstandes. Beide Interessen
'lassen sich nur so ausgleichen, dass ihr euch gutwillig unterwerft,
'und, wie die Nachbarinseln, Tribut zahlt. Die Neutralität, die ihr
'versprecht, genügt uns nicht; jeder Vergleich mit euch würde unsere
'Macht vor .den Augen der anderen Griechen zweifelhaft machen.
'Cure Hoffnung auf Hülfe von Sparta ist eitel, und eben so ist eure
'Berufung auf die Gölter, als Rächer der Ungerechtigkeit, ganz un-
gerechtfertigt. Denn bei den Göttern wie bei den Menschen gilt
'als ewige Ordnung, dass diejenigen gebieten, welche die Macht dazu
'haben, und dass die Schwachen gehorchen. Ihr haltet euch zu den
'Spartanern ; die Spartaner aber gehören in der That am wenigsten
'zu denen, welche nach einem anderen Mafsstabe entscheiden, was
'recht und billig sei, und hättet ihr selbst die Macht, so redetet und
'handeltet ihr ebenfalls nicht anders.1 So machten die Athener unver- .
hohlen das Recht des Stärkern geltend, indem sie dasselbe mit einer
herzlosen Sophistik zu rechtfertigen suchten.
Ihr Wunsch war unverzügliche Unterwerfung; denn jeder Versuch
von Widerstand erschien schon wie eine Erschütterung ihrer Allgewalt
zur See. Darum erbitterte sie der Muth der Insulaner, die zum
zweiten Male den Anschluss verweigerten und trotzig alle Unterhand-
lungen abbrachen; eine zeitraubende und kostspielige Ummauerung
der Stadt wurde nothwendig. Ja zweimal gelang es den Meliern, einen
Theil der Umschliefsungsmauer zu durchbrechen und sich von Neuem
mit Vorräthen zu versehen. Aber alle Hülfe blieb aus; es trat ein
solcher Zustand ein, dass 'melische Hungersnot^ ein sprichwörtliches
Ausdruck wurde, um den höchsten Grad menschlichen Elends zu be-
zeichnen, und ehe der Winter zu Ende ging, musste die Insel sich dem
Philokrates, der mit einem frischen Heere herankam, auf Gnade und
Ungnade ergeben. An Erbarmen war nicht zu denken. Alle waffen-
fähigen Insulaner, deren man habhaft geworden war, wurden zum
Tode, alle Weiber und Kinder zur Knechtschaft verurteilt. Man hatte
nichts Anderes im Sinne, als Spartas Blutgerichte zu vergelten so wie
Angst und Scbreckeu in allen Gebieten zu verbreiten, wohin die Flotte
Athens reichte. Eine solche rücksichtslose Gewaltpolitik war diejenige,
die den Gedanken des Alkibiades entsprach, und er war es auch ge-
wesen, welcher der äufsersten Strenge das Wort geredet hatte1*9).
Aber auf diese Weise seinen Einfluss geltend zu machen, konnte
dem Ehrgeize eines Alkibiades nicht genügen; er schaute nach anderen
39*
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612
WEITERE KRIEGSPLÄNE.
Kriegstheatern aus, als der Peloponnes und der Archipelagus waren.
Denn da der lästige Friede mit Sparta auf keine Weise zu breeben
war, bedurfte er anderer Unternehmungen, welche den Staat in neue
Bahnen führten. Es mussten Unternehmungen sein, deren Ausfuhrung
nur den kühnsten Männern anvertraut werden konnte und die dem
glücklichen Feldherrn eine Machtstellung verschaffen mussten, welche
über die eines Bürgers von Athen weit hinausreichte. Denn je weiter
die Beziehungen des Staats reichten und je gröfser sein Herrschafts-
gebiet war, um so unmöglicher wurde es, dass derselbe von der
Bürgerversammlung auf der Pnyx geleitet wurde, um so notwendi-
ger wurde das persönliche Regiment eines Mannes. Da kamen die
Gesandten der Egestäer mit ihrem Hülfsgesucbe (S. 577), und der
ersehnte Kriegsschauplatz war gefunden.
Die sicilische Frage war kein neues Thema. Längst hatte das
kriegslustige Athen lüstern hinübergeschaut nach den westlichen Ge-
staden, und schon damals, als Kerkyra in das attische Bündniss
aufgenommen wurde, sahen Viele in dieser Insel nur die Schwelle
Siciliens.
Zu Perikles' Zeit hatten solche Gedanken nicht aufkommen
können, denn er erkannte mit vorschauender Klugheit alle Gefahren,
welche Athen aus einer Eroberungspolitik erwachsen würden; er sah
das Kennzeichen eines hellenischen Staats darin, dass er Mafs zu
halten wisse und nicht, wie die Staaten der Barbaren, durch die eigene
Macht sich mechanisch vorwärts schieben lasse, um endlich das Opfer
verblendeter Herrschsucht zu werden. Darum hatte er alle Gelüste
solcher Art streng und kräftig zurückgedrängt Aber nach seinem
Tode wurde es anders; denn aus eigener Kraft war die Bürgerschaft
unfähig, eine weise Selbstbeschränkung auszuüben. Eine Macht ohne
Gleichen zu besitzen und dieselbe nicht anzuwenden, so weit die Mög-
lichkeit gegeben war, das war dem attischen Volke zu viel zugemuthet,
um so mehr, da die Volksführer immer geschäftig waren, sein Selbst-
bewusstsein in's Mafslose zu steigern und die tollsten Kriegspläne in
Vorschlag zu bringen.
Diese Pläne waren um so gefahrlicher, je unklarer ihre Ziel-
punkte waren. Denn die Schwierigkeiten, welche die Kämpfe mit
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DIE SICILISCHEN PLÄNE.
613
Böotien und Sparta den Athenern darboten, kannten Alle aus Er-
fahrung. Aber ein fernes jenseitiges Land, das nur von Wenigen ge-
kannt war und deshalb um so glänzender ausgemalt werden konnte,
ein Inselland, wohin die schlimmsten Feinde nicht nachkommen
konnten, wo die unbesiegte Seemacht Athens allein die Entscheidung
geben sollte, das musste um so gröfseren Reiz haben, zumal da man
eben so wenig Lust hatte still zu sitzen als auch den früheren Krieg
in alter Weise wieder zu erneuern. Aber in der Heimath alle An-
nehmlichkeiten des Friedens zu geniefsen und dabei aus dem fernen
Westen glänzende Siegesbotschaften zu vernehmen, das schien den
Athenern das beneidenswertheste Loos zu sein.
Und konnte man nicht in der That des besten Erfolgs versichert
sein? Eine Flotte, welche der attischen gewachsen wäre, war in jenen
Gewässern nicht vorhanden. Die Macht der Tyrrhener war gebrochen
(S. 544); die Karthager wagten sich mit ihrer Flotte nicht vor; die
eigenen Bundesgenossen derselben konnten ja nicht auf sie rechnen
und hatten sich eben deshalb nach Athen wenden müssen. Auch
konnte man bei einem Kriege gegen Syrakus von Karthago wie von
den Tyrrhenern eher Unterstützung als Widerstand erwarten. Die
Sikelioten selbst waren aber zur See so schwach, dass Laches mit
einem Geschwader von zwanzig Schiffen im Stande gewesen war, das
dortige Meer zu beherrschen (S. 573). Dann hatte ja auch der leon-
tiniscbe Krieg guten Fortgang gehabt, und wenn der Friede von Gela
allen Erfolgen plötzlich ein Ende gemacht hatte, so konnte doch
Jeder erkennen, dass dieser Friede unhaltbar war und es war nicht
zu erwarten, dass die schwächeren Staaten sich immer wieder durch
die beruhigenden Versicherungen der Syrakusaner tauschen lassen
würden. Syrakus war einmal ein Staat, welcher nicht anders konnte,
als in die alte Eroberungspolitik immer von Neuem wieder einlenken.
Es war möglich, ja wahrscheinlich, dass hier eine dritte griechische
Grofs macht sich bilden werde, welche bei einem allgemeinen helle-
nischen Kriege Athen zum Verderben gereichen könnte. So konnte es
also als eine kluge und vorschauende Politik erscheinen, wenn man
hier bei Zeiten einschritt
Die Flotte, sagte man, sei augenblicklich doch nicht anders zu
gebrauchen. Die Macht Athens verzehre sich im Nicbtsthun; Stille—
stehen sei schon ein Rückwärtsgehen. Die Ehre Athens verlange,
dass man die frühere Politik in Sicilien wieder aufnehme. Wenn die
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614
DIE S1C1LISCHE.N PLÄNE.
Stadt sich feige und unentschlossen zeige, so sei nicht nur ein stei-
gender Uebermuth der Syrakusaner, sondern auch eine neue Ein-
mischung Karthagos zu fürchten. Athen sei berufen den ionischen
Stamm im Westen wie im Osten zu vertreten.
Dazu kam der verführerische Gedanke, den dorischen Stamm hier,
wo er sich am glänzendsten entfallet hatte, besiegen, Korinlh in der
Tochterstadt, auf die es am stolzesten war, demüthigen, den Spar-
tanern alle Unterstützung von dort abschneiden und den Peloponnes
immer mehr isoliren zu können. Zu gleicher Zeit hoffte man für
Athen die reichsten Hilfsquellen zu eröffnen; der produkten reiche
Boden Siciliens konnte durch sein Korn, seine Pferde u. s. w. fDr
Attika ein unschätzbarer Besitz werden, und da nun alle Vorzüge der
Insel so wie die Leichtigkeit des Erfolgs von den Gesandten in glän-
zenden Reden dem Volke geschildert wurden, da die Egestäer die an-
sehnlichsten Subsidien anboten und also die gröüsten Erwerbungen
mit fremdem Gelde erreichbar schienen: da wurde natürlich die
leichtgläubige Menge, welcher nur die Lichtseiten des Unternehmens
vorgeführt wurden, in dem Mafse hingerissen, dass ihre Gedanken
ganz mit diesen utopischen Bildern erfüllt waren.
in Gymnasien und Markthallen, in allen Schenkstuben und Buden
wurde von nichts Anderem geredet; die dreieckige Insel sah man hie
und dort in den Sand gezeichnet, von dichten Gruppen umstanden
und eifrig besprochen; dodonäische Orakel wurden an's Licht ge-
zogen, die das Unternehmen gut heifsen sollten; der Name Sikelia
hatte einen Zauberklaug für die Ohren der Athener, und wenn man
sich einmal den Aetna in attischem Bundesgebiete dachte, so ging
man auch weiter. Einen Zug nach Karthago hatten tolle Demagogen
schon zu Perikles' Zeit in Anregung gebracht; Libyen und Italien
wurden jetzt als die nächsten und unzweifelhaften Erwerbungen be-
trachtet; ja, es wurde von einer attischen Herrschaft geträumt, welche
von den lykischen Gewässern und den Gestaden des Pontos bis an
die Säulen des Herkules reichte180).
Aber nicht ganz Athen überliefs sich diesem Taumel. Es fehlte
nicht an kaltblütigen und besonnenen Bürgern, welche bei den neuen
Plänen von Angst und Besorgniss ergriffen wurden.
Bis dahin hatte sich die Macht Athens im Archipelagus und den
angrenzenden Gewässern schrittweise erweitert; auch die Ausdehnung
der Bundesgenossenschaft auf die Inseln des ionischen Meers, welche
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GEGENSÄTZE IN WER ATTISCHEN BÜRGERSCHAFT. 615
im Laufe des Kriegs erfolgt war, erschien wie eine durch die Um-
stände gebotene und für die Sicherung Athens gegen die peloponne-
sischen Seestaaten nothwendige. Aber hier war nun eine natürliche
Gränze erreicht, und es erschien als vermessene Tborheit, diese über-
springen und über das ionische Meer hinaus ziellose Eroberungspläne
verfolgen zu wollen. Die jenseitigen Verhältnisse waren im Ein-
zelnen so wenig bekannt, dass es unmöglich war, Kriegspläne zu ent-
werfen und die Kriegsaussichten zu beurteilen. Aber so viel wusste
man doch, dass Siciiien keine Insel war, die mit einem Schlage er-
obert werden konnte, sondern ein kleines Festland mit vielen mäch-
tigen Städten, die einzeln bekämpft werden mussten, die schwer zu
unterwerfen und noch schwerer in Unterwürfigkeit zu erhalten wären.
Wie sollte Athen eine Provinz regieren, von der es durch ein insel-
loses Meer so weit getrennt war, dass in winterlicher Zeit drei bis
vier Monate darüber hingehen konnten, bis ein Bote von dort an-
langte !
Athen stand an einem Wendepunkte seiner Geschichte; das
fühlten Alle; es war eine Lebensfrage, um die es sich handelte, eine
Entscheidung für die ganze Zukunft der Stadt. Darum wurden denn
auch alle Gegensätze, die in der Bürgerschaft vorhanden waren, in
Bewegung gesetzt und auf das Höchste gespannt. Die Besitzlosen und
die Besitzenden standen sich gegenüber, das junge Athen und die
ältere Generalion, die Seeleute und die Landleute, die Freunde und
die Feinde der Demokratie. Die Zahl der Armen hatte im Laufe des
Kriegs zugenommen; ihnen wässerte der Mund nach neuen Staatsein-
künften, die zur Vertheilung kommen würden, nach Erhöhung der
öffentlichen Besoldungen, nach neuen Landanweisungen. Gegen thra-
kische Feldzüge, welche allerdings die nächste Sorge hätten sein
müssen, hatte man eine gründliche Abneigung; hier fehlte es immer
an der nöthigen Entschlossenheit und Energie, und selbst Nikias zog
es vor, sich hier auf die Hülfe des Perdikkas zu verlassen (S. 609).
Hier stand den Athenern nur die Noth des Kriegs vor Augen ohne
einen entsprechenden Lohn. Von Siciiien aber hofften sie Alles,
wenn sie ihr kümmerliches Leben mit dem Glanz und der Fülle, die
in den jenseitigen Städten herrschen sollten, verglichen. Die Wohl-
habenden dagegen fürchteten bei den neuen Kriegsplänen die neuen
und vermehrten Leistungen, welche ihnen daraus erwachsen würden;
sie hatten gehofft, endlich einmal im Frieden ihre Vermögensver-
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616 GEGENSÄTZE IN DEB ATTISCHEN BÜRGEBSCHAFT.
häitoisse ordnen zu können; denn nur die sehr Reichen, deren Zahl
gering war, konnten ohne Beschwerde den Forderungen des Staats
genügen; die Meisten litten schwer darunter und sehnten sich nach
Erleichterung, um so mehr, da sie für alle ihre Opfer wenig Dank ein-
ernteten und nicht die Gellung im Staate hatten, welche sie bean-
spruchen konnten, weil die Macht Athens, Flotte und Heer, doch
wesentlich auf ihnen beruhte und eben so der Glanz der Stadt, der
sich in Festen und Aufführungen bezeugte. Die zahlenden Bürger
rechneten auch und überlegten ; sie unterschieden sich dadurch von
denen, die nichts verlieren, sondern nur gewinnen konnten und des-
halb alle neuen Kriegspläne willkommen hiefsen.
Endlich war bei den vernünftigeren Bürgern auch die Rücksicht
auf den Staatshaushalt ein für die auswärtige Politik maßgebender Ge-
sichtspunkt. Der öffentliche Schatz war durch den zehnjährigen Krieg
gänzlich erschöpft und dadurch der eigentliche Nerv des attischen
Staats gelähmt worden. Seit Abschluss des Friedens hatte man nun,
besonders in Folge der erhöhten Leistungen der Bundesgenossen,
wieder Gelder auf die Burg gebracht, in jedem Jahre etwa tausend Ta-
lente (5,715,250 M.). Ein neuer Schatz sammelte sich an, und die
Finanzen fingen an sich zu ordnen. Diese günstigen Aussichten sollten
nun durch den neuen Krieg vollständig zerstört werden, ehe Athen die
Geldkräfte gesammelt hatte, um ohne Anleihen und Kriegssteuern eine
so grofse Unternehmung beginnen zu können, deren Gesa ml kosten
gar nicht zu überschlagen waren131).
So war allerdings ein Gegendruck gegen die malslose Bewegung
vorhanden, und es fehlte nicht an Stimmen, welche mahnten und
warnten. Aber der Einfluss derselben war dadurch gelähmt, dass die
wahren Gründe des Widerstandes nicht nachdrücklich geltend gemacht
werden konnten, weil sie immer aus egoistischen Besorgnissen der
Reichen hergeleitet wurden. Das war die alte Schwäche der Friedens-
partei, welche nach wie vor um Nikias versammelt war. Sie war wohl
im Stande, wenn die Stimmung günstig und eine Ernüchterung oder
Abspannung eingetreten war, einzelne Erfolge zu erreichen, aber sie
könnte keinen Einfluss gewinuen, der in bewegten Zeiten die Bürger-
schaft zu beherrschen vermochte. Neuerdings aber hatte die Partei
dadurch an Ansehen eingebüfst, dass der Friede, den sie zu Stande
gebracht hatte, sich von Tage zu Tage unhaltbarer erwies. Indem sie
nun dennoch Alles aufbot, um den offenen Bruch mit Sparta wenig-
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DIE STELLUNG DES ALK I BUDES
617
stens so weit wie möglich hinauszuschieben, hatte sie wider Willen
wesentlich dazu beigetragen, die Gedanken der kriegslustigen Athener
auf neue Unternehmungen hinzulenken.
Alle diese Umstände kamen dem zu Gute, der in dieser entschei-
denden Zeit an der Spitze der Bewegung stand und der Alles daran
setzte, dass Athen seine ganze Macht entfalten, dass es jede Gunst der
Umstände ausbeuten und mit vollen Segeln vorwärts gehen sollte.
Alkibiades war damals in der ßlütbe seiner männlichen Kraft.
Sein Einfluss beruhte nicht wie der des Nikias darauf, dass ein ge-
wisser Theil der Bevölkerung ihn zu seinem Haupte gemacht hatte,
sondern seine Macht war wie die des Perikles eine persönliche; sie
beruhte auf einer Fülle von Eigenschaften, durch die er von Natur
zum Herrschen berufen schien. Einzig in seiner Art stand er unter
seinen Mitbürgern da. Mit Bewunderung hingen sie an seiner Er-
scheinung, welche ihnen ein glänzendes Spiegelbild ihrer eigenen Na-
tur zurückwarf, und hofften von ihm, dem Unwiderstehlichen, eine
neue Aera des Glücks, neue Einkünfte, neue Landanweisungen, reiche
Schätze aus Sicilien und Libyen ; jetzt erst, dachte man, solle Athen
sich in seiner wahren Macht zeigen und alle seine Kräfte entfalten.
Noch keinem Athener war eine schwärmerische Volksgunst in solchem
Grade zu Theil geworden.
Aufserdem hatte Alkibiades auch einen festen Anhang, der ihm
bei Durchführung seiner Absichten zur Hand war, junge Leute von
thatenlustigem Sinne, unter denen wohl Einzelne waren, welche ihm
aus aufrichtiger Anerkennung seiner aufserordentlichen Gaben an-
hingen, patriotische Männer, welche das Gröfste von ihm erwarteten
und dazu die Hand bieten wollten, wie z. B. Euryptolemos. Die Meisten
seiner Anhänger waren aber Solche, die durch gemeinschaftliche
Schwelgereien und Ausschweifungen mit ihm verbunden waren, die
ihr Erbtheil durcbgebracht hatten und von der Freigebigkeit des Alki-
biades lebten. Sie waren also von ihm abhängig, sie folgten seinen
Winken, sie bearbeiteten das Volk, sie unterhielten die Aufregung, sie
nährten die überspannten Kriegshoflnungen und schüchterten die
Gegenpartei ein. Es waren meist junge Leute aus vornehmen Häusern,
welche sich freuten, dass wieder einmal ein Volksführer aus ihrer Milte
an der Spitze stehe, Keiner von den gemeinen Leuten, die mehr
Schreier als Redner wären und nur im Trüben fischen könnten, ohne
etwas wirklich Grofses zu Stande zu bringen, kein Werk mann oder
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iKERMlTH I»ES ALKlIUAhES.
Händler, sondern ein ritterlicher Mann von hober Geburt und vor-
nehmem Anstände; sie machten sich zu Werkzeugen seines Ehrgeizes,
weil sie dabei auch für ihr Tbeil zu gewinnen hofften.
Aber gerade darin, dass das Ansehen des Alkihiades ganz auf
seine Persönlichkeit gestellt war, lag auch seine Schwäche. Um
Andere mit sicherer Hand leiten zu können, fehlte ihm die sittliche
Würde, welche allein im Stande ist, wirkliche Hochachtung und
dauernde Anhänglichkeit hervorzurufen. Alkibiades war bei allen Vor-
zügen doch nur ein Mensch wie die Andern auch, und darum unfähig,
diesen einen Halt und Mittelpunkt zu gewähren; denn er war seiner
selbst nicht gewiss, eine Natur voll von Widersprüchen, in welcher
gute und schlechte Neigungen regellos kämpften, und darum bei aller
Schärfe des Verstandes unklar und verworren. Je näher man ihn
kennen lernte, um so weniger konnte man ihm trauen; denn zuletzt
suchte er doch nur sich und seinen Vortheil. Athen war ihm nur
wichtig als ein Schauplatz seiner Thaten; der Ruhm der Vaterstadt
war ihm nur die Vorstufe des eigenen Ruhms, und seine Genossen
fühlten, dass er sie nur so lange halten würde, als sie seinem Ehrgeize
dienten. Deshalb war er zur Führung einer Partei auf die Dauer doch
ungeeignet. Aber auch aufserhalb seiner engeren Genossenschaft gab
er überall Anstofs und Aergeruiss.
Er hatte nicht gelernt, die Tyrannennatur, die in ihm wohnte, zu
bemeistern, oder auch nur zu verbergen. Neben der heldenmüthigsten
Tapferkeit zeigte er wiederum eine weichliche Ueppigkeit, wie sie
einem persischen Satrapen besser zustand als einem Bürger von Athen.
Ueberall, wo er auftrat, wollte er, dass die Augen nur auf ihn ge-
richtet wären. In schleppenden Purpurgewändern erschien er auf
dem Markte, selbst in der Schlacht suchte er alle Anderen zu über-
strahlen; er führte einen Schild von Gold und Elfenbein und darauf
als Wappen einen blitzschleudernden Liebesgott, ein übermüthiges
Sinnbild seiner unüberwindlichen Persönlichkeit. Dem Volke im
Ganzen schmeichelte er nach Art der Demagogen, aber die Einzelnen
behandelte er mit schnödem Hochmuthe. Jeder Widerspruch reizte
ihn zur Ungebühr und Gewaltthat, als wenn die Mitbürger seine Unter-
thanen wären. Agatharchos, der erste Dekorationsmaler Athens, der-
selbe, welcher die Bühne des Aischyloa durch seine Kunst geschmückt
hatte (S. 295), entschuldigte sich, dass er durch andere Aufträge ver-
hindert sei, den Wünschen des Alkibiades nachzukommen; da sperrt
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GLANZ DBS ALKIBIADES.
619
er ihn in seinem Hause ein und erzwingt die geforderte Arbeit.
Ta ureas, welcher seinem Chore den Sieg streitig zu machen sucht,
treibt er vor dem versammelten Volke mit Schlägen aus dem Theater;
seine Gattin Hipparete trägt er gewaltsam in sein Haus zurück, als sie
vor dem Archonten ihre Ehe auflösen wollte; ja die goldenen Fest-
geräthe der Burg soll er von ihrer Stelle genommen und zu eigenem
Gebrauche verwendet haben. Und alle diese Verhöhnungen des
bürgerlichen und heiligen Rechts wurden ihm ungestraft nachgesehen,
weil man sich einmal daran gewöhnt hatte, Alkibiades eine Ausnahme-
stellung vor allen Anderen einzuräumen, so dass die Burgergemeinde
selbst einen schweren Theil der Schuld trug, indem sie den wilden
Sinn, der ihrer Ordnungen spottete, in ihm nährte und zu einer un-
überwindlichen Gewohnheit werden liefs181).
Die Stadt Athen war aber Alkibiades viel zu eng, um ihm als
Schauplatz seines Ehrgeizes zu genügen. Er wollte durch den Auf-
wand, welchen er für die städtischen Feste und für die Ausrüstung
der Schiffe machte, nicht blofs seine Mitbürger überstrahlen, sondern
ganz Hellas sollte Zeuge seiner Herrlichkeit sein. In dieser Absicht
erneuerte er die alte Tradition des Hauses, dem er von mütterlicher
Seile angehörte. Denn wie der Glanz desselben mit dem olympischen
Wagensiege des Alkmaion, des Zeitgenossen Solons, begonnen hatte,
so wollte auch er als ein echter Alkmäonide diese Bahn des Ruhms
betreten. Dazu bedurfte er aber anderer Mittel, als sein Erbgut ihm
gewährte, mit dem er so verschwenderisch gewirthschaftet hatte; des-
halb halte er auch die Verbindung mit dem reichsten aller Häuser in
Athen gesucht, dem des Daduchen Hipponikos (S. 425), und obgleich
er sich an diesem Ehrenmanne in frevelhaftem Uebermuthe vergangen
halte, gelang es ihm dennoch die Hand seiner Tochter nebst einer Mit-
gift von zehn Talenten (48,000 Mark), wie sie noch keinem Athener
zu Theil geworden war, zu erlangen. Auch gab er sich keine Mühe, die
eigennützigen Absichten, welche ihn bei dieser Verbindung geleitet
hatten, zu verstecken. Denn kaum hatte er Hipparete mit ihren
Schätzen heimgeführt, so begann er sofort die Zucht von Rennpferden
in gröfserem Mafsstabe zu betreiben. Er richtete sich einen Marstall
ein, der von Fremden und Einheimischen bewundert wurde, und
wusste sich, um die Ausgaben zu bestreiten, von seinem Schwager
Kallias noch andere zehn Talente zu verschaffen, die Hipponikos ihm
für den Fall versprochen haben sollte, dass seine Tochter einen
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GLA>'Z des alkibiades.
Knaben geboren haben würde. Durch solche Mittel erreichte er denn
auch seinen Zweck vollständig. Denn nicht einen, sondern sieben
Rennwagen schickte er nach Olympia (01.89; 420)» und gewann
nicht einen, sondern drei Preise in einer und derselben Feier.
Dieses Auftreten in Olympia halte damals eine ganz besondere
Bedeutung. Denn zum ersten Male waren die Sendboten vou Elis,
welche die Festzeit ankündigten, wieder nach Athen gekommen, und
wenn man im Peloponnes wohl geglaubt hatte, Athen sei durch Krieg
und Pest in seinem Wohlstände gebrochen, so sah man statt dessen
einen attischen Bürger solche Pracht entfalten, wie sie noch kein
Fürst zur Schau gestellt hatte. Dazu kam, dass um dieselbe Zeit
Sparta von der olympischen Feier ausgeschlossen war (S. 580) ; Elis
musste sich in seinem Zwiespalte mit Sparta nach anderem Rück-
halte umsehen, und da Alkibiades der Schutzpatron des Sonder-
bundes war, da er den Vertrag zwischen Argos und Athen zu Stande
gebracht hatte, so thaten die elischen Behörden Alles, um ihm gefallig
zu sein , und andererseits diente der Aufwand des Alkibiades dazu,
unter einem Volke, das für den Eindruck des Reichthums so em-
pfanglich war wie die Griechen, seinen Einfluss im Peloponnes un-
gemein zu heben.
Dabei verstand Niemand in gleichem Grade die Kunst, fremde
Mittel für seine Zwecke auszubeuten. Denn wie er mit HipponhW
Vermögen sich den Weg zu den olympischen Kränzen gebahnt hatte,
so wusste er auch bei den Bundesgenossen seinen Einfluss zu gleichen
Zwecken zu benutzen. Lesbos schickte ihm den Wein für die Sieges-
feier, zu welcher er die ganze anwesende Festversammlung einlud;
Chios lieferte die Opferthiere und das Futter für die Pferde; die Ephe-
sier errichteten ihm ein kostbares Zelt. So wetteiferten die Städte,
um die Gunst des mächtigen Demagogen zu erlangen, und wenn glän-
zende Rosszucht und olympischer Wagensieg immer als eine Vorstufe
tyrannischer Pläne angesehen wurden, so erschien er hier in der That
schon wie ein Fürst, der seine Tribute einforderte und den Glanz der
Vaterstadt auf seine Person vereinigte. Auch die anderen Festörter
Griechenlands waren Zeugen seines Ruhms, und um alle diese Siege
zu verherrlichen und um seine Triumphe in bleibendem Andenken zu
erhalten, bot er nicht nur die Kunst der Sänger auf, sondern auch die
bildenden Künste mussten ihm dazu dienen. Er lieb sich malen, wie
er von Olympias und Pylbias gekrönt wurde und wie er, von üppiger
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DIE POLITIK DES AI.KIBIADES
621
Schönheit strahlend, der Nemea im Schofse safs. Solche Schmeichel-
bilder widmete er der Stadtgöttin und liefe sie in der Pinakothek
(S. 346) aufstellen
Endlich war auch die politische Richtung, welche Alkibiades ver-
trat, der Art, dass sie vielfachen Widerspruch hervorrufen musste. Er
wollte ja nicht nur den mit Mühe zu Stande gebrachten Frieden auf-
heben und den Krieg in alter Weise erneuern, sondern einen Krieg in
viel weiterer Ausdehnung und mit ganz anderen Mitteln entfachen, als
es die leidenschaftlichsten Demagogen vor ihm gewollt hatten. Wie
er bei allen seinen Plänen nicht blofs Athen im Auge hatte, sondern
ganz Griechenland, so wollte er auch nicht blofs auf der attischen
Pnyx der allgewaltige Führer sein, sondern eben so in Argos, in Man-
tineia, in Elis. Die Entfesselung der Bürgerschaften von allen aristo-
kratischen Einflüssen sollte das Programm einer allgemein helleni-
schen Politik werden, deren Fäden in seiner Hand lagen ; er wollte
das Haupt aller demokratischen Parteien in Griechenland sein und
diese zu einem mächtigen Bunde vereinigen, welchem Sparta und
alle aristokratischen Staaten endlich erliegen müssten. Also auch die
auswärtige Politik wurde jetzt eine rein demokratische, bei der alle
anderen Gesichtspunkte zurücktraten. Der Krieg wurde ein reiner
Tendenzkrieg; es wurde aus einem Staatenkriege ein Parteienkrieg,
ein Krieg, der dadurch immer ausgebreiteter und leidenschaftlicher,
immer zügelloser und unversöhnlicher werden musste. Eine neue
Zeit sollte in Griechenland herbeigeführt werden, eine Zeit, in welcher
das Fortbestehen eines Staats wie Sparta unmöglich wäre, und Athen
sollte der nerd dieser allgemeinen Volksbewegung sein. Zu solcher
Aufgabe bedurfte es einer möglichsten Steigerung der attischen Geld-
kräfte; darum erschien ihm, seit er das Lager der Lakonisten ver-
lassen hatte, Kleons Politik in diesem Punkte als die allein richtige.
Aber es ist eine ungerechte Anschuldigung, wenn man ihn, der damals
etwa achtundzwanzig Jahre zählte, für die plötzliche Erhöhung der
Tribute und für den daraus erwachsenen Nothstand der Bundes-
genossen bat verantwortlich machen wollen; auch dass er, da Thu-
dippos (S. 487 f.) seinen Antrag stellte, als Mitglied der Schätzungs-
kommission thätig gewesen sei, beruht nur auf einer wenig zuver-
lässigen Ueberliefcrung. Um so bedeutender muss aber später sein •
Einfluss in den bundesgenössischen Angelegenheiten gewesen sein,
wie schon daraus hervorgeht, dass Städte, wie Ephesos, Chios und
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ANGRIFFE ALT ALKIBIADES.
Lesbos kein Opfer scheuten, um die Gunst des Aikibiades zu erwerben
und dadurch eine Verschlechterung ihrer Lage abzuwenden194).
So tiefgreifend und ausgedehnt der persönliche Einfluss des
Aikibiades war, so begreift sich doch leicht, dass er keine stetige, den
Staat beruhigende und die Parteien vereinigende Macht erlangen
konnte. Er wirkte nur aufregend; er rief überall Widerspruch hervor,
und durch den Jubel, mit dem die Menge ihren Liebling umdrängte,
tönte immer greller der Ton des Misstrauens und des Hasses hin-
durch. Die ältere Generation zürnte dem Verführer der Jugend , die
nach Aikibiades' Vorgang die Ringschulen vernachlässigte, über jedes
Herkommen sich keck hinwegsetzte und ein wüstes Leben für guten
Ton hielt. Die es mit der Verfassung ehrlich meinten, mussten
immer klarer einsehen, dass Aikibiades kein anderes Ziel habe als eine
unbedingte und unverantwortliche Herrschaft, und darauf glaubte er
so sicher rechnen zu können, dass er jetzt schon alle Grundsätze bür-
gerlicher Gleichheit ohne Scheu und Scham verletzte, und wenn die
urteilslose Masse seine Keckheit bewunderte, so fehlte es doch auch
im Volke nicht an solchen, die einen sittlichen Mafsstab anzulegen
wussten. Namentlich auf der Bühne wurden die Stimmen der Miss-
bilUgung laut.
Auf der tragischen Bühne bezeugte Euripides zwar dem Helden
des Tags eine unverkennbare Anerkennung; er feierte ihn als den
glücklichen Stifter des argivischen Bundes und stimmte in seine
spartafeindliche Politik vollkommen ein; aber er tadelte und warnte
auch in ernstem Tone. Offener und derber redete die Komödie, um
den Abfall von der väterlichen Sitte zu rügen und den Unterschied
von einst und jetzt grell in das Licht zu stellen. So beschwor Eupolis
in seinen 'Deinen' die alten Helden aus der Unterwelt, um der Stadt
zu zeigen, wie rasch sie entartet sei (S. 427). Viel schonungsloser und
persönlicher war er in seinen 'Kaptae' (Frühjahr 415; 91, 1), indem
er die unzüchtigen Feste, welche von Aikibiades und Genossen zu
Ehren der Kottyto bei Nacht gefeiert wurden, mit zorniger Entrüstung
darstellte, so dass Aikibiades einen tödtlichen Hass gegen den Dichter
gefasst haben soll.
Das öffentliche Aergerniss, welches er durch seine Verspottung
der Religion gab, machte ihm denn auch besonders die Priester, die
sich durch ihn in ihrem Einflüsse bedroht und in ihren Einkünften
beeinträchtigt sahen, und Alle, die mit ihnen zusammenhingen, zu
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DIE POLITISCHEN CLL' DBS.
623
Feinden. Dann kamen dazu die Volksredner, wie Androkles, Kleony-
mos u. AM welche es dem Alkibiades nicht vergessen konnten, dass
sie durch ihn bei Seite geschoben waren. Ferner die vielen persön-
lichen Feinde, welche auf eine Gelegenheit warteten, um sich für
erlittene Unbill an Alkibiades zu rächen, und darunter waren Manche,
die früher zu seiner Genossenschaft gehört hatten. Die schlimmsten
Gegner aber waren die alten Feinde der Demokratie, die offenen oder
versteckten Anhänger der Adelspartei, welche Alkibiades doppelt
hassten, weil sie ihn als einen Abtrünnigen ansahen, und die ihn aus
dem Wege schaffen mussten, wenn sie ihre Pläne durchsetzen wollten.
Die Leute dieser Richtung waren eine Zeitlang mit Nikias gegangen,
um welchen sich die ehren wertheren Ueberreste der alten Aristo-
kratie von Athen gesammelt hatten; aber seine Haltung war den
jüngeren und leidenschaftlicheren Parteigängern zu mattherzig, seine
Politik zu ehrlich und gutmüthig. Mit einer offenen Opposition,
glaubten sie, könne man nichts ausrichten; darum müsse man im
Verborgenen Anstalten treffen, um die Demokratie zu bekämpfen,
und dadurch erhielt der Parteikampf in Athen einen ganz anderen
Charakter ,3S).
Geheime Verbindungen dieser Art waren freilich nicht neu in
Athen. Mitten in der Noth der Perserkriege sind sie zum Vorscheine
gekommen; sie haben im Lager von Plataiai (S. 109) so wie in der
Schlacht von Tanagra (S. 169) zu land es verräterischen Versuchen
geführt; ganz erloschen sind diese Parteirichtungen auch in der peri-
kleischen Zeit nicht. Aber nach Perikles' Tode erhielten sie eine neue
Bedeutung, weil die Ausartung der Demokratie eine Reaktion hervor-
rief, und so bildeten sich namentlich in der Zeit, da Kleon den Staat
beherrschte und mit allen Mitteln eines demokratischen Terrorismus
jede freie Kundgebung entgegengesetzter Ansiebten verfolgte, heim-
liche Verbindungen (Hetärien), welche anscheinend nur zum Zwecke
fröhlicher Geselligkeit bestanden, aber unter der Hand immer ent-
schiedener einen politischen Charakter annahmen. Darum waren aber
nicht Alle, welche gleiche Ansichten hatten, in derselben Genossen-
schaft vereinigt, sondern es bestand eine Menge einzelner Kreise von
gleichartiger Richtung, und die Theilnahme an denselben nahm den
Einzelnen so in Anspruch, dass dagegen die natürlichen Verpflichtun-
gen gegen Familie und Vaterstadt zurücktraten; denn die Mitglieder
vereinigten sich nicht nur auf gewisse Grundsätze, sondern stellten
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DIE POLITISCHEN CLUDHS.
sieb auch unter eine bestimmte Leiturig und verpflichteten sich eid-
lich, bei Prozessen so wie bei Bewerbungen um öffentliche Aemter
nach gemeinsamer Verabredung mit Rath und Tbat, mit Gut und
Blut sich gegenseitig zu unterstützen.
So waren diese Clubbs in allen Beziehungen verschieden von den
politischen Verbindungen früherer Zeit (S. 16). Es war ursprünglich
eine Art Nothwehr gegen die Sykophanten; nach und nach gingen
aber die Absichten und Pläne jener Verbindungen immer weiter. Ihre
Mitglieder waren meistentheils Angehörige alter Familien mit ange-
borenen oligarchischen Tendenzen, leidenschaftliche und aufgeregte
junge Leute von lockerem Lebenswandel, die für ihren Ehrgeiz in dem
damaligen Athen keinen Platz fanden, sophistisch gebildet, von un-
klaren Staatstheorien erfüllt, welche das einfache Rechtsbewusstsein
und Pflichtgefühl in ihnen verdunkelten; darum dünkelhaft und ge-
wissenlos, ohne Achtung für Gesetz und Herkommen, voll Verachtung
gegen die Masse und ihr Regiment. Je mehr nun die Politik des
Staats eine demokratische wurde, um so mehr wurden die aristo-
kratischen Clubbs zu staatsfeindlichen Verschwörungen, welche mehr
Sympathie für Sparta hatten als für die eigene Vaterstadt, und je
rücksichtsloser Alkibiades verfuhr, um so weniger machten sie sich
ein Gewissen daraus, jedes Mittel gut zu heifsen, um die Herrschaft
der Masse und ihrer Günstlinge zu stürzen; sie scheuten sich nicht,
unter Umständen die Maske eifriger Verfassungsfreunde vorzunehmen
und sich zeitweise mit den Ultrademokraten zu verbinden, um in
dieser Verkleidung um so erfolgreicher wirken zu können. So bildete
sich eine der Zahl nach kleine, aber durch Entschlossenheit, Talent
und gute Organisation mächtige Partei, welche immer auf der Lauer
lag und fest daran glaubte, dass auch ihre Zeit kommen werde.
Unter diesen Gegnern der Demokratie trat nur Einer, nämlich
Antiphon, des Sophisten Sophilos Sohn (S. 287), dem Alkibiades offen
gegenüber. Alle anderen Athener, die sich früher oder später als
Feinde der Volksherrschaft zeigten, finden wir in heimlicher Weise
thätig, und in mehr oder minder deutlichem Zusammenhange mit den
aristokratischen Clubbs. Zu diesen Männern gehörte Peisandros aus
Acharnai, der als weichlicher Schlemmer in Athen verrufen war,
dabei ein geborener Intrigant und Meister der Verstellung; auch
Hagnon, des Theramenes Vater, der Anklager des Perikles (S. 395)
und Mitunterzeichner des Nikiasfriedens; ebenso Charikles, des Apollo-
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DIE POLITISCHEN CLlimS.
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doros' Sohn, der ebenfalls seine Parteirichtung zu verstecken wusste und
damals ein populärer Mann in Athen war und ansehnliche Staatsämter
bekleidete. Eine der namhaftesten Persönlichkeiten war endlich Ando-
kides, der Sohn des Leogoras. Er stammte aus einem der ältesten und
reichsten Eupatridenhäuser, einem Hause, das mit der Geschichte Athens
in ehrenvollster Weise verwachsen war (I, 368); dabei war er persön-
lich ein talentvoller und beredter Mann, der aber seiner oligarchischen
Gesinnung wegen vielfachen Angriffen von Seiten der Volksredner aus-
gesetzt war. Auch er gehörte ohne Zweifel einer der enggeschlossenen
Verbindungen an.
Es liegt in der Natur der Sache, dass geheime Gesellschaften
dieser Art nicht eher zu erkennen sind, als bis sie dazu »gelan-
gen, einen bestimmendeit* Einfluss auf das Staatsleben zu gewinnen.
Und auch dann noch ist es unmöglich, die Wirksamkeit derselben,
so wie ihre wechselnde Stellung, ihre Bedeutung und Zusammen-
setzung mit Sicherheit zu verfolgen. Nur das ist deutlich, dass
diese Art des Parteikampfes das bürgerliche Leben immer mehr
zersetzte und vergiftete. Bis dahin hatte noch eine gewisse Un-
befangenheit im öffentlichen Leben geherrscht; die Bürgerschaft
schenkte ihr Vertrauen den tüchtigsten Männern und verliefs sich
darauf, dass sie bei der Verwaltung öffentlicher Aemter nichts im Auge
haben könnten als das Wohl des Gemeinwesens; jetzt wurde immer
zuerst nach der Parteifarbe gefragt. Neben dem politischen Fanatis-
mus machte sich der religiöse geltend. Und was das Schlimmste
war, die Männer verschiedener Ansicht traten sich nicht mehr wie
sonst vor dem Volke gegenüber, offen, ehrlich und mit gutem Ge-
wissen, weil sie auf dem gemeinsamen Boden der Vaterlandsliebe stan-
den, sondern ein selbstsüchtiges Coteriewesen verdrängte die höheren
Interessen; das Allen Gemeinsame verschwand immer mehr, und der
vorherrschende Zweck war kein anderer, als die eigene Gröfse durch
den Sturz der Gegner zu erreichen. Zu diesem Zwecke verbanden sich
Oligarchen und Demagogen, religiöse Fanatiker und Freigeister. Es
fehlte bei diesen Grundsätzen überhaupt der sittliche Ernst der Ueber-
zeugung. Alkibiades vertrat die Demokratie, aber nicht aus Verfassungs-
treue, sondern weil nur sie seinem Ehrgeize Befriedigung versprach,
und eben so suchten die Gegner der Demokratie in der Begel nur ihren
Vortheil und waren bereit, Alles, auch die Ehre und Unabhängigkeit
der Vaterstadt, preiszugeben.
Curtin», Gr. Gesch. IC. «. Aufl. 40
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GESANDTE NACH EG ES TA (91,1:41%).
Unter den Einflüssen solcher Parteibestrebungen musste die Ent-
artung der Bürgerschaft in erschreckendem Grade überhand nehmen.
Denn je mehr die natürlichen Bande von Haus und Familie gelockert
wurden, um so mehr wucherten diese willkürlichen Verbindungen, welche
sogar eine gewisse Verpflichtung enthielten, die angestammten Bande
zu zerreifsen. Die Gesuudheit und Festigkeil des Gemeinwesens wurde
untergraben; man stand auf vulkanischem Boden, und die Gefahren am
eignen Herde waren drohender als die auswärtigen. Nach aufsen war
Athen mächtig; denn seine Einkünfte waren gröfser, seine Seeherr-
schaft unbedingter und seine Feinde schwächer, als je zuvor, aber die
innere Stärke des Freistaals, welche auf Bürgertugend und Vater-
landsliebe beruhte, war in voller Auflösung begriffen 1S6).
So war der Zustand der Dinge in Alhen, als die Abgeordneleu
aus Egesta eintrafen (S. 612). Sie traten mit gewandter Rede vor die
Bürgerschaft; sie wiesen auf die Gefahr hin, wenn Syrakus nach und
nach alle unabhängigen Staaten der Insel unterwürfe ; sie versprachen,
aus ihren Mitteln die Kriegskosten zu bestreiten. In bewegten Bürger-
versammlungen wurde das Gesuch berathen. Die Gegner des sicilischen
Projekts wollten, dass man sich von vorn herein auf nichts einlasse,
weil sie voraussahen, dass man später keinen Halt finden könne; sie
warnten besonders, sich nicht durch die Vorspiegelungen der fernen
Insulaner täuschen zu lassen. So redeten diejenigen, welche in den
auswärtigen Angelegenheiten das Festhalten an der perikleischen Politik
für die erste Bedingung der öffentlichen Wohlfahrt hielten, und Nie-
mand vertrat diese Ueberzeugung eifriger als Nikias, dem es nicht
zweifelhaft war, dass an der sicilischen Unternehmung unvermeidlich
wieder ein allgemeiner Volkskrieg sich entzünden werde. Die Partei
des Alkibiades unterstützte dagegen auf das Lebhafteste die Egestäer,
und endlich vereinigte sich die Mehrheil der Bürger dahin, dass man
für's Erste Gesandle absenden wolle, welche sich von den Hülfsquellen
der fremden Stadl mit eigenen Augen überzeugen sollten; eine Maß-
regel, zu welcher ohne Zweifel die Egestäer selbst aufgefordert hatten.
Das war im Grunde schon ein Sieg der Kriegspartei. Denn es
war nicht schwer, die Athener in Egesta noch vollständiger zu täu-
schen, als dies in der attischen Volksversammlung möglich war. Man
zeigte ihnen daselbst die Denkmäler der Stadt als Zeugen des öffent-
lichen Wohlstandes; man führte sie hinauf zum Heiligthume der
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KKIEGSBESCHLUSS USD FELDHERR* WAHL (W, 1; 415).
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Aphrodite auf dem Berge Eryx und kramte dort die ganze Menge von
silbernen Schaalen, Kannen, Hauch fassern und anderem Gerälhe vor
ihnen aus; man veranstaltete in der Stadt üppige Gastmäler, bei denen
man ihnen in verschiedenen Häusern immer dasselbe Tafelgeschirr
vorsetzte, das zum Theil aus benachbarten griechischen und phö-
nikischen Städten zusammengeliehen war, und so konnten die Ab-
geordneten, von ruhmredigen und schlauen Sicilieru umgeben, zu
einem wirklichen Einblicke in die Finanzlage der Stadt und zur
Kenntniss ihrer öffentlichen Baarschaften gar nicht gelangen. Von dem
Scheine eines allgemeinen Reichthums geblendet, kehrten sie im Früh-
jahre nach Athen zurück, und als nun im Peiraieus 60 Talente haaren
Geldes ausgeladen wurden, welche die Egestäer mitgeschickt hatten, um
daraus für den ersten Monat den Sold für 60 Kriegsschiffe zu bestreiten,
da machte diese Sendung, welche schon wie eine erste Zahlung sici-
lischer Tribute jubelnd begrüfst wurde, und die Darstellung der heim-
kehrenden Abgeordneten solchen Eindruck, dass, wie Alkibiades vor-
ausgesehen, die Kriegsparlei gewonnenes Spiel halte. Der Feldzug
wurde beschlossen, die Feldherrn wurden ernannt und zwar mit unbe-
schränkten Vollmachten und mit der Anweisung, dass sie zunächst die
Egestäer beschützen und die Leontiner zurückführen, dann aber in
Betreff der allgemeinen Verhältnisse Siciliens so verfahren sollten , wie
es für Athen am zuträglichsten sei.
Wenn man die Sache der halbbarbarischen Egestäer unbedingt in
den Vordergrund stellte, so geschah es nicht blofs aus dem Grunde,
dass man an die Reichlhümer der Stadt glaubte; man wollte auch
gern den Schein vermeiden, als wenn man den Krieg der Stämme aut
sicilischen Boden übertragen wollte. Die Rückführung der Leontiner
würde, wenn sie als Hauptziel aufgestellt wäre, eine Kriegserklärung
gegen Syrakus in sich geschlossen haben, und die ganze Unternehmung
hätte sofort den Charakter eines Eroberungskriegs erhalten. Dazu kam,
dass man mit den ionischen Städten der Insel, seit sie die angebotene
Hülfe Athens abgelehnt hatten, in gespanntem Verhältnisse stand.
Wenn man die Vollmachten dennoch überEgesta hinaus ausdehnte,
so war dies ganz im Sinne des Alkibiades; aber das hatte er doch nicht
durchsetzen können, dass er allein die Flotte führte. Dazu war er zu
wenig ein Mann des öffentlichen Vertrauens, und die Mehrheit der
Bürger konnte für die Sache nur so gewonnen werden, dass Nikias
zum Amtsgenossen ernannt wurde, und als Dritter Lamachos, der als
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MKUS UM» ALKIUI AI>ES
ein tapferer Degen und erfahrener Kriegsmann mehr für die Ausfüh-
rung einzelner Unternehmungen als für die Leitung des Ganzen be-
stimmt wurde. Alkibiades, Lamachos, Nikias — das ist die Reiben-
folge der Namen in den amtlichen Urkunden, welche über die Geld-
anweisungen zum Feldzuge vorhanden sind.
Die Bürgerschaft blieb also bei der Ansicht, welche am Tage des
letzten Ostrakismos entscheidend gewesen war, dass man am sichersten
ginge, wenn man die beiden ungleichsten aller Athener zu gemein-
schaftlicher Thätigkeit verbände. Man hoffte, dass die bedächtige
Langsamkeit des Einen und die geniale Kühnheit des Anderen sich in
heilsamer Weise ergänzen würden, während doch in der That dasr
worauf für das Gelingen Alles ankam, die Energie der Kriegsführung,
dadurch von Anfang an gelähmt werden musste187).
Niemand war unglücklicher als Nikias. Er hatte von jeher keinen
anderen Grundsatz, als den der behutsamsten Vorsicht, und nun sollte
er mit einem Manne, der nur mit dem höchsten Einsätze zu spielen
liebte, seinem leidenschaftlichen Gegner, vereint, eine Unternehmung
leiten, welche er für die verkehrteste und verderblichste hielt, zu der
sich jemals die Bürgerschaft entschlossen halte. Er war entrüstet über
den Leichtsinn, mit dem ein solcher Zug beschlossen war, ehe man
sich die Schwierigkeit desselben klar gemacht und über die Mittel der
Ausführung berathen hatte; er war entschlossen, Alles zu versuchen,
um den Kriegsbeschluss wieder rückgängig zu machen, und scheute
sich deshalb nicht, obgleich dieses Verfahren ein ungesetzliches war,
in der nächsten Versammlung, welche 5 Tage später angesetzt war, um
über die Art der Ausrüstung das Nähere zu bestimmen, darauf zu
dringen, dass die ganze Kriegsfrage noch einmal auf die Tagesordnung
gebracht würde. Er fühlte, was für ihn, was für ganz Alben auf die
Entscheidung dieses Tages ankam. Er liefs sich also durch die un-
willige Ungeduld der Menge, durch die Erbitterung der Kriegspartei
und durch die Gegenanstalten des Alkibiades, welcher seine Partei-
genossen in der ganzen Versammlung vertheilt halte, um die Gegner
einzuschüchtern und zu verwirren, nicht irre machen; er redete herz-
hafter und gewaltiger, als je, und erreichte es wirklich, dass die Stimme
der Vernunft und Besonnenheit noch einmal vernommen wurde, ehe
der verhängnissvolle En Ischl uss zur That wurde.
Er wies zuerst den Vorwurf persönlicher Furchtsamkeit zurück.
Dann schilderte er die Lage des Staats. Der erlangte Friede sei nichts
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MK1AS GEGE* ALKIWADES.
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als eine kurze Pause von unbestimmter Dauer; die alten Feinde lauerten
auf die nächste Gelegenheit denselben zu brechen, oder sie hätten die
Waffen noch gar nicht aus der Hand gelegt; die chalkidischen Orte
verharrten sogar noch ungestraf t im Aufrühre. 4Und wir', fuhr er fort,
'im eignen Hause keinen Augenblick sicher, im eignen Gebiete noch
'nicht wieder zur Herrschaft gelangt, wir stürzen uns in einen neuen,
'unabsehlichen, jedes frühere Mafs überschreitenden Krieg, in einen
'Krieg, der gar keinen vernünftigen Zweck hat! Denn wenn wir auch
'den glücklichsten Erfolg haben, so ist es doch unmöglich, ein Land
'wie Sicilien zu behaupten; der geringste Unfall dagegen stürzt uns in
'die allergröfsten Gefahren und verdoppelt die Zahl unserer Feinde,
'denen wir schon jetzt kaum gewachsen sind. Und weshalb unter-
'nehmen wir diesen Kampf, bei dem wir Alles, was wir haben, ein-
'setzen? Aus Furcht vor Syrakus? Die Gefahr, die von dort uns er-
wachsen könnte, ist eine leere Einbildung. Aus Verpflichtung gegen
'Egesta? Die Egestäer sind uns vollständig fremd und haben keinen
'Anspruch darauf, dass wir ihrer Gränzfehden wegen Volk und Land
'aufs Spiel setzen. Oder sollen wir etwa den ganzen Krieg unter-
'nehmen, um dem Ehrgeize einiger junger Leute Vorschub zu leisten,
'die, unreif und unerfahren, nach Feldherrnstellen und Feldherrnruhin
'trachten und ihre zerrütteten Vermögensverhältnisse bei der Gelegen-
heit in Ordnung zu bringen hoffen? Es giebt doch nur einen ver-
nünftigen Grundsatz in Beziehung auf die Aufnahme neuer Bundes-
genossen, die aus der Ferne sich anbieten, das ist der Grundsatz, dass
'man nur mit denen sich einlasse, welche gleiche Hülfe gewähren
'können, als die sie in Anspruch nehmen. Wir haben wahrhaftig allen
'Grund, bei uns selbst auf der Hut zu sein, dem Staate gegenüber, der
'an den Oligarchen in unserem eigenen Lager seine Bundesgenossen
'hat. Also hoffe ich von den älteren und erfahrenem Mitbürgern, dass
'sie sich durch falsches Ehrgefühl oder durch Einschüchterungen nicht
'abhalten lassen, besonnenem Balhe zu folgen; von dem Vorsitzenden
'Prytanen aber erwarte ich, dass er sich kein Gewissen daraus mache,
'wo es das Heil des Staats gilt, über formelle Bedenken sich hinwegzu-
setzen und die ganze Frage über Absend ung einer Flotte nach Sicilien
'heute noch einmal zur Abstimmung zu bringen.1
Die Berathung wurde eröffnet. Einzelne sprachen für Nikias, die
Meisten gegen ihn; zuletzt Alkibiades.
Er wies erst die persönlichen Angriffe zurüek, welche Nikias dies-
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630
ALKIIUAHES GEGEN MKIAS.
mal gegen seine Gewohnheit in bitterster Weise vorgebracht hatte.
Wenn er viel Geld ausgebe und Pracht liebe, so gereiche Beides der
Stadt zu Ehre und Nutzen; was aber seine Unerfahrenheit in Staats-
angelegenheiten betreffe, so habe er im Peloponnes gezeigt, wie man
ohne Aufwand und ohne Gefahr einen Feind wie Sparta demüthigen
und schwächen könne. Thatsachen redeten für ihn; denn Athen habe
in der dorischen Halbinsel nicht nur festen Anhang gewonnen, sondern
es folgten schon jetzt peloponnesische Conlingente dem Aufgebote der
Athener, und zwar um seinetwillen. Die Schwierigkeiten des neuen
Kriegs ubertreibe Nikias seinem Interesse gemäfs. Die sicilischen
Städte hätten eine gemischte Bevölkerung und seien deshalb stets zu
Neuerungen aufgelegt so wie zur Aufnahme fremder Ankömmlinge.
Die Sikelioten hätten kein Vaterland in dem Sinne wie die diesseitigen
Hellenen. Sie seien aufserdem uneinig und mangelhaft gerüstet. Für
Athen aber sei es unwürdig, überall nur nach ängstlicher Berechnung
fremden Staaten Schulz zu gewähren und nur auf seine Sicherheit be-
dacht zu sein; es habe in den Tagenseines höchsten Ruhms zugleich
gegen die Perser zu Felde gelegen und die Peloponnesier zu Feinden
gehabt. Eine Flotte, wie die attische, genüge, um sowohl die Heimalh
zu schützen, als auch um neue Siege zu gewinnen. Hier komme dazu,
dass ein gegebenes Wort zur Aufrechterhaltung des gefasslen Be-
schlusses verpflichte. Er wende sich also nicht an die Aelteren, wie
Nikias, sondern an Jung und Alt, und erwarte, dass nach der Sitte der
Väter die Thatenlust der Jugend sich mit dem Rathe der Allen zum
Ruhme der Stadt verbinden werde 1>e).
Die Rede des Alkibiades war klug berechnet, glänzend und von
hinreifsender Gewalt. Die Folge war, dass die Stimmung der Bürger-
schaft viel kriegerischer und entschiedener war als in der vorigen Ver-
sammlung, und als nun auch noch die Leon tiner und Egestäer ihre
dringenden Hülf^esuche erneuerten, da konnte von einem Erfolge der
Friedenspartei nicht mehr die Rede sein. Nikias gab aber noch nicht
alle Hoffnung auf. Er versuchte nun in der Weise Eingang zu finden,
dass er den Bürgern von den ungeheuren Kosten des Kriegs, welche
ganz auf sie fallen würden, einen Begriff zu machen suchte, denn die
Verheifsungen der jenseitigen Bundesgenossen seien unzuverlässig oder
eitles Blendwerk. Die sechzig Talente seien in wenig Wochen ver-
braucht, und wer bürge ihnen dafür, dass die Egestäer alle ihre Schätze
und Tempelgeräthe hergeben würden, um fremde Truppen zu unter-
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STIMMUNGEN NACH HF.M RESCHLISSE.
031
halten ? Diese Vorstellungen mochten auf die besitzende Klasse tiefen
Eindruck machen; für die grofse Menge, die keine Opfer zu bringen
halte, waren sie wirkungslos.
Nach der Rede des Alkibiades erschien jedes weitere Bedenken
als eine Versündigung an der Ehre Athens; je grofsartiger die Aus-
rüstung war, um so mehr Glück und Gewinn erwartete man. Darum
wurde Nikias von dem Volksredner Demostralos aufgefordert, ohne
Lim seh weife die Gröfsc der Ausrüstung zu bestimmen, welche der
Krieg verlange; und als dieser 100 Trieren, eine entsprechende Zahl
von Transportschiffen, 5000 Schwerbewaffnete, eine ansehnliche Menge
von leichtem Kriegsvolk und aufserdem andere umfassende Vorbe-
reitungen verlangte, so machte auch dies keinen anderen Eindruck,
als dass in taumelhafter Aufregung Alles ohne Weiteres von der Bür-
gerschaft bewilligt und den Feldherrn dazu unbedingte Vollmachten
ertheilt wurden.
Das war der Ausgang der beiden Volksversammlungen, welche
am 19ten und 24sten März in Athen gehalten wurden. Nikias' Ein-
spruch hatte also keinen andern Erfolg als den, dass die Rüstung un-
gleich kostspieliger und die ganze Kraft des Staats in unverhältniss-
miifsiger Weise für den Krieg in Anspruch genommen wurde. Dadurch
wurden die Athener in ihren Erwartungen nur um so hochfahrender
und mafsloser, die Unternehmung selbst aber durchaus nicht in
gleichem Grade gesicherter. Denn je gröfser die Ausrüstung von Flotte
und Heer war, um so schwieriger musste ihre Verpflegung im fremden
Lande werden und um so gerechtfertigter das Misstrauen der neutralen
Staaten, welche in solchen Vorkehrungen nur die Absicht eines
grofsen Eroberungskriegs erkennen konten. Inzwischen dachte man
daran nicht. Jeder Widerspruch war beseitigt, und es wurde mit
aller Energie zur That geschritten. Stadt und Häfen verwandelten
sich in ein Feldlager, das Volk drängte sich zur Einreihung in die
Kriegerlisten; die Befehle an die Bundesgenossen wurden ausgefertigt.
Aber so muthig und kräftig auch die Athener das grofse Werk
anfassten , es war doch nicht wie in alten Zeiten . wenn die Stadt zu
einem guten Kampfe sich rüstete. Es fehlte der frohe Muth , der die
besonnene That begleitet , die innere Gewissheit und der einmüthige
Bürgersinn. In aufgeregten Versammlungen waren alle Bedenken
übertäubt worden ; bei größerer Ruhe und in kleineren Kreisen tauch-
ten sie immer wieder hervor, und so verbreitete sich in der Bürger-
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632
DIE UfctJNtll l»ES Al.klHiAIiES.
schaft eiue unheimliche Stimmung, welche man nicht bemeistern
konnte, eine peinliche Spannung, in der man ängstlich nach Allem
umschaute und horchte, was ein Vorzeichen für die Zukunft sein
könnte. Nun gedachte man der Webklagen, die gerade während der
letzten Verbandlungen von den Dächern der Häuser erklungen waren,
da die Athenerinnen das Adonisfest begingen. Von Delphi kamen
ernste Warnungen. Sokrates wusste durch die göttliche Stimme, die
sich ihm offenbarte, dass nichts Gutes von dem Zuge zu erwarten sei,
und Meton (S. 281) soll sein Haus angezündet haben, um als Irr-
sinniger selbst vom Kriegsdienste frei zu kommen oder um aus Anlas*
des Brandes seinen Sohn zurück behalten zu dürfen139).
Diese ängstliche und schreckhafte Stimmung der Athener wurde
nun ein Werkzeug in der Hand der Parteien, die im Geheimen ihr
Wrerk trieben, weil ein offener Widerspruch nicht möglich war.
Namentlich waren die Feinde des Alkibiades in rastloser Thätigkeit
Er stand ja nun auf der Höhe seines Einflusses, und wenn es auch
gelungen war, seine Absichten auf den alleinigen Oberbefehl zu hinter-
treiben, so galt er doch als die Seele des Unternehmens ; von seinem
vielseitigen Geiste erwartete man allein das Gelingen, und es war vor-
auszusetzen , dass er mit Hülfe des kriegslustigen Heers ferne von der
Heimalh den Einfluss seiner Mitfeldherm lähmen würde, um so mehr,
da Lamachos eine feurige Natur war, welcher die kühnste Kriegsweise
die liebste war, und aufserdem seiner Dürfligkeil wegen Alkibiades
gegenüber keine ebenbürtige Stellung hatte. Dass aber auf diese Weise
Alkibiades wirklich seine hochfahrenden Pläne ausführen, dass es ihm
gelingen sollte, zu allen seinen Glücksgütern noch den Glanz des Feld-
herrnruhms zu gewinnen, das war seinen Feinden ein unerträglicher
Gedanke, so dass sie entschlossen waren, Alles aufzubieten, um ihn zu
stürzen, ehe er als übermächtiger Sieger in die Heimath zurückkehre.
Zu diesem Zwecke verbanden sich Männer der verschiedensten Parteien
und zettelten nun ein Gewebe von Intriguen au, dessen fein gesponnene
Fäden nur mit Mühe zu erkennen sind140).
Es waren etwa sechs Wochen seit der letzten Volksversammlung
vergangen , und die mit rastlosem Eifer betriebenen Rüstungen näher-
ten sich ihrer Vollendung , als die Stadt plötzlich durch ein unerhörtes
Ereigniss in Schrecken versetzt wurde. Nämlich in einer Nacht
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DER HERME!N'FREVEL (,0>4i MAI «5; 91, 1).
633
wurden die zahlreiclien Marmorhermen, welche einen Tbeil des Markts
einfassten und vor den Bürgerhäusern und Heiligthömern aufgestellt
waren, fast ohne Ausnahme zerschlagen, so dass man am anderen
Morgen die viereckigen Pfeiler mit abgeschlagenem oder zerslümmellem
Kopfe dastehen und die Strafsen mit Trümmern bedeckt sah.
Nächtlicher Unfug, von trunkenen Schaaren verübt, war in Athen
nichts Ungewöhnliches; aber ein Frevel von solcher Ausdehnung war
unerhört; da musste doch eine grofse Anzahl von Einwohnern sich zu-
sainmengelban haben; diese mussten Absichten haben und Pläne ver-
folgen, von denen man keine Vorstellung hatte, und je unerklärlicher
Alles war, um so gröfser war die Spannung und Unruhe der ganzen
Bürgerschaft. Man war entrüstet über die Schändung der Stadt. Denn
so gedankenlos man auch gewöhnlich an den Hermen vorübergehen
mochte, so waren sie doch nicht nur ein vielbewunderter und eigen-
thümlicher Schmuck der Stadl, sondern auch ein Kennzeichen der
öffentlichen Ordnung; es waren Zeugen des gottesdiensüichen Sinnes,
dessen sich Athen seit alten Zeiten rühmte; sie waren schon durch ihre
allerthümliche Form ehrwürdige Denkmäler des durch alle Gene-
ralionen hindurch unveränderten Cultus und Symbole des göttlichen
Schutzes. Aber das war nicht Alles. Viel beunruhigender war der
Gedanke, dass mitten in der Stadt Parteien beständen, welche zu
solchem Frevel sich vereinigten; vor Menschen dieser Art sei nichts
sicher, was im Staate bestehe und durch Gesetz oder Herkommen
geheiligt sei. Umsonst also war es, wenn die Besonneneren ihren Mit-
bürgern zuredeten, sie möchten die Sache doch nicht zu ernst nehmen;
es sei nichts als ein neuer Versuch, durch böse Vorzeichen den Ab-
gang der Flotte zu hintertreiben; vielleicht möchten sogar die Koriniher
dabei die Hand im Spiele haben, um so von ihrer Tochterstadl in
Sicilien die drohende Kriegsnoth abzuwenden.
Der Rath hielt es für seine Pflicht, die Sache in seine Hand zu
nehmen, und da er nun zum Unglücke Athens so unselbständig war,
dass er keine bedeutendere Angelegenheit ohne das Volk verhandeln
konnte, wurde sofort die ganze Bürgerschan in die polizeiliche Unter-
suchung hereingezogen; dadurch erhielten die Parteiführer freien
Spielraum und die lieberhafte Aurregung draug nun in alle Schichten
der Bevölkerung ein.
Der Erste, welcher jetzt in den Vordergrund tritt und sich als
einen Mann kundgiebt, der bestimm le Zwecke verfolgt, ist Peisandros
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634 DIE LNTERSUCHCNGSCOMMISSION.
(S. 624). Er ist bestrebt, die Entdeckung des Frevels im Interesse
des öffentlichen Wohls als eine Staatsangelegenheit darzustellen, hinler
der alles Andere zurücktreten müsse; er veranlasst einen Volks-
bcschluss, welcher eine Prämie von 10,000 Drachmen (7500 M.) für
die erste Anzeige aussetzt. Zugleich wird dem Rathe außerordentliche
Vollmacht gegeben und eine ständige Unlersiichungscommission nieder-
gesetzt. Es folgte aber keine Entdeckung. Unverrichteler Sache
hielten die Commissarien und die Rathsherrn ihre Sitzungen. Dadurch
steigerte sich die Angst; die Luft wurde immer schwüler, die öffent-
liche Stimmung immer peinlicher und 'gespannter, wie es diejenigen
wünschten, welche die aufgeregten Leidenschaften zu ihren Privat-
zwecken ausbeuten wollten. Dies waren aber zum gröfsten Theile
Leute verfassungsfeindlicher Gesinnung, namentlich Peisandros und
Charikles, welche sich jetzt freilich als die wachsamsten Freunde der
Volksherrschaft gebärdeten und die eifrigsten Mitglieder der Unter-
suchungscommission waren. Parteigänger dieser Farbe waren es,
welche sich den Hermenfrevel zu Nutze machten, und deshalb ist es
sehr wahrscheinlich, dass derselbe mittelbar oder unmittelbar von den
oligarchischen Clubbisten ausgegangen ist. Sie konnten daher auch
am Besten dafür sorgen, dass keine Anzeigen an das Volk gelangten
und die Commission nichts herausbrachte; sie haben jedenfalls den
Hermenfrevel am geschicktesten ausgebeutet und endlich im Einver-
ständniss mit den Demagogen, wie Kleonymos und Androkles, die zu
jeder Verbindung bereit waren, wenn es galt, Alkibiades zu stürzen,
und mit den religiösen Fanatikern nach Art des Diopeithes (S. 394),
welche jetzt wieder in den Vordergrund traten, die ganze Sache in ein
neues Stadium zu bringen gewusst.
'Der Hermenfrevel\ sagten sie, 'ist keine einzelne Thatsache; es
'zeigt sich ein grofser Zusammenhang verderblicher Richtungen; die
'Stadt ist voll von Menschen, denen nichts heilig ist; das sind Schäden,
'die nicht übersehen werden dürfen. Also — muss die einzelne Unter-
suchung auf das ganze Gebiet des öffentlichen Gottesdienstes aus-
'gedehnt werden; für jede darauf bezügliche Anzeige muss eine öffent-
liche Belohnung ausgesetzt werden.' Indem dieser Antrag durchging,
wurde die polizeiliche Untersuchung über einen einzelnen Frevel zu
einem umfassenden Tendenzprozesse, der in einer Stadt, wo frivole Auf-
klärung zum guten Ton gehörte, in seiner Ausdehnung gar nicht zu
begränzen war. Nun war jeder Angeberei Thor und Thür geöffnet;
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.NEUE DEM M.IATIONKN fAWAKG JCNP-
635
nun hatte man die Fallstricke in Händen, um Alle, deren Ruf nicht
tadellos war, zum Falle zu bringen.
Wieder vergingen Wochen, ehe etwas von Bedeutung erfolgte.
Fast schien es, als wenn die grofse Angelegenheit des Feldzugs alles
Andere beseitigen werde. Die Flotte lag segelfertig in den Häfen; das
Schiff des Lamachos, der ungeduldig drängte, schon draufsen auf der
Rhede. Alkihiades stand noch in tingemindertem Ansehen, wenn auch
durch die Wühlereien der Clubbisten und Demagogen der Roden unter
seinen Füfsen unsicher geworden war. Er konnte hoffen, noch unan-
gefochten an Bord seines Admiralschiffes zu gelangen; denn schon war
die Volksversammlung anberaumt, in welcher die Berichte der Feld-
herrn über die ganze Ausrüstung entgegengenommen und die letzten
Befehle gegeben werden sollten. Aber gerade diesen Tag hatten seine
Gegner sich ausgesucht, um endlich mit ihren Absichten ofTen hervor-
zutreten, und die militärischen Verhandlungen, für welche die Sitzung
bestimmt war, wurden unerwartet durch einen gewissen Pythonikos
unterbrochen. Er trat auf und warnte seine Mitbürger laut und feier-
lich, sie möchten sich hüten, schweres Unglück auf sich herabzuziehen.
Ihr Feldherr Alkihiades sei ein Frevler. Die eleusinischen Geheim-
dienste habe er im Hause eines wüsten Genossen Pulylion nachgemacht
und so das Heiligste, was der Staat besitze, mit anderen jungen Leuten
lästerlich entweiht. Ein Sklave wurde vorgeführt, welcher den Her-
gang angesehen hatte und die Theilnehmer, darunter Alkihiades,
namentlich anführte. Die Meisten der Angeklagten entflohen vordem Be-
ginne des Prozesses und bestätigten dadurch die Wahrheit der Aussage.
Nun war auf einmal wieder alles Andere vergessen und die ganze
Leidenschaft des Volks den peinlichen Untersuchungen von Neuem
zugewandt. Es folgten Anzeigen auf Anzeigen von Schutzgenossen,
Sklaven und Frauen, meistens auf die Mysterien bezüglich. Güter-
einziehungen und Hinrichtungen gehörten zur Tagesordnung. Leo-
goras, der Vater des Andokides. entging mit Noth der Verurteilung.
Denn auch aus den oligarchischen Kreisen fielen Einzelne als Opfer,
und die eigentlichen Anstifter der ganzen Bewegung waren nicht mehr
im Stande, dieselbe zu beherrschen, seitdem die Leidenschaften ent-
fesselt waren und die Ränke der verschiedensten Parteien sich
kreuzten. Vorzugsweise aber wurde der Kreis des Alkihiades be-
troffen, und er selbst immer deutlicher als derjenige bezeichnet, wel-
cher der Mittelpunkt aller Gottlosigkeit und Ungebühr im Staate wäre.
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636
ANDROKLES GEGEN ALKIBIADES
Sein nächster Anhang wurde eingeschüchtert und seine Person auf alle
Weise verdächtigt. Kr war durch sein Feldherrnamt vor gewöhnlicher
Klage geschützt, und so hielt er sich noch, wenn auch in der raiss-
lichslen Lage; denn er war von lauernden Feinden umringt und doch
ohne einen offenen Gegner, den er bekämpfen konnte, von Netzen
umgarnt, die er nicht zu zerreifsen vermochte. Endlich erfolgte ein
offener Angriff, und zwar von Seiten des Androkles, welcher beim
Rathe in aufserordentl icher Form, wie sie bei Staatsverbrechen an-
wendbar war, die Klage einbrachte, dass Alkibiades der Mysterien-
schändung schuldig sei und dass er an der Spitze einer heimlichen
Verbindung stehe, welche den Umsturz der Verfassung bezwecke. Der
Rath berief die Bürgerschall, um es ihr anheimzustellen, ob die Klage
gegen ihren Feldherrn angenommen werden solle oder nicht.
Der entscheidende Augenblick war gekommen, und Alkibiades
raffte seine ganze Kraft zusammen, um diesen Tag siegreich zu be-
stehen. Er trug nicht auf Abweisung der Klage an, sondern forderte
dringend die strengste Untersuchung, um im Falle seiner Überführung
die volle Strafe zu erleiden ; im anderen Falle wollte er aber unge-
kränkt in Amt und Würde bleiben.
Durch das entschlossene Auftreten des Alkibiades nahm die An-
gelegenheit eine Wendung, welche Androkles und Genossen nicht er-
wartet hatten. Denn nach ihrer Voraussetzung sollte die Bürgerschaft
den Feldherm sofort seines Amts entsetzen; dann wäre die Flotte ab-
gefahren und Alkibiades, aller Unterstützung von Seiten der kriegs-
lustigen Jugend beraubt, den Angriffen seiner Feinde unzweifelhaft er-
legen. Jetzt aber stand es anders. Die Flottenmannschaft harrte
ihres Führers, unter dem allein sie Sieg und Beute zu gewinnen hoffte,
die Hülfstruppen aus dem Peloponnes wollten ohne ihn gar nicht mit-
ziehen; er selbst stand ungebeugt da, um seine Sache zu vertreten,
und konnte, wenn es zur Untersuchung kam, auf eine starke Partei
rechnen. Es blieb nichts übrig, als eine neue List zu versuchen. Es
wurden also einige Volksredner veranlasst, scheinbar im Interesse des
Alkibiades den Vorschlag zu machen, man solle doch, um den Feld-
herrn nicht im entscheidenden Momente in Untersuchungen zu ver-
wickeln, die Sache ruhen lassen; er möge sich nach seiner Rückkehr
zur Verantwortung stellen.
Umsonst beschwor Alkibiades, welcher die Tücke der Gegner
durchschaute, seine Mitbürger, diesem Antrage keine Folge zu geben:
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ANFAHRT DER FLOTTE.
C37
es sei unerhört, einen Feldherrn mit schuldbeladenem Haupte an die
Spitze einer solchen Kriegsmacht zu stellen. Er müsse, vor hinter-
listiger Verleumdung sicher, im vollen Vertrauen seiner Mitbürger
stehen, wenn er frischen Mulhs dem Feinde entgegengehen solle. Die
grofse Menge fasste gar nicht, um was es sich handelte. Alkibiades
sah seine Freunde und seine Feinde gegen sich stimmen und mit
grofser Mehrheit wurde die Vertagung des Prozesses beschlossen141).
Jetzt war das leichlbewegte Volk wieder mit nichts beschäftigt
als mit der Flotte.
Es war Mitte des Sommers (Anfang Juli), und die 100 attischen
Trieren, nämlich 60 Schnellruderer und 40 Soldatenschilfe, lagen
segelfertig da; sollte noch in diesem Jahre etwas geschehen, so durfte
nicht gesäumt werden. So wurde denn der Tag der Abfahrt an-
beraumt und mit der Frühe des Morgens rückten die Truppen zum
Dipylon aus, um sich einzuschiffen. Es war ein auserlesenes Heer,
1500 Bürger in eigener schwerer Rüstung, 700, die auf Staatskosten
gerüstet waren, und ein Reitergeschwader; dazu 500 Argiver und
ebenso viel Man tineer und andere Arkader. Ganz Athen zog mit ihnen
nach dem Hafen hinunter, die Bürger, um den Ihrigen so lange wie
möglich nahe zu bleiben, die Schulzgenossen und Fremden als neu-
gierige Zuschauer eines so ausserordentlichen Schauspiels.
Sechs Jahre und vier Monate waren seit dem Friedenschlusse ver-
gangen, in denen nur unbedeutendere und meist kurze Feldzüge statt-
gefunden hatten. Um so gröfser war die Aufregung bei dem Beginne
dieses gewaltigen Unternehmens, und wenn man auch bei früheren
Gelegenheiten schon gröfsere Flotten im Peiraieus vereinigt gesehen
hatte, so doch bei Weitem keine so glänzende; es war eine Macht, wie
sie noch kein einzelner griechischer Staat zu Stande gebracht halte.
Denn von Seiten des Staats wie der Bürger war Ungewöhnliches ge-
schehen. Es war ja nicht blofs auf Seekämpfe und Landungen, sondern
auch auf Heerzüge, Belagerungen und Eroberungen abgesehen; eine
lange Abwesenheit musste vorausgesetzt werden ; darnach waren die
Vorräthe eingerichtet. Es war, als wenn eine Golonie ausgerüstet
würde, um in Feindesland sich anzusiedeln.
Die reichen Bürger, welche als Trierarchen mitgingen (S. 245),
waren von dem lebhaftesten Wetteifer ergriffen. Jeder wollte, dass
seine Ruderer die geübtesten, seine WafTenrüstungen die stattlichsten,
seine Schiffsgerälhe die vollständigsten sein sollten. Der Staat gab
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ABFAHRT ÜEH FLOTTE iJULI «1«; »1, 1).
jedem Seemanne eine volle Drachme (6 Ggr.) täglichen Sold, ein
Drittel mehr als gewöhnlich ; die Trierarchen spendeten aus eigenen
Mitteln den Thraniten, d. h. Hu de rem der obersten Reihe, welche den
schwersten Dienst hatten, so wie den Hülfsmannschaflen, welche für
Taue, Segel, Küchendienst u. s. w. an Bord jeder Triere waren, noch
besondere Zulage. Die Schiffe waren neu bemalt und mit glück ve r-
heifseuden Wappen geschmückt Man spürte den Einfluss des Alki-
biades, der viel Gewicht darauf legte, dass Athen nicht nur stark,
sondern auch glänzend und prachtvoll vor den Augen aller Griechen
auftrete, als wenn man nicht einem schweren, wechselvollen Kriege,
sondern einem leichten und gewissen Siege entgegen ginge.
Als alle Truppen an Bord waren, ertönte das Signal; nach dem
Lärm, welcher den Hafen erfüllt hatte, trat feierliche Stille ein. Der
Herold erhob seine Stimme und sprach das übliche Gebet vor. Von
allen Schiffen umher hörte mau die Worte einstimmig nachsprechen,
das am Ufer gedrängte Volk stimmte ein, die Rauchaltäre dampften,
die Becher gingen umher, die Trankopfer wurden dargebracht, der
Päan angestimmt, und wie die Opfer vollendet waren, schlugen die
Ruder in's Wasser. In langem Zuge ging ein Schiff nach dem anderen
zum Hafenthore hinaus; draufsen stellten sie sich in eine Linie und
mit einer fröhlichen Wettfahrt nach Aigina wurde der Feldzug eröffnet.
Das Volk blickte von den munichischen Höhen den Schiffen nach, von
der tiefsten Bewegung ergriffen; denn erst jetzt in der Stunde des Ab-
schieds üel ihnen der Kriegsbeschluss, dem sie in aufgeregter Ver-
sammlung so leichtes Muths zugestimmt hatten, in voller Schwere auf
das Herz. Jetzt erst trat ihnen die weite Trennung von den Ihrigen,
die Ungewissheit des Wiedersehens, die Unsicherheit des Erfolgs vor
die Seele. Die stolze Freude wurde durch schwere Gedanken in Weh-
mulh verwandelt. Waren es doch unbekannte Meere und Küsten, in
welche die Ihrigen hinaussteuerten, und wenn sie daran gedachten,
welche Uülfsmitlel Staat und Bürger auf diese Flotte verwandt hatten,
während in der eigenen Heimalh von allen Seiten der Krieg drohte,
so konnten sie nicht anders als mit beklommenem Herzen zu ihrem
Tagewerke zurückkehren.
Inzwischen steuerte die Flotte von Aigina aus um die Halbinsel
herum nach Kerkyra. Hier wartetet! ihrer die bundesgenössischen
Schiffe, 34 Trieren und zwei rhodische Funfzigruderer, welche bei den
Beziehungen zwischen Rhodos und Sicilieu von besonderer Wichtigkeit
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ANKl'.NFT IN GROSS<illlECHE>LASD.
639
waren; dann 30 Lastschiffe, mil Korn beladen und zugleich mit
Bäckern, Zimmerleuten und Handwerkern aller Art besetzt; 100
kleinere Schiffe, welche Privatleuten gehörten und für den Staat
mil Beschlag belegt waren, und eine Menge anderer Fahrzeuge,
von Handelsleuten ausgerüstet, die sich freiwillig anschlössen. Die
Zahl der Schwerbewaffneten betrug jetzt 5100. Mit den kretischen
Bogenschützen, rhodischen Schleuderern und andern leichtbewaffneten
Schaaren, unter denen demokratische Flüchtlinge aus Megara sich be-
fanden, belief sich die gesamte Kriegerzahl auf etwa 6500 Mann. Die
134 Tricreu erforderten zu ihrer Bedienung 25,460 Mann. Mit diesen
also und den Dienern, welche den Kriegern folgten, kann man, ohne
die unberechenbare Mannschaft der Provianlschiffe und die Arbeits-
leute in Anschlag zu bringen, die Gesamtsumme der Leute, welche
Athen gegen Sicilien auf seinen Schiffen vereinigte, auf 36,000 ver-
anschlagen14').
Drei Schiffe gingen zur Auskundschaftung Siciliens voraus; die
Flotte folgte in drei Abtheilungen, welche die Feldherrn unter sich ver-
loost halten. So fuhr man nach Italien hinüber und dann südwärts an
der Küste entlang. Hier waren die ersten Erfahrungen nicht sehr er-
freulich. Denn natürlich wollte man den Führern einer solchen Flotte
nicht glauben, dass es nur auf die Beilegung sicilischer Gränzstreilig-
keiten abgesehen sei. Die Städte waren mit Ausnahme von Thurioi
schwierig, misstrauisch und ungastlich. Tarenl und Lokroi wollten
nicht einmal zum Wasserschöpfen die Matrosen zulassen; mau war wie
in Feindesland und durfte doch keine Gewalt anwenden. Hier zeigte
sich zuerst, wie die Gröfse der Flolte den Erfolg beeinträchtigte.
Rhegion, das bei der ersten Unternehmung nach Sicilien wie ein
altisches Hauptquartier gedieut und die Athener ganz für sich in An-
spruch zu nehmen gesucht hatte, war diesmal sehr zurückhaltend; es
gestattete ihnen nur aufserhalb der Stadl bei dem Artemision ein
Lager aufzuschlagen. Von hier sohlen die neuen Unternehmungen be-
ginnen; hier wurde zuerst über die Kriegführung eingehend verhandelt.
Nikias versuchte noch einmal die ganze Unternehmung auf das
geringste Mafs zurückzuführen. Die Vorspiegelungen der Egestäer
hatten sich, da sie ihr Wort lösen sollten, wie er vorausgesagt, als
durchaus falsch erwiesen; um so mehr solle man sich begnügen, die
Selinunlier zum Frieden zu zwingen, auch zu Gunsten der Leontiner
etwas auszurichten versuchen und dann heimkehren. Seine Vorschläge
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DREI FELDHERRN, DREI KRIEGS PLÄ.NE.
fanden, wie er erwarten mussle, bei beiden Amtsgenossen den leb-
haftesten Widerstand. Aber auch sie waren wieder unter sich uneinig.
Lamacbos verlangte eine rasche Unternehmung gegen Syrakus; denn
hier sei noch Alles in gröfster Verwirrung, da man bis zuletzt an die
wirkliche Annäherung einer attischen Flotte nicht geglaubt habe. Jede
Verzögerung des Angriffs würde den Erfolg zweifelhafter machen ; denn
je länger man warte, um so gerösteter werde man die Stadt, um so
einiger die ganze Insel finden.
Alkibiades konnte schwerlich verkennen, dass dies der beste Plan
sei. Aber ein rascher Erfolg war gar nicht sein Hauptziel. Er wollte
sich auf der Insel festsetzen; er wollte einen solchen Verlauf des Kriegs,
bei welchem er die Hauptrolle spielte; er wollte vor Allem seine Per-
sönlichkeit auch in Sicilien erst zur Gellung bringen, um sich hier
einen Anhang zu verschaffen. Darum benutzte er die Zaghaftigkeit
des Nikias, um einen minder verwegenen Kriegsplan durchzusetzen.
Man solle nämlich durch kluge Unterhandlung die Städte der Insel
für Athen gewinnen, die reichen Hülfsquellen derselben sich eröffnen,
die missvergnügten Parteigänger, Ueberläufer, Sklaven an sich ziehen,
und so gewissermafsen als eine sicilische Macht gegen Syrakus auf-
treten, um dasselbe, von allen Bundesgenossen abgeschnitten, zu Fall
zu bringen.
Alkibiades befand sich jetzt ganz auf seinem Felde. Er führte
einen Theil der Flotte an die Ostküste der Insel, gewann Naxos ohne
Schwierigkeit, erschreckte durch kecke Streifzüge die Syrakusaner in
ihrem eigenen Hafen, besetzte Katane und sicherte so den Athenern
auf der Insel selbst einen wohlgelegenen Standort und Hafen, von wo
sie Syrakus beunruhigen und das übrige Inselgebiet gewinnen konnten.
So war, nachdem die günstigste Gelegenheit eines unvermutheten
Hauptschlags vorüber gegangen war, ein Kriegsplan gefasst, dessen
Gelingen allein auf der Persönlichkeit des Alkibiades beruhte; und es
war nicht zu bezweifeln, dass die wetterwendischen Sikelioten so wohl
wie die eingeborenen Sikuler sich durch geschickte Unterhandlungen
gewinnen lassen würden. Da — landet die Salaminia, das attische
StaalsschifT, an der Küste von Katane und bringt den Befehl, dass Alki-
biades sofort heimkehren solle, um sich in Sachen der Mysterien und
wegen des Hermenfrevels vor dem Volke zu rechtfertigen143).
Athen war nämlich unmittelbar nach Abfahrt des Heers in neue
Unruhen geralhen. Die Parteiführer, die noch immer nicht ihr Ziel
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NEUE UNRUHEN IN ATHEN.
(Ml
erreicht hatten, benutzten die ihnen günstigere Lage der Dinge, die Zeit
der Leere und des unheimlichen Wartens, welche nun eingetreten war.
Jeder Gang auf der Strafse erinnerte an das ungelöste, quälende Rath sei;
zu dem Kitzel der Neugier kam das Bedürft] iss nach Aufregung, welche
dem Volke zur Gewohnheit geworden war. Eine Menge tüchtiger Bürger
war abwesend. Die Parteiführer waren zurückgeblieben; die Unter-
suchungscommission bestand noch und schürte das Feuer der Leiden-
schaft; das Schreckbild der Tyrannis wurde wieder vorgezeigt und die
Erinnerung der Thaten des Hippias erneuert, um die Bürgerschaft nicht
zur Buhe kommen zu lassen.
Das Erste, was dadurch erreicht wurde, war die Umstimmung in
Bezug auf Alkibiades. Seine Feinde fielen über den Abwesenden her
und zwar mit bestem Erfolge, da sein ganzer Anhang auf der Flotte
war. Was von seinen Freunden und Anverwandten zu Hause war,
wurde verfolgt, verhaftet und verurteilt. Bald wurde es ärger, als je
zuvor. Die ehrenhaftesten Bürger erlagen den Anklagen der schlech-
testen Leute. Niemand war seiner Person sicher, auch das Bewusstsein
der Unschuld gab keine Zuversicht. Denn es war eine Stimmung, in
welcher Alles geglaubt wurde und zwar das Widersinnigste am ersten.
In Argos sollten Freunde des Alkibiades sich gegen die Demokratie ver-
schworen haben; das sei ein Vorspiel von dem, was Athen zu erwarten
habe. Lakedämonische Mannschaften zeigten sich am Isthmus: das
musste im Einverständnisse mit den Verschworenen geschehen sein,
und man war fest überzeugt, dass Alkibiades von Sicilien aus darauf
hinarbeite , die Volksherrschaft in Athen zu stürzen. Der Aerger über
die frühere Vergötterung, die man mit ihm getrieben, machte die
jetzige Erbitterung um so mafsloser.
Dann erfolgten massenhafte Angebereien, welche für den Augen-
blick die Aufmerksamkeit von Alkibiades ablenkten. Zuerst (Ende Juli)
die Anzeige des Diokleides, der 42 Athener angab, welche er als Hermen-
frevler beim Mondlichte erkannt haben wollte. Die ganze Aussage
hatte nicht die geringste Gewähr, und dennoch wagte Peisandros, als
wenn das Bestehen des Staats in Frage stehe, die aufserordentlichsten
Mafsregeln vorzuschlagen. Die Bürgerrechte wurden aufgehoben, Fol-
terung auch für freie Athener zugelassen; die ganze Bürgerschaft stand
einen Tag und eine Nacht unter Waffen; man zitterte vor Feinden
innerhalb und aufserhalb der Mauern, ohne dass eine wirkliche Gefahr
nachzuweisen war. Inzwischen wurden Schuldige und Unschuldige
CurtiuB, ür. Ge»ch. II. 6. Aufl. 4]
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642
DIOKLEIDKS DD ANDOKIDES.
eingekerkert, verfassungstreue Männer, wie Eukrales, des Nikias Bruder,
Anhänger des Alkibiades. wie Kritias, des Kallaischros Sohn, und oligar-
chische Parteimänner, wie Leogoras und Andokides. An ein geordnetes
Verfahren war nicht zu denken; blinde Leidenschaft regierte. Es war
eine Justiz, wie in despotischen Staaten, wo jede aufserordentliche
Begebenheit als Anzeichen von Majestätsverbrechen angesehen wird.
Hier war das Volk der argwöhnische Despot, überall Verschwörung und
Hochverrate witternd, und dabei in seinem Unverstände von Mannern
geleilet, welche im Grunde nichts anderes bezweckten, als den Sturz
der Verfassung.
Wie nun den Verhafteten insgesamt das traurigste Ende bevor-
stand, da entschloss sich Andokides eine neue Aussage zu machen, und
man war um so bereitwilliger ihm Straflosigkeit zuzusagen, weil man
von ihm am ehesten die volle Wahrheit zu erfahren hoffte; denn er
hatte von Anfang an für einen der Mitschuldigen gegolten , und der
seltsame Umstand, dass gerade die vor seinem Hause befindliche
Hermensäule, eine durch Schönheit ausgezeichnete, unverletzt geblieben
war, hatte den Verdacht gegen ihn geschärft. Andokides erklärte nun,
der Frevel sei auf Anregung eines gewissen Euphiletos verübt worden,
und zwar durch die Mitglieder einer Verbindung, welcher er selber an-
gehörte. Seine Aussage stand in schroffem Widerspruche gegen die
des Diokleides. Die Aussagen wurden verglichen, und jetzt erst dachte
man daran, dass ja nicht beim Vollmond, sondern beim Neumonde der
Unfug verübt worden sei. Kurz , Diokleides wurde als ein schamloser
und bestochener Lügner erfunden, und nachdem er so eben noch als
ein Retter und Wohlthäter des Staats gefeiert worden war, als Hoch-
verräther hingerichtet.
Nun schien endlich eine Beruhigung einzutreten; die Gefahr war
vorüber, man athmete wieder freier, die wahren Urheber des Hermen-
frevels waren, wie man allgemein glaubte, gefunden und bestraft. Aber
es war nicht genug dabei herausgekommen; man wollte nicht Wort
haben, dass wirklich keine ernstliche Gefahr vorhanden, dass kein
Verfassungssturz beabsichtigt gewesen sei, und dass man sich um den
tollen Streich einer Zechgesellschaft so viel Noth gemacht habe. Nun
wurde die Erregung der Gemüther, welche eines bestimmten Gegen-
standes bedurfte, wieder auf Alkibiades zurückgewendet, obgleich
dieser von Andokides nicht angegeben worden war. Seine Feinde
traten von Neuem zusammen ; Oligarchen und Demagogen vereinigten
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VERLHTEIULNG DES ALKIBIADES.
043
sich mit denen , welche vor Allem für die Staatsreligion eiferten , um
den Hauptschlag auszuführen. Die Mysteriensache wurde wieder auf-
gerührt. In diesem Punkte hatte Alkibiades ohne Zweifel sich ver-
gangen, und dies galt jetzt dem Volke für gleichbedeutend mit tyranni-
schen Absichten. Die Vorfalle in Argos, der Marsch der Spartaner, die
Bewegung der Böolier an den Gränzen von Attika — dies Alles wurde
unter sich in einen ganz widersinnigen Zusammenhang gebracht und
als eine Veranstaltung des Alkibiades angesehen , um seine Vaterstadt
den Feinden zu überantworten. Thessalos, des Kimon Sohn, welcher
zur Partei der Oligarchen gehörte, brachte die Klage vor das Volk, dass
Alkibiades sich mit seinen Genossen durch Nachäffung der Mysterien
gegen die eleusinischen Göttinnen versündigt habe. Indem er den
Hergang so genau schilderte, dass ein Zweifel an der Wahrheit nicht
möglich schien, sich im Uebrigen aber klüglich auf das Thatsächliche
beschränkte und alle weiteren Folgerungen dem Volke überliefs,
erreichte er einen vollständigen Erfolg.
Alkibiades wurde mitten aus dem Unternehmen, das in der jetzt
begonnenen Weise nur von ihm zu Ende geführt werden konnte, ab-
berufen. Er war nicht mächtig genug, um dem Befehle der Bürger-
schaft den Gehorsam zu verweigern; aber er war entschlossen, sich
nicht vor Gericht zu stellen. Als die Salaminia ohne den Angeklagten
nach Athen zurückkam, wurde er abwesend zum Tode verurteilt, seiu
Vermögen eingezogen und der Fluch der Priester über ihn als einen
Hochverräther ausgesprochen.
Das war der erste Sieg, welchen das Parteitreiben in Athen über
den Staat und seine Interessen davon getragen hatte; das Ende eines
Kampfes, welcher die Bürgerschalt Monate lang durchwühlt und alle
zerstörenden Elemente in ihr, Bitterkeit und Leidenschaft, Frechheit
und Heuchelei, abergläubische Angst und frivolen Heber mu Iii in Be-
wegung gesetzt hatte. Es war ein Sieg der Revolution über Gesetz
und Herkommen, und deshalb war die bürgerliche Gesellschaft nicht
blofs in äufserlicher Beziehung durch Verbannungen, Gütereinziehungen
und Blutgerichte auf das Schwerste davon betroffen worden, sondern
die Folgen drangen in das innerste Leben derselben ein; das Gefühl
für Recht und Unrecht war abgestumpft und das sittliche Urteil ge-
trübt. Hatte man doch täglich gesehen, wie die heiligsten Bande zer-
rissen, wie Bürgen im Stiche gelassen und falsche Zeugnisse ohne
Scham abgelegt wurden. Es war dahin gekommen, dass man einen
41*
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644
DAS GESETZ DES SYRAKOSIOS.
Diokleides bekränzt und im Ehrenwagen zum Mahle im Prytaneion
fuhren konnte, obwohl er sich schon vor seiner Entlarvung als einen
Menschen kund gegeben halte, welcher es nur vom Geldgewinn ab-
hängig machte, ob er reden oder schweigen sollte. Gewöhnliche Pro-
zesse genügten nicht mehr, die überreizten Gemüther zu beschäftigen;
mit fieberhafter Spannung folgte man den Wegen einer im Finstern
schleichenden Criminaljustiz und gewöhnte sich daran, zu ihren
Gunsten auf den Genuss der wichtigsten Bürgerrechte zu verzichten.
Anklage schien gleichbedeutend mit Verurteilung. Darum wurden bei
Weitem die meisten Prozesse gegen Abwesende geführt. Das Erbgut
alter Familien ging durch öffentlichen Verkauf in fremde Hände über,
während die vielen Landesflüchtigen dazu dienen mussten, den draufsen
lauernden Feinden die Augen zu öffnen über die Zustände der atti-
schen Gesellschaft. Späterhin wurden freilich die meisten Verbannten
in ihre Güter wieder eingesetzt, aber die alten Schäden wirkten fort,
Misslrauen und Unsicherheit blieben zurück, und zum grofsen Nach-
theile des öffentlichen Vertrauens ist aller Untersuchungen ungeachtet
der Hermenfrevel den Athenern ein ungelöstes Räthsel geblieben14').
Man nahm zu aufserordentlichen Mitteln seine Zuflucht, um end-
lich die Bürger von diesen Dingen abzulenken und namentlich die
Komödiendichter zu zwingen, von ihrer Gewohnheit abzustehen und
die Ereignisse des Sommers nicht auf der Bühne wieder vorzubringen.
Deshalb wurde um die Zeit, da die neuen Lustspiele für die Winter-
und Frühlingsfeste des Dionysos vorbereitet wurden, ein Gesetz durch-
gebracht, welches den Dichtern alle persönlichen Anspielungen auf die
Tageschronik verbot. Der Antragsteller war ein Volksredner, Namens
Syrako8ios. Es konnte Vielen daran liegen, dass der alte Schlamm
nicht immer von Neuem aufgerührt werde, besonders aber denen,
welche sich ihres schlechten Gewissens wegen vor dem Spotte und
Zorne der Dichter am meisten zu fürchten hatten. Darum wird auch
das Gesetz des Syrakosios wohl vorzugsweise von denen ausgegangen
und durchgebracht worden sein, welche durch ihre arglistigen Intri-
guen Alkibiades gestürzt hatten und nach Erreichung ihres Zwecks
nichts mehr wünschten, als dass man nun das Geschehene abgethan
sein lasse.
So konnte man denn auch allen drei Komödien, welche an den
grofsen Dionysien (März 414; 91, 2) zur Aufführung kamen, anmerken,
dass die Freiheit der Bühne beschränkt war, und doch erwuchs aus
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ARISTOPHANES' VOBGEL (91, 2; 414 MÄRZ).
645
dieser Zeit des Zwanges das kühnste und übermüthigste von allen
Erzeugnissen der aristophanischen Muse, als wenn sie jetzt gerade
zeigen wollte, dass die wahre Kunst über alle Beschränkungen zu
triumphiren wisse und dass sie ihre Freiheit als unveraufserliches
Recht in sich selbst trage. Denn die beiden anderen Goncurrenzstücke,
die 'Nachtschwärmer', die unter dem Namen des Ameipsias aufgeführt
wurden, und der 'Einsiedler' des Phrynichos, verriethen den Groll der
Dichter, welche unwillig auf die gewohnte Freiheit verzichteten. Phry-
nichos verwünscht öffentlich den Syrakosios , der ihm den besten Stoff
genommen habe, und der Held seines Stücks ist ein Mensch nach Art
des Timon, welcher damals in Athen eine sehr bekannte Persönlichkeit
war, ein Menschenfeind, den ein tiefer Widerwille gegen die ganze
bürgerliche Gesellschaft erfüllte.
Der Dichtergeist des Aristophanes aber schwang sich in heiterer
Laune über alle Noth der Gegenwart hinaus, und die Athener sahen in
seinen 'Vögeln' eine Stadt sich aufbauen zwischen Himmel und Erde,
ein glückseliges Neu -Athen, den Feinden unerreichbar, harmlos und
sicher, die Welt beherrschend und zugleich die Götter; denn auch
diese müssen die neue Gründung anerkennen, weil ihnen sonst die
Opferdüfte abgesperrt werden. Aber ganz aufser Zusammenhang mit
dem damaligen Athen ist die luftige Wolkenstadt doch keineswegs.
Denn die beiden Athener, welche auswandern, um bei den Vögeln ihr
Glück zu machen, können es ja zu Hause nicht mehr aushalten, in der
sogenannten Stadt der Freiheit, wo kein ehrbarer Bürger vor peinlichen
Untersuchungen sicher ist, wo er auf Markt und Strafse die Häscher
fürchten muss und draufsen an jeder Küste die Salaminia. Auch wird
beim Aufbaue der Vögelstadt ernstliche Fürsorge getroffen, unsauberes
Volk ferne zu halten. Denn was sich von den Leuten eindrängen will,
welche im damaligen Athen am meisten Geschrei machten, Gesetz-
macher, Orakelkrämer, Wahrsager, Denuncianten, Polizeicommissare,
sophistische Windbeutel u. dergl., die werden unbarmherzig ausge-
wiesen, damit sie den Frieden der neuen Stadt nicht stören sollen. So
stellte Aristophanes seinen Mitbürgern eine phantastische Welt in
buntem Schmuck vor Augen, eine Welt voll poetischer Schönheit, die
wohl im Stande war die Herzen wieder einmal zu erheben und zu
erfrischen, die aber zugleich die leichtfertige Natur der Athener in
treuen Spiegelbildern darstellte und die Gebrechen ihrer Gesellschaft
strafend erkennen liefs145).
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64«
FOLGE* DER ABBERUFO'G DES ALKIBIADES.
Auf den Fortgang des Kriegs war die Abberufung des Alkibiades
unmittelbar von dem nachtheiligsten Einflüsse; denn er hatte Gelegen-
heit , sich gleich auf eine sehr empfindliche Weise an den Athenern zu
rächen. Mit scharfem Blicke hatte er nämlich die Wichtigkeit erkannt,
welche die Stadt Nessana (Zankle) ihrer Lage und ihres unvergleich-
lichen Hafens wegen für jeden in gröfserem Mafsstabe geführten
sicilischen Krieg haben musste. Am Sunde von Messana war der
bequemste Standort für die Flotte, welche von hier alle Küstenpunkte
der Insel erreichen , die Zufuhr beherrschen und die Bewegungen in
den benachbarten Städten Italiens beobachten konnte; es war eine
centrale Stellung, wie sie den Plänen des Alkibiades allein entsprach.
Die Bevölkerung war ursprünglich ionisch (S. 527), und auch unter
den dorischen Geschlechtern messenischer Herkunft, welche Anaxilaos
hier angesiedelt hatte, fehlte es wohl nicht an Hinneigung zur Sache
der Athener, zumal da man die Herrschaft von Syrakus aus eigener
Erfahrung zur Genüge kannte. Auch war es schon gelungen, eine
ansehnliche Partei zu gewinnen, und Alles war vorbereitet, um sich
mit Hülfe derselben in Besitz von Stadt und Hafen zu setzen, was einen
unberechenbaren Einfluss auf die weiteren Unternehmungen geübt
haben würde. Jetzt aber war das Erste, was Alkibiades that, dass er
die syrakusanische Partei in Messana von den angeknüpften Unter-
handlungen in Kenntniss setzte; in Folge dessen wurden die Freunde
Athens in Messana getodtet und die kräftigsten Mafs regeln gegen die
Angriffe der Flotte genommen.
Aufserdem aber rief die Entfernung des Alkibiades eine grofse
Missstimmung im Heere hervor. Sie erschütterte das Vertrauen der
Truppen, namentlich der Peloponnesier, welche schon während ihrer
Anwesenheit in Athen einen Einblick in die Zustände des Staats gelhan
hatten, welcher sie nicht ermuthigen konnte. Alles ging nun matter
und schlaffer; es fehlte die belebende Persönlichkeit des Mannes, der
das kecke Selbstbewusstsein und Siegesgefühl, das ihn erfüllte, auch
seiner Umgebung einzuflöfsen wusste. Die Leitung des Ganzen kam
in die Hände eines Feldherrn, von dem man wusste und sich täglich
neu überzeugen konnte, dass er zu der ganzen Sache kein Vertrauen
habe. Der in grofsem Mafsstabe und uicht erfolglos begonnene
Kriegsplan musste aufgegeben werden, und so wurde die kostbare
Zeit von drei Sommermonaten rein verloren. Denn Nikias kehrte im
Wesentlichen zu seinem alten Kriegsplane zurück, indem er möglichst
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NIKIAS VOR SYRAKUS (91, «; 416 NOV.).
G47
vorsichtig zu Werke ging, die ursprüngliche Veranlassung des Kriegs,
weiche ganz gleichgültig geworden war, ängstlich im Auge behielt und
seinem haushälterischen Wesen gemäfs zunächst für Herbeischaffung
von Geldmitteln Sorge trug. Er ging an der Nordküste entlang nach
Egesta. Unterwegs machte man den Versuch Himera zu gewinnen,
das seiner gemischten Bevölkerung wegen Aussicht auf Erfolg dar-
bot; die Athener wurden aber nicht zugelassen und vermochten nur
das Städtchen Hykkara, das mit Egesla verfeindet war, zu nehmen und
die Einwohner als Sklaven zu verkaufen. In Egesla selbst konnte
Nikias nicht mehr als dreifsig Talente aufbringen, und so ging der
Sommer zu Ende. Es war nichts erreicht. Die kleinen Erfolge waren
mit Gewaltsamkeiten begleitet, die nur erbittern konnten; alles Be-
deutendere war misslungen ; zuletzt noch der Angriff auf Hybla am süd-
lichen Aetnafufse.
Dadurch erfolgte eine Umstimmung in den sicilischen Städten,
namentlich in Syrakus, welche sich sehr bald kund gab. Der erste be-
täubende Schrecken vor der feindlichen Armada war überwunden und
bei der den Sikelioten eigenthümlichen Beweglichkeit des Geistes schlug
der Schrecken in Geringschätzung, die Angst in Keckheit und Ueber-
mulh um. Syrakusanische Reiter sprengten bis an die Lagertbore der
Athener und fragten, wie es ihnen in ihrem insellande gefalle, wo sie
sich ja, wie es den Anschein habe, häuslich niederlassen wollten.
Nikias war in der peinlichsten Lage. Er musste etwas unter-
nehmen, um die Waffen Athens zu Ehren zu bringen und der Miss-
stimmung im Heere vorzubeugen; er musste einen Schlag gegen Syra-
kus ausführen, aber er getraute sich nicht hinan, weil die feindliche
Reiterei jede Landung zu einem gefährlichen Wagniss machte. Er nahm
also zu Kriegslisten und Täuschungen seine Zuflucht, welche mehr dem
Charakter des Alkibiades als seiner eigenen Kriegsweise entsprachen.
Sie sollten dazu dienen, dass die Syrakusaner ihrerseits die Feindselig-
keiten begännen.
Ein heimlicher Parteigänger der Athener wusste den Syrakusanern
vorzuspiegeln, dass sie durch einen Angriff mit der gesamten Reilerei
das schlecht bewachte Lager der Athener nehmen könnlen. Die Syra-
kusaner rückten aus; Nikias aber fuhr gleichzeitig bei Nacht in den
grofsen Hafen von Syrakus und stand am anderen Morgen unerwartet
mit seinem Heere im Bezirke des Olympieion (S.556), wo er sich süd-
östlich vom Tempel zwischen dem Sumpfe, der die Kyane umgiebl, und
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618
UMSCHWUNG IN SYRAKUS.
dem Hafen verschanzte, ehe die Reiter wieder zurück waren. Aber wenn
auch die Kriegslist vollkommen glückte, wenn auch der erste Kampf
mit den Syrakusanern für die Athener günstig war und die kriegerische
Ueber legen hei t derselben aufser Zweifel setzte, so wurde doch mit der
ganzen Unternehmung nichts erreicht. Absichtlich versäumte Nikias
die Gelegenheit, sich der Schätze des Olympieion zu bemächtigen,
weil er mehr als alles Andere den Zorn der Götter fürchtete, er wagte
auch nicht bei Annäherung des Winters seine Stellung zu behaupten;
er überzeugte sich nur von Neuem, dass ohne Reiterei und reichlichere
Geldmittel eine Belagerung von Syrakus unmöglich sei. Auch der Ver-
such, Messana noch vor Eintritt des Winters zu gewinnen, misslang,
obgleich daselbst auch nach Hinrichtung der attischen Parteiführer ein
Theil des Volks für die Athener zu den Waffen griff. Dreizehn Tage
lag die Flotte vor der in Bürgerfehden zerrissenen Stadt, und musste
dann, von Sturm und Mangel getrieben, den schönen Hafen un ver-
richteter Sache wieder verlassen , um sich halbwegs zwischen Kataiie
und Messana bei der Stadt Naxos (I, 428) ein notdürftiges Winter-
lager einzurichten146).
Der misslungene Angriff auf Messana hatte für Syrakus die Bedeu-
tung eines Siegs. Aber auch die Schlacht, welche die Syrakusaner vor
ihrer eigenen Stadt bestanden hatten, brachte ihnen, obgleich sie be-
siegt waren, mehr Vortheil als Nachtheil. Denn die Kriegslist, welche
Nikias angewendet hatte, war ihnen ein Eingeständniss seiner Schwäche.
Auch hatten sie bei dieser Gelegenheit ihre eigenen Schwächen kennen
gelernt und waren nun, nachdem sie einmal den Feind vor ihren
Thoren gesehen hatten, wachsamer, einmüthiger, thätiger und vor
Allem zugänglicher für den Rath derer, welche durch Einsicht und
Erfahrung allein im Stande waren , in gefahrvollen Zeiten die Führer
der Gemeinde zu sein.
So war denn wieder die Zeit für Hermokrates gekommen (S. 575).
Er hatte schon um die Milte des Sommers Alles, was kommen würde,
vorhergesagt und darauf gedrungen, dass man sich zu Lande und zur
See rüste, dass man auswärtige Bündnisse, selbst mit Karthago suche
und die Staaten Siemens von Neuem zu gemeinsamer Kriegführung
vereinige. Er hatte sogar als den besten Rath den empfohlen, dass
man mit allen Schiffen den Athenern bis zum iapygischen Vorgebirge
entgegenziehe, um ihnen hier den Eintritt in die sicilischen Gewässer
zu verwehren und so wo möglich den ganzen Krieg mit aller seiner
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WIRKSAMKEIT DES HERMOKRATES (Ol. S; 41^). 649
Noth abzuwenden. Dagegen hatte sich Alhenagoras, der Führer der
Volkspartei, erhoben. Denn die Parteien standen sich auch hier so
gegenüber, dass Alles, was von der einen Seite ausging, darum schon
von der andern bekämpft wurde. Herrn okrates hatte nichts beantragt,
was die politischen Gegensätze berührte, und dennoch griffen ihn
seine Gegner auf das Heftigste an und behaupteten, das sei nur einer
von den gewöhnlichen Ränken der Vornehmen und Reichen, welche
durch unwahre oder übertriebene Meldungen das Volk aufregten, um
dadurch ihrem ungeduldigen Ehrgeize Gelegenheit zu verschaffen, hohe
Aemter und außerordentliche Vollmachten zu erlangen.
Als nun aber der Gang der Ereignisse die demokratischen Partei-
führer eben so vollständig widerlegte und beschämte, wie er die Vor-
aussagungen des Hermokrates bestätigte, als der unmittelbare AngrifT
des Nikias die Notwendigkeit einer festen Staatsleitung deutlich
zeigte, da erkannten die Syrakusaner wieder den Werth ihres grofsen
Mitbürgers, der in gewöhnlichen Zeiten von lärmenden Demagogen
zurückgedrängt und verlästert wurde, aber immer an das Steuerruder
treten musste, wenn ein Ungewitter aufzog. Er war der einzige
Mann in der volkreichen Stadt; ein Staatsmann, der die Stärken und
Schwächen Athens genau kannte, ein tapferer und einsichtiger Feld-
herr, ein Mann des Vertrauens bei den anderen Städten. Ohne Her-
mokrates würde Syrakus ganz dein Bilde entsprochen haben, welches
Alkibiades der attischen Volksversammlung von den in sich uneinigen
und haltlosen Städten Siethens entworfen hatte. Hermokrates war
von jeher der gefährlichste Feind, den die Athener auf der Insel hatten.
Als Friedensstifter in Gela hatte er ihrer Politik schon einmal eine
Niederlage beigebracht; er war ihnen in Wort und That gewachsen,
und dadurch überlegen, dass er eine gute Sache vertrat und mit dem
Muthe eines reinen Gewissens handelte.
Von ihm gingen die wichtigsten Reformen im Heerwesen aus.
Denn da die demokratische Richtung dahin geführt hatte, dass ein
Collegium von fünfzehn Kriegsobersten eingerichtet worden war, setzte
er es durch, dass man die Zahl auf drei beschränkte und diesen
gröfsere Amtsgewalt übertrug. Ihnen wurde die Aufgabe gestellt, die
Bürgerschaft während der Wintermonate tüchtig zu machen , so dass
sie an Bewaffnung, Mannszucht und Uebung.den Athenern gewachsen
wäre, während das Volk sich eidlich verpflichtete, die Feldherrn nach
ihrer besten Einsicht ungehindert schalten zu lassen, damit ihre Be-
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650
WIRKSAMKEIT DES HERMOKRATES 0», 2; 4l»rfl.
schlösse, wo es darauf ankäme, rasch und in Verschwiegenheit aus-
geführt werden könnten. So wurde hier, wie in Athen, die gesteigerte
Feldherrngewalt ein Gegenmittel gegen die Lebelstände demokratischer
Verfassung, und Hermokrates. welcher mit Herakleides und Sikanos
zum Feldhauptmann erwählt wurde, nahm nun eine Stellung ein, welche
mit der des Perikles zu Anfang des archidamischen Kriegs verglichen
werden kann.
Unter seiner Leitung wurde vor Allem die Befestigung der Stadt
erweitert und vervollständigt. Syrakus war damals eine Dreistadt, die
Insel, Achradina und Tyche (S. 530); südlich von Tyche lag um den
Apollontempel die offene Vorstadt Temenites. Diese wurde nun in die
städtische Befestigung hereingezogen, indem die Südseite derselben
längs des Randes der Hochebene befestigt und die Westseite durch die
Verlängerung der Mauer von Tyche gesichert wurde. Jetzt war durch
eine Mauer die ganze bewohnte Hochebene gegen aufsen abgeschlossen
und dadurch dem Feinde die Annäherung an die inneren Stadttheile
wesentlich erschwert. Zum Schutze der Seeküste wurden zwei Kastelle
als Vorwerke errichtet, das eine am äufseren Meere bei Megara, das
andere beim Olytnpieion am Rande des grofsen Hafens, ein befestigter
Standort der Reiterei, welche von hier die Niederung am Anapos be-
herrschen sollte. Alle Landungsstellen in der Nähe der Stadt wurden
durch eingerammte Pfahle unzugänglich gemacht147).
Dann gingen Gesandte nach dem Peloponnes, um Korinth und
durch die Koriniher Sparta zu thätiger Hülfe zu veranlassen. Man
hoffte es erreichen zu können, dass Sparta sich entschlösse, dem faulen
Waffenstillstand ein Ende zu machen und durch Erneuerung des offe-
nen Kriegs die Athener zu zwingen, ihr Heer von Syrakus zurückzu-
ziehen oder sie wenigstens zu verhindern, Verstärkungen nachzu-
schicken. Endlich suchte man in Sicilien der Ausbreitung des attischen
Einflusses entgegenzuwirken, und Hermokrates selbst übernahm die
schwierigste Aufgabe dieser Art, nämlich die Gesandtschaft nach der
Nachbarstadt Kamarina, welche die Athener mit Berufung auf ein
älteres Bündniss aus der Zeit des Laches (S. 573) auf ihre Seite
ziehen wollten.
Zwei der begabtesten Redner rangen mit einander um die Stim-
mung der Bürgerschaft, welche sich auf einmal in die Mitte des Conflikts
gestellt sah , der die griechische Welt bewegte. Auf der einen Seite
die warnende, scharfe Rede des sicilischen Patrioten, auf der anderen
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VERHANDLUNGEN IN KAMARINA.
651
das beruhigende, lockende Zureden des Euphemos, den die Athener
abgesandt hatten. Hermokrates enthüllte das System schrankenloser
Herrschsucht, welches die attische Flotte nach Sicilien gebracht habe,
und erklärte es für Hochverrath, wenn unter diesen Umständen eine
Inselstadt neutral bleibe; er wies auf die peloponnesische Hülfe hin,
welche den Ereignissen bald eine andere Wendung geben werde.
Euphemos stellte es als eine Thorheit dar, wenn man den Athenern
die Absicht zutraue, in dem weit entlegenen Insellande eine dauernde
Herrschaft einrichten zu wollen. Sie dürften nur nicht zugeben, dnss
sich daselbst eine ihnen feindliche Macht unaufhaltsam ausbreite. Von
Syrakus hätten auch die Kamarinäer am meisten zu besorgen, nicht
von dem fernen Athen. In ihrer nächsten Umgebung müssten die
Athener unterthänige und entwaffnete Bundesgenossen haben, in Sici-
lien möglichst starke und selbständige. Darum möchten die Kamarinäer
sich wohl besinnen, ehe sie eine Gelegenheit zur Sicherung ihrer Selb-
ständigkeit von der Hand wiesen, wie sie sich nicht so leicht zum
zweiten Male darbiete.
Hermokrates erreichte wenigstens so viel, dass die Stadt, welche
von allen am meisten Grund hatte, gegen Syrakus misstrauisch zu sein
(S. 530), sich den Athenern nicht anschloss. Auch Gela und Akragas
blieben neutral.
So benutzte man die Wintermonate. Syrakus wurde jetzt erst
eine widerstandsfähige Stadt, während die Athener unthätig im Lager
safsen und nichts vorwärts brachten, als dass sie im Innern der Insel
durch Unterhandlung und Gewalt ihren Anhang verstärkten und bei
ihren älteren Bundesgenossen Alles, was zu einer grofsen Belagerung
an Material nölhig war, bei Zeiten bestellten. Sie blickten aber auch
weiter aus. Sie scheuten sich nicht selbst nach Karthago und zu
den Tyrrhenern Gesandte zu schicken, um Bundeshülfe zu gewinnen,
und so brach mit dem Frühling 91, 2 (414), als Hermokrates und
seine Mitfeldherm den Oberbefehl angetreten hatten, das neue Kriegs-
jahr an, unter grösserer und allgemeinerer Spannung der Gemüther
als irgend ein früheres. Denn von allen Küsten des Mittelmeers blickten
die griechischen Staaten so wohl wie die benachbarten Barbaren mit
unverwandter Aufmerksamkeit nach dem Kriegsschauplatze an der sici-
lischen Ostküste. Alle waren näher oder ferner bei dem Ausgange des
gewaltigen Kampfes betheiligt, welcher sich nun vorbereitete.
Inzwischen war im attischen Lager die Ungeduld aufs Höchste
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VERSTÄRKUNG DER ATHENER (91. «; AU FRÜUJAUR).
gestiegen. Man wusste, dass sich die Widerstandsfähigkeit der Syra-
kusaner von Tage zu Tage steigerte, und musste sich doch bis zur An-
kunft der versprochenen Verstärkungen damit begnügen, Streifzöge in
die syrakusanischen Felder zu machen und am Fufee des Aetna das
kleine Gebiet, das man gewonnen hatte, abzurunden und zu sichern;
auch dies gelang den Athenern nur in sehr unvollkommener Weise,
denn von den Bergschlössern, welche ihnen drohend über den Häuptern
lagen, konnten sie Hybla und Inessa auch nach mehrfachen Angriffen
nicht zwingen und gewannen nur Kentoripai14*).
Endüch kamen aus Athen die 250 Reiter, die in Sicilien beritten
gemacht wurden, eine Schwadron Bogenschützen zu Pferde und 300
Silberlalente für die Kriegskasse. Da man die Reiterei mit Hülfe der
Bundesgenossen bis auf 650 Mann bringen konnte, so brach man nun
gegen Anfang des Sommers mit der ganzen Heeresmacht gegen Syra-
kus auf. Es war ein Glück, dass man jetzt wenigstens bestimmt
wusste, was man wollte; von verschiedenen Kriegsplänen konnte nicht
mehr die Rede sein. Es kam darauf an, mit Aufbielen aller Kräfte
Syrakus rasch zum Falle zu bringen, und so war Lamachos mit seiner
ungestümen Tapferkeit neben Nikias ganz auf seinem Platze.
Die Feldherrn waren durch ihre Verbindungen in Syrakus mit
Allem, was dort geschehen und nicht geschehen war, genau bekannt;
sie kannten die Schwächen der Stadtlage, welche bei allen Vorzügen
den grofsen Nachtheil hatte, dass sie ungemein weitläuftig und schwer
zu übersehen war. Die anwachsende Bevölkerung hatte sich allmäh-
lich, weil eine andere Erweiterung der Stadt nicht möglich war, auf die
Bergterrasse hinaufgezogen, welche sich als einförmige Hochfläche so
weit gegen Westen erstreckt, dass ein natürlicher Abschluss des Stadt-
gebiets, wie ihn die Griechen sonst überall herzustellen suchten, hier
nicht vorhanden war. Der ganze Theil der Hochfläche, welcher außer-
halb der Stadt blieb, hiefs Epipolai; es war der westliche, spitz zu-
laufende Theil der dreieckigen Bergterrasse, welche sich von Achradina
her keilförmig in's Land hereinzieht, und die Spitze dieses grofsen
Dreiecks, welche eigentlich den Schlusspunkt der städtischen Um-
mauerung hätte bilden müssen, war Euryalos. Die Syrakusaner ver-
kannten die Gefahr nicht, welche für sie enstehen musste, wenn diese
Oertlichkeiten mit ihren die Stadt überragenden Höhepunkten und den
städtischen Wasserkanälen in feindliche Gewalt geriethen ; von hier war
ja schon früher die innere Stadt bezwungen worden (S. 560). Da es
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EINNAHME VON EPIPOLAI (91. 9; 414 JUNI).
653
aber unmöglich war, die Befestigungen bis Euryalos auszudehnen, so
begnügte man sich die Zugänge möglichst ungangbar zu machen und
hatte aufserdem für jeden Angriff auf Epipolai leichtbewaffnete
Truppen in Bereitschaft, um die bedrohten Punkte zu vertheidigen.
Unbegreiflicher Weise scheinen aber die Syrakusaner nur an eine Ge-
fahrdung von der Hafenseite her gedacht zu haben, während doch die
Höhen von Epipolai auf der anderen Seite dem Strande noch näher
lagen, und dazu kam, dass das Meer hier eine sichelförmige Bucht
bildet, welche zwar gegen Osten offen liegt, aber von Norden durch
eine felsige Halbinsel, Thapsos genannt, geschützt wird.
Es war daher ein glücklicher Gedanke der attischen Feldherrn,
diese Bucht zur Basis ihrer Operationen zu machen.
Unerwartet landen sie hier, setzen in der Mitte der Bucht unweit
Leon Mannschaft aus, lassen diese im Sturmschritt die Gipfel von Epi-
polai erklimmen, welche in geradem Abstände nur 2000 Schritt ent-
fernt waren, und bemächtigen sich derselben, während die zur
Deckung dieser Höhen bestimmte Mannschaft der Syrakusaner unter
Befehl des Diomilos. eines andrischen Flüchtlings, beim Anapos unter
Waffen steht. Sie eilt, so wie das Geschehene bekannt wird, unver-
züglich zu Hülfe herbei, kommt aber, da sie über eine halbe Stunde
bergauf zu laufen hat, athemlos und ungeordnet oben an, so dass sie mit
grofsem Verluste zurückgeworfen wird. Die Athener bleiben Herren
der Höhe; sie ummauern Labdalon, einen Platz am nördlichen Rande
von Epipolai oberhalb Leon, wo man die Buchten von Thapsos und
Megara übersehen konnte; in Labdalon schlagen sie ihr Hauptquartier
auf; sie richten gleichzeitig bei der Halbinsel Thapsos, deren schmalen
Isthmus sie gegen das Land absperren, für ihre Flotte ein festes Lager
ein und bahnen den Weg, der in kürzester Linie den Strand mit der
Höhe verbindet.
Nachdem sie sich oben einen unangreifbaren Platz gesichert und
das weite Gebiet von Epipolai gewonnen hatten, von dessen hervor-
ragenden Punkten sie die ganze dreieckige Terrasse, Stadt und Vor-
städte, nach beiden Meerseiten überblicken konnten, gingen sie ohne
Verzug an die Einschliefsung selbst. Zu dem Zwecke erbauten sie
südlich von Labdalon in der Mitte der Bergterrasse, d. h. vom Nord-
und Südrande derselben, also auch vom grofsen Hafen und der
Thapsosbucht gleich weit entfernt, auf einem Platze, der von seinen
Feigenbäumen Syke hiefs, ein kreisförmiges Kastell mit bedeutenden
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654
>OTH DfclX SVKAKLSA>KK.
Aufsenwerken, um einen der Stadt näheren Waffenplalz zu haben,
welcher zugleich der Mittelpunkt der Einschliefcungswerke sein sollte.
Hier hatten die Athener Gelegenheit, ihre Rüstigkeit und Gewandtheil
in glänzender Weise zu bewähren. Die Festung wuchs aus dem Boden
auf, so dass die Syrakusaner von Staunen und Bestürzung ergriffen
wurden; ihre Angriffe wurden sämtlich zurückgescldagen undv ehe sie
sich dessen versahen, war auch die erste Schenkelmauer schon im Bau,
welche von dem Rundkastelle aus gegen Nordosten gerichtet war, quer
über den Rücken von Epipolai, um in dieser Richtung das äufsere Meer
zu erreichen. Sie wurde gleicbzeilg von beiden Endpunkten in Angriff
genommen, indem einerseits die Besatzung von Epipolai, andererseits
die Schiffsmannschaft daran arbeiteten.
Die Syrakusaner ändern nun ihren Kriegsplan. Sie geben den
offenen Kampf auf, bei dem die Feinde durch ihre Stellung und
liebung zu sehr im Vortheile waren, und bescbliefsen auch von ihrer
Seite Mauern zu bauen, um die Einschliefsungslinien der Athener zu
kreuzen und so die Vollendung des Einschlusses zu verhindern. Sie
hauen also in der Vorstadt Temeniles die Oelbäume ab und bauen,
indem sie den Athenern ihre Geschicklichkeit abzulernen suchen, einen
Mauergang in die Lücken der feindlichen Schanzwerke hinein. Die
Athener lassen sie ruhig herankommen, und zerstören dann mit über-
legener Geschicklichkeit die mühsam aufgerichteten Gegenwerke.
Nachdem auf dieser Seite alle Schwierigkeiten überwunden und
alle Gefahren beseitigt waren, schien es ralhsam, noch vor V ollendung
der einen Schenkelmauer die zweite in Angriff zu nehmen, welche vor
dem Central kästelte gegen Süden gebaut werden musste, um hier den
Rand des grofsen Hafens zu erreichen. Dies war das bei weitem
schwierigere Werk, weil man hier den Angriffen der Städter mehr
ausgesetzt war und erst auf felsigem Abhänge, dann aber durch tiefen
Sumpfboden zu bauen hatte. Ehe die Athener mit ihren Arbeilen
hieher gekommen waren, hatten die Syrakusaner schon mit Gräben
und Schanzen die Einschlusslinie gekreuzt Die Athener aber lassen
nun ihre Flotte aus dem äufseren Meere um Achradina und Ortygia
herum in den Hafen einfahren, um sie in der Nähe zu haben, unter-
nehmen dann, indem sie sich mit breiten Holzbohlen und Thürflügeln
über den Morast Bahn machen , auf das feindliche Gegenwerk einen
Angriff, zerstören dasselbe und bleiben auch hier der verzweifelten
Tapferkeit der Syrakusaner ungeachtet in allen Kämpfen Sieger. Ob-
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ALKIBIADES' FLUCHTREIS EM. 655
gleich Lamachos in diesen Gefechten fiel und Nikias selbst krank im
Rundkastelle zurückbleiben musste, waren die Erfolge der Athener
dennoch so vollständig, dass die Vollendung der Einschließung ge-
sichert schien und damit der bevorstehende Fall von Syrakus; denn
auch auswärtige Hülfe, wenn sie noch eintreffen sollte, musste dann
wirkungslos sein.
Das Gerücht von diesem Stande der Dinge durchzog Sicilien und
Italien. Lebensmittel und Zuzug kamen den Athenern in reichlicherem
Mafse ; selbst von den Tyrrhenern, die an dem Sturze der alten Feindin
ihren Anlheil haben wollten, kamen dreiTunfzigruderer und sliefsen
zur attischen Flotte. In Syrakus war dagegen Muthlosigkeit ein-
getreten; alle Versuche, den völligen Einschluss zu hindern, wurden
aufgegeben; Mangel machte sich fühlbar. Die Wasserleitungen waren
zum grofsen Theil in den Händen der Athener, welche sie für sich
benutzten und das zur Stadt hinabfließende Trinkwasser ablenkten.
Entbehrungen zu ertragen, war die syrakusanische Bevölkerung nicht
geeignet; man fing an, ungestraft von Uebergabe zu sprechen und mit
Nikias Unterhandlungen anzuknüpfen. Die Demokraten benutzten die
Lage der Dinge, um Hermokrates zu stürzen; neue Feldherrn wurden
ernannt, und so beraubte man sich in der Noth noch der letzten Stütze,
welche man hatte. Unmulh, Misstrauen, Verzweiflung nahmen über-
hand in der Stadt; ihr Verhängniss schien unvermeidlich149).
Da zeigte sich in der letzten Stunde, als Hermokrates schon
zurückgetreten war und alle inneren Hülfsquellen versiegten, uner-
wartete Hülfe von aufsen. Eine neue Wendung der Verhältnisse trat
ein, und zwar auf Veranlassung des Alkibiades.
Die Mannschaft der Salaminia (S. G40) , welche ihn abgerufen,
hatte Befehl, ihn möglichst zu schonen, um keine Erbitterung unter
den Truppen hervorzurufen. Er sollte, um nicht als Gefangener zu er-
scheinen, auf seinem eigenen Schiffe folgen. Dadurch war es ihm nahe
genug gelegt, überhaupt nicht zu folgen. Und das war vielleicht auch
die Absicht seiner Feinde. Sie hatten in ihrer Leidenschaftlichkeit den
ganzen Boden des Staats unterminirt, unbekümmert darum, wie viel
Unheil Schuldigen und Unschuldigen daraus erwachse, wenn nur der
verhasste Demagoge aus dem Wege geräumt werde. Sie erreichten
dies Ziel am sichersten, wenn er gar nicht heimkehrte, denn jedes
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656 ALKIBIADES AUF DER FLUCHT.
Auareten desselben konnte unberechenbare Wirkungen haben. So
erklären sich die Instruktionen der Salaminia, welche ohne Zweifel von
dem Collegium der Untersuchungsrichter unter Peisandros' Einfluss
abgefasst waren.
Alkibiades hatte seinerseits keine Lust, sein Leben in Athen aufs
Spiel zu setzen. Ein reines Gewissen hatte er nicht, sein Anhang
fehlte ihm. Sein Entschluss war also bald gefasst. Er wollte sich
rächen für die tückische Bosheit seiner Feinde, die ihn in allem Bösen
weit übertrafen, er wollte den verächtlichen Wankelmuth des grofsen
Haufens zuchtigen und dabei die Ueberlegenheit seiner Person be-
währen; man sollte sehen, dass der Sieg ihm folge, wohin er sich
wende. Dies war auch, wie es schien, der einzige Weg, um endlich in
der Vaterstadt selbst seine letzten Zwecke zu erreichen. Athen sollte
erfahren, wie furchtbar er als Feind sei, um dann in bitterer und
selbstverschuldeter Noth um so völliger sich ihm in die Arme zu
werfen. So begann er sein fürchterliches Werk, indem er nur seine
persönlichen Interessen im Auge hatte und nicht darum sorgte, ob
seine Vaterstadt darüber zu Grunde gehe und ob die Wunden, die
er ihr zufüge, heilbar wären oder nicht. Er traute sich die Macht
zu, das Schicksal der griechischen Staaten von seiner Person ab-
hängig zu machen150).
Alkibiades ging von Thurioi, wo er sich der Mannschaft der Sala-
minia entzogen hatte, nach dem Peloponnes und verweilte in Elis und
in Argos. Hier erhielt er die Nachricht, dass er in Athen zum Tode
verurteilt sei. Heimathlos, geächtet, aller seiner Güter beraubt, und,
wie einst Themistokles, von attischen Sendboten verfolgt, die seine
Auslieferung verlangten, beschloss er zu den Feinden seiner Vaterstadt
überzugehen, bei denen er am ehesten persönliche Sicherheit und Ge-
legenheit zur Rache zu finden hoffen konnte. Nachdem er sich also
vermöge seiner alten gastfreundschafllichen Beziehungen zu Sparta
(S. 592) freies Geleit erwirkt hatte, langte er daselbst während des
Winters an, um dieselbe Zeit, als der Seezug der Athener die pelopon-
nesischen Staaten in die gröfste Aufregung versetzt hatte, als die Ge-
sandten der Syrakusaner von Korinth ankamen und, von den Korin-
thern eifrig unterstützt, thatkräftige Hülfe verlangten. Sparta stand
also, wie vor achtzehn Jahren, vor dem Ausbruche eines Kriegs, jetzt
wie damals von seinen Bundesgenossen gedrängt und eben so un-
schlüssig und rathlos, wie damals. Die Behörden des Staats lähmte die
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ALKIBIADES IN SPARTA (»1, Ä; 414 WINTER).
657
alte Unlust weit aussehende Unternehmungen zu beginnen; sie wollten
es bei leeren Gesandtschaften bewenden lassen.
Da war Alkibiades an seiner Stelle, um die Spartaner aus ihrer
Trägheit aufzurütteln, ihre Leidenschaft zu entzünden, ihre Thatkraft
zu entfesseln. Mit der bewunderungswürdigen Elasticitat seines Geistes
hatte er bald Alles überwunden, was ihm hinderlich war, um in Sparta
Einfluss zu erlangen. Er schmeichelte dem Volke wie den einzelnen
dort angesehenen Personen; er huldigte den Grundsätzen Spartas und
schmiegte sich den dortigen Lebensgewohnheiten an. Wie Themi-
stokles bei den Persern, so berief sich Alkibiades bei den Lakedämo-
niern auf die Dienste, die er ihnen in Athen geleistet habe, namentlich
in Betreff der pylischen Gefangenen. Er habe es seinerseits an nichts
fehlen lassen, um die alte Gastfreundschaft zwischen seinem Hause
und den Spartanern zu erneuern, Sparta aber habe ihm durch Bevor-
zugung des Nikias eine kränkende Geringschätzung bewiesen und ihn
sich so zum Feinde gemacht. Was aber seine demokratische Gesin-
nung betreffe, so habe er sich nur den Grundsätzen angeschlossen,
welche einmal in Athen die verfassungsmäfsigen wären; wie wenig er
im Grunde von denselben halle, brauche er nicht erst zu sagen; auch
sei er dem Unwesen des Pöbelregiments immer nach Kräften entgegen-
getreten. So wusste er seine politischen Grundsätze wie sein früheres
Benehmen den Spartanern gegenüber zu rechtfertigen; sie staunten
seine wunderbaren Gaben an, sie hielten eine Versöhnung zwischen
ihm und seiner Vaterstadt für unmöglich und schenkten ihm so viel
Vertrauen, dass er in der Volksversammlung, welche über den Erfolg
der syraku8anisch-korinthischen Gesandtschaft entscheiden sollte, als
öffentlicher Redner und Rathgeber des Staats auftreten durfte.
Nun enthüllte er alle Pläne der Kriegspartei, wie er sie in Athen
selbst auf jede Weise befürwortet hatte. Nicht Syrakus sei das eigent-
liche Ziel des jetzigen Kriegszuges, sondern Sparta. Der drohende Fall
von Syrakus sei also, so fern das Kriegslheater auch sei, eine unmittel-
bare Gefahr für Sparta. Darum dürfe man nicht säumen, einerseits
nach Sicilien Mannschaft zu entsenden und namentlich einen erprobten
Kriegsobersten, welcher im Stande sei, den Widerstand der Belagerer
zu organisiren. andererseits aber Athen unmittelbar anzugreifen, um
die Macht des feindlichen Staats im eigenen Lande zu erschüttern, und
dazu wisse er ihnen keinen besseren Rathschlag zu geben, als einen
befestigten Waffenplatz in Anika zu errichten. Schliefslich empfahl er
Curtiua, Gr. Ge»cb. II. 6. Auä. 42
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65$
AUSSEN DU >G DES GYLIPPOS (MAI 414; 91.«).
sich seihst zu jedem noch so gefahrvollen Dienste, zu dem ihn die take-
dümonier gehrauchen wollten. Dass Keiner mehr als er die Fähigkeit
nahe, den Athenern zu schaden, sei wohl nicht zu bestreiten; aher auch
an seinem guten Willen sollten sie nicht zweifein, ich liebte', sagte er
ohne Scheu heraus, 'meine Vaterstadt, so lange ich dort ungefährdet
'als Börger leben und wirken konnte; die Bosheit meiner Feinde dort
'hat alle Bande zerrissen und meine Liebe zum heimischen Boden kann
'ich jetzt nur in der Weise bethätigen, dass ich das verlorene Vaterland
'auf jede Weise wieder gewinne.' Eine Aeufserung, welche die Spartaner
nur so verstehen konnten, dass er kein anderes Ziel habe, als mit ihnen
Athen zu bezwingen.
Der nächste Erfolg dieser Bede war, dass der tüchtigste Feldherr,
welchen man seit Brasidas' Tode in Sparta hatte. Gylippos, der Sohn
des Kleandridas, ausersehen wurde, den Belagerten Hülfe zu bringen.
Die Wahl konnte nicht glücklicher sein. Es war einer von den Spar-
tanern alten Schlags, die das Gefühl hatten, dass ein Mann ihres Gleichen
mehr werth sei, als ein ganzes Heer, zum Befehlen geboren und siegs-
bewusst, zugleich ein Mann, der mit der Zeit fortgeschritten war, rührig,
unternehmend und gewandt; auch mit den überseeischen Verhältnissen
wohl bekannt, da sein Vater in Thurioi als Verbannter gelebt hatte.
Gylippos beorderte die fertigen Trieren der Korinther nach Asine
(S. 478. I, 204); Ende Mai ging er mit vier Schiffen in See; im Juni
war er bei Leukas, um hier die korinthische Flotte zu erwarten. Die
Aussichten waren schlecht. Denn je näher er dem Kriegsschau platze
kam, um so mehr häuften sich die Nachrichten von dem unrettbaren
Zustande der Syrakusaner. Schon glaubte man Sicilien ganz aufgeben
zu müssen; nur Italien wollte man zu retten suchen, und zu dem
Zwecke beschloss Gylippos mit seinen vier Schiffen voranzugehen.
Er landete in Tarent, und suchte dann seine Verbindungen mit
Thurioi zu benutzen, um die Stadt den Athenern abwendig zu machen
und in Italien eine Macht gegen Athen zu Stande zu bringen. Die Thu-
riaten aber blieben den Athenern treu und schickten ihnen sogar eilige
Botschaft von der Ankunft des peloponnesischen Geschwaders. Gylippos
selbst aber wurde durch einen Sturm nach Tarent zurückgeworfen und
musste dort Wochen lang auf die Wiederherstellung seiner Schiire
warten.
So kläglich begann die ganze Unternehmung. Aher bald änderte
sich Alles. Denn die Athener, welche sich als unbedingte Herren der
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GYLIPPOS IPt SYRAKUS (»1. S; 414 JULI). 659
See fühlten, hatten nichts gethan, um die Zugänge zum sicilischen
Meere zu hüten, und nun zeigte sich der Nachtheil davon, dass die Stadt
Messana, der Schlüssel des sicilischen Sundes, worauf Alkibiades von
Anfang an sein Augenmerk gerichtet hatte, nicht in attische Gewalt
gebracht worden war (S. 646). Nikias schickte freilich auf die Bot-
schaft der Thuriaten vier Trieren nach Rhegion, aber zu spät. Denn
Gylippos halte in Lokroi die ersten genaueren Nachrichten über Syrakus
erhalten, und so wie er in Erfahrung gebracht hatte, dass die Ein-
schliefsung der Stadt noch nicht vollständig ausgeführt sei, änderte er
seine Beschlüsse, fuhr, da er den Sund von Messana ofTen fand, an der
Nordküste entlang, landete unbehindert in Himera, und so wie er seinen
Fufs auf sicilischen Boden setzte, nahm der Verlauf des ganzen Kriegs
eine neue Wendung
Gylippos hatte nur 700 Krieger bei sich. Aber die kleine Macht
welche an der italischen Küste mit leichter Mühe hätte vernichtet wer-
den können, wuchs nun rasch an, indem er aus Gela, Selinus und dem
Innern der Insel mehr als 2000 schwer- und leichtbewaffnete Krieger
zusammenbrachte und Reiterei herbeischaffte. So erschien er unver-
muthet im Rücken der belagerten Stadt, welche schon durch den
Korinther Gongylos von der nahenden Hülfe in Kenntniss gesetzt war
und deshalb, mit frischem Muthe beseelt, alle Unterhandlungen abge-
brochen hatte. Während die Athener das letzte Ende der südlichen
Einschliefsungsmauer am Hafen fertig bauten, rückte Gylippos über die
Höhen von Epipolai durch die Lücke der nördlichen Mauer ungehindert
in Syrakus ein, wo ihm bereitwillig alle Hülfsmittel und Streitkräfte zu
Gebote gestellt wurden.
Die Athener verliefsen sich noch immer auf ihre fast vollendeten
Einschliefsungsmauern und hofften vielleicht gar, dass die größere
Truppenmenge in Syrakus nur dazu dienen werde, den Nothstand der
Belagerten zu erhöhen. Aber bald merkten sie mit Erschrecken, welch
ein Geist jetzt in der Stadt herrsche. Auf einmal rückte wieder ein
Heer in Schlachtordnung gegen ihre Linien vor, und nachdem noch vor
wenig Wochen Gesandte wegen Uebergabe der Stadt in's Lager gekom-
men waren, kam jetzt ein Herold, der einen Waffenstillstand anbot
wenn die Athener binnen 5 Tagen mit Heer und Flotte aus Sicilien ab-
ziehen wollten. So suchte Gylippos die Verzagtheit der Bürger in Sieges-
muth zu verwandeln. Die Kriegsparteien tauschten ihre Rollen aus.
Die Athener wurden in die Vertheidigung gedrängt, während die Syra-
42*
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600
GYLIPPOS 15 SYRAKUS (»1, 3; 414 JULI).
kusaner durch unablässige Angriffe den weiteren Gang der Kämpfe be-
stimmten.
Gleich die erste Unternehmung des Gylippos war von entscheiden-
der Bedeutung. Er rückte von Tyche aus und zog unter dem Nordrande
der Bergterrasse bis an den Fufs des Labdalon, das, wie wir sahen, hart
am Rande lag. So gelang es ihm, von den Athenern unbemerkt hinan-
zukommen. Dann stürmte er plötzlich hinauf und erstieg die Ver-
schanzung; die Besatzung wurde niedergemacht, und der Platz, mit
dessen Befestigung die Athener ihre Belagerung so glücklich begonnen
hatten, war in den Händen der Syrakusaner; sie hatten jetzt neben den
Athenern festen Fufs auf Epipolai.
Durch die Ueberrumpelung von Labdalon wurde das Nächste, was
zu thun war, wesentlich erleichtert; nämlich der Bau einer Quermauer
über den Rücken von Epipolai, nach Euryalos zu, um die Vollendung
der Einschliefsungsmauer zu verhindern, welche die Athener mitten im
Werke verlassen hatten, weil sie die südliche zuerst fertig machen
wollten (S. 654); das Material lag schon an den Baustellen. Hier war
jetzt der Brennpunkt des Kampfes; das Terrain, auf dem man die Quer-
mauer führen wollte, musste erobert werden. Im ersten Handgemenge
wird Gylippos zurückgeschlagen. Um dadurch den Muth der Truppen
nicht erschüttern zu lassen, erklärt er das Misslingen als eine Folge
seiner mangelhaften Führung; Reiterei und Bogenschützen hätten
zwischen den Mauerwerken ihre Stärke nicht entwickeln können. Er
erneuert den Angriff auf einem freieren Terrain ; die Athener werden
geschlagen, sie räumen das Feld und die Quermauer der Belagerten
wird noch in derselben Nacht über die Linie der Athener hinausgeführt.
Dadurch war die Einschliefsung der Stadt, welche bis auf eine kurze
Strecke vollendet war, ein für allemal unmöglich geworden. Die Athener
waren jetzt auf das Rundkastell und die von dort zum Hafen reichende
Doppelmauer beschränkt. Sie waren schon jetzt mehr die Belagerten
als die Belagerer; sie hatten im Landkampfe keine Zuversicht mehr,
und Nikias musste neue Mafsregeln ergreifen, welche schon mehr auf
Rettung hinzielten, als auf Sieg. Er wandte sein Augenmerk vorzugs-
weise auf die Flotte.
Die attischen Schiffe hatten bis jetzt im innersten Theile des
grofsen Hafens gelegen, wo die Doppelmauer den Strand erreichte.
Dieser Standort halte den Nachtheil, dass die Schiffe nicht schnell ge-
nug bei der Hand waren, wenn es vor dem Hafen etwas zu thun gab.
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DIE ATHENER AUF PLEMMYRION.
661
Darauf kam es aber nun um so mehr an, da zwölf korinthische Trieren
trotz der ausgesendeten attischen Wachtschiffe glucklich eingelaufen
waren. Ihre Mannschaften hatten schon auf das Wirksamste hei den
Mauerbauten auf Epipolai geholfen, welche nach dem umsichtigen Plane
des Gylippos so angelegt waren, dass die Athener durch eine lange Be-
festigungslinie von dem nördlichen Theile der Hochfläche gänzlich ab-
geschnitten wurden. Es war vorauszusehen, dass nach Vollendung die-
ser Werke und vollständiger Sicherung der Landseite der Hafen selbst
der Kampfplatz werden müsse. Nikias wollte also vor Allem Herr des
Eingangs sein und deshalb beschloss er das felsige Vorgebirge Plem-
myrion, das Ortygia gerade gegenüber lag und von Süden die Einfahrt
beherrschte, zu befestigen. Hierher verlegte er die Hauptmagazine und
den gröfseren Theil der Flotte; von hier konnte er die Landungsplätze
von Syrakus blokiren und stand selbst mit dem offenen Meere in sicherer
Verbindung. Aber dies neue Hauptquartier hatte wesentliche Nach theile,
namentlich den des Wassermangels, welcher die Mannschaft nöthigle,
weite Wege zu machen, um ihren Bedarf herbeizuholen, und sich dabei
der feindlichen Reiterei auszusetzen. Dieser Umstand wurde auch zum
Ueberlaufen benutzt; denn es war unter den Seeleuten gepresstes Volk,
welches die Gelegenheit wahrnahm, sich dem Zwange zu entziehen.
Viele waren auch nur als Abenteurer mitgegangen, um im fernen Lande
ihr Glück zu machen, und hatten, als die Unternehmung eine ernste
Wendung nahm, wenig Lust, Mühseligkeit und Gefahr zu erdulden.
Am unzuverlässigsten aber waren die in Sicilien geworbenen Leute159).
So geschah es, dass die Streitkräfte der Athener in bedenklicher
Weise abnahmen, während ihren Feinden von allen Seiten neue Mann-
schaft zuströmte. Denn Gylippos selbst hatte, so wie er in Syrakus ent-
behrt werden konnte, die Inselstädte bereist und mit Ausnahme der
schwachen Bundesorte Athens ganz Sicilien zu gemeinsamer Rüstung
vereinigt Auch auf Bildung einer sicilischen Flotte nahm man Bedacht,
für welche das peloponnesische Geschwader den Stamm bildete. Es
waren frisch ausgerüstete Trieren mit kriegslustiger Mannschaft, wäh-
rend die attischen Schiffe, welche nicht auf das Land gezogen werden
konnten, anfingen zu faulen und leck zu werden; zur Ausbesserung des
Schadhaften fehlte es an den nöthigen Räumlichkeiten; die Kriegszucht
war schlafT geworden, weil die Schiffe meist unthätig im Hafen gelegen
hatten. Auch war es, wie die Sachen jetzt standen, von Seiten der
Athener unmöglich, etwas zu unternehmen, um die Lage zu ändern
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002
MKIAS' ÜBLE LAGE (91, S; 414 HERBST).
und neuen Kriegsmuth hervorzurufen. Denn man brauchte so viel
Mannschaft, um die weitläufigen und nun zum Theil ganz unnützen
Verschanzungen zu besetzen, dass keine Truppen da waren, um einen
Schlag gegen die Syrakusaner und ihre Werke auszuführen. Dabei war
man durch die feindliche Reiterei, welche die attischen Lager um-
schwärmte, an jeder freien Bewegung gehindert und unaufhörlich be-
unruhigt, und endlich, was das Bedenklichste war, man sah von Plem-
myrion aus, wie die Schifle vor Ortygia unablässig beschäftigt waren,
sich zu üben und zum Kampfe vorzubereiten.
Die Lage wurde also mit jedem Tage bedenklicher, und Nikias
war es, auf welchem die ganze Verantwortlichkeit ruhte, er, der un-
tauglicher war, als irgend ein Anderer, um den Muth der Seinen auf-
zurichten, da er selbst Alles so schwarz wie möglich ansah; von Natur
unfähig, einem kecken und unermüdlichen Gegner, der alle Vorlheile
des Angriffs hatte, die Spitze zu bieten, aufserdem beunruhigt von dem
Bewusstsein\ dass nicht ohne seine Schuld die Lage so schlimm ge-
worden sei, und endlich noch durch eine schmerzhafte Nierenkrauk-
heit gepeinigt, welche ihm zeitweise die Führung des Oberbefehls ganz
unmöglich machte. Unter diesen Umständen hätte er für seine Person
gewiss am liebsten so bald wie möglich die ganze Belagerung aufge-
geben, aber er wagte nicht, die Verantwortlichkeit eines solchen Schritts
auf sich zu nehmen; er hatte nicht die nölhige Entschlossenheit und
Selbstverläugnung, um ohne Rücksicht auf sich das zu thun, was nach
seinem Ermessen die Verhältnisse forderten. Es blieb ihm also nichts
übrig, als mit voller Aufrichtigkeit die Lage der Dinge nach Athen zu
melden und der Bürgerschaft anheimzugeben, entweder die Flotte
zurückzurufen oder eine neue Macht auszurüsten, so grofs wie die
erste, um den Krieg wieder wie von vorne anzufangen. Auf jeden Fall
aber solle man ihn seines Feldherrnamts entbinden, welches eine frische
und gesunde Kraft verlange. Er setzte dies in einem eigenbändigen
und ausführlichen Schreiben auseinander, damit nicht etwa die Abge-
ordneten, aus Scheu, so Unwillkommnes zu berichten, das Schlimmste
milderten oder verschwiegen.
Der Brief kam um die Mitte des Winters in Athen an, seine Wir-
kung war aber eine ganz andere, als die, welche Nikias beabsichtigt
hatte. Denn so erschütternd auch der Eindruck war, als die trübe
Bolschaft in der Bürgerschaft verlesen wurde, man war doch einig,
den Krieg nicht aufzugeben. Auch wurde, so viel bekannt, kein Un-
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.NEUE RÜSTUNGEN.
wille gegen den Feldherrn laut, so wenig man auch verkennen konnte,
dass sein Benehmen nicht tadelfrei war. Das Vertrauen zu seiner
Person war unerschüttert, und man ging auf seine Wünsche nur so
weit ein, dass man ihm zwei Mitfeldherrn, Menandros und Euthydemos,
an die Seile stellte. Die Bürger bewährten eine Gesinnung, wie sie
der gröfsten Zeilen Athens würdig war, eine Entschlossenheit, alle
Opfer zu bringen, um nur keine Schande auf Athen kommen zu lassen
und den lauernden Feinden keinen Triumph zu gönnen.
Es war ein inhaltschwerer Winter, der dem neunzehnten Kriegs-
jahre voranging. Alle Kräfte, die in den griechischen Staaten noch
vorhanden waren, wurden auf beiden Seiten in Bewegung gesetzt. Der
sicilische Krieg wurde mit steigender Hitze fortgeführt, der einheimi-
sche Krieg loderte wieder auf. Die Zeit war gekommen, wo beide zu
einem Brande sich vereinigten, welcher alles griechische Land, Mutter-
land und Colonien, Osten und Westen zugleich ergriff, so dass alle
früheren Kämpfe nur als ein Vorspiel dieses Kriegs erschienen. Denn
je mehr nun zu Lande und zur See alle Mittel aufgeboten wurden, um
so deutlicher fühlte man, dass es jetzt nicht wieder zu einem faulen
Frieden kommen könne, dass es sich jetzt um eine letzte Entscheidung
handele. Im ganzen Peloponnes wurde Aushebung gehalten, um Athen
zu Hause und in Sicilien anzugreifen, in Korinth eine neue Flotte aus-
gerüstet. Von Athen gingen zehn Kriegsschiffe mit Geld und Truppen
unter Eurymedon unverzüglich nach Syrakus, um das dortige Heer zu
ermuthigen, während Demosthenes den Auftrag erhielt, für das Früh-
jahr die umfassendsten Rüstungen zu machen, und zwar nicht allein
gegen Syrakus, sondern es wurde eine besondere Flotte von zwanzig
Schiffen für Naupaktos bestimmt, um den Korinthern den Weg nach
Sicilien zu verlegen, und eine zweite Flotte von dreifsig Schiffen sollte
den Krieg an den pelopounesischen Küsten wieder eröffnen.
In denselben Wintermonaten war aber auch Gylippos nicht un-
thälig gewesen; er halte, so wie er die Athener zur Fortführung des
Kampfes entschlossen sah, Alles versucht, um Nikias vor Ankunft des
neuen Heers zu vernichten, und wenig fehlte, so wäre Demosthenes
zu spät gekommen.
Wie der sicilische Krieg in so vielen Punkten eine Wiederholung
früherer Kriegslagen darbietet, so war es auch jetzt mit der Stellung
der beiden Heere zu einander der Fall. Syrakus war die siegreiche
Landmacht, die Athener die Seemacht, welche den Hafen und die offene
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EROBERUNG VON PLEMMYIUOX (91. 8; «14 JÜL1).
See beherrschte. Es konnte also zu keiner Entscheidung kommen,
wenn die Syrakusaner nicht den Muth fassten, ihren Feinden zu Wasser
entgegenzutreten. Um hiezu die Bürger zu ermulhigen, war Hermo-
krates, der neben Gylippos wieder zu seinem alten Ansehen gekommen
war, vor Allen thätig. Er zeigte ihnen, wie die Athener selbst durch
den Drang der Noth aus einem Landvolke zu einem Seevolke geworden
wären; so müssten auch sie jetzt, selbst auf die Gefahr hin, zuerst
Verluste zu erleiden den Athenern zu Wasser die Spitze bieten und
sich ihr Meer zurückerobern. Korinthische Seeleute waren die Lehr-
meister, und die Syrakusaner selbst halten noch aus der Zeit der
Tyrannen seemännische Fertigkeit so wie mancherlei bauliche Ein-
richtungen, welche ihnen jetzt zu Gute kamen. Denn wahrscheinlich
hatte schon Gelon aufser dem grofsen Hafen auch die an der äufseren
Seite des Isthmus von Ortygia gelegene kleine Bucht mit benutzt und
auch hier Arsenal und Werften angelegt.
Die kleine Bucht ist von Natur nicht sehr brauchbar, sie ist
seicht und gegen Osten offen; aber ein Doppelhafen mit verschiedenen
Eingängen war für jede Seestadt ein unschätzbarer Vorzug, und jetzt
gewährte der kleine Hafen besonderen Nutzen, weil er im Schutze der
Stadt lag und der Aufmerksamkeit der Athener mehr entzogen war.
Aufserdem wurde aber auch in dem grofsen Hafen gebaut und geübt,
und so konnten die Syrakusaner noch vor Ankunft des Demosthenes
den offenen Seekampf gegen die Athener beginnen. Fünf und dreifsig
Schiffe brachen eines Morgens aus dem grofsen, fünf und vierzig aus
dem kleinen Hafen hervor, um sich zu einem gemeinsamen Angriffe
auf Plemmyrion zu vereinigen. Die Athener freuten sich endlich Ge-
legenheit zum offenen Kampfe zu haben und schlugen die überlegene
Zahl der feindlichen Schiffe im Kanäle mit grofsem Vorth eile zurück.
Gylippos aber hatte von diesem Seekampfe seine Pläne keineswegs ab-
hängig gemacht; derselbe bildete nur einen Theil seines Angriffs. Er
selbst hatte sich in der Nacht zuvor mit einer Schaar um das Lager
der Athener am Anapos herumgeschlichen und sich vom Olympieion
her dem attischen Schiffslager genähert In denselben Frühstunden
nun, in welchen die unerwartete Seeschlacht, wie er voraussetzen
konnte, die Aufmerksamkeil der Besatzung von Plemmyrion völlig in
Anspruch nahm, erstieg er die Schanzen von der Landseite, und das
Schiffslager fiel mit bedeutenden Geld- und Kriegsvorräthen den Syra-
kusanern in die Hände.
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NEUE RÜSTUNGEN DER SYRAKUSAIS' ER
66:>
Damit war der Krieg in ein neues Stadium getreten. Der See-
sieg war zu einer Niederlage geworden. Die attische Flotte musste
wieder zu ihrem allen Standorte im innersten Theile des grofsen
Hafens zurückkehren , und da die Mündung desselben in den Händen
der Feinde war, so musslen ihre Schifle sich durchschleichen oder
durchschlagen, um in das freie Meer zu kommen. Die Syrakusaner
dagegen fühlten sich nun als Herren ihres Hafens; ihr Selbstgefühl
wuchs, nachdem sie sich einmal, wenn auch ohne günstigen Erfolg,
mit den feindlichen Schiffen gemessen hatten. Sie machten im äufseren
Meere kecke Streifzüge, fingen attische Transportschiffe auf, zerstörten
attische Vorräthe an den Küsten von Italien; auch das äufeere Meer
gehörte nicht mehr den Athenern.
Gylippos liefs es nie dazu kommen, dass man sich bei den er-
rungenen Vortheilen beruhigte. Jede Erfahrung wurde benutzt, um
wirksamere Angriffs weisen auszusinnen; jeder Sieg rasch in die Um-
lande verkündigt, um die noch unthäligen Städte zur Theilnahme an
der bevorstehenden Siegesbeute anzureizen. Von Akragas, von Gela
und selbst von Kamarina kam Zuzug. Ein Theil desselben wurde frei-
lich durch einen wohlgelungenen Ueberfall von Seiten der attischen
Bundesgenossen in Sicilien vernichtet und dadurch der Todesstofs,
der gegen die Macht des Nikias vorbereitet wurde, verzögert und ge-
lähmt. Aber dennoch kam es noch vor Ankunft der neuen Flotte zu
einem Seekampfe, zu dem man sich durch eine neue Einrichtung der
Schiffe gerüstet halte. Der korinthische Steuermann Ariston nämlich
hatte eine Neuerung eingeführt, welche in Korinth bei den letzten
Hüstungen angewendet worden war, und die hier ganz besonders am
Orte zu sein schien, um im engen Hafenwasser, wo den Athenern keine
Gelegenheit gegeben war, ihre taktische Beweglichkeit zu entwickeln,
die sicilischen Schiffe stärker und gefährlicher zu machen. Er ver-
kürzte nämlich die Vordertheile der Schiffe, machte sie fester und
schwerer und versah sie rechts und links mit vorragenden Balken-
köpfen von grofser Dicke, welche in dem Schiffsrumpfe einen starken
Widerhalt hatten. Dadurch war man im Stande, gerade auf die feind-
lichen Schiffe losgehn und die schwächeren Wände derselben durch
blofses Aufstofsen zertrümmern zu können.
Nikias war mit gutem Grunde dagegen, eine Seeschlacht anzu-
nehmen; aber seine neuen Amtsgenossen (S. 663) zeigten einen sehr
unzeitigen Ehrgeiz; sie waren begierig, vor Ankunft des Demosthenes
666 ZWEITE SEESCHLACHT (91, 8; 413 JULI). DEMOSTHENES' ANKUNFT.
etwas Rühmliches auszuführen, und so kam es, dass die Athener unter
den ungunstigsten Umständen aus ihrem Schiffslager vorgingen und
unmittelbar vor demselben eine vollständige Niederlage erlitten. Nun
war der Siegesmulh auf der einen , die Hoffnungslosigkeit auf der
anderen Seite vollständig, denn es bedurfte jetzt nur eines zweiten An-
griffs, um den Kest der altischen Macht zu vernichten158).
Da zeigte sich eine grofse Flotte vor der Mündung des Hafeus.
Es war Demosthenes mit 73 neuen Trieren , 5000 schwerbewaffneten
Kriegern und einer grofsen Anzahl leichler Truppen jeder Art; denn
er hatte in Akarnanien so wie an der italischen Küste in Rhegion und
bei den Japygiern seine Mannschaft bedeutend verstärkt und er war
ja als Führer leichtbewaffneter Schaaren mit Recht besonders berühmt
Mit stolzer Pracht und hellem Flötenschalle zogen die Schiffe, ohne
Widersland zu finden, in den Hafen ein. Der Eindruck war unbe-
schreiblich. Die Syrakusaner, von Schrecken gelähmt, erbebten vor
der Macht einer Stadt, welche, in der eigenen Heimath angegriffen,
immer neue Flotten aussenden könne und den furchtbaren Krieg
immer wieder mit frischer Kraft beginne. Die Athener hatten wieder
die Uebermacht zu 'Lande und zu Wasser; sie halten wieder einen
kühnen Feldherrn und neuen Siegesmulh.
Demosthenes setzte sich schnell in Keunlniss der ganzen Sach-
lage. Er überschätzte die Gunst der Verhältnisse nicht ; er fand das
Heer krank, die Niederung, wo das Hauptquartier war, ungesund; die
nasse Herbstzeit rückte heran. Also verlangte er, dass man den Augen-
blick rasch benutzte. Die Athener, meinte er, müssten so schnell wie
möglich zum Angriffe übergehen und aus Belagerlen wieder zu Belage-
rern werden oder, wenn dies misslänge, den Unglückshafen verlassen.
Nikias war dagegen. Seine Muthlosigkeit war zum Eigensinne geworden,
seine Angst vor allen Wagnissen überwog jede vernünftige Erwägung.
Er berief sich auf seine Verbindung mit attischen Parteigängern in
Syrakus; die Stadt sei an Geld erschöpft, Gylippos verhasst; man solle
nur abwarten, so würde man von feindlicher Seite Unterhandlungen
beginnen. Es waren vielleicht nur tauschende Vorspiegelungen, welche
solche Erwartungen in ihm nährten.
Demosthenes' Plan wurde im Feldherrnrathe durchgesetzt. Er
selbst war durchaus der Mann, um mit Muth und Geistesgegenwart
den Handstreich auszuführen, welcher die Athener wieder in den Besitz
der Höhen von Epipolai setzen sollte, von wo sie vor anderthalb Jahren
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DEMOSTHENES STÜRMT EPIPOLAI (413 ACQ ).
607
das Belagerungswerk begonnen hatten. Er führte Abends seine Truppen
vom Anapos die unwegsamen Abhänge hinan, überfiel unvermerkt die
oberste der syrakusanischen Festungen, tödtete die Besatzung und
begann schon die Gegenmauer, welche Gylippos über die Höhen geführt
hatte, abzubrechen. Die Athener waren wieder die Herren auf dem
Gipfel im Rücken der Stadt, sie hielten Alles für gelungen, sie eilten rast-
los vorwärts, um ihre Vortheile möglichst auszubeuten, — da rückteu
ihnen die alarmirten Truppen aus den städtischen Verschanzungen ent-
gegen, und es entspann sich auf dem wüsten Rücken von Epipolai ein
blutiger Nachtkampf, welcher durch die festgeschlossenen Reihen der
syrakusanischen Hülfsvölker, namentlich der Böotier, für die ermüdeten
und des Lokals unkundigen Athener nach und nach eine ungünstige
Wendung nahm. Verwirrung riss ein; sie wurde durch die dorischen
Siegesgesänge der eigenen Bundesgenossen, der Kerkyräer und Argiver,
gesteigert; die Athener glaubten sich im Rücken angegriffen, und aus
dem Knäuel eines blutigen Handgemenges stürzten sich endlich die
Truppen des Demosthenes in wilder Flucht die steilen Abhänge hin-
unter, welche sie heraufgeklommen waren, und erreichten nach schwerem
Verluste, grofsentheils ohne WafTen und in kläglichem Zustande, das
Lager, wo Nikias auf den Ausgang der Unternehmung wartete.
Demosthenes halte das Seine gethan, um das Unternehmen der
Athener wieder in eine vorteilhafte Lage zu bringen. Sein Angriff auf
Epipolai war zweckmäfsig angelegt, geschickt und tapfer ausgeführt,
aber nach kurzem Erfolg ohne seine Schuld vollständig misslungen.
Denselben Versuch mit besserem Glücke zu wiederholen war unmög-
lich; eine andere Weise, Syrakus wieder in Belagerungszustand zu ver-
setzen, konnte Keiner ausfindig machen. Also war Demosthenes, der
von Anfang an mit voller Klarheit geurteilt hatte, keinen Augenblick
zweifelhaft, was die Pflicht der Feldherrn sei, die hier im fernen Lande
nach bestem Ermessen für die Vaterstadt und ihr Heer zu sorgen
hätten. Man musste dasselbe fortführen, so lange man noch volle Frei-
heit der Bewegung halte und ein Gleichgewicht der Streitkräfte vor-
handen war. Jetzt war der Rückzug noch ohne Gefahr und auch ohne
Schande. Denn er hatte nicht das Ansehen einer Flucht, sondern das
einer verständigen Abänderung des Kriegsplans, wie die Umstände sie
geboten. Die sicilische Unternehmung war damit noch gar nicht auf-
gegeben; denn man konnte von Katane aus bessere Gelegenheit finden,
den Syrakusanern Schaden zuzufügen, als in ihrem eigenen Hafen. In
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6«8
HEMUSTHENE8 WILL DEN RICKZUG.
KaLane oder bei Thapsos konnten dann mit voller Freiheit weitere Ent-
schlüsse gefassl und die Befehle der Bürgerschaft eingeholt werden.
Nur aus dem Hafen solle man heraus, lieber heute als morgen.
Es lässt sich kaum begreifen, wie dieser Ansicht vernünftige
Gründe entgegengestellt werden konnten. Eurymedon, der mit Demo-
sthenes gekommen war, stimmte bei; aber — Nikias war dagegen.
Nikias war ein Mann, der immer nach Grundsätzen handelte, und der,
weil er kein Selbstvertrauen hatte und zu freien Entschlüssen unfähig
war, wenigstens möglichst correkt handeln wollte. Wenn er also
darauf drang zu bleiben, so war es nicht etwa ein höherer Muth, der
ihn beseelte, sondern Aengstlichkeit und Furcht war es, Furcht vor
dem Volke. Es war ihm in der seichten Ecke des Hafens, in der Nähe
des Fiebersumpfes und der drängenden Feinde, denen gegenüber man
gar keinen Kampfplatz mehr hatte, immer noch wohler, als wenn er
sich in Gedanken der tobenden Volksversammlung gegenüber sah, vor
welcher er sich verantworten sollte, dass er ohne Befehl die Belagerung
aufgehoben habe. In Syrakus fühlte er sich auf seinem Posten ; hier
konnte er einfach seine Pflicht thun, wenn sie auch noch so schwer
war; in Athen musste er Anklagen wegen Verrath und Bestechung so
wie die ungerechteste Beurteilung des Feldzugs erwarten; er sah den
ganzen Unrouth über das Misslingen der Unternehmung auf die
Häupter der Führer sich entladen, und er fühlte wohl, wer am meisten
zu verantworten habe. Er machte gellend, dass die Kriegsmittel der
Feinde erschöpft wären und die Hülfstruppen wegen Mangel an Löh-
nung bald aus einander gehen würden, er berief sich nach wie vor auf
heimliches Einverständniss mit einer Partei in Syrakus, wodurch er
sich selbst täuschte oder täuschen liefe. Die beiden Mitfeldherrn,
welche ihm schon früher zugeordnet waren, stimmten ihm bei, und
der Abzug unterblieb. In Gnsterm Unmuth fügten sich Demosthenes
und Eurymedon.
Ganze Wochen unwiederbringlicher Zeit gingen vorüber. Nikias
empfing und entsendete heimliche Botschaften; sonst geschah nichts;
der Muth sank mehr und mehr, immer trübere Stimmung lagerte sich
über Führer und Heer, die Sumpffieber griffen um sich. Da meldeten
die Kundschafter von neuen Truppenzügen. Gylippos hatte die Pelo-
ponnesier, die im Frühjahre von Cap Tainaron nach Libyen ver-
schlagen waren und auf Schiffen der Kyrenäer in Sicilien landeten, in
Selinus in Empfang genommen und führte seine alten Kampfgenossen
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BESCHLUSS DES ABZUGS (91, 4; 413 AUG. 27).
609
nach Syrakus hinein, um mit ihnen den entscheidenden Sieg zu er-
fechten. Es war Ende August. Nun musste endlich auch Nikias nach-
geben; die letzte Stunde war gekommen.
In Eile und aller Stille werden die Mafs regeln getroffen; die Flotte
wird in Katane gemeldet und zugleich die Zufuhr von dort abbestellt.
In der Nacht des 27sten, einer Vollmondsnacht, soll aufgebrochen
werden. Auf allen Schiffen werden unter ängstlicher Spannung der
Gemütber die letzten Vorbereitungen getroffen ; da wird es nach 9 Uhr
dunkel am Himmel; der Mond verfinstert sich. Jäher Schrecken ver-
breitet sich auf der ganzen Flotte. In diesem Augenblicke eine solche
Naturerscheinung — das schien ein Wahrzeichen der Götter, dessen
Missachtung ein Frevel wäre, und da war Keiner, der wie Perikles es
in solchen Fällen gethan hatte (S. 208), die abergläubische Menge mit
starkem Geiste zu beruhigen und aufzurichten wusste. Auch hatte der
Feldherm Keiner so viel Geistesgegenwart und Klugheit, um aus der
Zeichenlehre selbst dem Volke nachzuweisen, dass für solche Unter-
nehmungen, welche im Geheimen von Statten gehen sollen, die Ver-
finsterung der Gestirne ein günstiges und forderliches Wahrzeichen sei.
Die ganze Sache, welche über das Leben vieler Tausende und das Heil
von Athen entscheiden sollte, kam in die Hände elender Zeichendeuter,
die handwerksmäfsig ihr Gewerbe trieben. Denn das Unglück wollte,
dass Stilbides vor Kurzem gestorben war, der tüchtigste aus dieser
Zunft, der seinen Einfluss auf Nikias nicht selten benutzt hatte, ihn
von gemeinem Aberglauben frei zu machen. Die jetzt vorhandenen
Meister der Kunst erklärten, man müsse einen vollen Mondumlauf ab-
warten, um mit gutem Gewissen die Abfahrt anzutreten. Also drei-
mal neun Tage, wo jede Stunde Verderben drohte! Nikias war der
Furchtsamste von Allen. Mehr als je sah er sich unter der Macht dä-
monischer Gewalten und war mit nichts als mit Opfern und Sühne-
gebräuchen beschäftigt, bis ihn die Noth aus seinen finstern Träu-
mereien aufscheuchte.
Die Syrakusaner hatten von Allem Kunde erhalten und dachten
jetzt nur an das Eine, dass sie die Athener nicht entkommen liefsen.
Gylippos ordnete einen Angriff zu Lande und zu Wasser an. Die
Athener waren an Schiffszahl überlegen, aber sie wurden geschlagen;
der Ueberrest ihrer Flotte wurde immer mehr in den innersten Winkel
eingeengt, und nur der Unvorsichtigkeit des Landangriffs so wie der
Tapferkeit der tyrrhenischen Bundesgenossen hatte man es zu ver-
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670
LETZTE SCHLACHT AM HAFEN (SEPT. 1).
danken , dass nicht die ganze Flotte vernichtet wurde. Wie sich nun
die Athener nach dieser Niederlage wieder sammeln, erblicken sie zu
neuem Schrecken, dass die Syrakusaner emsig beschäftigt sind, die
Mündung des Hafens zu sperren, indem sie gröfsere und kleinere
Schiffe, mit Ketten verbunden, in der Milte des Kanals vor Anker
legen. ISun konnte man allerdings nicht mehr auf Mondphasen
warten. Nun musste unverzüglich der Kampf auf Leben und Tod be-
gonnen werden, wenn noch Einer der Tausende seine Heimalh
wiederzusehen gedachte.
Alle Mannschaften wurden aus den Werken herausgezogen und
alle Schiffe, schlechte wie gute, zusammen etwa 110, bemannt; sie
wurden gegen die Stofsbalken der feindlichen Schiffe so gut wie mög-
lich gesichert und mit eisernen Enterhaken zu wirksamerem Angriffe
versehen. Eine nothdürftige Verschanzung war am Ufer aufgeworfen,
um die kranke Mannschaft und die Geräthc einstweilen zu schützen,
und nun ging Demosthenes gegen die Mündung vor, um hier mit Ge-
walt durchzubrechen.
Noch einmal erklang der attische Päan; der Muth der Verzweiflung
entflammte die Mannschaft. Es gelingt wirklich den mittleren Durch-
gang zu gewinnen und die nächsten Fahrzeuge zu bewältigen. Dann
aber stürzen von beiden Seiten die feindlichen Flotten gegen die Mün-
dung vor. Schiff an Schiff drängt sich zu einem Knäuel zusammen;
gegen zweihundert Fahrzeuge werden handgemein, und ringsum ist
der ganze Uferrand von syrakusanischen Truppen besetzt; von allen
Seiten droht Unheil. An eine geordnete Schlacht war nicht zu denken.
Es war eine belaubende Verwirrung, in welcher kein Schiffsführer
ein festes Ziel im Auge hallen konnte; es war keine freie Bewegung,
kein Ueberblick, keine Leitung möglich, und ohne dass man wusste,
wie es geschah, wandle sich endlich die altische Flotte in den Hafen
herein und flüchtete zu den Werken am Strande15*).
Aber auch die Syrakusaner hallen furchtbar gelitten. Also was
konnte man Anderes thun, als am nächsten Tage von Neuem vor-
brechen , um sich auf dem einzigen Hetlungswege Bahn zu machen !
Man konnte voraussehen, dass das Gedränge der Schiffe geringer und
den Athenern freiere Bewegung gestattet sein würde; auch hatten
diese noch immer eine Ueberzahl an Schiffen. So wollten auch die
Feldherm. Aber nun weigert sich das Schiffsvolk. Es kommt zu allem
Unglück auch dasjenige, das allein noch gefehlt hat, Ungehorsam und
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ABZUG ZU LANDE (SEPT. 3.)
67 t
Auflehnung. Es war mit den Athenern so weit gekommen, dass sie
eine unüberwindliche Angst hatten, ihre Schiffe zu besteigen, auf denen
doch allein Rettung möglich war. Statt dessen verlangen sie einen
Ruckzug zu Lande, welcher gar keine Hoffnung gewährte. Und auch
dieser hoffnungslose Entschluss, der in der nächsten Nacht ausgeführt
werden soll , wird noch verzögert. Durch täuschende Vorspiegelungen
irre geleitet, lässt man noch einen ganzen Tag vorübergehen, bis die
Syrakusaner, die sich in ihrer übermüthigen Siegesfeier durch nichts
hatten stören lassen wollen, ihren Festrausch ausgeschlafen und sich
aufgemacht hatten, die Umgegend mit ihren Truppen zu besetzen.
Nun beginnt der Zug; ein Zug von 40.000 Menschen, die einer
auswandernden Stadtbevölkerung gleich, mit Gepäck beladen, von der
Küste fort in ein feindliches Land hineinziehen, ohne der Wege kundig
zu sein, ohne ein festes Ziel, ohne hinreichende Lebensmittel, ohne
Vertrauen zur Rettung, von Angst gefoltert, in stiller Verzweiflung
und völligem Stumpfsinne oder in wildem Unmuthe gegen Menschen
und Götter tobend. Denn was nur an Trauer und Noth ein Menschen-
berz belasten kann, lag mit voller Wucht auf dem Heere, als es die
Unglücksstätte verliefs. Seine Schiffe hatte es nach und nach in
Flammen aufgehen oder in die Hände der Feinde fallen sehen. Von
den Todten, die umherlagen, musste man Abschied nehmen, ohne
ihnen die letzten Ehren erweisen zu können; am furchtbarsten aber
war der Abschied von den Verwundeten und Kranken, welche auf dem
öden Strande verlassen liegen blieben, die den fortziehenden Ver-
wandten und Zeltgenossen laut nachjammerten, oder sich an ihre Ge-
wänder hingen und sich eine Strecke Wegs fortschleppen liefsen, bis
sie elend zusammensanken.
Die Feldherrn thaten ihre Pflicht und erreichten, was möglich
war. Sie ordneten den Zug in zwei Heerhaufen; den ersten führte
Nikias, die Nachhut Demosthenes; Tross und Feldgeräthe wurden in
die Mitte genommen, indem die Krieger in zwei länglichen Vierecken
marschirten. Nikias richtete sich, je schwerer das Unglück wurde,
um so mehr zu einer wahren Heldengröfse auf, deren Beispiel nicht
wirkungslos blieb. Er hielt vor dem Abmärsche noch einmal an die
versammelten Truppen eine feierliche Ansprache, um ihnen Muth ein-
zuflößen. Er stellte ihnen die Möglichkeit vor, einen festen Punkt zu
gewinnen, wo sie sich vortheilbaft vertheidigen könnten; er vertröstete
sie auf die Unterstützung befreundeter Inselstämme; er wies sie auf
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672
KÄMPFE BEIM AKRÄI8CHEN BERGE (SEPT. 0-8)
die Gerechtigkeit der Gölter hin ; denn wenn sie früher etwa durch
Glanz und Macht die Hissgunst derselben erregt hätten, so könnten sie
in ihrem gegenwärtigen Zustande wohl auf das Mitleid der Götter
rechnen, welche die tief Gedemüthigten auch wieder aufzurichten ver-
möchten. Er bezeugte ihnen, dass er selbst bei aller Körper schwäche
durch sein gutes Gewissen getröstet werde und muthig in die dunkle
Zukunft blicke. Aller Erfolg aber sei von ihrer Mannszucht, Ausdauer
und Tapferkeit abhängig.
Das Heer zog am linken Ufer des Anapos hinauf, der in sumpfigem
und schilfreichem Boden einen tiefen Wasserlauf bildet. Schon in
diesem Thale begann der Kampf. Denn die Syrakusaner wollten das
Heer in der Nähe festhalten, um es wo möglich vor den Augen der
Stadt zu vernichten. Aber die Athener erzwangen die Furt, welche
in das innere Land führt, und ihre Feinde zogen es nun vor, sie nicht
mehr in geschlossenen Reihen anzugreifen, sondern dem Heere zu
folgen und durch fortwährende Plänkeleien im Rücken und auf den
Seiten seine Kräfte aufzureiben.
So rückten die Athener diesen Tag eine Meile weit vor und
machten an einem Hügel ihr erstes Nachtquartier. Am zweiten Tage
kamen sie in ebene Gegend und rasteten hier nach kurzem Marsche,
um sich aus den umliegenden Wohnungen mit Proviant und Wasser
zu versehen, was ihnen ohne Belästigung gelang. Denn da der Feind
die Absicht der Athener erkannte, bei dem akräischen Berge das Hoch-
land zu erreichen, wo sie mit Hülfe der Sikuler einen Weg nach Katane
zu finden hofften, eilte er voraus, um die Schlucht, welche dahin führte,
zu besetzen und zu verschanzen. Als nun die Athener am dritten Tage
ausrücken, werden sie aus der Schlucht heruntergetrieben und müssen
nach schwerem Kampf an ihren Lagerort zurück. Aber auch hier
können sie nicht bleiben, weil ihnen von der Reiterei aller Proviant
abgeschnitten wird. Sie müssen also Alles daran setzen, um am fol-
genden Tage den Pass zu erzwingen155).
In den ersten Frühstunden rücken sie aus; sie stürmen mit
heldenmütiger Tapferkeit, aber jede Anstrengung ist vergeblich. Sie
werden von den Quermauern, welche die beiden Thalfurchen sperren,
und von der zwischen liegenden Höhe herunter mit Pfeilen und Wurf-
geschossen bedeckt, ohne ihren Gegnern beikommen zu können. Ge-
witter und Regengüsse treten ein, welche, so wenig ungewöhnlich sie
auch in dieser Jahreszeit waren, dennoch neuen Schrecken verbreite-
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SCHLACHT AM ASIMAROS (SEPT. 10.).
673
teil. Die Athener sahen in Allem nur Vorzeichen des Verderbens. Es
folgte noch ein Tag hoffnungslosen Kampfes, der nichts als neue Ver-
luste und Verwundungen brachte. Es wird also bei einbrechender
Nacht der Besch luss gefasst, die bisherige Richtung aufzugeben, und
während man den Feind durch Lagerfeuer täuscht, bricht das Heer
gegen Süden auf, nach der Küste zu, wo die Thäler bessere Vertheidi-
gungsplätze in Aussicht stellten und bequemere Zugänge in das Binnen-
land. Nikias gelingt es, Ordnung zu halten. Er gelangt in der
Morgenfrühe in die Nähe der See und gewinnt die helorische Strafse,
welche von Syrakus in der Richtung auf das südliche Vorgebirge Sici-
liens führt. Er eilt rastlos vorwärts, ohne auf Demosthenes zu warten.
Augenblickliche Befreiung von der Noth der Verfolgung erscheint schon
als das gröfste Glück. Demosthenes ist es dagegen nicht gelungen so
rasch vorwärts zu kommen. Er wird gegen Mittag eingeholt und in
neue Kämpfe verwickelt. Sein vereinzelter Heerhaufen wird ziellos
fortgeschoben, umringt und endlich in einem grofsen Gehöfte, dem
Polyzeleion, eingeschlossen, wo die Truppen, ohne sich wehren zu
können, den Geschossen massenweise erliegen. Jetzt war keine Wahl
mehr. Sechstausend an der Zahl ergeben sie sich dem Gylippos, und
auch Demosthenes, dessen Arm gehalten wird, als er sich den Todes-
stofs versetzen will, fällt lebend in seine Hände.
Während dies geschah, hatte Nikias am Küstenbache Erineos
eine feste Stellung eingenommen. Hier erhält er die Nachricht von
dem Geschehenen und die Aufforderung zur Uebergabe. Er verspricht
Erstattung der Kriegskosten, wenn man freien Abzug gewähre. Diese
Bedingungen werden abgewiesen, und die furchtbare Verfolgung be-
ginnt am achten Tage von Neuem. Nikias machte die gröfste An-
strengung, um das nächste der parallelen Küstenthäler, das des Asina-
ros, zu erreichen; das Heer eilt in fieberhafter Angst vorwärts, und so
wie es des Wassers ansichtig wird, stürzen Alle unbekümmert um die
Feinde, welche das jenseitige Ufer schon besetzt halten, in wilder Hast
die abschüssigen Wände hinunter, indem sie sich gegenseitig verwun-
den, zertreten, niederstofsen, um nur an's Wasser zu kommen und die
Qual des Durstes zu löschen. Hier werden nun die Einen beim Trin-
ken vom Strome fortgerissen, die Anderen stürzen verwundet hinein;
denn vom Rande des Ufers schleudern die sicilischen Truppen ihre
Pfeile und Wurfgeschosse in die dichte Menge, welche sich im Fluss-
bette zusammendrängt; die Reiterei fangt die Entfliehenden auf, und
Cortios. Gr. Getch. II. 0. Aafl. 43
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674
f>AS SCHICKSAL
die Peloponnesier dringen mit dem Schwerte in die Schlucht hinunter,
um ihre Opfer zu erreichen, so dass das schlammige Wasser blutroth
wird und zwischen Leichenhaufen sich mühsam Bahn bricht
Angesichts dieses Blutbades und der vollständigen Auflösung
jeder Ordnung musste Nikias die Hoffnung aufgeben, noch einen Theil
des Heers zu retten. Er ergab sich dem Gylippos unter der Bedin-
gung, dass er dem Morden Einhalt thue und das Leben der Uebrig-
gebliebenen verschone. Mit ihm selbst möge er verfahren, wie er
wolle. Ein formlicher Vertrag kam gar nicht zu Stande. Viele wur-
den noch nach der Uebergabe erbarmungslos niedergemetzelt; Andere
wurden einzeln zu Gefangenen gemacht und als Haussklaven bei Seite
geschafft. Endlich gelang es bei der allgemeinen Verwirrung auch
einer nicht geringen Anzahl, jetzt gleich oder bei späterer Gelegenheit
nach Katane zu entkommen.
So waren es im Ganzen nur etwa 7000, welche im Triumphe
nach Syrakus eingeführt wurden, als Gylippos von seiner mörderischen
Menschenjagd heimkehrte. Die Masse der Gefangenen wurde in die
Steingruben gethan, wo sie in engen Räumen zwischen hohen, senk-
rechten Felsen der vollen Gluth der Sonne so wie dem Froste der
Herbstnächte schutzlos preisgegeben waren. Um das dem Nikias ge-
gebene Wort nicht geradezu zu brechen, wurde ihnen auf acht Monate
Mundvorrath gereicht, Gerste und Wasser, aber nur die Hälfte der
magersten Sklavenkost, und dabei waren sie in ihrem namenlosen
Elende noch ein Schauspiel des Volks, das von oben in neugierigen
Gruppen die Jammerstätten ansah, wo die Lebenden zwischen Sterben-
den und Todten ihr Dasein fristeten. Auf die Länge mochten die
Syrakusaner selbst dies Elend in ihrer Nähe nicht dulden. Nach siebzig
Tagen wurde das schauerliche Gefängniss geöffnet und ein grofser
Theil als Sklaven verkauft; nur die geborenen Athener und die sicili-
schen Griechen wurden noch zurückbehalten. Gerne glaubt man der
tröstenden Nachricht, dass die Athener, welche sich durch Bildung
auszeichneten, geschont wurden, um als Lehrer in den Familien be-
nutzt zu werden , so wie dass sie durch den Vortrag beliebter Stellen
aus Euripides sich ihren Herrn angenehm zu machen und ihre Lage
zu mildern wussten.
Ueber Nikias und Demosthenes war gleich nach der letzten
Schlacht ein öffentliches Gericht gehalten worden. Gylippos wollte
sie geschont wissen, um sie nach Sparta führen zu können. Er wusste.
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DER GEFANGENEN.
675
dass er seinen Landsleuten keine gröfsere Genugthuung verschafTen
konnte, als wenn er ihnen den Sieger von Pylos überlieferte. Aber
er vermochte nicht so viel über die Syrakusaner, um sie zu bewegen,
ihre wilde Rachsucht zu bemeistern. Die Volksredner schmähten
sogar den Mann, welchem die Stadt Alles verdankte, und liefsen auch
die gemäfsigten Männer, wie Hermokrates, nicht zu Worte kommen.
Am heftigsten wirkten zum Verderben der Feldherrn diejenigen Bür-
ger, welche mit Nikias in heimlicher Verbindung gestanden hatten,
und wegen der Mittheilungen, welche er machen konnte, besorgt waren.
Die anwesenden Korinther schürten die Leidenschaft, um allen Ge-
fahren vorzubeugen, welche ihnen etwa noch von den attischen Feld-
herrn erwachsen könnten; deshalb wurde das Todesurteil ausge-
sprochen und vollzogen. So berichten Thukydides und Philistos, der
syrakusanische Geschichtschreiber und Augenzeuge dieser Begeben-
heiten. Nach Timaios soll Hermokrates noch während der Verhand-
lung den Gefangenen Nachricht zugeschickt und ihnen Gelegenheit
gegeben haben, sich selbst das Leben zu nehmen. Ihre Leichen wur-
den am Stadtthore ausgestellt, und das ganze Werk entsetzlicher Rach-
sucht dadurch beendet, dass zum Andenken an das Blutbad in der
Asinarosschlucht ein jährliches Volksfest, Asinaria genannt, in Syrakus
gestiftet wurde156).
So endete der sicilische Feldzug in einer Reihe von Ereignissen,
welche man sich auch heute nicht vergegenwärtigen kann, ohne von
Schauder ergriffen zu werden. Es waren Ereignisse, welche alles
Frühere vergessen machen, mag man die entscheidende Bedeutung
derselben, den ungeheuren Wechsel des Glücks oder auch nur die
Menge der dabei betheiligten Staaten in das Auge fassen. Die Gränz-
streitigkeiten zwischen Egesta und Selinus hatten zu einem Völker-
kampfe geführt, an welchem aufser den beiden Bundesgenossenschaften
von Hellas auch alle sicilischen Städte und die italischen Stämme, die
Messapier, Iapygier und Tyrrhener, sich betheiligten; die alte Fehde
zwischen Athen und Sparta war zu einem Mittelmeerkrieg geworden
und zugleich die Leidenschaft der Parteien zu einer Kampfwulh ge-
steigert, welche es nicht mehr auf einzelne Siege und Gewinne ab-
gesehen hatte, sondern auf die Vernichtung des Gegners.
43*
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RÜCKBLICK
Was aber den Ausgang des Kriegs betrifft, so hatte Griechenland
in der Geschichte seiner inneren Fehden nichts Aehnliches erlebt.
Denn seit den Perserkriegen war es nicht vorgekommen, dass so voll-
ständig auf der einen Seite Alles verloren, auf der anderen Alles ge-
wonnen wurde. Die lange Reihe von Fehlern und Unfällen aber, durch
welche die Athener ihrer zähen Ausdauer und bewunderungswürdigen
Tapferkeit ungeachtet einem so vollständigen Verderben entgegenge-
führt worden sind, beginnt mit dem Anfange der sicilischen Unter-
nehmung.
Sie rüsten eine Land- und Seemacht, wie sie Griechenland
noch nicht gesehen hatte, aber während sie den fernen Westen erobern
wollen, werden sie in der eigenen Heimath von einer verrätherischen
Partei beherrscht, welche mit dem Wohl des Staats ein freventliches
Spiel treibt. Sie unternehmen ein Wagniss, welches einen Führer von
rücksichtsloser Entschlossenheit und Gewandtheil verlangt, und
machen den Einzigen, welcher die rechten Eigenschaften hatte, zum
Feinde des Staats und zum Gegner seines eigenen Werks; sie vertrauen
die Forlführung des Kriegs einem kranken, ängstlichen und wider-
willigen Feldherrn an und begegnen einem Feinde, welcher gefahr-
licher war als alle früheren, der den Hass der Dorier gegen Athen in
vollem Mafse theilte und zugleich eine Fülle von Mitteln und eine
geistige Beweglichkeit besafs, wie sie in dorischen Staaten sonst nicht
vorhanden war. Syrakus war unter allen feindlichen Städten die-
jenige, deren Bürger am meisten Aehnlichkeit mit den Athenern
hatten; sie konnten also nur durch die glänzendste Entfaltung attischer
Thalkrafl bezwungen werden. Dagegen sind gerade jetzt alle Talente^
durch welche die Feldherrn Athens zu siegen pflegten , auf Seiten der
Feinde, und die Athener, deren Stärke im kecken Angriffskriege lag,
werden in einen erschlaffenden und immer trostloseren Vertheidigungs-
kampf gedrängt, bei welchem sich allmählich Alles aufzehrte, worauf
der Erfolg beruhte, Gesundheit, Truppenzahl, Kampfmittel, Kriegszucht
und Kriegsmuth. Seitdem aber einmal die Siegeshoffnungen vereitelt
waren und alle Gedanken auf Rettung gerichtet sein mussten, da war
es wiederum Nikias, der durch seinen Eigensinn die allein vernünftigen
Pläne des Demosthenes vereitelte. Nun war es der zaghafte Feldherr,
der das Feld nicht räumen wollte, und er, der eine krankhafte Furcht
vor jeder Verschuldung gegen Menschen und Götter hatte , musste die
schwerste Schuld auf sein unglückliches Haupt laden.
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AUF DEN SICILISCHE.N FELDZUG.
♦577
Aber es war ja der Ausgang des Kriegs nicht blofs von einzelnen
Personen und einzelnen Geschicken abhängig, sondern ganz Athen
hülste für seine Unbesonnenheit und Verkehrtheit. Es büTste für jene
falsche Politik, welche es seit dem letzten Ostrakismos befolgt hatte,
für jene Halbheit in seinen Entschlüssen, indem es sich von den ver-
lockenden Vorspiegelungen der kühnsten Eroberungspolitik bethören
liefe uud sich doch nicht entschliefsen konnte, die Schritte zu thun,
welche allein im Stande waren, derselben einen Erfolg zu sichern.
Man folgte dem Alkibiades und schenkte ihm doch kein Vertrauen;
man brach mit der früheren Politik und wollte doch die Männer nicht
fallen lassen, welche sie vertraten ; das Unverträgliche sollte vereinigt
werden, und in despotischer Laune wollte das Volk seine Feldherrn
zwingen, auch widerstrebend seine Befehle auszuführen.
Die erste Veranlassung dieser ganzen Kette von Missgeschicken lag
also darin, dass man den Grundsätzen des Perikles untreu wurde. Pe-
rikles hatte seiner Vaterstadt eine unangreifbare Macht gesichert und
ihr die Dauer derselben verbürgt, aber nur unter der Bedingung, dass
sie sich auf Erhallung ihrer Herrschaft beschränkte und nicht durch
unnöthiges Wagniss und abenteuernde AngrifTspolitik das Glück des
Staats auf das Spiel setzte. Nun that man das Gegentheil. Man
unternahm etwas, was unter allen Umständen dem Staate Verderben
bringen musste. Denn' wenn der Feldzug gelang, so musste der Ge-
winn denen zufallen, welche die unklaren Grofsmachtsgelüste der
Athener genährt hatten, um dadurch sich selbst über Gesetz und
Verfassung zu erheben. Als Eroberer von Syrakus, als Herr Siciliens
und seiner Schätze, an der Spitze eines Heers, welches er durch reiche
Beute an seine Person fesseln konnte, würde Alkibiades voraussichtlich
die Demokratie gestürzt und der Bürgerschaft, welche unfähig war ein
Mittelmeerreich zu regieren, Macht und Rechte genommen haben. Bei
einem ungünstigen Ausgange dagegen war nicht blofs ein Einzelnes
misslungen, sondern die ganze Grundlage des attischen Staatsgebäudes
erschüttert. Denn was andere Staaten verschmerzen konnten, war
Athen nicht im Stande zu verwinden, da schon die blofse Erhaltung
seiner Macht eine Anspannung aller Kräfte und einen unversehrten
Zustand aller Hülfsmittel erforderte. Wenn es aber bei anderen
Staaten wohl der Fall ist, dass das Unglück dazu beiträgt, ihnen Theil-
nahme und neue Bundesgenossen zu verschaffen, welche der sieg-
reichen Partei den vollen Siegesgewinn missgönnen, so hatte dies auf
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078
DIE FOLGEN DES SICILISCHEN KRIEGS
Athen keine Anwendung. Denn sein Unglück hatte keine andere Folge,
als dass alle Feinde sich zusammenschaarten, die allen wie die neuen,
die offenen Feinde und die bis dahin niedergehaltenen, und dieser
furchtbaren Verbindung stand Athen mit gebrochener Kraft und ganz
vereinzelt gegenüber.
Der sicilische Feldzug ist daher nicht eine Episode in dem grofsen
Kriege, sondern die Entscheidung desselben; er ist das Gericht, da»
über die Stadt des Perikles gehalten worden ist, ein Strafgericht, von
welchem sie sich niemals wieder zu ihrer alten Gröfse hat empor-
richten können.
Aber auch den sicilischen Städten brachte der Ausgang des Feld-
zugs keinen Segen. Der alte Hader erwachte von Neuem. Die Egesläer
waren nach dem Untergange der attischen Macht ihren übermülhigeo
Feinden schutzlos preisgegeben; sie riefen daher die Punier in das
Land. Ol. 92, 3 (409) landete Hanniba], der Enkel Hamilkars (S. 538),
auf der sicilischen Küste, um die Niederlage von Himera zu rächen,
und bald lag eine Reihe der glänzendsten Griechenstädte, Selinus,
Himera und Akragas, in Trümmern 1J:).
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V.
DER DEKELEISCHE KRIEG.
Als die Kunde von der Niederlage nach Athen gelangte, war der erste
Eindruck der, dass man ein solches Unglück, das alle Vorstellung über-
stieg, für unmöglich hielt; auch die zuverlässigsten Zeugen fanden
keinen Glauben. Dann, als man sich entschliefsen musste das Un-
geheure zu glauben, erfüllte ein unendlicher Jammer die ganze Stadt;
denn da war kein Haus, das nicht um Verwandte und Freunde zu
trauern hatte; die Ungewissheit über das Schicksal derselben steigerte
den Schmerz; der Gedanke an die Ueberlebenden war noch peinlicher,
als der Schmerz um die, welche man todt wusste, obgleich auch hier
das schmachvolle Ende und die Versäumniss aller religiösen Pflichten
den Schmerz um so bitterer machten. Wie man sich aus der dumpfen
Trauer aufrichtete, besann man sich auf die Ursachen des ganzen Un-
glücks, und nun richtete sich eine leidenschaftliche Wuth gegen Alle,
welche zu diesem Unternehmen gerathen oder als Redner, Wahrsager,
Orakeldeuter eitle Hoffnungen des Siegs genährt hatten. Endlich ging
die Aufregung der Bürgerschaft in Verzweiflung und Angst über, so
dass man noch gröfsere und nähere Gefahren vor Augen sah, als
wirklich vorhanden waren. Man glaubte jeden Tag die sicilische Flotte
mit den Peloponnesiern vor dem Hafen erscheinen zu sehen, um die
wehrlose Stadt zu erobern; man glaubte, dass die letzten Tage Athens
gekommen wären.
Und in der That schien es unmöglich, dass Athen diesen Schlag
überwinden könne. Denn was die Stadt früher in Aegypten , in Thra-
kien und Böotien an Niederlagen erlitten halte, war mit dem jetzigen
Unglück nicht von fern zu vergleichen. Man hatte ja die ganze Wehr-
kraft daran gesetzt, um Syrakus zu zwingen. Ueber 200 Staatsschifle
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DIE LAGE ATUE.>S (91, 4; 413 \VI.\TEU).
waren mit ihrer ganzen Ausrüstung verloren, und überschlägt man,
was in den wiederholten Sendungen nach Sicilien geschickt worden
war, so kann man mit Einschluss der bundesgenössischen Truppen
die Gesamtsumme auf etwa 60,000 Mann berechnen. In den Gewässern
von Naupaktos lag noch ein Geschwader, aber auch dies war in Gefahr
und den neu gerüsteten Korinlheru gegenüber in einer sehr ungünstigen
Lage. Die Häfen und Schiffsbäuser waren leer und eben so der Schatz.
Man hatte in der Hoffnung auf unermesslichc Beute und eine Fülle
neuer Einkünfte nichts gespart und die Kräfte des Staats auf das
Aeufserste angestrengt. Denn da man mit den verheifseneu Unter-
stützungen der Egestäer getäuscht worden war, so betrug der jährliche
Truppensold etwa das Doppelte der Jahreseinkünfte. Die zu Anfang
des Kriegs zurückgelegten Gelder waren also bald aufgebraucht worden,
und man hatte schon die thrakischen Söldner, welche man nach Syra-
kus nachschicken wollte, aus Geldverlegenheit heimsenden müssen.
Zugleich war das Volksvermögen selbst stark angegriffen durch die
Leistungen der Trierarchen, welche das Schiffsgeräth und freiwillige
Zulagen gegeben hatten; eine Menge von baarcm Gelde war noch bei
den Gefangenen gefunden und in die Hände der Feinde gekommen.
Viel schlimmer aber als die materielle Einbufse an Geld , Schiffen
und Mannschaft war die moralische Niederlage, welche für keinen Staat
gefährlicher war, als für Athen. Perikles halte dahin gestrebt, dass
Athen und die Inseln zu einem festen Ganzen zusammen wachsen soll-
ten; und es war schon dahin gekommen, dass die Inseln sicherer
schienen als der Boden von Attika und dass man kostbares Eigenthum
dorthin in Sicherheil brachte. Durch eine verständige Ausbildung des
Kleruchiensystems wäre ein Abfall der Bundesgenossenschaft nach und
nach unmöglich geworden. Aber diese Gedanken perikleischer Staals-
weisheit waren nicht durchgeführt worden. Der Widerwille gegen die
Herrschaft Athens war durch die Demagogenpolitik überall gesteigert,
und das, was das attische Küstenreich zusammenhielt, war nichts als
die Furcht, welche die Städte erfüllte, so lange sie die Flotten Athens
unbedingt das Meer beherrschen sahen. Dieser Bann war nun gelöst.
Nun rächte sich das System herzloser Selbstsucht; nun wurden auch
die unentbehrlichsten Inselstaaten und die, welche am festesten mit
Attika verschmolzen zu sein schienen, Euboia, Chios, Lesbos, unruhig;
überall erhoben die oligarchischen Parteien ihr Haupt, um die ver-
hasste Herrschaft zu vernichten, und während die Athener auf der Höhe
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DIE LACH SPAHTAS.
6S1
ihrer Macht Mühe gehabt hatten , einzelne der abgefallenen Städte zu
zwingen, so stand jetzt bei völliger Mittellosigkeit ein allgemeiner Ab-
fall in drohender Aussicht. Dazu kam endlich, dass man zu der eigenen
Verfassung alles Vertrauen verloren hatte, denn es war ja schon vor
beginn der sicilischen Unternehmung durch die Macht der heimlichen
Gesellschaften (S. 623 f.) ein völlig revolutionärer Zustand eingetreten ;
man hatte sich überzeugt, dass die bestehende Verfassung den Staat vor
innerer Auflösung nicht schützen und noch weniger für die Macht des-
selben eine Bürgschaft geben könne
Sparta dagegen hatte in wenig Monaten, ohne ein Heer aufzu-
stellen, ohne Gefahr und Verlust die grölsten Vortheile gewonnen,
wie sie der glücklichste Feldzug nicht hätte gewähren können. Gy-
lippos halle wieder gezeigt, was ein spartanischer Mann wenn sei,
da in der Stunde höchster Noth durch sein persönliches Auftreten
das gröfsle und folgenreichste Ereigniss des ganzen Kriegs auf einmal
eine andere Wendung erhalten halte. Er war der glücklichere Nach-
folger des Brasidas. Spartas Ansehen im Peloponnes, das der Friede
des Nikias erschüttert halte, war wieder hergestellt; mit Ausnahme
vou Argos und Elis stand es mit allen Bundesgenossen in gutem Ver-
hältnisse: die überseeischen S lammgenossen, welche sich bis dahin
fern gehalten hatten, waren durch den Angriff Athens in den Kampf
hereingezogen worden; sie waren jetzt die eifrigsten und die kriegs-
mulhigslen Bundesgenossen der Peloponnesier. Und dazu gehörten
nicht nur die von Athen angegriffenen Staaten, deren Rachsucht noch
immer nicht befriedigt war, sondern selbst in Thurioi erlangte jelzl
die peloponnesische Partei das Ueberge wicht und machte die Stadt den
Athenern abwendig, welchen sie sich noch vor Kurzem so treu er-
wiesen hatte (S. 658).
Aufserdem hallen die Athener den fähigsten aller lebenden
Staatsmänner und Feldherrn in das feindliche Lager gelrieben. Keiner
war geeigneter als Alkibiades die schwerfalligen Lakedämonier aufzu-
rütteln und in eine energische Bewegung zu versetzen; durch ihn
hatten sie den besten Rath und die genaueste Kenntniss der athe-
nischen Zustände und Oertlichkeiten. Endlich hatten sie jetzt auch
einen kriegerischen König, den unternehmenden und ehrgeizigen Agis,
des Archidamos' Sohn, der schon bei Mantineia (S. 598) die Waffen-
ehre Spartas wieder hergestellt halle, der eifrig beflissen war, frühere
Mißgriffe, die er sich in den Fehden mit Argos hatte zu Schulden
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682
LUE BEDÜRFNISSE SPARTAS
kommen lassen, wieder gut zu machen und das königliche Ansehen
wieder zu heben, welches seit Ol. 90, 3 (418) durch die Einsetzung
der Zehnmänner, die den König als Kriegsrath begleiteten, von Neuem
geschwächt worden war.
So stand Sparta mit neuem Selbstvertrauen an der Spitze seines
Bundes, während es die vollständige Auflösung des Gegenbundes er-
warten konnte. Die attische Seeherrschaft schien rettungslos verloren
zu sein, und schon hielt Sparta seine Kriegsvögte bereit, um sie in die
von Athen abgefallenen Städte zu schicken und die Hülfskräfte derselben
sich anzueignen. Es schien, als sollte der Sieg wie eine reife Frucht
den Spartanern in den Schofs fallen. Aber zum vollen und sichern
Siege gehörte eine eigene Seemacht. Die vereinzelten Insel- und
Küstenstädte waren unfähig, eine gemeinsame Kriegsmacht zu bilden,
und Sparta durfte von ihren Stimmungen nicht abhängig sein , wenn
es die erledigte Seeherrschaft antreten wollte, und eben so wenig
konnte die junge Marine der Sikelioten, so willkommen sie war, die
eigene Nacht ersetzen. Es bedurfte eines festen Kerns für den von
allen Seiten sich darbietenden Anschluss, einer spartanischen Flotte,
um welche sich die vereinzelten Geschwader sammelten. Dazu fehlte
es aber an allen Vorbereitungen. Denn wenn sich auch die Ueber-
zeugung von dieser Noth wendigkeit im Laufe des Kriegs immer mehr
aufgedrängt hatte, so waren doch die entgegenstehenden Schwierigkeiten
nichts weniger als überwunden. Es herrschte nach wie vor die alle
Abneigung gegen eine energische Seerüstung, und die Unfähigkeil, eine
Kriegsflotte zu bilden, war immer dieselbe geblieben. Die spartanische
Bürgerschaft verschmähte den Seedienst; alle Erfolge, die man etwa
zur See erreichte, wurden den untergeordneten Klassen der Bevöl-
kerung verdankt und bedrohten also die Macht der dorischen Hopliten,
auf welcher der Staat beruhte. Und dann stand Sparta in seinen
Finanzen noch ganz auf dem alten Standpunkte. Es hatte keinen
Bundesschatz, keine regelmäßigen Einkünfte von seinen Bundes-
genossen, und seine Bürger halten kein Privatvermögen , mit dem sie
zu ausserordentlichen Anstrengungen den Staat hätten unterstützen
können. Jelzt bewährte sich augenscheinlich, was Archidamos schon
zu Anfang des Kriegs gesagt hatte, dass der Erfolg desselben weniger
von den Waffen als vom Gelde abhängig sein würde. Die Abneigung
gegen eine Flottenrüstung konnte man überwinden, da die gegenwärti-
gen Verhältnisse sie so unbedingt forderten und dieselbe zugleich so
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SPARTA UND PERSIEN.
683
wesentlich erleichterten. Es fehlte also nur an Geldmitteln. Aber auch
diese boten sich jetzt den Spartanern in unverhoffter Weise dar, und
zwar in Folge der Verhältnisse, welche inzwischen im Perserreiche
eingetreten waren.
Die Beziehungen zwischen den griechischen Staaten und Persien
waren nie ganz unterbrochen worden. Die Spartaner hatten wieder-
holt mit dem Grofskönige unterhandelt (S. 414f.), aber ohne Erfolg,
denn sie hatten es auch in diesen diplomatischen Verhandlungen nicht
dahin bringen können, eine klare und entschlossene Politik zu befol-
gen. Auch hatten diese Verhandlungen in der Thal ihre grofsen
Schwierigkeilen. Denn die Perser hielten un verrückt an ihren alten
Grundsätzen fest und nahmen das kleinasiatische Küstenland für sich
in Anspruch; eine andere Grundlage der Verständigung liefsen sie
nicht gellen. Also konnte von keiner Vereinbarung die Rede sein,
wenn die Spartaner sich nicht dazu verstehen wollten, jene Küsten-
städte preiszugeben und ihre Wiedervereinigung mit dem Perserreiche
zu verbürgen. Nur unter dieser Bedingung waren die Perser bereit zu
linden, Sparta gegen Athen mit Geldmitteln zu unterstützen. So wenig
nun aber auch den Spartanern an der Freiheit der jenseitigen Hellenen
gelegen war, so scheuten sie sich dennoch aus sehr begreiflichen
Gründen, dergleichen vertragsmäfsig festzustellen und mit ihrer helle-
nischen Politik, wie sie dieselbe beim Antritte des Kriegs verkündet
halten, in offenen Widerspruch zu gerathen. Auch hatten sie nach
wie vor keine Lust zu einem Flottenkriege in Kleinasien, wozu sie
durch die Verträge gezwungen worden wären, wenn dieselben den
Persern von Nutzen sein sollten.
So erklärt es sich, weshalb immer vergeblich verhandelt wurde.
Man war in Susa unwillig darüber, dass von den vielen Gesandten,
welche von Sparta anlangten, Einer dem Andern widersprach, und
legte doch einen Werth darauf, dass diese Verhandlungen nicht abge-
brochen würden. Darum war im siebenten Kriegsjahre Ärtaphernes
nach Sparta geschickt worden, um endlich eine klare und entschiedene
Antwort zu erlangen. Er gerieth aber mit seinen Depeschen in die
Hände der Athener, und diese wussten ihn für ihre Interessen zu ge-
winnen, so dass er, von attischen Gesandten begleitet, zum Grofskönige
heimkehrte. Die Verhandlungen, welche jetzt zu Gunsten Athens ge-
pflogen werden sollten, wurden aber durch den Tod des Arlaxerxes
vereitelt (Ol. 86, 4; 425).
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681
EI.NFLUSS DEM SATItAI'K.N
Der Thronwechsel war von gewaltigen Erschütterungen begleitet.
Denn der rechtmäfsige Nachfolger und letzte ebenbürtige Achämenide,
Xerxes II, wurde von seinem Halbbruder Sogdianos ermordet und
dieser wiederum noch in demselben Jahre von Ochos gestürzt, der
auch ein Bastard des Artaxerxes war und nun als Darius II den Thron
bestieg. Das neue Regiment brachte keine Ruhe. Ueberau" gährte
der Aufstand, namentlich in Kleinasien. Pissuthnes, des Hystaspes
Sohn, welcher sich schon mehrfach in die griechischen Angelegen-
heiten eingemischt hatte (S. 239), fiel ab. Griechen unter Befehl eines
Atheners, Namens Lykon, unterstützten ihn. Durch die Verrälherei
derselben gelang seine Besiegung, während sein Sohn Amorges sich
mit atiischer Hülfe in Karien behauptete. Nach dem Sturze des Pis-
suthnes treten Tissaphernes und Pharnabazos in Kleinasien als die
ersten Würdenträger des Grofskönigs auf. Tissaphernes war als Nach-
folger des Pissuthnes Satrap in den Seeprovinzen. Er war erbittert
über die Unterstützung, welche die Partei seines Gegners von Athen
erhalten halte; dazu kam, dass der Grofskönig (vielleicht in Folge des
sicilischen Kriegs und der Vernichtung der attischen Flotte) die Ein-
lieferung der so lange rückständig gebliebenen Tribute der Seestädte
forderte, welche nach wie vor als unterlhanige Städte des Perserreichs
angesehen wurden. Tissaphernes musste die Summen zahlen, wie sie
im persischen Reichsbudget verzeichnet waren; um also zu seinem
Gelde zu kommen, sah er sich zu einer kriegerischen Politik genölhigt,
und da das persische Reich in einem so elenden Zustande war, dass
man auch gegen die gebrochene Macht der Athener nicht allein vorzu-
gehen wagte, so kam dem Satrapen Alles darauf an, sich von griechi-
scher Seite Beistand zu verschaffen.
Er fand dazu schon in lonien selbst Gelegenheit; denn in allen
bedeutenderen Städten gab es eine persische Partei (S. 448). Auf
allen lastete der Druck der attischen Herrschaft, und der handeltrei-
benden Bevölkerung war der ununterbrochene Kriegszustand, der ihre
Verbindung mit dem Binnenlande störte, im höchsten Grade lästig.
Die bedeutendste und die einzige selbständige Macht in lonien war
Chios. Hier hatten sich die aristokratischen Familien mit grofser
Klugheit im Regimente zu erhalten gevvusst. Schon im siebenten
Kriegsjahre waren sie des Abfalls von Athen verdächtig geworden,
hatten sich aber dann von den Athenern aufs Neue ihre Verfassung
bestätigen lassen und seitdem ihre Bundespflichten treu erfüllt. Nach
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AUF DIE KLEIN ASIATISCHEN KÜSTENSTÄDTE.
685
dem grofsen Verluste, welchen auch sie in Sicilien erlitten hatten,
konnten sie sich doch noch eines Besitzes von sechzig Schiffen rühmen.
Von ihrer Regierung ging jetzt die gegen Athen gerichtete Ver-
schwörung aus; sie setzte sich zunächst auf der gegenüber liegenden
Küste mit Erylhrai in Verbindung. Mit beiden Staaten knüpfte Tis-
saphernes Unterhandlungen an und schickte in Gemeinschaft mit ihnen
Gesandte nach dem Peloponnes, um Sparta zu überreden, an die
Spitze der ionischen Bewegung zu treten . indem er Sold und Unter-
halt für die peloponnesische Kriegsmacht versprach. Es war der An-
fang einer neuen Satrapenpolitik.
In gleicher Lage wie Tissaphernes war Pharnabazos, der Satrap
der nördlichen Provinz, welche Daskylion an der Propontis zum Mittel-
punkte hatte, und die Gegenden am Hellespont, Phrygien, Bithynien
und Kappadocien umfassle. Er beherrschte das troische Land mit
dem für Schiffbau so ungemein wichtigen Waldgebirge des Ida und
hatte für einen Seekrieg gegen Athen die gefährlichsten Angriffspunkte
in seinen Händen. Pharnabazos schickte zwei griechische Partei-
gänger, die aus ihrer Heimath vertrieben waren, Kalligeitos aus Megara
und Timagoras, der in Kyzikos ein Führer der persisch Gesinnten
war, mit haaren Geldsummen nach Sparta, um die Peloponnesier
nach dem Hellespont hinzuziehen; er suchte den Tissaphernes in
seinen Versprechungen zu überbieten. So warben zwei mächtige
Satrapen wetteifernd um die Gunst Sparlas und boten ihm Geld und
Bundeshülfe an.
Endlich war auch der nächste und gehässigste aller Feinde Athens
nicht unthätig. Theben hatte sich trotzig vom Frieden des Nikias
ausgeschlossen, es hatte Panakton genommen und dann zerstört, ehe
die Festung in die Hände Athens zurückgegeben wurde (S. 584); durch
einen tückischen Ueberfall, welchen die aus Athen entlassenen Thraker
(S. 680) unter Führung des Diitrephes auf die Stadt Mykalessos unter-
nahmen, war es neuerdings in höchstem Grade gereizt. Es hatte auch
nach Siciüen Hülfsvölker geschickt und an der Niederlage der Athener
daselbst einen wesentlichen Antheil genommen; es rüstete jetzt zu
einem neuen Kriege und setzte sich wieder, wie früher, mit Leshos
(S. 44t) in Einverständnisse9).
Während sich so auf allen Seiten die gefahrlichsten Verbindungen
gegen Athen bildeten, hatte der Krieg in Griechenland schon begon-
nen. Und zwar hatte diesmal Athen den Anfang der direkten Feind-
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686
AUSBRUCH 1»ES KRIEGS (91, 3; 414).
Seligkeiten gemacht. Denn ein attisches Geschwader unter Pythodoros
halte im Anfange von Ol. 91, 3 (414), also im Laufe des achten Som-
mers nach Abschluss der Verträge, auf lakonischem Gebiete bei Prasiai
und Epidauros Limera Landungen gemacht und die Felder verwüstet,
um die lakedämonischen Ginfälle in Argos zu rächen.
Dieser an sich sehr unbedeutende Vorfall war von nicht geringer
Tragweite. Denn während des ganzen Verlaufs des ersten zehnjährigen
Kriegs hatten die Spartaner das Gefühl, dass der Krieg von ihrer Seile
ungerecht begonnen sei, weil die Thebaner mitten im Frieden Plataiai
überfallen hatten, und die älteren Leute, welche den Rechtsstandpunkt
in der Bürgerschaft vertraten, Helsen es sich nicht ausreden, dass dies
der Grund des Unglücks sei, welches die Spartaner bei Pylos und
anderswo erlitten hätten. Jetzt aber hatte Athen den Frieden ge-
hrochen, worauf man in Sparta schon lange gewartet hatte, und da
von attischer Seite jede Rechtsentscheidung abgelehnt wurde, so
herrschte nun auch bei der altspartanischen Partei ein ganz anderer
Kriegseifer; man glaubte den Krieg mit gutem Gewissen führen und
eines besseren Erfolgs gewärtig sein zu können.
Diese Stimmung benutzte nun Alkibiades für seine Zwecke mit
dem gröfsten Eifer. Er brachte es dahin, dass, nachdem im Winter
der Kriegsbeschluss von den Peloponnesiern gefasst und die Rüstungen
angeordnet waren, mit dem Eintritte des Frühjahrs 413 (Ol. 91, 3)
ein peloponnesisches Heer unter Agis in Atlika einrückte, zu einer
Zeit, da schon vorausgesehen werden konnte, welche Wendung der
sicilische Krieg nehmen würde. Zwölf Jahre lang war Atlika von allen
Einlallen verschont geblieben und die Spuren des arcliida mischen
Kriegs waren verwischt; um so verderblicher waren die neuen Ver-
heerungen, welche man jetzt nicht einmal durch Seezüge den Pelopon-
nesiern vergelten konnte. Das Schlimmste aber war, dass die Spar-
taner diesmal entschlossen waren, nicht zu ihrer früheren Kriegsweise
zurückzukehren, sondern statt der jährlichen Sommerfeldzüge einen
festen Punkt im atiischen Gebiete dauernd zu besetzen, und dass man
zu diesem Zwecke auf Alkibiades' Rath den besten Platz aussuchte, der
in Attika zu finden war.
Wenn man von Athen aus gegen Norden blickt, so sieht man die
hohe Wand des Parnes auf der rechten Seite nach dem Brilessos zu
sich senken. Ehe aber seine Wurzeln in das Hügelland der Diakria
auslaufen, bildet er eine tiefe Einsattelung, deren sichelförmiger Aus-
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Besetzung von urkeleia.
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schnitt eine sehr auffallende Linie am nördlichen Horizont bildet. Auf
einer breiten Höhe unterhalb des Bergsattels lag Dekeleia, eine der
alten Zwölfstädte von Attika, drei Meilen von der Stadt und eben so
weit von der böotischen Gränze. Hier gingen die Landstrafsen durch
den Bergdistrikt der Diakria nach Euboia hinüber; die eine fuhrt hart
unter Dekeleia hin, die andere, wenig östlicher, über Aphidna. Beide
Wege beherrschte der Platz, den die Spartaner sich ausgesucht hatten.
Sie verschanzten sich auf einem steilen Berggipfel oberhalb Dekeleia,
und die Athener machten nicht einmal den Versuch, sie zu vertreiben.
Es war dies ein Erfolg von solcher Bedeutung, dass man darnach schon
in alter Zeit den ganzen letzten Theil des peloponnesischen Kriegs den
dekeleischen nannte.
Die Besetzung von Dekeleia ist das Mittelglied zwischen dem
sicilischen und dem neu entbrennenden attisch - peloponnesischen
Kriege. Sie war zunächst eine Intervention zu Gunsten der Syraku-
saner, in Bezug auf die Verträge aber, welche acht Jahre lang be-
standen hatten, der Anfang des zweiten Kriegs zwischen Athen und
Sparta. Der nächste Zweck wurde verfehlt, indem die Athener sich
nicht abhalten liefsen, Demosthenes mit einer neuen Heeresmacht
nach Sicilien abzusenden. Als aber ein halbes Jahr darauf Alles ver-
loren ging, da empfanden sie um so schwerer den Druck, welchen die
Besatzung von Dekeleia ihnen verursachte.
Die wichtigste Zufuhr war der Stadt abgeschnitten, indem der
Feind die Verbindungswege nach Euboia in seiner Gewalt hatte ; denn
wenn auch der Seeweg noch offen war, so war dieser doch bei weitem
umständlicher und beschwerlicher; zugleich wurde der ganze Besitz
der unentbehrlichen Insel gefährdet. Aber auch von der eigenen
Landschaft war ein grofser Theil in der Macht des Feindes, eine Menge
von Ortschaften und Grundstücken, von Wald und Weideland. Ein
Drittel von Attika gehörte nicht mehr den Athenern und selbst in der
nächsten Umgebung der Stadt war der Verkehr gehemmt; ein grofser
Theil des Landvolks, ohne Arbeit und Verdienst, drängte sich wieder
in die Stadt zusammen; die Bürger waren Tag und Nacht zu be-
schwerlichem Wachtdienste gezwungen, kurz alle Verlegenheiten und
alle Noth der ersten Kriegsjahre war in gesteigertem Mafse wieder da.
Denn jetzt war keine Zeit mehr der Erholung gegönnt. Die Heim-
suchung der Landschaft war viel ausgedehnter, da ein feindliches Heer
ununterbrochen seinen Unterhalt aus ihr bezog, und namentlich hatten
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FIYVNZNOTH.
die Sklaven, die ihren Herren entlaufen wollten, nun das ganze Jahr
hindurch einen festen Zufluchtsort. Zu Tausenden entliefen sie nach
Dekeleia, wo sie den Feinden wichtige Dienste leisten konnten. Mit
gröfserer Strenge konnte hier nichts erreicht werden, so dass man sich
im Gegentheile genöthigt sah, eine mildere Behandlung der Haus-
sklaven einzuführen, um so dem Uehel zu steuern 1<0).
Unter diesen Umständen erlitten nicht nur die Einzelnen eine
emplindliche Einbufse an Vermögen und Einkünften, sondern auch der
Staat im Ganzen. Namentlich fielen zum grofsen Theile die Gerichts*
gebühren und Strafgelder weg, welche einen bedeutenden Theil der
attischen Staatseinkünfte bildeten, weil keine Parteien nach Athen
kamen, um Recht zu suchen, und in der Stadt keine Mufse vorhanden
war, Gerichtssitzungen zu halten. Aufserdem hörten mancherlei
andere Einkünfte an Pachtgeldern, Marktgeldern u. s. w. auf, so dass
sich nun in Folge des ungeheuren Aufwandes für den sicilischen Krieg
und der gegenwärtigen Verluste eine Finanznoth einstellte, wie sie
Athen noch nicht gekannt hatte. Erpressungen bei den Bundesge-
nossen durfte man sich nicht erlauben, da man jetzt auch der gesetz-
lichen Zahlungen nicht mehr sicher war und keine Zwangsmittel in
Händen hatte.
Man versuchte also in der gegenwärtigen Noth einen ganz neuen
Weg, um ohne Belästigung der Bundesgenossen größere oder wenig-
stens sicherere Einnahmen zu erzielen. Man hob die unmittelbare Be-
steuerung auf und führte statt dessen eine Abgabe von 5 Procent ein,
welche von der Ein- und Ausfuhr in allen Häfen der verbündeten
Städte erhoben werden sollte. Diese Einnahmen wurden verpachtet
und eine neue Gattung von attischen Zöllnern, die Eikostologen, d. h.
die Zwanzigstelsammler, verbreitete sich auf dem Gebiete der attischen
Herrschaft. Indessen halte diese Einrichtung, wie es scheint, nicht
den gewünschten Erfolg; die Zollbeamten machten sich und Athen bei
den Bundesgenossen verhasst, und die ganze Neuerung trug nur dazu
bei, die Finanzen der Stadt immer mehr in Verwirrung zu bringen.
Nach wenig Jahren kam man daher wieder auf das frühere Verfahren
die Tribute zu erheben zurück161).
Das einzige Glück, welches den Athenern in ihrer äufseren und
inneren Bedrängniss zu Theil wurde, bestand darin, dass Sparta mit
seinen Bundesgenossen nicht rasch genug bei der Hand war, um den
ersten Schrecken zu einem entscheidenden Angriff zu benutzen. So
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VERFASSL NGSÄ.N l)EKU.>GE.N.
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gewannen die Athener Zeit sich wieder zu sammeln und zum neuen
Kampfe zu ermannen. Die Bürgerschaft war einig, Alles daran zu
setzen, um den Staat in seiner Gröfse zu erhalten; man wusste, dass
durch Unterhandlungen und Nachgiebigkeit nichts zu erreichen war;
man war entschlossen, den Kampf aufzunehmen und dem Schulze
der Götter zu vertrauen.
Aber das erlittene Unglück hatte nicht nur die äufserlichen
Grundlagen der atiischen Macht erschüttert; es fehlte nicht nur an
Geld, Mannschaft, Schiffen und zuverlässigen Bundesgenossen, sondern
auch an dem Selbstgefühl, das für einen Grofsstaat das Unentbehr-
lichste von Allem ist, und an Vertrauen zu der einheimischen Staats-
ordnung. Man erkannte zu deutlich, dass das Unglück der Stadt kein
unverschuldetes sei, dass man grofse Fehler begangen habe, und diese
Fehler standen wieder mit dem Wesen der Demokratie in so nahem
Zusammenhange, dass diese selbst in Misskredit kommen mussle.
Darum wollte man von den früheren Wortführern der Bürgerschaft
nichts wissen; die Stimmen der hitzigen Demagogen waren ver-
stummt, die Rednerbühne war verödet, und ängstlich sah man sich
nach Männern um, welche in so schwerer Zeit den Staat zu leiten
vermöchten. Staatsmänner von allgemeinem Ansehen, wie Nikias ge-
wesen, waren nicht vorhanden; die Reihe seiner Gesinnungsgenossen,
welche ehrliche, verfassungstreue Patrioten waren, und nur den Aus-
schreitungen demokratischer Politik zu steuern suchten, war durch
den Krieg furchtbar gelichtet; die ganze Partei der Besonnenen und
Gemässigten war machtlos und vollkommen rathlos. Die Einzigen,
welche, je verzweifelter die Lage des Staats war, um so zuversichtlicher
ihre Ziele verfolgten, das waren die in geheimen Verbindungen ver-
einigten, grundsätzlichen Feinde der Verfassung, und so kam es, dass,
nachdem im ersten Jahre des dekeleischen Kriegs noch alle Kräfte
unwillkürlich zur Rettung der Stadt zusammenwirkten, im Winter des
zweiten Jahres schon solche Thatsachen hervortraten, welche eine plan-
mäfsige, den Umsturz der zu Recht besiehenden Staatsordnung erzie-
lende Thätigkeit der oligarchischen Partei bezeugen.
Die Masse der Bürgerschaft war zahm und fügsam; ruhig ver-
nahm sie solche Anträge, welche wenig Monate zuvor noch als Hoch-
verrath angesehen und mit leidenschaftlicher Erbitterung verfolgt
worden wären ; sie gab ohne Murren ihre Zustimmung zu den wich-
tigsten Veränderungen der Staatsverfassung, zu den wesentlichsten Be-
Curtin», Gr. Gesch. II. 0. Anfl. 44
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690
DIE PROBULEN {91. 4; 431).
schränkungen ihrer eigenen Macht. Denn die Männer, welche jetzt in
die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten eintraten, verlangten, dass
man nicht nur auf augenblickliche Rettung und Abhülfe bedacht sein
müsse, sondern auch darauf, wie in Zukunft ähnlichem Missgeschick
vorgebeugt werde. Der Grund des Uebels aber sei kein anderer, als die
Leichtfertigkeit mit welcher in den Bürgerversammlungen die folgen-
reichsten Beschlüsse zu Stande kämen. Der Rath der Fünfhundert
gäbe, wie er einmal beschaffen sei, nicht die geringste Bürgschaft für
ein besonnenes Verfahren ; es bedürfe also einer andern Behörde, eines
Collegiums von älteren Männern, welches alle Vorlagen und Anträge
seiner Prüfung unterzöge und nur das von ihm Begutachtete und Ge-
billigte zur Beschlussnabme an die Bürgerschaft gelangen liefse.
Diese neue Behörde sollte zugleich dazu dienen, in dringenden
Fällen die nöthigen Mafsregeln in Vorschlag zu bringen, eine kräftige
und verschwiegene Staatsleitung möglich zu machen und besonders
auch dafür zu sorgen, dass in den Ausgaben die gröfsten Ersparnisse
gemacht würden, um für die wesentlichen Zwecke des Staats die noch
übrigen Hülfsmittel zusammen zu halten. So wurde die attische
Bürgerschaft, welche seit dem Sturze des Areopags jeder Bevormun-
dung enthoben war (S. 158). wieder unter Vormundschaft gestellt
und die Bedeutung dieser Aenderung war um so gröfser, da der Wir-
kungskreis der neuen Behörde ein unbestimmt weiter, die Zahl ihrer
Mitglieder aber eine sehr beschränkte war, so dass sie um so leichter
zu einem Parteiorgane werden konnte. Es waren zehn Männer, welche
den Namen der Vorberather (Probuloi) führten ; sie wurden ohne
Zweifel durch Wahl aus den zehn Stämmen ernannt Der einzige,
sicher Bekannte unter ihnen ist Hagnon (S. 260), einer der vornehm-
sten und angesehensten Bürger, der Mitunterzeichner des Nikias-
friedens, der Gegner des Perikles, ein Mann, der also in seiner poli-
tischen Richtung wohl mit der Partei zusammenhing, welche einst
Thukydides, des Melesias Sohn, gefuhrt hatte 1M).
Die nächste Sorge der neuen Behörde war die Ordnung des Staats-
baushalts. Die Ausgaben für Feste, Opfer und Spiele wurden einge-
schränkt; den Bürgern wurde die Erleichterung gewährt dass zwei und
zwei sich vereinigen konnten, um einen Festchor auszurüsten, und
ebenso wurde bei der Trierarchie Rostentheilung gestattet Vielleicht
gehört auch die Umwandelung der Tribute in Hafenzölle (S. 688) unter
die finanziellen Einrichtungen der Probulen.
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NEUE RÜSTUNG EN.
691
Dann wurde mit allem Eifer gerüstet. Bauholz wurde aus Thrakien
und Makedonien herbeigeschafft, an einer neuen Flotte mit Eifer gebaut,
Sunion befestigt, damit hier nicht etwa eine feindliche Schiffsstation
angelegt werde, welche auch den Seeweg nach Euboia, der allein noch
frei war, verlegen könnte. Zugleich diente die Festung dazu, die Sklaven-
menge in den Bergwerken zu beaufsichtigen. Die Truppen wurden ver-
einigt, indem man die auswärtigen Besatzungen einzog, wenn auch
nicht alle; denn Pylos namentlich blieb nach wie vor besetzt. Endlich
geschah, was möglich war, um die Bundesgenossen zu bewachen,
das Ansehen der Stadt wieder aufzurichten und das Vertrauen in der
Burgerschaft wieder herzustellen. Auch wurde wahrscheinlich zu der-
selben Zeil, um die erlittenen Verluste zu ersetzen, eine Amnestie er-
lassen, welche die Verbannten zurückrief und den im Hermokopiden-
prozesse Verurteilten, so Viele derselben nicht in's feindliche Lager
übergegangen waren, ihre Bürgerrechte zurückgab163).
Die Herbst- und Wintermonate, die von den Athenern in dieser
Weise benutzt wurden, waren eine Zeit allgemeiner Spannung. Eine
Macht, die halb Griechenland niedergehalten hatte, war, wie man
glaubte, gebrochen und ihre Herrschaft unhaltbar. Aus ihrem Sturze
mussle sich also eine neue Ordnung der Dinge im ganzen Mittelmeere
gestalten, und von Susa bis zu den italischen Colonien waren alle
Staaten an der Umgestaltung der Verhältnisse betheiligt. Offen oder
heimlich rüsteten alle Feinde Athens; keiner wollte der Vortheile des
nahen Siegs verlustig gehen. Denn im kommenden Sommer, das
schien gewiss, sollte über Athen das Gericht hereinbrechen, und die
gedrückten Bundesgenossen, welche Gut und Blut für die herrschsüch-
tige Stadt halten hergeben müssen, sahen mit wilder Rachbegier dem
Tage entgegen, an welchem für alle Gewaltthaten, welche die Athener
in Mytilene, Aigina, Skione, Melos und anderwärts verübt hatten, Ab-
rechnung gehalten werden sollte. Die lakedämonischen Bundesgenossen
waren der Ueberzeugung, dass es nur einer kurzen Anstrengung be-
dürfe, dann sei für immer alle Kriegsnoth vorüber, und waren deshalb
zum Land- und Seedienste willfähriger.
Die peloponnesische Kriegführung hatte einen zwiefachen Mittel-
punkt, den einen in Dekeleia, den andern in Sparta. König Agis hatte
nämlich für das nördliche Kriegstheater außerordentliche Vollmachten
erhallen, um jede Gelegenheit, den Athenern zu schaden, unverzüglich
benutzen zu können. In Folge dessen machte er noch im Winter von
44*
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692
AGIS' WI7ITERZÜGE.
seinem Hauptquartiere aus weite Kriegszüge gegen Norden, suchte
Herakleia (S. 46$) wieder zu heben, erpresste Geiseln und Geldbeiträge
für die peloponnesische Flotte bei den Stämmen des Oetegebirges, bei
den Phthioten und Thessaliern, und nahm die Abgeordneten an, welche
von den Inseln kamen, um sich zum Abfalle von Athen spartanischer
* Unterstützung zu versichern.
Diese Verhandlungen mussten sehr geheim gehalten werden, weil
die Oligarchen, welche jetzt aller Orten trotzig ihr Haupt erhoben, sich
nicht nur vor Athen in Acht nehmen mussten, sondern auch vor den
Volksparteien, deren Fährer an Athen festhielten. Darum konnte zum
Glücke der Athener kein allgemeiner Abfall zu Stande kommen, weil
es den Spartanern an Mitteln fehlte, gleichzeitig an verschiedenen
Orten ihre Anhänger zu unterstützen. Man musste sich entscheiden,
welchen man den Vorzug geben sollte, und dabei zeigte sich eine
Unsicherheit und Unentschlossenheit, welche nicht wenig dazu beitrug,
den Erfolg der Peloponnesier zu lähmen. So schickte Agis erst nach
Euboia drei Beamte mit Kriegsmannschaft hinüber, weil er hier mit
Recht die verwundbarste Stelle der attischen Macht erkannte und die
Aufwiegelung dieser Insel mit dem dekeleischen Kriege am leichtesten
verbinden konnte. Dann aber gab er wieder dem Andringen der Böotier
nach, die vor Allen den Lesbiern geholfen wissen wollten, und rüstete
für diese Schilfe und Truppen aus. Dadurch zersplitterte er seine Hülfs-
kräfte und verwickelte sich von Dekeleia aus in den asiatischen Krieg,
welcher von Sparta aus geleitet werden sollte.
Hier in der Hauptstadt herrschte ein ähnliches Schwanken; nicht
als ob man sich vor dem Bündnisse mit den Persern noch in der ent-
scheidenden Stunde gescheut hätte, sondern die doppelten Anträge
waren es, welche die Verlegenheit herbeiführten. Denn die Einen
wollten, dass man vor Allem Tissaphernes unterstützen solle, die
Andern, dass man nach dem Wunsche des Pharnabazos am Hellespont
den Seekrieg eröffne, während Agis im Einverständnisse mit den
Böotiern seinen ganzen Einfluss benutzte, um den Lesbiern die
erste Unterstützung zu verschaffen, an denen man das früher Ver-
säumte so schnell wie möglich gut zu machen habe (S. 447). Unter
diesen Umständen war es Alkibiades, der den Ausschlag gab, in-
dem er seine Anhänger, unter denen der Ephore Endios, ein Gegner
des Agis, der mächtigste war, für die Anträge des Tissaphernes zu
stimmen wusste.
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POLITIK SsPAHTAS.
693
In lonien war allerdings am meisten Aussicht auf Erfolg, und
hier wurde Athen durch jeden Verlust am schwersten getroffen. Nach
der ionischen Küste hatten die Satrapen schon mehrmals mit Glück
vorgegriffen ; persische Parteigänger waren in allen Städten, nament-
lich in Ephesos, welches von allen Seeplätzen den bedeutendsten
Binnenhandel hatte und den Einflüssen des Morgenlandes am meisten
zugänglich war. Es ist sogar wahrscheinlich, dass schon vor der sici-
lischen Niederlage Ephesos den Athenern entfremdet und in die
Gewalt des Tissaphernes geralhen war. Nun war Chios zum Abfalle
bereit, der bedeutendste aller Bundesstaaten, dessen Beispiel für ganz
lonien entscheidend sein musste. Die Städte waren unbefestigt, sie
waren von Besatzungen und Wachschiffen entblöfst. Die Satrapie des
Tissaphernes erschien also in jeder Beziehung als das günstigste
Kriegs theater. Aufserdem waren seine Hülfsmittel viel ansehnlicher
als die des Pbarnabazos, wenn er auch nicht, wie dieser, mit baarem
Gelde sein Gesuch unterstützte. Endlich hatte Alkibiades in den
ionischen Städten einen bedeutenden Anhang (S. 620) und konnte
hier am ehesten hoffen, seinen Einfluss in glänzender Weise geltend
zn machen. So wurden nach vielen Streitigkeiten die Kriegspläne
seinem Bathe gemäfs bestimmt; Euboia und Lesbos wurden vorläufig
aufgegeben, Chios und Erythrai dagegen noch im Laufe des Winters,
nachdem man sich von den Streitkräften der Chier durch einen
Abgeordneten überzeugt hatte, heimlich in den peloponnesischen Bund
aufgenommen und ihnen die ersten Unterstützungen zugesagt. Später
wollte man dann den Krieg gegen Norden ausdehnen, da man die
Gunst des Pbarnabazos nicht von der Hand weisen wollte und die
Bedeutung des Hellesponts für Athen wohl zu würdigen wusste;
Dekeleia aber sollte für die continentalen Unternehmungen die Cenlral-
stelle sein. Das war der Feldzugsplan für den kommenden Sommer,
den die Bundesgenossen annahmen und den auch Agis sich gefallen
liefs, da man darüber einig wurde, dass nächst Chios Lesbos das Ziel
der Flotte sein und bei dieser Unternehmung Alkamenes, wie Agis an-
geordnet hatte, die Führung haben solle104).
Die Flotte selbst war im Bau. Ihre Gesamtstärke war auf 100
Kriegsschiffe bestimmt, 25 halle Sparta übernommen und eben so
viele Theben; 15 stellten die Korinther, 15 die Phokeer und Lokrer;
die übrigen 20 theils die Arkader, Pelleneer und Sikyonier, theils die
Megareer und die Küslenstädte von Argolis. Aufserdem erwartete man
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004
BLOKADE IN PEIRAIOS (91, *; 419 FRÜHJAHR).
von Sicilien einen ansehnlichen Zuzug, und in Chios waren 60 Schiffe
bereit. Es war keine Zeit zu verlieren; denn die Bewegungen in lonien
fingen an bekannt zu werden, und die Chier Uelsen nicht ab, auf mög-
lichste Beschleunigung zu dringen.
Dennoch ging Alles lahm und ungeschickt. Erst sollten unmittel-
bar von Lakonien zehn Schiffe unter Melankridas nach Chios abgehen;
aber wie Alles fertig war, trat ein Erdbeben ein und erschreckte die
Spartaner so sehr, dass sie den ganzen Zug aufgaben, an Stelle des
Melankridas Chalkideus zum Admiral machten und nicht von Gylheion,
sondern vom korinthischen Gestade aus den Seekrieg zu beginnen be-
schlossen; ein Beschluss, der neue Verzögerungen und Unfälle herbei-
führte. Denn die Korinther beeilten sich zwar, 21 Schiffe über den
Isthmus hinüber nach Kenchreai zu schaffen und Alles zur Abfahrt
vorzubereiten, aber wie es so weit war, wollten sie die Feier der
isthmischen Spiele, welche ihnen mit dem dazu gehörigen Jahrmärkte
grofsen Vortheil einbrachten, nicht durch eine offene Kriegsunter-
nehmung stören, und eben so wenig waren sie geneigt, auf den Vor-
schlag des Agis einzugehen, welcher sich bereit erklärte, die Schilfe in
seinem Namen zu führen. Die Folge war, dass die Athener in der
Zwischenzeit nach Chios schickten und von den Chiern sieben Schiffe
forderten, welche ihnen ohne Weigerung gestellt wurden, da die spar-
tanische Partei noch nicht die Mittel hatte, den Abfall wirklich zu
vollziehen. Auf den Isthmien selbst aber, welche in den April oder
Mai fielen, waren auf Einladung Korinlhs auch Abgeordnete Athens an-
wesend ; hier kamen die Pläne der Peloponnesier vollends zu Tage, und
nun ergriffen die Athener die kräftigsten Mafsregeln, um die beabsich-
tigte Unternehmung zu hindern. Denn das war, von der Verzögerung
abgesehen, das andere grofse Versehen der Verbündelen, dass sie den
saronischen Golf zum Schauplatze ihrer Rüstungen machten, als wenn
es gar kein Athen mehr gäbe und keine feindliche Macht vorhanden
wäre. So wie also die korinthische Flotte mit den Schiffen des Agis
auslief, wurde sie von einem attischen Geschwader von gleicher Zahl
angegriffen. Die Peloponnesier wichen aus und hielten sich zurück.
Als sie aber von Neuem in See gingen, sahen sie eine noch gröfsere
Zahl feindlicher Schiffe auf sich zu steuern; sie wurden von diesen auf
die peloponnesische Küste zurückgeworfen, in einer Felsbucht, Peiraios
genannt, eingeschlossen und daselbst sehr übel zugerichtet. Alkamenes
selbst kam um's Leben. Das war die erste Thal, die den Athenern
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ALKIBIADES IN CHIOS
G95
wieder gelang und ihnen neuen Mulh einflößte, während die Pelopon-
nesier dadurch so niedergeschlagen wurden, dass man in Sparta ent-
schlossen war, den ganzen ionischen Krieg, gegen den doch immer
noch die alte Abneigung in der Bürgerschaft vorhanden war, wieder
aufzugeben.
Dies wäre auch ohne Zweifel geschehen, wenn Alkibiades nicht
dort gewesen wäre. Er wusste die Einsperrung der korinthischen
Flotte so zu benutzen, dass ihm daraus die gröfsten Vortheile er-
wuchsen; denn ihm kam Alles darauf an, zu zeigen, dass er auch
ohne Flotte im Stande sei, den Abfall Ioniens und die Verbindung
zwischen Sparta und Persien zu Stande zu bringen. Er wusste die
Ephoren für sich zu gewinnen; er benutzte ihre Eifersucht gegen Agis,
den er selbst durch ein verbrecherisches Verhältniss mit der Frau des-
selben sieb zum Feinde gemacht hatte, und stellte es namentlich dem
Endios als eiqen grofsen Gewinn vor Augen , dass dem Könige seine
ehrgeizigen Hoffnungen auf Triumphe in lonien vereitelt wären. Man
brauche die Schiffe gar nicht, sagte er mit einer Kühnheit, die Alles
in Erstaunen setzte und die Schwankenden mit sich fortriss. Man
müsse nur in Chios sein, ehe die Nachricht von dem Unfälle im
korinthischen Golfe dorthin gelange; für das Weitere werde er sorgen.
Der frühere Bescbluss wird also wieder aufgehoben und die fünf Schiffe
(mehr hatte man in Sparta nicht auszurüsten vermocht) gehen unter
Chalkideus und Alkibiades in See. In rascher Fahrt wird das Ziel
erreicht, und so wie das kleine Geschwader bei Chios vor Anker geht,
trägt die aristokratische Partei kein Bedenken mehr, mit ihren An-
sichten offen hervorzutreten. Die erschreckte Volksmenge wagt keinen
Widerstand. Alkibiades, der die anwesenden Schiffe als die Vorläufer
einer grofsen Kriegsflotte darstellt, weifs durch seinen Einüuss alle
Schwierigkeiten zu beseitigen. Erythrai folgt unmittelbar dem Bei-
spiele von Chios. Endlich wird auch Klazomenai bestimmt, seinen
Beitritt öffentlich zu erklären, obwohl nur drei Schiffe dorthin abge-
ordnet wurden. Die neuen Verbündeten werden aufgefordert, mit
allem Nachdrucke ihre Rüstungen und Mauerarbeiten zu betreiben.
Wie durch einen Blitz ist der Brand des Kriegs entfacht; der Abfall
Ioniens hat begonnen und Sparta gebietet im Mittelpunkte der feind-
lichen Macht. Niemals sind grofse Erfolge mit geringeren Mitteln er-
reicht worden 16 5).
Bis dahin hatte man mit keinem Feinde zu thun gehabt, denn
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«96
HER AREA EL VON CHIOS.
Strom bicbides, der von der korinthischen Küste aus in See gegangen
war, um das Geschwader des Chalkideus aufzufangen, hatte dasselbe
verfehlt. Nun aber entschloss man sich in Athen zu den höchsten
Kraflanstrengungen, um lonien zu halten.
Der ofTene Abfall von Chios machte einen ungeheuren Eindruck.
Man hatte die Insel immer mit besonderer Milde behandelt: man
schätzte Chios als die Perle unter den Bundesstädten; bei den Staats-
opfern wurde es in die Gebete für des Staates Wohlfahrt namentlich
mit aufgenommen, und noch vor Kurzem hatte Eupolis in der Komödie,
in welcher die Bundessladle den Chor bildeten (S. 506), Chios ge-
rühmt, 'die schöne Stadt, die Kriegsschiffe und Männer sende, so oft
'es nolh thue, und immer folgsam sei wie ein Ross, welches keiner
'Strafe bedürfe'. Der Abfall von Chios wurde als das Signal einer all-
gemeinen Erhebung der Bundesgenossen angesehen. Man beschloss
alle Mittel in Bewegung zu setzen und selbst den Reservefonds von
tausend Talenten auf der Burg, welche nach einem perikleischen Ge-
setze für den letzten Nothfall, d. h. für einen unmittelbaren Angriff
auf Stadt und Hafen, gespart werden sollten, anzugreifen (S. 252).
Denn man sah in der ionischen Erhebung einen Angriff auf die Existenz
des Staats und glaubte sich berechtigt, in diesem Sinne das Gesetz zu
deuten. So wurden Gelder flüssig, um Schiffe zu bemannen. Was an
Trieren zurückgestellt war, wurde aus den Schiffsbau sern hervorge-
zogen; SchifTe und Mannschaften wurden nach Beschaffenheit des
Dienstes gesondert. Man schickte das Blokadegesch wader, welches der
kriegstüchtigste Theil der Flotte war, sofort nach lonien, indem man
es durch andere Schiffe ersetzte. Man warf die freien Chier, welche
auf den sieben Trieren waren, in Bande, während man die darauf
befindlichen Sklaven frei liefs, und traf die umfassendsten Mafsregeln,
um der weiteren Ausbreitung des Aufstandes vorzubeugen166).
Dennoch war man aufser Stande, die Fortschritte eines Gegners,
wie Alkibiades war, zu hemmen. Slrombicbides suchte mit neun
Schiffen Teos zu halten , wo die Athener ein Castell zum Schutze der
Gegend gebaut hatten, aber vergebens. Alkibiades hatte schon eine
ionische Flotte von 23 Schiffen um sich vereinigt und beherrschte das
Meer. Er liefs das peloponnesische Seevolk als Landtruppen in Chios
zurück, um die dortige Regierung gegen Aufstände und Angriffe zu
schützen, nahm dagegen chiische Seeleute auf seine SchifTe und eilte
weiter nach Milet, um die alte Hauptstadt Ioniens mit der von ihm
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SPARTA UKD I'liltSlE*.
697
geschaffenen Machl zu gewinnen. Denn statt auf Verstärkungen zu
warten, war er immer nur in Sorge, dass sie .früher ankommen
möchten, als sein Ehrgeiz wünschte. Die Athener konnten nichts
thun, als bei der Insel Lade (I, 626) eine beobachtende Stellung ein-
nehmen, während die Milesier, durch Alkibiades gewonnen, von Athen
abfielen.
Nun konnte Sparta endlich auch dazu gelangen , wonach es so
lange sehnsüchtig gestrebt hatte, nämlich zum Genüsse persischer
Subsidien. Denn die aufserordentlichen Erfolge, mit denen der ionische
Krieg begonnen hatte, veranlassten Tissaphernes, endlich aus seiner
zuwartenden Stellung herauszutreten. Nachdem er schon im Winter
einen Agenten nach Sparta geschickt hatte, mit dem man sich nicht
hatte verständigen können, trat er nun im Namen des Grofskönigs
persönlich ein und erklärte sich zum Abschlüsse eines Vertrags bereit,
wie ein Herr, welcher nach abgelegter Probe einen Diener in Sold
nimmt.
In Milel oder Magnesia kam er mit Chalkideus zusammen, und
ohne Verzug kam zwischen dem Grofskönig und Tissaphernes einer-
seits, den Spartanern und ihren Bundesgenossen andererseits ein Ver-
trag zu Stande, dessen Urkunde uns wortgetreu bei Thukydides auf-
bewahrt ist. Die Grundlage desselben war die Anerkennung der persi-
schen Hoheitsrechte über die Länder und Städte, welche der König
und 'die Väter des Königs inne hatten'. Das war der Hauptpunkt, an
dem jede frühere Verständigung gescheitert war, an dem Tissaphernes
aber unerschütterlich fest hielt, um der Unsicherheit des Besitzslandes
am ionischen Meer, die für die Satrapen unerträgUch war, im Sinne
der königlichen Politik ein Ende zu machen.
Die Durchführung dieser von Sparta anerkannten Grundlage des
Vertrags war ohne Krieg unmöglich. Derselbe soll vom König und
von Sparta gemeinschaftlich geführt werden und keiner der beiden
Verlragsmächte soll durch einseiligen Friedensschluss die Wallen
niederlegen dürfen.
Die nächste Aufgabe ist also die, von beiden Seiten dafür zu sor-
gen, dass von jenen Ländern und Städten keinerlei Gefalle den Athenern
zugehen; daran schliefst sich aber im Schlussparagraphen noch die
allgemeine Bestimmung, dass die Lakedämonier Jeden als Feind an-
sehen sollen, der dem Könige untreu wird, und eben so der König alle
die, welche von den Lakedämoniern und ihrem Bunde abfallen.
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698
DER ERSTE StBSIblE.N VERTRAG (M# *i
Die Verpflichtung zu einer bestimmten Soldzahlung, die doch
schon bei den vorjäußgen Verhandlungen in Sparta so gut wie ver-
sprochen worden war, ist in die Verlragsurkunde gar nicht aufgenom-
men, obgleich dieser Gewinn doch der einzige war, um dessen willen
die I-akedämonier sich zu einem solchen Vertrage entschliefsen
konnten. Sonst brachte er ihnen ja nichts als Schande und Nach-
theil; denn sie, welche als Befreier der unterdrückten Hellenen in
den Krieg eingetreten waren, gaben nun die ganze Reihe der
kleinasialischen Städte, ja, wenn die Bestimmungen der Urkunde
in voller Tragweite geltend gemacht werden sollten, auch das
diesseitige Griechenland bis zum korinthischen Isthmus freiwillig
den Barbaren preis; sie verpflichteten sich sogar, das von ihren Vor-
fahren befreite Land den Barbaren wieder zu unterwerfen; die Erhe-
bung der jenseitigen Volksgenossen wurde jetzt als eine Empörung
gegen den rechtmäßigen Oberherrn von den Spartanern anerkannt,
ja sie übernahmen ihrerseits eine Garantie für die Aufrechterhaltung
oder Herstellung seiner vollen Hoheitsrechte, wogegen die vom Grofs-
könig übernommene Garantie eine leere Redensart war. Ohne einen
wesentlichen Vortheil zu erreichen, hatten sie also ihre Geschichte
verläugnet, ihre Freiheit aufgegeben, in die schwierigsten Verbind-
lichkeiten sich eingelassen und die Entscheidung der griechischen
Fehden in die Hand des Grofskönigs gelegt.
Die persische Politik dagegen feierte in einer Zeit, wo das Reich
im allertiefsten Verfalle lag und die königliche Autorität so sehr ge-
sunken war, dass sie in der gegenseitigen Verfeindung der Satrapen
ihre wesentlichste Stütze erkennen musste, unverhofft und ohne Opfer
den grössten Triumph. Ihre alten Herrschaftsansprüche, welche sie
mit Zähigkeit festgehalten hatten, sahen die Perser von ihren gefähr-
lichsten Feinden, denen sie überall erlegen waren, in vollstem Umfange
anerkannt. Tissaphernes selbst aber hatte ohne Mühe für sich die
gröfsten Erfolge errungen. Amorges war beseitigt, Milet nebst den
anderen Küstenstädten in seinen Händen; er war Herr in seiner
Satrapie, wie es seit der Schlacht von Mykale keiner seiner Vorgänger
gewesen war, und wenn er sich auch vorläufig dazu bequemt hatte, in
Gemeinschaft mit Chios und Erythrai, wie mit ebenbürtigen Staaten,
zu handeln (S. 684), so konnte er doch mit gutem Grunde voraus-
setzen , dass es ihm bald gelingen werde , der vorläutig anerkannten
Selbständigkeit dieser Staaten ein Ende zu machen.
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DER IOMSCHK KRIEG (9t, 1; 412 SOMMER).
699
Ein Vertrag, der für die Griechen so schmachvoll und demülhi-
gend war, konnte auch nur im höchsten Grade nacbtheilig wirken,
weil er das Ehrgefühl der spartanischen Krieger abstumpfte, die besser
Gesinnten empörte und dem Staate Verachtung zuzog. Alkibiades,
welcher der Berather des Ghalkideus war und die Seele aller Verhand-
lungen, suchte seinerseits die Bedenklichkeiten zu beseitigen; erstellte
den Spartanern das persische Geld, das nur auf diesem Wege zu er-
langen sei, immer von Neuem als nothwendige Bedingung zur Demülhi-
gung Athens vor Augen und gab zu verstehen, dass es mit den anderen
Vertragspunkten nicht so ernst zu nehmen sei. Er war es, wie wir
voraussetzen dürfen, der die Vertragsurkunde entworfen hatte; er
selbst war unter allen Griechen der Einzige, welcher bei diesem Ver-
trage gewann; denn er verpflichtete sich dadurch den Tissapliernes
und halle sich zugleich eine Waffe geschmiedet, welche zunächst gegen
Athen, dann aber, wenn er wollte, auch gegen Sparta gebraucht wer-
den konnte167).
Auf den Gang des Kriegs hatte der Abschluss des Vertrags keinen
merklichen Einfluss. Es kamen in der zweiten Hälfte des Sommers
von beiden Seiten neue Streitkräfte an, ohne dass etwas Entscheidendes
erfolgte. Den peloponnesischen Schiffen gelang es endlich, sich aus
ihrer Einschließung (S. 694) zu befreien und vier derselben führte
Astyochos, des Alkamenes Nachfolger, welcher nun als lakedämonischer
Admiral den Oberbefehl erhielt, nach Ionien. Die Chier kreuzten
unermüdlich umher und brachten noch mehrere Küstenorle, selbst die
beiden wichtigsten Städte von Lesbos, Mytilene und das den Athenern
so treue Methymna, zum Abfalle, auch nachdem die Athener ihre
ionische Flotte durch 26 Schilfe verstärkt hatten.
Auch auf Samos regte sich die aristokratische Partei, welche bei
dem Auftreten der spartanischen Macht in Ionien aller Orten ihr Haupt
erhob, und trat unter Führung von Kleomedes u. A. mit den Pelo-
ponuesiern in Verbindung; aber hier nahm die Bewegung einen anderen
Verlauf. Das Volk, von drei attischen Schiffen unterstützt, erhob sich
gegen die Aristokraten; 200 derselben wurden erschlagen, 400 ver-
trieben und ihre Güter eingezogen, üeber den gesamten Adel der Insel
wurde ein furchtbares Gericht gehalten, so dass er vollständig aus der
Staatsgemeinschaft ausgestofsen wurde, indem die Bürger sich eidlich
verpflichteten, keinem der Edlen eine Tochter zur Ehe zu geben oder
aus ihrem Stande eine Frau zu nehmen. Es war ein Parteisieg,
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700 SEESCHLACHT BEI M1LET IW. 1; 41S HERBST).
welcher erkennen lässt, wie viel Hass und Erbitterung sich allmählich
angesammelt hatte; es war eine Niederlage der spartanisch-persischen
Partei, welche manche frühere Verluste wieder gut machte. Denn der
neu geordnete Staat schloss sich nun auf das Engste den Athenern an
und war diesen so sicher, dass sie ihm volle Selbständigkeit und das
freieste Bundesverhältniss einräumen konnten. Wir haben noch heute
einen Theil des Steins, welcher den Samiern zu Ehren in Athen auf-
gestellt worden ist, auf welchem sie von Rath und Bürgerschaft für
ihre Selbstbefreiung und ihren freiwilligen Anseht uss gelobt werden.
Die Athener halten nun den Vortheil, den Spartanern gegenüber
wieder die nationale Sache in Ionien vertreten zu können ; sie hatten
für ihre Unternehmungen einen festen und wohlgelegenen Stützpunkt,
uro dem weiteren Abfalle mit Nachdruck zu begegnen. Mytilene und
Klazomenai wurden wieder gewonnen, Chalkideus ward im milesischen
Gebiete besiegt und gelodlet, Cbios angegriffen und die blühende Insel,
welche seit den Perserkriegen keine Beschädigung erlitten hatte, ward
in drei Landungen so arg heimgesucht, dass die Einwohner an-
fingen, mit der Politik ihrer Regierung in hohem Grade unzufrieden
zu sein.
Gegen Ende des Sommers kam endlich eine neue attische Flotte
von 48 Schiffen mit 3500 Schwerbewaffneten unter Phrynicbos, dem
Sohne des Slratonides, Onomakles und Skironides. Ihre Absicht war,
Milet zu erobern, um dadurch dem ganzen Aufslande Ioniens ein Ende
zu machen. Es kam zu einer Schlacht mit deu Milesiern, Pelopon-
nesiern und Persern, in der die dorischen Bundesgenossen Athens, die
Argiver, in Folge ihres ungeordneten Angriffs von den loniern grofsen
Verlust erlitten, die Athener dagegen über die Peloponnesier solche
Vortheile gewannen, dass sie unverzüglich daran gingen, Milet selbst
zu belagern. Milet war verloren und die feindliche Macht in lonien ver-
nichtet, wenn kein Entsatz kam. Aber ehe die Stadt vollständig ab-
gesperrt war, nahte eine neue Flotte.
Es war der gefährlichste aller Feinde, Hermokrates, der den Athe-
nern auch hier wieder den gewissen Sieg enlriss. Er hatte es durch-
gesetzt, dass er mit zwanzig Schiffen aus Syrakus und zwei aus Selinus
abgesendet wurde, um den Rachekrieg im ägäischen Meere fortzusetzen
und Athen den Todesstoß zu geben. Den Demokraten in Syrakus war
seine Entfernung nicht unwillkommen; deshalb hatten sie seine Pläne
nicht hinterlrieben, sondern sich damit begnügt, seine Kriegsmiltel zu
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SOLDVERKÜRZUNG (9t, 1; 412 WINTER).
701
beschränken, so dass er zu selbständigen Unternehmungen unfähig
war. Er war unverzüglich nach dem Peloponnes aufgebrochen, hatte
dort zur Eile getrieben und sich mit den in Gytheion segelfertigen
Schiffen vereinigt. Es waren nun zusammen 55 Schiffe, welche unter
dem Lakedämonier Therimenes abgingen, um Astyochos zu verstarken.
Unmittelbar nach dem Treffen bei Milet liefen sie im iasischen Golfe
ein. Alkibiades, welcher selbst dem Treffen beigewohnt hatte, eilte
zu Pferde nach lasos, nm die unerwartete Hülfe unverzüglich herbei
zu holen. Die Athener hatten Muth und Lust, mit der vereinigten Flotte
den Kampf im milesischen Meerbusen aufzunehmen, aber die Ansicht
des vorsichtigen Phrynichos gewann doch die Oberhand. Er erklärte
es für ein unverantwortliches Wagniss, die mit den letzten Mitteln aus-
gerüstete Flotte in der Schlacht auf das Spiel zu setzen. Man zog sich
also nach Samos zurück und der milesische Sieg blieb erfolglos. Die
Feinde aber gingen Tissaphemes zu Gefatlen nach lasos, eroberten es
für ihn und lieferten ihm, als dienstbeflissene Schergen, den gefange-
nen Amorges aus168).
Auch im folgenden Winter geschah nichts Erhebliches auf dem
Kriegstheater, aber es gestalteten sich doch für Athen die Verhältnisse
im Ganzen immer günstiger, indem die Lage von Chios sich verschlim-
merte und innerhalb des feindlichen Bündnisses sehr ernste Misshellig-
keiten ausbrachen; zuerst zwischen Chios und Astyochos, dessen Un-
thätigkeit die Insulaner mit Recht verdross, und dann zwischen Tissa-
phemes und der peloponnesischen Flotte. Der Satrap zahlte in Milet
den ersten Sold aus und zwar erhielt, wie er in Sparta versprochen
hatte, jeder Mann an Bord eine Drachme für den Tag. Dabei erklärte
er aber, dass er in Zukunft nur die Hälfte geben könne, bis der Grofs-
könig ihn ermächtige, auch ferner eine volle Drachme zu zahlen.
Der Sold für Seedienst war durch die sicilische Unternehmung in
die Höhe gegangen; nach dem Ende derselben werden aber auch wohl
die Athener wieder zu einem niedrigeren Satze zurückgekehrt sein,
und da war eine halbe Drachme das Gewöhnliche. Eine vertragsmäfsige
Verpflichtung mehr zu geben konnte dem Tissaphemes nicht nach-
gewiesen werden; aber sein Benehmen erweckte grofse Erbitterung,
nicht blofs des Eigennutzes wegen, sondern auch deshalb, weil der
höhere Persersold das wirksamste Mittel war, die attische Seemacht zu
schwächen, indem man ihr die Mannschan abwendig machte. Deshalb
trat besonders Hermokrates, welchem die ganze Art der Kriegsführung
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702
ZWEITER SUBSIME.NVbllTItAC.
und die Abhängigkeit von Persien ein Greuel war, dem Satrapen mit
grofser Heftigkeit gegenüber, und nur mit Mühe gelang es endlich eine
Uebereinkunft zu Stande zu bringen, welche darin bestand, dass Tissa-
phernes sich bereit erklärte, für je fünf Schilfe zusammen monatlich
drei Talente zu geben, also für das einzelne Schiff 36 Minen anstatt 30,
und für den Mann 3% Obolen anstatt 3. Einen solchen Zuschlag glaubte
Tissapbernes auch ohne königliche Genehmigung geben zu können.
Dies unwürdige Feilschen um Soldzulage machte einen sehr üblen
Eindruck, und die Unzufriedenheit würde noch gröfser gewesen sein,
wenn nicht das Seevolk durch reichliche Beute bei der Erorberun?
von lasos seine Entschädigung gefunden hätte. Darum hatten die Pelo-
ponnesier auch jetzt keine Lust, gegen die Athener, welche ihre Flotte
bis auf 104 Schiffe gebracht hatten, etwas Entscheidendes zu unter-
nehmen oder überhaupt in Ionien einen planmäßigen Krieg zu führen,
sondern sie zogen es vor, von Milet aus einzelne Strei fange zu machen,
wie z. B. nach Knidos, welches von Tissapbernes abgefallen war. In-
zwischen veranlasste die Unzufriedenheit, welche über den ersten
Traktat mit den Persern laut geworden war, den Abschluss eines
zweiten. Man gab ihnen zu verstehen, dass die Peloponnesier gegen-
wärtig doch wohl andere Ansprüche machen dürften, als damals, da sie
unter Chalkideus mit ein Paar Schiffen den ionischen Feldzug eröffnet
hätten. Es wurden in der That einige wichtige Punkte zu Gunsten der
griechischen Nationalehre gemildert, namentlich sehen wir die weit-
gehenden Verpflichtungen der Lakedämonier vorsichtiger begränzt und
im Wesentlichen darauf beschränkt, dass sie sich selbst von jeder
Feindseligkeit gegen die als persisch anerkannten Territorien und jeder
Tributerhebung daselbst enthalten sollten; jede Hülfsleistung soll aber
von besonderen Vereinbarungen abhängig bleiben. Dann wurden von
persischer Seite die Kosten des Unterhalls der lakedämonischen Mann-
schaften innerhalb des königlichen Gebiets übernommen, falls die-
selben im Interesse des Königs anwesend sind. Von Neuem aber wurden
im weitesten Umfange die Hoheitsrechle des Grofskönigs zur Aner-
kennung gebracht und auf Alles, was seine Vorfahren besessen, aus-
drücklich ausgedehnt. Das war der zweite Bundes- und Freund-
schaftsvertrag, der durch Therimenes geschlossen und nach ihm
genannt wurde18*).
Das Wichtigste aber, was in diesem Winter erfolgte, war die Ver-
änderung in der Stellung des Alkibiades. Er hatte den Spartanern die
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ALKIBIADES BEI DEN PERSERN (9S, 1; 412 SPÄTHERBST). 703
wesentlichsten Dienste geleistet, ihre Erfolge waren sämtlich sein
Werk. Wenn diese Bedeutung eines Fremdlings schon an sich das Ehr-
gefühl der Spartaner auf das Tiefste kränkte, so kam nun zu dieser
Eifersucht der tödlliche Mass der Feinde, welcher ihn immer heftiger
verfolgte, während seine Anhänger entweder gefallen waren wie Chal-
kideus, oder wie Endios inzwischen ihre amtliche Stellung verloren
hatten. Der Feinde schlimmster war König Agis, welcher sich durch
Alkibiades ganz in den Hintergrund gedrängt und schwer beleidigt sah.
Die Verführung der Königin Timaia war ein öffentliches Aergerniss em-
pörendster Art; es wurde auch auf der attischen Bühne bespöttelt und
Alkibiades selbst soll in frechem Uebermuthe sich dessen gerühmt
haben, dass einst seine Nachkommenschaft den Thron der Herakliden
inne haben werde. Seit man nun des Alkibiades nicht mehr zu be-
dürfen glaubte, war er auch seines Lebens im lakedämonischen Lager
nicht mehr sicher; denn wenn man ihn los sein wollte, so konnte nur
sein Tod vor den Folgen seiner Feindschaft schützen. Das war es
auch, was die Bachgier seiner Gegner verlangte, und sie erwirkten von
den Behörden Spartas einen Befehl, welcher dem Astyochos die
Tödtung des Alkibiades auftrug. Alkibiades aber wurde gewarnt, wie
es heifst, durch Timaia. Er war auf diesen Fall längst vorbereitet, und
hatte deshalb seine Unterhandlungen mit Tissaphernes von Anfang an
dazu benutzt, sich bei ihm eine Stellung zu verschaffen. Was Alki-
. biades auf Seilen Spartas hatte erreichen wollen, war erreicht. Halb
Attika war in Feindeshand, im Hafen von Milet lagerte eine von per-
sischem Gelde besoldete Flotte, und seine Landsleute hatten schwer
empfunden, was es heifse, Alkibiades zum Feinde zu haben. Jetzt sollte
ein neuer Umschwung erfolgen, der wiederum allein von seiner Person
abhängen musste. Er verliefs also heimlich das peloponnesische Lager
und begab sich nach Magnesia in das Hauptquartier des Satrapen,
welcher nach alter Perserpolitik den mächtigen Parteigänger (mit
Freuden an seinem Hofe aufnahm170).
Dies Alles war gleich nach der milesischen Schlacht erfolgt, und
sehr bald spürten die Lakedämonier, dass der Mann, welcher das Bünd-
niss mit Persien geschlossen habe, auch im Stande sei, dasselbe wieder
zu lösen. Denn die plötzliche Soldverringerung, welche das Bestehen
der ganzen Verbindung gefährdete, war schon das Werk des Alkibi-
ades, der kaum den Dolchen der Spartaner entronnen war, als er auch
schon die Macht in Händen hatte, sich an ihnen zu rächen.
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704
Al.KIMAIlES HEI TISSAPHERNES.
Wie er in Sparta Spartaner gewesen war, so war er am Satrapen-
hofe der vornehme Perser. In jede neue Lebenslage fand er sich
hinein, als wenn er für sie geboren wäre, und tauschte den Umständen
gemäfs, wie die Kleidung, so auch Sprache und Sitte. Bald war der
flüchtige Abenteurer der Vertraute und Minister des Tissaphernes und
bestimmte hier, wie er es in Sparta gethan hatte, die auswärtige Poli-
tik. Damals hatte man in Susa so wenig wie in Sardes ein festes Pro-
gramm. Man fing ja eben erst wieder an, sich in die Verhältnisse des
griechischen Meers einzumischen, und folgte dabei nur gewissen rohen
Ueberlieferungen der Achämenidenpolitik. Man brachte nichts mit als
den alten Perserstolz und die alte Verachtung des griechischen Volks;
es fehlte an jeder genaueren Kennlniss der Staatenverhältnisse. Alkibi-
ades kam also zur rechten Zeit, um Tissaphernes die Wege zu zeigen,
die er gehen müsse.
'Persien, sagte er ihm, soll nicht der Bundesgenosse eines der
griechischen Staaten werden; sein Interesse ist vielmehr die Schwäche
beider Grofsstaaten. Die sicherste und am wenigsten kostspielige Art
seiner Kriegführung ist also die, die Hellenen durch einander zu
schwächen und keinem Staate eine unbedingte Hebe rm acht zufallen zu
lassen.' Denn nicht Athen allein sei gefahrlich, sondern auch Sparta,
und zwar um so mehr, weil es, wenn es einmal in Ionien Macht ge-
wonnen habe, sehr leicht daran denken könne, dieselbe nach dem
Binnenlande zu erweitern, woran ein Flottenstaat niemals denken
werde. Darum könne man sich viel eher mit Athen über eine Theilung
der Herrschaft verständigen, als mit Sparta. Man dürfe also Sparta
nicht hochmüthig werden lassen ; man müsse es mit Geld ködern, aber
nie befriedigen. Am klügsten sei es, die einzelnen Flottenbefehlshaber
durch Geldgeschenke zu gewinnen, welche man nach eigenem Belieben
gebe, um die einflussreichen Personen von Persien abhängig zu
machen.
In diesem Sinne berieth Alkibiades den Satrapen und handelte
in seinem Namen. Die Chier wurden mit ihren Geldgesuchen höhnend
abgewiesen. Sie seien die reichsten Kapitalisten in Griechenland und
wollten auf fremde Kosten ihre Vortheile erreichen. Die phönikische
Flotte wurde nach wie vor fern gehalten und Alles vermieden, was
eine Entscheidung des Kriegs herbeiführen konnte. Die kriegfüh-
renden Staaten sollten sich unter einander aufreiben, damit zuletzt die
Macht von selbst dem Grofskönige anheimfalle.
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DIE PLÄPJE DES ALKIBIADES.
705
Tissaphernes war entzückt über diese Rathschläge, welche seinem
Geize sowohl wie seinem Griechenhasse zusagten. Er liefs Alkibiades
vollkommen gewähren, glaubte sich durch ihn aus allen Verlegenheiten
befreit, ehrte ihn an seinem Hofe auf jede Weise und benannte sogar
die neuen Parkanlagen in Sardes nach seinem Wohlthäter. Im Grunde
aber wirkte dieser nur für sich. Denn wie er sich im Dienste Sparlas
die Gunst des Tissaphernes erworben hatte, so warb er bei Tissa-
phernes um den Dank der Athener.
Seitdem er die peloponnesische FloUe verlassen hatte, war er
seinen Landsleuten näher gerückt. Sie wussten jetzt, dass es nicht seine
Absicht sei, mit Sparta über Athen zu triumphiren. Er war schon als
Leiter der Spartaner in ihrer auswärtigen Politik ein heimlicher Bundes-
genosse der Athener gewesen, denn er hatte den Vertrag zu Stande ge-
bracht, durch welchen die Stadt des Leonidas ihre Vergangenheit ver-
läugnete; einen Vertrag, welchen die Lakedämon ier gar nicht bekannt
werden lassen durften, weil sie darin die Ion ier, die sie zur Frei-
heit aufriefen, dem Perserjoche preisgaben. Diese Selbsterniedrigung
Spartas konnte nur dazu dienen, Athens Ansehen von Neuem zu
heben. Nachdem aber Alkibiades mit Sparta gebrochen hatte, war
er wieder ein Wohlthäter Athens geworden. Denn ihm mussle man es
zuschreiben, dass die phönikische Flotte, welche, mit der peloponnesi-
schen vereinigt, Athen hätte vernichten können, im syrischen Meere
zurückblieb; er war es auch, der die Soldzahlungen hemmte, das feind-
liche Hauptquartier entzweite, die Chier für ihren Abfall büfsen liefs
und den Athenern Zeit verschaffte, ihre Kräfte zu sammeln. Dass Alki-
biades auf die Dauer im persischen Lager bleiben wolle, schien un-
denkbar; auch fing er schon selbst an, sich unmittelbar mit Athen zu
beschäftigen und Verbindungen anzuknüpfen. Denn er wollte zurück,
und diese Absicht konnte er nicht anders als durch neue Parteikämpfe
erreichen. Städtische Unruhen mussten ihm den Weg zur Heimkehr
bahnen1 71 ).
Während der letzten Jahre war es in Athen ruhiger gewesen
als lange zuvor. Alle Kräfte waren angespannt, den Staat zu erhallen,
die Blicke Aller nach aufsen gerichtet und die Bürger im Felde sowohl
wie zu Hause in angestrengtem Waffendienste. Die Aufmerksamkeit
war auf das Nothwendigste beschränkt und jeneVeise Mäfsigung in den
(Jnrtin», Gr. Couch. II. 6. Anfl. 45
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706
ALKIBIADES UMD DIE OLIGAR.CHF.N.
öffentlichen Angelegenheiten, welche nach der sicilischen Niederlage
eingetreten war, dauerte fort. Nun war die erste Furcht vorüber, die
Möglichkeit des Widerstandes war gezeigt, aber wie sollte man nach der
Zertrümmerung der Bundesgenossenschaft, bei völliger Erschöpfung der
Geldmittel, bei der Verbindung Persiens mit Sparta auf dauernde Er-
folge und einen glücklichen Ausgang hofTen dürfen! Der Krieg zog sich
in den zweiten Winter hinein ; man war abgespannt und rechter Kriegs-
eifer nirgends vorhanden.
Unter diesen Umständen tauchte zunächst bei den reichen Bürgern,
welche von den Kriegslasten am meisten zu leiden hatten, namentlich
bei den Schiffsführern im samischen Lager der Gedanke auf durch voll-
ständige Verfassungsänderung eine Beendigung des Kriegs möglich zu
machen ; denn so lange in Athen die Masse herrsche, könne an eine
Verständigung mit Sparta nicht gedacht werden. Die Leiter dieser Be-
wegung waren die Häupter der oligarchischen Verbindungen, welche in
der Zeit des Hermokopidenprozesses zuerst ihre Kräfte erprobt hatten,
und bei der herrschenden Stimmung wurde es ihnen nicht schwer, auch
ehrlich denkende Patrioten für ihre Pläne zu gewinnen.
Einen bestimmten Anstofs erhielt diese Bewegung durch Alkibiades.
Dieser setzte sich nämlich mit den einflussreicheren Oligarchen des
samischen Lagers in Verbindung, stellte ihnen Geldmittel von Seiten
des Tissaphernes und die Freundschaft des Grofskönigs in Aussicht
und versprach ihnen seine volle Unterstützung, wenn es ihnen gelänge,
den Umsturz der athenischen Verfassung durchzusetzen. Denn das
könne kein Mensch von ihm erwarten, dass er sich von Neuem der-
selben Demokratie anvertraue, durch die er landflüchtig geworden
wäre, und eben so wenig sei daran zu denken, dass der Grofskönig
und seine Statthalter zu einem Staate Vertrauen hätten, in welchem
die Masse regierte.
Phrynichos war der klügste unter den attischen Heerführern ; ein
Mann, der sich aus niedrigem Stande (er soll als Knabe das Vieh ge-
hütet haben) durch gewandtes Intriguenspiel heraufgearbeitet, als
Sykophant Geld und Einfluss erworben und dann als Volksredner und
Feldherr sein grofses Talent bewährt hatte. Phrynichos erkannte die
Unzuverlässigkeit jener Vorschläge. Er stellte seinen Amtsgenossen
vor, wie undenkbar es sei, dass Alkibiades, der die eigentlichen Urheber
seines Sturzes sehr wohl kenne, jemals ein ehrlicher Freund der Oli-
garchen sein könne. Auch ein Anschluss der Perser an Athen sei
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I'EISANDROS NACH ATHEN (M, 1; 411 WINTER).
707
durchaus unwahrscheinlich, so lange die Peloponnesier in lonien
mächtig wären; sie seien offenbar dem Tissaphernes die willkommensten
und bequemsten Bundesgenossen; er könnte nichts Verkehrteres thun,
als wenn er diese plötzlich verlassen und zu seinen Feinden machen
wollte, während doch mit Athen ein dauerndes Einverslandniss nicht
zu erreichen wäre. Endlich sei man sehr im Irrthume, wenn man
glaube, sich auf die oligarchischen Parteien in den bundesgenössischen
Staaten verlassen zu können. Ein System Wechsel in Athen würde
weder die Abtrünnigen zurückführen noch die Treugebliebenen fesler
machen. Nicht auf die Verfassung in Athen komme es ihnen an, son-
dern auf ihre eigene Selbständigkeit.
Diese Vorstellungen fanden keinen Eingang. Die Oligarchen
waren von Leidenschaft verblendet; sie glaubten einmal eine un-
vergleichliche Gelegenheit in Händen zu haben, um den Umsturz der
Verfassung durch solche Gründe empfehlen zu können, welche auch
der grofsen Menge annehmlich wären, und waren fest entschlossen,
diese Gelegenheit nicht unbenutzt zu lassen. Es wurden also die heim-
lichen Verabredungen mit Alkibiades eifrig fortgesetzt. Ein Kern von
Verschworenen fand sich zusammen; man wagte schon hie und da ofTen
von 'gewissen nothwendigen Verwaltungsreformen' zu sprechen, und
wenn sich auch im Heere eine unverkennbare Abneigung dagegen
zeigte, so war die Aussicht auf persische Löhnung doch so lockender
Art, dass ein entschiedener Widerspruch nicht erfolgte. Man ging also
zuversichtlich weiter und sendete Peisandros (S. 624), welcher jetzt in
seiner wirklichen Parteifarbe hervortrat, mit einigen ihm beigeordneten
Männern ab, um das [im Lager begonnene Werk in Athen zur Voll-
endung zu führen.
Hier gab es zunächst einen grofsen Aufruhr, als die Pläne der Ver-
schworenen bekannt wurden. Die Einen eiferten gegen Alles, was wie
Verfassungsbruch aussah, die Anderen gegen die Rückkehr des Alki-
biades; die Volksredner waren hierin mit den Mitgliedern der]Priester-
geschlechter, |welche den Mysterien frevler über Alles verabscheuten,
einer Meinung. Aber die Stimmen theilten sich, da es sich um dreierlei
Vorschläge und Aussichten handelte, die man mit feiner List in ein-
ander verwebt hatte. Die erste Wuth gegen Alkibiades war doch längst
abgekühlt; die Erbitterung gegen den Verräther wurde dadurch ge-
mildert, dass man sich selbst nicht ohne Schuld fühlte, während die
glänzenden Erfolge, welche ihn begleiteten, wohin er sich wendete, die
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708
ARISTOPHA.NEs' LYSISTRATE (JAK. 411).
Bewunderung des ausserordentlichen Mannes steigerten; sie schmei-
chelten selbst der attischen Eitelkeit.
Die alte Liebe erwachte wieder in der groJsen Menge, mit ihr die
Sehnsucht nach ihm, und man wagte wieder die Meinung auszusprechen,
dass Alkibiades allein im Stande wäre, den Sieg nach Alben zurückzu-
führen, und dass man dafür schon einige Opfer bringen dürfe. Die
oligarchisch Gesinnten fanden sich in den Gedanken, Alkibiades heim-
kehren zu sehen, wenn nur die Volksherrschaft beseitigt würde. Am
meisten Anklang aber fand die Aussicht auf neue Geldmittel, zumal da
sich daran eine wenn auch ferne Hoffnung auf endüchen Frieden an-
knüpfte.
Kurz vor Peisandros' Ankunft war am Lenäenfeste die Lysistrate
des Aristophanes aufgeführt worden. Auch ihr Thema ist der von
allen ersehnte Friede (S. 511), und da die Männer ihn, wie es
scheine, doch nicht zu Stande bringen werden, so beschliefsen die
Frauen, sich der Staatsangelegenheiten anzunehmen, um diesen Zu-
standen ein Ende zu machen, in denen Niemand seines Lebens froh
werde, die Weiber wie Wittwen leben und die Mädchen unvermählt
verblühen müssten. So gut, wie ihre Männer, glauben die Athenerinnen
auch noch den Staat verwallen zu können. Sie haben in der Zeit
der Verschwörungen das Ihre gelernt. Alle Weiber von Hellas ver-
einigen sich also zu einem geheimen Bunde, besetzen die Burg, trotzen
den für die Wohlfahrt der Stadt verantwortlichen Probulen, und wissen
die wirksamsten Millel zu ersinnen, um die Männer zur Nachgiebig-
keit zu zwingen.
So lässt der Dichter in ausgelassenem Possenspiele seine Mitbürger
die Nolli der Gegenwart vergessen, aber doch merkt man dem ganzen
Stücke die gedrückte Stimmung, den Mangel an Vertrauen, die Un-
sicherheit der öffentlichen Verhältnisse an, die keinen freimüthigen
Spott gestattet. Es wird wohl geeifert gegen Leute, wie Peisandros,
welche Unruhen anstiften, um für sich zu gewinnen, und gegen die
unberufenen Staatskünsller, welche an der kranken Stadt herumquack-
salbern; aber der Dichter selbst ist außer Stande seinen Mitbürgern
Rath zu geben oder Muth einzusprechen. Darum fehlt auch der Ly-
sistrate die Parabase (S. 304), in welcher sonst der patriotische Dichter
so kräftig auszusprechen ptlegt, was er für heilsam erachtet. Auf Gassen
und Markt, heust es, hört man die allgemeine Klage, dass kein Mann
im attischen Lande vorhanden sei, kein Betler i:a).
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AnSETZUNG NES PHRY.MCHOS.
709
Darum liefs sich Peisandros durch den ersten Widerspruch nicht
irre machen. Er nahm die angesehenen Bürger in gröfseren und klei-
neren Gruppen besonders vor und suchte sie für seine Plane zu ge-
winnen. Es handele sich ja nur um eine von der gegenwärtigen Lage
geforderte Mafsregel, um eine vorübergehende Beschrankung der Volks-
rechte, wie man eine solche ja schon eingeführt habe; nicht auf immer
solle mit der Geschichte Athens gebrochen und seine Verfassung auf-
gehoben werden. Damit wurden die Verfassungstreuen beruhigt. Die
Clubbisten wurden gewonnen, indem man ihnen vorstellte, dass man
den vcrhassten Alkibiades auch wohl zum zweiten Male zu beseitigen
vermögen werde, wenn er den Dienst, den man von ihm erwarte, ge-
leistet habe. Die Hauptsache aber war, dass Peisandros Allen die Frage
vorlegen konnte: 'Wisst ihr anderen Rath, um Athen zu helfen? Wie
sollen wir denn ohne au fserordentliche Mittel diesen Krieg durchführen
gegen das mit Geld und Schiffen versehene Sparta, das gleichzeitig in
lonien und in unserer eigenen Landschaft sein Hauptquartier aufge-
schlagen hat? Es handelt sich hier nicht um eine Principienfrage, über
welche eine allgemeine Verständigung unmöglich ist, sondern um die
Rettung der Stadt.'
So fanden sich allmählich immer mehr Bürger darein, die Not-
wendigkeit einer Verfassungsänderung zuzugeben ; die Einen im guten
Glauben, dass es keinen andern Ausweg gäbe, die Anderen, weil ihnen
Aussicht auf eigenen Antheil an den Vorlheilen der Neuerung eröffnet
wurde. Die politischen Vereine waren wieder in voller Thätigkeit und
arbeiteten nach gemeinsamem Plane, während die übrige Menge ein-
geschüchtert und ohne Zusammenhang war. Die wesentlichste Förde-
rung gewährten endlich die Probulen, deren Amt nun schon im
zweiten Jahre bestand und die verfassungsmäfsigen Organe des Staats
immer mehr aufser Kraft gesetzt hatte. Sie hätten alle Pläne der
Verschworenen von vorn herein zerstören können, wenn sie nicht der
Mehrzahl nach ihre Gesinnungsgenossen gewesen wären. Unter ihrer
Autorität kam vielmehr der Beschluss zu Stande, dass Peisandros und
seine Genossen bevollmächtigt werden sollten, mit Tissaphernes und
Alkibiades die Verhandlungen zu eröffnen, von denen man sofort
einen günstigen Umschwung in der Lage der Stadt erwartete. Zugleich
wurde verordnet, dass Phrynichos und mit ihm Skironides ihr Feld-
herrnamt niederlegen sollten; eine Mafsregel, welche durch das, was in-
zwischen auf der Flotte vorgefallen war, unumgänglich geboten schien.
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710
PHRYNICHOS UND ASTYOCHOS
Phrynichos war nämlich durch den glücklichen Forlgang der
oligarchischen Umtriebe, welchen er nach Kräften entgegengearbeitet
hatte, in die gröfste Sorge versetzt, nicht etwa um seine Vaterstadt,
sondern um seine eigene Person. Er war in Allem, was er gelhan
halte, von Hass gegen Alkibiades geleitet worden; er wusste, dass
dieser ihn als seinen Feind kenne, und ihn quälte der Gedanke, ihm
erliegen zu müssen. Er spähte also nach Gelegenheit ihm zu schaden,
er suchte nach Feinden des Alkibiades, die er als zuverlässige Bundes-
genossen gewinnen könne, und da man jetzt im spartanischen Lager
die gröTste Erbitterung gegen Alkibiades voraussetzen konnte, so
machte sich der attische Feldherr kein Gewissen daraus, mit dem
Admiral der feindlichen Flotte ein heimliches Einverständniss anzu-
knüpfen. Aber hier täuschte sich Phrynichos, der sonst so klar über
Menschen und Verhältnisse zu urteilen wusste. Der Admiral Sparlas
stand im Solde des Tissaphernes. Als daher Phrynichos denj Astyochos
Alles mitgetheilt hatte, was zwischen Alkibiades und den Athenern
verhandelt worden war, gelangte diese Mittheilung sofort in das per-
sische Hauptquartier und zur Kunde des Alkibiades.
Alkibiades benutzte die Gelegenheit, sich als Freund der Athener
zu zeigen; er warnte sie vor ihrem verrätherischen Feldherrn, er ver-
langte seinen Tod und Phrynichos halte seinem Feinde, stall sich an
ihm zu rächen, die schärfste WafTe gegen sich in die Hände gegeben.
Dennoch liefs er sich von dem eingeschlagenen Wege nicht abbringen;
er hielt Astyochos nur für einen unvorsichtigen Mann, tadelte ihn des-
halb in einem zweiten Briefe und erbot sich in demselben, das ganze
Heer auf Samos dem Feinde in die Hände zu liefern, wenn derselbe
einen von ihm vorgeschlagenen Ueberfall ausführe. Erst nach Ab-
sendung dieses Briefes gingen Phrynichos die Augen auf und nun
schlug er zu seiner Rettung den Weg ein, dass er die sorgfältigsten
Anstalten gegen den Ueberfall treffen liefs, welchen er Astyochos an-
geralhen hatte. Als daher die neue Verrälherei auf dieselbe Weise,
wie zuvor, den Athenern gemeldet wurde, glaubte man nicht daran,
sondern hielt Alkibiades für einen Verläumder, welcher keinen anderen
Zweck verfolge, als Phrynichos zu stürzen, und dieser, der ohne
Zweifel der geschickteste unter den Feldherrn auf Samos war, hatte
nun gröfseres Ansehen im Lager als je zuvor. Jetzt aber, da alles
Gelingen von dem guten Willen des Alkibiades abhing, durfte Phry-
nichos nicht im Amte bleiben. Seine Entsetzung war der erste that-
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LICBAS UND TISSAPHERXES (92, 1 ; 411 JAN.).
711
sächliche Erfolg der Macht, welche Alkibiades wiederum in Athen ge-
wonnen hatte178).
Als nun die Verhandlungen in Magnesia, wo Tissaphernes Hof
hielt, begannen, hatten sich die kleinasiatischen Verhältnisse inzwischen
nicht unwesentlich verändert. In Sparta war man mit dem Gange des
Kriegs in hohem Grade unzufrieden; man schämte sich der Verträge,
man zürnte auf Astyochos sowohl wie auf den unzuverlässigen Satra-
pen; man beschloss trotz der schlechten Jahreszeil sofort 27 Schiffe
unter Antisthenes abzusenden und mit ihm eine Commission von elf
Männern, welche den Stand der Dinge in Kleinasien untersuchen und
für die Ehre der Stadt sorgen sollten. Die Absendung erfolgte Ende
December. Die bedeutendste Persönlichkeit unter den Kriegscommis-
sarien war Lichas, des Arkesilaos' Sohn, ein reicher und stolzer Spartiat,
der es gewagt hatte, trotz des Ausschlusses der Spartaner vom olym-
pischen Feste mit einem siegreichen Gespanne daselbst aufzutreten
(Ol. 90; 420). Er war deshalb mit Geifselbieben von den elischeu Be-
hörden gestraft worden, wahrscheinlich auf Antrieb des Alkibiades,
dessen erbitterter Gegner er war. Astyochos hatte sich Anfang des
Jahres 411 mit der Flotte des Antisthenes bei Knidos vereinigt, und
auch Tissaphernes erschien hier, um sich mit den Spartanern zu ver-
ständigen. Er merkte bald, dass in ihrem Lager ein ganz auderer
Geist herrschte. Denn statt dass man sich von Neuem durch seine
Vorspiegelungen täuschen liefs, erklärte Lichas rund heraus, dass
Sparta nicht gesonnen sei, sich von ihm zum Narren haben zu lassen.
Auch die Verträge müssten revidirt werden, denn man führe nicht
Krieg, um die Hellenen von Neuem unter die Herrschaft der Perser
zu bringen. Wenn sich also der Satrap nicht auf andere Bestim-
mungen einlassen wolle, so müsse man ohne ihn fertig zu werden
suchen. Tissaphernes brach die Unterhandlungen ab und kehrte nach
Magnesia zurück.
So lagen also die Verhältnisse scheinbar sehr günstig für die
Athener, welche gleich darauf in Magnesia eintrafen und ihr Geschäft
mit der Erklärung eröffneten, dass sie ihrerseits die Vorbedingung
einer Verständigung mit Persien erfüllt hätten , indem durch ihre Be-
mühungen die Volksherrschaft in Athen schon so gut wie aufgehoben
sei; sie erwarteten nun den dafür in Aussicht gestellten Preis. Aber
der schlaue Perser war keineswegs gesonnen, sich ohne Weiteres mit
den Athenern zu verbinden. Der trotzige Muth des Lichas und der
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TISSA l'H EH 3 ES UND AI.KIMAUES.
Anblick der ansehnlichen Flotte hattin ihren Eindruck nicht verfehlt.
Nachdem Astyochos auf der Fahrt nach Knidos dem attischen Feld-
herrn Charminos eine Niederlage beigebracht hatte und auch die Insel
Rhodos durch Verrath der dortigen Oligarchen den Spartanern in die
Hände gerathen war, waren diese ohne Frage die bedeutendere Kriegs-
macht an der asiatischen Küste; sie hatten Rhodos statt Milet zu ihrem
Hauptquartiere gemacht, um von dem Satrapen entfernter und unab-
hängiger zu sein. Sie waren zu stark, als dass er sie nach Belieben
hätte los werden können, und er sah voraus, dass die Einstellung der
Soldzahlungen zunächst keine andere Folge haben würde, als dass die
Truppen sich durch Brand Schätzung seiner Küsten schadlos halten
würden. Noch peinlicher aber war für ihn der Gedanke, dass sich die
Spartaner dann dem Pharnabazos anschließen möchten, welcher mit
Sehnsucht ihrer wartete. Wenn es ihm also auch ganz erwünscht
war, die Spartaner durch die Verhandlungen mit Athen einzuschüchtern
und geschmeidiger zu machen, so war es doch seinen Interessen
durchaus zuwider, sie durch einen übereilten Enlschluss zu seinen
Feinden zu machen und einen Subsidienvertrag mit Athen abzu-
schliefsen. In dieser Beziehung war er dem Alkibiades gegenüber
durchaus fest und handelte so, wie Phrynichos richtig vorausgesehen
hatte. Alkibiades gab sich den Schein eines Einflusses, den er in
Wirklichkeit gar nicht hatte; er war dem Satrapen der angenehmste
Gesellschafter, er war ihm in allen griechischen Angelegenheiten ein
höchst willkommener Ralhgeber, Geschäftsführer und Unterhändler;
ein Mann, wie ihn sich Tissaphernes bei seiner politischen Stellung
immer hatte wünschen müssen. Aber er war weit entfernt, sich ihm
unbedingt hinzugeben; er folgte ihm nur so weit, dass er sich hütete,
allzu nachdrücklich und aufrichtig die Peloponnesier zu unterstützen;
vor einem Umschlage in der Politik hielt ihn sein richtiger Takt
zurück.
Unter diesen Umständen hätte sich Alkibiades also in der gröfsten
Verlegenheit befunden, wenn die Partei, deren Vertreter die Unter-
händler waren, seine eigene Partei gewesen wäre, wenn er auf sie
seine Pläne der Heimkehr gebaut hätte. Aber einem Peisandros und
seinen Genossen den Triumph einer erfolgreichen Verhandlung zu
gönnen, war gewiss von Anfang an nicht seine Absicht gewesen. Er
richtete also den Verhältnissen gemäfs sein Spiel so ein, dass er vor
Allem seine Person deckte. Denn die Hauptsache für ihn war, dass
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VERHANDLUNGEN IN MAGNESIA (98, 1; 411 FEBR.).
713
Niemand an seinem Einflüsse im Perserlager zweirein sollte; sein An-
sehen durfte nicht leiden; wenn also die Verhandlungen sich zer-
schlugen, so musste alle Schuld auf die Unterhändler fallen. Darum
liefe er sich von Tissaphernes beauftragen, die Verhandlungen in seiner
Gegenwart zu fuhren und halte zunächst die Genugtuung, dass die
verhassten Oligarchen vor ihm sich demöthigen und ihm den Hör
machen mussten. Die Conferenzen begannen, und Peisandros, der
auf starke Zumuthungen gefasst war, verzichtete im Namen Athens
gleich auf ganz Ionien, um dessen Besitz man doch die letzten Kräfte
des Staats angespannt hatte. Darauf verlangte Alkibiades für die
Perser auch die vorliegenden Inseln, also Lesbos, Samos, Chios; auch
das wurde bewilligt. Nun aber kam die dritte Forderung, es solle
dem Grofskönige freistehen, mit seinen Kriegsschiffen alle Theile des
ägäischen Meers und sämtliche Küsten zu befahren. Dies traf den
empfindlichsten Punkt der Ehre Athens; damit hätte es nicht nur auf
seine jenseitigen Besitzungen, sondern auf die sichere Herrschaft im
eigenen Meere verzichtet. Nach solchen Zugeständnissen, welche die
ganze Geschichte Athens mit einem Strich vernichtet haben würden,
konnten die Abgeordneten ihren Mitbürgern, denen sie eine neue Aera
des Glücks versprochen hatten, nicht vor Augen treten. Sie erkannten
nun, wie richtig Phrynichos den zweizüngigen Alkibiades beurteilt
habe, und kehrten, entrüstet über das Spiel, das mit ihnen getrieben
worden war, nach Samos zurück174).
Unmittelbar darnach knüpfte Tissaphernes mit den Lakedämoniern,
von denen er sich nach dem kecken Auftreten des Lichas in sehr ge-
reizter Stimmung zurückgezogen hatte, neue Verhandlungen an. Dies-
mal war es der Satrap, der die Verständigung suchte. Darum ging er,
um den bei Rhodos lagernden Peloponnesiern näher zu sein, nach der
karischen Küstenstadl Kaunos und auf seine Veranlassung kamen die
beiderseitigen Vertreter bei Magnesia im Maiandrosthale zusammen.
Astyochos verhandelte im Sinne des Lichas, der mit der Commission
der Elfmänner das Interesse und die Ehre Sparlas vertrat. Zunächst
wurde die Anerkennung persischer Reichshoheit auf das asiatische Fest-
land beschränkt; dann wurde, um der Vereinbarung eine allgemeinere
Gültigkeit zu geben, wie es Sparta wünschen musste, aufser Tissa-
phernes auch Pharnabazos als Vertreter des Grofskönigs in dem Ver-
trage genannt. Was aber die weitere Kriegführung betrifft, so wird
Alles von dem Eintreffen der phönikischen Flotle abhängig gemacht.
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714
»RITTER VERTRAG MIT PERSIEN.
Bis zu diesem Zeitpunkt übernimmt Tissaphernes die Verpflegung der
Schiffsmannschaften nach dem vereinbarten Satze, und zwar ohne dass
die Peloponnesier dafür zu bestimmten Leistungen verpflichtet werden.
Nach Eintreffen der Flotte soll aber der Krieg nur nach gemeinsamem
Plane geführt werden, und die Soldzahlung für seine Mannschaften über-
nimmt Sparta oder verpflichtet sich nach Beendigung des Kriegs zur
Rückzahlung der gewährten Vorschüsse.
Man sieht, wie der unheimlichen Verbindung mit den Barbaren die
besten Seiten abgewonnen werden und das Schlimmste beseitigt isL
Im Vergleich zu den früheren Verträgen, welche durch Alkibiades' un-
ehrliche Vermiltelung zu Stande gekommen waren, haben die Spartaner
jetzt eine ehrenhaftere Stellung eingenommen und mehr erreicht ; das
Geld ist ihnen gesichert und dabei die Freiheit der Bewegung ihnen ge-
wahrt. Was sie aber ihrerseits dem Satrapen an Vortheüen einräumen«
hat den Zweck, denselben anzutreiben, endlich mit den vollen Streit-
kräften des Heichs im ägäischen Meere aufzutreten, weil nur dadurch
die Aussicht gegeben war, den griechischen Staatenkrieg siegreich zu tu
Abschluss zu bringen.
Dieser Vertrag, der etwa im Februar zu Stande kam, unterscheidet
sich von den beiden früheren auch dadurch, dass er, wie er bei Thuky-
dides überliefert ist, nach dem Regierungsjahre des Dareios und den
regierenden Epboren datirt, einen mehr amtlichen Charakter trägt.
Während man die früheren verheimlichen musste, konnte dieser als
Aktenstück veröffentlicht und in das städtische Archiv aufgenommen
werden. Tissaphernes war nun durch eine öffentliche Urkunde gebunden
und versäumte nicht, seinerseits sofort den eingegangenen Verpflich-
tungen nachzukommen 17 6).
So war Alles in das Gegentheil von dem umgeschlagen, was die
athenischen Gesandten, Peisandros und Genossen, erstrebt hatten. Sie
waren in der peinlichsten Lage; sie konnten nichts von dem heim-
bringen, wofür sie von Seiten des Volks so schwere Opfer in Anspruch
genommen und ihre eigene Ehre eingesetzt halten. Ein Zurückgehen
war nicht mehr möglich. Die oligarchischen Parteibestrebungen waren
im Heere schon zu weit gediehen, und die samischen Oligarchen, mit
denen man sich eingelassen halte, forderten, dass man fest bleibe. Es
wurde also im Lager beschlossen, Alkibiades gehen zu lassen, der in
den Staat, wie man ihn einrichten wolle, doch nicht hineinpasse. Die
Sache, die früher nur Mittel sein sollte, wurde jetzt zum alleinigen
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ANTIPHON UND THERAMENES.
715
Zwecke gemacht und mit dem gröfslen Eifer betrieben. Die Partei-
genossen leisteten freiwillige Beisteuer; sie entsendeten Peisandros nach
Athen, um dort die Verschwörung zur Reife zu bringen, gleichzeitig
aber auch andere Abgeordnete nach den bundesgenössischen Städten,
wie z. B. Diotrephes nach der thrakischen Küste, um überall die Volks-
herrschaft zu stürzen. Es war eine durchaus revolutionäre Macht,
welche rücksichtslos damit umging, Athen und dem ganzen Gebiete
attischer Herrschaft eine neue Gestallung zu geben. Wie blind man
dabei verfuhr, zeigt das Beispiel von Thasos. Denn wie Diotrephes da-
selbst anlangte, um die Verfassung zu stürzen, nahmen die dortigen
Aristokraten diesen Dienst sehr dankbar an, hatten aber, so wie er fort
war, nichts Eiligeres zu thun, als Mauern zu bauen und durch Sparlas
Hülfe sich von jeder Verbindung mit Athen loszureifsen. Es rächte
sich wiederum auf der Stelle, wenn Athen sich auswärts mit aristo-
kratischen Parteien einliefs (S. 178).
Besser glückte es in der Hauptstadt. Hier war seit der Abreise
des Peisandros viel geschehen, um die Pläne der Oligarchien zu fördern.
Alle einzelnen Verbindungen dieser Farbe hatten sich vereinigt und bil-
deten eine Gesellschaft, einen mächtigen Bund, welcher nach gemein-
samer Verabredung handelte.
Die eigentliche Seele dieser Bestrebungen war Antiphon, des So-
philos' Sohn (S. 287), damals schon hoch in den sechsziger Jahren, aber
von unermüdlicher Thätigkeit; ein Mann, ganz geschaffen zum Rath-
geber und Leiter einer Partei, reich an praktischer Erfahrung, an Kennt-
niss des Staats und der Menschen, unerschöpflich an guten Anschlägen,
zuverlässig und verschwiegen, an Schärfe des Denkens und Kraft des
Worts allen Mitbürgern überlegen, dabei vollkommen Herr seiner selbst
und frei von dem ehrgeizigen Triebe, sich selbst in die ersten Stellen
vordrängen zu wollen. Ein zweiter Führer war Theramenes, der Sohn
des Probulen Hagnon, ein Mann von glänzenden Fähigkeiten, beredt,
einsichtsvoll und gewandt, mit edlen Gemüthsanlagen ausgestattet, aber
ohne innere Festigkeit, ein echter Zögling der Sophistik, einer der
besten Schüler des Gorgias und Prodikos, durch seine Talente wie durch
einflussreiche Verbindungen eine der bedeutendsten Stützen der oli-
garchischen Partei. Auch Phrynichos war ganz für dieselbe gewonnen,
seitdem man sich entschlossen halte, alle Verbindungen mit Alkibiades
abzubrechen. Denn so bedenklich auch dem klugen Manne die ganze
Unternehmung erscheinen musste, so hatte er jetzt doch keine Wahl;
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716
DIE THEORIEN DER OLIGAR(;HE>.
er mussle mit allen Kräften seines kühnen und verschlagenen Geistes
di« Partei Unterstufen, welche seinem Feinde entgegenarbeitete. Ein
Freund des Antiphon und des Theramenes war Archeplolemos, des
Hippodamos Sohn, welcher schon vor Jahren Kleon bekämpft hatte, als
es sich nach den Ereignissen von Pylos um Krieg oder Frieden handelte,
und jetzt ein Parteihaupt war, um welches sich die Gegner der Dema-
gogie und . Demokratie sammelten; unter denen, weiche aus älterer
Familienüberlieferung sich anschlössen, war Melesias, des Thuky-
dides Sohn (S. 186).
Die bei weitem gröTste Menge der Parteigenossen gehörte der
sophistisch gebildeten Jugend an, welche die Gesetze des Staats
und das gemeine Volk verachtete, aus allerlei persönlichen Gründen
Neuerungen wünschte und mit Begierde die Staatslehren einsog, welche
ihr mit glänzender Beredsamkeit von Antiphon, dem Nestor seiner
Partei, wie man ihn zu nennen pflegte, in den Parteiversammlungen
vorgetragen wurden. Die herrschende Stimmung und die Erfahrungen
der letzten Jahre waren förderlich, um von den wohlhabenden Bürgern,
welche sich bis dahin von einer entschiedenen Parteinahme fern ge-
halten hatten, viele zu gewinnen.
Manche unzweifelhaft richtige Gesichtspunkte wurden geltend ge-
macht, und die lief empfundenen Mängel des Bestehenden geschickt
benutzt, um die selbstsüchtigen Parteimotive zu verstecken. Man ge-
wöhnte sich, es als eine ausgemachte Thatsache hinzustellen, dass
die Demokratie die ungerechteste und schlechteste aller Verfassungen
sei. Das Volk selbst, sagte man, erkenne seine Unfähigkeit zum Regieren
an, indem es für die wichtigsten Staatsämter die Einführung des Looses
niemals gefordert habe; das Volk werde sich also auch besser dabei
stehen, wenn die gesamte Regierung in die Hände derer gelange, auf
welche man bisher nur die Lasten des Gemeinwesens zu wälzen pflege,
wenn man die Stände wieder sondere und den Vornehmen, die zu
Dienern der Masse erniedrigt worden wären, die gebührenden Rechte
zurückgebe. Die Zweideutigkeit der griechischen Ausdrucksweise,
durch welche nach alter Ueberlieferung die Leute von Herkunft, Er-
ziehung und Lebensart noch immer als die 'Wackeren und Tüchtigen'
bezeichnet wurden, kam den Parteileuten zu Gute. Sie konnten sich
jetzt ja auch darauf berufen, dass mit Einsetzung der Probulen schon
der Anfang gemacht sei, um von dem Unsinne der Massenherrschafl
zu einer vernünftigen Ordnung der Dinge zurückzukehren; ein Anfang,
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vorbekkitu.m; des Staatsstreichs.
717
der sich schon bewährt habe. Nur dürfe man hier nicht stehen bleiben.
Die Demokratie sei viel zu kostspielig, um sich nach dem Abfalle der
Bundesgenossen durchführen zu lassen; der Sold für die Mitglieder des
Raths und für die Geschworenen sei bei dem öffentlichen Nothstande
gar nicht aufzubringen. Also müssten die Aemter des Staats, wie in
der guten, alten Zeit, wieder Ehrenämter werden, der Rath müsse eine
Auswahl der Wohlhabenden und Gebildeten sein und mit gröfseren
Vollmachten ausgerüstet werden, um nach festen Grundsätzen und
Zielen den Staat zu lenken. Nur dann sei eine Beendigung des Kriegs
mOglich, an welchem Athen sonst unvermeidlich zu Grunde gehe.
Darum sollten aber die Volksrechte nicht aufgehoben werden; eine
Bürgerschaft solle fortbestehen, aber nicht so, dass wie bis jetzt die
Dürftigsten und Ungebildetsten sich massenweise in die Versamm-
lungen drängten und allen anständigen Leuten die Theilnahme an den
Verhandlungen verleideten, sondern auch hier müsse eine Auswahl
getroffen werden; eine Zahl von etwa Fünftausend, die keine Ent-
schädigung für die Beschäftigung mit Staatsangelegenheiten in Anspruch
zu nehmen brauchten, müssten die Träger der Hoheitsrechte des athe-
nischen Volks sein. So könne man einer besseren Zeit des Gemein-
wesens vertrauensvoll entgegen gehen176*).
Das waren die Theorien, die seit Jahren mit allem Eifer ver-
breitet worden waren, und zwar bei den Talenten und den sophistischen
Künsten ihrer Vertreter mit unzweifelhaftem Erfolge. Die Ver-
schworenen gingen dabei Schritt für Schritt weiter, um in der Stille
den entscheidenden Staatsstreich vorzubereiten; sie gingen von er-
laubten Mitteln zu unerlaubten, von Ueberredung zur Gewalt über;
denn das gehörte mit zu ihren sophistischen Grundsätzen, dass man
einem guten Zwecke zu Liebe nicht allzu gewissenhaft sein müsse.
Sie hatten für ihre Zwecke eine gemeinsame Kasse. Sie hatten
feile Menschen als Werkzeuge zur Hand; Bewaffnete, welche im Aus-
lande geworben waren, standen zu jedem Dienste bereit. Solche Leute
benutzten sie, um die demokratische Partei ihrer Führer zu berauben.
So wurde Androkles (S. 636) durch Meuchelmord aus dem Wege ge-
räumt; andere Opfer folgten. Man wagte gar nicht nach den Urhebern
zu forschen. Was nicht zu den geheimen Verbindungen gehörte, war
eingeschüchtert; die Macht derselben erschien um so gröfser, weil sie
im Dunkeln wirkte; das freie Wort war unterdrückt, die verfassungs-
mässigen Organe des Staats waren gelähmt; die Probulen waren ent-
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71S
VOHRKRKITL-NG DES STAATSSTREICHS.
weder im Einverständnisse, oder es waren alte und schwache Personen;
der Rath war längst gewöhnt eine Schattetibehörde zu sein, die Bürger-
schaft ohne Führung und Zusammenhang. Aeufserlich bestanden die
Verfassungsformen noch, aber die Verschworenen regierten; sie
sprachen immer offener ihre Absichten aus, und so bequemten sich die
Athener aus Furcht und Kleinmuth endlich, die Aenderung der Ver-
fassung als etwas Unvermeidliches anzusehen. Einen Maßstab für die
Stimmung der Bürger giebt die Komödie der Thesmophoriazusen,
welche Aristophanes drei Monate nach der Lysistrate aufführte; ein
Stück, in welchem der Dichter alle politischen Tagesfragen vermeidet
und sich einen unverfänglichen Gegenstand, die Verspottung der
Poesie des Euripides und der attischen Frauen, ausgesucht hat ; nur
hie und da bricht eine verstohlene Anspielung auf die {Feinde der
väterlichen Salzungen, auf die Feigheit des Raths und auf die drohende
Tyrannis durch.
So fand Peisandros den Boden in Athen vorbereitet. Er dachte
nicht daran, der Wahrheit gemäfs über den unglücklichen Ausgang
seiner Gesandtschaft zu berichten; er that vielmehr, als wenn mit dem
Grofskönige Alles in Ordnung wäre und es nur darauf ankäme, in
Athen rasch die Hölingen Schritte zu thun. Er trat also sofort mit dem
Antrage vor die Bürgerschaft, dass eine Commission niedergesetzt
werde, um in kürzester Frist den Entwurf einer verbesserten Staats-
verfassung vorzulegen. Dazu wurden unter dem Einflüsse der Ver-
schworenen aufser den Probulen noch zwanzig Beisitzer aus den Bür-
gern gewählt und diesem Collegium unbedingte Vollmachten ertheilt.
Solcher Vollmachten bedurfte es, um das wesentlichste Hinderniss
aller Verfassungsänderungen, das Palladium der bürgerlichen Freiheit,
nämlich die öffentliche Klage wegen gesetzwidriger Vorschläge, zu
beseitigen. Es wurde also vermöge eines Dekrets der Verfassungscom-
mission die Anwendung jener Klage verpönt; es wurde einem jeden
Bürger gestattet, ohne Gefahr, was er zum Heile des Staats erforderlich
hielt, vorzuschlagen; dadurch war Peisandros und seinen Genossen freie
Bahn gemacht und die Thätigkeit der Commission im Wesentlichen
beendigt.
Der entscheidende Schritt erfolgte nicht auf der Pnyx (denn man
scheute sich, auf altgeweihter Stätte den Verfassungsbruch vorzu-
nehmen), sondern aufserhalb der Stadt eine Viertelmeile vor dem
Dipylun, auf dem Kolonos wurde die Bürgerschaft zusammen berufen,
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UMSTURZ HER VERFASSUNG (0«, 1; 411 MARZ).
719
bei dem Heiügthume des Poseidon Hippios. Wegen der Nähe des feind-
lichen Heeres bedurfte es hier eines abgeschlossenen Raumes, und
dieser Abschluss konnte wieder dazu benutzt werden, einer zu grofsen
Anhäufung von Menschen vorzubeugen und unruhige Auftritte zu ver-
hindern. In dieser Versammlung wurden nun die Anträge des Peisan-
dros vorgetragen, wie sie in den Parleiversammlungen beschlossen
waren. Sie waren kurz und bundig abgefasst, denn sie zielten nur
darauf hin, alle Macht in die Hände der Verschworenen zu bringen
Die Hauptpunkte waren, dass jede Art von Staatsbesoldung oder Tage-
geldern, mit Ausnahme der Dienstvergütung im Felde, für immer ab-
geschafft und dass ein neuer Rath von Vierhundert eingesetzt werde,
der den Staat nach seinem Ermessen regieren, und so oft es ihm be-
liebe, eine Bürgerschaft von 5000 berufen solle. Zugleich wurde die
Wahlart für die Rathsherrn in der Weise bestimmt, dass Fünfmänner
ernannt werden sollten, von denen zusammen hundert Rathsherrn er-
wählt würden. Jeder der Hunderl solle dann wiederum drei Andere
sich zu Amtsgenossen wählen. Das Volk stimmte Allem bei und zog
ohne unruhige Bewegung vom Kolonos heim, wo es seine Rechte und
Freiheiten zu Grabe getragen hatte. Es war wahrscheinlich nur eine
kleine Versammlung gewesen ; es fehlten ja aufser der ganzen Flotten-
mannschaft auch die bewaffneten Bürger, welche den städtischen Wacht-
dienst halten.
Nun war nichts übrig als die Auflösung des allen Raths. Nach-
dem also die Wahl der Vierhundert vollendet war, zogen dieselben nach
dem Rathhause, mit Dolchen versehen und von jenen Söldnern um-
geben, welche ihnen als Leibwache dienten. Es bedurfte aber keiner
Gewalt. Die Mitglieder des allen Raths liefsen sich ohne Widerspruch
Mann für Mann ablohnen, indem sie für den Rest des Amtsjahres ihre
Tagegelder erhielten. Das neue Collegium nahm die Plätze ein, wählte
seine Vorsteher, verrichtete seine Antriltsopfer, und so war der
Staatsstreich vollständig gelungen, ohne dass äufserlich das Recht ge-
brochen war176).
Die Vierhundert säumten nicht nach aufsen und innen ihre Zwecke
rücksichtslos zu verfolgen. Alle Missliebigen wurden aus den öffent-
lichen Aemtem entfernt, die Volksgerichte aufgehoben, einzelne Bürger,
die gefahrlich .schienen, hingerichtet, Andere gefangen gesetzt oder
ausgewiesen. Eine Rückberufung der Verbannten wurde vorgeschlagen,
aber nicht ausgeführt, weil man Alkibiades weder in die Amnestie ein-
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720
DER RATH DER VIERHUNDERT.
zuschliefsen noch auch namentlich von derselben auszuschließen
wagte; denn in Beziehung auf ihn halle man sich el»en so wenig wie
über die persischen Subsidien offen erklärt. Dagegen schickte man
Gesandte nach Dekeleia, um König Agis von der in Athen eingetretenen
Veränderung in Kenntniss zu setzen und die Erwartung auszusprechen,
dass die Lakedämonier zu dem jetzigen Athen besseres Vertrauen haben
und bereitwilliger auf Verhandlungen eingehen würden. Der ehrgeizige
Künig suchte aber in anderer Weise die athenischen Vorgänge zu be-
nutzen. Er glaubte die Stadt in voller Verwirrung; er zog deshalb
möglichst viel Truppen zusammen und versuchte einen Angriff auf die
Thore. Als aber derselbe misslungen war, nahm er eine zweite
Gesandtschaft freundlicher auf, und es gingen auf sein Zureden unver-
züglich Abgeordnete nach Sparta, um im Namen der Vierhundert den
Frieden zu Stande zu bringen.
Die wichtigste Sorge des neuen Raths bezog sich aber auf die
Flotte; denn hier war der Theil der Bürgerschaft zusammen, bei
welchem man am meisten Anhänglichkeit an die Verfassung voraus-
setzen musste. Man musste also hier auf unruhige Bewegungen und
mancherlei Widerspruch gefasst sein. Darum waren gleich nach Ein-
setzung des Raths zehn zuverlässige Männer abgesendet, um das
Heer zu beruhigen und alle Bedenken durch beschwichtigende Vor-
stellungen zu beseitigen. Die ganze Reform ziele nur darauf hin. aus der
gegenwärtigen Verlegenheit herauszukommen; dass sie keine volks-
feindliche sei, dafür bürge ja schon die Zahl der Fünftausend, welche
neben dem Rathe die Gemeindeversammlung bildeten und der Reibe
nach Mitglieder des Raths werden sollten. Zahlreicher seien ja auch
bisher die Versammlungen nur selten gewesen. Aber ehe die Zehn-
männer in Samos ihre Aufträge erfüllen konnten, lief das StaatsschifT
Paralos in den Hafen ein und brachte Botschaft aus Samos, welche
auch die schlimmsten Befürchtungen der Vierhundert weit überbot
Hier waren die Vorbereitungen zum Umsturz der Demokratie,
wie man voraussetzte, im besten Fortgange. Eine von Peisandros ge-
bildete Partei, von dreihundert Verschworenen geleitet, war schon zu
einer Macht im Staate geworden. Sie hatten den Hyperbolos getödlel,
der als Verbannter in Samos lebte, um dadurch den Oligarchien in
Athen ein Unterpfand ihrer Gesinnung zu geben; sie hatten andere Ge-
walttaten ausgeführt und standen im Begriff, die Bürgerschaft zu
überwältigen. So wie aber die Bürger dessen inne werden, wenden sie
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GEGENBEWEGUNG IN SAMOS (W, 1; 411 APRIL).
721
sich an die athenischen Feldherrn und stellen ihnen vor Augen, wie
Samos in Gefahr stehe, Athen verloren zu gehen. Leon und Diomedon,
welche man durch die Feldherrnstellen in das Interesse der Oligarchen
gezogen zu haben glaubte, waren wohl aristokratisch gesinnt, aber ver-
fassungstreue Patrioten. Sie verbinden sich nun mit dem Trierarchen
Thrasybulos und mit Thrasylos, einem angesehenen Börger, der als
einfacher Krieger auf der Flotte diente. Sie gehen auf den Schiffen
umher ; die Mannschaften erklären sich Mann für Mann bereit für den
Demos der Samier einzutreten, und in kurzem Kampfe werden einige
der Dreihundert getödtet, drei Rädelsführer werden verbannt; den
Anderen geschieht kein Leid, da sie sich bereit zeigen, unter demokra-
tischer Verfassung friedlich mit ihren Mitbürgern zu leben. Es war
ein glänzender Erfolg einmüthiger Verfassungstreue und die Paralos,
deren Mannschaft aus lauter freien athenischen Männern bestehend,
einen hervorragenden Antheil am Kampfe genommen hatte, wurde be-
auftragt, die Nachricht von den samischen Vorgängen nach Athen zu
bringen, um die Bürger der Hauptstadt in ihrer patriotischen Gesin-
nung zu befestigen.
Mit Schrecken erkannten die Vierhundert aus dem Berichte der
Schiffsmannschaft, welch ein Geist das Heer erfüllte. Es kam zu ge-
waltsamen Auftritten; einige der Schiffsleute wurden ins Gefangniss
geworfen; die Uebrigen vom Schiffe entfernt und, ehe sie in die Stadt
gelangten, auf ein anderes Schiff gesetzt, um bei Euboia zu dienen.
Man konnte einstweilen nichts Anderes thun, als die Kunde von Samos
so lange wie möglich verbergen und eben so dem Heere jede Meldung
aus Athen vorenthalten.
Aber auch dies misslang den Gewaltherrn. Denn der Führer der
Paralos, Chaireas, der Sohn des Archestratos, wusste sich ihnen zu ent-
ziehen. Er gelangte nach Samos und, ohne dass er Gelegenheit gehabt
hatte, sich von den Zuständen in Athen und den Absichten der Oli-
garchen genauer zu unterrichten, entwarf er eine ausführliche und
theil weise übertriebene Schilderung von dem Schreckensregimen le in
Athen. Da sei kein Bürger seines Lebens, keine Frau ihrer Ehre
sicher. Man scheue sich vor keiner Gewaltthat und gehe sogar damit
um, sich der Familien derer, die auf der Flotte dienten, zu bemäch-
tigen, um durch sie das Heer zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Das
Schiffsvolk gerielh darüber in solche Wuth, dass es sofort über alle
diejenigen hergefallen wäre, welche oligarchischer Gesinnung ver-
Curtiua, Gr. G«seh. II. 6. Aufl. 4(J
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722
ABFALL DES HEEKS.
dächtig waren, wenn nicht Thrasybulos und Thrasylos sich in das Mitlei
gelegt hätten. Sie zeigten, wie nolhwendig es sei, den nahen Feinden
gegenüber Friede und Eintracht aufrecht zu erhalten. In Folge
dessen vereinigte sich die ganze Mannschaft durch einen feierlichen
Schwur, an der Verfassung festzuhalten, den Krieg gegen Sparta muthig
fortzusetzen und die Vierhundert als Feinde des Vaterlandes anzusehen.
Die Samier traten dieser Verbrüderung bei, und so gab es nun ein
doppeltes Athen. Das Heer aber hatte guten Grund, sich als das wahre
Athen anzusehen; die Krieger waren der Kern des Volks. Nicht sie
seien, sagten sie, von Athen, sondern Athen sei von ihnen abgefallen;
nicht Mauer und Häfen bildeten die Stadt, sondern die Bürger, welche
wie Athener dächten und handelten.
Das Heer richtete sich wie ein eigener Staat ein. Es trat sofort
zu einer beschließenden Volksversammlung zusammen; es nahm für
sich die Einkünfte von den Bundesgenossen in Anspruch; es vollzog
neue Wahlen, um alle Verdächtigen aus den Feldherrnstellen zu ent-
fernen und bewährten Vertrauensmännern die Führung zu übertragen.
So wurden Thrasybulos und Thrasylos zu Feldherrn gewählt; dem
doppelten Feinde gegenüber, den man nun zu bekämpfen hatte, war
die Eintracht, der feste und fröhliche Mulh um so gröfser. Auch ohne
die abtrünnige Vaterstadt fühlte man sich stark und selbstgenügend,
und sollte die Rückkehr misslingen, so hatte man Schiffe und Waffen,
um sich damit Stadt und Land zu gewinnen.
Indessen war es die Sache der Feldherrn weiter zu blicken und
die Mittel ausfindig zu machen, um dauernde Erfolge zu erreichen.
Thrasybulos war der erste Mann im Lager; denn er hatte vor allen
Anderen der Verfassungspartei Zusammenhang, Kraft und sittliche
Haltung gegeben. Der höchste Ruhm schien ihm vorbehalten, die
Vaterstadt einem frevelhaften Parteiregimente zu entreifsen, Athen
sich selber wiederzugeben. Aber die Schwierigkeiten waren aufser-
ordentlicher Art und konnten durch den freudigen Muth des Heers
allein nicht überwunden werden. Man durfte das ionische Meer nicht
aufgeben, um einen Bürgerkrieg in Athen zu beginnen, und anderer-
seits waren die Folgen unberechenbar, wenn man die Vierhundert
lange Zeit gewähren liefs. Man war von Feinden umgeben, ohne einen
derselben muthig angreifen zu können; man halte kein anderes Vater-
land als die Flotte, aber sie war nicht mehr die Herrin des Meers; die
Peloponnesier mit ihren neuen Bundesgenossen aus Italien und Skilien
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THRASYBL'LüS UMl ALKIBIADES.
723
waren ihr an Zahl der Schiffe gewachsen, und jeden Augenblick konnte
die phönikische Flotte aus ihrem Hinterhalle zum Vorschein kommen,
und wenn sie sich mit den Peloponnesiern vereinigte, so gehörte ihnen
das ägäische Meer. Der Muth, wie er in den Tagen Kimons das
attische Seevolk beseelte, wo man nur fragte, wo der Feind sei, um
ihn in jedem Hafen aufzusuchen und immer des Siegs gewiss zu sein,
dieser Muth war nicht mehr vorhanden, und auch Thrasybulos war
nicht der Held, der solches Siegsgefuhl hatte und es Anderen ein-
flörsen konnte. Aber er hatte eine edle und reine Vaterlandsliebe,
deren Eindruck in dieser Zeit verrätherischer Umtriebe doppelt wohl-
thuend ist.
Weil er erkannte, dass es in der gegenwärtigen Lage außer-
ordentlicher Mittel und Kräfte bedürfe, so war er selbstverläugnend
genug, für seinen Platz einen anderen zu suchen, und diesen Andern
fand er in Alkibiades. Gewiss kannte er genau die Schwächen des-
selben, und sie mussten seinem edlen Sinne mehr als allen Anderen
widerstehen. Aber er wusste auch seine aufserordentlichen Gaben zu
würdigen, er wusste, dass die Vierhundert nichts mehr entmuthigen
würde, als Alkibiades' Rückkehr zum Heere. An eine Verbindung
zwischen ihm und den Vierhundert war nicht zu denken. Wenn Alki-
biades seinen ganzen Ehrgeiz daran setzte, die Vaterstadt an ihren
inneren und äufseren Feinden, die auch die seinigen waren, zu rächen,
so konnte ein Umschwung der Verhältnisse erfolgen, wie er in anderer
Weise nicht zu erzielen war. Und dann standen die Dinge doch nun
einmal so , dass der an sich ohnmächtige und unkriegerische Tissa-
phernes Herr der Lage war; wer ihn beherrschte (und das glaubte
man, wenn auch nicht mit vollem Hechte, von Alkibiades), wer ihn
bestimmen konnte, die Perserflotte auslaufen zu lassen oder zurück-
zuhalten , Sold zu zahlen oder zu verweigern , der war der Mächtigste
in Griechenland. Freilich war im Heere die Stimmung sehr ungünstig.
Man wollte nichts von Alkibiades wissen, der mit den Oligarchen ver-
handelt und den Anstofs zu den staatsfeindlichen Verschwörungen ge-
geben hatte; aber Thrasybulos kam immer wieder auf seine Vorschläge
zurück, bis er endlich von der Heerversammlung beauftragt wurde, im
Namen des Volks den Verbannten zurückzurufen.
Alkibiades hatte diesen Augenblick erwartet. Er hatte durch
kluges Spiel die Fäden der attischen Politik in seine Hand gebracht.
Er hatte mit den Oligarchen angeknüpft, um sie zu täuschen; er hatte
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ALKIBIADES BEIM HEERE («1 APRIL).
mittelbar den Verfassungsbruch herbeigeführt, damit die zerrissene
Stadt seiner bedürfe, damit er als Vertreter einer grofsen und würdigen
Sache zurückkehren, damit er, der so oft wegen tyrannischer Ab-
sichten verdächtigt war, als Retter der bürgerlichen Freiheit auftreten
und ein tyrannisches Parteiregiment zerstören könne, dessen Unnah-
barkeit er deutlich erkannte. Er folgte ohne Weigerung dem Thrasy-
bulos, und dieser trat nun selbst in den Hintergrund, um das Heil der
Vaterstadt in die Hände des Alkibiades zu legen.
Nach vierjähriger Entfernung stand Alkibiades wieder unter seinen
Mitbürgern; er hätte in keiner für ihn günstigeren Weise heimkehren
können. Denn hier in Samos traten die heimischen Erinnerungen
zurück; seine schlimmsten Feinde, die Oligarchen und die Priester,
waren nicht da, die versammelte Gemeinde war eines Sinnes, von ge-
hobener Stimmung und lenksam; Aller Gedanken waren mit der
Gegenwart und ihren Aufgaben beschäftigt, und die Verständigung mit
Alkibiades war um so leichter, da er, der Verbannte, zu Solchen kam»
welche selbst ihrer Vaterstadt beraubt waren. Diese Verhältnisse
machte er sich mit grofsen) Geschicke zu Nutze. Er gewann die
Herzen, indem er sein Loos bejammerte, dass er so lange Zeit sein
Vaterland habe meiden müssen; er hob den Mulh, indem er nach den
Erfahrungen, die er in Sparta und Persien gemacht hatte, seinen Mit-
bürgern auseinandersetzte, was er von der Zukunft Athens hoffen zu
dürfen glaube. Vor Allem aber schilderte er wieder in übertriebenem
Mafse seinen Einfluss auf Tissaphernes, der durch ihn schon ganz für
Alben gewonnen sei, so dass er selbst sein Hausgeräth und seine
Teppiche zu Gelde machen würde, wenn es nöthig wäre, um den
Athenern Sold zu verschaffen ; er halte auch die Flotte zu ihrer Unter-
stützung bereit, sobald er nur eine Bürgschaft dafür habe, dass er
ihnen trauen könne.
Die Athener gingen auf Alles ein, was Alkibiades ihnen aussprach
oder andeutete. Sie wählten ihn zum ersten Feldherrn mit unbe-
schränkten Vollmachten; sie glaubten mit ihm Alles erreichen zu
können, und die erste Probe sollte der unverzügliche Sturz der Vier-
hundert sein. Alkibiades hatte, wenn er ihrem stürmischen Verlangen
nachgab, allerdings die beste Gelegenheit, an seinen Feinden Rache zu
nehmen. Aber die Station zu Samos konnte nicht ohne die gröfsle
Gefahr aufgegeben werden, da die Spartaner seit Anfang April wieder
bei Milet lagen. Auch wollte er keine Heimkehr, welche von den un-
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ALKIBIADE3 DER RETTER ATHENS
725
heilvollsten Ereignissen hegleitet sein musste. Er hatte eine andere
Heimkehr im Auge, und dazu mussten die Vorkehrungen getroffen
werden. Zunächst also bewährte er seine Ueberlegenheit dadurch,
dass er das Heer verhinderte nach dem Peiraieus zu ziehen; das war
seine erste Feldherrnthat, durch welche er vieles Frühere sühnte, eine
That, um deren willen ihn auch die strengsten Richter den Retter
Athens genannt haben. Der Mann der ungezähmten Selbstsucht über-
wand sich und machte in dieser Zeit, wo der Parteigeist alle anderen
Rücksichten verdrängte, zum ersten Male wieder das Interesse des
Staats geltend. In diesem Sinne behandelte er auch die Abgeordneten
der athenischen Oligarchen , die sich nach längerer Rast in Delos end-
lich in's Heerlager gewagt hatten. Er beschützte sie vor der Wulh
der Krieger; er liefs sie ruhig Alles vorbringen, was ihnen zur Be-
schönigung des Staatsstreichs zu sagen aufgetragen war, und entliefs
sie mit dem Bescheide, dass er unter den gegenwärtigen Umständen
mit den beabsichtigten Ersparungen im Staatshaushalte ganz einver-
standen wäre, auch gegen die damit zusammenhängende Reform der
stimmberechtigten Bürgerschaft nichts einzuwenden habe, aber der
neue Rath müsse sofort abdanken und den verfassungsmäfsigen Fünf-
hundert den Platz räumen. Dies war Alles auf das Klügste berechnet.
Er erschien als der über den Parteien Stehende, als der, welcher allein
im Stande sei die Versöhnung herbeizuführen. Zugleich erwirkte er
aber durch diese Vorschläge, dass die in Athen regierende Partei sich
spaltete und ihre Herrschaft selbst untergrub.
Was nun die kleinasiatischen Verhältnisse betrifft, so hatte er
hier eine Stellung, wie sie seinen Wünschen und seinem Charakter
vollkommen entsprach; denn nichts schmeichelte seiner Eigenliebe
mehr, als wenn er seine Fähigkeit erweisen konnte, das Verschieden-
artigste in seiner Person zu vereinigen, ein Freiheitsheld und Perser-
freund, am Hofe des Tissaphernes und zugleich im attischen Lager der
Erste zu sein. Seinen Landsleuten gegenüber brüstete er sich als der
Vertraute des Satrapen, dem Satrapen konnte er wiederum als Ober-
feldherr Athens ganz anders gegenübertreten, da er jetzt ein Mann
war, der ihm nützen oder schaden konnte. Auf die Beziehungen
zwischen Persien und Sparta hatte er aber schon durch seinen blofsen
Uebergang nach Samos einen sehr entschiedenen Einfluss geübt. Denn
die Spartaner waren an Tissaphernes vollständig irre geworden , seit-
dem sie seinen Vertrauten an der Spitze der attischen Flotte wussten
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726
DIE FOLGEN DES ÜIIERTIUTTS.
und dabei das alte Verhältniss ungestört fortbestehen sahen. Alles,
was im peloponnesischen Lager noch Ehrgefühl halte, war empört
gegen Tissaphernes und gegen Astyochos, den man nun offen des Ver-
raths beschuldigte. König Agis hatte doch wenigstens einen Versuch
gemacht, die inneren Wirren der Athener zu Gunsten Spartas zu be-
nutzen; Astyochos aber war mit seiner Flotte, die bis auf 112 Trieren
angewachsen war, vollkommen unthätig geblieben, weil er vorgab, auf
die Phönizier zu warten, und was er von kleinen Unternehmungen
begonnen hatte, war völlig misslungen. Alle Zucht löste sich auf;
der Admiral wurde öffentlich geschmäht; am unverhaltensten aber war
die Erbitterung der Bundesgenossen, namentlich der Syrakusaner
unter Hermokrates, den die unwürdige Haltung von Sparta mit tiefem
Unmuthe erfüllte. Endlich wurden auch gegen Tissaphernes alle
Rücksichten so aus den Augen gesetzt, dass man ruhig zusah, wie die
Milesier die Zwingburg stürmten, welche er bei ihnen angelegt hatte.
Tissaphernes ging dann freilich selbst nach der Südküste, um die an
der Küste Pampbyliens ankernde Flotte von 147 Segeln herbeizu-
holen; aber er dachte eben so wenig daran, die Vereinigung derselben
mit den Peloponnesiern zu Stande zu bringen, wie sein Unterstatt-
halter daran dachte, den Griechen das zukommen zu lassen, was an
Unterhalt für sie vertragsmäfsig ausbedungen war. Unter diesen Um-
ständen waren also die Athener vollkommen ungefährdet; sie fingen
an sich wieder als Herrn des Meers zu fühlen, und Alkibiades wosste
es so zu machen, dass die gewonnenen Vortheile alle seinem Einflüsse
zugeschrieben wurden.
Inzwischen wurde das samische Athen auch auswärts immer mehr
als das wahre Athen anerkannt. Von Argos kamen Gesandte, um frei-
willig ihren Beistand anzubieten. Sie kamen mit der Mannschaft des
Staatsschilfes Paralos, welche zur Strafe auf ein Transportschiff versetzt
worden war, das im euböischen Meere seinen Posten hatte (S. 721).
Hier hatte sie den Auftrag erhalten, die Friedensgesandtschaft nach
Sparta zu bringen, welche in Folge der Verhandlungen mit Agis be-
schlossen worden war, drei Männer der entschiedensten Parteirichtung,
Laispodias, Aristophon und Melesias, wahrscheinlich einen Sohn des
Thukydides (S. 716). Wie die Vierhundert dazu kamen, zu diesem
wichtigen Dienste das mit den Paralern bemannte Schiff auszuwählen,
ob es blofse Fahrlässigkeit war, oder ob sie durch diesen Auftrag die
aus freisinnigen Bürgern bestehende Mannschaft kränken wollten, ist
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ATHEN IM LAGER (411 APRIL. MAI).
727
schwer zu entscheiden. Auf jeden Fall war ihr Verfahren ein grofser
Mi ss griff; denn die Paraler nahmen zwar ohne Widerspruch die Oli-
garchen an Bord; wie sie aber in der Nähe von Argos waren, erklärten
sie ihren Abfall vom städtischen Regimente, überlieferten die Gesandten
gebunden den Argivern, nahmen an ihrer Stelle die Gesandten von
Argos auf, brachten sie in das samische Hauptquartier und wurden hier
von ihren Waffenbrüdern frohlockend begrüfst. Alles trug dazu bei,
noch ehe wirkliche Thaten geschehen waren, die Zuversicht der Truppen
zu heben, und der Ruhm dieser glücklichen Veränderung fiel ganz dem
Alkibiades zu, so dass die Samier vor ihrem Heratempel sein Standbild
aufstellten, um den glückbringenden Tag seiner Rückkehr in dauerndem
Andenken zu erhalten177).
In Athen hatten sich inzwischen die Dinge ganz anders gestaltet,
als die Oligarchen nach ihren ersten Erfolgen gedacht hatten. Denn
kaum hatten die Vierhundert die Plätze im Rathhause eingenommen,
so zeigte sich, wie wenig die Leute zusammen passten, welche in schwie-
rigster Lage den Staat regieren und nun den Beweis liefern sollten, dass
nur nach ihren Grundsätzen ein ordentliches und erspriefsliches Regi-
ment möglich sei. Man hatle rasch zugegriffen, um die Rathsstellen voll-
zählig zu besetzen; man hatte absichtlich nicht blofs Genossen der Ver-
schwörung gewählt, sondern auch andere Männer, um den Schein einer
schroffen Parteiherrschaft zu vermeiden ; namentlich war Phrynichos
unermüdlich gewesen, um durch allerlei Ränke auch redliche Patrioten
hereinzuziehen und sie gewissermafsen gegen ihren Willen zu Mit-
schuldigen -des Staatsstreichs zu machen. Wie sehr man sich dabei
tauschen konnte, das zeigt schon der Missgriff, welchen man bei der
Wahl des Leon und Diomedon gemacht hatte.
Viele der neuen Rathsherren wurden sich erst nach Beginn der
Regierung über die Absichten klar, welche die Anstifter der Neuerung
hatten, und erkannten die Unmöglichkeit, in Einverständniss mit ihnen
zu handeln. Von entscheidendem Einflüsse war aber die Rückkehr des
Gesandten von Samos. Denn nachdem das Heer mit solcher Einigkeit
die Sache der Verfassung ergriffen hatte, war die Regierung in der Stadt
als eine revolutionäre gestempelt; Alkibiades, dessen Rückkehr für Viele
der Grund gewesen war der Verfassungsänderung beizustimmen, der
Preis, um dessen willen man sich selbst so wie den Bürgern die gröfsten
Opfer zugemuthet halte, Alkibiades stand an der Spitze des Heers, und
72S
SI'ALTIWU IHK VIERHUNDERT.
jetzt erst wurde deu Üich, wie arglistig man von Peisandros getäuscht
worden war. Die grofse Mäfsigung der bewaffneten Bürgerschaft, welche
das Schicksal der Stadt in ihrer Hand hatte, ihr ruhiges und pflichttreues
Verharren auf dem Posten in Samos, die verständige Antwort des Alki-
biades — dies Alles trug dazu bei, die schwankenden Parteigenossen
vollends abwendig zu machen; denn sie wurden inne, dass alles Gute,
was man von einer Verfassungsänderung gehofft hatte, auf eine viel ge-
rechtere und sicherere Weise hätte erreicht werden können ; sie sahen
sich zu Werkzeugen einer verräterischen Partei benutzt, und da nun
bei dieser Rolle auch ihr Ehrgeiz wenig Befriedigung fand, so wurde die
von Anfang an vorhandene Meinungsverschiedenheit zu einer offenen
Spaltung im Schofse des Raths. Die Einen wollten einlenken, die An-
deren dagegen, welche zu weit gegangen waren, wollten in demselben
Grade, wie die Gefahr stieg, gröfsere Strenge und rücksichtslosere Maß-
regeln eintreten lassen; die Einen wollten sich Wege Offnen, um aus
der Verwickelung herauszukommen, die Anderen um jeden Preis ihre
Herrschaft erhalten.
Zu den Mafsregeln, welche zu Streitpunkten wurden, gehörte na-
mentlich die Einberufung der Fünftausend. DieGemäfsigLen verlangten,
dass damit Ernst gemacht werden solle; denn bis dahin sei Atheu ein
reiner Gewaltstaat; die Anderen wollten diesen gefährlichen Schritt in 's
Unbestimmte hinausschieben, um die Regierungsgewalt zusammen zu
halten und alle Aufregung möglichst zu verhüten. Sie hielten es Tür
nothwendig, dass die Stadt einstweilen wie im Belagerungszustande ge-
halten werde. Dazu dienten die ausländischen Bogenschützen, die von
ihnen geworben waren und ihrem Regimen te mehr als alles Andere den
Charakter der Tyrannis gaben; es waren Barbaren von wildem Aus-
sehen, grofsentheils Iberer, welche in den gleichzeitigen Komödien er-
wähnt werden. Mit ihnen hatten sie die herrschenden Punkte der Ober-
und Unterstadl besetzt und übten unter den Bürgern eine diesem Zu-
stande entsprechende Justiz und Polizei. Das Versammlungsrecht, die
Rede- und Lehrfreiheit war aufgehoben, und die Partei der Fanatiker
(S. 632), welche im Rathe stark vertreten war, benutzte die Gelegen-
heit, um ihre religiösen Verfolgungen wieder aufzunehmen. Vielleicht
war es um diese Zeit, dass dem greisen Prolagoras, dem Freunde des
Perikles, über sein Buch *von den göttlichen Dingen' der Prozess ge-
macht wurde; er musste fliehen, und die Exemplare seiner Schrift
wurden öffentlich auf dem Markte verbrannt17*).
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FESTUNGSBAU IM PEIItAIELS (92. 1; 411 MAI).
729
Vorzugsweise aber wurde die offene Trennung der Rathsparteien
dadurch veranlasst, dass auf Antrag der oligarchischen Führer im
Peiraieus ein Festungsbau begonnen wurde. Hier erstreckt sich nämlich
die felsige Halbinsel Eetioneia von Norden her gegen die Mündung des
grofsen Hafens, so dass von hier aus durch eine geringe Besatzung
Aus- und Einfuhr vollständig beherrscht werden konnte. Diese Halb-
insel wurde abgemauert und zwar so, dass auch die Getreidehalle und
der Kornmarkt (S. 325) in die Mauerlinien hereingezogen wurden. Als
Grund dieser Befestigung wurde angegeben, dass man den Hafen gegen
einen unvermutheten Angriff der samischen Truppen decken müsse;
aber von Anfang an ging das Gerede, diese Zwingburg werde nur
dazu gebaut, um peloponnesische Truppen aufzunehmen. Dies war
nun der Punkt, wo die Gemäfsigten am entschiedensten von den
Häuptern der Verschwörung sich lossagten. Jene schaarten sich um
Theramenes und Aristokrates, diese um Phrynichos, Peisandros,
Antiphon, Aristarchos und Kallaischros.
Beide Parteien arbeiteten von nun an gegen einander, und
die Folge dieser Spannung konnte keine andere sein, als dass
die eigentlichen Oligarchen, welche die Gefahren von Seiten*] des
Heers, der Bürgerschaft und der eigenen Amtsgenossen itaglich
wachsen sahen, zu immer verzweifelteren Schritten ihre Zuflucht
nahmen. Ihnen blieb nichts übrig als Sparta, und wenn sie auch
den Wunsch hatten, Athen als selbständigen Staat erhalten zu sehen,
so waren sie doch entschlossen, wenn es nicht anders sein könnte,
auch unter dem Schulze peloponnesischer Truppen in der Vaterstadl
zu herrschen; denn ihr Parteiregiment ging ihnen über Alles und
eine Einigung mit Sparta gehörte ja von Anfang an zu den Ziel-
punkten ihrer Politik. Antiphon, Phrynichos, Archeptolemos gingen
daher selbst zu neuen Verhandlungen nach Sparta. Von dem Erfolge
derselben verlautete nichts ; aber um so Schlimmeres argwöhnte man
über das heimlich Verabredete, und diese Besorgnisse wurden da-
durch genährt, dass eine peloponnesische Flotte segelfertig in den
Häfen Lakoniens lag.
Nun hält die Gegenpartei nicht länger an sich; denn auch sie ist
verloren, wenn die Zwingburg fertig wird und der Venrath gelingt.
Sie kann sich aber nur durch Anschluss an die Volkssache reiten. So
wird denn unler den Vierhundert selbst eine Gegenrevolution vor-
bereitet, und in heimlichen Zusammenkünften werden die Opfer be-
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730
ERMORDUNG DES PHRYMCHOS.
zeichnet, welche dem Hasse der Bürgerschaft fallen sollen. Es gilt
zunächst dem Phrynichos.
Kaum ist er von der verhassten Gesandtschaft heimgekehrt, als er
eines Abends auf dem von Menschen angefüllten Markte unweit des
Rathhauses ermordet wird. Der Thater entflieht, aber sein Mitschul-
diger Apollodoros wird ergriffen. Beide gehörten den Soldtruppen an,
welche die Vierhundert geworben halten; also auch auf sie ist kein
Verlass, auch von ihnen ist ein Theil in den Händen der Gegenpartei.
Apollodoros kann zwar auch auf der Folter nicht dazu gebracht
werden, seine Auftraggeber zu nennen, aber er erklärt, dass der Ver-
schwornen Viele seien, welche bei den Obersten der Polizeisoldaten
und in den Bürgerhäusern ihre Zusammenkünfte hielten. Diese Aus-
sagen erschrecken die Majorität, sie wagen nichts Entscheidendes zu
thun. Einige verlassen heimlich die Stadt, die Anderen sind rathlos;
eine Steigerung der Zwangsmafsregeln ist nicht möglich. Deshalb
gehen nun die Gemäfsigten um so entschlossener vor; es bedarf keiner
heimlichen Anschläge mehr; sie setzen sich mit der Bürgerschaft in
Verbindung, um die offene Erhebung vorzubereiten.
Das erste Zeichen dazu erfolgt im Peiraieus; die Bürgertruppen,
welche zur Befestigungsarbeit in Eetioneia commandirt waren, er-
heben sich gegen die Regierung und nehmen Aristokles, ihren Befehls-
haber, gefangen; Hermon, der die Besatzung von Munichia befehligt,
schliefst sich ihnen an; die ganze Hafenstadt steht gegen die Vier-
hundert in Waffen. Noch immer giebt es im Rathe eine Partei, welche
Gewalt anwenden will, aber die Mehrzahl erkennt die Noth wendigkeit,
versöhnende Mafsregeln zu versuchen und lässt sich von Theramenes
bewegen, dass man ihn als Commissar der Regierung hinunter schicke.
Theramenes hört die Beschwerden der Truppen an, er findet sie
gerecht und verbindet sich mit den Aufständischen, um das halb
fertige Kastell niederzurelfsen. Nun wird die Erhebung offen erklärt.
Im rounichischen Theater wird eine Bürgerversammlung gehalten; die
Bürger rücken von da im geordneten Zuge nach Alben, wo sie sich
mit ihren WafTen im Anakeion aufstellten, dem heiligen Gehöfte der
Dioskuren, am Fufs der Burg unterhalb des Tempels der Stadtgöttin
auf demselben Platze, wo jeder Bürger als Jüngling geschworen halte,
das Vaterland zu Wasser und zu Lande unvermindert zu erhalten und
die Gesetze der Stadt gegen jedweden AngrifT mit seinem Leben zu
vertheidigen.
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ERHEBUNG DER BÜRGERSCHAFT. 731
Dieses Schwurs eingedenk, zeigten sie aber auch eine hochherzige
Mäfsigung. Das Schicksal der Stadt lag in ihren Händen; der Rath,
vollkommen machtlos, war ihrer Erbitterung preis gegeben ; dennoch
empfingen sie die Abgeordneten, welche aus dem Rathhause zu ihnen
herüberkamen und sie einzeln beschworen, Ruhe und Ordnung auf-
recht zu erhalten; sie gingen sogar auf den Vorschlag ein. dass der
Rath die Regierung einstweilen fortführen, aber sogleich die Fünf-
tausend berufen und aus ihrer Mitte sich ergänzen solle179).
Um diese Mafsregeln zu treffen, wurde ein Tag angesetzt, an
welchem in versammelter Gemeinde die Eintracht wieder hergestellt
werden sollte. Und schon versammelte sich zur bestimmten Stunde
die Menge im Theater, um das Werk der Einigung zu vollziehen und
den attischen Freistaat wieder herzustellen — da verbreitet sich plötz-
lich die Kunde, dass eine Flotte von 42 Segeln von Megara her um
Salamis herumfahre. Nun hiefs es natürlich, und nicht ohne Grund,
das sei die Flotte, von der Theramenes ihnen gesagt hatte, dass sie im
Einverständnisse mit den Vierhundert stehe, und Alles, was Waffen
tragen konnte, stürzte nach dem Peiraieus, um gegen die äufseren
und inneren Feinde den Hafen zu verlheidigen. Die Schiffe, die im
Hafen lagen, wurden bemannt, andere rasch in's Wasser gezogen, die
Mauern besetzt, die Mündungen geschlossen. Der spartanische Admiral
Agesandridas führte aber die Flotte an den Häfen vorüber, und die
erste Noth war beseitigt
Dagegen erkannte man bald eine andere Gefahr; denn man sah
die Fotte um Sunion herum biegen und nach Oropos steuern. Nun
galt es Euboia zu retten. Die Athener stürzten von Neuem in die
Schiffe; in gröfster Eilfertigkeit ordnete sich ein Geschwader, dessen
Befehl dem Thymochares übergeben wurde, welcher sich rasch mit
den anderen Schiffen in den euböischen Gewässern vereinigen sollte.
Sechs und dreifsig Schiffe fanden sich bei Eretria zusammen, die
Feinde lagen gegenüber in Oropos. Noch schien nichts verloren ; die
Athener waren voll Kriegslust. Aber auch hier hatte man vor sich und
hinter sich Feinde. Die Eretrier waren verrätherisch gesinnt. Als
daher die Athener ihren Mundvorrath einkaufen wollten, fanden sie
den Markt in der Nähe der See leer; sie mussten bis in die fernsten
Strafsen rennen, um das Nöthigste herbeizuschaffen. Als nun das
Zeichen zum Aufbruch gegeben wurde, war das Schiffsvolk nicht voll-
zählig, und in grofser Unordnung musste die Flotte den Feinden ent-
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732
MEDF.FlLAGE BEI OROI'03 («1 JUNI).
^egen gehen, welche von Eretria aus das Zeichen zum Angriff erhalten
hatten. Dennoch hielten sich die Athener im Anfange der Schlacht,
aher sie wurden überwältigt und auf den Strand getrieben; die
nach Eretria Fluchtenden wurden von den Einwohnern erschlagen;
22 Schilfe geriethen in die Hände der Feinde und in wenig Tagen
war die ganze Insel samt ihren Kleruchenkolonien für Athen ver-
loren, mit Ausnahme von Oreos, dem alten Histiaia (S. ISO), welches
ganz in den Händen attischer Bürger war und durch diese den
Athenern bewahrt wurde 18°).
Als die Nachricht von der Schlacht im euböischen Sunde und
ihren Folgen nach Athen kam, da sank auch den Besten der Muth :
denn dies Unglück überstieg bei weitem auch die sicilische Niederlage.
Euboia war ja den Athenern unentbehrlicher, als ihr eigenes Land;
dazu kam, dass sie weder Schiffe noch Geld noch Mannschaft hatten ;
das Heer war von der Bürgerschaft losgerissen, die stadtische Gemeinde
in sich gespalten, der Rath mit den Feinden im Ein verstand niss, Agis
mit einem drohenden Heere vor der Stadt. Was konnte man also An-
deres erwarten, als dass Agesandridas sofort vor dem Peiraieus er-
scheinen würde? Bei einem gleichzeitigen Land an griffe von Dekeleia
her war ein erfolgreicher Widerstand undenkbar; es schien, dass den
Oligarchen noch in letzter Stunde ihre verräterischen Pläne gelingen
sollten. Denn wenn auch das samische Heer der Vaterstadt zu Hülfe
eilen sollte, so war doch vorauszusetzen, dass es zu spät kommen
würde; war aber Sa mos aufgegeben, so war zugleich lonten und der
Hellespont preisgegeben und die ganze Herrlichkeit Athens, Reich und
Stadt, auf einmal vernichtet. Kurz, die Athener waren auf den Unter-
gang ihres Staats gefasst.
Aber der Feind rührte sich nicht. Von seinen eigenen Erfolgen
überrascht, wusste er dieselben nicht zu benutzen. Agis und Agesan-
dridas dachten gar nicht daran, gemeinschaftlich gegen die Stadt vor-
zugehen und liefsen den Bürgern volle Mufse, sich von dem ersten
Schrecken zu besinnen. Die Athener bemannten also von neuem
zwanzig Schiffe, um ihre Häfen zu vertheidigen und gingen dann mit
allem Ernste daran, ihre städtischen Angelegenheiten zu ordnen. Denn
sie fühlten, dass sie sich aus der Noth der Gegenwart nicht anders
heraus arbeiten könnten, als wenn sie vor Allem im eigenen Hause
festen Boden gewonnen und eine gesetzliche Verfassung hergestellt
hätten.
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ABSETZUNG DER VIERHUNDERT (»8, 1; 411 JUNI).
733
Kurze Zeit nach der Niederlage im euböischen Sunde, etwa um
die Mitte des Junius, finden wir also die Bürgerschaft wieder an alter
Stelle, auf der Pnyx, versammelt, von welcher die Gewaltherrschaft
sie verbannt hatte. Es wurde in voller Ruhe, aber entschlossen und
nachdrücklich gehandelt. Der Rath wurde abgesetzt und die Staats-
hoheit dem Volke zurückgegeben, aber nicht der ganzen Volksmenge,
sondern man blieb dabei, einem Ausschusse der Wohlhabenderen das
volle Bürgerrecht vorzubehalten, und da die Listen der Fünftausend
nicht angefertigt waren, so bestimmte man, um rasch zum Ziele zu
kommen, nach dem Vorgange ähnlicher Einrichtungen in anderen
Staaten, dass alle Athener, welche sich aus eigenen Mitteln mit voll-
standiger WafTenrüstung versehen könnten, als stimmberechtigte und
regierungsfähige Vollbürger angesehen werden sollten, so dass der
Name der Fünflausend jetzt eine sehr ungenaue Bezeichnung war,
welche beibehalten wurde, weil man sich in den letzten Monaten an
denselben gewöhnt hatte. Zugleich wurde die Aufhebung aller Besol-
dungen für bürgerliche Aemter und Verrichtungen nicht blofs zeitweise
verordnet, sondern als Grundsatz des neuen Staatslebens festgestellt
und die Bürgerschaft durch feierliche Eide darauf verpflichtet. Es
war im Ganzen eine weise Mischung von Aristokratie und Demo-
kratie; es war nach Thukydides' Urteile die beste Staatsordnung,
welche die Athener bis dahin gehabt hatten. Auf Antrag des Kritias
wurde um dieselbe Zeit die Rückberufung des Alkibiades beschlossen
und eine Gesandtschaft nach Samos abgeordnet, um die Vereinigung
von Heer und Stadt zu vollziehen. In wiederholten Bürgerversamm-
lungen wurde das begonnene Werk fortgesetzt, der Rath erneuert
und ein Gesetzgebungsausschuss ernannt, um nach der eingetretenen
Störung des öffentlichen Rechtszustandes die Verfassung durchzu-
sehen und Alles mit den angenommenen Grundsätzen in Einklang zu
bringen. Es wurde bestimmt, dass binnen vier Monaten diese Arbeit
vollendet sein sollte181).
Der einflussreichste Mann in dieser Zeit war Theramenes, und
wenn derselbe von einem so strengen Richter, wie Aristoteles, den
besten Bürgern beigezählt wird, welche Athen jemals gehabt habe, so
hegen die Verdienste desselben gewiss nicht darin allein, dass er
wesentlich dazu beigetragen hat, die verrätberischen Umtriebe einer
zum Aeufsersten entschlossenen Partei zu vereiteln, sondern vor-
zugsweise darin, dass er nach dem Sturze derselben den Ausbrüchen
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734
I>IE NEUE VERFASSUNG (ä»2, I; 411).
von Leidenschaft, welche den Staat zu Grunde gerichtet hätten,
vorzubeugen, die Gemeinde zu versöhnen und ein Ergebniss zu
erzielen wusste, welches im Leben der Staaten zu den allerselten-
sten gehört.
Wir sehen einen Staatsstreich misslingen, der alle höchsten Güter
einer Bürgergemeinde, ihre Rechtsgleichheit, Gewissens- und Rede-
freiheit so wie ihre äufsere Unabhängigkeit freventlich angetastet
hatte, und dennoch erfolgt kein gewaltsamer Umschlag nach der ent-
gegengesetzten Seite, keine blutige und rachsüchtige Reaktion, sondern
die arglistig getäuschte und schwer gekränkte Gemeinde zeigt, nach-
dem alle Gewalt in ihre Hände zurückgekehrt ist, so viel Selbstbeherr-
schung, dass sie die vernünftigen Gedanken, welche den oligar-
chischen Reformplänen zu Grunde lagen, bereitwillig anerkennt und
dieselben bei der neuen Ordnung der Dinge als Richtschnur befolgt.
Bedenkt man, wie in anderen Staaten, z. B. in Argos und Kerkyra,
ähnliche Ereignisse von den furchtbarsten Ausbrüchen der Partei wuth
begleitet zu sein pflegten, so muss man anerkennen, dass das attische
Volk sich niemals weiser und besonnener benommen hat. Das Ver-
halten des Stadtvolks ist eben so wie das des Heers in Samos ein glän-
zendes Zeugniss für die sittliche Tüchtigkeit, welche in dem Kerne
der Bürgerschaft noch immer vorhanden war. Das Unglück hatte dazu
beigetragen, die bürgerlichen Tugenden wieder zu wecken und zu
stärken, und wenn dies hochherzige Verhalten nun auch sofort dem
ganzen Staate neuen Mutb und neue Kräfte einflöfste und ihn in den
Stand setzte, die furchtbaren Schläge des Schicksals noch einmal zu
überwinden, so werden auch diejenigen, welche in dieser entscheiden-
den Zeit die Sprecher und Rathgeber der Bürgerschaft waren, wohl
mit Recht zu den gröfsten Wohlthätern Athens gezählt werden
dürfen 18a).
Bei diesem Uebergange aus einer Verfassung in die andere, bei
welchem wesentliche Einrichtungen in die neue Ordnung herüber-
genommen wurden, konnte die ßetheiligung an der Regierung der
Vierhundert unmöglich als ein Verbrechen angesehen werden. Waren
doch Mitglieder derselben die Retter des Staats geworden ! Dagegen
hatten sich andere Rathsmitglieder der gröfsten Staatsverbrechen in
solcher Weise verdächtig gemacht, dass man dies nicht auf sich
beruhen lassen zu können glaubte. Es wurden also öffentliche Ankläger
ernannt und Untersuchungsrichter bestellt, um sämtliche Mitglieder
AMIPHON VOR GERICHT
735
des Raths zur Rechenschaft zu ziehen. Viele von ihnen wurden von
jeder Schuld freigesprochen. Diejenigen, welche sich der Verantwor-
tung entzogen und in das feindliche Lager übergingen, wie Peisandros,
wurden verurteilt. Aristarchos war nicht nur entkommen, sondern
hatte auch eine Abtheilung der iberischen Bogenschützen mit sich
genommen nach Oinoe (S. 402), das gerade von Korinthern und Böo-
tiern belagert wurde. Er hatte der Besatzung, welche ihn als ein Mit-
glied der Regierung betrachtete, vorgespiegelt, dass die Festung in
einem mit den Lakedäinoniern geschlossenen Vertrage abgetreten
worden wäre, und so einen der wichtigsten Gränzplätze in die Hände
der Feinde gebracht. Ihn erreichte später die Strafe des Verraths.
Persönlich standen vor Gericht nur zwei der einflussreichsten Anstifter
des Staatsstreichs, Archeptolemos und Antiphon, der Einzige von Allen,
der unsere persönliche Theilnahme in Anspruch nimmt.
Ein Mann von seltener Charakterstärke, ein Muster attischer
Gedankenschärfe, unvergleichlich als Meister des Worts und als Lehrer
der Beredsamkeit, ward er bewundert von Allen, die einen Mafsstab
für geistige Bedeutung hatten, aber dem Volke war er missliebig, weil
er die Leute durch seine herbe Persönlichkeit verletzte und weil er in
allen Dingen dem Strom der öffentlichen Meinung entgegenstand. Die
alterthümliche Würde seiner Reden war das Gegentheü der demago-
gischen Beredsamkeit, wie sie seit Kleon Mode geworden war; wenn
seine Reden das Oeffentliche berührten, bekämpfte er immer die demo-
kratische Politik, namentlich in den bundesgenössischen Angelegen-
heiten (S. 488). Sonst war ihm der ganze Volksstaat so zuwider, dass
er von allen Aemtern sich fern hielt. Erst mit dem sicilischen Unglück,
das seine Ansichten von dem Unheil der Demokratie so vollständig be-
stätigt hatte, glaubte er, dass seine Zeit gekommen sei, und er war
es, der seitdem die Umsturzpläne der Oligarchen geleitet und gestaltet
hatte. Also musste er als der schuldigste von Allen gelten, obwohl er
der gesinnungtreuste und uneigennützigste von allen war.
Zu stolz um zu fliehen, stellte er sich zur Verantwortung und
diente seinen Gesinnungsgenossen dazu, dass sie auf seine Kosten ihre
Popularität wieder gewinnen konnten. Theramenes war unter den
Feldherrn, welche die Anzeige wegen Landesverrath beim Rathe
machten; Andron, auch einer der Vierhundert, hatte den Raths-
beschluss beantragt, welcher Antiphon und Archeptolemos in An-
klagezustand versetzte.
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ANTIPHONS TOD (411; M; 2).
Der greise Redner bot noch einmal die ganze Kraft seines Geistes
auf, um die Grundsätze, nach denen er gebandelt hatte, mannhaft zu
verlreten. Die Anklage drehte sich besonders um die letzte Gesandt-
schaft, um den Festungsbau im Peiraieus und den Zusammenhang, in
welchem der Seezug des Agesandridas mit diesen Mafsregeln gestanden
habe. Seine Rede 'über die Verfassungsänderung1 war ein vielbewun-
dertes Meisterwerk, aber nicht im Stande ihn zu retten. Der Verdacht,
der auf jener Gesandtschaft lastete, wurde nicht gehoben; sein ganzes
Leben zeugte wider ihn; selbst das Verhalten des Großvaters, der zum
Anhange der Tyrannen gebort hatte, wurde von den Anklägern herbei-
gezogen, um sein ganzes Haus als einen Herd verfassungsfeindlicher
Gesinnung darzustellen. Vergebens suchte er geltend zu machen, dass
die Vierhundert solidarisch unter sich verbunden gewesen wären,
dass man entweder alle bestrafen oder alle freisprechen müsse. Er
wurde mit Archeptolemos zum Tode verurteilt und den Clfmännern
übergeben. Ihr Vermögen wurde eingezogen, ihre Häuser wurden
niedergerissen; die Geschlechter wurden für ehrlos erklärt, die Be-
stattung in attischer Erde verboten. Das Urleil wurde mit dem vor-
angehenden Ralhsbeschlusse aufgeschrieben und öffentlich aufgestellt
So endete im Sommer 411, gleich nach dem Anfange von Ol. 92,
2, hundert Jahre nach dem Sturze der Pisistratiden, die viermonatliche
Tyrannis der Oligarchien. Sie war nur möglich geworden durch die
Macht der politischen Clubbs, welche sich in dem Hermenprozesse zu
kühneren Unternehmungen vorgeübt hatten ; sie war durch die unge-
wöhnlichen Talente, welche ihr dienten und durch die günstige Stim-
mung der wohlhabenderen Bürgerkreise zu Stande gekommen; sie
konnte aber keine Dauer haben, weil der Kern des Volks an der Ver-
fassung festhielt, weil das, was von der Seeherrschafl Athens noch
übrig war, nur durch die Demokratie zusammengehalten wurde und in
Athen selbst eine Vereinbarung der Ehre des Staats mit oligarchischer
Regierungsweise unmöglich war.
Ein Mann wie Thukydides würde Antiphon nicht so hoch geschätzt
haben können, wenn er nicht von der Reinheit und Aufrichtigkeit seiner
Absichten überzeugt gewesen wäre. Antiphon war starrer Theoretiker,
dessen scharfem Blicke die Schäden der Verfassung so grell entgegen-
traten, dass er seine Vaterstadt lieber in Abhängigkeit von Sparta sehen,
als am Gifte der Volksherrschaft zu Grunde gehen lassen wollte. Die
Meisten der Parteigänger waren aber, wie ihre letzten Schritte gezeigt
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DIE PROZESSE HIER PHRYMCBOS.
737
haben, nichts als selbstsüchtige Verräther, die um ihrer Herrschsucht
willen die Vaterstadt preiszugeben bereit waren183).
Trotz ihrer kurzen Dauer ist diese Parteiherrschaft doch nicht
spurlos Vorübergegangen. Die Macht des Staats hatte unheilbare
Wunden empfangen, die Schwäche desselben war mehr als je den
Feinden kund geworden, und Sparta hatte die Stärke seines Anhangs
erprobt. In Athen war wiederum Bürgerblut geflossen; alte Bürger-
häuser waren eingerissen, Schandsäulen zum Andenken der Schreckens-
zeit aufgestellt und durch eine Reihe von Hochverrathsprozessen und
Gütereinziehungen eine Saat der Feindschaft ausgestreut, welche rasch
emporscboss. Es war eine Zeit der Aufregung eingetreten, in welcher
man das in ruhigeren Tagen Versäumte nachholen wollte. Man zog des-
halb auch die Todten vor Gericht; denn der Mord, mit dem die ganze
Erbebung begonnen hatte, sollte jetzt als eine völlig gerechtfertigte That
erscheinen, und auf das Haupt des Phrynichos, der ja ursprünglich ein
entschiedener Gegner der Verfassungsfeinde gewesen und nur durch
äufsere Verhältnisse in ihre Umtriebe verwickelt worden war, wurde
darum Alles gehäuft, was an Hass gegen oligarchische Gewaltherrschaft
in der Bürgerschaft lebendig war. Eine Verteidigung des Gemordeten
wurde nur unter dem Vorbehalte gestattet, dass der Verlheidiger im
Falle der Verurteilung desselben Verbrechens, wie Phrynichos, schuldig
zu achten sei. Nachdem dieser aber noch im Grabe als Hochverräther
verdammt und seine Gebeine über die Gränzen der Landschaft hinaus-
geworfen waren, konnten die Mörder desselben den vollen Ruhm von
Tyrannenmördern und Freiheitshelden ernten; sie wurden in die
Bürgerschaft aufgenommen, sie wurden aus den eingezogenen Gütern
beschenkt und in öffentlichen Denkmälern geehrt; es war eine Art
Säkularfeier der ersten Befreiung Athens durch Harmodios und Arislo-
geiton. Diese Verhandlungen zogen sich in die Lunge. Denn es meldeten
sich nun allerlei Menschen sehr zweideutigen Rufs, welche bei der
nächtlichen Mordscene betheiligt gewesen sein wollten und ihren An-
theil an Ehre und Lohn beanspruchten. Aber auch die den beiden
HauptlhäternThrasybulos und Apollodoros zukommenden Ehren wurden
Gegenstand von mancherlei Einreden, welche in au fserordenl liehen
Commissionen berathen wurden, so dass erst neunzehn Monate nach
Phrynichos' Ermordung im März 410 (92, 3) die ganze Sache erledigt
worden ist.
So waren die Leidenschaften von Neuem entflammt worden, und
Curtins, Up. Ge»cb. IL ß. Au6. 47
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73S
ALKIIUAHES' EINFLUSS.
es wurden Manche, welche bei der ersten Untersuchung zu glimpflich
davon gekommen zu sein schienen, nachträglich zur Verantwortung
gezogen und bestraft: namentlich diejenigen, welchen man nach-
weisen konnte, dass sie sich noch nach Zerstörung des Castells zum
Rathe gehalten hatten. Das Aufspüren tyrannischer Umtriebe war
wieder in voller Blüthe, und das Gefühl der Sicherheit im eigenen
Hause kehrte nicht wieder zurück. Auf Antrag des Demophantos
wurde beschlossen, dass die Strafe des Hochverraths künftig auch auf
die ausgedehnt werden solle, welche von einer verfassungswidrigen
Regierung irgend ein Amt annähmen. So suchte man der Gefahr
neuer Staatsstreiche vorzubeugen, und allerdings war die Partei der
Oligarchen ihrer Niederlage ungeachtet nichts weniger als ausgerottet ;
die Rede, welche Antiphon seinen politischen Freunden wie ein Ver-
mächtnis* hinterlassen, hatte bei ihnen eine nachhallige Wirkung,
und sie warteten nur auf günstigere Gelegenheit, ihre Pläne zu ver-
wirklichen1"). ____
Inzwischen hatten sich draufsen die gröfsten Veränderungen zu-
getragen, welche theils durch den Wechsel des Oberbefehls auf der
spartanischen Flotte, theils durch die neue Thätigkeit des Alkibiades
veranlasst wurden.
Alkibiades hatte schon einen wesentlichen Einfluss auf die Ge-
schicke seiner Vaterstadt geübt. Er hatte dem altischen Heere eine
muthige und feste Haltung gegeben und die alte Bundesgenossenscha fl
mit Argos erneuert; er halte den Rachezug gegen Athen verbindert,
welcher der Anfang des unheilvollsten Bürgerkriegs geworden wäre;
er hatte den äufseren Feind unschädlich gemacht, indem er das Miss-
trauen zwischen Persien und Sparta auf das Geschickteste zu nähren
gewusst, und eben so hatte er den Feind zu Hause, die Oligarchie,
bezwingen helfen; denn seine Botschaft hatte ja die erste Spaltung im
Rathe der Vierhundert und dadurch den Sturz desselben herbeige-
führt. Er halte endlich durch seine Erklärung zu Gunsten einer ge-
mäfsigten Volksherrschaft die Feststellung der neuen Verfassung
wesentlich gefördert. Dies Alles war ihm ohne Waffengewalt durch
persönlichen Einfluss und kluge Behandlung der Zeilverhällnisse ge-
lungen. Nun musste er als Feldherr zeigen, dass er noch immer der
Mann sei, welcher das Glück des Kriegs in seiner Hand habe und der
die Wunden zu heilen wisse, die er seiner Vaterstadt geschlagen. EU
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MKNDAROS UM» I)!K SATRAPEN.
739
kam darauf an, die attischen Trieren wieder zum Angriffskriege zu
fähren, der allein im Stande war, den Athenern das alte Vertrauen zu
ihren Schiffen zurück zu geben; er mussle zeigen, wie man auch ohne
das regelmäßige Einkommen der Tribute Geldmittel herbeischaffen
und die sa mische Kriegskasse füllen könne. Man musste die Tribute
auf eigenen Schiffen holen; dabei gewöhnte man sich zu nehmen, so
viel man bekommen konnte, und anstatt des gesetzlich Vereinbarten
wurden willkürliche Contributionen erhoben.
So durchkreuzte Alkibiades in den Monaten, welche der Her-
stellung der Verfassung folgten, mit einem Geschwader von 22 Schiffen
das Meer von Karien, erhob grofse Summen aus Halikarnassos, be-
festigte die Insel Kos, übte die Trieren in raschen Zügen und kettete
das Schiffsvolk durch reiche Beute an seine Person. Trotz der Rhodier,
welche damals schon nach eigener Seeherrschaft strebten, und trotz
der Nähe der Perserflotte war die karische Küste wieder ganz in
attischer Macht, und aus den abgefallenen Städten wurde mehr Geld
gezogen, als jemals an Tribut von dort eingekommen war. Dann
wandte er sich im Herbste gegen Norden, um sich mit der übrigen
Flotte zu entscheidenden Kämpfen zu vereinigen; denn das eigent-
liche Kriegstheater war inzwischen von Milet nach dem Hellespont
verlegt worden 185).
Man hatte nämlich in Sparta beschlossen, der Kriegführung eine
andere Wendung zu geben. Deshalb war im Frühjahr anstatt des
trägen und unzuverlässigen Astyochos ein wackerer Spartiat, Namens
Mindaros, an die Spitze der Flotte gestellt, ein Mann, welcher nach
Art des Lichas (S. 711) eine sehr entschlossene Haltung den Satrapen
gegenüber annahm. Noch einmal wurde die versprochene Vereinigung
der peloponnesischen und phönikischen Schiffe verlangt, um dadurch
dem ganzen Kriege ein rasches Ende machen zu können. Tissaphernes
wollte einen offenen Bruch vermeiden und reiste, um einen schein-
baren Eifer zu zeigen, selbst nach der Südküste, um die königliche
Flotte herbeizuholen. Aber sie blieb nach wie vor hinter den lykischen
Vorgebirgen bei Aspendos liegen; es war, als wenn sie durch einen
Zauber an jene Gränze gebannt wäre, welche Kimons Siege der persi-
schen Seemacht bestimmt hatten (S. 184). Der wahre Grund lag
aber in der eigensinnigen Consequenz, mit welcher Tissaphernes seine
Politik durchführte. Denn wenn sich die 147 phönikischen Schiffe mit
den Lakedämoniern vereinigt hätten, so hätte er ihnen die unzweifel-
47*
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740
ZWEI SCHLACHTEN
hafle Uebermacht im ionischen Meere verschafft, und das wollte er
um keinen Preis. Auch Geld inter essen mögen dabei im Spiele ge-
wesen sein, indem die Phönizier sich dem Satrapen dafür dankbar
erwiesen, dass sie aus ihrem sicheren Verstecke nicht auszulaufen
brauchten. Kurz unter nichtigen Vorwänden wurde das Ausbleiben
von Neuem entschuldigt, während gleichzeitig die Subsidien nach-
lässiger als je ausgezahlt wurden.
Das Mafs der Geduld war endlich erschöpft. Man erkannte, wie
thöricht es sei, jener Flotte wegen noch länger in lonien zu bleiben.
Mindaros beschloss also die Verbindungen mit Tissaphernes, welche
seiner Stadt nichts als Schande eingebracht hatten, völlig abzubrechen
und ging statt dessen auf die Vorschläge des Pharnabazos ein (S. 685)t
um in Gemeinschaft mit ihm die hellespon tischen Städte den Athenern
zu entreifsen. So wurde nach einem unwiederbringlichen Zeitverluste
der ganze ionische Krieg aufgegeben.
Der neue Kriegsplan war seit längerer Zeit vorbereitet. Denn
schon im Anfange des Sommers war Derkyllidas mit einer kleinen
Mannschaft von Milelos aus in die Satrapie des Pharnabazos einge-
rückt und hatte zwei der wichtigsten Plätze, Abydos und Lampsakos,
den Athenern abwendig gemacht. Dann war auch schon ein Ge-
schwader von vierzig Schilfen unter Klearchos nach derselben Gegend
vorangegangen, und obwohl nur der vierte Theil desselben unter einem
megarischen Seehauptmanne glücklich an das Ziel gekommen war, so
hatte dieser dennoch den Abfall des wichtigen ßyzanz bewirkt. Nach-
dem nun bei so geringen Mitteln so bedeutende Erfolge gewonnen
waren, beschloss man unverzüglich den ganzen Krieg dorthin zu ver-
legen; denn man wusste, dass nach dem Verluste von Euboia die Zu-
fuhr vom Hellespon l den Athenern doppelt unentbehrlich sei. Die
beiden Sunde der nördlichen Meere waren die letzte Stütze der atti-
schen Seeherrschaft; sie waren schon halb in den Händen der Pe-
loponnesier.
Mindaros brach im Juli von Milet mit 73 Schiffen auf und be-
orderte zugleich alle zerstreuten Geschwader der Peloponnesier nach
dem Hellespont, wo sich nun zum entscheidenden Kampfe alle Streit-
kräfte zusammenzogen. Denn auch die Athener, welche bis dahin
nur mit kleinen Flottenabtheilungen den dortigen Unternehmungen
hatten entgegentreten können, liefen nun unter Thrasybulos und
Thrasylos mit ihrer ganzen Seemacht von Samos aus, um Mindaros
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BEI ABYDOS (JULI— OCT. 411). 741
auf dem Fufse zu folgen, und schon Ende Juli kam es bei Abydos
zu einer grofsen Floltenschlacht, in welelier die attischen Feldherrn
durch Einsicht und Tapferkeit die Uebermacht der peloponnesisch-
syrakusanischen Flotte glücklich bekämpften. Denn wenn auch die
nahen Ufer eine nachdrückliche Verfolgung der Feinde hinderten, so
war der Sieg dennoch von grofser Bedeutung; die Aengstlichkeit,
welche seit der sicilischen Niederlage das Schiffsvolk beherrscht hatte,
war glücklich überwunden; auch in Athen erweckte die unerwartete
Siegeskunde neues Leben und neue Hoffnungen; die schwüle Luft
trüber Stimmungen verzog sich, und man glaubte wieder an die Mög-
lichkeit, eine neue Gröfse der Stadt zu erleben.
Inzwischen warteten beide Flotten auf Zuzug, um mit gröfserem
Nachdruck den Kampf fortzusetzen. Agesandridas fuhr mit 50 Schiffen
von Euboia heran, aber ihn fasslen die Winterstürme, wie er den
Athos umschiffte, und zerstörten die Flotte an denselben Klippen, an
denen einst die Schiffe des Mardonios zerschellt waren. Ein anderes
Geschwader von vierzehn Schiffen unter Dorieus ward vor seiner Ver-
einigung mit der Flotte von den Athenern angegriffen. Aber es gelingt
dem umsichtigen Mindaros, rechtzeitig mit seiner Flotte von Abydos
auszulaufen und das Hülfsgeschwader aufzunehmen. Neunzig Segel
stark bietet er nun den Athenern die Schlacht an, indem er aufser
einer Ueberzahl von neunzehn Schiffen auch den Vortheil hat, dass
Truppen des Pharnabazos das Ufer decken. Den ganzen Tag hindurch
wird im Meersunde mit schwankendem Glücke gekämpft, und schon
neigt sich der Sieg auf die Seile der Peloponnesier, da kommt ein neues
Geschwader in Sicht; es ist Alkibiades mit achtzehn Schiffen. So wie
die Athener an seinem Feldherrnschiffe die Purpurflagge aufziehen
sehen, werden sie mit frischem Mulhe erfüllt; Alkibiades stürzt sich
rasch in die Mitte des Kampfes und giebt ihm sofort den Ausschlag.
Die Peloponnesier werden an das Land getrieben; aus der Seeschlacht
wird ein Uferkampf; sämtliche Schiffe wären genommen worden, wenu
nicht Pharnabazos mit seiner ganzen Mannschaft und mit Gefahr des
eigenen Lebens den Athenern Widerstand geleistet hätte. Sie mussten
sich also begnügen, mit 30 feindlichen und den zurückeroberten eigenen
Schiffen nach Sestos zurückzugehen. So war die erste Ankunft des
Alkibiades bei der Flotte unverzüglich von einem glänzenden Siege
begleitet, und wenn auch seine tapferen Milfeldherrn eigentlich das
Verdienst hatten, dem Verlaufe des Kriegs zuerst wieder eine glück-
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742 ALKIBIADES GEFANGEN (ENDE 411; W, S).
liebe Wendung gegeben zu haben, so überstrahlte sein Ruhm doch den
der Andern, und der Glaube stärkte sich, dass das Glück von seiner
Person unzertrennlich sei1*').
Frei war der Hellespont auch jetzt noch nicht. Denn Mindaros
behielt seine feste Stellung in Abydos, wie die Athener in Sestos, und
so lagen sich die Flotten wieder lauernd gegenüber, wie vordem in
Milet und Samos. Die Peloponnesier waren aber trotz ihrer Nieder-
lage in ungleich günstigeren Verhältnissen; sie hatten eine Landmacht
im Rücken und waren mit Geld reichlich versehen, während die
Athener solchen Mangel halten, dass immer nur ein Kern der Flotte
zusammen bleiben konnte; die anderen Schiffe mussten in einzelnen
Geschwadern auf Beule ausziehen. Dadurch wurde das Seevolk ver-
wildert und der Name der Athener immer verhassler; eine rasche Be-
nutzung günstiger Zeitpunkte, eine Kriegführung nach gemeinsamem
Plane war unmöglich, da die Streitkräfte immer gelheilt und die Feld-
herrn weit umher im ägäischen Meere zerstreut waren.
AJkibkules selbst erlebte auch jetzt noch die abenteuerlichsten
Schicksale. Er ging mit allem Pompe seiner jetzigen Würde zum Tissa-
phernes hinüber, welcher sich um die Zeit der Schlacht von Abydos
am Hellespont eingefunden hatte; denn es war ihm im höchsten Grade
verdriefslich, dass zwischen Pharnabazos und den Peloponnesiern eine
so wirksame Verbindung zu Stande gekommen war, und er wollte Ge-
legenheit suchen, von Neuem mit Sparta anzuknüpfen. Sparta und dem
Grofskönige gegenüber glaubte er nun nichts thun zu können, was ihm
mehr zur Empfehlung gereiche, als wenn er sich des gefährlichsten
Atheners bemächtigte. Alkibiades wurde in der That von seinem alten
Gastfreunde festgenommen und als Gefangener nach Sardes gebracht
Aber es gelingt ihm, nach dreifsig Tagen die Freiheit wieder zu ge-
winnen ; er entkommt nach Klazomenai, lässt hier in Eile sechs Schiffe
ausrüsten und fahrt nach Lesbos. Die Zeit drängt; denn schon hat
Mindaros, da er nur den kleineren Theil der Flotte sich gegenüber
sah, wieder eine angreifende Haltung angenommen ; die Athener müssen
Sestos aufgeben, sie ziehen bei Nacht, vom Feinde unbemerkt, aus dem
Hellespont ab und ankern auf der Westseite der thrakischen Halbinsel
bei Kardia. Alle Früchte des letzten Siegs sind verloren, wenn nicht
ein neuer Sieg die Macht des Feindes zerstört; darum werden die zer-
streuten Geschwader schleunig herbeigerufen.
Alkibiades ist rasch zur Stelle und beschliefst sofort, Mindaros
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SCHLACHT Ithl KYZIKOS (92, 2; 410 FEBR.).
743
zu folgen. Dieser hatte sich nämlich, als der Hellespont frei war, nach
der Propontis hegeben, um in Gemeinschaft mit Pharnahazos Kyzikos
zu nehmen (I, 404) und die Herrschaft der Verbündeten in den poe-
tischen Gewässern zu befestigen. Thrasybulos undTheramenes, welcher
neuen Zuzug aus Athen gebracht hatte, treffen von ihren Beutezügen
rechtzeitig ein. In verschiedenen Abiheilungen fahren sie, zum Kampfe
gerüstet, rasch den Hellespont hinauf, gehen, um die Stärke der
Flotte geheim zu halten, bei Nacht an Abydos vorüber und legen in
der Frühe, sechs und achtzig Segel stark, bei der Marmorinsel Prokon-
nesos an, Kyzikos gegenüber. Hier erfahren sie, dass Mindaros und
Pharnahazos mit Heer und Flotte bei Kyzikos stehen. Der entscheidende
Kampf wird beschlossen. 4Wir haben keine Wahl', sagt Alkibiades den
versammelten Truppen. 'Unser Geld ist zu Eude; drüben ist das Geld
des Grofskönigs in den Händen unserer Feinde.'
Den nächsten Tag wurde in aller Stille gerüstet, und kein Schill
durchgelassen, welches Nachricht ans Festland bringen könnte. Am
dritten Tage wird der Angriff begonnen, wie ihn Alkibiades angeordnet
hatte. Eine Abtheiluug von Landungstruppen wird unter Chares
gegen Kyzikos bestimmt, die Flotte in drei Geschwader getheilt; Thera-
menes und Thrasybulos erhallen Befehl, durch Seilenangrifl rechtzeitig
einzugreifen. Alkibiades selbst geht am frühen Morgen bei dichlem
Winterregen (es war Februar) mit vierzig SchilTen voran gegen den
Hafen von Kyzikos. Wie die Wolken sich theilen, sehen sie die
Peloponnesier vor dem Hafen in voller Schiffszahl, mit Lebungen be-
schäftigt. Sie machen, als wenn sie von der Ueberzahl erschreckt
wären, einen verstellten Rückzug und lockeu den Feind, welcher nur
die Flotte von Sestos vor sich zu haben glaubt, in die offene See
heraus. Dann wenden sie plötzlich; Alkibiades zieht die Kriegsflagge
auf, und Mindaros sieht sich gleichzeitig von vorne angegriffen und
durch die anderen Geschwader im Kücken bedroht. Er erkennt die
Kriegslist und flieht rasch nach dem Lande zu den Truppen des
Pharnahazos. Alkibiades eilt ihm nach, nimmt einen Theil der Schiffe
und sucht auch die, welche an der Küste vor Anker gegangen waren,
zu erbeuten. Es entspinnt sich um die Schiffe ein blutiger Landkampf,
der immer gröfsere Ausdehnung gewinnt; von der einen Seite
kommen die persischen Truppen, von der andern Thrasybulos und
Theramenes. Mindaros stellt ihnen Klearchos gegenüber und hält
selbst den Kampf gegen Alkibiades; ja, als die Truppen des Klearchos
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744
nach\mhki:n<;en i»kk schlacht.
in Verwirrung geralhen sind, kämpft er gegen die vereinigten Athener.
Endlich fällt er im Handgemenge. Die Athener verfolgen das flüchtige
Heer landeinwärts und kehren, ehe die Reiterei der Perser heran-
kommt, auf die Flotte zurück. Am nächsten Tage besetzen sie Kyzikos,
wo sie unermessliche Beute linden. Viele Gefangene, 38 Kriegsschifle
waren in ihre Hände gefallen ; die der Syrakusaner waren von ihnen
selbst verbrannt worden.
Ein solcher Sieg war seit den Tagen Kimons nicht erlebt worden;
es war die glänzendste WafTenlhat im ganzen peloponnesischen Kriege,
und zwar war der Erfolg kein solcher, der, wie einst in Pylos, dem
Zufalle oder dem Ungeschick der Feinde verdankt wurde, sondern er
war dem tüchtigsten Gegner, Angesichts seiner mächtigen Bundes-
genossen, durch den geschickten Kriegsplan des Oberfeldherrn, durch
das rechtzeitige Eingreifen seiner Amtsgenossen, durch die wetteifernde
Tapferkeit der Truppen im Land- und Seekampfe abgewonnen worden.
Darum ist es kein Wunder, wenn auf die Kunde von dieser Schlacht
den Spartanern der Kriegsmuth entsank, die AÜiener aber die über-
schwänglichsten Hoffnungen fassten.
Auch auf die inneren Angelegenheiten Athens scheint der Sieg
von Kyzikos eine wichtige Einwirkung geäufsert und die vollständige
Rückkehr zur alten Verfassung veranlasst zu haben.
Die Beschränkung des allgemeinen Stimmrechts war ja nur als
finanzielle Mafsregel in Verbindung mit der Aufhebung der öffentlichen
Besoldungen durchgesetzt worden; es war eine durch den Nothstand,
wie man glaubte, geforderte Mafsregel; sie hing mit einer klein-
in öl!) igen Stimmung zusammen, in welcher man bereit war, auf die
alte Seeherrschaft Verzicht zu leisten. Nun war wieder Geld und
Siegesmuth vorhanden; Athen schien neu erstanden und verlangte
auch seine alte Verfassung wieder. Der Ausschluss der Unbemittelten
von dem vollen Bürgerrechte erschien als ein schreiendes Unrecht, da
die Matrosen so eben tapferer als je für ihre Vaterstadt gekämpft hatten.
Es halte die Schlacht bei Kyzikos also eine ähnliche Wirkung, wie
einst die platäische Schlacht; die unterste Vermögensklasse wurde zum
zweiten Male in alle Rechte eingesetzt, und trotz der Verwünschungen,
mit welchen man jeder Aenderung der gemäfsigten Verfassung vorzu-
beugen gesucht hatte (S. 733), wurden die Spenden und Besoldungen
auf einmal oder nach und nach wiederum eingeführt. Jeder Geld-
gewinn war den geringen Leuten doppelt erwünscht, da die Einkünfte
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■
FR I K D K > S VEH H A N L> F,U> G EN (», *} 410).
745
des Ackerbaus fortwährend stockten und viele Landleu le so wie aus-
wärtige Colonisten brodlos in der Stadt sieb um her trieben.
Mit diesen Reformen hängt auch das Gesetz des Demophanlos
(S. 73S) zusammen, welches den neu erwachten Eifer für die Salzun-
gen der Demokratie bezeugt; es war die Zeit der Gährung, in welche
die Verhandlungen über die Tyrannenmörder fallen, dieselbe Zeit, in
welcher die Demagogen wieder auftreten, nachdem seit Androkles'
Tode ihre Stimmen verstummt waren. Unter ihnen macht sich vor
allen Andern Kleophon geltend, ein Fabrikant von Saiteninstrumenten.
Seiner thrakischen Mutter wegen wurde er der Erschleichung des
Bürgerrechts angeklagt; doch wussle er sich zu behaupten und wohnte
zu Athen im Hause des Andokides, das er nach Lcogoras' Tode er-
worben hatte. Er wurde aber immer als ein Halbbarbar angesehen und
seiner unattischen Rede wegen auf der komischen Bühne als die
„thrakische Schwalbe" verhöhnt. Trotzdem hat er durch seine un-
gestüme Beredsamkeit Jahre lang den gröfsten Einfluss in der Bürger-
schaft ausgeübt, wie ihn seit Kleon kein Demagog besessen hatte. Nach
Kleons Weise eiferte er auf der Rednerbühne für die Rechte und
Freiheiten des Volks und wusste die Ereignisse der letzten Jahre treff-
lich auszubeuten, um gegen die Umtriebe der vornehmen Bürger,
gegen die besonnenen Rathschlüge der Gemässigten und namentlich
gegen jede Verständigung mit Sparta zu reden.
So fand Endios die Stadt, als er von Sparta gesandt wurde, den
Athenern Vorschläge zu machen. Es war vergeblich, dass man in
Endios eine zur Vermitlelung woblgeeignete Persönlichkeil und einen
Gastfreund des Alkibiades ausgewählt hatte; vergeblich, dass Endios
in wohlmeinender Absicht den Athenern klar zu machen suchte, der
Friede sei noch viel mehr in ihrem Interesse als in dem der Spartaner,
welche den Satrapen zum Schatzmeister hätten und auch nach Unter-
gang ihrer Flotte die Dinge ruhig abwarten könnten. Er konnte nichts
ausrichten. Kleophons gellende Stimme drohte Jedem Tod und Ver-
derben, welcher das Wort Frieden ausspräche, und die Bürgerschaft
liefs sich von ihm beherrschen. Auch konnte in der Thal den
Athenern mit dem gegenwärtigen Besitzstande, welchen Sparta zur
Grundlage der Verständigung machen wollte, wenig gedient sein; denn
der Abzug des Agis konnte sie für den Verlust von Euboia nicht ent-
schädigen. Sie fühlten sich am Anfange einer neuen Zeit, die Person
des Alkibiades galt ihnen für eine Bürgschaft des Siegs: auch die
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SUNDZOLL BEI CHRYSOPOLIS (M, «; 410 FRÜHJAHR).
städtischen Truppen hatten vor den Mauern der Stadt wacker gegen Agis
gestritten, und nun sollten sie auf die glänzende Zukunft verzichten, in
dem Moment, wo sie die Seeherrschaft wieder angetreten hatten?
Nachdem die Oligarchien unter entehrenden Bedingungen in Dekeleia
und Sparta Frieden erfleht hatten, glaubte man im Hochgefühl der
erneuerten Demokratie , den angebotenen Frieden zurückweisen zu
können. Auch Persien und seine Schätze, um welche die Oligarchen
gebettelt hatten, glaubte man entbehren zu können; man fühlte wieder
die eigene Bürgerkraft genügen187).
Der Krieg blieb vorzugsweise auf die nördlichen Gegenden ge-
richtet. Es war ein Krieg um die beiden Handelsstraßen des
schwarzen Meers, ein Krieg um Geld und Zufuhr, der jetzt zwischen
einer Land- und einer Seemacht geführt wurde. Das SchifTslager der
Athener war nach dem Siege von Kyzikos in dem befestigten Lampsa-
kos; Pharnabazos lagerte mit seinen Truppen am Bosporos und
schützte die beiden Festungen des Sundes, ßyzantion und Chalkedon,
welche links und rechts an der Einfahrt lagen. Trotzdem benutzte
Alkibiades seine Seemacht sofort in sehr erfinderischer Weise, indem
er nördlich von Chalkedon im Gebiete dieser Stadt bei Chrysopolis
einen festen Platz gründete, der ungemein wohl gelegen war, weil hier
der engere Theil des Sundes beginnt und der Strömung wegen auch
die Fahrzeuge von Chalkedon nicht nach Byzanz hinüber gelangen
konnten, ohne in Chrysopolis anzufahren. Hier baute er einen Thurm,
den er als Zollhaus einrichtete, und legte hieher ein Geschwader von
dreifsig Trieren, welche von allen aus- und einfahrenden Schiffen
einen Zehnten vom Werthe der Ladung erhoben. Es war, wie die
Einführung des Zwanzigstels (S. 688), ein neuer Versuch, den Aus-
fall der Tribute durch indirekte Besteuerung zu decken. Freilich
musslen dadurch in Athen die Kornpreise in die Höhe geben, aber es
traf diese Mafsregel auch die anderen Seestädte, namentlich die
ionischen, welche Sklaven, Korn, Fische, Felle u. s. w. aus dem Pontus
bezogen, und brachte jedenfalls einen sehr ansehnlichen Ertrag an
baarem Gelde ein.
Gleichzeitig hatte man den Muth, einen zweiten Kriegsschauplatz
zu eröffnen. Thrasylos war nämlich schon im Anfang des Winters
nach Athen geschickt, um den Sieg von Abydos zu melden und die
Bürgerschaft zu neuen Truppensendungen zu veranlassen. Er fand
dieselbe günstig gestimmt, und diese Stimmung wurde noch gehoben,
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NIEDERLAGE DES THRASYLOS (M. 3j 410 SOMMER)- 747
als es ihm in den Wintermonaten gelang, den Angriff des Königs Agis
glücklich zurückzuweisen und dadurch die Furcht vor dem feindlichen
Landheere wesentlich zu vermindern. Es wurden also, um die aus-
wärtigen Feinde auch zu Lande bekämpfen zu können, 1000 Schwer-
bewaffnete und 100 Reiter ausgehoben, 50 Trieren ausgerüstet und
im Frühjahre dem Thrasylos übergeben. Es scheint, dass dieser, durch
seine letzten Erfolge und das Vertrauen seiner Mitbürger ermuthigt,
sich nicht damit begnügen wollte, Alkibiades neue Hülfskräfte zu-
zuführen, sondern etwas Selbständiges zu unternehmen dachte. Nach-
dem er also mit seiner Flotte nach Samos gegangen war, wo damals
ein bedeutender Theil der attischen Kriegskasse sich befand, ergriff er
die Gelegenheit, einen Angriff auf lonien zu machen, wo Tissa-
phernes zur Strafe für seine doppelzüngige Politik von seinen alten
Bundesgenossen verlassen war. Das Glück schien ihm günstig. Kolo-
phon und Notion (S. 448) wurden rasch genommen und Thrasylos
glaubte keine glänzendere Waffenthat vollbringen zu können, als wenn
er auch Ephesos, das ein Hauptpunkt der Persermacht geworden war,
in die Gewalt der Athener zurückbrächte. Aber dies misslang. Tissa-
phernes liefs durch seine Reiter die Landbevölkerung aufbieten und
fanalisirte sie zur Verlheidigung der grofsen Göttin von Ephesos; sici-
lische Mannschaften, so wie die aus Antandros, unterstützten ihn, und
die Athener erlitten Mitte des Sommers eine Niederlage, welche alle
ehrgeizigen Pläne vereitelte. Der ganze Feldzug war verunglückt, und
es wurde kein anderer Vortheil gewonnen, als dass es Thrasylos ge-
lang, die nach Abydos bestimmten Syrakusaner auf der Fahrt zu über-
fallen. Vier ihrer Schiffe kommen in seine Hände; die Gefangenen
werden nach Athen geschickt und zur Vergeltung dessen, was den
Athenern in Syrakus widerfahren war, in die Steinbrüche beim Pei-
raieus eingesperrt 188).
Thrasylos' Missgeschick diente nur dazu, den Ruhm des Alki-
biades zu heben, welcher auch jetzt, da keine Gelegenheit zu neuen
Flottensiegen vorhanden war, den hellespontischen Krieg so zu
führen wussle, dass Ruhm und Beute gewonnen wurden. Er ging
darauf aus, den Pharnabazos, der mit unglaublicher Zähigkeit seine
Kriegführung fortsetzte und immer von Neuem Fufsvolk und Reiter
vorschob, um von der Landseite das Gestade zu beherrschen, all-
mählich mürbe zu machen. Zu diesem Zwecke unternahm Alkibiades
die kühnsten Züge in das Gebiet der Satrapen, plünderte Städte
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74S
HER KAMPF UM CHALKEDO.N (409).
und Dürfer, schleppte Scbaaren von Gefangenen fort und erpresste
reichliche Losegelder. Ja, die Athener wurden unter ihm so sie-
gesgewiss und stolz, dass sie, als die Truppen des Thrasylos zu
ihnen sliefsen, wegen der Schlappe von Ephesos jede Gemeinschaft
mit ihnen verweigerten, ßeide Mannschaften kämpften eine Zeitlang
getrennt und vereinigten sich erst, nachdem die Neuangekomme-
nen, von Eifer entbrannt, sich des Alkibiades würdig zu zeigen, vor
den Augen desselben bei Abydos glänzende WafTenproben abgelegt
halten.
So bereiteten sich die Athener im kleinen Kriege zu Gröfserem
vor; denn es schien nolhwendig. die beiden Bosporosstädte zu zwingen,
wenn man auch noch immer nicht Herr von Abydos geworden war.
Man hatte jetzt Geld und Mulh genug, um solche Unternehmungen
zu beginnen; es war Gefahr im Verzuge. Denn auf Veranstaltung des
Königs Agis in Dekeleia, den es im höchsten Grade verdross den Erfolg
seiner Kriegführung durch die reichlichen Zufuhren aus dem Ponlus
gänzlich vereitelt zu sehen, war mit Unterstützung von Megara, der
M Utters ladt von Byzanz und Chalkedon, ein kleines Geschwader ausge-
rüstet worden, uud auf demselben war es Klearchos (S. 743) gelungen,
durch den Hellespont nach Byzanz zu kommen, wo er, wie einst Bra-
sidas in Thrakien und wie Gylippos in Syrakus, den Widerstand gegen
Athen mit kräftiger Hand leiten sollte.
Chalkedon war das nächste Ziel; es lag daselbst spartanische
Mannschaft unter Hippokrates, dem Unterbefehlshaber des Mindaros;
die Stadt stand mit den umwohnenden Thrakern im besten Einver-
nehmen und hatte an Pharnabazos einen mächtigen Rückhalt Alkibi-
ades begann das Unternehmen damit, dass er die thrakischeu Stämme,
denen die Chalkedonier in Erwartung einer Belagerung ihre Schätze
übergeben hallen, durch Streifzüge so zu erschrecken und durch ge-
schickte Unterhandlungen so zu bearbeiten wusste, dass sie sich zur
Auslieferung des Anvertrauten verstanden; die Belagerung der Stadt
konnte nun mit ihrem eigenen Gelde kräftig in's Werk gesetzt werden.
Die Halbinsel, auf der sie lag, wurde durch ein Pfahl werk, das sich von
Meer zu Meer erstreckte, gegen die Landseite abgesperrt, der Punkt,
wo das Flüsschen Chalkedon hindurchströmte, sorgfällig befestigt, und
ein gleichzeitiger Angriff, der von aufsen wie von innen auf die attischen
Werke gemacht wurde, siegreich zurückgeschlagen, indem Thrasylos
gegen die Belagerten, Alkibiades gegen die Ueeresmacht des Pharnabazos
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ALKIIU AHRS IN SELYMBR1A (92, 3; 409 SOMMER).
749
Front machte; Hippokrates selbst fiel im Kampfe und damit war das
Schicksal der Stadt entschieden.
Der wichtigste Erfolg dieser WafTenthat war die Umstimmung des
Pharnabazos, auf welche Alkibiades so lange hingearbeitet hatte. Der
Satrap hatte auf einmal alles Vertrauen zu seiner bisherigen Politik ver-
loren; er bot also einen Waffenstillstand an, welcher unter seiner per-
sönlichen Mitwirkung zum Abschluss eines Vertrags zwischen Athen
und Persien benutzt werden sollte. Er selbst war bereit, für die Chal-
kedonier zwanzig Talente zu zahlen, damit ihre Stadt nicht von den
Athenern besetzt werde; sie sollte aber wie früher tributpflichtig sein
und alle Rückstände der Tribute nachzahlen. Man sieht, dass er Chal-
kedon um keinen Preis in die unbedingte Gewalt der Athener kommen
lassen wollte.
Die Verhandlungen waren begonnen, als Alkibiades, den die Be-
lagerung langweilte, auf neuen Unternehmungen abwesend war. Er
war von Chalkedon aufgebrochen, um am Hellespont so wie im Cher-
sonnes Tribut einzutreiben und Truppen auszuheben. Mit Söldnern,
die er in Thrakien geworben, rückte er vor Selymbria, westlich von
Byzanz, das noch im Aufstande war. Er stand mit einer Partei der
Bürger in Einverständniss und erwartete das verabredete Feuerzeichen.
Das Zeichen erfolgt so früh, dass er seine Mannschaft noch nicht zur
Stelle hat; dennoch dringt er aber bei Nacht mit 30 Mann durch die
geöffneten Thore ein. Innerhalb der Stadt merkt er, dass die Bürger
bewaffnet im Anmarsch sind. Fliehen will er nicht, Widerstand leisten
kann er nicht; nur eine List kann ihn retten. Er lässt also durch ein
Trompetensignal Ruhe gebieten und laut verkünden, dass keinem
Bürger ein Leid geschehen solle. Die Selymbrianer glauben nicht an-
ders, als dass ein ganzes Heer in ihren Mauern stehe und fangen Unter-
handlungen an, während deren die Truppen allmählich eintreffen. Den
Bürgern wird ein sehr günstiger Vertrag gewährt, wie die zum Theil
noch erhaltene Vertragsurkunde bezeugt. Sie verpflichten sich zu Geld-
zahlung und Zuzug; aber ihre Verfassung wird ihnen garantirt, und es
wird selbst auf Entschädigung für die während der Feindseligkeiten
eingetretenen Eigenlhumsverletzungen von Athenern oder ihren Bundes-
genossen Verzicht geleistet. Geiseln werden nach Athen geschickt, aber
auf Alkibiades' Antrag bald wieder in ihre Heimath entlassen.
Nach diesem glücklichen Handstreiche kehrte der Feldherr zum
Heer zurück und trug kein Bedenken, die Verträge mit Pharnabazos zu
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750
FALL VON BYZANZ (M, 4; 409 SPÄTHERBST .
bestätigen. Die Aussicht, sein altes Versprechen persischer Subsidien
doch noch wahr machen zu können, war für ihn zu verlockend; ein
Rückhalt an Persien war ihm für die volle Demüthigung Sparlas und
für seine eignen Pläne immer der höchste Wunsch gewesen. Er fühlte
sich wieder in der Thätigkeit, die seiner Eitelkeit am meisten schmei-
chelte, in der Doppelthätigkeit als Feldherr und Unterhändler189).
Um Pharnabazos zu schonen, wurden nun die Angriffe auf Abydos
aufgegeben, dagegen mit aller Energie die letzte und schwerste Arbeit,
die an der Propontis noch übrig war, begonnen, die Eroberung des
wichtigsten Bollwerks am Bosporos, Byzanz.
Keine Stadt war für den laglichen Bedarf der Athener wichtiger,
keine schwieriger zu gewinnen. Denn die Steinwälle der Stadt hatten
eine beispiellose Festigkeit; mit Gewalt war nichts auszurichten, und
innerhalb des Mauerrings waltete ein Kriegsmann von eisernem Willen,
der Zeit gehabt halte sich auf die nahende Gefahr vorzubereiten und
eine wohlgeschulte Mannschaft von Peloponnesiern , Megareern und
Böotiern bei sich hatte. Den ganzen Sommer lag die volle Macht der
Athener vor der Stadt; die Flotte, welche keinen Widerstand fand, be-
drängte die Hafenseite; die Landseile war abgemauert, und so erreichte
man endlich, dass Hungersnoth in der Stadt eintrat. Klearchos liefs
die Menschen, die keine Waffen trugen, hinsterben und hielt unerbitt-
lich allen Mundvorralh für seine Krieger zurück. Endlich mussle er
doch auswärtige Hülfe suchen; er schlich sich hinaus, um Geld zu er-
langen und SchifTe aufzubringen. Diese Zeil wusste Alkibiades zu be-
nutzen; nachdem er mit den Feinden des harten Stadlvogls heimliche
Verbindungen angeknüpft hatte, liefs er das Gerücht aussprengen, dass
die Verhältnisse in Ionien seine Anwesenheit verlangten, und zog eines
Morgens mit der ganzen Flotte ab. An demselben Abend kehrle er
aber mit allen Truppen in die alten Stellungen zurück und begann un-
vermulhet im Hafen einen gewaltigen Kriegslärm, so dass die ganze
Besatzung eilends hierher stürzte und die Landseile unbedeckt liefs.
Nun drang Alkibiades mit Hülfe seiner Parteigänger um Mitternacht
auf dieser Seite ein und besetzte das sogenannte thrakische Stadtquar-
tier. Die Besatzung eilt vom Hafen zurück. Auf dem Markte treffen
sich beide Heere. Es beginnt eine förmliche Schlacht auf dem weiten
Platze ; Alkibiades gewinnt endlich auf dem rechten, Theramenes auf
dem linken Flügel die Oberhand ; die zu den Allaren fliehenden Pelo-
ponnesier werden zu Gefangenen gemacht und die Byzantier, welche
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ALKIBIADES* HEIMKEHR (M. 4; 408 JOSI).
751
dem Versprechen gemäfs mit weiser Mäfsigung behandelt werden, sind
wieder attische Bundesgenossen.
Das war der Schlussstein des grofsen Werks in den pon tischen
Gewässern, die vollständige Vereitelung der Unternehmungen, welche
Mindaros und Pharnabazos daselbst begonnen hatten, die Sicherung
der wichtigsten Hülfsquellen Athens, ein Erfolg, den der gleichzeitige
Verlust von Pylos und Nisaia nicht wesentlich hatte schmälern können.
Nun war zunächst nichts zu machen ; denn während der Verhandlungen
in Persien, deren Ergebnissen man mit gröfster Spannung entgegen
sah, durften die Statthalter des Grofskönigs in keiner Weise gereizt
werden. So gerne Alkibiades also auch den fertigen Subsidienvertrag
mitgebracht hätte, so konnte er den Wunsch, Athen wieder zu sehen,
doch nicht länger zurückdrängen; das Verhältniss zu seiner Vaterstadt
mussle endlich durch persönliche Anwesenheit zu voller Klarheit ge-
bracht werden. Zum Schutze des Hellesponts blieb eine genügende
Macht zurück; die andern Geschwader werden in Samos versammelt,
und während Thrasybulos mit 50 Schiffen die Unterwerfung der thra-
kischen Städte fortsetzt, geht Thrasylos mit den übrigen nach dem
Peiraieus voran, um die Ankunft des Siegers vorzubereiten. Alle
Schiffe sind festlich geschmückt; sie sind beladen mit Beute und Ge-
fangenen, aufgeziert mit den Ueberresten der feindlichen Trieren, die
am Hellespont zerstört waren, begleitet von etwa 114 erbeuteten
Schiffen, die in langer Reihe dem Triumphzug folgen. Alkibiades
selbst macht einen kecken Streifzug vor die Häfen der Lakedä monier,
um aller Welt zu zeigen, wem jetzt das Meer gehöre, und, nachdem er
noch die Nachricht von seiner Wiederwahl zum Feldherrn erhalten hat,
fährt er endlich mit seinen 20 Trieren, auf denen er 100 Talente aus
seinen letzten Beutezügen heimbringt, am 25sten Thargelion (Anfang
Juni) in den Peiraieus ein189*).
Das war ein Tag, wie ihn Athen noch nie gesehen hatte. Die
ganze Stadt steht am Ufer, Kopf an Kopf bis zu den Höhen der
Munichia hinauf; ein Jubelruf begrüfst den nahenden Helden. Die
Aengstlichkeit, die Alkibiades anfangs noch zeigt, sich den Seinen an-
zuvertrauen, erweist sich grundlos. Die Vergangenheit ist gesühnt,
die Nolh der Gegenwart vergessen, der Parteigeist verschwunden in
der allgemeinen Freude über das Heil und Glück, welches die Götter
der Stadl in dem einzigen Manne geschenkt haben. Alle verständigen
Patrioten so wie der grofse Haufe sehen in ihm den Retter des Staats,
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752
ALKIBIADES III ATHEN (9S, 1; 408).
der, mit wunderbaren Gaben ausgestattet, allein im Stande ist, gegen
die Parteien im Innern wie gegen die äufsern Feinde die Macht und
die Ehre Athens aufrecht zu halten. Wie er nach siebenjähriger Ent-
fernung den Boden der Heimath wieder betritt, drängt sich Alt und
Jung heran, um ihn von Angesicht zu sehen, seinen Gruft zu empfan-
gen, sein Gewand zu berühren und Blumenkränze ihm zuzuwerfen.
Im Triumphzuge wird er zur Stadt geleitet; unwillkürlich drängt die
Menge zur Pnyx hin, um von der Rednerbühne die geliebte Stimme
wieder zu vernehmen. Alkibiades geht schonend über das Vergangene
hinweg. Nicht sie, sagte er den Athenern, trügen die Schuld der
argen Missversländnisse und Irrungen, sondern ein missgünstiges Ver-
hängniss, ein neidisches Geschick, welches über der Stadt gewaltet
habe. Nun seien die Wolken zerstreut und eine neue Zeit des Heils
angebrochen. Er stellt den Bürgern die Aussichten und Aufgaben des
Staats vor Augen, und die Bürgerschaft bezeugt ihm ihr unbedingtes
Vertrauen, indem sie nicht nur alles wider ihn Geschehene aufhebt,
die Denksteine seiner Verurteilung vernichtet, das Genommene voll-
ständig zurückerstattet und goldene Ehrenkronen ihm zuerkennt, son-
dern ihn auch zum unbeschränkten Feldherrn zu Wasser und zu
Lande ernennt und alle Hülfskräfle des Staats unbedingt zu seiner
Verfügung stellt. Das ganze Volk legt das Schicksal der Stadt ein-
stimmig in seine Hände; er hatte eine Macht, wie sie selbst Perikles
in diesem Umfange kaum besessen hatte.
Alkibiades benutzte die Sommermonate zu eifrigen Rüstungen
und gewöhnte die Bürger in milder Weise an eine einheitliche Lei-
tung der öffentlichen Angelegenheiten, und wenn er es auch bei der
Gefährlichkeit seiner neuen Stellung nicht wagen durfte, Dekeleia an-
zugreifen, so gab er doch den Athenern das langentbehrte Gefühl der
Sicherheit im eigenen Lande zurück. Die Todtenfeier zum Ge-
dächlniss der am Hellespont gefallenen Bürger konnte wieder würdig
im Kerameikos gehalten werden, und nachdem Jahre lang die Pro-
zession nach Eleusis auf dem Landwege hatte ausgesetzt werden
müssen, so konnte sie diesmal am 20 slen ßoedromion (Ende
September) unter dem Schutze der Truppen auf der heiligen Strafse
in voller Ordnung wieder ausgeführt werden. Das war für die
Athener ein so erhebendes Ereigniss, wie der glänzendste Sieg, und
Alkibiades konnte durch diese gottesdienslliche That wieder gut
machen, was er in jugendlichem Uebermuthe einst verbrochen halte.
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ALKIBIADES IN ATHEN (W, 1; 408).
753
Die Mysteriengotlheiten, Demeler und Persephone, welche die Athener
mit besonderer [Ehrfurcht [ihre 'beiden Göttinnen' nannten, waren
versöhnt.
So stand Alkibiades als Oberfeldherr an der Spitze des Staats,
den er aus der hülflosesten Lage gerettet, den er an den Persern,
Spartanern, Böotiern und Syrakusanern wie an den abgefallenen Bund-
nern gerächt und wieder zum unbeschränkten Herrn des Meers ge-
macht hatte. Es waren wieder Ueberschüsse an Geldmitteln da ; der
Gott des Reichthums war in Folge der hellespon tischen Siege wieder
in die Schatzkammer des Parthenon eingezogen, wie es Aristophanes
in seinem 'Plulos' darstellte190).
Es fehlte dem Glücke der Stadt nichts als eine Bürgschaft
seiner Dauer. Die schwierigsten Aufgaben in Euboia und Ionien
waren unerledigt; die Gelder wurden wieder in demokratischer Weise
verschleudert, neue Verlegenheiten waren unvermeidlich, und Alki-
biades stand nicht fest genug, um den Neigungen der Menge Trotz
bieten zu können; also neue Geldquellen waren ihm unentbehrlich.
Aber auch diese standen ja in Aussicht. Jeden Tag erwartete er Nach-
richt von seinem Freunde Mantitheos, der mit Pharnabazos nach
Susa gereist war. Wenn er an den Schätzen des Grofskönigs einen
Rückhalt halte, dann hoffte er erst in vollem Mafse der Unentbehr-
liche zu werden, dann hoffte er für sich selbst endlich die Stellung zu
gewinnen, welche von jeher das Ziel seines Ehrgeizes gewesen war.
Nur war jetzt sein Streben ruhiger. Er hatte eine wüste Jugend hinter
sich und war in seinen vierziger. Jahren ma fsvoller, vorsichtiger und
bedächtiger geworden. Das Bild des Perikles stand ihm vor der
Seele; ein persönliches Regiment war nothwendiger als je, wenn der
Staat als Grofsmacht erhalten werden sollte. Denn die Bürgerschaft
hatte seit dem Hermen prozesse ihre feste Haltung völlig verloren ; Ge-
setz und Verfassung waren machtlos, die Stadt ein Kampfplatz der
Parteien, deren verderbliche Kräfte nur durch einen über ihnen stehen-
den königlichen Mann gebunden werden konnten. Alkibiades durfte
sich sagen, dass seine eigene Gröfse und die Rettung des Staats unzer-
trennlich vereinigt wären.
Alkibiades hatte zur rechten Zeit die Vaterstadt besucht, um
seinen Triumph zu feiern und die Dankbarkeit seiner Mitbürger unge-
stört zu geniefsen. Neue Stürme meldeten sich an, um sein Glück
Curtiu», Gr. Ge«h. II. 6. Aufl. 48
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754
PERSIEK UND GRIECHENLAND.
auf die härteste Probe zu stellen; denn ehe er noch Athen wiedersah,
waren schon von verschiedenen Seiten zwei Männer gleichzeitig auf
den Schauplatz getreten, zwei Feinde, wie Athen sie noch nie gehabt
hatte, und mit ihrem Auftreten begann nun die letzte, entscheidende
Wendung des Kriegs, welcher 23 Jahre lang unter den wechselvollsten
Umständen Griechenland verwüstet hatte.
Seit Beginn des dekeleischen Kriegs halte mau sich gewöhnt, den
endlichen Ausgang des hellenischen Staatenkriegs von Persien zu er-
warten. Nachdem dies Reich für die Geschichte der Miltelmeer-
staaten völlig bedeutungslos geworden war, ein Binnenland, seiner
besten Küsten beraubt, ein Staat, dessen Flotten sich in den fernsten
Häfen verstecken musslen, war es auf einmal wieder als eine Macht
hervorgetreten, von welcher die Schicksale von Hellas abhängig ge-
macht wurden. Und zwar halte sich der Staat nicht etwa durch,
innerliche Kräftigung aus seiner Ohnmacht erhoben; vielmehr war er
nach dem Aussterben des echten Achämenidenstammes (S. 684)
immer mehr verfallen; unter Dareios dem Bastard lösten sich die
ferneren Satrapien ab, und in dem von Weibern und Eunuchen
beherrschten Palaste war keine Heldenkraft vorhanden, um dem un-
beholfenen Reichskörper neuen Zusammenhang zu geben. Nicht die
Perser sondern die Griechen sind es gewesen, welche den verfallenen
Staat wieder zu einer Grofsmacht erhoben; sie haben ihn wieder
in die Angelegenheiten der Hellenen hereingezogen, aus deren Ge-
biete die Seehelden von Athen ihn für immer verbannt zu habeu
glaubten.
Die Schatzkammer des Grofskönigs sollte die Kriegskasse sein,
aus welcher ein Griechenstaat den anderen vernichten wollte; um
persisches Geld zu gewinnen, gaben die Spartaner ihren dorischen
Stolz, die Athener ihre Freiheiten preis; seitdem die Scham einmal
überwunden war, folgten sich die Gesandtschaften immer häufiger auf
der Strafse von Sardes nach Susa, und schliefslich gab es keinen
Punkt, in welchem alle Staaten und Parteien, Peloponnesier und Syra-
kusaner, Athener und Argiver, Oligarcben und Demokraten, so sehr
übereinstimmten, wie darin, dass die Erfüllung ihrer Wünsche von
Persien kommen müsse. So war denn auch Alkibiades, nachdem er
mit dem gröfsten Glücke Pharnabazos am Hellespont bekämpft hatte,
doch wieder dahin gekommen, dass er für das letzte Gelingen aller
Lebenspläne seine Hoffnungen auf die Gesandtschaft setzte, welche seit
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OESANDTSCHAFT NACH SÜ8A (M, 4; 408 APRIL).
755
dem Herbste 409 (Ol. 92, 4) nach Susa unterwegs war. Es waren
fünf Athener und zwei Argiver, welche mit Pharnabazos die Reise an-
traten. Aber auch Lakedämonier schlössen sich an und Hermokrates
nebst seinem Bruder Proxenos.
Hermokrates war inzwischen auf Anlass eines demokratischen Um -
Schwungs in Syrakus samt seinen Amtsgenossen entsetzt und verbannt
worden. Die Nachricht war gleich nach der Schlacht von Kyzikos an-
gelangt und hatte unter den Truppen die heftigste Bewegung hervor-
gerufen. Sie waren mit ihrem Feldherrn durch gegenseitiges Vertrauen
so eng verbunden, dass sie sich bereit erklärten, ihn mit bewaffneter
Hand nach Syrakus zurückzuführen. Hermokrates verhinderte den
offenen Abfall und bewirkte, dass die neu ernannten Heerführer ihr
Amt ruhig antreten konnten. Damit wollte er jedoch nicht auf die
Heimkehr verzichten. Die sicilischen Verhältnisse waren der Art, dass
er auf eine neue Gelegenheit rechnen konnte, sein Ansehen zu Hause
wieder herzustellen. Hannibal hatte im Frühjahre Selinus und Himera
zerstört (S. 678). Die demokratischen Parteiführer waren, wie Hermo-
krates voraussah, auCser Stande, der schwierigen Aufgabe der Zeit zu
genügen. Also suchte auch er die Verbindung mit Pharnabazos, der
seinen Werth vollkommen würdigte, zu benutzen und hoffte gewiss auch
für seine Zwecke Vortheile in Susa zu erlangen. Es scheint , dass
Pharnabazos eine gründliche Prüfung der persischen Politik in Klein-
asien beabsichtigte, und dass ihm deshalb die Begleitung von Griechen
der verschiedensten Standpunkte erwünscht war.
Aber alle diese Veranstaltungen und die vielerlei Hoffnungen,
welche sich an die Gesandtschaft knüpften, wurden schon in Kleinasien
durch ein ganz unerwartetes Ereigniss vollständig gekreuzt. Denn wie
die Reisenden nach einer Winterrast in Gordion mit Beginn des Früh-
jahrs ihren Weg durch Phrygien fortsetzen, begegnet ihnen ein statt-
licher Zug; sie erkennen einen königlichen Prinzen, der mit zahlreichem
Gefolge von Susa herabkommt, Kyros, den zweiten Sohn des Dareios
und der Parysatis. Die Spartaner, welche ihn begleiteten, eilen ihren
Landsleuten triumphirend entgegen, um ihnen die in Susa erlangten
Erfolge mitzutheilen, und Pharnabazos überzeugt sich von den ausge-
dehnten Vollmachten des neu ernannten Statthalters, durch welche die
seinigen erlöschen und sein Einfluss auf die persisch-griechischen An-
gelegenheilen beseitigt ist. Er kann die Gesandten nicht weiter führen,
ja er darf sie nicht einmal nach Hause entlassen, sondern muss sie auf
48*
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756
KYROS STATTHALTER IN KLEI.NASIE!*.
Befehl des Kyros in Asien zurückhalten, damit sie nicht im Stande
seien, die Athener von dem plötzlichen Umschwünge der kleinasiatischen
Verhältnisse in Kennlniss zu setzen, wozu der Anstofs in den Ge-
mächern der Parysatis gegeben war190*).
Seitdem die Perser in Kleinasien wieder zu einer einflussreichen
Nacht geworden waren, war es die Sache der dortigen Satrapen, die
unerwartete Gunst der Verhältnisse möglichst auszubeuten. Das hatten
nach einander Pissuthnes, Tissaphernes und Pharnabazos versucht
Aber der Erste war mit Hülfe der Athener abgefallen; Tissaphernes
hatte alle Erfolge durch seine feige Neutralitätspolitik verscherzt; Phar-
nabazos war ein viel thatkräf tigerer Mann, aber er war einem Alkibiades
nicht gewachsen. Der hellespon tische Krieg war eben so wie der
ionische missglückt, alle Kriegsgelder waren unnütz verschwendet,
und Pharnabazos scheint endlich zu der Ueberzeugung gekommen
zu sein, dass eine Verständigung mit Athen das einzige Mittel sei,
die kleinasiatischen Verhältnisse in einer befriedigenden Weise zn
ordnen.
Inzwischen waren die schlechten Erfolge der Satrapenpolitik in
Susa übel vermerkt worden, und diese Unzufriedenheit hatte für ihre
Zwecke Parysatis auszubeuten gewusst, die Gemahlin und Schwester
des Dareios, die im Palaste herrschende Sultanin, die ihrer grausamen
Thaten wegen eine Zeitlang nach Babylon verbannt war, aber dann
wieder mächtiger als je zuvor die Politik des Reichs lenkte, indem sie
sich dabei nach Frauenart von persönlichen Neigungen und Wünschen
leiten liefe. Ihr Lieblingssohn war der talentvolle, feurige Kyros;
ihr leidenschaftlicher Wunsch war, ihn anstatt des älteren mit der
Tiara geschmückt auf dem Throne der Achämeniden zu sehen, und sie
konnte für sein Erbrecht geltend machen, dass er von den Söhnen zu-
erst nach der Thronbesteigung des Vaters geboren sei; sie wusste aber,
dass ihre Mutterwunsche auf friedlichem Wege nicht verwirklicht
werden könnten, und darum wollte sie, dass er als Statthalter eine
Provinz erhielte, in welcher er sich ein Heer bilden, Kriegsrubm er-
werben und namentlich hellenische Kräfte zu seinen Zwecken sieb
dienstbar machen könnte. In Kleinasien bedurfte es aber offenbar eines
kräftigen Arms, um die dortigen Verhältnisse endlich einmal den In-
teressen Persiens gemäfs zu ordnen. Man missbilligte die Hinneigung
der Satrapen zu den Athenern, die man doch einmal als die Erbfeinde
ansehen musste; darum hatten die mehrfachen Beschwerden Spartas
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LYSAXDROS SEEFELDHERR (93, 1;40S).
757
und namentlich auch die letzte Gesandtschaft, welche mit Kyros zurück-
kehrte, günstige Aufnahme in Susa gefunden.
Der junge Kyros war ganz der Mann, um den Erwartungen der
Mutter und Spartaner zu entsprechen. Es war seit langer Zeit wieder
die erste bedeutende Persönlichkeit, welche sich unter den Persern
zeigte, eine Natur zum Herrschen geboren, welche sich zu grofsen
Dingen berufen fühlte und sich den verweichlichenden Einflüssen des
Hoflebens zu entziehen gewusst hatte. Kräftig von Körper und Geist,
hatte er sich früh gewöhnt, Tag für Tag in Jagd, Waffendienst und
ländlichen Arbeiten seine Kräfte zu üben und volle Spannkraft sich zu
bewahren. Dabei war er von grofser Gewandtheit und Liebenswürdig-
keit im Umgange, lebhaft, unternehmend und von einem brennenden
Ehrgeize erfüllt, der alle anderen Rücksichten verdrängte, zugleich aber
klug genug, um seine Absichten zu verslecken und in der Stille die
rechten Werkzeuge zu gewinnen. Er hasste die Athener, von welchen
sein Volk die schwersten und bis dabin unvergoltenen Demüthigungen
erlitten hatte; er war den Spartanern zugethan und hoffte sich durch
sie an Athen zu rächen, um sie dann wiederum für seinen Ehrgeiz zu
benutzen.
Ein so gefahrlicher Feind war es, der damals in Phrygten den
attischen Gesandten begegnete und sogar die Auslieferung derselben
verlangte. Aber seine Feindschaft wäre den Athenern bei der Schwäche
der persischen Seemacht nicht sonderlich gefährlich gewesen, wenn
nicht gleichzeitig in Sparta ein Seefeldherr erwählt worden wäre,
welcher im Stande war, die Kräfte seiner Vaterstadt in einer noch
unerhörten Weise anzuspannen, und eben so sehr in Kyros den Mann
fand, dessen er zur Vernichtung Athens bedurfte, wie Kyros in ihm
das willkommenste Werkzeug seiner Pläne"1).
Lysandros, der Sohn des Aristokritos, war, wahrscheinlich im
Herbste 408 (Ol. 93, 1), an die Spitze der peloponnesischen Flotte ge-
treten; ein Mann, welcher Alles sich selbst verdankte. Denn wenn auch
sein Vater von heraklidischem Geschlechte war, so war er doch arm
und nicht einmal vollbürtig; denn seine Mutter war von nichtdoriscber
Herkunft, wahrscheinlich eine Helotin. Er hatte also gar keine Rechte
im Staate, und wenn er auch mit seinem Halbbruder Libys zusammen
die volle spartanische Erziehung genoss, so hat er doch gewiss von
Kindheit auf vielerlei Zurücksetzung erfahren müssen. Er war seiner
Geburt nach in derselben Lage, wie Gylippos; an beiden Männern hat
758
CHARAKTER DES LYSANDROS
sich also die Weisheit der lykurgischen Gesetzgebung bewährt, welche
die Möglichkeit gestattete, dass talentvolle Knaben, auch ohne voll-
bürtig zu sein, in die dorische Bürgerschaft hinein wachsen konnten,
um dieselbe mit frischem Blute zu kräftigen (I, 182).
Die Stellung, welche Lysandros in der spartanischen Gesellschaft
hatte, war für seine ganze Entwickelung mafsgebend. Mit dem Blute
des Vaters hatte er auch den angebornen Stolz eines Herakliden, und
die Hindernisse, welche sich ihm entgegenstellten, feuerten nur seineo
Ehrgeiz an und reizten ihn, mit verdoppeltem Eifer sich Alles anzu-
eignen, was einen tüchtigen Spartaner ausmachte. Dabei übte er sieb
mehr als seine Kameraden, vorsichtig und fügsam, geschmeidig und
listig zu verfahren. Er lernte sich selbst beherrschen, seine Gedanken
und Pläne verheimlichen, seine Ueberlegenheit verstecken, die Men-
schen nach seinen Interessen behandeln, ohne dass sie es merkten, und
mit unerschütterlicher Ruhe und eiserner Festigkeit seine Absichten
verfolgen. Zugleich entwickelte sich aber in ihm auch eine Bitterkeit,
eine tiefe Verstimmung gegen das Bestehende und eine Verachtung der
Menschen, denen er nicht ohne mancherlei Kränkungen sich hatte
fügen müssen. Er war unbefangener als ein geborener Vollbürger und
erkannte mit freierem Blicke die Schwächen des Staats. Er überblickte
die Zeitverhältnisse, er kannte die anderen Staaten, und so sehr er
Athen hasste, so war es doch kein blinder Hass, welcher nichts am
Gegner anerkennen will, sondern er wusste Athens Stärke wohl zu
würdigen und erkannte, dass es nur mit seinen eigenen Waffen zu be-
siegen sei.
In ihm stellt sich das Sparta dar, wie es im Kriege selbst allmäh-
lich umgewandelt worden ist. Diese Umwandlung war schon an
Brasidas und an Gylippos zu bemerken, am vollständigsten aber an
Lysandros. Es war wohl noch immer eine altspartanische Partei vor-
handen, welche gewisse hellenische Ueberlieferungen festhielt und auch
in den Athenern die Stammgenossen anerkannt sehen wollte, eine
Partei, die den Krieg hasste, weil er die lykurgischen Staatseinrichtun-
gen nothwendig zerstören musste und die Spartaner zu Bedienten der
Perser machte ; eine Partei, welche auch eine Herrschaft Spartas über
Athen als einen gar nicht wünschenswerthen und mit dem wahren
Wohle des Staats unvereinbaren Erfolg ansah. Von dieser Partei waren
auch immer neue Versuche gemacht worden, den Krieg durch eine
aufrichtige, beiden Theilen erspriefsliche Verständigung zu beendigen.
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LYSA.NDROS UM) ALKIBIADES
759
So nach der Schlacht bei Kyzikos (S. 745) und von Neuem unter dem
Archoma t des Euktemon (40%), da Endios zum zweiten Male nach
Athen kam, um wegen Auslösung der Gefangenen und gewiss auch über
weitergehende Vorschläge zu unterhandeln. In Lysandros war die
Richtung der entgegengesetzten Partei verkörpert, die während der
Kriegsjahre immer mehr erstarkt war, der rücksichtslosen Kriegspartei,
welche die Vernichtung der attischen Macht um jeden Preis und mit
allen zu Gebote stehenden Mitteln wollte. Was daher noch an Ehrge-
fühl und sittlicher Scheu vorhanden war, wurde mit zu dem gerechnet,
was den veralteten Zuständen angehörte. Wo Tapferkeit nicht aus-
reicht, müssen List und Trug aushelfen; der schleichende Fuchs kommt
weiter als der Löwe; mit Eidschwüren täuscht man Männer, wie Kinder
mit Würfeln. Das waren die Grundsätze, zu denen Lysandros sich be-
kannte, und je weniger er selbst begehrlich und genusssüchtig war, um
so bereitwilliger war er, überall, wo es passte, alle Mittel der Be-
stechung anzuwenden198).
Da er sich einmal im Gegensatz gegen die altspartanische Partei
befand, so wurde er in dieser Richtung immer weiter geführt; er
wurde zu einem Gegner der Verfassung selbst, ein Mann, der in allen
Aeufserlichkeiten die ängstlichste Gesetzlichkeit zur Schau trug und eine
fromme Anhänglichkeit an das religiöse Herkommen Spartas bezeugte,
im Geheimen aber emsig darauf hinarbeitete, das Ehrwürdigste, was
sich aus dem Alterlhume erhalten hatte, den Doppelthron der Hera-
kliden, zu stürzen, weil dieser seinen ehrgeizigen Plänen am meisten
im Wege stand. Denn er wollte seine Vaterstadt zur Herrschaft
bringen, um dann selbst in ihr zu herrschen. Er war auch hierin das
spartanische Gegenbild des Alkibiades. Von ihm hatte er gelernt, wie
man als Feldherr und als Unterhändler Meister sein müsse, um grofse
Ziele zu erreichen ; ihm hatte er es abgesehen, wie man die Perser be-
handeln und den Einfluss der politischen Parteien ausbeuten müsse.
Er warjtalentvoll und vielsei lig,( herrschsüchtig und rücksichtslos, wie
Alkibiades. Er hatte nicht die Genialität noch die Heldennatur des-
selben noch auch die edlen Grundzüge seines Charakters. Je mehr
ihm aber die kühne Zuversicht abging, welche Alkibiades beseelte, um
so listiger wusste er seineu Feinden aufzulauern, um ihre Fehler zu
benutzen, und wenn er an geistiger Kraft dem Athener nachstand, so
war er ihm durch Nüchternheit und kalte Ruhe, durch Stetigkeit,
Selbstbeherrschung und Wachsamkeit weit überlegen.
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700
LYSAMUROS ALS FLOTT FÜHRER.
Es war also ein Ereigniss von entscheiden der Bedeutung, aJs
Lysandros aus dem Dunkel seiner untergeordneten Stellung hervorge-
zogen und zum Flollenführer erkoren wurde. Hier war er an seiner
Stelle. Denn dies Amt verlangte gerade solche Talente, wie er und
er allein in Sparta sie besafs. Hier kam es darauf an, alle diejenigen
Mitte), deren Anwendung den Spartanern der alten Schule wider-
wärtig war, in volle Bewegung zu setzen, die alldorische Abneigung
gegen die Perser und die Scheu vor einer überseeischen Politik zu
Oberwinden; hier bedurfte es eines erfinderischen und organisirenden
Kopfes, eines Staatsmanns, welcher mit den auswärtigen Verhältnissen
vertraut, und der schmiegsam genug war, um die unentbehrliche
Unterstützung des Auslandes zu gewinnen und zu benutzen, ohne
darum die Ehre des eignen Staats aufzugeben und zu einem Werk-
zeuge fremder Politik zu werden. Das Amt des Fiottenführers war
das unabhängigste im spartanischen Staate; ein Amt, welches an sich
schon eine Neuerung war und ein Abbruch der königlichen Rechte ;
denn die Könige, ursprünglich die alleinigen Heerführer des Staates,
waren von diesem Amte grundsätzlich ausgeschlossen. Keine Stel-
lung konnte also dem Manne erwünschter sein, dessen Ehrgeiz
darauf ausging, das lykurgische Staatswesen durch kühne Neuerungen
umzuwandeln und die erblichen Vorrechte im Staate zu be-
kämpfen "■•).
Als Lysandros sein Amt antrat, war eine Seemacht Spartas nicht
vorhanden. Er mussle eine Flotte schaffen und eben so die Geld-
mittel für ihre Erhaltung. Freilich batte Pharnabazos nach dem
unglücklichen Ausgange des hellespon tischen Kriegszugs gleich wieder
neue Schilfe bauen lassen. Die Wälder des Ida wurden gelichtet und
die Schiffswerften bei Antandros an der troischen Küste in volle Thä-
tigkeit gesetzt Die Einwohner der Stadt gewährten den Schiffsmann-
schaften allen Vorschub, um ihnen ihre Fahrzeuge zu ersetzen ; die
sicili sehen Matrosen halfen dafür den Bürgern ihre Stadt ummauern.
Es bildete sich bei dieser Gelegenheit ein so nahes Verhältniss, dass
den Syrakusanern in Antandros die Rechte von Bürgern und Wohl-
thätern zuerkannt wurden. Diese Rüstungen waren aber durch die
Bedrängnisse des Pharnabazos und die Veränderung seiner Politik
unterbrochen worden, und Lysandros konnte, nachdem er im Pelo-
ponnes, und dann von den Rhodiern, Chiern und Milesiern so viel
Fahrzeuge wie möglich zusammengebracht hatte, im Ganzen nur 70
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LYSAXDROS ALS PARTEIFÜHRER.
761
Schüre vereinigen, eine Flolte, welche an Gröfse und an Seetüchtig-
keit der attischen nicht gewachsen war. Aber er brachte doch so-
gleich den ganzen Seekrieg in ein neues Stadium, indem er die Streit-
kräfte vereinigte und mit sicherem Blicke Ephesos zum spartanischen
Hauptquartiere in lonien machte. Hier war Athens Einfluss immer
am schwächsten gewesen (S. 693), hier war er dem Hofe von Sardes
und seinen Geldquellen am nächsten198).
Dann war Lysandros der Erste, welcher ein bis dahin, so zu
sagen, ganz unbenutztes Kapital von Macht zu verwerlhen wussle; das
waren die oligarchischen Parteien, welche mit Nothwendigkeit auf
Sparta hingewiesen, aber bis jetzt von Sparta immer mit einer jedes
Vertrauen täuschenden Gleichgültigkeit behandelt worden waren. Die
Energie des griechischen Volks lag nun aber damals wesentlich in den
Parleirichtungen. Was konnte also an Macht gewonnen werden,
wenn Sparta sich thalkräflig an die Spitze aller oligarchischen Be-
strebungen stellte und die Leitung dieser Bewegung übernahm, wie
Alkibiades einst seine Vaterstadt zum Centrum aller demokratischen
Tendenzen gemacht hatte (S. 592) ! Seil Sparta eine Seemacht war,
konnte es überall hin und mit den Parteien aller Orlen in Zusammen-
hang stehn; es konnte die gröfsten Erfolge mit fremden Miltein er-
reichen und der schwankenden Macht Athens die letzten Stützen weg-
ziehen. Brasidas hatte diese Kriegspolitik eröffnet, Lysandros war
sein glücklicherer Nachfolger. Er trat von Ephesos aus mit allen Par-
teien, welche der Volksherrschafl und dem attischen Einflüsse ent-
gegenarbeiteten, in Verbindung, brachte sie mit sich als ihrem gemein-
samen Patrone und unter einander in Zusammenhang, verbürgte den
Führern den vollständigen Erfolg ihrer ehrgeizigen Pläne, zog die
Ueberläufer der attischen Partei an sich heran , spannte ein Netz von
Verschwörungen über ganz Griechenland, dessen Fäden er in seiner
Hand hatte, und eignete sich so eine geheime Macht zu, über welche
er, wenn die Stunde da war, unbedingt verfügen konnte.
Endlich knüpfte er mit Kyros die engsten Verbindungen an und
wussle hier durch seine Gewandtheit ein persönliches Verhältniss her-
zustellen, wie Alkibiades es in Beziehung auf Tissaphernes immer er-
strebt, aber niemals erreicht halle. Dazu kam, dass Kyros ganz andere
Mittel hatte, dass er in königlichem Auftrage und aus eigener Neigung
Sparta zu unterstützen entschlossen war und in Lysandros einen Bun-
desgenossen fand, dem er sich mit jugendlicher Bewunderung an-
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762
DIE FEINDE DES ALKIBIADES.
schloss. Lysandros brachte also nicht nur einen zuverlässigen Sub-
sidienvertrag zu Stande, sondern wusste auch seinem fürstlichen
Gastfreunde das Versprechen abzugewinnen, nicht drei, sondern vier
Obolen Tagsold zu zahlen. Dadurch wurde derselbe um einen Obolos
(1 gGr.) höher als der, welchen Athen damals zahlen konnte, und
dies genügte, um viele Matrosen der feindlichen Flotte abwendig zu
machen m).
Eine so gefährliche Verbindung war noch niemals gegen Athen
zu Stande gekommen. Geld, Parteimacht, Klugheit und entschlossene
Tha t kraft vereinigten sich zu seinem Verderben, und es hatte diesen
Gefahren gegenüber nichts, worauf es sich verlassen konnte, als seinen
sieggewohnten Feldherrn, welcher mit unbedingten Vollmachten
an der Spitze der Flotte stand und unverzagt den Krieg in Ionien
eröffnete.
Aber auch darin begleitete Lysandros beim Beginne seines Feld-
herrnamts ein ungewöhnliches Glück, dass in der Stellung seines ge-
fährlichsten Gegners, des Einzigen, den er zu fürchten hatte, in-
zwischen eine wesentliche Veränderung vorgegangen war. Aeufserlich
hatte er freilich die höchste Macht, welche einem Bürger zu Theil wer-
den konnte; aber ihre Grundlage war erschüttert. Die Stimmen seiner
Feinde waren in dem Siegesjubel übertönt und ihre Bestrebungen zu-
rückgedrängt, sie selbst waren aber weder entmuthigt noch umge-
stimmt worden. Alkibiades hatte seinerseits Alles gethan, um die Par-
teien zu versöhnen. Er halte den Grundsätzen einer gemäfsigten
Volksfreiheit das Wort geredet, er hatte die Interessen des Gottes-
dienstes kräftig vertreten, er hatte die ihm überlassene Wahl seiner
Amtsgenossen so getroffen, dass Männer verschiedener Richtung wie
Adeimantos, der Sohn des Leukolophides, und Aristokrates (S. 729)
seine Mitfeldherrn wurden ; er wollte, wie einst Perikles, über den Par-
teien stehen. Aber umsonst Die Oligarchen hassten ihn nach wie
vor; die Demokraten verdächtigten ihn, und die priesterliche Partei
war unversöhnlich geblieben. Sie hatte sich auch während seines
Glücksstandes am hartnäckigsten erwiesen, wie das Beispiel des
Mysterienpriesters Theodoros beweist, welcher sich weigerte, den aus-
gesprochenen Fluch zurückzunehmen, indem er die Ausflucht ge-
brauchte, dass er nur den Schuldigen verwünscht habe; wenn also
Alkibiades wirklich unschuldig sei, so trefTe ihn auch die Verwün-
schung nicht.
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AiSFEINDDVG DES ALKIBIADES
763
Dieselbe Partei beutete auch den Umstand aus, dass Alkihiades'
Ruckkehr auf das Fest der Plynterien gefallen sei. Das war der Tag,
an welchem das Haus der Alhena Polias abgesperrt und das heilige
Bild der Göttin durch die sogenannten Praxiergiden von seiner Stelle
genommen, im Meerbade gereinigt und umgekleidet wurde; an diesem
Jahrestage war also die Göttin gleichsam entfernt und unzugänglich,
die Stadt ihrer beraubt und deshalb in Trauer, so dass kein öffentliches
Geschäft von irgend einer Bedeutung vorgenommen zu werden pflegte.
Nun hatte man im Jubel über die siegreiche Heimkehr das Herkommen
vernachlässigt. Die Gegner des Alkihiades schoben ihm diese öffentliche
Versündigung zu und redeten der leichtgläubigen Menge ein, es könne
doch nicht anders, als ein Zeichen von ernster Bedeutung sein, dass
gerade an dem Tage, an welchem Alkihiades heimgekehrt sei, die
Schutzguttin ihr Antlitz von der Stadt abgewendet hätte.
Je mehr die Anwesenheit des Alkihiades den Erfolg dieser Um-
triebe hemmte, weil seine Persönlichkeit, durch den Ruhm der herr-
lichsten Thaten gehoben, herzgewinnender und vertrauenswürdiger,
als je zuvor, den Athenern gegenübertrat, je stärker sich im Volke die
Neigung zeigte, sein ganzes Schicksal in die Hände dieses Mannes zu
legen, welcher dem durch Parteigeist zerrütteten Staate durch eine
kräftige Selbstregierung wieder aufhelfen sollte: um so geschäftiger
waren die Parteimänner, um auf alle Weise die Abfahrt des Feldherrn
zu beschleunigen, unter dem Vorwande, dass man ihn in der weiteren
Verfolgung seiner Heldenbahn nicht aufhalten dürfe; in der That aber
sollte die Zeit seiner Entfernung benutzt werden, um unverzüglich das
alte Spiel wieder zu beginnen, welches dem Staate schon so viel Noth
gebracht hatte, nämlich die Anfeindung des abwesenden Feldherrn.
Arglistig hatten sie selbst dazu beigetragen, die Erwartungen der Menge
auf den höchsten Grad zu spannen ; als daher die Botschaften ausblieben,
denen man von Tag zu Tag mit Ungeduld entgegen sah, als zunächst
nichts Anderes gemeldet wurde, als dass die Flotte von 100 Trieren
mit 1500 Schwerbewaffneten und 150 Reitern, welche Ionien rasch
zurückerobern sollte, vor Andros liege und nicht einmal im Stande sei,
die kleine Inselstadt zu zwingen, als dann auch von Sa mos, dem neuen
Hauptquartiere, die Nachricht kam, dass die Flotten einander unlhätig
gegenüber gelagert wären und dass Alkihiades mit den Persern unter-
handle, da wendete sich rasch die öffentliche Stimmung. Man lebte
einmal in dem Wahne, dass Alkihiades nichts unmöglich sei. Wenn er,
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SCHLAPPE BEI NOTION (83, 1; 407).
der Unüberwindliche, nicht siege, so wolle er nicht siegen, so sei er
ein Verräther und von den Feinden bestochen, mit deren Hülfe er in
Athen herrschen wolle. Endlich kam sogar die Nachricht von einer
Niederlage der Flotte, und nun hatten seine Feinde gewonnenes Spiel.
Alkibiades hatte nämlich in Samos die veränderte Lage der Dinge
kennen gelernt. Seine Versuche, Kyros umzustimmen, waren geschei-
tert. Er suchte Lysandros aus seinem Hafen herauszulocken, aber auch
dies gelang ihm nicht Nachdem nun der Winter nutzlos verstrichen
war, blieb ihm nichts übrig, als die spartanische Flotte mit einem Theile
seiner Schiffe abzusperren und mit den anderen Streitkräften den Land-
krieg zu beginnen, die einzelnen Städte Ioniens zu erobern und so die
Herrschaft Athens daselbst wieder herzustellen, wie es ihm im Helles-
pont gelungen war. Es war eine Ehrenschuld des Alkibiades, Ionien,
dessen Abfall sein Werk war (S. 696), den Athenern wieder zu ver-
schaffen. Er liefs daher das Blokadegeschwader unter einem seiner
treulichsten Schiffsführer, Antioc hos, vor Ephesos zurück, mit dem
strengsten Befehle, sich in keinen Kampf einzulassen, während er selbst
bei Phokaia den Eroberungskrieg begann, der natürlich darauf berech-
net war, dass ein Floltensieg den Feldzug eröffnen und sein Gelingen
erleichtern sollte. Kaum aber hatte er die Belagerung begonnen, so
kam die Nachricht von einem unglücklichen Seegefechte im Golfe von
Ephesos. Antiochos hatte sich nämlich durch seinen Kriegseifer hin-
reifsen lassen, den Feind in unvorsichtiger Weise zu reizen, war dann
von Lysandros angegriffen und mit seiner Flotte unvermuthet in einen
ernsten Kampf verwickelt worden, der eine sehr unglückliche Wendung
nahm. Denn er selbst wurde mit seinem voraneilenden Schiffe ver-
senkt, und die Athener mussten sich nach einem Verluste von 15
Schiffen von ihrem Standorte Notion nach Samos zurückziehen.
Alkibiades war ohne Schuld an diesem Unglücke; auch Antiochos
trug sie nicht allein. Denn er hatte allen Schiffen Befehl gegeben, sich
kampfbereit zu hallen, und dieser Befehl war nicht befolgt worden. Es
war offenbar die Kriegszucht gelockert. Die Unterbrechung der Kriegs-
übung, der Aufenthalt in Athen, die Aufnahme neuer Truppen hatte
auf den Geist des Flottenheers, das am Hellespont sich so musterhaft
gehalten hatte, nachtheilig eingewirkt. Der niedrigere Sold, den die
Athener im Vergleiche mit den Peloponnesiern erhielten, der mühselige
Dienst, für den keine Siegesbeute Entschädigung gab, erregte Miss-
stimmung und Untreue; endlich hatten die Feinde des Alkibiades auch
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ANFEINDUNG DES ALKIBIADES
765
ihre Anhänger im Heere, welche zu offener Auflehnung gegen den Feld-
herrn schritten. Thrasybulos, der Sohn des Thrason, ging nach Athen,
uro ihn anzuklagen. Kein anderer sei an der schleppenden Kriegführung
schuldig, so meldete er, als Alkibiades selbst; angesichts des Feindes
schwelge er bei üppigen Gelagen mit ionischen Buhlerinnen und über-
trage das Commando den unzuverlässigsten Leuten, die er unter seinen
Zechgenossen auswähle. Auch stehe er ununterbrochen mit den Lake-
dämoniern und mit Pharnabazos in Unterhandlungen, welche offenbar
kein anderes Ziel hätten, als Heer und Flotte den Feinden in die Hände
\ zu spielen und sich so den Weg zur Alleinherrschaft zu bahnen. Diese
Verdächtigung schien dadurch beglaubigt zu werden, dass Alkibiades
während des hellespontischen Feldzuges auf der thrakischen Halbinsel
Plätze erworben hatte, welche er befestigen liefs. Das sei der Anfang
zu einer unabhängigen Herrschermacht, die er sich gründen wolle, und
deswegen unterhalte er auch nach wie vor die Freundschaft mit dem
am Hellespont herrschenden Satrapen, welcher doch alle Hoffnungen
der Athener so schmählich getäuscht habe.
Das allgemeine Gefühl der Unsicherheit steigerte jede Besorgniss
dieser Art, und da nun auch aus den kleinasiatischen Städten Abgeord-
nete kamen, welche sich über Alkibiades' Heerführung beschwerten, so
wussten seine Feinde dies Alles so schlau und nachdrücklich zu be-
nutzen, dass die Bürgerschaft, welche noch vor Kurzem ihr früheres
Benehmen gegen Alkibiades als die Quelle ihres Unglücks erkannt und
mit tiefer Beschämung bereut hatte, jetzt bei viel gröfserer Gefahr und
ohne den geringsten Nachweis von Verschuldung ihren besten Kriegs-
helden aufs Neue von sich stiefs, nachdem er länger als vier Jahre un-
unterbrochen den Oberbefehl geführt und ihr Vertrauen noch nie ge-
täuscht hatte. Zum zweiten Male wurde er während seiner Abwesenheit
entsetzt und mit ihm seine Amtsgenossen, weil sie kraft seiner außer-
ordentlichen Vollmachten von ihm gewählt worden waren. Er war des
Heers nicht sicher genug, um sich dem Befehle der Bürgerschaft zu
widersetzen, und zog sich nach dem Chersonnes zurück. Von den
früheren Feldherrn wurden nur Konon, Timotheos' Sohn, und Aristo-
krales wieder gewählt. Konon, welcher noch vor Andros lag, erhielt
den Oberbefehl und ging mit vier seiner Amtsgenossen, Leon, Archestra-
tos, Erasinides und Aristokrates, nach Sa mos, wo nun mit den 30
hellespontischen Schiffen, welche Thrasybulos befehligt hatte, und dem
Geschwader von Andros 115 Trieren beisammen waren1'5).
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K0>0> UM» KALL1KRATMAS (»3, 2; 406).
Kaum hatte Alkibiades den Befehl niedergelegt, so spürte man
schon die Folgen von dem, was man gethan hatte. Konon war ein
ritterlicher Mann und erprobter Feldherr. Er hatte durch Geburt und
Reichthum eine ähnliche Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft, wie
ISikias, und war wie dieser ein Hann von verfassungstreuer Gesinnung;
er war also des Vertrauens der Bürgerschaft in vollem Mafse würdig.
Aber ihm fehlten die außerordentlichen Gaben seines Vorgängers,
welcher, wenn er auch einem Lysandros gegenüber die Gelegenheit zu
glänzenden Siegen nicht erzwingen konnte, doch durch seiue Klugheit
und seinen rastlosen Unternehmungssinn im Stande gewesen war, auch
ohne Geldsendungen von Hause eine grofse Flotte zu unterhalten und
die Seeherrschaft zu behaupten. Konon verzichtete darauf von vorn
herein; er verringerte die Flotte auf siebzig Schilfe, welche er mit einer
Auswahl des ganzen Seevolks bemannte, und erklärte schon dadurch,
dass er sich aufser Stande sehe, einen Seekrieg in grofsem Malsstabe
fortzusetzen. Eine Reihe von Monaten hindurch führte er nur einen
uns täten Freibeuterkrieg, indem er ohne zusammenhängenden Plan die
verschiedensten Seeplätze brandschatzte und neue Hülfsquellen für
Athen zu eröffnen suchte.
Vielleicht gehört in diese Zeit der Volksbeschluss der Athener zu
Ehren des Königs Euagoras auf Cypern, der um 92, 3; 410 v. Chr. sein
väterliches Reich wieder gewann. Seil dieser Zeit war er für die
Athener eine wichtige Persönlichkeit, welche je weniger sie auf Unter-
stützung von Persien Aussicht hatten, um so mehr mit den unzu-
friedenen Vasallen des Grofskönigs Bundesgenossenschafl anzuknüpfen
suchen mussten. Darum werden auch wohl in diese Zeit die ersten
Beziehungen zwischen Konon und Euagoras zu setzen sein.
Die peloponnesische Flotte war der attischen schon um zwanzig
Segel überlegen und bei regelmäfsigen Einkünften in steter Vergröße-
rung begriffen. Als daher Lysandros von Kallikratidas im Flottenbefehl
abgelöst wurde, konnte sich dieser, ehe er noch einen Sieg gewonnen
hatte, als den Herrn der See ansehen. Denn obgleich die persischen
Hülfsgelder versiegten, welche Kyros nur zu Gunsten seines Freundes
flüssig machen wollte, obgleich Lysandros selbst, um es seinem Nach-
folger so schwer wie möglich zu machen, alles noch vorräthige Geld
an Kyros zurückgezahlt hatte, unter dem Vor wände, dass es nur ihm
persönlich gegeben sei: so wusste der neue Admiral dennoch die über-
kommene Macht nicht nur zu erhallen, sondern ansehnlich zu ver-
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KO.NON UND KALLIKRATIDAS (99, 2; 406).
767
gröfsern, und zwar in der ehrenvollsten Weise. Denn voll Entrüstung
wendete er dem sardischen Palaste, wo man ihn wie einen Bettler vor
den Thüren hatte warten lassen, den Rücken und wusste statt dessen
bei den Ioniern selbst einen ganz neuen Kriegseifer zu erwecken, so
dass er in Milet fünfzig bundesgenössische Schiffe zusammen brachte,
welche er auf das Eifrigste für den Angriffskrieg einübte; so feierte er
den Triumph, dass er, von Milet und Chios mit Geld unterstützt, ohne
persische Subsidien eine Flotte von 140 Schilfen in das Meer hinaus-
führen konnte, eine Flotte, wie sie noch niemals von Sparta den
Athenern entgegengeführt worden war. Kallikratidas vereinigte den
hochherzigen und stolzen Sinn eines Altspartaners mit der Thatkraft
und Gewandtheit, wie sie der Beruf eines Flottenführers in Ionien
verlangte. Er führte hier aus, was Brasidas in Thrakien erstrebt hatte;
er war der Erste, welcher die entschlossene und gerade Tapferkeit
der Spartaner mit Glück auf die Flotte verpflanzte.
Glänzende Erfolge begleiteten ihn. Auf der Insel der Chier, denen
er sich vor Allem dankbar erweisen wollte, zerstörte er die attische
Festung, von welcher die Wiedereroberung der Insel abhing; dann er-
oberte er das wichtige Teos und ging ungesäumt weiter nach Lesbos,
dessen Städte die bedeutendsten Stützen der attischen Macht in diesen
Gewässern waren und die Verbindung zwischen Ionien und dem Helles-
pont hüteten. An der Nordküste der Insel, in Methymna, lag eine
attische Besatzung. Sie musste sich ergeben, ehe Konon von der asiati-
schen Küste her zu Hülfe eilen konnte. Nun musste er wenigstens
Mytilene zu halten und deshalb in die Nähe der Stadt zu kommen
suchen. Auf der Ueberfahrt kommt es zu einem Kampf. Konon will
eine eigentliche Schlacht vermeiden, aber indem die Schiffe in einzelnen
Gruppen handgemein werden, verliert seine Flotte den Zusammenhang.
Dreifsig Schiffe werden abgeschnitten und müssen dem Feinde preis-
gegeben werden, während Konon sich mit den übrigen in den Nord-
hafen von Mytilene (S. 440) zurückzieht und den Eingang desselben
absperrt. Kallikratidas aber erzwingt die Einfahrt und schliefst mit
der Stadt auch die Flotte Konons so vollständig ein, dass es diesem
nur durch List gelingt, zwei Schiffe nach Athen zu senden, um der
Bürgerschaft seine verzweifelte Lage zu melden.
Jetzt konnte Kallikratidas annehmen, dass der Krieg im Wesent-
lichen beendet sei. Denn auch ein Geschwader von zwölf Schiffen,
welches Diomedon zur Hülfe herbeiführte, gerieth bis auf zwei Fahr-
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7GS
NEUE RÜSTUNGEN ATHENS (98, «; 406).
zeuge in seine Gewalt, und jede weitere Sendung schien unmöglich.
Er konnte sich rühmen, ohne Perserhülfe Sparta zum vollständigen
Herrn des ägäischen Meers gemacht zu haben; denn der Rest der
feindlichen Flottenmacht mit dem besten Seefeldherrn war in seiner
Gefangenschaft. Der Hellespont war offen. Was hinderte ihn noch,
die letzten Hülfsquellen Athens abzuschneiden und die Stadt zu zwingen,
sich unter jeder Bedingung zu ergeben? Aber er hatte sich doch in
Athen verrechnet lM).
Noch war den Bärgern der Gedanke unerträglich, die Seeherr-
schaft preiszugeben. Als daher das eine der beiden von Konon abge-
sendeten Schiffe glücklich nach Athen gelangte, drängte die Noth des
Augenblicks alle Parteispaltungen zurück und entzündete einen Wett-
eifer aller Einwohner, dessen Erfolg jede Erwartung überstieg. Ein-
hellig beschloss man, die letzten Mittel daran zu setzen, um noch ein-
mal eine grofse Flotte herzustellen, welche Konon retten und der
feindlichen Macht in offener Seeschlacht entgegentreten könne. Man
trug kein Bedenken, die Schätze der Stadtgöttin für das Heil der Stadt
im gröfsten Umfange auszubeuten. Aus goldenen Bildern der Sieges-
göttin wurde Nothgeld geschlagen, und Alles, was in der Vorzelle des
Parthenon an Metallwerth vorhanden war, bis auf einen Goldkranz,
wurde an die Hellenotamien ausgeliefert und wanderte in die Münze;
ohne Zweifel wurden auch die anderen Abiheilungen des Schatzhauses
(S. 344) geleert; man setzte die letzten Kapitalien der Stadt daran.
Schiffe hatte man zum Glück noch vorräthig, nämlich die von Alkibi-
ades erbeuteten, 95 zusammen; 45, die von Konon zurückgestellten,
lagen in Samos. Aber an Bürgern fehlte es, um sie zu bemannen, ob-
gleich Alles, was auf den Mauern entbehrt werden konnte, aufgeboten
wurde, und auch die Ritter sich bereit fanden die Trieren zu besteigen.
Also wurden auch die Nichtbürger massenweise aufgeboten. Schutz-
genossen wurde das Bürgerrecht, Sklaven die Freiheit versprochen,
und so geschah es, dass mit Hülfe der Samier und anderer Bundes-
genossen in Monatsfrist eine Flotte von 155 Segeln zusammengebracht
und den in der Stadt zurückgebliebenen Feldherrn, Thrasylos, Proto-
machos, Aristogenes und Perikles, dem Sohne des grofsen Staatsmanns,
übergeben werden konnte. Es war ein in verzweifelter Anstrengung ge-
machtes Aufgebot aller noch übrigen Staatskräfte, und mit dem Ge-
fühle, dass man siegen oder untergehen müsse, zog die letzte Flotte
Athens in die See hinaus197).
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SCHLACHT BEI DEN ARGINUSEIN (93, 3; 406 SEPT).
769
So wie Kallikratidas die unerwartete Kunde davon empfangen
hatte, liefs er fünfzig Schilfe vor dem Hafen zurück, um Konon einge-
schlossen zu halten, und legte sich vor das südliche Vorgebirge von
Lesbos, um hier in offener See die neue Flotte zu treffen und zu ver-
nichten; denn er war von zweifellosem Siegesmuthe erfüllt. Die Athener
dagegen zogen sich ungeachtet ihrer Ueberzahl ängstlich nach dem
Festlande von Aeolis hin, wo dem lesbischen Vorgebirge gegenüber
drei Klippeninseln, die Arginusen genannt, vor der Küste liegen, welche
den Schiffen eine Deckung gegen Ueberflügelung und eine möglichst
sichere Stellung zu gewähren schienen. Bei den Inseln stand das
MitteltrefTen; die Flügel dehnte man zur Rechten und Linken aus, in
doppelter Schiffsreihe, um dadurch die Durchfahrt feindlicher Trieren
zu verhindern.
Kallikratidas konnte nichts Weiseres thun, als den Angriff auf-
schieben. Ihn drängte nichts; denn auch Kyros hatte ihm, nachdem
er solche Proben seiner Thätigkeit abgelegt hatte, seine Hilfsquellen
wiederum geöffnet. Für die Athener dagegen lag in jedem Verzuge die
gröfsle Gefahr; ihre Flotte konnte des Unterhalts wegen nicht unthälig
bleiben; sie wäre also, wenn der Feind sjch ruhig hielt, gezwungen
gewesen, ihn unter allen Umständen anzugreifen oder sich zu zer-
streuen; auch war vorauszusehen, dass in einer so eilig zusammenge-
rafften Flottenmannschaft die Zucht und einmüthige Begeisterung
nicht lange vorhalten würden. Kallikratidas war aber durch keine
Warnung und kein Bedenken in seiner stürmischen Tapferkeit aufzu-
halten, obgleich er erkannte, dass sich ihm keine günstige Gelegenheit
zum Angriffe darbot. Denn er musste seine Flotte in zwei Abtheilungen
trennen, um rechts und links von den Arginusen den Feind gleich-
zeitig anzugreifen. Er selbst drang an der Spitze des rechten Flügels
vor, und nichts war im Stande, seinem gewaltigen Andringen Wider-
stand zu leisten; sein nächstes Ziel war das Schiff, welches Perikles
führte. Die Schiffe prallten mit Macht an einander, und bei dem Stofse
stürzt Kallikratidas, der ungeduldig am äulsersten Rande stand, in das
Meer hinunter. Klearchos, den er zu seinem Nachfolger bestimmt
hatte, vermag den Flügel nicht zu halten. Gleichzeitig kommt auch
der linke, von dem Böotier Thrasondas geführte, in's Weichen, die
ganze Flotte räumt allmählich das Feld. Aber dieser Rückzug ist nur
der Anfang einer vollständigen Niederlage. Denn nun erwacht der
volle Kriegsmuth der Athener, nun kommt ihre Ueber macht erst zu
Curtius, Gr. Gesch. II. 6. Aufl. 49
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770
DIE FOLGEN DER bCHLACHT.
voller Wirksamkeit. Von 120 Schiffen der Peloponnesier konnten nur
43 aus dem furchtbaren Kampfgetümmel gerettet werden.
So wie die siegreiche Flotte sich von der Verfolgung sammelte,
beschloss man, so rasch wie möglich das Blokadegeschwader vor
Mytilene zu überraschen, ehe der Führer desselben von dem Ausgange
der Seeschlacht Kunde habe, während ein anderer Theil der Flotte
den Befehl erhielt, unter Führung des Theraraenes und Thrasybulos
die Schiffbrüchigen zu retten und die Leichen aufzusammeln. Aber
ein furchtbarer Nordwest, welcher vom Idagebirge herabs türmte,
machte jede Tbäligkeit unmöglich, und als die Flotte endlich wieder
auslaufen konnte, war es für beide Zwecke zu spät. Der Sturm halte
das ganze Schlachtfeld rein gefegt, und das feindliche Geschwader
hatte Zeit gehabt, sich nach Chios zu retten. Die Hauptsache aber
war vollständig erreicht; die peloponnesische Macht, welche das Meer
widerstandslos beherrscht hatte, war vernichtet, die eingeschlossene
Flotte Konons, der Kern der attischen Seemacht, war frei und ver-
einigte sich unversehrt mit der siegreichen Flotte.
Die Arginusenscblacht war der gröfste Seekampf, welcher im
ganzen Kriege staltgefunden hat; J275 Schiffe waren mit einander im
Kampfe, also noch fünf mehr als in der grofsen Flottenschlacht bei
Sybota (S. 367). Die Spartaner wurden durch die Nachricht von der
Niederlage um so mehr entmuthigt, je hoffnungsreicher sie Kalli-
kratidas auf seiner Siegesbahn gefolgt waren. Es war vorauszusehen,
dass nach dieser Niederlage die Perser sich wieder zurückziehen wür-
den, da ihre Geldzuschüsse doch keinen Erfolg zeigten. Von den
Ioniern war nicht zu erwarten, dass sie von Neuem zu einem kräftigen
Anschlüsse sich bereit zeigen würden; die sicilischen Bundesgenossen,
die Böotier und Euböer hatten ihr Möglichstes gethan. Worauf sollte
man noch die Hoffnung eines besseren Gelingens gründen? Also ge-
wann die Friedenspartei von Neuem das Ue berge wicht, und Gesandte
gingen nach Athen, um die Anträge zu erneuern, welche nach der
Schlacht bei Kyzikos gemacht worden waren. Man wollte Dekeleta
räumen, dessen fruchtlose Besetzung den Spartanern selbst eine Last
geworden war, und jeder Staat sollte behalten, was er gegenwärtig be-
safs. Darin lag für Athen eine Verzichtleistung auf ganz lonien, und
das war jetzt, da eine starke und siegreiche Flotte ohne Gegner in
Samos lag, allerdings eine schwere Zumuthung. Athen konnte ja
ohne Rückeroberung des Seegebiets seine Flotte gar nicht unterhalten,
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OLIGAHCUISCHE UMTRIEBE.
771
also war der entscheidende Kampf nur aufgeschoben. Auch konnte
Athen durch Warten nichts gewinnen, während Sparta einen Waffen-
stillstand vortrefflich benutzen konnte, um seine Beziehungen zu Per-
sien vollständig zu ordnen und eine Macht zu rüsten, welcher Athen
schliesslich doch unterliegen musste. Die demokratische Kriegspar Lei
gab also die Entscheidung. Ihr Sprecher war Kleophon, derselbe,
welcher schon einmal die Annahme der Friedensvorschläge Spartas
vereitelt hatte (S. 745). Auf seinen Rath wurden sie jetzt von Neuem
verworfen. Man beschloss den Krieg bis zur endgültigen Entschei-
dung fort zu führen; denn aller Wechselfalle uogeachtet fühlten die
Athener sich doch noch als die geborenen Herrn der See198).
So war es der bewunderungswürdigen Schwungkraft der Bürger-
schaft gelungen, mit Aufbietung der letzten Hülfskräfte das Waffen-
glück von Neuem zu erzwingen. Was aber nicht gelang, das war die
Herstellung einer inneren Ordnung und festen Haltung des Staats,
ohne welche die glänzendsten Siege werthlos waren. Es war keine
Bürgerschaft mehr vorhanden, welche sich einmüthig der Siege freute;
ja es war eine Partei da, welcher jeder Sieg im höchsten Grade unwill-
kommen war, weil er die Kraft, welche noch im Volke vorhanden war,
so glänzend bezeugte und darum die Pläne zum Umstürze der bürger-
lichen Verfassung durchkreuzte. Das war die Partei der Oligarchien,
die einzige Partei, welche unablässig ihre dunklen Wege verfolgte ;
durch keine Niederlage entmuthigt, durch jeden Widerstand aufs Neue
gereizt, wurde sie bei jedem Schritte, den sie vorwärts ging, in der
Wahl ihrer Mittel gewissenloser. Für ihre Zwecke schien die Zer-
setzung der Bürgerschaft mit Fremden und Sklaven ein günstiges Er-
eigniss zu sein, weil dadurch ihre Fntriguen um so mehr Aussicht auf
Erfolg hatten. Auch war ihr nichts erwünschter, als dass um jene Zeit
das demokratische Verfassungswesen wieder in voller Blüthe stand, und
dass wieder Demagogen, wie Archedemos, Kleophon, Kleigenes u. A. in
den Burgerversammlungen das grofse Wort führten, Leute, die sämt-
lich ohne höhere Bildung waren, meistens fremden Ursprungs, und die
durch ihr rohes Benehmen dazu beitrugen, den anständigen Bürgern
die bestehende Verfassung der Stadt zu verleiden. Diese Leute waren
immer bei der Hand, wo es galt, die Feldherrn des Staats zu verfolgen,
und machten sich also ebenso wie früher, wissentlich oder unwissent-
lich, zu Bundesgenossen der Oligarchien.
Der Schlachtbericht, welchen die Feldherrn nach gemeinsamer
49*
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ANKLAGE HER FELDHERRN.
Uebereinkunft aufgesetzt hatten, meldete einfach, dass die Rettung der
Schiffbrüchigen durch das Unwetter verhindert worden sei; eine
frühere Wendung, in welcher Theramenes und Thrasybulos als die-
jenigen namhaft gemacht waren, welche den Auftrag zur Rettung er-
halten hätten, war auf Antrag des Perikles und Diomedon weggelassen
worden ; man wollte zur persönlichen Verdächtigung durchaus keine
Handhabe geben und in echter Collegialität Alles gemeinsam vertreten.
Das Volk aber war für den Tag, an welchem der Schlachtbericht zur
Vorlesung kommen sollte, auf das Wirksamste bearbeitet worden.
Anstatt denselben mit Dank gegen die Götter anzuhören, kam schon
bei Erwähnung der Schiffbrüchigen auf einmal eine wilde Leiden-
schaft zum Ausbruche. Man tobte gegen die pflichtvergessenen Feld-
herrn, und die Antwort, welche man ihnen auf den Bericht eines
Siegs, der die kühnsten Erwartungen überbot, ertheilte, war ihre
Amtsentsetzung. Man hielt es nicht einmal für nöthig, ihre Verthei-
digung abzuwarten. Alles wurde in aufgeregter Hast überstürzt. Die
Salaminia brachte den Beschluss nach Samos und zugleich die Er-
nennung der neuen Feldherrn, unter denen von den früheren nur
Konon seinen Platz behielt, weil er bei der Schlacht unbetheiligt ge-
wesen war.
Zwei der gewesenen Feldherrn erkannten an diesen Ergeb-
nissen den Stand der Dinge in Athen und zogen es vor, in frei-
willige Verbannung zu gehen. Einer war in Mytilene gestorben ; die
sechs Anderen, ihrer guten Sache gewiss, kehrten nach Athen zurück.
Erasinides war das erste Opfer. Er wurde von Archedemos, dem
damaligen Wortführer der Bürgerschaft, wegen linterschleif und
schlechter Amtsführung angeklagt und in Haft gebracht. Die Andern
erstalteten im Rathe mündlichen Bericht Nach Anhörung desselben
stellte der Rathsherr Timokrates den Antrag, dass die Feldherrn
wegen Verabsäumung der Rettung von Schiffbrüchigen der Bürger-
schaft gebunden zum Gericht übergeben werden sollten. Mit An-
nahme dieses Antrags erklärte der Rath die Sache für eine so wichtige
Staatsangelegenheit, dass sie unmittelbar vor das Volk gebracht wer-
den musste, und zwar erfolgte diese Ueberweisung unter den denkbar
härtesten Formen. Die Gefangennehmung sollte die Feldherrn ver-
hindern, ihr persönliches Ansehen bei ihren Mitbürgern geltend zu
machen ; die Bürgerschaft wurde durch das Aufserordentliche der ein-
leitenden Mafsregeln in Aufregung versetzt, und so war denen, welche
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DER FELDHERRNPROZESS (OCT. 408). 773
die eigentlichen Anstifter waren, ihr Spiel bedeutend erleichtert. Ihr
Wortführer war, von dem die Feldherrn am wenigsten einen Vorwurf
erwarten konnten, kein anderer als Theramenes.
Theramenes war durch den Sturz der Vierhundert ein Freiheits-
held geworden und stand bei den Bürgern eine Zeit lang in höchster
Gunst. Er hatte den Auftrag erhalten, die Brücke zu zerstören,
welche Euboia und Böotien im Rücken von Athen wie zu einer Land-
schaft verband. Dies war ihm nicht gelungen. Dann aber hatte er
auf den Inseln die allen Verfassungen hergestellt ; er hatte an dem
hellespontischen Kriege rühmlichen Antheil genommen und das Ge-
schwader bei Chrysopolis (S. 746) befehligt. Dabei fand er aber für
seinen Ehrgeiz keine Befriedigung. Anstatt die erste Rolle zu spielen,
fühlte er sich unbeachtet, und da ihm dies unerträglich war, ging der
wankelmüthige Mann, dem es auf keiner Seite Ernst war, von Neuem
zu der verfassungsfeindlichen Partei hinüber, indem er mit aller
Leidenschaftlichkeit darauf hinarbeitete, seiner Vaterstadt die ge-
wonnenen Vortheile wieder zu entreifsen ; denn er war klug genug,
um zu erkennen, dass die Bürgerschaft nur durch die gröfste Ver-
wirrung und die äufserste Kriegsnoth dahin gebracht werden könne,
«nut ihre Verfassung zu verzichten und die Partei der Oligarchen an
das Ruder zu lassen. Obgleich er nun bei dem vorliegenden Falle in
der Weise betheiligt war, dass, wenn irgend Einer am Tode der Schiff-
brüchigen Schuld hatte, er der Schuldige war, so war er dennoch ent-
schlossen, diese Gelegenheit für seine Parteizwecke auszubeuten und
den Feldherrn die rücksichtsvolle Milde, welche sie gegen ihn geübt
hatten, dadurch zu vergelten, dass er als ihr Ankläger auftrat und sie
für die Versäumniss der religiösen Pflichten verantwortlich machte.
Athen war seit Jahren ein Schauplatz der unwürdigsten Parteiränke;
dass aber Jemand auf diese Weise eine schlechte Sache zu seinem
Vortheile umzuwenden und die eigene Schuld Anderen zuzuschieben
wusste, das war ein unerhörtes Meisterstück selbstsüchtiger Intrigue,
deren Gelingen einen Begriff von den zerrütteten Zuständen der
Stadt giebt.
Das ganze Verfahren war offenbar wieder darauf berechnet, dass
der Theil der Bürgerschaft, in welchem noch Muth und Rechtsgefühl
vorhanden war, die ganze kampfrüstige Mannschaft, abwesend war und
nur eine Minderzahl, darunter viele schwache und alte Leute, die
Bürgerversammlung bildete. Es fehlte an Hütern des Rechts, und so
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774
DER FELI)HERR>'PROZESS (OCT. 406).
begann der ganze Prozess damit, dass den Angeklagten die Freiheit
der Verteidigung rechtswidrig beschränkt wurde, während doch noch
vor Kurzem jener Arislarchos (S. 733), welcher offenkundig eine
attische Gränzfestung an die Feinde verrathen hatte, nachdem er den
Athenern in die Hände gerathen war, eine unumschränkte Zeit zu
seiner Verteidigung erhalten hatte. Den Feldherrn aber, welche an
einem Tage Athen das Meer zurückerobert hatten, erlaubte man nur,
kurz den Thalbestand zu erzählen, als wenn das Staatsheil davon ab-
hinge, dass der peinliche Prozess lieber heute als morgen zu Ende ge-
führt werde. Aber gerade die kurze Darstellung, von jedem Schmucke
entblöfst, getragen von der edlen Persönlichkeit unbescholtener Männer,
zeugte unwidersprechlich für ihre Unschuld , und da die Bürgerschaft
nun darüber zu entscheiden hatte, ob die vom Rathe an sie gebrachte
Klage anzunehmen sei, so zeigte sich jetzt die Mehrzahl zur Ablehnung
bereit. Die Abstimmung sollte beginnen, [und das Ergebnis» schien
nicht zweifelhaft. Es blieb also den zum Untergang der Feldheim
Verschworenen kein anderes Mittel, als durch einen raschen Streich
die Vertagung des Prozesses durchzusetzen; die Dämmerung hiefs es,
sei schon eingetreten, und dadurch würde das Zählen der Hände bei
der Abstimmung unsicher. Dazu war es aber noch hell genug, um
durch schleunige Abstimmung den Beschluss durchzusetzen, dass der
Rath auf dem nächsten Bürgertag einen Antrag darüber einbringen
solle, nach welchem Gesetze die Angeklagten gerichtet werden sollten.
Das war ein ordnungswidriges Zusammenziehen ganz verschiedener
Akte des Gerichtsverfahrens, da die Annahme der Klage von Seiten
der Bürgerschaft noch gar nicht entschieden war. Gleichzeitig wurde
den attischen Grundrechten zuwider die Stellung von Bürgen für die
Verhafteten abgelehnt. So wussten die Verschwornen ihre Nieder-
lage in Vortheile umzukehren.
Um nun die gewonnene Frist erfolgreich zu benutzen, kam ihnen
der Umstand zu Gute, dass gerade in diese Tage des Pyanopsion (Oo
tober) das Fest der Apaturien fiel, das attische Familienfest, wo alle
diejenigen, welche zu einem Geschlechtsverbande gehörten, sich zu
gemeinsamen Opfern vereinigten (I, 374) und wo also alle Gefühle der
Blutsverwandtschaft in der ganzen Stadt lebhaft angeregt waren. Da
hatte Theramenes erwünschte Gelegenheit, Bürger und Bürgerfrauen
gegen die Feldherrn aufzuregen, und obgleich sich gar nicht bestimmen
liefe, wie viele von den Vermissten im Kampfe gefallen wären und wie
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DER FELDHERRNPROZESS (OCT. 4M).
775
viele etwa durch ein nachträgliches Durchsuchen des Schlachtfeldes
noch hätten gerettet werden können, so hiefs es nun doch, die Feld-
herrn seien Schuld daran, dass am Apaturienfeste diesmal Alles in
schwarzen Gewändern und mit geschorenem Haupte erscheine; an
ihnen müsse Blutrache genommen werden, da sie die heiligste Feld-
herrnpflicht gewissenlos verabsäumt hätten. So wurde durch schänd-
lichen Missbrauch der menschlichen Gefühle ein neuer Sturm von
Leidenschaft heraufbeschworen, und wie diese auf ihrer Höhe war, be-
gann die zweite Bürgerversammlung.
Sie wurde durch ein Rathsdekret eröffnet, welches Kallixenos ab-
gefasst hatte, ein Mann, der seinen Namen dadurch gebrandmarkt hat,
dass er sich wider Ehre und Gewissen zum Werkzeuge der verrätheri-
schen Partei hat machen lassen. In diesem Dekrete war von einer er-
neuten ruhigen Erwägung des Thathestandes keine Rede mehr; Anklage
und Vertheidigung erschienen wie abgelhan ; Einer sollte wie der An-
dere (kurzweg abgeurteilt werden. Das ganze Verfahren war aber in
einer durchaus ungewöhnlichen Form angeordnet. Es sollte nämUch
die ganze Bürgerschaft, nach Phylen geordnet, zusammentreten, wie es
bei Aufnahme oder Ausweisung eines Bürgers Herkommen war. Es
wurden also auf dem Markt von Athen zehn Abiheilungen gemacht,
und in jeder derselben sollten zwei Urnen aufgestellt werden, an denen
die Abstimmenden einzeln vorübergingen. Ein Herold sollte in jeder
der Abtheilungen verkünden, diejenigen, welche der Meinung seien,
dass die Feldherrn durch Verabsäumung der Schiffbrüchigen gefrevelt
hätten, sollten in die vordere Urne abstimmen, die andern in die
hintere.
Dies ganze Verfahren kann keinen andern Zweck gehabt haben,
als Einschüchterung der Bürger. Denn da die Urnen, wie wir voraus-
setzen müssen, frei aufgestellt waren, und mit einem Stein abgestimmt
wurde, so konnte jede Abstimmung controlirt werden. Wer also an
der ersten vorbeiging ohne seinen Stein einzulegen, wurde sofort als
ein Bürger erkannt, von dem man sagen konnte, dass er gegen die Ver-
letzung der heiligsten Pflichten gleichgültig sei, und setzte sich von
Seiten des fanatisirten Haufens persönlichen Gefahren aus. Denn man
ruhte nicht Alles anzuwenden, was die Gemüther erhitzen konnte.
Wurde doch zuletzt noch Einer vorgeführt, der sich in einer Kornmulde
aus der Seeschlacht gerettet haben wollte. Er schilderte den jammer-
vollen Untergang seiner Kameraden, welche ihm, im Falle, dass er die
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EURYPTOLEMOS* GEGENANTRAG
Heimath nieder sähe, den Auftrag ertheilt hätten, Alles zu thun, damit
die Feldherrn für ihre Gottlosigkeit zur Strafe gezogen würden.
Aber auch das Recht fand seine Vertreter, und es fehlte nicht an
Männern, welche zum Schutze desselben die Waffe anwendeten, deren
Gebrauch, wenn je, so jetzt an seiner Stelle war, nämlich die Klage
wegen Gesetzwidrigkeit. Sie wurde von Euryptolemos, dem Sohne des
Peisianax, gegen Kallixenos eingebracht; und wenn die ehrwürdigsten
Rechtsordnungen nicht gebrochen werden sollten, so musste diese
Zwischenklage erst in einer besonderen Gerichtsverhandlung erledigt
werden, ehe dem Rathsautrage weitere Folge gegeben werden konnte.
Die Wirkung war aber keine andere, als dass das Volk über die Störung
entrüstet war und gegen diejenigen tobte, welche es hindern wollten
seinen Willen zu haben. Ja, ein gewisser Lykiskos durfte den Antrag
stellen, dass man jeden Einredenden, als einen Mitschuldigen, gleich
mitrichten solle, und den Prytanen, d. h. den Mitgliedern derjenigen
Rathssektion, welche zur Zeit die Geschäflsleitung hatte, wurde zuge-
muthet, über die Gegenklage zur Tagesordnung überzugehen und die
Bürgerschaft abstimmen zu lassen. Die Prytanen, welche für jeden
Verfassungsbruch persönlich verantwortlich waren, sträubten sich; sie
wurden aber durch die wilden Drohungen des Kallixenos, der gegen sie
dasselbe vorbrachte, was Lykiskos gegen Euryptolemos beantragt hatte,
eingeschüchtert und gaben nach, alle bis auf einen Mann, welcher
unter den Prytanen für den Tag der Versammlung durch das Loos
den Vorsitz hatte; das war Sokrates, des Sophroniskos' Sohn, welcher
standhaft erklärte, dass er sich durch keine Gewalt bestimmen lasse,
gegen die Gesetze der Stadt zu handelu.
Inzwischen hatte Euryptolemos mit seinen Genossen einen andern
Weg gefunden, auf dem er sicherer zum Ziele zu kommen hoffte Er
zog die Klage wegen Gesetzwidrigkeit zurück und stellte nun dem Se-
natsdekrete des Kallixenos einen Gegenantrag gegenüber, für welchen
er von dem Vorsitzenden das Wort erhielt. Dadurch verschaffte er sich
Gelegenheit, zur Verlheidigung der Angeklagten zu reden und eine Reihe
einzelner Umstände in das Gedächtniss zu rufen, ohne sich dem des-
potischen Willen der Menge schroff entgegenzustellen.
Mit grofser Klugheit verlangte er, dass nach den strengsten Ge-
setzen, welche über Vergeh ungen gegen die Bürgerschaft bestehen, nach
dem Gesetze des Kannonos und nach dem über Tempelschänder und
Landesverräther vorgegangen werden solle; aber es solle, wie es der
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E.NDE DES FEL l) HERR NPROZESS ES (406 OCT.)-
777
schuldigste Verbrecher beanspruchen dürfe, über jede Person eine be-
sondere Untersuchung angestellt werden.
'Das Verhalten der Feldherrn', sagteer, 'ist in der Schlacht ein sehr
'verschiedenartiges gewesen. Einer von ihnen, Lysias (der an Stelle
'des gefallenen Arcbestratos nachgewählt worden war), hat ja selbst zu
'denen gehört, welche eine Zeillang hülfsbedürftig auf einein Wrack
'herumgeschwommen sind; wie kann derselbe in gleicher Weise mit
'den Uebrigen behandelt werden? Wer von den Schiffbrüchigen ge-
'rettet ist, bezeugt den Feldherrn, dass sie weise und pflichlgemäfs ihre
'Anordnungen getroffen haben. Haben dieselben ihren Zweck nicht er-
reicht, so geziemt es sich, dafür diejenigen verantwortlich zu machen,
'welchen die Ausführung der Befehle anvertraut war, wenn man nicht
'für Alle das Sturm weiter als hinlänglichen Entschuldigungsgrund gelten
'lassen will. Für die Schuldigen verlange ich keine Gnade, aber wie
'könnt ihr das, worauf selbst der überführte Landesverrälher Anspruch
'hat, rechtliches Verhör und ordnungsmäfsiges Verfahren, bei einer so
'schwierigen Rechtsfrage denen vorenthalten, welche siebzig Schiffe
'eurer Feinde vernichtet und euren Staat geradezu gerettet haben?
'Wenn ihr also nicht den La kedä moniern in die Hände arbeiten, eure
'Stadt entehren und euer Gewissen belasten wollt, so gebt den Feld-
'herrn ihr volles Recht; bestimmt einen Tag und lasst an demselben
'ordnungsmäfsig erst über die Annahme der Klage abstimmen, dann
'die Klage selbst vorbringen uud endlich jeden Einzelnen seine Sache
führen !'
Ueber diesen Gegenantrag kam es nun wirklich zur Abstimmung
und dieselbe nahm schon eine günstige Wendung. Da erfolgte ein
neuer verabredeter Zwischenfall. Es wird plötzlich durch die Ein-
sprache eines gewissen Menekles Aufschub erwirkt; es war vielleicht
die Anmeldung eines ungünstigen Himmelszeichens, wodurch ja in
Athen jeder einzelne Bürger berechtigt war, öffentliche Verhandlungen
zu unterbrechen; die erlangte Frist wird von den Versen wornen
wieder zur Aufreizung und Einschüchterung der Bürger benutzt, und
der Eindruck der letzten Rede verwischt sich. Als daher die Abstim-
mung wieder aufgenommen wird, fällt der Gegenantrag; der Antrag
des Raths geht durch, das Todesurteil wird gefallt, und die Feld-
herrn werden den Elfmännern zur Hinrichtung übergeben.
So starb der Sohn des Perikles und der Aspasia, dem sein Vater
mit dein attischen Bürgerrechte ein verhängnissvolles Geschenk ge-
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POLITISCHE PARTEIEN IM FELDHERRNPROZESS.
macht hatte (S. 414); und mit ihm Erasinides, Thrasylos, Lysias,
Aristokrates und Diomedon. Diomedon, der schuldloseste von allen,
welcher die ganze Flotte sofort zur Aufsuchung der Schiffbrüchigen
hatte verwendet wissen wollen, sprach noch einmal zum Volke: er
wünschte, dass der Beschluss dem Staate 'zum Heile gereiche, und
forderte seine Mitbürger auf, den rettenden Göttern die Dankopfer
darzubringen, welche sie, die Feldherrn, für den gewonnenen Sieg
gelobt hätten. Diese Worte mögen Manchen in's Herz gegangen sein;
sie hatten aber keine andere Wirkung, als dass durch sie das An-
denken der Märtyrer den späteren Geschlechtern um so ehrwürdiger
geworden ist. Für ihre Unschuld zeugt besser, als alles Andere, die
Reihe von Ränken und Gewaltthaten, deren es bedurfte, um sie zu
verderben, so wie die Scham und Reue, welche die Bürgerschaft
ergriff, nachdem sie erkannt hatte, wie sehr sie durch eine ver-
rälherische Partei irre geleitet worden sei199).
Das traurige Nachspiel des Arginusensiegs bleibt in vielen Punkten
ein Räthsel, da es sich um Umtriebe handelt, deren Urheber und
Motive versteckt sind. Es ist aber nicht möglich, Theramenes' Vor-
gehen gegen die Feldherrn nur aus der Absicht zu erklären, seine
Person vor einem Prozesse retten zu wollen, um so weniger, da eine
wirkliche Gefahr für ihn gar nicht nachzuweisen ist. Es kann nur eine
Parteimacht gewesen sein, welche die Bürger umstrickte, und wir
können in ihr nur die der Oligarchen erkennen. Sie waren, weil sie
die Minorität bildeten, immer auf Schleichwege angewiesen und darin
Meisler. Sie hatten ihre Werkzeuge in Rath und Bürgerschaft. Vom
Antrage des Timokrates an war Alles abgekartet, jeder Fall vorgesehen,
alle Mittel vorbereitet von schmeichelnder Ueberredung bis zum gröb-
sten Terrorismus gegen alle besonnenen und verfassungstreuen Bürger,
welche es für ihre Pflicht hielten, eine zu ruhiger Erwägung unfähige,
leidenschaftlich erregte Volksmenge vor blutiger Entscheidung über
das Leben hochverdienter Athener zurückzuhalten. Charakteristisch
ist für die Oligarchen die Benutzung solcher Zeiten, wo das Heer von
Athen abwesend ist, die Ausbeutung religiöser Motive zu politischen
Zwecken und die Verbindung mit der Priesterschaft; ferner die Arg-
list in Anwendung von Rechtsnormen, welche den Parteizwecken an-
bequemt werden, ohne dass man genau angeben kann, wo die Rechts-
verletzung beginnt. Wenn die von ihnen verachtete Menge sich durch
methodische Aufhetzung allmählich so erhitzen und verblenden lässt,
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DER FORTGANG DES KRIEGS.
779
dass sie als willenloses Werkzeug dazu dient, die Demokratie zu ent-
ehren und dem Staate die Früchte der glorreichsten Siege zu rauben,
so war der Anschlag der oligarchischen Partei gelungen, welcher jeder
Triumph der Demokratie ein Aergerniss war.
Auch in Beziehung auf die auswärtigen Verhältnisse blieb der
Sieg bei den Arginusen unbenutzt; es wurde nichts erreicht, als die
Befreiung von Lesbos, obgleich Sparta augenblicklich ganz ohnmächtig
war. Kyros hatte seine für die Peloponnesier bestimmten Gelder aus-
gegeben und kümmerte sich nicht um die geschlagene Flotte; den
Spartanern war der Muth gebrochen. Eteonikos lag mit seinen Schiffen,
gänzlich verlassen und von allen Mitteln enlblöfst, bei Chios, wo seine
Krieger sich als Tagelöhner auf den Aeckern der Insulaner kümmerlich
ihren Lebensunterhalt verdienten und beim Herannahen des Winters
in die bitterste Noth geriethen, so dass sie die Stadt der Chier zu
überfallen beschlossen, um sich Kleidung und Lebensmittel zu ver-
schaffen; ein Plan, der nur durch die Geistesgegenwart des Eteonikos
verhindert wurde. Während aber die attische Flotte von 180 Trieren
unlhätig in Samos lag, entwickelte sich im feindlichen Lager eine
grofse und erfolgreiche Betriebsamkeit, welche keinen anderen Zweck
hatte, als den Athenern, die sich selbst ihrer tüchtigsten Feldherrn
beraubt hatten, von Neuem den Mann gegenüber zu stellen, von
welchem allein eine Beendigung des Kriegs erwartet werden konnte200).
Lysandros hatte es so eingerichtet, dass er während seines Auf-
enthalts in Kleinasien bei einer Menge von einflussreichen Leuten
ehrgeizige Hoffnungen erweckt hatte, deren Erfüllung von seiner Person
abhing. In Ephesos kamen daher Abgeordnete aller ionischen Städte
zusammen, unter denen namentlich die Chier und Ephesier das Wort
führten. Die Ersteren waren bei dem jetzigen Stande der Dinge am
meisten bedroht; sie hatten nur durch neue Geldopfer eine Brand-
schatzung von Seiten ihrer eigenen Bundesgenossen abwenden können.
Den Handelsleuten in Ephesos lag Alles daran, dass endlich Friede
würde und der gewinnreiche Verkehr mit Sardes, das als Sitz eines
Vicekönigs eine neue Bedeutung erhallen hatte, ihnen ungestört zu
Gute komme. Die Städte setzten sich also mit Kyros in Verbindung
und schickten mit ihm gemeinschaftlich eine Gesandlschaft nach
Sparta, um bei den dortigen Behörden mit allem Nachdrucke darauf
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7S0
LYSANDROS HERR DES MEERS (405 FRÜHJAHR).
zu dringen, dass Lysandros Ton Neuem als Flottenführer nach lonien
gesendet werde. Die Gewährung dieses Anliegens hatte einige Schwie-
rigkeit, denn ein Staatsgesetz bestimmte ausdrücklich, dass Keiner
zum zweiten Male jenes Amt bekleiden dürfe. Allein da die Friedens-
partei nach Abweisung der letzten Friedensvorschläge machtlos war
und die Mittel zur Fortsetzung des Kriegs nur von aufsen kommen
konnten, da die zehn Abgeordneten des Kyros reichliche Soldzahlungen
in Aussicht stellten, und die Partei des Lysandros die Anträge kräftig
unterstützte: so wurde nach kurzem Parteikampfe ein Weg ausfindig
gemacht, um das Gesetz zu umgehen. Die Ephoren setzten es durch,
dass dem im Herbst 406 zum Epistoleus d. h. zum stellvertretenden
Befehlshaber erwählten Lysandros an Stelle des Eteonikos das Com-
mando der Seemacht übergeben wurde. Der Admiral Arakos blieb in
Sparta zurück, und Lysandros war unumschränkter Herr der Lage*01).
Mit dem Anfang des Jahres 405 nahm nun der ganze Krieg eine
neue Wendung. Lysandros war wieder in Ephesos, inmitten aller jener
Verbindungen, welche er vor zwei Jahren angeknüpft hatte; alle
Parteigänger, welche von ihm allein die Belohnung ihrer Dienste und
die Befriedigung ihres Ehrgeizes zu erwarten hatten, schaarten sich
um ihn, um die Gunst der Umstände, deren Dauer Niemand verbürgen
konnte, so rasch wie möglich zu benutzen. Eben so spannte Lysandros
alle Kräfte an, um sein begonnenes Werk zu vollenden ; er sah sich
jetzt zu Hause und bei den Bundesgenossen als den Unentbehrlichen
anerkannt; das Schicksal Griechenlands war in seine Hände gelegt.
Da er bei Kyros die eifrigste Unterstützung fand, so hatte er die Hände
voll Geld. Alle Rückstände an Sold wurden ausgezahlt, die alten
Truppen neu gerüstet, frisches Kriegsvolk strömte herbei, die zer-
streuten Geschwader wurden zusammengezogen und die Werften bei
Antandros (S. 760) wieder in volle Thätigkeit gesetzt. Die bedenk-
lichen Nachrichten, welche über den Gesundheitszustand des Grofs-
königs in Sardes einliefen, kamen ebenfalls dem Lysandros zu Gute;
denn sie bestimmten Kyros, sich den lakedämonischen Feldherrn so
eng als möglich zu verpflichten, um für den Fall des Thronwechsels
unbedingt auf ihn zählen zu können. Er beschied ihn also nach Sardes
(um den Februar), erneuerte seine Versprechungen, verhiefs die phö-
nikische Flotte herbeizuziehen, machte ihn während seiner Reise nach
Medien zu seinem Stellvertreter und übergab ihm seinen Schatz und
seine Einkünfte. Noch vor Ende des Winters kehrte Lysandros an
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DIE FLOTTEN IM HELLESPOINT.
781
die Küste zurück und schaltete in den Städten Ioniens so, dass seine
Freunde und seine Feinde erkennen konnten, was sie von ihm zu er-
warten hätten.
Das deutlichste Beispiel seiner Politik erlebte Miletos. Hier hatte
sich während der Zeit seiner Entfernung vom Oberbefehl die oligarchi-
sche Partei, welche durch ihn an das Ruder zu kommen hoffte, mit
ihren Gegnern verlragen, und dem Scheine nach bezeugte Lysandros
über diese friedliche Vereinbarung volle Zufriedenheit. Unter der Hand
aber machte er seinen Parteigenossen die bittersten Vorwürfe und
reizte sie auf alle Weise zu einem Gewaltstreiche. Dann kam er selbst,
als er die Vorbereitungen getroffen wusste, um die Zeit der Dionysien
nach Milet, bedrohte auch jetzt auf's Strengste alle Unruhstifter, um
die verfassungstreuen Bürger sicher zu machen, und erreichte es durch
solche Arglist, dass der Umsturz der Demokratie rasch und vollständig
gelang, und zwar in einer so gründlichen Weise, dass in einem furcht-
baren Blutbade die demokratische Partei so gut wie völlig ausgerottet
wurde; was sich retten konnte, flüchtete zum Pharnabazos, welcher
sich der Unglücklichen grofsmülhig annahm80*).
Nach vollendeten Rüstungen war nun Lysandros im Frühjahr
schlagfertig und eines nahen Siegs gewiss. Diesmal brauchte er sich
vor keinem gefährlichen Gegner ängstlich zurückzuhalten; denn er
wusste, wie es mit der feindlichen Flotte stehe, er hatte unter ihren
Führern seine Mitverschworenen ; er konnte sich also kühn als Herrn
der See zeigen, ohne der Weisung des Kyros untreu zu werden,
welcher ihn dringend von jedem gewagten Unternehmen abgemahnt
hatte. Er durchkreuzte das ganze Meer, machte Landungen in
Aigina und Atüka, wo er mit König Agis eine Zusammenkunft hatte,
und ging dann rasch nach dem Hellespont, wo sich das Schicksal
Athens entscheiden sollte. Er griff Lampsakos an, das eine attische
Besatzung hatte, und die reiche Stadt fiel mit allen Vorräthen in seine
Hände, ehe die attische Flotte zum Schutze herankommen konnte.
Die Athener lagerten sich Lampsakos gegenüber, in einer offenen
Bucht, in welche der Ziegen Aus s (Aigospotamoi) mündete, 15 Stadien
von Sestos. Der Lagerplatz war der Art, dass seine Wahl nur den
Zweck haben konnte, Lysandros aus seinem bequemen Hafen zum An-
griffe herbeizulocken; zu einem längeren Verweilen konnte kein Platz
ungünstiger sein; denn es war keinerlei Schutz vorhanden und keine
Stadt in der Nähe, von wo sich die Truppen versorgen konnten, so
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782
DIE ATTISCHE FLOTTE BEI AIGOSI'üTAMOI.
dass sie täglich eine Vierlelmeile über Land gehen mussten, um sich
die nöthigen Lebensmittel zu verschaffen. Nichts desto weniger blieb
die Flotte, und zwar in einem Zustande, der auch unter den günstig-
sten Verhältnissen jeden kriegerischen Erfolg hätte lähmen müssen.
Denn einer wohlgeschulten[und woh Ige pflegten Kriegsmacht gegenüber,
die der Wille eines eben so klugen wie unternehmenden Feldherrn
unbedingt lenkte, war sie, die letzte Flotte, welche Athen aufzubringen
vermochte, wie Athen selbst, in sich uneins und von Parteien zer-
risseu; die buntgemischte Mannschaft ohne Mannszucht, ohne Zu-
sammenhang und sittliche Haltung, von sechs Feldherrn befehligt, die
ganz verschiedene Zwecke verfolgten. Oberfeldherr war der wackere
Konon, welcher persönlich die volle Befähigung so wie den ernsten
Willen hatte, die Ehre der attischen Waffen aufrecht zu erhalten; aber
er hatte nur einen kleinen Theil der Mannschaft, den Kern der Bürger,
auf den er sich verlassen konnte, und seine Thäligkeit war gelähmt
durch seine Amtsgenossen, welche durch Ungeschick oder durch ver-
rätherische Gesinnung dem Feinde in die Hände arbeiteten. Zu diesen
Letzteren gehörte Adeimantos, des Leukolophides Sohn (S. 762), wel-
chen Konon später offen des Venraths anschuldigen konnte. Er war
einer der Oligarchen, welche nicht wollten, dass Athen siegte, und
die beiden Feldherrn Menandros und Tydeus gehörten wahrscheinlich
derselben Partei an, welche auch sonst im Heere ihren Anhang hatte,
während Philokles ein unbesonnener Polterer war, welcher die Gefahr
gar nicht erkannte und den Feind geringschätzte. Mit solchen Amts-
genossen vereint, musste Konon die Widerstandsfähigkeit der Flotte
von Tag zu Tag schwinden sehen; er war in einer verzweillungsvollen
Lage; wer sehen wollte, sah das Unglück herankommen.
Da zeigte sich noch eine letzte Hoffnung. ;Alkibiades bot sich
noch einmal als Retter an. Er hatte nicht unlhätig im Chersonnes
gesessen, sondern, wie es seiner Natur Bedürfiiiss war, zu einer glän-
zenden Wirksamkeit auch hier Gelegenheit gesucht und gefunden. Er
stand wieder mit thrakischen Völkern in Verbindung (S. 748); ihre
Könige suchten die Freundschaft des Flüchtlings, der sich durch die
Ueberlegenheit seiner Persönlichkeit eine nicht unbedeutende Macht,
eine fürstliche Stellung und ansehnliche Schätze erworben hatte. In-
dem er die wilden Stämme der Barbaren befehdete und züchtigte, war
er ein Wohllhäter der griechischen Küstenstädte geworden. Nun kam
er von seinen nahen Besitzungen herbei und bot den Athenern Rath
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SCHLACHT BEI AIGOSPOTAMOI (»3, 4; 405 AUG.).
7S3
und Hülfe an. Vor Allem beschwor er die Feldherrn, sie sollten doch
um das Vorgebirge herum nach Sestos gehen, wo sie Schutz und nahe
Hülfsquellen fänden; die tägliche Zerstreuung des Seevolks gefährde
die ganze Flotte. Er verhiefs ihnen den Beistand des Königs Seulhes
und des Odrysenhäuptlings Mandokos, bei denen er Theilnahme für
Athen erweckt halte. Es war die erste Bundesgenossenschaft, die sich
der verlassenen Stadt wieder darbot, eine Bundesgenossenschaft, welche
wegen der Wichtigkeit des Hellesponts für Athens Seemacht eine
aufserordentliche Bedeutung gehabt hätte. Er machte sich endlich
anheischig, Lysandros zu einer Schlacht zu zwingeu, wenn man ihm
den Oberbefehl übergäbe. Durch solche Aussichten hoffte er einen
ähnlichen Umschwung zu erwecken, wie es ihm früher im samischen
Heere gelungen war; er hielt es für möglich, auf diese Weise noch
einmal als Sieger in seine Vaterstadt heimkehren zu können. Aber
die Feldherrn wiesen trotzig die Hand zurück, welche allein im Stande
gewesen wäre, Athen vom Hände des Verderbens zu retten, und das
Verhängniss vollzog sich, wie Lysandros wollte'03).
Nachdem die Athener in vier auf einander folgenden Tagen ver-
geblich auf die flöhe der See gefahren waren, um dem Feinde eine
Schlacht anzubieten, und nach jeder Rückkehr die Schiffsmannschaft
sich sorgloser auf dem Lande zerstreut hatte, wurde am fünften Tage
im feindlichen Lager der Befehl gegeben, dass die ganze Flotte schlag-
fertig sein und insgesamt den Angriff eröffnen solle, so wie von den
zur Beobachtung vorgeschickten Schiffen in der Milte des Sundes das
Zeichen gegeben sei, dass das attische Seevolk sich wieder auf das
Land begeben habe. Alles wurde mit der gröfsten Genauigkeit aus-
geführt. Die Peloponnesier stürzten sich, nachdem sie das Geschwader
des Philokles geworfen hallen, unvermulhet auf die feindlichen Schifle,
während zugleich Landlruppen übergesetzt wurden, um die attischen
Verschanzungen im Rücken anzufallen. Zu einer Seeschlacht kam es
gar nicht, da die bemannten Schiffe so rasch in die Enge getrieben
wurden, dass sie sich nicht bewegen konnten, die Mehrzahl aber leer
oder ganz unvollständig bemannt war. Es war der vollständigste Sieg,
welcher ohne Blutvergiefsen und ohne einen Verlust auf Seiten des
Siegers gewonnen wurde. Konon allein gelang es mit seinen acht
Schiffen und der Paralos das offene Meer zu gewinnen. Aufserdem
entkam das Schiff des Nausimachos aus Phaleros und zwei andere ver-
einzelte Trieren, die übrigen fielen sämtlich dem Sieger in die Hände.
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784 VERURTEILUNG DER GEFANGENEN (W. 4; 406 SOMMER).
Er entsendete den Milesier Theopompos nach Sparta, der auf seinem
Schnellrudrer am dritten Tage die Siegesbotschaft überbrachte204).
Von der Mannschaft hatte sich ein Theü nach Sestos gerettet.
Die Masse der Gefangenen, über 3000, wurde nach' Lampsa kos über-
geschifft, und hier ein Kriegsgericht gehalten, zu welchem Lysandros
die anwesenden Bundesgenossen zusammenrief. Er erreichte dadurch,
dass aller Hass, der bei den loniern, Böotiern, Megareern u. s. w.
gegen Athen vorhanden war, noch einmal zum vollen Ausdrucke kam,
und dass er sich den Anschein geben konnte, im Namen und Auftrage
des Hellenen volks das Rächeramt an Athen zu vollziehen für Alles,
was es an Hellas gefrevelt habe. Die Spartaner liebten es ihre grau-
samsten Handlungen mit leeren Rechtsformen zu umhüllen. Sie
hörten also, wie einst gegen die Plaläer, so jetzt gegen die wehrlosen
Athener wohlgefällig die mafslosesten Beschuldigungen an; die
Chronik des Vergangenen genügte nicht. Um die Wuth zu steigern
wurde gemeldet, dass die Athener in formlichem Kriegsrath be-
schlossen hätten, im Falle, dass sie siegten, allen Gefangenen die
rechte Hand abhauen zu lassen. So wurde die ganze Flottenmann-
schalt zum Tode verurteilt.
Philokles wies das besondere Verhör, das mit ihm angestellt
werden sollte, unwillig ab und ging, nachdem er gebadet und ein
glänzendes Kleid angelegt hatte, den Seinen muthig in den Tod voran,
im Sterben sühnend, was er durch Ungeschick und falsches Selbst-
vertrauen versehen hatte. Adeimantos war der Einzige, der für seine
dem Feinde geleisteten Dienste das Leben erhielt. Was aber von
allem Schrecklichen, das damals am Hellespont geschah, das Gefühl
am meisten empörte, war der Umstand, dass Lysandros den Ge-
tödteten nicht einmal ein ehrliches Begräbniss gönnte ; das war eine
Rohheit, wie sie selbst im Kriege zwischen Griechen und Barbaren
noch niemals vorgekommen war*06).
In Athen selbst war nach dem Feldherrnprozesse eine schwüle
Stille eingetreten. Erschöpft von der ungeheuren Anstrengung, welche
die Ausrüstung der letzten Flotte gekostet hatte, verlassen von dem
ganzen kräftigeren Theile der Bevölkerung, konnte die Stadt nichts
thun, als angstvoll auf den Fortgang der Begebenheiten warten, welche
bald über ihr Schicksal entscheiden mussten.
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ME 7USTANDE IIS ATHEN.
7S5
Die Nachrichten, welche vom Kriegsschauplätze einliefen, waren
nicht dazu gemacht, den Muth zu heben. lonien, dessen Wieder-
eroberung die nächste Aufgabe sein musste, wurde fester als je an
Sparta gekettet, und die gefährlichsten Feinde traten, eng verbunden,
um dieselbe Zeit gegen die Athener auf, da diese ihre besten Feld-
herrn in die Verbannung geschickt oder getödtet hallen. Im Innern
der Stadt war keine Sicherheit noch Ruhe; es fehlte jede Zuversicht,
es fehlte der Muth eines guten Gewissens. Was half es, dass man
sich nun klar wurde Ober das schändliche Spiel der Oligarchien, dass
man seiner Erbitterung gegen Kallixenos Luft machte und ihn nebst
vier Anderen zu peinlicher Untersuchung festnehmen liefs? Die
Oligarchien wusslen sich doch zu schützen, und auch Theramenes kam
glücklich durch, wenn er auch bei seiner Bewerbung um eine der
Feldherrnstellen durchfiel. Im Rathe war noch immer die oligar-
chische Partei herrschend. Die Bürger wussten nicht, an wen sie
sich halten sollten. Sie hatten zu ihren Demagogen Kleophon, Arche-
demos und Genossen kein Vertrauen und ebenso wenig zu den Männern
entgegengesetzter Farbe, deren Schlechtigkeit offenkundig war. Man
hasste die Einen, verachtete die Anderen, und fiel doch abwechselnd
den Einen oder den Anderen anheim.
Man versuchte wohl, durch allerlei Marsregeln am Staate zu
bessern, um wieder festen Boden unter den Füfsen zu gewinnen und
den quälendsten Uebelständen abzuhelfen. Das ganze Staatswesen war
durch die wiederholten Unterbrechungen des öffentlichen Rechtszu-
standes aus den Fugen gekommen ; man wussle in Athen gar nicht
mehr, was Rechtens sei. Darum war es schon mehrfach in der Bür-
gerschaft zur Sprache gekommen, dass es zeilgemäfs sein möchte, das
ganze Aggregat von Gesetzen, auf welchen seit Solon das attische
Recht beruhte, von Neuem durchzusehen, das Veraltete zu beseitigen
und die Widersprüche auszugleichen. Nach dem Sturze der Vierhun-
dert war die Ausführung beschlossen und ein gewisser Nikomachos
zum Vorsitzenden einer Commission gemacht worden, welche ihre
Arbeiten rasch erledigen sollte (S. 733). Er war einer von den Leuten
niedriger Herkunft, welche durch Geschäflsgewandtheit zu dergleichen
Arbeilen geeignet schienen, einer von dem Schreibervolke, das in dem
damaligen Athen sehr zahlreich und einflussreich war, ein Mann,
welcher den Auftrag nur zu seinem Vortheile auszubeuten suchte und
jeder Bestechung zugänglich war. Einem solchen Menschen waren
Curiius, Ur. Gesch. II. 6. Aufl. 50
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786
IHK GEISTIGE VERARMIM; ATUE.NS
Solons Gesetztafeln zur Revision ubergeben, und die dafür bewilligten
Taggelder waren Grund genug für ihn, sein Geschäft nicht zu über-
eilen. Es wurde von einem Jahre in das andere verschleppt und die
Gelegenheit benutzt, um mit frevelhafter Willkür Gesetze aufzu-
nehmen und zu tilgen; die streitenden Parteien bestellten sich wohl
gar in dem Geselzbüreau des Freigelassenen, was sie für einen schwe-
benden Prozess als Rechtsnorm sich wünschten. Vorzugsweise wurde
dies Unwesen von den Oligarchen ausgebeutet, welche seil dem
Hermenprozesse unausgesetzt darauf hingearbeitet hatten, jede Sicher-
heit des Rechtsgefühls zu erschüttern und dadurch die hergebrachte
Verfassung immer mehr in Misskredit zu bringen*06).
Unter solchen Umständen mussten alle Versuche, dem Staate
durch Gesetzgebung wieder aufzuhelfen, misslingen. Es war über-
haupt keine Zeit zum Ordnen und Schaffen. Das geistige Leben war
erlahmt. Die grofsen Zeitgenossen des Perikles waren gestorben; als
einer der Letzten Sophokles in demselben Jahre, in welchem die
Athener ihren letzten Sieg erfochten. Er hat Leid und Freude treulich
mit den Seinen gelheilt und keiner noch so lockenden Einladung
in das Ausland folgen wollen. Viele Andere dagegen, welche durch
Talent und Kunst sich auswärts Anerkennung zu verschaffen wussten,
hatten längst die Vaterstadt verlassen, deren Zustände sie mit Wider-
willen erfüllten. Man war übersättigt von der Bildung und Verbildung
der Athener, denen ihre besten Güter durch die Sophistik abhanden
gekommen waren; man sah in idealem Liebte die freien Natur-
völker des Nordens, welche in einfachen, gesunden Lebensverhältnissen
die Frömmigkeit des alten Geschlechts und die Ueberlieferungen alter
Weisheit, wie die des thrakischen Zamolxis, sich bewahrt hatten; am
meisten fesselten aber die Aufmerksamkeit solche Gegenden, in denen
aus den patriarchalischen Zuständen der Vergangenheit ein neues
Culturleben sich hoffnungsreich entfaltete.
Darum übte namentlich auf die Künstler kein Ort einen gröfseren
Zauber aus, als die Hauptstadt Makedoniens. Dort war ein frisches,
aufkeimendes Leben; dort waltete seit Ol. 91, 4 (413) Archelaos, der
Sohn des Perdikkas, ein Fürst, welcher während der Schreckenszeit
des dckeleischen Kriegs sein Reich in Ruhe ordnete, Kunststraisen an-
legte, Städte gründete, Volksbildung verbreitete und an seinen Hof zu
Pella die begabtesten Künstler und Dichter berief.
Ein neues Griechenland erstand jenseits des Olympos ; in Pierien,
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DIE EMIGRANTEN IN PELLA.
7S7
dem Heimatlande der Musen, führte Archelaos musische Wettkämpfe
ein. Mit Neid und Sehnsucht blickten die Athener auf ihn als den
glucklichsten aller Sterblichen und priesen auch die selig, welche an
seinem Hofe leben konnten. Zu ihnen gehörten Euripides, der miss-
muthig seine Vaterstadt verlassen hatte, und Agathon, der Sohn des
Tisamenos, der an Körper und Geist glänzend ausgestattete Dichter,
welcher besser als Jener die Freuden des Hoflebens zu geniefsen
wussle. So verarmte Athen immer mehr. Was zurückblieb, bot
keinen Ersatz. Den grofsen Dichtern folgten Dichterlinge, vielscbrei-
bende Versmacher, welche durch sophistische Gewandtheit die Kraft
des Genius zu ersetzen wähnten, ohne Würde der Gesinnung und
ernste Kunstübung, die nur darnach haschten, einen vorübergehenden
Eindruck auf das Publikum zu machen, welches selbst nicht mehr die
innere Sammlung halte, um ein ernst durchdachtes Kunstwerk zu
würdigen so;).
Hesser als die Tragödie erhielt sich die Komödie, welche ihrer
geschmeidigeren Natur gemäfs der Zeilen Ungunst leichter zu tragen
vermochte, und der die Gebrechen derselben neuen Stoff zuführten.
Die Komödiendichter konnten aufserhalb Athens nicht leicht einen
Platz finden, und so blieb auch Aristophanes seiner Vaterstadt treu; er
blieb auch sich selbst treu in seiner patriotischen Gesinnung und hatte
den Ruhm, die Vaterstadt in ihren schwersten Drangsalen durch
seinen unerschöpflichen Genius noch zu verherrlichen, zu erfreuen
und zu erheben.
Freilich brachten es die Zeitumslande mit sieb, dass er keine
Komödien mehr schrieb, welche sich um politische Tagesfragen be-
wegten; dazu war die Abspannung zu grofs; auch konnte er selbst, wie
die Verhältnisse lagen, keine so entschlossene und kecke Parteistel-
lung einnehmen, wie einst dem Kleon gegenüber. Darum wählte er
auch für das Kelterfest (Januar 405; 93,3) ein Gebiet, auf welchem
er sich frei bewegen konnte, ohne neue Leidenschaften aufzuregen.
Denn da noch vor dem Tode des Sophokles die Kunde aus Makedonien
gekommen war, dass auch Euripides gestorben sei, so nimmt Aristo-
phanes davon Anlass, in seinen 'Fröschen' den Gott Dionysos auf die
Scene zu führen als den Vertreter des attischen Theaterpublikums.
Die Meisler der Kunst sind todt oder ausgewandert, die Bühne ist ver-
ödet. Darum will Dionysos in die Unterwelt, um der Stadt, die ohne
Dichter nicht leben kann, Einen und zwar den Besten wieder herauf-
50*
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788 ARISTOPHANES' FRÖSCHE (405 JANUAR).
zuholen, und der Beste soll sieb daran bewähren, dass er nach Art
der alten Dichter heilsamen Rath den Bürgern zu ertheilen wisse. In
überschwenglicher Laune reiht er die ergötzlichsten Scenen an ein-
ander, die auf der Oberwelt und im Hades spielen; wunderliche
Froschchöre wechseln mit erhabenen Gesangen der Eingeweihten, die
ein seliges Leben nach dem Tode führen, und die staunenden Zuschauer
werden allen Sorgen der Gegenwart entrückt. Kein Wort berührt die
schmerzhaften Wunden des öffentlichen Lebens; der Hauptzweck der
Dichtung geht darauf hinaus, die Erinnerungen der Vorzeit wachzu-
rufen, am Meister Aischylos die klassische Kunst zu feiern und der»
theuren Sophokles ein liebendes Andenken zu widmen. Doch vergisst
der Dichter die Lebenden nicht über die Todten. Er sieht die Stadt
von nichtsnutzigem Schreibervolk angefüllt, die Bürgerschaft durch
sophistische Halbbildung entmannt, in den Händen feiler Betrüger,
welche die innere Zwietracht ausbeuten. Er sucht, so viel er kann,
noch in letzter Stunde durch ernste Worte zu rathen und zu helfen.
Nach wie vor ein erklärter Feind der leichtfertigen Demagogen,
welche wie Kleophon in trunkenem Uebermutbe jeden Friedensge-
danken zurückweisen, und eben so sehr der gesinnungslosen Oligarchen,
unter denen namentlich Theramenes seinem Spott verfällt, ermahnt
der Dichter den Kern der Bürgerschaft, in gegenseitigem Vertrauen
treu zusammenzuhalten und denen, welche durch die Ränke des
Phrynichos in die Verschwörung der Vierhundert verwickelt worden
waren, dies nicht immer nachzutragen. Frieden will er nach wie vor,
denn ohne denselben ist keine Rettung ; aber keinen Frieden aus der
Hand der Verschworenen, sondern einen ehrenvollen, welcher auf
innerer Einigung und kräftiger Heerführung beruht. Dazu bedarf es
eines Helden ; der Held ist da , aber er ist verbannt. So bewegt sich
denn am Ende die politische Heilsfrage um Alkibiades, welcher, an-
wesend oder abwesend, immer im Mittelpunkte der attischen Ge-
schichte steht.
Mit der Reue über die Hinrichtung der Arginusenfeldherrn war
auch in Beziehung auf ihn wieder eine Sinnesänderung eingetreten.
Man sehnte sich nach ihm, dessen kurze Anwesenheit die letzte Freu-
denzeit für Athen gewesen war. 'Man sehnt sich, hasset, und begehrt
ihn doch zurück', sagt der Dichter. Es fehlte die Energie, um sich
aus diesen unklaren Gefühlen emporzuraffen und die entgegenwirken-
den Stimmungen durch kräftige Entschlüsse zu überwinden. Wie
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ATHEN UND ALKIBIADES
7S9
Arislopbanes selbst und seine Gesinnungsgenossen dachten, kann nicht
zweifelhaft sein. Denn nicht ohne Grund schildert er in ausgeführter
Darstellung die Feier der Mysterien in ungestörter Festlust; sie musste
Alle an den Mann erinnern, welchem sie die letzte Feier der Art
verdankten (S. 752 f.); Aischylos aber wird daran als der weise Dichter
erkannt, dass er auf die Frage, was er von Alkibiades halte, die in-
haltschwere Antwort giebt:
Am Besten zieht ihr keinen Löwen in der Stadt,
Habt ihr ihn aufgezogen, so gehorchet ihm !
Wenige Monate später vernahmen die Athener, dass Alkibiades
ihrem Heere noch einmal die rettende Hand geboten habe; sie war
zurückgewiesen, und die Paralos , welche diese Kunde brachte, war
das einzige SchilT, welches von 160 Schiffen in den Peiraieus zu-
rückkehrte.
Tag für Tag erwartete man Lysandros selbst. Es war dieselbe
Angst wieder da, wie nach dem Untergange der sicilischen Flotte ; aber
wie gering erschien der damalige Nolhstand, mit dem jetzigen ver-
glichen 1 Lysandros erschien aber nicht. Statt dessen kamen schaaren-
weise die Flüchtlinge aus den Städten, welche eine nach der anderen
von Lysandros genommen wurden, wie Sestos, Byzanz, Chalkedon.
Den attischen Mannschaften daselbst war nämlich Leben und Freiheit
geschenkt worden unter der Bedingung, dass sie sich alle sofort nach
Athen begeben sollten. So folgten sich die Schreckensbotschaften.
Bald wussle man, dass auch Lesbos, ohne Widerstand zu leisten, ab-
gefallen sei, und eben so die thrakiscben Städte. Aller Orten war der
Abfall durch heimliche Uebereinkunft längst vorbereitet gewesen.
Nachrichten, von denen jede einzelne sonst genügt hätte, ganz Athen
in Alarm zu setzen, häuften sich von Woche zu Woche und stumpften
das Gefühl ab. Man musste ruhig zusehen, wie das attische Reich
Glied für Glied zertrümmert und eine Hilfsquelle nach der andern
abgeschnitten wurde, während die Menge heimatloser und hülfsbe-
dürftiger Menschen, welche von Lysandros aus den Kleruchenstädten
vertrieben waren, sich massenhaft innerhalb der Stadt zusammen-
drängte und das Bedürfniss auswärtiger Zufuhr mehr als je steigerte.
Das war es, was Lysandros wollte, welcher mit sicherer Ruhe
schrittweise seinem Ziele entgegenging. In den gewonnenen Plätzen
setzte er lakedämonische Vögte ein, welche für die Sicherheit derselben
einstanden; die Regierung aber übergab er den Parteihäuplern der
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790
ERSCHLIESSUNG VON ATHEN.
Oligarchen, welche an das Ziel ihrer Wünsche gekommen waren, in-
dem sie in Collegien von Zehnmännern unter Sparlas Autorität ihre
Städte regierten. Die Grundstücke wurden den alten Einwohnern
zurückgegeben, und die von Athen ausgetriebenen Einwohnerschaften
durch öffentliche Verkündigung aufgefordert, furchtlos in ihre Heimat
nach Aigina (S. 405), Melos und Skione zurückzukehren; denn hier
waren noch zuletzt die athenischen Sklaven angesiedelt, welche sich
bei den Arginusen die Freiheit erworben halten. Das war natürlich
eine Mafsregel, welche mit allseitigem Jubel begrüfst wurde; ganz
Hellas huldigte dem gewaltigen Manne, welcher nicht nur furchtbare
Rache zu üben, sondern auch das alle Unrecht wieder gut zu machen
wisse aoB).
So rückte der Tag immer näher, an welchem über Athen selbst
Gericht gehalten werden sollte, nachdem man ihm seinen Raub ent-
rissen hatte. Diese letzte Entscheidung sollte Angesichts aller Griechen
stattfinden; darum wurde das ganze peloponnesische Kriegsvolk noch
einmal aufgeboten. König Pausanias, welcher vor zwei Jahren seinem
Vater Pleistoanax gefolgt war, bezog mit sämtlichen Hülfsvölkern
Spartas ein Kriegslager in der Niederung der Akademie, um Athen
von der Westseite einzuschließen ; gleichzeitig erging an Agis, der
nun bereits neun Jahre lang Dekeleia besetzt hielt, der Befehl, von
der Nord- und Ostseite vorzugehen; denn Lysandros werde binnen
Kurzem mit zweihundert Kriegsschiffen vor dem Peiraieus erscheinen.
Die Athener halten sich nach Ueberwindung des ersten Schreckens
wieder gefasst. Sie halten neue Feldherrn gewählt und unter Leitung
derselben ihre Mauern ausgebessert, die Verteidigung geordnet, die
Einfahrt der Häfen verschüttet. Die grofse Mehrheit der Bürger war
voll Patriotismus. Noch einmal bewährte sich der tapfere Sinn, der
sie so oft in den schwersten Stunden beseelt hatte, die mulhige
Entschlossenheit, für die Ehre der Stadt die letzten Hülfsmitlel auf-
zubieten.
Aber auch das alte Unheil war wieder da, das darin seine Quelle
hatte, dass eine kleine aber eng geschlossene Anzahl von Bürgern vor-
handen war, welche die Selbständigkeit der Stadt nicht wollten, welche
mit dem Feinde einverstanden waren und seiner bedurften, um auf
den Trümmern der Volksherrschaft ihr Parteiregiment aufzurichten.
Diese Partei mit ihrer in sich festen Organisation war immer bei der
Hand, um jeden öffentlichen Nothstand für ihre Zwecke auszubeuten;
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OLIGARCHISC.il E PA RTE1M ASSRKGK LN
791
so wie ein Gewitter über der Stadt zusammenzog und Angst ver-
breitete, trat sie als eine Macht hervor. Jetzt war Athen durch die
ungeheuren Ereignisse erschreckt, durch die grofsen Verluste an
Bürgern nicht nur in seiner Wehrkraft geschwächt, sondern auch in
seiner ganzen Haltung erschüttert; es war durch das Zuströmen frem-
der Menschen aufgeregt und verwirrt und durch die nahende Be-
lagerung geängstigt.
Dennoch wurde es auch jetzt den Oligarchen in Athen nicht so
leicht wie an den anderen Orten, wo mit Lysandros' Hülfe die Demo-
kratie rasch beseitigt war. In Athen bedurfte es noch immer zum
Umstürze der Verfassung einer Reihe von vorbereitenden Mafsregeln
und arglistigen Parteiintriguen, um das Volk mürbe zu machen und
den letzten Rest von Zuversicht in ihm zu untergraben. Es kam
darauf an, die Staatsordnung zu erschüttern, um die Verwirrung zu
steigern; man musste die verfassungsmäfsigen Organe des Gemein-
wesens zu lähmen und den amtlichen Behörden die Leitung desselben
zu entziehen suchen, um sie in die Hände der Verschworenen zu
bringen, d. Ii. der oligarchischen Clubbs. Man traf also Mafsregeln
ähnlicher Art, wie früher die Einsetzung der Probulen war (S. 690) ;
nur wurde jetzt viel rücksichtsloser und entschlossener gehandelt.
Man begann nämlich, wie es scheint, gleich nach der Niederlage von
Aigospotamoi die ganze Slaatsum wälzung damit, dass man aus den
Häuptern der oligarchischen Verbindungen, die unter sich wieder
verschiedene Richtungen hatten, zur Vereinigung ihrer Bestrebungen
ein Collegium von Fünfmännern bildete, ein Clubbistencomite, wie
wir es nennen können, eine Art von Wohlfahrtsausschuss, welcher
sich in der Zeil der Verwirrung des allgemeinen Besten annehmen
sollte. Seine Macht beruhte auf der Organisation einer Partei, welche
um so zuversichtlicher vorging, je rathloser und zerrissener die übrige
Bürgerschaft war; dadurch gelang es ihm, seinen EinÜuss auch auf
andere Kreise auszudehnen und, obgleich ohne amtliche Befugnisse,
dennoch mit Hülfe des Raths eine gewisse öffentliche Autorität und
den Charakter einer Behörde zu gewinnen.
Revolutionäre Vorgänge dieser Art sind ihrer Natur nach dunkel
und schwer zu erkennen; aufserdem fehlt es an einem zusammen-
hängenden Berichte über die damaligen Zustände der Stadt. Indessen
ist wahrscheinlich, dass die Oligarchen nach der Niederlage des Heers
ihr Haupt erhoben, dass nicht lange darnach jene Fünfmänner als ge-
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792
IlLKRfcT DES PATflOKLKIIlES.
heinie Regierung ihre Wirksamkeit begannen, und dass ihre Macht
in demselben Grade wuchs wie die Nothstäude fühlbarer wurden.
Gewiss ist, dass sie sich allmählich die Vollmacht aneigneten Bürger-
versammlungen zu veranstalten, die verfassungsmäßigen Beamten,
namentlich die Feldherrn, bei Seite zu schieben und die militärischen
Anordnungen zur Sicherung der Stadt in ihre Hände zu bringen; ein
Erfolg, bei welchem sie ohne Zweifel durch den Anhang unterstützt
wurden, den sie unter den Rittern hatten, von denen ein grofser
Theil verfassungsfeindlich war (S. 433). Endlich konnten diese Füuf-
männer mit ihren politischen Tendenzen so ofTen und keck hervorzu-
treten wagen, dass sie sich in deutlicher Anspielung auf die sparta-
nische Staatsordnung, welcher sie die einheimische anzunähern streb-
ten, die fünf Ephoren von Athen nannten und auch allgemein so
genannt wurden.
Um die Macht der Partei zu verstarken, stellte der Volksredner
Patrokleides den Antrag, dass die Staatsschuldner und die in öffent-
lichen Prozessen Verurteilten oder noch in Anklagezustand Befindlichen,
die früheren Mitglieder der Vierhundert und Alle, welche ganz oder
iheüweise ihrer Bürgerehren verlustig waren, in ihre vollen Rechte und
Ehren eingesetzt werden und alle auf sie bezüglichen früheren Doku-
mente vernichtet werden sollten. Eine so umfassende Amnestie war
nur zweimal in der attischen Geschichte vorgekommen; einmal unter
dem Archontate Solons, als Einleitung seines grofsen Versöhnungs-
werks, und dann um die Zeit der salaminischen Schlacht, als es nöthig
schien, alle vorhandenen Kräfte zur Rettung des Vaterlandes zu ver-
einigen. Beide Rücksichten wurden auch jetzt geltend gemacht, und
so waren auch die patriotisch gesinnten Bürger diesem Beschlüsse ge-
neigt, wenn er auch vorzugsweise auf die Interessen der Oligarchen
berechnet war. Es scheint, dass in dieser Zeit, wo man revolutionäre
und conservative Mafsregeln durch einander anwendete, auch der
Areopag, wie zur Zeit der Perserkriege (S. 72), mit außerordentlichen
Vollmachten bekleidet wurde, um zu der Rettung der Stadt das Seine
beizutragen J0*).
Ungeachtet aller dieser Mafsregeln, welche den Staat immer ver-
worrener und unsicherer machten, war die Freiheitsliebe und die Ver-
fassungstreue der Bürger nicht erloschen. Zwei unvereinbare Gewalten
herrschten neben einander in Athen; die feindlichen Truppen zogen
von allen Seiten heran; eine furchtbare Theuerung drohte der über-
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BLOKADE VON ATHEN (93, 4 ; 406 HERBST).
793
völkerten Stadt; dennoch war der Kern der Bürgerschaft entschlossen,
dem übermächtigen Feinde sowie der volksfeindlichen Partei zum
Trotze die Unabhängigkeit der Stadt zu vertheidigen.
Im Spälherbste war Lysandros vor dem Peiraieus erschienen, um
im Vereine mit den beiden Landheeren die Belagerung zu eröffnen.
Es lässt sich wohl nicht bezweifeln, dass, wenn sofort voller Ernst ge-
macht worden wäre, Athen in seiner damaligen Verfassung bald hätte
genommen werden können. Aber weder den Königen noch auch Ly-
sandros konnte daran liegen, den Fall Athens gewaltsam zu beschleu-
nigen und den Bürgern Gelegenheil zu geben, ihren Helden muth im
Kampfe der Verzweiflung zu bewähren; wir wissen ja, welchen Werth
die Spartaner überall darauf zu legen pflegten, dass die feindlichen
Städte sich gleichsam freiwillig ihnen übergaben (S. 459). Den Sie-
gern konnte doch Niemand die Beute streitig machen; sie zogen es
also vor, ihren Anhängern in der Stadt die Mafsregeln anheimzustellen,
welche ohne Blutvergiefsen zur Uebergabe führen mussten. Die Oli-
garchen waren dabei ohne Zweifel im Einverständnisse mit Lysandros ;
sie hatten es auf sich genommen, ihm Stadt und Hafen zu über-
liefern, und hatten ihrerseits die Zusicherungen erhalten, welche
auch den Oligarchen der anderen Städte eingeräumt und erfüllt worden
waren.
Darum blieb auch nicht die volle Kriegsmacht vor Athen liegen,
sondern während des Winters zog wahrscheinlich ein Theil des
Landheers wieder ab, und nur ein Theil der Flotte blokirte die
Häfen, während Lysandros mit dem übrigen Theile Samos belagerte;
denn diese Insel war es allein, welche an ihrer demokratischen Ver-
fassung standhaft festhielt, neben Argos der einzige Staat in Griechen-
land, der die Sache der Athener auch dann nicht verliefs, als diese
vollkommen ohnmächtig waren, und die Verbindung mit ihnen nur
Gefahr brachte.
Obgleich nun trotz der feindlichen Wachschiffe einzelne Ge-
treideschiffe glücklich einliefen, stieg die Noth dennoch so rasch, dass
bald nach Beginn der Blokade die erste Bürgerversammlung anbe-
raumt wurde, um die Bedingungen der Uebergabe in Erwägung zu
ziehen. Man beschloss sich in das Unvermeidliche zu fügen und die
Hegemonie Spartas anzuerkennen; man war bereit, auf alle auswär-
tigen Besitzungen zu verzichten, und nur den Peiraieus und die
Mauern zu behalten.
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794 DIE ERSTEN VERHANDLUNGEN.
Die Gesandten, welche diesen Antrag nach Sparta brachten, wur-
den schon an der Grenze Lakoniens, in Selasia, von den Ephoren
heimgeschickt. Die Hafen- und Verbindungsmauern waren es ja,
worauf die Selbständigkeit Athens den Spartanern gegenüber beruhte,
wie Themistokles und Perikles erkannt hatten. Also lautete die
Antwort, dass von keiner Verständigung die Rede sein könnte, wenn
nicht die Schenkelmauern auf eine Strecke von zehn Stadien nieder-
gerissen würden.
Dieser Bescheid rief unter den Bürgern die höchste Aufregung
hervor. Man konnte sich kein Athen ohne seine Mauern denken;
nach Schleifung derselben war es vom Meere abgeschnitten und jeder
Belagerung wehrlos preisgegeben. In Folge dessen loderte noch ein-
mal das Feuer des attischen Freiheitsmuthes auf, und im Vertrauen
darauf, dass eine grofse Zahl ehrenhafter Bürger ihm in diesem
Punkte beistimmte, durfte Kleophon mit offener Gewalt einen Jeden
bedrohen, der so schmachvollen Bedingungen das Wort reden wolle.
Obgleich also von den spartanischen Behörden die Beibehaltung der
altischen Verfassung und selbst der fernere Besitz von Lemnos, Imbros
und Skyros in Aussicht gestellt war, so wurden dennoch alle an die
Schleifung der Mauern geknüpften Vorschläge abgewiesen; es wurde
sogar ein Bürgerbeschluss gefasst, welcher jede Berathung über diesen
Punkt verpönte.
So stand es in der unglücklichen Stadt. Auf der einen Seite das
Ungestüm eines wilden Demagogen, der in wahnsinnigem Trotze alle
noch möglichen Rettungswege abschnitt, ohne selbst irgend eine Hülfe
nachweisen zu können; auf der anderen Seite die schlauen Führer der
lakedämonischen Partei, welche mit herzlosem Wohlgefallen der stei-
genden Nolh zusahen; diejenigen Bürger aber, welche die Vaterstadt
und ihre Gesetze liebten, ohne das wüste Treiben eines Kleophon
billigen zu können, welche erkannten, dass nur durch Besonnenheit
und Einigkeit dem Staate zu helfen sei, diese Männer waren zu sehr
in der Minderzahl und zu einem gemeinschaftlichen Handeln zu wenig
vorbereitet, als dass ihre Gesinnung dem Gemeinwesen zu Gute
kommen konnte. Die Masse war von Furcht und Nolh beherrscht,
ein willenloses Werkzeug zwieträchtiger Parteiwuth.
Als nun in der wilden Volksversammlung nichts erreicht war und
Alles starr in die dunkle Zukunft blickte, da trat Theramenes vor. Er
hatte den Zeilpunkt abgewartet, wo Jeder, der nur einen HoiTnungs-
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TH ERAMEN ES ALS BEVOLLMÄCHTIGTER (405 HERBST). 795
Schimmer zeigen konnte, begieriges Gehör finden musste. Mit seiner
milden und einschmeichelnden Beredsamkeit, gestützt auf den Ruf
einer volksfreundlichen Gesinnuug, den er sich zur Zeit der Vierhun-
dert erworben hatte, erbietet er sich zu Lysandros zu gehen, um die
wahren Absichten Sparlas zu erforschen und Gewissheit zu erlangen,
was es mit der verlangten Schleifung der Mauern für eine Bewandtniss
habe. Er macht sich anheischig, viel mildere Bedingungen zu ver-
schaffen; er stellt selbst allerlei Vortheile in Aussicht, welche man
durch geschickte Unterhandlung von Sparta erreichen könne, verlangt
aber unbedingtes Vertrauen und unbeschränkte Vollmachten.
Umsonst werden von Seiten vieler besonnener Bürger Bedenken
laut; sie errathen die unlauteren Absichten und warnen, einer Hand
wie der des Theramenes Alles anzuvertrauen. Umsonst erbietet sich
der Areopag, die Friedensverhandlungen in seine Hand zu nehmen.
Die grofse Mehrzahl de» Bürger, die nur nach Rettung seufzte, ist
von der Rede gefangen und will die Hoffnungen nicht fahren lassen,
welche sie erweckt hatte; die Verschwornen thun das Ihrige, diese
Stimmung zu nähren, und die gewünschten Vollmachten werden
ausgefertigt.
Theramenes reiste zum Lysandros, welcher damals wahrschein-
lich noch vor Samos lag. Auf Lysandros allein stützten sich die Hoff-
nungen der Oligarchen, während sie auf die Könige und Ephoren nicht
rechnen konnten. Denn die Letzteren hatten ja schon den Gesandten
Athens die Erhaltung der Verfassung in Aussicht gestellt; die Behörden
Sparlas sahen überhaupt schon lange mit Argwohn auf die mafslose All-
gewall ihres ehrgeizigen Feldherru und sein eigenmächtiges Schalten;
sie halteu schon gegen ihn einschreiten müssen, als er aus Sestos die
allen Einwohner austrieb und diesen wichtigen Platz mit Leuten seiner
Flottenmannschaft besetzen wollte. Sie konnten unmöglich seine
Politik begünstigen, weil er dadurch, dass er aller Orlen seine Partei-
gänger an das Ruder brachte, zu einem unumschränkten Herrn von
ganz Griechenland zu werden drohle. Um so wichtiger war es also für
Leute wie Theramenes, sich mit Lysandros zu verständigen und seiner
gewiss zu sein. Der andere Zweck, welchen die Verschwornen durch
die Gesandtschaft erreichten, warder, dass inzwischen keine Volks-
versammlungen über die Friedensfrage gehalten und dass somit alle
Mafsregeln von Seilen der verfassungstreuen Bürger abgeschnitten
wurden. In ängstlicher Spannung und trostloser Unthätigkeit er-
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706
ZWEITE GESANDTSCHAFT (9S, 4; 404 t'HL'HJAHR).
schöpfte sich der Muth der Bürgerschaft, während die Oligarchen die
Frist benutzten, um in Athen Alles für ihre Zwecke reif zu machen.
Kleophon hatte ihnen wider seinen Willen gedient, indem er die
Vereitelung der ersten Friedensverhandlungen herbeigeführt hatte ; jetzt
stand er ihnen im Wege und musste beseitigt werden, wie früher An-
drokles (S. 717). Cr wurde beschuldigt, seine Wehrpflicht versäumt
und den Rath der Stadt geschmäht zu haben; denn er hatte es offen
auszusprechen gewagt, dass derselbe den Versen wornen in die Hände
arbeile. Er wurde wegen Hochverraths belangt, in Bande geworfen,
und da sein Anhang noch immer so stark war, dass man sich auf den
Urteilsspruch eines ordentlichen Geschworenengerichts nicht verlassen
konnte, benutzte man den nichtswürdigen Nikomachos (S. 785) , um
sich von ihm ein Gesetz zu verschaffen, nach welchem gegen alles
Herkommen die Rathsherrn zur Theilnahme am Gerichte berufen sein
sollten , und zwar in einem Prozesse , in welchem der Rath der be-
leidigte Theil war. So erreichte man, dass Kleophon verurteilt und
getödtet wurde»10).
Nachdem dies nach Wunsch gelungen war, kehrte Theramenes
im vierten Monate zurück, und zwar ohne etwas mitzubringen, als leere
Entschuldigungen über sein langes Ausbleiben, welches Lysandros zu
verantworten habe, und den Bescheid, dass er von diesem an die
Ephoren verwiesen worden sei, um von ihnen die Friedensbedingun-
gen zu erfahren. Da die Sache einmal so weit gekommen und der
Nothstand in Athen unerträglich geworden war, so blieb nichts übrig,
als Theramenes von Neuem zum Bevollmächtigten zu wählen und ihn
mit neun Gesandten nach Lakedaimon zu schicken. So waudelte er
nun denselben Weg, um dessen willen er Antiphon als Landesver-
rätber vor Gericht gezogen halte; damals aber war Athen noch ein Staat
mit Heer und Flotte, der Bedingungen stellen konnte, jetzt war es auf
den Grofsmuth des Siegers angewiesen. Die Gesandten wurden wieder-
um in Selasia aufgehalten und dann nach Sparta beschieden. Hier
wurden endlich die entscheidenden Berathungen gehalten und zwar in
Gegenwart von Abgeordneten der Bundesgenossen. Es war gar nicht
mehr von Verhandlungen mit Athen die Rede, sondern es wurde über
einen besiegten Feind Gericht gehalten, und die Meinungen theilten
sich nur in der Strenge des zu fallenden Spruchs. Korinth und Theben
verlangten Vernichtung der Stadt, die so viel Unheil angestiftet habe;
sie sollte vom Erdboden verschwinden und das Land zur Schafweide
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DER FRIEDE DES THERAME.NES (401 APRMA
797
werden. Die Phokeer und Andere thaten Einspruch, und die mildere
Ansicht drang durch, weil es im Interesse der lakedämonischen Poli-
tik lag, Athen zu lähmen, aber nicht zu zerstören. Denn es war vor-
auszusehen, dass sonst die hochmülhigen Thebaner sich in Mittel-
griechenland als Grofsmacht fühlen und den Spartanern entgegenstellen
würden. Auch das delphische Orakel soll seine Stimme für Erhaltung
Athens abgegeben haben.
So empfing Athen seinen Urteilsspruch durch ein Dekret der
Ephoren. Niederreifsung der Hafen- und Verbindungsmauern, Be-
schränkung der Herrschaft auf das attische Land, Aufnahme aller
Verbannten, Anschluss an den peloponnesischen Bund mit der Ver-
pflichtung zur Heeresfolge und den anderen Leistungen lakedämonischer
Bundesgenossen, endlich Auslieferung der Kriegsschiffe nach einer den
Befehlshabern Sparlas überlassenen näheren Bestimmung — das waren
die Bedingungen , unter welchen die Blokade aufgehoben werden
sollte 81
Als Theramenes mit diesen Friedensbedingungen vor die Bürger-
schaft trat und ohne Scheu ihre Annahme beantragte, da waren wohl
alle besser Gesinnten über das frevelhafte Spiel empört, welches er
mit der Noth seiner Mitbürger getrieben hatte. Zornige Stimmen
wurden laut und riefen ihm seine Schuld in's Gewissen. Er aber
wusste zu gut, dass es nach einer fünfmonatlichen Belagerung,
während die Menschen massenweise dem Hunger erlagen, nicht mehr
um Verfassungsrechte sieb handle, sondern um Brod, und wenn sich
noch Einige fanden, welche ihn vorwurfsvoll auf die Werke des
Themistokles hinwiesen, so antwortete er ihnen, es könne unter Um-
ständen eben so verdienstlich sein Mauern einzureifsen wie aufzubauen.
Auf Festungsmauern beruhe doch das Glück der Städte nicht, sonst
müsste ja Sparta die unglücklichste Stadt sein!
So wurden denn am Tage nach Bückkehr der Gesandten die
Friedensbedingungen angenommen, wie die Ephoren in Sparta sie auf-
gesetzt hatten. Die Athener verpflichteten sich die langen Mauern
wie die Hafenmauer niederzureifsen , alle auswärtigen Plätze zu
räumen, sich auf ihre Landschaft zu beschränken, die Flotte auszu-
liefern und die Verbannten zurückzurufen. Das war der Schluss des
Kriegs im sieben und zwanzigsten Jahre, nachdem er mit dem Ueber-
fall von Plataiai begonnen hatte, siebzehn Jahre nach dem Frieden des
Nikias, im Monat April, und die ersten Kornschiffe, welche im Peiraieus
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TOS
VERSAMMLUNG IN MLMf.HIA.
einliefen, trösteten das verhungerte Stadtvolk über das, was ge-
schehen war.
Der Friede war geschlossen, die feindlichen Schiffe und Heere
zogen ab, aber die Oligarchen waren noch nicht an ihrem Ziele ange-
langt, und darum war auch das Mafs der Demüthigungen, die Athen
erleben sollte, noch nicht voll. Ueber die äufsere Lage der Stadt nur
entschieden, aber die inneren Verhältnisse waren durch die Capitu-
lation nicht geregelt. Theramenes hatte im Sinne seiner Partei nur
die Ruckberufung der Verbannten durchsetzen können. Weiter zu
gehen hatten die Behörden Sparlas keine Neigung, denn bei der Eifer-
sucht, mit welcher sie schon damals Lysandros betrachteten, entsprach
es ihrem Interesse nicht, in Athen seinen Parteigängern zur Herr-
schaft zu verhelfen. Dadurch war den Gegnern wieder der Muth ge-
wachsen, und dieselben Patrioten, welche noch in der letzten Volks-
versammlung freimüthig geredet hatten, schlössen sich enger zu-
sammen, um wo möglich im Innern der Stadt Freiheit und Recht zu
retten.
So begann der Parteikampf von Neuem, und die Oligarchen.
denen Lysandros nach Uebernahme der Schiffe die städtischen An-
gelegenheiten überlassen hatte, hielten es für nothwendig, sich der
Führer der Gegenpartei zu bemächtigen, ehe sie daran gehen konnten,
die Verfassung endgültig nach ihren Plänen zu gestalten.
Hierbei diente ihnen ein Freigelassener, Namens Agoratos, Einer
von denen, welche sieben Jahre zuvor bei der Ermordung des
Phrynichos sich betheiligt haben wollten (S. 737) und sich dadurch
einen, wenn auch sehr zweideutigen Ruf demokratischer Gesinnung
erworben halten. Dieser wurde scheinbar gezwungen, eine Anzeige
vor den Rath zu bringen, in welcher er eine Reihe von Ehrenmännern,
die als Feldherrn und Hauplleute dem Staate gedient hatten, einer
Verschwörung gegen die Staatsverfassung beschuldigte, obgleich augen-
blicklich gar keine Verfassung in Gellung war, sondern ein Partei-
regiment, das mit selbstsüchtiger Willkür gehandhabt wurde. Der
Rath brachte die Sache an die Bürgerschaft; es wurde eine Versamm-
lung im Peiraieus, im munichischen Thealer, gehalten, und in der-
selben unter Einfluss der Oligarchen das Todesurteil über die An-
geklagten ausgesprochen. Unter ihnen befanden sich namentlich
Strombichides, des Diolimos Sohn, ein bewährter Flottenführer, und
Dionysodoros, dieselben Ehrenmänner, welche dem Theramenes mit
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KRITIAS DES KAI.LAISCUROS SOHN.
709
offener Missbilligung entgegengetreten waren, gemäfsigte Republikaner,
welche den Oligarchen viel verhasster waren, als die wildesten De-
magogen812).
Wahrend so die verfassungstreuen Männer als Verräther be-
seitigt wurden, und die kleine Zahl muthiger Patrioten immer mehr
zusammenschmolz, kamen in Folge der Capitulation die Verbannten
nach Athen zurück und verstärkten das Heerlager der Ilmsturzpartei.
Unter ihnen befand sich auch Kritias, der Bedeutendste unter allen
Verfassungsfeinden, der eigentliche Vollender ihrer lange vorbereiteten
Pläne.
Kritias, des Kallaischros Sohn, war ein Charakter, wie er sich
nur in Zeiten der Revolution entwickeln und gellend machen konnte.
Er gehörte einem der edelsten und begütertsten Geschlechter Athens
an, das dem des Solon verwandt war. mit welchem der Vater seines
Grofsvaters, des älteren Kritias, in engster Freundschaft gestanden
hatte. Als Mitgift seines Hauses hatte er eine Richtung auf alle
höheren Interessen, einen Trieb zu Wissenschaft und Kunst, welchen
ein reiches Talent unterstützte und ein lebhafter Ehrgeiz förderte.
Was in Athen an Bildungsmitteln sich darbot, eignete der junge
Kritias sich an; er studirte Protagoras und Gorgias, er trat zu Sokra-
tes in näheren Umgang und war Jahre lang einer der eifrigsten Theil-
nehmer seiner Unterhaltungen. Aber dieser Umgang hatte auf seine
Charakterbildung noch weniger dauernden Einfluss, als auf Alkibiades.
Denn dieser war doch in der That von der Gröfse seines Lehrers er-
griffen. Kritias aber wollte ihm nur ablernen, was er für seinen Ehr-
geiz benutzen konnte. Denn er wollte Alles können und wissen. Es
genügte ihm nicht, als. Redner und politischer Schriftsteller durch
Reichthum der Kenntnisse und eine mustergültige Sprache sich her-
vorzuthun, er wollte als Musiker glänzen, er wollte auch Dichter sein,
und schrieb nicht nur nach solonischem Vorbilde Elegien politischen
Inhalts, sondern auch Tragödien, obwohl ihm zum Dichter die Tiefe
und Wärme des Gefühls fehlte, so wie die Harmonie des innern
Lebens. Und ebensowenig wurde er ein wahrer Philosoph nach dem
Begriffe des Worts, wie er zuerst in der Seele seines grofsen Lehrers
sich gestaltet hatte. Denn bei allen Kenntnissen und aller Verstandes-
schärfe blieb sein Wesen ungeordnet und voll von Widersprüchen,
seine Bildung oberflächlich und ohne Zusammenhang, weil er zu
selbstsüchtig war, um sich irgend einer Sache mit vollem Herzen hin-
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800
KIUTIAS DES KALLAISCHROS SOHY
zugeben. Er suchte sich aller Orten zusammen, was er brauchen zu
können glaubte, und so diente alle Bildung am Ende nur dazu, ihn
sittlich immer schlechter zu machen. Er wurde zum Heuchler, indem
er auf das Erbaulichste von den Tugenden des Bürgers mit Sokrates
sprechen konnte, ohne daran zu denken, diese Tugenden zu üben; von
seiner Vielwisserei aufgebläht, strebte er nach Anerkennung und Ein-
lluss, und so wurde er, der ursprünglich eine kalte und berechnende
Natur war, ein unstäter, aufgeregter, leidenschaftlicher Charakter, ein
Mann, der aus Mangel an innerer Haltung den äufsersten Parteirich-
tungen sich hingab und jedes Mafs verschmähte. So ging er Schritt
für Schritt weiter, und je völliger in ihm das Rechtsgefühl verdunkelt
und die Stimme des Gewissens übertäubt war. um so mehr wurde der
eitle Schöngeist zu einem Verbrecher, welcher sich zuletzt vor keiner
Schlechtigkeit scheute.
Bei einem Manne von dieser Anlage und Entwickeln!^ kann es
nicht befremden, wenn seine öffentliche Thätigkeit eine unklare,
schwankende und widerspruchsvolle gewesen ist. Aristokrat von Ab-
kunft und Gesinnung, der Sohn eines Mannes, der zu den eifrigsten
Oligarchen gehörte (S. 729) ist er gewiss niemals ein Freund der Ver-
fassung gewesen. In sophistischem Hochmuthe verachtele er das Volk
und war mit seinen Parteigenossen der Meinung, dass die Krämer
und Handwerker sich um ihr Gewerbe kümmern und die Staats-
angelegenheiten den Männern von Stand und Bildung überlassen
sollten. Es lässt sich voraussetzen, dass er in diesen Ansichten an
Antiphon sich anschloss, der ihm auch wohl als Redner zum Muster
diente. Indessen hielt er sich nicht von Anfang an zu dieser Partei,
sondern bewahrte sich eine freiere Stellung., und gehörte, wie es
scheint, zu denen, welche sich dem Alkibiades anschlössen; darum
hatte er auch mit dem Anhange desselben zur Zeit des Hermenfrevels
mancherlei Anfechtungen zu erdulden (S. 642).
In selbständiger Thätigkeit sehen wir ihn erst nach dem Sturze
der Vierhundert, und zwar war er damals der leidenschaftlichste
Gegner der Tyrannen. Er war es, welcher Phrynichos noch nach
seiner Ermordung anklagte, und auf seinen Antrag wurden die Gebeine
des Verräthers über die G ranze von Attika geschafft (S. 737). Von
Kritias wurde auch der Volksbeschluss veranlasst, welcher die Rückbe-
rufung des Alkibiades anordnete (S. 733), und wenn wir ihn nach
dem zweiten Sturze des Alkibiades aus Athen entfernt finden, so mag
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KRITIAS' RÜCKKEHR AUS THESSALIEN.
801
diese Entfernung damit zusammenhängen, dass er jenes Volksbe-
schlusses wegen missliebig war. Gewiss ist, dass er zur Zeit der Argi-
nusenschlacht flöchtig war und in Thessalien sich aufhielt, einem
Lande, welches für unstäte Parteigänger der dankbarste Boden war.
Denn hier waren schon vor längerer Zeit sehr heftige Volksbewegungen
ausgebrochen; die Penesten hatten sich gegen die grofsen Grundbe-
sitzer erhoben (I, 95, 179), und die Athener waren diesen Bewegungen
nicht fremd geblieben. Wenigstens wissen wir, dass sie schon vor
dem Frieden des Nikias Gesandte dorthin geschickt hatten, von denen
Einer, Namens Amynias (S. 515), wegen Ueberschreilung seiner Voll-
machten angeklagt wurde, weil er sich zu Gunsten der Zinsbauern an
den Unruhen betheiligt hatte. Auch Kritias nahm an diesen Bewegun-
gen leidenschaftlichen Antheil, half das Bauernvolk wehrhaft machen
und unterstutzte den Führer desselben, Prometheus, in seinen Unter-
nehmungen. Es scheint also, dass er hier wie in der Heimat die Be-
strebungen solcher Männer förderte, welche durch eine überlegene
Persönlichkeit berufen schienen, die Geschicke der Staaten in ihre
Hand zu nehmen*18).
Der Aufenthalt in Thessalien soll sehr nachtheilig auf den Cha-
rakter des Kritias eingewirkt haben, und es ist in der That wohl zu be-
greifen, dass durch den Verkehr mit einem roheren Volke so wie durch
die Theilnahme an vielerlei Gewaltsamkeiten die Achtung vor Gesetz
und Recht, die Anhänglichkeit an die heimatlichen Einrichtungen und
der Eindruck somatischer Tugend, der etwa noch in ihm geblieben war,
immer mehr verdunkelt wurden. Dazu kommt, dass die Bedeutung,
welche er seiner Person in Thessalien geben konnte, seine Eitelkeit
steigern und seinen Ehrgeiz anstacheln musste. Kurz, man fand ihn
verändert, als er (nach der Capitulation, wie wir annehmen) aus dem
Norden heimkehrte; man sah, dass er entschlossen war, nicht mehr
fremden Plänen zu dienen, sondern selbst der Mittelpunkt zu sein, um
welchen die Anderen sich sammelten, und das durchzusetzen, was bis-
her immer unzeitig oder mit halben Mafsregeln erstrebt worden war.
Er wurde jetzt Parteiführer, wie einst Antiphon es gewesen war, und
belehrt durch die schlechten Erfolge früherer Versuche, glaubte er sich
berufen, die durch Unglück gebrochene Vaterstadt von ihren Verkehrt-
heiten zu reinigen und zwar mit allen Mitteln der Gewalt, ohne Scheu
vor Blut und Verrath, um dann den gereinigten Staat nach seinen
Grundsätzen gestalten und nach seinem Willen regieren zu können.
Curtio». Gr. Gweh. II. 0. Aufl. 51
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802
LYSANÜItOS IN ATHEN.
Ehe aber seine besonderen Pläne zu Tage treten konnten, mussle
er mit der ganzen Partei, welche die Verfassung stürzen wollte, zu-
sammenhalten und die Mafsregeln unterstützen, welche die neue Ord-
nung der Dinge vorbereiten sollten. Er trat daher gleich nach seiner
Heimkehr in den dirigirenden Ausschuss der fünf Ephoren (S. 792)
ein, und seiner Thätigkeit wird es zuzuschreiben sein, dass sie immer
vollständiger die Stadt beherrschten ; der Rath war in ihrer Hand und
die Bürgerschaft eingeschüchtert. Auch Männer von gemäfsigter Ge-
sinnung liefsen sich davon überzeugen, dass die Vaterstadt unter den
gegenwärtigen Umständen nur in einer völligen Aenderung der Ver-
fassung und einem Anschlüsse an spartanische Staatseinrichtungen ge-
rettet werden könne; so finden wir z. B. auch den jüngeren Vetter des
Kritias, den edlen und von tiefer Weisheitsliebe ergriffenen Charmides,
den Sohn des Glaukon, auf Seiten der Oligarchen314).
Nachdem nun in den Monaten, welche der Capitulation folgten,
die Umsturzpartei alle ihre Kräfte vereinigt und diejenigen Männer un-
schädlich gemacht halte, denen man noch Anhänglichkeit an die Ver-
fassung und Muth sie zu vertreten zutrauen konnte, schritten die Oli-
garchen zur Vollendung ihres Werks, wozu sie sich die persönliche
Unterstützung des Lysandros verschafften.
Nachdem König Pausanias mit dem ihm untergebenen Heere
Attika verlassen hatte, konnte Lysandros ungehindert im Sinne seiner
persönlichen Politik und der seiner Parteigänger vorgehen. Als Veran-
lassung diente der Umstand, dass die Friedensbedingungen nicht zur
Ausführung gekommen seien; die Mauern standen noch.
Lysandros kam in Begleitung des Tberamenes von Samos her-
über, das länger als Athen den Kampf fortsetzte, und lief mit seiner
ganzen Flotte im Peiraieus ein, um den Friedensvertrag durchzuführen.
Er warf den Bürgern vor den Termin versäumt zu haben und behan-
delte die Stadt als eine Vertragsbrüchige mit Hohn und willkürlicher
Gewalt. Wie zu einem Feste liefe er die Truppen sich bekränzen;
unter Gesang und Flötenspiel wurden die Schiffe verbrannt und die
Befestigungsmauem eingerissen. Dann wurde eine Volksversammlung
angesagt, welcher Lysandros beiwohnte. Denn er wollte auch jetzt den
Schein des Rechts wahren und nicht unmittelbar eingreifen.
Hier trat Drakontidas, ein nichtswürdiger und oft verurteilter
Mensch, mit dem Vorschlage auf, die Staatsverwaltung in die Hände
von dreifsig Männern zu legen, und Theramenes unterstützte ihn, in-
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EINSETZUNG OER DREISSIG (A 4; 401 SOMMER)- 803
dem er diesen Vorschlag als die Willensmeinung Spartas bezeichnete.
Auch jetzt riefen die Reden noch eine heftige Entrüstung hervor ; nach
allen Gewaltthaten fehlte es auch jetzt noch nicht an freimülhigen
Männern, welche für die Verfassung zu sprechen wagten und sich
darauf beriefen, dass über die inneren Angelegenheiten in der geneh-
migten Capilulation nichts enthalten sei. Da nahm Lysandros selbst
in der Versammlung das Wort und redete rückhaltlos, wie ein Ge-
bieter; er erklärte die Verschlechterung der Friedensbestimmungen für
die verdiente Folge der säumigen Vertragserfüllung und liefe nur die
Wahl zwischen Annahme des Gesetzvorschlages und Vernichtung der
ganzen Gemeinde.
Durch solche Mittel wurde der Antrag des Drakontidas durch-
gesetzt; aber nur eine geringe Zahl von schlechtgesinnten und feigen
Bürgern hob die Hände zur Beistimmung auf. Alle besser Gesinnten
wussten sich der Betheiligung an dieser Abstimmung zu entziehen.
Dann wurden zehn Mitglieder der Regierung durch die Ephoren, d. h.
Krilias und seine Genossen, zehn durch Theramenes, den Vertrauten
Ly sanders, zehn endlich durch die versammelte Menge, wahrscheinlich
in freier Abstimmung, gewählt, und diese Dreifsigmänner dann durch
einen Beschluss der anwesenden Versammlung als oberste Regierungs-
behörde eingesetzt. Die Meisten derselben waren früher Mitglieder
der Vierhundert und darum längst mit einander einverstanden. Eine
von Theramenes vorgelegte Eidesformel fasste die politischen Grund-
sätze zusammen, auf welche sie sich gemeinschaftlich verpflichteten.
Sparta nahm die neue Verfassung unter seinen Schutz, und bald zog
eine Besatzung von siebenhundert lakedämonischen Kriegern, welche
die Dreifsig sich erbeten, und deren Erhaltung sie übernommen hatten,
in die Akropolis ein, um das durch innere und äußere Feinde, durch
Gewalt und Verrath überwältigte, ohnmächtige Athen zu über-
wachen*15).
So schmachvoll auch das Ende des dekeleischen Kriegs war, so
giebt es doch für die Thatkraft der Stadt Athen kein glänzenderes
Zeugniss als den achtjährigen Widerstand, welchen sie nach dem sici-
lischen Unglück noch zu leisten vermocht hat.
Griechenland, Sicilien und Persien waren gegen die erschöpfte
Stadl im Bunde, und doch war sie nicht durch Gewalt zu zwingen ;
51*
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604
RICKRUCK AUF HF.N
ihre Flolte war siegreich, so wie sie den rechten Führer hatte, der
Kern ihrer Bürgerschaft tapfer und freiheitsliebend, ofperbereit und
standhaft. Aber der ganze Krieg war ein Kampf der Verzweiflung,
weil den Athenern der (feste Boden unter den Füfsen fehlte; sie
kämpften um die Erhaltung ihres Staats, aber dieselbe war an eine
Reihe auswärtiger Besitzungen geknüpft, deren dauernde Wiederer-
werbung ihre Kräfte überstieg. Athens ganze Macht war die Flolte,
und diese mussle sich selbst ernähren. Sold und Unterhalt herbei-
zuschaffen mussle immer das Hauptaugenmerk der Feldheim sein;
darum konnte kein zusammenhängender Kriegsplan verfolgt werden,
der Krieg wurde zu einem wüsten Freibeuterkriege, welcher den Riss
zwischen Athen und seinen früheren Bundesgenossen immer unheil-
barer machte.
Geld ist die Hauptfrage des ganzen dekeleischen Kriegs, und da
auch Sparta keinen Schau hat, so ist es das Geld des Grofskönigs, von
dem der Ausgang abhängt. Die Ueberlegenheit zur See wurde immer
wieder hergestellt, aber nicht die Seeherrschaft, welche ohne eigenen
Schatz unmöglich war. Daher das ziellose Kämpfen und trotz der
glänzendsten Siege jener Zustand hülfloser Unsicherheit von dem
Augenblicke an, da Athen durch das sicilische Unglück aus dem
Rausche eines unbegrenzten Machtbewusstseins aufgeschreckt wurde.
Aber auch das verarmte und seiner Hülfsquellen beraubte Athen
ist nicht von seinen äufseren Feinden besiegt worden. Athen ist durch
sich selbst gefallen. Durch innere Partei ung ist der Staat schon vor
dem sicilischen Zuge zerrüttet worden. Durch Parteiränke ist Alki-
biades dahin gebracht worden, dass er den Spartanern den Weg nach
lonieu und zur Schatzkammer des Königs zeigte, durch Parteiränke
die letzte Flotte und endlich die Stadt selbst dem Feinde überant-
wortet worden. Es ist ein Sieg des Verraths, welcher den ganzen
Krieg beendete.
Von den Flecken verrätherischer Gesinnung ist die attische Ge-
schichte auch während der Zeit der Perserkriege nicht frei. Schon
nach dem offenen Bruche mit Sparta hatte sich eine lakedämonische
Partei gebildet, welche auf die Demüthigung der Vaterstadt hin-
arbeitete. Staatsgefährlich wurden aber diese Umtriebe erst, als die
Lehren der Sophistik in Athen eindrangen. Denn die sophistische
Richtung ist es, welche vorzugsweise dazu beigetragen hat, die Kräfte
der Zerstörung aufzuregen. Sie hat die Bande gelöst, welche die
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DEKELEISCHEN KRIEG
SU5
Herzen der Börger zu einem Gesam ml willen vereinigt hielten; sie hat
die Jugend der Stadt gelehrt, ihren Eigenwillen in keckem Hochtnuthe
jeder Ueberlieferung gegenüber geltend zu machen und die Tugenden
der Väter zu verachten; sie hat die Ringplätze verödet, auf welchen
einst in gemeinsamer Zucht ein gesundes Geschlecht heranwuchs; sie
hat den Glauben an die Götter zerstört, die Ehrfurcht vor den Ge-
setzen, die Anhänglichkeit an Heimat und Familie, die Scheu vor Un-
recht und Untreue.
Eine Fülle der edelsten Gaben war vorhanden, aber die guten
Anlagen schlugen in's Gegentheil um, und die besten Köpfe wurden die
schlimmsten Feinde des Staats; die Bildung wurde zu einem Gifte,
welches das Mark des Staats aufzehrte, und die Gegner der Verfassung,
welche den kranken Staat heilen und eine neue auf Wohlstand und
Bildung gegründete Aristokratie, eine 'Herrschaft der Besten', her-
stellen wollten, waren schlechter, selbstsüchtiger und gewissenloser
als die leidenschaftlichsten Demagogen. In blutigem Hader erloschen
die erhaltenden Kräfte des Staats, Bürgersinn und Vaterlandsliebe. Die
Anhänger der verschiedenen Parteien reichten sich nicht mehr die
Hand, wenn es die Rettung der Vaterstadt galt, wie Aristeides und
Themistokles vor der Schlacht bei Salamis, sondern sie gaben um
ihrer Sonderinteressen willen Heer und Flotte, Stadt und Häfen preis
und sahen Athen ruhig zu Grunde gehen, wenn sie nur an ihren
Feinden Rache nehmen konnten.
Die Einnahme Athens machte Sparta wieder zur alleinigen Grofs-
macht in Griechenland. Die Mauern, mit deren Aufrichtung die selb-
ständige Geschichte Athens begonnen hatte, waren geschleift, und
äufserlich schien es, als weun die Gröfse der Stadt, deren Grundstein
in Marathon gelegt worden war, nur eine kurze Unterbrechung des
Zustandes gewesen sei, welchen die Feinde der Stadt als den allein
rechtmäfsigen bezeichneten, nämlich des Zustandes der freiwilligen
Unterordnung von ganz Griechenland unter die Führerschaft Spartas.
Aber so wenig Sparta durch eigene Kraft Athen besiegt hatte, so wenig
konnte es auch die Ehre und den Gewinn des Siegers davontragen.
Es hatte wohl noch Männer wie Kallikratidas, welche in echt helle-
nischer Gesinnung lieber Frieden mit Athen als Bündniss mit Persien
wollten; aber es verdankte seine Erfolge doch nur solchen Mitteln,
deren Anwendung ihm Schande und Gefahr brachte. Es war aufser
Stande, die Herrschaft zu führen, welche ihm durch Athens Sturz zu-
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606
SPAI1TA l.ND ATHE>.
gefallen, es war mit seiner Verfassung in offenen Widerspruch geratben,
und der Sieger von Aigospotamoi war selbst der schlimmste Feind de»
lykurgischen Staats.
So gingen die Staaten, in welchen die Kraft der beiden Haupt-
stamme der Nation vertreten war, aus dem Kriege hervor, beide ihrer
besten Güter beraubt, beide entartet und entkräftet. In furchtbarer
Schnelligkeit vollzog sich das Gericht, welches die Hellenen durch
ihren Hader heraufbeschworen hatten; Herodot, der noch von dem
Höhepunkt der perikleischen Zeit die Freiheitskriege überschauen
konnte, hatte auch schon das Elend zu beklagen, welches der Krieg
der beiden Grofestaaten über Griechenland gebracht hatte; er konnte
sein Werk nicht zu Ende führen, weil die Hoffnungen, in denen er
dasselbe begonnen hatte, in dem heillosen Kriege vernichtet wurden.
Aber wie verschieden ist doch die Geschichte der beiden Staaten
bis zu dem Zeitpunkte, den wir jetzt erreicht haben!
Seit Solon ist die griechische Geschichte wesentlich eine Ge-
schichte Athens. Von Athen ist Alles ausgegangen, was ihr Bewegung
und Inhalt gegeben hat; auf Seiten Spartas und der anderen Staaten
ist kein selbständiges Wollen, kein Streben nach nationalen Zielen;
da sind keine Kräfte thätig, als die der Verneinung und des Wider-
spruchs, keine Triebfedern, als die des Hasses und feindseliger Miss-
gunst. Die Athener allein haben dahin gestrebt, an Stelle der ver-
alteten Bundesordnungen eine neue Einigung der griechischen Volks-
kräfte herzustellen. Sie haben Gut und Blut daran gesetzt, um
Griechenland zu befreien, und ihr Beruf zur Hegemonie, dessen Herold
Herodotos war, ist von den überseeischen Staaten freiwillig anerkannt
worden. Nun war zum ersten Male eine hellenische Macht geschaffen,
vor welcher die Barbaren scheu zurückwichen. Neben ihr kounle die
peloponnesische Landmacht bestehen, und der schöne Wahlspruch
kimonischer Politik 'Krieg gegen die Perser, Friede mit den Hellenen*
konnte zur Wahrheit werden. Aber Sparta machte dies unmöglich,
Sparta brach den Bund, und nun blieb den Athenern nichts Anderes
übrig, als alle hemmenden Bücksichten auf Sparta aufzugeben, dein
eigenen Berufe frei zu folgen und ihre.Stadt zum Mittelpunkte griechi-
scher Macht und Bildung zu machen. Die Politik des Perikles war
der einzige Weg, auf welchem eine gedeihliche Fortenl Wickelung der
nationalen Interessen möglich war. So unvergänglich Grofses sie aber
auch in einer kurzen Reihe von Friedensjahren geleistet hat, so war
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ItUCKBLICK.
807
sie doch aufser Stande, den Athenern ein dauerndes Glück zu ver-
bärgen. Mit dem Glänze der Stadt stieg die Feindschaft ihrer Gegner,
und der Krieg wurde unvermeidlich; die Vollendung der Volksherr-
schaft rief unter den Bürgern Gegensätze und verfassungsfeindliche
Richtungen hervor, welche die Kraft des Staats untergruben; die
Pest erschütterte dieselbe vollends, indem sie nicht nur die attische
Volkskraft lähmte, sondern auch zur Entsittlichung der Bürgerschaft
wesentlich beitrug.
Was aber das attische Staatswesen selbst betrifft, so war es ein
künstlicher Aufbau geblieben, welchem die rechte Sicherheit fehlte
und die jedem Grofsstaate unentbehrliche volle Selbständigkeit. Die
eigene Landschalt war zu einem unwesentlichen Bestandteile des
weiten Herrschaftsgebiets geworden; sie war auch für die nächsten
Bedürfnisse der städtischen Bevölkerung durchaus unzureichend. Da-
her die Abhängigkeit von ausländischem Korn; daher das ruhelose,
begehrliche Ausschauen nach neuen Hülfsquellen, die unglücklichen
Unternehmungen in Aegypten und Sicilien. Die einseitige Richtung
auf das Meer entfremdete das Volk dem Ackerbaue und machte es
unfähig seinen heimischen Boden zu vertheidigen; es kämpfte mit dem
letzten Aufwände seiner Kräfte um die Städte am Hellespont und
Bosporos, während es die Bergfeste, welche man in der Hauptstadt
vor Augen hatte, neun Jahre lang in den Händen der Feinde liefs,
ohne einen Angriff auf dieselben zu wagen. Diese Uebelstande einer
einseitigen Seepolitik, welche unvermeidlich waren, wenn Athen das
Meer beherrschen wollte, konnten nur dadurch aufgewogen werden,
dass eine wirkliche Verschmelzung zwischen Athen und den Bundes-
rat! ten zu Stande kam. Perikles hat durch seine Bürgercolonien
eine solche Vereinigung erstrebt; er war auf dem Wege, durch fort-
schreitende Ausbreitung attischer Bevölkerung auf Inseln und Küsten
die wichtigsten Plätze des Archipelagus zu überseeischen Gauen von
Attika zu machen, aber die Friedenszeit, in welcher eine solche Ver-
schmelzung allmählich hätte gelingen können, war viel zu kurz. Die
Städte waren zu weit zerstreut, ihr Widersland gegen Athen zu zähe,
und bei der Unfähigkeit griechischer Stadtrepubliken sich zu einem
Reichsorganismus zu erweitern, war es nur die Furcht vor einer un-
besiegten Flotte, welche die Städte in Gehorsam hielt. Also war auch
die Seeherrschaft, für welche Athen den festen Besitz der eigenen
Landschaft aufgegeben hatte, eine unsichere, und zwar um so mehr,
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SOS
HÜCKÜLICK.
da die Persermacht, welche im Rücken der Bundesorle auf* jede u Un-
fall Athens lauerte, wohl zeitweise zurückgedrängt, aber nicht zerstört
werden konnte.
Ein Staat, dessen Macht auf so künstlichen Grundlagen ruhte,
konnte, wie Perikles erkannte, nur durch die höchste Besonnenheit
erhalten und nur durch den kräftigen Willen eines Staatsmanns von
überlegenem Geiste glücklich geleilet werden. Noch mehr bedurfte
es eines solchen, da Athen durch Abweichung von der perikleiscben
Politik seine Seeherrschaft eingebüfst hatte, und es sich nun um
die Rettung des Staats handelte. Alkibiades halte den Beruf der
Retter zu sein, aber durch eigene Schuld wie durch die seiner Mit-
bürger hat er denselben nicht erfüllen können, und die Herrlichkeit
Athens ging zu Ende.
So kurz aber auch die Dauer derselben gewesen ist, so hat sie
doch einen Inhalt gehabt, welcher die Geschichte von Jahrhunderten
aufwiegt. Die ganze Fülle hellenischer Yolkskrafl ist in ihr zuerst
offenbart worden und keine andere Zeil menschlicher Geschichte kann
sich an geistiger Thatkraft mil derjenigen vergleichen, welche in
diesem Bande dargestellt ist.
Die Gröfse des perikleischen Athens ist niemals wieder hergestellt
worden, aber sie ist ein Schatz des Volks für alle Zeit geblieben, und
zwar nicht nur als eine glorreiche Eriunerung, an der man in
schlechteren Zeiten sich trösten konnte, sondern sie hal auch kräftig
und segensreich nachgewirkt; denn die späteren Geschlechter haben
sich an ihr immer wieder aufgerichtet, und darum ist das gedemüthigte
Athen auch in der folgenden Zeit wiederum der wichtigste Schauplatz
hellenischer Geschichte geworden.
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ANME EKUNGEN
ZUM DRITTEN BÜCH.
1. (S. 4). Ueber den Charakter des Mardooios vgl. Her. VI 43, wo die
liberalen Staatsideen des Otanes mit den Neuerungen des Mardooios iu Zu-
sammenhang gesetzt werden. Ebenso wird er VII 6 als ein Freund von Neu-
erungen bezeichnet uud als das Ziel seines Ehrgeizes die Statthalterschaft ia
Hellas. Vergl. meine Bemerkungen zur Dareiosvase in Gerhards Archäolo-
gischer Zeitung 1657 S. III.
2. (S. 5). Einkünfte der Thasier: Her. VI 46. Ueber die thasischen Mün-
zen und ihre Verbreitung auf dem Festlande vgl. Perrot Memoire sur l'ile
de Thasos p. 21 f. Unterjochung durch die Perser: Her. VI 47.
3. (S. 7). Herodot IX 80, welcher von dieser Gelegenheit den grofsen
Rcichthum der Aegineten ableitet. Die überlieferte Leaart bei Herod. III 59,
worauf das S. 7 über den Atheoatempel in Aigioa Gesagte beruht, ist ohoe
hinlänglichen Grund angezweifelt worden im Neuen Schweizerischen Museum
III lbü3 S. 96. Fehden zw. Aigina und Athen: Polyaen. Strat. V 14.
4. (S. 9). Tödtuog der pers. Gesandten: Herod. VII 133 (aus lakedä-
mouischer Ueberlieferung), vgl. Kirchhof über die Abfassungszeit des Herodot.
Geschichtsworks 1678 S. 24.
5. (S. 11). Üemaratos von Kicomenes gestürzt: Her. VI 61— 66. Mua
itjs ßaa$Xij(ijs iqv xaianavaw 6 J. faxt alge&tls &GXn*i 67. Flucht des D.
zum Perserköoig: 70. Kleomenes mit Leotychidea in Aigina: 73. Kl.' Flucht
und Ende: 74 — 76. — Herodot erzählt Alles, was sich von der Aufnahme
der mediseben Gesandten in Aigina (VI 49) bis zu den Seekampfen der
Aegineten und Athener (c. 92 f.) begeben hat, in ununterbrochener Folge,
indem er nur die Räubereien der auf Suniou angesiedelten Aegineten (c. 90)
ausdrücklich als etwas Späteres anführt, das nur gelegentlich in die Erzählung
mit aufgenommen sei. Darnach haben Clinton, 0. Müller, K. Fr. Hermann den
Tod des Kleomenes noch in das Jahr 491 Ol. 72, 2 gesetzt, und Müller
(Aegin. p. 118) nimmt an, dass die c. 92 f. erzählten Kämpfe durch den Kriegs-
zug des Datis und Artaphcrnes unterbrochen worden seien, indem er auch
deu 'Ad-rjvabitv ra^oc, ol nQiv ij atgattvoai row MijSov trtoXturjattv nQÖs
Alytv^ias (Paus. I 29, 5) auf diese Kriege bezieht und der Meinung ist, dass
für die Mannschaft des heiligen Schiffs die Geiseln der Aegineten ausgeliefert
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ANMEKK l'XGE.N ZI M IHUTTEN BUCH.
worden seien. Indessen lässt sich die Menge der von Herodot erzählten
Thatsnchen nicht in die kurze Frist zwischen der niedischen Gesandtschaft
und der Schlacht von Marathon zusammendrängen; auch ist deutlich, das« cor
Zeit des Bergwerkgesetzes (S. 32) die Fehde noch fortdauerte; eine sichere
Vcrtheilung der einzelnen Ereignisse in die Zeit vor und nach der maratho-
nischen Schlacht ist unmöglich. Die einzige ThaUtoche unter den bei Herodot
erzählten, welche nach andere» Zeugnissen bestimmt werden kann, ist der Re-
gierungsantritt des Leotyehidcs, welcher 22 Jahre im Amte gewesen ist (Diud.
IX 48); sein Nachfolger ist Archidamos, dem 42 Jahre gegeben werden (Diod.
IX 48; XJI 35). Da nun Archidamos 428 noch das Heer befehligt (Tbuk. III 1)
und 426 an seiner Stelle Agis auftritt (III b<J), so muss Archidamos 427 oder
Anfang 426 gestorben sein. Sein Regieruugsantritt fällt also 469 oder 4GS,
der des Leotycbides aber 491 oder 490. Also fällt jedenfalls der Anfang des
ägineti.schen Kriegs vor die Schlacht bei Marathon, während Grote (3, 40 D.
Ueb.) die Fehde zwischen Athen und Aigina erst 4SS beginneo lässt und
Duncker (Gesch. d. Alt. 4, S. 694) in dasselbe Jahr den Tod des Kleomenes
setzt. Die Begründung dieser Annahme so wie der Meinung, dass Kl. nicht
natürlichen Todes gestorben sei, erscheint mir nicht genügend. ISach Kaegi
Jahrb. f. Phil. Suppl. 6, 471, der Grotes Chronologie beistimmt, hatte Spart«
zur Zeit der Schi, bei Marathon nur einen König, Leotychides, gehabt; allein
nach Her. VI 75 ist Kleomenes bis an sein Lebensende im Besitz der könig-
lichen Würde geblieben. Derselbe a. a. O. 469 gegen die Annahme von zwei
argivischen Feldzugen des Kleomenes. In der chronologischen Behandlung
des äginetisch- attischen Kriegs stimmt mir bei Franz Rühl die Quellen
Plutarchs im Leben des Kimon 1867 S. 42.
6. (S. 12). Herodot ist vorsichtig genug keine Zahlen anzugeben. Die
grofse Abweichung in den Angaben der andern Schriftsteller zeigt, dass keine
feste Ueberlieferuag vorhanden war. Die im Texte angegebeuen Zahlen sind
die des Cornelius ISepos im Leben des Miltiadcs c. 5, welcher dem Ephoros
zu folgen scheint.
7. (S. 14). Karystos: Herodot VI 99. Kretria: c. 100 ff. Die Frage
nach den Motiven der Landung in Marathon behandelt nach Leake und Finlay
Victor Campe de pogna Maratb. 1867 p. 23. Heber die Localität: Loiting,
Mittheilungen des Deutschen Archaeol. Inst, in Athen 1, 67 ff. Hachenburg,
Topographische, arebaeologische und militärische Betrachtungen auf dem
Schlacbtfelde von Marathon vgl. Anm. 14.
8. (S. 15). Nach den Berichten bei Plutarch (Alisteides 2) wurden Ari-
steides und Themistokles zusammeo erzogen und unterrichtet; nach Aeliaa
(Var. Hist. III 2) weigert sich Themistokles als Schulknabe dem Tyrannen
Pcisistratos aus dem Wege zu gehen. Darnach müsste Themistokles spätestens
Ol. 61, 2 (535) geboren sein. Wenn es aber wahr ist, dass Themistokles
65 Jahr alt geworden ist (Plut. Them. 31), und wenn seio Todesjahr, wie sich
später (vgl. Anm. 72) ergeben wird, vor Ol. 79, 1 (465) fallen muss, so sind
diese Nachrichten nur so zu vereinigen, dass wir die Geschichte aas seiner
Knabenzelt nicht auf Peisistratos selbst, sondern nach einer sehr häufipeo
Verwechslung zwischen den verschiedenen Mitgliedern der Tyranaeadynastie
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN RUCD.
811
auf die Sühne des Tyrannen beziehen. Dann würde das Geburtsjahr des The-
mistokles ungefähr mit dem Todesjahre des Peisistratos zusammenfallen. Von
Aristeides wissen wir nor, dass er am die Zeit der Reformen des Kleisthcnes
ein selbständiger junger Mann war. Es ist also kein Grund, sein Geburtsjahr
weit über das Todesjahr des Peisistratos hinaufzoröckeu. Yergl. Kleinert in
den Beiträgen zu den theologischen Wissenschaften von den Professoren der
Theologie zu Dorpat, Baad III. Hamburg 1866 S. 213. Themistokles' Vater:
Neocles pater generosus nach Nepos, dazu CIA. 181, b nach Lbschcke de tit.
quibusdam att. p. 27, seine Mutter eine Thrakerio, nach Phanias eine Ka-
rierin: Plut. c. 1. Kynosarges, yvfivaaiov des vo&ot unter den
Göttern. Plut. a. a. 0. Sladt klatsch über Tb. Jugendstreiche (rtögiTtnoi
foatQidtov im Kerameikos) nach Idomeoeus bei Athenaios 533 d 576c. Quellen
über Tb. A. Bauer Themistokles 1881.
9. (S. 16). lieber die Macht der HetÖrien im attischen Staatsleben vgl.
1, 324, 366. H. Büttner Geschichte der politischen Hetarien in Athen S. 21.
10. (S. 18). Die klassische Stelle über den attischen Hafenbau bei Thu-
kydides I 93 halte man früher allgemein so verstanden, dass unter den drei
Häfen drei innere Abtheiluugeu des Hafens Peiraieus zu verstehen seien. Man
verkannte nämlich, dass Peiraieus in weiterem Sinne auch die gunze Halb-
insel bezeichne, wie deutlich bei Pausa nias I 1, 2 und Strabon p. 58. Nach-
dem ich dies in meiner Schrift de portubus Atbenarura p. 44 erwiesen, brachte
Ulrichs Reisen u. Forschungen II S. 156 IT., iodem er die falsche Ansicht von
einem dreitheiligcn Hafen Peiraieus vollends zerstörte, die Topographie der
attischen Häfen der Hauptsache nach in Ordnung. — Phrynichos uud Themi-
stokles: Bernhard y Gesch. der Gr. Porsie II, 2 (1857) S. 17. Ueber den 7ttva£
rijc rixrjfj den Tb. weihte, siehe Plutarch Leben des Themistokles c. 5. O. Müller
de Phryaichi Phocnissis 1835. Welcker Allg. Litt. Ztg. 1863 S. 229. Bergk
Gr. Litt. 3, 265.
Die Weihioschiift der neun Archouten bei Philochoros (Harpokratiun
noog rjj nvlfJi T.^rjg). Dieser Hermes galt früher als identisch mit dein
Hermes des Kebris im Kerameikos; dagegen zuerst Schümann Isäus S. 334,
danu Wachsmuth Stadt Athen S. 208 und 519. W. setzt den Hermes „am
Pförtchen" an den Rand der Seeküste; Milchhöfer (Karten von Attika I S. 3'J)
an die Landseite, wo die Verkehr st rafsen mit der Oberstadt ausgingen. Dar-
auf weist auch nvlnv uouxos, wie Leake zuerst für HtTixos schrieb. Bergk
Rhein. Mus. 39, 618 verbessert bei Hsrpokr. avv roic yvlaTs, indem er eine
wetteifernde Betheiligung an dem Baue voraussetzt. — Thukydides' Angabe
der Mauerstärke von Müller-Strübing mit Unrecht bezweifelt: Jahrbüch, für
Phil. 1885 S. 289. Wachsmuth Ein antiker Seeplatz (Conrad Jahrb. für
National-Oeconomie und Statistik 1880 S 83 f.).
11. (S. 19). Her. VIII 92 erzählt, wie in der salaminischen Schlacht
Polykritos, der Sohn des Krios, der als Geisel den Athenern übergeben wor-
den war (VI 73), dem Themistokles höhnend zugerufen habe: 'Nicht wahr,
Themistokles, wir sind wohl recht medisch gesinnte Leute?'
12. (S. 21). Neunhundert aus jedem Stamme, das scheint die genaueste
Angabe zu sein. Suidas v. 'Inniat. 'Nicht voll zehntausend' Paus. IV 25, 5,
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN RUCH
der X 20, 2 sogar mit Eioschluss von alten Leuten uud Sklaven nur
9000 rechnet. Bei Cornelius Nepos (Miltiades) 10,000 mit Eioschlass der PI«-
täer. Vgl. Bö'ckh Staatsh. I3, S. 324. Jostio. 119 rechoet 10,000 aafser dea
Platäera. — (lieber die Betheiligung der Sklaven am Aaszage vgl. Herbst
,die Schlacht bei den Arginusseu', 1855, S. 20, welcher aber auch aas Paus.
VII 10, 7 schwerlich erweisen kann, dass unter den attischen Hopliten frei-
gelasseoe Sklaven mitgefochteo haben. Siehe Böckhs Staatsh. I3, S. 32).
13. (S. 24). Die Stellang der Stämme hiag oicht damit zusammen,
dass Marathon zur AianÜs gehörte, wie Grote meiot (2, 603 D. U.), sondern mit
der Herkunft des Kalliiuachos, wie Grote ebendaselbst schon richtig vermuthet
hat. Wo der Polemarch stand, da stand auch sein Stamm; der Pol. aber hatte
die Führung des rechten Flügels. So arteilt auch Sauppe de creatione arclu
atticoram Gott. 1864 p. 26. Die Reihenfolge der neun übrigen Stämme wurde
durch das Loos bestimmt; so kamen Leoatis und Aatiochis zusammen io die
Mitte. — Was das Datum der Schlacht betrifft, so beruht es auf den chro-
nologischen Forschungen ßöckhs (zur Geschichte der Mondcyklen S. 65), in
deren Ergebnissen trotz Grote's Widerspruch nur einige Nebenpunkte noch
zweifelhaft erscheinen können. Das Schlachtdatum bei Plutarch (Boedromioo 6)
erklärt sich aus der häufig vorkommenden Verwechslung des Dankfestes mit
dem Schlachttage; das Fest wurde erst nach mehreren Volksversammlungen in
voller Ruhe gefeiert. Die Schlacht erfolgte gleich nach dem Vollmonde, wel-
cher dem sechsten Boedromioo zunächst vorherging, also im Metageitnioo, der
mit dem Neumonde des 26. Aug. begann. Am neunten des wachsenden Mon-
des kam Pheidippides nach Sparta (Herod. VI 105); die Spartaoer ziehen nach
dem Vollmonde des laufenden Monats (ihres Karneios) aas; das spart. Voll-
mondfest fallt auf den 9. Sept. Den 10. rücken sie ans, den 13. kommen sie
nach Athen, einen Tag nach der Schlacht (Plat. Leg. 698); also war die
Schlacht am 12. Sept. (17. Metag.). Mögliche Unordnungen des Kalenders in
Athen und Sparta würden das Datum um ei u ige Tage verschieben, aber eine
wesentliche Abweichung ist nicht anzunehmen. — lieber bildliche Darstellung
der marathonischen Schlacht siehe O. Jahn in Gerhards Archäol. Zeitung 1866
S. 222.
14. (S. 25). loh glaube noch jetzt noch, dass nur in der angegebenen
Weise der Hergang der marathonischen Schlacht sich erklären lässt, wie ich
dies in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1859 S. 1013 nachzu weisen gesucht
habe. Davon, dass die Reiterei abwesend war, scheint sich bei Saidas Xvoi;
Inneis eine Ueberlieferung erhalten zu habeo. Fiolay (Transactions of the Royal
Society of Liter. III 373. 385) meint, die Reiterei sei so unbedeutend gewesen,
dass sie keine entscheidende Rolle habe spieleo können (wozu haben die
Perser sie deon mitgebracht?), und dass diese Reiterei gerade zum Fooragirea
am Nordende der Ebene gewesen sei (wie kam sie dann aber nachher anf die
Schiffe?). Dass es über den Hergang der marathon. Schlacht eine minder
glorreiche Auffassung der Thatsachen gab, bezeogt Theopomp. Fr. Hist. Gr. I
p. 306. Vgl. jetzt auch VV ecklein Sitzungsb. der Bair. Akad. 1876 S. 276 f .
Leber die frühe Verdunkelung des Thatbestandcs vgl. V. Campe de pugna
Marathooia 1867 p. 7. C. giebt zu, dass die weseullichsten Schwierig k ei ten
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ANMERKU>T.EN ZUM IHMTTKN BUCH.
durch meine Hypothese beseitigt werden; dass man aber auch die Sanmselig-
keit und Unentscblosseoheit der Perser erklären soll, scheint mir doch zu viel
verlangt. Sich hinter Sümpfen zu verstecken, litt der Stolz der Perser
nicht; auch waren die Sümpfe damals nicht so ausgedehnt, wie jetzt. Ueber
die Gröfoe der Lagerbeule giebt es keine sichere Ueberlieferung, und der Um-
stand, dass einige Schätze noch am Lande waren, scheint mir nicht erheblich
zu sein. Die ganze Streitfrage ist neuerdings durch die topographische Auf-
nahme des Schlachtfeldes und die militärische Beurteilung desselben in ein
neues Stadium getreten. Hauptmann Eschenburg, der die Ebene aufgenommen
hat (Wochenschrift für klass. Philol. 1S87 S. 152, und seine Schrift: Topogra-
phische, archäolog. und militärische Betrachtungen auf dem Schlachtfcide von
Marathon vgl. Anm. 7), nimmt mit mir die Einschiffung der Reiterei vor der
Schlacht an. „Unglaublich ist es, dass ein kriegsgewohntes Volk, von ehrgeizigen,
sehlachterprobten Männern geführt, in dem Momente, wo es möglich und leicht
war, durch eine rasche Verwendung der Reiterei die Entscheidung herbeizu-
führen, nachdem die Pferde durch lange Ruhe und gutes Futter die erhoffte
Stärkung gefunden, dieselbe vom Kampfplatze zurückgezogen nnd mit grofsen
Beschwerden eingeschifft haben sollte." Nach Casagrandi Battaglia di Maratona
Genova 1883 hat sich das persische Heer getrennt. Die eine Hälfte unter
ArUpbernes erwartet auf der See das Schildsignal; die zweite Hälfte unter
D»tis ist zurück geblieben und wird geschlagen; die ganze Reiterei befindet
sich am Bord. Vgl. Dunrker Taktik des Miltiades, Sitzungsber. der Berl. Akad.
1886 S. 393. Er will die 10,000 Reiter bei Ephoros auf „einige tausend"
beschränkt wissen. Durch den stürmenden Anlauf der Athener seien die über-
raschten Perser verhindert worden ihre Reiteret zu verwenden, sie sei durch
die Flucht mit zurückgerissen worden. Für die Anwesenheit der Reiterei auf
dem Schlachtfelde benutzt D. Nepos, Miltiad. c. 5; aber hier wird nur gesagt,
wie die Athener ihren Lagerplatz wählten, um nicht von den Reitern ange-
griffen zu werden. Die Schnelligkeit des Rückmarsches nach Athen am Schlacht-
tage gehört nach D. zu den offenbaren Ausschmückungen der Ueberlieferung.
Milchhöfer, der zuletzt die Ebene von M. genau untersucht bat, stimmt mit
Eschenburg vollkommen überein ; nur setzt er den Demos Marathon mit Leake
nach Vrana.
15. (S. 27). Das Schildzeicben auf dem Pentelikon ist eine unzweifelhafte
Thatsache; die Beschuldigung der Alkmäoniden weist Her. VI 123 als eine
Verlüumdung zurück. Vgl. Kirchhoff Abb. der Berl. Ak. 1871 S. 57 f., und Nitzsch
Rh. Mus. 27, S. 243 f. — Die von Kaegi J. f. Ph. Suppl. 0, 450 aufgezählten
Fälle beweisen nicht, dass die Spartaner durch die Karneenfeier zurück-
gehalten waren, sondern nur, dass dieses Fest öfter einer energielosen Krieg-
führung zum Vorwand dienen musste. — Tropäoo, jedoch aus unbekannter Zeit:
Paus. I 32, 5. Siegesfest: Hermann Gottesd. Alterth. 56, 3.
16. (S. 29). Ich habe in Übereinstimmung mit Grote (2, 606 D. Ueb.)
die Erzählung Herodots dem gerade hier bedenklichen Berichte des Ephoros
bei Stepb. v. Ryzanz s. v. Tlaqo<; nnd des Nepos im Leben des Miltiades
c. 7 vorgezogen. Dass M. den Verrath der Tempeldicneriu benutzen will,
um die SchotzgÖttin der Insel zu gewinnen, ist ein durch zahlreiche Aoa-
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ANMERKUNGEN ZUM »RITTEN BUCH.
logicn beglaubigtes Verfahren. Vgl. Böttichers Tektonik Buch 4 S. 142. —
Was Piaton im Gorgias p. 516 von dein Kinflusse des die Abstimmung lei-
tenden Prytanen bei der Verbandlang über M. sagt, kann ich unmöglich
verwerfen, wie Dnncker S. 090 thut, wenn auch Herodot VI 136 bei der
von ihm erwähnten doppelten Abstimmung dieser Thatsache keine Ermah-
nung thut.
17. (S. 33). Fehde mit Aigina: Her. VI 89. Ilülfslcistung der Koriother,
die nach einem bestimmten Gesetze keinen unentgeltlichen Zuzug leisten
durften. Der Miethszins von 5 Dr., welcher verabredet war, um dem Gesetze
zu genügen, kann wohl nur als ein täglicher aufgofasst werden. Wi lisch
Beitrage zur innern Geschichte des alten Koriutb Progr. von Zittau. 1SS7. —
Atheu hatte 50 Schilfa im Üginetischeo Kriege (Her. VI 89); 70 im Jahre
der Schlacht von Marathon (VI 132). Wenn nun 487 (73, 2) der Beschluss
durchging, den Bau von 20 frieren unter die regelma feigen Jahresausgaben
aufzunehmen (ein Gesetz, welches Diodor erst unter Ol. 75, 4 anführt; vgl.
Böckh SUaUh. 1», 316), so konnte bis Herbst 4SI eine Flotte von 200 Trieren
vorhanden sein. (Duncker 4, 704. Stein zu Herodot VII 144.) Gitschmann
de Aristidis c. Themistocle cootentione Breslau 1874, p. 16 f. Es sollten also
weder 200, wie man aus Her., noch 100, wie man aus I'lut. Them. 4 schliefsen
könnte, auf einmal gebaut werden. Them. verfuhr schlau, xarä ftucgov
vnäyuiv xaX xataßißäCuv r^v noXw tiq6( jfiv Oulaaoav. Dennoch erkannte
Aristeides sehr richtig, dass os sich um einen Wendepunkt der attischen Ge-
schichte handele. Bei einer solchen Ausbildung der Seemacht konnte die
Landmacht nicht unerschüttert bestehen.
IS. (S. 35). Aristeides den Themistokles u. A. zur Rechenschaft ziehend:
Flut. Arist. 4; vgl. Anin. 118 zu S. 227.
19. (S. 37). In der chronologischen Behandlung der politischen Thätig-
keit des Themistokles biu ich der Ansicht Böckhs (de arch. pseudep.) gefolgt.
Denn da auch aus andern Gründen (Anm. 10) hervorgeht, dass Them. schon
vor der marathonischen Schlacht ein Mann von entscheidendem Einflüsse war,
so ist keio Grund anzunehmen, dass der Archoo von Ol. 71, 4 (49%) bei Dion.
Ant. Rom. VI p. 367 ein anderer Themistokles sei, und für das Archontat
des Themistokles bei Thukyd. I 93 cio anderes Jahr zu suchen. Die Bemer-
kungen Droysens (Kieler Studien S. 79) bestätigen die Böckhsche Annahme.
S. auch Wachsmuth Stadt Athen 1, 513. Zweifelhafter ist der Zeitpunkt
des ßergwerkgesetzes. Gewiss wnrden mehrmahl ähnlich lautende Gesetze
gegeben (wie Diodor XI 43), und die Geschichte der att. Flotte (siehe Anm. 17)
macht es wahrscheinlich, dass schon 491 das entscheidende Gesetz zuerst
durchgegangen (Gitschuiauu de Arist. c. Them. coutentione p. 20 f.). Doch
sehe ich keinen Grund daran zu zweifeln, dass vor dem ersten Gesetze
die Bergwerksrente vertheilt worden sei, und zwar in der Regel jährlich
und unter alle Bürger, wie Herodot ausdrücklich sagt. Denn dies war ein
Einkommen von Dominialbesitz, nicht aber ein Geschenk nach Art einer
Korospende, auf welches die Wohlhabenderen verzichteten. Darum betrug aber
die Rente nicht jährlich 10 Drachmen für den Mann, sondern dies war etwas
ganz Aufserordentliches, indem zu der gewöhnlichen Rente ohne Zweifel an-
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sehnliche Kaufgelder hinzugetreten waren. So war das Hinkommen auf etwa
10 mal 30,000 Drachmen, also 50 Talente = 75,000 Thaler gestiegen, und diese
glücklichen Verhältnisse benutzte Tbem. für seine Pläne. Mach Polyaen. 1 6
wollten die Athener gerade 100 Talente verlheilen (also eine Metallrente
mehrerer Jahre), uud beschlossen davon je 100 Bürgern zum Schiffsbau ein
Talent zu geben. Diese Ueberlieferung ist nicht unglaubwürdig, wenn man
annimmt, dass von dem Talente nur der Rumpf des Schiffs gebaut werden
sollte (Böckh Staatsh. I3, 141). Wenn die Scbiffsbauer dabei aus eigenen Mit-
teln zulegten, so konnten dafür die ärmeren Bürger um so eher auf ihre Heute
verzichten. In der Hauptsache übereinstimmend das Fragment aus Aristoteles'
lA&rivaiuv noXutitt. Diels Berliner Fragmente der H&ti%a(an> nokutfa des
Aristoteles Abhdlg. d. Berl. Akad. 1865 S. 32. Hier heifsen die Grubenbesitzer
ol la (xfralXa la iv MaQtovtftf xnl ^avQfftp xtxttififroi, und die volle Durch-
führung des Gesetzes fällt mit der Verbannung des Aristeides zusammen.
20. (S. 40). Telepbaues Pbocaeus in den ofßcinae reguiu Xerxis atque
Darii Plin. XXXIV 68. O. Müller Kl. D. Sehr. 2, 637. lu den Ruinen von Pasar-
gadai erkennt man durchaus schon eine Corruption ionisch-hellenischer Formen.
Bötticher Tektonik 1», S. 27. Herakleitos* Beziehungen zum Perserhofe:
Zeller Phil. d. Gr. 1*, 567. Bcrnajs die heraklitischen Briefe S. 13 f., der
die Briefe, worin der König den Philosophen einladet, vertbeidigt. Dagegen
Diels im Rh. Mus. 31, S. 33. Metiochos: Herod. VI 41. Eretrier: c. 119.
H. Heinze de rebus Eretr. Gott. 1869 p. 34.
21. (S. 46). Der Athener Dikaios: Herod. VIII 65. Die Steigerung
in dem griechischen Berichte (Hernd. VII 35) von der Geifselung bis zur Brand-
mark unp des Hellespnnts macht die ganze Erzählung sehr bedenklich, und die
von Grote 3, S. 15 D. U. beigebrachten Analogien erklären doch im Grunde
nur die Entstehung solcher Erzählungen, ohne ihre Wahrheit zu verbürgen.
Indem man das Schlagen der Brücke schon an sich als ein Anlegen von
Fesseln ansah, konnte es leicht geschehen, dass man die der Natur angethane,
despotische Gewaltsamkeit, welche den griechischen Sinn verletzte, io immer
grelleren Farben ausmalte. Vgl. O. Müller Kl. D. Scbr. 2, 77. — Die Coo-
struetion der Brücke bleibt ooch immer ein Räthsel. — Nach Demetrios von
Skepsis bei Str. 331 könnte zweifelhaft erscheinen, ob der übrigens auch von
Thuk. IV 109 erwähnte Canal vollendet worden sei; jedenfalls war er sehr
bald wieder unbrauchbar. Lieber Reste des Canals vgl. Coosinery 2, 153.
Artacbaies commaodirt beim Durchstich des Athos Her. VII 117, Diels Hermes
22, 424.
22. (S. 49). Bei den 50,000 lakouischen Wehrmännern sind nur 5000
Spartaner gerechnet mit 35,000 Heloteu, und dazu 5000 schwerbewaffnete
Lakedämonier mit eben soviel Leichtbewaffneten nach Herodot IX 26; vgl.
VII 234. Ueber die Gesamtzahl der Pelopouoesier siehe meinen 'Pelopon-
nesos' 1, 175, wo für Mantineia statt 1440: 3000 gerechnet werden müssen.
Die Bürgerzahl 30,000 für Athen ist nicht anzugreifen, wie Bähr sehr richtig
zu Herod. V 97 urteilt. Die Zählung aus Ol. 83, 4; 441 (Böckh Staatsh. I3 45)
bezieht sich auf Solche, welche auf geschenktes Korst Anspruch machten. —
Um alle Kräfte zur Verteidigung des Vaterlandes zu vereinigen, ist io Athen
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN BUCH.
■ach ein allge meines Amnestiedekret erlassen, nach Andokides de mysterüs
§ 107. Vgl. Scheibe in der Zeitschrift für die Altcrthumsw. 1842 S. 210. Mit
diesem Dekrete hängt wahrscheinlich anch die Rückkehr des Aristeides zu-
sammen. Plot. Tbemist. c. 11.
23. (S. 49). Die 460,000 Sklaven der Korinther, die 470,000 der Aegi-
neten sind gut bezengt (BÖckh Staatsh. I3, 51). Man muss nur nicbt daran
denken, dass solche Sklavenmassen in den Städten zusammengedrängt gewesen
seien; sie waren auf den Schiffen and in den Uberseeischen Faktoreien zer-
streut. Ueber die verschiedenen Berechnungen der Sklavenmenge in den
alten Städten s. Büchsenschütz Besitz und Erwerb im griech. Alterth. S. 141.
Was die gesellschaftliehe Stellung der Sklaven betrifft, so war dieselbe aller-
dings nach Orten and Zeiten verschieden. Das Gesetz von Gortys lehrt
uns Gemeindeverhältnisse kennen, in welchen der Unterschied zwischen Freien
und Unfreien viel weniger schroH' war, wo Unfreie unter Umstanden selbst als
erbberechtigte Familienglieder auftraten. Rhein. Museom N. F. 40 Ergän-
zungsheft 1895 S. 64. In aristokratischen Staaten wurde immer auf strenge
Standesonterschiede gehalten; die demokratische Loft in Athen kam aoeh
den Unfreien zn Gate und begünstigte zum Aerger der Aristokraten (Ps.
Xeo. de rep. Athen. 1) ein humanes, gemüthliches Verhaltniss zwischen
Herren und Sklaven. Aegypter als knechtische Lastträger: Arist. Ran. 1406.
Aves 1133.
24. (S. 53). Pind. Pytb. 10: 'OXßla Aaxtöatuwv, paxaiQ« GtooaUa-
7tttTQos J* ttfi<foitQaii t£ Ivos aQiOTofjaxov y(voi xUqaxX(oq ßaoiXtvti. Herod.
VII 9.
25. (S. 54). Herod. VI 86.
26. (S. 55). Dorieus: Her. V 41 f.
27. (S. 56). Der Kampf um die Thyreatis: Herod. I 82. Paus. II 20, 7.
Vgl. 'Othryades' von Kohlmaon Rhein. Mus. 29, S. 426 ff. — Herod. Vll 9
la'sst den Mardooios in sehr treffender Weise den Kampf der Hellenen als
eine SjuXla bezeichnen: tneav yttQ ttXXyXouri itöltuov nQottnaHft, t£tv(>6v-
7d ro xaXXtarov xwgfov xal Xti6raTovy i( tovto xartortts ftaxovrai. —
Hier ist nicht an bestimmte neS(a ntQ^dx^ra, wie die lelantische Ebene u. a.
zu denken, wie H. Stein meint, sondern der Sinn ist, dass man das Schlacht-
feld wie eine Palast™ ansah, wo die Nachbarstädte ihre Kräfte an eioander
mafsen, ohne örtliche Vortheile militärischer Aufstellung zu suchen. Ueber
Dorieus Herod. V 41 f.
28. (S. 57). Herod. VII 61. 150. Schol. Arist. Friede 289 mit der merk-
würdigen Nachricht von dem Philhellenismus des Datis.
29. (S. 59). Pindars siebente pythische Ode aaf den Alkmäooiden Me-
gakles als Wagensieger. Vgl. T. Mommsen Pindaros S. 40 f. Bbckh bezieht
das Lob Athens auf den marathonischen Sieg. Die Pythien fallen in den Me-
tageitnion (Berl. Monatsber. 1864 S. 129), den Monat der Schlacht. Eine Ab-
fassung des Gedichts zwischen der delphischen Feier und der Schlucht ist
denkbar (L. Schmidt Pindars Leben S. 85), aber doch sehr unwahrscheinlich.
Thargelia als Parteigängerin des Grofskönigs: Plutarch Pertkles 24. Athe-
naios p. 608. Butt mann Mythologus 2, 281.
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30. (S. 61). Die Heiligthümer des Istbmos: Peloponnesos 2, 541. Ver-
einigung der Hellenen zu einer Kriegsgenossenschaft: r) yivoftiyri inl toT
Mrjdy tvfiftaxia Thnk. I 102 nach lierod. I 200 nnd 145: 6[*aixp(1l ngot ibv
ntQOjjy. Vgl. Ullrich 'Hellen. Kriege' S. 30. Der offizielle Aasdruck bei
Herod. c. 145: ol neol tijv ,EU«da "ElXyjvfs (d. h. die mntterlündUchen Grie-
chen) ol rä afittvta yooviovrts. Ta aptivm <pqovhv war gewiss ein alter
Ausdruck, welcher in einem auf amphiktyonische Angelegenheiten bezuglichen
delphischen Spracbgebrauche wurzelte. Eidesleistung nach Herod. VII 132,
Diodor XI 3, Lykurg, c. Leocrat. 81. Sie beruht mit Einschlags des Jixa-
rtvetv auf alten amphiktyoniscben Ueberlieferungen und ist wegen Theopomps
Kritik (fr. 167) mit Wecklein Tradition der Perserkriege S. 69 (vgl. Anm. 14)
nicht zu verwerfen, wenn dieselbe auch nicht urkundlich vollzogen worden ist.
31. (S. 63). Arthmios: Demosth. IX 42. Argos: Herod. VII 148. Ker-
kyra: c. 168. Syrakus: c. 157.
32. (S. 65). Euainetos in Tempe: Herod. VII 173. Timon: c. 141.
Epikydes: Plnt. Themist. 6. Orakel über die Holzmauern gefälscht: Hendess,
Progr. v. Guben 1883.
33. (S. 66). Thennopylai: Herod. VII 175. Die Kameen und die
Olymptas: c. 206. — Cox History of Greece 1, 501, hat Bedenken gegen die
Zuverlässigkeit der Ueberlicferung bei Her., weil unter den Griechen bei Ther-
inopylai keine Athener erwähnt wurden; und doch befinden sich gleichzeitig
bei Artemision erst 127, dann gar 180 athenische Schiffe.
34. (S. 68). Man kann sich die Mission des Leonidas kaum in anderer
Weise erklären, als dass der König im Widerspruch mit den Behörden auf
den Ausmarsch gedrungen habe und endlich mit einer ausgewählten Schaar
vorangegangen sei, um so die Uebrigen zu zwingen, hinter ihren Schanzen
herauszukommen. Dass aber die Schaar des Leonidas von Anfang an zum
Opfertode bereit war, geht schon daraus hervor, dass zu den 300 lauter
Miitmer ausgesucht wurden, welche zu Hause Erben zurück Iiefsen (Her. VII 205).
Es kann also nicht an die spartanischen 'Ritter' (Her. VIII 124) gedacht werden;
aber ol xarearfurfs kann auch nicht mit Bähr 'iustae aetatis viri' übersetzt
werden, sondern es niuss die Zahl 300 für Unternehmungen dieser Art eine
herkömmliche gewesen sein, und die Auswahl derselben dem Könige frei ge-
standen haben, wobei vielleicht die Meldung Freiwilliger berücksichtigt wurde,
Litt. Centralbl. 1867 S. 1167. Denkmäler in Therm. Monatsber. 1879 S. 3.
Kphialtes: Kirchhof! Sitzgsber. der Berl. Akad. 1885 S. 313.
35. (S. 71). Die Kämpfe bei Artemision: Herod. Vni 1—22. wi* Bvßofas
tfoui ntiytp, fy&a xaldrat ayväg ld(n£ftiSof ro£o<f<>Qov rtfttvos Kaibel
Epigr. 46. Ucber die Lage des Artemisions auf IHordeoboia Loiting Mittheil,
des Ath. Inst. VIII S. 7.
36. (S. 72). Thessaler nnd Phokeer: Her. VIII 27—32. Zug gegen
Delphi: 35—39. Pomtow, Fleckeisens Jahrbücher 1884 S. 225; nach ihm sollen
nur Streifsehaaren der Perser nach Delphi gelangt sein. Ktesias de reb. Pers.
27 will wissen, dass derselbe von Erfolg gewesen wäre, was schon durch
Her. IX 42 zu widerlegen ist; so auch Wecklein, Sitzungsber. der Bair. Ak.
1876 S. 263—268. Böoter: Her. VIII 34.
Cortiu», Gr. Geuh. II. 6. Aufl. 52
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37. (S. 73). Ueber den Areopag vgl. Aristot. Pol. p. 1204 (ed. 1855
p. 201, 5). Plut. Tbem. 10. Schöll zu Herod. IX 5. Wachsmuth Stadt
Athen p. 543. Thätigkeit der Priester: VIII 41.
36. (S. 7$). Rathssitzuug : VIII 67. Isthiuosmauer: c. 71. Fall der
Burg: c. 53. Mnesiphilos: c. 57. Vorrücken des pers Laudheers: c. 70.
Die südlich um die Insel herum nach dem megar. Sund gesaudte Flotteoabthei-
lung der Perser: Diod. XI 17 vgl. Aisch. Pers. 360.
38». (S. 78). Eophrantides verlangt Menschenopfer für Dionysos Omestcs
nach Pbanias von Eresos bei Plut. Themist. 13. Arist. 9.
39. (S. 80). Deshalb setzt Plutarch zweimal die Schlacht selbst auf den
16ten Munychion; ein falscher Schluss aus dem Datum des Dankfeste«. Die
Iakchospompe begann am l'Jteu Boedromion; am Ende des Tages begann die
heilige Nacht am eleusinischen Meere. Die Schlacht war mq\ rät tlxaöa^
wie Plut. Ca dj. 19 vorsichtig sagt; also etwa den 20sten Sept., zwei Tage
nach dem Vollmonde, nach ßöckh Mondcyklen S. 74. So weit passt, was
Plut de gl. Alb. 7 sagt: tnMafHjjev ^ Sri* navailrfvoi. Busolt Fleckeisens
Jahrb. 1885 S. 38 gegen die Vollmondzcit. Doch ist Aischylos, der vom Anbruch
der „dunklen" [Sacht spricht, kein Beweis gegen Plut. glor. Ath. 7, woraus
Böckh einen „zweifellos falschen Faktor" zur Bestimmung des Schlachttages
benutzt haben soll. Themistokleische Stiftung vor der Sehlacht: Kphem. Arch.
1884 S. 170 (5 ISqvOaxo ngo jijc ?v 2£aittfitvt /ju%r)s). Xerzes' Tbrooscssel.
Her. V III 90. Aristeides auf Psyttaleia (VIII 76): Aisch. Pers. 453. Der
Kampf blieb beschrankt auf den öatl. Theil des Sundes von Salamis, die
Durchfahrt bei Skaraiuauga blieb offen. In dieser Richtung sollte Adeimantos
mit den Korinthern geflohen (Her. c. 94) und am Skiradion wieder umgekehrt
sein: Loiting Mitth. 1, 135 f. Vgl. Löschcke Ephorosstudien , Fleckeiscns
Jahrbücher 1877 p. 25 gegen die Schlacht im Sunde. A. Du Sein Histoire
de la marine (Paris 1879), I S. 112. — Ephoros auch in seinen bestimmteren
Verlustangaben keine selbständige Quelle neben Herodot : Busolt Rhein.
Mus. 38, 629. Ueber den Schauplatz der Schlacht: Lolling Meerenge v.
Salamis, Hist. u. phil. Aufs. f. E. C.
40. (S. 82). Flucht des Grofskönigs : Her. VIII 97. Mardonios: e. 100.
Ueber den salaminischen Damm: Her. c. 97; vor die Schlacht setzen ihn
Strab. 395 und Ktesias Pers. 26. Verfolgung: Her. c. 108. Xerzes' Heimkehr:
c. 117 t {loyot ncQl jov Sfgteto vooiov).
41. (S. 83). Verhandlungen auf dem Isthmus: Her. VIII 124. Die Aegi-
neten in D. bevorzugt c. 122 (vgl. Ael. V. H. XII 10; Diod. XI 27). Zwei
Sterne nach Bötticher Tekt. 2, S. 44. Them. in Sparta: Her. VIII 124; Plut. c. 17.
Aristeides und Xanthippos: Plut. Arist. 11; Her. VIII 131.
42. (S. 86). Artabazos : Her. IX 41. 66. Mardonios und die Orakel: VIII 133.
Alezanders Sieg in Olympia: Her. V 22. M/s Gesandtschaft in Athen: c. 136 ff.
Vgl. Demosth. VI 11.
43. (S. 87). Lykides: Her. IX 5.
44. (S. 91). Das Datum der Schlacht lasst sich nicht mit Sicherheit
bestimmen; wir kennen nur die ihrem Andenken geweihten Feste, deren Tage
Plutarch (Arist. 19) auch hier wie bei Marathon ungenau auf die Schlacht
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selbst bezieht. Diese fallt also einige Tage vor dem viertletiten Paoemos
oacb böotischem Kaieoder; die Athener aber setzen das Fest noch später,
nämlich auf den vierten Boedromioo, wo sich das Siegesfest an das unmittel-
bar folgende Siegesfest in Agrai (S. 27) anscbloss. Vgl. Böckh zur Geschichte
der Mondcyklen S. 67. Es darf aber das Todtenfest in Maimakterion (Alal-
knmenios — Nov. Dec.) nicht mit dem panhellenischen Siegesfeste der Eleu-
therien verwechselt werden, wie es in K. Fr. Hermann'» Gottesd. Alt. § 63, 9;
Schümann Gr. AH. 2», 9 und sonst geschieht. Nor die Eleotheria hatten Wett-
spiele. Vergl. Sauppe in den Gött. Nachr. 196-4 S. 205. Die Inschrift in
Keil s Sylloge inscr. Boeot. p. 127 bezeugt die lange Fortdauer oder viel-
mehr die Erneuerung des Festes in der Kaiserzeit.
45. (S. 93). Leokrates: Plotarch Arist c. 20. — Neues Opferfeuer:
Plutarch Arist. 20. Wecklein Herroes 7, 446. Wassner: de heroum cultu
S. 52. — Gemeinsamer Bürgertag aller Hellenen und Beschlüsse desselben auf
Antrag des Aristeides : c. 21. Strafgericht über Theben: Herod. IX 86 f.
Es erfolgte nach demselben Grundsatze, der nach dem deutschen Befreiungs-
kriege geltend gemacht und damals besonders von Niebuhr vertreten wurde,
dass ein seiner Einheit bewusstes Volk den Abfall voo der Sache der Nation
als Felonie bestrafen dürfe , wenn der Verräther auch kein geschriebenes
Recht verletzt habe. Vgl. v. Treitschke Deutsche Gesch. I S. 649.
46. (S. 95). Das Epigramm o3 £«,V, ayyOXnv (Her. VII 226) wäre nach
Kaibel J. f. Ph. 1872, 801 nicht von Simon ides. Piaton Gesetze S. 692. —
Herodot als Gescbichtsquelle: Niebuhr Vorlesungen über alte Gesch. 1, 387
400 ff. 408 mit den Einwendungen Vischers in der Zeitschrift f. d. Alterthuuisw.
1850 S. 349. Was die Mängel Herodots betrifft, so ist seine Gleichgültig-
keit gegen genaue Zeitordoung und seine Uozuverlässigkeit in allen Zahlen-
angaben am wenigsten zu leugnen (Böckh Staatsh. I3, 326. Metropulos Ge-
schieht!. Untersuchungen über das laked. Heerwesen etc. S. 51). Ueber die
conventionellen Uebertreibungen der Griechen in Zahlen Arnold zu Thukyd.
I 74. Wie geschichtliche Thatsachen in der nächstfolgenden Zeit (vgl. die
unmittelbar an den ersten Kreuzzug sich anschließende Sagendichtung) ver-
grö'fsert werden konnten , beweist am deutlichsten die Darstellung der sky-
thiseben Feldzüge, Niebuhr A. G. 1, 189. Hierher gehören auch die helles-
poetischen Brücken.sngen. Die Sonnenfinsternis» vom Februar 478 (um deren
willen Zech des X. Uebergang nach Europa 2 Jahre später setzen wollte) ist
in der müodlieben Leberlieferung zu einem Vorzeichen der Ereignisse des
Jahres 480 geworden. Vgl. A. Schäfer de rerum post bellum Persicum in
Graecia gestarum temporibus 1865 p. 5. — Nitzsch sucht im Rh. Mus. 27, 226 ff.,
wie sich in den früheren Tbeilen des herodoteischen Geschichtswerks ver-
schiedene bestimmt geformte Ueberlieferungen (ioyoi) nachweisen lassen, auch
in der Schilderung der Perserkriege einzelne Partien auszusondern, von wel-
chen er annimmt, dass sie zum Theil offiziellen, mündlichen Ueberlieferungen
der Spartaner (S. 250), zum Theil attischer Localtraditioo entstammen. Ge-
hören diese letzteren den Familien der Philaiden und Alkmäonideu an, so würde
sich daraus auch die auffallend ungünstige Darstellungsweise erklären, in welcher
die Thätigkeit des Themistokles bebandelt ist (S. 243 f.). Wecklein a. a. O.
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anmerkiw;ew zum dritten buch
47. (S. 96). Herodot als erster griechischer Universalhistoriker nach
Dionys: de Thacyd. ed. Kroger S. 71: rijv 7jQay^an»r\v 7iQott(Qtotv tn\ rö
fietCov {(qvtyxi xal XapngoifQov. Herodots Glaubwürdigkeit io Betracht der
vaterländischen Angelegenheiten haben die vielfachsten and gehässigsten An-
feindungen nicht zn erschüttern vermocht. Platarcb, der als Böotier mit ihm
unzufrieden ist, verdächtigt ihn ohne Erfolg. Er bezeugt seine Unparteilichkeit,
wenn er ihm vorwirft, dass er die Hellenen zu wenig lobe. Trotz seiner Athener-
liebe vertbeidigt H. Korinth gegen Athen VIII 94. Sein warmes Mitempfinden,
seine theologische Richtung (S. 272), sein künstlerischer Sinn (S. 271) beein-
trächtigen die Treue der Forschung nicht, weil er nicht darauf ausgeht, die
Thatsacben für seine Gesichtspunkte zurecht zu legen. Anders verhält es sich
natürlich mit den eingelegten Reden, welche Herodot benutzt, um allgemeinere
Betrachtungen von zeitgemäßer Bedeutung einzußechteu. So darf man Unter-
redungen wie VII 9 nicht als geschichtliche Thatsacben ansehen. — Wie
schwer wird es Herodot einem Perserkönig den Frevel am Leichnam des
Leonidas zuzutrauen! VII 238. — Unter den Späteren war es namentlich Theo-
pouipos, der die von Athen ausgehenden ruhmredigen Darstellungen in ein-
zelnen Punkten zu widerlegen suchte; so in Bezug auf Marathon, xal ooa
aXXa 17 'Adrpaiary noXif aXaCovtverat xal nctQ«XQovtrai roi/i 'EXXrpas. Theo
Progymn. c. 2. Fr. H. Gr. I p. 306. — Ueber poetische Beschreibungen der
Perserkriege (t« JJiQOixa, rb A/ijdVxov tyyov), wie des Simonides (siehe
Suidas), wissen wir leider nichts. Jüngere Werke der Art werden später er-
wähnt werden. Ueber bildliche Darstellungen vgl. die Erklärer zu Eur. Ion
1159. Böckh Gr. Trag. Princ. p. 192. Das einzige Kunstwerk, welches uns
eine Anschauung davon giebt, in wie großartigem Stile die Griechen Ge-
schichtsbilder aus den Freiheitskriegen zu entwerfen wussten , ist die berühmte
Dareiosvase (Mon. d. Inst. IX t. 50—52), deren historischen Inhalt ich in der
Arch. Zeitung 1857 S. 106 näher zu bestimmen versucht habe. Vgl. 0. Jahn
Tod der Sophoniba 1859, S. 15. Ueber die Perserschlacht, welche zum Weih-
geschenk des Attalos gehört hat (Paus. I 25, 2), und aus welcher einzelne
Figuren erhalten sind, vgl. Brnnn Ann. d. Inst. 1870, S. 292.
48. (S. 98). Kythera: Herod. VII 235. Demaratos wusste, dass bei
einem noXtpos nugoixog Sparta nur an sich selbst denken würde. — Der Perser
sclbstverschuldetes Unglück: Thuk. I 69 t (6 ßagßugos avroc ntQl avry ra
nXtito otpaXtis). Durch das Verbrennen der Tempel (auf Anrathen der Magier :
Cic Leg. II 10) erhielt der Krieg den Charakter eines Religionskriegs, wie
der Krieg des Kambyses in Aegypten, Herod. VIII 143. — Attaginos' Gast-
mahl: Her. IX 16. Die bei Cox 1, 511 gegen den Bericht des Thersandros
vorgebrachten Gründe sind wenig überzeugend. — Artemisioo, o£t nai&ts
*A{fatva(*tv ißaXovto yatwäv XQtjntd' IXtvdtQfag. Piodar bei Plut. Themist.
8. Böckh Fragm. p. 580.
49. (S. 104). Hauptquelle zu Abschnitt 2: Thukydides, der I 97 zur Er-
gänzung des chronologisch ungenauen Hellanikos die von seinem Scholiasteo
(I 42) sogenannte Pentekontaetie einschiebt als anodttft? rrjs oqx^s t^C rtüv
Id&rjvttftov iv otty r^ontp xot/otij. Zeit und Umfang der Einlage: Kirchhof!'
Hermes 11, 37; Steup Rhein. Mus. 35, 321. Uebergang vom Defensiv- zum Ao-
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821
griffskriege: Herod. VIII 3 (üaduevot tov nioatjv neo\ rfji Ixtivov tjS/i.rov
dycjva irtottvvro); ersterer beifst bei Herodot und Thukydides t« Mijötxtt.
Rhein. Mos. 42, 147. Flottenbewegunpeu im Frühjahre: Her. Vin 13a. My,
kale: IX 90 f. Her. IX 104 tö ttvrtQov *ltavtt\ ano mgaiotv dniarrj. Epbo-
ros bei Diod. XI 34—37 lasst ans aeol. Local Patriotismus auch die aeolischeo
Städte sich am Abfall betheiligen, Her. c. 106 weift nur von den Lesbiero.
Lemnos und Imbros gehören zum (f>ÖQo( yijatcarixog, nicht znm 'EXXtjanovnaxog;
Kirchhof Hermes 11, 15 schliefst daraus anf Zugehörigkeit dieser Inseln znm
ältesten Bestand der athen. Bondesgenossenschaft. — Berathnng über Iooien :
Her. IX c. 106. Umsiedeluugspläne erwähnt auch Diod. XI 37. Thnk. I 89
übergeht den gemeinschaftliehen Zug nach Abydos und lässt die Athener allein
mit den nenen Bundesgenossen nach dem Hellespont ziehen: Zr\aibv {Trt/ei-
ftaaavrtc itlov. Artayktes: Her. IX 118 f. Nach Kirchhoff Abb. der Berl.
Ak. 1873, S. 24 wäre Sestos damals nur vorübergehend besetzt geblieben
und von Kimon noch einmal erobert worden (Plut. Kim. 9), ebenso Hermes 11, 8.
50. (S. 105). Uli rieh 'Zeit des Wiederaufbaus Athens' in dem Programme
über die hellenischen Kriege 1868. Ueber den Zug der themist. Stadtmauer
siehe Cnrtius und Kanpert, Atlas von Athen 1. 2. und 3; dazu meine Att.
Stud. I (Abh. der K. Ges. d. Wiss. zu Gott. 1860) S. 60 f. Ueber das drei-
eckige Vorwerk im S. W. S. 61 — 65. Den Umfang der Ummaueruog Athens
berechnet Kanpert (Mooatsber. d. Berl. Akad. 1879 S. 618 ff.) auf 7912, den
der Ummauerung des Peiraieus auf 12,665 Meter.
51. (S. 108). Einrede Spartas IgoTQWovrtov TtSv ^vfifia^cav: Thuk. I 89.
Plut Them. 19 nennt die Aegineten. Thuk. I 93: noXXal ar^Xat ano orj/darory
xal X(»oi> ttoyaOfifvoi (yxauXfyrioav; in der Themistoklesmaoer waren ein-
gemauert die Grabinschriften CIA. I 479, 483, 477b mit dem Relief des
Diskosträgers (vom Dipylon) s. Abbandl. der Berl. Ak. 1873 S. 153 ff.
Thnk. I 93: to v\f>os rj/utav fjuüXioxa heXtofhj ov duvottro. App. Mithr. 30
giebt die Höhe auf 40 Ellen — 60 Fufs an, wo Ross (Arch. Aufs. 1, S. 293)
14 Ellen « 21 F. lesen will. Da nun aber eine Höhe von 120 F. unmöglich
beabsichtigt sein konnte, so ist 60 wahrscheinlich die beabsichtigte, aber auch
wohl nie erreichte Höhe.
52. (S. 108). Diod. XI 43. Missverständniss nach ßöckh Staatsh. 1 3,
S. 402. Doch siehe Philologus 1868, S. 48.
53. (S. 110). Oligarchen bei Plataiai: Plut Arist. 13. \pj}tfiO(Atti
xotvrjv tlvat rijv noXtutav xal rovg io^oyrag l$'A&T]vat<ov ndvTtov alguo&at:
e. 22.
54. (S. 111). Was hier in früheren Auflagen von Pausa nias' An-
wesenheit in Thessalien und Mer Heimführung der Gebeine des Leonidas ge-
sagt ist, beruht auf der Verbesserung des Paus. III 14, 1, wo O. Müller (Dor. 2,
S. 488) lioattqai für TeaaagaxovTa schreibt. Anders Schubart (Paus. ed.
Teubn. Praef. p. xiu), welcher 'eine Lücke annimmt und ergänzt: [üavüa-
vtov tov UXtiOtodvttxros] tov TlavaavCov. Diesem beistimmend A. Schäfer de
rernm post bell. Pers. gest. temporibus 1865 p. 7. Dann fällt die erwähnte
Th.itsache in die Zeit, da Pausanias während des Exils seines Vaters als
unmündiges Kind regierte, um 440; der Vormund des Pausanias müsste also
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für ihn den Zug nach Thermopylai gemacht haben, was dem Ausdrucke des
Schriftstellers nicht entspricht. Doch ist kein Grnnd die Tbatsache und die
Zeitangabe zn bezweifeln: vgl. Kirchhofe* Monatsber. der Bert. Akad. 1879 S. 6.
Das Ende der Regierang des Leotychidcs und der Regierungsantritt des
Arcbidamos wird von Diodoros XI 48 irrig in das Jahr des Phaidon Ol. 76, 1;
476 gesetzt: ein Fehler, welcher aus Diodor selbst verbessert werden kann.
Siehe Clinton Fasti Hell. II app. 3. Leotychides regierte 22, Archidamos 42 Jahre;
A. starb 427; also fällt die Verbannung des Leotychides in 469 — Ol. 77, 4,
das Jahr des Apsephion, und Diodors Irrtbum scheint hier auf einer Ver-
wechslung der Namen 'A\ptif(b)V und <Pa(6iov zu beruhen. Vgl. Krüger hist.-
philol. Studien S. 150. Leotychides in Thessalien: Kirchhoff Sitzungsber.
1885 S. 319; 469 v. Chr. nach Meyer Rhein. Mus. 42, 146.
55. (S. 113). Thnk. 1 132. Das Distichon des Pausanias von Simonidea
nach Paus. III 8, 2. Man glaubt in dem ehernen Schlangengewinde, dessen unterer
Theil mit den Inschriften 1856 auf dem Atmeidan zu Coostantinopel ausge-
graben worden ist, das Original des platäischen Weibgeschenkes zu besitzen.
O. Frick das plaläische Weihgeschenk zu Constaotinopel. Leipzig 1859. Meine
Zweifel an der Identität: Arch. Zeitung 1867, S. 137*. Jenaer Literatnrz.
1874, S. 156. Nach Fabricius (Jahrbuch des deutsch, archäol. Iastit. I 176)
lautete die Ueberscbrift : to(ö% iov noltfAOv inoMptov. Es war also keine
Weihinschrift, und das bei Diodor erhaltene Distichon (XI 33) wird auf einer
niedrigen Steinbasis gestanden haben. Mein Zweifel an der Echtheit (Gb'tt.
Gel.-Anz. 1861) beruhte wesentlich auf der tektonischen Constroktion des er-
haltenen Denkmals, und diese Bedenken zu beseitigen oder zu erklären ist noch
von keiner Seite ein ernster Versuch gemacht worden.
56. (S. 115). Hergang und Motive des Abfalls: Thukyd. I 94. Plut
Arist. 23 nennt neben Arist. Kiiuon und weifs von einem Angriffe der Chier,
Samier und Lesbier auf das spart. Admiralschiff. Diod. XI 44.
57. (S. 117). Hetoimaridas' Rede: Diod. XI 50 (nach Ephoros). Philo-
logus 1868 S. 51. Verzicht Spartas: Thuk. I 95. Der Uebertritt der Bundes-
genossen zu Athen erfolgte zugleich mit der Abberufung des Paus. : Tbuk. I 95.
Hatte man nur P. heimgernfeo, so würde mau sogleich einen Nachfolger be-
stellt haben. Weil die Flotte mit Pausauias zurückgekommen war, schickte
man Dorkis mit einem neuen Heere aus.
58. (S. 117). Clinton Fasti Hell. II app. 6. A. Schäfer a. a. 0. p. 14.
Schwankende Zahlen bei den Rednern über die Dauer der attischen Hege-
monie. Die genaueste Angabe bei Demosthenes III 24; IX 23. Er rechnet
45 Jahre, indem er von der ganzen Summe von Jahren zwischen Abzng der
Perser und Ausbruch des pelop. Krieges, welche man herkömmlich auf 50
Jahre ansetzte, die fünf Jahre abzieht, während welcher die Lakedümonier
noch im Besitze der Hegemonie waren. Vgl. über die chronolog. Berech-
nungen der att. Hegemonie Böckh Staatsh. 1 3, 527. Andokides rechnete von
Marathon an 85 Jahre. Vgl. Kirchner de Andocidea quae fertur tertia ora-
tione p. 55.
59. (S. 118). Nach Semos' Delias bei Athenaios p. 331 f. — Der amphi-
ktyooische Charakter des Bundes führte dazu, dass die Leistung des Tributes
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in bestimmten Fällen erlassen werden konnte, aber nicht diejenige der Quote
Tür die Gottheit; so dem makedonischen Methone: CIA. I 40 und dem thrakischen
Neapolis: CIA. I 51.
60. (S. 120). Organisation des Bundes: Thuk. I 96 naQalaßovttg 6h ol
irr Tjyefiavfav txovtuv Ttov ft'^a/wr Sta rb üavoavlov fiioog, ha£av
ag je tön jtttQfyttv reav nolttov XQrjjiara nqbg tbv ßttQßaqov xai ag vavq *
7t Qooxvpct yag a/uiivctodat tov faa&ov dyovvrag lijv ßaoilttog x<»(Ktv. xai
*EJÜLT}VoT€tfiiat tor« TiQfüTov 'A&rjvaiois xajiairj <*QXV> °* ^dY/ovro *ov (fOQov
ovito yaq tuvoftäo&ri iwv ^^ij/udroiv i) tfOQa. rjv 6 rrQtotog tf ogog Jax^tig
rciQctxooia ntlana xal i^rjxovra, rapttiov re dr\log rtv avtoig xai at $vvoöot
tq tb Uqov iylyvovxO) rjyov/utvtuv dt aviovöfjtav x6 TtQÜiov itöv g~vtupctX<M>
xal anb xotvtSv t-uvodbxv ßovlfvorrutv xrl. ohne Nennung des nach Diod. XI 47
von dieser Einrichtung dtxaioq genannteo Aristeides, des oi fiovov xa&a-
QO>S xal dixaftog, akXa xai nQoOtftltSg Tt]v fTtiyQatfrjy taTv xQVHaTa/v ^ot1)~
adfxtvog nach Plut. Ariat. 24, der auch von früheren Tributzahlungen in der
Zeit der spart. Hegemonie weifs. Vgl. Böckh Staatsh. 1», 469. Köhler Ur-
kunden und Untersuchungen z. Gesch. des delisch-attischen Bundes (Abb. der
Berl. Ak. 1869) S. 88 f. Nach Kirchhoff (Hermes 11,37) antieipirt Thuk. c. 96
den Bestand, wie er seit der Schlacht am Eurymedoo im Wesentlichen un-
verändert geblieben ist, und giebt dann die Entwickelungsgeschicbte des
Seebunds. Aus Missverstündniss des Tb. stammen die Angaben bei Ephoros,
der Aristeides unmittelbar mit den 460 Talenten in Verbindung bringt. Auf
irriger Anschauung beruht des Ephoros (Diod. XI 47) öiaptyiOfiogi dagegen
Frankel zu Böckh Staatsh. 2^, 89'. Fhaselis und Chios: Köhler, Hermes 7, 163.
CIA. II 11. Gruppen: Köhler, Urk. des del.-att. Bundes S. 90.
61. (S. 121). nolvifnuffa bei Thuk. III 10 Hinweis auf Fortbestand
synodaler Beratbuogen. Ort und Zeit der Bundesversammlung: Köhler Ur-
kunden des delisch-attischen Bundes S. 92. loia/utvov ylvxegov ttaQOS' Dionys.
Perieg. 527. Theophanie des Apollon im ItQÖg ^uijy der Delier, dem zweiten
Monat nach Frühlingsanfaag. Robert, Hermes 21, 161. Nissen, Rhein. Mus.
42, 43. Doppelte Schatzurkunden iu Dclos und Athen. Bulletin de corresp.
hellen. 1886.
62. (S. 122). Die persischen Garnisonen in Europa: Her. VII 106 f.
Grote 5, 396 (3, 229 D. U ). Ueber die Zeit des Orakels A. Schäfer de
rerura post bell. Fers, gestarum temp. p. 10. Nach Plutarch Tbeseus 36
rpaldaivog «g^orroc (76, 1; 476); die Heimführung der Reliquien erfolgte
aber unter Apsephion 77, 4; 469. Ein solcher Zwischenraum ist um so un-
wahrscheinlicher, je besser sich das Orakel den Absichten der Politik Kimons
ein Tiigte. Deshalb wird wohl bei Plut. Tbeseus eine Entstellung des Archonten-
uuraens anzunehmen sein, so gut wie beim Schol. Aeschin. II 31 p. 502 Didot,
und schon Bentley war der Meinung, dass das Orakel der Pythia, der Fall von
Skyros, der Sieg des Sophokles und die Uebertragung der theseischen Reliquien
alle in das eine Jahr des Apsephion fielen.
63. (S. 123). Ueber Kimon W. Vischer 'Kimon' Basel 1847. K. uud
Aristeides: Plutarch Arist. 25. — K. und Elpinike: Plut. Kimon 4. Nepos
Cim. 1. Das Geschwisterpaar aof der kom. Bühne verläumdet nach Schol.
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824
AN MERKLIN GEN ZUM DRITTEN BUCH.
Amt p. 515 Dd. — Kallias und Elpinike: Nepos Cim. 1. Dio Chrys. LXX1X 6.
Meier de bonis damn. p. 5, 16.
64. (S. 125). Byzanz: ol aififia^ot fiträ tov KifAtovoq i£uiol*oQxt)<fav
Plat. c. 6. ßeutethcilung in Chios nach Ion bei Plut. Kimon 9. PI. setzt die
Säuberuug des Hellespouts erst Dach d. tha;>ischen Aufstand c. 14. — Persische
Garnisonen nach dem Fall von Byzanz: Thuk. I 13. Maskames: Herod. VIII 106.
lieber den ganzen thrakischen Feldzug Kirchhoff im Hermes XI S. 17 ff.
Thrak. Cbers.: Plut. c. 14. Schäfer p. 10. EYoo: Herod. VII 107. Plut. c. 7.
Acsch. c. Ktes. §. 183. Paus. VIII 8. 9. Attische Hermen mit Distichen auf
die thrakischen Feldzüge, von Ion nach Kirchhoff, Hermes 5, S. 56. An-
spielung auf Boges: B. Schmidt Rhein. Mus. 36, 1.
64». (S. 126). Skyros: Thuk. I 98. Kirchhoff Abhandl. der Berl. Ak. 1873,
S. 13. — Athen und die Bundesgenossen : Thuk. I 99 a/rfa* 6k ällat te tjaav
ruv dnoatdaaoy xal ptyioiat al i<ö> yootov xal vhZv txöticu xal kanoonjä-
uoVj tl Ttp lyiv&io' ol ydo ld&. axpißwg Inoaaoov xal XunrjQol fjaav ovx
ilto&ooiv oiitö ßovkofiivoii raXamtoottv nooodyovus xoc dvdyxag. rjoav 6i
mos xal ailtoq ol 'A&. ovxiu opoiayg (v ydovr} ap/onfe, xal ovii (wtoroa-
tevov otto toC foov. Karystos: Thuk. I 98. Her. IX 105. INaxos: Thuk. I 98.
Plut. c. 10. In dieser Zeit Geboreue erhielten zum Andenken an die Thaten
des Vaters Namen wie Kaovarövtxos , Nafrddijs u. a. Hermes 17, 627,
CIA. IV n. 446 a.
65. (S. 129). Timokreon: Plut. Them. 21, Athen, p. 415. Kirchhof
Hermes 11, 38. Plut. Arist. 22. Them. 20. Cic. de off. III 11. Unbedingt ver-
werfen die (Jeberlieferung von der beabsichtigten Flotteoverbrennung Wiebuhr
Vorl. Uber alte Gesch. 1, 425, Grote 5, 271 u. A. Gegen die Verwerfung W.
Viseber 'Kimon' S. 47. Der Historiker kann es nur als ein in alter Zeit ver-
breitetes Gerücht constatireo. — Delphische Angelegenheiten: Plut. Themist. 20.
66. (S. 130). Was A. Schäfer im Philologus 18, 187 gegen die Geschichte
von Hieron und Them. einwendet, kann mich nicht vollständig überzeugeo; denn
wenn er auf den Glanz des Tyrannen in Hellas uud namentlich in Olympia
sich beruft, so spricht das nur dafür, dass man dem Autrage des Tbemistokles
keine Folge gab, was gewiss auch im höchsten Grade wahrscheinlich ist. Durch
die Wiederkehr eines ähnlichen Vorfalls (mit dem älteren Dionysios) wird aber
das Zeugniss des Theophrastos nicht entkräftet. Die Beanstandung der Zu-
lassuugsfahigkeit, kam in älterer Zeit gewiss nicht selten vor, und wie natürlich
ist es, dass sich hie und da Aeholiches wiederholte! Also beweisen hier die
analogen Fälle für einander und zeigen, was für Gesichtspunkte bei Prüfung
der Zulassungsfähigkeit geltend gemacht werden konnten. Zeit der Phö-
nissen: Ribbeck Dionysoseult S. 29.
67. (S. 131). A. IdQtaioßoulri in Melite Plut. c. 22. Att. Studien 1
S. 10 f. Darin ein elxövtov Btftioroxliovs. Vgl. CIGr. I p. 19, 872. Ostra-
kismos nach Diod. XI 54: 77, 2; 471. Cic. de am. 12, 42. Cicero wie Eu>
sebios unterscheiden nicht zwischen Exil und Flucht zu den Persern. Ari-
steides unbeteiligt: Plut. Arist c. 25. Vier Jahre nach Aristeides' Tode:
Nep. Arist. 3. Statt Alkmaion wollte Meier Leobotes. Vgl. Viseber 'Kimon'
S. 49. Kl. Sehr. I 24.
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ANMEHKUNKEN ZUM DRITTEN BUCH.
825
68. (S. 132). Th. in Argos „magna cum digoitate" Corn. Ncpos Them.
c. 8. Pausanias' letzte Schicksale: Thak. I 95. 128 f. Vgl. Duuexer 'Prozess
des Pausanias' Sitzuogab. der Berl. Ak. 1883 S. 1125. Die Unbegreiflichkeit im
Verfabreo der apart. Behörden gegen P. erklärt «ich Daacker aus dem Gegen-
satze zweier Parteien, von denen die eine Demütbigung Athens nm jeden Preis
wollte, und zu diesem Zwecke war ihr auch eine mit persischer Hälfe zu er-
reichende Ausschließung der Atheuer von dem Bosporos willkommen; daher
wird P.so lange von zweiEphoren gedeckt. Dass aber, wie D. annimmt, Kolonai
in Troas dem Pausanias als ein Fürstenthum übergeben worden sei, wie dem
Demaratos Pergamon u. s. w., davon ist keine Kedc, und ein solches Vasalleo-
tbum des Regenten von Sparta wäre in der That eine Thatsocho, die auch
von deo Freunden und Mitschuldigen nicht verschleiert werden konnte. Was
deu Aufenthalt des Pausanias in Byzanz betrifft, so dehnt Trogus bei Justin.
9, 1 denselben auf sieben Jahre ans und ebenso Diodor XI 44 (Wesseling:
pro more Diodorum plurium aonorum gesta ad unam rerura perpetoitatem
refetenda coniunxisse. 'per septem annos possessa') von c. 76, 1; 476 bis
77, 3; 469, als P. ix iov Bvtavrtov ßiif in ^»nwi/mv lxnoUoQ*r\9tis.
Thnk. I 131.
69. (S. 135). Themistokles im Exile: Thnk. I 135 f. PloUrch Them. 21.
Kimou 16. Arist 25. Üiod. XI 54. Gefährliche Verhältnisse im Pelo-
p<»anes: Schäfer de rernm post b. Pcrs. gcstarum tcmporibus p. 15. Die
Nachricht über das Verfabreo des Leobotes stammt nach Meier und Cobct
aus K rate ro s. Vgl. Schäfer Jahrb. f. kl. Phil. 1865 S. 622. — Themistokles1
Fluchtreise: Thuk. 1 137. Plut. Them. 25. Diod. XI 56 nennt Lysitheides.
Die Erzählungen voo Th. Abenteuern haben vielerlei Ausschmückung erfahren.
Für die Zustände in looien zwischen der Schlacht bei Mykale und am Euryme-
don ist von Wichtigkeit: ClGr. II 3044.
70. (S. 136). Neue Kriegspläne: Xerxes ex integro bellum instituit
Justin. II 15 (vielleicht aus Deinon nach Trogos). Eurymedon: Tbuk. I 100.
Diod. XI 61. Plut. Kim. 12. Nach Kirchhof (Hermes 11, 33) sind auch die
ionischen und aolischen Städte erst im Jahre der Schlacht am Eurymedon in
den Seebund aufgenommen (gegen Ephoros bei Diod. XI 60, der diese Thatsache
gleich nach der Schlacht bei Mykale ansetzt). Dass in den ionischen Städten
eine mächtige Partei vorhanden war, welche zu Persien hielt, und deren Häupter
nach Kimons Siegen in die Verbannung (zu den Persern) gingen, ergiebt der
Vertrag mit Erythrae: CIA. I 9. — Xerxes stirbt Ol. 78, 4; 465 nach Diod.
XI 69 und dem Kanon des Ptol. (Clinton II 318; Schäfer de rerum etc. p. 5).
Nach dem Tode des X. kommt Th. nach Persien. Thuk. I 137. Charon bei
Plut. Them. 27. Der Widerspruch des Ephoros, Deinon, Kleitarchos, Herakleides
u. A. erklärt sich dadurch, dass die 7 Monate dea Artabanos (Manetho bei Syn-
kellos p. 75 D.) bald dem X. bald dem Artaxerxes zugerechnet wurden. Darnach
schwanken die Angaben von X. Regierungszeit zwischen 20 und 21 Jahren.
Clinton zu 465 und p. 314. Nach Aristot. Pol. p. 1312, b (220, 13) hatte
Artabanos (Imigran uvri$) erst den Dareins g^ttiiitet und dann den Vater, (foflav/utvot
rtjv ötaßolrjy lijv n(Ql daQtiov. Vgl. Schneiders Comin. S. 343. — Grote 5, 377
bezieht die Anklage des Leobotes (S. 133) auf den ersten Prozeas des Tb.;
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826 ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN BUCH.
richtig Kutorga Le parti Persan 1860 p. 22 f. Siegeszeichen in Delphi: Palmen -
baam mit reifen Datteln is uffitjaiv rr$ 6ntoQ«e Paus. V 15, 4.
70». (S. 137). Timokreons Gedicht auf Them.: ovx aoa T. povros
Mtäoioi ooxoro/uft etc. Plut. Them. 21.
71. (S. 138). Stater mit dem IN amen des Them.: Waddington Revue
num. franc. 1856. T. 2 n. 2. Vgl. J. Brandis, Gesch. des Mate-, Gewichts-
und Münzwesens in Vorderasien bis auf Alex. d. Gr. S. 238 f. 459. Von deu
zwei bekannten Exeinplareo der Themistokiesmünze ans Magnesia ist das eine
(im Brit. Museum) unecht, d. h. nicht silbern, sondern versilbert, und deshalb als
ein Zeuguiss von der Unredlichkeit des Th. benutzt worden vgl. Head historia
numuioram 1887 p. 501. Gewinnsucht des Them. Herod. VIII 111. Ad. Bauer
Them. 23. — Themistokles und Kimou: Suidas s. v. K(utov. Ari»todeuios
(Fr. H. Gr. V p. 13).
72. (S. 139). Vgl. M. Duneker 'Angeblicher Verrath des Themistokles'.
Sitzuogsber. der Berl. Akademie 1882 S. 377. Nach ihm (und A. Bauer Them.
1881) steht Herodots Darstellung unter dem Einfluss der Übeln Nachrede,
welche nach der Anklage des Them. durch seine Gegner in Athen herrschend
war. Th. widerrieth den Abbruch der Brücke (Herod. VW, 109: ano»rr
xt]V fi(lX(ov noiT)Oto&cu ii tbv ntoorjv d. h. wie ein Depositum, das ihm ein-
mal Zinsen tragen könne). Nach Wecklein (Sitzougsber. der Baier. Akad.
1876, S. 295) eine 'psychologische Unmöglichkeit'. Einem so scharfblickenden
Staatsmann« wie Them. konnte eine solche Eventualität, wie sie später ein-
trat, doch wohl schon damals vor Augen treten, und mau bedenke, dass der
Begriff des Medismos erst nach Marathon und Salamis klar ins Bewusstsein
trat. Bis dabin war Persien der gewöhnliche Rückzugsort gestürzter Staats-
männer. Zwei Sendungen an den König bezeugt durch Tbuk. I 137; die
zweite Empfehlung seiner Person ist unwahr, insofern er sich darin nur dem
Eurybiades gefügt hatte. Entschieden inissgünstig ist aber Uerodots Auf-
fassung, wenu er darin von Anfang an eine Täuschung der Athener sah, und
hierin darf man wohl den Einfluss einer dem Them. feindlichen Gesinnung
erkennen. — Thuk. I 138. Die 65 Jahre bei Plut. Them. 31 in Verbindung
mit den Aam. 5 besprochenen Ueberlieferuogen führet) in die Zeit vor Ol.
79, 4. Tod durch Stierblut beim Opfer: Cic. Brutus 11. Aristoph. Ritter
v. 84 zeigt, wie verbreitet die Ansieht von der Selbstvergiftung war. Bürger-
feste zu Ehren von Them. und Ehrenrechte seiner Nachkommen in Lampsakos:
Mitth. des athen. Inst. 6, 104. Ebenso in Magnesia nach Plut. Them. a. E.
73. (S. 141). Plut. Kim. 14: intl rtuv TlfQaüjv rtvtg ovx tßovlono
Trjv XiDoovrjoov Ixkmetv, üUa xal rovf Goqxas avatdtv tntxaXoüvio xitra-
(fQovovvres tov Ktptavt*; — o^ij'ffac In avrovs rfoottooi plv vavol iqio-
xaiStxa ras txdvtuv Haßev, t&ldoas di zovs niooaq xal XQaryoae rwr
xtav näaav (pxn(6aaio tjj noku ii)V XenQovtjOov. — Der erste Zug nach
Enneahodoi (Schol. Aesch. II 31, p. 29 ed. Baiter et Sauppe) unter Phaidon
(lies: Apsepbion — also 77,4; 469), der zweite (nach Thuk. IV 102) 29 Jahre
vor der Gründung von Ampbipolis, also 78, 4; 465 unter Lysitbeos (statt:
Lysikrates Schol. a. O). Vgl. Schäfer S. 16. Die Niederlage der von Lea-
gros, dem S. des Glaukoo, und Sophanes (Her. IX 75) befehligten Athener
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN RUCH. 827
bei Drabeskos mit drin Anfange des thasischen Kriegs gleichzeitig nach Thuk.
I 100 f., der hier ausführlicher ist als die andern Quellen.
74. (S. 143). Inschriftfragineute von einem der auf Staatskosten er-
richteten Grabdenkmäler mit Namen von Athenern und Bundesgenossen, welche
iiiBtxoy gefallen sind: CIA. 1 432. Jahr des Abfalls von Thasos, Anfang 464:
Thuk. I 1U0, vgl. Paus. IV 24, 5, wonach der messenische Aufstand ausbricht
Ol. 79 unter Archon Archidemides, und Plut. Kim. 16: 'AQ/idauov rot/ Zev^t-
duuov ifraQtov Iroc iv EnuQiy ßaailtvonog. — Leotychides: Her. VI 72.
Paus. III 7, 9. — Messenischer Aufstand: Thuk. I 101. Paus. IV 25, 5.
Diod. XI 63. 64. — Uebergabe von Thasos: Thnk. 1 101, 3. Die bei Plut.
Kim. 14 erwähnten 33 Schiffe sind die in der Seeschlacht, welche vor der
Belagerung stattfand (Thuk. I 100, 2), erbeuteten, nicht wie Grote 5, 418 au-
nimmt, die Gesamtzahl der den Thasiern beim Friedensschlüsse weggenommenen
Kriegsflotte, welche nach den reichen Einkünften der Insel (S. 5) viel beträcht-
licher gewesen sein muss.
75. (S. 146). Unter den drei Ueberlieferungen vom Tode des Aristeides
(Plut. 26) ist die eine, welche A. in Athen sterben lässt, so allgemein ge-
halten, dass sie nicht maßgebend sein kann, die andere (des Krateros) tenden-
ziöse Verunglimpfung; so bleibt nur die dritte übrig: uitvr^am'A. ot ukv lv
JJövttp qaolv ixnktiaavrtt 7iQtt$ttov ewtxa tiripoattov ; s. Köhler Urk. des
delisch-attiscben Bundes S. 113 f. Jahr des Todes: fere post a. IV quam
Themistocles Athenis erat expulsus: ftep. Arist. 3. Er erlebte noch die Auf-
führung von Aischyloa' Oidipodie, Ol. 78, 1; 467: Plut. Arist. 3. Den Mauer-
bau Iiitnoos bezweifelt schon O. Müller de munim. Athen p. 20; neuerdings
Oncken Athen und Hellas 1, 72 und A. Schäfer. Kimons Söhne: Plut. Kimon
16. Die Mutter der Söhne nach d. Perieget. Diodor YaodYxij, Tochter des
Euryptolemos. Fr. hist. gr. II p. 354.
76. (S. 147). Epikrates; Stesimbrot. bei Plut. Them. 24. Vgl. Vischer
Kimon S. 22. Kleine Schriften 1 25.
77. (S. 149). Ephialtes seiner Rechtscbaifenheit wegen neben Aristeides
genannt: Plut. Kim. 10. Vgl. Ael. V. H. XI 9, XIII 39. Unzuverlässige Be-
ziehung auf Aristoteles im Argumentum zu Isokrates' Areopagiticu*. Herbes
Urteil des Ephuros bei Diod. XI 77, günstigeres des Theopouipos? Sauppe
Quellen Plutarchs S. 22. Eph. als Feldherr: Kallisthenes bei Plutarch Kim. 13.
Die Selbständigkeit des Epb. neben Perikles betont Oncken Athen und Hellas
1, 187. — HaupUtelle über das Theorikon: Schol. zu Lukians Tiniou 49. Böckh
Staatsh. 1 \ 277.
78. (S. ISO). Demosth. g. Aristokr. 205 ist nach Sauppe, Vischer S. 35,
Philippi Der Areopag und die Epbeten (Berlin 1874) S. 250, Schäfer Jahrb.
1865 S. 626, Hist. Zeitschr. 1878 S. 224 mit Cod. £ üttQitüV zu lesen und
eine Verwechselung zwischen Vater und Sohu anzunehmen. Vgl. dagegen
die wohlbegründeten Eiuwendnngeu Westermanns zu Demosth. a. a. O. Ein so
grobes Versehen dem Demosthenes zuzuniuthcn, ist um so bedenklicher, da das
fittaxiveiv etc. auf Miltiades in Paros gar nicht passt. Die Ueberlieferung
vou einem Prozesse wegen Verfassungsbruch (xaret tvQttfv(öoc) auch bei Cy-
rillus c. Julian. 6, § 188 (ed. Aubert IX in Patrologiae graecae toui. 76 p. 787).
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82S
ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN BUCH.
Vgl. Meier de boois damnator. p. 5. — Ueber das Verhalten dei Königs Alexao»
dros Plut. Kim. 14. vgl. Schäfer S. 627.
79. (S. 152). Pelopounesischer Zag: Plut. Kim. 16. 17. Thut I 102
{ÖtCaaria zur *A»riva(tov tb rolfirjQov xal jijv vttonoQonoüav — Gefühl
der diXotf vMa.'
79*. (S. 153). Verjüngung von Argos darch Synoikismos: Her. VII 146.
Arist Pol. 1303* 7 (198, 10). Peloponnesos 2, 348. Zerstörung von Mykeo*
and Tiryna Ol. 78, 1 (468/7), Diodor. XI 65 (Eifersucht wegen des naLator
ffgovrfjua rfjg nolftos. Streit über da« Heraion and am die Leitang der Ne-
meeo. Beutezehntes nach Delphi wegen Beteiligung der Mykeneer am Peraer-
kriege gegen den Willen des Gottes. Peloponnesos 2, 388. Barsiao Geogr.
2, 45. Hermioo: Peloponnesos 2, 455. — Mykeaäer in Makedonien, andere
in Keryoeia and Kleonä angesiedelt: Paus. VII 25, 6. Athens Büodniss mit
Argos and Thessalien: Thuk. 1 102.
80. (S. 155). Dem Einrücken in den Areopag ging eine Prüfung vorauf :
6oxifA.na Mvjfq ävtßatvov (Plat. Perikies c. 9). Wenn diese Dokimasie, wie
wahrscheinlich ist, von den Areopagiteo aelbst vollzogen wurde, so berohte
die Ergänzung des Collegiums auf einer Art Cooptation. Sinteuis zu Plat.
Per. p. 106 nimmt an, Ephialtes sei bei einer solchen Prüfung abgewiesen
and dadurch gegen das Collegiom erbittert worden. Die Stelle ist ver-
dorben. Sauppe 'Quellen von Plutarcha Perikies' verrauthet nach der Stelle
der /tixatv ovoptara in Hekker Anecd. p. 18S, 12: vßQio&ei< vno irje
ßovkijc antorfgijtxt rag XQiatH avrr\v. Philipps Areopag S. 288 (über die
Dokimasie S. 167).
81. (S. 156). Die Unterstützung Aegyptens gegen Persien als politische
Notwendigkeit Tor Athen: Aristoteles Rhetorik II c. 20. Rimoo Urheber des
Bündnisses mit Ioaros nach A. Schmidt. Vgl. A. Schäfer in v. Sybels Zeitschrift
IV 215. Ephialtes' Angriffe in Abwesenheit Kimoos (nie naliv tnl axQarttar
f$£nleuoc) Plut. Kim. 15. Nach Philippi S. 256 Missverstandniss Theopomps.
82. (S. 158). Ephialtes: Arist. Polit 1274 a 7 (56, 21) ri}V Iv 'AQtty
7iay<p ßovkrjv ^Efpialrrjs fxölovat xal IlfQixlrjf. Ueber das Zusammenwirken
Beider siehe die Stellen bei Sioteois zu Plut. Perikies 1835 p. 104 f. lieber
den Stimmsteio der Athens: Kirchhof! Monatsberichte der Berl. Ak. 1874
S. 105. Kimons Verbannung und die darauf bezüglichen Ueberlieferungen :
Vischer 'Kimoo' S. 5. 60 f. Kl. Sehr. I 46. — Als persönliches Motiv wird
das Verhältniss zu Elpinike von Tzetzes, Chiliad. I, 58 angeführt Dagegen mit
vollem Recht Meier de bon. damnat. p. 5.!
83. (S. 159). Philocboros fr. 141b (Fr. Hist. Gr. I. p. 407) bezeugt
den Zusammenhang zwischen Einsetzung der Nomophylakes und der Be-
achrankung des Areopags. Schümann Verfassungsgeschichte Athens S. 77.
Scheibe Olig. Umwälzung S. 151. Philippi Areopag S. 192, orpoyfoc levxote
$XQÜvto Suidas. — Ueber die Sophrooisten : Philippi S. 162, der in Dem. de
f. I. 286 eine Anspielung auf sie erkannt bat. Gynäkonomen: Philoch. fr.
143, Timokles und Menander bei Athenaios p. 245. Philippi S. 308.
84. (S. 160). Soloos Gesetze am Markte: E. Curtias Attische Studien II
S. 66. A. Schäfer Arch. Zeit. 1867 S. 118. C. Curtias das Metroon in
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN BUCH.
829
Athen als Staatsarchiv 1868. Wachsmuth Stadt Athen S. 535. Versetzung
der Gesetze durch Ephialtes nach Anaximeues bei Harpokration v. xartodtv
vt'fioi. Nach Köhler Hermes 6, 98 Missverständniss aus Demosthcnes c.
Aristokr. 28.
85. (S. 163). Thuk. I 98 rfiv anCxyr^aiv rtüv ötquiuüv ol nXt(ovg
avriuv (rtov tvf*pax*»>), fr« /iij an' otxov «J<n, XQVPtt,a ita^avro avxl lüv
vttuv to hvovfitvov ttvulttiutt tf/pttv, xal toiq filv A&rjvatote 1)v£tTO TO VttV-
iucov ano njf 6*an£vr\s r\q ix (Iva $vuif4(>ottv , avtol dV, onort anoaiattv,
änaoäaxfvot xal anttQot i$ tov nölffiov xa&latavro. — Gleichzeitige Be-
richte über die Verlegung des Schatzes fehlen. Justinus IN 6 (also auch wohl
Knboros) setzt sie gleich nach Verbannung Kimons. Darnach Dodwell Ann.
Thucyd. p. 83 in 461 ; Ol. 79, % Böckh Staatshaush. 2 3, 350 ist geneigt eine
frühere Zeit anzunehmen (doch kann die unbestimmte Beziehung auf Aristeides
bei Plut. c. 25 nicht maßgebend sein). Aus dem Antrage der Samier nach
Theophr. bei Plut. Arist. 25 will Oncken mit Grote auf eine Zeit schliefen,
da der Autonomie der Eidgenossen noch keine Gefahr von Athen drohte, und
setzt die Verlegung des Schatzes in die kimonische Zeit und zwar in die Zeit
des oaxischen Kriegs (1, 74, 293); Schäfer disp. p. 19 in die des äginetischen
Kriegs. Saoppe (Göttinger [Nachrichten 1865 S. 248) nimmt 81, 3; 45% als
Jahr der Uebertragung an, ebenso U. Köhler S. 102 und Kirch ho ff (Hermes
11, 25), nach welchem die ; erste Anregung zur Verlegung bereits vor der
Schlacht am Eurymedon gegeben, aber erst 454 zur Ausführung gelaugt wäre.
Für die Verwaltung des Schatzes ist 81, 3 als Epochenjahr erwiesen, und es
sollte kaum anzunehmen sein, dass diese definitive Organisation erst einige
Jahre oach der Uebertragung eingetreten ist. Am natürlichsten folgt die Schatz-
verlegung, bei welcher Perikles nach Plut. 12 und Diod. XII 38 bereits selbst
thätig war, der Auflösung der Verträge, wie Justinus (nach Epboros) sagt:
ne deficientibus a fide socieUtis Lacedaemooiis praedae ac rapiuae esset.
Dazu kam die Furcht vor einer Verbindung zwischen Persien und Sparta nach
Plut. Per. 12, vergl. Thuk. I 109.
Das nahe Verhältniss zwiachen Samos und Athen, worauf der Antrag der
Samier scbliefsen lässt, wird auch durch Münzen bezeugt, welche die Auf-
schrift SA und A&EN tragen. Siehe Borrell Nomism. Chron. 1844 p. 74.
Auch das Tetradrachmon bei Beule, Monnaies d'Athenes p. 37 hat das samiache
Wappen als Nebenstempel.
86. (S. 165). Tegeaten im Bunde mit den Argivern: Her. IX 35. Eine
ungefähre Zeitbestimmung ergibt Str. 377 'Aoyuot ptia Xlttovaitov xui Tt-
yiaitöv tniX&bvttg agdrjv ittq Mvxr\vaq aytiXov xal jrjv j^cup«* Öttvtlpavio.
Dipaia: Her. IX 35. Paus. VIII 8, 6. 45, 2. Pelopounesos 1, 315. Schöll
im Philol. 9, 107. Urlicbs Verbandl. der Hall. Philologen vers. S. 75.
87. (S. 165). Clinton Fasti Hell. II p. 428 nach Diod. XI 54. Pelo-
pounesos 2, S. 25, 99.
88. (S. 166). Athen im Kriege mit Aigina und Koriothos: Thuk. I 105.
89. (S. 167). CIG. I n. 165. CIA. I n. 433. 'Eofx&rjtöog of<fc h t«?
nol/fi<p ant&avov tv Kvno<p , tv Alyvmtp, tv «#»o«Wxjj, tv AXitvaiv, tv
Alytvy, MtyaQoi iov avtov tvtavrov.
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830
A>MERKUNGEN ZUM MUTTEN BCCH
90. (S. 169). Eph.' Tod nach Aristot. bei Plot Per. 10; Diod. XI 77;
Antiphoo de caede Herod. 68. Vischer 'Kimon' S. 61 vergleicht die Ermordung
des Laterner Demagogen Leo. Philippi Areopag S. 263.
91. (S. 171). Thok. I 107. t6 JY n xal Mgte rt5v 'Jtrtvaiuv *jT%oy
avrov( XQvtfa flntaayrff ötjudv re xaranavauv xal rrt paxQa rtfx*l otxo-
äouovfxwa. — Spartanische Politik io Büodeo: Diod. XI 81 Aaxk^cuu6vio%
— vojjUtaviis t«c Qqßag, fav ai/^rjatoaiv, cata&ai rn rtSv *A{H\va(w atontQ
avtlnoXXv tivw StontQ i^ovieg rote nt^l TavayQav ttotfiov xal [*fya <xrpo-
xöntSov, rijs f*kv itov Srjßaituv nöXttue fitf^ova töv ntqtßolov xatioxtvaoav
t«c d' (v BoiOitia nolue yvdyxaoav vnoratiea&ai toTc Grjßaiois. Demokratie
in Theben vor der Schlacht bei Oioophyta: KirehhofT Abfassunpszeit der
Schrift vom Staat der Athener Abb. der Berl. Ak. der Wissensch. 1878 S. 6.
— Böot. Zustände vor d. Sehlacht nach Piad. Pyth. XI : H. Perthes, N. Jahrbb.
1872, S. 2 1 7 f. Schlacht bei Tanagra: Tbnk. 1 107. Diod. XI 81. Grab-
scbrift der Kleooäer: Böckh CIG. I o. 166. CIA. I n. 441. Ueber den tana-
gräischen Weiheschild (Pausen. V 10,4) Pelopoonesos 2, S. 110. Urlichs Hall.
Philoiopcuvers. S. 74 rechnet gegen den Wortlaut des Epigramms die INike
und die Kessel zu dem tanagr. Weihgeschenke. Attische Beurteilung der
Sehlacht: Poppo zu Thuk. 1 108. Todtenliste von der Schlacht bei Tanagra:
CIG I 166 Koehler Mitth. IX 389, der Name der Lakedämooier in dem Fragment
bei Köhler gehört einem der Liste vorangehenden Epigramme an Aaxtäat-
fxov(ot[( noXfuovviee]. — Viermonatliche Waffenruhe: Diod. XI 80. — Bockh
zu Pind. Isthm. 6 p. 532 nimmt nach Platoo Menexenos p. 242 eine drei-
tägige Schlacht bei Oioophyta an. Anders Clinton. — Attische Proxenoi in
Böotien um Mitte des 5. Jahrb. ernannt: Sauppe de proxenia Ind. lect. Gotting.
1877—78 p. 4.
92. (S. 173). Fall von Aigina 3 Jahre, oachdem es noch Pindar Ol. Vin
v. 26 als namoSanoiotv Kvoif xiova Satpovtav gefeiert hatte. Auf die nahe
Verbindung zwischen Korinth und Aigina beziehe ich v. 52. — Tolmidea :
Thok. I 108. Diod. XI 84. Die von Thuk. I 103 und Diod. XI 64 bezeugte,
von Jnstinus vorausgesetzte und dem Gange der Ereignisse vollkommen ent-
sprechende zehnjährige Dauer des 3. messen. Kriegs ist von Krüger (Stud. 1,
S. 15«), welchem Rauchenstein (Philologns 2, 201) und Classen zu Tbuk. folgen,
ohne ausreichende Gründe bestritten worden. Die vorgreifende Einschaltung
bei Thukydides kann nicht befremden. Vgl. F. Ritter Jen. Litt. Zeit. 1842
S. 35S und jetzt vor Allem A. Schäfer de rerum post bellum Pers. gestarum
temporibus 1865 S. 18. Pythia befiehlt iov Mrrjy iov dtoe rov ' l&wfitjta
ati*(vai: Thukyd. I 103. Paus. IV 24. — Inschrift der von den Lakedämo-
niern wegen des 3. messen. Kriegs in Olympia gesetzten Zeusstatue (Paus. V
24, 3): Arch. Zeit. 1876 S. 49 f. vgl. Kirchhoff Studien s S. 140. — Besetzung
von Naupaktos Aqxqöv ttov 'Ofalßv f/dvtütv Thuk. I 103. lieber die lo-
krisebe Colonisationsurknnde vgl. meine Studien zur Gesch. von Korinth
Hermes 10, S. 237. Relieffragm. mit Inschrift auf die Messenier in Naopaktoa
bezüglich: A. Michaelis Arch. Z. 1876 S. 104 CIA. IV n. 22 g. — Au der
Uebertragung des Zeusbildes von Hagelaidas zweifelt Robert, Arch. March.
S. 94.
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ANMEMvUNGEN Zt M DRITTEN BUCH
83 t
93. (S. 176). Niederlage in Aegypten: Tbnk. c. 109 f. Perikles im
kris. Mb.: c. III; Diod. XI 85. Kimons Zurückberufung von Theopompos
erzahlt nach Schol. Aristid. 3 p. 528 Ddf. Fr. 92 Moll., oach ihm Plutarch
Perikles c. 10 (abweichend von Kimoo 17 f.) wie Sauppc annimmt: Quellen des
Plut. S. 19. — Der neunjährige Krieg (460 — 51) der 'peloponnesische' beim
Schol. zu Pindar, Ullrich Hellen. Kriege S. 50.
94. (S. 177). Neuer Beginn des Nntionalkriegs. Thuk. I 112: kklt}Vixov
noMuov ie%ov nach meiner Erklärung im Rhein. Museum 1869 S. 307. Kämpfe
auf Kypros Ol. 78, 4 nach der Todtenliste der Erechtheis: CIA. I n. 433.
Kimoos Ende: Plut. Kim. 19; Thuk. 1 112. Nach Diod. XII 3 siegt Kinion
selbst. Theuruog und gleichzeitige Ausfülle in den Tributen der Bundesge-
nossen: Köhler S. 120. 130.
95. (S. 177). Heiliger Krieg: Thuk. 1 112. Philocboros fr. 88. In-
Schriften auf dem ehernen Wolf: Plut. Per. 21. Auch auf den Krater des
Kroisos setzen spartanisch gesinnte Delphier den Namen der Lakedämonier :
Her. I 51. Kirchhoff Entstehungszeit des Herod. Geschichtsw. S. 32. Dem
Zug des Perikles nach Phokis war die Erneuerung eines wahrscheinlich Ol.
81, 3 abgeschlossenen Symmachicvertrags zwischen Athen und Phokis vorange-
gangen. Ein Stück dieser Urkunde: CIA. IV 22 b, worin auch von den Rechten
der Amphiktionen die Rede ist.
96. (S. 178). Ueber den Untergang der Demokratie in Böotien Aristot
Politik p. I302b 29 (197, 25): tv B^ßats pcra t^v iv Olvotpvrots pa/W
xaxtug 7toliifuofi4vtav tj ÖTjpioxQttTitt SiMf&aQt). Die richtige Erklärung bei
Kirchhoff Abb. d. Berl. Ak. d. W. 1878 S. 6 mit Beziehung auf 'Xeo.' de rep.
Athen. III 10, 11: onooaxts <F ^itf^tlQ^av (oi * jtftijvaim) alQtio&ai ioi>e
ßiljiarovg, ov ovvrn>eyxei' avrots (Lücke) alV lyiog okCyov xqovou 6 dtjfios
Hovltvofv o Boionoig. Auf die Zeit nach der Schlacht b. Oioophyta bezieht
sich Pindar Isthm. 6, 31. — Koroneia: Thuk. I 113. Diod. XII 6. Perikles'
Warnung vor Tolmides' Auszug: Plut. Per. 18. Nach dem sog. Platoo. Meoex.
242 ein Kampf intQ rrje Boimtüv tltv9tQ(as.
97. (S. 179). EubÖische yvyttfiee in Böotien: Thuk. I 113. Abfall
Kuboias und Megaras: ib. 114. Oligarchische Verschwörungen: Köhler S. 140.
98. (S. 180). Per. und Pleistoanax: Plut. Per. 22. Oreos und Histiaia:
Thuk. I 114. Diod. XII 7. 22. Kaumeister Skizze der Insel Euboia (Lübeck
1855) S. 17, 58. Chalkis: Plut. Per. 23. Eretria: CIA. I n. 339. Kirchhoff
Kleruchien S. 20. Vertragsurkunde über Chalkis, herausg. von Köhler Mitth.
des D. Arch. Instit. 1, 184. CIA. 1 27 a. Weibgescheok: CIA. I n. 334. Ur-
sprünglich im Temenos der Potias aufgestellt in der Nähe der Fesseln, 480
zerstört, circa 30 Jahre später erneuert, mit der Inschrift, deren Zeilen um-
gestellt wurden. Ueber die Bruchstücke beider Inschriften Kirchholf Mooatsb.
1869 S. 409, Sitzungsber. 1887 S. III.
99. (S. 181). 9jtx*£« Thuk. 1 115 und IV 21 ist nicht mit Krüger in
\4Ua6ay noch mit Cobet in ' Alias zu verändern; anotiovtts ist der Gegen-
satz zu nctQttXaßovitq c. 111; das eine bezeichnet den Abscbluss, das andere
die Auflösung eines Bundesvertrags. Vgl. Peloponnesos 1, 422. — Dass die
Urkunde der anovdai tQtaxovxovitts Thukydides ihrem Wortlaute nach
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832
A NMERKUXIEN ZUM DRITTEN BÜCH,
bekannt gewesen, schlierst Kirchhof Sitzungsberichte 1884 S. 415 ans I 78.
I J45. VII 18.
100. (S. 185). Saidas n. d. W. KalXiat. Herod. VII 51 mit der Anm.
Schölls za seiner Hebers, nnd Einleitong S. 15. lieber den verkehrten
Manien des 'kanonischen' Friedeos urteilt richtig E. Müller in Rhein. Mas.
1859 S. 153; doch ist es mir unmöglich, aus den wenigen, unklaren und wahr»
scheinlich verderbten Worten des Isokrates im Panegyrikos § 120 (rtov tfootuv
iv(ov( rartoyteq) die Tbatsache zu folgern, dsss für gewisse den Persern
überlassend Städte von Seiten Athens ein Tarif der Besteuerung festgestellt
worden sei, welchen die persische Regierung nicht habe überschreiten dürfen.
Vgl. Em. Müller über den kimonischen Frieden Freiberger Programm 1866
S. 20. Eine sorgfältige Kritik der bisherigen Verhandlongen über den Frieden
giebt H. Hiecke de pace Cimonica, Greifswald 1863; doch kann ich auch durch
ihn die argumenta a silentio nicht für beseitigt halten. Am undenkbarsten
ist, dass Herodot, wenn ein die Kämpfe zwischen den Hellenen und Barbaren
für Athen so glorreich beendender Friede 449 abgeschlossen wäre, ihn nur
mit so kargem und absichtlich unklarem Ausdrucke erwähnt haben sollte.
Die Notiz bei Soidaa, wo Hiecke p. 45 eine Verwechslang oder Lücke an-
nimmt, gebt jedenfalls auf eine gute Quelle zurück. — Die durch Kimons
Siege faktisch eingetretenen Machtverhältnisse an der asiat. Rüste bezeugen
sich auch in den Münzen der Küstenstädte. Die östlich von den Chelidoneen
gelegenen blieben im engsten Zusammenhange mit dem persischen Geldwesen.
Siehe J. Brandis Mafs-, Gewicht- und Münzwesen Vorderasiens S. 220.
Nachdem die &Qvlovfi£tnj eigtjyr] durch die attischen Redner als histo-
rische Tbatsache hingestellt war, muss (nach Eukleides) eine Inschrift aufge-
stellt worden sein, nm eine verschwundene Originalurkunde zn erneuern.
Sie wurde meistens Tür das Original gehalten; daher die Kritik von Theopomp
und Kallisthenes. Vgl. Bcminann recognitio quaeat. de pac. Cim. 1864 p. 6.
Wir wissen nur von einer Gesandtschaft des Kallias: Suid. KaXXlag (um 445).
Her. VII 151. Herodots k(yovc$ bezieht sich nicht auf das Factum der Ge-
sandtschaft, über welche, als er um Ol. 87, 3 in Athen schrieb, kein Zweifel
möglich war, sondern auf die damit verbundenen Umstände, und das Zusammen-
treffen mit den Argivern. Vgl. auch Carl Curtius de act. public, cura apud
Graecos p. 33.
Nach M. Duncker, (Kimonischer Frieden. Sitzungsber. der Berl. Akad. 1884
S. 785) war die Absicht des Perikles, durch Kallias mit dem Grofskönig einen
modus vivendi herzustellen, ohne dass an definitive Landabi retuug von Seiten
des Grofskönigs gedacht wurde. Bei dieser schwierigen Verhandlung seien
die von Rath und Bürgerschaft den Gesandten gegebenen Vollmachten zur Be-
ruhigung der Bundesstädte in Stein gehauen und diese Instruktion sei von
Kratcros in seine Sammlung der Psephismata aufgenommen. Die Gesandt-
schaft des Kallias und seiner Genossen setzt D. 449/48 und schliefst aus
Strabo p. 47, dass Kallias über Kilikien gereist sei; mit ihm Epilykos, Dio-
timos, Pyrilampes, dessen Sohn Demos im Besitz einer ans jener Gesandt-
schaft stammenden Goldschale gewesen sein soll. Lysias bon. Arist. 25.
Kallias' Anklage soll thatsächlich andere Gründe als die Annahme von Ge-
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN RUCH.
833
schenken gehabt haben; sie habe dem Vermittler des dreißigjährigen Friedens
gegolten, welcher in Athen dem lebhaftesten Widerspruch begegnet sei. In-
dessen konnte die antiperikleisehe, also kimooische Partei doch unmöglich den
Frieden mit Sparta xnm Ziele einer so erbitterten Opposition machen. Zur
Beschwichtigung der Bürgerschaft, glaubt Duncker, sei die Fahrt nach dem
Pontos unternommen.
Umwandlung der Bundesgenossenpolitik Athens; Thuk. III 10 (die Athener
lijV roö Mriöov fx^Qav ^vtivtet u. s. w.).
101. (S. 187). GovxvStötjs 6 u4Xamfxij9ev — xijcffffTijc Ktfttavoq Plot.
Perikles c. 11. Sintenis p. 117; nicht erst seit 449 an den Staatsgescbäften
betheiligt; vgl. Sauppe Quellen PIntarchs S. 25 nnd Holfmann de Thucydide
Melesiae fllio Hamb. 1867. Ostrakismos : Plut. 14. — Wie lange der Kampf
des Thnkydides gegen Perikles in lebendigem Gedächtniss blieb, zeigt Aristoph.
Vesp. 947.
102. (S. 189). Die Wichtigkeit praktischer Musiküboog zum richtigen
Urteil: Arist. Pol. 14. Flötenspiel in Athen: Arist. Pol. 1341a IS (140, 26) f.
Durisschale: Michaelis Arcb. Zeit. 1873, S. 12. Heibig Ann. d. Inst. 1S73
p. 61. pv&ot ol x«t' olxtttv (Hansmärchen) Aristoph. Vesp. 1180 — ftav-
9«vnv (v toj tvpnooftp Aristoph. Vesp. 1260.
102*. (S. 192). Die Mysterienlehre ergänzt den öffentlichen Gottesdienst,
welcher sich ganz an den Staat anschliefst, und geht anf die rein mensch-
lichen Bedürfnisse der Seele ein , welche bei der Hinfälligkeit des Irdischen
einen Trost verlangt. Sie lehrt die diocJoroc «p/« eines jenseitigen Lebens,
Pindar Frgm. 102. Welcker Götterlebre II 520. Bedeutung der Mysterien:
Athen und Eleusis. Festrede 1884 S. 9. Ueber die Motive der Grabsteine:
Furtwäogler Sammlung Sabourolf, Sculptur. Eioleitg. — Buzygea: Bernays
Monatsberichte d. Berl. Akad. 1876 S. 608.
103. (S. 197). Schon bei Herakleitos spricht sich die Idee einer das
All leitenden Intelligenz deutlich aus (Bernays Rhein. Museum N. F. 9, S. 254),
während andererseits auch bei Anaxagoras trotz der vorgeschrittenen Unter-
scheidung des Geistigen und Körperlichen dem höchsten geistigen Wesen noch
keine vollkommen freie Persönlichkeit zugeschrieben wird. Zeller Philos. der
Griechen I4, S. 888. Diels über die ältesten Pbilosopheoschulen der Griechen
in den Philos. Aufs, zu Zellers 50j. Doktorjubiläum S. 241 ff. Die revolutio-
näre Bedeutung der Philosophie: Bernays Phokion S. 21.
103*. (S. 198). Pythagoras gegen den Bilderdienst: Clem. A). Strom.
115,71. Plut. Num. 8. Gegen Homer: Diog. L. VIII 21. 1X2. Kratylos:
Zeller I* 675.
104. (S. 199). Den sophistischen Charakter des Hippodamos entwickelt
C. Fr. Hermann de Hipp. Milesio Marb. 1841 p. 18.
105. (S. 200). Heraklcltos und Hermodoros: Bernays, Heraklitiscbe Briefe
S. 15. 84. E. Curtius Ephesos S. 16.
106. (S. 201). Aristot. Polit. 1341a 29 (p. 141, 4): <fxoltt<*r,*™r*Vot
ytig ytvoutvoi — x«\ fieta t« Mrfitxa (/-^ovijucmo'&Vrec — naorjs ynrovro
lAtt&i\attos. Anaxagoras kam nach wahrscheinlicher Annahme unter dem
Archon Kalliades (75, 1 ; 480) 20 Jahre alt nach Athen (Brandis Geschichte
Cortias, Gr. Oescb II. 6. Ann*. 53
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83-1
A >' M E R K U > C E >' ZUM DUITTE* BUCH
der Gr.-Römisobeo Phil. 233). (Jeher Parmeoides ood Zenon siebe ßrsndis
S. 375. Zar Chronologie der Philosophen Diel« Rhein. Mas. 3], 1 ff*.
107. (S. 203). Thuk. 1 6. Vgl. K. 0. Müller, Kl. Deutsche Schriften
2, 534. Krobylos: Cooze, ISnove Memorie 1865, 408. Jahn Griech. Bilder-
chroniken 46. Abb. des Berl. Ak. 1873, 159.
108. (S. 20S). Piodar» Ode auf Megaklcs (Pyth. 7) and Threnos aaf
Hippokrates (Schol. Pind. Pyth. 7, 47). — BovCvytjf (vgl. Hesyeh. aud C1G. I
n. 491) genannt von Eupolis bei Aristides XLVI p. 175 Dind. nach dem Schol.
des Aristides III p. 473 Dind. — Pythoklcides: Aristoteles bei Plot Per. 4.
Jafjotv JafAotvCüov vOaBtv bei Steph. a. 'Ott aus Krateros nach Meinekea
Vermuthung. Oocken 2, S. 17 halt Damooides Tür identisch mit dem Musiker
Datuon. Vgl. Sauppe S. 17 f. — Zenon: Sintenia p. 72.
109. (S. 209). Sonnenfinsterniss : Plnt. c. 35. Perikles and Peisistra-
tos: c. 7.
110. (S. 213). Choregische Inschrift über Perikles, Aischylos, Magoes:
Köhler Mittheilg. d. Ath. Inst. III, 107, der hieraus die 40 Jahre herleitet; Leo
Rhein. Mus. 33 S. 143; siehe Antn. 116. Plnt. Pericl. ed. Sintenis p. 152. —
Verfassungsänderung uno avfinna^axos: Diels Fragm. voo Aristot. Politie
1SS5 S. 34. Perikles* Parteistelluog napa iip aviov <fvaw rpuora o\uo-
Jixf\v oioav Plut. c. 7. Salaminia: Kritolaos bei Plut. Mor. p. 811 C. v. Per.
c. 7. Frgm. H. Gr. IV p. 373.
110*. (S. 215). Hybris an Sklaven: Meier nnd Schümann, Att. Process
S. 322. Sklaveozahl: Aeschin. Ep. 12.
111. (S. 216). Kornniederlagen des StaaU: Böckh Staatsh. 1 3, 110 in
Tempeln: II S. 62*. Die Schangelder von der Theorikonbehörde angewiesen, von
den Demarchen auf Grund der Bürgerliste vertbeilt: Frankel zu Böckh S. 64*.
Zeugniss des Aristoteles über Damonides (o v0a9tv) als Rathgeber des Perikles :
Plut. Perikles c. 9. Böckh, Staatsh. \\ 274. 62*. Wilamowitz, Hermes 14,
320. Vgl. Anm. 108.
112. (S. 219). Heber die Geschichte des attischen Gerichtswesens in
Bezug auf die neueren durch Grote angeregten Controversen vgl. Schümann,
die Solonische Heliaia und der Staatsstreich des Ephialtes in Jahrb. für klass.
Philologie 1866 S. 585 f. Jetzt besonders M. Frankel, die attischen Ge-
schworenengerichte Berlin 1877.
1 13. (S. 222). Thuk. I 77. Nach Aristoteles richteten die Athener über
die Bundesgenossen ano avfißoltov: Bekker Aoecd. 436. Hesyeh. s. v., Böckh
1 % 64. Herbst im Philol. 16, 292. Wie die Spartaoer nach den mit einzelnen
Staaten geschlossenen ovv9ijxctt die Hegemonie führten (Plut. Quaest. Gr. 5),
so ist wahrscheinlich, dass auch zwischen Athen und den Bundesgenossen ge-
wisse Verträge geschlossen waren, auf welche sich die Atheoer berufen konnten,
um den Gerichtszwang euphemistisch als ein durch gegenseitige Ueberein-
kuoft geordnetes Rechtsverfahren zu bezeichnen. Betbeiliguug der Gemeinden
an den Prozessen ihrer Angehörigen durch avvtftxon CIGr. n. 2353. Welcker
Kl. Sehr, zur Gr. Litt. 2, S. 395. Der BegriJT der Hegemooie beruht bei
den Griechen wesentlich auf dem Colouialrechte (Thuk. I 38): so konnte also
Athen als Mutterstadt lonicns (Her. MI 51; VIII 22) den Gerichtszwang nach
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN BUCH.
835
demselben Rechte in Anspruch nehmen, wie einst Epidauros über Aigina (Her.
V 83). Es fehlte also auch hier nicht an Analogien ans dem älteren Staats-
rechte. Abweichend ist Köhlers Ansicht über die oVxat ano ovfißoXatv,
Hermes 7, 159. Das Wort tfogoc, gewöhnlich 'Tribut' übersetzt wie JaOfiOS,
ist von den anoifoqaC oder Beiträgen zur Kriegskasse, wie sie sich auch
Sparta eiozahlen Hefa, im Grunde nicht verschieden. Es widerspricht also
dem Begriffe der avu^a^la nicht.
114. (S. 223). Gegensatz der äyQotxoi und der r\Xiaoxixot: Frankel
S. 8. Sitzungsgelder für die Volksversammlung (ftto&os ixxlijaiaatixos) •
Böckh Staatshausb. der Ath. 1 «, 288 f. Sprichwort oßokov *uo< naqvvtra (?)
komischer Name des Kallistratos (oder naqvönr}, IJaqyonris, IlaQvonli) Meioeke
Frgm. Com. IV 700. Ueber die Art, wie Plutarch die Veränderung des Peri-
kles aus klarer Berechnung des Ehrgeizes ableitet, siehe Sauppe a. a. 0. S. 15.
115. (S. 224). Leider ist die Geschichte des Besoldungswesens, welche
Aristoteles in seiner Darstellung der att. Verfassung genau verfolgt hatte,
nicht mit Sicherheit herzustellen. Gewiss ist, dass der Kriegersold der Zeit
des Perikles aogebört; über die Notwendigkeit desselben siehe Böckh 1", 361.
Unter den Löhnungen für öffentlichen Dieost in der Stadt war der Richter-
sold der frühere, dessen Einführung nach einem freilich nicht unbedingt zu-
verlässigen Zeugnisse (Böckh 295) Perikles zugeschrieben wird. Ihm nach-
gebildet war der Volksversammlungssold, welcher wahrscheinlich auch von
einem Obolos anfing. (Schümann Verfassungsgesch. Athens S. 87). Seine erste
sichere Erwähnung bei Aristophanes EccI. 303, wogegen in der Schilderung
der Volksversammlung in den Acharnern keine Spur davon vorkommt. Würz,
de mercede ecclesiastica, Berol. 1878, hält darum diesen Sold für eine Ein-
richtung der nacheuklidischen Demokratie. In gewissen Familien gehörte die
Förderung aller demokratischen Einrichtungen zur erblichen Tradition.
Einer aolchen Familie gehörte, nach Bück Iis wahrscheinlicher Vermuthung,
auch jener Kallistratos an, welcher als 'Erfiuder des Obolos' den Spott-
namen Parnope (Heuschrecke) geführt haben soll. Vgl. Schäfer Demostheoes
1, 11. Der erstere Name macht es doch wahrscheinlich, dass er schon bei
Einführung des Richtersoldes eine hervorragende Rolle spielte. Ueber die
Vermehrung des Richtersoldes siehe S. 450. Bei ihr scheint Kallikrates
thätig gewesen zu sein, dessen Andenken als eines durch mafslose Vor-
schläge verrufenen Demagogen sprichwörtlich erhalten blieb (Böckh S. 299),
wie bei der entsprechenden Erhöhung des Volksversammlungssoldes Agyrrhios.
Kallikrates wie Agyrrhios stehen mit Kallistratos in verwandtschaftlichem Zu-
sammenhange. Die Philosophen antidemokratisch oxiolotöoqoi, Bernays Hera-
clitea p. 31.
116. (8.225). Kratioos bei Plut. Perikles c. 3. Kronos ist zugleich
der Vertreter des Altväterlichen, Stasis die Revolution, ans der die neue
Ordnung der Dinge geboren wird. Beide Zeiten sind in ihm verbunden. Vgl.
seinen Ausspruch über die ungeschriebenen Rechtsordnungen bei Lysias VI 10.
Die wahrscheinlich auf Theopomp zurückgehende Nachricht von Perikles'
vierzigjähriger öffentlicher Thätigkeit (Plut. Per. 16) ist nach Köhler Mitth.
d. D. Arch. Inst, in Athen III 107 aus Didaskalien berechnet Siehe Anm. 110.
53*
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN BUCH.
117. (S. 227). Ueber die fortgesetzte Strategie de« P.: Plut. c. 16
jtaaagäxovra htj notoitvtav fv *E<f*aXxais xai jiuoxQarats xai Mvoat-
Wda«c xai K([ia>ot xai ToXfilöaK xai GovxvöiJaif, paa & rijv Govxvdtdou
xaraXvOiv xai ibv ooxoaxiOftöv ovx Hanta x<Zv nfvxtxaifoxa IxtSv dtqvtxr
xai fxLav ovoav Iv xats tviavolois axoarrjyiaig oqxHv xa^ äuvnauiav
xxr}oa/4tvo(. Niebuhr Vorl. über a. Gesch. 2, 67. Ueber den Helm des Per.
vgl. Arch. Zeitung 1860 S. 40 und Conze Arch. Zeitung 1868 S. 2. Bühneu-
witze über den Kopf; einem grofseo Speisesaal verglichen: MixaxXtroe
Tclekleides Fr. 44 Kock Fr. Com Alt. I 220. — Geldmittel des Stra-
tegen: Plut. 23. Der wiederholte Aasdruck 6 dVra xai ovvaQxorrtg
bezeichnet die hervorragende Stellang des Oberfeldherrn auch in gewöho-
lichen Verhältnissen. Nor in besonderen Fällen ein uro. avxoxoaxoto. Dafür
auch der technische Ausdruck: navxa ra noayfitaxa fmt^innv Thuk. FI
58. Schümann de eomitiis p. 314. Bergk Rel. Com. p. 58. Vi scher Epigr.
Beiträge S. 61. Gilbert Beiträge S. 43. Löschcke de titalis etc S. 24 auarga-
uiyot «=> avvaffxovttt. Vgl. Diod. XIII 69. CXQaxriyoi andvxmvi Böckh>
znr Antigone S. 190. Vgl. Athen, p. 213 B. Aus der Bedeutung der peri-
kleisebeo Strategie erklärt sich wohl auch der Gebrauch des Wortes axqa-
xtjyög bei Sophokles z. B. Antigone v. 8.
118. (S. 227). Welche Bedeutung Perikles der Verwaltung der Finanzen
beilegt, ergiebt Thuk. II 13: tö vavxtxöv, gnfQ loxvoixttv, i£aoxvto~&at , tot
rt tcüv £vfj/b(ax<»v öut Xe'?°S %Xi,v* Ity*** *h* iox^v «vxws ano xomtov
ehat «UV /pij/u<rrcuy iy nooooöov, xä dk noXXit xov noUpov yvtifiy xai
XQTijjmtüv ntoiovotq xpattio&ui. etc. Diod. XII 38. Das Amt eines obersteo
Schatzmeisters (ra/j/ac, bu,fxtXi)xi\<; tijc xotvijs nooooöov) ist in der Zeit vor
dein Archon Eukleides nicht nachweisbar; die einzige Stelle bei Plut. Arist. 4
aus dem wenig zuverlässigen Idomeneus kann, wie Köhler Del.-att. Seebund
S. 151 mit Recht hervorhebt, nicht als vollgültiges Zeogniss betrachtet wer-
den. Wie die Oberleitung der Finanzen im 5. Jahrhundert eingerichtet war,
wird nicht überliefert. Nach dem Staatsrechte der voreuklidischen Zeit ist
aber eio die Geldwirthschafl beherrschendes Schatzmeisteramt gar nicht
denkbar. Das Strategion ist das Centrum des Staats; des Strategen Anträge
sind maßgebend für das Budget; der attische Staat ist in dieser Zeit wesent-
lich auf die Wehrhaftigkeit angelegt. Vgl. Droysen Hermes 9, S. 10 IT.
119. (S. 228). Ueber die Athlothesie des P. siehe M. Meier 'Paaathenäea'
(Allg. Encycl. der Wiss. und K.) S. 286. Vgl. Tromp de Pericle 1837
p. 108 über die praeeipua auetoritatis PericJeae praesidia; agp) xov noovatt
Moos Thukyd. II 65.
120. (S. 230). Xanthippos, des Perikles Sohn, war mehrere Jahre mit
der Tochter des Isandros verheirathet , ehe er 430 an der Pest starb. Plut.
Per. c. 36 (Sintenis p. 276). Daher fällt die Verbindung des Perikles mit der
geschiedenen Frau des Hipponikos vor 451. Vgl. Hiecke de pace Cim. p. 44.
TjQfya ßatS({tiv. Plut. reip. ger. praec p. 800 B.
121. (S. 231). Aspasia, des P. Lehrerin in der Rede xaxa rov rooytav.
Philostr. ed. Kayser p. 364, 11. Ueber den Band zw. P. und Asp. siehe Plat.
Per. 24. Saidas v. Uonaoia. Vgl. Filleul Siecle de Pericles (Paris 1872)
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN RUCH.
837
1, 3S5. — Euangelos : Plut. 16. Ueber das Privatleben des Perikles siebe die
Stellen bei Siotenis za Plut. p. 89. Tromp de Periele p. 79.
122. (S. 232). P. and Sophokles: Plat. c. 8. P. und der Schreier: c. 5.
Gebet um Kürze: c. 8. P. als Redner: K. 0. Müller Literaturgeschichte 2,
306. Blass attische Beredsamkeit 1 1 S. 37.
123. (S. 236). üoicfios imatv, nQoa^egofteros: Ullrich hellen. Kriepe
S. 16. — Plut. Mor. 223 Did. — Perikles* auswärtige Politik: Plut. Per. 20.
Ol awfxtÜQH ratg oquuis reSv noXiitZv, oudl ouvet&itnrtv vnö $(out]$ xal
xtjfij? TOOavTTjs tnaiQOfifvtov Alyvniov t< näXtv avtikaußavta&ai xal xivtlv
tijs ßaöiXfas BQ/rje ra ngöf 9alaaarj. ITolXovs b*£ xal Zixiliag 6 dvaiQcui
ixttvos tjdrj xal dvonoiuoq fgaa elxevi $v vvcqov i£(xavaav ol »foi tov
lAlxtßiaJrjv (5»jTO(»ff. *Hv dl xal Ti>QQrjv(a xal Kaexv*** Moig SvtiQOf ovx
an Untöos 6iä rö fxfye&os r^c vnoxa/jitvris yyepovfas xal rrjv evQotav twv
nQaypdrwv. Vgl. Plut. Alk. 17. Aeltere Beziehungen Athens zu Sicilieu
erweist das jüngst von Köhler entdeckte Frgm. eines Volksbeschlusses aus
dem Jahr des Archon Ariston 454, welcher Anträge einer Gesandtschaft aus
Egcsta behandelt: Mitth. d. D. Arch. Inst. 4, 29 ff. — Der Archipelagus Athens
Territorium, durch das kein itivai Inl nolffitp gestattet wird: Classen zu
Thuk. V 47. Mauerbau: Kratinos b. Plut. c. 13, Meinekc Fr. Com. 2, 218.
Perikles' Erfindungen im Seewesen : Plin. VII 56. Beaufsichtigung der
Marine: Böckh Staatsh. 1», 215. Anstalten zur Beschleunigung der Flotten-
expedition (Trittyeneintheiluog): Schäfer Mitth. d. Inst, in Athen V 85.
124. (S. 237). (lebet* P.' Politik in Betreff der Bundesgenossen Böckh
Staatsh. 1 a, 471. 475. Kühler Del. -AU. Seebund S. 139 f. Beaufsichtigende
Behörden: Böckh S. 480. Nach Theophrast bei Plut. Arist. 24 wäre auch
Aristeides in Cooflikt gekommen zwischen seinen ethischen Grundsätzen und
den Forderungen der Politik. — Attische Intervention in Milet: CIA. Sappl,
ad Vol. I n. 22«, Kirchhoff Uber die Abfassungszeit der Schrift vom Staate der
Athen. S. 3.
125. (S. 238). P.' Zug nach dem Pontos: Plut. c. 20. Vgl. Anm. 136.
Athens Politik gegenüber den dortigen Griecheostädten : Köhler S. 113 ff.
Nymphaion: Krateros bei Harpokrat. und Phot. s. v. Weitere Städte am Pontos
in der Schätzungsliste: Köhler S. 74. Kirchhoff CIA. I n. 37 S. 23. — Keleu-
deris auf der Schätzungsliste im KaQixog qoQos; das bei Krateros erwähnte,
zu derselben Provinz gehörige Juqos ist nach Köhlers Vermuthnng S. 121 wohl
die phönikisebe Stadt, wo sich die Athener vorübergehend festgesetzt haben
mochten. — Melos und Thera: Thuk. KI 91, vgl. Köhler S. 146. Aoaphe nur
in der Scbätzungsliste.
126. (S. 241). Samischer Krieg übereinstimmend von Ephoros bei Diod.
XII 27 f. und Thuk. 1 115 f. erzählt. Vgl. Sauppe Quellen des Plnt. Per. S. 10.
Thukydides (c. 117) der Feldherr ist nicht der S. des Melesias: als solchen
bezeichnet ihn blors der Biograph des Sophokles. — Pelop. Tagesatzung, Korioth
gegen die Intervention: Thuk. I 40. Seinen eigentlichen Rückhalt besafs da-
gegen der Aufstand an den Persern. Die Verbindung mit Pissuthoes Thok. 115
lässt schliefsen, dass Samos, obwohl Thuk. nichts davon berichtet, mit ioui-
acben Städten im Einvernehmen war. Auch in Karien scheinen gleichzeitige
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN BUCH.
Unruhen stattgefunden zn haben. — Brandmark ung der Kriegsgefangenen: Plat.
Per. 26. Kosten des Manschen Kriegs: CIA. I n. 177: 1276 Talente; unge-
wiss bleibt, ob noch der io Z. 5 stehende Posten auf Sa mos zu beziehen ist.
Vgl.^Nepos Timoth. 1 und Krüger zu Thnk. I 117. Pönales' imrd<f*o( auf
die bei Samos Gefallenen: v. Wilamowitz Hermes 12, 365. Kirchhoff Knt-
stehongszeit des Herod. Werks S. 19 Anm. 1. — Samos war nicht tribut-
pflichtig: H. Droysen Hermes 13, 507.
127. (S. 244). Byzanz fällt ab: Thnk. I 115, 5. Zum Wiedereintritt
in den attischen Bnnd wird es darch Verhandlungen gebracht: £w(ßrioav atontq
xal jxqokqov vntjxooi that. Wenn, wie die Quotenlisten zeigen, die Theil-
nahme am sam. Aufstand Tür Byzanz keine Tribntsteigernng nach sich zog,
lag bierin ein wichtiges durch Athen gemachtes Zugeständniss. — Ueber die
Verträge mit Erytbrai CIA. I n. 9. 10; mit Kolophon: n. 13. 'Eniaxonoi: Har-
pokration s. v. Zenob. VI 32 vgl. Thnk. I 115, 3.
128. (S. 245). Ueber das Staatsvermögen und die Generalpächter Bocka
Staatsh. 1 8, 373 f. Ueber das von den Fremden zu zahlende Schatzgeld: S. 400.
Sklavensteuer: S. 402.
129. (S. 246). Streng genommen sind die Liturgien sämtlich regeliuäfsigc
Leistungen, wenn anch die Trierarchien zu den außerordentlichen Liturgien
gerechnet wurden; denn Trierarchen waren auch in Friedenszeiten zu wählen,
nur worden sie dann nicht za den vollen Lasten herangezogen: Schümann 1 a,
586. Böckh 1», 630. Schäfer Demosth. 1, 155. Als außerordentliche Leistung
wurde nur die tla^oQ« betrachtet.
130. (S. 249). Revision oY hovi n^mov. 'Xenophon' de rep. Ath. III 5.
Besondere Motive der Einschätzung, bei Aigina: Böckh Staatsh. 2«, 392; ähnliche
Behandlung erfährt Ol. 86, 1 Potidaia; Ephesos: meine Beiträge z. Gesch.
und Topogr. voa Kleinasien 1872 S. 21. — Beim Tribut der cuböischeo Städte
ist in Anschlag zu bringen, dass dort mehr als 6000 attische Bürger ange-
siedelt worden waren (s. S. 256), welche zu den Zahlungen, durch die der Tribut
von den einzelnen Städten aufgebracht wurde, nicht herangezogen werden
durften. — Ueber die beiden ausserordentlichen llubriken der noXas aiictl
tpogov raidfttvat und der 7i6Xug ilq ot IditZiai iv£yga\pav tf>6{)ov tftgftv;
Köhler S. 136. Löscacke de titulis Atticis 1876, S. 16. Nach Kirchhof Der
Delische Bund (Hermes 11, 1 ff.), ist der tiqoItos yo'(>oc bei Thuk. 1 96 nicht der
erste durch Aristeides vereinbarte Steuersatz, sondern die Tributsumme nach
der Eurymedooschlacht. Dagegen Frankel zu Böckh II* 88*f. Kreiseintheiluug
(Thuk. II 9): Kirchholf S. 13 ff.; abweichend Köhler S. 125. Oer Umfang der
Kreise nach CIA. 1 S. 226 f. — Thuk. V 56 '^Qytict IX&önes nttQ ' A&t]vaiovs
intxdXow oti, yeyQaf/ptvov lv laTg anov6a?g ötd tijs iavröiv ixdorovf
fti Itty noXifitovi dWva*, Idatutv xartt ödXaooav naQanXcvaai (nachdem
die Lakedäraonier zur See eine Besatzung nach Epidauros geschickt hatten);
daher die Ansprüche Athens auf alle innerhalb des Seegebiets liegenden Städte
and ihre Eintragung io die Schätzungslisten, noch bevor sie tributpflichtig
waren (S. 244). — Man kann das Festlaadslitoral auf c. 573 Meilen, die
Inselküsten auf c. 620 Meilen berechnen. Duncker Sitzuugsb. d. Berl. Ak. 1884
S. 881. Gesch. d. Alt. 1 222 nimmt eine systematische Entfestiguog der
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A.NMERKLTNGE* ZUM DRITTE* BUCH.
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Städte IouieDs Dach der Besiegung von Samos an; alle sollten nach der See-
seite offen sein. — Sehr treiTeod H. Droysen a. a. 0.: 'der att. Bund war
keine allgemein fältige Verfassung, sondern eine Menge von Sooderverhält-
nissen, auf Separatverträgeu beruhend'.
131. (S. 250). Tausend Städte: Aristoph. Wespen 707. Böckh 2*, 419.
42331 statt 460 Tal. Köhler S. 133. Vgl. Kirchhoff Gesch. d. Athen. Staats-
schatzes 1876 S. 29. — Die Zabl 600 in den Listen bestätigt. Samische Kriegs-
steuer, in die 600 Talente bei Thuk. II 13 eingerechnet, nach Busolt Philolog.
1882, S. 652. Vgl. M. Fränkel zu Böckh Staatsh. II 90*. Die Epoche der 460
Talente (Thuk. 1 96) ist streitig vgl. Kirchhoff a. a. 0. Zusammenlegen der beiden
Kreise zuerst nachweisbar CIA. I n. 244 (Ol. 86, 1); daher der ionische der
gröfste bei Thuk. III 31, wogegen der tbrakische durch den Abfall der chalki-
discben und bottiäischen Städte sich verringert hatte, Köhler S. 133. Die
Summe der in den Quotenlisten erhaltenen Namen verhält sich zu den Namen der
Schatzungsliste von 88, 4 wie 2 : 3, Köhler S. 121. Gruppen von Städten als
Syntelien: Köhler S. 122, wo auch die aus Krateros citirten, in den In-
schriften noch nieht nachweisbaren Namen zusammengestellt sind. — Steige-
rung der Tribute Ol. 85, 3: CIA. I p. 226. — Perikles und der Schatz: *A&r\-
vuiot lijf xot« dalatiav rytyLQvtag avrfxofAttoi ja h dr\Xtp xotvij awrjyfiiva
XQrfAata laXavia o^*d"6v oxiaxioxfXia, pijryfyxav ttg Jag '49i}vag xttl nctQ-
iötoxav ifvläuuv ütQixXii. Spartas finanzielle Unselbständigkeit: Thuk. I
121, 3. 143, 1. Hieraus erklärt sich auch das Urteil der Gegner Athens:
tavT}iTi ' 4&T}va{<ixv t\ övvafug /uaXXov r\ oixtfa Thuk. I 121, 3.
132. (S. 251). Geld wirthschaft der Priester: vgl. Stellung des Priester-
thums bei den Alten (Berliner Universitätsrede vom 22. März 1878, Alter-
thum und Gegenwart 11 S. 38). Säcularisatiou: Mouatsber. der Berl. Akad.
1869 S. 479. Solons Klage über Versündigung an heiligem Gelde: 4, 15 Bergk.
133. (S. 253). Ueber die Fiuanzverbältnisse vgl. Kirchhoff zur Gesch.
d. Athen. Staatsschatzes 1876. Depositum, nttQaxaia&yxij. Den Hauptbestand
der laufenden Einnahmen (ia 7i(ioOt6na) bilden die Tributsummen. Der Re-
servefonds, r« tTrap^orra. Ohne besondere Anweisung, aber unter Controle
der Logisten zahlten die Helleuotamieo nur den Sechzigsten, uvav ano jov
jaXayjov, wie Köhler Urkunden S. Iü4 aus der Ueberschrift von Liste 34
nachgewiesen hat. Schuldscheine beim Tempel aufgestellt: Kirchboff S. 41 f.
Centralscbalz S. 44. — CIA. I 32 (aus Ol. 86, 2) verfügt, anoiovvat joig 9totg
t« xQ^ifittTa tu otfftiXöfxtvtt zugleich mit einem Regulativ in Betreff der Baar-
sebaften uud der Werthobjekte: fit %Qra9<it jutjdl anavaXiaxttv an' avjdiv
ig «XXo ** tg lavjtt inkq nvqlag J^a/uag öuvvut xtXtvfiv teev
fii] ii}V a6tiay \pti<ftar\Tai 6 öfjfjog.
134. (S. 254). Schatzämter: die xaudti rfjg 9tov} luplm Jtov Uq<Sv
XQtipaTtüV rijs lAd-rjrafag, und seit Gründung des Ceutralscbatzes rccu(ui jcüv
#*tö>, ictfdiai itov itXXtav itttüv.
135. (S. 255). Schätzuugsliste, läfrg ifoQov Köhler S. 64 (xaia jade
tutl-tv jov tfCQov Tjjori noktoi y ßovXrj) erhalten nur aus Ol. 88, 4 in CIA. 1
n. 37, wobei zur Einschätzung der Bundesgenossen für jeden Kreis je 2 Cotn-
missare ausgeschickt werden sollen. — Die erste Serie der Quotenlisten
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN BUCU.
(454-440) enthält CIA. 1 d. 224-240. — Nachweis über die Ausgaben in
den Uebergab-Urkunden der Schatzmeister. Vgl. CIA. I p. 82 xtyalatov
aval&fiäiuv und p. 85 '-Hhjvttiot avt'fltooav — 'JiUtporapfais nct(>eö6&r) etc.
Zwei Verwaltungsepocben der attischen Finanzen werden nach gezählten Be-
hörden bezeichnet, die eine nach Jahren der ßovlrj, die andere nach Jahren
einer Die 34. fallt in das Jahr des Archonten Aristiun (89, 4 ;
214—20), ihr Epocbeujahr ist also 81, 3; 454—53. Damals ist also das Amt
der Logisten oder 'Dreifsiger', wenn auch nicht neu eingesetzt, aber doch zum
ersten Mal beauftragt gewesen, die Tempelquote zu berechnen: Köhler S. 108.
Die Epoche des Raths fällt in Ol. 83, 2; 447 -46.
136. (S. 257). Ueber die attischen Kleruchien (ad exonerandas vires
Seneca ad Helviam 7) Kirchhoif Abh. d. Berl. Ak. 1873, S. 1 ff., welcher aus
den Tributlisten gegen BÖckh nachweist, dass die Kleruchen keinen Tribut
gezahlt haben. Eion (Plut. Kim. 7) und Skyros (Thuk. I 98. Diod. XI 60):
S. 12 f. Euboia (Andoc. de pace 3): 16 ff. In Chalkis ist (Kirchhoff S. 18)
die bei Her. V 77. VI 100 überlieferte Zahl von 4000 Kleruchen erat damals
erreicht worden; nach Aelian V. H. VI 1 waren in der Zeit des Kleis theo es
blofs 2000 xl^goi zur Vertheilung gekommen. Eretria: CIA. I n. 339. Thasos
zahlt nach Ausweis der Quotenlisten bis 82, 4 nur 3 Taleute, seit 84, 1 aber
30 Talente, auch nach der Schätzung von 88, 4; wahrscheinlich auf Grund
eines Abkommens, wonach den Thasiern gehörendes Eigenthum, Bergwerke,
welche beim Friedensschluss 79, 3 den Athenern überlassen worden (Plut.
Kim. 14), gegen erhöhten Tribut au Tbasos zurückgegeben worden sind.
Andros, Naxos, Chersonnesos (Plut Per. 11): Kirchhoff S. 25 ff. Sinope: Plut.
Per. 20. Amisos: Theopomp bei Str. 547. Köhler S. 115. Münzen von
Auiisüs mit HElPAlSLN Leake IS um. Hell. Asia 9. Der Unterschied zwischen
Klernchie und Colonie ist nicht überall genau festzustellen, so bei den
pootischen Ansiedelungen. — Foucurt les colonies des Atheniens 1879
(Memoire« presentes par div. sav.) hat nachgewiesen, dass die Kleruchien
inuoicipale Selbständigkeit besessen haben, mit eigenem Prytaneion und
Bule, eigener Finanzordnung etc. Auf Grabsteinen werden daher Kleruchen
aus Melos mit ihrer att. Phyle und att. Demos genannt, Kupfermünzen
der Klerucheogemeindeu Myriua, Hephaestia, Imbros u. a. Aufser den
xlfjooi und den refttvi} für die Götter wurden auch Grundstücke als
Staatsdomänen zurückbehalten für Dotationen und andere gelegentliche Ver-
wendung. — Filiale der Athena Polias in den Kleruchien: Kirchhoif
Staatsschatz der Atb. S. 52. — Poutischer Feldzug des Perikles: Duncker
Sitzungsberichte d. Berl. Akad. 1885 S. 533 ff. D. betrachtet die poetische
Expedition im Jahre 444 als eine gegen das Drängen nach Aegypten (damit
wird die ägyptische Kornspeude iu Zusamnieuhang gesetzt) unternommene
Digression zur Ausbreitung der Seeherrschaft ohne Conflikt mit Peraien,
um die Städte von der Meerseite gegen Odrysen u. s. w. zu schützen. Als
Früchte dieser Expedition glaubt er die Anknüpfung Atheus mit Herakieia,
mit den Archäanaktiden in Pantikapaion zu erkennen und bezieht darauf
Ausdrücke wie: ipiUais ßaoilitov xai ai/(ifx«x{(US ntffQayt**** iaX^ *a*
rtytfAovta (Plut. Per. 15). Aus dem Privilegium der Methonäer CIA. 40
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A>MEKKUINGEN ZUM DRITTEN BUCH
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Z. 34: igayeiv ix Bv(avr(ov oitov macht D. mit Gilbert (Griech. Staats-
altert, I 333) und Beloch (Rh. Mus. 1884 S. 39) den Schloss, dass schon
damals ein Sondzoll eingerichtet worden sei. Es handelt sich aber nur um
eioe Controle der Kornschiffe im Bosporos, um für die Zufuhr nach Athen
die nöthige Sicherheit zu haben.
137. (S. 25S). Die Stiftungsurkunde der Colonie Breo, gleichzeitig von
Böckh Monatsber. der Berl. Ak. 1853, S. 147 und Sauppe Ber. der Sachs. G.
d. W. 1853 herausgegeben, CIA. 1 n. 39. IltQixlfjs — tornltv tls &Qtfxt)V
XiMovs BiaaXrms owoixTfOovras: Plut. Per. 11. — Brea: CIA. I 31.
138. (S. 260). H. Droyseo, Atheu und der Westen. Zofluchtsörter der
Sybariten: Her. VI 21. Neu-Sybaris: üiod. XU 10. Münzen: CareUi Noiumi
IUI. p. 89. 11—14. Gründung von Thurioi: üiod. XII 10. Stadtquelle
Thuria: Griech. Bruoneninschriften S. 28. (Abh. der Göttiugcr Ges. der
Wissensch. VIII S. 180).
139. (S. 260). Ueber die Gründung von Amphipolis Weifscnboru Hellen
S. 152. Das Jahr derselben ist einer der wichtigsten chronologischen Stütz-
punkte, 28 Jahre vorher nach Thuk. IV 102 die Niederlage bei Drabeskos 78, 4;
gleichzeitig Abfall von Tnasos; kurz vorher die Schlacht am Eurymedou und
die Belagerung von Naxos, welche wieder durch den Thronwechsel iu Persien
bestimmt wird.
140. (S. 264). Thuraser Untersuchungen über die attischen Metöken. Wiener
Studien« 1885. Wilamowitz, Hermes 22, 228 denkt sich die Metöken in die Ge-
roeinderegister aufgenommen. Zusammenhang des Bürgergesetzes mit der Ver-
keilung der Ländereien auf Euboia vermothet Böckh Staatsh. 1 3, 113. Plut.
Per. 37 spricht ungenau von 4760 in Sklaverei Verkauften. Ueber die Zahl 14,000
siehe Aom. 22. Philochoros bei Schol. zu Arist. Wespen 716 nennt als Urbeber
des Geschenks Psanimeticbos, was Sinteuis zu Plutarch als Verwechslung mit
Inaros ansieht, während Bergk N. Jahrb. f. Phil. 1852 S. 584 an den Vater des
Inaros denkt; aber man kann das perikleische Gesetz unmöglich bis in Ol. 79
hinaofschieben. Es scheint mir am einfachsten anzunehmen, dass die Griechen
den Enkel des Psammetichos wie den Grofsvatcr uannten und dass der Sohn des
Inaros gemeint ist, der sonst den libyschen Namen Thaunyras fuhrt. Her. III 16.
Brüder sind Th. und Psam. nach v. Gutschmid zu Sharpe Gesch. Eg. 1,
S. 113. M. Duncker Sitzungsberichte der Berl. Ak. 1883 6. Juli, der Amyrtaios
als Geschenkgeber nachzuweisen sucht, findet das Gesetz unverträglich mit
der panhellenisch -demokratischen Politik des Perikles, und dies plötzliche
'Wüthen gegen Halbbürger' sowie die 'unbegreifliche Selbstsehädigung' ist ihm
so anstöfaig, dass er die ganze Ueberlieferoog als eioe Legende betrachtet, von
Rhetoren erfunden um einen Gesetzgeber in den Schlingen seiner eigenen
Gesetze zu zeigen, eine Art Nemesis für Hochmuth. Dagegen bedenke man,
dass Perikles nur eine alte Norm erneuerte; denn jeder Familienvater schwur,
der Neugeborene sei l£ aat^c xai yafurfjs yuvtuxos. Diese Norm wurde immer
wieder vernachlässigt und von Zeit zu Zeit neu eingeschärft (Philippi Beitrage
zur Geschichte des att. Bürgerrechts S. 131 u. 140). Bei starkem Andrängen
zum Genuas einer ausländischen Korospendc waren Revisionen der Bürgerlisten
herkömmlich (Aristoph. Wesp. 715) und in volksfreundlichem Sinne.
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ANMERKUNGEN ZUM DRITTEN RUCH.
141. (S. 268). Frühere Absperrung gegen attisch« Waare: Her od. V 88.
Verbreitung der attischen Töpfer waare in Hellas: Macrob. V 21, 10; Her.
V 88. In Italien bereits Mitte des 5. Jahrh. bis in die Pogegendea, wie die
Funde in Atria ergeben haben. Bis zu den Aethiopeo, Skyl. 112: ol 4»o(vtxts
tfirtoQot tlodyovotv avzots xfQttftov 'Axtixby xai %ovs. xa yap nXaa^tata
iattv ävia iv Tote XovOi ry iogirj. Blümner gewerbl. Tbatigk. S. 06.
ixovotos xoivtavta ow&t/ufvtov IfAnogfaf: Harpocrat. v. xotvtavixmv — Frankel,
Hermes 18, S. 315. — Ueber den marsgebenden Einfluss des attischen Gelds
s. Brandis Münzwesen in Vorderasien S. 337. Köthel vertrag mit Keoa: BÖckh
Staatsh. 23, 312. CIA. II n. 546. Handelszwang: <Xenophou' de rep. Atb. 2, 11.
Büchsenschütz Besitz und Erwerb S. 403. Handelsgerichte: Böckh I3, 64.
142. (S. 269). Ueber Kephalos Lysias gegen Eratostheaes § 4. Die
frühere Chronologie seiner Familie (s. 0. Müller Gr. Litt. 2, 369) ist durch
Vater und Westermann Lysiae orationes 1854 p. VI berichtigt Nach ihreu
Untersuchungen ist Kephalos nm 83, 1; 448 nach Athen gezogen, sein Sohn
Lysias 87, 1 ; 432 daselbst geboren und nach dem Tode seines Vaters 16 Jahre
alt mit seinem Bruder Polemarchos nach Thurioi gewandert, wo er bis 412;
92, 1 blieb.
143. (S. 270). Kadmos, I'berekydes und Hekataios als Gründer prosaischer
Literatur bei Strabon p. 18. Kadmos eine mythische Person nach A. Schäfer
(Quellenkunde der gr. Gesch. § 6. Pherekydes bandelt vom Geschlechte des
Aus. Fragm. Bist. Gr. I p. 73. Bedeutuug des Namens 'Logographos' : G. Cortias
Berichte der S. Ges. der Wiss. 1866 S. 141.
144. (S. 271). Meine schon in der ersten Auflage ausgesprochene Ansicht
von dem nicht angelernten, sondern angeborenen Ionismua Herodots haben die
inzwischen aufgefundenen Inschriften von Halikaruass in überraschender Weise
bestätigt Vgl. meine Ree. von Newton'* History of discoveries at Hai. in deu
Gott. Gel. Aoz. 1862 S. 1149. Sauppe in den Nachrichten der Gült. Ges. <L
Wiss. 1863 S. 327. Ausschluss vom Triopion Hcrod. I 144. Herodots Ge-
burtsjahr 74, 1 nach Pamphila.
145. (S. 272). Geschichte von Halikarnass zur Zeit Herodots mit Bezug
auf die Vertragsurkunde zwischen dem Demos von Halikarnass und Salmakis
einer- und Lygdamis andererseits s. Sauppe a. a. 0. und Kirchhof Stadien
zur Gesch. des Gr. Alph. 4. Aufl. S. 4. Abweichend A. Bauer, Herodots
Biographie (Sitzuogsber. d. Wiener Akad. 1878 S. 405), der die Ueberlieferaog
von Her.'s Exil gleich den sonstigen allein auf Suidas s. v. 'Hq63qtos be-
ruhenden Angaben verwirft. — Herodots Autopsie io Asien: Matzat im Hermes
6, 392. — Der Beitritt von Halikarnass zum Seebund wird um dio Zeit der
Schlacht am Eurymedon zu setzen sein.
146. (S. 275). Die Episode über die Alkmaoniden (Her. VI 121—131)
ist uach Kirchhoff 'Entstehungszeit des herodot. Geschichtswerks' S. 39 von
Herod. zu Gunsten des augefeindeten Perikles geschrieben. Herodots Vor-
lesung in Athen bezeugen Eusebios (Hieronymus zu Ol. 83, 4; der Armenier
zu 83, 3 und Synkellos) und der Athener Diyllos bei Plut. de mal. Herodoti
26, dessen Meldung von dem Antrage eines gewissen Anytos aur ein Ehren-
geschenk von 10 Talenten der Nachricht bei Eusebios zur Beglaubigung dient.
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Kircbboff a. a. 0. S. 10. Herodot io Sparta: Kirchhof Monatsber. d. Barl.
Ak. 1879. Herodota axpr fallt io daa Jahr von Thurioi: Rh. Mos. 31, 49.
Ueber die Beziehung von Antigone 905f. auf Herodot III 118 aiehe Kirchhoff
S. 8. Herodot arbeitet sein Werk io Thurioi aas; daher bei Ariatotelea Uqo-
dorov GoiQtov Diels Hermea 22, 440.
147. (S. 276). Vgl. J. Brandis de temporum graecorum antiquissimorum
ratiooibaa. Bonn 1857 p. 10. Aendernogen io den Listen: Hermea 8, 190.
Vgl. über Hellanikos Köhler Commeat. io hos. Mommseni p. 376.
148. (S. 277). loo'a Anathem: CIA. I n. 395. Die 3 Epigramme Plut.
Kim. 7, ebenfalls io ionischem Dialekt, führt auf loa zurück Kirchhoff Her-
mes 5, 58. — Nach Plut. 9 wären die persischen Gefangenen in Sestos und
Byzanz erbeutet worden. Auf die Einnahme von Sestos 478, wo Xanthippoa
die Athener führte, kann dies nicht gehen; nimmt man aber auch an, daas Sestos
damals wieder aufgegeben und in einem der folgenden Jahre von Neuem er-
obert worden ist, so bleiben doch noch Schwierigkeiten. Offenbar hat Plut.
den Bericht Ions ungenau wiedergegeben.
149. (S. 278). Die memoirenartige Zeitgeschichte (ij tüv nQd&tav xal
ßttav T\Xixitüiti laioQftt) charakterisirt von Plut. Per. c. 13. Ueber loa und
Steaimbrotos vgl. Rubi Quellen Plntarchs im Leben Kimona S. 29. — Die
ersten Schriftsteller über Homer in Periklea' Zeit: Theagenes von Hhegion,
Metrodoros von Lampsakos, Stesimbrotos von Thasos und Glaukos. Wolf
Proleg. 162. Echtheit der Schrift des Stesimbrotos über Them. Thuk. Periklea
vertreten von W. Vischer, Kl. Sehr. 1, 26; v. Wilamowitz, Hermea 12, 361.
Quelle ersten Ranges nach A. Schmidt daa Perikl. Zeitalter. Dagegen A. Sehn Ter
in v. Sybels Zeitschrift N. F. IV 211 und U. Köhler ebendaselbst.
150. (S. 280). Ueber Hippokratea' Vorgänger und die Grundlagen aeiner
Wissenschaft: Daremberg Rev. Archeol. 1868. Pherekydea von Syroa: Diog.
Laert. I c. 11. Schol. Od. 15, 403. Redlich 'der Astronom Meton' S. 22, 35.
— Matriketas, Kleostratoa etc.: Theophr. de sign. pluv. I § 4, p. 783 Sehn.
Vgl. Forchhammer und O. Müller zur Topogr. von Athen 1838 S. 9. Red-
lich a. a. 0. S. 19 ff.
151. (S. 282). Die Aufstellung des Heliotropions auf der Pnyx beweist,
dass die Rechnungen Metoos bei den gebildeteren Athenern, und namentlich
bei Periklea Anerkennung gefunden hatten (Göttling de Metonis heliotropio
1861 p. 10). Die Zeit der offiziellen Einführung des Kalenders setzt Usener
(Rhein. Mus. 1879 S. 403) nicht mehr mit Böckh 330 (« 112, 2), sondern
312 (= 117, 1)." Die Zeitrechnung xta aqxovra und xaia 9t6v: Usener
S. 419.
152. (S. 285). Ueber die Darstellungen des Homer Michaelia in Jahna
Gr. Bilderchroniken S. 57 f. Einwirkung des alvos auf Poeaie und Proaa:
Zurborg, Hermes 10, 213. Uebereinatimmung des Attischen mit dem Aeolischen
zeigt auch das r iu Ti^epor, ifjtfg, yXöjjTtt u. s. w.; u ist äolisch-attisch,
ebenso t#. In Bezug auf ä und r\ bat das Attische eine mittlere Stellung,
und gerade die Volkssprache war es, welcher Formeln wie tu dttfittifQ au-
gehörten. Die Neigung zu knappen und gedrungenen Formen ist dem Atti-
schen eigen. Verhältoiss der Atthia zur Iaa: Bergk Griech. Litt II 272.
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153. (S. 266). Plat. Phaedr. 269 e. Saidas v. ntQixtfs. P. im Gegen-
sätze zu den ff/«fjo{oyrff wie Demosthenes (Schäfer Dem. J, 304); doch handelt
es sich hier vorzugsweise um Gerichtsreden, wo Vorsicht und Zeitben utzuog
besonders nötbig war. Elegie und Epigramme: Zurborg Hermes 10, 205. Si-
monides' Epigr. auf die Megareer: Kaibel Epigr. n. 461.
154. (S. 288). Antiphons Schule in ihrem Einflüsse auf die attische
Prosa: Blass Geschichte der gr. Beredsamkeit I* 91. Mit ihm beginnt die
uoter Einwirkung von Protagoras entwickelte und durch die Sykopbantie ge-
förderte Technik des Redeoschreibens und die Veröffentlichung gerichtlicher
Heden ; denn während die Staatsreden, nachdem sie gehalten waren, werthlos
erschienen, legten Sophisten und Advokaten Werth darauf, ihre den Clieoteu
fertig übergebenen Reden in die Oeffentlichkeit gelangen zu lassen. Antiphons
erste Reden um 420. Die eingehende und liebevolle Würdigung des Antiphon
bei Thukydides spricht für eine nähere Verbindung zwischen ihnen. Blass S. 206.
— Thukydides' Anspielungen auf Herodot: I 20, 22, 126 u. a.; vgl. Roscher
Klio S. 290. Herodot und Perikles: Schöll Sophokles' Leben S. 118 f. —
Thukydides' Verhältniss zu Perikles: Eutzen Perikles als Staatsmann S. 136,
137, 163.
155. (S. 295). Ursprung der TQaytpSta von den ttaQXovret rov dift/pa/i-
ßov. Arist. Poet. p. 1449 a. Thespis erster Vertreter der litterarisehen Gattung.
Hiller Anfänge der Tragödie Rh. Mus. 39, 321. Wie die Tragödie ihren Cha-
rakter erhielt, sagt Aristoteles : ix /utxQtov ftv&tav xal Al{ta>c ytkoCas äia ro
Ix OaiVQixov fJtraßaltiv ot//£ antoefjvuv&r). Theaterbau: Doerpfeld in
A. Müllers griech. Bühnenalt. Anhang setzt die Anfänge des steinernen Theatern
in die Zeit des Redners Lykurgos. Frühe (theoretische wie praktische) Aus-
bildung der Biibuenperspektive; Agatharchos: Vitruv. 158, 20.
155a. (S. 299). Bernays Aristoteles' Wirkung d. Tragoedie: der Mensch
selbst als Objekt d. Katharsis. Darum wird die sittliche Wirkung nicht auf-
gegeben. Vgl. H. Abcken, Die tragische Lösung im Pbiloktet. Berlin 1S60.
lieber die Schwierigkeiten, an denen die Reconstruktion der Persertrilogie
noch immer leidet, siehe H. Weil Prolegomena ad Aeschyli Persas, und 'Mo-
ritz Haupt als akademischer Lehrer' von Chr. Belger S. 206 f. Vgl. Bergk III 291.
156. (S. 300). lieber Aischylos vgl. Riehl Mnemosyne 1 (1852) S.361f.
Sophokles, Priester des Alkon: Vit. Soph. p. 126 vgl. G. Hirschfeld Hermes
8, 356. An dem Siege des Soph. über Aisch. zu zweifeln (Droysen Hermes
9, 7), Hegt kein hinreichender Grund vor (Sauppe Ber. d. Sachs. Ges. d. W.
1855 S. 5). Dagegen ist die Ueberlieferung zu verwerfen, wonach Aisch. ans
Dnmuth nach Sicilien gegangen sei, da nach der von Franz entdeckten Didaska-
lie ein Jahr nachher, 78, 1; 461, die Oedipodie zur Aufführung gelangt ist.
Vgl. Aesch. ed. Dindorf 1875 p. 45. (Jeher Aisch. in Sicilien s. S. 553 f., und
über die Concurrenz der beiden Tragiker Heibig, Zeitschr. f. Gymnasial*-.
16, S. 99.
157. (S. 306). Soph. und die Schauspieler: v. Sybel, Hermes 9, 24S. —
Sophokles' Strategie im samtschen Krieg: Androttoo b. Schol. Aristides III 485.
Strabo 638. Bergk Litg. III 407. Ion bei Athen. XIII 603 E ff. Eine andere
Strategie während des pelop. Kriegs, wobei ISikias des Soph. College war:
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S45
Plut. Nie. 15. Sophokles Hellenotamias CIA. I 237. — (Jeber Kratinos und Ki-
moo: Plut. Kimon 10. Eine politische auf Thcmistokles zielende Komödie
des TimokreoD erwähnt Suidas, vgl. Fr. Hist. Gr. II p. 54. — Die Komödie
Ol. 78 als Bestandteil der dionysischen Feste anerkannt: Köhler Mitth. des
D. Arcb. Inst. 3, 107. Der Gau lkaria am Nordostfuls des Brilessos von
Müchhoefer entdeckt. Spannung des Publikums: to o*i nQayfjct i(\ Pax 44.
Kock Aristophanes als Dichter and Politiker. Rhein. Mus. 39, IIS.
158. (S. 308). Perikles, Chorege des Aischylos, Köhler Mitth. 3, 105.
Sopb. taig Movaais Slaoov ix iwv ntnaitiuntvw ovvayttytov, Sopb. ed.
Bergk p. XIX. Sopb. u. Herodot: Zurborg, Hermes 10, 209; Nieberdiog Pro-
gramm Neustadt O./S. 1875.
158*. (S. 309). Vitruv. 158, 10.
159. (S. 309). Der Staat besoldet auch die Dichter: Röckh Staatsh. I3,
S. 153. Fritzsche zu Arist. Fröschen v. 367.
159*. (S. 311). Heber die Gefäfsfabrikation und den Export s. oben
Anm.141. Euphronios: W. Klein 2. Aufl. 1886. Duris: Michaelis Arcb. Zeit. 31
S. 1 ff. Cbachrylion: Löschcke in Helbigs 'Jtaliker in der Po-Ebene' 124f. Aua
der älteren aristokratischen Zeit stammen noch die den Handwerkern beige-
legten Spottnamen, Welcher Gr. Götterlehre II 690. Die Grabstele desLyseas:
Mittb. d. D. Arch. Inst. 4 Tat. 1, 2 bespr. von Löschcke S. 36.
159b. (S. 314). Polygnots Historienmalerei: Gött. Nachrichten 1861
S. 368. In der Poikile nimmt Michaelis (Parthenon S. 37) noch die Beschützung
der Herakliden an nach A. Schäfer Arch. Zeit. 1862, 371.
160. (S. 315). Ueber die altattischen Grabreliefs Abb. der Berl. Akad.
1873, 157. Köhler Die attischen Grabsteine: Mittb. des lost, in Athen X, 359.
161. (S. 319). Onatas' Apollo Tür Pergamon und Demeter für Phigaleia:
Paus. Vm 42, 6. Unter den in Pcrgainon aufgefundenen Basen befindet sich
eioe mit dem Namen des Onatas. Weibgeschenk der Achäer: Paus. V 25, 8;
der Tarentiner: Paus. X 13, 10; der Akragantiner: Paus. V 25, 5. Piudars
Zeus Ammon: Paus. IX 16, 1. Myron, Ladas: Anthol. IV 185, 318; Disko-
bol: Lue. Pbilops. 18. Quintil. II 13, 8. Ueber Myrons Kunstweise vergl.
Arcb. Zeit. 1879, 21 f. Kallias' Weibgesehenke auf der Burg: O. Jahn de
antiq. Min. simulacris p. 8. Hermes 3, 166. CIA. I n. 393. — Auswärtige
Künstler in Athen schon seit Solon, naviouot ptroixtiofitvoi inl rljrrrj:
Plutarch Solon 24. Hermes 22, 238. Erst korinthiache und ehalkidiscbe,
dann überseeische Einflüsse. Inselmarmor, Inseltypen. Inschriftlich bezeugte
Künstler, Onatas: CIA. IV Suppl. n. 373" Arcbermos n. 373 95. Auch Kimon
von Kleonai persönlich in Athen wirksam zur Pisistratideozeit , in welche
auch der Epiktetische Kreis der Vaseninaler hinaufreicht. Vgl. Studniczka
Antenor und die Geschichte der älteren Malerei, Jahrbuch des Arch. Instituts
II S. 135.
162. (S. 320). Agel. Phetdiaa' Lehrer nach Tzetzea Chil. VII 929. l4ytl<fdas
b lAQyttos'. Loewy, Griecb. Bildhauerinschr. n. 30 d. — Hagelaidas als Lehrer
des Pheidias unwahrscheinlich nach Robert Archaeol. Märchen S. 92. Pia-
taiai: Paus. IX 4. Ueber Kimons Thätigkeit Tür des Miltiades Ruhm Brunn
Gesch. der gr. Künstler 1, 162; 2, 19. So ist auch Aesch. c. Ctes. 186 zu
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verstehen. Delphische Gruppe: Pausan. X 10. Vgl. GÖttling Berichte der
K. S. Ges. der W. 1S54 S. 17, und meinen Aufsatz 'über die Weihgeschenke
der Griechen nach den Perser kriegen' in den Nachrichten der Gott. Ges. der
Wiss. 1861, wo ich S. 396 die Vermuthong begründet habe, das* neben Kodros
nnd Thesens als Dritter Philaios gestanden habe, der mythische Stammvater des
Miltiades nnd Kimon, der durch seine Uebersiedelung Salamis an Anika brachte.
163. (S. 322). Perikles' Psephisma über die Wiederberstellung der gr.
Heiligthümer als eine Nationalsache: Plut. Per. c. 17. Fragmente von In-
schriften an Weibgeschenken, welche zum Andenken an ältere Gro (statten
der Athener in der pcrikleischen Zeit erneuert oder zum ersten Male errichtet
worden sind: Kirch ho ff CIA. 1 333. 334 vergl. CIA IV S. 40 und Monatsb.
der Preuss. Akad. der Wiss. 1869 S. 409 f. Perikles' hellenisches Bauprogramm
nach A. Schmidt Versuch einer neuen Bundesverfassung; nach A. Schäfer Hist.
Ztscbr. N. F. IV S. 216 eine Bürgschaft des eben geschlossenen Friedens.
164. (S. 323). Sunioo: Doerpfeld Mitth. d. ath. Inst. IX 324 ff. Rhamnus:
Ross Arch. Aufs. II 397. Lolliog Mitth. IV 277. Paus. I 32. — Welcher Gr.
Götterlehre 3, S. 28.
165. (S. 327). Bleusinische Ausgrabungen der archaeol. Gesellschaft in
Athen unter Philios: TTgaxtixd 1883 — Peiraieos von A. Milchhoefer: Karten
von Attika Heft 1; C. Wachsmuth Bin antiker Seeplatz in Conrads Jahrb.
f. Nationalökon. 18S6. Dipyloo: Co mm. pbil. in hon. Th. Mommseni p. 590. Ueber
die Geschichte des öffentlichen Begräbnisses im Kerameikos s. meine Abb. znr
Gesch. des Wegebaus S. 58 (Abh. der Preuss. Ak. 1851 S. 266). Vi scher
N. Jahrb. f. Phil. 73, S. 133. (Kl. Sehr. II, 651.) Zum Denkmal der bei
Drabeskos Gefallenen (Paus. I 29, 4) gehört CIA. I n. 432.
165*. (S. 330). Markt: Attische Studien II, Milchhoefer Athen (Bau-
meister Denkm. I). Theseion: Pans. I 17. Herakleion in Melite: Wachsmuth
Stadt Athen 357 ff. Dörpfeld ist geneigt, das Theseion' für jünger als den
Psrthenou zu halten: Mittb. IX 336.
166. (S. 332). Olympieion: Plin. XXXV 8, 54; fortgesetzt von An-
tiochos Kpiphanes: Liv. XLII 20. Pythioo: Hermes XII 492. Odeion: Plut.
Per. 13. Parthenon: Michaelis Parth. 1871. Neue Funde 1886: Antike Denk-
mäler des Areb. Inst. 1887 Tafel I u. II. Dorpfeld Mitth. des Athen. Instituts
XI 337 'Der alte Athenatempel' — . Dörpfeld und Petersen XII 25 f. Funda-
mente von 4 Tempeln neben einander. Südlich vom Erechtheioa der Bau des
Peisistratos , von dem das Hinterhaus nach den Perserkriegen wieder herge-
stellt wurde (nach D. auch die Cella). Giebelstatuen: Purgold Bphemeris Arch.
1885, A. Bötticher Akropolis Fig. 27. 28. Grofser Terrassenbau Kimoos
und dritter Tempelbau: Mitth. XII 32. Burgmauer im Süden: Plut Kim. 13.
Coro. Nepos 2: arx qua ad meridiem vergit, ornata.
166*. (S. 333). Die Unterscheidung der verschiedenen Gattungen von
Tempelgebäudeo , wie sie im Texte angedeutet, hat K. Böttieher in Erbkams
Zeitscbr. Tür Baukunst 1853, Philologus XVIII S. 384 und in seiner Tektonik
gemacht. Seine Lehre hat in Olympia neue Bestätigung gewonnen nnd ist in
Beziehung auf den Parthenon von Michaelis S. 8, 28 befolgt worden. Bundes-
schatz im Opisthodom des pisistratiseben Tempels: Dörpfeld Mitth. Xfl S. 36.
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167. (S. 336). Hekatompcdos pftfav tou t[xnqrio&(vios nool ntvrqxovta
Hesych. (nach Dörpfeld S. 53 auf die Breite, nach Petersen S. 49 auf die
Länge bezüglich). Innere Gliederung; des Parthenon nach dem ol. Zeustem-
pel nachgewiesen von Dörpfeld Mitth. VI 283. Die genaue Deutung des Par-
thenonfrieses bleibt für uns noch immer ein Problem, namentlich die der Mittel-
gruppen des Ostfrieses; wir können nur so viel sagen, dass in kühner Weise
die Darstellung des vollen Festzugs, dem die Götter beiwohnen, mit den
Scenen der Einübung und Vorbereitung zu einem idealen Bilde verbunden ist
169. (S. 341). Athena Lemnia : Kirchhoff TributpSicht der Kleruchen S. 23.
Löschcke Hist. Untersuchungen zu A. Schaefers Ehren 1882 S. 43. — Pro-
niachos 17 /itlxij i\ f*tyaXt) l4&i}ya Dem. XIX 272, Paus. I 28.
169. (S. 346). Cyklus der panath. Festlichkeiten: Stoppe Inscr. Panath.
1857, 1858. Mommsen Heortologie S. 116. Mq({ — afio» tov ninlov.
Arist. Eq. 563. Vollendung der Parthenos 438 Ol. 85, 3; unter Theodoros
nach Philochoros. Schol. Arist. Pax 605. Uebergaburkunden : Tabulae quae-
storom Minervae (traditiooes rcrom sacrarum) CIA. I 117. Kirchhoff Urkunden
der Schatzmeister der andern Götter (Abb. der Berl. Akad. der Wiss. 1864
S. 11, dem die Datiruog der früher Ol. 90, 3 angesetzten Psephismata CIA. I
n. 32 verdankt wird. Gliederung des Parthenon nach Analogie des aufgedeckten
Zeustempels in Olympia festgestellt von Dörpfeld Mitth. VI 283. Athena Nike:
Arch. Zeitg. 37 S. 47. Musischer Agon Bergk II 500. — Athena Hygieia:
Plut. Perikl. 13. Ross Arch. Aufs. 1, 187. CIA. I 335. Skolion bei Athenaios
694 (av t£ xai ntttrQ).
170. (S. 346). Ueber die architektonische Einrichtung des Burgaufganges
(der avoiog vgl. Arch. Ztg. 1853, S. 202) sind die von Beule angeregten
Untersuchungen auch nach der eingehenden Behandlung durch Michaelis Mitth.
d. D. Arch. Inst. 1, 275 ff. noch nicht zu Ende geführt. Neueste Ermittelungen
bei Bohn Die Propylaeen. Ueber die Zeit des Niketempels Michaelis Arch.
Zeitg. 20, S. 250. Vgl. Kekule Balustrade 2. Aull. S. 27 f. und meinen Auf-
satz Arch. Ztg. 37 (1879), S. 97.
171. (S. 347). Praxias und Androsthenes : Brunn Künstlergesch. 1, 247 f.
Att. Kunst in Arkadien: Michaelis Arch. Ztg. 34, 162: Pheidias und Theokosmos:
Brunn a. a. O. S. 245. Thrasymedes in Epidauros: Brunn 246. Agorakritos:
Paus. IX 34, lktinos in Phigaleia Paus. VIII 41, 9.
172. (S. 351). Libon: Paus. V 10, 3. Aus der auf den tanagräischen
Sieg bezüglichen Inschrift am Ostgiebel von Olympia (Purgold Arch. Ztg.
40, 180) wird mit gutem Grunde geschlossen, dass der Tempel 456 fertig
war. Paiooios und Alkamenes: Paus. V 10. Die Tempelgiebel von Olympia:
Sitzuogsber. der Berl. Ak. 18S3. Zusammenhang mit attischer Kunst: Arch.
Ztg. 41, 347. Altäre von Olympia: Abb. der Akad. 1882. Zeusbild: Paus.
V 11. Ergasterion des Pb.: Paus. V 15 Panainos OvvfQyoXaßog: Strab. 358.
Paoainos' i^vfiara: Paus. V 11, 5. Strab. 354. Chronologie der Werke
des Pheidias: Löschcke a. a. O. und Wochenschrift für klass. Philol. Berlin
1887 n. 26 (29. Juni). Vgl. Buch 4 Anm. 16. Pantarkes: Paus. VI 15. Afri-
canus ed. Rotgers p. 49. Kolotes: Paus. V 20, 1. Aphr. Urania: Paus. VI 25, 1.
Nike des Paiooios : Schubring Arch. Ztg. 35, 59. — Pheidias' .Nachkommen als
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(f*t$ÖQWra£ in Olympia: Paua. V 14, 5, erwähnt io einer olynp. Inschrift des
2. Jahrb. n. Chr.: Arcb. Ztg. 35 S. 193 n. 100. — Eleusinisches Deere t: Foneart
Bulletin de corr. IV 225 CIA. I Sappl. 27 b, nach Sanppe lad. lect. Gott.
1880/81 sab fioem indntiaram qninqninalium. 'Athen und Eleusis' Kaiserrede
Berlin 1884. Bedeutung des Eleusinioos für ganz Griechenland: Preller De-
meter and Persephone S. 147 vgl. Sophokles' Triptolemos. Antiperikleische
Politik nach Loeachcke do Paus, descr. urbis Athen, p. 19.
173. (S. 356). Ergastineninschr. Mitlh. VIII 63. Der erste Peplos von
Akesas u. Helikon Athen. 48 C. Die Wandlangen der Schrift in Athen:
Mitth. X 361. Anfange von Privatluxus, Lebea des gentlenan ß(oq ytvvttios
Arist. Vesp. 506. ^aJürw^artuv oQOipi Vesp. 1214. Morychos: Plato Pbaidros
227 B. — Agatbarchos Plut Alk. c 16. — SüdOügel der Propyläen: Julius
Milth. 126. Ursprünglicher Bauplan: Dörpfeld Mitth. X 38 f, 131 f., in dessen
Grundriss (T. II) ein älterer Bau als kimonischcr Thorbau bezeichnet wird.
Urkunde über den Propyläenbau: Böckh Staatsh. 28, S. 300 nnd Kirchhotf
in den Neuen Jahrb. f. Phil. 1861, 47 f. CIA. I n. 314. 315, vgl. dazu deasen
Abhandlung de fragmentis quibnsdam tituli Attici ad opus aliquod aetatis
Pericleae refereodi in Nuove Memorie doli' Instituto di corr. arcb. 1865 p. 120.
Ueber die 2012 Talente Kirchhof z. Gesch. des athen. Staatsschatzes S. 56
(Abb. d. Berl. Akad. 1876). Zuschnsszahlungen von niebt mehr als 10 000 D.
S. 36. Herodot sieht 432 die Propyläen: A. KirchhofF Kntstehangszeit des
Herodotischen Geschichtswerks 2. Aufl. S. 17. Zweifel an der Autopsie: Roeae,
Hat Herodot sein Werk selber herausgegeben? Giessen 1879 S. 15.
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ANMERKUNGEN
ZUM VIERTEN BUCH.
1. (S. 360). Die theophrastische Nachricht voo den eine Zeit lang Jahr
für Jahr nach Sparta gehenden Bestechungsgeldern (Plut. Per. 23) beruht wahr-
scheinlich darauf, dass Perikles iu das Staatsbudget den Titel tls öioVj </c to
oYov einführte; das war ein Dispositionsfonds, über dessen Verwendung dem
Leiter der auswärtigen Angelegenheiten das Vertrauen der Bürgerschaft den
Nachweis erlief«. Bei solchen Zahlungen, wie sie an Pleistoaoax und Klean-
dridas (S. 179) erfolgt sind, konnten die Empfänger nicht genannt werden.
Böckh Staatsh. 1 • 247.
2. (S. 360). Messcnier in Naupaktos: Paus. IV 25. Ausdehnung der att.
Herrschaft im westl. Meer als ein Hauptgrund des Kriegs: (C. H. Plass) Ueber
die Ursachen des archidam. Kriegs. Stader Programm 1858/9.
3. (S. 362). Lieber den Antagonismus zwischen den korinth. Colonien
und der akarnanischen Landschaft R. Weil, Zeitschr. f. Num. 7 (1879) 121 ff.
Themistokles' Schiedsspruch: Plut. Them. 24. Thuk. I 136.
4. (S. 363). Verfassungszustäode in Epidamoos: Plut. Quaest. Graec. 29.
Ueber Korioths Colonialpolitik vgl. meine Studien zur Gesch. von Korinth,
Hermes 10, 232. Gesandtschaften nach Kerkyraund Korinth: Thuk. I c. 24. 25.
5. (S. 366). Diese Auffassung darf man wobl dem gehässigen Motive
entgegenstellen, welches (wahrscheinlich nach Stesimbrotos aus Thosos) Perikles
untergeschoben wurde. Vgl. Sintenis zu Plut. Perikles c. 29. — Recbnungs-
urkundeu über die Ausrüstung der beiden Expeditionen nach Korkyra (dies
ist die auf Inschriften und Münzen bezeugte Nameosform) : Rangabe Ant. Hell,
n. 115. Böckh Abb. der Berl. Ak. d. W. 1847 S. 355. CIA. I n. 179. E. Müller
de tempore quo b. Pelop. initium ceperit p. 35.
6. (S. 368). Plottenbewegungen: Thuk. I 46—48. Schlacht bei Sybota
und Abzug der Korinther: 49—55. Vgl. CIA. 1 n. 179, woraus sich ergiebt,
dass Drakontides College des Glaukon war, nicht wie die Ueberlieferung bei
Thnkydides lautet riavxtov AtayQov xal 'Avö oxidys Aitoy6qot\ der Name
des dritten, von Thuk. nicht erwähnten, Strategen ist auf der Inschrift ver-
stümmelt: Z. 20 — 4vu KotXu. Auf die Seeschlacht bei Sybota zu beziehen
ist die Bronzeinschrift von einem Weibgeschenk der Athener in Dodonn:
Karapanos Dodooe et ses ruines I pl. 26, 2, Fränkel Arch. Zeit. 1878, 71.
Curti«, Gr. üesch. II. 6. Anü. 54
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AM MEHRUNGEN ZUM VIERTEN BUCH.
7. (S. 871). Artabazos vor Potidaia: Her. VIII 126. Abfall Potidaias:
Thak. I 56 ff. Für die zuerst ausgesandte Flotte der Athener, welche Dach
Thok. 57 1 .dQXtOTQUTov rov ^ivxoftrjJow; pti alltov 6vo OTQatijyovvtos ab-
geht, war die CIA. IV o. 179 fr. a. Z. 3 f. erwähnte Zahlung unter Pytho-
doros 87, 1 bestimmt: raptütt Uoäv XQtifiaxatv rijs ' Adijvaiae — — [nctf>{-
Soaav oroartjyqi (( Max]tdovlav EuxQa[t(t Inl rijs — Atoc ngtsrarttaf
öi Vitras nQvrctvtvovotjc . Für die zweite Flottenseodang aoter Kallias
(Thok. c. 61) die in fr. b. Z. 3 ff. ans 87, 2 vorkommende Zahlung: t£ ie
TIoTttdatctv OTQttiiq. Die Einzelposten sowie die Gesamtsumme, welche für
Makedonien damals aufgewandt wurde (Z. 9), sind weggebrochen. Vgl. Kirch-
hoff z. Gesch. des athen. Staatsschatzes S. 62. — Inl Zr^tpay Thnk. I 61
nach Pluygers Verbesserung in Cobets Nov. Lect. p. 382, vgl. Classens Aura,
zu dieser Stelle. Grabschrift der bei Potidaia gefallenen Athener: Kumanudes
Emyo. 'Entxvpß 101. n. 9. CIA. I n. 442.
8. (S. 372). Ullrich das meg. Psephisma 1838. Vischer Benutzung der
alten Komödie S. 18 (Kleine Schriften I S. 439. Sauppe Göttinger Nachrichten
1867 S. 180). Bei dieser Gelegenheit soll nach v. Wilamowitz (Hermes 9, 322)
durch Sophokles u. a. Organe perikleischer Politik der lonismus von Megara
in Scenc gesetzt worden sein. Das wäre ähnlich, als wenn 1870 die ursprüng-
liche Zugehörigkeit von Elsas* zu Deutschland aus Annexionsgelüsten erfunden
worden wäre.
9. (S. 374). Korinthische Rede vor der spartanischen Bürgerschaft:
Thuk. I 68—71. Rede der zufällig anwesenden Athener c. 73—78.1 Arcbi-
damos c. 80 — 85. Stbenelaidas : c. 86. Abstimmung c. 87.
10. (S. 377). Korinthische Gesandtschaften: Thuk. I 119. K orinth und
die anderen Bundesgenossen auf der Tagsatzung: I 120—24. Delphi: 1 118.
Kriegsbescbluss : I 125.
11. (S. 381). Spartas Forderung wegen der Alkmäoniden : Thuk. I 126.
127. Gegenforderung Athens in Betreff der Heloten: 128 (r6 rijc Xaixto/xov
äyos ttavvnv). Die Blutschuld an Pausanias vom Orakel anerkannt, das
2 Bilder forderte: Pans. III 17, 7. Aus gleichem Grund Kylons Bildsäule auf
der Akropolis in Athen: A. Schäfer Arch. Ztg. 24 S. 183. Neue Forderungen
Sp.'s: 139, 1. Ultimatum: 139, 3; nach Thuk.' Worten noirjaayreg txxltjaiav
ol ji&ijvaiot yvtofias OifiCiv avxotg ngouridtoav, xal AJoxti ana£ ntoi
anecyttuv ßovlfvoafitvovs inoxqCvao&ai möchte man annehmen, dass Perikles
die Bürgerschaft nur zur Schlussberatbung versammelt habe. Perikles' Rede:
140—44. Kriegsbescbluss: 145.
12. (S. 383). Ueber Spartas projektierte Seemacht vgl. Thuk. II 7, 2
und die Anm. Classens. Diod. XII 41. Holm Gesch. Siciliens II 3. Ver-
träge mit den Colooien: II 9. 10. Peloponnes (Gegensatz der Symmachie): II 1 1.
Pcllene: II 6. Heeresmacht: II 11.
13. (S. 387). Landmacht SparUs 60,000: Plnt. Per. 33, vgl. Sinteuis
p. 226 ff. Die Zahl 16,000 bei Thuk. II 13 für die aus den Jahresklassen
der Jünglinge und den Alten nebst Metöken bestehende Garnisonmaan-
sebaft erscheint sehr hoch. Nach Dnncker IX 409 sind Kleruchea ein-
gerechnet. C. Wachsmuth hält mit Beloch den Text für verschrieben und
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ANMERKU.NGEN ZUM VIERTEN BÜCH
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will xal ftiQicjy streichen (Conrad Jahrb. für Nationalökonomie N. F. XV
1887 S. 32). Dagegen spricht, dass bei Diodor XII 40 dieselbe Zahl steht.
Sympathien der Hellenen für Sparta: Thak. 11 8, 4.
14. (S. 388). Laad- and Seemacht Athens: Thuk. II 13, 6—8, Wachs-
math Stadt Athen 1, 565. Finanzmittel: 13,2 — 5. tiqoooöov ovürjs xar iviav-
ibv ano 7£ Ttöv iyäwarv xal ix lijg vniQOQtag ov fitlov /li/wv xakavtmv (bei
Beginn des Kriegs): Xen. VII 1, 27. Zar Würdigung der Bnanzielleo Leistungs-
fähigkeit Athens Kirchhoff Gesch. d. athen. Staatsschatzes S. 25. Statt 600
Tal. sind in den Inschriften nnr 460 — 80 nachzuweisen. Nach Busolt (Philol.
1882, S. 652) ist die rückständige, von Samos zu zahlende Kriegsentschädi-
gung mit 200 Tal. eingerechnet. Frankel zu Böekh Staatsb. 2* 90. Athens
Bundesgenossen: Thuk. 11 9, 4.
15. (S.392) Per.'Oelkranz: Val. Max. II 6, 5. Lakedaimooioa : Plut. Per. 29.
Blutschuld der Alkmäooidcn (altiyotov) Aristopb. Eqq. 446. Thuk. I 121, ihre
Apologie (Her. Vi 121-131): Kirchhof Entstehungszeit des Herodotischeo Ge-
schichtswerks 1878 S. 46. Es erwacht die bissige Natur der Athener (Aristopb.
Pax 608 tcuiada$ TQonog). Metichos: Bergk Bei. Com. Att. p. 11, der die
Verse dem Kratinos zuschreibt. Meoippos und Pyrilampes: Sintenis zu Plut.
Per. p. 142. flfvStgai ywaixes ets t« t(*yn ipoittooui: Plut. c. 13. IIh-
oiajQaifdat vioi. Plut. c 16. Hermippos: c. 33. Ueber das Gesetz des
Antimachos Bergk Rel. Com. Att. 142 und in Schmidts Zeitschr. f. Ge-
schichtsw. II 201, dessen Gründe gegen die Betbeilignng des Perikles mir
nicht ausreichend erscheinen. Kratinos' 'OJuootts ohne Parabasc : Meineke
Frag. Com. Gr. 1 p. 93.
16. (S. 394). Prozess des Pheidias (Brunn Gesch. d. gr. Künstler I 167).
Vgl. Conze in Gerhard's Arcb. Zeitung 1865 S. 33 über die Nachbildungen
des Schildreliefs, auf denen zwei dem Pheidias und Perikles, wie sie Plut. Per.
31 beschrieben werdeu, ungefähr entsprechende Gestalten zu erkennen sind.
Beim Schol. zu Aristophanes' Pax 605 wird Philochoros für die letzten Schick-
sale des Ph. als Zeuge angeführt; es kommt Alles darauf an, wie weit das
Zeugniss des Philochoros reicht. Nach Sauppe (Tod des Pheidias Gött. Nach-
richten 1867 S. 173) bezeugt er, dass Pheidias 438 aus Athen entflohen, nach
Elia gegangen, daselbst des Unterschleifs augeklagt und von den Eleern ge-
tödtet sei. Auch Michaelis nimmt au, dass Pheidias in Elis gestorben, Par-
thenon S. 39 und nochmals Arch. Zeit. 1875 S. 158; meine Entgegnung Arch.
Zeit. 1877 S. 134. (E. Petersen Arch. Zeit. 1867 S. 22 will für M 'metwv :
in 'ifrriva(<ov lesen.) Ich kann mich nicht überzeugen, dass das Citat aus
Philochoros weiter reiche als TtotrjOayros, und nehme an, dass mit xal <#>*<-
dtag 6 noitjous ein spaterer Zusatz beginne. Füllt aber das Zeugniss des
Philochoros weg, so tritt die aus Ephoros stammende Ueberlieferung bei
Diodor XII 39 und Plut. Per. 31 iu ibr gutes Recht. Die andere Version,
dass man Pheidias zum Dank für die Vollendung des Zeus in Olympia hin-
gerichtet habe, war ein Lieblingsthema spaterer Khetoren (Sauppe S. 171).
Von einer Hinrichtung des Pheidias in Elis würde sich iu der örtlichen
Ueberlieferung von Olympia eine Spur erhalten haben. Mit mir nimmt Lösende
(Ph. Tod in den hist. Uuters. zum Jubiläum von A. Schäfer Bonn 1882 S. 27)
54*
852
ANMERKl'MGEN ZUM VIERTEN BUCH.
eine Interpolation des Philochoros a, a. 0. an und lasst Ph. 85t 3 in Athen
sterben. Aach Müller-Strübing (Die Legenden vom Tode des Ph. in Jabrb.
für klass. Phil. 1882 S. 289 f.) stimmt gegen den Tod des Ph. in Elis. Lösehcke
setzt aber nach Plinios 34, 49, 'Floruit Ph. Ol. LXXXIII' die Vollendung des
Ol. Zeos in diese Olympiade; ihm beistimmend Flasch in Baumeisters Denk m.
Olympia (Separatabdrock S. 47). Warum soll aber die Quelle des PI. Phei-
dias nicht nach seiner Verbindung mit Perikles datirt baben, wie Lysippos
nach Alexander datirt ist? Dagegen, dass der Zeus vor der Parthenos geschaffen
sei, spricht des Pantarkes Ol. Sieg Ol. 86 uud manches Andere. Auch
Duncker IX 336 spricht von dem wirren Convolut der Scholien zu Aristophanes.
Er will bei Plut. Per. 31 aöeia lesen statt driXiut,
17. (S. 395). Prozess des Anaxagoras: Plut. Per. 32, wonach Diopeithes
den Antrag einbringt, ttaayytlXfodai roi/t ia &tia firj vou^oyrag r\ Xöyoi?
7i (q\ tuv fAtittQaltov ötäaoxonas. Satyros b. Diog. Laert. II 3, 9 nennt
Thukydides, Sotion, Kleon als Ankläger. Zeller Philos. der Gr. I4, 867.
Prozess der Aspasia: Plut. 32. Ueber Dämon Meier Ostrakismos S. 186.
18. (S. 395). Plut Per. 32. Das Verhältnis!», in welchem die Antrüge
des Drakontides und Hagnon zu dem Prosesse stehen, ist nicht mit Sicherheit
zu erkennen. Gegner des Perikles ist aber offenbar Hagnon, der in seiuem
Antrage den Gegenstand der Anklage absichtlich unbestimmt lässt, tUl xXonra
xai <5u)Q<ov ttt' adixlov ßovXoao rig övofiüCnv iijv dViu^v.
19. (S. 397). Zusammenhang des Kriegs mit den Staatsprozesseo nach
Ar ist. Pax 603: ngtüra p\v yctQ avrfc (so schon Diodor XII 40; navtös
Sunppe) hq§€ <P(i6ia( 71 ga^ag xaxtjf, clta ITfpixXtys qoßrj&ds, ptr juirao^o*
ifjs Ttflfijc — l!;(<f*X& irfV noXtVy ifißaXdtv amv^oa fiutpov Mtynqtxov
ifnyiffauaTOi xa&tfvoijatv loaovtov noXfftov. Vergl. Sauppe Gött. Nachr.
1867, S. 186.
20. (S. 397). Tbuk. II 8 in ausdrücklichem und wahrscheinlich beab-
sichtigtem Widerspruche gegen Herodot VI 98, wie Classen zu Thuk. richtig
urteilt. Vgl. Kirchhoff Entstehungsz. des herodot. Geschichtswerks S. 18.
21. (S. 400). Pheidias' Athena in Plataiai : Paus. IX 4, 1. — Ueberrura-
pelung von PI. (iv Uooptjvttf Thuk. III 56) zu Ende des Monats, 4 Monate (nach
Krügers Verbesserung von Thuk. II 2) vor dem Ende des Archontats des
Pythodoros, also, wenn man genau reebnet, am letzten Anthesterion, welcher
nach der attischen Oktaeteris am Abend des 4ten April 431 v. Chr. begano.
Neumond war den 7ten April. Bb'ckh zur Gesch. der Mondcyklen 1855 S. 78.
Mit diesem Ereignisse eröffnet Thuk. die Reibe der Kriegsjahre, die er alle,
wie das erste, mit dem Frühjahre beginnt und mit Ende des Winters schliefst.
— Was die Tödtnng der gefangenen Thebaner betrifft, so scheint Thuk. II 5,
6 die Wahrhaftigkeit der platäischen Ausrede zu bezweifeln.
22. (S. 402). Tb IltXaoytxbv afyov apHvov: Thuk. 11 17. Perikles'
Güter blieben nach Justinns III 7 unversehrt und wurden dann dem Volke
vermacht; Thuk. II 13 sagt nur, dass Perikles sich für den eintretende« Fall
vor Verdächtigung geschützt habe.
23. (S. 404). Die Lakedä'monier fallen in Attika ein tv o*<£m t^oyrn
t6 JtyaXwv opos Thuk. II 19. — Thuk. II 20 ol U^p^ fitya utoos ovrte
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rrjt nolfOK (TQto/JXtot yao onJurat iytvovro), die Zihl ist offenbar ver-
derbt. Geschmackvolle Villeo: oixo$o/u(at u xal noXvrtXtis xataaxtvaC II
65, 2; auf dem Lande war mehr Platz, am sich io geräumigen and mannigfaltigen
Räumlichkeiten behaglich einzurichten. — Aufregung gegen P. e. 21. Her-
mippos: Plnt. c. 33. Dass die athenische Flotte auf den Abzog des Heers
einwirkte, ist an sich sehr wahrscheinlich und wird von Diodor XII 42 aus-
drücklich gesagt. Anders urteilt Grote 417.
24. (S. 406). Methone u. s. w.: Thnk. II 25. CIA. IV 179 fr. * ent-
hält Z. 10 eine Zahlung arQccrut rjj 7T(qI ITtXonovvijaov ZtoxoaJti (1)sAXaul,
TTotoiitf j4l£(ovf7, ebenso aus 2 späteren Prytanien Zahlungen für den Thuk.
c. 23 mitgenannten KaQxtvog. S. Kirchhoff z. Gesch. des Staatsschatzes S. 65.
— Lokris: Thuk. II 2G. Reste der Befestigungen auf Atalaote (c. 32) noch vor-
handen : Loiting, Mitth. d. D. Athen. Instituts I 237. — Aigina: Thuk. II 27.
Megara c. 31. Charinos: Plut. reip. ger. praec. c. 15 (dm Xaqtoov tb
Karrt MfyttQiotv txvgtuot xpruptopa). Defensivmafsregeln in Attika: c. 24.
Sitalkes: c. 29.
25. (S. 409). Thuk. I 23. Ursachen der Krankheit: Diod. XII 58 (Grote
434). lieber gleichzeitige Pestilenzen in Italien: Niebohr R. Gesch. 2, 573
(2. Aufl.). — Die Krankheitsursachen bei Diod. XII 58 beziehen sich nicht
auf Attika, sondern auf die Gegenden, wo sich die Krankheit entwickelt hat.
— Den Gesamtverlust, welchen die Bevölkerung von Attika durch die Pest bei
ihrem zweimaligen Auftreten erlitten hat, berechnet Thuk. III 87 : ictQaxoolotv
onlircHv xal T(TQttxKJxtl(tov ovx {Xdooovs antihtvov Ix tojv rdtctov xal tquc-
xoafotv Innttov rcv tc rtXXov Z%lov avtttvQtroq dotä/*6s (daraus bei Diod. XII
58 vnig rovs fivqfovs). Epidemien als Epochen im Völkericben : Niebnhr Vortr.
über alte Gesch. II, 64. Herakles Alexikakos: Rom. Mitth. 1887 S. 99.
26. (S. 410). Ueber Hippokrates Hhilologos 4, 204. Sophokles und As-
klepios: Soph. ed. Bergk p. xx. Dass auch völlige Wiederherstellung ein-
treten konnte, beweist das Beispiel des Thokydides (II 48).
27. (S. 413). Verhandlungen mit Sparta: Thuk. U 59. Per.' Recht-
fertigung: 60 — 65. — Per. verurteilt und der Strategie entsetzt: Plut. Per. 35
(A&Tjrttiovs) rag iftrftf ouc Xaßovxag in' alrtbv il( x«c %ei(Hts xal ytvofxivovt
xvgtovs atfflfo&ai rrpr oiQair\y{ctv xal CrffutZaai /p^jU«o"*v, tov aoi&fibv ol xbv
tXd%ioiov 7t(vrtxa(d(xa ralavtrt, ntvxi\xovxa <F ol rbv nXtlotov yoatpovtJtv.
Diod. XII 45 dnoair]auvr(g avrbv OTQairtyiae, xal fitxods r*v«? a<poofiäc
tyxXi\udt<ov Xaßovreey tCrjpicooav avibv oydo^xovra raXarrots. Thuk. II 65
ov ptviot txqotiqov ye ol tvunavTV; tnavoavro (v ooyij ?/owc avxbv nolv
iCrjfiftaaav xQWaaiv- für Athener hatte Thukydides nicht nöthig die Ab-
setzung noch besonders zu erwähnen, wenn er hier von der Verurteilung be-
richtet. Gegenstand der Anklage: xXonijV airrov xaxttfnjtpfaavxo, oXiyov
xal Savaxov irtfir}aav Fiat. Gorg. 515 A. Namen der Kläger (PJut. 35):
Sinimias nach Theophrast (vgl. Plnt. praec. reip. ger. p. 805 X 10), Lakratides
nach Herakleides Pont., Kleon nach Idomeoeus.
28. (S. 414). Häusliches Leid: Plut. Per. 36, nach Stesimbrotos. Die
Benennung des Sobos mit dem Heroen naraen Paralos war Periklea zum Vor-
wurf gemacht worden, Suidas s. v. IlfoixXfjg.
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29. (S. 415). 77« (wi SuaXxov iptoguv u4ax(tiaifioY(oiot, xal naga Iltg-
itxxov %f/{vör) vavolv Jiavv noXXaTf. Hermippos' (fogpiotiogoi Meio. Frag.
Coro. 2, 407. Talthybios* Flach: Herod. VII 134. Thak. 11 67. — Per.' Wie-
dereintritt toiegov <T av9i{ ov noXXtß, ontg tf iXti opiXot noitty, orgairiyov
tXXovro xal navta t« ngaypaia tntrgcipav, o/r fiiv negl tu otxda $xttotof
%Xyu ajjßXvrtgoi tj^jj ovrte, tov dl tupnaoa noltf ngoatfotio nXtiotov
afroy vofi(Covt({ (hat. Thak. II 65, 4. — Pfaormion and Meiesander: II 69,
Fall von Potidaia: c. 70. Freier Abzog der Besatzung (nachdem rivls xal
aXXrfXatv fyiyewro).
30. (S. 417). Spartolos: Thuk. II 79. Kydonia: e. 85. Kampfe in
Golfe: c. 83f. Zweite« Seegefecht: c. 86 f.
31. (S. 418). üeber K res i las Bergk Z. f. Alt. 1845 S. 962. Brno« Gesch.
der gr. Künstler 1, S. 262. Arch. Zeitg. 1S60 S. 40. Conze Arch. Zeitg. 1868
S. If. Friederichs Berlins antike Bildwerke 1, S. 124.
32. (S. 423). Isokrates' Urteil über Per.: 8, 126. Verherrlichung der Zeit
der Vater: Aristoph. Eqq. 565. Strategen alter and nener Zeit argarrjyol
ix jtov fityiajtov otxitov nXovitp ytvti it ngturoi Mein. Fr. Com. I 176. Be-
urteilung des Perikles von Zeitgenossen nnd Späteren: Saoppe Quellen Platarchs
im Leben des Per. S. 6. Vgl. dazu Röhl Quellen des plut. Perikles Jahrb. f.
Ph. 1868 S. 657. Perikles gegen Plato Gorgias § 151 vertheidigt von
Aristeides Or. Piaton II T. III p. 374 mit Benutzung des Eupolis, d essen Dar-
stellung von dem Niedergang in den Hades hanfig mit dem in Arist. Frösche
verwechselt worden ist. Vgl. Meineke quaest. Sceaicae 48. Verwandtschaften der
Geister auch hier unverkennbar. Eopolis Bewunderer von Per. Mein. Fr. Com.
2, 458. In neuester Zeit ist es Mode geworden, Perikles herabzusetzen, zu-
nächst als Feldherrn, obwohl alle Sachverständigen einräumen werden, dass es
bei dem uberlieferten Material unmöglich ist, die Taktik perikleischer Feld-
ziige zu kritisieren. Vgl. von Pflugk-flarttung, Perikles als Feldherr, dem auch
Holm in den Atti della R. Acc. di Torino XX zustimmt. Ebenso Beloeb,
Philologus 1886. Duncker, Gesch. d. Altert IX 505.
33. (S. 425). Ueber die vielen Beispiele entarteter Söhne vgl. Plat.
Protagons p. 319 (mit Sanppes Anm.) und 328. Bergk Rel. Com. Att. 351.
Plat Laches von Ed. Jahn p. xxu, xxvm. Ueber Kalliaa siehe oben
Anm. 100 zu S. 185, Stein zu Herod. VI 121. Im Allgemeinen ober die tfoga
iv toi? yhiaiv Arist. Rhet. II 15.
34. (S. 427). Ueber die fremden Gottesdienste nnd ihren Einfluss seit
Reginn des pelop. Kr.: P. Foucart, les associations rt-ligieuses chez les Grees
p. 56 f. — Xaigetv fikv vfiäs tanv, tuvöges o*i/fioriw, ag%alov rpSti ngooayo-
gevuv xal aangov ttonaCofiai oV. Arist. Plut. 322.
35. (S. 4SI). Myronides nach Süvern (Arist Vögel S. 51) ein gleich-
namiger, denn der alte Myronides, des Per. älterer Zeitgenosse sei lange vor
ihm gestorben; dagegen Raspe de Enpolidis drjpois p. 41. ylngäyfioxg: Thuk.
n 40 vgl. 63. Bernays Hermes 6, 129. ITtgivout Superkluge III 43; ol vor (gor
To ot axnol fiaXXov ngos aXXi]Xov$±oi,Tt$ xal ögtyopttvot tov ngtoroc ixaorog
yfyvto&ai (während^Perikles es von Natur war) hganovto xa&* rjäorag toT
di't/utp xal t« ngay/jma iröiSörai II 65, 10. — Theten zur Zeit der Auf-
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855
fiihrungvon Aristopb. /laixnlitg noch nicht im Hoplitendienst (Harp, 97, 31).
In der Hede des Antiphon gegen Philinos wird, um 412, ein Gesetzvorschlag
erwähnt, sie alle zu Hopliten za machen. Lysias g. Phormis. 4 zeigt, dass
in den letzten Jahren des pelop. Kr. ihre Einstellung ganz gewöhnlich war.
S. Usener Jahrb. f. Phil. 1873, 162. Aemtervrrtheilnng, Bestechung: Albrecht
Progr. v. Nordhausen 1869.
36. (S. 432). Phormions Verurteilung: Androt. b. Schol. Ar. Pax 347;
Siehe unten Anm. 40 zu S. 439. lieber die Feldherrnprozesse Köhler De).-
Att. Seebund 145. Strategie u. Demagogie: Gilbert Beitr. zur inneren Gesch.
Athens 1877 S. 1 ff.
37. (S. 432). Eukrates und Lysikles: Aristopb. Ritter 131 mit Schol. Aus
den Worten des Aristophanes darf weder Tür Bukrates und Lysikles, noch
auch für Kleon auf eine amtliebe Function als Schatzmeister geschlossen wer-
den, vielmehr ist ihre Wirksamkeit, auch wo sie ins Finanzwesen übergriff,
schon aus ihrer demagogischen Eigenschaft erklärlich, s. oben Anm. 118 zu
S. 227 und Bö'ckh Staatsh. 1 », 202. — Eukrates identisch mit dem Ol. 87, 1
nach Makedonien geschickten Strategen: CIA. IV n. 179. — Lys. in Karien:
Thuk. III 19. — Aspasia und Lysikles: Plut. Perikles 24. Harpokr. v. uton.
Sollen wir schon vor P\ Tode einen Umgang zwischen Asp. und Lysikles an-
nehmen? Sonst muss die Erzählung von ihrem bildenden Einflüsse verworfen
werden. Das ganze Verhältniss nach Cobet prosopogr. Xenoph. p. 81 Er-
findung des Aischines (über dessen Dialog Aspasia s. C. F. Hermann de Aesch.
Socr. p. 16 f.), nach Sauppc (Quellen PI. S. 13) der Komödie.
38. (S. 436). Ueber die Stellung der ooiyf ovts: Thuk. III 43. Nikias
und die Komödie: C. Fr. Hermann de persona Niciae apud Aristophaoem 1835.
Schmidt de vita Niciae (Joachimstb. Gymn. 1847) p. 10 sq. Nikias Stratege
von 427—23. Wahrscheinlich auch 422, und 421 beim Friedensschluss. —
Aristoteles über N. bei Plut. c. 2. Diopeithes: Herrn, p. 25. Meineke Com.
Att. I 87. Droysen N. Rhein. Mus. 3, 180. Roscher Klio 216.
39. (S. 439). Angriff auf Salamis: Thuk. 93. 94. Diod. XII 49. Sitalk es:
Thuk. 95-101. Diod. XII 49 f.
40. (S. 439). Die über Pbormion verhängte Atimie ist durch das 100
Jahre später für Demosthenes wiederholte Auskunftsmittel der Errichtung eines
Altars (Schäfer Demosth. III, S. 337) aufgehoben worden. Fraglich ist aber,
ob Pbormion, als die Aufhebung erfolgte, noch am Leben war, oder ob die
Atimie, wie v. Wilamowitz (Obs. crit. in com. gr. p. 33) annimmt, auf seinen
Sohn übergegangen ist. Bei Thuk. III 7 bitten die Akarnauen rtav *o^u/a»'off
iiva aulai 7t£fixpai t) vtbv )} £vyytvrj aoyovttty bei Androtion (Scbol. Arist. Pax
347) um Pbormion. Gleich Myrooides als Repräsentant der Feldherrn der
alten Schule gefeiert: Aristoph. Lysistr. 801 ff. Vgl. Gilbert Beiträge S. 105.
Ph. ist erst ganz am Ende des Winters 429—28 aus Akarnanien in Athen
eingetroffen (Thuk. II 102), Asopios fährt bereits h xagnov {vyxo/uidij um
den Peloponues (III 15. 16).
41. (S. 441). Wilhelm Herbst der Abfall Mytilene's. Köln 1861.
42. (S. 444). Proxenoi in Mytilene: Thuk. III 2. Arist. Polü. p. 1304.
Sauppe de proxenia. Index lect. Gotting. 1877 — 78 p. 8.
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* S56
A>.MKK HUNGEN ZUM VIERTEN BUCH.
43. (S. 447). Archidamos und die Platüer: Thuk. II 72. Durchbrach:
Thak. IU 20-21. Diodor XII 56.
44. (S. 449). Vierter Einfall: Thuk. III 26. Fall von Mytilene: c. 27 f.
45. (S. 450). Durch die Belagerung Polidaias, die grofsen Flottenzage,
und die in Folge des Kriegs dauernd slationirten Geschwader (Thuk. III 17),
sowie die in Attika selbst unter Waffen beGndlichen Streitkräfte haben die
Athener in den 3 Jahren von 87, 2 bis Anfang 88, 1 die im Beginn des J. 87,
2 auf der Akropolis vorhandenen 6000 Talente bis auf die als eisernen Bestand
angelegten 1000 Tal. (Thuk. II 24) vollständig aufgebraucht. Unter Er-
rechnung der jährl. einlaufenden Tribute der Bandesgenossen berechnet dar-
nach Kirchhoff z. Gesch. d. athen. Staatsschatzes S. 30 die Kriegskosten
Athens während der ersten 3 Jahre auf mindestens 7400 Talente, also auf
das Jahr durchschnittlich 2466% Tal. 6vo ^vQta^eg ieSv üqfioTixdiv Kfov ir
it Hat, Ittytpots Aristoph. Vesp. 709. — Nur ein INutbbehelf war die damals
ausgeschriebene erste ttotpoga: Th. III 19. Böckh Staatsh. I3, 555. Die tloqoQtz
mit Unrecht angezweifelt Busolt Philol. XLI S. 691. Beloch Rh. N. 39, 34.
Dagegen Frankel zu Böckh Arno. S. 114*.
46. (S. 452). Betrag des Richtersolds 150 Tal.: Vesp. 663. Ueber Zeit und
Wirkung des von Kleon erhöhten Gerichtssoldes (Ar. Ritt. 800) Meier und Schü-
mann Att Proz. S. 136. Böckh l3, 295. Vier Obolen nach Wachsmuth Rh.
Mus. 34, 161; dagegen Fräokel zu Böckh 2', 67*. Man macht sich beliebt durch
kurze Sessionen. Servilität: nQoaxvvtTv, aXtüntxi&iv Arist Vesp. 516. 1241;
die neue Demagogie ov npos ftovoixov h* lailv di^gbi ovtä xQ*l<Hov J°ve
TQonovsEqq. 191. Kl. alsRedner nttQttßagio t£ ij&ovs oxijpa Schol. Aischio. I 26.
Mundgerecht reden: xttQvxonoulv Eqq. 343. Prozess des Veteranen ThuLy-
dides: Aristoph. Acharn. 702. Vgl. Sauppe de causis magnit. iisdem et labis Ath.
p. 22. Droysen zu Aristophanes. Ach. 702. Kleons Bereicherung: Meier Op.
acad. I 192. — Kleon ist des Perikles Nachfolger, indem auch er ein per-
sönliches Regiment anstrebt und erlangt. Den sittlichen und politischen Ab-
stand zwischen beiden, den man in neuerer Zeit zu verwischen bestrebt ist,
betont mit vollem Rechte Wallichs Thukydides und Kleon, Flensburger Pro-
gramm 1866.
47. (S. 454). Richtersold aus Arkadien: Aristoph. Ritter 797 Schol.
48. (S. 458). XiUoi in Mytilene: Herbst a. a. O. S. 13. — Kleoo's Strenge
(Thuk. III 37 f.) hängt mit dem Grundsätze zusammen, dass jeder Demos für seine
Regierung verantwortlich sei. Den edlen Diodotos kennen wir nur aus seiner
Rede (c. 43 — 48), in welcher Thukydides ihm ein unvergängliches Denkmal
gesetzt bat. Wallichs a. a. O. S. 7 ff. — Schicksal der Mytilenäcr: c. 50.
Die ganze Insel mit c. 10 DM. = xi Attica; davon Methymna c. %. Der Grund-
besitz (vorzugsweise in Händen der Oligarchen) wird, in 3000 Loose getheilt,
Eigenthum der Kleruchen und der Götter. Die zurückbleibenden Insulaner
werden Pächter auf ihrem Boden ; der attische Kleruche erhält jährlich 200
Drachmen, die dem unbemittelten Bürger als Zuscbuss dienen. In seinem
Interesse ist die ganze Einrichtung getroffen, nach welcher die neuen Ein-
künfte nicht der Staatskasse zufliefsen. Herbst Jahresbericht über Thuk.
Phil. XLII 723. Holzapfel Rhein. Mus. 37 S. 448 nahm eine Lücke bei Thuk.
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ANMERKU.NGE* ZUM VIERTEN RUCH.
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an, io der eine beschrankende Bestimmung eothalten gewesen sei, weil sonst
nach Müller-Strübings Berechnung der Pachtzins zu niedrig bemessen and das
ganze Verfahren Athens nnpolitisch gewesen sei. Dagegen Stahl Rh. M. 38
S. 143 and wiederum Holzapfel S. 674. CIA. IV n. 96 bezeugt die Fortdauer
einer gewissen Selbständigkeit von Mytilene.
49. (S. 462). Tbuk. III 52—68.
50. (S. 465). Korinthische Partei in Kerkyra: Thuk. III 70. Nikostratos :
c. 75; Earymedon: c. SO. Sittliche Polgen der Parteikampfe: c. 82 f. (näaa
fdVa xaxoiQonfas xal tö <ün£*c, ou io ytvvdiov nktiaiov //fr/jw, xara-
ytXad&ly Tjifttyio&T]).
51. (S. 467). Herodot hat nach Ende 428 sein Werk liegen lassen: Kirch-
hoff Eotstehungszeit des Herod. Geschichtswerks S. 27.
52. (S. 469). Zweites Auftreten der Pest uud Erdbeben: Thuk. III 87.
89. Trachis: Tbuk. III 92. 93. Diod. XII 59. Ueber die Gründung der
Colooie Herakleia R. Weil, Hermes 7, 3810*. In Beziehung zu Ilerakleia
stand auch die im Nikiasfriedcn Tbuk. V 18 erwähnte Besetzung von Pteleon
io der Phthiotis Magnesia gegenüber, welche zur Beherrschung des pagasäi-
schen Golfs dienen sollte.
53. (S. 469). Nikias' Unternehmungen: Thuk. III 91.
54. (S. 472). Demostheoos vor Leukas: Thuk. III 94. Pläne Tür eine
Cootinentalmacht: c. 95. Die Messenier io Naupaktos stellen dem D. vor,
fitya pkv tivai xo itZv uiltultüv xal päxtfiov, oixovv dk xata xcu/uac u. s. w.
Aetolischer Feldzog: c, 95 — 98. (sfrjiuooMvTjs »*pl Navnaxrov vn€l({<f&tjt
ioii 7t(Tt(>ayfii£vots q>oßovfievos Tovest&t)va(ovs). Eurylochos' Angriff auf Nau-
paktos: c. 100 — 102. Loiting Mitth. IX 313 (Zug durch das ozolische Lokris
nördl. um den Parnass).
55. (S. 474). Kämpfe bei Olpai: c. 105 ff. Menedaios' Vertrag: c. 109.
Niederlage der Ambrakioteo: 110—113. Vertrag zw. Akarn. und Ambrakia:
c. 114. Vgl. Ullrich, der Kampf am Amphilochieo, Hamburg 1862.
56. (S. 475). Feier im Thargelion: Böckh Abb. der fierl. Akad. 1834
S. 6. Schmidt de vita Niciae p. 9. Feier der Delia als Penteteris fitia ryjv
xa&ctQOiv Thuk. III 104, nach Robert (Hermes 21, 162 f.) unmittelbar nachher
im Monat Uqos = att. Antbesterion. Damit in Verbindung der neue Apollo-
tempel u. a. Prachtbauten nach Furtwängler Arch. Ztg. XL S. 363.
57. (S. 478). JfifAoa9irn rfi ovu töitorrj pua xr^v dyrt^Of^atv rijv
1$ 'AxttQVaviaf ai/roj dti]&h"ti tlnov £pq0#cu rais vaval Javiaie, i/y ßovXrjTat,
nfQl IItXo7t6vvr)Oov: Thuk. IV 2, 4. Demosth. in Pylos: c. 3 — 12. See-
schlacht im Hafen: 13. 14. Waffeostillstaud: 16.
58. (S. 479). Spartanische Gesandtschaft in Athen: Thuk. 17 — 20. Kleon
(avrjQ ötijxaytoyas xai ixtTvov lbv xqovov iuf xal t<ß nXij&et mSavtüTaios):
21. Wallichs Thokydides und Kleon S. 16.
59. (S. 4SI). Ueber den cooservativen Charakter der Komödie vgl. Leo
Quaest. Aristoph. p. 20. Perikles bei den Komikern: Plot Per. 3. Arist.
Acharn. 523 ff. Eupolis: tplvaqia navrf toil rtQÖg töv II. Arist. Babylonier
ein Jahr vor den Acharnern aufgeführt. Stirnzeichen der Babylonier:
Hesych. 'loiQiavä Meineke Fr. Com. Att 2, 973. Gilbert S. 148. Arist. und
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ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BICH.
die Bundesgenossen: Aeharo. 628 ff. Kleoos Klage wider Arist.: Acharn. 503,
vgl. 631 f. Von einer ehren rührigen Klage Xcinortt&ov gegen die Ritter
Schol. Arist. Ach. 6. Ritter 226. Vgl. Keck zu V. 442, Wähdel de Cleonia ap.
Arist. persona.
60. (S. 4S3). Verhandlungen fiträ rar Tlvltp Arist. Friede 667 (Eirene
mit einer ganzen Lade annehmbarer Vorschläge anoxdQoroyij&iiaa rp)c Ir
trjxxlrjafq), Archeptolemos (als freiwilliger Vermittler?) <j{qw ri)V (Iq^vjjv:
Ritter 794. Die 'Ritter' noch im siebenten Kriegsjahre aufgeführt. Das« in
diesem der Friede nicht zu Stande gekommen, sondern von Neuem (hos
yodoov) die Einpferchung des Volks in Aussiebt stehe, dafür wird Kleon allein
verantwortlich gemacht. Vgl. Kock zu V. 793. Thukydides IV 21 nennt bei
dieser Gelegenheit zumeist Kleon als Demagogen (=• t©5 nXj&et nt&arwttros),
ohne üble {Nebenbedeutung.
61. (S. 486). Belagerung von Sphakteria fortgesetzt: c. 23. 26. Kleon
und Nikias: 27. 28. Wallicha a. 0. 21 ff. Kleon in Pylos: c. 29—39; rtöv
iv LTvXtp crgarijytSv $va 7iQootXo/Lttvoc stijuoo&ivrjv (c. 29). D. seit wann
Strateg? Nach Droysen (Hermes 9, S. 18) vor Kleons Abfahrt gewählt. Dass
die Strategenwahlen auch am Ende des Munychion stattfanden, haben neuerdings
Droysen a. a. 0. und Gilbert (Beiträge S. 10 ff.) eingehend begründet nnd
wahrscheinlich gemacht. Vgl. Löschcke de tit. Att. Es bleibt aber immer
schwer zu begreifen, welches Verfahren man bei Expeditionen nach entfern-
teren Gegenden oder bei Flotteozügen nach dem Norden angewandt hat,
wo man mit der Absendung nicht bis zur Sommermitte warten konnte.
Darum glaubte ich annehmen zu dürfen, dass man aus unverkennbaren Zweck-
mäfsigkeitsgründen bei Verlegung des Jahresanfangs die Strategenwahl am Ende
des alten Jahrs festgehalten habe. Dann konnte während der Wintermonate
unter den Augen der neoernannten Feldberrn die Rüstung und die Feststellung
der neuen Operationspläne erfolgen und n/i« roy tagt eine zusammenhängende
Action begonnen werden. Mit einem solchen strategischen Jahre schien auch
die thukydideische Behandlung der Kriegsjahre am besten in Einklang zu
stehen. — Demosthenes bleibt auch nach der Uebergabe von Spb. als Strateg an
der peloponnesischen Küste s. CIA. I n. 273 Z. 16 aus der 4. Prytanie des
Archoo Stratokies. — Antheil der Messeoier sowohl bei der Verteidigung von
Koryphasion (Thok. IV 3, 9), als auch beim Angriff auf die Insel: Peos. IV 26;
ihr Führer Komon: Thok. c. 36. U&rjvatot — Ntxtjs ay£9rjxav ayalua iv
axQonölH xalxovy ig fivrjurjv icäv iv £(faxir]Q/q: Paus. IV 36, 6.
62. (S. 487). Kosten der Belagerung von Potidaia: Thuk. III 17. Uebcr
die in den ersten drei Kriegsjahren von Athen aufgebotenen Geldmittel s. oben
Anm. 45 zu S. 450. Krisis der attischen Fioanzwirthschaft: Kirchh off Athen.
Staatsschatz S. 47. Herabsetzung des Zinsfußes CIA. I p. 146f. Eio<fOQai
Thuk. III 19. Kleoos Betheiligung: Gilbert Beiträge S. 129 f. Die in zahl-
reichen Fragmenten erhaltene Steinurkunde der Neuschätzung (CIA. I n. 37)
hat U. Köhler in seinen Urk. und Untersuch, z. Gesch. des del. att. Seebunds
S. 63ff. zum ersten Male vollständig zusammengestellt und erläutert (S. 142 ff).
Der neue Tribut, bei den verschiedenen Städten verschieden, theils mehr, theils
weniger als das Doppelte des früheren; in ganz vereinzelten Fällen, wie bei
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ANMERKUNGEN ZL'M VIERTEN EICH.
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Thasos, wird, wohl auf Grand besonderer Verträge, der bisherige Betrag bei-
behalten. Syntelien*. Köhler S. 149. Noch nicht gesteuert hat Melos (15 Tal.);
nicht mehr steuern die bottiäiscb-cbalkidischen Städte and diejenigen am Pontos
(Köhler S. 74. Kirchhoff CIA. I p. 23). — Tributsumme zar Zeit des Nikias-
friedens: nltov r tftaxöaia xal x^'a Andoc. de pace 9. Aeseh. de
f. I 175. Gesamtbetrag der Einkünfte Athens 422; 89, 2 tyyvg 4iox(Xia t«-
Xttna Arist. Wesp. 660. Ungenau Plut. Arist. 24: IltQixXiovg anojhtvovroe
InnttvovTfs ol örifiaytoyol xarit ftixQov tte xilitov xal JQtaxootwr raXavrmv
xHpdXawv avyyttyov. — yfp/«/*« ctQXV nach Köhler S. 64.
63. (S. 488). Von einem dominirendeo Einflass des Alkibiades auf die
Tributerböbung weifs nur der Verfasser der Pseudo-Andokideischen Rede wider
Alkibiades. Wie wenig Glauben diese Angabe verdient, hat Köhler S. 150 f.
uberzeugend nachgewiesen. Dass Alkibiades einer der 10 (oder nach Kirchh. 8)
jaxrat gewesen sei, überliefert blofs Ps.-And. 11, und ist nicht unverdächtig.
Plotarch erwähnt eine Thätigkeit des Alk. bei der Triboterhöhung nirgends.
— jiltibf ft( yfyvti xa) naoiß yijg ßaadtvag: Arist. Ritt. 1087. Ueber andere
Orakelsprüche: v. 60. 996 IT. — Strafbestimmungen gegen Prytanen nnd Pro-
edreo kommen auch sonst vor; Köhler S. 65 vergleicht die in dem Gesetz wepen
tntXfiQOToWtt rofitav (Dem. XXIV 22), wo 1000 Dr. festgesetzt werden, in der
Schätzungsurkunde 10,000 Dr. — Anspielungen auf die Tributerböbung und
dabei vorgekommene Unregelmäßigkeiten: Ar. Ritter 314. 759. 803. 839. 1034.
Wesp. 667. 698, s. Köhler S. 150. — Antiphons Rede Tür Lindos (Orat. Att. ed.
Müller. II p. 125f.), Tür Samothrake (p. 228f.): Köhler S. 150. Ausbeutung der
Städte: tm? <ft ovfifitxxtuv foftov rovs 7ta%tTs xttl 7iXoirtf(ov(. Aristoph. Pn.x 6.39.
Epimeleten: Böckh Staatsh. I9, 91, CIA. I 38. Thuk. IV 75: ol rtöv agyvgoXoywy
jf&Hvaitov OTQarrjyoC, Lamachos' Unglück bei Herakleia: Justinus XVI 3.
64. (S. 490). Solygeios: Tbuk. IV 42. Peloponncsos 2, 748. Kerkyra: c. 46.
65. (S. 491). Kythera: Thuk. IV 53. Für diesen Seezug erfolgt in der 9.
Prytanie von 01.88, 5 die CIA. I n. 273 Z. 20 erwähnte Zahlung von 100 Tal.
Ueber den auf Grund des Scholions zu Ar. Wesp. 718, in welchem Philo-
choros' Atlbis erwähnt wird, bisher irriger Weise angenommenen Feldzog der
Athener gegen Euboia im J. des Archon fsarchos Sqxovtos 'lactQXov vergl.
Kirchhoff Klerochien S. 20. Böckh 1\ S. 113.
66. (S. 495). Böotischer Krieg: Thuk. IV 76 f. Delioo: 89— 99. Thuk. IV
91 berichtet von 11 Böotarcben; da aber IV 93 nur 7 Städte erwähnt werden,
und auf den allerdings nicht bis ins 4. Jahrh. reichenden Inschriften regel-
mäfsig 7 Städte durch Beamte vertreten sind, wobei von den 5 schwächeren
Städten (oder mit Oropos 6) des Elfstädtebonds immer nur 2 auftreten, wird
es wahrscheinlich, dsss auch bei Tbuk. c. 91 die Siebenzahl ursprünglich
überliefert war, s. Lolling Mittfa. d. D. Arch. Inst. 3, S. 86 ff. JlaQttvofiia,
dotßttv durch Zwangslage des Kriegs entschuldigt Thuk. IV 98.
67. (S. 498). Brasidas: c. 80.
67*. (S. 499). Vgl. Kirchhoff über die Abfassungszeit der Schrift vom
Staate der Athener. Abhandl. der Berl. Ak. d. Wiss. 1878.
f 68. (S. 506). Fall der thrak. Städte c. 84—88; von Amphipolis c. 102f.
Brasidas' Angriff auf EYon vereitelt : c. 107. Thuk. verbannt: V 26 Swtßn (tot
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ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BUCH.
tf*vyav rtjv tfwvTOv frrj itxooi fJttit ii/v /ff l4fit<pinokiv aiQatrfylav. Vgl.
W. Onckeu Brasida* und der Geschichtschreiber Thok. in der Historischen
Zeitschrift 19, S. 289 ff., der nach Grote nnd Mure 'das Schweigen dea An-
geklagten zu den zahlreichen durch nichts entkräfteten Indicien der Wahr-
scheinlichkeit seiner Schuld rechnet'. Die von Oocken bezweifelte Unzuver-
lässigkeit der Bergwerkdistrikte erhellt ans dem unmittelbar folgenden Ab-
falle der thasischen Colonien : Thok. IV 107. So viel Vertrauen dürfen
wir doch wohl zu Thuk. haben, dass er einen triftigen Grund hatte, seiaa
Station bei Thasos zu nehmen. Thuk. ist ebenso verurteilt worden wie Phor-
mion S. 431. Die Feldherrn mussten auch unschuldig für Misserfolge bbTsen.
Vgl. Hiecke Hochverrath des Thuk. Berlin 18G9. — Kleons Beteiligung an
Th.s Verbannung: Marcellin. 46 vgl. Schol. Aristoph. Vesp. 947. Meier de
bonis damnat. 179. Jahrb. f. Phil. 1861 S. 685. Gilbert Beitrage S. 196.
69. (S. 506). Eupolis' Hoias wurden aufgerührt um die Zeit, da die
Spartaner den Krieg nach Thrakien verlegten. Vgl. Meineke Fragm. Com.
Att. II 509. Darstellung der Städte mit ihren Wappen: Gilbert Beiträge S. 149.
70. <S. 510). Akte: Thuk. IV 109. Torooe und Lekythos: 110 — 116.
Friedensstimmung in Sp. und Ath.: 117. Pleistoanax auf dem Lykaioa
t\(iiav xijc olxtas tov Ugov tov dios olxtur: Thuk. V 16. Peloponnesos 1, 303.
Orakel Weisung: Jibg vlov rjfji$£ov to an(Qua Ix rrjs alXotQlas (s rqV
iavjvöv avatpfqitv tl & f*ij, ttQyvgtq tiilaxq cvlafriv Thuk. e. 16.
71. (S. 512). lieber die Ursachen der Feindschaft zwischen Kleoo und
den Rittern Theopompos beim Schol. zu Ar. Rittern 226. Aristopfaanes' Kämpfe
mit Klcon : Bergk in Schmidts Zeitschr. Pur Gesch. 2, 206.
72. (S. 513). Waffenstillstand: Thuk. IV 117—119. Lache« als eia Fuhrer
der Friedenspartei, von Kleoo angegriffen, Ankluge wegen xloni] Japoefo»*
Gilbert S. 201.
73. (S. 515). Fortsetzung des tbrakischen Kriegs: Thuk. IV 123 f. Ver-
trag des Perdikkas von Makedonien mit Athen : CIA. I n. 42 und 43, s. Kirch -
hoff Abh. der Berl. Akad. 1861 S. 595ff. Mende: Thuk. IV 129. 130. Skione:
131. Lakedämooische Verstärkung in Thessalien aufgehalten: 132. Antiphon
in Thessalien: Arist. Wesp. 1270.
74. (S. 515). Anastasia der Delier: Thuk. V 1. Bbckh Abh. der Berl.
Akad. 1834 S. 6.
75. (S. 518). KUtov o*e li&rryatovs ndaas ig t« in\ Bo4*Ve X^Q**
t&nUvat Thuk. V 2, vgl. 16 hc&yrjxH KUotv re xal Bgaotdas, öftre? a/u-
(for^Qot&ev fidltoja ffvaniovrro ry ttQrjvrj, 6 fiXv ö*ta ro tirrv^ttv re xal ti-
fiuodttt ix tov noXtftiiVj 6 d£ yivof*ivt\t »}atyf/«f xaTatpaviöTtQot voftf£tov
ilvai xaxovoyuiv xal dntoi6t(QO( SiaßtllXtav. Wallichs Thukyditles und Kleoa
S. 33 ff. — Torooe: Thuk. c. 2. 3. Schlacht bei Amphipolis: c 6— 11. Die
fürHagnon (S. 261) gestifteten Heroenehren c. 11, 2 auf Brasidas übertragen:
Lampros r« xaia rote olxiaras Ttov nag* "Ellr)OW anoixttöv Lips. 1873, p. 51.
76. (S. 521). Nikiasfrieden c. 14— 20. finndniss mit Bottiäern : CIA.
I n. 52. Auf die Reise der zum Friedensschluss naeh Sparta geschickten
athenischen Gesandten, welche den Landweg über Phlins und Alea einschlugen,
bezieht Köhler (Mitth. des D. Archäol. Instit. 1, S. 172) CIA. I n. 45; der Ab-
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ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BUCR
801
tragsteiler Thrasykles gehört zu den athen. oQxtoia( des Friedensvertrags. — Ende
des SixtKrijs noXt/uog oder 7IqÖj7os 7i6lifio$y nach dessen Abschluß Tbukydides
seine Geschichte auszuarbeiten begann: Ullrich die Benennung des Pelopoones.
Kriegs. Unklar ist der rechtliche Zustand zwischen Ablanf des Waffenstillstands
und dem Friedensschluss: nach dem Wortlaute voa Thuk. V 1 moss mit den
Pythien (Mitte Angust: Monatsber. der Berl. Ak. 1864 S. 135) in Griechenland
eine faktische Waffenruhe eingetreten sein, welche von den beiderseitigen
Friedensparteien zur Fortsetzuug der Verhandlungen benutzt wurde, lieber
den Friedensschluss: E. Müller de anno quo bell. P. iuitium ceperit p. 22.
'OQxuxai 17 auf jeder Seite; unter den Athenern nachweislich 11 strategische
Mäaner: Droysen, Hermes 9, 14.
77. (S. 526). Ueber die Kantonalbildong Siciliens Julias Schubring, Uui-
wanderung des megarischen Meerbusens, in Zeitschrift für allgemeine Erdkunde
Neue Folge 17, S. 435.
7$. (S. 528). Kleaodros und Hippokrates: Herod. VII 154. Aristot. Pol.
p. 1316a 37 (231, 25). — Zankle: Herod. VI 23. Im Allgemeinen: Brunet
de Presle Rechercbes sur les Etablissements des Grecs eo Sicile 1845.
79. (S. 529). Akrai: Thuk. VI, 5. Sehubring: Akra— Palazzolo in Jahrb.
f. kl. Phil. Suppl. IV S. 661. Enna: Steph. Byz. u. d. VV.
80. (S. 531). Revolution in Syrakus: Herod. VII 155. Chronologie der
Deinomeniden: Aristot. Pol. p. 1315 b 34 (230, 14). Geloo stirbt im achten Jahre
seiner Tyrann is. Hieron regiert 10 Jahre und stirbt 78, 2; 468 — 7; sein
Regierungsantritt fallt also 76, 1; 477—6 (Plass Tyrannis 1, 295); darnach
ist Geloo seit 71, 2; 484—3 Herrscher in Syrakus, nachdem er 72, 4, 492—1
Herr von Gela geworden ist. — Scheinbare Anerkennung der Volkssou-
veränität: Diod. XI 25. Plass 294. Widerwillen gegen den Demos: Herod.
Vn 156.
81. (S. 534). Gelons Macht: Herod. VII 156 f. Die Gesandtschafts-
berichte: c. 157 f. Das Gleicbniss vom Frühjahre, dessen sich Her. VII 162
bedient, hatte Perikles nach Arist. Rhet. I 7; in 10 in seiner wahrscheinlich
am Ende des samischen Kriegs (440 — 39) gehaltenen Leichenrede gebraucht
(Kirchhoff, Entstehungszeit des Herod. Geschichtswerks S. 19). Was Kadmos
betrifft, so halte ich ihn trotz Lorenz Epicbarmos S. 62 und Holm I 411 für
den Sohn desselben Skythes, welcher, aus Zankle vertrieben, am Perserhofe
starb. Einige Jahre (ov noXXfp vartQov Thuk. VI 4) nach Vertreibung des
Skythes bemächtigt sich Anaxilaos, der sich inzwischen in Rhegion hin-
länglich befestigt hatte, der Stadt Zankle und nennt sie seiner Heimath zu
Ehreu Messana. Nun kehrt Kadmos zurück und behauptet sich dort in Ver-
bindung mit den in der Stadt zurückgebliebenen Samiem. (1er. VII 164
unterscheidet die beiden Katastrophen der Stadt nicht genau, doch deutet er
das wahre Sachverhältniss dadurch au, dass er von ihm sagt, er habe in der
inzwischen umgenannten Stadt seinen Wohnsitz genommen. Vgl. Stein zu
Her. und Siefert Zankle-Messana S. 15 ff. Anaxilaos' Epoche auf Münzen:
Cat. of anc. Coins of the Brit. Mus. I p. 373.
82. (S. 535). Stier des Phalaris Holm I 150. Phalaris' Ende Ol. 57, 4;
549 Hieronymus. Triltftaxov rov xtnalvauvros rov *. nmq yivira* 'Eppe-
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S62
ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BUCH.
vCdtiiy ov AlvriotöafAOS, ov &t)(mov xal Sivoxoaitjs Schol. Piod. Ol. III 68. —
Terillos: Berod. VII 165.
83. (S. 536). Karthago im sechsten Jahrh.: Th. Mommsen Rom. Gesch. 1 «,
S. 145. Rhodier und Koidier vou Lilybaion oach Lipara: Diod. V 5.
84. (S. 537). Ephoros bei dem Schol. Find. Pytb. I 146 (Fragm. Hist.
Gr. I p. 264) ood Diod. XI 20. Duncker 4, S. 864 bezweifelt die gegenseitige
Verabredung.
85. (S. 538). Geogr. minores ed. C. Müller 1 p. xvui. Bahr zn Uerod.
VII 165. — Aufser Zusammenhang mit der karthagischen Co Ionisation steht
ein anderer Periplus, den ein Messaliote wahrscheinlich im 5. Jahrh. aas dem
Phönikischen ins Griechische übersetzt hat. Dieser liegt, wie MülleahofT
Deutsche Alterthnmskunde 1, S. 202 f. nachgewiesen hat, dem griechischen
Original von Aviens Ora maritima zu Grnode.
86. (S. 540). Terillos' Vertreibung 482. Böckh Expl. Pind. p. 117.
Die Griechen strebten darnach, die Geschichte ausdrucksvoller zu machen;
dazu dienten die Gleichzeitigkeiten, welche die Vorstellung göttlicher Nemesis
belebten. Kritik der Ueberlieferung: Nicbuhr Vorl. üb. alte Gesch. 2, 123, der
das wahre Datum der Schlacht um mehrere Jahre früher setzt: xatä rove
aviovs XQ<>V0VS M8* vorsichtig Aristoteles Poet c. 23. Vgl. Bergk Vcrh. der
Philol. Vers, zu Halle. S. 27. Holm I 416.
87. (S. 542). Gelons Andenken in Sic: Plut. Timol. 23. Leake Traus-
action of tbe R. Soc. of Litt. HI 370. Harma des Gelon in Olympia: Paus.
VI 9, 4, die zagehörige Künstleriuschrift des Aegineten Glaokias: Arch.
Zeit. 36 S. 142 n. 186. Mit Gelons Wagensieg 488 wird zuerst das von der
Nike bekränzte Viergespann Münztypus auf Tetradrachmen von Syrakus, Gela and
Leootiaoi: Gardeoer Num. Chron. 1876 S. 7. Head Num. Chron. 1874 S. 7. Ueber
das Grab Gelons die widersprechenden Nachrichten bei Diod. XI 38 und XIV 63.
88. (S. 544). Agylläer in Delphi: Herod. I 167. 'O 'Ayvllafav *«•
lovpevos dqaavQos: Strab. 220. Sieg bei Kymae: Diod. XI 51. Strabon 24S.
Pindar Pyth. I. Helm des Hieron: CIG. n. 16. Kirchhoff, Studien zur Ge-
schichte des griech. Alph. S. 109 (4. Aufl.).
89. (S. 544). Lokroi and Rbegion: Schol. Pind. 2, 35. Thrasydaios:
Diod. XI 53.
90. (S. 547). Ischia (Aivaota): Strabo 248. Aitne: 268. Hieron in
Olympia: siehe S. 130 und Anm. 66. — Ueber Ergoteles, Pindar Ol. XII,
Arcbaeol. Zeit. 36, S. 159. — Phormis: Paus. V 27, 1. Inschrift des Praxiteles
in Olympia: Arch. Zeit. 34, S. 49. u. 37, S. 43. Nach Holm (Archivio Storico
Siciliano N. S. III 341) wäre Prax. bis 484 bei den Söldnern des Glankos in
Kamarioa gewesen, dann nach Syrakus gekommen, und hätte als Syrakusaner
(vor 464) das Auatbem gestiftet. — Motye: Paus. V 25, 5. — Münzen von
Rhegion (aus der Zeit des Anaxilaos) mit dem Maulthiergespaon : Priedlaeoder-
Sallet, Kgl. Müozkabinet 2 S. 184 n. 684. — Anatheme des Hieron: Paus. VI
12, 1. — Ueber die Nike und ihre Beziehung zur Agonistik überhaupt:
Imboof-Blumer, Flügelgestalten der Athena Nike in der Wiener iSuinisui.
Zeitscbr. 3 (1871) S. 22, über die sicilischen Siege S. 24, vgl. A. v. Seilet,
Zeitschr. f. Num. 1 (1873) S. 228 f.
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91. (S. 549). Aristoxenos, Epicharms Vorgänger (Scho). Aristoph. Plut.
4S7) aas Seiinas, nach Eusebios des ArehUochos Zeitgenosse.
92. (S. 552). Phormis: Arist. Poet. 5, 5; Epicharmos: Saidas a. d. W.,
Lorenz Leben and Schriften des Koers Epicharmos 1864. Zeit des Tbeaterbaus :
Lorenz S. 91. Schobriog im Philol. 22, S. 620. Beziehung zwischen Krates
und Epicharmos: Lorenz S. 191, 208. Aristoteles' Poetik von Susemihl S. 168.
93. (S. 553). Sopbron: Suidas u. d. W. Aasbrach des Aetna Ol. 75,
3; 479 nach der parischen Marmorcbroaik (siebe Bdckh im CIGr. II p. 339);
nach Thukydides Ol. 76, 1 ; 475, der von einem früheren Ausbruche nichts
Genaues erfahren konnte.
94. (S. 554). Aischylos' zwiefacher Aufenthalt in Sicilien. Der erste
auf Einladung Hierons c. 478—474. Aufführung der Altvaiat 476 und des
Prometheus (?). Erste Aufführung der Perser. Heimkehr vor 472. Aufführung
der Perser in Athen 472, der Oresteia 458. Zweite Sicilische Reise nach dem
Sturze des Areopsgs (siehe S. 158,300). Aischylos stirbt in Gela 455. Vgl.
Kiehl in Mnemosyne I p. 364. Lorenz S. 83.
95. (S. 556). Apollootempel in Syrakus mit Stufeninschrift: Philologus
XXH 361 ; XXIV 567. Cavallari's Entdeckung in Himers: Giornale di SicilU
1864. Jodids 13. — Olympieioo: Siefert Akragas S. 31.
96. (S. 557). Die Wasserbauten von Syrakus von Schubriog im Philo-
logus XXII S. 577 — 638 zuerst au das Licht gezogen.
97. (S. 558). lieber die Stempelschneidernamen jetzt ausführlich: A. von
Sa 11 et, Künstlerinscbriften, Berlin 1871, Münzen von Seiinas: Arch. Zeit.
1660 S. 38 vgl. Imhoof- Blumer in Benndorfs Metopeo von Selinunt, Anh. S. 10.
Ueber die Quadrigen: Stuart Poole in Transactioos of R. S. of Literat. X p. 3,
S. 6. Barclay V. Head Chronologie Sequence of the coios of Syracuse, London
1874. Damaretioo (Poll. IX 85) nach Diod. XI 26 aus dem von Karthago der
Demarete geschenkten Goldkranze; auch Simooides (fr. 142 in Bergk's PoetaeLyr.)
spricht von xqvoos AafittQdtos (AaQ^nog Dach Meioeke Oedip. Col. p. 316). Des-
halb hatte Böckh (Metrol. Unters. 305) das Dcmaretion für eine Goldmünze, einen
halben Goldstater betrachtet. Dagegen zuerst Duc de Luynes in Revue Num.
1843, und nach ihm Mommsen, Geschichte des röm. Münzwesens S. 70 und alle
neueren Nauiismatiker, die das D. in die Reihe der silbernen Dekadrachmeu
setzen. Vgl. auch Hultsch de Demaretio argenteo Syracusanorom nummo Dresd.
1862, und Verbandlungen der Hall. Philologenversammlung 1868 S. 40.
98. (S. 560). Thrasybulos' einjährige Herrschaft: Diod. XI 66. Ende
derTyranois: Arist. Pol. 222 (1312 b 12) und 230 (1315 b 38). Cottas des
Zeus Eleutherios: Diod. XI 72. Zeus Eleutherios auf Münzen erst in der Zeit
des Timoleon. Leake Numism. Hell. Ins. 79. Head, Coios of Syracuse p. 26 f. — *
Inessa: Diod. XI 76 (Ahvttioi) txirjOano irjv vvv ovaav AXtyi\v, ngb tovrov
xaXovfxtvif» 7yiJoffov. Münzen dieser jüngeren Stadt, Aetna-luessa, mit kata-
naischen Typen und Aufschr. ATTNA, AITNAISIN, Leake W. H. Sicil. 59.
99. (S. 561). Mikythos: Herod. VII 170. Diod. XI 48, 66. Ueber die
Weibgeschenke in Olympia: Paus. V 26. Zwei dazu gehörige Bathra mit Weih-
inschriften: Arch. Zeit. Bd. 36, S. 138 n. 175; Bd. 37, S. 149 o. 300. — Peta-
lismos: Diodor. XI 87 f.
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100. (S. 563). Uebcr Korax und Tisias Aristoteles bei Cic. Brutus § 46.
Vgl. Blass Att. Beredsamkeit l'J S. 17 f. Voo Tisias das erste Lehrbach (t^vt))
Blass S. 21. Empedokles nach Aristoteles Erfinder der Rhetorik: Diog. Laert.
VIII 54 c. 492-432: Zeller 1*679, Diels Sitzangsber. der Preuss. Akad. 1884,
343 ff. Diels sacht die Anfänge des Prosastils des Gorgias bei Eoip. nachzuweisen.
Antiochos (ntQl 'FtaUat and JEuttlttatis ovyyQaify) ^ragm. Hist. Gr. I 181;
von Thukydides benatzt nach Wölfl! in Antiochos von Syrakus and Coelias
Antipater Leipzig 1872. Söldner im Gebiete von Zankle: Diod. XI 76. Siefcrt
Zankle-Messana S. 12. Sicilien nach der Vertreibung der Tyrannen: Diod.
XI 76.
101. (S. 564). Einfloss der Zerstörung von Sybaris auf Krotoo: Timaios
fragm. 63 Göller. Die Niederlage der Krotoniateu am Sagras muss oach
Justin. 20, 3. Strab. 262 dem Falle von Sybaris gefolgt sein. IViebuhr Rom.
Gescb. III 602. Früher setzt sie Millingen Cousiderations sur la numism. de
l'ancienne Italie p. 66, mit Heyne Opusc. II 184. — lieber die Gesandtschaft
nach Achaja (Polyb. II 7, 7): Th. Müller de Thuriorum rep. p. 24, und über die
Ausdehnung des Gebiets bis an die tyrrhenischen Küsten p. 30. Polyaeo. II 10.
102. (S. 565) Tarents iapygische Kämpfe: Loreotz Tarentinorum res
gestae 1838 p. 9. Verfassungskrisis: Arist. Polit. p. 198, 7, Monumente in
Delphi : Brunn Geschichte der gr. Künstler I 90.
103. (S. 566). Versuchte Wiederherstellung von Sybaris: Diod. XI 48.
Schol. Pind. Ol. II 29. Fahrt nach dem Adrias: Böckh Seeurkuoden S. 137.
Tfaem. u. Sybaris: Plut. Them. 32.
104. (S. 568). Ueber Thurioi vgl. Meier Opusc. academica 1 p. 213.
Ikkos: Plat. Protag. 317. — Aach die Vasenfunde von Canusium, Rubi, Gnatia
u. s. w. zeugen von der Blütbe der kleinen sonst unbekannten Orte: O. Jahn
Vasen K. Ludwigs p. XXXVI. — Euktemon: Avienus Ora maritima v. 350.
Müllcnboff Deutsche Alterthumskunde 1, S. 108 f. Thurioi und Tarent: Arch.
Zeitung 37 S. 149.
105. (S. 569). Abneigung der Athener gegen Kupfergeld: Beule* Monuaies
d'Atbenes p. 73. Ueber Diooysios Böckh Staatsh. ls, 691. Ueber die Ver-
schmelzung des Litra- und Dracbmensystems Momiuscn Geschichte des Rüiu.
Münzwesens S. 81, 83; das Tetradrachmon eine Stütze des attischen Handels:
Mommsen S. 328. Ueber Kr^a etc. vgl. O. Immisch de glossis lexici Hesychiani
Italicis, Leipz. Studien VIII p. 312. Der korinthische Münzfufs ist nicht, wie
man früher glaubte (Böckh Metrol. Unters. S. 97), von Athen entlehnt, son-
dern selbständig abgeleitet aus dem babylonischen Goldtalente. Vgl. J. Brandis
das Mafs-, Gewicht- uud Münzwesen in V.-Asien S. 60. 159.
106. (S. 571). Athen und Sicilien: ünttQOt ot noXXoi rov ftfyt&ovs rrjf
VTjOov xal iüv it'oixovvrtov rov nlij&ovg xal %EU.r^vfav xal ßaoßaQcov Thukyd.
VI, 1. FFaktxrj Diod. XI 88, 90. Polemon ed. Preller 120 sq. Kali] ^xij:
Diod. XII 8, 29. Vgl. Ad. Holm Beiträge zur Berichtigung der Karte des
alten Siciliens 1866 S. 26. — Bundesvertrag mit Rbegion: CIGr. n. 74, CIA.
I 33, mit Leontinoi: CIA. IV 33a, die von Tfauk. III 86 erwähnte nalaiä
Zvfipaxfa, zu Athen für beide Städte am gleichen Tage abgeschlossen, kurz
nach Absendung der beiden Geschwader nach Kerkyra (S. 366. 358): Foucart
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Kev. Archeol. 1877, 1 8. 384 f. H. Droysen Athen u. d. Westen S. 13, der die
Identität der n. ^i^^a/ia mit dem rheg. Bündniss bezweifelt. Kamarina:
Schubring Philologus XXXII S. 498 f.
106- . (S. 572). Gorpias: Blass Att. Berede 1-S. 47. Diels Gorgias
und Empedokles. Sitzungsber. der Pr. Akademie 1884 S. 343.
107. (S. 574). Erste kriegerische Betheiligung Athens an den sicilischen
Händeln: Thuk. III 86. Diod. XII 54. Philochoros beim Schol. Arist. Vesp.
240. Zahlung der Schatzmeister in der 6. PryUnie (426 Frühjahr) t< Zixt-
JUccv: CIA. IV 179a. Z. 10. — Einflass der Ilhegioer auf die erste Expedition:
Holm Geschichte Sieiiiens 2, 405. Lipara: c. 88. 115. Mylai und Messaua:
90. Laches und Rbegion: 99. 103. Zweite Gesandtschaft: 115. Seegefechte:
Thuk. 24. 25. Kamarina: 25, 7. — Von der 2. Expedition sagt Thuk. 48:
/ff ii}V 2txtk£av nnonliüaavifs patt ruiv ixii (v^fiax<of tnoMuouVj ohne
Weiteres darüber anzugeben. — Zweifelhaft bleibt eine anderweitig nicht
überlieferte Expedition der Athener zu Anfang des peloponnes. Kriegs nacb
Sicilien, auf welche Holm 2, S. 404 schliefst aus Timaios fr. 99 bei Tzetzes zu
Lykophr. 732, wo von einem ÖQopog IttpnaSixos zu Ehren der Parthenope in
Neapel die Rede ist, den Diotimos eingesetzt hat, ort arQarrjyog iov ruv
A&t)vu(q}V tnoltfiic rotg 2txtlois.
107*. (S. 675). Friedeostag in Gela Thuk. IV 58. Die Aristokratie auch
in Sicilien mehr national, die Demokratie particularistiseh. Hermokrates' Rede
«/f j6 xotvov IV 59 — 64 im Stil des Gorgias (övofittn Iwofty — (pvot * u. dgl.).
108. (S.577). Phaiax: V 4.
109. (S. 577). Selious und Egesta: Thuk. VI 6. Bestand ein Bündniss
zwischen Egesta und Athen? Grote 4, 112 D. U. und Meier Andoc. 118 (Opusc.
acad. I 337) folgern dies aus Thuk. VI 6, wo aber AkQYiltwv zu ^vfxfm/iav ge-
hört. Hätte ein Bündniss mitE. bestanden, so würde dies anderswo erwähnt sein,
und die Egestäer würden sich nicht erst an Syrakus, Agrigent und Karthago
gewendet haben, wie Diodor XII 82 berichtet. Holm 2 S. 406 hält das Bünd-
niss aufrecht.
110. (S. 580). Unzufriedenheit der Peloponnesier: Thuk. V 17, 21.
Friedensklausel c. 23: ijv ti «foxjj Aaxtöaipovlots xal 'Ad-rjvaiots 7iQoo9eivcu.
xai atfiXetv 7ieQ% irjs $v[i[AaxCuqy o rt i)y cfoxy, (voqxov afitfoityois ttvat.
Ol nolXol ai()ur)rfo nobs iouff 'ifyytiovg c. 29. — Argivische Kerntruppe:
ol xtXiot loya6tsy olg »7 nöXis ix noXXot aoxr\atv ttov /ff töv noXtpov di^uo-
atn nctQti/tv Thuk. V 67. — Kallias und die Argiver: Her. VII 151; vgl.
Anni. 100 zu S. 185.
111. (S. 582). Korinthische Tagesatzung: Thuk. V 30. — Elis und Le-
preon c. 31. Peloponn. 1, 85. Vgl. v. Sallets Num. Zeitschr. II 185 'Münzen
von Olympia', wo ich das dXvfimxbv vofttoptt auf diese Zahlungen bezogen
habe. — Mantineia's Grofsstaatsgelüste : Pausan. VIII 9; Peloponnesos 1, 238.
Pleistoanax in Arkadien: Thuk. V 33. — Die Korinther versuchten damals
von Athen eine Waffenruhe zu erhalten, wie sie bald nach Abschluss des
iMkiaafriedeus den Böotiern in der Form von <T</V^tfoot Intanoviai gewährt
worden war: Thuk. c. 32; auf die Verhandlungen, welche aber erfolglos
blieben, bezieht Kirchhoff CIA. IV n.46a.
Curtini, Gr. ÜMch. II. «. Anfl. 55
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112. (S. 585). Friedeosbedingungen nicht ausgeführt: Thak. V 35 f. Neue
Ephoren: c. 36. Verhandlungen über Panakton: c. 36. 39. 42. Der schwer-
fallige Organismus böotischer Landesverfassung: ol BowtaQ/ai (xoiyatOttv
r«fc riaoaoat ßovlaTs c. 38, 2. Sparta 's Streben nach Allianz für einen
neuen Krieg im Rucken von Athen. Biindniss zwischen Sp. und Boeotien:
c. 39.
113. (S. 586.) Aristophanes' Frieden im 13teu Kriegsjahre: v. 990.
Vgl. Argum. cod. Ven. — Zahluog Tür Pompgcfässe Ol. 90, 1: CIA. I 320.—
Schatzgelder: Böckh Staatsh. I3, S. 473. — Reue über die vorzeitige Rückgabe
der Gefangenen : Thuk. V 35.
114. (S. 588). Alkibiades' Jugend: Plut. Alk. 1 — 17. Vgl. Hertaberg
Alkibiades der Staatsmann und Feldherr S. 18—72. Alkibiades* Erziehung:
Plat. Alk. M22; Protag. 320. Ale educatus in domo P. (Coro. Nep. c 2);
apud avunculum eruditus (Aul. Gell. XV 17); Toiyopivos nao* «£toj Diod.
XII 38. — Forma prioeeps: Plin. XXXVI 4, 8. Alkibiades als Modell: Cle-
mens Cohort. ad gentes p. 47. Hermesvorbild: Clemens Protr. 47. Porträt:
Arch. Zeit. 1867, S. 70. — Alk. als Anführer der üppigen Jugend Athens in
der Komödie: Arist. Daetal. Fragin. 16, Acharn. 690, 716. — Alk. als Erßnder
des Frühschoppens: Kupolis fr. 303. Meineke Fr. Com. Gr. 1847 I. p. xxiv.
Rechenschaftableguog: Plut. Alk. 7. Perikles von Alkibiades zur Wieder-
aufnahme der Staatsgeschäfte bewogen: Plut. Per. 37.
115. (S. 592). Alk. vorNikias zurückgesetzt: Plut. Alk. 14; auf seioea
Parteiwechsel bezieht Kirchhoff 'Abfassungszeit der Schrift vom Staat der
Athener' 1878 S. 24 die Worte des Vf. 2, 6.
116. (S. 593). Hyperbolos: anooöiv 6 dij^of Imrqonov xal yvfivoe «üf
toitov ritte tov avÖQa ntQuCwoaro Arist Frieden 687. Plut Alk. c. 13.
Cobet Piaton. rel. p. 136f. Gilbert Beiträge S. 210. — Hyp. schon zu Kleons
Lebzeiten gefürchtet: Acbarn. 846, Hicromnemoo: Nub. 623, Buleut: Meineke
Fr. Comic. II 670. Hyperbolos ist Antragsteller io dem Volksbeschluss CIA.
1 o. 49, uod wahrscheinlich auch o. 46.
117. (S. 595). Täuschung der Spartaner: Thuk. V 44 ff. Plut. Alk. 14.
Vierstaatenbund: c. 46f. Vertragsurkunde der Symmachie von Athen, Argos,
Maotineia uod Elis: Thuk. V 47. Das Fragment der Inschrift zuerst heraus-
gegeben von Kumanudes %A9rpaiov V 333. CIA. IV n. 46 b. Ueber die Ver-
schiedenheiten zwischen dem Text des Th. und dem Wortlaut der Urkunde
vgl. Kirchhoff Hermes 12, 368 f. A. Schöne ib. 472 f. Classen in den Vor-
bemerkungen zu Thuk. 8. p. XXV. Stahl zu Thueyd. V.
117*. (S. 596). Patrai: Thuk. V 52,2. Peloponnesos 1, 437. Umschwung
in der Parteistellung Korinths: V 31. Feier der Olympien: c 49 f. Zusatz
zur Friedensurkunde auf der Akropolis or* ovx tvf/xtivay ol Aaxidaipovioi
rot( oQxote (e. 56) auf Alkibiades' Antrag beschlossen.
118. (S. 597). Fehde mit Epidauros: Thuk. V 53 ff. Beide Züge des
Agis (V 54. 55, 3) durch ungünstige dutßartiQia aufgehalten. In die epidaurische
Fehde gehört die von Grote 4, 52 D. U. erläuterte, naive Kriegslist der
Argiver, welche, um nicht durch den Karneios, den Monat der Waffenruhe,
gehemmt zu sein, nach dem 26sten des vorhergehenden Monats so viel Tage
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einschalteten, als sie zur Kriegführung gebrauchten. Alkibiades' H'ülfskorps:
55, 3. Spartaner in Epidauros: c. 56.
119. (S. 599). Thok. V 57 ff. Heber den Einmarsch in Argolis: Pelo-
ponnesos 2, 583. Waffenstillstand: c. 59,5. 60, 1 — 2. Jixa Evftßovlm dem
König beigegeben : c. 63, 3.
120. (S. 600). Verhandlungen in Argos: Thuk. V 61, 1. 2 (AXxtßwdov
noeoßevTov TrttQovTos, nicht als Stratege). Mantineia: 63 — 74.
121. (S. 601). Epidauros belagert wahrend der Karneen: Thuk. V 75.
Frieden zwischen Sparta und Argos: c. 76 f. Biindniss: 77 f.
122. (S. 602). Spartanisch-argtvische Gesandtscbarten: Thuk. V 80. —
Epidauros geräumt V 80. — CIA. I n. 180 Z. 10 — 14: [Inl riji — töos
nowa]viias de vr {gas [novravevoiiOris ' EXXrjvoTttfitats — TQtttxoary tjfiigq] ?fc
KQVTavtiae niagiJofiev - -/pt/oYJou JCvttxrjvov OTaTrjQng XXXX- - jovto to
XQUoiov n«Q^ofi[(v roig inl ras 6nliTtiy)toyov$ rote ptTct JrjpoO&ivovg
(nach Kirchhofs Ergänzung); eine gleiche Summe hatte bereits in der 1. Pry-
tanie des Archon Antiphon (90, 3) von den Hellenotamien an Demosthenes
gezahlt werden sollen, aber eine andere Verwendung gefunden (Z. 1 — 9).
123. (S. 602). Thuk. V 81. — Achaer: c. 82, 1.
124. (S. 605). Hyperbolos' Ostrakisraos: Thuk. VIII 73, 3 'YntoßoXöv
uva itov 'A&qvafav, fiox&IQÖv av&QOtnov, toOTQttxtOftl'vov ob 6ia övvauitos
xal tt(uu(iaro{ qoßov, ctXXa ö*uc novtjgiav xal aloyvvt]V ifjs noXitug, ano-
xretvovot. Plutarch fand zwei Ueberlieferungeu vor, die er im Leben des
Wik. 11 aus einander hält, und von denen die eine, bei Theophrast, von einem
Parteikampf zwischen Alkibiades und Phaiax, die andere (ot nXtioves, viell.
bei Theopomp) von einem Parteikampf zwischen Alkibiades und Nikias be-
richtete. Zurborg (Hermes 12, 198 f., 13, Ulf.) nimmt an, dass Nikias den
Phaiax, Alkibiades den Hyperbolos als einen unbedeutenden Ersatzmann vor-
geschoben habe; aber solche Taktik ist bei dem Ostrakismos, wo Alles auf
die Person ankommt, unwahrscheinlich. Die Thatsache, dass Hyperbolos gegen
Beide Opposition gemacht habe, halte ich mit Seliger (Jahrb. f. Phil. 1877,
5. 745) nicht für erfunden. Vollständige Aufklärung der Einzelheiten ist bei
einem ganz ungewöhnlichen und schon in alter Zeit streitigen Vorgang un-
möglich. Die volle Glaubwürdigkeit des Thukydides lasse ich mir auch hier
durch Zurborg nicht bestreiten. Mit ihm stimmt Plato (Meineke Fr. Com. II 669):
ob yag jchovtuv ttvix' otngax' tugt&tj. Die Zeit des letzten (gesetzlich nie
abgeschafften) Ostrakismos nach Cobets (Plat. Com. Rel. p. 143) Erklärung
von Theopomp beim Scholiasteo zu Aristophanes' Wespen 1008, wonach Hyper-
bolos, der nach Thuk. 411 in Samos starb, sechs Jahre im Exil gelebt hat.
Vischer Alkibiades und Lysandros S. 57. Kirchhoff Hermes 1 S. 5 nimmt
418 an, vgl. auch Gilbert Beitr. 231. Stahl Rhein. Mus. 39, 462.
125. (S. 606). Sturz der Aristokratie in Argos: Thuk. V 82, 1-2.
Bryas: Paus. II 20, 2. Verhandlungen in Sparta: IX&ovtarv ngtoßitav ano
TS rdiv iv rjj noXet xal rdiv Ufo Xgyetov, nagovtw te tojv £t/ju/4ajfcuy xal
{iri&£i>TW noXXüv mp kxttUgwv tyvaiOav ctöixtXv rovt iv Tjf noXtt. c. 82,
3. — Ausbleiben der Korinther: c. 83, 1 ; ähnlich verfuhren sie auch später:
Xen. Hell. III 2, 25. — Neues Bündniss zwischen Argos und Athen: Thuk.
55*
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86S
ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BUCH
V 82 — S4. Bündnissurkunde: CIA. I n. 50. Schenkelmauer: Peloponnesos
2, 384.
126. (S. 6ü7). Tbok. V 18, 5 ano66vrtav %A&tpra(ots Aaxt6aip6vtoi xal
ol Svpfiax01 AfitfinoXiv. Saas 6k nöXas nap46oaay Aaxt6aifi6vtoi Adn-
vttfoif, ij-tarw amivai onoi av ßovXeavrai avrovs xal ra iavrwv //ortaf.
tas öt noXtts tftQOvoas rov qogov rov in' *Ao*artt6ov avrovöuovs ttvat.
onXa 6k fit} t£(ota> intupiquv 'AHrjVaiovs prfdk rovs (vfipaxovf inl xax%>,
ano6t6ovrtov rov tfooov, intt6rj al onov6al iyivovro. eial 6k at6t'"AgyiXos
Zrdytigos sfxav&os £x(HXos "OXw&os JLnäorwXos. £vfifxaxovs <T tlyect fii}6(-
rigaw, ftrjie Aaxt6aif*ov((ov fifat Id&rjvaitav t/v 6k 'A9ijvatoi ncidtoot ras
noXng, ßovlofjiivaq ravras ttfotca {i//i/uajfou£ notsio9ai avrovs 'Afrtjvafots.
Mr\xvßtgvalovs 6k xal Savaiovs xal Ztyyaiovs oixttv jus noltts ras iavrdvt
xa&dntg *OXvv9tot xal Axdv^tot. — Potidaia: Thuk. IV 135. Klemehie:
II 70. Kirchhoff l'eber Tributpflichtigkeit der Klcruchieo (Abb. d. Berl. Ak.
1873) S. 7. Toronc: V 3, Klerachie Dach Kirchb, S. 10. Skiooe: V 2, 1.
Kirchhoff S. 8. Tbok. V 18, 8 JSxtatvaitav 6k xal Togwaluv xal £tg/btvX/uv
xal tt riva äXXtjv noXtv (xovorv 'A&tjvatot, ASh\va(ovs ßovXevtod-ai ntgl
avrtov xal rtHv üXXtuv noXeeav ort av Joxjj «urofc. Tribatsammea von
Potidaia .... 6 Talente, seit dem 19. Jahr 15 Tal.
Torone .... 6 Talente, seit dem 30. Jahr 15 Tal.
Skiooe u. Tbrambos 6 Talente, spater .... 9 Tal.
Akanthos .... 3 Talente.
Olynthos .... 2 Talente u. s. w.
127. (S. 608). Der Nikiasfricden nicht vollzogen: Tbok. V 26,3; vgl. 30.
Kriegszustand ia Thrakien; mit Böotien nur Waffenruhe von 10 zu 10 Tagen.
Cbalkidike von Sparta geräumt: V 21. Tbyssos: V 35; Köhler Delisch-Att.
Seebund S. 177. Chalk. Gesandte in Böotien: c. 38. Mekyberna: c. 39. CIA.
I n. 180 Z. 9 i6ooav argarijyots inl Ogg\xr}s Ev&v6rffitp Ev6rjfAov. Verhand-
lungen mit Perdikkas: Tbuk. V 80. — Dion: c. 82 vgl. c. 35; Köhler S. 175.
Thuk. V 83 naoaaxtvaaafiivw avräiv arqarutv ityetv inl XaXxi6(as rote
inl &Q(txrfi xal'AfiffinoXiv Ntxfov rov Nutngdrov trrgarrjyovvros (JTtnö/xxas)
fiptvoro rrv k~vfXf*ax(av xal rj Oranna ftaXiora 6uXv&r^ ixtivov anagayros.
CIA. I n. 189 Z. 19. 20 ovrot %6ooav arganjyoTs Ntxfq Nucfjgarov Kv6«vr(6^
AvOtoroarq) 'Epntöov 'Oij9ev.
128. (S. 609). CIA. I n. 181 Z. 3. 4 nag46oaav - - orgarijyy is ra
inl Sgtfxrjs XatQtjtuovi XagtxXiovs Uutavitt. Methone: Thuk. VI 7. Euetioo:
VII 9; vielleicht die beim Schol. Aiseh. II 31 erwähnte fünfte Expedition vgl.
Weissenborn Hellen S. 173.
129. (S. 611). Zug gegen Melos: Thuk. V 84—116. Nach Kirchhof
bezieht sich hierauf CIA. I n. 54; ferner CIA. 1 n. 181 Z. 6. 7 inl rijs'Avrio-
Xt6os - - ngvravevovcrjs nag£6optv argarr/yots is MijXov, Tttaia Tnoi-
paxov K((faXr}&tv, KXtofitj6u Avxofxtfovs 4>Xvtt ipr)<f4<Jautvov rov 6qfiov
rr,v X6(tav 6txa rdXavra. Alkibiades und die Melier: Bahr au Plut. Alkib. 15.
Hertzberg Alk. S. 117.
130. (S. 614). Böckh Staatsh. I3, 361 f. Dodonäisches Orakel ZtxfXSar
olxituv von den Athenern missverstanden: Paus. VIII 11, 12. Vgl. Uber den
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ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BUCH. 869
Hügel Sikelia bei Athen LoUing Niet 'Ellas 1874 n. 3, dem ich mich in
dem 'Atlas von Athen' angeschlossen habe. — In der Trier en Versamm-
lung (Ariat. Eq. 1303) theilt die älteste Triere ihren Schwestern daa er-
schreckende Gerücht mit, Hyperbolos habe zum Zage gegen Karthago 100
Schiffe gefordert.
131. (S. 616). Thnk. VI 26: ägu «wlifo** 17 nolis lavrijv ano jijs
voaov xttl tov tvvexove nolipov U n rltxfag nlfj&oe intytyerqpivtis xal
is ^^uoctcüv aSgotcrtv Stet tijv ixexetQüxv, atore fiifov ndvta ino^tro.
Nach Abschluas des Nikiasfriedcns verwendet Athen die Ueberschiisse seiner
Einnahme dazu den mit Ausnahme der 1000 Talente aufgebrauchten Schatz
wieder zu erneuern. ravrrjv 117V «/(njyijv inraxioxilta fite vofdofutjos
*ls tt]V axqonoUv ctvrjviyxttfitv, — xctl tfoqog nqoöyn xar' ivtavrov nliov
17 öutxoaia xal xiltet tältevra. Andoc. de pace 8 f. Vgl. Kirchhoff Gesch. des
Schatzes S. 47 f.
132. (S. 619). Euryptolemos: Plut. Perikl. 7. Alk. 32. Eros xtqawotpoQoe:
c. 16. Agatharchos und Taurcas: c. 16. Hipparete: c. 8. Vgl. Hertzberg
S. 126. Missbrauch der Festgerathe: c. 13 nach einer von A.'s Gegnern aus-
gehenden Flugschrift (Zöyoc xar' jilxißuxo*ov xctl tPa/ctxoe yiyqafiuivos).
133. (S. 621). 'InnotQoyla: Hertaberg S. 123. Heber Alkibiades' Sieger-
porträts a. Benndorf Vasenbilder S. 15.
134. (S. 622). Von dem Einfluss des AI Üb. auf die Erhöhung der Tribute
weifs nur die pseudo - aadokid. Rede gegen Alk. 11; Plotarch im Leben des
Alk. weifs nichts davon. Plut. Alk. 12 darf nicht so verstanden werden, als
ob die dort erwähnten Städte durch Geschenke an Alkibiades eine Erhöhung
der Tribute hätten von sich abwenden wollen; denn Cbios war autonom und
zahlte in Folge dessen überhaupt keinen Tribut, ebenso wenig Metbymaa,
während das übrige Lesbos Klerueheobesitz war.
135. (S. 623). Enrip. und Alk.: Herbst Rückkehr des Alkib. S. 26.
Hertzberg S. 130. Eupolis' Ba7rta(: Meineke Quaest. scen. 1, 42. Die geheimen
Clubbs biefsen hatquat {kretiQ(ai) oder (watfiooiat Inl dVxoic xal «QXtus.
Krüger Dionys. Historiogr. p. 363. Vischer die Olig. Partei S. 16. Die Ver-
pflichtungen der Clubbisten unter einander galten für die engsten und heiligsten
aller sittlichen Bande. Thuk. III 82 tö fryycvhg tov iiatqtxov ixIIotquotcqov
lyivito «fwr t6 hotfioxtQov tlvai anQOtpaoiotvg xolfi^v. ov yctQ ftira tüv xiifii-
vutv vofxav totptl/agal loutvrat £t/yodo«, dllct naqd tovg xa&fortotag nltovi&a.
— Eine den Gesetzen widerstreitende Machtaneignung ist der Zweck; daher
die Verpflichtung zu rücksichtslosem Vorgehen.
136. (S. 632). Antiphon: Köhler Del.- Att. Seebund S. 150. Peisandros:
Meineke Fr. Com. I p. 176. Cbariklea: Thnk. VU 20; vgl. Wattenbach de
Quadring. Athenis fact. p. 11. Andokides: Blass Attische Beredsamkeit I2
S. 280. Der Urenkel des im Kampfe gegen die Tyrannen bewährten Leo-
goras aus altatt. Geschlecht, dessen Gastfreundschaft berühmt war; geb. c. 440;
vor 415 in der Hetärie des Eupbiletos; verfolgt durch Peisandros und Cha-
rikles, deren Pläne er gekreuzt hatte; dann war er in seinem unataten Leben
Kaufmann auf Kypros und kehrte bei der Amnestie nach Athen zurück, wo
sein elterliches Haus in den Besitz des Kleophon gekommen war. Andok. 1, 146.
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S70
a»ierkux;e> zum vierten ruch.
137. (S. 628). Die Ath. in Egesta getäuscht: Thuk. VI 46. — Auf den
1. Kriegsbeschluss c 8 wird vod Kirchholf die in CIA. I n. 55 erwähnte Aus-
rüstung von 60 Schiffen mit dazu gehöriger Landmacht bezogen. — CIA. I. n.
182 Z. 8-14 enthält 3 nach einander erfolgte Zahlungen für die sicilische
ExpeditioD aus dem Jahr des Archoo Arimoestos argaTijyots ic ZtxtUav, 'Alxt-
ßtädr}, Aafxax^i jim/ufay 'fy/tety- Der Umfang der Lücke ergibt,
das» aufser dem INaiuen des Nikias wenigstens noch zwei weitere hier ge-
standen haben. Bei der Expedition waren also wahrscheinlich sechs Strategen
betheiligt, von denen aber nur die bei Tbuk. VI 8 genannten Alkibiades, La*
machos, Nikias ai^airtyol nvroxgäroQes gewesen sind.
138. (S. 630). Nikias* Rede: c. 9-14. Alkibiades' Rede: c. 16-18.
139. (S. 632). Zeitfolge der Volksversammlungen: Droysen Rhein. Mus.
1835 S. 163. Leber das Zusammentreffen mit den Adonien ist Piut. Alk. 18-
unbestimmt, um so bestimmter Arist. Lysistr. 380. Da nun die Adonien selbst
ein Sommerfest waren (Plat. Phaidros 276 B), so muss man wohl verschiedene
Akte der Adooisfeier annehmen, einen im Frühjahre, den anderen im Hoch-
sommer.
140. (S. 632). Intrigueo gegen Alkibiades: Hertaberg S. 167.
141. (S. 637). 7f iüv 'EQfiüv ntpxonrj (EQpoxontfat-. Aristopb. Ly-
«istr. 1094). Quellen: Thuk. VI 27 ff. 60 ff. Plutarch im Alkibiades (aus Ephoros
■ach Fricke). Aadokides' R. über die Mysterien und über seine Rückkehr.
Isokrates or. XVI. — In seinem geschichtlichen Znsammenhang ist das Ereignis»
zuerst von Droysen aufgcfasst worden (Rbcio. Mus. III u. IV). Datum der Zer-
stören gs na cht: Neumond Plnt. Alk. 20. Diod. XIII 2. Darnach die chronol.
Ordnung. Sie fallt, wenn Grote (7, 270; D. Ueb. 4, 153) Recht hat, dass An-
dokidea den Neumond habe erwähnen müssen, wenn es sich so verhalten hätte.
Auch wäre Diopeithes' Lüge zu plump gewesen. Vielleicht hat er nur von
Moodlicht gesprochen, nicht von navaü.fjvoi1 wie man später sagte, um die
Sache pikanter zu machen. Nach Götze (Jahrb. f. klass. PhiloL Soppl. 8 S. 577)
Junius 8 — 9. — Wenn ich als Urheber des Skandals oligarchische Clubbisten
annehme, so bin ich doch weit entfernt, darin von Anfang ao ein oligarcbisches
Intrigucustück zu sehen. Die Ausbeutung zu politischen Zwecken war etwas-
[Nachträgliches und wurde allmählich zu einer Anfeindung des Alkibiades; sie
ging nach Isokrates von den Oligarchen aus (or. XVI 347 «Karree facta iv
ör» Ji« roi/g avrove aVcfoar rj re dn/uoxoaTÜt xartXvdt] xaxHvac (jAlx.) (x
rrjg noletos iiimaiv). Dies war die für Alkibiades günstigste Auffassung.
Sie war auch eine durchaus gerechtfertigte, welche damit nicht in Wider»
spruch steht, dass Thuk. VI 15, 89; VIII 47, 50, 60 den Demokraten die Ver-
treibung des Alkibiades zuschreibt. Diese Ansicht als die allein richtige ver-
tritt besonders Gilbert Beiträge S. 253 ff. Der Widerspruch löst sich durch
die Annahme, dass zwischen Oligarchen und Demokraten eine unlautere Coa-
lition eingetreten war. Wir haben es ja nicht mit klaren und Testen politischen
Charakteren zu tbun. Peisandros aus Acharnai (Gilbert S. 255), Held der
gleichnamigen Komödie Piatons, würde nach meiner Ansicht bei den 400 keine
Rolle gespielt haben, wenn er von Hanse aus Demokrat gewesen wäre. Er
w ie Cbarikles (Gilbert S. 258) gehören schon zu denen, die dem Parteiinteresse
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ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BÜCH.
871
gemäfs äufserlich Farbe wechseln. Kleooymos, $tipaoms Aristoph. Wolken
353, vgl. Wespen 19 tf. — Androkles o Iludths Aristot. Rhct. 102,. 21.
AvÖQoxUa — iov 6r\fiov fialtcna ngoiartSra — oaneg xal ibv siktißiddrjV
oi'x rjxtara t^aat: Thuk. VIII 65. Polemareh wohl in Folge seines Antheils
am Mysterienprozess : iv ö*i ötxooraaty xav livdgoxXiijs noXtfiaq^oZ Meinekc
Com. II 14. — Pythonikos' Anzeige bei der Volksvers.: Andoc. de myst. 11.
— ? Religiöse Ausbeutung: Lobeck Aglaophamus 1024. — Polytioo: Plut.
Alk. 19.
142. (S. 639). Abfahrt der Flotte &(qov{ /utaovyros ijJn (Thnk. VI 30),
noch jtQifivr^aiov agxovroc Isaios IV 14 p. 77 ed. Schümann, Rh. Mos. 4
S. 170. CIA. I n. 182 vgl. Anm. 137. — Ueber die GrbTse des Aaszugs fiöckh
Staatsb. 1«, 334. Vgl. Wölfflin im N. Schweiz. Museum 1886 S. 251. Flotte
nachSicilien Thuk. VI, 43: 134Tricren, 40 athenische OTQautortfog, 60 Schnell-
ruderer, 34 eidgenössische. Bemannung: a) Hopliteo. Die 700 athenischen
9t[zeg = Epibaten der 60 alh. Schnellruderer ä 10 Mann (% Reserve pro Schiß")
Epibaten der eidgeoöss. Schiffe 340 + 57 = 397, rund 400, also zusammen
1100 Epibaten, es bleiben 4000 mtofxaxovvtis, den 40 tfroaiuoiidts ent-
sprechend urgaxts x^*01 VI, 31, wie in Epidauros unter Perikles, darunter
1500 Athener aus dem xataXoyot. Plut. Alk. 19: ?ß*o*, Fremdenlegion:
500 Argiver, 250 Mantineer, 250 Arkader, 1500 vnrptooi (cf. VIII 24) =
4000. b) Leichtbewaffnete: 1300 Schleuderer, Bogenschützen.
143. (S. 640). Quellen für die sicilische Expedition: Hülm Geschichte
Siethens 2 S. 312f. Thuk. VI u. VII selbständige Darstellung vor dem Ende des
Kriegs entworfen und dann, nachdem sich die Zeit nach dem Nikiasfriedeu,
tnonros ayoxw/i} (Thuk. 26), als Kriegspause erwiesen hatte, in die Ge-
schichte des ganzen Kriegs, wie er sie nach Beendigung; desselben unter-
nahm, eingefügt, Kirchhof Sitzungsber. 1884 S. 416. Ankunft in Unteritalien:
Thuk. VI 44. Holm 2 S. 20.- Kriegspläne : Thuk. VI 47. Salaminia: c. 61.
Plut. Alk. 21.
144. (S. 644). Tyrannenangst wegen Alkibiades: Thuk. VI 15, 28. Hippias
redivivus: Philochoros Fr. Mist. Gr. I 402. — Denuneiationen : Thuk. VI 53
oi) öoxifiäCoviti rote ut]Ynäs aXXa navxa vnonnas anoäexopevot, Stcc no-
vrjgtov av>onoiV ntativ (Diokleides und Teukros: Plut. Alk. 20) navv
XotjOTOvs iöüv noXtnov {vklapßavontg xariSovv, XQr)atfl^IiQ0V vyovfitvot
iivat ßaaavfoat ro ngäy/na xal tugtiv % <f*a fit\vvjov novr]g(av uvä xal
XQrjaiov Soxovvta ttvai altut9ivia aviXeyxrov ötaipvyeiv. — Argos, Lake-
dainonier am Isthmos: Thuk. c. 61. — Diokleides' Anzeige: Andoc. de myst.
37 ff., im Prytaneioo: § 45. — Suspeosion des Psephisma des Skamandrios,
der athenischen Habeascorpus-Akte : Andok. § 43. Meier und Schümann Att.
Proz. S. 635. Gilbert Beitr. S. 271. — Verhaftung des Eukrates, Kritias,
Leogoras, Aodokides: de myst. 47. — Audokides' Aussage ist so aufzufassen,
das« er sich entlasten will: de myst. 48 tf. vgl. Thuk. VI 60. — Herme an
A'. Haus (Plut. Alk. 22) nicht die einzige, welche unverletzt geblieben: Kirch-
hof Hermes 1, 9. — Wortlaut der tloayytXta des Thessalos wider Alk.: Plut.
Alk. 22. — Cnntumacialverfabren (igrjfir) öVxtj) gegen Alk., Verurteilung, Fluch
der Priester: Thuk. c. 61. Plut. c. 22. — Resultat der Untersuchung über
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ANMERKUNGEN ZUN VIERTEN RUCH.
den Hermenfrevel: to acupkq ovdt\$ ovre tote ovre Zotiqov t/a kinttv ncpl
rcüy ÖQaaavrofP 16 tqyov: Thok. c. 6JL
145. (S. 645). Geseti des Syrakosios: Sehol. Arist Vögel 1297. Aristides
III p. 444 Dd. Das letzte Scholion ist zu verworren, am daraus über Alkib.
etwas folgern za können. Syrakosios als wilder Demagog in Enpolis' ü6ltt(.
'x/rra' in den Vögeln 1247. Spezielles Verbot auf die Hermokopiden be-
züglich nach Droysen (Rh. Mas. 4, 59). Den Oligarchea lag am meisten daran,
ut ne sna flagitia palam castigarentnr (Cobct Piaton. Reliqn. 41). Gilbert
S. 2Üi sucht die versteckte Parteistellnng der drei Dichter aufzuspüren; sie
waren 'Gegner der Partei, welche den Hermokopidenprozess in ihren Interesse
ausbeutete'. Durchschimmernde Beziehungen auf die Zeitbegebenheiten in
den Vögeln: Hermenbesudelung Vers 1054 Salaminia V. 1202. Prämie für
Tödtung eines längst verstorbenen Tyrannen 1071 (Verhöhnung der Denuncia-
tionspramien Andok. 27). Im Monotrop os: Warnung an Hermes, dass er nicht
umfallend sich verletze und eine Denunciation veranlasse (Meineke 2j 601).
Die Kfo/uaaxai haben vielleicht am kecksten versacht die Tagesehronik 'zu
streifen. Wenn sie dennoch der Gefahr glücklich entgingen, so war dies
vielleicht ein Grund, ihnen den Preis zuzuerkennen. Hypothesie L zu den
'Vögeln1. — Die strafende Tendenz der Vögel hat schon richtig hervorgehoben
Köcbly, über die V. des Arist. 1857.
1ÜL (S. 648). Die Athener am Olympieion : Thuk. VI 6JL Holm 2.
S. 2L a&L
147. (S. 650). Hermokratea und die neuen Strategen: Thuk. VI 72 f.
Verschanzungen der Syrakusaner: c. 75, L Syrakus hatte einen Doppelhafen.
Am südlichen, grofsen, in den die Athener einfuhren, lagen die nalatol v&tog-
o*xo* (VII 25), welche beibehalten wurden, auch nachdem in dem kleinen,
zwischen Ortygia und Achradina gelegenen das Arsenal (vt^Qtov VII 22] an-
gelegt worden war. Nur der Kriegshafen im grofsen Hafen bedurfte des
Schutzes durch Pallisaden. Holm 2^ S. 382.
148. (S. 652). Verhandlungen mit den Kamarinäern: VI 75, 2» Heriuo-
krates: c. 76 fl*. Euphemos: c. 82 — 88. — Ueber die Kastelle am Aetna:
Schubring, Zeitachr. für allg. Erdkunde IT, S. 451.
14fl. (S. 665). Geldsendungen von 300 Talenten aus der S. Prytanie von
9T, Ii CIA. L a. 183, v. 13, 11 (nach Kirchhofs Ergänzung): Z. 11 R tn\
rift 'Avrioxtöos oydotjf n(>VTavevovot}S rplrn [fjfi^Qq rrjs nQv]xav(kti' Klkijvo-
lafilats xal naQ{6(>ots, %AQiaioxQ[at)ti Evwvfxtl xal 1-vvaQxovoi H[HMj.
ovrot Jk töoanv [rp iv £txtUq o]TQ<tTHj. Z. 15. IiL inl rijs i*w«o/f<fof
öyöotie riQvravevovarji tlxoo[irj i)u((Mf rfje 7TQ]vxavtüts ' ElXqvorafitais xal
7ra{>{$Qots lAQtOTXQOctitt Evcjvv/ufi xal tvväqxovai, (s ritf yttvs ras is
llav 6taxoftiovoa]s to xQrjfutra TTTXX. s. Thuk. VI M. — Einnahme von
Epipolai : Thuk. VI £L Holm 2, S. 2£L Ueber Labdalon und Syke Schubriag
die Bewässerung von Syrakus im Philol. XXn S. 629; über Leon S. 632, —
Benutzung der Wasserwerke durch die Athener S. 629. Verschüttung oder
Ablenkung derselben: SUip&iiQttv toi/j u/ttovs Thuk. VI 100. Darum wurden
die Wasserwerke später ganz in die Ringmauer eingeschlossen (Phil. S. 630).
— Ueber die Belagerungsniauern der Athener Holm 2, SiSf. — L Gegenwerk
ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN RUCH.
ST 3
der Syrak. wahrscheinlich südlich vom KvxXoc Holm 2± S. 389; 2. ebenfalls
im Süden, aber naher beim Meere.
150. (S. 656). Das« Alkibiades' Flacht seinen Feinden erwünscht war,
nimmt aoeh Grote an 4* 163 D. U.
151. (S. 659). Alk. in Sparta: Hertzberg S. 220—251. — Anssendung
des Gylippos: Thuk. VI 9JL IM. — Aoyoi (vfißanxol wegen Uebergabe der
Stadt: 10JL
152. (S. 661). Gylippos in Sicilien: Thuk. VII L Holm 2^ S. 38 f. Fall
von Labdaloo: Thok. c 3, üeber das dritte Gegenwerk Holm 2^ 392ff. Nikias
auf Plemmyrion: c. 4— 6. Plnt. Nik. HL
1S& (S. 666). Winter: Nikias' Brief: Thuk. VII ü — Eorymedon mit
120. Tal., fahrt nach S. negl rjUov iqonhg rag /MjUfpmic: & nn^ kommt
dann dem Demosth. wieder bis zor akaro. Küste entgegen: 3_L Eroberung
von Plemmyrion: 21—25. — Zweite Seeschlacht: 37 — 41. intottfa (Storm-
balken) an den verkürzten Schiffen : c. 3JL Graser de re nav. vet p. 24.
Philologns 1871 S. 35.
154. (S. 670). Demosthenes' Ankauft: Thnk. VH 42. Sturm auf Epipolai:
43 ff. Mondfinsternisse Thuk. 5JL Diod. XIII 12. Plnt Nik. U antvtx&tvtov
ts Aißirriv Thuk. VII äfi erklärt Cox 2, 613 gegen Niebuhr Vöries, üb. alte Gesch.
2j 130, die Sp. seien nach Libyen verschlagen worden. Seeschlacht, in welcher
Eorymedon fällt: Thok. 51—54. Hafensperre: 5JL Letzter Seekampf: 61—71.
155. (S. 672). Ueber den Rückzog der Athener Leake Transaotions of
the R. Soc. of Literature. See. series III. S. 32üff. Holm 2^ 397 ff. Holm
bestreitet für den Rückzog der Athener die Richtung nach der Ostküste und
will Diodor XII 18. nQorjoccv inl Katdvijs für ein Missverstäadniss der Worte
des Thukydides VII 8ö rjv 3 (ufttTttaa odtöc avrij ovx inl K. re) otoot«iJ-
fxari xtL erklären. Aehnlich Classen. Ich kann mir aber nicht denken, dass
die Athener einen anderen Zielpunkt als Katane haben konnten. Sie mussten
einen Umweg machen, da ihnen durch das im Besitz der Syrakusauer befindliche
Epipolai der directe Weg an der Küste abgeschnitten war. Sie gingen daher
die alte Strafse nach Akrai, in der Absicht vor Akrai rechts abzubiegen; die
ältere Strafse ging noch unlängst durch die Cava di Culatrello; am Westen de
der Schlucht liegt Bibbio am Monte Grosso (axQatoy Unat). Die Sikuler der
Mesogaia (Minoa, Palikoi) hatte man zuerst im Auge ; nachher hoffte man noch
auf die seitwärts wohnenden (Motyke, Hybla, Heraia). Kakyparis ist der fiume
di Cassibili.
156. (S. 675). Die & Tage bei Plut. Nik. 31 sind richtig trotz Grote 4,
S. 21LL Dass wirklich Leute in Syr. waren, welche mit N. im Einvernehmen
standen, zeigt Thuk. VII 86j doch geht daraus nicht hervor, dass sie es ehr-
lieh meinten. Die Asinaria sollen sich bis heute als Fest erhalten haben,
Smith Dict. of Gr. and Rom. Geograpby 1 241L In Bezug auf das Ende des
Nikias und Demosthenes steht Timaios mit Thuk. VII &£ und mit Philistos
nach Plutarch Nikias 28. in Widerspruch. Man kann sich wohl denken, dass
Timaios Alles gethao hat, um die Syrakusauer and namentlich Hermokrates
möglichst vorteilhaft darzustellen. Th. hat Nikias' Ende nicht berichten
können, ohne die kalte Objektivität des Historikers zu unterbrechen, um der
AMMEHKUNGE?! ZUM VIERTEN BUCH.
herzlichen Theilnahme an dem unverdienten Schicksale des Feldherrn und der
Anerkennung seiner sittlichen Größe einen kurzen aber tief empfundenen
Ausdruck zu geben (yxiora 6h n£toc itov yt In* Ijtov 'EXlrptov lg xovto
arv^ittg aqtxfodtu öta zr)V näaav lg «piTqy vtvofitaftivfjv Intrtj&tvatv). —
Latomien: Cic. in Verr. II 5, 27. Holm 1^ 127. — Rettung Einzelner nach
Katane: Lys. 20. 24, Athener als Hauslehrer: Euseb. c. Marc. ed. Gaisf. p. 29.
15_L (S. 678). Ponische Feldzüge in Sicilien : Diodor XIII 54. Holm 2j S. 89 ff.
158. (S. 681). Zustände in Athen: Thuk. VIII L
L5JL (S. 685}, Dareios Nothos nach Diod. XII U, Thuk. VIII 5* uod
dem Kanon seit Dec. 424. Amorges' Abfall: Thuk. VIII 5. Tissaphernes
axQartjybs ruv xano: VIII a. Vgl. Nikolai Politik des Tissaphernes. Bernburg
1863. Pharnabazos und Kalligeitos: Thuk. VIII 6, Panakton : V 32 f. Myka-
lessos: VII 2JL
160. (S. 6881, Pythodoros: Thuk. VI IM. — Einfall des Agis in Attika
(rtQoe ßQxofttvov nQwtTaia) und Befestigung von Dekeleia: Thuk. VII ÜL —
Eine genauere Darstellung von Dekeleia und Umgebung s. in meinen Sieben
Karten zur Topogr. von Athen Taf. L — Gesamtzahl der entlaufenen Sklaven
(meist Handwerker) über 20,000 : Tbuk. VIII 2L Böckh Bergw. von Laurion
1814 S. L2JL Mildere Sklavenbehandlung: Arist. Wolken 5. Angebliche Ver-
ordnung darüber nach Anon. Probl. Rhet. 5JL (Walz rhet. 8 p. 41 1). Meier
de bonis damnatorum p. 5JL — Nur bei Thuk. VII 26 erwähnt wird ein
Unternehmen des Demosthenes, als er 413 schon auf der Fahrt nach Sicilien
den Peloponoes umfahrt: «r/orwc lg tot xaranutQV Kv&Tj(Hov lijg Aaxtavix^g,
fv9u t6 Uqov rov 'AnolXojvog fori, irjg re yijg lotiv & tdytooav xal Ittt^atcv
io&ptüdis u /toQtov (viell. Onugnathos: Peloponnes 2, 330), Tva rfij ot «
E\k(oxig itüv AaxtticHfjiovtiov avtoae ainofioldai xal apa JIjjotoI lg aviov
waniQ Ix rfjg Hvlov, aqnayrv nottävtat.
161. (S.688). Elxoarrj tüiv xarä »alaooav (Thuk. VII 28^ mit der
ein neues Princip in Behandlung der Bundesgenossen versuchsweise angewendet
wurde, ist Ol. 9^ 4j 413 eingeführt nach Böckh Staatsh. 2^ SJ&ÜL Ein
Eikostologe wird noch in den Fröschen V. 263 verwünscht; 92, 4 sind nach
Xen. Hell. 1 3, 9. wieder Tribute erhoben worden Böckh a. O. Köhler S. 152.
Gilbert S. 288 ff. sucht nachzuweisen, dass bis zum Ende des Kriegs die elxomrj
gezahlt worden sei.
162. (S. 690). Neben Hagnon (Thuk. V IS. 24. Plut. Per. 22. Lys. XII
65} kennen wir als Probulen einen Sophokles (Arist. Rhet. HI 18), welcher
von den Meisten für den Dichter angesehen wird ; ich kann mich nicht dazu
entschließen. Wattenbach de Quadringentorum Athenis factione p. 22 denkt
an den Sohn des Sostratides (Thuk. III 115). Die Probaten scheinen ihr Amt
über Jahresfrist ausgedehnt zu haben.
163. (S. 691). Marcellinus Leben des Thukyd. 6 Bk. Hermes 13, 431 :
Heimkehr der attuoi. Vgl. noch Kirchhoff über die Poletenurkunde aus OL
91^ 3 in den N. Jahrb. f. Phil. 1860. S. 242.
164. (S 693), Spartas Kriegspläne: Thuk. VIII 8 f.
165. (S. 695), MtlayxQtfyi: Thuk. VIII iL Die Korinther : & Alkibia-
des in Chios: 14.
ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BUCH.
16JL (S. 6%). Chios und Athen: Schol. Arist. Av. SSO, Enpolis io
Fragin. Com. 2j aüH: xaXij noXig — nipnu yttQ y/uiv vavg /uaxgäg avÖQag
oxav cftijtfij xai lall« 7itt&ttQ%ti xaltug, anXtjxxog toontQ Xnnog. — Nach
Herbst Rückkehr des Alkib. Hbg. 1843 S. 5J wären die IM besten Trteren
(Thnk. II 21) damals noch vorräthig gewesen. Aber warum spricht denn
Thuk. nur von Geld ? — Zahlung ix rtav x'^0** raXantov tuvf] (ig rag
TQijjQiig w* naQtlaßoptv TtaQtt tojv nQoxiqtov iit/uuör. Böekh Staatsb. 2 ^ 65.
CIA. I n, lb4. A. v. 5.
lfiL (S. 699). Castell bei Teos: Thnk. VIII lü. Alk. in Milet: c. 17.
Plnt. Alk. 24. Erster Snbsidienvertrag : Thnk. VIII 1Ä. Vgl. Nikolai Politik
des Tissaphernes, Bernborg 1863. AI n^ürai i-uv&ijxat, al ngog Xakxiättt
ytvofttvat Thnk. VIII 36^ 4. Kirchhoff Sitzungsber. 1884 S. 3Mi Ueber die
von Thukydides benutzten Urkunden. Die Redaction des ersten Vertrags
wird von ihm auf Alkibiades zurückgeführt, den Vertrauten des Chalkideus;
daher die Abfassung in att. Sprache S. 410. Durch Alkibiades ist dann auch
der Wortlaut bekannt geworden.
168. (S. 701). Revolution in Sa mos: VIII IL Vgl. C. Cortius Urkunden
zur Geschichte von Samos. Wesel 1873 S. L — Belobigung der Samier: CIA.
1 56. Phryoichos: Thuk. VIII c. 2L Hermokrates : c. 2iL Amorges: .c. 2S.
Therimenes: c. 26, Revision des ersten Vertrags 2t* &i\(H(xivovg nuQÖviog:
c. 2fi Kirchhoff a. 0. IM, Wortlaut bei Thuk. VIII 22 anomal xai tptXia,
onovSal QrjQipfvovg c. 4iL 52.
169. (S. 702). Ueber die Soldbeträge Bbckh 1«, 2S& Herbst S. fi.
170. (S. 703). Alk. und Timaia auf der kom. Bühne: Athen. 541 D. Bahr
zu Plut. Alk. p. 'ML Alk.' Flucht: Thuk. VIII 45. Heitzberg Alk. S. 249 f.
C. F. Ranke zu Meinekes Aristopb. p. xlvii.
171. (S. 705). Alkibiades und Tissaphernes: Thuk. VIII 4JL Plut.
Alk. 24,
172. (S. 708). Zeit der Lysistrate: Jaep, quo anno et quibus diebus
Lys. atque Thesmophoriaznsae doctae sint 1859.
173. (S. 711). Phrynichos' Absetzung: Thuk. VIII 51,
174. (S. 713). Verhandlungen in Magnesia: c. 5JL Der Symbole Lichas
des Arkesilaos Sohn: Thuk. VIII 39^ 52*
175. (S. 714). Das Programm der Oligarchen lernt man aus der pseudo-
xenophontischen Schrift über den Staat der Athener kennen, welche nach
Kirchhoff Abb. d. Berl. Ak. 1874 S. lff. und 1878 S. 1 ff. von einem uns un-
bekannten Athener oligarchischer Gesinnung abgcfasst ist in der letzten Zeit
des Archidamischen Kriegs Dach Besetzung von Pylos und vor Brasidas* Er-
folgen in der Chalkidike. Bergk Griech. Litt. 4, 220 findet Anspielung auf
den Hermenfrevel und setzt die Schrift Ol. 91, 2, — Unklare Stellung zw. Oli-
gareben und Demokraten, gegenseitiges Misstrauen: Thuk. VIII 66^ wobei Gil-
bert S. 2_5_I sehr richtig au Peisandros erinnert. Kirchhoff über den dritten
Vertrag S. 40JL
175*. (S. 717). Antiphon lange Zeit nur durch seine schriftstellerische
Kunst bekannt; er wollte im Dnnkel bleiben. Daher der MaDgel ao Nachrichten.
Das Plutarebische Leben ohne Kritik mit Verwechslung gleichnamiger Personen.
ANMERKUNr.E>' ZUN VIERTEN BUCH.
Hauptstelle Thuk. VIII fiS* AU bezahlter Lehrer aod Redenschreiber geldgierig
nach Plato 'Peisandros', Plut p. 833.
170. (S. 719). Versammlung auf dem Kolonos: Thuk. VIII &L Anspielungen
in den Thesuiopboriazusen : V. 31, 361, 808, 1143. Dreifsig avyyga(f>el( nach
Philochoros bei Harpokration avyyg. und Thuk. c. CT, nach der von C. Fr. Her-
mann vorgeschlagenen Aenderung (A für J). 5000 als eine passende Zahl
für die zum aktiven Bürgerrecht Berechtigten war schon früher in den Partei*
Versammlungen angenommen c. fiüJ ovri [it&exiiov itov nQttyjtaiötv nltiooiv
fj ntnaxta/iltois. Zahlreicher pflegten die Volkaversammlungen in der Regel
nicht zu sein c. TL Man schien also in billiger Weise aueb den nicht zu
den Clnbbs Gehörigen einen Antheil an den Staatsgeschnften gönnen zu wollen.
Die 5000 sollen navxtq tv re7 fiigu /ifiY^tiv c. Sfi d. h. der Reihe nach
in den Rath der 4Q0 gelangen (sc. tifc noltus oder r«uv nQttyfiutwv)
W. Vischer KI. Sehr. 1221. Sitzungsgelder tagweise gezahlt: Bockh Staatsh.
1^ 2S iov vnoXoinov jfpdi'Oü navtos c. üiL Ueber die ganze Revolntion
Wattenbach de Quadringentorum Athenis (actione 1842.
177 (S. 727). Gesandte an Agis: Thuk. VIII 70f. Die samischen Oli-
gareben: c. 63, HL Hyperbolos (S. 603), wahrscheinlich für die samischen De-
mokraten tbätig, wird während des Aufruhrs auf Anstiften des oligarchisch
gesinnten Strategen Charminos umgebracht. Die Flotte: c. 72 — 77. Chaireas:
c. 14* Thrasybulos und Alkibiades: c. 8_L Athen in Sainos: c. ÜiL
178. (S. 728). Spaltung der 4QQ in Gemüßigte und Ultras: c. 87* Des
Protagoras Ankläger Pytbodoros tlg rc3v TtTQtntootwv Diog. Laert. IX 55.
Brandis Gesch. der Philos. I 525. Meier Opusc. 1 232 rückt den Prozess in
die Zeit der Hermokopiden. Beistimmend Sanppe zu Plat. Protagoras p. VI.
Ueber die iberischen Bogenschützen Bergk Comm. de Re). Com. att p. 3-43. sq.
HiL (S. 731}. 'HtTttovita: Thuk. VIII 9JL G. Hirschfeld Peiraieas in
Ber. d. Sächs. Ges. d. W. 1878. Abmaueruog der fiaxgä aroa auf der
Eetioneia ebenda. Milchhöfer Text zu den Karten von Attika Heft I § 49.
Pbrynichos' Ermordung: c. 92. *Ev tij ayoqq Ttkrj&ovOij keine Zeitangabe
(wie Prap. und Artikel zeigen); daher kein Widersprach zwischen Thuk. und
Lykurgos g. Leoer. § 1_12_ {vvxio>q)} wie ihn Bergk Zeitschr. für Aiterthumsw.
1847 S. 1110, Kirchhoff im Philologus 1858 S. 18, Rauchenstein Binl. zu Lysias
XIII S. 5ii Ausg. 5 u. A. finden. Nach der Mittagspause begann sieh der
Stadtmarkt voo Neuem zu füllen, und es wogte daselbst zur Sommerzeit bis
in die Nacht hinein. Vgl. meine Attischen Studien 2j S. 44.
180. (S. 732). Verlust von Enboia: Thuk. VIII 91-95.
181. (S. 733). Gegenrevolution : c. 9JL Die Athener ot>x yxtora töv
nQÜTOvxQovov tn( y* Ifiov tpaCvoviiu tv nohuvaavrts: äL Alkibiades zurück-
berufen unter Theramenes' Mitwirkung auf Antrag des Kritias: Plut Alk. 32
(yvoipri fj o*f xaTrjyay', tyu tuvti)V iv «naatv tlnov). Com. Nep. Aleib. L
Diod. XIII 3JL Ueber die Nomotheten Schömann Opnac. V> 2ML Bergk zu
Schillers Andokides S. 145.
1S2. (S. 734). Aristoteles über Theramenes bei Plut. Nikias 2.
L&L (S. 737). Verlust von Oinoe: Thuk. VIII ÜSL Aus dem Archootat
des Theopoop 411 ein xpryf HJ/bia mgl "AviHptövTos roxi (Jijro^oc (Hpc. Avritfeor)
Anmerkungen zum viertel buch.
877
bei Krateros (au* Cacilias bei Plut-Xor.). Blass I3 99. Charakteristik An-
tiphons: Thuk. VIII 68, 1 — 3. Seine Rede mol fj(iaaräa§ojs nach Thuk.
c. 68 die beste Verteidigung des Staatsstreichs. In den Bruchstücken der-
selben (Harpokr. £iaattati)S , 'Ejunoötov) seheint auf eine ungerechtfertigte
Trennung der betheiligten Personen hingewiesen zu werden; darauf führt
die Unterscheidung der tvquvvoi und der Joptyo'po*. — Onomakles, der Dritte,
welchem der Proiess gemacht wurde, hatte sich vorher entfernt. Leben der
10 Redner 833.
184. (S. 738). Pbryoichos: Lykurg, gegen Leokrat. 113. Der Volks-
beschluss zu Ehren der Mörder aus dem Jahre des Glankippos 92, 3 ist in
einem Bruchstücke CIA. I n. 59 erhalten, das von Bergk (Zeitschr. für A. W.
1847 S. 1099) entdeckt und von Kirchhoff (Phil. XIII S. 16 und Monatsb. der
Berl. Akad. 1861 S. 603) hergestellt worden ist. Die Namen bei Lysias 13,71,
der sich auf das öffentliche Schriftdenkmal beruft und Lykurg, geg. Leokr.
§112. Dagegen nennt Plutarch Alkib. 25 nur Hermon, Thukyd. VIII 92 neunt
nur einen nBQlnoXoq: Scheibe die olig. Umwälzung S. 50, Anm. 5.
185. (S. 739). Alkibiades an der karischen Küste: Thuk. VIII 108.
Plut. Alk. 27. Da die Gelder von den Bandesgenossen in Asien und dem
Archipelagus nur theilweise nach Athen gebracht werden konnten, mussten
die Athener sie selbst einziehen. Dadurch entstand in Sa mos eine Kriegs-
kasse, an welche von den Schatzmeistern in Athen Anweisungen ergehen
konnten: t« ix Ziipov CIA. I n. 188. Vgl. Böckh, Staatsh. 23, 21. Kirchhoff
Abb. der Akad. 1876. S. 52 f.
186. (S. 742). Mindaros nach dem Hellespont: Thuk. VIII 99 f. — Die
beiden Schlachten werden nach dem chersonnesischen Vorgeb. unweit Madytos
die Schi, von Kynossema (Thuk. VIII 104) genannt, die zweite agjfo/ilvou
tov /«/uwvoc Xen. Hell. I 1, 4—7. Campe (Jahrb. f. Phil. 1872 S. 705 f.) hat
den Bericht des Thuk. und des Xenophon auf eine und dieselbe Schlacht be-
ziehen wollen, doch ohne hinreichenden Grund; auch bei Diod. XUI 40 und
45 werden beide Kampfe von einander unterschieden.
187. (S. 746). Sieg bei Kyzikos l^yonot tov xttfiäivos: Diod. XIII 49.
Xen. Hellen. 1 1, 11 ff. Campe a. O. S. 714 ff. Dankfest in Athen: Diod. XIII
52. Mindaros' Jammer- Depesche: Xen. § 23. Plut. c. 28. Plut. AUx. 28.
Politische Folgeo : W. Vischer Untersuchungen über die Verf. von Athen in den
letzten Jahren des pelop. Kriegs. Kl. Sehr. I 205. Friedensgesandtschaft,
Kleophon: Diod. XIII 52. Pbilochoros in Fragm. Hist. Gr. I p. 403.
188. (S. 747). Dekateuterion bei Cbrysopolis: Hell. I 1, 22. Diod. XIII
64. Böckh Staatsh. \\ 396. Ephesos: Xeo. I 2.
189. (S. 750). Chalkedon: Xen. I 3. Das gleichnamige Flüsschen : Arrian
bei Eost. Dion. Per. 803. Todtenlisten (im Athenaion 1882 von Kumanudes her-
ausgegeben) als dem Jahre 4(J'j angehörig erkannt von Kirchhoff Hermes 17,628.
Die Rubrik für Chalkedon fehlt. Auf dem erhaltenen Steine sind die Ver-
luste bei der Belageraag von Byzanz und an anderen Platzen verzeichnet.
Der Stein von dem Grabdenkmal im Kerameikos, den Paus. I 29, 13 sah:
hd(ftiaav ol mgl tov* ElXyanoviov yai/^a/qaccyrfc. Selymbria: Xen. I 3, 10.
Plut. Alk. 30 (nach Ephoros). Diod. XIII 66 (nach Theopomp). Vertragsnr-
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ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BUCH.
koode Kumaoudes 'A&^vaiov V 513, Kirchhoff CIA. IV 61t. Die mit Selym-
bria geschlossene Convention erhält darin auf Alkibiades* Antrag darch die
Bürgerschaft ihre Bestätigung; gleichzeitig erfolgt die Freigebung der bei
Uebergabe der Stadt dem Alkibiadea gestellten Geiseln, und Erneuerung der
athen. Proxeoie für den unter den Geiseln befindlichen Apollodoros. Das
ibtUttyat ro ovoptna ttov bftriQWV ttov ZijXv/jßQmvüv xal Ttov iyyvTjTtöv
e7vat xvgtov ibv ygap parte tr$ ßovlijs bezieht sich anf das im Metroon de-
pooirte Exemplar des Vertrags, nicht anf die steinerne Urkunde.
169*. (S. 751). Byzantion: Xen. 13; 13 f. {al nvXcu al tnl rb Gq^xiov
xnloi uevcti : § 20). Diod. XIII 66 ff. Plut. Alk. 31. - Pylos, Ol. 92, 3 in
der 3. Pryt noch in dem attischen Besitz, von Hermon (S. 730) befehligt
(CIA. I n. 188) moss bald darauf im Winter 310—9 voo den Messeniern unter
der Bedingung freien Abzugs Ubergeben worden sein: Diod. c. 64 {nevitxatdtxa
tri) itov ji&Tp. avjTjV xarea^ortov, tttp' Srov Atjf4oa9imjf avirjv fr<(f*a«).
ISisaia etwa gleichzeitig verloren: c. 65. — Alkibiadea' Heimkehr (Thargelioa
25): Xeo. 1 4, 8—20. Diod. XIII 68 f. Plot. Alk. 32 f. Vgl. Herbat Rück-
kehr des Alkibiades, Hamburg 1843. — Unter Archon Diokles 402 — 3 erste
Aufführung des Plutos, welcher nach K. Fr. Hermann Ges. Abhandi. S. 39 in
der zweiten Bearbeitung keine wesentlichen Aenderungen erfahren.
190. (S. 753). Alkibiades in Athen: Xeo. I 4, 13 f. Plut. Alk. 33.
Jakchosprozession: Plut. c. 34.
190*. (S. 756). Kyros in Kleinasien (atftov navxtov rtov inl Vahirrri
xal av^noX((j.r\G(üv Aaxtdaiuovloig): Xen. Hell. I 4, 1.
191. (S. 757). Parysatis nnd Kyros: Xen. Anab. I, 1. Kyros xagavoe
r£v eis Kacrulbv a&goiCoftivtov (Hell. I 4, 3), oaigantje Avdiag if xal
'pQvyias rrje fteyalrjs xal Kannadoxtas (Anab. I 9, 7). Mit dieser Wörde
hing die Leitung der griechischen Angelegenheiten zusammen. Kyros' <f*Xia
itQOt re rijv Aaxeöaijuovttitv nbliv xal nob( AvoavtQOV lö(q. Hell II 1, 14.
192. (S. 759). Lakedämonische Friedensgesandtschaft unter Archon
Euktemon und Androtion (Usener Jahrb. f. Phil. 1871 S. 311 ff.) Gilbert S. 361.
192*. (S. 760). Lysanders Nauarchie: Xen. Hell. I 5, 1—10. Diod.
XIII 70. Plut. Lys. 3 f. Der DodwelTschen Zeitordnung gegenüber muss ich
mit Bockh Staatsh. 23,19, Peter (Vorr. zu den Zeittafeln der Gr. Gesch. 1858
S. VI) u. A. die Chronologie von Haack (Diss. chrono!, de postr. b. pelop.
aonis Stendal 1822. Xenoph. Hellenica ed. L. Dindorf 1853 p. XXXVHI) für
die richtigere halten.
193. (S. 761). EucQytofa xal noltreia Svqaxoaiots IvAvrav&Qtp: Xen.
Hell. I 1, 16.
194. (S. 762). Lysaodros und die Helarien: Plut. Lys. 5, 13. 26.
Diod. XIII 70. Vischer Alkibiades und Lysandros S. 63] KI. Sehr. I 87.
L. und Kyros: Hell. I 5, 6. Plut. c. 5. Lysanders Umsturzplane: Aristoteles
Politik p. 194, 30. 207, 25.
195. (S. 765). mwi^ta: Mommsen Heortologie S. 427. Schlappe bei
Notion: Hell. I 5, 11. Diod. XIII 71. Plut. Alk. 35. Alkibiades' Entsetzung:
Xen. I 5, 16 ol A&qvaTot — xaXtntve rfjfo? Trp AkxißiaSn, otoftevo* oV api-
Xudv te xal äxQaxuav anoltolivai ras vavt xal aiQanyyoxjs eTXovro allovs
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ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BUCH.
879
oVx«. — 'A Ix. fih oirv noviiQate xal iv rjj OTQariä (ptQOfitvoq — aninltvatv
</f XiQQOVTj<tov tl$ ta iavrov Ttfxi* fiitit ©7 javra Kovtov ix rij$ "Avöqov
— tti Zupov antnXivoiv. Diod. XIII 74. Plut Alk. 36. Lysaud. 5. Nep.
AIcib. 7. Justin. V 5, 3.
196. (S. 768). CIA. I o. 64. Kallikratidas: Hell. I 6, 1. Kotion ein-
geschlossen: 6, 16—18. Diod. XIII 77. Wie Kallikratidas ihm gedroht hatte,
or» navati, avtov fioix<ovra ir\v »aXarrav.
197. KS. 768). Ausleerung des Staatsschatzes: Kirchhoff Urkunden der
Schatzmeister (Abb. der Akad. der Wiss. 1864) S. 55. Nothmüozen aus dem
Jahre des Archon Antigenes: Böckh Staatsh. 1*, 29. 76 xaivov /^i/fffoy:
Aristoph. Ran. 720. Dazu Philochoros im Schol. — Die Sklaven, welche bei
den Arginusen mitkämpften, erhielten die Freiheit und zugleich, entweder alle
oder doch ein Theil derselben, Landloose in der Gemarkung von Skione, welche
89, 3 nur theilweise an die wenig zahlreichen Piatier (s. S. 607) überwiesen
worden sein kann. So erklärt Kirchhoff Kleruchien S. 9 Arist. Frösche 694
niataiäf ti&vg tlvcu xtcvrl Sovltov öeonorag, und Hellanikos Atthis b. Schol.
a. 0. avfiuax^oavtaq dovlovs lltv&tQu&riVtti xal lyyQa(f4vrae tos Tllnxatiiq
ovjATZoliTtvaao&at avroTi.
198. (S.771). Neue Rüstung: Diod. XIII 97. Hell. I 6, 19. Schlacht: 27—38.
199. (S. 778). Herbst die Schlacht bei den Arginusen S. 17, hat gegen
Grote's Versuch, das Verfahren der Bürgerschaft zu rechtfertigen und die
Feldherrn als schuldig darzustellen, das richtige Sachverhältniss entwickelt,
wie es sich aus Xenophon ergiebt. X. gegenüber kann Diod. XIII 101 keine
Autorität sein, und es ist unstatthaft, Tberamenes' Verfahren als eine noth-
gedrungene Selbstverteidigung zu entschuldigen. Auch Lysias c. Eratosth.
36 enthält keine Billigung der Verurteilung. Kallixenos, mit anderen vier
gefangen gesetzt, entflieht während der oligarchischen Revolution, kehrt nach
dem Sturz der Dreifsig heim und stirbt den Hungertod, ein Gegenstand des
allgemeinen Hasses: Xen. Hell. I 7, 35. G. Löschcke hat in den Jahrb. f. klass.
Phil. 1876 S. 757 meine Darstellung des Abstimmungs Verfahrens bestritten und
alles Außerordentliche geleugnet, unter ßeistiinmuug von Fränkel Geschworneo-
gericht S. 18 und Gilbert S. 379. Wer hat denn behauptet, dass durch zwei
Urnen die geheime Abstimmung verhindert werde? Wenn aber bei offener
Aufstellung mit einem Stein gestimmt wird (y/rjipfoao&cti ets rfjv ngorigav
oder ets tr\v vaiigap Xen. I 7, 9), dann ist der Zwang einer öffentlichen
Abstimmung unverkennbar. Auch zeigt die Ausführlichkeit des Berichts, dass
es sich um ein ganz anomales Verfahren handelt. — Reue der Athener: Xen.
I 7, 35. Suidas s. tvavuv. Diod. XIII 103. Plat. Apol. 32 a. naQayo/uojf,
ojc lv roi vOt£q<p XQ°vtl} Tinow v/uiv iäoxti,
200. (S. 779). Die Peloponnesier auf Chios: Hell. VI 1.
201. (S. 780). Lysandros als tniöiolev oder IniOiohoipÖQoq in Asien
gegen Ausgang des Winters 406— 5. Scheibe, Oligarchische Umwälzung S. 13.
Weifsenborn, Hellen S. 200. Beloch Rh. Museum 34 (1879), 123. Arakos
Strohmann: Vischer Alk. u. Lys. S. 42 Kl. Sehr. 1 S. 137. — Die außerordent-
liche Stellung des .\auarchen beruht darauf, dass er, ohne Col legen, mehr als
alle andern Beamten auf eigene Verantwortlichkeit handelte. Daher wurde die
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880 ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BUCH.
ftauarchie (qftdoy hi<>cc ßaaiitta Arist. Pol. 49, 31), die erst mit dem
Beginne des pelop. Kriegs in den Vordergrund tritt, mit Misstrauen angesehen
und, obgleich für kein Amt geeignete Persönlichkeiten seltener zu finden waren,
dennoch das Gesetz gegeben], dass Niemand zweimal das Amt bekleiden dürfe
(ov topos rov avtov Sie vavaQxäv Xen. II 1, 7. Ephoros bei Diodor XIII 10).
Vgl. Heloch Rhein. Mus. 34: Die Nauarchie in Sp., welcher früheren
Zweifeln gegenüber die Annuität des Amts nachgewiesen und sich durch
Aufstellung genauer ßcaintenlistcu um den Gegenstand verdient gemacht hat.
202. (S. 781). Aiowatwv ovrtuv Diod. XIII 104, d.h. im Anthesterion
(Februar, März) Clinton Fast. Hell. II 285. Dasselbe Frühlingsfest in Ephesos,
Teos, Smyrna, Phokaia, Massilia (Zeitschrift für die Alterthumswisseascbaft
1830 S. 496).
203. (S. 783). Lagerplatz bei Aigospotamoi : Hell. II 1,20. Adeimantos:
I 5, 21; verspottet in den Fröschen 1513; vgl. Schol. — Menandros nach
Sievers Comm. p. 34 der Thuk. VII 16 und Xen. Hellen. I 2, 16 Erwähnte.
Philokles: Diod. XIII 106. Alk. im Lager: Hell. II 1, 25. Plut. Lys. 10.
Alk. 36. Ungenau ISepos c. 8.
204. (S. 784). Das Datum der Schlacht von Aigospotamoi kann nur nach
dem der Uebergabc von Athen bestimmt werden, welcher eine vier- bis fünf-
monatliche Belagerung und eine Reihe anderer Ereignisse vorherging, so dass
eine Zwischenzeit von etwa siebeu Monaten angenommen werden muss. Die
Schlucht kann also schwerlich spater als in den August gesetzt werden
(Peter Zeittafeln Anm. 150). Diese Zeit ist auch deshalb sehr wahrscheinlich,
weil von den Stürmen, welche um den Frühaufgang des Arkturos (Mitte Sept.)
die SchiflTahrt zo unterbrechen pflegten, gleich nach der Erntezeit namentlich
im MeUgeitüion (Demosth. adv. Polykl. § 4) die Kornzufuhr aus dem Pontos
besonders lebhaft war. Vgl. Weifscnborn N. Jen. Literaturz. 1848 S. 660.
Es musste also Lysandros daran gelegeu sein, um diese Zeit den Hellespoot
zu schliefsen. Anfser den bei Xen. Hell. II 1, 29 erwähnten 8 Schiffen Konons
und der Paralos sind aus der Schlacht entkommen dasjenige des Phalereers
JMausimachos und des Sprechers der Rede Lys. XXI, beide nicht zu Konons
Geschwader gehörig (§ 9 ovdoog poi av/unl4oyjoq tnoatijyov) und das eines
unbekannten Trierarehen, zusammen 12 (§ 11),
205. (S. 784). Verrath des Adeimantos: Xen. Hell. I 32 jri«'»q vn6
iivwv nooSovvat roc v«Sc. Lysias c. Ale. XIV 38. (Alxißiadris) hoXiir)Ot
tat vavg fitiä A6ufiavtov nooöovvat. Demosth. XIX 401 Kovtav (xattjyoQti)
'AdiifJiaviov avatoatrjyraae. Paus. IV 17, 2. X 9, 11; andeutungsweise
vielleicht auch Thuk. II 65 (vgl. E. Möller de Xen. Hist. Gr. 24 not.). Auf
seine Verurteilung und den Verkauf seiner Güter durch die Poleten hatte
Böckh Mondcyklen S. 36 die Inschrift Rangabe 1 n. 348, CIA. I 274. 275.
276 bezogen, welche aber nach Kirchhoff N. Jahrb. f. PbiJ. 1860 S. 238 in
Ol. 91, 3 gehört. Doch ist die lieber! ieferuog vom Verrathe nicht widerlegt.
Philokles: Theophrast b. Plut. Lys. 13. Hell. II 1, 32.
206. (S. 786). Vgl. Lysias g. Nikomachos. lieber sein Glück § 27 x«<-
loi avtl fjkkv Soikov noitirjs yfy^vtjtait ävtl d£ 7rra*/ot/ nlovoiog, ttvti cH
vTioyQaju/biaTitis vo^iodiitfi.
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ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BUCH
8*1
207. (S. 787). Verarmung der attischen Bühne: Aristophanes' Frösche 192 f.
Sophokles' Tod Berga Gr. Lit 3, 368. — Verherrlichung Pierieos: Eurip. Bacch.
5G5. MaxitQtav «t-urf/Vc: Frösche v. 85. Vgl. v. Leatsch im Philologus 2, S. 32.
— Zu Archelaos' Gasten gehörten der Epiker Choirilos und der Dithyramben-
dichter Melanippides. Mach der von v. Wilamov*itz (Hermes XII 353 IT)
gegebenen Erklärung der bei Marcel liuus § 29 citirten Worte des Praxi-
phaues auch Nikeratns, der Komiker Piaton und Thukydides. Ein sicheres
historisches Resultat ist nicht gewonnen Vgl. Schöll im Hermes XIII 447.
208. (S. 790). Athen nach der Schlacht: Justin. V 7. Hell. II 2, 3.
Zwang der Heimkehr: Plul. Lys. 13. Hell. II 2, 2. Hcimführung der Aegioeten,
Melier u. s. w.: 2, 9. Lysandros vor Sa mos: Plut. Lys. 14. Hell. II 3, 6.
209. (S. 792). Es ist nicht wahrscheinlich, dnss die attischen Oügarchen
erst längere Zeit nach der Miederlage bei Aig ihre staatsnmwälzcndcn Um-
triebe begonnen haben sollten; da also Lysias XII §43 (die einzige Quell«*)
die Einsetzung des Ephorats als den Anfang der revolutionären Umtriebe be-
zeichnet (o9iv »j^for tri; otaatot;) , so bin ich auch jetzt noch der Meinung,
dass jener dirigirende Clubbisteuausschuss der Zeit vor der Capitulatioo an-
gehören muss (mit Rauchenstein Philol. XV S. 703 und Frohberger Lysias ],
S. 15 gegen G. Lange Neue Jahrb. 1863 S. 217). Doch bekenne ich, dnss
ich für eiue sichere Bestimmung keine Handhabe finde. Ucber Krittas siehe
Ann). 181. — Als eine wirkliche, wenn auch verfassungswidrige, doch aner-
kannte Behörde erscheinen § 76 ol xudtair\x6iis tyoQOi. — Ueber Patroklei-
des Scheibe Olig. Umw. S. 36; Zeitschr. für Alterthumsw. 1812 S. 201; Böckh
Stoatsb. I3 239. - Areopag: Lysias XII § 69. Meier Rhein. Mus 1, 277.
Plut. Kim. c 10. vgl. Band III Aum. 29 zu Buch 5. Philippi S. 185 will
daraus nur auf ein Mandat des Areopags, nicht auf seine damalige Bedeutung
schliefsen.
210. (S. 7y6). Lysandros' Verfahren in Sesto* wird in Sparta nicht gut-
geheifsen: Plut. Lys. 14. Erste Friedensgesandtschaft nach Sparta: Hell.
II 2, 15. Tberamenes bei Lysandros: II, 16; nach Sparta: 2, 17; Lysias XII
68 unterscheidet nicht die doppelte Gesandtschaft und schweigt von den
neun Mitgesandten. Tumultuarischer Prozess gegen Kleophon: Lys. XIII 12.
XXX 10.
211. (S. 797). Korinther und Thebaner: Hell. 112, 19. Delphi: Aclian
V. H. II 4, 6. Die Verhandlungen der peloponnesischen Bundesgenossen über
das Schicksal Athens fanden in Sparta statt. Vgl. Wesseling zu Diod. XIII
63. Scheibe S. 43. Möglicher Weise sind die Au träge auf Zerstörung der
Stadt später im Kriegslager von Lysandros erneuert w orden. Weifsenborn Hellen
S. 206. Friedensbedingungen: Hell. 112,20. Plut. Lysandros 14. Diod.
XIV 3. Theramenes gegenüber der Opposition: Plut. a. O.
212. (S. 799). Volksversammlungen: 1. am Tage nach Theramenes'
Heimkehr (rr} ioitQaitc Hellen. II 2, 21). In ihr erfolgte die Berichterstattung
und Annahme der Friedensbewegungen. 2. in Munichia (Lys. XIII 32), als
die Blokade bereits aufgehört halte (c. 25); Denunciation des Agoratos. 3.
i} 7rc(>) ff; nohxttas (Lys. XII 71), wo Lysandros persönlich erscheint. Ueber
die Ordnung der letzten Athens Schicksal entscheidenden Volksversammlungen
Curtiui, Or. Ge»eh. II. 6 Aufl. 56
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882
ANMERKUNGEN ZUM VIERTEN BUCH.
vgl. Scheibe Ölig. Umwälzung, Raucbenstein im Neuen Schweizerisches
Museum 1S66, Frohberger zu Lys XH 34, Stedefeldt im Philol. 29, 222 IT.
— Du Xenonbon nur summarisch die Hanptthatsacben erwähnt, so ist der
Widerspruch mit Lysias mehr ein scheinbarer, und bei Letzterem eine ab-
sichtliche Entstellung der vor einem Jahre erfolgten stadtbekannten Begeben-
heiten anzunehmen unstatthaft. Wenn aber gegen die befolgte Ordnung der
Begebenheiten geltend gemacht wird, dass eine so lange Verzögerung der Maß-
regeln Lysanders unglaublich sei (Stedefeldt S. 236 IT.), so ist zu bedenken,
dass wir bei Lysanders Charakter nicht wissen können, was für heimliche
Absichten derselbe mit der Flotte und den Mauern Athens eiue Zeitlaug
hegen mochte. Vgl. Cbr. Rcuner Comnient. Lysiac. Gott. 1869 p. 11. Aus
Thuk. V 26 (ra ftttxQa itfav v°v JJdQKiä xaifkufiov) wird man auf eine
Besatzung im Peiraieus seit der Capitulatioo sehliefsen können ; außerdem
stand Agis noch in Dekelcia, der bei der Einsetzung der Üreifsig vor der
Stadt erscheint (Lys. XII 71) gleichzeitig mit Lysandros, und erst nach der
vollzogenen Verfassungsänderung abzieht: Hell. II 3, 3. Lysandros ist auch
405—4 als tntorolns an der Spitze der Flotte geblieben. Beloch a. a. O.
S. 123.
213. (S. SOI). Kritias (jvytüv vnit iov Jjjjuov: Xen. II 3, 15, in Thes-
salien II 3, 37, Memorab. 1 2, 24. Amynias: Arist. Wesp. 1263. Wolken
691. Seine nttQanQcaßeta von Eupolis gerügt c. Ol. 89, Fragm. Com. II, 513
K. Fr. Hermann Gr. Staatsalt. § 178, 14. Krilias nicht uutcr den Vierhun-
dert: Wattenbach de Quadr. Athenis factione p. 46.
214. (S. S02). Cbarmides: Xeo. Hell. II 4, 19. Dass die füuf Epboren
nicht immer dieselben waren, geht auch aus Lysias XII 43 hervor; denn das
Zeugenverhör über des Eratostheoes Mitgliedschaft begreift sich nur, wenn
er vorübergehend dazu gehört hatte. So i»t es wohl auch in Betreff des
Kritias am wahrscheinlichsten, dass er nach seiner Heimkehr in das Collegium
aufgenommen wurde, wie Kauchenstein annimmt Phil. 15, 708.
215. (S. 803). Die Geschichte der letzten Demüthigung Athens knüpft
sich an zwei Hauptdata: das eine ist die Capitulation der Stadt, das zweite
die Einsetzung der Dreißig. Die Capitulation, deren Urkunde bei Plut. Lys.
14 erhalten ist, erfolgte nach Plutarch am 16 teu Munychioo, und dies ist das
Datum, bis zu welchem auch Thukydides den ganzen Krieg rechnet (V 26:
fif/Qi ov rtjr ie «Qxhv xttiinavaav tiov \4di]va(tav yfaxitiaifiöviot xai oi
Evjjfittxot xai ra fJdcxQu r«7/n. *a* T0V »axilußov. htj i( rovto
t« Sufinatia fytvtro toT noMftqt $ma xal ttxooi. — noX/fia) kvorjaa t*c ro-
aavra frij xai t)/i/oac ov nolkae napivtyxovoas). — Der Krieg bat begonnen
den letzten Authesterion 431, Apr. 4 (S. 398, 852 Anm. 21) und ist beendet
am 26. Mun. 404, Apr. 25/6; er bat also, wenn mau seine drei Abschnitte
den 'ersten oder zehnjährigen', die scheinbare Waffenruhe und den 'zweiten
oder dckeleischen' Krieg zusammenfasst, wie Thuk. sagt, 27 Jahre und 'nicht
viele (d.h. 21) Tage gedauert. Böckh Mondcykleu S. 81. Für die Schleifung
der Mauern war ein Termin angesetzt. Dieser wurde nicht eingehalten (Plut.
Lys. 15 iaxavat yaQ to «Yjflj nov fjfttQtSv, tr als (<fu xa9rfQii<f9oit nao<{i^rr
ptrtuv. Diod, XIV 3 vottqov iü>> ovyxetutvbjv rptoüv xa&tßrpUvat tu r«(yij).
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NACHTRÄGE.
883
Nun erfolgte die zweite Katastrophe, die mit Zerstörung der Mauern, Ver-
brennung der Schilfe und dem Siegesjubel der 'befreiten' Bundesgenossen ver-
bundene Aufhebung der Verfassung und Einsetzung der Dreifsig. Dies geschah
wenig Monate nach der Capitulation. Mit Endo des Sommers kehrte Lysan-
droa nach Bezwingung von Samos heim (Hell. II 3, 8). — Zu dem Ueber-
blick über den Verlauf des Kriegs vgl. Thuk. II 65, wo er an die Be-
sprechung der letzten Wirksamkeit des Periklcs seine Betrachtung der
nacbperikleiscben Zeit anknüpft, nm deutlich zu machen, wie sehr das ganze Un-
glück Athens die Weisheit uud Gröfse des Periklcs erkennen lasse.
Nachtrage.
Zu S. 226 und 836. Für die Bedeutung der Strategie in Athen babeu
wir jetzt ein neues Zeugniss in der vor kurzem auf der Akropolis gefundenen
Inschrift, in welcher der Thessalier Kallippos zum Proxenos ernannt wird.
Sitzungsbericht der Preufs. Akademie 1SS8 S. 244. Bulletin de correspond.
Hellenique 1SSS. Inscr. de l'acropole par Mylonas nr. 8. Hier folgt nach
AvjixQaiT\q ineaiaTH' yvtofirj otqcii qytuv. Die Strategen hatten also nach
dieser Urkunde die Initiative, um durch Rath und Bürgerschaft einem Aus-
wartigen die Anerkennung seiner Verdienste um den Staat zu erwirken.
Zu S. 242. Athenische Beamte in den Buodesorten. In dem Dekret
Sitzungsbericht 1888 S. 281 (Bulletin a. a. 0. nr. 1) werden angerührt: oi'rmc
si&qvetttov äg/ovatv iv ttj vxtQoqUt', sie erhalten den Auftrag, für die Person
des Leonides Sorge zu tragen, sowie es in Athen die Prytanen und der Rath
tbun sollen.
Zu S. 244. Bezeichnung der Bundesgenosscoschaft als Reichsgebiet. Ocm
Achaer Lykon wird mit der Proxenie die Erlauboiss ertheilt nXttv xal XQ'h"
fiara teaytiv offijff yA&rjvaioi xgccrovai x«i ils to ' Adqvatoiv (foovQta, fg
öl rbv xoX[nov — . Sitzungsbericht S. 246. Bulletin nr. 3. Die Inschrift
muss noch in das Ende des fünften Jahrhunderts gehören. Aehnlich lautet
es in der Leonidesinscbrift (Sitzungsbericht S. 241 n. 13): offijc *A9rflmTot
XQaxovoiv und rav noXaov u>v Adrjvutoi XQarovcH.
Zu S. 273. Ein Landsmann und Parteigenosse Herodots ist uns jetzt
bekaont geworden in dem Leonides, zu dessen Ehren das neuerdings aufge-
fundene Dekret abgefasst ist (Sitzungsbericht S. 241, Bulletin nr. 1). Wer ihn
tödtet, heifst es, wird betrachtet wie Einer, der einen Athener tödtet. Auf
seine Kosten wird das Dekret doppelt ausgefertigt. Der eine Stein bleibt in
Athen ; für den anderen hat Leonides zu sorgen, dass er oach Halikarnnss ge-
bracht und dort im Heiligthum des Apolloo aufgestellt werde. Diese Urkunde
gehört in die Mitte des fünften Jahrhunderts.
56*
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S84
NACHTRÄGE.
Zu S. 303. iXach R. Schöll (Sitzungsbericht der K. Bayer. Akad. der
Wiss. Phil.-hist. Classe 1 8SS Heft 1: der Prozcss dos Pbidias) war mit der
Deuuocialioa des Mcooo «fatu verbunden, weil derselbe sich als Mitschuldigen
bei dem zur Anzeige gebrachten Verbrechen bekannte, um die Beschuldigung
glaubhafter zu machen. So wurde auch bei der Dcnunciation des Hermen-
und Mystericnfrevels aSim mit ftqvi-ais verbunden. Scholl stimmt mir bei
gegen die von Lüschcke aufgestellte Chronologie der Werke des Pheidias
(S. 852). Dagegen glaube ich auch nach Schöll's Erörterungen die echten
Worte des Philochoros im Scholion zu Arist. Pax (S. 851) richtig begränr.t
zu haben. Denn abgesehen von dem , was ich in der Arch. Zeitung XXXV
S. 134 (Pheidias' Tod und Philochoros) darüber gesagt habe, weise ich nur
darauf hin, dass, wenn Plutarchs Nachricht von der Atelie Menons, wie Schöll
mit Recht annimmt, authentisch ist, da der Antragsteller genannt wird, Philo-
choros doch unmöglich eine urkundlich bezeugte Thatsache so unklar und so
ulivollständig mittheilen konnte, wie in den Worten 66$rcg — txgidt}. Wie
diese gerichtliche Verhandlung (denn Anderes kann doch xqh'ttv nicht heifseo)
abgelaufen sei, das muss erst wieder aus Plutarch in den sogenannten Philo-
choros hinein interpretirt werden. Wenn der Scholiast diejenigen widerlegen
will, die das Missgeschick des Pheidias nach Vollendung der Parthcoos
als die unmittelbare Veranlassung des Kriegs ansahen, so war auch das kurze
Citat aus Philochoros, wie ich es annehme, nicht überflüssig; denn es diente ihm
dazu, den Beweis zu liefei n, dass zwischen Vollendung der Parthenos und dem
Ausbruch des Kriegs sieben Jahre verflossen sind. Nach meiner Uebcrzcugung
kommen wir im Wesentlichen auf das zurück, was im Ansehluss an 0. Muller
uud Preller (Pauly RcalcncyclopÖdie V S. 1451) Brunn Gesrb. der gr. Künstler
I 167 vorgetragen hat. In der schwülen Zeit um 431 konnte, um Perikles
zu stürzen, auch auf alte Geschichten, wie die Abrechnung in Betreff des
Goldmantels, zuiürkgegriffen werden. Menon denuncirte in der Form, dass er
Pheidias beschuldigte, den Epistnten falsche Rechnungen vorgelegt zu haben,
wodurch der Staat betrogen worden sei. Die Denunciation ist (wenn auch
erst durch Ausdehnung auf die anstöfsigen Schildreliefs) erfolgreich gewesen.
Das beweist, wie Schöll nachweist, das von Glykon beantragte Ateliedekret.
Pheidias wurde verhaftet und die Strategen beauftragt, für die persönliche
Sicherheit des Dcnuncianten einzustehen, wie Plutarch genau berichtet. Das
war die bitterste Demüthigung für Perikles, wie sie 438, als er auf der Höhe
seines politischen Einflusses stand, undenkbar ist. Plutarch setzt dieselbe auch
ausdrücklich {neql toltov iov jfpoVoy 'Aonuoia etc.) in dieselbe Zeit, da Her-
mippos gegen Aspasia und Diopeithcs gegen Anaxagoras mit ihren Angriffen
vorgingen. — Was gegen meine Chronologie der Werke des Pheidias angeführt
worden ist, namentlich der Umstand, dass der Tempel in Olympia 456 fertig
war und das Zeusbild erst 438 in Angriff genommen wurde, erklärt sich
daraus, dass der Bau die Geldmittel erschöpft hatte, und dass man, als die
Kasse sich wieder gefüllt hatte, warten musste, bis Pheidias mit der Parthenos
fertig war.
Zu S. 425. (Jeher die Geschichte der Daduchenfamilie vgl. jetzt P. Welzel
Kallias. Gymnasialprogramm, Breslau 1888. Hier sind die Anekdoten, welche
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NACHTRAGE
8S5
drn Reichthura des Geschlechts an Marathon oder Salamis anknüpfen, richtig ge-
würdigt, und der Beiname des zweiten Kallias (XttxxfnXovtog) mit Recht auf Berg-
werk besitz bezogen ('Grubenbaron'). Ob dieser mit dem Glitten der Elpinike (S.
123) identisch sei, bleibt zweifelhaft, ßörkh I3 563 ist dagegen. Sein Sohn ist
Hipponikos, dessen Frau sich mit Perikles verband (S. 229); Hipponikos' Subo
der dritte Kullias, mit dessen Rcichthum es 414 schon auf die Neige ging;
darum erscheint er bei Aristoph. Vögel V. 284 mausernd (nrtQOQQvtt). Na«h
Welzel S. XXXII ist er, der von Hause aus mit Sicilien und Gorgias in Ver-
kehr war, der Antragsteller des Vertrags mit Leontiuoi (S. S64 Anro. 106:
Ka'/Xias ttner) und auch der Arcbon, unter dem das schlechte Kupfer geprägt
wurde. Böckh P 691.
Zu S. 449. Das Ebrendekret Tür den Kolophonier Aretas (Corpus Inscr.
Alt. I 361) neu behandelt von R. Schöll (Sitzungsbcr. der K. Rayer. Akad. der
Wiss. ISSS S. 45). Es handelt sich um Malsregcln Tür die Sicherheit eines
Freundes der Athener, dessen Partei sich durch Paches in Notion behauptete.
Zu ihrer Stärkung erhielt Notion eine attische Colonie. Thuk. III 34.
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ZU DER KARTE DES ATTISCHEN SEEBUNDES.
Vgl. S. 236, 243 ff.
Die tributpflichtigen Städte des delisch -attischen Seebundes.
A. In den Inschriften erwähnt:
(• nur in der Schttxuug«nrkande CIA I n. 37 outhalteo).
Nf)Ot (UTlxbs <fOQO(
JZvqioi
"JVOQIOI
TT}VHJt
Myxoviot
Na£tot
IJdgtoi
•XfQÜt
'fatal'
firjgatot
*Ava<fatot
**PoX(yavdgoi
*Kifitolos
£fg{<flOl
*BeXß(v«
Kttot
Aiytvrjiai
Evßoifji
Adrjvitai
JtaxQijs tcno XaXxidfav
Airfi anb Krpalov
%Egftgt^S
'Eoiuxtttf
KctQVOTtOl
XctXxtdijt
AqUVtOl
Mvgtvatot
'lllßgiOt
'Eki.T\O7l6vTl0q (fOQO(
Bv(dvriot
£rjXvf4ßgutvot
ritQtv&iot
AavvioTiixiJttt
ZofißQUtvoi*)
Zxaipioi
Tvgodifyt
* Btadv&t]
XtggovtjOtxat
Ntanolts nag* Xiggo-
vytrov
Ayoga
KaXXmoXixai
Ma&vxiot
'EXaiovOtot
Atpvcuoi
'AXatnfxovvrjütoi
Ttvtäoi
A«fA7t<OV(ltjs
Ntavdgtiijs
Ktßgt\vtoi
Brjgvow*
nnivtot
Jagöavijs
ACeif)S
\4ßvtt}Voi
Agtojkaot
IlfQxtoaioi
TTaXatntgxtiioioi
A«fi\fntxr)Voi
naiorjvot
üagtavot
ngianip
* MtjTgonoXis nag* JTgta-
7tOV
AiöufiotttxiTai
Agnaytavoi
ZtXtiaxat
* 'OtXrjvoi
* IIv&OJToXTltU
''Agxatov inl xyPvvtiuxi
'Agratov ifi>off Inl xq,
Pvvöaxt
AgtOXTJVOt
KvCixrjvol
nooxow^Oiot
Buoßtxos
AaaxvXtiavoi
*A*gtlov naga r»/v Mu-
alav
BgvXXttavoi
») MontUbericht der Akad. d. W. 1880. S. 4&6.
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ZUR KAUTE DES ATTISCHEN SEEHUNDES.
887
Ktavot
Aaraxrjvol
Bqitxtog qoQOf
Alvtot
MiXxtoqtot
ralaiot
JlIuqtOVtTttt
A(xnta naq' "Aßtyqa
'AßtSi\qixat
Kvoxintot
NtunoXig naq' AvttOti-
qav
•IHtQts iv Iliqydfttu
Jitqyutot
ApyiXtot
2xayiqixai
Axüvittot
* Koao[aioi?]
AloXTxat
'09 6p toi
Tlioiaqog (nur CIA I 243)
auf der Athoshalbiusel
Savatot
Atjjg Ix tov "AOto
't)Xoi(v£toi
Ovooiot
Kltujval
• Tloatdttov
*'Axq69yot
'laoTtfritai
auf der Siothouischen
Halbiusel.
JI/XtOQOS
Tqmoai
*t>apßrjXiot
'EtSqtoXtot
Ztqftvltijg
£(yytot
2aqxaiot
Toqtuvaiot
auf Pallene
I7oT£to*aiät(ti
Atfvxatot
NidnoXtg MtvSalatv
Alydvxtot
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88S
Zill KARTE I»ES ATTISCHEN' SEEHUNDES.
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*IIvQirJo;
B. Nur bei den Historikern erwähnt:
JtiQ'j (Kratero» b. Sleph. Byi. p. 223, 20 cf. p 716 ed. Mein., viell. thrakbcb}
AtoQos 'I'uotjXiTcu Äagixos tfooos (Krateros b. Steph. Byz. p. 256, 11)
MuQxutoi (Steph. p. 433, 13 cf. p .715)
Kv&mtoi (Thuk. IV 57, 4).
Voo deu auf der Karte eingetragenen Kierachieen sind während des pelo-
ponnesischen Kriegs ausgenibrt worden: Aigioa 431; Ol. 87,2; Potidaia 429;
b7,3; Lesbos 427; 88,1; Torone nach 424; 88,4; Skioue 423; 89,1 ; Meies 415;
91,1.
Druck ton W. Porractter in Betlio.
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I
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