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Full text of "Die Fackel"

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Die Fackel 







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Claas of 1828 




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BAND XXII 



APRIL-JUNI 1905 



Die Fackel 

Hbrausqbbbr i KARL KRAUS. 




WlBh 1904 

VERLAG , DIE FACKEL'; IV. SCHWINDQASSE 3. 

Dntk V. JtMK 61 Sic«d, Wien, llh Hintere ZolltmMr. 3. 



- A 3 0 1 | - 



filachdruek oefboten. 



fl 



IN 



Nr. m, 

Sexualjustiz. 
Pensionierte Offiziere. Von 
Joseph Schöffel. 
Aus dnem Erlaß. 
Cobinv. 
Seelenvolmcit. 
Die Agyptenreise. 
Nemloge. 

Antworten (Fürstcndlener. Ein Ort. 
der besonderen Anstand erfordert. 
Meeretttnsxfaeuerltchkeiten. Neue freie 
OnaMMtÖL Vom Diebtblatt Eia 
Vorzug). 

Nr. 180-181. 



Der Fäulnisprozeß der ,Zeit^. 
Meine Tätigkeit im Landes- 
ausschuB. Von Joseph 
Schöffel. 
Zum Prozeß Klein. 
Ein Wiener Ereignis. 
Journalist und Dienstmann. 
Schiller- Feier. 

Antworten (Ein mutiger Mann. AU- 
(teutsches. Ehrang Mitterrurzer's. 
Meine Leser. Ungenuerte Feuilletons. 
Mataidek. Der HallstStter Satiriker. 
VffüDiebsblatt.Aus meiner Sanuahnc. 
Mythologisches usw). 

Nr. 182. 

Die Büchse der Pandora. 
Von ihrer Aufführung (das 
Penonenverzeichnis; Zuschrift 



ALT: 



Fraok Wedekind's; Zettnnci- 

berichte). 
Die kaiserlichen Räte. 
Ein Erfolg des Schöfferschen 

Aufsatzes in Nr 179. 
Die letzte egyptische Plage 

(Brief aui Alenndrien). 
Zwei Gedichte (Ave Melitta! 
und Der Zoologe von Berlin). 
Von Frank Wedekind. 

Antworten (Eine Huldigung für 
Schiller. Vom Schiller Museum. Die 
Verpflichtung des Schauspielers- Brand* 
rekiame. Das , Deutsche Volksblatt' und 
die Literatur. Aus meiner Sammlung). 

Berichtisnnir. 
AnkOndictuig. 

Nr. 183-184. 



Totentanz. Drei Szenen von 

Frank Wedekind. 
MMlingsilteste Urkunde? Re- 
plik von Joseph Schöffel. 
Der Oberste Gerichtshof über 
die Geldstrafen der verant- 
wortlichen Redakteure. 
Das Kriegsministerium nnd die 
OfRzienwitvcn und «Waisen. 
Singer und Silberer. 
Unser Altmeister Strakosch. 

Antworten (Dk »BAcfaae d«r PiB- 
doift« md die Wiener Fresst. Ziht- 

reichen Fragern. Defraudantcnzucht. 
Aas der vornehmen Welt. Aus meiner 
SMOnlnng. Der heilige Antimvs. Das 

Ende der Psychiatrie). 

Berichtigung. 



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Die Fackel 



NR. 179 WIEN, 15. APRIL 1905 ViL JAHR 



8BXUAIJUSTIZ. 

Manchmal ir-ä^^t man sich^ ob das Alles, was 
wir so im Lauf eines Jahres an öffentlicher Er- 
örterung und krimineller Behandlung sexueher Dinge 
erleben, nicht ein Scherz sei, ausgeheckt von 
freien Hirnen, die ihren Zeitgenossen bloß ein 
Schreckbild der Heuchelei vorführen möchten. Bin 
solcher Abgrund der Sittlichkeit kann sich vor unseren 
Augen nur im Bilde, nicht in der Wirklichkeit auf- 
tun. Sollte die Menschheit, deren Entwicklung Be- 
freiung von den Strangulierern individueller &chte 
bedeutet, mit befreitem Willen ihr sexuelles Selbstbe« 
stimmungsrecht opfern? Nein,^ die Nachricht mufi 
falsch gewesen sein Oskar Wilde lebt, er ist nicht 
für einen Irrtum seiner Nerven schftndlich hinge* 
mordet worden. Und Maxim Gorki mußte nicht Schimpf 
erdulden, weil er aus dem Gefängniö zum Krankenbett 
seiner Geliebten eilte. Es ist nicht wahr, daß die 
Menschen den Ursprung ihres Werdens und den Quell 
ihrer Glückseligeit fliehen wie man einen pestver- 
seuchten Ort flieht, daß sie am Tag bespeien, was 
sie des Nachts ersehnen, daß der Mann sich belügt 
und die Frau um ihre Lebensfülle betrügt, daß er 
die Hnldinnen dieses armen Lebens in den sozialen 
Yerachtungstod hetzt, »Tugendc, auf deren Zerstörung 
doch seine Instinkte zielen, ssum Mafle der Frau 
macht und ihren Wert nicht ins gerade, sondern ins 
verkehrte Verhältnis zu der Summe der Freuden setst^ 
die ne gespendet hat« • . 



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Ja, wäre die Furcht, in der die Menschheit vor 
ihren Hoffnungen lebt, nur ein häßlicher Traum! Aber 
wir wachen mit unerbittlicher Bewufithmt. Wir wachen 
vor den .Schlafaimraern unserer Nebenmenschen. Wir 
fühlen uns noch immer verpflichtet, das öfFent« 
liehe Ärgernis beizustellen, das eine Privatsache nicht 
hervorrufen würde, wenn sie unseren Blicken ver- 
borgen bliebe. Wir halten die Zeitung in der Hand, 
die 68 uns gewissenhaft meldet, wenn irgendwo zwei 
interessante Leute sich zu geschlechtlichem Tun 
gesellt haben, und wir kritzeln hocherfreut an den 
Kand den Namen der Frau, der in einem Prozeß mit 
impertinenter Diskretion so angedeutet wurde, daß wir 
ihn besser behalten als wenn er genannt worden wäre. 

Der Prozeß ist Vorbei, aber noch haben 
die Menschen mit empfindlichen Magennerven sich 
nicht so weit erholt, daß sie nicht beim bloßen 
Gedanken an das Moralgericht, das ihnen vorgesetzt 
wurde, speien müfiten. Jawohl, speienl Speien, wenn 
sie der Führung, und wenn sie der Beurteilung 
dieses Prozesses gedenken. Ein junger Mann ist des 
Betrugs angeklagt. Zum Beweise der Tat muß sein 
Qeschlechtsverkehr, nach Intensität und Richtung, 
vor den Qeschwomen erörtert, müssen die Briefe der 
Fraui die so unvorsichtig war, sich nicht vor der Ent- 
scheidung ihrer Oeschlecmtsnerven eine Leumundsnote 
über den Erwählten zu beschaffen, in geheimer Ver- 
handlung verlesen werden. In einer Verhandlung, die 
so geheim ^ei'ührl wird, daü die Panghunde der öffent- 
lichen Meinung Gelegenheit haben, die pikantesten 
Brocken zu erhaschen. Und siehe, wieder einmal geht 
ein grenzenloses Staunen durch die Welt, daß es noch 
so etwas wie geschlechtlichen Verkehr gibt, und seine 
letzte Repräsentantin wird mit all dem sittlichen UnÜat 
beworfen, mit all dem gutgesinnten Hohn bespritzt, den 
die öffentliche Meinung nur in der Eile zustandebnn^^en 
kann. Daß ein Lump Betrügereien verübt hat, erklärt 
sie ohneweiters aus der TatsachCi daß eine interessante 



Künstierin geliebt hat. Liberale Tugendbolde nennen 
sie die »bekannte Schauspielerinc und unter- 
stareichen das Wort mit der fettesten Gesinnungi 
derer sie fähig sind, und ein christlichsoBtaler 
Lfimmel, der seine Entrostung nur in Rubeicheni 
seinen Hohn nur in Qedankenstrichen ausdrücken 
kann, erstarrt vor Entsetzen bei dem Gedanken, dafl 
ein Betrüger mit der Idee uiugiiig, die »Dame« (I) 

zu heiraten. 

Der Vorsitzende hieß Hanusch. Er hätte auch 
Feigl heißen kciiinen. Daß es einen Paragraphen im 
Strafgesetz gibt, dtr die MiiLeilun^ von ehren- 
rührigen Tatsachen aus dem Privat- und Familien- 
leben aimdet, schien er nicht zu wissen. Und rit hter- 
liche Unkenntnis des Gesetzes schützt bekannthch weder 
den Angeklagten noch andere Leute vor Strafe. Eine 
Frau mufite es büßen. Dafi Herr Feigl einmal 
die obszönen Briefe eines Angeklagten yerlesen 
hat, um ihm ein Betrugsfaktum nachzuweisen — was 
* bedeutet das gegenüber dem Einfall des Herrn 
Hanusch, einen Angeklagten durch Vorlesung der 
Liebesbriefe, die nicht er geschrieben hat, sondern 
die an ihn gerichtet sind, des Betrugs «u überfOhren? 
Hätte Herr Hanusch blofi die Liebesbriefe des An- 
geklagten verlesen, er konnte sich auf die tiefsinnige 
Absicht des Verteidigers ausreden, die abnormale 
Geistesverfassung seines Klienten durch die »Per- 
versität« seiner Geschlechtsübungen zu beweisen. Die 
populäre Dummiieit, die Geist und Charakter des 
Mensehen - vor allem des Nebenmenschen — von 
der Richtung seines Sexualgeschmacks bestimmt sein 
läßt, wird ja heute noch von Juristen und Psychiatern 
als Grundsatz geheiligt. In Wahrheit wäre höchstens 
die auf das eigene Geschlecht gerichtete Sexualtendenz 
und auch nur die des Mannes, die also den Mann 
fälschlich als sexuelles Wesen bejaht und als den 
Träger von Ethik und Vernunft ausschaltet, patho- 
logisch (doch keineswegs kriminell) su deuten. Im Weib| 



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als dem aiissohließlich sexuellen Wesen, kann auch 
die Abkehning zum eigenen Geschlecht nicht aotisozial 
wirken. Weläie Oberhitzung normaler Triebe aber 
kdimte anders denn als (Geschmackssache und somit 
Privatsache der Beteiligten aufgefaßt werden? Wir 
sind denn doch schon über den Horizont eines Krafft- 
Bbing hinaus, der sich über die Erscheinun^ii ent- 
Tflstetj die er als Forscher untersucht. Er spncht von 
einer Ausgeburt höllischer Phantasie ^ wo mwei 
Menschen das tun, was die Asexualität, die über die 
blofie Betonung Gefühle nicht hinauskommt und 
sich darum fast stets prostituiert, als »moderne Per- 
versität« verachtet, was aber gesunde Unbewußtheit 
seit Erschaffung der Welt als selbstverständlichen 
Ausdruck der Leidenschaft betätigt. In der Liebe gibt 
es nichts Anstößiges, solange der unbeteiligte Moral- 
richter nicht seine Nase hineiusteckt und die Nacht- 
wandler zur Besmnung ruft. Eine Schauspielerin kann 
eine große Frau und eine "rroße Künstlerin sein, auch 
wenn die in geheimer Verhandlung vorgenommenen 
»Konstatierungenc, die ein Gerichtshof vorzunehmen 
so frei war, noch »krasserer Art« wären. 

»DieErgebnissedieses Teiles des Beweisverfahrens 
entziehen sich der Veröffentlichungc, Dieser Satz 
bedeutet mehr als die Veröffentlichung; der feixende 
Reporter sagt mehr ab der sprechende. Soyiel aber 
nraii selbst eine Kulturträgerin wie die ,Zeit' noch 
verraten : »aus den Mitteilungen des Angeklagten und 
den zur Verlesung gelangten Briefen der Schau- 
spielerin gehe herror, daß beide jahrelang in der per- 
versesten Art verkehrt habent. Die ,Neue Freie 
Presse^ glaubt in solchem Falle >auf eine stark 
ausgesprochene Geistesstörung schließen« zu sollen. 
Nichts ist, wie man weiß, in den Augen einer 
Kupplerin verächtlicher als die Sphäre, in der sie 
wirkt. Aber daß sich die alte Fichtegasslerin noch 
immer entrüsten kann, ist erstaunlich. In derselben 
Nununer, in der sie über die krasse Perversität, too 



• 

Privatleuten das Maul yersoff, trug rie auf ihrem 
Hinterteil die Ankündigung der folgenden sinnigen 

Namen von Masseusen (9. April, S. 61): Hedwig 
Faust, Ida Schlage, Wanda Stockinger Uiid zwei 
Wanda Schläger, die in verschiedenen Gassen 
wohnen. Zwei Tage später (S. 31) die folgenden: 
Mina Beinhacker, Jeanette und Wanda Stock, Paula 
Ruthner, Ida Schlage, Carola Priiger. All diese 
Träü:eriiinen vielversprechender PseudonytiK^ dienen 
einem Bedürfnis, von dessen Vert)reitungin den linchsten 
Schichten der Gesellschaft sich der Moralrichter keine 
Vorstellung macht. Haben somit ihre Existenz- 
berechtigung. Auch die ,Neue Freie Preflae^ die ihre 
Annoncen bringt, dient diesem Bedürfnisse. Hat so- 
mit auch ihre Existenssberechtigung. Ich frage aber^ 
wer dabei den höheren Anspruch auf die aitüiche 
Anerkennnng dar Menschheit hat: die Masseuaen, die 
die yNeue Freie Presse^ besaUea, oder die »Neue 
Freie Preaae^ die toq ihnen die Besahlung annimmt 
und im Textteil die ihr anvertrauten Interessen 
schmählich verrät? Hat dieses abgehärtete Schandblatt 
noch ein Recht, der Welt die züchtige Jungfer vor- 
zumimen, die die Wünsche des Besuchers mit der 
Frage enttäuscht: »Kann man denn das?« 

. . . Werden wir doch einmal vernünftig I Gewöhnen 
wir uns endlich den Ton des Erstaunens ab, der 
höchstens noch einem Staatsanwalt ansteht, wenn er 
eine »Lasterhöhlet ausgehoben hat, in der sicheren 
Überzeugung, daß dies die letzte sei, in der sündige 
Menschen den Versuch machten, Naturgebote 
zu erfüllen und Strafparagraphen zu übertreten I 
Lassen wir doch die Dummköpfe unter sich und 
nehmen wir ihnen den Wahn, daß sie \s irklich die 
Vollstrecker unserer Ethik seien! Wollen wir 
wirklich mit dem, was zwischen vier Wänden 
sesohah, die »Eibrec belasten» so geraten wir ja in 
Uefahr, daS ein mutiger Ülann oder eine mutige Frau 
uns das Klatsofamaul mit dem gewissen Paragraphen 



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stopft, der zwar auch so rückständig ist, unsere 
Heimlichkeiten »ehrenrührig« zu nennen, aher doch 

so gerecht, ihre öffentliche Erörterung zu unter- 
sagen. Achten wir diesen Paragraphen, der uns an 
unsere Anstandspflicht erinnert, achten wir Zuschauer 
einer Gerichtsverhandlung ihn, wenn ihn schon 
Richter nicht achten. Das Schauspiel, Männer in Amt 
und Würde sich an den Briefen einer Frau ergötzen, 
auf jedes Detail einer Liebesnaeht mit verglasten 
Augen starren und die Wonnen der Imagination mit 
zwölf biederen Ehemännern aus dem Volke teilen 
zu sehen, wir wollen es nicht haben, wir wollen 
dieses Vergnügen sozusagen aus zweiter Hand nicht 
genießen, wenn wir es auch zu würdigen wissen, was 
es für einen angeregten Strafrichter bedeuten mag, 
sich in einer solchen Sitzung »den Akt kommen zu 
lassenc... Wollten wir den Versuch, auf die Qe* 
schmacksrichtung des Menschen die Wertung seiner 
moralischen und geistigen Vorzüge zu basieren, 
v^allgemeinern, wollten wir von allen Häusern die 
Dächer und von allen Schlafzimmern die Decken ab- 
heben, wir müßten unsern Glauben an die Mensch- 
heit verlieren oder — endlich erkennen, daß er nicht 
ausschließlich in dem Vertrauen zur normalen Ge- 
schlechtspflege seine Wurzeln hat. Wir sähen hier 
einen tüchtigen General, wie er von einer Prostituierten 
geschlagen und zur Kapitulation gezwungen wird 
oder wie er in dem »Anbinden«, das doch selbst für 
die Soldaten schon abgeschafft wurde, eine Wohltat 
erblickt, dort einen Geistlichen, der am Fensterkreuz 
stöhnt; hier einen Minister, der der Frau eines Sub- 
alternbeamten die Lackschuhe küßt oder die Schleppe 
nachträgt, dort einen Gelehrten, der vor den Beizen 
einer Oassencirce sieht, dafi wir nichts wissen können. 
Und sie alle sind — etwa aufier dem Minister — 
in ihrem Berufe tüchtig und angesehen und obliegen 
ihren Besonderheiten in vollster geistiger und 
körperlicher Frische bis in das Alter Methusalems. 



— 7 — 



Seit Jahrhunderten aber wird uns von den Peinigern 
der Menschheit vorgelogen, daß hier etwas nicht in 
Ordnung sei. 




Bitte SchmutsereL 

Ein alter Kamerad sendete mir die Abschrift 
• eines Kriegsministerialerlasses vom 10. März 1. J. mit 
der Bitte, den Herren» weiche diesen Erlaß vom Stape> 
gelassen, den Kopf zu waschen. Ich komme diesem 
Wmische nach, indem ich den Brlaft vollinhaltlich 
publiziere und sodann die Kopfwaschung vornehme. 
Oer Brlafi lautet: 

»Auf Onind Allerhöchster Ermächtigung wird das Reichs- 
kriegsministerium in jenen Fällen, in welchen die vor der Oage- 
regulienin^, d. i. vor dem 1. Jänner IQOO in den Ruhestand 
getretenen vermögenslosen üagisten von der VII. Rangklassc 
abwärts um Erhöhung ihrer Versorgungsgenüsse einschreiten — 
bis zur gesetzlichen Regelung dieser iirage — die Bewilligung von 
gnadenweisen Subsistenzbeiträgen vom 1. Jänner 1905 an in 
nachbezeichnetem Umfange Allerhöchstenorts beantragen u. zw. 
fftr die tosonen der VII. bis XI. Rangklasse im Ausmafie von 
Wh, für die in eine Rangkiasse nicht eingerdfaten Qagisten im 
Ausmaße von 15®^ ihrer Pension (dnsdiUeßlich des eventuellen 
Znsdnissfs ans dem Taxfonds), falls hiedurdi jedoch bei den in 
eine RangUasse nicht eingereihten Qagisten der Betrag von 
400 K, bei den in eine Rangklasse dngerrihten Qagisten der 
Betrag von 750 K nicht erreicht würde, im Ausmaße der Differenz 
aur diesen Minimalbezug. Die Erhöhung auf den Minimalbezug 
von 750 bezw. 400 K wird das Reichskriegsmiaisterium auch iur 
die nach dem 1. Jänner 1900 in den Ruhestand getretenen (mit 
Wartegebüiir beurl) bezw. in Hinicunft in dieses Veriuitais 



tretencfen vermögenslosen Qagisten dieser Kategorie in Antrag 

bringen. Für den Fall als die in Rede stehenden Personen bereits 
eine Personal zu läge beziehen, kann nnr die Bewilligung jenes 
Betrages beantragt weiden, um welchen die Personalzulage etwa 
geringer als die erwähnte Aufbesserung entfällt. Als weitere 
Beschränkung hat zu gelten, daß abgesehen von der Aufbesserung 
auf den Minimalbezug; von 750 K bezw, 400 K die durch die 
gnadenweisen Subsistenzbeträge erhöhten Versorgungsgenüsse nicht 
hdher sein dürfen als die auf Grund der neuen Oagesatze und 
der gegenwärtigen Militärvenoiigungsgesetze entfallenden Pensionen. 
Zur Vereinfachung des Vorganges bei Erwirkung der gnadenweisen 
SubststenzbeitrSgie sind die gestempelten, mit einem Vermögens* 
MglceHszeagnisBe zu fadescndcn Gesuche um «Erwirkung gnaden- 
weiser Erhöliung der Versorgungssenflsse* im Dienstwege an das 
ReldiskriciEsmittisterium zu richten,« 

Es gehört wahrlich eine jahrelange Übung im 

Lesen und Interpretieren von Verordnungen aller 
Art dazu, um den Sinn dieser amtlichen Geheim- 
Sprache zu enträtseln. 

So viel aus diesem Rotwelsch zu entnehmen 
ist, hat Se. Majestät anbefohlen, daß die Ruhegehalte 
der vor dem Jahre 1900, also vor der allgemeinen 
Erhöhung der Oflßziersgagen, pensionierten Offiziere 
entsprechend erhöht werden sollen, da das Gerech- 
tigkeitsgefühl des Kaisers es nicht zulassen wollte, 
daß die vor dem Feinde gedienten Offiziere gegen- 
über denjenigen, die nicht vor dem Feinde standen, 
in ihren Ruhebesügen benachteihgt werden. 

Die höchste militärische Administrativbehörde 
hat es nun» wie immer, meisterhaft verstanden, diese 
Allerhöchste Intention nicht nulr so bu wenden und 
2u drehen, dafi die alten pensionierten Offisiere yon 
diesem kaiserlichen Gnadenakte recht wenig oder 
gar nichts profitieren, sondern sie hat auch an die 
Verleihung einer lOO/bigen Erhöhung der Pension, 
welche bei den Pensionisten, die nicht 40 Jahre 
gedient hahen, also bei den meisten, etwa 100 his 
300 Kronen jährlich betragen dürite, eine Bedingung 



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geknüpft, welche geradezu als demütigend, ja als ehren- 
rührig bezeichnet werden muß. 

Der pensionierte Offizier, der auf Qrund dieser 
bandwurmähnhchen Verordnung um eine 100/oige Er- 
höhung seines Ruhegehaltes einschreiten will, muß 
nftrolicn seinem vorschriftsmäßig gestempelten Gesuch 
eis Vermögenslasigkeitsseugnis beilegen 

Vermteens-i ITittellosigkeits*, Armutsieugnii 
bedeutet mmeKu dasselbe. 

Ein und dasselbe Organ fertigt solche Zeug- 
nisse aus. 

Der pensionierte OfiSsier» der nach meiner Meinung 
dieselbe Ehre hat, wie der aktive, muß sich also 
nach Weisung seiner höchsten Behörde an den 
Vorstand der Gemeinde, in der er domiailiert^ bittlich 
um Ausstellung eines solchen Zeugnisses wenden. 

Genies oder feinfühlige Seelen sind die Gemeinde- 

vorsläade bekanntlich nicht und ihnen zumuten, daß 
sie zwischen der Bezeichnung: Vermögenslosigkeits- 
und Armutszeugnis einen Unterschied erkennen, dazu 
gehört wohl mehr als der naive GIaul>e eines Refe- 
renten im Kriegsministerium. — Es wird daher, wer 
die Ausstellung eines solchen Zeugnisses erbittet, 
das ihn in den Augen eines protzigen Gemeinde- 
paschas zum Hungerleider macht, wohl manche 
Äußerungen hi^en müssen, die, nach den Begriffen 
über Offiziersehie, sich der Qffisier nicht gefallen 
lassen darf. 

Vor gar nicht langer Zeit hat man einen General« 
stabshauptmanui der brieflich aus religiöser Ober» 
spaontheit das Duell als eine Unsitte» als eine SOnde 
verwarf» ohne dafl er tatsftchlich eine Genugtuung 
mit den Waffen in der Hand rerweigert hätte» sein^ 
(%arge fflr yerlustig erklärt, weil eine solche Ansicht 
sich mit der Üffiasiersehre nicht vereinbaren lasse. Und 
nun zwingt die oberste Militärbehörde alte Offiziere, 
bei Gememdeprotzeu um Ausstellung eines Armuts- 



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— 10 — 

seugnisseSydemmanden »yoraehmenc Titel: Vermögen^- 
losigkeitszeugnis erteilt hat| betteln 8U gehen. 

Wissen denn die Hemm in der militärischen 
Zentralstelle nicht; dafl in den QuaUfikutionslisten 
jeder Offizier bis auf seine Sohamteile, also auch 
seine Vermögens Verhältnisse genau beschrieben ist, 
daij man daher nur einzelne der vielen Herren, die 
sich in den Räüinen des Kriegörniiiisteriums langweilen, 
zu beauftragen braucht, die einlang;enden Gesuche 
der alten Pensionisten um die lOO/o i^e Pensionser- 
höhung mit Hilfe der Qualifikatiooäiibten zu über- 
prüfen ? 

Oder wurde es nicht genügen, die bitt- 
stellenden Offizi(Te aufzufordern, auf Ehrenwort zu 
erklären, daß sie kein Pri¥atTermögen besitzen, sondern 
nur von ihrer Pension im gläozenden Elend leben? 

Ist das Ehrenwort eines pensionierten Offiziers 
nicht ebensoviel wert wie das eines aktiven und 
selbst eines den exzellenten Kreisen angehangen 
Generals? 

Warum wird übertiaupt die Aufbesserung der 
Ruhegehalte der alten Militärpensionisten nicht ohne 
Ausnahme durchgeführt? Warum werden diejenigen, 
die etwa noch eine mehr oder minderverschuldete 

Hütte ihr Eigen nennen, von diesem Benefizium aus- 
geschlossen? Einem Hauseigentümer wird gewiß kein 
Gemeindevorstand ein Vermögenslosigkeitszeugnis 
ausstellen, selbst wenn das Haus weit über seinen 
Wert verschuldet ist und der Eigentütuur von seiner 
Pt'iision die Hauszinssteuer samt Zuschlägen be- 
zahl» ii muß, während er einem Offizier, der Wert- 
papiere besitzt ein solches Vermögenslosigkeitszeugnis 
ausstellen wird, weil er von dem mobilen Besite 
desselben keine Kenntnis hat. 

Man will von diesem Benefisiumi das Se. Majestät 
gewiß allen seinen alten Offizieren ohne Unterschied 
augedacht hat, so viele als möglich aussoblieflenl Das 
gebietet das in der Kriegsverwaltung stets herrschende 



Sparsyst-em, das um hundert Kronen knausert, 
hunderte Millionen aber für militärische Schrullen und 
Spielereien leichtfertiq^ zum Fenster hinauswirft. 

Der Erlaß des Krie^sministeriunis ist daher eine 
SchmutziTPi, die sich mit dem Begriff der OflRziersehre 
nicht vereniharen läßt und überdies Irr t^i suüden 
Vernunft und der Gerechtigkeit widerspricht; und ich 
bin vollkommen überzeugt, dafi Se. Majestät, unser 
alter ritterlicher Kaiser, die an seinen alten Offissieren 
rersuchte Schmutserei nioht dulden wird! 

Mödling. Joseph SohOffel. 



Ein anderer Erlaß vom 10. März 1905. An 
diesem Tage richtete, wie ich erfahre, die k. k. Straf- 
anstalts-Direktion Stein sub ZI. 5016 eine Zuschrift 
an Industrielle, in der sie die Herstellung von Export- 
waren »durch Sträflingskräftet empfiehlt. D r Krimi- 
nalist als Arbeitgeber — übrigens die vernünftigste 
Rolle, die ihm zufallen kann — versteigt sich zu der 
folgenden grotesken Wendung: 

»Insbesondere wolle sieh die geehrte Firma 
&uSem^ ob — im bejahenden Falle — dieselbe geneigt 
wftre» solche Artikel dann hier anfertigen zu lassen, 
wobei nioht unerwähnt bleiben soll, daß gerade die 
k. k. Strafanstalt Stein — welche ihren Belag- 
raum aus der Residenz füllt — über tüchti,s:e, 
geschulte, zum Teile selbst hochintelligente, alle 
lud US triez weige umfassende Arbeitskräfte verfügt, • .c 

Pie Herren Coburg, Bachrach, Feistmantel, 
Wagner von Jauregg, Hinterstoißer etc. müssen jetzt das 
Furchtbare erleben, dali ihre Patientin, die sie so lange 
betreut haben, von Pariser Ärzten für uulieilbar 



geistesgeeund erklärt wird. Das Oefühl der BestOnttiig 
weicht aber dem fireudigenBewufitseiD, in einem Lande, 
wo der Hinterteil der Mftohtigen die einsige Rechts- 
quelle bildet, Tcr der Qerechtigkeit sicher zu sein 
und eine Tat nicht verantworten zu müssen, die zu den 
schlechtesten gehört, die je mißbrauchte Gewalt ver- 
anlaßt hat. Und die Freude schafft Übermut. In der 
letzten Plenar Versammlung der Wiener Advokaten- 
kammer wurde — leider von einer Seite, die den 
Ernst der Sache gefährden konnte — dem wür- 
di/zen Präsidenten eine Interpellation uberreicht, die 
sämtliche p^eoren ihn anläßlich der CohnrGr-AfTaire 
erschienenen Angriffe wiedergab nnd an ihn die Frap^e 
stellte, ob er es nicht für geboten erachte, gegen 
diese Angriffe klagend aufzutreten. Herr v. Feist- 
mantel erklärte, er sei »keineswegs in der Lage^ 
gegen unmotivierte, geradezu verleumderische An- 
griffe in der Presse Prozesse zu führen«. Man solle 
Qm riet er vertrauensvoll — beim Disziplinarrat 
anzeigen. Und die Wiener Advokatenschaft rief 
»Bravo l< Aber Herr Otto Frischauer ist annooh Hechts- 
anwalt^ Herr Harber hat durch Zurflckhaltun^ der 
Briefe die Standesehre nicht verletzt, sondern betätigt — 
womit sollte also Herr v. Peistmantel die Laune 
des Disziplinarrates getrübt haben? Nicht die Ethik, 
bloß die Logik des Mannes ist der Anfechtung 
zugänglich. Er ist keineswegs in der Lage, gegen 
unmotivierte, geradezu verleumderische AngrifiFe 
Prozesse zu fiihrea. Wehe aber denjenigen, die künftig 
motivierte Angriffe gegen ihn erheben wollten!... 
In einem Brief an den Vertreter der Prinzessin soll 
Herr v. Feistmantel sich für das Wohl des Papageis 
seiner Kurandin interessiert und diesen als ein kluges 
Tier bezeichnet haben. Die Klugheit des Papageis 
besteht vor idlem darin, daß die Erklärungen, die er 
vorbringt, nie von ihm selbst ersoanan, sondern naoh^ 
gespromen sind. Er blamiert sieh nioht gem. 



— 1« — 

An das Auftreten der schwedischen Masseuse 
europäischer SeeleaverfettuDg knüpft die folgende 
Zuschrift an: 

Sehr geehrter Herr Kraust 

Sie sprachen in der loteten Nummer der ^Fackel' 
von Ellen Key und von der Wiener Gesellschaft. 
Gestatten Sie, daß ich zu diesem Thema das Wort 
ndime und einige Binselheiten anführe, die als Beweis 
f&r die Richtigkeit Ihrer Ansicht dienen könnten^ 
falls es eines solchen Beweises noch bedfirfte. 

»Wien und Berlinc, Zwei scharfe (Jegensitae. 
In Allem, auch in unserer Prap^e. Wie erging es 
Eilen Key in der deutschen Reichshauptstadt? Wurde 
sie dort auch bejubelt? Auch iPhilosophinc genannt? 

Es ist merkwürdig. So uneinig die Österreicher 
in nationaler Beziehung sein mögen, in ihrer Urteils- - 
tesigkeit sind sie rührend verschwägert. Die liberalen 
Blätter und die, Arbeiter-Zeitung' preisen Ellen Key, das 
»Deutsche- Volksblatt' tut desgleichen. Hier gibt es 
keine Unterschiede. Keine Rechte oder Linke; das 
Urteil fehlt. Ist es denn möglich, daß ein christliches 
Blatt Ellen Keys Ansichten über Liebe teilt? 
Ellen Keys Ansichten über »Diesseits« und »Jenseits«? 
Und tiber die Bejahung des Willens zum Leben? 
Und kann eine sosialdemokratische Zeitung einer Frau 
zustinmien/ die sich — angeblich wenigstens — su 
Nietssche bekennt? 

Die Antwort holen wir uns in Berlin. Das 
Referat des ^Vorwärts' wäre fCbr die , Arbeiter-Zeitung* 
sehr interessant gewesen. Das Zentralorgan der 
deutschen Sozialdemokratie äußerte sich über Ellen 
Keys Philosophasterei in einer ebenso vernichtenden 
wie richtigen Kritik. Die schwedische »Seelenvollheit« 
nannte der , Vorwärts' treffend »pure Tollheit«, die 
fibri^en »Ideen« bezeichnete er als » Arinsiliirkeiten.« 
Die Berliner ,Zeit am Montag' — ein Organ verwandt 
radikaler Richtunfr — urteilte nicht milder. Sie suchte 
nachzuweisen 9 daß sämtliche Ideen des redseligen 



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Fräuleins bereits vor Jahrhunderten und viel besser 
vorgetragen wurden. Daß nur die irerine^e philosophische 
Bildung der eleganten Berliner Welt Ellen Key 
bewundere.. . . Die konservativen Blätter entwickelten 
Anschauungen, welche geeignet wären, das ^Deutsche 
Yolksblatt^ um allen reaktionären Kredit zu bringen. 
Der ^ichsbote^ protestierte gegen die »moralische 
Versumpfung des Volkesc durch die modernste Art 
von Frauenrechtlerinnen.... 

Die Wiener haben sich also wieder einmal 
bewährt. Wen sie be wundem, das wollen wir ein 
wenig aufhellen. Fräulein Ellen Key schreibt über 
Liebe und Ehe. Gesteht, dafl sie in dergleichen Sachen 
so gut wie keine Erfahrung besitzt. Aber gerade 
» deshalb € — man beachte die seelenvolle Logik — 
könne sie ein schlackenreines Ideal darstellen. Dieses 
Ideal formuliert sich ein Wort (»Seelen vollheitc) und 
verbannt Alles Intellektuelle (besonders Logische). 
Da es von der Erfahrung nicht angekränkelt ist, 
behauptet es, das Weib sei »seclfMi voller« als der 
Mann, stellt höher als er. Natürlich nicht das empirische 
Weib. Nicht die nornuile Mutter. Ellen Key ist ehr- 
^eisiger. Sie bestimmt a priori, was Wert und Unwert 
ist, und meidet den Weg a posteriori (die Erfahrung). 
Ellen Keys Geschöpf ist die Transzendental - Mutter.. 

Außerdem ist Nietssche ihr Ideal. Um das m 
begreifen, mufi man zweierlei wissen. Erstens, was 
Nietasche über die Frauen dachte. Zweitens, daß 
Ellen Key alle Intellektualität und Logik hsA%, Dann 
wh*d man verstehen.. . • Man wird yenseihen, daß 
Ellen Key einem Philosophen anhängt, der den 
kategorischen Imperativ des »Literaturweibchensc 
bloßlegte: »Aut liberi aut libriU Der George Sand 
eine »Schreibe-Kuh« nannte und den Feminismus 
glühend verdammte. Und man wird sich vielleicht 
jenes grausamen Hohnwortes entsinnen, das Nietzsche 
Ellen Keys Gf^sehlechtsgenossumen zuruft, den »Seelen- 
vollen«; »»Sie smd noch nicht einmal flach!« 



— . 15 — 

ISne Frau aber, die Nietzsche eine so ab* 
gründliche Yerständnislosigkeit entgegenbringt, die 

eingetrocknete Ideen mit neuen, schlechten Worten 
aufweicht, feiert in Wien Triumphe. Wer denkt da 
nicht an frühere Begebenheiten zurück? An Zeiten, 
da sich Wien so glänzend vor der Berliner Urteils- 
kraft blamierte? Wie wars mit dem Prauenkongreß? 
Wo waren die österreichischen Konservativen? Wie 
ists mit der Friedensbewecrimg? Als Berta Suttner 
in Berlin sprach, da ging (mh St arm der Entn'isiung 
durch die Reihen der konservativen und national- 
liberalen Parteien. Und in Österreich?. , , Bin Brünner 
Bericht erzählt von der Suttner- Versanunlung, ver- 
zeichnet die Anwesenheit höherer Militärs und — 
lebhaften BeifalL«.. Hier gibt es weder Sozial- 
demokraten von der Entschiedenheit eines Liebknecht 
noch Konseryative yon der Unduldsamkeit eines 
ManteuffeL In Österreich ist Alles »liberale. Man 
kennt keinen Standpunkt, auf welchem man sich 
verschanzt, man kennt nur Gemeinplätze, auf denen 
geschachert wird. Da wird jede Ansicht zur Mode- 
krankhi'it and jede Narrheit zum geduldeten Prinzip.. . . 
»Sie sind noch nicht einmal ilach...« 

Ich zeichne hociiachtungsvoll 

M. S. 



Pie Ägyptenreise des Wiener Männergesang- 
vereines hat das Ansehen der Wiener Journalistik 
im Orient ebenso gefördert, wie das Ansehen des 
Orients bei der Wiener Journalistik. Einer ihrer 
Vertreter, der swar nicht von Pharaos Zeiten her, 
aber doch schon vor dem Besuche des Männergesang^ 
Vereins in Ägypten gewohnt und somit die Freikaite 
erspart hat, fiihr semen Wiener Kollegen auf einer 
Barke entgegen und rief: »Orüfi euch Gottl Wo ist 
der Löwf ?c Da die Mitglieder des Männer- 



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16 



gesang Vereins diese Grußformel für ägyptische Ver- 
hältnisse nicht treudeutsch genug fanden, ging er 
hin und beschuldigte sie in verschiedenen Eorrespon- 
densen antisemitischer (Besinnung. Auch sonst soll's 
recht gemütlich sugeRangen sein» Der Korrespondent 
der ,Neuen Freien Presse' wollte nicht lügen und 
rer&fite deshalb seine Telegramme schon vor der Abreise 
auf Qrund des Veretnsprogrammes^ das fOr jeden Tag 
Torausbestimmt war. Was konnte er dal&r, dafl der 
Verein seine Dispositionen nachträglich änderte? Die 
,Neue Freie Presse^ hatte sich auf den jedenfalls 
richtigen Standpunkt gestellt, daß es der orientalischen 
Beobachtung nicht bedarf, wenn man das Glück hat, 
über orientalische Phantasie zu veilugen. Was ver- 
schläft'?, daß die schönen Dinge, die sie ihren Lesern 
beschrieb, kein Reiseteilnehraer zu Gesicht bekommen 
hat? Auf die innere Wahrheit kommt es an, und auf 
die Ersparnis an Telegraramgebühren. Und iil)riij;ens 
haben sich die Ereignisse nach der , Neuen Freien 
Presse' zu richten und nicht umgekehrt. Friedrich 
V. Schlegel's Wort, daß der Historiker ein rückwärts 
gekehrter Prophet ist, dürfte auf ein fortoohrittliches 
Blatt höchstens dann Anw^dung findeOi wenn die 
Prügelstrafe für Journatisten eingeführt wäre. Dafl 
dem -Vertreter der «Neuen Freien Presse^ die Des- 
avouierung seiner Telegramme duroh die Tatsachen, 
wie eraählt wird, das ganse Vergnügen an der Reise 
verdarb, ist gewifi bedauerlich. Aber das ist blofi die 
Schuld seines ungeübten Gewissens, das sich an die 
jahrzehntealto philosophische Erkenntnis von der 
Welt alii Wiile und Vorstellung der , Neuen Freien 
Presse' noch nicht gewöhnt hat. Er möge sich 
damit trösten, daß auch seine K()lleu:en mehr kom- 
biniert als beobachtet haben. Eine lebhafte Meinungs- 
verschiedenheit herrscht zum Beispiel über den 
Schnurrbart des Khedive. Während das ,Neue Wiener 
Tagblatt' versichert, daß »ein dichter dunkler 
Hängeschnurrbart mit leicht aufwärts 



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gebogen enSpitzen der Physiognomie den gewissen 
orientalischen Müdigkeitsaiisdruck verleiht«, erklärt 
das jNeue Wiener Journal*: »Das dünne Schnurr- 
bärtchen ist englisch zugestutzt. Sonst wahr- 
lich kein Freund der Engländer, die ihn zum Schatten- 
konig heiabgedrückt haben, hat Abbas II. sie in 
Bezug auf die Bartform sich zum Muster genommen.« 
Wer hat Recht? Ich glaube, das ,Neiie Wiener Journal^ 
Denn erstens ist seine Beschreibung ausdrücklich als 
»Original-Korrespondenz« bezeichnet, somit jedenfalls 
einer verläßlichen Quelle entnommen. Und zweitens 
hatte der Vertreter des ,Neaen Wiener Tagblatts* alle 
Hände roll zu tun, um mit varachiedenen Funktionäre 
über seinen Chef zu reden und jedes Lobeswort, das 
er ihnen abgepreflt hatte^ m Terseichnen. Was Herr 
Wilhelm Singer in seinem Blatte über sich selbst 
sclureiben läfit, ist viel YerläftKcher als die Beschreibung 
Abbae II. Ibn finde diese fortwährende Setbst- 
beräucherung, dieses Auf dem Bauoh liegen vor dem 
eigenen Bauche, diese Eigenkriecherei in Ermangelung 
eines noch unbonützten Schlupfwinkels der Gunst 
nicht ekelerregend! Bin fiktiver Weltbeherrscher ist 
interessanter als ein wirklicher Schattenkönig. 

Ob sie eines natürlichen Todes sterben oder durch Selbstmord 
enden, mtti beneidet die Toten, weil sie ihre Nekrologe nicht 
mehr lesen mtaen. Denn es geht doch iiicht an, die Toteih 
schan unserer Tsgespresse ab humoristische Ecke «ulatttoen, an der 
auch die Oberlebenden ihr Vefgnfigen haben kdnnen. Aber schlieB» 
lidi wild wohl nichts übrig bleiben, als dem nassen Auge, das 
der Tmuerkkige ziemt, das bekannte heitere zu gesellen und sich 
Herrn St— g als Nachnifer fOr einen verstorbenen Lehrer der 
deutschen Sprache gefallen zu lassen. Es ist ja schrecklich, daB 
jetzt immer außer dem Tod auch noch der St— g den Menschen 
rasch antritt, daß nicht nur eine Krankheit, sondern auch das 



18 



Sterben noch ein Folgeübel für den R- Iroffenen nach sich /:iehen 
kann. Aber auch dafür muß es einen Trost geben. Der 
Leser denkt — mit Herrn St— g, der den Ausspruch in jeder Sonn- 
tagaglossebis zum Erbrechen zitiert : »£s kann D'r nix g'schehnl« 
So nimmt er es denn gläubig hin, wenn der iVlann, der mit den Herren 
Sil Vam und Bendiener den Impressionismus der ^euen Freien 
Pkesse* vertritt, erzählt: >£in Schuß ist auf der Universität ge- 
fallen* Durch die hohen Säulengftngei die ngenden Wölbungen 
pflanzt sldi der dumpfe Knall fort Allfiberatl wird es vernommen, 
nnd Hunderte sduedcensbldcher Menschen streben in verstörter 
Hast dem Räume zu, wo sich Sdu^ckliches ereignet haben muß«. 
Aber so wahr Wölbungen nicht zu Aigen und Säulen sidi nicht 
zu spannen pflegen, so bekannt ist es den Zeftungslesem, daß 
niemand die Detonation des Schusses, durch den sich Professor 
Heinzel das Leben genommen hat, hörte, daß sie nicht einmal in 
dem nah gelegenen Seminarsaal vernommen wurde. >Ls war die 
Zeit des stärksten Verkehres auf der Universität, wo ein unauf- 
hörliches Kommen und Gehen herrscht, die Wißbegierigen und 
Eifrigen von Hörsaal zu Hörsaal strömen. Gewissermaßen vor ihrer 
aller Augen hat Richard Heinzel sich den Tod gegeben. < Gewisser- 
malien, aber nicht gewiß. Noch stimmungsvoller wird diese 
Schilderung vielleicht wirken, wenn man erfährt, daß der Selbstmord 
des Professors Heinzd inmitten der akademischen Osterfenen ge- 
schah, vierzehn Tage, nachdem alle Professoren aufgehört hatten, 
zu lesen. »Der Mann, der während seines ganzen Oaseins schier 
ingstüdi bemfiht war, sein Privatleben mit den undurchdringlichen 
Schleiern des keuschen Geheimnisses zu umgeben. . .« Ist das 
nicht dn dunkler Punkt in seiner Vergangenheit? Dem Gebote, 
de mortuis nil nisi bene zum Trotz ruft ihm der Reporter die 
Wahrheit nach. Aber wieso weiß man denn, daß er »ängstlich 
bemfifatc war» sein Privatleben wie ein Geheimnis zu hfiten? Hat 
man einmal den Versuch gemacht, es zu entschleiern? Es scheint so. 
Vor sechs Jahren, da man seinen sechzigsten Geburtstag und sein 
dreißigjahrij^es Professorenjubiläum feierte, soll Heinzel einigen 
zudringlichen Interviewern die Tür gewiesen haben . . . Aber dies 
und das kann man wenicrstens heute übor ihn erfahren. Zum 
Beispiel : »Ein trefflicher Pistolenschütze, war er sich 
dessen bewußt, daß das Todesurteil, das er ühei sich ver- 



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hingt littte^ mit erbiurmutigslofier Sicherheit vollstreckt norden 
würde«« Herr St«**s, der btofi die Sdiußweite des Rmlvers der 
(Neuen Freien Finesse' kennt und sonst von der Waffenknnde 
so viel wt\B, als zum Besuch des Sdifitzenkränzchens unbedingt 
notwendig ist, glaubt offenbar, daß man sich auf 50 Schritt Distanz 
zu erschießen pflegt. . . 

Was aber ist das alles gegen Herrn Rudolf Merfnger, der 
sich als »Professor der Orazer Universität« breitspurig an der Spitze 
eines Feuilleton-Nachrufs für Richard Heinzel in der ,Neuen Freien 
Presse' hinpflanzt! Herr St— g ist Journalist, muß deshalb nicht 
Deutsch können, nicht kluge und sinnvolle Dinge sagen. Der 
Mann, der Lehrer für Germanistik einer großen Universität 
ist, schreibt den Satz nieder und läßt ihn drucken: Es sd nicht so 
dnfach, zu sagen, was wir i-ieinzers Arbeit vetdanken; »ich bin 
dazu nicht imstande«. Schreibt: »Er wollte kflhl bleiben, wenn 
auch seine Seele die Lddenschaft kannte, um nicht ungerecht zu 
weiden«. Schreibt: »Dafür fehlte es für ihn an Jeder Entschuldi- 
gung«. Schreibt den von feinster Spiachlogik zeugenden Satz: »Und ' 
wie der wiasenschaftlidie Charakter sidi nie ganz vom rein mensch- 
lichen trennen liBt, so war es auch bei Heinzel«. Man erwartet: 
so hat auch das private Wesen Heinzeis alle jene Eigenschaften u. dgl. 
Nein, >so war es auch bei HeinzeU. Sehr schön ist die Wendung: 
»Für die Sage unserer Altvordern hatte er ein Herz, für ihre 
Dichtung, wo er strenge über jede Hebung und Senkung achtete 
und üb auch das Wort an seiner gewöhnlichen Stelle stand«. Hier 
wird die Schüler des Germanisten Meringer die merkwürdige 
Verbindung der Begriffe > wachen« und >achten« interessieren. 
Herr Meringer zählt alle Größen auf, die aus dem Seminar 
Heinzels's hervorgegangen sind : »Seemüller, Minor, Werner, Brandl, 
Much, Detter, Kraus, Zwierzina, Lulck, v. Weilen, Walzel, Singer, 
M. H. Jellinek, Murko und ich... So viele Namen, so viele 
Individualititen.« Herr Meringer war bescheiden genug, sich 
sellist zuletzt zu nennen. Ich weiß aber wahrhaftig nicht, ob 
Professor Heinzel, wenn er sein Feuilleton nodi hfttte lesen können, 
nicht aus Oram am Leben g!eblieben wfire und Herrn Meringer 
verhalten hätte, wieder in das Seminar einzutreten. 



— »I — 



ANTWORTEN DES HfiRAUSGBBBRS. 

Hößinp. Die Aufnahme, dfe der Justizrat Körner nach seiner 
Rückkehr von Florenz am sächsischen Hof erfuhr, die Behandlung, die 
einst Herrn Eachrach in Wien zuteil werden wird, hat Shakespeare 
vorausg:eahnt : 

König Johann; »Dein Arm ermordet' ihn; ich hatte madit'gen Qnindi 
Ihn tot zu wünschen, doch du hattest keinen, 
Ihn umzubringen!« 

Hubert: »Keinen, gnädiger Herr? 

Wie, habt ihr nicht dazu mich aufgefordert?« 

>Es ist der Kön'ge Fluch, bedient von SUaven 

Zu sein, die Vollmacht sehn in ihren Launeo, 
Zu brechen in des Lebens blut'ges Haus, 
Und nach dem Wink des Ansehns ein Oesetz 
Zu deuten, zu erraten die Gesinnung 
Der diolmtfen Majestät, «cnn sie v!elieidit 
Ans Laune mehr als tnierlegimg zflnit.« 

»Hier euer Brief und Siegel ftir die Tat.« 

»O, wenn die RfiGhatttig zwischen Erd' und Himnicl 

Wird abgeschlossen, dann wird wider uns 

Der Brief und Siegel zur Verdammnis zeugen! 

Wie oft bewirkt die Wahrnehmung der MiUel 

Zu böser Tat, daß mau sie bösiicii tut. 

Wenn da nicht da gewesen wM. ein Mensdi 

Qezeiduiet von den Händen der Natnr, 

Und ausersehn zn einer Tat der Schmach, 

So kam mir diese Tat nicht in den Sinn. 

Doch da ich Acht gab auf dein scheußlich Ansehn, 

Geschickt zu blut ger Schurkerei dich fand, 

B«iuem zn brauchen fib* dn Wagestfld^, 

So dentet' idi fon fem tnf Arthnis Tod: 

Und dn, um einem König wert zu sdn, 

Tragüt kefai Bedenken, einen Prinz zu morden.« 

»Mdn Fürst, —«5 

»Hälfst du den Kopf geschüttelt, nur gestutzt, 
Da ich von meinem Anschla^j dunkel sprach; 
Ein Aug des Zweifeis auf mich hingewandt, 
Und mich in klaren Worten reden heißen: 
Idi vir vetstnnunt vor Scham, httt' abgebrodien, 
Und dehie Scheu bewirkte Sdien in mir. 
Doch du verstandst aus meinen Zeichen mich, 
Und pflogst durch Zeichen mit dem Zdchen Rat, 



jt ohne Aarind ffb ddtt H«x tidi «Mn, 
Und dem nfolge deine rohe Htadi 
Die Tat zn tun, die wir nicht nennen durften. — 
Aoi nMinen Angen fort i nie lieh mich wieder!« 

Und: Exton (to Ricfaaid II.): »la diesem Sei^ bring ich dfr, groBer 

Begraben deine Furcht: hier liegt entseelt 

Der Feinde mächtigster, die du gezählt, 

Richard von BoturdieauXf her durch mich gebracht < 

Bollngbroke: »EMon, Ich dank dir nicht; da hast vollbracht 
Bn Werk der Schande, mit verruchter Hand, 
Auf nnser Hanpt und dies berühmte Ijuid.» 

»Ans eurem Mond, Herr, tat Idi diese Täte 

»Der liebt das Oift nicht, der es nötig hat. 
So ich dich: ob sein Tod erwünscht mir schieOi 
Den Mörder hass' ich, lieb' ermordet ihn. 
Nimm fttr die Mflhe des Qewisseni SdiitHL 
Doch nneder mein gnt Wort noch Mie Hnld. 
Wie Kain wandre nun in nicht 'gern Omn, 
Und laß dein Hntipt bei Tage nimmer schaun!« 

Und so veiter. Bis auf unsere Tage: »Bachracfa, ich dank dir nichtU . . . 
Schicksal des Fürstendieners ! 

Parlnmentnrier Herr Dr. Emil Frischauer belegte als Verteidigter 
des Grafen Sternberg seine Behauptung, daß die Säulenhalle des 
Pariaments kein Ort sei, der »besonderen Anstand erfordert«, mit der 
notoffisGlien Tatsache, daB er selbst den Hut anf dem Kopf bsiialie, 
«mm er des Perlstyl behrele. Die Beweiskraft dieses Argiimcnts hat 
nicht ohneweiten eingeleuchtet Mit demselben Recht könnte der Herr die 
Sitte, mit Messer rnd Gabel zu essen, durch den Hinsei«; niif die Talsache 
negieren, daß es auch Leute gibt, die mit den fianden essen, wobei er 
bloB die Vorschrift, beim Ebsen nicht zu reden, infolge manueller 
Verhinderung der Beteiligten anerkennen müßte. Hoffentlich leitet er 
aus der Tafsache, daß sein Bruder Otto erpreßt und wlenrndet bat, 
■idit die Behauptung ab, daß die Advokatur kein Beruf sd, der 
besonderen Anstand erfordert. 

Lfffer. Znm ewigen Gedächtnis muß die Depesche, die ein 
amerikanischer Clown in die ,Neue Freie Presse' vom 29. März geschmuggelt 
hatte, hier testgelegt werden. »Ein Schiffskapitän, der mit seinem Boot 
naf dem Esstriver msnöfrierte, glaubte, das Ende der Weit sei gekommen, 
als er Montag mmiens pidizlich eine menschUdie Figur, vie eine 
Rakete aus dem Wasser schießen sah. Die Figur schoß heraus, wie anf 
der Spitze einer Wasserhose, und drei ^eitTe fo!<^teTi. Die^e mensch- 
lichen Fijjiiren stiegen etwa 20 Fuß hoch in die Luft, fielen dann zurück, 
und schwammen, Uut nach Hilfe rufend, dem Lande zu. Hinter dem 



aatdiefiicndeo Wunder fleckte dne merkwflfdlge Rettung ent Todes- 
gefahr. Die vier Leute varen in dem Tunnel beschäftigt, der unter dem 

Eastriver, zwischen New- York und Brooklyn gebaut wird. Sie arbeiteten 
hinter einem pneumatischen Schild in einer Kammer, die durch kom- 
primierte Luft gestützt wird. Einer der Leute erzählte: Ich bemerkte 
einen Luftzug nach oben, und ging deshalb über eine Leiter hinauf, um 
SIdce gegen den Ri8 nt befestigen, aber die koni|»1mierte Luft pfiff 
wie ein Blitz durch das Loch. Bevor ich wußte, wo ich war, war ich 
an die Decke des Tunnels gekittet. Eine Sekunde später wurde ich 
weiter hinaufgetrieben. Ich fühlte, wie mein Kopf durch 7 Fuß 
dicken Schmutz und Steine sich den Weg bahnte. Ich hielt 
mir die Hände vor das Gesiciit, zum Schulze gegen die Steine, und zog 
mir den Hut feit Aber den Kopf; Idt erinnere miclif ndt der 
Qeschwindigitdt von etwa 500 Meilen In der Stunde durch- 
gekommen zu sein. Aber es schien mir eine langsame Operation, 
doch schien ich vollständig: im Besitze meines Bewußt- 
seins zu sein. Ich war erfreut, als ich endlich ins Wasser kam, 
wahrscheinlich 25 Fuß tief, die ich im sechzigsten Teil einer 
Sekunde durchdrang. Dann fQhlte ich Luft um meinen Kopf sausen, 
kam mit einem wuchtigen StoB wieder ins Wasser und schrie ,Mordl' — 
Die Explosion wird einer zufälligen bedeutenden Vermehrung des Luftdruckes 
zugeschrieben. Die Leute wurden 50 bis bO Puf'i durch Steine, Wasser 
und Luft geschleudert«. Die ,Neue Freie Presse' wußte aber in der 
letzten Zeit noch andere Meercsu n^^eheuerlichkeiten zu berichten. Da 
wurden uns z. B. ganz merkwürdige Leistungen von Dampfern gemeldet. 
Im Abendblatt vom 21. Mirz: »Bs hei&tt daß das franzflsisclie 
Mittelmeergeichwader . . . die spanischen Häfen Qranada und 
Barcelona anlaufen werde«. Am 25. März: »Weiters unternimmt 
der österreichische Touristenklub . . . eine zweite Reise, und zwar nach 
Venedig, auf welcher mit dem Lloyddampfer ,Euterpe' die 
Adelsberger Orotte, Tricst . . . und Abbazia besucht werden«. 

Gymnasiast. Preisausschreibung des Deutschen V^ilkstheaters . . . 
Dazu schreibt die .Neue Fieie I'resse' (2. April): »Wie aus dem Vor- 
stehenden ersichtlich ist, wiid ein neuer Modus beobachtet, duich den 
augenadiclnlicii vermieden werden soll, dsB, wie dies bei manchen 
Freisansscfareflmngen der Fall war, anssddieBUch »Budidramen' mit 
litersriscfaen Preisen ansgezeichnet werden. Oegen diese Neuerung 
ist weit 'K'eniger einzuwenden, als gegen die — Stilisierung der Preis- 
ausschreibung. Einem oder dem andern der Preisrichter dfirfte das 
,Deutsch', in dem die Bestimmungen über den .Deutschen Volks- 
tiieaterpreis' abgefaßt sind, recht, unangenehm flberrascht haben.« 
Noch unangenehmer hat es eincfm oder dem andern flberrasciit, ein 
Blatt, das so wenig Deutsch kann, Sprachkritik üben zu sehen. Die 
Bestimmungen des Volksthcaterpreises sind verglichen mit ihrer Kritik 
ein stilistisches Meisterwerk. So eine Frechheit! Setzen! Und hundertmal 
abschreiben: »Ich soll mich nicht überheben!« Wohlgemerkt: mich, 
nicht mir. 

0 



Straßenkehrer. Im ^Neuen Wiener Journal' erschien ein 
»Eingesendet«. Der darin An^egfriffene schickte eine Berichti8:iin^, die 
nicht abgedruckt wurde. lu der Gerichtsverhandlung erklärte der 
»TcnnitviirtHdie Redakteur« — num kmit die Sorte wlridldi mir mehr 
zwischen OinsefBBchen zitieren -^»daß die Redaktion des Blattes eine 
Berichtigung des Klägers gar nicht erhalten habe. Dieser produzierte 
hierauf, wie der Qerichtssaalber!cht der .Arbeiter- Zeitung:' erzählt, einen 
Brief der Administration des , Neuen Wiener Journals', worin sie 
sich bereit erklärt, die Berichtigung zu bringen, wenn sie als 
Inserat aufgegeben werde. Dte Antwort des »versntworttiehen 
Redakteurs« auf diese Enfhflllnng war ein Udidn, das den Richter 
Lmdeseerichtsrat v. Heidt, veranlafite, mit Nachdruck das Folgende zu 
sagen: »Der Brief hätte von einen Blatte, das etwas auf 
sich hält, korrekterweise nicht hinaus^ej^fei)en werden 
dürfen«. — Das ,Ncue Wiener Journal' marschiert natürlich an der 
Spitze der Blätter, die dem Volksbetrug des Annonceurs »Professor 
Mazim« VoTKhnb geleistet haben. Das OeM, das diese HUfe trog, reichte 
zwar höchstens zur Anschaffung von Wagenschmiere ftir die Equipage 
des Herrn Lippowitz, die in Wien so lange schon dfientUches Ärgernis eiregt 

Literarhistoriker. Ob Theodor Fontane, dessen Briefe kürzlich in der 

jNeufn Freien Presse' abgedruckt wiren, es ironisch gemeint hat? Er 
sah das Pdatt duich die Vermittlung eines Freundes, >der de«^ Vorzugs 
genießt, die ,Neue Freie Piesse' in sein Haus kommen zu sehen«. Für 
ein pair Mark kann jeder Berliner, jeder Mensch dieses Vorzugs 
fenicÄen. Sogar idi. 

JamhuiHiur, Das geistige Niveau einer Stadt kann man auch 
nach den Personalnachriditen ihrer Presse abschätzen. Wenn in Berlin ein 
berühmter Mann begraben wird, so scheint dem Publikum eben noch die 

Tatsache seines Ablebens wissenswert. Wien interessiert sich für die 
Kondolenzparasiten, die mitgehen. Die Fdl-trinc, die unsere Presse seit 
Kürnberger für jede Schaufel Reklame, die sie aui illustre Oräber wirft, 
empfangen hat, ste bähen nichts fcfrnchtet In Wien wird man» wenn 
efaist die Welt zugrunde geht, frsgen, wer dsbel war nnd was die Fna 
Eisler angehabt hat. Es gibt hier Persönlichkeiten, deren Vorleben man 
g^ar nicht untersuchen muß: sie werden einem schon durch die un- 
unterbrochene »Anwesenheit« unerträglich. Sowie man durch Jahrzehnte 
auf dem Theaterzettel einer Hofbühne die Herren Fiala, W iesner, Füller 
als Wachen. Diener oder Gefolge verzeichnet findet, so hat die Öffent- 
Uchhclt anch an Komparsen der EMgnisse glauben lernen mfifien. Der 
Unterschied ist aber, daß die Herren Fiala, Wiesner, Füller wahr- 
scheinlich sehr ehrenwerte Leute und sicher unentbehrliche Glieder eines 
Ganzen sind , während die Komparsen des Wiener Löbens sich vor 
die Akteure drängen und an die Rampe treten, wenn andere e^erufen 
werden. Ist es nicht schon langweilig, daß der Professor Monti statt in der 
Wissenadufl, inuner nnranf den Mettanilch-Redonten »voranidirdfet« ? Von 
Herm Aagito Eisner v. Elsenhof will idi nicht sprechen. gUmbt sonst 
wifkUch, daß Ich ihn »angreite«, und sucht mich am Ende dadurch zu 



_ 24 — 



gewinnen, daß er sich mir wieder einmal vorstdien läßt. Aber im Ernst 
gesprochen : väre es nicht das VeriiünUigste.daß man den Mann endiidi zum 
TnchaeB nuidit gegen dae Venpfcdwii, tich zu tchonen iiDd iilt 
viader an einem Be^itbiiis, an einer Fahnenvoilie, an etoer Eröffniuig 

teilzunehmen? Indes, vas hilft's? Einer zitht tich zurück nnd Hunderte ^ 

bleiben. Vnd tätlich erobern sie sich neue Gebiete der Popularität. 
Sterben keine Berühmtheiten, werden keine Ausstellungen eröfinet, wird 
kein jubiiaum gefeiert, kein Festgottesdienst abgehalten, so muß man sich . 
eben mtt bescheideiiereii OdesenhdteB abfinden. Theatertchulvorstellun- 
gm io hdfit dal cbea entdeckte Feld, aof dem man »n. a.€ gesehen 
werden kann. Kümmerlich, sehr kümmerlich. Aber der Saal des Kinf- 
minnisrhen Vereines faRt etwa drcihtindet Personen. Warum sollen nicht 
drei davon genannt werden können? Um einem iän^^st gefühlten Bedürfnis 
abzuhelfen, konstatiert die ,Neue Freie Fresse' in dem Referat über eine 
SchfilervorsteUung der Theaterschule Arnau : »Die Vorstellung war sehr gut 
besadit Man sah unter den Olsten, welche der besten OeseHscbaft 
angehörten, Oeheimrat Sektionscfacf Dr. Liharzik, Sektioaschef Herz, 
Hafenbau direktor Hofrat Taussigu. v. a.« Dies von jetzt an die unerläßliche 
Einleitung zu einer Kritik über die Leistungen von Schauspielschülern, Die 
Herren Liiiaizik, Herz und laussijj sind alte Kräfte, denen unbedini^t der 
Vortritt gebührt. Ilir innerer Zui»aumieuhimg luii den schauspieieiuchen 
Leistungen der Jugend wird Hwh lMfr*rt&rdmm liirht gati» Mar Hffrl üfarailr \ 

gilt als dn tüchtiger Betmter des EisenbidinministerimnSt hdchstens 
könnte man ihn noch mit der Kreditanstalt, in die er gewählt werden 
soll, in Verbindung bringfen. Herr Sektionschef Herz hat einmal dem 
Ackerbauminisierium angeiiort und soll in jener Welt, in der man sich 
auf Pflanz versteht, als eine Kapazität m botanisciien Fragen gelten. Aber 
selbst die snerkannte fschndUmische Tüchtigkeit eines Hafenbandirektocs 
bietet nicht unbedingt die Oewihr dafür, diB den Schfllem des Herrn 
Aman eine Karriere auf dem Theater winkt. Wanum et fahren wir also 
von der Mit^xirkung der drei Herren an der Vorstellung? Immer wieder 
wird mir, vtenn icli die Belästigung des öffentlichen Interesses mit wider- 
wärtigen Personalien erörtere, eingewendet, den Herren selbst sei die 
Nennung ihrer Namen unerwünscht Zum Teufel, wa^um erlassen sie 
dann nid|t dn* für allemal eine ErUimng, warum haben sie nicht den | 
Mut, der , Neuen Freien Presse' zn schreiben, daß sie sich ihres Wales 
als tüchtige Fachleute und gute Csser zwar bewußt sind, aber die fort- 
währende Erwähnung der Aktionen ihres Privatlebens sich verbitten? ! 
Man muii der verkommenen Presse den Qlaut)en austreiben, daß Persön- 
lichkeiten, die im öffenilichcn Leben stehen, kein Privatleben haben. ; 
Nichstens wird so ein Hundskcrl es fir kefaie Angelegenheit des Prifai- 
lebens halten, wenn eine berühmte Persönlichkeit dn öffentliches Hans 
besucht! Ich bin Leser der »Neuen Freien Presse' und ich wünsche nicht 
zn erfahren daß Hen Liharzik bei einer Schülervorsteüunj^ »gesehen« 
wurde! Idioten mö^^en ja einwenden, dals die Vorbringung derartiger Be- 
schwerden >kieiniich« sei. Ich aber t)chaupte, daß die Koninjüe der 
Ekelhaftigkeiten des Wiener Lebens — die eben nur der Schwachsinn 
für dnen »Angriff€ auf d(« bdspielnilSig zitierten Penönllchkeiten hellen 
kann — wichtiger ist, als die Betmditttng der von den Herren Funke, 
Higjäk und Orofi geschaffenen »Lage der Deutschen in Östecrddi«. 

— — — «— — — — ■''■«-■fmy Google , 
Heraesgcbcr and verantwortlicher Redakteur: KarlKrau«. ° ; 

rirrtck Trvn ImhätA». tk SiiMr<»l Wi#tl. III HiatMV 7^lltnitiitnifV^ I . .. . 



Die Fackel 



NR. 180-181 WIEN, 6. MÄl 190S Vii. JAHR 



DBR FÄUUIISPROZB88 DBR ^EIT. 

Isidor Wilhelm Teil lebte still und harmlos. Sein 
Geschoß war auf des Waldes Tiere luir gerichtet. Er 
war >in den angenehmstenVerhältnisaeu« aufgewachsen. 
»Mit vierundzwanzig Jahren hat er geheiratet und bis 
zu seinem fünfunddreißigsten Jahre ein glückliches 
Leben geführt«. Er »hatte keine Sorge und ein sehr 
schönes Einkommen. < Dieser sonnige Friede, ül)er 
dem sich der Himmel des Hauses Hellmann wölbte, war 
nur von Jugend auf durch jenes Drachengift getrübt, 
daa die »milchige« Denkart auch des liberalstea 
Abonnenten der ^euen Freien Presse* zu verwandeln 
imstande ist: dorch die österreiohisohe Korruption. 
Andere junge Leute in diesem Lebenskreise leiden an 
den Folgen von Aosichwcifungen. Isidor hat »seit 
seiner «higend an dem über unserem Yaterlande 
lastenden Fluch der Korruption gelittene. Patient 
wandte sich, wie er unter immer #aohsender Teil- 
nahme des Auditoriums erzählt, an Dr. Adolf Fischhof, 
don Politiker, der vielfach brieflich ordinierte, trat 
eine Erholungsreise an und landete in Amerika, »wo 
gesündere Preßverhältnisse herrschen«. Amerika, du 
hast es besser, als unser Kontinent, das alte, hast 
keine Erpresser, höchstens besser bezahlte!... Herrn 
Singer's Zustand bessert sich in der Tat. Dii- Korrnptions- 
besch werden haben aufgehört. Wir sehen iim geheilt 
zurückkehren und das sozialpolitische Gewissen der 
Wiener Millionäre durchRevolverschüsse erwecken.Herr 
Singer hat den Gedanken gefafit, der österretohisohen 



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Presse einen Spiegel vorzuhalten, ihr durch Gründung 
eines eigenen Blattes die Korruption in abschreckendster 
Qestalt vorzuführen. Er hat die yZeit' geschaffen, und 
so oft das sozialpoHtische Gewissen der Milüonäre bei 
der Lektüre des Blattes einschläft, geht er hin und 
weckt es durch neuerliche Berolyerschüsse. Wir' er 
besonnen, hiefi er nicht der Teil. Darum begibt er sich am 
Abend, beror ein Artikel gegen die Korruption 
erscheint, in eine hohle Qasse. Bs ist die Fichte- 
gasse, wo der alte Outmann sein Oomptoir hat, eine 
ohnedies unwirtliche Gegend, in der schon die 
Redaktion d«r ,Neuen Freien Presse' etabliert ist. 
Hier komraen allerlei Journalisten vorbei, jeder treibt 
sich an dem andern rasch und fremd vorüber, »hier 
geht der düstere Räuber und der heitre Spielniann«, 
Herr Benedikt und Herr St — g; die Bank, die 
hier dem Wanderer zur kurzen Ruh bereitet ist, wird 
darum mit Hecht die *Bank von Stein^;^ genannt. Auf 
die will sich nun Herr Singer setzen. Die Gelegenheit 
ist günstig. Was bünkt durch die Nacht? >Komm du 
hervor, du Bringer bittrer Schmerzen, mein teures 
Kleinod jetot, mein höchster Schatz — ein Ziel will 
ich dir geben, das bis jetzt der frommen Bitte un^ 
durohdringlich war — doch dir soll es nicht wider-» 
Stefane. Heute will Herr Smger den Meisterschufi tun 
und das Beste sich im ganzen Umkreis des Schottenrings 
gewinnen. Br lauert auf ein edles Wild, das bereits 
telephonisch aufgescheucht ist Halloh^ hailoh — klmgt 
der neueste Jagdruf. Läßt sich's der Jäger nicht 
verdrießen, Tage lang umher zu streifen, um arm- 
selige Pauschalien zu erjagen: hier güt es einen 
köstlicheren Preis. Prioritätsaktien I Und schon erklingt 
Herrn Kanner's Frage: »Hat David v. Gutuumn 
gezahlt?« Worauf aus Wilhelm Teil die bekannte 
Antwort zitiert wird: »Nu, hat er gezahlt?«... 

Dies Präludium zur Schiller-Feier ward neulich 
im Wiener Schwurgerichtssaal aufgeführt. Der An- 
geklagte war diesnuüi wirklich der Angeklagte. Und 



Wüßte nur einen mildernden Umstand für sich geltend 
zu machon : Wär ich besonnen, hieß ich nicht der 
Isiflor Sinj^^er. Kläglicheres hat sich iu der Wiener 
Ötfeiulichkeit seit langem nicht abgespielt. Seit dem 
großen Zivil {)rozeß nicht, der die Obersetzung 
des Fremdwortes »Sozialpolitik« in das • deutsche 
Wort »Ausbeutung« ermöglicht bat. Nun ward auch 
das sohftbige Inkognito antikorruptionistischer Qe- 
sinnuDg gelüftet; aber hier ist die deutsche Sprache 
ssu arm, als daß sich aus den Niederungen ethischer Mes- 
quinerie der entsprechende Ausdruck holen ließe.Damals, 
als man den journalistischen F^reak schon im Verrecken 
wfthnte» empfand ich es als ein Brlebnis vcn tragischem 
Humor, yon einer aufrüttelnden Wirkung & Kon- 
trastes: Ich predige der Publisistik Moral, und 
meine Lehre macht sich die Häßlichkeit zunutze 
und entblößt, da keiner sie mag, ihre Scham: »Seht 
her, ich bin anständig!« Aber heute wissen wir 
auch, daß die runzlige Vettel, die drauf pocht, 
daß sie für Geld nicht zu haben sei, unanständiger 
ist, als ihre genußreir-heren Mitscliwestern. Zu talent- 
los ist sie, um sich Abwechslung schaffen und Einzel- 
wünschen dienen zu können, deren Fülle doch wenig- 
stens die Möglichkeit bietet, auch dem eigenen SexuaJ- 
willen zu dienen. Sie verlangt, ausgehaiten zu werden. 
Sie ist die geborene Mattresse, deren Unmoral in der 
Treue gegen ihren Besitzer besteht* Nun ist das 
kolossale Unvermögen, das die Herren Singer und 
Kanner in die |ZeiV gesteckt haben, verbraucht wie 
die Millionen ihrer perversen Aushälter, imd die Un* 
befriedi^Uy die ein dunkler Drang zu der reizlosesten 
Konkubme zog, treibt der Ekel von hinnen... 
Indes, ich fürchte^ daS die Anwendung der Oeschlechts* 
terminologie auf die journalistische Prostitution selbst 
von den prüdesten Philistern als Entweihung empfunden 
werden könnte. Auch das iiaiidwerk der Straßen- 
räuber möchte ich nicht gern herabsetzen. Darum 
sage ich ohne Umschweife: Die anderen Blätter 



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wollen bestochen, die ,Zeit/ wollte »eregrüiidet« sein. 

Noch nie sind Sozialpolitik iin l /Vusbentiuig, 
Korruption und ihre Bekäinptung in einen gelungeneren 
Kausalnexus gebracht worden. Man gebe uns Geld, die 
Korruption zu bekämpfen! Sonst bekämpfen wir die 
Korruption derer, die uns kein Geld geben. Wir neh** 
raen keine Schweiggelder, wir weiten nur unsern 
Lebensunterhalt. Daß wir bestehen, ist eine österrei- 
chische Notwendigkeit, wir müssen die Korruption 
bekämpfen, und dafür, dafi auch die korrupt sind, 
die uns nicht erhalten wollen, können wir nichts. . . 
Seit die Menschheit mit Dnickerschwäiw beschmiert^ 
seit Meinung als Ware yerhandelt wird, hat man ein 
Kuriosum wie jenen Abendbesuch eines Wiener 
Zeitungsadministrators bei dem 'Chef des Hauses, 
dessen Ehre am andern Morgen angegriffen werden 
sollte, nicht erlebt, Herr Isidor Singer ist ganz gewiß 
kein Erpresser. Erpresser sind schlau. An diesem 
Isidor wird der Antisemitismus zusciianien. \Venn 
der israelitische Tjrpus auch nur eine entfernte Ähn- 
lichkeit rait Herrn Sinj^er aufweist, muß ein Ernst 
Schneider als Schützer der übertölpelten Judenheit er- 
stehen. Das bißchen mit den Händen reden kann den 
Haß nicht rechtfertigen. In den Händen dieses Herrn 
Singer liegt keine Überredungskraft. Er ist gewiß kein 
Erpresser. Er spricht auf eine n MiUionAr ein, Ihr glaubt, 
er mache eine drohende Gebärde und es ist bloß eine 
Unart. Herrn Kanner habe ioh Tielleioht unterachfttet, 
da ich seiner kleinen Qerissenheit — etwa von der 
Art, die durch das Mitwftgen der Emballage Obervor- 
teilt — gr<)fiere Sohlechtiffkmten nicht «utrauen 
wollte. Aber im Fall Ghitmann läßt sich ihm nichts 
anderes nachweisen, als daß erder Beschränktheit seines 
Compagiions die Zügel schießen heLi. Der Erpressungs- 
paragraph meint die Erregung von Furcht, nicht von Mit- 
leid, von gegründeten Besorgnissen, nicht von Heiter- 
keit. Herr David v. Gutmann sollte zwar zu einer 
Leistung verhalten werden, wurde zwar mit einem 



— 5 — 

Angriff auf die Bhre seines Hauses bedroht^ aber 
Herr Singer wollte blofi die ihm über den 

Herrenhaushandel des Neffen mitgeteilten Tatsachen 
»verifizieren«. Der Artikel wurde zwar ange- 
kündigt, aber mit keinem Wort die Möglichkeit 
seiner Unterdrückung erwähnt, mit keinem Wort 
an die alte Sehnsucht des Herrn Singer nach der 
Gutmann'schen BeteiHgung gerührt. Daß der alte 
Gutmann Gedanken lesen konnte, ist nicht des Be- 
. Suchers Schuld, daß er über den unausgesprochenen 
Wunsch nach Geld und über den ausgesprochenen 
Wunsch nach einer »Information« in gute Laune 
versetzt ward, exkulpiert Herrn Singer lur Gänse. 
Wollte man hier von Erpressung sprechen, müflte man 
folgerichtig der Ansicht sein, daß der Schnorrer, den 
der Protz hinauswerfen läfit, weil er ilun »dsui 
Hera bricht«, wegen Körpenrerletming angeklagt 
werden könnte* Herr t. Outmaon fühlte jeden&Us, 
dafi ein Angriff, der das Motir der Raehsucäit so 
unTeriiüllt mir Sohau trägt und durch die Vor- 
sohwindelung antikorruptionistischer Gesinnung den 
Abscheu vor seinen Urhebern verstärkt, nicht schaden 
könne. Er hätte ihn, um sich und seinem Hause Ruhe 
zu schaffen, wohl nach dem üblichen Tarif gekauft. 
Aber die Riesensurarae, die zur Sanierung der ,Zeit* 
notwendig war und zu deren Leistung er so oft schon 
telephonisch, schriftlich, persönlich gepreßt wurde, zu 
zahlen, w^ar er auch unter dem Damoklesschwert der 
publizistischen Ungnade nicht willig. Drückte seine 
Brieftasche an die Brust und anerkannte die Unab- 
hängigkeit der ^eit^ Herr Singer ging informiert und 
unbestochen von dannen. Herr v. Gutmann hatte 
ihm in entgegenkommendster Weise die Freiheit 
seiner Bntsohlidiungen gewahrt. Die ,Zeit^ hatte die 
schwerste Probe ihrer Unbeeinfluflbarkeit bestanden: 
nooh am Abend konnte ihr Herausgeber mit Herrn 
y. Qutmann yerkehren, ihm einen Angriff ankündigen, 
und am nächsten Morgen stand der Angriff, ohne daß 



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1 



— 0 



der geringste Versuch ihn zu yerhindern gewagt 
wurde, im Blatt • • • Eine Frage ist in der Oerichts- 
Terhandlung an Herrn Singer nicht gestellt worden: 
ob der aus antikorruptionistischer Gesinnung er« 
fiossene Artikel über den Herrenhaussclutcher 
abgedruckt, Teils Geschofi abgedrückt worden wäre, 
wenn der alte Gutmann den Informationabedürf- 
üßßa wie folgt bedient hätte: »Herr Singer, 
Sie haben sich yergewissem wollen, ob die 
Ihnen über meinen Neffen mitgeteilten Tatsachen 
richtig sind. Sie sind ein gewissenhafter Mann, ein vor- 
sichtiger Mann. Aber ich, Herr Singer, bin auch ein 
vorsichtiger Mann. Was soll ich Ihn» n sagen? Sie 
wissen schon. Also geben Sie heraus die Prioritäts- 
aktien !< 

Wäre die Herrenhausaffaire, die die ,Zeit' Herrn 
Max V. Gutmann aufgebracht hat, ebenso verschwipp:en 
worden wie der ihr lange vorher bekannt gewordene 
Korruptionsantrag) der ihrem Geldgeber Riedel gemacht 
wnrde^ oder wäre der Fall Outmann so prompt der Dis- 
kussion entzogen worden wie der Fall Mauthner 
nachträglich aus ihr verschwand^ wir wären um ein 
Kapital an Erkenntnis ärmer« Was wir aus jener 
rasch beendeten Gerichtsverhandlung, was wir aus 
ihrem publizistischen Nachspiel lernten, schafft uns 
die endgiltige Beruhigung über die Lebensfthigkeit 
einer Generation, in der die Dummheit die Schlechtigkeit 
paralysiert Eine Publizistik, die ihre Preise nicht um 
einen Heller höher ansetzt als die Korruption, die sie 
zu bekämpfen vorgibt, hat sich jedes Anspruchs auf 
Fürchterlichkeit begeben. Die Summe, um die man 
angeblich unter der Regierung Koerber Herrenhaussitze 
kaufen konnte, hatte dio ,Zeit* — angeblich — von cinera 
verstorbenen Mitglied der Familie Gutmann zu fordern, 
und die (Jelder, die im Ordensverschleiß tatsächlich 
vereinnahmt, der Habgier der österreichischen Kor- 
ruptionspresse und der Eitelkeit eines Ministers 
geoplert wurden, hätten den Bestand des anti- 




7 



korruptionistiachen Unternehmens der Herren Singer 
und Kanner gesichert. Und damit auch die 

kulturelle Vervollkommnung der westlich von 

Galatz gelegenen Königreiche und Länder. So 
kurz das Vergnügen war, dus uns der Kampf 
der journalistischen mit der ministeriellen Moral 
vor dem Schwurgericht gewährte, so dankbar müssen 
wir dafür sein. Die journalistische Moral, die nie 
ohne Waffe ausgeht, ist dennoch unterle<^^en. Die 
Regierung bedrohf den Staatsbürger, der Geld <^eben 
will, mit einem Orden, also mit einem Angriff auf 
die Ehre, Solchem Nachteil kann aber jeder ent- 

£hen, der sich entschließt, kein Geld zu geben, 
iders die Zeitung. Sie bedroht den Staatsbürger, 
der kein Geld geben wUl, mit einem Angriff auf 
die Ehre. Diese Konkurrens zweier Bedränger ver- 
doppelt die Zwangslage des Betroffenen. Gibt er .der 
Regierung das Geld, so wird er in der dffentlichen 
Meinung nicht nur durch eine Auszeichnung, sondern 
auch durch einen Angriff der ,Zeit' herabgesetat. 
Zudringlicher ist ja die Regierung. Sie schickt dem 
Mann, von dem sie Geld will, Agenten ins Haus, 
laßt ihn auf der StraUe, im Theater, im Pissoir 
ansprechi^n. So wie einem einst an allen Ecken 
die Frage begegnete: *Kauen Sie schon Rizzi?«, 
so tönt es in einem wohlgeordneten Staate, 
der das Glück seiner Bürger begriiiulen will, aller- 
orten: »Haben Sie schon den Franz -losephs-OrdiMi 
Viel vornehmer und viel diskreter vollzieht sieh der 
Verkehr zwischen der ,ZeiV und jenem Privatmann, 
dem sie einen Angriff zugedacht hat. Vor allem 
schemt ihr nicht jeder, bei dem sie eine volle Geld- 
börse vermutet, hiezu geeignet. Sie »informierte sich. 
Sie pnlft die Würdigkeit und verkauft nur auf Grund 
alter Bekanntschaft ihre Ungunst. . . 

In dem Zwielicht zwischen Erpressung und 
Dummheit, in dem moralischen Dunst aus BhitrOstung 
und Prioritätsaktien, in jenem Gemauschel eines Kato- 



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8 



nismus, der die Korruption mit Hilfe seiner »einflufi- 
reioheaBeziehimp;en< bekämpft, kurs in jenen flüchtigen 
Stinunungen^ die die QerichlOTerhandlung braohtei 
itt die Weeensaii unserer Helden nicht allen Zeiohen- 
deutom der ,Zeit' aufgegangen. Erst das Naohspiel, das 
demkostbaren »Freispräche folgte : das Triumphgeheuli 
das sie anschlugen, die Fälschung des Qerichtssaalbe» 
richts, die Danksagung, welche sie an die ihr Wirken seg- 
nenden Völker Österreichs richteten, die Empfäng- 
lichkeit für günstige »Preßstimmeiu, die Unerapfind- 
lichkeit für Fußtritte, die groteske Verwechslung 
ministerieller Korruption mit der eigenen Integrität 
— all die.s brachte auch jenen Lesern Klarheit, die 
bloß den Kläger Ontmann durch die Zurückziehung 
der Beleidigungsklage und nicht die ,Zeit* durch die 
Aussagen der Angestellten des Hauses Gutmann 
kompromittiert sahen. Wer aber auch jetzt noch die 
Qesinnungsschäbigkeit für eine Waffe im Kampf um 
die gute Sache gehalten hatte, der muflte schaudernd 
gewahren, dafi sie Selbstzweck sei, ab sich die 
,ZeiV an dem Privatleben jener Männer rächte, 
die ihr in der ^Arbettenseitung^ die Wahrheit 

gesagt hatten. Noch nie vieUeictS hat eine »Efait- 
flllungc sclunerBlicfaerden Charakter des Enthöllenden 
enthfllft als jene, mit der die ,Zett^ die Herren 
Viktor Adler und Pernerstorfer unmöglich eu 
machen hoffte. Die ,Arbeiterzeitung^ hat gefunden, 
daß Herrn Singer's Abendbesuch bei Gutraanns den 
publizistischen Ansiaiulsformen nicht entspreche, 
daß es taktlos sei, so spät am Abend zu erpressen. 
Diesen Tadel entkräftet Herr Singer mit der 
Behauptung, er habe seinerzeit herhalten müssen, 
»so oft es galt, eine Kollekte zu veranstalten, um 
Herrn Pernerstorfer aus seinen periodisch wieder- 
kehrenden Geldkalamitäten zu befreienc; und für 
Herrn Dr, Adler, der in einer der schwierigsten 
Situationen seines Lebens war, habe er einmal »getan, 
was dieser seiner eigenen Familie und seinen engeren 



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Freunden nicht zumuten zu dürfen glaul^te.« Man faßt 
es nicht, daß es wirklich gedruckt stehe; daß das 
verhärtetste Protzenherz fähig sei, solchem Empfiiideii 
iingescheut Ausdruck zu geben. Aber da einem gerade 
di>r B]kel das Wasser in den Mund treibt, kommt die Auf- 
klärung der der Armut bezichti^tfMi Herren und alle Miß- 
empfindung wandelt sich in Heiterkeit über diesen selbst 
zum echten Protzentum unfähigen Herrn Singer, der 
wenigstens den Staodpankt der Millionäre einnehmen 
möehte, wenn er sc&cm ihr Geld nicht kriegt, und 
dem man mit einer goldenen Uhrkette mehr impo- 
nieren kann als mit einem integren Vorleben. Naoh 
s der Auf klänmg der Herren Dr. Adler und Peroer- 
rtorfer hftite man Heim Singer eine weniger kom^- 
nerte Schfibigkeit augeftraut. Da er nftmlioh au 
einer Zett> als er noob »Soatalpoütiker« war — Herrn 
Dr. Adler das unerhörte Opfer gebracht hat, für 
ihn zu » garantieren €, und Herrn Pernerstorfer auch 
nichts gejjebeu hat, hätte man von ihm bilh^er Weise 
die Enthüllung erwarten können, daü die , Arbeiter- 
zeitung* schimpfe, weil ihre Leiter — vor fünfzehn 
Jahren und nicht am Abend vorher — von ilnn kein 
Geld bekommen haben. Zu eiiu rn solchen Bekenntnis 
ist aber ein Isidor Singer mc lit zu haben. Die Ehre 
seines Hauses erfordert es, bloß davon zu sprechen, 
daß er einmal um ein Darlehen angegangen wurde. 
Schon die Bitte der Herren, nicht deren Erfüllung, legt 
ihnen nach seiner Ansicht die Pflicht der Dankbarkeit 
für alle Zeiten auf. Nun ist es awar richtig, daß Herr 
Singer das Haus Gutmann, an dessen finanzidle äefäUüg- 
keit er so oft vergebens appelliert hatte, nie hätte 
angreifen dflrien. Aber mit der Verpflichtung der 
Herren von der ,Arbeiter*Zeitung' dem Herrn Singer 
gegenttber striit ea ein wenig anders. Dafl Herr 
Singer die »Dankbarkeitt zum Stillschweigen Ober 
öffentliche Korruption verhalten möchte, macht 
seinem Talent zum Zeilungaherausgeber alle Ehre. 
Aber Fleifiauigabe ist esj sich auch der nicht 



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— 10 — 

empfangenen Wohltat dankbar m erinnern. 
Leider vergiflt Herr Singer^ dafl blofl er und 
nicht der abgewiesene Bittsteller eine Pflicht 

verletzt hat. Man muß es Leuten seines Schlages 
denn doch einmal grüiKilich sagen, daß sie Unrecht 
tun, sich das Geld^eben als ein Verdienst anzurechnen. 
Herr Singer war im Kreise der Sozialpolitiker geduldet, 
und es ist nur natürlich, daß er, da man nicht 
sein Können der guten Sache ditnistbar [iuk hen konTite, 
mit seinem Vermögen herangezon^en wurde. Wozu 
wäre er denn sonst auf der Welt? Der Unl)<\i::abte 
muß sich der Ehre, mit den Höherorganisierten 
verkehren su dürfen« in seiner Weise würdig 
machen. Das ist das Opfer, welches die Oeselligkeit 
zwischen Künstlern und Philistern ermöglicht, das 
Schmarotzen der Eitelkeit an politischen Bestrebungen 
erträglich macht. Herr Singer rersündigt sich gegen 
seine Naturbestinunung. Er wird jetzt seit Jahren in 
Zusammenhang mit Oeldsummen gebracht, die er 
nicht gibt, sondern nimmt,, und wird nicht nur dort 
grob, wo er nichts bekommt, sondern auch dort, wo 
er nichts gibt . . . 

Ein Leben, das aus der Schule des alten Fisch- 
hof in das Comptoir des alten Gutmann führt und 
in dem als einzige Aktiva die Passiva einer Wochen- 
schrift in der Höhe von 368.000 Kronen gebucht sind, 
ward in flüchtiger GerichLstagung aufgerollt. Das war 
mehr, als sich der KläG:er gewünscht hatte. Schließ- 
lich brauchte er ja zu seiner persönlichen Rehabüitie- 
rung nichts als die eidliche Aussage des früheren 
Ministerpräsidenten. Oberflüssiger- und unvorsichtiger- 
weise hatte er die Klage angekündigt ; daß er sie an- 
strengte, war notwendig. Aber es galt bloß einen 
strafrechtlichen FeststeUungsprozefi zu führen, die 
Qelegenheit des Schwurgerichts cum Beweise der Un- 
stichhältigkeit des ehrenrQhrigen Vorwurfs au be- 
nütsen. Mur die Urteilslosen brauchen ein Urteil, um 
eine Schuld au erkennen; nur die von der Heiligkeit 



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eines Gericht?spruchs dur('hdriin<2:<'nen Tröpfe können 
dem Kläger die Zurückziehung di r Klaf::e als »Flucht 
aus dem Gerinhtssaal« ankreiden. Der Wahrheit^sheweis 
der Anoreklai^ten war voUständio: mißliinoren, das Motiv 
ihres Ang^ritts mit erschreckender Deutlichkeit bloß- 
gelegt. Vielleicht hätte man wünschen können, daß 
die Zeugen in umgekehrter Folge ausaagten : zuerst 
die Beamten des angeschnorrten Hauses Gutmann 
über Herrn Singer's Männerstolz vor Kohlenkönigs- 
thronen und dann Herr y. Koerber über die Un- 
wahrheit der Herrenhausgeschichte. Nach der Aussage 
des Hmisters hätte der Verzicht auf die Fortseteung 
des Prozesses dekorativer gewirkt. Diese ESrhOhung des 
Effekts war vermutlich aus prozefitechnischen OrOnden 
nicht zu erzielen. Um welcher Erwartungen willen 
liiitle aber der Kläger nach der Rehabilitierung seiner 
Person und nach der Korapromittienuig seiner An- 
greifer die Verhandlung fortsetzen lassen solluii? 
War es seine Pflicht, das Koerber'sche Regime grgen 
den Vorwurf der Korruption zu verteidigten? Konnte 
ihm wirklich zufj:('Tnntet werden, die tausend Ent- 
hülhnigen ans der Nol)iiitierungs- und Dekorierungs- 
werkstatt über sich ergehen zu lassen, mit denen die 
^eit* trotz dem Widerstreben des Vorsitzenden 
ihren guten Glauben zu beweisen gesucht hätte? 
War's Furcht vor dem Ausgang, die ihn zum Rück- 
tritt bewog, so war sie beerründet. In der praktischen 
Lebensanschauung der Volksrichter begründet^ die 
zwar einem Publizisten gefährlich werden kann^ der in 
idealer Absicht öffentliche Angelegenheiten erOrtert, 
sich also in Dinge mischt^ die ihn nichts angeheni 
aber vielleicht einem Zeitungsgeschäftsmann» den der 
Gram über die Zurückweisung seiner Aktien zu einem 
verzweifelten AngriflF trieb und der selbstverständlich 
>für Weib und Kind zu soraren hat«, die Wahrnehrn- 
ung berechtigter Interessen zubilligt. Drei Gemischt- 
waienhändler und zwei Fleischhauer saßen auf der 
Geschworjaeubauk. Männer, denen man gewiß gerecht 



12 



wird, wenfi man sie »ehnam« nennt Aber über wdah 
entlegene Materien des Lebens sollten sie sieh eine 
Meinung gebildet babenl Wir besitaeneineQesdiwofnen- 
jnstia in Sachen der Ptefibdmdigung. Freuen wir uns 

dieser freiheitlichen Errungenschaft ! Bedienen wir uns 
ihrer bis zum Verdikt und lassen wir es uns an den 
Feststellungen des Gerichtshofs genügen. Ein Frei- 
spruch der ,Zeit* hätte die Ehre de» Klägers, 
die durch das Beweis verfahren rehabilitiert war, 
gefährdet, der Preßkorruption, die durch das Beweis- 
verfahren verurteilt war, zu Ehren verhelfen. Die 
Verurteilung der ,Zeit' hätte uns keine neue Er- 
kenntnis vermittelt. Weder von der käuflichen Gunst 
einer verflossenen Regierung noch von der einer 
bestehenden Zeitung. Und angesichts der bestraften 
Eihr^beleidigung wäre die Straflosigkeit eines Abend- 
besuchs, wie er mit fthnlicber Ungeniertheit wohl 
noch nie gewagt wu^de, nur umso sobmersiioher 
gewesen. 




MBINB TÄTIGKBIT IM LANDBS- 
AUSSCHUSS*). 

Von Jeteph ScMffel. 

Im Jahre 1896 trat in den politischen Verhält- 
nissen Niederösterreiohs eine vollständige Umwälzung 

*) In einigen Wochen wird der Sumpf der österrdcfaitclim PotttDc 
tufkktidieii, Joseph Schöffe l't Memolm celugen auf den BOdier> 

markt. Der FfiUe hochinteressanten Stoffes und pfacfatvoli kbpndigtter 

Qestaltung — Kürabcrger's Worte über den jungen Kämpfer haben 
noch heute Geltung — ist das folgende Kapitel, das letzte des Werkes, 
entnommen, das ich dank der Preundlichkeit des Autors schon aus dem 
Manuskript veröffentlichen kann. Das umfangreiche Werk wird im Verlage 
JabodA 9t Siegel, Wien, encheiafiiL AmiL d. HflnMfeboi. 



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^ 13 — 



ein. Die Partei, welche im Landtag durch 33 Jahre 
unumschränkt geherrscht hatte und welche während 
der Dauer ihrer Herrschaft stets ängstlich bemüht 
eeweaen war, jeden Schnörkel einer unhaltbaren Ver- 
fassung, einer Scheinkonstitution mit bureaukratischer 
Herreohafty m erhalten, wurde bis auf wenige Beste 
Temichtet. 

Eine Partei, welche auf ihre Fahne den Kampf 
gegen die Korruption und deren Züchter, die Juden, 
geschrieben hatte, errang einen ungeahnten Sieg, um 
später, nachdem sie zur Herrschaft gelangt war, der- 
selben Korruption zu verfallen, welche die besiegte 
liberale Partei zertressra und getötet hatte. 

Bei dieser Umwälsung gelangte wie bei ieder 
Umwäleung naturgemäS der Bodensata an die Ober- 
fläche. Der Führer der siegenden antikorruptionistisohen 
oder antisemitischen Partei, dem Niemand Genialität 

und was noch mehr ist persönliche Uneigennützigkeit 
absprechen kann, sah sich plötzlich von vielen geistig 
inferioren, moralisch wurmstichigen, nach Siegesbeute 
lüsternen Elementen umringt, die er sich nicht vom 
Leibe halten konnte, wenn er sich nicht verlassen 
sehen wollte. 

Bines dieser ^ von einer Schmutawelle in den 
Landtag geworfenen Subjekte, das sich, solange es 
ihm 2um Vorteil diente, an mich herangebiedert hatte, 
rersuchte es nun im Landtag duroh Ohrenbläsweien 
mich KU verdächtigen, indem es ausstreute, daß ich 
als Straßenreferent meine Stellung ausnütze, um so 
viel wie möglich Ehrenbürgerdiplorae einzuheimsen. 
Diese gegen mich ausgestreuten Verleumdungen waren 
nicht, wie dies allg;emein üblich ist, ein Ausfluß des 
Parteihasses, denn ich gehörte nit^ einer Partei an, 
wollte nie weder Führer noch Ans^efiihrl er einer I'ariei 
sein, sondern sie sollten diesem Subjekt als Mittel 
dienen, um mich aus dem Landesausschuß heraus- 
und sich selbst hineinaulügen«. 



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- 14 



Diese^ Intrige^widerte mich derart an, daß ich 
68 Dicht über mich brachte mit dem Subjekt zu 
sprechen oder an einem Tisch su sitzen. Ich legte 
daher, wohl nicht das Landesausschufimandat, wie 
der Bursche gehofft haben mag, aber das Strafien- 
referat nieder, worauf mir das Finansreferat zugewiesen 
wurde. 

Nach den ron mir bisher im n*-ö. Landtag 
gemachten Birfahrungen, spielte der jeweilige Pinans* 
referent im Landesausschufi eine traurige Rolle. Eine 
Auskunft in Finanzsachen konnte man von ihm nie 
erlangen, denn er selbst wußte nichts I In der Leitung 
des Laiideafinanzwesens war er eben so eine Null, 
wie es der jeweilige Landmarschall in der Leitung 
des Landesaussrliiisses und des Landtags ist. 

Nach Übernahme des Finanzreferats verfügte 
ich — da der Usus eingerissen war, daß die Kassa 
über einfache Anweisung der einzelnen Referenten 
im Landesausschusse Geldbeträge in beliebiger Höhe 
Püssig machte — , daß die Kasse, mit Ausnahme der 
kurrenten Ausgaben, wie Qehalte, Löhnungen usw«^ 
ohne meine speaielle Anweisimg keinen Kreuier aus- 
bezahlen dürfe und daß mir tägUch ein Kasaenstands- 
rapport vorgelegt werde. 

Schon in dem ersten Kassenstandsrapport fand 
ich ^e Bubrik beaeichnet »LAndesanlagscheinec, in 
welcher ein Betraff von 881.000 Oulden als Ausgabe 
eingestellt war. Auf meine Frage, was denn unter 
der Beseichnung Landesanlagscheine su verstehen 
sei, antwortete mir der Landesoberbuchhalter, daß 
diese Landesanlagscheine zweiprozentiere Schuldscheine 
seien, welche bei Mangel an Kassabeständen zur 
Deckung des jeweiligen Bedarfs ausgestellt werden, 
um nicht hülierprozentiere Schulden hei der Laiules- 
hypot hekenbank, oder anderen Geldinstituten kontra- 
hieren zu müssen. 

Ich nahm auf diese Mitteilung hin sofort eine 
Revision der Kassa vor und entdeckte zu meinem 



nicht geringen Erstaunen, dafi diese Landesanlag- 
scheine aus einem gewöhnlichen Kanzleipapierstreifen 
bestandoDi welcher folgende lithographierte iDSohrift 
aufwies 

AttUige-Schein Nr. 
über Oulden Kreuzer 

^WdOlK I I IlTIf - ' . ._ ■■■■■■■■■■■B — 9 



bdm Umdesfond fruktifiztert hat 

Wien, am. — 

Das n.-d. Landcs-Oberrinnelinier-Aint. 

Auf meine Frage, wer denn aui diesen Wisch 
hin dem Landes-Obereinnehmer-Arate Vorschüsse in 
der Höhe von 331.000 Gulden geleistet habe, ant- 
wortete man mir schmuuzeind; »Niemandl Wenn 
Geld gebraucht wird, werden den diversen Fonds 
(Stiftungen u. dgl.) soviel Obligationen entnommen 
und verkauft, als Geld benötigt wird, und für die 
entnommenen Obligationen werden Landesanlagseheine 
eingelegt und das diesem Fonds entnommene Kapital 
mit 2%) verzinst«. Um Gotteswillen, rief ich, das ist 
ja eine Manipulation, wie sie in der ganzen Welt 
nicht «ihresfideichen findet, aufier vielleidit bei Geld- 
instituten^ die im SLriininal ihie T&tig^eit abscbliefleiil 
Die Herren h&tten ja ohne Sorge und Gefahr die in 
den »diyeisen Fondsc erliegenden Stiftungsobli- 
gaüanen in der Höhe von 6,1ö8.0(X) Gulden heraus- 
nehmen, verkaufen, dafür diese Fetzen von söge* 
nannten Landesanlagscheinen einlegen und ruhig über 
das große Wasser abfahren können. Daß sie das nicht 
getan, dafür verdienon sie nicht nur die höchste An- 
erkennung, sondern auch einen Orden für besondere 
Redhchkeity der leider in Österreich noch xiioht 
gestiftet ist. 

Ich recherchierte sogleich, ob diese Manipulation 
auf Grund eines Landtags- oder Landesausschuß- 
beschlusses eingeführt wurde und als ich erhoben 
hatte» daß diese famose Kassamanipulation von dem 



1 



— 16 - 

firüheren Landes-Oberbuohhaltery an^blioh im Bin* 

Verständnisse mit dem damaligen Finanzreferenten 
Dr* Qranitsch eingeführt wurde und mein unmittel- 
barer Vorgänger daYon keine Ahnung hatte, liefl ich 
alle vorrätigen Landes-Anlagscheine bis auf eineui 
den ioh aum Andenken aufbewahre, yerbrennen und 
die den diversen Fonds entnommenen Obligationen 
sofort durch neue ersetzen. 

Die von mir getrotfüiie Verfügung, daß die 
Kasse ohne mein Visum nichts auszahlen dürfe, 
bereitete mir viel Schererei, viel Kuiiinier und Ver- 
druß, da einige Herren die Landeskassa als ihren 
Dispositionsfonds betrachteten. 

So hatte ein neu ernannter Chef eines neu 
errichteten Departements im Landesbauarat, gegen 
die ausdrücklichen Bestimmungen der Instruktion für 
den Landesausschuß, welche vorschreibt, daß alle 
Bauten, welche vom Lande geführt werdeUi wie es 
in allen Amtern der Fall ist, im Offertwege 2U ver- 
geben seien, an^blich seinen Referenten überredet^ 
daß es erspriefihcher für das Land sei, wenn alle 
Landesbauten in eigener Regie durohgefflhrt werden. 
Auf diese Weise wurde ein Landesbeamter zugleich 
Bauunternehmer ohne Konkurrens, der nach den von 
ihm verfertigten Plänen und Voranschlägen alle Bauten 
des Landes, darunter den Bau der großen Irrenanstalt 
in Mauer-Oehling, den Bau des vierten Stockwerks 
im Landhause, die Adaptierunß: und luxuriöse Ein- 
richtung des Landhauses und andere Bauten durch- 
führte. Dieses vielseitige Genie, dieser Landesbeamte- 
und Bauunternehmer in einer Person, leitete alle diese 
Bauten, kontrollierte sich selbst und koilaudierie auch 
seine Arbeiten. Einem Bauunternehmer steht nur das 
eigene Kapital, mit dem er arbeitet, zur Verfügung, 
dem vom Lande angestellten Bauunternehmer standen 
die Kassabestände des Landes offen. £r stattete die 
Bureaus der Landesausschußbeisitzer mit demselben 
Luxus aus, wie er bei den Generalgewaitigen der 



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17 



grofien Banken und Eisenbahnen üblich ist. Selbst- 
verständüch geschah das alles zur Förderung des 
Kleingewerbes! Die Baumeister, die yon alier und 
jeder Konkurrenz bei Landesbauten ausgeechlossen 
wurd«a, sind wohl auch Meister^ aber keine Klein- 

6 »werbetreibenden. Dedialb kann sie der Teufel holen I 
m die Autorität dieses bauuntemehmenden Landes» 
beamten m festigen, wurde derselbe, wie dies in der 
heutigen Zeit der höchsten Blüte des verwegensten 
Strebertums sehr häufig der Fall ist, unter gleich- 
zeitiger Verleihung des Oberbauratstitels nach Über- 
springiing seiner Vordermänner in die höchste biöher 
im Laadesdienste zu erreichende Ran^^stufe befördert. 
Da seine beiden Vordermänner gegen diese unver- 
diente Präterieruug remonstrierten, wurden auch sie 
in die VI. Kangsklasse befördert nnd ihnen der 
Oberbauratstitel verliehen. Der Landesbauamtsdirektor, 
der aliein bisher in der VI. Rangskiasse stand, wurde 
in derselben belassen und läuft nun als fünftes Rad am 
Wagen neben den ihm koordinierten Oberbauräten her* 
Die von dem Landesbeamten durah die eigene 
Reeie in Auasioht gestellten Ersparungen entpuppten 
sU£ spftter als enorme Obersohreitungen des Kostens 
▼oransohlags, welche in Form von Naohtragskrediten 
aohweigend genehmigt wurden. 

Der neuernannte Ohef des Wasserbaudepar- 
tements beaaspruohte natürlich, gleich seinem Kollegen 
im Hochbau, daß die Plußregulierungsarbeiten und 
Brücken bauten statt im üblichen KOokurrenzwege, 
ebenfalls in eigener Regie durchgeführt werden sollen, 
was auch anstandlos genehmiß^t wurde. Es wurde für 
diesen Herrn eine ei2:ene Haadkassa auiroschafft und 
ihm Verläge in der iiöhe von 20 bis 40.iJUU Kronen 
gegen Verrechnung überwiesen. 

Alle diese Verfügungen, alle diese Ernennungen 
wurden vom Landtag selbst getroffen, ohne daß der 
Landesausschuß als soloher und ich speaiell als Finana^ 
üf erent früher darmi in Kenntnis gesetst worden 



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— 18 — 

wären. AWr verwalten«, qnakte in dem landtäglichen 
Surapi ein Bauern-Abgeordneter, der keinen Begriff 
hatte, was das Wort »VerwalteiK überhaupt bedeutet. 

Selbstverständlich protestierte ich dagegen, daß 
öffentliche Landes bauten von Landesbeamten in 
eigener Regie durchgeführt werden, da bei dieser 
Art Baufüiirung jede Aufsicht, jede Kontrolle 
unmdgUch sei. Da dieser Protest nichts nützte, ver- 
weigerte ich die Anweisung der ittr diese Bauten 
angesprochenen Oeldyerläge» worauf man einfach 
erU&hbe, dafi dann die Bauten sistiert werden mOfiteni 
was mit enormen Verlusten fflr das Land verbunden 
wäre. Ich mußte nachgeben, lehnte jedoch sowohl 
mündlich, ids sohrifblich, jede Verantwortung: für 
diese mehr als sonderbare Gebahrung ab, worauf die 
Landesbuclihaltung in einem Berichte an den 
Liiiidesausschuß weitläufig auseinandersetzte, daß auch 
Sie sich gegen jede Verantwortung in dieser Beziehung 
verwahren müsse, da ihr nur die zifferraäßige Prüfung 
der von den Landesbauämlern vorgelegten Quittungen 
und Arbeitslohnausweisen, keineswegs aber eine Kon- 
trolle der wirklich ausgeführten Arbeiten und ihrer 
Kosten zustehe. Auch der Landesausschußrelereut 
für Flußregulierungen lehnte jede Verantwortung für 
diese anrüchige Manipulation ab. 

Um nun wenigstens den Schein einer Kontrolle 
der besoldeten Bauunternehmer für Hochbauten, für 
Flufi- und Brückenbauten, ku kreieren, wurde ein 
den beiden Bureaucheft untergeordneter kleiner 
Landesbeamte mit der Kontrolle der technischen 
Arbeiten seiner Vorgesetsten betraut Eine Kontrolle, 
wie man sie dümmer und verlogener wohl nicht 
erfinden kann! 

Der Landtag bewilligte fünf bis sechs Jahre 
hindurch alljährlich ganz enorme Summen an Nach- 
tragskrediten, von welchen der Landesausschuß erst 
bei deren Beratung nnd Beschlußfassung im Land- 
tag Kenntnis erhielt. Alles wurde zwischen einzelne 



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Abgeordneten und den betreffenden Landesausschuß- 
referenten kameradschaftlich abgemacht. So erfuhr 
ich als Finansreferent mt aufällig, durch eine Note 
der Landeshypothekenbank, mittelst welcher diese 
ach beschwerte, daß sie zur Eonkurrens bei Aufhahme 
eines Landeseisenbahndarlehens nicht eingeladen wurdCi 
daß das vom Landtag beschlossene Lokalbahndarlehen 
in der Höhe von 18 Millionen bereits abgeschlossen 
sei, ohne «laß dem Landesausschuß als solchem und 
mir speziell als Pinanzreferenten darüber das geringste 
mitgeteilt worden wäre. Aus den Akten, die ich mir 
nun vorlegen ließ, ersah ich, daß tatsächlich diese 
Anleihe mit der IJnionbank abt^eschlossen und daß 
die Schuidurkunde vom Landmarschall, den Landes- 
ausschüssen Richter und Steiner unterfertigt wurde. 

Der Landmarschall und der Landesausschuß 
Steiner entschuldigten sich damit, daß sie den Akt 
unterschrieben, ohne ihn früher gelesen zu haben. 

Landesausschuil Richter schrieb miri daft, 
wenn est sein Gewissen noch so streng erforsche, er 
nur einen Fehler sich zuschreiben könne, daß er das 
zwischen dem Landeseisenbahnamt und der Union- 
bank abgeschlossene Abkommen dem Landesaus« 
schult nicht früher cur Genehmigung vorgelest habe* 
Da die Landesausschufi-Sitaungen, seit er demLandes- 
ausschufi angehöre, nur der äufieren Form wegen 
abgehalten werden, habe er auch die Vorlage des 
Darlehensabschlusses mit der IJnionbank nicht für 
opportun gehalten. Er erkläre auf Ehre und Gewissen 
dat* alle Transaktionen korrekt durchö^eführt wurden 
und mir als Finanzreferenten des Landesaussühusses 
niemals auch nur der gerin srste Vorwurf gemacht 
werden könne. Sein Schreiben schloß : »Es liegt mir 
nichts mehr am Herzen, als auch ferner bei dir in 
guter Erinnerung zu bleibenc. Ich bin fest überzeugt, 
daß Franz Richter diese Finanzaktion, ohne jeden 
pmönlichen Vorteil mit vollster Uneigennützigkeit 
durchführte und daß ihn nur die verfluchte Qemüt- 



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lichkeit, die durch diese gezeugte Schlamperei, welche 
ein Konelat jeder autonomen Verwaltmig 2U sein 
scheint^ yeranlaflte, so vorsugehen, wie es eben 
Usus war. 

Mit der Aufrechnung von Di&ten und Reise* 
kosten wurde ebenfalls ein Mifibrauch sonderrieichen 

getrieben. ^ 

Die Aufrechnung von Diilteu und Reisekosten 
für 300 Kommissionstage im Jahre fanden Emzehie 
ganz in der Ordnung. Die Beamten für Genossenschafts- 
wesen, Raififeisenkassen, sowie die desArmenrechnunefS- 
departement waren unausgesetzt auf Reisen. Ihre 
Diäten und Reisekosten überstie^^en weit die Höhe 
ihres Gehalts. Natürlich wurde (iiesps einträ<rliche 
Gesciiäft auch von Beamten anderer Kategorien be- 
trieben. So erließ ein Tierarzt nachstehende Kurrende 
an seine Kollegen: »Nachdem von der Dotation 
pro 1899 für Dienstreisen der im Landesdienste 
stehenden Tierärzte noch ein namhafter Betrag zur 
Verfügung steht und mir daran gelegen wäre, daß 
der disponible Best aufgebraudit werde, so möcbi» ich 
den Kollegen dringend nahelegen, wegen Vortrags* 
haltung in den Monaten Oktober, November und 
Desember 1* J« ohne Berufung: auf diese Mitteilung 
mit den Gemeinden und landwirtschaftlichen Kasinos 
ehestens das Einvernehmen zu pflegen und dieselben 
aufzufordern, sich zum Zwecke der Delegierung eines 
Tierarztes an einem bestimmten Tage der Monate 
Oktober, November, Dezember an den Laudesausschuß 
zu wenden. Diese Gelegenheit zur Vortraghhaltung 
wäre insbesondiTe von jenen Kollegen möglichst auszu- 
nützen, wrl( sic h aut diesem Gebiete bisher nur 
wenig betätigt haben.« 

Ich erhob beinahe in jeder Landesausschuß- 
sitsung Vorstellungen gegen diese unverantwortliche 
Wirtschaft. Umsonst! Man antwortete mir, daß die 
Beamten der früher genannten Buchhaltungs- 
departements nicht nur die Gebarung der Genosseo- 



— M 

Schäften überwachen^ sondern ihnen auoh die 
Bechnungen selbst zusammenstellen mfissen^ da sonst 
alles drunter und drüber gehe! 

Was die Gewährung von Landessubventionen 

an Vereine, Kongregationen u. dgl. anbelangt, habe 
ich die einlangenden Gesuche siKuige geprüft und alle 
jene, die nicht gerechtfertigt waren, sind vom Landes- 
au ssohusse über meinen Antrag abgewiesen worden. 
Die vom Landi^sausschusse Abgewiesenen ließen aber 
sodann ihre Gesuche durch einen Landtagsabgeordneten 
direkt dem Landtage überreichen und der Landtag 
bewilligte ohne weiteres nicht nur die angesuchten 
Subventionsbeträge, sondern erhöhte diese in vielen 
FftUen bedeutend, um den GtosuGhstellem eine an- 
genehme Überraschung au bereiten« 

Um in den Lügennebel, der über die Finans« 
gebarung des Landes verbreitet ist, einen Liohtstrahl 
mllen au lassen, will ioh die Finanzgebarung des 

Landes innerhalb der letzten 20 Jahren übersichtlich 
darstellen. 

(Folgt eine Zusammenstellung der Gesamt-' 
erfordernisse, i> 1( ckungen und Deüzite der Jahre 
1884, 1890 und 1896). 

Dies war der Stand der Finanzen in dem Jahre, 
als die herrschende liberale Partei niedergerungen 
wurde. 

Das vae victisi wurde ihr nicht erspart. 

Die siegende Partei übergoti die besiegte mit 
einer Flut von Verwünschungen über ihre schlechte 
Verwaltung, über ihre leichtsinnige Finanzgebarung, 
ihre Mißwirtschaft, dip mit einer Schuldealast von 
12 MiUionen Kronen endete. 

Die neuen Machthaber im Landtag beschlossen 
zugleich zur Tilgung der schwebenden Schulden die 
Kontrahierung eines Landesanlehens von 12 Millionen 
und die Erhöhung der Landesunüagen von 20% 
auf 26()to. 



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82 



Ich hatte die früher herrschende Partei im 
Landtag, so wie ira Landesaussohusse Y(^r;^obens zu 
bewegen versucht, die seit Jahren fortlaufenden De- 
fisite im LandoBhaushaity durch Reduzierung der Aus- 
gaben, oder wenn dies nicht für m5glioh gehalten 
würde^ durch eine entsprechende Erhöhung derLandeS'- 
Umlagen zu decken. 

Meinem Drängen wurde mit offenem Mifltrauen 

begegnet. Man glaubte, dafi ich den sogenannten 

Besitzstand der liberalen Partei, welche bereits den 
Boden in Wien verloren hatte, auf dem flachen Lande 
untergraben wolle. Eine Erhöhung der Landesum- 
lagen vor den Neuwahlen würde die Niederlage der 
liberalen Partei im Lande zu Folge haben und das 
scheine raeine Absicht zu sein, behauptete man mir 
gegenüber erzürnt I 

Statt die Finanzen zu sanieren, wurde ein 
Lokaleisenbahng.esets geschaffen und um den 
BeairkiBn und Oemeinden des flachen Landes die 
MöglichkMt zu bieten, Schulden nach Herzenslust zu 
kontrahieren, wurde eine Kommunal Kredit* 
Anstalt emchtet. 

Ich trat sowohl gegen das Lokaleisenbahn- 
gesetz, als gegen die Errichtung der Kommunal- 
Kreditbank m die Schranken. 

Ich wies im Landtage nach, daß schon im ersten 
Jahre des Bestandes des Lokaleisenbahngesetzes laut 
Bericht des Landesausschuases vierzig Lokalbahn- 
bauten in Aussicht gestellt wurden, daß jeder Ab- 
geordnete mit einem Liokalbahnprojekt schwanger 
gehe, da jede auch die weltrerlassenste Ortschaft den 
Bau einer Lokalbahn beanspruche, da sie hoflb durch 
eine Bahnverbindung eine Sommerfrische fOr die 
Wiener zu werden. 

Ich wies nach, daß nach den Nachrichten des 
statistischen Departements des Handelsministeriums 
Band 57 über die Ausdehnung der Eisenbahnanlagen, 



die Bahnlänge in Niederösterreich Ende 1896 
1725 Kilometer d. i. auf 11 Quadratkilometer 
1 Kilometer Bahnlänse betrage, dafi also NiederOster* 
reioh ein gleich großes Bahnneä besitse, wie Böhmen 
mit seinen kolossalen industriellen Aalageui seinen 
Kohlenlagern und seinem Erzreichtuml Niederöster- 
reich habe ein Straßennetz von 10.000 Kilometer 
Länge, und baut weiter neue Straßen, zu deren Her- 
stellunjsr und Erhaltung das Land resp. Wien jährlich 
dreieinhalb Millionen beitragen, während Böhmen, 
wo der Bau von Straßen aller Art ausschließlich den 
Bezirken und Gemeinden obliege, auch nicht annähernd 
über ein Straßennets veriuge, wie Kiederöaterreich. 

Alle diese meine Vorstellungen verhallten ohne 
Effekt I Ich stimmte nebst den Abgeordneten der 

Stadt Wien allein als Vertreter der Landß:emeinden 
gegen das Lokalbahngesetz, sowie gegen die Errichtung 
der Ko üiui u nal-Kredit-Anstalt, welche es nun 
glücklich bewirkte, daü die Gemeinden des 
Flachen Landes Niederösterreichs nicht 
hypothezierte Schulden in der Höhe von 
nahezu 7 0 Millionen kontrahieren konnten. 
Jedem ohrgeizigen, ordenslüsternen Bürgermeister 
irgend emer Gemeinde sind so durch die Schati'ung 
der Kommunal-Kredit-Anstalt die Mittel in die Hand 
gegeben worden, um zur Befriedigung seines Ehr- 
geizes Sohulden auf Schulden zu häufen. 

Nach den von mir vor zehn Jahren gepflogenen 
Erhebungen über die auf Häusern, Grund und Boden 
in Nic^derösterreioh, außerhalb Wiens, haftenden 
Hypothekarsi hulden heliefen sich dieselben auf 
467 Millionen":Kronen und dürften im Laufe 
der Jahre die Höhe von 500 Millionen Kronen 
erreicht haben* Die Bevölkerung des flachen Landes 
Niederösterreich, welche mit 1,834.460 Seelen, 
worunter mindestens zwei Dhtteiie besitzlos sind, 
beziffert wird, hat * 



t 



— 84 — 

an direkten Steuern 5,780.556 K 

an Personaleinkommensteuer . . . • « 1,345.418 » 

an Landesfondszuschlägeu 3,878.000 » 

aa BezirksfoDdszusohlägen 7,814.752 > 

an Qemeindeumlagen 3,778.800 > 

Zusammen also: . . .22,602.526 K 
an Steuern und Auslagen zu leisten. 
Die Verzinsung der 70 Millionen Ge- 
meindesch ulden erfordert jährlich, 

ohne Amortisation, die Zahlung von 

mindestens 2,800.000 K 

Die Zinsen der auf den Realitäten 

haftenden Schulde von 500 Millionen 

betragen ohne Amortisation 20,000.000 > 

Wie dieses leichtlebige Völklein die Last von 
nahezu 43 Millionen zu tragen im Stande ist, läßt 
sich nur ericlären, wenn man sich die Tatsache vor 
Augen hält, daß es sozusagen bewußtlos in den 
Tag hineinlebt. 

Im alten Rom fand Kaiser Äugustus bei seinem 
Regierungsautritt Verhältnisse vor, die den heutigen 
gleichen. Augustus strich kurzer Hand alle Schuldtitel! 

Im Jahre 1811 strich Kaiser Franz aÜe Schuld- 
titel des Staates, was man Staatsbankero tt nannte. 

Statt daS der Staat die Länder und Gemeinden, 
die, trotzdem alle aus einem und demselben Säckel 
die Mittel zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse holen, 
einer von dem anderen die Sanierung ihrer miserablen 
finanziellen Verhältnisse fordern, auf dieser schiefen 
Ebene aufhält, konnte man vielleicht im Jahre 1911, 
zur Feier des hundertjährigen Jubiläums 
des Staatsbankerotts, außer den Schulden des 
Staates, die heute nicht nach huiiderten, sondern 
nach taufenden Millionen berechnet werden, auch die 
Schulden der Länder und Gemeinden und endlich auch 
die der Privaten streichen. 

Sine besondere Aufregung würde diese finanzielle 
Sanierung nicht herronri^en. Das Volk in seiner 



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Schafsgeduld erträgt mit Gleichmut alles. Man kann 
mit ihm machen, was man will. Rs wäre ja höchstens 
>a Hetze. Die Zinsen der Staat sobiigationen werden 
ja seit Jahren sukzessive gekürzt. Man nennt das 
Finanzoperationen. Der Realitätenbesitz ist sohoQ über 
die Hälfte seines Wertes enteignet, indem mehr als 
die Hälfte des Erträgnisses der Staat, Arm in Arm 
mit den Ländern, Benrken und Gemeinden, durch 
Neuerfindung Ton Steuern und fortwährende Erhöhung 
der Zuschläge und Umlagen absorbierti Wosu diese 
stückweise Expropriierung? Ein rascher tiefer Schnitt, 
wie ihn Kaiser Augustus yollfbhrt bat, wäre weniger 
scbmersliob und <ue Sanierung der finanstellen und 
wirtscbaftUchen Misere, die den Weisen des Staates 
und der Länder so viel Kopfzerbrechen verursacht, 
wäre vollendet! Wir würden dann alle mit einander 
nichts besitzen 1 Es gäbe keine Armen und keine 
Reichen mehr, keine Arbeitsbienen und keine Drohnen, 
seihst die Freügier der Auser wählten und Bevorzug- 
ten würde aufhören, denn der Freßtrog, aus dem sie 
iralien, wäre leer. 

Das Zeitalter ohne Geld, der Quelle alles Übels 
und aller Laster, wäre angebrochen! 

Im Jahre 1901 legte ich dem Landtage den 
Voranschlag des niederösterreichischen Landesfonds 
für das Jahr 1903 vor. 

Das Erfordernis berifferte sich mit 81,588.369 K 

Die Bedeckung mit 31310.381» 

in welche der otaatsbeitrag von der Branntwein- 
abgabe mit 2,067.110 K eingerechnet war. Der Über- 
schufi betrug daher 221.962 K. 

Ich wies fmier Kassebestände in der Höhe 
von rund 6,000.000 Kronen ausl Außerdem hatte 
ich die vom Landtag am 30. Dezemher 1899 
beschlossene Anleihe von 2 Millionen Gulden zur 
Bestreitung der Hochwasserschäden nicht aufgenommen, 
sondern die 2 Millionen ebenfalls aus den vorhandenen 
Kassebestäaden ^^edeckL 



26 



Diesem Voranschlag habe ich eine Tabelle 
über diü Erfordernisse des n.-ö. Landes- 
fondes in dem Dezennium von 1892 — 1902 
angeschlossen, aus welcher ersichtlich war, daß die 
Ausgaben des Landes Niederösterreich innerhalb der 
Zeit Yon 10 Jahren von 17,180.398 Kronen auf 
31,588. 8R9 Kronen d. i. auf nahezu das Doppelte 
vermeiirL wurden und daß seit dem Jahre 1896, in 
welchem Jahre die früher herrschende Partei im Land- 
tage vom Schauplatz verschwunden war, die Ausgaben 
von 21,865.781 Kronen auf 31,588.369 Kronen also 
tim 10,222.588 Kronen erhöht worden und daß zu- 
gleich die Schulden des Landes Ton 11^/2 Millionen 
auf 80 Millionen angewachsen sind. 

Mit der Vorlage dieser Ubersichtstabelle wollte 
ich nur meinen Antrag, daß der aufgewiesene Über- 
schuß, so wie 3 Millionen der vurhaudenen Kasse- 
bestände nicht zur Ilerabminderung der Landesfoiids- 
zuschläge um 3 Perzent verwendet werden sollen, 
begründen, da eine solche Herabmind«M ung der 
Landesfondszuschläge nach den enormen sprunghaften 
Steigerungen der Ausgaben zu schließen, kaum ein 
Jahr überdauern würde. 

Dieses Budget ^ab Anlafi zu endlosem Jubeil 
Die herrschende Partei pries ihre glänzende Finanz* 
Wirtschaft in allen Tonarten, während sie ihre Ver- 
schwendung, welche durch die Steigerung der Aus- 
gaben des Laiulüs uin mehr als zehn Millionen inner- 
halb einer Wahlperiode erwiesen war, weise verschwieg. 

Diesem Freudentaumel setzte ich nun bei Be- 
ratung des Budgets im Landtag einen Dämpfer auf^ 
indem ich, nach eingehender Zergliederung der 
finanziellen Lage des Landes und insbesondere des 
yon mir vorgelegten Budgets, kurzweg erklärte^ dafi 
wenn in der Weise fortge wirtschaftet wird^ 
wie in den letzten sechs Jahren, der Land- 
tag in weniger als zwei Jahren bemüßigt 



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27 



sein werde die Landesfondsauscblägeabei^ 
mals um fünf Prosent %u erhöhen« 

Und siehe dal Schon für das Jahr 1005, welches 
ein gegen das Jahr 1902 um 6,972.633 Kronen erliölites 
Erfordernis aufwies, mußten die Landesfondszuschläge 
um 8 Prosent erhöht und für die besohlossene 
Erhöhung der Lehrergehalte eine Abgabe von 
einer Krone per Hektoliter Bier ausgeschrieben 
we^en. 

Diese Bierumiage wurde dem Publikum mit dem 
HinwLM's, daß der Staat flni] falls eine Bierauflage 
plane und das Land dem Staate zuvorkommen müsöo, 
mundgerecht gemacht. Eine dümmere Lüge konnte 
man wahrlich nicht eründeni 

Zwei Jahre früher hatte derselbe Landtag sich 
ß:egen jede Erhöhung der Biersteuer, selbst wenn 

durch diese Erhöhung den Landesfinanzen aufgeholfen 
werden bullte, ausgesprochen. 

Ich hatte es satt, diesen Produktionen politischer 
Akrobaten auf dem Galgentrapez^ welche ich 30 Jahre 
lang mit ansehen mulite, länger zuzusehen. 

Mich ekelte! 

Ich nahm kein Mandat mehr an, legte alle 
Bhrenämf f r nieder und zog mich ins Privatleben 
zurückt Ich lebe nun ruhig imd zufrieden in der 
Hoffnung, dafi eine neue Sündflut, die zum Himmel 
stinkende Kloake der Korruption auf allen Gebieten 
der menschlichen Gesellschaft hinwegschwemmen 
wird; was nicht ausbleiben kann! 




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— 28 — 

< 

Ztun Prozeß Klein. 

Es gibt einen Grad des Brechreizes, der ein 
artikuliertes Urteil über den Qeschnaack einer Speise 
nicht mehr ermöglicht Nur so viel mufi gesagt werden : 

Der Mangel an Beweisen dafür, dafi Frau Klein 
gemordet hat, ward reichlich wettgemacht durch den 

Ueberfluß an Beweisen für ihren »ungittlichen Le- 
benswandel«. Auch diiß eine Frau »Han^ zur Lüget 
betätigt, scheint in der Wiener Kriminahstik noch 
immer als ein den Mordverdacht bestärkendes Moment 
zu gelten. Wie sollte man al)er eine Sensations verhand- 
lung über einen Raubmord, dessen Arrangement das 
Geheimnis der beiden Angeklagten ist, durch vier 
Tage hinausziehen, wenn man den Zuschauern die 
Zeit nicht mit »pikanten« Illustrationen des Vorlebens 
der angeklagten Frau vertreiben könnte, und des 
Privatlebens von Zeugen, die vor Jahren einmal, - 
ohne Rücksicht auf die spätere Ermordung des 
Herrn Sikora mit ihr geschlechtlichen Umgang 
hatten? Bin Mordprozeß I Mit Behagen kann da 
der Vertreter der ,Neuen Freien Presse' kon- 
statieren: »Eine hübsche, fOr einen Zeugen un 
bequeme Episode amfisierte heute einigermaSen 
das Publikum. Da hatte vor einigen Jahren ein Pri* 
vatier, während seine Frau auf dem Lande lebte, 
mit der damaligen ,llonka* einige angenehme Stun- 
den verlebt. Nur einige Stunden. Dann hatte er ihrer 

fanz vergessen. Allem sie vergaß seiner nicht. Als 
rau Franziska Klein schickte sie ihm einen pneu- 
matischen Brief mit der zärtlichen Bitte, sie zu be- 
suchen. Dieses ^Billet i ignorierte er allerdings. Auf 
welche Weise mochte wohl die Behörde hievon Kennt- 
nis erlangt haben? Genug, er mußte in diesem Sen- 
sationsprozeß vor Gericht erscheinen, um als lUustra« 
tionszeuge für das Bedürfnis der Frau Klein nach 
Liebhabem und Geld im fungieren. Obwohl er vor 
der Zeugenbarre einen viel günstigeren Plate hatte, 



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als die hunderte von Zuhörern, die ihre Eintrittskar- 
ten nur mühsam erlangen konnten, mochte ihm doch 
der Boden unter den Füßen heiß sein. Sein Eriiine- 
rungsverniügen war ^^esclnvunden ; er kannte Frau 
Klein nicht und wußte auch von ihrem pneumati- 
schen Billett nichts mehr. Eis war ihm nicht unlieb, 
daß er sehr bald den Saal verlassen durfte.« Herr 
Pollaky der Staatsanwalt, fand solche Feetateilungen 
nicht unwichtig. Sie fundierten den Kemsats seines 
Plaidoyers, in welchem er die Ejrkenntms aussprach^ 
diese Mörderin sei »ebenso verkommen wie die Dirne, 
die auf der Strafte dem ersten Besten gegen einen 
Schandlohn sich hingibtt. Schade, daS es auf der 
Stuf enleiter weiblicherv erkommenheitkeine so festmar« 
kierten Bangsklassen gibt wie auf der Stufenleiter 
männlicher Strebsamkeit. Es ist das Los der Frauen, 
zu ifallen«, und das Los der Staatsanwälte, Karriere 
zu machen. Da aber die in lividuellea Werte nicht 
von den sozialen bedingt sirui, könnte ich mir den 
Fall ganz erut denken, daß eine »Dirne« für ihren 
»Schandlohn« mehr leistet als ein Staatsanwalt, der nicht 
imstande ivSt, die Fäden einps verbrecherischen Pla- 
nes zu entv^ irmn, und der die Lücken seiner krimi- 
nalistischen Mosioiit mit sittUoher Entrüstung ver- 
stopfen mufi. 

Dafi unsere Journalisten trockenen Fufies duroh 
das Blutmeer dieses Prozesses hindurchkomnien wür- 
den, war nicht su erwarten« ^ber die Art» wie 
Herr Löwy seine Leser verwöhnt, ist doch yerblüf- 
fend« Qieioh am ersten Tage des Proaesses ein Bz- 
tra-Bztrablatt I Wahrlich, die Raubmörder der Zu- 
kunft haben es besser als die der früheren Gene- 
rationen. Die Anleitungen werden ihnen mit einer 
Promptheit ins Plaus geliefert, die mit dem schwer- 
fälligen Apparat der alten Journalistik, nicht zu er- 
zielen war. Und Herr Wilhelm Singer, in dessen Hand be- 
kanntlich die Würde der Presse gegeben ist| bringt 



tso-i 



80 



die Absätze des Kriminalromanes unter Spitmiarken 
wie es die folgenden sind: »Wie sie ihn erwQrgte, 
Wie sie ihm die Beine abhackte. Die Hände des 
Herrn Klein, Die Amimuskeln des Herrn Elein, Der 
blutig^ Sack, Die leuchtenden Augen, Die Toilette 
am Morgen des 4. Oktober, Die Ruhe der Sphinx, 
Der Herr in Hemdärraeln, Die schreckliche Nacht, 
Die verräterische Wäsc lie, Die Entdeckung.« Sogar 
die Knöpfe au der Jaoke des Frl. Navratü wurden 
uns beschrieben. 

Die Blätter, die in ihrem Leitartikel die Sensa- 
tionslust der Zuschauer geißelten, bemühten sich in 
ihrer Gerichtssaalrubrik, jene ihrer Leser, die nicht das 
Qlück gehabt hatten, der Verhandlung beizuwohnen, 
hinreichend m entschädigen. Das Tribunal wird eur 
Siene; das ist empörend. Aber die Heuchelei jener 
Empörten, die über eine Gerichtsverhandlung Thea- 
terreferate schreiben, alle Heifterkeitsausbrüche 
während eines Blutgerichts yerseichnen und das 
»u. a*€ auch an dieser Stätte nidit yergessen, ist 
empörender« Man wäre ja versuohti angesichts dieser 
grolien Revue sämtlicher Wiener Jours «m Saison- 
schluß, die da ira Schwurgerfchtssaal abgehalten 
ward, und weil sich das ekle Schauspiel in den Schil- 
lerlagen begab, auszurufen: »Waiuisinn'ge Wuiber, 
habt ihr kein Gefühl, UaLi ihr den Blick an diesem 
Schrecknis weidet?« Aber weibliche Neugier, die 
vergossenes Blut lorgnettiert, ist wenij^er s(^hädlich 
und ekelhaft als journalistische Sensationslust, die es 
auf Flaschen zieht* 

Die Frauen haben die Würde des Schwurge- 
richtssaals nicht zu wahren verstanden. Dafür haben 
sich die Geschwornen korporativ in ein photographi- 
sches Atelier begeben. Das Bild ist im ^Ektrablatt^ 
erschienen. 



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4 



— 81 — 

Was einem Schwerhörigen nicht alles durch ein 
Hörrohr mitgeteilt werden kann 1 »Frau Klnin«, rief 
der Auskultant, »der Gerichtshof hat Sie zum Tode 
durch dea Strang verurteilt Ic 



Bin Wiener £reignis. 

Wien ist die ereignisvollste Stadt der Welt Ich 
denke hier nicht an Alltagsereignisse, wie sie auch 
in anderen Städten sich abspielen können : eine Raub- 
mordverhandlung, ein politischer Eonruptionsproseft. 
Ich habe die Besonderheit jener Geschehnisse, die in 
Wien zu Ereignissen anwachsen, im Auge. Es gibt 
nichts, was hier nicht geeignet wäre, in einem un- 
vorhergesehenen Moment Mittelpunkt zu werden. 
Der Herr, der, um sich einen Namen zu machen, 
sich auf der Ringstraße die Schuhe putzen läßt oder 
der andere, der, wenn er allzugroßes Aufsehen nicht 
fürchtet, im SchauTeiist er eines Restaurants Austern ver- 
zehrt, sind bloß Wiener Symbole. Von den Ereiginssen, 
die sie bedeuten, wird natürhch der ernstere Wiener, 
dessen Phantasie sich Schuhputzen und Austernessen 
schUmmstenfalls yorstellen kann, nicht allzuviel Auf- 
hebens machen. Dagegen kann er sich sehen nicht mehr 
vorstellen, wie das ist, wenn eine Naive vom Deutschen 
Yolksstheater einen Hausfreund küßt. Hier müssen 
darum auch die Zeitungsberichte aushelfen. Was aber 

Selten dann dem Leser die »russischen Wirren« neben 
er Klarheit, die der Eifer der Oerichtssaalbericht- 
erstatter über den Fall Brenneis schafft I Nach den 
neckischen Andeutungen über »brennheiße« Liebe und 
»brennendes Eis« des Herzens die plötzliche Enthüllung, 
daß eine Naive von einem :5 Verehrer ihrer Kunst« 
— wie die Schmockdiskretion sich gern ausdrückt — 
Geschenke genommen, daß sie Küsse y:eLreben und 
»das JEiecht auf Küssen verteidigt« hai: die Wiener 



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— M — 

Beyölkerung, diese grofie Kulissensohiiüfflerini lernt 
nicht aus* 

Schon die VoranssetBungen der Affaire, die alle 
Fedem in Bewegung setzt/ taugen das Qepräge 
jener nur im Wiener G^himweichbild wurzelnden 

Geistesart. Eine Ehefrau beargwöhnt ihren Ehemann: 
eine Tatsache aus dem Familienleben, die, wie man 
glauben sollte, höchstens die Nachbarn zu bekümmern 
hat. Der Ehemann »erweist einer Schauspielerin Auf- 
merksamkeiten« : eine Tatsache aus dem Privatleben 
zweier Menschen^ die, wie man glauben yollte, 
höchstens die Bewohner zweier Gassen beschäftigen 
kann. Jetzt kommt ein Advokat hinzu, und die 
Klage wegen »ehebruchsähnlicher Handlungen« 
oder wie das Verzügen sonst heißt, ist fertig. 
Die Kenntnis der Eigenart des Wiener Lebens mit 
dem Klatschbedürfnis seiner Menschen und mit der 
Willfährigkeit seiner Journalisten müßte Tor einem 
solchen Prozeß^ auch wenn die Verurteilung der »Ehe- 
stdrerinc sicher wäre, warnen. Was bis §m öffentlichen 
Austragung der Sache bloß die Angelegenheit der 
Nachbarn, Hausmeister und Milchfrauen war, schwillt 
dank einer Reportage, die keinen Eufl ungehört 
verhallen läßt, zum Groß-Wiener Ereignis an mit 
allen Polgeübeln von Interviews und Erklärungen. 
Bin vorsichtiger Klageauwalt müßte den schreck- 
lichen Titel der Gerichtssaalberichte: »Küssen ist kehie 
Sünd'« m seinen Träumen voraussehen und der ge- 
kränkten Gattin von der Flucht in die Öffentlichkeit, 
die heute die gerichtliche Erörterung der privatesten 
Dinge bedeutet, abraten. Da es nicht geschieht, 
schlägt das Kotmeer der Wiener Dummheit über den 
ahnungslosen Häuptern der Beteiligten zusammen. Dann 
teilt es sich in zwei Lager: Die das Recht auf Küssen 
und die das Recht auf Eifersucht verteidigen, kämpfen 
in der Wiener JoumaJistik mit gleich sachlichem 
Ernst für ihre Überzeugung. Ein Blatt erklärt »die 
Integrität der Schauspielerin für Eweifellosc^ während 



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— 8» — 

ein anderes aus der Tatsache, daß der Verführer öfter 
Essen »und sogar Caviar« in's Haus kommen lie^i 
eme schwere Anklage sohtniedet . . . 

Aber die kleine Dame, die gewiß nicht das 
Talent zu einem anstößigen PriTaÜeb^n hat und gewifi 
nicht den Mut hätte, sich dazu zu bekennen, sie, die 
sicher noch »sozialere denkt, als die dummdreisten Sitten- 
richter ihres St an dos, hat, um der Strafe zu entgehen, 
vor Qmcht ihr Verhalten mit den freieren Sitten der 
Theatermenfiohheit entschuldig* Das wfire, wenn man 
ihr den mutlosen Versieht auf mdividuelle Rechte zum 
Vorwurf machen wollte, tadehiswert Ihre Unwahr- 
hafti^keit lag darin, daß sie au ihrer Bechtfertigung 
sich erst auf eine Konvention, auf die Konvention der 
Freiheit, berufen zu müssen glaubte. Aber nur der 
kiiidischesten Heuchelei konnte es einfallen, die Kon- 
vention in Abrede zu stellen und gegen die 
kleine Dame, die sich nicht im Fühlen, aber in der 
Raison an die Wahrheit gehalten hat, Protest kund- 

febuiigen zu inszenieren. Vor demselben Gericlit, vor 
em dio ^küssende Naive* — der Aiis?1ruok bedeutet 
jetzt eine tixe Vorstellung im Reportergehirn — sich 
auf die Theatersitte berief, hat ein ehemaliger Schau- 
spieler des Deutschen Volkatheaters einen älteren 
Kollegen wegen Beleidigung verklagt. Direktor und 
Regisseur beseugen die Theatersitte, die es dem 
Schauspieler erbiube, den Jüngern Kollegen in 
rüden Worten flurecfateuweisen. Aber dafl es üblich 
sei, jüngeren Kolleginnen mit Zärtlichkeit eu 
begegnen, stellen sie entrüstet in Abrede. In der Presse 
werden alle Sosiologen losgelassen. Herr St— g meint, 
die Betonung einer besonderen Schauspielerraoral werfe 
uns wieder in jene Zeiten zurück, »wo in den Dörfern der 
warnende Ruf erscholl: ,Die Wäsche von den Zäunen, 
die Kouiüdianten kommen Das ist die übertreihende 
Art eines Mannes, der ganz gut weiß, daß ihm »nix 
p:'schehn kann«, wenn Schauspielerinnen kommen. Als ob 
die Freiheit, zu küääen^ gleichbedeutend wäre mit der 



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Freiheit, zu stehlen I Nein, wenn Schauiroielertnnen 
Küsse gaben, so ist heute leider bloS der Wamungs- 

ruf berechtigt: Die Bettwäsche von den Zäunen, 
die Journalisten kommen I... 

So eingefressen ist das Bedürfnis der Menschen, 
in Dingen der Sexuahtät anders zu sagen als zu 
fühlen, daß sie jede Gewährung einer Freiheit, statt 
sie in diesem Jammerdasein mit heißem Dank zu 
empfangen, als einen Angriff auf ihre »Ehre« zurück- 
weisen. Welch ein UngUick wäre es, wenn wirklich 
zurecht bestünde, daß im Theatergetriebe freiere Formen 
herrschen, daß ein Kuß dort einen Gruß bedeutet I 
Aber da die Menschen alle Komödie spielen^ ist es 
wenigstens erfreulich, daß die Schauspieler es mit 
mehr Talent tun. »In einigen Fällen c, schreibt ein 
kulturaktuelles Blatt, das sofort seine Interviewer aus- 
geschickt haty »ist die Indignation über das Verhalten 
der angeklagten Schauspielerin vor Gericht sogar zu sehr 
heftigem Ausdruck gekommene. Frau Betty will »eine 
korporative Stellungnahme« anregen, HerrDemuth »be- 
trachtet seine Kolleginnen als I/ady s ^ , Herr Slesak kon- 
zediert — wie gnädig 1 — die Gewohnheit, »sich von 
einer hübschen Kollegin ein Busserl abzuringen«, als 
Jux, aber nicht als allgemeinen Brauch, Herrn Direktor 
Wallner, der sein Theater an der Wien als moralische 
Anstalt betrachtet, ist »eine solche Unverschämtheit 
noch nicht vorgekommen 7 und Herr Karezag und seine 
Gattin, die als wirtschaftliche Hausfrau bloß Stoff er- 
sparen will, wenn sie in ptark dekoiietierlern Zu- 
stand auftritt, sind »erstaunt darüber, daß man über 
eine solche Frage überhaupt noch diskutiere«. Mn- 
zig Frau Annie Dirkens — vielleicht hat sie darum 
^ auch mehr Talent als ihre paprizierte Kollegin — 
wagt es auszusprechen: Wir Schauspielerinnen wollen 
und sollen nicht mit dem gewöhnlichen Mafistab ge- 
messen werden. Unser Beruf bringt es mit sich, dafi 
wir mit riel mehr Leuten verkehren als andere 
Damen, dafi wir aber auch freier und vorurteilsloser 



denken als diese. Eine Schauspielerin würde sich lächer- 
ich machen, wenn sie außerhalb der Bühne, auf der sie 
yielieicht eine Rolle gespielt hat, die auf des Messers 
Schneide steht, die Naive und Unerfahrene spielen 
wollte. Es sei ja übrigens eine bekannte Tatsache, daß 
in Schauspieierkreiaen ein freierer Ton im Verkehr 
berrsoht au sonstwoi daß es da gemütiicher angeht. 
Man nehme das als etwas Selbsfcverstftndliches hin. Die 
meisten Kollegen bei einem Theater dusen sich auf 
der Bühne, und sie finde durchaus nichts daran, 
dafi eine Schauspielerin mit einem ütiT bekannten 
Herrn per du ist oder daß sie ihn küßt. Man sei ja 
auch allgemein daran gewöliiit, daß die Schau- 
spielerinnen nicht so steif sind wie eine ehrsame 
Hausfrau, die am Vormittag kocht, am Nachmittag 
die Wäsche ordnet und am Abend furchtbar prüde 
tut. . . 

Wenn die Herren Direktoren, Regisseure, Kollegen 
imd yielleicht auch noch die Theateragenten Lust haben, 
sich an einem Protest gegen die Statuierung freierer 
Theatersitten, die sie geschaffen haben und von denen 

sie profitieren, zu beteiligen, mögen sie's vei suchen und 
dem frechen Einfall der Berliner Tugendwächter, die 
einen Kranz vom Grabe der Jenny Groß nahmen, 
ein Pendant schaffen. Dann werden sie sich's aber 
auch gelallen lassen müssen, daß man von jedem 
Überi^riff, den sie sich gegen Kolleginnen er- 
lau]>en, von jeder Wihensbeugung, von jed* m Ver- 
langen, dessen Erfülhin2^ sie als ein selbstverständliches 
Vorreciit ihrer StelluDg und ihrer Männlichkeit be- 
trachten, in der Öffentlichkeit Kenntnis nimmt. Dann 
wird wenigstens das gemeine Interesse, das heute die 
Bevölkerung einer Grofistadt an Kulissenaffairen nimmt, 
sur sittlichen Forderung geadelt werden. 



Jovtmilltt mid DlMStaiMia* 

Ein Redaktoir des ,Neaen Wiener Journals' hat sich, wie 

er den entzückten Lesern als Osterüberraschung mitteilt, als Dienst- 
raann verkleidet, um seine Erlebnisse unter dem Titel > Einen Tag 
— Dienstmann« veröffentlichen zu können. Das sind Scherze, die 
nachgerade epidemisch werden. Man kann jetzt in Wien nie mehr 
wissen, woran man ist. Bietet einem im Restaurant ein Hausierer 
Zahnbürsteln — ich wollte schon sa;^^cn: Prioritntsaktien — an, 
Vorsicht: es kann ein verkleideter Redakteur der ,Zeit' sein; wobei 
die Täuschung umso vollkommener wäre als die vorhandenen Mittel 
die künstlerische Zutat fast überflüssig machten. Bietet dir ein 
Werkelmann seine Kappe dar, Vorsicht: es ist vielleicht ein Jour- 
nalist, den es einmal gelüstet hat, sich in den Seeienzustand eines 
Mannes, der such kleinere Beträge nimmt, zu versetzen. Mißtrane 
dem Oenertl, der in deiner ZeiUmg die Schlachten anderer Leute 
gewinnt! Seine Fahne ist ein BOrstenabzug, seine Waffe ein Revolver, 
seine Uniform von Herrschaften abgelegt Steh dir den Kondukteur 
in der Elektriscfaen genau an, bevor du ihm die Amtsehrenbeleidigung 
zuffigst, ihn der Annabme eines Trinkgelds ffir föhig zu halten : 
auch auf diesen so schwerer Verdächtigung ausgesetzten Posten 
haben schon Wiener Redakteure »gespitzt«. Und jetzt ist einer auf 
die Idee verfallen, sich als Dienstmann zu verkleiden. Ein der 
journalistischen Sphäre ganz fernliegender Beruf, da ja der Dienst- 
mann erfahrungsgemäß für die Bestellung einer Nachricht 
und nicht für ihre Verschwdgung bezahlt wird. Aber es gibt vielleicht 
noch ein anderes Motiv, ein solches Amt, wenn auch nur für 
einen Tag, zu usurpieren. Etwa die sozialpolitische Pflicht, die den 
proletarischen Schriftsteller zwingt, sich als Bühnenarbeiter oder 
gar als Kanalstrotter zu verkleiden? Nun, im »Neuen Wiener Journal' 
hat jeder Artikel, ob gestohlen oder nicht, Untertitel. Und da 
werden wir denn auch gleich ilberdie Absichten unseres journalistischen 
Dienstmannes informiert > . . . Noble Kundschaft — Allerhand 
müßige Frsger. — Wo sind die galanten Abenteuer? — 
Die Taxe fürs Ansprechen und Nachsteigen. — Sie 
will einen Wagen. - Schlechter Lohn.« Nein, ihn rief keinesozial* 
politiscfae Pflicht »Warum soll Ichs leugnen«, schreibt er wörtüch, »die 
Mfihsal des Dienstmannberufes kennen zu lernen, galt mir weniger, Ich 
dachte mehr an lustige Atienteuer, an roaa Briefdien, an zn bestellende 



Rendecfoiis uod derlei«. Da aber der Dienstmaim, desBcn Tiidit 
unser Reporter gcborgji hatte, >yoo Sdte adtter Kollegen und aeines 
Bureaus grofleo Umnnehmlidikeiten ausgesetzt wäre, wenn seine 
Identität festgestellt wOntei muß ich dte fnizise Angibt meines 
Stmdplat» venchweigien und gd« folgendes zur Ehrenrettung 
des Mannes an, als dessen RempU^ant ich galt Cr ertrandigte steh 
nadi den Ursachen, die mich zur zeitweiligen Übernahme des 
Dienstmann Postens besiiramten, ließ sich das Vorhandensein eines 
gewissen Betriebskapitals vorweisen, partizipierte daran und ent- 
schloß sich endlich, nachdem er jede Aufklärung bekommen hatte, 
mir die Emblem? seiner Macht zu verleihen, das ist grÖßtO" Teil 
des Habits und Zettel mit seiner Nummer. € 

Es ist ja schön, daß der Wackere die UnStatthaftigkeit 
des HandelSy den er mit dem Dienstmann einging, 
crl^ennt und zugibt. Aber im Interesse der öffentlichen Sicherheit 
wire ehie Wiederholung dieser und ihntidier Verwandhmgen 
besser zu vennehlen. Die Journalistik ist geCUirlicfa genug, wenn sie 
steh mit dem Beruf bescheidet, den sie innehat Die Perspektiven, die 
der joumalistisdie KostÜmwechael eröffnet, sind giauenerregend. 
Niehstens wird man einen Dienstmann, dem man einen Brief an 
eine Oeliebte flbergeben wilf, fragen mflssen: fOr welches Blatt 
sdfreiben Sie? Und whd sich erst durch sdne Versfchcrutig 
beruhigen lassen, daß er nicht für das ,Neue Wiener Journal' 
»plaudern« werde und daß für ihn die Oalanterie des Auflra^b kein 
Spezialinteresse habe. Das fehlt uns noch! Der Dienstmann an 
der Ecke meiner Straße, den ich hin und wieder in die Druckerei 
schicke, ist am Ende Mitarbeiter des Ekonomist ! . . . Freih'ch g^ibt 
es Aufträge, die man selbst emem Reporter henihij^l ( i tt ilen kann. So 
7 R. erzählt der Eckensteher des Herrn Lipp' )vx itz selbst, er sei auserse- 
hen worden, »einen Kaffee« für einen Herrn i aussig zu holen. Das mag 
angehen, ^ wiewohl ich mir von einem Vertreter des ,Neuen Wiener 
Jounud' auch kein Genußmittel ins Haus bringen ließe. Daß er aber» 
wie er heck zugibt, fdr einen Oberleutnant Schmuck ins Ver- 
satzamt nnd fthr einen Sektionschef einen Brief "^in eine noble 
Qasse im vierten Bezirk« getragen hat, ist unhefanlich. In jeden 
Beruf, den er verfehlt hat, möge ein Journalist sich naditrigilch 
ehizndringen veisuchen. Nur nicht in den des Dienstmanns. 
UnAhigkeü kann nie so schlimmen Schaden stiften wie die Bot- 



— 8fr — 

M 

täuschung der Vorstellung, mit der gerade das Wesen des 
»K<mtmissionärs« verknüpft ist. Die erste Aufgabe des Dienst- 
mannes ist Diskretion, die erste Aufgabe des Journalisten Indift- 
kretion: nie werden die beiden Berufe eine organische Vendtmelzimg 
dngeiien. Als ilim derOberleutnant den Schmuck flbeiseben hatte« »da 
sah ich erst«, schreibt unser Dienstmann, »vdches unbegrenzte 
und |a durchaus gerechtfertigte Vertrauen dem Wiener 
Dienstmann entgegengebracht whtl«. Und im nächsten Moment 
fragte er den Begleiter, der ihm sehi Kostflm gebciigt hatte: »Und 
die diskreten, feinen Agenden des Dienstmanns, Blumen, Msente 
ffir Ballerinnen?« Zu seinem Leidwesen mußte er erfahren, daß das 
»Damengeschäft« schlecht gehe; sonst hätten wir eine Bereicherung 
der anmutigen Rubrik »Wiener Leben« im ,Neuen Wiener Journal* 
zu erhoffen. Daß der Journalist als Dienstmann auch einmal die 
Unhöflichkeit der Menschen kennen lernt, ist ja gewiß heilsam. 
Er trifft ein Mitglied der Hofoper und muß enttäuscht 
melden : >Meine Devotion , Ergebenster Diener, Merr Kammersänger' 
bewog ihn zu keiner Antwort.c Gestern noch wars umgekehrt; 
wenn es jetzt der Sänger nur nicht zu spüren bekommt! »Auf der 
Kämthner^traße sah ich Exzellenz iCoerber, aber auch der 
beschäftigt keine Dienstmänner, seit er aus dem Amteist« 
War sich der Jomiialist, als er diesen Stoßseufzer tat, seiner Ver- 
kleidung bewußt? Wollte er sagen, Herr v. Koerber beschäftige 
keine Journalisten mehr, seit er aus dem Amte ist? . . • 

Aber venn sie auch seit damals brotlos geworden sind, 
deshalb mflssen sie noch immer nicht Dienstmänner werden. 
Und im Interesse unseres Privatlebens dürfen sie's nicht! Viel 
weniger besorgniserregend und viel natürlicher wäre es, wenn 
Dienstmänner auf die Idee verfielen, Jonmalisten zu 
werden. Denn erstens wären dann die Blätter besser ge- 
schrieben und zweitens würde die Frage: »Sind Sie bezahlt?« von 
dem Empfänger emer Zeitung mit viel weniger Mißtrauen als jetzt 
gestellt werden. Auch eine Pflichtversäumnis, wie sie der verkleidete 
Schmeck zum Schlüsse seiner Betrachtung schadenfroh lachend 
zugibt, würde sich der verkleidete Dieastmann nie zuschulden 
kommen lassen. Ein Herr schob jenem einen Koffer vor die Füße 
und rief ihm zu: »Westbahnhof, da haben Sie eine Krone 
ffinfzig!« »Einen Augenblick, ich schick' einen KoUcgen«, sagte 

1 



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89 



der Schmock und war verschwunden. Ob er den Leitartikler seines 
Blattes geschickt hat, verrät er nicht . . . Hoffentlich nimmt das Dienst- 
mannsiiistitut jene ehreniätlicbe UnlerBUchung^ vor, zu der die Con- 
cordia elgentUcfa verpfltditet wSre. Aber ihr Resultat wird leider blo6 
die Bestrafung des armen Teufels, der sidt f&r Trinkgeld schwerer 
Verletzung seiner Pflicht sdtuidig gemacht hat, und nicht die des 
uitanittfKligen Verldtcis sein. Immerhin wird dann die ekelhafte 
An der Verkleidungen ein Ende haben. Wer Joumaiist sein will, 
bringe sidt als Joumaiist weiter. Der Tagdieb als Tagdid». 
Wer aber einen Tag aus dem Ld)cn eines Hausierers, eines Kon- 
dukteurs, eines Dienstmannes usw. stehlen will, dem wird schließlich 
nur mehr eine Tracht, «Jie ihm noch unbekannt ist, zu vergönnen 
sein; eine Tracht PrügeK 



SCHILLBR-FBIBB. 

In einem ebenso gedankenreiohen wie ui^rechten 
Essay über Friedrich Schiller, den Otto Weininger 
hinterlassen hat, (»Ober die letzten Din^e«, W. Brau- 
müUer) wird die Verwandtecfaaft des jetet ron der 

zudringlichen Liebe " einer Welt von Schwätzern 

belästigten Dichters mit dera Journalismus behauptet. 
Wenn luan Weininger glauben sollte, würde ^r-Lliiilers 
Erscheinung so recht zu dem eklen Getriebe, das 
sie heute umlärmt, passen. »Das Verletzende? an 
Schiller« sei »seine Freude im Chor, in der Herde; seni 
ganz ungeniales Glücksgetühl, gerade in der Zeit 
zu leben, in der er lebte; seine willige Seibstbegreu- 
zung innerhalb der Geschichte, sein befriedi<rtor 
Zivilisationsötolz«. Schiller habe »recht eigentlich den 
Dünkel des Europäers und den verlogenen Enthusias- 
mus des;Fortschrittsphilister8 begründet« • >Was tiefere 
Menschen von Schiller immer abetoflen soUte, was 




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— 40 — 

Goefhe von diesem stets in so großer Entfernung 
gehalten hatc, sei »jener voraussetzungslose Opümis- 
mu8 in ihm, kein transzendent-religiöser^ kein nach 
dem Herausbrechen aus der Zeit verlangender^ kein 
des Gottvertrauens voUer, sondern ein immanent- 
historischer Optimismus; ein Optimismus, der sich 
freut, wenn die Menschheit um tausend Jahre älter 

geworden ist, und begeistert die Addition in seinen 
Kalender einträgt; ein Optimismus, der nicht hofft, 
sondern selbst in seinen Hoffnun^n schon gesättigt 
ist, weil ihm die Erscheinungen nicht das Mittel sind, 
um zu den Symbolen durchzudringen, sondern die 
Symbole ihm nur die Erscheinung sollen verschönern 
helfen«. Darum sei Schiller »nicht sehnsüchtig, sondern 
nur sentimental, wenn die Erscheinung mit der Idee 
nicht kongruiert« Niemand sei »so ^anz wie er Dichter 
der Pamiliec. Neben der ungeheuren teclinischen 
Routine seiner Werke habe zu seiner Popularität 
am meisten »diese verlogene Vergoldung des Philister- 
tums beigetragen, diese ratiiniert-künstliche Weihe des 
Alltagslebens (,Die Glocke'), aus dessen Perspektive 
er alle geschichtlichen Erscheinungen erbüokt, um sie 
vam Hintergrunde des bürgerlichen Idylls su machen«. 
Schiller — »der Typus jener Menschen, die auf die 
Gründe des Seins gekommen zu sein glauben, blofi 
weil sie seine AbgrCUide nie empfunden habent. »Was 
ihn endgiltig sum Journalisten stempelt, ist die Rflhr« 
seligkeity die Ton einem tragischen Qesohehnissohwfttat, 
wenn ein Mensch auf der Gasse überfahren wird; und 
es Ist vor allem eben jene Bindung an den Tag 
und die Stunde, jene Philistrosität, die sich am kos- 
mischesten dann gestimmt fühlt, wenn ein Jahr- 
hundertwechsel vor sich gehtc. 

Tn solch gallige Laune, deren Ausdruck wohl 
nur gewisse Partien Schiller'scher Entwickivmg be- 
rührt, könnte einen das Gebimmel der J'eattage mit 
Ministerreden, Denkmünzen und Säkularfressen durch- 
aus versetaen. iSchiieMüch konnte doch ein Goethe 



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— 41 — 



»denn er war tmfier« bekennen. Bloß jenes Qemein- 
SMnkei^efÜhl, heute jeder Kommis und Zieitungs- 
Schreiber stürmisch offenbart, ist das, was gesohmaok- 

volle Leute wirklich als das »Verletzende an Schillere 
empfinden. Übrigens hat Schiller in jenen sturmvollen 
Tagen, da noch nicht der Zitrone saftiger Kern zu 
populär-philosophischen Beziehungen gepreßt werden 
mußte (da noch nicht des Zuckers lindernder Saft 
die herbe Kraft des Dichters zähmte, noch nicht des 
Wassers sprudelnder Schwall vSeinera Temperament sich 
vermischte), Gedic ht e ge s ( ■ 1 laff e n , dieLiteraturhistorike rn 
ein Gräuel imd darum Kennern ein Labsal sind. Seine 
sprachliche Qewalt — nicht bloß Routine — haben sie 
immer bewundert und seiner Feuermuse, »die hinan 
den hellsten Himmel der Erfindung stieg«, auoh dort 
noch gelauscht, wo sie ihnen ethiaohe Hausmanns» 
kost Buwarf. Aber jene Gedichte lesen sie am liebsten 
die der Dichter s^bst in die Sammlung nioht aufge- 
nommen hat Sie fehlen in den meisten Ausgaben und 
aufier den SchiUergelebrten» die sie hassen, kennt 
sie niemand. Hier eines, das 1781 ohne Anmbe des* 
Ortes und Jahres, sowie des Verfassers, Druckers- 
oder Verlegers bei Metzler in Stuttgart erschienen 
ist. Eiin iinerliörter Moralhohn tobt darin, die Phan- 
tasie eines ßop^ hat diesen Triumphzug der Sinnhch- 
keit geordnet, Frank Wedekind konnte ihn be* 
schrieben haben und zur Guitarro begleiten — nur mit 
besserer Prägnanz der weitschweifigen, in manchen 
Strophen schon meisterhaften, oft noch schwülstigen 
oder schwäbehid saloppen Form und mit deiithcherer 
Betonung der rein ästhetischen Absicht, die Schiiler's> 
Üerausgeber so wenig verstanden^ daft sie ihm auiüer 
dem Tadel der »Stoft'wahU auch noch das Lob einer 
sittouichterlichen Tendens zufügten, ihm» der in 
jener Zeit das berühmte »Kaatratm und Männerc (»lob 
bin ein Mann. . .c) Kchrieb, das er spiter freilich ent* 
mmiA und kastriert^ »Minnanrflrdec betitelt und um 
die besten Stiophen gebracht hat, ihm, der damals- 



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— -42 — 



noch kein Bedenken trug, die Brüste des Weibes 
»Haibkugeln einer bessern Welte zu nennen« 

Der Venuswagen.") 

Kiing^klang! Klingklang! kommt von allen WindeOf 

Kommt nnd wimmelt schaarenweis. 
Klingklans! Klingklang! was ich will verkfinden, 

HM iCInder PromeOieBt'! 

Welkes Alter — Rosenfrische Jugend, 

yHtwmt Jansen mit den muntern Blut, 
SfwOds Damen mit der kiHeD Tiiffead, 

Blonde Schönen mit dem leichten Mntl 

Piüloeopiien KOnigie — Mitfüneui 
Deren Ernst Knpldoe Pfeile stampft 

Deren Tugend wankt auf schwanken Tronen, 
Die ihr (nur nicht üba euch) tiiampht 

Kommt auch ihr, ihr sehr vefdidit'gen Weisen, 

Deren Seufzer durch die Tempel schwärmt, 

Stolz prunkieret, und vielleicht den leisen 
Donner des Gewissens überlärmt, 

Die ihr in das Eis der Bonzenträne 

Eures Herzens geile I'lamrnen mummt, 
Pharisäer mit der janus Miene! 

Tretet näher — und verstummt. 

Die ihr an des Lebens Blumcnsch^elle 

In der Unschuld weißem Kleide spielt, 
Hoäl nldit wilder Leidenschaften Bälle, 

UnbeflMlrtett Heuens fdner ffililt. 

Die ihr schon gereift zu ihren Giften, 
Im lierimlsclien Sclieldvec stntxend stdk^t, 

Hier die Odtün in den AmbndfifiMi» 
Dort die enisle Tngend edit, 

Die ihr tdMn von Tinmeikelcli bannisdMt 

In die Arme des Verderbens Sfiringt, 
Kommt zurficke Jfinglinge und lauschet, 
Was der Weisheit ernste Leier singt. 

Ench zuletzt noch, Opfer des Deinstes, ' 

Ewig nimmer eingeholt vom Lied, 
Haltet still, ihr Sohne des Verlustes! 
Zeuget wider die Verklagte mit 



•) In diesem und dem folgenden Gedicht ist die 
.Schreib» nnd InterpunktioDsweisc der ersten Drucke lieseittgt 



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43 



Kliagklang! Klingklan^! schimpflich hergetragen 
Von des Pöbels lärmendem Hußah{ 

Angejochet an den Hurenwagen 
Mng ich- stet die Mdie ZjFpria. 

Manch Histörchen hat sie aufgespulet 
Seit die Welt um ihre Spindel treibt, 

Hat sie nicht der Jafanafal nadigebuhlet, 
Die lidi vom icrboinen Bimie edueibt? 

Hnmt Bie blehcr dachtest da'« su sparen? 

MameeDI Oott feuute didil 
WiB! so sauber wirst du hier nicht fahren 

Als im Arm von detnem Ludewig. 

Nbdi eo ifhHmfarii mag dein Auge büazen. 
Noch so lächeln dein verhexter Mund. 

Diesen Richter kannst du nicht scharwenseit 
Mit gettohlner Mienen Qaalcelbnnd. 

Ja so heule — Metze, kein EHMumenl 

Streift ihr keck das seidne Hemdchen auf. 
Auf den Rücken mit den runden Armen! 

Frisch 1 und patschpatsdi ! mit der Geißel drauf. 

Höret an das Protokoll voll Schanden, 
Wie's die Oarstge beim Verhöre glatt 

We^gfelogen oder i^leicl: äestanden 

Auf den Zuspruch dieser Geißel hat.» 

Vojkbeherrscher ! Götter unterm Monde, 
Machiumpanzert zu der Menschen Heil, 

Hielt die Buhlin mit dem Honigmunde 
Eingemanert im Senil. 

O da lernen Götter — menschhch fühlen, 
Laßen sich fast sehr herab zum — Vieh 

MOgt ihr nur is Naaos Ounmüc wfihlen, 
Sduuddidi sidiii in lesen hie. 

Wollt ihr Herren niclit skandalisieren, 
Verfl gelroet den Purpur in den Kot, 

Wandelt wie Plrst Jnfdter anf vieren, 
So enpart ihr ein wneUhntes Rot 

Nebenbei hat diese Viehmaaldemng 

Manchem Zeus iaim Wunder angeiNifit, 
Heil dabei der weisen Volkregierung, 
Wenn der Herrscher auf der Weide grast 1 

Dem Erbarmen dorren ihre Henen 
(O auf Eiden das Elyiinnt) 



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Durch die Nerven bohren HöUeaschmerzen« 
Kehren sie zo «Aden Tlgcn um. 

Lok Bnben mikdn ndt dem PlIntaDsie^el, 

Krettmcn vom ffchrtalen Iteri 
Leihen dienstbar seiner Wolhtit Flügel, 

Und ermanacheln Krön und Reich d«f&r. 

Ja die Hnre (l«Bte int Ohr euch flüstern) 
Bleibt tuch selbst im Kabinet nicht atttmm. 

In dem Uhrwerk der Rejj^iemng nittem 
Öfters Venusfioger um. 

Blinden Fürsten dienet sie zum Stocke, 

Blöden Fürsten ist sie Bibelbtich 
Kam nicht auch aus einem Weiberrocke 

Einst zu Delphos Götterspruch? 

Mordet ! Raubet! Lästert, ja verübet 

Was nur greulich sich verüben läßt — 
Wenn ihr Lady Pythia betrübet, 

O so haltet eure Köpfe fest! 

Ha! wie inanchen warf sie von der Höhe! 

Von dem Rumpf wie manchen Biederkopf! 
Und wie manchen hnb die geile Fee, 

Fmgt warum? Um einen dicken topf. 

Dessen Siegesgeiz die Erde schrumpfte, 

Dessen tolle Diademenwut 
•Gegen Mond und Sirius triumphte, 

HoGh gehoben von der Sldaven Blut, 

Dem am Matfcitein dteaer Wdt entranlien 

Jene tdtne Trine war, 
Vom Satnmna nodi nicht aufgetrunken 

Nie veigomen, «dt die Nacht gebar. 

Jenen Jüngling, der mit R j c i mip a n n e 

Die bekannte Wdt umgriff 
Hielte sie zu Babylon im Banne 
Und der — Weltpopanz entschlief. 

Manchen hat ins Elend aie gmliuddt. 

Eingetrillert mit Sirenensang, 

Dem im Herzen warme Kraft gesprudelt, 
Und dts Ruhms Posaune göltiich Wang. 

An des Lebens Vesten leckt die Scfaiange, 

Gelfert Qift ins hüpfende Geblüt 
Knochen dräuen aus der gelben Wange, 
Die nun aller Purpur flieht 



— 45 — 



Hohl und hager, wandelnde Ocrippe 

Keuchen sie in des Kozj^us Boot, 
Gebt den Annen Stundenglas und Hippe 

Hohl — und tot euch sieht der Toid. 

JiSuglinge, o schwöret ein Gelübde, 

Grabet es mit goldaen Ziffern ein: 
Fliehet vor der roeigteo Charybde 

Ufld flir mdet Hdden tein. 

Tugend stirbet in der Phiynen Schöße 
Mit der KcnKldudt IUei|[t &/st Oitot dtvooi 

der Bakun ain lerimickter Roee^ 
Wie ans rlfineo Selten Süberten. 

Venns* fbiger bridtt des Qeistes Slirke, 

Spielet gottlos, rOdrt imd rflcfct 
An des Herzens feinem Räderwerke 

fiis der Zeiger des Gewissens — IQgt 

Std ringt, nnd warn u Sehöptang sprühte, 
Eitel ringt dns gOttUdule Qsnie 

Martert sich an schlappen Saften müde, 
Wohlklang iUeßt aus todten Trümmern nie. — 

Manchen Greisen, an der Krficke wankend, 

Schon hinunter mit erstarrtem FnP 
In den Abgrund des Afernus schwankend. 
Neckte sie mit tödlich süßem Gruß. 

Quilte noch die abgestumpften Nerven 

Zum erstorbnen Schwung der Wollust aut. 
Drängle ihn, die trajje Kraft zu schärfen. 

Frisch zu spornen zäher Säfte Lauf. 

Seine Augen sprühn erborgte Strahlen, 

Tödlich munter springt das schwere Blut, 
Und die aufgejagten Muskeln prahlen 

Mit des Henent letxlldieni Tribut. 

Neuverjfingt beginnt er aufzuwärmen, 

All sein Wesen xuckt in einem Sinn, 
Aber bnschi entspringt da seinen Armen, 

Spottet ob dem matten Kimpfer hin« 

Was iiir Unfug in geweihten Zellen 

Hat die Hcne nidit schon angcrichtP • • 
Laßt des Doms Gewölbe Rede sIeUent , 

Das den leisen Senfser lauter spridii 

Mandie Tribie aus Andoiaa Bftdne - 
Sieht man dort am RosenknuuBe i^tfm* 

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— 4ft — 



Manchen Seufzer vor dem Kruzifixe 
Wie die Taube vor dem Stdfier flidin. 

Durch des Schleiers vorgeschobne Riegel 
Malt die Welt sich schöner \irie ihr wißt, 

Buniitfe Idbt Ihfcn Tatdieospiegel, 
Wenn das Kind di» Ptteniocter Idlfit 

Siebenmal des Tages muß der gute 
Michael dem starken Moloch stehn, 

Bdde pnUen mit gleich edlem Blute« 
Jeder, vifit flur, beißt den ladeni ffdm. 

Puhl da splittert Molod» adiwftdiret Qaent 
(Armet Kindl wie Ueidi vM dal) 

In der Angst (wer kann es Vorsalz hdficn?) 
Wirft lie ihm die ZUtemadel zn. 

Junge Witwen — vierdgfihr'ge Zota 

Feuriger Komptexfon, 
Die schon lange auf — Erlösung hoffen, 

Alhnfrah der schönen Welt entflohn. 

Braune Damen — rabenschwarzen Haaret 

Schwer g:epla?rt rnit einem siechen Mann, 
Fassen oft — die Hörner des Altares, 
Weil der Mensch nicht helfen kann. 

Fromme Wut begfinstigt heiße Triebe, 

Oibf dem Blute freien Schwung und Lanf — 

Ach zu oft nur drückt der QottesUebe 
Aphiodite ihren Stempel auf. 

Nymphomanisch schwärmet ihr Oebete 
(Fragt Herrn Doktor Zimmer inann) 

Ihren Himmel — sagt! was gilt die Wette? — 
Malt zam Maaen endh ein Titian! — 

Selbst im Rathaus hat sie's angesponnen, 
Blauen Dunst Astrien vorgemacht, 

Die geschwornen Richter halb gewonnen, 
Ilires Ernstes Palten weggdacht 

Inquisitin ließ das Halstuch fallen, 
Jeder mdnte, ad von ohngefährl 
Potzl da Ikgte wie Alpen schwer auf allen, 
m rarrlsch spnkts um unsem Amtmann her. 

Sprechet selbst — was war dem Mann zu raten? 

Dies verindert doch den Statnm sehr. — 
»Inquisitin muß man morgen laden, 

Hente gieb ich gfttliches Veihör«« 



— 47 — 



Und — fpif ttlcht Frau Amtnliitilii {dDonmiai 

(Unserm Amtmann krachts im sechst» Shm) 
Wir der Balg ins Trockne fortgeschwomm«!, 
Diuk seis der Frau Amtmannml 

Attcb dctt Kien» (denkt doch mir die Lote) 
Sdbet den iQems lurt sie kalumniert 

Abergrit! — mit einem derben Stoße 
Hat man dir dein l figf nmaol pitschiert? 

Damen, die den Beltdttck nun tngen« 

Ungeschickt zu weiterem Oewintt« 

Matte Ritter^ die Chamade schlagen 

Invaliden in dem langen Dienst» 

Seilt tie, (wies tuch große Herren Witten) 

Mit beschnittner Pension zur Ruh, 
Oder schickt wohl gar die I.rckerbissen 
Ihrer Feindin — Weisheit zu. 

(Wdne Weiibeit Aber die Rekruten, 

Die dir Venus Aphrodite schickt, 

Sie verhüllen unter frommen Knttcn 
Nur den Mangel, der sie heimlich drückt. 

WMe Amors Tallsnum sie riUuen, 
Nur ein Hauch von Zypern um ile vdm? 

O sie bürden hurtig' desertieren 
Und zur alten Fahne üheiisqhn.) — 

Sehet und der Usülngln genfiget 

Auch nicht an des Torus geiler Brunst, 
Seihet die Schranken des Geschlechts besieget 
Unnatürlich ihre Schiangenkunst. 

Denket — doch ob dieser Schandenliste 

Reißt die Saite, und die Zunge stockt; 
Fort mit ihr aufs schimpfliche Gerüste, 
Wo das Aas den fern^ Adler lockt 

Dortcn soll mit Feneigrlffel schreiben 

Auf ihr Bnhlinangesicht das \X^ort: 
Tod : der hicnker — so gebi aiidmarkt treiben 
Durch die Welt die Erzbetrügrin fort. 



So gebot der weise Venusrichter. 

Wie der weise Venusrichter hieß? 
Wo er wohnte? Wünscht ihr von dem Dichter 

Zu vetuelimen — so vernehmet dies: 



Wo noch kdn E uw pwi^gti tetiste, 
Kein Kolitmb noch iiIiMMte, aodi kriv 

Kortez siegte, kein Pizarro hauste, 
Wolint aaf einem Eiland — Er allein. 

Dichter forschten lange nach dem Namen — 

Vorgebirg des Wunsches nannten sie's, 
Die Gedanken, die bis dahin schwammen» 
Nanntens — das verlorne Paradies. 

Ais vom ersten Weibe sich betrügen 

Ließ der Minner erster, kam ein WasseretoB, 

Riß, wenn Sagen Helikons nicht lügen« 
Von vier Wellen ilicte Tntd Um. 

Einsam schwimmt sie im Atlantschen Meere 
Manches Schiff begrüßte schon das Land, 

Aber ach ^ die scheiternde Oileere 
ließ den Schilller tod am Strand. 



Das klin^ noch etwas anders als: »Und drinnen 

waltet die züchtige Hausfrau« Das waren, wie 
entrüstete Literaturhistorikefi das höchste Lob zum 
Tadel kehrend, schreiben, »flppig sinnliche Phantasien, 
die mit den Bildern der Vergänglichkeit und Verwesung 
hinter dem lachenden Schein des Lebens ein wider*> 
liches Spiel treiben«. In der »stoflTUchen« Mifibilligung 
gehen diese kundigen Thebaner so weit, dem jungen 
Schiller die Schwärmerei fOr Laura übel zu nehmen; 
»sie war«, schreibt einer wörtlich, »weder schön noch 
geistreicli Ii Ii d s p ä t e r auch aiuht tugendhaft«... 
Dieser Periode Schiller'scher Entwicklung, die so 
viel Ärgernis in literai historischen Kreisen erregt hat, 
entstammt auch f^in Gedicht, (»Anthologie auf das 
Jahr 1782«) mit dessen Zitierung ich wieder der 
schillerfeiernden Journalistik eine angenehme Über- 
raschung bereiten möchte. Sie wird endlich erfahreU| 
wie Schiller sie gefeiert hat. 



Die Journalisten und MInos. 



Mir knm vor weni'j^ Tajjfn, 
Wie? fragt mich eben nicht, 

Vom Reich der ewgen Plagen 
Die Zeitung zu Gesiebt. 



Sonst frag: ^ch diesem Essen 
Wo noch kein Kopf zerbrach, 

Dem Freikorps unsrer i-'ressen, 
Wie billig, wenig nach. 



— 49 — 



Doch eine Ra]ids:ioß lockte 

Tzt meinen Fünritz an, 
Denkt! wie das Blut nur stocide, 
Als ich das Blatt begann: 

»Seit zwanzig herben Jahren« 

(Die Post, versteht sich, muß 
Ihr saures Stündchen fahren 
Hieher vom Erebus) 

»Verschmachteten wir Arme 

»In bittrer Wassersnot, 
>Die liöil kam m AUarme 

»Uhd forderte den Tod. 

»Den Styx kann man durchwaten, 
»Im Lethe krebset man, 

»fkcimd Chiimi mg nten, 
>bs SrtiliHiiiic l^[t scfai KihiL 

»Keck springen schon die Tode 
»Hinüber, jung und alt, 

»Der Schiffer koomit von Biods 
»Und flitdit dte mite taat 

»PAiit Minot adiickt Spionoi 
»Nttdi alleii Oremen hin, 

»Die Teufel müssen frohnen 
»ihm Kiuutecliaft einztueidiB. 

»Jflhel nmi Mi im Taget 
»Enrladit das Räubemestl 

»Heraus lum Freudj^elage! 
»Komm Hölle, komm znm Festl 

»Qm Scbwarm Autoren spflkte 

»Um des Kozytus Rand, 
»Ein Tinteniäßchen schmückte 
»Die ritterliche Hand. 

»Hier schöpften sie, zum Wunder, 
»Wie Buben süssen Wein 

»In Röhren von iioüunder. 
»Den Stponi in Tonnen dn* 

»Husch! Eh sie sich s versahen 1 
»Die Schlingen über sie! — 

»Man wizd codi ach An empfahen 
»Kommt nur nadi Sananond« 

•Schon wittert sie der König, 
»Und vntete aaiaen 2!atan, 



»Und schnauzte drauf nicht «enjg 
»Dk Pelinqnentea an« 

»Akall ateht man die Räuber? 
»Wcaa Handverka? Welches 

Lands? 

»»Sind teutsche Zeitungs- 

SchreiberU« 
»Da kaben wfar den Ttnal 

»Schon hätt ich Lust glcichbalden 
»Euch, wie ihr geht und steht, 

»Bei'm Essen zu beiiaiten, 
»Eh enck ndn Sdiwager nllii 

»Doch schwör' ichs hier bei'mS^yze, 
»Den eure Brut bestahl! 

»Euch Mai der und euch Füchse 
»Erwartet Schand nnd QuaH 

»So lange bis er splittert 
»Spaziert zum siom der Krugl 

vWaa mr nadi Tinten wittert 
»Entgelte den Betmgl 

»Herab mit ihren Danment 
»Laßt meinen Hnnd 

herantl 

»Schon wässert Ihm der Gaumen 
»Nach einem solchen Schmaua« 

»Wie zuckten Ikre Waden 

»Vor dieses Bullen Zdu! 
»Es schnalzen Seine OnadCDi 
»Und Joli packte an. 

»Man adivdrl, dad nodi der 

Stumpen 
»Sich krampfi^i eingedruckt, 
»Den Lethe auszupumpen 
»Noch gichterisch gezuckt 

Und nun ihr ^^ufen Christen 

Beherziuet diii Traum! 
Fragt ihr nach Journalisten, 

So sucht nur ihren DaumI 

Sie bergen oft die Lücken, 

Wie Gauner ohne Ohr 
Sicfa helfen nrit Pei«dDen — 

Probntnml Qnt davet I 



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9 



— 80 — 



Sie haben ihre Tinte aus dem Höllenflufi gestohlen. 
Aber Lethe ist auch der Strom des VergessenSy der 
Strom des Todsohweigens. Ein Glück für Schiller, 
dafi er sich später gebessert hat I . . . 

Man kann sicher sein, in jedem Lebenswerk eines 
Großen irgendwo eine Stelle zu finden, in der er der 
Geniepflicht der Preßverachtung genügt hat. Hun- 
dert Jahre vor der Machtentfaltung der Jour- 
nalistik haben Dichter gesagt, wie sie über das Hand- 
werk deiikun. Nach hundert Jahren, wenn alles Holz 
des Dichterwaldos für Zeitungspapier aufgebrauc ht sein 
wird, wird* die große Kulturfeindin keinen Protest 
mehr zu fürchten haben« 



ANTWORTEN DBS HBRAU8GBBBR8. 

Geograph, Ein mutiger Mann scheint der Herr Professor Dr. 
Angntl Bflhm Edler Tcm Böhtneraheim, Redtkteiir der ,Mitteiliiii0eii 
der Ic k. Oeognipliiidien Gesellschaft in Wien' zu sein. Er versendet 

an seine Abonnenten die folgende »Erklärung betreffend den 
Artikel .Nordische Reise' von Heinrich Puder in dem letzten Hefte der 
Mitteilungen der k. k. Geogrtpinschen Gesellschaft in Wien.« Sic war 
bereits teilweise in einem Blatte zitiert, verdient aber wegen des 
besonders manntaefteii Schhuaes vollstibidig verewigt tu «erden: »Der 
«nterzeidniete Rediktenr» der in der letzten Zeit bemnidi meiir lis 
sonst in Ansprucil genommen war — nicht zumindest durch das seit 
Neujahr eingefnbrte öftere Erscheinen der .Mitteilting^en' hat den 
oben genannten Artikel von Pudor, darin eine unvfftfäni;^Iiche, feuiDeto- 
nistische .Reiseschilderung vermutend, leider ohne genaue Durchsicht in 
Druck gegeben. Der Oedanke, daß sich Herr Dr. Pudor in einem 
Anfntze, den er einer geographisciien Padizeitaehrift elnreldlt, In 
religiösen, nationalen und politischen Ausfällen ergehen würde, lag dem 
Unterzeichneten umso ferner, als er ja bereits vier Artikel aus der 
Feder demselben Verfassers in den »Mitteilunsren' veröffentlicht hatte 
(»Isiandiahii', ,Von den Faer-Oer', ,V'on den KaiiaUnscln', , Normannische 
Reise'), welche Artikel durdiaui> sachlich und dem Rahmen eiuer 
geographischen Zeitsdirlft entaprediend gehalten «aren und in den 
Mitgliedcrkreisen vielfadi lebhaflen Anklang gefunden liatten. Leider hat 
sich der Unterzeldinete in seinem Vertrtnen getinscitt Daß der 
Artikel gleich von vornherein zu rfickge wiesen worden wäre, wenn der Unter- 
zeichnete nähere Einsicht darein genommen hatte, ist wohl überflüssig, 
erst besonders zu bemerken. Ebenso selbstveiständiich ist es, daß der 
Unterzeichnete dieses Vorkommnis im Interesse der Oesellschaft tief 
bedtnert DaS der In Rede stehende Aitihel dmemd in nnserai 



. , . I y Google 



Sl 



Pttblikttionen verbleibe, g^ehtnfchtan Er wird hiermit off tziell zurf^cV 
gezogen und annuUicrt. Dem2:cmäß wird ersucht, die Seiten 
133—188 aus dem letzten Hefte (Nr. 3) der ,Mitteiliiuj|^en' heraus- 
znaehmea und zu Yernicbteii. Ak Ersttz hierfür (sofern nicht die 
LeHoBg der OcMUtchtft Inzvlidieii eine verlnderteNcatnflase det gwen 
HeRn beachliefioi soUfe) wiid mit dem nächsten Mefte ein Crgänzunss- 
bfft verwendet werden, dessen erste Seife mit der Zahl 133 bezeichnet 
sein und an dessen letzte Seite sich die Paginierung der Nr. 4 unmittelbar 
iBSchltcßcn wird. In diesem Ergänzungs- oder Ersatzhefte wird der 
annullierte Artikel durcli andere Artikel ersetzt sein, wogegen der 
restliche Inhalt fon Nr. 3 (Seite 173—168) darin vnverindert (nur mit 
anderer Seitenbeziffemng) wiederkehren wird. DervonderRedaktion 
bei der Drucklegung des Pudorschen Artikels vertehent- 
lich beganfjene MiRqfriff wird nach Durchf (ihrung des 
eben Gesagten keine Spur in den »Mitteilungen der K. k. 
Geographischen Gesellschaft' hinterlassen.« — Der Aufsatz 
Herni Pndor toU ein paar zarte Anspieltmgen auf angeUlcfae 
Mfiilinde In Rnfiland enthalten haben. . . Angnidita des bedrohlichen 
UmaicbKrelfeita der Qenlckstarre wirkt das Beispiel eines Mannes, der 
vor der Seuche nie ergriffen werden kann, an sich erfreulich. Herr 
Professor Böhm hat sich durch seine Erklärung^ vollständig in die Günst 
einiger hochgestellten Mitglieder der »Geographischen Qcscllschatu be- 
geben. Dabei stieß er freilich nach rfickwäits mit den Beiueu aus und 
cotttasdite saUreicfae Oeldtrte, die zwar zugeben, daB man den Pndor 
Qrtadrflcken dfirfe, doch nicht jenen unerläßlichen pndor, der einen 
Msnn der Wissenschaft von dnem Fnfifall abzuhalten pflegt 

Politiker. Manchmal ist's mir wieder, ab ob dfe alldeutsche 
Pttbüzi^tik die dümmste wäre. In Cilli schrieb neulich einer, Bismarck 
lei >im Guten wie im Bösen gfroR, treu und sittlich hochstehend* 
gewesen. Im Onten wie im Bösen grüß — da glaubt man schon, ein 
tsnisdier Mann habt sich einmal zu einem vemflnftigen Staodpuoktf 
öen istbettschen, an^genifft In Nu muß er ans venicfacm, daß der 
Msaa, der auch im Böten groß sein konnte, »sittlich hochstehend < 
war. . . . Wie ich mir die bekannte »lafe der DenftSGiien In Öfteneich« 
Torsteller Auf den Kopf gefaUen. 

Kriminalist Mftterw«r7er bat dem jungen Angeklagten, der Schau- 
spieler weiden wollte, sehr zutreffend geschrieben: »Will man ein 
tüchtiger Kerl beim Theater werden, so geht man durch«. Präsident: 
*Wr kennen Mitterwnrzer, wir wissen, was für ein bedeutender Schau- 
tpidcr, was ftr ein fescher Kerl er war. Trotzdsm darf man 
«>lche Worte nicht ernst nehmen«. Staatssnwalt (mit Nachdruck): »Er war 
ein ehrenverter Charakter bis zu seinem Ende«. — Und da sage man 
Doch, daß die Nachwelt dem Mimen keine Kränze flicht 1 Fesch und 
«hrenwert — das wird Mitterwurzer in der Frinnening der Wiener 
Utiben, auch wenn längst kein Zeuge äemcr ephemeren schau > 
Vidcriscfaen Ltislnncen am Leben sein wird. Richtiger kann man sein 
Vesen gar nlcfat charakterisierai. Vor allem ehrenwoi — das war 



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tt — 



Mittenrurzer's Individualität. Nur schade, daR es so leicht ist, »bis zu seinem 
Ende«, und so schwer, von seinem Anfanp: an ein ehrenwerter 
Charakter zu seini Dem verlorenen Knaben auf der Anklagebank war 
tSto flrft dtaKin Vortiild nidit zv imponicfni. 

Kaufmann, Mit der Auffassungsfähigkeit des Lesers ist es noch 
sehr schlecht bestellt Würde man beim Schreiben daran denken, daß 
nun ffir't PoblUnm fdudbt, min mllfiie sich etliiiMiiai. Deonodi glaube 
Ich nlcbt zu jenen Schriftstellem zu gehören, die in dch hinein, sondern za 
jenen, die aus sich herausschreiben. Ich habe immer ein l^sergehim 
vor mir. Ich diene ihm nicht und bringe ihm keinen QedanVen zum 
Opfer, Aber ich setze bri ilim auch nichts voraus und g:fbe ihm seine 
Prämissen, die zum Verständnis meiner Schlüsse notwendig sind. So 
fat mein Oedankengang kein Labyrinfh, sondern dn bis auf Videmif 
fttIvilllBf eröffneter Dnrdi£ane. Aber nur der Ideale Leser kamt 
jener Passant sein, demzniiebe die &d^ung geschah. An >die 
Leser« denke ich nicht. Unter ihnen mog^en vortreffliche und gebildete 
Leute sein: man macht schaueiliche rrfahrungen mit ihnen. Da bemfihte 
ich mich in Nr. 17ö, den Begriff der Berufsethik zu fassen und aus- 
dnanderznsetzen, daß Herr MarschtU als Besitzer einer Bildhanerfirma 
zvar der kanfminnisdien, aber nidit der kOnsflerfschen Standesmoial 
genügt habe. Natürlich, soweit sein Handel mit fremden Kunstwerken 
in Fragte kommt. Denn die »Preisunterbietunc^en bei der ficaerbung um 
Medaillenaufträge« würden, wie ich ausdrückhch schneb, auch vor dem 
Richtstuhl der kaufmännischen Berufsethik verurteilt werden. Aber in 
der Hauptsache hat es sich bloß um die Signierung der Kunstwerke, 
die Herr Mancball mm seinen AnfesteUien enengen ließ, gehandelt« 
Und Ider sagte idi, nm den Vergleidi auf dne drastisAe Formd zu 
bringen: Herr Marsdiill ist »im Sinne des Wiener kauf minnischen 
Verdnes ein Ehrenmann«: er ist seinen Kunstbediensteten keinen Heller 
schuldig geblieben. Heute bekomme ich nun von einem sonst sehr 
schätzbaren Leser die folgende freundliche Vermahnung in'a Haus 
gestdlt: »Midi eninidrt nidit nnr Jedes frisdK Hcfl Ihnr 2MtsdiM 
idt finde meine ]¥ende daran, xnvcUen andi in den IHenn Nnrnmem 
zu buttern. Da vnrde idi denn heute dmdi Uufen Marschall-Artikd In 
Nr. 178 an eine begang^ene Unterlassun£:ssnnde erinnert. Schon vor 
Monaistrist wollte ich auf einen Satz lea^icicn, der einer irri;^^en Auf- 
fassung Ihrerseits entflossen ist. . . Sie wollten damit dem Verem sicheriich 
nicht nahetrden ... Ich fühle mich aber verpflichtet, zu Ihrer persda* 
lidien AnlUinmc ihnen mitamfeiien, daS der Wiener kanfminnlsdM 
VMn als Rsprtsentant jener Kai-Ethik, die Sie mit Fug geißeln, nicht 
anzusehen ist«. Folgt Aufzählung aller Edeltaten des Vereines und die 
typische Versicherung jener Gönner, die mich auf einer > falschen In- 
formation« ertappt haben: >Ich denke, ein Mann wie Sie, dessen Amtes 
ist, mit der i^ackci der Wahrheit in das soziale Komödienspiel hinein* 
snisnditen, mnfi sdbst mdi^idttt £ttt Informiert sdn.« Aber der ftannd- 
lidie Uaer nimmt mfcli sdivkrifer als idi bin. Idi kabe hier iBda Amt» 
bM eine Mdannf. Idi voUte andi weder »bindnlendMett« — das 



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Wort 5törl mich, seitdem ich die ,facVer begründet habe — nach •»ffnt 
infiirtnifrU sein. Ich wfl! um liebsten überhaupt nicht »infoi micrt* sein. 
Und wollte es sicher in jener rein logischen Ausführung nicht, in der 
es sich kaum mehr um tatsächliche Behauptungen über Herrn Marschall, 
ticber aber nickt um dne Behauptung ikber den IniitaiftiiiacheB VeMln 
gehandelt hat. Wenn ich von Herrn Marschall sagte, daß er der ktiif- 
männischen Bemfeelhik, soweit sie das Verhältnis des Chefs zu den 
Angestellten bestimmt, genügt habe, so wollte ich zwar die Solidität des 
Herrn Marschall den kimstmoralischen Ansprüchen entrücken, aber die 
kaufmännische Ethik weder werten noch gar gering werten. In der Fest- 
stelhiag, dafi eio Kanfoniui atfaica AngesMtten »keines Heikar ukuMig 
fEUlebea« itty dnc Herdsedzwiir eeliiei Stendet in etblictan, tet 
phantastisdi« Umao pbantasüacher, als sich an die zitierte Stelle muKittd- 
bar die folgende ansrhließt: >Er wäre sicher auch nach dem Aus- 
spruch jenes Offiziersehienrats, der drolb"ger Weise die Affaire ent- 
scheiden sollte, fSatistaktionstähig'.« Der begeistertste Fanatiker des 
Wiener kaufmännischen Vereines dürfte nicht ghiuben, daß dieser tincm 
Oflbicnelireimit in der Qevf sseahafllgkeit der EMegriHUKmtfoUe Aber* 
kfn ist. Aber er müßte, wenn er nur die Hälfte der Sorgfalt an das 
lesen der , Fackel' wendet, die ich — übcrflüßigcr Weise — an das 
Schreiben drr .Fackel' wende, den Sinn meiner Ausfflhrnng verstehen : Herr 
Marschall (nunmehr glücklich beurlaubter Professor au der Akademie) 
hat in seinem Atelier junge Künstler beschäftigt, die er für die Her- 
itdhnig ifOD KnnstvfrtBCB beiaUte. Voll niaKabUe» Er ist damtiL etat 
solider Kaaflnana. Vor einem IcanfinAnaisdien Standeiccridii könnte er 
bestehen. Vor einem Offizienehrenrat gleichfalls, da er ja als Reserve- 
offizier keine der Berufschre widerstrebende Handhinj^ begeht, wenn er 
jungen Künstlern Beschäftigung gibt. Auch Ministeriaibeamte müssen ihn, 
schrieb ich, freispredicu, da auch ihre Vorschriften die Erwerbung von 
Gipsfiguren nicht ausdrücklich verbieten. Nnr vor einem Kunttehrenrat 
kOnot^ meinte ich, Herr Marschall nicht bestehen. Er Ist ein solider 
Kuthnann, ein bewähi t<-r Offizier, ein pfUcbtbevußter Subalterner des 
Herrn v. Haitel; nur ein Künstler — zunächst soweit die Knnstrthik 
fo Betracht kornint - ist er nicht. Ich hätte noch hinzufügten können, 
dlß er es auch dann nicht wäre, wenn er als \X\)h Hilter seiner Angestellten 
Sic weit über den Wert ihrer Leistungen be^ahit iiäUe. Tatsächlich hat 
er, vie der »tn seinen Onnsten entschiedene« Prozeß bewies, bloß seinen 
dfibediflichen VeqifUchtmifen Im Sinne der Kontrakte, die er mit den 
Aagssleltten abgieschloasen hatte, genflst* 

KmUMkr L$9et, »Tont Kuisbad«, so scfaniben Sie, frene sich 
anf die nächste , Fackel'. Denn der Verfasser des Mcfiner Feuilletons 

der ,Neuen Freien Presse', jener Dr. Z r, der uns durch das be- 
rühmte Karlsbader Feuilleton erfreut hat, sei »unser wohlheitallter 
Rabbiner Dr. Zie^ler«. Ich muß tout Karlsbad enttäuschen. Denn ich 
Klaube nicht an die Autorschaft des Rabbiners. Für einen Rabbiner sind 
dit fenillcloBa zn sehr im Jargon gesdirieben. Seibit da ein Kedaktenr 
4m iNenen Mca Pnsae', nm nidit «teder dte Hdicrlidt Westent^pai 



zu entfesseln, den stiHstischen WeichsfIzopF ein wenig durchg:ekämrat 
hat, ist noch so viel ür:»prüughchkeit zurückgeblieben, daß mau bloß 
efaiea benarabltchen Leser der ,N«iai Freien Prene' ala Autor ver- 
nitteB kann. Obcrdiet bitte der KarltiMder Rabbiner, wenn er vkUidi, 
wie der Meraner Plauderer behauptet, an der internationalen TiUe 
d* böte teil2:enomm<?n hätte, einen Fehltritt begangen, der ihm dtt 
Mißtrauen eines Feuilictonredakteurs der , Neuen Freien Presse' zuziehen 
würde. Wer ist der Autor? Herr Eitenbach spielt jeden Abend, kann 
ittfelgedeiten nicht kflndidli in Meran gewesen sein. Ganz abgesehen 
dam, dtB die FeniUeions ernst fetneint nnd keineswegs aus persiffierender 
Absicht entstanden sind. Audi die in Wien verbreitete Version, daß 
Herr Dr. Zucker, der Vizepräsident der Advokatenkammer, der Ver- 
faKcr der anmutigen Plodereien in dem Stil: »Jeden hrüh, wenn ich 
aufsteh und ausgeh, trink ich meinen Tee und css ich meine Eier, dann 
bin ich derquickt« sei, scheint mir unglaubhaft. Herr Dr. Zucker ist 
allerdings Mltarbeüer nnd Berater der .Neuen frden Ptesse' in 
JntitHsdiett Fragen, gilt aber als gebildeter Mann. Oegen die Aus- 
streuungen seiner Gegner, die ihn jener Feuilletonleistungen für fihig 
halten, sollte er sich verwahren, und die , Fackel' steht ihm für eine 
Erklärung, die er In der , Neuen Freien Presse' nicht gut veröffentüchen 
kann, zur Verfügung. Nach der Bloßstellung des Präsidenten der 
Advokatenkammer nÄBte ihr Viaepriaident auf die Reiidiattnttg adnea 
geiatigai Rufes doppelt pehilich bedacht sein. . . Die Frage wird dam 
freiUch offen bleiben: Wer iit der Vetfuser Jener ungesinerten FeuiUetona? 

ßpe^ßnoget Also sprach Masaidck: »Oer ,kleine Kraus' adiielbt 
in der ,Fadsd' vom 15. d.: ,Die Aufnahme, die der Justizrat Kömer 
nach seiner Rfickkehr von Florenz am sächsischen Hofe erfuhr, ' die 

Behandlung", die einst Herrn BacVirach in Wien zuteil werden wird, 
hat Shakespeare vorausgfeahnt.' ,Vorausij;cahnt' ist so unsinnig, als wenn 
man sagen würde: .vorausprophezeit'. ,Ahnen' heißt vorausempfinden; mithin 
ist fVorausahnen' ein sack^rober IHeonaamas. Herr Kraus wird wahr* 
acheinlich ehiwenden, daß das Wort sehr häufig vorkomiut und besonders 
von Schmöcken mit Vorliebe gebraucht wird; aber damit ist noch keines* 
w^s bewiesen, daR der Ausdruck richtig ist. Sonst könnte einer, der 
,mir' mit »mich' verwechselt, sich gleichfalls darauf berufen, daß dies 
tausend andere auch schon getan haben. Ich würde diesen Lapsus auch 
nicht bemängeln, wenn Herr Kraus sich nicht immer zum Hüter der 
deutschen Sprache aafwlfarfie und wenn er nicht die K— fihnhdt bealfie, 
selbst die besten deutschen SchriflsteUer zu hofmeistem«. — Ich habe 
Herrn Masaidek immer als Humoristen des Schwachsinns gelten lassen. 
Aber wenn er dreist wird, bekommt er eins auf de?i Mund. Das Gefühl 
der Distanz muß auch im versulzten Gehirn noch lebendig sein, und es 
geht nicht an, daß ein Mitarbeiter der «Deutzen Zeitung' den Heraus- 
geber der ,Fackel' In dentschcr Sprache nntenicfaten wolle. Wenn Herr 
Masaidek den Aphorismus ntedfetschfcibt: »Die Familie Tsdian mnfi 
eine schöne Familie sein«, so hat er fraglos Recht, nnd kein Menadi 
wifd an aeiner FUdgkeit, absolnle Waturheiten in dar dankbar ipodiktiacfacaten 



» 



— 58 — 



Form anszitdriicken, mäkeln. Auch die Ori^inalitit einer Wendung wie der 
als »K - ühnheit< neckisch maskierten »Keckheit«, die gewiß viele christlich- 
soziale Schriftsteller mit Neiderfüllt, wird ihm niemand bestreiten. Nur 
seine F-rcihcit {pdtx noch schalkhalter : seine Fre — iheitj, in spraciüichen 
Ding» das groSe Wort im nefameD, bin ich nicht gesonii«! xn dnkten. 
»Vaiinclieiiilidi« werde idi etvu gm tnderes »einwenden« alt 
er glaubt. Oewiß nicht, >daß das Wort sehr häufig vorkommt und 
besonders von Schmöcken mit Vorliebe gebraucht wird«. Er hält mich ja 
nicht im Ernst — gerade mich — für so vertrottelt, die Richtigkeit eines Aus- 
drucks durch den Sprachmil:ibrauch und gar durch den journalistischen 
l) e w ciieu zu wollen. Dt wende ich flun adiott viel lieber dn, deß er 
idbet die Unriditigltdt eines Autdrudn dordi eelne eigene Unloenntnlt 
der deutschen Sprache beweisen will. Also tnf^ieptßi: »vorausahnen« ist 
nicht unsinnig:, kein sackgroher Plconasmns, kein Lnpsus. 

»Aiincii« heißt namlich n i c ii t »voi ausempfinden«. Das glauben nur Herr 
XUsaidek und Sprachkünsiier seines Niveaus. »Ahnen« heißt — nach 
allen Wörterbflchem - bloß: dunkel empfinden, unbestimmt fühlen 
(im OegensttE znr Uiren Ansdiauung und znn deuflidien Wissen). Man 
kann nicht nur das Kommende, sondern audi das Qegenwirtige vnd das 
Vergangene ahnen und darum das Kommende so gut vorausahnen wie 
man es voraus wissen kann. Und niT ein Gehirn, das hei »ahnen« gleich 
an eine Kartenaufschiagerin deukt, kann von dieser Aufklärung enttauscht 
lein. Um es Herrn Masaidek an zwei Beispielen ganz klar zu machen: 
fir hst nicht richtig vorausgeahnt, was ich Ihm »ebiwenden« wetde, 
md er taat von den Oesetien der deutschen Sprache (wiewohl sie schon 
längst bestehen nnd nicht erst in der Zukunft ersdisiten werden sollea) 
nnr eine Ahnung und keine klare Kenntnis. 

Hallstätter Satiriker. Das »Deutsche Volksblatt' schrrüit über 
Franziska Klein : Sie »annon zierte in „hervorragenden"(?) Juden blatreni . . .« 
Ober den Fall Brenneis: Die Anklage »wurde vom Verteidiger als eine 
— »ungemein komische" bezeichnet. . .« 

Leser. Ja, wo käme man denn hin, weuu man jede Preß- 
sdinriDerei annageln woUte? So vide Nä^ci gibt's ja gar nidit Man 
kstm nur vomTypisdien dasTypisdieste herausgreifen . . . Mich intereadert's 

wirklich nicht, ob Frl. Barsescu in New-York Erfolg oder Mißerfolg 
hatte. Aber den Kerl vom ,Neuen Wiener Journal* scheint's zu interessieren. 
Warum lügt er dann? Aus der ,Ne\v Yorker Staatszeitung:' (Q. April) 
sendet mir ein Leser den folgenden Ausschnitt, der den internationalen 
Ruf des Wiener Schandbutts bekundet: »(Zur Abwehr einer Infamie.) 
fan ^enen Wiener Journal' finden wir dne Noti« über das Banesen- 
Oastepiel, die in ihrer die Reputation der Künstlerin scUhUgenden 
Veilogenheit nicht anders als infam genannt werden kann. Jeder 
deutsche Theaterfreund New-York's weiß, daß das Qastpiel der Künstlerin 
am Irving Place Theater von glänzendem Erfolg gekrönt war und daß 
es daher jetzt zum zweiten Maie verlängert worden ist. In dem Wiener 
Bfadt sdireibt aber dn obskurer Slcribifax daß dieses Gastspiel ^ 
fdM|idi|: »IfiglAdder daß es ab^ebrodien werden mußte und die 



^ by Google 



— SS — 



Künstlerin sich hierdurch materiell derartig^ geschidigt sah, daß sie 
genötigt war, einen Antrag der Direktion des jüdischen Theaters 
atuunehmen' etc. Die oder der Verüber dieser feigen Sduufcnci 
verdienten don Versteck Uirer Anonj^nilttt cntiiiKn nnd fc il yn tgdt n 
weiden. Wir hoffen, daß das genannte und andctn Wiener BliMer 
baldmöglichst den für Frl. Barscscu nur rühm- und ehrenvollen 
wirklichen Tatbestand festeren mögen.« In New-\'ork scheint man das 
Maß der Wiener Unanständigkeit tioch nicht zu kennen. Eine Richligstellung 
im , Neuen Wiener juuroai' läßt sich bloß durch Mosse, nie durch 
SdlMtetteintttit niiifllen. 

L. L. 1. Meine Behauptung trotz Lehmann richtig. 2. Völlig 
ImuIIos. Wer hat Ihnen denn das Gegenteil eingeredet? 

Sammler. »Bukarest, 7. März. Das Blatt ,Roumanie* ist zu der 
Erklärung ermächtigt, daß die Meldung eines Wiener Blattes, wonach 
din mndüiiisfae Regelung die Abildit habe, «ine Anleihe im htingt 
von 40 bis 50 MUlioncn abznacUkficn, nicht ridsüg aei Des Blatt 
fügt hinzu» daß erstens die Ziffer der Anleihe übeitriebcn ad» nnd 
zweitens, daß die Regierung sich mit der Anleihefrage flberhnupt 
nicht befaßt habe.« (,Neue Freie Presse', 8. März). > Es erfolgle an 
den Experten eine Reihe von FragesteJiungen, wobei er sich gegen die 
Oleichstellung unehelicher und ehelicher Kinder aussprach, namentlich 
dttMii wenn eitlere ¥Oriumden aind.« (»Nenea Wiener jeamal', 
12. Februar)! »Die ente Zwiacben pause wurde durch ein vtatliindigea 
Klavierstück von den Herren J. P. Lanik und F. Kohlhauser mit be- 
kannter Virtuosität zu Gehör gebracht.« (Österr. Volkszeitung, 3. MJh?). 
»Auf dem geheiligten Boden dieser Oesellschaft blies Dr. Viktor 
Rosenfeld mit fettglänzenden Wangen die Reklametrommel für den 
dniehgefallenen Diktator.« (,Deaiaciiei Votkablatfi 1. Pebmar). >Dw 
wird im »Deulachcn VoUcabaatt' einfadi mMencfalaffen. Daa Blatt tritt 
wie ein rasender f^Ibdes für den Oreat ein und kanzelt den 
Richter ab. . .* '',Sonn- und Montagszeitung^ 13. Fehniar). »Als ihr 
Mann in später Stunde heimkehrte, fand er die Leichen seiner Ange- 
hörigen in bewußtlosem Zustande am Boden liegend.« (,Neue8 Wiener 
Joumal'f 25. Apiil). 

Mffthoiog. Die ,Zcit' darf nicht in der Sammlung vertreten sein ; 
ein Blödsinn dieses in jeder Beziehung von der Schablone abweichenden 
Blattea verdiest beanoderea OedenkcB. Im Trinrnpli ifarea »Freispmdia« 
höhnte fkr Qloaaenachrttber j(14. April) den Zenfen Koeiter, der Im 

Schwurgerichtssaal die alten Trica dea Parlamentsredners verwenden ai 

Vönncn glaube: »Noch einmal«, zitiert tie, »sattelt mir den Hippo- 
kriten. ..« Das ist kompliziert. 'Hypokrit« heißt nämlich »Heuchler. < 
Der wird in der Regel nicht gesattelt. Aber »Hippogryph« heiLit »Roö- 
greif« und ist ein fabelhaftes Flügelroß. Wenn nur die ,Zeu jetzt 
den »Fegmiia« nidit mit einem »Aaiana« f ei n e ab a e i ti 



Herausgeber nnd venuitwortlidier Kedaktenr : Karl Kraut, 
pruck von iahoda Sianl. Vi«* UI. HhUem 2mihmi»im»i9 



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Die Fackel 



Ml 1C2 WIER, 9« JUNI IMS ' m JAHK 



DIB BÜCHSB DER PANDORA*). 

... Die Liebe der Pnmen eathilt vie die 
Bflchte der Pandora alle Schmerzen des Lebens, 

aber sie sind e!n£:ehüllt in goldene Blatter und 
sind so voller Farben und Dufte, daß man nie 
klagen darf, die Büchse geöffnet zu haben. Die 
Düfte halten das Alter fern und bewahren nocii 
Id ihraii Lrtilwi die tämgiAomut lOnft« Jedes 
OUId[ nidit ddi bezahlt, imd ich sterbe ein 
bißchen an diesen sfißen und feinen Düften, die 
der schlimmen Büchse entstei^^fen , und trotzdem 
findet meine Hand, die das Alter schon ziUern 
macht, noch die Kraft, verbotene Schlüssel zu 
drdui. Was ist Üben, Ruhm, Kunst! Ich gebe 
alles das fflr die beneideten Stunden, die mein 
Kopf in Sommernächten auf Brüsten lag, gefülint 
unter dem Reclicr des Könfg^s von Thnlc^ nnn 
wie dieser dahin und verschwunden . « , 

r^licien Rops. 

»Eine Seele, die sich im Jenseits den Schlaf aus 
den Alleen reibt.« Ein Dichter und Liebender, zwischen 
Liebe und künstlerischer Gestaltung der Frauenschön- 
heit schwankend, hält Lulu's Hand in der seinen und 
spricht die Worte, die der Schlüssel sind zu diesem 
Irrgartüii der Weibhchkeit, zu diesem Seelenlabyrinth, 
in dem munc h ein Mann die Spur seines Verstandes 
verlor. Es ist der letzte Akt des »Erdgeist«. Alle 
Typen der Mannheit hat die Herrin um sich ver- 
sammelt , damit sie ihr dienen, indem sie die Gaben 
nehmen, die sie cu spenden hat. Aiwa, der Sohn 



*) Ate Cinicitung zu der Aufführung am 29. Mai 1905 gesprochen. 



t 



2 — 

ihres üatten, spricht es aus. Und dann, wenn er sich 
an diesem süßen Quell des Verderbens voUberauscht, 
wenn sich sein Schicksal erfüllt haben wird, im letzten 
Akt der »Büchse der Pandorac, wird er, vor dem 
Bilde Lulu's delirierend die Worte finden: »Diesem 
Porträt gegenüber gewinne ich meine Selbstachtung 
wieder. Es macht mir mein Verhängnis begreiflich. 
Alles wird so natürlich, so selbstverständlich, so sonnen- 
klar, was wir erlebt haben« Wer sich diesen blühen- 
den, schwellenden Lippen, diesen grofien unschulds- 
YoUen Kinderaugen^ diesem rosig weifien, stroteenden 
Körper gegenüber in seiner bürgerlichen 
Stellung sicher fühlt, der werfe den ersten Stein 
auf uns.* Diese Worte, vor dem Jiilde des Weibes ge- 
sprochen, daü zur AUzerbtörerin wurde, weil es von 
allen zerstört ward, umspannen die Welt des Dichters 
Frank Wedekind. Eine VVeit, in der die Frau, soll sie 
ihrer ästhetischen Vollendung reiten, nicht verflucht 
ist, dem Mann das Kreuz sittlicher Verantwortung 
abzunehmen. Die tiefe Erkenntnis, die die tragische 
Kluft zwischen blühenden Lippen und bürgerlichen 
Stellungen begreift, mag heute vielleicht die einzige 
Erkenntnis sein, die eines Dramatikers würdig ist. 
Wer die »Büchse der Pandorac, die im »Brdgeistc zwar 
ihre stoffliohe Voraussetzung hat, aber das gedank- 
liche Verständnis des Werkes erst ersohlieSt« wer diese 
Tragödie Lulu begriffen hat. wird der gesamten 
deutschen Literatur, so da am Weibe schmarotzt und 
ausden^BesiehungenderGeschleohter« psychologischen 
Profit zieht, mit dem Gefühle gegenüberstehen, das 
der Erwachsene hat, wenn ihra das Einmaleins bei- 
gebracht werden soll. Ich scheue mich nicht, diese 
gfüüeiievue ps^^chologischer Kindereien von manchem 
Klassiker zu beginnen. Die tiefsten Erforscher raänn- 
liciien Gefühlslebens haben vor dem Augenaufselüag 
ihrer eigenen Heidinnen zu stammeln begonnen, und 
die abgeschmackte Tragik, der sie Worte liehen, war 
durob alle Zeiten die Tragik der verlorenen Virfimtät. 



j ^ . 1., v.j00gk 



— 8 — 

Ein »Werde du zur Dirne c, oft auch bloß ein ver- 
schämtes »Werde du zur — «, von irgendeinem alten 
Knasterbart geaiurmeit, wir hören es durch alle 
dramatischen Entwicklungen bis in unsere Tage : 
imnner wieder sehen wir den dramatischen Knoten 
au8 einem Hymen geschürzt. Nie haben sich hier die 
Dichter als Erlöser der Menschheit gefühlt, sondern 
ttoh mit ihr unter das Damoklesschwert gebeugt, das 
äe in christlicher Demut freiwillig über sich auf- 
gehAngt hat. Dem Irrwalm, dafl die Welt, wenn sie 
an Freude vermehrt, an Ehre vermindert wird, haben 
sie gläubig nachgebetet Und sie schrieben TragOdim 
über das, »wmraber kein Mann wegkann«. Dafl man 
über die verschrobenen Plattheiten eines denkenden 
Tischlermeisters viet weniger wegkönnen sollte als 
über das Abenteuer seiner Tochter Maria Magdalena, ist 
ja eine literärische Angelegenheit für sich. Aber mit dem 
dramatischen Geflenne über die Verminderung des 
weiblichen Marktwertes hat erst Frank Wedekind auf- 
geräumt. In seiner hinreißenden Bekenntnisdichtuug 
iHidalla« erhebt sich Fanny turmhoch über den Freier, 
der sie verschmäht hat, weil ihr »der Vorzug« mangelt, 
der ihre GeschlechtsgenoRsinnen erst preiswert macht: 
»Deswegen also bin ich jetzt nichts mehr? 1 D a s also 
war die Hauptsache an mir ? I Läßt sich eine schmach- 
vollere Besohimpfüng iör ein menschliches Wesen er- 
sinnen? ^ ab deswegen, um eines solchen — Y oi^ 

lugs willen geliebt zu werden?! Als wäre 

man ein Stück ViehU ... Und dann diese gewaltige 
Doppeltraeödie, deren «weiten Teil sie heute schauen 
werden y die Tragödie von der gehetateiiy ewig mifi- 
Terstandenen Prauenanmut» der eine armselige Welt 
bloft in das Prokrustesbett ihrer Horatbegriffe au 
steigen erlaubt. Bin Spiefimtenlaufen der Pran, die 
vom Schöpferwillen dem Egoismus des Besitzers zu 
dienen nicht bestimmt ist, die nur in der Freiheit zu 
ihren höheren Werten emporsteieren kann. Daß die 
flüchtige Schönheit des Tropeuvogeiä meiir beseligt 



j . d by Google 



als der sichere Besitz, bei dem die Enge eines Bauers 
die Pracht de» Gefieders lädiert, hat sich noch kein 
Vogelsteller gesagt. Die Hetäre als ein Traum des 
Mannes. Aber die Wirklichkeit soll sie ihm snr Höri^n 
— Hausfrau oder Maitresse ^ machen, weil das sosude 
Ehrbedürfnis ihm selbst Ober einen schönen Traum ^bt. 
So iHU jeder die polyandrisohe Frau für sieh. Diesen 
Wunsch, nichts weiter, hat man als den Urquell aller 
Tragödien der Liebe zu betrachten. Der Erwählte 
sein wollen, ohne der Frau das Wahlrecht zu gewäliren. 
Und daß vollends Titania auch einen Esel herzen könne, 
das wollen die Oberone nie begreifen, weil sie gemäß 
ihrer höheren Besinnunß:sfahigkeit und ihrer geringeren 
Geschlechtlichkeit nicht imstande wären, eine Eselin 
zu herzen. Darum werden sie in der Liebe 
selbst au Eselsköpfen. Ohne ein vollgerüttelt Maft 
von .sossialer Ehre können sie nicht lehen; und 
darum Räuber und Mörder I Zwischen den Leiche 
aber schreitet eine Nachtwandlerin der Liebe dahin. 
Sie» in der alle Vorsüge der Frau eine in socialen 
Vorstellungen befangene Welt su Iiaatom werden liefi. 
ESner der dramatischen Büonflikte awischen dem 
weibliehen Sazualtmperameat und einem männlichen 
Dummkopf hat Lulu der irdischen Gerechtigkeit 
ausgeliefert, und sie müiite in neunjähriger Kerker- 
haft darüber nachdenken, daß Schöntieit eine Strate 
Gottes sei, wenn nicht die ihr ergebenen Sklaven der 
Liebe einen romantischen Plan zu ihrer Befreiung aus- 
heckten, einen, der nur in fanatisierten Gehirnen reifen, 
nur fanatischem Willen gelingen kann. Mit Lulus Befrei- 
ung hebt die »Büchse der Pandorac an. Lulu, die Trägerin 
der Handlung im >Erdgeist< , ist j etzt die Getragene. Mehr 
denn früher zeigt sich, dafi ihre Anmut die eigentliche 
leidende Heldin des Dramas ist; ihr Porträt spielt eine 
größere Rolle als sie selbst, und waren es früher ihre 
aktiven Reize, die die Handlung schoben, so ist jetiit auf 
jeder Station des Leidensweges der Abstand awischen 
einstiger Pracht und heutigem Jammer der GsfObl»* 



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I 



1 
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— i — 



eiregfir. Die grofie Vergeltung hat begommi, die 

Revanche einer Männerwelt, die nooh die eigene 
Schuld 8U ridien sich erkOhnt. «Die Frau« aagt^wa» 
»hat in diesem Zimmer meinen Vater eraäioeBen; 
trotsdem kann ich in dem Morde wie in der Strafe nichte 
anderes ab ein entsetaliehes Unglflek sehen, das sie 
betrofl S wi hal loh glauhe auch» mein Vater hätte, 
wftre er mit dem Leben davongekommen, seine 
Hand nicht vollständig von ihr abgezogen.t In dieser 
Empfindensfähigkeit gesellt sich dem überlebenden 
Sohn der Knabe Alfred Hugenbersr, dessen rührendes 
Schwärmen im Selbstmord endet. Aber zu einem 
Bündnis, das ergreifender nie erfunden wurde, treten 
Aiwa und di3 opferfreudige, seelenstarke Freundin 
Geschwitz zusammen, zu einem Bündnis heterogenster 
Qesohlechtliohkeit, die sie doch beide dem Zauber 
der aUsexuellen Frau erliegen läfit. Das sind die 
Gefangenen ihrer Liebe. Alle Enttäuschung, alle 
Qual, die Ton einem geliebten Wesen ausgeht, das 
Dicht ma seriischerDankbaiiceit erschaffen ist^ Schemen 
sie als Wonnen einansoUQrfen, an dUm Abfi;rtlnden 
die Ssthetisohen Werte bejahmd. Ihre Oedankenwelt 
ist, mag er rie auch noch so sehr in einielnen 
Zügen von der seinen differenzieren, die Qedankenwelt 
des Dichters, jene, die schon in dem Shakespeareschen 
Sonett zu klingen anhebt: 

Wie lieblich nnd wie süß machst Du die Sduwde, 
Die wie ein Wurm in duftiger Rose steckt 
Und Deiner Schönheit Knospenruf befleckt 
Dn hüllst dfe Scbiild in «oonice Oevinde! 
Die Zunge, die wohl Deinen Wandel tadelt, 
Wenn sie, leichtfertig deutend, von Dir spricht, 
Läßt ohne Lob doch selbst den Tadel nicht, 
Weil schon Dein Name bösen Leumund addt» 
O welche Wohnung ward den Fehlem, die 
Zu ihrem Aufenthalt Dieh «neiteent 
Die iciinle SdiOnhclt Sbcndddert lie 
Und taddlo8 endKlnt Mn wmtm Wesen. 



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Man kann*s auch — mit einem albernen Roraan- 
Medizinerwort — Masochisnius nennen. Aber er ist 
nun einmal der Boden künstlerischen Empfindens. Der 
»Besitz« der Frau, die Sicherheit des beatus possidens 
ist es, ohne die Phantasiearmut nicht glücklich 
sein kann. Realpolitik der Liebe 1 Rodrigo Quaat^ 
der Athlet, hat sich eine Nilpferdpeitadia äuge» 
schafft Mit der wird er die Frau nicht nur Bur »zu- 
künftigen pompösesten liuftgyronastikerin der Jetzt-' 
seit« machen, sondern auch aum treuen Eheireib, das 
bloe jene Kavaliere hei sich su empfangen faat^^ die 
er selbst bestimmt. Mit diesem unTeraleichliohen 
Philoeophen der ZuhAtermoral beginnt cbr Zue dw 
Peiniger: nun werden die Männer an Lulu durch 
Geraeinheit vergelten, was sie durch Torheit an ihr 
gesündigt haben. Die Reihe der verliebten Allein- 
besitzer wird naturnotwendig durch die Reihe der 
Praktiker der Liebe abgelöst. In ihr folgt auf 
Rodrigo, der die Fähigkeit verlernt hat, zwei gesat- 
telte Kavalleriepferde auf seinem Brustkorb zu balan- 
cieren, Casti Piani, dessen Schurkengesicht eine ähn- 
liche sadistische Gewalt über Lulu's Sexualwillen 
erlangt hat. Um jenem Erpresser zu entrinneOi mufi sie 
sich diesem an den Hals werfen, bis der Erschöpften alsder 
letzte und summarische Rächer dee Männergeschlechts 
Jack the rippw in den Weg tritt Von Hugenberg, 
dem seelischeateni führt der Weg bis su Jack, dem 
sexualsten Manne, dem sie natdmch auflieft wie die 
Motte dem Licht, — m dem extrmsten Sadisten 
in der Reihe ihrer Peiniger, dessen Messeramt sym- 
bolisch zu deuten ist: er nimmt ihr, womit sie an 
den Männern gesündigt hat. . . 

Aus einer losen Reihe von Vorgängen, die 
ebenso eine Kolportageromanphantasie hätte erfinden 
können, baut sich dem helleren Auge eine wunder- 
volle Weit der Perspektiven und Symbole, der Stim- 
mungen und Erschütterungen auf, und die Hinter- 
treppeupoesie wird aur Poesie der Hintertreppe, die 



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7 



nur jener offizielle Schwachsinn, dem ein schlecht 
semaiter Palast lieber ist, als eine gut gemalte 
uo88e, ▼erdammen kann. Daß Frank Wedekind ein 
Menflohenschilderer ist, wäre schon ein Lob, das ihn 
Uber die Milieusohilderer himmelhoch emporhöbe. Aber 
er iet auoh der enrte deutsche Dramatiker, der wieder 
dem Oedmken den lansentbehrlen Zutritt auf das 
Theater Teraohafft hat AUe NatdrfiohkeitesohniUm 
sind wie weggeblasen. Was in und hinter den 
Menschen liegt, ist wieder wichtiger, als was fttar 
einen Sprachfehler sie haben. Sie halten sogar wieder 
— man wagt es kaum auszusprechen — Monologe. 
Auch wenn sie miteinander auf der Szene stehen. 
Der Vorhang geht auf, und ein gedunsener Athlet 
spinnt seine Zuitunftsträurae von fetten Gagen und 
Zuhältergewinsten, ein Dichter ssetert wie Karl Moor 
über das tintenklecksende Säkulum und eine leidende 
Frau träumt von der Rettung ihrer abgöttisch ge- 
liebten Freundin. Drei Menschen, die aneinander vor- 
beisprechen. Drei Welten. Eine dramatische Technik, 
die mit einer Hand drei Kugeln schiebt. Man kommt 
dahinter, dafl es eine höhere Natürlichkeit gibt als 
die der kleinen Realität, mit deren Vorführung um 
die deutsche Literatur durch swei Jahnehnte im 
Sohweifie ihres Angesichtes dürftige Identitätsbeweise 
geliefert hat. Eine Sprache, die die verblüffendste 
Verbindung von individueller Charakteristik und 
aphoristischer Erliohung darstellt. Jedes Wort zugleich 
dem Einzeirneiischen und seinem Typus, seinem Stande, 
seiner Weltanschauung angepaßt, Gesprächswendung 
und Motto. Kin Zuhälter sagt: »Bei ihrer praktischen 
Einrichtung kostet es die Frau nicht halb so viel 
Mühe, ihren Mann zu ernähren, wie umgekehrt. Wenn 
ihr der Mann nur die geistige Arbeit besorgt und 
dm Familiensinn nicht in die Binsen gehen läßt«« 
Wie hfttte das ein sogenunter Realist ausgedrückt? 
Ssenen wie die zwischen Aiwa und Lulu im ersteUi 
awisohen Oasti Piani und Lulu im «weiten und rer 



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i 



— 8 — 

allem jene im letzten Akt, in der die Geschwitz 
mit Lulus Porträt in das Londooer Etoad hineinplatzt, 
h|it ein anderer deutscher Dramatiker mit kunst- 
vollster Stimmungstechnik nicht zustande gebracht. 
HiBF^ besonders im dritten Akt, hat die Hand eines 
neuen Shakespeare den tiefsten Griff in das Mensohen- 
mnerste getan. Grotesk wie das Leben selbst ist diese 
Abwechslung clownhafter und tragischer Wirkungen 
bis zur Möglichkeit, beim Stiefelansiehen von 
stärkster Erschütterung durchwühlt zu sein. Wie ein 
Piebertrauiu • — der Traum eiueä au Lulu erkrankten 
Dichters — jagen diese Vorgänge. Aiwa könnte 
am Schluß sich über die Augen fahren und in den 
Armen der geliebten Frau erwachen, die sich erst 
im Jenseits den Schlaf aus den Augen reibt. Dieser 
zweite, der Pariser Akt, mit seinen matten Farben 
eines schäbigen F^reudenlebens : Alles wie hinter einem 
Schleier, bioft eine Etappe auf den parallelen Leidens- 
wegen LuluB und Alwas. Sie, vorne, das Blatt eines 
Erpressers zerknitternd, er hinten im Spielzimmer ein 
schwindeihaftes Wertpapier in der Hand. Im Taumel 
der Verlumpung geht er nur flüchtig über die Ssene. 
.Alles drängt dem Abgrund su. Ein Gewirr von 
Spielern und Kokotten, die ein gaunerischer Börsianer 
betakelt. Alles schemenhaft und in einer Sprache 
ausgedrückt, die einen absichtlich konventionellen 
Ton muffiger Theaterdialoge hat: »Und nun kommen 
Sie, mein Freund I Jetzt wollen wir uiiaer Glück 
im Baccarat versuchen I« Der »Marquis Casti Piani« — 
nicht als Mädchenhändler, sondern als die leibhaftige 
Mission des Mädcdienhandels auf die Bühne e^esteüt. 
In zwei Sätzen soziale Schlairlicliter von einer Grel- 
ligkeit, die nur der Schleier der Vorgänge dämpft, 
ein Ironiegehalt, der ganze Pamphlete gegen die 
Heuchlerin Gesellschaft und den Heuchler Staat über- 
flüßig macht. Ein Mensch, derPoliaeispion und Mädchen- 
händUer zugleich ist: »Die Staatsanwaltschaft bezahlt 
demjenigeu, der die Mörderin deg Dr. Schta der Poliaei 



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in die ELaiid liefert, 1000 Mark,..« Dagegen bietet 
das StablissemeDt OikoDomopalos in Kairo 60 Pfund 
ftbr Dich. Das sind 1200 Mark^ also 200 Mark mehr ftls 
der Staatsanwalt beoahlt«. Und» da ihn Lulu mit 

Aktien abfertigen will: »loh habe mich nie mit Aktien 
abgegeben. Der Staatsanwahlt bezahlt in deutscher 
Reichswährung und Oikünomopulos zahlt in engli- 
schem Gold«. Die uarüittelbarste Exekutive staatlicher 
Sittliclikeit und die Vertretung: des Hauses Oikonomo- 

pulos in einer und derselben Hand vereinigt I 

Ein gespenstisches Husehen und Hasten, ein Grad 
dramatischer Andeutung, den Offenbach festge- 
halten hat, da er die Stimmungen E. T. A. Hoff- 
manns vertonte. Olympia- Akt. Wie Spalanzani, der 
Adoptivvater eines Automaten, besohwindelt dieser 
Puntschu mit seinen falschen Papierwerten die Ge- 
sellschafti Seine dämonische Verschmitatheit findet 
in ein paar Monologsfttaen einen philosophischen Aus- 
druck^ der den Unterschied der Geschlechter tiefer 
erfafit als manch ein Buch. Er kommt aus dem 
Spielsaal und freut sich diebisch, dafi seine Moral 
nm soviel einträglicher ist, als die Moral der Sirenen, 
die dort um ihn versammelt waren. Sie müssen ihr 
Geschlecht, ihr Josaphat, wie er sagt, vermieten; er 
kann sich mit seinem Verstände helfen. Die armen 
Frauenzimmer setzen das Kapital ihres Körpers zu; 
der Verstand des Spitzbuben erhält sieh frisch, 
ohne daß mit Eau de Coloo:ne nacht^tdiolfen werden 
müßte. So triumphiert die Unethik des Mannes 
über die Unethik der Frau. Der dritte Akt Hier^ 
wo Knüppel) Bevolver und Sohlächtermesser spielen, 
aus diesen Abgründen einer rohen Tatsachen- 
welt klingen die ergreifendsten Ttae. Das Un- 
erhürte, &b sich hier begibt , mag LeutCi die 
von der Kunst nichts weiter verlangen, als eine 
Erholung oder als daß sie wenigstens nicht die Qrenee 
Ihrer eigenen Leidensmöglichkeiten überschreite, ab« 
stoßen. Aber ihr Verstand müßte so schwach sein, 



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-10 — 

wie ihre Nerven, wollten sie die Grofiartigkeit dieser 
Gestaltung leugnen. Mit realistischen Erwartungm 
freilich darf man die Fiebervisionen in der Londoner 
Dachkammer so wenig miterleben wollen^ wie die 
»unwahrscheinlichec Befreiungsgesclüchte im ersten 
Akt und die Beseitigung Rodrigo^ im eweiten. Und wer 
in dieser Folge von vier Kunden der als Straßen- 
mädchen verendenden Lulu eine Pikantei ie und nicht in 
diesem Wechsel groteskerund tragischer Eindrücke, in 
, dieser Häufung schrecklicher Gesichte den genialen 
Einfall eines Dichters sieht, hat sich über die niedrige 
Taxierung seiner eigenen Erivenntnisiähigkeit nicht 
zu beklagen. Er verdient es, Zeitgenosse jener drama- 
tischen Literatur zu sein, über die Frank VVedekind 
durch den Mund seines Aiwa so bittere Klage führt. 
Aber man kann im Ernst nicht glauben, daß jemand 
so kurzsichtig sein könnte, über der »Peinlichkeit» 
des Stoffes die Größe seiner Behandlung und die 
innere Notwendigkeit seiner Wahl au verkennen. Ober 
Knüppel, Revolver und Messer zu fibersehen, dafl 
sich dieser Lustmord wie ein aus den tiefeten Tiefen 
der Frauennatur geholtes Verhängnis volkieht, über 
der Eigenart dieser Gräfin Geschwitz zu vergessen, daß 
sie groß ist und nicht wie ein perverses Dutzendge- 
schöpt , sondern wie ein gewaltiger Dämon der ünfreude 
durch die Tragödie schreitet. Zwar, die unendlichen 
Feinheiten dieser ß:roben Dichtung erschließen sich dem 
Leser ersl bei genauerer Bekanntschaft : Lulus Vor- 
ahnung ihres Endes, das schon auf den ersten Akt 
seine Schatten wirft, dieses wundervolle Dahuischweben 
unter einem Bann imd dieses Vorübergehen an den 
Schicksalen der Männer, die ihr verfallen sind: auf 
die Nachricht vom Tode des kleinen Hugenberg im 
Gefängnis fragt sie, ob denn der auch im Gefängnis 
sei, und AI was Leichnam macht ihr die Stube blofi 
unbehaglicher als sie schon ist Dann die bliteartige 
Erkenntnis des extremsten Mannes^ Jacks, der dem 
unweiblichsten Weibe »wie einem Hunde den Kopf 



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11 



streichelt« und sofort die Beziehung dieser Geschwitz 
zo Liilu, ihre Nichteignung für sein fürchterliches Be- 
dfirfiiis mitleidig vahmimint. »Dies Ungeheuer ist 
gnia sicher vor mirc, sagt er, nachdem er sie niedw- 
geatochen hat Br hat sie moht sur Lpst gemerdet» 
blofi als Hindemis beseitigt. Er kOnnto ihr nur das 
Gobim hmusschndden • « • 

Nicht eindringlich genug kann davor gewarnt 
werden, das Wesen der Dichtung in ihrer stofflichen 
Sonderbarkeit zu suchen. Eine Kritik, deren haus- 
backene Gesundiieit sich über Dinge der Liebe den 
Kopf nicht zerbricht, hat schon im »Erdgeist« nichts 
weiter als ein Boulevard-Drama seheii wollen, in dem der 
Autor Krasses mit Zotigem gemengt habe. Ein Berliner 
Geist hat die Ahnungslosigkeit, mit der er der Welt des 
Doppeldraraas er^enübersteht, durch den Rat bewiesen, 
der begabte Autor möge nur schnell ein anderes Stoff- 
gebiet wählen. Als ob der Dichter »Steife« »wählen« 
k5nnte| wie der Tailleur oder der Wochenjournalist, 
der auch fremde Meinungen sein sälistisohes 
Kleid b<»Fgt. Von der Urkn^ die hier Stoff und 
Form sn^toich gebar, hat heute die deutsche Kritik 
noch kerne Ahnung. Daft die ofBmelle Theaterwelt 
ihr Modemitfttsideal im jährlichen Pensum ihrer ge- 
schickten Ziseleure erfüllt wähnt, daß der Tantifemen- 
seo:en immerzu die Mittehiiäüigkeit befruchtet und 
daß das Genie die einzige Auszeichnung erenießt, 
keinen Schiller-, Grill parzer- oder Bauenifeldpreis 
(oder wie die Belohnung für Fleiß und gute Sitten 
sonst heißen mas^) ?m hekommen, man ist irewohnt, 
es als etwas selhstverständliches hinzunehmen. Aher 
nachgerade muß es erbittern, einen Dramatiker, der 
keine Zeile geschrieben hat, die nicht Weltanschauung 
und Theateranschauungsu absoluter Kongruenz brächte, 
und dessen blendend perspektivische Gedankenreihen 
uns mdlioh über das armselige Milieugeschäft empor- 
heben» yon der offisiellen Kunstwelt us ein Kuriosum 
behandelt su aehen» Br ist grotesk. Und damit glauben 



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die Neunmalweisen, die in der Literatur immer ewei 
Fliegen mit einem Schlagwort treffen, einen Frank 
Wedekind abgestempelt zu haben. Als ob das Oroteske 
immer Selbstzweck einer Artistenlaune wärel Sie 
▼erweohseln die Maske mit dem Gesicht und keiner 
ahnt, dafi die groteske Art hier nichts geringeres 
bedeutet, als das SchamgefQhl des Idealisten. Dsr 
ebenso Idealist bleibt, wenn er in einem unyergleich- 
lichen Gedichte bekennt, daß er lieber eine freie 
Dirne wäre, als an Ruhm und Glück der reichste 
Mann, und dessen Schamgefühl in viel höhere 
Sphären langt, als die bescheidene Zimperlichkeit 
derer, die an Stoffen Anstoß nehmen I 

Der Vorwurf, daß man in eine Dichtung Din^e 
»hineingelegt« habe, wäre ihr stärkstes Tjob. Denn 
nur in jene Dramen, deren Boden knapp unter 
ihrem Deckel liegt, l&fit sich beim besten Willen 
nichts hineinlegen. Aber in das wahre Kunst- 
werk , in dem ein Dichter seine Welt gestaltet 
haty können eben alle alles hineintun. Was in der 
»Büchse der Pandorat geschieht^ kann für die künst» 
lerische wie für die moralische Betrachtung der Frau 
herangessogen werden. Die Frage, ob es dem Dichter 
mehr um me Freude an ihrem Blühen oder mehr um 
die Betrachtung ihres ruinösen Wirkens bu tun ist, kann 
jeder wie er will beantworten. So kommt bei diesem 
Werke schließlich auch der Sittenrichter auf seine 
Rechnung, der die Schrecknisse der Zuchtlosiß:keit mit 
exemplarischer Deutli( hkeit geschildert sieht und der 
iu dem l)lutdampfenden Messer Jacks die befreiende 
Tat, nicht in Lulu das Opfer erkennt. So hat 
sich ein Publikum, dem der Stoff mißfällt, wenigstens 
nicht über die Gesinnung zu entrüsten. Leider. Denn 
ich halte die Gesinnung für schlimm genug. Ich 
sehe in der Gestaltung der Frau, die die Männer 
SU »haben« glauben, während sie von ihr gehabt 
werden, der Frau, die Jedem eine andere ist. Jedem 
em anderes Oeeioht auwendet und darum seltener 



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- 13 - 



betrügt und jungfräulicher ist als das Pöppchen do- 
mestiker Gemütsart, ich sehe darin eine vollendete 
Ehrenrettung. In der Zeichnung dieses Vollweibes 
mit der genialen Fähigkeit sich nicht erinnern zu 
keimen, der Frau, die ohne Hemmung, aber auch 
ohne die Gefahren fortwährender seelischer Konzep- 
tmi lebt und jedes Erlebnis in der Wanne des Yer- 
gOMoni abspült. Begehrende, nicht Gebärende; nicht 
OmuB-Brhalterin, aber Genuß-Spendeiin. Nicht das 
Qfbrooheiie Sohlofi der WeiUiohkeit; stete seOffiiety 
stets geschlossen. Dem GattungswUIcQ mtrtkäti aber 
durch jeden Sezualakt seUbst neu geboren« EHneKaoht- 
wandlerin der liebe, die erst »fUlt«, wenn sie 
angerufen wird, ewige Geberin, ewige Verliererin ~ 
von der da ein väterlicher Freund, Schigolch, sagt: 
»Die kann von der Liebe nicht leben, weil ihr 
Leben die Liebe ist.* Daß der Preudenquell in dieser 
engen Welt zur Pandorabüchse werden muß, dies 
unendliche Bedauern scheint mir die Dichtung zu 
erfüllen. »Der nächste Freiheitskampf der Menschheit, < 
sagt Wedekind in seinem programmatischeren Werke 
iHidallac, »wird gegen den Feudaüsmus der Liebe 
gerichtet sein! Die Scheu, die der Mensch seinen 
eigenen Gefühlen gegenüber hegt, gehört in die Zeit 
der Hezenprozesse und der Alchimie. Ist eine Mensch- 
heit nicht lächerlich, die Geheimnisse vor sich selber 
hat?l Oder glauben Sie vielleicht an den Pobel- 
wahn, das Liebesleben werde verschleiert, weil es 
häfilich 8ei?l Im Gegenteil, der Mensch wagt 
ihm nicht in die Augen su sehen, so wie er vor 
seinem Fürsten, vor seiner Gottheit den Blick nicht 
zu heben wagtl Wünschen Sie einen Beweis? Was 
bei der Gottheit der Fluch, das ist bei der Liebe die 
Zote! Jahrtausende alter Aberglaube aus den Zeiten 
tiefster Barbarei hält die Vernunft im Bann. Auf diesem 
Aberglauben aber beruhen die drei barbarischen 
Lebensformen, von denen ich sprach: Die wie ein 
wildes Tier aus der menschlichen Gemeinschaft hin- 



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— 14 — 



aiisgehetetie Dirne ; das su körperlicher und geietigar 

Ertippelhaftigkeit verurteilte, um sein ganiet LimB»- 

leben betrogene alte Mädchen; und die zum Zweck 
möglichst günstiger Verheiratung gewahrte Unbe- 
rührtheit des jungen Weibes. Durch dieses Axiom 
hoffte ich den Stolz des Weibes zu entflammen 
und zum Kampfgenossen zu gewinnen. Denn von 
Frauen solcher Erkenntnis erhotlte ich, da mit 
Wohlleben und Sorglosigkeit einmal abgerechnet war, 
eine frenetische Begeisterimg für mein Kelch der 
SoböDheit.€. • . 

Nichts ist billiger als sittliche Entrüstung. Ein 
kultiviertes Publikum — nicht nur die Vorsicht der 
Polizeil)ehörde, auch der Geschmack der Veranstalter 
sor^t für seine Zusammensetzung — verschmäht 
billige Mittel der Abwehr. Es verzichtet auf die 
Gelegenheit, seiner eigenen Wohlanständigkeit applau- 
dieren zu können. Das Gefühl dieser Wohlanständig- 
keit, das Gefühl, den auf der Bühne versammeltea 
Spitzbuben und Sirenen moralisch überlegen zu sein, 
ist ein gefesteter Besitz, den nur der Protz betonen 
su müssen glaubt. Bloß e r möchte auch dem Dichter 
seine Überlegenheit zeigen. Dies aber könnte uns nie 
abhalten, auf die fast übermenschliche Mühe, die wir 
daran wandten, dem ehrlichen, starken und kühnen 
Dramatiker unsere Achtung ku beweisen, stols zu 
sein. Denn keinem haben sich wie ihm die Striemen, 
die seelisches Erleben schlug, zu Ackerfurchen dich- 
terischer Saat gewandelt. 




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15 



TRIANON- THEATER 
(NcstroytaofJ i 



Wim, 29. Mai im 
Sitileltetide Vorleeur^ic von Klarl Klraua 

Hfenttr: 

bIC DdCHSe DER MNbORH 

Tngödi« in drd AmMbcb von Frank Wedekind. 

Regie: Albert Heine. 

Lnlu ...« Tilly Newcs 

Aiwa Schön O D. Pottliof 

Rodri^o Qnast» AÜliet Alexander Rottmano 

Schigoich Albert Heine 

Alfred Hugenberg, Zögling einer Korrektions« 

anilalt Tony Sdmnan 

Die Qiifln Qciciivitz Adele Sandiodi 

Marquis Casti>Pitni • • Anton Edthofer 

Bankier Puntschu . , , Onstsv d'Olbert 

Journalist Heilmann Wilhelm Appelt 

Magelone Adele Nova 

Kad^a dl Santa Croce, ihre Tochter . . Iduschka Orloff 

Blanetta Oaztt Ooloret Stadion 

Ludmilla Stejnhera Claim Sitij 

Bob, Oroom Irma Karczevska 

Ein Polizeikommiaaftr E^^on Frfdell 

Herr Hunidey Ludwig Ströb 

Kungu Poti, kaiserlicher Prinz von üahubee Karl Kraus 

Dr. Hilü, Privatdozent • • . . Arnold Korff 

Jack hank WedeUnd 

Der erste Akt spielt in Dentechland, der zweite in Paris, der <intte 

In Lo M OB« 

Die Vorttdlnqg findet vor geladencni PnbUknm statt. 

Anfang präzise ^/2ä Uhr. 



182 

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- 16 - 



loh erhielt das folgende, zur Veröffentlichung 

bestimmte Schreiben : 

Lieber Herr Kraus I 

Die Aufführung der »Bfiohse der Pandorac in 
Wien, die Sie mit Aufbietung so grofier kfinstlerisoher 

Arbeit und einer Energie ins Werk setzten, um die 
ich Sie stets beneiden werde, ist ganz ohne Zweifel 
einer der bedeutungsvollsten Zeitpunkte in der Ent- 
wicklung meiner liierarischen Tätierkeit. Der unein- 
geschränkte Beifall, der der Voröteilung folgte, löste 
bei mir ein Emplinden der seelischen Erleichterung 
aus, für das ich wohl Zeit meines Lebens Ihr Schuldner 
bleiben werde. 

Darf ich Sie nun aber auch bitten, unseren 
▼erehrien lieben Künstlerinnen und Künstlern, die 
in so selbstloser Weise ihre Zeit und ihr Können in 
den Dienst der Aufführung stellten und deren pracht- 
yoUe (Gestaltungen in allererster Linie den Beifall 
heryorriefen, mdnen aufrichtigen und herdichen Dank 
aussprechen zu wollen. Ich bitte Sie ^ in der Beihen- 
folge des Veraeiohnisses — , den Damen TUI7 Newes^ 
Adele Sandrook, Adiele Nova, Iduschka Orloff, 
Dolores Stadion, Ciaire Sittv und Irma Karczewska 
sowie den Herren 0. D. Potthof, Alexander Kottmann^ 
Albert Heine, Tony Schwan au, Anton Edthofer, 
Gustav D' Olbert, Wilhelm Appel t, Egon Fridell, 
Ludwig Ströb, Arnold KorlT und nicht in letzter Linie 
^ch selbst den Ausdruck raenier Verehnins: und steten 
Dankbarkeit zu übermittoln. Wollen Sie bitte Herrn 
Hof burgschauspieler Heine für seine herrliche Regie und 
Herrn Kunstmaler Hollitzer für die künstlerische 
fförderungy die er der Aufführung zuteil werden ließ, 
noch ganz besonders die Hand drücken. 

In Verehnuig und Ergebenheit 

Frank Wedekind. 

München, den 3. Juni 1905. 



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— 17 — 



Ober den Süßeren Erfolg: der Vorführung eines XX'erkPs, 
dessen Autor ein deutscher Staatsanwalt wegen »Verbreitung un- , 
züchtiger Schriften« angekla^ hat. schreibt Theodor Antropp 
im (Wiener Deutschen Tagblatt' (31, Mai) unter anderem: 

»Ähnlich wie in München wurde vorgestern auch in Wien 
Frank Wedekind's Tragödie ,Die Bnchse der Pandora' vor ge- 
ladenem Publikum aufj^eführt, Karl Kraus, der Heraus^jeber der 
,Fackei', war der Veranstalter der interessanten Vorstellung, und 
das freundliche Trianon-Theater im Ne:>tioyiiof war wohl noch nie 
der Schauplatz eines so emlen kfinstterischen Unternehmens, noch 
nie der Sammelpunkt einer so seltsamen Gesellschaft von Künstlern 
und Literaten, von Freunden modernen Lebens und Strebens. Den 
meisten von ihnen hat Kraii^^cns F^atirischer Straf^eist schon irgend 
einmal ein ,Klampfer angehängt. Sie trugen es ihm nicht nach, 
sie folgten seiner Einladung, um teilnaiunsvolle Zeugen zu werden 
von einer positiven kfinstlerischen Tat . . Eines miüB man allen 
Verboten zum Trotz sagen: die Aufführang der «BOchse der 
Pandora' wirkte eminent moralisch. FMlIch moralisch nicht durch 
Erhebung;, sondern durch AbschrecVnng, \x'ip etwa Zolns Sitten- 
roniane. . . Es steckt eine unheimliche Slnnnuingskraft in der 
scheinbar kunstlosen Art, wie Wedekind Liiebiiisse aneinanderreiht 
und die weiblichen Geschiechtsinstinkte bloßlegt und an den 
Rand des letzten Abgrundes führt, und wenn schlteBlidi der 
Dichter selbst als Jacfc der Auftchlitzer erscheint, dann schwindet 
j(^liches Emplindoi von einem zynischen Witz, und man wähnt 
die Schauer eines jüngsten Oerichtes zu erleben. Man kann den 
.Erdgeist' sittlich und literarisch nicht richtig einschätzen, wenn 
man die ,Bnchsc der Pandora' nicht gesehen hat. Dazu hat vor- 
gestern die Vorstellung willkommene Gelegenheit gegeben, und 
alle, die Zeuge davon sein durften, werden dem Veranstalter Dank 
dafür Wissen. Dank auch den Mitwirkenden» die sich ihm zur 
Verfügung stellten. . . Alles in allem: es war dn ungewöhnlich 
interessanter At>end.« 

Dem .Berliner Tagebtatt' (31. Mai) wird telegraphiert: 

^Die ersten beiden Akte hatten nur schwachen Beifall, 
aber der dritte Akt machte einen starken Eindruck und fand, 
obwohl die Minderheit zischte, lebhaften, ja, stürmischen Applaus. . . 
Im dritten Akt gibt es Szenen von packender Gewalt, weiclie die 
Zuh6rer In Ihren Bann zwangen.« 

Aus einem Feuilleton des ,Neiien Pester Journals' (4. Juni): 

»Nach dem Fallen des Vorhangs zischen wohl einiore Leute. 
Aber das Gros des Publikums klatscht begeistert. . . Alle jubeln dem 
Stück zu, dem Dichter, den Darstellern, alle sind hochbefriedigt. 
Sie haben sich erschüttert gefühlt nnd überi>ieten sich nun im 
EtttfanstosBms* • . . Daß das warme Fühlen dahci nicht fehlt, be- 



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— 18 — 

veist der donnernde ;Äppian? zu dem sich nach dem fallen des 
Vorhangs alle Hände zusammentun.« 

Das ^Deutsche Volkshiatt' (30. Mai) meldet: 

»Die , Büchse der Pandora' wurde unter allgemeinem Gähnen 
zu Fnde erspielt. Selbst dieses so sorgfältig gewählte Publikum war 
derart gelangweilt, daß es weder Entrüstung noch Zustimmung 
kundgjüx« 

' Mit dem § 19 habe Ich den venmtwortliclien Redtkteitr zn 

bewegen versucht, die sechs Hervorrufe des Dichters am Schlüsse 
der Auffuhrung einzugestehen. Ich wollte ein günstiges Präjudiz 
für die Theater zum Schutze gegen eine erfoigfälschendc Repor- 
tage schaffen. 

■ • 

2^ den Dingen, die »nur in Österreich mößflich« 
sind, gehört die eremütliche Antwort des Ministers 
des Innern auf die Interpellation über den Ordens- 
skandal unter dem Refrime Koerber. Nobilitieninps- 
taxp, Ordensschacher. Preßhestechnns: — amtlieh ist 
nichts von all dem bekannt, was amtlich eresehieht. 
Bin österreichischer Minister trägt Zopfund Unschulds- 
miene: er ist die Naive im Trauerspiel. Mama, 
was ist da?; ein Leutnant? fras:t er, wenn er über eine 
Soldatenmifihandlung interpelliert wird. Dann sa^irter 
wieder: Binen Orden erhält, wer sich um den Staat ver* 
dient gemacht hat. Und die Possenmfttsohen in der Öster- 
reichischen Tragödie wirken noch immer. Man sollte 
g^lauben, dafi nach all den Diskussionen über das 
vaterländische Orden swesen jeder Zeitunß:sle8er die 
Dekorierung seines Nebennienschen wie eine Insulte 
am eigenen Leib empfindet. Ach nein 1 Je verrufener 
die Sache wird, desto mehr Knopflöcher gähnen, 
desto mehr Mäuler schnappen nach einer *Au8- 
zeiehnnnG:^ MpHf Titel ! lautet die Parole, und speziell 
unt('r d(Mi fkaiseilichen Räten*" — lacht man nicht 
schon bei dem bloßen Klang des Wortes, das einen 
Kurzwarenhändler in Verbindung mit ^dem Ohr des 
Monarchen brinert? — ist eine Gährunq^ ausgebrochen. 
Die , Neue Freie Presse"» ein tWeltbiatt,|hat Jnoh 



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19 



bemüßigt gesehen, der folgenden sinnigen Anregung 
Baum zu geben, die im Tonfall des »besugnehmMid 
auf Ihr Jüngstesc einer der brennendsten Fragen 
die Lösung fmdet: »Geehrter Herr Bedakteuri In 
interessierten Kreisen wird die Frage des ,kMser- 
lichen Rats- Titels^ Tielfaoh in einer Weise erörtert, 
die jedenfalls die Beachtung und Berücksichtigung 
der kompetenten Stelle verdient. Seit der allgemeinen 
Verleihung dieses Titels an sämtUche Laienrichter 
fühlen sich Ärzte, Großindustrielle, Großhändler, 
Bankdirektoren etc., welchen dieser Titel infolge 
besonderer hervorragender Verdienste aus kaiserlicher 
tinade verliehen wurde, in dieser sie ehrenden Aus- 
zeichnung geschmälert. Es wäre angesichts dessen 
nur recht und billig, wenn die kompetenten Steilen 
diese Frage in ernste Erwägung aiehan und eine 
kennzeichnende Abänderung dieses an sämtliche 
Laienrichter allgemein und ohne Unterschied ver- 
liehenen Tib^ eintreten lassen würden. Zur Unier« 
Scheidung der den kaiserlichen Bat»-Tiiel yon früher 
her führenden Personen wäre es gerechterweise an- 
gezeigt^ dafi die Laienrichter den Titel ^kaiserlicher 
tiaienrichter' oder ,kaiseriicher Laienrat' erhalten. 
Für dün Fall jedoch, daß eine derartige, sehr er- 
wünschte Titeiänderung nicht angezeigt erscheinen 
sollte, wäre es geboten, zum kennzeichnenden Unter- 
schiede den sonstigen kaiserlichen Räten zu gestatten, 
die Titulatur auf , Wirklicher kaiserlicher Kat' abzu- 
ändern. Durch diesen in Deutschland bereits üblichen 
Titulaturzusatz , Wirklicher' wäre diese Krage in be- 
friedigender Weise gelöst. Mit dem herzUchsten 
Danke für die Veröffentlichung dieser Zeilen u. s. w.c 
— Dafi man den »kaiserlichen Rats-Titelc nicht hlofi 
ehrlich kaufen kann, sondern dafi er jetzt schon an sämt- 
hche Laienrichter »allgemein undohneUnterschiei« ver* 
liehen wird« ist in der Tat schrecklich. Darum erscheint 
die Fordierung durchaus billig, dafi jenen Herren^ 
die ihn sehen fOhreni den »sonsti^^ea kaiserlichen 



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— 90 



Räten«, durch die Zufügung eines neuen Wört- 
ohens eine neue Freude bereitet wird. In Deutsch- 
land gibt es wirkliche geheirae Räte, wirkliche 
geheime Krankheiten und noch vieles andere Wirkliehe, 
wa9 man sich lieber bloß vorstellen möchte. Warum 
8oU 68 nicht auch wirkliche kaiserliche Räte geben? 
»Dtt bist ein Schurke Ic ruft Brabantia »Ihr. seid 
ein Sexiatorc erwidert Jago. W&re Brabantio ein 
kaiserlicher Rat^ er mflfite sich durch die schlicdite 
Bezeichnung beleidigt fühlen. Schliefilioh bedarf ja 
auch der alli^emBui und ohne Unterschied verhehene 
Titel *Esel< einer Auf frischuii^. Die »wirkhchen« sind 
es, die es sich zu Herzen nehmen, daß man sie mit 
den anderen verwechselt. 

« • 

Per Schöffel'sche Aufeats in Nr. ITO, »Eine 
Sohmutserei« betitelt^ hatte prompte Wirkung. Das 
Reichskriegsimnisterium hat einen Brlafi über die 
»VermögensloeigkeitfiBeugnissec der Altpensionisten 

herausgegeben, in weld^m es heiSt: 

•Es unterliegt keinem Anstände^ dsB ht jeden Fällen, in 
welchen die Verm^Sgen^ostgkeit des um eine gnadenweise 

Erhöhung des Versorg:nng:sgenu5ses einschieiteiiden, vor dem 
1. Jänner 1900 in den Ruhestand versetzten üagisten von der 
siebenten Rangsklasse abwärts den Evidenzbehörden bekannt ist, 
die zur Begründung der Gesuche ertorderiichen Vermögenslosig- 
kdtszeugnisBe von diesen BeiiArden ausgestellt werden« DanelSe 
rilt von jenen Pensionisten neuen Systems, deren Ruhcsehalt 
750 K nicht übersteigt.« 

Da die »Evidenzbehördenc immer von der Ver- 
mögenslosigkeit der Bewerber unterichtet sind, ist 
jetet tatsächlich die Bestätigung des Armenratets 
entfallen. 

■ 

Ein hochgestellte PMnllcfabeit in Egypten scMbt mir: 

Atexandrien-Ramleh, Mai. 

Es wird die , Fackel', die auch hier Freunde hat, interes- • 
sieren zu erfaliren, was bei um über die Fahrt des Wiener Männer- 



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■ 



— 21 — 

gesangvereiiies erzählt, und was auch bisher verschwiegen wurde. 
Denn wir Wilde sind doch bessere Menschen, wir können auch 
schweigen -- aber nicht weiter als bis zur Notwehr. Ich komme 
von Kairo zurück m die wohltemperierten Palmenwälder des See- 
bades Ramleh und benütze nun die kühle Abendbrise, um einzelnes 
der ,Packei' zu berichten. — Wenige Tage vor meiner Ankunft in 
Kairo war ein Exemplar von Herrn Vergani's Zeitung eingetroffen. 
Oer Artikel über die Kolonie machte die Runde. Und die Kolonie 
verwunderte sich» Man erzählt mir, welche Mühe, Opfer tn Zeit 
und Odd es gekostet, welche Schwieriglieifeea zu beskgcn waren, 
«m endlich die liebai CUsle zu cmptagen, denn die 

Kolonie in Kiuio ist viel änner ab unsere in Alexandrien, In der 
Hauptstadt zUilt man etwa dreißig NdtaMe und Ittum acht bis 
zehn »reprlsentievende« Familien. Dennoch gelang es; dies ist die 
einstimmige Ansicht Aller, die die Festlichkeiten mitmacht haben. 
Vom Vizekönig bis zum kleinen Bureauangestellten hatte jeder sein 
Bestes eingesetzt. Und als man nach den verschiedeneu Festessen 
die Teller zum Spülen gab, — fand man, daß einige der Gaste 
ihren Wirten zum Dank darauf gespuckt hatten. 

War es schon verwunderlich, daß der Wiener Männergesang- 
verein mit vierzig Reportern und Journalisten ankam (wörtlich: 
»Wann nia% nit täten, bringaten ma ka anzige Karten für ctte Lieder- 
tafeln an, und Sö gUuben n6t, wie ma vaiifß'n wnidn«) ao 
wunderten wir uns noch mdir, als whr trotz diesen Vorbeieitttngeii 
die bfIddsInnigMcn Tekgnnune und Beridite In den Zeitungen der 
HelMt fsnden. Efaier der Henen z. B. fuhr von A le a andr ie n nach 
iOdiD dttfch die Oase Fayoum! Das große Wd^hitt ans der 
Fichtegasse hat tatsächlich, um Telegrammkreuzer zu sparen, 
wie die Tackel' im letzten liefte mitteilte, die ganze Reise in vor- 
empfundenen, absolut wahrlicitswidrigen Telegrammen aufgetischt; 
ja dasselbe Blatt brachte die Nachricht vom offiziellen Konzert in 
der Oper, »daß der Vizekönig mit der Vizeköntgin die Hof- 
loge betrat.« Der Verfasser dieser Notiz verdiente wahrlich nach 
Vornahme der bekannten Formahtäten als Preßeunuche im Harem 
angestellt zu werden, um die Gebräuche des Islam studieren zu 
iitencnl Aber noch nicht genug: unser Staunen wuchs, als aus 
Europa schmachvolle Artikel über Privatangelegenheiten des Vize- 
hMga aaiangteUv nidit etwa nur taktlosep ich betone schmach- 



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volle; und nun vollends, als Herrn Vergani's Leistung bekannt 
wurde. 

Daß der Inhalt des Artikels von Anfang bis zum Ende erlogen 
oder entstellt ist, mögen die folgenden Stichproben beweisen, 
Konsul von Hann (»der lieber Halienisdi spricht«) ist nrdeutscfaer 
SiebenbQigei<-Ssdise. Hen*Bcy (»ohne geprfift m sein«) ist ge> 
prfifter akademisch gebildeter Architekt und wurde senierzdt im 
Wakf angestellt Er ist derzdt nnbestritltner Behemcher der alt* 
arabiflciien Baukunst und der verdienstvolle Konservator und Res- 
taurator der sonst schon längst verfallenen Moscheen, ffir die er 
Herrn Vergani Freikarten gab, da sonst der Europäer und Nicht- 
Moslem Entree zahlen muß. Der »kleine Bankbeamte« führt die 
Prokura des größten Geldinstitutes auf dem Kontinent, des »Credit- 
Lyonnais«. Der Herr, der »der Wohltätigkeitsgesellschaft Wüsten- 
grund schenkte und dafür das Comthurkreuz des Franz Josefs- 
Ordens mit dem Stern erhielt«, hat weder je Wüstengrund besessen, 
noch besitzt er ein Comthurkreuz — am wenigsten einen Stern. 
Charakteristisch ist, daß die Herren Herz und Dr. Amster 
die letzten zwei Osterreicher-Ungam sind» die mtnisteriell-gouver- 
nementsle Posten in Egypten einnehmen — von etwa anderthalb 
Dutzend im vorigen Dezennium. Statt ein paar Worte darüber zn 
schreiben, welch' jammervolles Zeichen unseres Qroßmachtsbinlu 
rote dies ist, verunglimpft >0 du mein Östeimch« die Beamten, 
ninkreich, das gewiß andi in politischer Deksdenc Ist, das Egypten 
stets zweimal verriet, wenn England nnr einmal gekräht hatte, tiesitzt 
noch an zwanzig Fachbeamte in den Ministerien. . . Und so könnte 
man, wäre es der Mühe wert, Zeüe für Zeile des Artikels demen- 
tieren oder niodifizieren. 

Ich kenne weder Herrn Vergani noch einen der anderen 
Herren Reporter; man erzählte mir nur in Kairo, daß jener durch 
dnen bräunlich verschwitzten Hemdkragen und Fettflecke auf dem 
Pracbe — delMSitive Reste der Kairiner Judenmast — leicht kennt- 
lidi war. Man kann mich also kaum einer Voreingenommenheit 
beschuldigen, wenn ich das Benehmen «inig^ Herren beim 
Vizdcdnig« die nach dem Büffet 'm Rauchsalon tief in die 
Zigsrettenldsien giriffen, um in den qsiter dnteeffMen |oitcnalen 
den freigebigen Kaudtemi zu vemni^mpfen, nidit fttr fair halte. 
Es Ist vendhlieh, wenn wir uns der in den Bftchem Miosis auf- 



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~ 28 



gezählten Plagen E^^tens erinnerten: Gewfirme, Heuschrecken 
und Ungeziefer. Ja , wer den hebitischea Text kennt, weiß, . daß 
dort ein Wort vorkommt, das nur einmal in der Bibel genannt 
wird. Dicaea hapax tcgomenon hat der »Mischna« und »Qenian« 
viel Kopfzerbrechen vemnaidit — es heifit »abibues«. Z&gemd 
fibenetzten es die R«bbinen mit »feaditem Orind«, kopEschfittelhd 
Lttther mit »ekelhaftes Oebieste, freficndcr Bfindachvärc. Sollte 
dieat Flageform nach unseren ErUrungcn hi Egypten nicht dne 
moderner« Exegese zuhoaen? 



Ave Melitta! 
Schwere Träume plagen 
Mich so manche Nacht 
Und es ist die Pein, 
Die mein Blut empört, 
Nicht mehr su ertragen: 
Aehtiehn Jahre idt 
Und noch Jungfrau sein 1 
Aire Melitta! 
Trost und Freude kannst 
Niramer du verwehren, 
Einen braven Mann 
Mußt du mir bescheren, 
Einen braven Mann, 
Der gut lieben kann! 

* Melitta, cIm habgrtaiache Gottheit, tn die sich die jungen 
Dmmb in Ucbasangelegeiihdlm waadlen. 




ZWBI OSDICHTB 
von fruk Wcdddnd« 



Ave MeUttal'' 



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Ave Melitta! 
An dem braven Gatten 
Freu ich mch i^^ewüß 
Bis zum Überdruß; 
Herren, die nirht gleich 
Ihm Bericht erstatten, 
Gönn' ich darum gern 
Manchmal einen Kufi. 
Ave Melitta 1 
Doch wenn einer mich 
Wirklich liebt^ erhöre 
Stets ich all sein Flehn^ 
Ohne daft ich störe 
Meinen braven Mann, 
Der gut lieben kann. 

Ave Melitta 1 

Wird mir nun sur Plage 

Dieser Brave, der 

Mich gesetslich liebt. 

Dann stell ich sofort . 

Eine Scheidungsklage 

Wenn — aus gutem Gnmd *— 

Er den Anlafi gibt. 

Ave Melitta! 

Droht mein Gatte, sich 

Geistig zu verklären, 

Dann als Nächsten mußt 

Gleich du mir bescheren 

Einen braven Mann, 

Der gut lieben kann. 

Der Zoologe von Berlin. 

Hört ihr Kinder, wie es jüngst ergangen 
Einem Zoologen in Berlin 1 
Plötzlich führt ein Schutzmann ihn gefangen 
Vor den Untersuchungsrichter hin. 
Dieser tritt ihm kräftig auf die Zehen, 
Nimmt ihn hochnotpeinlich ins Qebet . 



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Und empfiehlt ihni) schlankweg zu gestehen^ 
Dafi beleidigt er die Majestät» 

Dieser sprach : Herr Richter, ungeheuer 
Ist die Schuld, die raan mir unterlegt; 
Denn daß eine Kuh ein Wiederkäuer, 
Hat noch nirgends Ärgernis crreert. 
Soweit ist die Wissenschaft Lredieheii, 
Daß es längst in Kinderbüchern steht. 
Wenn Sie das auf Majestät beziehen, 
Dann beleidigen Sie die Mcgest&tl 

Vor der Majestät, das kann ich schwören, 
Hegt' ich stets den schuldigsten Respekt; 
Ja, es freut mich oft sogar zu hören, 
Wenn man den Beleidiger entdeckt; 
Denn dann wird die Majestät erst sehen, 
Ob sie majestätisch nach Gebühr. 
Df^shalb ist ein Mops, das bleibt bestehen. 
Zweifelsohne doch ein Säugetier. 

Ebenso haV vor den Staatsgewalten 

Ich mich vorsohriftsroäfiig stets geduckt, 

Auf Kommando oft das Maul gehalten 
Und vor Anarchisten ausgespuckt. 
Auch wo Spitzel horchen in Vereinen 
Spracli ich immer harmlos wie ein Kind. 
Aber doshalb kann ich von den Schw ei neu 
Doch nicht sagen, daß es Menschen sind. 

Viel Respekt hab* ich vor dir, o Richter, 
Unbegrenzten menschlichen Respekt; 
Läßt du doch die ärgsten Bösewiohter 
In Berlin gewöhnlich unentdeckt. 
Doch wenn Hoch zurufen ich mich sehne 
Von dem Schwarzwald bis nach KiautschaUj 
Bleibt deshalb t^estreift nicht die Hyäne? 
Nicht ein schönes Federvieh der Pfau 

Also war das Wort des Zoologen, 

Doch dann sprach der hohe Staatsanwalt; 



26 



Und nachdem man alles wohl erwogen 
Ward der Mann zu einem Jahr zerknallt 
Deshalb vor Zoologie-Studieren 
Hüte sich ein Jeder, wenn er juni;; 
Denn es schlummert in den meisten Tieren 
Eine Majestätsbeleidigung. 



ANTWORTBN DBS HBRAUSGBnBRS. 

Zeiigewme. Zum Schülerfest wäre noch ein vichtiges Detail 
nachzutragen, dw den geleierten Genius und den ^enius loci des ' 
leiernden Österreich in inniger Verschmelzung zeigt. Am Schluß eines I 
Berichtet Aber die feitUdie Hnldignng fon BfirgeradmUckreni nad 
Otmcimtetitei lidßt es Im »Neueii Wtener TagMitt': »Der Schal* 
diener Holziager «etiftlerte In voller Parade bei der 
Fcier.c 

Dramaturg. Die Schiller-Ausstellung. »Die Reihe der Schiller- 
Darsteller«, erzählt die ,Neue Freie Presse', »beginnt mit Iffland und 
illustriert ein Jahrhundert großer dramatischer Kunst bis auf Sonnenthal 
als Wallenstem, Reimers als Karl Moor und Frau Uohenfels als Georg.« 
Und die Wolter als Iphigenie? 

HabiM, In dacrTfacatcr-Oerlchtmiunidlaag, in der die dieMe 
Obcrhebnnc einet »Liebttnet« flecenflber elneni jfingeren KoiSeien be- 
tiraft vwde, tat der Mitdirektor des Deutschen Volksthetters, der 
großartige Herr Weisse, den folgenden Ausspruch: »Den Text muß ein ; 
Schauspieler beherrschen, das ist er dem Publikum, der Direktion, dem 
Autor und der Presse schuldig«. Herr Weisse übernimmt sich in Be- 
scheidenheit Was hat es ihm bei Herrn Schütz genützt, dai^ er seinen 
Tot fielt ordentlich memoriert hatte? Et mnßte ettt Djrektoi «adea, 
am sich Reepekt in schaffen. Aber er vcrschent sich ihn wieder mit an 
tiefen Bficklingen. Er weiß im Orunde tebiet Herzens ganz gut, daSS 
der Schauspieler der Presse nicht das geringste »schuldig* ist. Es gibt 
keine Verptlichtung, die den Künstler dem Rezensenten unterwürfe. Der 
Schauspieler arbeitet für sich, für den Autor und etwa noch für das Publikum. [ 
Der Zeitungäiuaun iür das i^ubiikum und etwa noch für die öffent- ; 
Uchen Bedaifhltittttalten. Ein Schauspieler, der bd teinem Spiel an die | 
WoMmetamng dei Herrn Reporten Uxig Witiig denkt, itt ^ miclrt- 
liehet Sttl^ekt Aber selbst wenn der verdammte Respekt vor der Drucker- | 
schwärze eine erfreuliche Tatsache wäre, bliebe die Zumutung, daß auch i 
das Gedächtnis des Schauspielers den Pießbengeln verpflichtet sei, | 
eine f^ieiüaufgabe des Herrn Direktors Weisse. Den Text, mit dem er 
das Wohlwollen des Herrn Sch&tz erringt, hat er gut memorhrt 

Fmtm^nmamL Mtn kenn nie tritien, mm ein UngtSdc gnt 
in. Da wurden vor ehttfor Zeit die Ocmtter nicht wenig dttch die 



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.... .i 



— 27 — 



Brand- und Explosionskatastrophe auf der Schottenbastei erregt. In der 
.Neuen Freien Presse' aber las man; »im Hause belindet sich die Mili- 
lärvorbereitungsscli u le h'riesz. Der Besonnenheit und Huhe 
dn Dttcktois der Schule Rittmeisters i. P. Adolf Friesz gelang 
et, dne Pftnik in den Lelitiilen und Unglfick xn verhindern. Noch 
vor de r Explosion, als Friesz den Rauch verspürte, lotderte er die 
ScbAkr auf, sich unverztlglich ohne Hüte und Überkleider zu entfernen. 
Als die bchüler das Haus verlassen hatten, ging Rittmeister triesz auf 
die Suche nach seinem gleisen Vater, trotzdem ihm versichert wurde, 
aaß dieser ausgegangui sei. in den von I^uch ermUieu üaumen, 
spicagu fite dne ic r i p ef ft e Tflr nnd fand dort aeincn Vater, der von 
der Qt^>ir keuM Ahnnng hatt<?. Der RittmeiBter fafite den alten Henrn 
nnd mit Hilfe einer treuen Dienerm, welche noch anwesend war, btadtte 
er den greisen Major Fnesz über die mit Stickgasen getüilien Stiegen- 
räume, im ersten Stock angelangt, stürzte Major friesz infolge der 
Rauchentwicklung ohnmäcniig zusammen, wurde aber rasch ms ^reie 
getrageiif wo ti ^ich gieicu eruoiie«. Nun giüi es Leute, die mciit 
ligUcn die Zdtnng lesen; und SO crichien denn am 18. Mainoch die folgende 
OaiteUnng in Inaeratentell: »Direktor Major i. P. Frieaz teilt 
Aber den CeUuloidbrand vom 15. Maibeiflgüch seiner Schule mit: Ich saft 
zur Zeit des Brandes im 4. Stock des Hauses 1. Schottentmstd 4, in meinem 
Arbeitszimmer, als icti durch heutiges Höchen an der Tür und durch 
die Stimme meines Sohnes Adoir k. und k. Ruuueisters i. F., aufge- 
fordert wurde, zu öffnen, was ich tat, da es im Parterre brenne. Zu* 
gleicb nuhChin er nur die beruhigende Mitteilung, daß bereita die Lehr- 
aale nnd das Fenüonat von Scnftiem geriumt seien, ich möge mich 
nur selbst rasch entfernen. Sofon ging ich dann in Begleitung raach 
über die Stiege des Hauses 4, welcite schon etwas raucherfiült war und 
gelangte ruhig und ganz wohlernalien in üen Mof, ruhig hauptsacl^lich darum, 
weil ich als tecn nischer Oftizier solche Kaiasuopaen mehr lach milerieol habe, 
indem ich dieses auf viele freundhche Anfragen mitteile, füge ich bei, 
dntt ich niicb flberiunpt nicht nnr kdrperhch, senden aneh geistig sehr 
wom befinde. Bei dieser Oelngenhelt freut ea mich un- 
gemein, daß von den Schülern meiner Anstalt nur z wel Junge 
tterren verletzt wurden, höchstwahrscheinhch darum, weil 
sie nicht die innen zum Abgang ans dem Lehrsaal gut empfohlene Stiege 
des Hauses Heiferstorferstrabe 3, sondern jene des Hauses Schouen- 
bnrtrt 4 benützten. Denn die erstere wurde noch während des ganzen 
Hrandw nach Abcauir der Schfller znr Konnwunikatiffn mit den Lehr* 
aalen und nMlnem Arbeitszlnnner durch einen Kaazlisten und den 
Schuldiener ohne jede Stömng t)enützt, obwohl später auch dort der 
Raiten vorgedrungen war.« — Wer jetzt noch nicht glaubt, daf1 die 
Schule Friesz die beste Miiitärvorbereiiungsschule ist, dem ist überhaupt 
Dicht zu helfen. 

ff^tetier. Ein Ereignis, das mit ndr iiscadvie zuaaanienhingt, 
hat ketee Aueiieht, Onade vor doi Augen der Wiener liberalen Presse zu 
fmden. Sidier «flrde sie eine Brandkatastrophe verschweigen, bei der 
Ich ftttend etagegrtffen habe. So wurde denn Wien am Margen dea 



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— 28 - 



30. iVki bloß mit einem FettiUeton des .Deutschen Volksblalts' über* 
nacht, d«$ die Utemisdie £hre wnerer Stadt gerettet bat Ei vir 
Mdutnia. Aber tieflgribidig. Die folgendeii Sitze seien zitiert: »Er (der 
Dichter der .Büchse der Pandora') billigt es, daß sie (Lulu) ihr Herz 

mehreren Männern gleichzeitig schenkt. . . Es i^t zweifellos, daß die 
Tendenz von vielen mit einem Aufschrei der Entrüstung zurückgewiesen 
wird.« »Auch Herder, persönlich der ehrenhafteste und 
sittlichste Charakter, ging unter dem Drucke der Zelt- 
etrömnng tm Weimarer Hofe ein UebesTerhtltnit ein.« 
»Mit einer DeitUictakdt, die ihresgleichen sucht, werden alle Ver- 
fehlnng:en, die unter den § 129 des Strafgesetzes fallen, dar- 
ge3tolli.< »Wenn aber die Gemeinheit des jüdischen Bankiers aus 
ethnographischen Gründen und aus der Erkenntnis, daß an diesem 
Individuum ein typisch orientalisches Laster charakterisiert 
werden lolli nodi haUiwegls ndgUcfa In der Duatdliuig cfidieiiit, 
wirkt die Handlungsweise der Qeschwitz, des ScUgokli und 
▼or allem des Jack efcdhaft.« »Schon die Tatsache, daß Wedekind 
für seine Heldin keine andere Katastrophe v. eiß, a.h daß sie Jack, dem 
Bauchaufschlitzer, zum Opfer falli, ist ein bedeutender künstlerischer 
Defekt. Denn lulu ist die typische Berliner Dirne.« Zum Schlus« 
erzählt der Feuüietouisl, daß rrank Wedekind als Darsteller »entsetzlich 
gejüdelt« habe/.. Wieni 

Sammhr, Ob Herr Mschaneri der Pftriser Korrespondent der 
,Neuen Freien Presse', Aussätzige heilen kann, ist frazlich. Sicher ist, 
daß er Tote lebendig macht. Der Eröffnungsfeier einer > Heimstätte für 
alte Komödianten« wohnten, so depeschiert er, »einige hundert Personen 
bei, welche dem Kunstleben nahestehen, darunter der ehemalige Minister 
Waldeck- Rousseau, Jean Dupuy etc. etc.« Die Pariser Korre- 
spondenten der iNenen Freien Presse* versehlafen In der Recd den Tod 
der französischen Staatsmänner. Das macht mandie ipiteie Unregel- 
mäßigkeit in der Berichterstattung erklärlich. 

Berictitigung. 

In Nr. 180-181, Seite 19, 8. Zeile von oben (im AuIbaU 
Scfadffers) ist statt 18 Millionen: 1-8 Mmkmm zu les en. 

Eine Wiederholung^: der »»Bflchse der Pandora** 
vor g:e!adenen Gästen wird zwisctien 14. und 17. Jon! ttatt»< 
finden, wenn es j^eliagt« ihr die Mitwirlcung aller |eaer 
Krifte zu aiclierii, die an der «raten Vorstellung bateillgt 
war«« und vMi.daam oMiielie aidi amr Zait aaftaitel^ 
Wlana anllialtffik Dia Kaatanbeitrlga werdan mit 12, 8 wuA 
4 Kronen bemessen sein. Alle jene, die die Vorstellung» 
in der der üicliter wieder selbst auftreten wird, zu seilen 
wünschen, werden ersucht, bis zum il. Juni dem Verlag: 
der ,FackelS iV. Schwindgasae 3 bekanntzugeben, daß 
«14 sn waldian Praiaa aia (auf Naraan laatawla) Btetrltta» 
karten SU liailalMawfliitclMB, and llire f attaita Adrasao 
mitzuteilen. Nach dem Ii. Juni erfolgt dann eventuall 
die Elnladungf bezw. die Billetausgabe. Bis dabin kaaa 
kein Geldbetrag entgegengenommen werden. 

^^^■^ ■ - — ^ ' ^^pwewy Google 

Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Karl Kraus. 



Die Fackel 



Nr. mim W1£N, 4. JUU 1905 VIL JÄHR 



TOTJBNTANZ. 

Drei Szenen 

von 

Frank Wedeklnd. 

Mdner Brant In in^ptor Ucte gMdnict 

PERSONEN: 

Der Marquis Casti Piani. 
Fiiulein Eifriede von Malchiis. 
Herr K/^nlg. 
Usiska. 

Drd Midcben. 

SZENERIE: 

Ein Zfmmer mit verh5ng;ten Fenstern, in dem einander gcfren- 
über zwei rote Polstersessel stehen. Im recliten sowie im linken 
Proszenium befindet sich je eine kleine Epheuwand, hinter der sich 
[etnaod verbergen kann, ohne gegen die Zuschauer verdeckt zu sein, 
nod ohne von der Bttme tns gadien zv werden. Hinter dicaen Cphea- 
vinden stellen svd foljgepolilerte HodBeri, Mfitdlilrt Seitentflren« 

(Eifriede von Makhue sitzt in einem der Polstersessel. 
Mui tieht ihr en, dafi eie eidi nnbeiuvildi f&Ut Sie trigt ein modernes 

Refoinikieid, dazu Hut, Mantel nnd Handschuhe.) 

E^irieden Wie lange will man mich hier noch 

warten lassen I (Lange Psnse, in der sie nnbewe^cSt sHttn fatelbf) 

— Wie lange will man mich hier noch warten lassen! 



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(Luffe Htm iple foilier) — Wie Iwge will mu mich hier 

noch warten lassen! (Nach einer Pisse erhellt sie sich, zieht den 
Mantel aus nnd legt ihn über den Polstersessel, nimmt den Hut ab und 
]^ ihn auf den Mantel. Darauf geht sie in sichtlicher innerer Erregung 

zweimal auf und ab. — Stehen bleibend:) — Wie lange wiU maa 

mioh hier noch warten lassen I 

(Auf ihr letztes Wort tritt der Marquis Casti Piani durch die 

Milteltür ein. Er ist ein Mann von hoher Statur, mit kahlem Schädel, 
hoher Stirn, großen, melancholischen, schwarzen Augen, starker Adler- 
nase und starkem, herabhäiigeiideai schwarz gefärbten Schnurrbart. Er 
trägt schwarzen Oehrock, dunkle Phantasieweste, tiefgraue Beinkleider, 
LadcBltefel vnd tdiwarze ICrtvttte mft BrUlantnadd.) 

Casti Fiam (mit Verbeugung). Sie wünschen, gnädige 
Frau? 

Elfriede (erregt). Das habe ich vorhin der — Dame 
sohon so klar wie nur irgendwie mensohemnöglich 
auseinandergesetzt, weshalb ich hier bin. 

Casti Piani. Die — Dame hat mir gesagt, wes- 
halb Sie hier sind. Die Dame sagte mir auch^ Sie 
8«en Mitglied des »Internationalen Vereines smr Be- 
kämpfung des Mädchenhandels.€ 

Elfriede. Das bin ich allerdings! Ich bin Mitglied 
des »Internationalen Vereines cur Bekämpfung des 
Mädchenhandels €. Aber wenn ich es auch nicht 
wäre, hätte ich mir diesen Weg doch um keinen 
noch so hohen Preis ersparen können. Seit dreiviertel 
Jahren bin ich auf der Spur dieses unglücklichen 
Geschöpfes. Oberall, wohin ich bis jetzt gekommen 
bin, hatte man das Mädchen immer kurz zuvor wi(Hlf'r 
in eine andere Stadt verschleppt. Aber in diesem 
Hause ist siel Sie ist jetzt noch hierl Das hat mir 
di« — DamOi die eben hier war, auch ohne Um- 
schweife zugestanden. Die Dame gab mir die Ver^ 
Sicherung, sie werde das Mädchen hierher in dieses 
Zimmer schicken, damit ich hier ungestört unter vier 
Allgen mit ihr sprechen kOnne. Ich warte hier jetzt 
nur auf das Mädchen. Ich habe keine Lust und keine 
Veteilassung daeu, hier noch ein zweites V^hOr 
über mich ergehen zu lassen. 



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CkuH Piam. loh bitte Sie, gnädiges Fräulein, 

sich nicht noch mehr zu erregen. Das Mädchen möchte 
Ihnen — anständig gekleidet vor Au^en treten. Die 
Dame bat mich, aus Furcht, Sie könnten sich in 
Ihrer Aufregung zu irgend einer überflüssigen Gewalt- 
maßregel hinreißen lassen, Ihnen das zu sagen, und 
Ihnen über die Beklommenheit, die Ihnen das Warten 
in diesen Räumlichkeiten verursachen mufi, möglichst 
hinwegzuhelfein. 

Elfnede (tufgengt tnf mid ab gehend), loh bitte Sie, sich 
Ihre liebenswürdige Unterhaltung: zu mparen. Die 
Atmosphäre, die hier herrscht, hat für mich nichts 
neues mehr. Als ich solch ein Haus zum erstenmale 
betrat, hatte ich mit physischer Übelkeit au kämpfen I 
An jenem Tage wurde mir erst klar, welch einen 
unerschwinglichen Aufwand von Selluitttberwindung 
ich durch meinen ISSntritt in den Verein zur Be- 
kämpfung des Mädchenhandels auf mich genommen 
hatte. Vorher waren mir unsere Bestrebungen ein 
eitler Zeitvertreib gewesen, d(?n ich mitnmchte, nur 
um nicht als nutzloses Geschöpf alt und grau zu 
werden. 

(kisH PianL Diese Äußerung erweckt soviel Teil- 
nahme in mir, daß ich mich versucht fühle, Sie um 
die Ehre zu bitten, sich in Ihrer Eigenschaft als Mit- 
glied des Internationalen Vereines zur Bekämpfung 
des Mädchenhandels mir gegenüber legitimieren lu 
wollen. Erfahrungsgemäfi drängen sich eine M^ge 
Personen zu diesem Beruf, die gans andere Zi^e 
als die Rettung gefallener Mädchen verfiolfien. Wenn 
es Ihnen um die Erreichung Ihrer hohen Ziele ernst 
ist, mufl Ihnen die strenge Kontrolle, die wir aus- 
zuüben «genötigt sind, im höchsten Malte will« 
kommen sein. 

Elfriede, Ich bin seit nun schon bald drei Jahren 
Mitglied unseres Vereines. Mein Name ist — Fräulein 
Yon Malchus. 

Caaii Piani. Eiiriede von Malchus? 



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Elfriede. Ja. Elfriede Ton Malchus. — Woher 
wissen Sie meinen Vornamen? 

(kaU Fkm. Wir lesen doch die Jahresberichte 
des Vereines. Wenn ich mich recht erinnere, haben 
Sie sich anf der Torjährigen JahresTersammlung in 
Köln auch als Rednerin hervorgetan? 

Elfriede. Gott seis geklagt, hübe ich volle zwei Jahre 
lang immer nur geschrieben und geredet und geredet 
und geschrieben, ohne dabei iu nur den Mut zu einer 
direkten Bekämpfung des Mädchenhandels zu finden, 
bis der Mäduhenhandol schließlich sein Opler unter 
meinem eigenen Dach, in meiner eigenen Familie fand! 

Casti FianL An diesem Unglück waren aber 
dochy wenn ich recht unterrichtet bin, nur Ihre 
eigenen Papiere, Bücher und Zeitschriften schuld, 
die Sie allem Anschein nach vor dem jungen Geschöpf, 
um dessen Bettung willen Sie augenblicklich hier 
sind, nicht sorgfältig genug verwahrt hielten? 

E^neäe. Darin haben Sie Tolikommen recht! 
Leider Qottes kann ich Ihnen darin nicht wider- 
sprechen I Nacht für Nacht, wenn ich mich mit mir 
selbst und der Welt zufrieden zu einem sehnstündigen, 
durch keine menschliche Empfindung gestörten Schlaf 
unter meine Bettdecken gestreckt hatte, schlicii sich 
das siebzehnjährige Geschöpf, ohne daß ich mir das 
geringste davon träumen heß, in mein Arbeitszimmer 
und tränkte seine liebesdurstige p]iubildungskraft aus 
meinen aufgestapelten Büchern vihi^.r die Bekämpfnng 
des Mädchenhandels mit den verfiilirerischsten Bildern 
des Sinnengenusses und der furchtbarsten Laster. 
Und ich dumme Gans sah es trotz meiner achtund- 
zwanzig Jahre dem Mädchen am nächsten Morgen 
gar nidit an, daß sie übernächtig war ! Ich hatte in 
mein(«n Leben keine schlaflosen Nächte gekannt I 
Wenn ich morgens wieder su meinen Arbeiten kam, 
fragte ich auch nicht einmal, wodurch denn die haar- 
sträubende Verwirrung unter meinen Papieren ent- 
standen sein könnte I 



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Gctöti Piard, Das Mädchen, mein gnädiges Fräulein, 
war, wenn ich nicht irre, von Ihren Eltern zur Ver- 
richtung der leichteren Hausarbeit in Dienst ge- 
nommen ? 

Eifriede. Zu ihrem Verderben I Jal Mama sowohl 
wie Papa waren von ihrem bescheidenen sittsamen 
Wesen bezaubert. Papa, der doch Ministerialbeamter 
und Bureaukrat vom reinsten Wasser ist^ empfand ihre 
Anwesenheit in unserem Hause wie einen Liohtbliok. 
Nach ihrem plötslichen Verschwinden nannten Papa 
sowohl wie Mama meine Vereinstätigkeit nicht menr 
allijüngferliche Überspanntheit, sondern sie nannten 
sie geradezu ein sirafwürdiffes Verbrechen! 

CasH PkmL Das Mä£)hen ist das uneheliche 
Kind einer Waschfrau f — Wissen Sie vielleicht, wer 
ihr Vater war? 

Ei friede. Nein, danach hatte ich sie nie gefragt. 
Aber wer sind Sie denn eigentlicii? Woher wissen 
Sie das alles? 

Casti Piani. Hm — das Mädchen hatte in einem 
Ihrer Vf r einsberichte gelesen, daß in den Tages- 
zeitungen gewisse Inserate veröffentlicht würden, 
durch die die Mädchenhändler junge Mädchen unter 
den und den bestimmten falschen Vorspiegelungen an 
sich lockten, um sie dem Liebesmarkt zuzuführen« 
Das Mädchen suchte daraufhin in der ersten besten 
Zeitung nach einem derartigen Inserat und schrieb^ 
nachdem sie eins gefunden hatte, emen sehr korrekten 
Brief, in dem sie sich erbot, in die Stellung, die in 
dem Inserat fälschlich yoreespiegelt war, einzutreten. 
Auf diese Weise wurde ich mit ihr bekannt. 

Elfriede. Und das wagen Sie, mit solchem Cy- 
nisraus auszusprechen ? I 

Casti Piani. Das, mein gnädiges Fräulein, wage 
ich mit solcher Sachlichkeit auszusprechen I 

Eifriede (in höchster Erregung, mit geballten Fausten). Das 

Ungelieuer, das dieses Mädchen der Schande über- 
antwortet hat, sind also Sieil 



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OasH JPiam («dimfitig lädidiid). Wenn Sie ahnten^ 
mein gnädiges Fräulem, woraus die Ursachen Ihrer 

höllischen Aufgeregtheit eigentlich bestehen, dann 
wären Sie vielleicht gerade klug genug dazu, gegen- 
über einem solchen Ungeheuer, wie ich es Ihnen zu 
sein scheine, vollkommen ruhig zu bleiben. 

Elfriede (kurz). Das verstehe ich nicht. Ich weiß 
nicht was Sie damit «agen wollen! 

Casti Fiani, Sie — sind noch Jungfrau? 

Elfriede (keuchend). Wer erlaubt Ihnen^ eine solche 
Frage an mich au richten 1 

CasH Fiani, Wer auf Gottes weiter Welt will 
mir das verbieten 1 — Aber lassen wir das. Jeden- 
fldls haben Sie sieh nicht verheiratet. Sie sind, wie 
Sie mir eben selber mitteilten, achtundswanaig Jahre 
alt. Diese Tatsachen beweisen Ihnen zur Genüge, 
dafl Sie im Vergleich su anderen Flrauen — um von 
dem Mmisohenkmde, au dessen Rettung Sie herge- 
kommen sind, ganz zu schweigen — nur ein sehr 
geringes Maß von sinnlichem Empfinden haben. 

Elfriede. Darin mögeu Sie recht haben. 

CaM Picmi, Ich sage das natürlich nur unter 
der Voraussetzung, daß ich Ihnen mit dieser Er- 
örterung nicht lästig fidle. Ich bin auch weit davon 
entfernt^ Sie für krankhaft oder unnatürlich yer- 
anlagt au halten. Aber wissen Sie mein Frftulein^ 
wodurch Sie Ihre, wie Sie zugeben, allerdmgs sehr 
schwachen sinnlichen Empfindungen befriedigt haben ? 

Elfriede, Nun? 

0€uU Fimi, Durch Ihren Eintritt in den Inter- 
nationationalen Verein zur Bekämpfung des Mädchen- 
handels. 

Elfrieäe (mit Yerhalteoem Ingrimm). Wer Sind Sie, mefad 

Herr?! — Ich komme hierher, um ein unglückliches 

Geschöpf aus den Krallen des Lasters zu befreien I 
Ich komme nicht hierher um Ihre geschmacklosen 
Vorlesungen anzuhören. 



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— 7 ~ 

Casti ^iani. Das habe ich auch nicht voraus- 
gesetzt. Aber sehen Sie, von diesem Standpunkt aus 
betrachtet y stehen wir beide einander näher, als Sie 
es sich in Ihrem kleinbürgerlichen TugendstolB jemals 
träumen ließen. Ihnen mit die Natur nur eine äujBerst 
kärgliche Sinnlichkeit yerliehen. Mich haben die 
Stürme des Lebens längst su einer sclmuerlichen 
Einöde gemacht. Aber was für Ihre Sinnlichkeit 
die Bekämpfung des Mädchenhandels ist, das ist für 
raeine Sinnlichkeit, falls Sie mir etwas derart noch 
zügebtehen wollen, der Mädcheiihaüdei selbst. 

Elfriede (empört). Heucheln Sie doch nicht so 
schamlos, Sie nichtswürdiger Mensch! Glauben Sie, 
Sie könnten mich, die ich wie eine gehetzte Hündin 
von Lasterhöhle zu Lasterhöhle hinter dem Geschöpf 
her bin, durchihreii abontoiUThchenGefülilsiiokuspokiis 
einschläfern ? 1 Ich bin jetzt nicht Mitglied des Vereines 
zur Bekämpfung des Mädchenhandels! Ich bin als 
^ne unselige Yerbrecherin hier, die, ohne etwas zu 
ahnen, ein blutjunges Lehen in Elend und Ver- 
zweiflung gebracht hat ! Ich lasse mir, solang ich atme, 
keinen Bissen mehr schmecken, wenn ich das Kind 
seuiem Verderben nicht entreifien kann! &b wollen 
nuch glauben machen, dafl mich unlautere Neugier 
in dieses Haus* treibt! Sie sind ein Lttgnerl Sie 
glauben an Ihre eigenen Worte nicht! Sie haben das 
Mädchen nicht aus unbefriedigter Sinnlichkeit ver- 
handelt, sondern aus Geldgier 1 Sie haben das Mädchen 
verhandelt, um ein gutes Geschäft dabei zu raachen ! 

Casti Piani. Ein gutes Geschäft! Selbstver- 
ständlich! Aber gute Geschäfte beruhen auf beider- 
seitigem Vorteil! Andere Geschäfte als gute mache 
ich überhaupt nicht. Jedes andere Geschäft ist un- 
moralisch 1 — Oder glauben Sie vielleicht, der Liebes- 
markt sei für das Weib ein schlechte» Qesoh&ft? 

Elfriede, Wie meinen Sie das? 

Casii Piam* Das meine ich einfach so: — leb 
weift niohti ob Sie in diesem Augenblick gerade in 



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der Stimmung Bind, mir mit einiger Aufinerksamkeit 
zuzuhören ? 

Elfneäe. Ersparen Sie sich nur um Gottes Willen 

die Eiiileilung I 

Casti Piuni, Ich meine das also so: Wenn sich 
ein Mann in Not befindet, dann bleibt ihm oft keine 
andere Wahi meiir übrig als zu stehlen oder zu ver- 
hungern. Wenn sich dagegen ein Weib in Not be- 
findet, dann bleibt ihm a\äer dieser Wahl noch die 
Möcrliohkeit, seine Liebesgunst zu verkaufen. Dieser 
Ausweg bleibt dem Weibe nur deshalb noch übrig, 
weil d^ Weib bei der Gewährung seiner Liebesgunst 
nichts zu empfinden braucht. Seit Erschaffung der 
Welt hat das Weib von diesem Verzug Gebrauch 
gemacht. Von allem übrigen zu schweigen, ist der 
Mann von Natur aus dem Weibe schon aus dem 
einen Grunde himmelweit überlegen, weil das Weib 
unter Schmerzen Kinder gebiert. , . 

Elfriede. Das ist ja gerade der hioimelschreiende 
Widerspruch! Das sage ich ja immer 1 Kinder zur 
Welt bringen ist Qual und Sorge; Kinder in die 
Welt setzen gilt als Zeitvertreib. Und trotzdem hat 
die gütige Schöpfung, die auch sonst vielfach an 
Verrücktheit leidet, den Schmerz und die Sorgen 
dem schwächeren Geschlecht aufgebürdet I 

' ^ Casti Piani. Darin, mein Fräulein, sind wir 
vollkommen einer Ansicht ! — Und nun wollen Sie 
Ihren unglücklichen Schwestern den geringen Vorzug, 
den ihnen die — verrückte Schöpfung vor dem Manne 
gewährt hat, den Vorzug, in äußerster Not ihre 
Liebese^iinst verkaufen zu können, rauben, indem Sie 
diesen Verkauf als eine unauslöschliche Schande hin- 
stellen?! Sie sind mir eine schOae Frauenrechtlerin 1 

Elfiriede (m unter TMnen). Als ein unaussprech- 
liches Unglück, als ein ewiger Fluch lastet die 
Möglichkeit, sich yerkaufen zu können, auf unserem 
be(frückten Geschlecht l 



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OcuH Fiemk Unsere Schuld ist es aber — das 
weis Qott im Himmel I — nicht, dafi der Liebes- 
markt als ein ewiger Fluch auf dem weiblichen 
Geschlecht lastet I Wir Hftndler haben gar kein 

idealeres Ziel, als daß sich der Liebesraarkt so offen- 
kundig, so unbehelligt abspielt wie jeder andere 
ehrliche Markt I Wir Händler haben gar kein idealeres 
Ziel, als daß die Preise auf dem J^iebesmarkt so hoi h 
wie nur irgend inöglioh sind! Sohlpudern vSip Ihre Vor- 
würfe, wenn Sie die Bedriickuno- Ihres utm-hieklichrii 
Geschlechtes bekämpfen wollen, der bürgerlichen 
Oesellschait ins Gesicht! Bekämpfen Sie, wenn 
Sie die Naturrechte Ihrer Schwestern verteidigen 
wollen, zuerst den Verein sur Bekämpfung des 
Mädchenhandels I 

Ich lasse mir hier von Ihnen 

nicht länerer blauen Dunst vormachen 1 Ich bin fest 

überzeugt, daß Sie im Ernste gar nicht daran denken, 
dem Mädchen die Freiheit zu geben! \^ ährend ich 
albernes Geschöpf mir hier soziale Vorträge von 
Ihnen halten lasse, wird die Unglüc khehe womöglich 
in eine Droschke gepackt, nach dem Bahnhof ge- 
sehafft und irgendwohm transportiert, wo ?;ie vor 
den Mitgliedern des Vereines zur Bekämpfung des 
Mädchenhandels Zeit Uirea Lfebens sicher ist 1 — Nun 
gut» ich weifi, was ich au tun habe! (Sie nimmt Hat 

and Mantd). 

CkuH Piam (Ucbdnd). Wenn Sie ahnten, mein 
Fräulein, wie Ihr Wutausbruch Ihre hausbackene 

Erscheinung verschönert, dann hätten Sie es nicht 
so eilig, sich zu entfernen. 

Elfriede. Lassen Sie mich hinaus 1 Es ist die 
höchste ZeitI 

Oasti JPkmi, Wohin gedachten Sie denn jetst 
au gehen? 

Elfriede. Das wissen Sie gerade so gut, wie ich, 
wohin ich jetzt gehe! 



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^10 — 

Casii Piani (packt mWedc bei der Gurgel, drückt ihr die 
Kehle zu und nötigt sie in einen der Polstersessel). Sie bleiben 

hier! Ich habe noch ein Wort mit Urnen zu sprechen! 
Versuchen Sie doch bitte, zu schreien I Hier ist man 
an alles nur irgendwie mögliche menschliche Geschrei 
gew<)hntl Soliffeien Sie bitte, so laut Sie schreien 
können! (Ste fEdluieiid). Nimmt mich Wunder, ob ich Sie 
nicht noch zu Verstand bringe, bevor Sie aus diesem 
Hause direkt auf die Polissei laufen! 

Elfneie (keuchend, tonlos). — Bs ist das erste Mal in 
meinem Leben, daß ich eine derartige Vergewaltigung 
erfahre I 

Casti Fiani, Sie haben in Ihrem Leben so 
unendlich viel Unnützes zur sittlichen Hebung der 
Freudenmädchen getanl Tun Sie doch endlich 
einmal etwas Nützliches zur sittlichen Hebung der 
Freude I Daun brauchen Ihnen die armen Geschöpfe 
nicht mehr leid zu tuni Weil der Freudenmarkt als 
der gemeinste, schandbarste aller Berufe gebrand- 
mariLt ist, geben sich die Mädchen und Frauen der 
guten Gesellschaft einem Manne lieber umsonst hin, 
als dafi sie sich ihre Gunst bezahlen lassen 1 Dadurch 
entwürdigen diese MAdchen und Frauen ihr eigenes 
Geschlecht in der gleichen Weise, wie ein Schmider 
sein Gewebe entwürdigt, dw seinen Kunden die 
Kleider umsonst liefert! 

Elfriede (noch wie i>eiäubt). Ich begreife von alledem 
k«in Sterbenswort. — Ich bin mit meinem sechsten 
Jahr in die Schule gekommen und bin bis zu 
meinem fünfzehnten Jahr in der Schule geblieben. 
Später habe ich noch einmal drei Jahre auf der 
Schulbank gesessen, um mein Lehrerinnen-Examen zu 
machen. Solange ich jung war, verkehrten in meinem 
Elternhause Herren aus den besten Gesellschafts- 
kreisen. Ich erhielt einen Heiratsantrag von einem 
Manne, der ein Rittergut von zwansig Quadratmeilen 
geerbt hatte, und der mir, wenn ich es von ihm verlangt 
h&tte, bis ansBnde derWelt gefolgt wäre. Aber ich fühlte, 



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— 11 — 

daß ich nicht lieben konnte. Vielleicht war es nicht 
richtig von mir. Yiellmcht fehlte mir nur das kleine 
bischen Leidenschaftlichkeit^ das zum Heiraten unter 
allen Umständen nötig ist 

OaaH Pkmi, Sind Sie jetzt endlich zahm? 

Elfriede. Erklären Sie mir jetzt nur Doch Eines: 
Wenn daa Mädchen nun bei diesem Leben, das sie 
hier führt, ein Kjod zur Welt bringt, wer sorgt dann 
für das Kind? 

Casti Piani. Sorgen doch Sie dafür I Oder haben 

Sie als Frauenrechtlerin vielleicht etwas Wichtigeres 

in dieser Welt zu tun? Solange ein Weib unter 

Gottes Sonne noch fürchten muß, Mutter zu werden, 

bleibt die ganze Prauenemanzipation leeres Geschwätz I 

Mutterwerden ist für das Weib eine Naturnotwendigkeit 

wie Athem und Schlaf. Dieses angeborene Recht hat 

die bürgerliche Gesellschaft dem Weibe in barbarischer 

Weise yerkfirzt. Ein uneheliches Kind ist schon eine 

beinahe ebenso grofie Schmach wie der Ldebesmarktl 

Dirne hin, Dirne herl Der Name Dirne bleibt der 

Mutter eines unehelichen Kindes so wenig erspart 

wie einem Mädchen in diesem Hause! Wenn mir 

• 

etwas an Ihrer Frauenbewegung von jeher zum 
Ekel war, dann war es die Sittlichkeit, die SiQ 
Ihren Zt^lintren auf den Lebensweg einimpfen! 
Glauben Sie denn, der Liebesmarkt wäre je in der 
Weltgesehichte als Schande verschrieen worden, 
wenn der Mann auf diesem Markte mit dem Weibe 
konkurrieren könnte?! Brodneid I Nichts als Brodneid I 
Dem Weibe gewährte die Natur den Vorzug, mit 
seiner Liebe handeln zu können, deshalb möchte die 
bürgerliche Gesellschaft, die vom Manne regiert wird, 
diesen Handel immer und inmier wieder gern als das 
schmachy ollste aller Verbrechen hinstellen t 

Elfriede (ttdit tnf nd enttedigt lich fluct Mintdi» den de 
fite des stiiu lest; auf «ad abgehend). Ich bin in diesem 
Augenblicke offen gesagt ganz aufierstande, Ihre 

Behauptungen daraufhin zu untersuchen, ob sie 



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4 



— 12 — 

richtig oder unrichtig sind. — Aber wie in aller Welt 
ist es denn möglich, dafi ein Mann yon Ihrer BOdung, 
▼on Ihren sozialen Anschauungen, von Ihrer geistige! 
Überlegenheit sein Leben unter den wtirdelosestm 

Elementen der niüiischlichen Gesellschaft verbringt! — 
Gott weiß, vielleicht hat mich nur Ihre viehiscae 
Brutalität dazu gezwuugen, Ihre Auseinandersetzungen 
ernst zu nehmen! Aber ich fühle ganz deutlich, aaß 
Sie mir auf lange Zeit hin allerhand zu denken 
gegeben haben, worauf ich selber in meinem Leben 
nie gekommen wäre. Seit Jahren höre ieh Winter für 
Winter swölf bis zwanzig Verträge von allen weib- 
lichen und männlichen Autoritäten über Frauen- 
bewegung. Ich kann mich nicht erinnern, je ein 
Wort gehört zu haben, das so wie Ihre Behauptungen, 
der Sache auf den Grund ging! 

Casti Piani (skandierend). Seien wir uns im Leben 
iraraer sonnenklar darüber, mein gnädiges Fräulein, 
daß wir auf einem Dachfirst nachtwandeln .und daß 
uns jede unvorhergesehene Erleuchtung das Genick 
brechen kann. 

Elfriede (ihn aottmad). Wie meinen Sie das 
wieder? — Sie denken sich etwas Ungeheuerliches 
dabei?! 

CasH PUmi (sehr rMp. Ich sage das nur in Bemg 
auf Ihre Ansichten, bei denen Sie sich bis jetat so 

unbedingt sicher fühlten, daß Sie Urteile wie 

> anständig« und »würdelos« freigebig austeillen, als 
wären Sie ganz allein von Gott dazu beauftragt^ 
über Ihre Mitmenschen zu Gericht zu sitzen. 

Elfriede (ihn anstarrend). Sie sind ein grofier 
Mensch! — Sie sind ein edler Mensch! 

Q»9H Pkmi. Ihre Worte treffen die Todes- 
wunde, die ich mit auf die Welt gebracht habe und 
an der ich voraussichtlich einnud sterben werde« 

(Er wirft sich in einen Sessel). — — Ich bin — — — 

Idealist I 



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— 13 — 



Elfriede» Und darüber wollen Sie sich bei Ihrem 
Schicksal beklagen?! Darüber, daß Ihnen die Macht 
verliehen wurde^ andere Menschen glücklich zu 

machen?! (Sich ihm nach kurzem inneren Kampf zu Füßen werfend). 

Heiraten Sie mich doch um Gottes Barmiierziti:keit 
willen! Ich habe mir, bevor icii Sie sah, die Möghch- 
keit niemals denken können, daß ich mich einem 
Mwne hingebe 1 Ich bin noch vollkommen unerfahren; 
das kann ich Ihnen mit den heiligsten Eiden schwören. 
Ich habe bis zu dieser Stunde nicht geahnt, was das 
Wort Liebe bedeutet. Bei Ihnen hier fühle ich eB 
cum erstenmal I Die Liebe hebt den Menschen über 
sein unseliges Selbst empor. Ich bin ein alltägliches 
Durohschnittsweib/aber meine Liebe zu Ihnen macht 
mich so frei und kühn, dafi es nichts Unmögliches 
für mich gibt! Schreiten Sie in Gottes Namen von • 
Verbrechen zu Verbrechen; ich gehe Ihnen voran! 
Gehen Sie ins Zuchthaus; ich gehe Ihnen voran 1 
Gehen 3ie aus dem Zuchthaus auf das Schaffot, i(^h 
gehe Ihnen voran! Lassen Sie sich — ich beschwöre 
Sie! — die günstige Gelegenheit nicht entorchen! 
Heiraten Sie mich! ideiraten Sie mich! Heiraten Sie 
mich! — so ist uns beiden armseligen Menschen- 
kindern geholfen 1 

CdSti Rani (streichelt ihr, ohne sie uzaaäien, den KopO. 

Ob Sie braves Tier mich lieben oder ob Sie mich 
nicht lieben, das ist mir vollkommen gleichgiltig. — 
Sie können ja allerdings nicht wisseni wie viel 
tausendmal ich schon die gleichen OetüUsausbrüche 
über mich habe ergehen lassen müssen I Ich unter- 
schätze die Liebe gewiß nicht. Leider aber mufi die 
Liebe auch all den unzähligen Weibern als Recht- 
fertigung herhalten, die nur ihre Sinnlichkeit befrie- 
digen ohne den geringsten Entgelt dafür zu fordern 
und die uns durch ihre würdelose Preisgabe nur den 
Markt verderben. 

Elfriede. Heiraten Sie mich I Es ist für Sie immer 
noch 2eit» ein neues Leben zu beginnen! Die Ehe 



* 



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— 14 — 

macht einen geordneten Menschen aus Ihnen. Sie 
können sozialistischer Zeitun^sredakteur, Sie können 
Reichstagsabgeordueter werden l Heiraten Sie mich, 
dann erfahren doch auch Sie eiiiniiü in Ihrem Leben, 
welch übermenschlicher Opfer ein Weib m seiner 
grenzenlosen Liebe fähig istl 

CktsH Piani (ihr das Haar streichelnd, ohne ak anzusehen). 

Ihre übermenschlichen Opfer würden mir im besten 
Falle die Eingeweide umkehren. Zeit meines Lebens 
liebte ich Tigerinnen. Bei Hündinnen war ich immer 
ein Stück Holz. Meine Zuversicht soh(ypfe ich nur 
daraus, dafl die Ehe, die Sie so begeistert preisen und 
filr die die Hündinnen gezüchtet werden, eineKultur- 
einrichtung ist. Kultureinrichtungen entstehen um 
überwunden zu werden. Die Menschheit wird die Ehe 
so gut überwinden wie sie den Krieg überwinden 
wird. Der freie Liebesraarkt, auf dem die Tigerin 
ihre Triumpiie feiert, gründet sich auf ein 
urewiges Naturgesetz der unabänderlichen 
Schöpfung. Und wie stolz steht das Weib in der 
Welt , sobald es das Recht erkämpft hat, sich ohne 
gebrandraarkt zu werden zum höchsten Preis, den der 
Mann ihm bietet, verkaufen zu können I Uneheliche 
Kinder sind bei der Mutter dann besser versorgt, als 
die ehelichen beim Vater. Stolz und Ehrgeiz des 
Weibes sind d^n nicht mehr der Mann, der ihm 
seine Stellung anweist» sondern die Welt, in der es 
sich den höchsten Platz erkämpft, den sein Wert ihm 
ermöglicht Welch herrlichen lebensfrischen Klang 
dann das Wort Freuden-Mädchen erhftltl In der 
Geschichte des Paradieses steht, daß der Himmel 
dem Weib die Macht der Verlührung verlieh. Das 
Weib verführt, wen es will. Das Weib verführt, wann 
es will. Es wartet nicht auf Liebe. Diese höllische 
Gefahr für unsere heilige Kultur bekämpft die bürger- 
liche Gesellschaft damit, daß sie das Weih m künstlicher 
Geistesumnacht imi> erzieht. Das heranwachsende Weib 

darf nicht wissen, was ein Weib zu sein bedeutet* 



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- 1« — 

Alle Staatsverfassuiif^^pn könnten darüber den Hals 
brechen I Kein Henkerskmö* ist der bürg:erlichen 
Gbdellschaft zu ihrer Verteidigung zu gemeint Mit 
jedem Kulturfortschritt dehnt sich der Liebesmarkt 
aus. Je klüger die Welt wird, um so grOfter der 
Liebesmarkt. Und diese Millionen von Freudenmädchen 
rerweist unsere i^feierte Kultur im Namen der Sitt- 
lichkeit auf den Huneertod oder raubt ihnen im 
Namen der Sittlichkeit Ehre und Lebensberechtigung, 
stößt sie im N»iien der Sittlichkeit ins Tierreich 
hinab! Wie manches Jahrhundert lang soll noch 
himiuelschreiende Unsittlichkeit die Welt mit dem 
Henkerbeil der Sittlichkeit verwüsten! 

Elfriede (tonlos wimmern d). Heiraten Sie mich! Sie 
stehen außerhalb der Weltl Ich trage meine Hand 
heute zum ersiennial einem Manne au. 

CasH i^^iUii (ihr daa Haar streichelnd ohne sie anzusehen). 

Brodkorbkultur I Brodkorhkulturl — Was wüßte die 
Welt von der ganzen Sittlichkeit, wenn der Mann 
die Liebe kommandieren könnte^ wie er die Politik 
konmiandiertl 

Elfriede, Ich erhoffe von unserer Ehe gar kein 
höheres Glück, als Zeit meines Lebens so vor Ihnen 
auf den Enieen liegend, Ihren Worten lauschen au 
dürfen! 

CasH fiam (ohne sie anzusehen). Haben Sie sich 

denn je gefragt, was die Ehe ist? 

El/rtcde. Ich hatte bis zu dieser Stunde keine 
Ursache, danach zu fragen. (Sich erhebend) Sagen Sie es 
mir! Ich werde alles tun, um ihren Anforderungen 
gerecht zu werden. 

Casti Piani (zieht sie auf seine Knie). Kommen Sie, 
mein Kind. Ich werde es Ihnen erklären. (Da lich Elfdede 
einen Augenblick ziert) Halten Sie bitte stiil! 

M/riede. Ich habe nie auf dem Knie eines Mannes 
gesessen. 

Casti Piami. Oeben Sie mir einen Kufil 
Eifrieieijaim n»). 



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16 ~ 



(kuH Pkmi, Danke« (sie zorfickdritaigend) Sie möchten 
wissen, was die Ehe ist? — Sagen Sie mir, wer 
stärker ist: ein Mensch, der einen Hund hat, oder 

ein Mensch, der keinen Hund hat? 

Elfriede. Der Mensch, der einen Hund hat, 
ist stärker. 

Casti Piani. Und nun sagen Sie mir noch, wer 
stärker ist: ein Mensch, der einen Hund hat, oder 
ein Mensch, der zwei Hunde hat? 

Elfriede. Ich glaube, da6 der Mensch, der einen 
Hund hat, stärker ist, denn zwei Hunde müssen 
eigentlich notwendig schon eifersüchtig aufeinander 
yerden. 

Casti Piani. Das wäre das wenigste. Aber zwei 
Hunden muß er zu fressen geben, sonst laufen sie 
davon, während der eine Hund für sich selber sorgt 
und seuien Herrn wenns not tut auch nöch bei Raub- 
anfäUen verteidigt. 

Elfriede. Und mit diesem abscheulichen Gleichnis 
wollen Sie das selbstlose untrennbare Zusammenhalten 
von Mann und Weib erklären?! Du barmherziger 
Gott, was müssen Sie für Erfahrungen gemacht habenl 

Casti Fiani. Der Mann mit einer Frau ist wirt- 
schaftlich stärker, als wenn er keine hat. Er ist aber 
auch wirtschaftlich stärker, als wenn er für zwei 
oder mehr Frauen sorgen muß. Das ist der Grund- 
steui der Ehe. Das Weib wäre nie im Traum auf 
diese geistvolle Eründung yerfallenl 

Elfriede. Sie armer bedauernswürdiger Mensch I 
Haben Sie denn je ein väterliches Haus gekuint? 
Haben Sie eine Mutter gehabt, die Sie pflegte, wenn 
Sie krank waren, die Ihnen während Ihrer Genesung 
Märchen vorlas, der Sie sich anvertrauen konnten, 
wenn Ihnen irgend etwas das Herz bedrückte, und 
die Ihnen immer, immer, immer geholfen hat, auch 
wenn Sie längst glaubten, daß es auf Gottes Welt 
gar keine Hülfe mehr für Sie gäbe? 



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CobH Piam. Was ich als Kind erlebt habe, da3 
erlebt kein mensohliohes Gteschöpf, ohne daß seine 
Tatkraft bis sum Grabe gebrochen ist. Können Sie 
sich in einen jungen Menschen hineindenken^ der 
mit sechzehn Jahren noch geprügelt wird, weil ihm 
der Logarithmus von Pi nicht in den Kopf will?! 
Und der mich prügelte, war mein Vater! Und ich 
prügelte wieder! Ich habe meinen Vater tote^eprüereltl 
Er starb, nachdem ich ihn zum ersten Mal i^eprügelt 
hatte. — Al)iiT das sind Kleinigkeiten. Sie sehen, unter 
welchen Kreaturen ich hier lebe. Ich habe unter 
diesen Kreaturen nie die Beschimpfungen mehr gehört, 
die während meiner ganzen Kindheit meiner Mutter 
zuteil wurden und um die sie sich täglich mit neuen 
UnWürdigkeiten bewarb. — Aber das sind Kleinig- 
keiten, Die Ohrfeigen, Paustschläge und Pußtritte, 
in denen Vater, Mutter und ein Dutzend Lehrer mr 
Entwürdigung meines wehrlosen Körp ers wetteifwten, 
warm Kleinigkeiten im Yergleioh mit den Ohrfeigen, 
PaustschUlgen und Pufitritten, in denen die Schicksale 
dieses Liehens miteinander wetteiferten, um meine 
wehrlose Seele zu entwürdigen. 

Elfriede (küßt ihn). Wenn du ahnen könntest, wie 
innig ich dich um dieser furchtl)areu Erlebnisse 
willen liebe I 

Casti Piani. Das menschliche Leben ist zehn- 
facher Tod vor dem Tode! Nicht nur für mich. Für 
Siel Für alles, was Atem holtl Für den einfachen 
Menschen besteht das Leben aus Schmerzen, Leiden 
und Qualen, die sein Körper erduldet. Und ringt 
sich der Mensch su höherem Sein empor, in der 
Hofifnung, den Qualen des Körpers au entrinnen, dann 
hesteht für ihn das Leben aus Sclnfiersen, Leiden und 
Qualen, die seine Seele erduldet, und gegen die die 
Qualen des KOrpers Wohltaten waren. Wie grauen- 
voll dieses Lehen ist, das zeigt sich schon darin^ 
daß die Menschen sich ein Wesen ausdenken mufiten, 
das aus nichts als Güte, aus nichts als Liebe, aus 



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nichts als Wohltat besteht, und daß die ganze Mensch- 
heit, um nur das Leben ertragen zu können, täglich, 
stündlich zu diesem Wesen beten muß! 

Elfriede (ihn liebkosend). Wenn du mich heiratest, 
dann haben kÖrperHche Qualen und Seelenqualen ein 
Ende! Du brauchst dich mit all diesen entsetzlichen 
PVagen nicht mehr zu beschäftigen. Meine Mama hat 
ein Privatvermögen von sechzigtausend Mark, von 
dem trotz ihrer fünfundzwanzigjährigen, glücklichen 
Ehe Papa sich bis heute nocn gar nichts träumfMi 
läßt. Lockt dich die Aussicht nicht, daß du, wenn 
du mich heiratest, plötaiioh seohzigtausend Mark bar 
zur Verfügung hast? 

Oasii Piam (iie zarfickdiittgend, ncnrfla). Sie verstehen 
sich nicht anf Liebkosungen, mein BVäuleinI Sie 
benehmen sich wie der Esel, der den Schoßhund 
spielen will. Ihre Hände tun mir wehl Das kommt 
nicht etwa daher, daß Sie nichts gelernt haben. Das 
küinrat, weil sie dem geknechteten Liebesleben 
der büre:erlichen Gesellschaft entstammen! Sie haben 
keine Kasx» im Leib. Es FefdL das nötige Zartgefülil! 
Das Zartgefdhl und das Schamgefühl I Bs fehlt Ihnen 
das Geffihl für die Wirkung Ihrer Liebkosungen; 
ein Gefühl, das jedes Rassegeschöpt schon als kleines 
Kind mit auf die Welt bringtl 

Elfriede ^empOttiabptfiigeiid). Und das wagen Sie 
mir in diesem Hause zu sagen?! 

Gasti Fiani (hat «ich gidchiuit cthoben). Das wage ich 
Ihnen in diesem Hause zu sagen I 

. Elfriede, In diesem Hause?! Daß es mir an dem 
nötigen Zartgefühl, an dem nötigen SchamRefühl 
fehlt?! 

Casti Fiani. Daß es Ihnen an dem nötigen Zart- 
gefühl und Schanigefühl fehlt! In diesem verrufenen 
i lause sage ich ihnen dasi — Überzeugen Sie sich 
doch einmal davon, mit welch feinem Takt diese Ge- 
schöpfe ihrem verrufenen Handwerk obliegen! Das 
letzte Mädchen m diesem Haus kennt die mensch- 



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— 18 — 

Uche Seele geoauer als der berühmteste Psychologie- 

Srofessor an der berüfamteeten UniTersität. Sie, mein 
'räulein, wQrden hier allerdings die gleichen Bitt- 
täusohungen erfahren, die Ihnen Ihre Vergangenheit ■ 

bereitet hat. üie Frau, die für den Liebesmarkt ge- 
schaffen ist, erkenne ich auf den ersten Blick daran, 
daß ihre freien regelmäßigen Gesichtszüge un- 
schuldige Glückseligkeit und glückselige 
Unschuld ausstrahlen. (Eifriede musternd.) In Ihren Ge- 
sichtszügen, mein verehrtes FrauU^in, ist weder irgend 
etwas von Glückseligkeit noch irgend etwas von Un- 
schuld zu lesen. 

Mfriede (zögcnd). Glauben Sie denn nicht, Herr 
Baron, daß ich bei meinem eisernen Fieifl^ bei meiner 
Energie, bei meiner unüberwindlichen Begeisterung 
für alles Schöne das Zartgefühl und den feinen Takt, 
▼on dem Sie sprechen, noch lernen könnte? 

OasH JPMHif. Nein, nein, me*n Fräulein! Bitte 
neinl Schlagen Sie sich diese Gedanken nw gleich 
aus dem Kopf I 

Elfriede, Ich bin von der sittlichen Bedeutung 
alles dessen, was Sie sagen, so tief überzeugt, daß 
mir das größte Opfer, duruli das ich meine klein- 
bürgerliche Hülfiosigkeit überwinden könnte, nicht 
zu groß wäre! 

Casti Fiani. Nein, nein, dafür bin ich nicht zu 
haben! Das würde grauenvoll I Das Leben ist grauen- 
voll genug! Nein, mein Fräulein! Lassen Sie Ihre 
fürchterliche Hand von dem einzigen göttlichen 
Lichtstrahl, der die schauerliche Nacht unseres 
marteir vollen Erdendaseins durchdringt l Wofür lebe ich 
denn! Wofür betätige ich mich in unserer Zivilisation! 
Nein, neinl Die einzige reine Himmelsblume in 
dem von Schweifi und Blut besudelten Dornendiokicht 
des Lebens soll nicht von plumpen Fufitritten ser- 
stampft werden! Glauben Sie mir bitte, daS ich mir 
schon vor einem halben Jahrhundert eine Kugel 
durch den Kopi gejagt hubie, wenn nicht über dem 



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— 20 — 

sum Himmel emporgellenden Jammergeheul aus Ge- 
burtswehen, Daseinsschmerzen und Todesqualen dieser 
eine klare Stern leuchtetet 

Eljriede. Die äußerste geistige Anstrengung er- 
möglicht nair nicht, den Sinn Ihrer Worte zu erraten ! 
Was ist der Lichtstrahl, der die Nacht unseres Da- 
seins durchdringt? Was ist die einzige reine 
Himmelsblume, die nicht zu Schmuts zerstampft 
werden soll? 

(Mti Piani (Dfriede bd der Hand nehmend, gdieimnlsfoU 

fifistemd). Das ist der S innenge nuß, mein gnädiges 
PräuleinI Der sonnige, lachende Sinnengenußl 
Der Sinnengenufi ist der Lichtstrahl, die 
Himmeisblume, weilerdaseinaige ungetrübte 
Glück, die einzige reine lautere Freude ist, 
die das Erdendasein uns bietet. Glauben Sie 
mir, dafi mich seit einem halben Jahrhundert nichts 
mehr in dieser Welt zurückhält, als die 
selbstlose Anbetung dieses einzigen aus 
voller Kehle auflachenden Glückes, das im 
Sinnengenuß den Menschen für alleQuaieu 
des Daseins entschädigt! 

Elfriede. Ich glaube, da kommt jemand. 

Casti Piani, Das wird Lisiska seini 

Elfriede, Lisiska? — Wer ist denn Lisiska? 

(Justi Fimi, Das ist das Mädchen, das bei ihnen 
zu Hause die Bücher über die internationale Bekämpfung 
des Mädchenhandels studiert hat! Jetzt können Sie 
sich gleich davon überzeugen, ob ich den Mund su 
voll genommen habe! Wir sind hier gottlob für solche 
Gelegenheiten emgerichtet (Er fOhrt aie ins redite PiooeiUtiiii). 
Nehmen Sie nur hinter dieser Bpheuwand Piata ! Von 
hier aus können auch Sie einmal das lautere un- 
getrübte Glück Bweier Kreaturen beobachten, die 
der Sinnengenuß zusammenführt! 

nimmt auf dem Hockcrl hinter der Epheuwand im 
rechten Proszenium Platz. Casti Fuini geht zur Mitteltür, wirft einen 
Blick hinaus und setzt sich oaraol hinter der Epheuwand im linken 



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— 21 --^ 

PMnoitain nieder. ^ Barr. Kümg vwl XlMfal treten ditdi die 
Mitte ds. Herr KMg, fDuhittdzviaziflf Jelir alt, in lielicni Sportumg 
ntt KnldiaBeii. Lisiska, in einfachem, bis zur Mitte der Wade rddienden, 
wdRen Ocvand, schwarzen Strumpfen, schVBIiett Lscktchalien, eine 
wei£c Schleife im offenen sdivarzen üaar.) 

Herr König. 

Ich komme nioht, die Zeit mir cu vertreiben 
Als Wollüstling in deiner Reise Bann 
Und will dir dankbar und gewogen bleiben, 
Wenn bald ernüchtert ich von hinnen kann. 

lArisika. 

Beden Sie nicht so freundlich su mir* 
Hier sind Sie Herr und befehlen hier. 
Färben Sie nur getrost mir das bleiche 

Blutleere Antlitz durch Backenstreiche. 

Für eine Dirne, wie ich es bin, 

Ist das noch unerhörter Gewinn. 

Hilfloses Klassen, Schluchzen und Wimmern 

Braucht Sie noch nicht im gt i iiigsten zu kümmern, 

Soleher Beschimpfung Wonnen sind schaL 

Häufen Sie mitleidlos Qual auf Qiiall 

Wenn Ihre Faust mein Gesicht «erschlüge, 

Wärs meiner Sehnsucht noch kein Genüge. 

Herr König. 

Ich bin auf solche Worte nicht gefaßt. . . 
Ist das ein heitrer Willkomm für den Gast? — 
'Du sprichst^ als büßtest du im Fegefeuer 
Schon hier die Strafen für genoasne Lust. 

Im Gegenteil I Die Lust, das Ungeheuer, 
Tobt ewig ungezähmt in dieser Brust 1 

Meinen Sie, ich Teufelsbraten 

Wäre je in dies Haus gerat( n. 

Wenn von des Herzens gräli Ii ehern Klopfen 

Freude mich ki^nnte befreiu? 



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— ffl — 

Freude eerstiebt, ein Tropfen 
Auf heifiem Stein I 
Und die Wollust, ungestillt, 
Ein hungerndes Jammerbild 

Stürzt sich, daß sie den Tod finde, 

In alle Abgründe! 

Sind Sie nicht grausam, verehrter Herr? 
Ich müßt es beklagen. 
Was kümmert Sie hier mein Geplärr, 
Wenn Sie mich schlagen! 

Herr KiHng, 

ff Ist wirklich dir der dunkle Trieb zu ei^^en, 

^ Ans tiefster Tiefe noch hinabzusteigen, 

Dann könnt ich weinen, daß ich aus dem Chor 
t' Verliebter Mädchen grade dich erkor. 

^: Aus deinen Augen traf in meine Sinne 

£in Strahl unschuldiger Glückseligkeit... 



Wollen Sie, daß uns die Zeit 
Ungenossen verriniiü?! 
Unten sitzt über unsern Statuten 
Mutter Adele, die Uhr in der Hand; 
Zählt und berechnet unverwandt 
Meines Olückes Minuten. 

Herr KOnig. 

Du bist der höchsten Lust nachgrade satt 

Und hofTst auf Müdigkeit aus Schmerz und Tränen, 

Bis tiefe Kuh dich überwältigt hat, 

Die Tag und Nacht umsonst dein heifies Sehnen! 

■ » 

Lisiska. 

Schlaf ich, dann bitt ich, mit einem kecken 
Kräftigen Bippenstoß mich zu wecken. 



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I 



— 23 — 

Der Tun war falsch I Das Glas hat einen Sprung I 
Wie sollte das ein Mensch begreifen 1 
Auf Glück, ja auf dein Leben mag:st du pfeifen! 
Dooh auf den Schlaf? — Nein^ das war Lästerung I 

Lisiska, 

Ich bin nicht Ihr Eigentum^ 
Sie sind nicht mein Hüter, 
Sparen Sie nicht ängstlich drum 
Meine Lebensgüter! 

Suchen Sie durch Menschlichkeit 
Nicht mein Herz zu trösten I 
Wer mich mitleidlos zerbläut, 
Den acht ich am größten. 

Sie fragen, ob ich noch 

Erröten kann? 

So schlagen Sie mich doch, 

Dann iats getan 1 

Herr König. 

B(ir rieseln Schauer über Brust und Rücken. 
Lafi mich hinaus I Ich hoffte, halb im Rausch 

Der Liebe süße Frucht vom Baum zu pflücken. 

Du bietest Dornen mir dafür zum Tausch. 
Wie wars nur möglich, daß du junges Wild 
Vom Blumenptad dich im Gestrüpp verfangen?! 

Lisiska, 

Lassen Sie mein Verlangen 

Nicht ungestillt I 
Wenden Sie sich nicht herzlos ab! 
Vor mir hab ich mein Grab 

Und hoffe nur noch, aus dieser Welt 
Möglichst viel mit hinabzunehmen. 
Glauben Sie, solche Begierden kämen, 
Weil dies Haus uns gefangen hält ? 



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— 24 — 

NeinI Nur der Sinne folternde Gier 
Bannt uns hier ! 

Aber auch diese Berechnung war 

Ohne Vernunft gemacht. 

Nacht für Nacht 

Seh ich es blendend sonnenklar, 

Daß selbst in diesem Hause kein Frieden 

Den Siimea beschieden. 

Elfriede (in ikreni Vefstede, für aidi, mit dem Ansdmck des 
Etetennens). Allmächtiger Hunmel! Das ist genau das 
entgegengesetzte Gegenteil von dem, was ich mir 
ToUe zehn Jahre lang darüber gedacht habet 

Casti Fiani (in seinem Versteck, für sich, mit dem Ausdruck 

des EnfsctzcnsX Teufel ! Teufel 1 Teufel I Das ist genau 
das entgegengesetzte Gegenteil von dem, was ich 
mir fünfzig Jahre lang über den Sinnengenufl gedacht 
habe 1 

LieUka. 

Gehen Sie nicht von rairl Hören Sie mich anl 

Ich war ein schuldloses Kind und begann 

Mein Leben so ernst, voll Eifer und Pflicht; 

Sorglos zu lächeln gelang mir nicht. 

Von meinen Lehrern, selbst von den Geschwistern, 

Hört ich oft ehrfurchtsvoll über mich flüstern 

Und meine Eltern meinten Beide: 

Du wirst noch einmal unsers Alters Freude 1 

Plötzlich beim Hahnenschrei 

War das vorbei I 

Und die eben erweckte Lust 

Wuchs über alle Schranken, 

Ober all meine Oedanken, 

Ober all mein treues Gefühl in der Brust, 

DaS ich nur staunte, wie mir geschah, 

Was mich so herrisch betörte, 

Daß ich den Blitz mir zur Seite nicht sah 

Und kein Donnern vom iimimel meiir hörte. 



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äs 



Da glaubt ich, da ho£ft ich^ es sei uns das Leben 
Zu nimmer versiegender Freude gegeben I 

Fandst du die stolsse Hoffnung: nicht erfüllt? — 
Zwar red ich wie ein Blinder dir von Farben . . . 

Nein, es war nur der höllische Trieb, 
Aus dem an Freude nichts übrig blieb. 

Herr König. 

So viele Mädchen schon durch Liebe starben, 
Blieb allen denn die Sehnsucht ungestillt? 
Wie kfim es dann, dafi Weiber sich in Menden 
Von Tausenden auf deinen Pfaden drängen? 

Wollen Sie sieh der Striemen 
An meinem Körper nicht rühmen? 
Wosu ward er so weich, 
Wozu ward er so zart geschaffen 1 

Sprachlose Blicke begaffen 
Die Spuren dann Streich um Streich. — 
Um die Begierden neu zu entflammen, 
Erzähl ich prahlend, von wem sie stammen. 

Herr König. 

Schweig, sag ich dir! Nur noch ein Wort davon. 
Dann bin ich schon zum längsten hier gewesen! 
In deinen blassen Zügen steht zu lesen, 
Wie sturmgeschwind die Jugend dir entflohn. 
Und als du deine Unschuld nun verloren, 
Ldeft er im Blend dich, der sie dir nahm? 

Nein. — Aber ein Andrer kam, 
Fand Lust imd Gram; 



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26 — 



Denn ich hab all den jungen Toren 
Immer ewige Treue geschworen. 
Immer hofft ich, meine Qual 
Müßte doch bei dem Andern enisch winden. 
Es war nur Bitternis jedes Mal, 
War keine Ruhe für mich zu finden, 
Denn es war stets nur der höllische Trieb, 
Aus dem an Freude nichts übrig blieb. 

So kamst du schließlich denn in dieses Haus 

Und führst ein Dasein hier in Saus und Braus 1 

Musik erschallt, der Sekt trieft von den Tischen, 

Gelächter dröhnt, so oft der Morgen graut. 

Der lange Arbeitstag kennt nur den Laut 

Von heißen Zungen, die in Liebe zischen. — 

Welch ein gemeiner Bettler ich doch bin 

Vor dir, du stolse PreudenköniginI 

Ich kam mit dem^ was mein ist, um von dir 

Der Freude schlichten Austausch su erkaufen. 

Ich könnte mir yor Zorn die Haare raufen I i 

Du lebst nur scheufllicher Qenufisucht hierl 

Der Wüstling ist dein Freund, der keine Grensen 

Der Menschlichkeit (&r seine Kuntweil kennt. 

Beeil dich, ihm die Glieder zu bekränzen ! 

Mich trägt und Iaht ein reinres Element. 

Erfrischung sucht ich und hab kein Verlangen, 

Im tiefsten Erdenschmutz mich zu verfangen. 

Idtiska (fldMDtUdi). 

0 bleiben Siel — Wenn Sie mich jetzt verlassen, 
Ist wieder Nacht um nüchl Gehn Sie niclit fortl | 
Von Ihren Lippen trifft schon jedes Wort I 
Wie Peitschenhieb und stachelt itk in Begehren, ; 
Sie möchten mich mir solcher Inbrunst hassen, | 
Daß statt der Lippen ps die Fäuste wären, ' j 

Von denen Hieb auf Hieb den Körper schmerat. 

i 
I 

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I 



2^ — 



Hab ich Sie einmal geherzt, 

Dann gehn Sie, woher Sie kaiuen, 

Schreiben sich ra«inen Namen 

Lächelnd in Ihr Notizbuch ... 

Und mir — mir bleibt der gräßliche Fluoh, 

Daß t\s mir wieder der höllische Trieb, 

Aus dem an i^'reude nichts übrig blieb 1 

Bar K&nig (sehr erntl). 

Jetzt trau ich meinen Sinnen nichtl Mir scheint, 

Du bist verhebt! Darf ich dem Wunder trauen?! - 

Wie hab nach Liebesglück ich heiß geöchmachteti 

Wie manche bange ^facht hab ich, von Frauen 

In meiner Liebcs^hit verhöhnt, verachtet, 

Auf mich zürückg* worfen, laut durchweint I 

Nun äußert Liebe mir in diesem Leben 

Zum erstenmal die Dirue?l Bin ich dir 

Nicht völlig fremd? Du pflegst doch wahllos hier 

Dich jedem fremden Manne preiszugeben I 

Mir deckst du eifrig deine Seele bloß. 

Daß mich ihr düstrer Reis umsponnen hält? 

Bei Dirnen also find ich meine Welt?! — 

Wo soll das hin?? — Was ist mein irdisch Los??. 

Trauen Sie bei Qott meiner Liebe nicht I 
Liebe zu heucheln ist hier meine Pflicht, 
Denken Sie nur einmal, was das heißt» 
Wenn jemand plötzlieh die Tür aufreißt: 
Jetat heifit es, die Liebe susammenraffen;. 
Es ist ein Mann da^ Qott hat ihn geschaffen. — 
Wünschen Sie, dafi ich dies heillose Spiel 
Mit Ihnen spiele? 

Daß ich bei Ihrem höchüten Gefühl 
Nur Ekel fühle?! 

Aber wenn Sie mit Ihrer tüchtigen 
Bauernfaust meine Glieder züchtigen. 
Das kann uns, wenn Sie Lust daran findcm, 
Bis mich der Tod Ihnen raubt, verbinden. 



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— 2a — 

Der Unschuld weißes Kleid trägfst du. Dir hat 
Selbst dieses Haus die Seele nicht geschändet. 
Von deiner Reinheit ist mein Aue: greblendet, 
An deinem Bild sieht sich mein Geist nicht satt. • 
Im Selbstmord schwelgend ohne Unterlaß, 
Kämpfst du mit nieerförschten Seelenschmerzen, 
Den Tod im Antlitz und den heißen Haft 
Auf alles eitle Erdenglück im Herzen I 

(& kniet vor ihr). 

Laß deinen Freund mich, deinen Bruder sein. 

Ob deinen Körper du mir gibst, das liegt 

Tief unter uns* So hast du mich erhoben 1 

Darf ich den schlanken Knieen hier geloben: 

Nur wie die Seele sich zur Seele füg^. 

Bist du mein eigen 1 So nur bin ich deini 

Aus Höllenqualen stiegst du himmelan 

Und ahnst nicht mehr, wo die Begierden fluten. 

In deinen Himmelshöhn mußt du verbluten. 

Durch mich sei das den Menschen kundgetan; 

In keuscher Dichtung soll durch mich die Welt 

Verkaufter Liebe Leid ermessen lernen. 

Hier schwör ichs bei des Himmels ewgen Sternen, 

Bei ihrem Glanz, der meine Brust erhellt! 

Gib mir ein Pfand, gesteh mir offen ein: 

Bist du aus Liebe jemals froh geworden? 

IMäsa (fim eiiipofhä)eiid). 

Wenn Sie jetzt gleich mich ermorden, 
Könnt meine Rede nicht anders sein. 
Immer nur war es der höllische Trieb, 
Aus dem an Freude nichts übrig blieb... 
So ists in diesem Haus nun einmal: 
Alle begegnen sich hier. 
Denen die Liebe unendliche Qual 
Und niegestillte Begier. 



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Was da noch sonst an Besuchern kommen, 
Das wird Yon uns doch nicht ernst genommen. 

Menschen wie Sie sind selten, 
Weil bie nichts gelten 
Wie wir, 

Die man dem unvernünftigen Tier 

Vergleicht. — 

Aber hab ich denn nun erreicht, 
Daß Sie dem wilden Begehren 
Trost gewähren? 

Herr König, 

So wirre Pfade deine Hand mich leitet, 

Am Himmel flammt ein Stern^ der uns begleitet. 

Liriska (umartnt iiiid kflSt flia)« 

Dann komm, mein Schätzt Jetst bist du endlich 

mttrbe. 

Mir ist als höchste Wollust längst ein Land 

Urewger niegestörter Ruh bekannt. — 
Ach, daß ich unter deinen Fäusten stürbe I 

(Beide aacii rechts tb). 

Casti Piani (aus seineoi Venteck hervotstOneiid, vergeistert). 

Was war das ? I 

Elfriede (stürzt aus ihrem Versteck hervor, leidenschaftlich). 

Was war das ? I Was habe ich nichtswürdige Schma- 
rotzerin mir in meinem vertrockneten Hirn unter 
Sinnengenufl vorgestellt ? I Selbstaufopferung, gltt* 
hendes Märtyrertum ist das Leben in diesem Hause. 
Ich in verlogener Aufgeblasenheit, in meinem faden- 
scheinigen Tugendstolz hielt dieses Haus für die 
Brutstätte der Verworfenheit! 

OasH Rani. Ich bin zerschmettert ! I 
Elfriede. Meine granze Jugend, so überreich an 
Liebesdurst, au Liebesmacht sie niir der gütige Himuiel 
geschenkt hatte, ich habe sie freventlich durch den 
grauen seelenerstickenden Straßenschmutz geschleift! 



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— 30 — 



Die Heiligkeit sinnlicher Leidenschaft galt mir feigen 
Memme lus niedrigste OemeinheitI 

Casti Piani (vergeistert). Das war die tageshelle Er- 
leuchtung, die unversehens dem, der auf dem Dach- 
first nachtwandelt, das Genick bricht 1 

Elfriede (leidenschaftlich). Das war die tageahelle Er- 
leuchtung I 

Casti PianL Was tu ich noch auf der Welt, 
wenn auch der Sinnengenuß nichts als höl- 
lische M e n s c h e n P c h i n d e r e i , wenn a u c ii der 
Sinnengenuß nichts als satanische Menschen- 
schiächterei ist, wie das ganze übrige Erden- 
daseinl So also nimmt sich der einzige göttliche 
Lichtstrahl aus, der die schauerliche Nacht unseres 
martervollen Lebens durchdringt I Hätte ich mir doch 
vor einem halben Jahrhundert eine Kugel durch den 
Kopf gejagt I Dann wäre mir dieser jämmerliche 
Bankrott meines hochstaplerisch susammen- 
gestohlenen Seelenreicntums erspart geblieben I 

Elfriede. Was Sie noch auf dieser Welt zu tun 
haben? Das kaiui ich Ihnen sagen 1 Sie sind Mädchen- 
händler I Sie rühmen sich, es zu sein ! Jedenfalls 
haben Sie die besten Verbindungen mit allen be- 
deutenden Plätzen, die für den Mä IchcTihandel in 
Betracht küinim n. Verkaufen Sie mich 1 ich beschwöre 
Sie, verkaufen Sie mich an solch ein Haus! Sie können 
ein ganz einträgliches Geschäft mit mir machen ! Ich 
habe noch nie geliebt, das setzt meinen Wert jeden- 
falls nicht herab I Dafür, daß ich Ihnen keine Schande 
mache, dafi Sie bei Ihren Abnehmern Ehre mit mir 
einlegen, verbürge ich mich Ihnen mit jedem Schwur, 
den Sie von mir verlangen 1 

Casti Piam (hiib im Wahosino). Was rettet mich vor 
dem Qenickbruch ? I Welches Mittel hilft mir Über die 
eisigen Todesschaner hinweg?! 

Elfriede. Ich helfe Ihnen darüber hinweg I Ich! 
Verkaufen Sie mich ! Dann sind Sie ijerettet 1 

Casti Piani, Wer sind Sie dean?l 



Dig 



31 — 



EyHede. Ich will im Sinnengenufl meinen Tod 

finden 1 Ich will mich a\if dem BlutaltAr sinnlicher 

Liebe schlachten lassen I 

Casti jKam. Sie — Sie soll ich verkaufen ? 1 

Elfriede. Ich will den Märtyrertod sterben, den 
dieses Mädchen, das eben hier war, stirbt I Habe ich 
denn nicht die gleichen Menschenrechte wie Andere? I 

Ckutti Piani, Behüte mich der Himmel davor II 

Das — das — das ist das höllische Hohngelächter, 
das über meinern Todessturz erschallt 1 

EI friede (sinkt ihm m raficn). Verkaufen Sie michl 
Verkaufen Sie michl 

Casti Fiam. Die grauenvollsten Zeiten meines 
Lebens steigen vor mir auf! Einmal schon habe ich 
ein Oeschöpf, das von der Natur nicht dazu geschaffen 
war» auf dem Liebesmarkt verschachert 1 Für dies 
Verbrechen gegen die Natur habe ich drei volle Jahre 
hinter schwedischen Gardinen zugebrachtl 
Natörlich war es auch eines jener charakterlosen Ge» 
schöpfe, denen die grollen Püfle im Gesicht 
geschrieben stehenl 

Elfriede (seine Knie uinkiamtnernd). Bei meinem Herz- 
schlag beschwöre ich Sh\ verkaufen Sie mirh ! Sie 
hatten Recht I Meine Betätigung zur Bekämpfinig des 
Mädchenhandels war unbefriedigte Sinnlichkeit I Aber 
meine Sinnlichkeit ist nicht schwach! Fordern Sie 
Beweise! Soll ich Sie wie wahnsinnig küssen?! 

Casti Fiam (in höchster Venwdfiiuig). Und dieses ohr- 
serreißende Jammergeheul zu meinen Füfien?! Was 
ist das?t Dies gellende Zetergeschrei aus Geburts- 
wehen, Daseinsschmerzen und Todesqualen ertrag 
ich nicht Iftngerl Ich halte dies irdische Wehgekreisch 
nicht mehr ausl 

Mfriede (die Hände nugendi. Ihnen selbst, wenn 
Sie wollen, bringe ich raeine Unschuld zum Opfer! 
Ihnen selbst, wenn Sie wollen, schenke ich meine 
erste Liebesnacht I 



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— 82 — 



Oagti Piani (aufschreiend). Das hatte gefehlt I 

(Es !<racht ein Schuß. Elfriede stößt einen marlcerschütternden Schrei 
aus. Casti Piani wankt, in der Rechten den rauchenden Revolver, die 
Unke knunpfhait auf die Brust gepreßt, zu einem der Polstersessel, in 

dem er zusammenbricht). 

Casti Fiani. - ver — verzeihen Sie — Baroneß 

— ich — ich habe mir — weh e^e tan — das — das war 
nicht — nicht p:alant von mir — 

Elfriede (ist aufgesprungen und beus^t sich fiber ihn). Sie 

werden sich doch um Qottes Bannherzigkeit willen 
nicht getroffen haben ?I 

OasH Fiani. — 8chrei-*8chreien Sie mir die — 
die Ohren nicht voll — seien Sie — lieb — lieb — 
Ueb — wenn — Sie können — 

Elfrieie (cnMzt znrAckwdclieiid. bdde Hiade in fltfcn Htim, 
tnf Castf Piaaf ffamid, oft dnem AnMird). Nein I Nein I Ich 
kann bei diesem Anblick nicht lieb seini Ich kann 

nicht lieb seinI 

(Auf den Schuß hin sind drei schlanke fungfc Madchen, ebenso wie 
Usiska gekleidet, eine nach der andern neugieri|£ aus den drei TQren des 
Zfamncts getreten. Sie haben tidi lOgemd CasU Pleai genJUiert und 
Sachen ihm. stumme Gebärden unter einander austauschend, mit Inßenter 
Zurfickhaltung den Todeskampf zn eridchtem.) 

Ck»$H Pkmi (dfe MSddien eiblidcend). — und das — 
und das — Ba — ^Badiegeister? — Baobegeister ? ? 
Nein» nein I — das — das ist - ist Manischkai 

— Ich sehe dich genau. — Das ist — Euphemia I — 

das Theophilal Ma — Ma — Maruschka! Küß mich, 

Maruschkal 

(Die achlankate der drei Madchen beugt sich Ober Caeti Piani nnd 

kfißt ihn auf den Mund.) 

CaM Fiam, — nein, nein, nein I Das war nichts I 

— Küsse — küsse mich anders I 

(Das Mädchen küßt ihn wieder). 

OoHi Fiani. — So 1 — So, so, so I — Ich — ich 
habe euch ~ betrogen — (sich an Minttchka langsam anf- 
riditead) — euch Alle — betrogen I — Der Sinnen- 
genufl — Menschenquälerei — Menschenschinderei 



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— 88 — 



— endlich — endlich — Erlösung 1 («rffcht, steif empor- 
ffereckt. wie vom Stefiicniiipf erfaßt, die Augfen weit aufreifieiid) Wir 

— wir müssen — den — den hohen Herrn — doch 

wohl stehend 

— — — — empfangen . . • (erbridittoiziMaiiuiwo)» 

Mfriede (in tthun waSgiMit za den drei Midcben). — 
Nun? — Hai denn keine von Euch Mädchen den 

Mut däzu? Ihr ward diesem Manne doch mehr^ 

als ich ihm sein durfte I 

(Die drei Mädchen weichen kopfschüttelud mit eisigen Mienen, scheu 

und angstvoU znrfldOi. 
JEU/Wede (sdilnctizend, zur Leldie Ontt Pfani't s^wandt). 
Dann verzeih mir Elenden! Du hast mich im Leben 

aus tiefster Seele verabscheut! Veizeih mir, daß ich 

mich dir noch nahe ! ^Sie küßt ihn inbrünstig auf den Mund. — 
in einen Sirom von Trinen ausbrechend). Diese letzte Ent- 

täiischunjy hast du dir doch wohl in deinem furcht- 
barbLen Weltschmerz nicht träumen lassen, daß dir 
eine Jungfrau die Augen zudri5nktl — (Daraufdrückt 
«e ihm die Augen zu und sinkt jammervoll weinend zu seinen Füikn). 




Mödlings älteste Urkunde? 

Replik 

von 

Joseph Schaffet. 

Die von mir kündich veröffentlichten »Erinnerungen aus 
meinem Leben« haben, wie ich es vorausahnte, vid Staub auf* 
gewiibett. 

Während mir aus Offizierskreisen, was ich nicht vermttleie, 
zustimmende und geradezu rührende Beweise der Anerkennung 
mteil gewofden sind, hat man in politischen Psrtdkreisen nadi 



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l 

I 



— Ä4 - 

Wochen lan^n^rn Besinnen und Beraten versucht, einzelne, der be- 
teiligten politischen Partei unangenehme Angaben durdi Wort- 
and Sinnverdreliung zn widerlegen. 

Anerkennen muß ich, daß man sich bei dieser Widerlegung 
nicht des am Naschmarkt fiblichen Scfaimpflexikans bediente. Die 
Spnidie war eine anständige! Die Herren kämpften aus Notwehr 1 
Ein solcher Kampf ist immer anregend ! 

Nun fallen aber im »Deutschen Volksblatt' sogenannte (^elehrte 
Altertumsforscher, die ihr'Leben inmitten verstanblcr Per:;^ unente ver- 
träumen, über mich her und zwingen mich, mich mit ihnen über den 
Sinn einer angeblicii vor 1000 Jahren verfaßten lirkunde — ein 
Tauschgeschäft zwischen zwei Prälaten betreffenti hL-riunzubalgen. 

Diese Tausch Urkunde exibiiert im Originale nicht mehr. Es 
existieren nur Ahschnften dieser ürktmde, die wahrscheinlich im 
13. oder 14. Jahrhundert, also mindestens 400 Jahre später ange- 
fertigt wurden und die weder im Text, noch in der Bezeichnung 
der daselbst angeführten Ortsnamen übereinstimmen und daher 
selbst für diejenigen, die sich mit dem Lesen und Interpretieren 
solcher alter Scharteken t>efas5en, eigentlich ganz wertlos sind. 

Für mich ist eine solche Beschäftigung geradezu eine Sünde 
wider die Naturl Trotzdem muB ich mich mit der Sache so zu 
sagen aus Shrafe befaaseni weil ich mich unterfangen habe, einer 
anderen Ansicht zu sein, als ein vom heiligen Oeist beschatteter 
Archivar, der die früher erwähnten wertlosen Urkundcnabachriften 
zum Zwecke der Veranstaltung' einer Jahrtausendfeier der Stadt 
Mödling bestens empfohlen haben boll. 

Ich bin ein geschworener Gegner der heute grassierenden 
Festseuchen und des modernen Wohltätigkeitssports, bei welciieni 
den Massen die letzten Kreuzer für die aus Eitelkeit und Prunk- 
sucht veranstalteten 1 esie aus der Tasche gerissen werden. Der 
Wiener und der Niederösterreicher hat die Wurzerei, wie er dies 
nennt, herzlich satt, läßt sich aber in seiner angeborenen Gut- 
mütigkeit, alias Dummheit, ruhig mißbrauchen, um der haute vol6e 
zum Nimbus der Wohltätigkeit, der ihr nicht? kostet, zu verhelfen. 

Man vergleicht heute diese modernen Festlichkeiten mit den 
drcenscs der Römer. Dieser Vergleich hinkt aber auf allen vier 
FflBenl Die heidnischen Römer haben der Misse die drcenses 
ebenso unentgdtUch geboten, wie die Bäder« Sie^ die Hetdcoi 



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- «6 — 

haben aber neben den circenses dem Volke auch Brot gereicht, 
damii es seinen Hunger stillen könne. Das röiuische Proletariat 
lagerte in Ermanglunj^ anderer Unterkünfte unter den Vorhallen 
der Tempel, was das milde Klima Italiens gestattete. 

Die modernen Christen, die wohlhabend sind« oder sich zu 
fetten Ptründen und Stellen enipoigelog;en und emporgeheuchelt 
haben, fressen und saufen sich bd den von ihnen veranstalteten 
Festen toll und voll und berluchem sich dabei gegenseitig, damit 
ihr Tun und Lassen nicht zum Himmel stinke, lassen aber die 
Armen verhungern und in den Cloaken der Stidte Schutz 
vor den Unbilden des Wetters suchen. 

Die modernen Christen üben die vom Heiland gelehiLe 
Nächstenliebe, indem sie die Spiel-, die Schau- und die X'ergnugimgs- 
sucht der Massen ausnützen und Bettler zum Besten von ikttlem 
anbetteln ! 

Der Widerwille gegen diese Unsitten der heutigen Gesell- 
schaft allein hat mich veranlaßt, in dem von mir herausgegebenen 
Werke, die auf Qrund wertloser Abschriften einer derzeit und seit 
Jahrhunderten nicht existierenden Urkunde veranstaltete Jahr- 
tansendfeier der Stadt Mfidling als eine ad hoc erfundene zu be- 
leichnen, und die Ansicht auszusprechen, daß das in den mehr* 
erwähnten Abschriften angeführte Medilihha ad Slivinihha oder 
Nominicha ultra montem Comagenum nicht mit dem heutigen 
Mödling identisch sei. 

Drei Archivare, ein alter und zwei junge, haben sich nun 
zusammengetan, um ditse meine .\nsicht, als den Glauben eines 
Laien, eines Ketzers zu widerlegen und zu verdammen und datür 
ihre Ansicht, ihren Glauben als den allein richtigen hinzustellen 
und der Stadt und der Welt durch das »Deutsche VoiksbUtt' zu 
verkünden. 

Ich bezweifelte nämlich, daß unter dem Ausdruck mons 
comagenus der Wienerwald zu verstehen sei, weil der 
Vienerwald nicht ein einzelner Berg, sondern eine Kette von 
Beigen ist, welche die Alten gewiß nicht im SinguUr, als mons, 
sondern im Plural, als montes comagenos, bezeichnet hätten. 

Darauf erwidert der Dreibund der Archivase, daß in Ur> 
inuiden des frühen Mittelalters die Form mons comagenus und 
montes comageni vechsehid fftr dasselbe Gebirge gebraucht wurde. 



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— 86 — 

Ich glaube es nicht, denn wenn man im Jahre 904 den Wiener- 
vaid mons oomagenus genannt hätte, hätte Kaiser Heinrich IL 
als er 08 Jahre ^ter, nämlich im Jahre 1002 den Wienerwald 
den Babenbeigem schenkte^ In seiner heute noch erhaltenen 
Schenkungsurkunde dieses Waldgebiet als nons comagenus und 
nicht als das Gebiet zwischen der dflrren Liesing und der Triesting, 
»inter durram Ueznicham et Criezinicham«, bezeichnet. 

Die drei Leuchten der Altertumsforschung iiioquieren sich 
darüber, daß ich es wagte, den im Wienerbecken und in der 
ungarisclien Fbene überall sichtbaren Berg bei Mainburg an 
der Donau, die im Mittelalter die emzige Verkehrsstraße zwischen 
dem Westen und Osten turopas war, als den mons comagenus 
zu bezeichnen und zu konstatiereni daß Hain bürg in Lexikons 
aus dem 16. Jahrhundert Comagenum genannt wird. 

Das wissenschaftliche Trifolium tielehrt mich, daß die Rdmcr- 
sUition, welche die Gegend an der Donau deckte, nicht an der 
Stelle des heutigen Hainburg, sondern In Carnuntum zu 
suchen sei. 

Ich danke den Herren Gelehrten und Sachverständigen für 
diese ihre freundliche Belehrung und erwidere sie damit, daß 

ich vor 60 Jahren, als Schüler der ffinften Oymnasialklasse, 
damals Poesie genannt , in welcher außer der römischen Geschichte 
römische Aiteiiiimer und Mythologie vorgetragen wurden, lernte, 
daß Hainbury uiiter den Römern ein Vorwerk und inte- 
grierender Bestandteil des belestio^ten römischen 
Lagers Carnuntum war und das heutige Tulln, das alte 
Comagenae der Römer, diesen als Flottenstation diente. Daß 
dem so war, wie man uns lehrte, beweisen die vielen römischen 
Antiquitäten, die in Hainburg gefunden werden« insbesondere aber 
die von den Römern getaute Wasserleitung , die noch heute 
Hainburg mit Wasser versorgt 

Ich hoffe, daß sich die Herren fib* dfese Mittdlungi die ihr 
Wissen jedenfalls bereichem dürfte, ebenso bedanken werden, wie 
ich ihnen für ihre mir gewordene Belehrung, die mein Wissen 
obstruierte, gedankt habe. 

Die gelehrten Herren lassen ihrer Phantasie die Zügel 
schießen und leiten den Namen des Marktes Kaumberg, das 

40 Kilometer von luiin entfernt liegt, von Comagenae, der römi- 



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— 87 — 

scfacn Boeidiiiiiiig für Tulln ab, imd entsdielden, daß daher auch 
der Wienervald als mons comageniia bezddind^ werden mflase. 
Wer das glaubt wird selig, denn den EinfUtigen gehört ja das 
Hhnmebdch! Die geldnim Heuen spötteln darttber, daß idi 
Medllihha ad Slivinihha jensefls des Leithagebirges in Ungarn 
»die, wo es nicht zu finden ist Ja wo Ist den dann, ihr er* 
kiiditeten Herren, das Slivinihha, das doch eine größere An- 
siedlung als Medilihha ^ewt^sen sein muß, da Medllihha sonst 
nicht als bei Sh'vinihha lle^tnd bezeichnet worden wäre, hinge- 
kommen? In ganz Niederösterreich ist kein Sh'vinihha oder 
Nominiha oder auch nur ein entfernt ähnlicher .Ortsnamen zu 
linden I 

Die drd gelehrten Herren deduzieren den Namen MödUng 
von Medilihha, sowie vor Jahren einer ihres Berufes ihn von mea 
dilecta herstammend erkUrte. 

Phantasiegebilde, die in halbdunklen, mottengefüllten Archiv« 
räumen gezeugt werden! 

Um ihre wissenschaftliche Brühe etwas prniefjbaier 7U 
machen, mengen ihr die Herren etwas pohtisch nationalen Pfeffer 
bei, indem sie erklären, daß Medilihha und natürlich auch das 
größere, von der Bildftäche verschwundene, unauffindbare Slivinihha 
oder Nominiha deutsche Ansiedlungen waren, und daß es daher 
goeditfertlgt cnchehit, daß die eiste urkundliche Erwfthnung der 
Ansiedlung unseres Volkes festBch begangen werde. 

Langsam, meine Herren! Keine gewao^ten Sprünge! Sie 
könnten steh sonst den Hirnkasten einstolieii! firinnert Sie der 
Name Slivinihha nicht an Sliwowitz, der bekanntlich ans Zwetschken, 
die im Siavischen auch Sliva heißen, gebrannt wird? Und da 
sie schon in Deduktionen so groß und fruchtbar sind, könnte 
man Medilihha und Medilioe nicht auch von dem siavischen Med 
(Honig) herleiten und so einen siavischen Ursprung dieser Kolonie 
konstruieren? • 

Der römische Kaiser Probus soll den Wein- und den Obst- 
bau in unseren Gegenden eingeffihrt haben und so scheinen die 

ersten Ansiedelnngen längs dem östlichen und südlichen Gehänge 
des Wienerwaldes, wo Wem und Obst gedieh, darunter MödUng:, 
Perchtolsdorf und Oumpoldskirchen, euUtauden zu seui 



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- 88 - 

So glaube ich! Sie glauben etwas anderes! Glauben heißt 
aber nichts wissen und so ergibt sich, daß wir in dieser I3eziehung 
alle zusammen nichts wissen, was Oott sei Dank, der Menschheit 
nicht zum Schaden gereicht! 

Die gelehrten Herren versidieni zum Schlüsse ihrer Ex- 
* pektoration, daß die bestehende wissenschaftliche Ansicht von der 
Identität des vor tausend Jahren genannten MediJthha mit Mödling 
dne vdllig gesicherte ist! 

lieb' Mödling, kannst ruhig seht! Drei Gelehrte haben die 
OewiBhdt tusgesprodien, daß dn die Ehre hast, mit ehiem Orte 
identisch zu sehi, der vor tausend Jahren gegen alte Measkletder 
dngetausdii wurde! Mein Mödling, was willst du noch mehr! Die 
dir zugedachte Ehre hast du mit dem Verlust von 30.000 Kronen 
teuer genug bezahlt! 

Es hat wohl erst vor kurzem ein Kollegium gelehrter Psy- 
chiater den Wahnsinn einer Prinzessin mit voller Gewißheit kon- 
statiert, während ein anderes Kollegium ebenso gelehrter Psychiater 
dieselbe Prinzessin mit vollster Gewißheit als geistig vollkommen 
gesund erklärte. Die Tatsache, daß Fachleute irren und oft aus 
bloßer Gefälligkeit absichtlich irren, bestätigen die drei verbündeten 
Autoritäten Dr. Anton Mayer, Dr* Oiannoni und Dr. Max 
Vancsa. 

■ • 

Per Obersie Oerichtshof hat eine Bntscheidung 
gefällt, die dem journalistischen Strohmännerwesen 

den Garaus macht. Bekanntlich stellen die Zeitungs- 
eigentümer Leute zu dem besonderen Zwccka an, 
beleidigende Artikel vor der Drucklegung nicht zu 
lesen und nicht zum Druck zu befördern. Man 
nennt diese Leute verantwortliche Redakteure. Die 
beleidigenden Artikel erscheinen dann doch auf geheim- 
nisvolle Weise, aber die verantwortlichen Rf^dakteiire 
werden nur wegen »Vernachlässigung der pilichtge- 
mäßen Obsorge« bestraft. Natürlich zahlt der Unter- 
nehmer die Strafsumme, m der sie verurteilt wurden. 
Die armen Teufel ahnen aber nicht, wie unsicher 
diese Aussicht ist Der Unternehmer braucht blofi eines 



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schönen Tages zu erklären, daß er nicht gewillt sei 
seinem Anjarestellten die Strafsurame, zu der er im 
Dienste des Unlernehraens verurteilt wurde, zu 
ersetzen. Der »verantwortliche Redakt eur^^ beruft sich 
auf die Abmachuiifz;, die er mit i-^ciiK^m Brotherrn 
getroffen hat, vielleicht auf einen schriftlichen V ertrag, 
der ihm den Ersatz der Summe sichert, um die er seine 
ßescholtenheit erkaufen mußte. Ein unmoralischer 
Vertrag, der vor keinem Zivilrichter bestünde. Der 
Tenmtwortliche Redakteur bekäme weder die kleinen 
Betrtee herein, lu denen er wegen Yernaohlissigung 
Obsorge oder wegen Nichtaufnahme einer Be- 
richtigung rem Besirksgenoht, nooh die grofie Summe, 
sa der er yom Schwurgericht verurteilt wurde, wenn 
es wirklich einmal gelang, ihn wegen des Vergehens 
der Ehrenbeleidiguiig zu fassen. Die Verträsre zwischen 
verantwortlichen Redakteuren und Zfitungseigen- 
türaern bind null und nichtig. Niemand wird künftig 
den Posten eines Verantwortlichen ühernehmen 
wollen, da ihm kein Vertrag — nicht einmal ein Ehren- 
wort des Chefs — die materielle Schadloshaltimg ver- 
bürgen kann; es sei denn, daß schon in der Höhe des 
Gehaltes das kriminelle Risiko berücksichtigt würde. 
Vielleicht wird die Entscheidung des Obersten Gerichts- 
hofs dem verwerflichen Zustand, der es bisher dem 
Nutsniefier ermöc^Uchte^ die Verantwortung ron sich 
auf andere Schmtem lu wäken, ein Ende machen. 

In dem leisten Proaefi, den ich gegen meinen 
einstigen Drucker führte und gewann, hatte das Handek- 
gerichterkannt, daft mir Yomgemeinsunen Unternehmen 
unter anderm auch ein Teil j euer hohen Gddstrafe rüoker- 
^tattet werden müßte , zu der ich in einem Beleidigungs- 
prozesse als verantwortlicher Redakteur der , Fackel* 
verurteilt worden war. Die höheren Instanzen waren 
anderer Ansicht. 

Der Oberste Gerichtshof entschied wie folgt: 
Was endlich die Prozel) kosten anbelangt, welche an- 
läßlich verschiedener Preßprozesse gegen Kari Kraus aufgelaufen 

tiiKl, BO muß der Ansctwuung der imterai Oeridit^ daß diese 



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40 



Kosten - abgesehen von der weiter untett zu besprechenden Geld- 
strafe — als ein Aufwand des gemeinsamen Unternehmens anzu- 
sdioi und von dem Ertrage dcsselboi in Abzug zu bringen sdeo, 
beigepflichtet weiden, weil die Verteidigung des angeklagten Redak> 
teurs und Herausgebers des Blattes vor dem Strafgerichte nicht nur 
im persönlichen Interesse des Anj^eklag^ten, sondern auch in jenem 
der gemeinsamen Zeitungsunternehniung gelegen ist, im vorliegen- 
den Falle der Beklagte als Drucker des Blattes auch eine beson- 
dere Obsorgepflicht hatte und bei der scharf polemischen Richtung 
des Blattes, weldie allerdings geeignet war, die Verbreitung des- 
selben und somit den Erfolg der Unternehmung wesentlich zu 
fördern, auch mit Gefahr drohender Strafprozesse und mit den 
daraus für das Unternehmen erwachsenden Auslagen von vorneherein 
rechnen mußte. — Anders aber verhält es sich mit der über Karl 
Kraus anläüiich eines Ehrenbeleidigungsprozesses verhängten Geld- 
strafe von 1800 K. — Diese zählt nicht zu den Kosten des Straf- 
verfahrens, sondern ist das Straffibel, wdches nach dem Gesetze 
nur den Verurteilten selbst, nicht aber dritte Personen treffen solL 
Wenn es nuch richtit^ ist, daß die Vernrteihmg^ des Heransg-ebers 
und Redakteurs wegen eines durch den Inhalt emer periodischen 
Druckschrift begangenen Vergehens auch fiir das betreffende Zei in ugs 
unternehmen die in den §§ 3ö und 37 Pr.-ücs. und im § 1 des 
Gesetzes vom 9. Juli 1894, Nr. 161 R-G.-B. angedrohten nach- 
teiligen Folgen nach sich ziehen kann, so liegt darin nur eine 
Bestätigung der oben ausgesprochenen Anschauung, wonach das 
Unternehmen als solches allerdings ein Interesse daran hat, daß 
eine solche Verurteilung nicht erfolge, dahtr der zur Erreichung 
dieses Zweckes gemachte Prozeßkostenaufwand sich als eine im 
Interesse des geraeinsamen Unternehmens gemachte Auslage dar- 
stellt. — Keinesfalls atier können diese m^^Üdierweise auch das 
Unternehmen selbst berfihrenden Nachteile als Strafe im Sinne des 
Gesetzes angesehen werden und in keinem Falle kann die Hilfe 
des Gerichtes dazu in Anspruch genommen werden, die über den 
Schuldig-Erkannten verhängte Geldstrafe auf das Unternehmen, an 
welchem er mitbeteiligt ist, zu überwälzen. Darm läge nicht nur 
dne Verletzung des im § 31 Si-Q. ausgesprochenen urundsatzes, 
daß die Strafe nur den Schuldigen treffen soü, nnd eine wenigstens 
teilweise Vereitelung des Strafzweckes, sondern es wftre dies auch 
speziell bei Vergehen ^^epren di> Sicherheit der Ehre unvereinbar 
mit den Bestimmnii;^en der §§ 493 und 261 St.-O. wonach in 
diesen Fällen die gesetzhche Strafe eine Freiheitsstrafe ist, welche 
nur bei besonders rücksichtswürdigen Umständen in eine üeld- 
strafe umgewandelt werden darf, wddi' letztere aber nach den 
Vermögensverhältnissen des Verurteilten und nicht nach dem Ver-< 
mögensstande der betreffenden Zeitungsuntemehmung zu bemessen 
ist, was doch dann der Fall sein müßte, wenn die Strafe das Un- 
temebraen als solches trdieu sollte. 



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« 



— 41 — 

Ich war Miteigentfimer und darum als verant- 
worilicher Redakteur auch mein Angestellter. Aber 
die armen verantwortIioh«Q Redakteure riskieren durch- 
auSydafi ihnen bloß dieProzeßkosten, nicht die Geldstrafen 

vomUnternelmier ersetzt werden. Wer wird künftignoch 
die pflichtgemäße Obsorge veruachlässigen wollen? 

• 

(ch erhalte die folgende Zui^chrift: 

Man hat dem Militär von altersher den Vorwurf 
gemacht, daß es für Dinge der Wissenschaft wenig 
Verständnis und Interesse besitze. Aber erst in neuerer 
Zeit hat diese Anschuldigung in höheren Kreisen ^ 
unangenehm berührt, und man war darum auf der Suche 
nach einer noch unentschiedenen wissenschaftlichen 
Prsge, die man gründlich studieren und lösen 
wollte. Da war es denn ein glücklicher Zufall au 
nennen, dafi ein gewitater Kopf, deren es im 
Reichs-Krie^sministerium viele gehen soll, auf den 
genialen Einfall geriet, erproben zu wollen, ob die 
landläufige Ansicht richtig sei, daU das weibliche 
Geschlecht gegen Unglück und Mißgeschick aller 
Art widerstandskräftiger sei, als das männliche, daß 
die Frau Kunimer, Hunger und Entbehrung länger 
und resigiiiert^T ertratr(^, als der Mann, der recht 
bald zum Alkohol oder zur Schußwaffe seine Zuflucht 
nimmt, wenn die Not hart an ilni herantritt. Man 
war an maßgebender Stelle mit diesem Experiment 
umso mehr einverstanden, als man sich sa^en mufite, 
daß man, in den größtenteils mittellosen Offiziers wit wen 
und deren unversorgten Töchtern ein Versuchsmaterial 
besitze, wie man es reichhaltiger und besser nicht 
wünschen konnte. Allerdings ging ein Bruchteil 
verloren, als man den Offiaierswitwen eine Pension 
saerkanntOi allein man war vorsichtig und Uug genug, 
gerade jene Witwen von der Begünstigung auseu- 
schließen, die ihrer am allernotwendigsten bedurft 
hätten. Mit jährlichen Gnadengaben von 100 und 



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120 fl. mufiten die Terarmten alten FraiMD am un- 
verwüstlichen Hungertuche weiter na^en, bis sich 
nach einigen Jabren siffennäßig fostat^en Uefi, daft 
die in Frage stehende Widerstandskraft gegen 
chronisohe Kut- und Magenleere denn dodi nicht 
ausreiche^ Man gab endlich auch diesen Witwen die 
normalmäfiige Pension, sie war aber für die unteren 
BLategorien von Anbeginn so kar^ bemessen, daß bei 
den jetzigen Teuerungsverhältnissen das irüiiere 
Elend in seiner ganzen Stärke bestehen blieb. . . 

Wenn die oberste Militär-Behörde fortfährt, zu 
versprechen, ohne eine wirkliche Hilfe zu gewähren, 
so kann sie mit Fug erwarten, daß hinnen 6 — 8 Jahren 
das ^anze Versuchsraaterial der Not und Entbehrung 
erlegen sein wird. Man mag dann befriedigt die 
Akten schiiefien^ das Fazit ziehen und das Resultat 
der ftiifierst humanen Foraohung der Akademie der 
Wissraschaiten unterbreiten. 



Herr Victor Silberer, bekanntlich der einzige Buchmadier, den 
Herr Bielohlawek leiden kann, beging das 25jährige Jubiläum 
der , Allgemein eil Sportzeitung'. Ein Wiener Ereignis. Beim Bankett 
feierte natürlich Bürgermeister Dr. Lueger »in launiger Rede« die 
Verdienste, die sich Victor Silberer etc. . , .Dichtdaneben saß Herr 
Wilhelm Singfr, der Herausgeber des knieweichsten Blattes von 
Wien, das zwar jeglichen Sport fördert, selbst aber unter allen 
Leibesübungen immer nur eine gßnz bestimmte betätigt und dem 
z. B. das Hantieren mit den Schwergewichten der Gesinnung nicht 
geläufig ist. Herr Singer widmet Herrn Silberer, dem der Sport seit 
Jahren schon den Appetit zum Judenfressen eriiöht hat und von 
dessen giesunder Veidaunng «di Herr Sinser durch Lokahngen- 
acfadtt flberzeugt, einen wundersdiAnen Feslartlkri. Er nennt Ihn 
dnen >t3fpi8dien Renaissancemensdien«, tdlt uns aber zu unsefer 
Bemhigung sofort mit, daB Sllberer's Vater du Wiener Magistratskom- 
mis8ir,8dn Oroßvater der fHeisdihanerRaumenrottderLainigrubewar. 
Herr Singer macht sich Oedanken darüber, wie Silberer's Mutter geartet 
gewesen sein muß. Er meint nicht mit Unrecht : »riegelsam«. (Hier hält 



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— 4»~ 

der Leser inne und vermutet, daß Herr Pötzl der Verfasser des Fest« 
trtikels ist). Und nun «örtlkh: »Von der Mutter hat der Sohn jedenfoUs 
die Fiohnatur her«» Uns ist, als ob wir ähnliches schon von einem 
anderen berflhmten Lebenskünstler gehört hätten. Was ist denn 
mit der Lust znm Fibulierai? Der andere Lebenshflnstler nnter> 
scheidet sicfa von Herrn Silberer nur dsdurdi, daB er sich nicht 
veranlaBt föhlte, >als Bankkommis nach Amerika auszuwandern, um 
dort die Journalistik, den Sport und das Geldverdienen zu lernen*. 
Dafür hat Herr Silberer sonst manches mit dem Klassiker gemein. 
Wörtlich lesen wir; »Das Wort von der ^gesunden Seele im gesun- 
den Körper' ist wieder zu Ehren gelangt, der Oeist des 
GriechentumsistindieMassengedrungen. AberVictor 
Silberer war sein Frophet<. Im .Neuen Wiener l'agblatt* 
kämpfen, wie man sieht, zwei Auffassungen des Griechentums : 
Hermann Bahr tritt für die hysterisdien, Hen* Pötzl fär die 
riegteen Griechen ein. ^ 

»Man tdegnphicrt uns aus Berlin, 22. d.: Prof. Alexander 
Strakosch verlegt Mitte August seinen Wohnsitz von Wien nach 
Berlin.« 

Eine Nschricfat, des Telegraphierens wert PCIr die Wiener. 

Der gefürchtete Rezitator, der im Schweiße seines Angesichts durch 
drei Jahrzehnte Uu IUI — ri—el A— cos— ta gesprrroclien hat, ist nach 
Berlin berufen worden, um den Schauspielern der Reinhardt-Büluie 
das noch fehlende drrramatische R beizubringen. Der Berliner 
Modernitätsglaube ist nun, so sollte man denken, wohl definitiv 
entlarvt. Herr Reinhardt niuli, so oft er nach Wien kommt, von 
verständigen Theatermännern hören, daß die Demonstrationen einer 
meisterlich gedrillten Truppe von Defektschauspielem in der Stadt 
der bei äußerster Verluderung noch immer waliren Theaterkunst 
Anmafinng seien, daß der Fidd, der ein Ensemble von Dilettanten 
ohne Lanipenfiet>er zn knnsttiusctaiden Wirlninsen führt, alle 
Achtung verdiene, daB aber die echtesten Bäume ffir eine Sdnu- 
spiellaanst, die von Pappe ist, nicht en1schädi£!en können. (Nicht 
in Talent der «enigiett Individualitäten, sondern die Energie in 
der Bdiandhing der viden Untaknte schafft diesen Osstqjieiett 
Verblfiffungserfolge). Etliche Zöpfe haben gar entdedd, dafi man 
Sfaakespearesche Verse sprechen können muß, wenn man sie durchaus 



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- 44 - 

spredien will. Ka wartet! Im nächsten Sommer waden wiranclidas 
lU^nnen. Herr Rdnhanit hatdneScbauspielsdiuJe g^STAndet und ihralt 
hervofnsendste Lehrkrrft — Herrn Stnkosch gewonnen. Herr Sto- 
kosdi veilißt Wien und rollt mit dem dramatischen R nicli 
Berlin. . . Ein alter Iirtum schreibt Herrn Stralcosch ein Verdienst 
um den großen Stil der Wiener Bühne zu. Die Spiechkunst 
des alten Burgtheaters Ist dem ödesten Sprecher, dem leersten 
Lehrer und dem besten Verbüdner von Talenten nicht den ge- 
ringsten Dank schukiig. Der veraltetste Burgtheaterton ist diesem 
dramatischen Schot ar nicht entsprungen. Daß der Berliner 
Snobismus, der sich an den äußersten Sensationen der Neuheit 
nidit gen'!gtun konnte und von der Malerei die Wirkungen beziehen 
wollte, die ihm die Schauspielkunst versagt, nach Sievoprt auf 
Strakosch verfällt, ist wirklich jj;roiesk. In Iheaterkreisen sieht man 
den Errungenschaften der neuen Berliner Schule mit heiterster 
Spannung entgegen, kolportiert man mit teilnahmsvollem Ergötzen 
die Geschichte von dem Vamch des Herrn Strakosch, Wiener 
Talente auf Berliner Boden zu verpflanzen. Er soll hier im Auf- 
trage seines Direktors fürchterliche Musterung gehalten haben. 
Eine kleine Anftngerin, der man das Qamintempersment nnd 
die Möglichkeit künftiger Gestaltung des »BUtznidd« von den 
Angen abliest, habe er, so heifit es» als Bnmt von Messina verhM 
nnd sofort für untauglich erktirt. 



AMTWORTBN DBS HBRAU8GBBBRS. 

Ltterat. Daß im letzten Heft Preßstimmen über die Aufführung 
der »Büchse der Pandori« zitiert waren, haben mir Fremide »fibeh 
genommeQ«? Wie Idnfahligt Aher es könnte mich ennatigen, In kflsfUgen 
FiUen wieder Rrefistimmen zu zitieren. Immer hat mich der Tadel der Oe- 
dankenlosen mehr aufgerichtet als das Lob der Einsichtigen. Daß sich 
die Herrschaften doch nie sagen, daß mir ihre Einwände wahrschcinHch 
früher einfallen als ihnen! Die , Facker zitiert lobende Preß- 
stimmen: auf die Absonderlichkeit dieses Beginnens braucht mich erst 
da Lner aohaaksafli zu madien! Der hUt rieh natürlich für ungleich 
getdidter als den Schreiber. Und für zwölf Kretner erwitht er das 
Recht, seiner Oheriegeaheit Ausdruck zu geben. Nur schade, daß diese 
Omnipotenz an efnem Starrkopf scheitert An einem Starrkopf, der sein 
publizistisches Tun und Lassen vor dem uni^^näiiii^^stcn Leser zu vertreten 
bereit ist und der die Fir^^ebenheit m Publikuinswünsche steia als die 
schimpflichste und korrupteste aller Abhängigkeiten empfunden hat. 



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— 46 



Mao: ich habe Preßstimmen zitiert, erstens weils mir so gepaßt hat; 
iwdtaofl» vell ich •]• Venatlalier fam dmoäiMien AufÜlumnc mit 
dem HcnmsKcbcr der ,Facl9el' nur so vdt identisch bin, lU ich mich eben 
lerpflichtet fühle, dem tftcUflch totgeschwiegenen Ereignis meine eigene 

Publizität zu leihen. Nicht der Herausgeber der ^Fackel', ?;ondern ein 
Privatmann hat die »Büchse der i-^andora« einem geladenen I^ublikutu 
vorgeführt und darum auch Hterarische Peisönlichkeiten eingeladen, 
die einer gasüreundiichen Haltung der ,1 ackel' nicht unbedingt sicher 
eete kduaen, die aber gevifi mdir Ansprach dmuf haben, Zeofen 
etner kfinsüefladicn Tat in sein, als Herr MflUer oder Fnn Kohn. Zu 
dieser Höhe objektiver Auffassung haben sich meine Feinde nicht auf- 
schwingen können. Die Wiener OroB-Presse hat ein Ereignis, das in 
literarischer, theatralischer und gesellschaftlicher Beziehung wohl die 
stärkste »Sensation« war, die sich seit langem auf einer deutschen Bühne 
abgespielt hat, glattweg unterschlagen. Weil, wie ich schon neulich sagte, 
nach eine Brandkalaatrophe nntenälagen wilrde, bei der metaie Wenigkeit 
nch irgendwie betätigt hat. Literaten, denen die Schreibefinger jucken 
rmi fiten, ließen sich von ihren Chefredakteuren Handfesseln anlegen. 
Die Herren härten mich nicht nennen, hätten nicht einmal der 
glanzvollen Mitwirkuni^ ^ler stärksten Wiener Bühnenpersönlichkeiten 
gedenken müssen. Nem, zwischen den »Juden« d^ Heiru Ischiri- 
hoir und dem Micterlfaick'schea Heiligenschnnd durften sie dem Werk 
Aink Wedddnd's nicht eine essayMiscfae Zdle widmen, und fai den 
Theaterrubriken war am Tage nach der Vorsldlung ausführlichst von 
einer Produktion des Geselligkeitsklubs »Heilere Muse« die Rede. Aller- 
hand Achtung! Aber selbst d'e Reinhardt-Leute, die doch alles M-erktätijje 
Inieressjc der Wiener Literatenschaft auf sich zogen, meinten, daß 
ein derartiger Skandal, ein derartiges Zurschautragen kleinlichster 
Oeahnmng, dne dcntUffe BenrteUung der »Büchse der Pandora« 
nach den Beziehungen det Herrn Kraus zur Presse in Berlin doch nicht 
möglich wäre. Aber war es denn nicht eine Vorstellung >vor geladenem 
Publikum«? Und ging nicht das Gerücht um, ich selbst hätte >gewünscht«, 
daß der private Charakter der Veranstaltung nicht journalistisch gestört 
werde? Auf eine spezielle Auflage hatte ich allerdings betont, daß ich 
dai Erscheinen einet Referats über die von der Behörde nur als nicht- 
öffenlUdie Vcnnstattnng bewilligte Votstellnug nicht veranlassen 
dürfe. Wenn ich gefragt werde, bin ich der Veransialter. bin ich die 
der Behörde verantwortliche Person. Als Herausgeber der .Fackel' 
muß ich bekennen, daß das Benehmen der Wiener Presse eine Affen- 
schande, daß die Scheinhcili;4keit, die plötzlich raeine »Wünsche« 
respektiert, ein Anblick zum i;j:brechen ist. Seit wann richtet sich deuu 
die Wiener Pkesse nach meinen Wünschen? Seit wann ist tie diskret? 
Und «mtm respektiert sie nidit die Bcttgeiiebnnisse der Orlfin Monti- 
gnoso, warum respektiert sie die Vorführung der »Büchse der Pandora« 
als die Angelegenheit eines Privat und Familienlebens? Plötzlich 
werden die Herren taktvoll! Mit beschLidener Zurnckhaltung nehmen 
sie davon At>stand, einegroüe Sache zu fördern, weil sie — notgedrungen — 



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— 4»^ 



einen »privaten Charakter« hatte. Die öffentlichen Herren werden 
anständig! . . . Und nun frage Ich, ob es nicht in der Richtung 
der ffackel' liegt, eia Berliner Blatt zu zitieren, das ia ausführlichem 
Dnditberidit eine Wiener VonteDung wflrdigt, die in Wien tot> 
ffesebwiesen wird? Habe idi das Lob de» ARi^penf« oder eiicli m dit 
Lob der Alltvirteiden zitiert? Glaubt dner wirklich, daß es mir dämm 
zu tun ist, mfch mit der Anerkennung gleich giltiger Feuilletonisten und 
Berichterstatter zu brüsten? Wenn der liebe Leser der ,Fackel' nur ein 
Hundertstel der Sorgfalt aufwendete, die der Schreiber der ,rackei' ver- 
geudet, er würde gemerkt haben, daß die Preßstimmen mtr so weit 
titlert «nen, alt sie die infiere Wirlcnng des Werioes bespfidieB» vm 
der günstigsten bis zur ungünstigsten. Das war notwendig, um dem 
Erfolge der Vorstellung die ihm fehlende Wiener Publizität wenigstens vor 
einem Forum zu ersetzen. Das war aber auch ganz besonders not- 
wendfg, um eine Behörde, die die öffentliche Vorstellung des Werkes 
bisher untersagt und die private erst nach langen juristisch-technischen Aua- 
dnandersetzttitfen erlaubt hat, von seiner moralischen Wirkung 
zn Überzeugen, • eine Behörde, die nttürlich nicfais dtgesm einen- 
wenden hat, wenn im Orpheum aUabendUdi über dem Verschwinden eines 
Paares der Vorhang^ mit dem Transparenf : >25 Minuten Pause« fällt, Eine 
löbliche Behörde und jene Kretins im Publikum, die die »Büchse der 
Pandora« für eine »Schweinerei« halten. Die Auffassung: fi^^ Werkes, die 
den diametralen Gegensatz zu meiner Oeschkchtsphilosupliie bildet, 
Sieht wenigsten» hn Banne eines sittenreinigenden Oevitters. 
Daß kefaies der gedraekt« Urteile roa EntriMnng Über die VorfBfanuig 
»obszöner« Dinge diktiert Ist, wollte ich den Maßgebenden zeigen. 
Und einen fackelmäßigen Zweck hatte gcm^ sowohl die Zitierung aus- 
ländischer Stimmen — im Gegensatz zu dem Wiener Schweigen — als 
auch der Kontrast zwischen den Feststellungen eines ungeheuren Erfolges 
nnd der ungeheuren Verlogenheit des ,Deutschen Volksblatt8^ . . Am er- 
binnllcfasten In allen Lebenslagen benhnmt sich doeh immer die Jour- 
nalistik. Aller Ihr schmeizlichster Lohn mag die Erfahrung sein, daß man 
sie nichtbraucht. Ohne daß ihre guten Reden sie^gleiteten, floß die 
Arbeit diesmal munter fort. Ohne ein förderndes Wörtchen der Tag^es- 
presse ist die zweite Vorstellung zastandege kommen. Zwei Tage, nach- 
dem in der ,Fackel' eine kurze Anicündigung der bloßen Möglichkeit 
einer Wiederiiolung mit unbestimmtem TMum erschienen war, waren 
mehr Anmeldungen eingdanfen, ids Karten ansgegeben weiden hoonlCB. 
Vor fibervollem Hause fand am 15. Jimi die zweite Vorstellung mit 
einem Erfolge statt, der den der Premix« noch weit übertraf. 

Zahlreichen Fragem. Eine dritte Vorstellung wird möglicher- 
weise im Herbst stattfinden. Die Besetznng: der zweiten war nur in den 
Rollen des Casti Piani, den Herr iiofburgschauspielcr Korff zn über- 
nehmen die große Freundlichkeit hatte, und der iCad^a (Irene Biaha) 
verlndert. 

De/raudoitU, Im Kunstgewerbemuseum, so meldet mir ein Ein- 
geweihter, verüble ein Beamter etat DsfraadatiMi nnd lUkhtete. Aaf 



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-4T — 



sehr sinnreiche Art fördert nnscr Staat die Defraudationsgelfiste seiner 
untreuen Beamten. Die Lieferanten, die mit staatlichen Aufträgen be- 
glückt werden, müssen mit der Lieferung auch die saldierte Rechnung 
diireidics — tmsaklierte «ftdai nicht fibemommen — und erhalten 
dum Je nach den Torhindenen Mitteln nach dnlgen Tagen oder auch 
Wochen das Geld giegea aepante Beatitigung. Der Beamte hidt nun 
die saldierten Rechnungfen von 15 Tischlermeistern in Händen, und da 
er die löbliche Absicht hatte durchzubrennen, so nahm er natürlich das 
Qeld für die Rechnungen mit: der Empfang des Geldes war ja von 
den Lieferanten darauf bestätigt. Man sulile doch meinen, daß 
flia Amt jetzt die Enterungen der Tfadilar anerkcmrt. Nebil Eb iMntft 
sich dafanf, daft ca fan Beaiii der aaMlertai Redtmuigen M nnd den 
Tischlern gegenüber keine weitere Zahlungspflicht hat. Die Tisdiler 
mfissen den Klageweg betreten und vor dem Gericht den Nachweis er- 
bringen, daß sie die Beträge, die sie im Voiaus quitijert hatten, gar 
nicht erhielten. Vielleicht wird aber dadurch der blödsinnige Usus bei 
ataatUchen Ämtern abgeschafft und untreuen Beunten die Flucht auf 
IHiIhhi AniliMidninid wuBfiitMi ^ttuchL 



Vornehmer Leser. 

^Sport und Salon', >Zeitschrift für 
die vornehme Welt<, 10. Juni 1903 : 

»Baronin Rosa Schönberger- 
WaDentefai «frent sich in der 

triiHflillg ttod der wärmsten Sym> 

pathien. Eine faszinierende Er- 
scheinung, voller Charme, besitzt 
die vornehme Dame eine (gediegene 
Bildung und ist ihre Umgangs- 
vdw geradecii entaftdKnd« Die 
anBerordentUcfa acfaöne Phui hnkUgt 
Jedem Sjporte, inabesondere abo* 
dem Rennsporte und hat auch einen 
ziemlich bedeutenden Rennstall, auf 
den man große Hoffnungen setzt. 
Als echte Ungarin ist Baronin 
Scilflqbcrger etae hocidierzige, edel- 
vttife Dane, die im Stillen große 
und viele Wohltaten fibt, Not und 
Elend jederzeit zu lindern weiß 
und bei keiner humanitären Aktion 
fehlt, mit einem Wort ein Engel, 
dem aUe Herzen zufliegen.« 



.Neues Wr. Tagblatf , 10. Jun! 1905 
»(Raronin und Briefträger).: 
Rosa Baronin Schönberger hatte 
sich gestern wegen mtadUchcr und 
titlidwr Anrtadraibeleldigung lor 
dem BetiftagerieMe Wieden zu 
verantworten. Sie hatte dem Brief- 
träger Philipp Eppel, der ihr ein 
Paket Im Werte von lÜOO Kronen 
zustellte und die Gebühr hiefür 
veriangte, nadi deaato hanA'gt n- 
genifni! »Airoganter, anvertchlmtet 
Kerl, ich schmeiße Sie hinaus !t 
undihnhinausgestofien. Die Baronin 
gab nur zu, gesüßt zu haben : »Sie 
bekommen kein Trinkgeld, weil Sie 
das vorige Mal so arrogant waren 1« 
nnd weil er mit ihr adurle, Ihn 
hinauigediingt an haben. Der 
Richter ventrteilte sie zu fanfzig 
Kronen Geldstrafe. Weg:en einer 
zweiten Klage — die Baronin soll 
einer alten Bedienerin anstatt des 
Lohnes drei Ohrfeigen gegeben haben 
- wurde die Verhandlnng vertagt« 



ja, ja, so sind eben die öffentlichen Meinungen verschieden. Man kann 
- und just am selben Tage - auch die Baronin Schönberger von 



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zwei Seiten betrachten. Ob die Daine, um sich vor allen rährlichkeiten 
der beimtdiendeti OericbtBverhandliiDflf zn Mum, bd der ZtiMirift 
für die voraehtne Welt »fwiBelMiiU bat od«' ob die ZeHKhrift f&r die 
Tornehme Welt rechtzeiti]^ die Dame auf die Unannehmlichhelten der 
bevorstehenden Verhandlung und deren Publizität aufmerksam gemacht 
hat, wer kann's wissen? iMIt Redakteuren ist ihre »Umgangsweise« sicher- 
lich entzückender als mit Briefträgern, noch nie hat sie dem Vertretrr 
einer Zeitschrift fflr die vornehme Welt zugerufen : »Sie bekommen kein 
Trinkgeld!« und am Ende spricht er sogar die Wahrheit, venn er von 
der Dame hehaiiptet, daB sie im Stillen groBe und vide Wohltaten übt 

8ammUr. Der Deiby-Schmocfc der ,Nenen Freien Pnm' Ist 
ein Schmeichler. Nach seiner Behauptung trigt eine Dame »point de 
cul« (statt poInt d'Ri^uille). Woztt einer, der so gnt deutsch kann, inunar 

wieder Fremdwörter anwendet! 

Ilabituf^. In ,Le cri de paris' (18. Juni) ist die folgende Glosse 
zu lesen, deren Verfasser trotz der echt französischen Auffassung Wiens 
als der »capiiaie huugiuise« über österreichische Verhältnisse gut m- 
formiert tu sein schebit : (C en snr e). Ne m^llBOiispaa trap de notre oensnre : 
edle de Vienne Ini rend des poinls. La semaine dcmttre, une tronpe de 
Berlin se proposait de jouer dans la capitale hongroise Le Mirarle de 
Saint-Antoine de M Maeterlinck, dont le titre allemand est: Da«; Wunder 
des heiligen Antonius. La censure intervint, car en Autriche il est 
interdit de mettre sur une affiche theätrale le nom d un vrai saint. Eile 
intima au directeur de remplacer Antonius par Antimus. Le directeor 
dbtemp^, Trois jonia apt^ nmifeUe intenrentton de k censnre «pil 
avait d6couvert qu'il existe auasi an saint Antimus. II yen a tantl Le 
directeur a dü remplacer Antimus par Antin us. Pourvu qu'on ne d6- 
couvre mair^tenant un saint Aatinus, antiement l'afflcbe finira par porter 
Saint Asi nns Censor. 

IrrsinnKjcr. Sic wundern sich, daß Sie noch immer nicht 
Psychiater geworden sind? Das wahre Verdienst kommt heute immer 
zu kurz. Aber es ginge wohl auch nicht mehr. Man sagt nimlich, daß 
«tefa die maflgebenden Kreise entschlossen haben, die Pqrchiatrie als 
Wissenschaft anfxtthnsen und sie nur mehr eine bescheidene Exlstena 
als Glaube fristen zu lassen. Die Saison schließt schlecht ab. Die 
Herrschaften, die auf diesem morschen Wissenszweig saßen, sind kläglich 
heruntergepurzelt. Der Fall Coburg und jetzt wieder der Fall Liebel : 
Ekelhafter Brachialkampf mit einem Irrsinnigen, um ihn zur i^estätigung 
des Qtttachtens der Oericfatsirzte zu bewegen. Und Prlnzessitt Lonise 
ist nonnal, wiewohl sie fir schöne Toiletten schwirmt Wir seken emfiicli, 
»daß wir nichts wissen fcOonen«. SchhiB mit dem blöden HnmbnCr 
die Menschheit so langie genarrt hatl 



BMichtlfiiny. 

In Nr. 182, S. 1, in der 14. Zdle des Mottos von raiden 
Hope ist statt »beneideten«: hmiidnim zu lesen. 

ttoansvte oad fer sni ws iU idisr MSMMtr: Karl Xrans. 
Onch von jahoda nad Sk^el, ^ea« in. Hhrtsrs Zslhualslnile 3< 

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BAND XXlll 



OKTOBtK-üEZEMBER 1905. 



Die Fackel 

HBRAUSGeoeR: KARL KRAUS» 




VERLAO ,D1£ fACKEL'. IV. SCH WIN Dü ASSE 3. 
Drack V. Jaboda & Sicg^, Wien, III. Hintere 2oUamtsstnße 3. 

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Nachdruck Dcrboicxu 



* 

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INHALT 



Nr. 185. 



Bekenntnisse. 
Ravenna. Von Oscar Wilde 
(In freier Nachdichtung von 
Felix Dörmann). 

Antworten (Das Deutsch der Deut- 
schen. Die Familie Witte in Paris. 
Diplomatisches. Was sich der Staats* 
an wall unter einem verantwortlichen 
Redaktenr vorstellt Strenge Masseusen. 
Die Piivatonods der Dotenten. Am 
der Welt des Journalismus). 

Mitteilung des Verlages. 

Nr. 186. 

Wozu der Lärm? 
Bemerkungen zur Krise in Un- 
gam. Von Franz Herczeg. 

Der BildcnUeb. 
Die Memoiren der Frau v. 
Hervay. 

Psychatrie. Von Otto Soyka. 
Ein Kriminalist über das 
Diebsblati 

Antworten (Die OoMninnpUse. 

Berichterstattung. Los von Lippay. 
Aus meiner Sammlung. Eine auf- 
•dmemseiide Hochzeit fn dar Vo- 

tivkirche). 

Mitteilung des Verlages. 

Nr. 187. 
Die Kinderfreunde. 

Nr. 188. 

Satze und Lehren zum Ge- 
brauch für die Jugend. Von 

Oscar Wilde. 
Hans und Schule. Von Frof. 

Victor Loos. 
Lob der Hetäre. Von Luci- 
anus. 

Die betrunkenen Bauern. Von 
Detlev V. Liliencron. 



Antworten (Die Polizeiexzesse. Der 
Könis; von Spanien. Die Sudermann- 
PremTere. Die Individualität des Pro- 
fessors Moritz Benedikt. Herr Oios^y 
lebt. Die Ooldmann- Plage. Eine Be- 
schwerde. Die amerikanische Sprache, 
ficidtt Lothar. Nene Hflte). 

Mitteilung des Verlaga. 

Nr. 189- 

Meine Antwort. Von Joseph 
Schöffel. 

Noch einige Leitsitze von Os- 
car Wilde 

Antworten (Zum Prozeß Beer. Die 
»Andere« von Hermann Bahr. Das 
Dentsdi des Germanisten. Ein Meiner 
Architekt. Was aus einem Polizeirat 
werden luuin. Die Krida einer Sängerin. 
Vom SchfdMteh der ,rtM*h 

Nr. 190. 

Diskrete Zusammenkünfte. 
Vorurteile.VonE^ Priedel!. 
Geld. Von Lucianus. 

Antworten (Sozialdemokratisches. 
KabtneU Dukes. Die Lage der Deut- 
schen. Emission von Winterkleidem. 
Spiro spcro. Die Ooldmannplage. Der 
Vollcstheaterskandat. Ein Gerächt. Der 
sittliche Marcel Pr6voit Hofbemt- 
Uchet. Die KfiasIlergciioMeMdiafl). 

Nr. 191. 

Der Sozialanwalt. Von Dr. Ro- 
bert Scheu. 
Zwei Bücher. Von Otto Soyka. 
Lehrmittel. Von Egon F r i ed e 1 1. 
Das schwarze Buch. Von Peter 
Alten berg und Egon 
Frieden. 

Antworten (Die Kinderfreunde. Das 
Blatt der Preisrichter. Novelli und 
SÖnnentbal. Die italienische Bearbeit- 
mg. Protektion. F^ie Hof- und 
Kammerlieteranten). 



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I 



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Die Fackel 



Nu. m W1£N, 17. OKTOBER im VII. JAHR 



BSKENNTNISSB. 

Nun ist der moralischft Niedergang der , Fackel* 
eine Tatsache, die sich nicht mehr versohl^ ieni läfit. 
Bald wird er reif sein, von energischer Hand »auf- 
gedeckt« zu werden. . . Aufdecken I Das tapfere Wort 
pocht an die Tür, die mein besseres Seihst verschlleflt, 
rührt an die Seligkeiten verrauchten Sittenzornes, 
beschwört die Zeiten, da ich auf diesen Blättern noch, 
bis es Hörer und Sänger erschöpfte, das Lied vom 
braven Mann sang. Dann begann ich um die schlimme 
Prau S5U werben, und raein Kampfesmut nahm eine 
bedenklich ästhetische Wendung. Die Freunde er- 
schraken. Wie sollte solche Vereinigung sozialen 
Willens und anarchischer Laune mö2:Uch sein? Kann 
dem Hasser der Komiption die Proshtuierurg sexueller 
Werte auch nur erklärlich scluiiien? Kann man die 
Schädlinge der Oesellsciiaft angreifen, die in Amt 
und Presse ihr Wesen treiben, und zugleich den 
sittlichen Forderungen dieser Gesellschaft eine Nase 
drehen? Kann die Hand, die käufliche Männer züchtigt, 
den Freipaft einer Dirne besiegeln? Die andere Ver- 
einigung wäre geläufiger. Daß die Libertiner der 
Wirtschaftsmoral auf Treu und Qlauben im Qeschiechts^ 
verkehr halten oder ihm die legalen Fesseln enger 
sieben möchten, ist bekannt. Der kolorierte Ehrenmann, 
der durch gefährliche Drohung Qeld für Lob und 
Bild einer kleinen Schauspielerin erpreßt, würde im 
Verweigerungsfalle bereit sein, augenzwinkernd und 
»eiiier sittlichen Überlegenheit bewußt, zu verialea, 



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daß die Dame nicht von ihrer Gage lebt. Und ist's 
nicht der Triumph staatlicher Gerecht] erkeit, daß er 
den Schandlühii verkaufter kritischer Gunst, den ihm 
sein Opfer sehiildei, zivilreebtlich eintreiben kann, 
während eine »Prostituierte«, die er etwa selbst um den 
bedungenen Lohn gepreilt hat, aus dem Gerichtssaal 
gejagt würde? Die Heiligkeit des Familienlebens, 
die Reinheit des Ehebetts, die Uneigennützigkeit 
fireschlechtlicher Wünsche — wahrüch, das sind die 
ethischen Güter, an deren Bestand kein Wucherer, kein 
Pferdedieb, kein WeohselfUlscher je 2U rütteln wagtet 
Dafi nun ein Publizist, von dem ein dunkles Gerücht 
behauptet, daß er unbestechlich sei — wiewohl kein 
Mensch sich getraut, es ihm nachzuweisen — , dafi 
gerade er an jenen sittlichen Idealen sich vergreift, 
ist ein zeitgeschichtliches Kuriosura, über das bereits 
die größten Dummköpfe^ nachzudenken bej^innen. 
Wie? Er nirinnt nicht einmal eine gutbezahlte Annonce, 
wenn ihr Gegenstand ihm nicht der Förderung wert 
scheint, und verherrlicht »kostenlos im redaktionellen 
Teile« Dinge, deren Nichtförderung sich die Mensch- 
heit den Schweiß von Jahrhunderten kosten ließ? 
Was man nicht deklinieren kann, das sieht man als 
ein Neutrum an, was über unsern Rindfleischhorizont 
hinausgeht, das pflegen wir als Sensationssucht m 
bezeic^en. Spekuliert er nicht auf das Interesse, 
das der »stoffUche« Feingehalt immerhin seiner be- 
fremdenden Weltanschauung sichern könnte? 

Wer so lange das l£fitrauen gegen Drucker- 
schwärse gepredigt hat, mag es steh sohliefilich als per- 
sönlichsten Erfolg anrechnen, daß auch seine Meinung 
als geschwärzt verdächtigt wird. Ein Jahr hindurch 
wurde ich mit der Frage belästigt, welches * Motiv« 
meinen Angriffen auf einen reichsdeutschen Schrift- 
steller zugrunde liege. In der Stadt der Verbin- 
dungen und Beziehungen wäre es unerhört, wenn einmal 
Erkenntnis und nicht ErkenntHchkeit nrtei [bildende 

£jraft bewährte* Der Angreifer ist hier ^ entweder 



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undankbar oder rachsüchtig: entweder war er vor 
sehn Jahren Tom Angegriffenen sur Jause geladen, 
oder er war nicht geladen. Nun gibt es ja gewifi 
Autoren, in . deren Stil der Hinauswurf, das abgelehnte 
Theaterstück, das verweigerte Darlehen, der unter*- 
lassene Gruft su unverkennbarem und individuell reia- 
vollstem Ausdruck gelangen. Aber warum gerade mir 
der Verdacht, dem erprobten Spürer von Zusammen- 
hängen ? Die Wiener Frage: »Was haben Sie ge^ren 
den Mann?c prallt mit ihrer aufreizenden Dumm- 
frechheit an einer publizistischen Lebensfülirung ab, die 
sich zu einem Angriff, der nicht das »Motive in sich 
selbst trägt, nie erniedrigen könnte. Auch nicht zu eineni 
Angriff auf die Gesellschaftsordnung, den man als 
administrative Maßregel entlarvt. Und die Spekulation 
wäre auch allzu dürftig. Denn seht, das Publikum weist 
eine Schweinerei entrüstet zurück, wenn es deren 
erzieherische Absicht merkt. Aber habe ich denn nicht 
oft genug bewiesen, daß mir der Wunsch des Lesers 
eher Verbot als Befehl ist? Nicht offen bekannt^ daft 
ich die Abhängigkeit vom Publikum als die schlimmste 
aUer publisistisohen Unfreiheiten empflnde, schlimmer 
als jene, au der die Ounst isahlender Finanzinstitute 
verpflichtet? Bin anderes Recht, als eine Zeitschrift, 
die ihm mißfällt, nicht zu lesen, kann ich dem 
Leser nicht einiäiunen, und die Reklamationen, die 
er »portofrei« erheben kann, haben der Expedition, 
nicht der Redaktion zu srelten. Wenn eine Nummer, 
die den Beitrag einer künstlerischen oder wissen- 
schaftlichen PersÖnhchkeit, auf deren Hilfe ich stolz 
bin, bietet, von fünfhundert Lesern ignoriert wird, so 
sehe ich darin bloß eine abfällige Selbstkritik, und 
die schlimmste Erfahrung könnte mich dann nur eu 
dem Entschluß bringen, lieber auf die Leser als auf 
den Mitarbeiter au verzichten. Ein allzuschlauer 
Geschäftsmann bin ich also doch nicht. Nur ein plan« 
voUer Verschwender, Das ist kein gutgeführtes Blatt, 
bei dem der Abfall ier Anhänger nicht durch einen 



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Willensakt des Herausgebers geleitet wird. Die Ent- 
täuschung der Leser darf iiiuiit die Oberraschuiig des 
Schrifistellers sein. Kanu er sie nicht yeiner ijebens- 
ansicht gewinnen, dann naag er lieber materiell an ihrer 
£iQtrüstung als geistig an seiner Willfährigkeit 
«ugrunde gehen. Solche Gemeinschaft mit dem bauoh- 
rutechendea Gesinde, das täglich zweimalden Wünschen 
abonniereader Familienväter pariert, würde ihn tiefer 
erniedrigen, als der vOUige Eintritt in die Sklaven«- 
legten. 

Erklären wir uns den moralischen Niedergang 
der ,FackelS wie wir wollen. Ihn su betreiben, ist 

eine Lebensaufgabe, um deren willen es sich lohnt, 
diese Zeitschrift iui Lzusetzen. Das Bewußtsein, daß 
die verbitterte Talentlosigkeit mich als den Über- 
wiüder der Korruption feiert, hat mir oft den ver- 
zweifelten Gedanken eingesehen, daß man mit (Mtieni 
der im Preßlager erbeuteten Revolver Selbstmord 
verüben könnte. Mindestens eine Fackel verlöschen, 
deren Schein zwar die Spitzbuben fürchten, aber 
die Dummköpfe lieben. Und es darf nicht se- 
schehen^ dafi der gröfiere Feind triumphiere, wenn der 
kleinere erschlagen wird. Die Gefahren, die ich hier 
so oft an die Wand gemalt, sind mir darum nicht 
sympathischery wenn ich nicht stündlich auf der 
Lauer liege, aus dem Zeitungspapier die Lumpen 
beraussttfangen. Aber nie noch hat Zustimmung einen 
Eftmpfer so entmutigt wie midi, den die ehrbare 
Unbegabung vom ersten Tage an als ihren Erlöser 
betrachtet hat. Hätte sie geschwiegen, hätte sie jenes 
Gefühl der Genugtuung, das ich auf dem Gewissen 
habe, im Herzen bewahrt oder in anonymen Briefen 
entladen, vielleicht wäre ich heute tatenfroher denn 
je. Aber ach, nn iii Beispiel hat Nachahmer gefunden. 
Das Kleinoktav der sittlichen Entrüstung ist endemisch 
geworden. Format, Farbe, Preis, Unregelmäßigkeit 
des Erscheinens, auch ein wenig Räuspern und Spucken 
haben sie mir abgeguckt. Dafi die sittliche Ent- 



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rüstung sich gerade durch unlautem Wettbewerb 
Bahn brechen mußte, war fatal genug. Aber der 
schöne Eifer jmt s Ritters, der in jedem Herbst sein 
StreitroA von Trafik zu Trafik tummelt, die Auflagen 
der im Sommerschlaf gestorbenen ,FackeP erkundet 
und sich als Nachfolger empfiehlt, ist gewifi nicht 
strafbar. Einer der Herren mit ehrlichen Absichten 
erlaubte wieder, dafi es auf die Unregelmäßigkeit des 
Erscheinens ankomme, und übertrieb sie. Die 
, Fackel' hat wenigstens die Kontinuität der Zahl, 
wenn schon nicht der Zeit bewahrt. Mein Mit- 
kämpfer bringt nicht nur den Kalender, sondern auch 
die Mathematik in Unordnung und läßt auf Nr. 2 
erlcich Nr. 27 folgen. »Wir *^ind als Konkurrenzblatt 
zur , Fackel' gedachte — versichert er in einem Rund- 
schreiben, in dem die Unterstützung der Banken er- 
beten wirdy und unter den »Antworten des Heraus* 
gebers« verspricht er, demnächst auf die Zustände in 
einem harthörigen Finanainstitut »zurtickzukommen«. 
Seine Hefte afa^r, die er an geldverdächtige Adressen 
sendet, kommen früher surfick. Woher ich das 
weift? Einsig unsere Postverwaltuug ist von d^ 
Identität des neuen Komiptionsbekämpfers mit meiner 
Person überzeugt und überweist alle yon Banken und 
Aktiengesellschaften abg:elehnten roten Hefte an den 
Verlae: der ,P'ackel'. Die Schar dieser Kämpen, die der 
Korruption durch Lumperei beikomnien wollen und iür 
die das »heute rot, morgen tot« eigens erfunden scheint, 
ist unübersehbar. Unsympathischer sind jene unter 
raeinen Anhängern, die di(^ Übel dieser Welt ausschließ- 
lich mit der Waffe übeizeugter Geistlosiirkeit be- 
kämpfen,meine Terminologie verhunzen und araSchlusse 
des Quartals es glücklich dahin gebracht haben, daß die 
Leser, zur Abonnementsemeuerung aufgefordert, sich 
nach der in den abschreckendsten Farben geschilderten 
Korruption sehnen, weil sie bei ihr weniger Lang^ 
weile SU finden hoffen. »Vorhang aufit ruft der 
Herausgeber — »Anhang wegU antworte ich mit 



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Nachdruck. Man kann die Schrecknisse einer Zeit- 
schrift, die ohne Talent »für Recht und Wahrheit 
kämpfte, nicht beschreiben. Da wechselt die lederne 
Versicherung »Wir werden auch in Zukunft getreu 
unserem Programme jederzeit. . .c mit gefährlichen 
Drohungen -ab, deren gewalttätige Humorlosigkeit 
den Leser mehr als den Betroffenen einschüchtert 
Hier wird jemandem »die gebührende Züchtigung für 
seine Schandtat« in Aussicht gestellt^ dort als die 
»einzige Hilfe gegen derartige Subjekte«: ^An den 
Pran^r mit ihnen !^« empfohlen. Natürlich »kennen 
wir emige Individuen,- denen man derlei Schandtaten 
zumuten kann«, und dafi »solche Kerle denn doch 
einmal gezüciiti^t werden müssen«, versteht sich fast 
auf jeder Seite von selbst. »Wir werden den säubern 
Herrn scharf im Auge behalten« und »Geduld, wir 
kaufen uns auch diesen Burschen« sind die mildesten 
Versprechen, die der unversührdi( he Antikorruptionist 
gibt. Er hatte sich die Reinigung- der Theatersphäre 
vorbehalten, und man kann sagen, daß er es binnen 
kuraer Frist verstanden hat» einem die ekelhaftesten 
Agenten und Direktoren näher zu bringen. Seine 
Qegner bittet er, sich in ihren Polemiken eines bes- 
seren Deutsch zu bedienen, wenn dies auch» wie er 
hochmütig beifügt, vielen Bühnenleitern »schwer 
fällen soll«. Was ? »Letzteres«. Gesinnung ist denn doch 
wichtieer ab Grammatik. Also: »Ein reelles Geschäft 
wirkt f ü r ihn, wie ein rotes Tuch für den Stier.« Natür- 
lich ist es »uns ganz egal, was dieses Individium 
von uns spricht«. Aber »nachdem eine Klage im 
Zuge ist«, ist es nicht erlaubt, mehr über das Indi- 
vidium zu sagen. Im übrigen, ^Jedes Tierchen hat 
sein Pläsierchen«, Gleich und Gleich gesellt sich 
gern« und was derlei Apergus sonst sind, die wir 
dem Brief kastengeist dieses Antikorrupt ioii ist en ver- 
danken. Sein Programm: »Die Unanständigkeit, von 
weicher Seite sie auch ausgehen mag, wird von uns 
bekämpft, freilich fra^n wir auch nach den Uisachm.« 



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7 



Sein bestes Versprechen: »die theatralischeti 

Obel stände der Behörden zu geifielnt. Die origi- 
nelle Wendung könnte einen beinahe mit den gräß- 
lichen Worten »Übelstände« und »geißeln« versöhnen. 
Diese aus »Übelständen« und »Ül)ergriffen« und nur 
wenijsren isrerechton, aber dafür geistlosen Menschen 
bestehende W eit des Antikorruptionismus ist wirklich 
ein Jammertal . . . 

Ich möchte keinem der Spitzbuben, die ich je 
gekränkt, etwas abbitten, aber — »erschüttert steh^ ichc, 
ich stehe tietbetrübt vor dem Unheil, das ich in 
den Schwachköpfen des Landes angerichtet habe. So 
war es nicht gemeint! Die antikorruptionistische 
Fratse hat mir mein Qesicht verleidet, und ich weifi 
nichts ob ich nicht heutCi vor die Wahl gestellt, 
einen echten Übelstand einem unberufenen »Auf« 
decker« yoraöge. Soll ich ein Leben lang an der 
dicken Haut des Wiener Ehrgefühls meine Stichkraft 
erproben? Meine Siegestrophäen, so trösten Freunde, 
seien die unterlassenen Gemeinheiten. Aber deren 
Statistik dürfte kaum herstellbar sein, und das Bewußt- 
sein, meine mißratenen Mitbürger nur durch permanente 
Bedrohung an ihrer Ehre zu einer Unterlassung zu 
zwingen, zeigt mir mein Handwerk im Lichte einer 
ethisch geadelten Erpressung. Nicht Gewissensfurcht, 
sondern der rote Schrecken hält von der Begehung 
einer Schlechtigkeit ab. Verstummt der Mund, der 
sie periodisch ins Land schrie, so geht wieder das 
fröhliche Qaunertreiben los, der Griff in die Brief- 
tasche des Nächsten, der allzulange heimlich nur 

Ssschafay vollzieht sich bei hellem Tage, und unter den 
iftbäumen BOrse und Presse halten gesättigte Matadore 
ihr Bfittagsscfaläfchen. Oewifi, eine traurige Möriichkeit 
Aber ich möchte sie dem häSlichen Undank der 
Wiener Öffentlichkeit, die mir hundertmal bewiesen 
hat, daß bie am Kampf bloß den Lärm, an der Ent- 
hüllung bloß den Skandal liebt und für den Aufwand 
ethischen Brnstes und stilistischer Krait nicht 



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— 8 — 

4 

das geringste Verständnis hat, reuelos bieten. 
Ihrem sittlichen Bedürfnis mögen »Aufdecker« min- 
deren Ranges, ihren Beschwerden das , Extrablatt', 
genügen. Die Zeiten sind vorbei, wo mich die Kunde 
stolz machen konnte, daß liberale Väter ihren 
sohwaogeren Frauen den Anblick der roten Hefte 
entzogen und den schon gesengten Kindern zuriefen: 
Hütet euch, je zu werden diesem gleich I Vorläu^ 
labe ich mich an jenem Urquell, dem mir unsere 
Leiden in gefälliger Natürlichkeit bu entspringen 
scheinen^ an der unerschöpflichen vaterländischen 
Dummheit. Ästhetischer Sinn hat yor der sittlichen 
Entrüstung Recht und Anteil an der Ergründung ron 
»Übelständen«. Er blickt tiefer und gibt auch der flüch- 
tigen Erscheinung die Perspektive auf Ewiges. 
Er verfole:t die Spuren menschlicher Torheit und kann, 
wenn ilin Wit7. und Furchtlosiq;keit geleiten, größere 
Entdeckerfreuden erleben als die sittliche Entrüstung, 
der phantasielose ^Informatoren« die fertigen Obel- 
stände auf den S('hr(>ibtisch liefern. Er weist auf 
Miseren, die bisher vor keuschen Ohren nicht genannt 
werden durften und die unerträglicher sind als selbst 
die Verletaung der Inkompatibilität von Kritikeramt 
und Autorenberuf. Er begreift den unerhörten Kontrast 
von Sitte und Sein^ stellt sich auf die kultur* 
mordende Heuchelei unserer Sezualethik ein und 
schärft sich für die Reform des österreichischen 
StrafgesetzeSt von der bisher nichts in die atemlos 
wartende, aber humorbedürftige Welt gedrungen ist, 
als daß sie eine Bestimmung gegen die »Erschleichung 
des Beischlafes« geschaffen habe . . . Krieg der 
Stupidiiät, ^lie die Menschheit schwerer drückt als 
die Schlechtigkeit der einzelnen. Ich habe lange 
genug den Schlaf des braven Bürgers vor 
Gaunertücke behütet. Jetzt bitte ich alle, die des 
Schutzes wert sind, sie mögen der Talentlosi^keit 
ausweichen, wenn sie ihr Nachts begegnen. Alle, die 
am moralischen Niedergang der ^Fackel' freund- 



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liches Interesse nehmen. Wir wollen ihn betreiben I 
Auch wenn es keiner glaubte, wie viel moralische 
Kraft solch em Vorsatz wecken kauni 




Ravenna«^ 

Von Oskar Wilde. 

In freier Nachdichtiuig von 
Felix Dörmann. 

Vor einem Jahr sog ich Italiens Hauch, 
Doch, nordischer f rfthling» du bist lieblich andu 
Das Feld von jungen Blumen goldig blinkt, 
Im zarten Urchenbaum die Drossel singt; 
Saatkrähen, wilde Tauben flattern hin, 
Am Himmel kleine Wolken eilig ziehn, 
Das Veilchen senkt des Hauptes zarte Last, 
Die Primel ist vor Liebesgram erblaßt, 
Die Rosen sprießen auf am Kletterstamme, 
Ein Mond, erfüllt von einer Feuerflainme : 
Das Crocusbeet, das purpurrote Blüten 
Im Kreise wie ein Ehering behüten; 



*) Diese von Jugendflammen lodernde und dennoch formvoHendeie 
Dichtung erschien im Jthre 1878. Wilde war damals Abiturient des 
Magdalen Col'.e^'e in Oxfotd. Es war das erstemal, daß Wilde in die 
Öffentlichkeit trat — als Gewinner des Newdigale Preises. Das Gedicht, 
das anch in England nahezu unbekannt bUeb, erschdnt hier mm cnten- 
mal in dealtcbcr Sprache, in dner vortreffllchett und wirldidh kmge* 
nitlen Nachdichtung:. Trag^ische Vorahnung eigenen Erlebens spricht 
aus der Stelle, wo der edle Dichter, den später der Heuchlergeist seiner 
Nation to scfaAndlich hingemordet hat, das Schicksal Byrons beklagt 

Anm. d. Heiaiiageban. 



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- 10 - 

Und alle Blumen, die der Frühling kennt 
Bei* uns in' England und sie zärtlich nennt: 
Sdmeegldckchen, die so rein zu atmen wissen, 
Und Ihr, t>estemie/ glänzende Narzissen. 
Die Mühle murrt, ins Blau die Lerche schwebt 
Und reißt die Fäden, die der Frdhtau webt. 
Der Wasserkönig schießt den Fluß entlang, 
Ein blauer Flammenpfeil, der kühn entsprang 
Der Bogensehne, aus dem buschigen Wald 
Des braunen Hänflings frohes Lied erschallt. 
Vor einem Jahr sah ich, wie flog die Zeit, 
Zuletzt des Südens stolze Herrlichkeit, 
Wo Frucht und Blüte strahlend auferstehn 
Zu unerhörtem Qlanz, wo ich gesehn 
Die märchenhaften Früchte leuchtend glühn 
Wie goldene Lampen durch das dunkle Grün. 
Volifrühling wais, reich blühten schon die Reben, 
Mit iMsen Schritten zog mein RöBletn eben 
Die weiße Straße hin, die Hufe klangen^ • 
Süß war die Luft und rein, ich war umfangen 
Von Pinien, die die Straße stolz umsäumten 
Und von Oliven, welche dOster triumten. 
Und ob Ravennas alter Größe sinnend, 
Sah ich den Tag zur Dämmerung verrinnend, 
Und dieser Himmel, blau wie ein Türkis, 
Mir plötzlich seine Flammenwunden wies. 
Bis er zu rotem Oolde war verbramit 



O Knabenleidenschaft, die ich empfand, 
Als ferne noch, weit ilber Sumpf und Rohr, 
Die heilige Stadt sich langsam hob empor 
Mit ihrer Mauerkrone grau betOrmt 
Auf meinem Roße bin ich hingestflrmt 
Im Wetthmf mit der Sonne, die da sank. 
Und eh' die Nacht das Purpurlicht verschlang, 
Das sich wie Rosen an den Zinnen [ing, 
Betrat ich noch Ravennas Mauerring. 



II. 

Wie seltsam still, kein Freudenlaut des Lebens 
Durchdringt die Lüfte, und ich lausch vei]gebeil8, 
Dft6 zur Sciulmei dn Hiitenknabe greift 
Und dne hdtre Wdae lachend pidft 
Und niemals firoher Kinderlirm durdischnitt 
Den stillen Tag, der tautlos wdtergUtt 
O Tranrigledt, o Süßigkeit, o Sdiweigenl 
Hier wird dem Herzen tiefetc Ruh' zu eigen, 
Hier lebt ein Herz, von Not und Furcht befreit, 
Hingleiten sieht es, stillen Bl cks, die Zeit, 
Verliebter Lenz wird zu des Winters Schnee 
Und kein Gedanke weckt entschlafnes Weh; 
Hier fließt der Lethe, hier erbliiht das Kraut| 
Dem das Geschick geheime Macht vertrauti 
Und wer es je genossen, der vergaß, 
Daß dnstmate dne Hdmat er besaß. 

Proserpina, das Haupt von Mohn umwunden, 
In Lotoswiesen hab' ich dich gefunden, 
Ravenna, hütend mit erblaßten Zügen 
Der Toten hdlge Asche in den Krügen. 
Wafd onfhiditbar in krfq^isdier Brat 
Andi Itogsl dein Sdioß, so hfite trotzdem gut 
Die edlen Toten, die dir anvertraut, 
Sie rOhmen ddne Ehre treu und laut 
Du Idnderlose Stadt halt gute Wacht, 
Die Toten haben ihre Zaubermacht, 
Iis wecken Träume voll Erhabenheit 
Die stillen Gräber einer großen Zeit. 

III. 

Ich seh die Säule aus der Ebne ragen, 
Wo Frankreichs kühnster Ritter ward ersdilagen. 
Gaston de Foix, du aller Ritterschaft 
Erhabner Fürst, weidi Stern hat didi entrafft, 
Du Oott des Kriegs, weldi unhdlvolks Ziel, 
An dem dn wilder Löwe kämpfend fid! 



Aus deines Lebens Lenz und Licbcsffirr 
Heran «^gerissen jah, liegst du vom Schieier 
, Des blauen Himmels freundlich überdacbti 
Zu Häupten dir des Schilfrohrs Lanzenwacht, 
Die traurig schwankt, und Oleanderblüten 
Von tieferem Rot, als jene Ströme glühten, 
Die purpurn einst aus de nen Wunden schössen, 
Bis dir der Tod das junge Aug* geschlossen. 

jetzt weiter noidwirts nach dem Grabmal sdnm 
Dem halb zerstörten. Im gewaltigen Bau, 
Errichtet von der Tochter Hand, dort liegt 

Im ewigen Dunkel, einsam hingeschmiegt 

Nach all den Kämpfen, schwer und sciiaueriich, 

Der große Ootenfürst Theoderich. 

In Trümmer fällt sein trotzii^ Grab, gefeit 

Hat nichts sein Bollwerk gegen Sturm und Zeit 

Es bleibt der Tod der stärkste Herr von allen, 

In Asche müssen Narr und König fallen. 

OroB Ist zwar euer Ruhm und doch fttr mich, 
Oaston de Foix und du, Theoderich, 
Selbst du, o große Königin wie Idein 
Erscheint Ihr alle mir vor diesem Schrein, 
Wo Dante nach des Lebens Qual und Leid 
Hinüberschlummert in die Ewigkeit. 
Im goldnen Schrein, der allen Lüften offen, 
Ruht er, von Künstlerhand getreu getroffen. 
Die feierliche Stirne frei von Sorgten 
Und kühl und luhig wie der frühe Morgen. 
Die Augen, einst in Leidenschaft gewitternd. 
In heißem Haß und heißer Liebe zitternd, 
Und diese Lippen, festgefügte Spangen, 
Die uns die Hölle und den Himmel sangen! 
Und dieses Antlitz, wie es Oiotto malte, 
Das mandelschmale, Iddenfiberstrahlte. 
An dieser Stätte ward dir Ruh geschenkt, 
Fem jener Stadt, wo sich der Arno drängt 



Mit zanberiscfaem Kansdien gelber VoCM 
Duidi brdter Brücken $to]2few6lbte Bogen. 
Wo Oiottos Campainile sich erhebt 

Und lüiengleich zum Saphirhimme! strebt. 

Du, der des Lebens Not und Sor^e kannte 

Und der Verbannung schwere Kette, Dante, 

Die allzu steilen Stufen fremder Stiegen, 

Das kleine Elend, dem sie unterliegen 

Die besseren Naturen, und empfinden 

Als bittres Unrecht dies »im Staub sich winden«, 

Die düstre Welt, sie huldigt dir und dankt 

Dir für dein Lied. Und sie sogar, umrankt 

Vom Rebenlaub, die herbe Königsmaid, 

Toskana, die dir einst ein Domgeschmeld 

Anf deine Stinie gnusam hat gesetä, 

Mit Lortwer scfamfipkt dein teeres Qiab sie jetzt. 

Erfleht umsonst In allzu spfttem Lieben 

Des Sohnes Asche, den sie einst vertrieben. 

O Mächtigster von Allen, die der bann 
Jemals getroffen, längst dein Leid verrann, 
Zu Beatricen ward dein Qeist beschieden, 
Ravenna «ahrt die Asche — schlaf in Frieden ! 

IV, 

Verödet der Palast, grau und verfallen, 

Kein Sfinger veckt ein Echo in den Hallen, 

Die Ketten an der Tür von Rost zerfielen 

Und giftiges Unkraut sprengt die Marmoidlelen, 

Verwittert blinkt im hellen Sonnenschein 

Der Löwenhiupter altersgrauer Stein, 

Lazerten huschen durch die offnen Rachen 

Geschmeidigen Laufs, und Schlangen lauernd wachen. 

Em andrer Mark Anlon, hat hier vcrsäuau 

Zwei Jahre Byron. Liebend und verträumt 

Gab er die Welt, ein neues Actiuni, hin. 

Doch nicht verwelken könnt sein Königssinn, 

Er konnte seine Leier nicht zerschlagen, 

Nicht weniger kühn die Kriegerianze tragen. 



1 



— 14 — 

Vcrgebne Müh, wenn auch ein Körii^weib 
Die Netze spann und liebend flehte: bleib. 
Aus Griechenland rief ihn ein Hilfeschrei, 
Der Freiheit Kämpfer, eilt auch er herbei — 
Und läßt Ravenna. Zu dem wilden Straten 
Sah keinen Edleren man jemals reiten. 
Kein Sparter lag jemals auf seinem Sdiilde, 
Der tapfrer war als er im Blutgefilde. 
* O Hellas, denk in allen großen Stunden 
Des Mannes, der den Tod fQr dich gefunden 
Der sprengend deiner Glieder Sklavenring 
Zur ewigen Ruhe allzu zeitig ging. 
O Salamis, o Ebne von Platae 
Voll Einsamkeit und du Thermopilae, 
Ihr windbestrichnen Höhen, still und leer, 
Du wildes, tosendes euböisches Meer, 
Nicht nur mit Worten hat euch der geliebt, 
Der Schwert und Leier willig für euch gibt 

Wie AcsGbyios bei Marathon, zum Eisen 
Hast du geUngt O mög didi EngUmd preisen 
Du kriegerischer Sänger, bester Sohn, 
Nicht länger frdft dich der Bosheit Hohn, 

Als Sänger und als Kämpfer ohne gleichen. 

Niclil langer soll wie eine Schlange schleichen 

Verleumdung sich um dein erhabnes Bild, 

Begeifernd deines Ruhmes stolzen Schild. 

Was der Olivenzweig beim Wettlaiif war 

Mit dem der Sieger leuchtend schmückt sein Haar, 

Das rote Kreuz, des Kriegers letzter Hort, 

Ein I-euchtturmfeuer führend in den Port 

Aus sturrabewegter See, der Weg zum Strand — 

War dir die Freiheit, war dir Qriechenhmd. 

O Byron, deines Ruhmes Kronen bldben 
FQr immer frisch und grfln und Rosen treiben 
Auf Sapphos Aftilylenei rote Rosen, 
Mit weidien BÜttem dir das Hat^it zu kosen. 



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- 16 ^ 

Und wo Italilias Qudte dnsun fileBt, 
Auf grünen Liditungen die Myrihe spriefiff 
Der Lorbeer wartet dein — zosammenfinden 
Will alles sich, dir einen Kranz zu winden. 

V. 

Die Pinien im Abendwind sieb bogen 
Mit dumpfem Mnnen wie empörte Wogen. 
Die schwanken Siftmme waren eingehüllt 
In Ambralicht. Die Seele ganz erfüllt 
Von bebendem Entzücken, wild und weit, 
Zog ich dahin durch Waldeseinsamkeit. 
Ein aufgescheuchter Vogel flatternd flog 
Mit scheuem Flügelschlag, und wie er zog, 
Streift er die weißen Blüten, und ein Regen 
Sinkt weich herab. Zu meinen Fülien legen 
Sich der Narzissen blasse Silberkronen, 
Auf jedem Aste kleine Sänger wohnen. 
O Wald, mit deinem Weben, rausch nur fort, 
Du bist der Freiheit letzter Zufluchtsort, 
Wo für Minuten doch der Mensch vergißt, 
Wie müde er der Welt des Kampfes ist 

Aufs neu erwacht gesunkner Lebensmut 
Und heißer roilt und fröhlicher das Blut, 
Die wir erschlagen wflhnten bmge schon, 
Die Qötter sind jefaEt In den Wald geflohn. 
Ich lauschte bmg, ob er sich wagt hervor. 
Der degenfttßige Fan, der oft im Rohr 
Sdn frohes Uebeslied pfiff zur Scfaahnei. 
Stflnd keine Nymphe angsterfOllt herbei, 
Mit wildem Kreischen aus dem dichten Wald, 
Weil sie erblickt die bräunliche Gestalt, 
Die weichbeliaarte und den Waldesgott, 
Mit seinem Schalksgesicht voll heiterm Spott? 
Diana jagt, ein königliches Weib, 
Stolz ist und fürchterlich ihr Bück, der Leib 



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So mädchenhaft und süß. Vor ihr die Meute 
Der Eberhunde, lechzend nach der Beute. 
Und in dem Fluß, der reich vorüberquillt, 
Sieht Hylas sdner Schönheit Spiegelbild« 

O müßig Herz, o holder Oricchentraum, 

Der mich erfüllt. Schon lange durch den Raum 
Die Abendglocken melancholisch schwellen 
Und Klostermahnungen ins Ohr mir gellen. 
Von liebestmnknen Blüten ganz umgfeben 
Dürft ich so süßer Stunden Glück erleben, 
Hinströmend übers Herz mir wie ein Meer, 
Weglöschend alle^, was' da schwarz und schwer. 
Wie nie vernommen, waren fortgeweht 
Die Namen Golgatha und Nazaretta. 

Vi; 

Vereinsamtes Ravennal Großes sagen 

Von dir die Bücher aus den alten Tagen. 

Zweita^iaend Jahre sind hinab gegiittenf« 

Seitdem zum königlicheji Sieg geritten 

Der große Cäsar einst aus deinem Tor. 

Wie stolz und mächtig glänztest du empor, 

Als von Britanniens Inseln zu den Wogoi 

Des fernen, blauen Euphratstromes zogen 

Die hagern Römeradler. Dir gewähren, * 

Der stolzen Stadt, die Vöikcr Königsehren, 

Bis eines Tags die plündernden Barbaren, 

Die Goten, Hunnen dein Verderben waren. 

Des Diadems beraubt, vom Meer verlassen, 

Birgst du das Elend jetzt in stillen Gassen. 

Schon lang nicht mehr auf leicht geschwellter Flut 

Ein Fichtenwaid von Qallionen ruht; 

Denn wo der Schiffe ehrne Schnäbel klirrten 

Auf schwanker Flut, dort ziehen jetzt die Hirten 

Mit müdem Schritt und pfeifen ihre leisen, 

Unendlich tiauervollen Liederwdsen. 

Und wdße Schafe grasen dort und da, 

Wft dnst die blaue Fl«t der Adria. 



17 



Trostlose, traurig schöne Königin 

In Heblicher Zerstörung stirbst du hin, 

Von allen Schwestern du allein. Gezogen 

Ist endlich doch durch Romas stolze Bpgtn 

Italiens erster König, siegreich hat 

Er seine Krone in die ew'ge Stadt, 

In ihre hohen Tempel hingetragen, 

Am Pialatin von neuem aufsescfalagen 

Den alten Königsthron, an dessen Stufen 

Die sieben Hflgd aeinen Namen rufen* 

Neapel spottet des lyrannen» lebt 

Nach langem Sdimenenstiaum» Venedig hebt 

Mit neuer Kraft sich, und dtt hohe Ued 

Von Fieifaeit, Uebe, Ucht und Wahrheit zidit 

In Genua, der stoben, siegreich ein. 

Und wo die Marmortürme Mailands ragen, 

Die Lüfte schneidend, wird es hingetragen. 

Vom Alpenwall bis zu Siziliens Borden 

Ist Dantes Traum zur Wirklichkeit geworden. 

Doch du, Ravenna, heißgeliebt vor allen? 

In Trümmer seh' ich die Paläste fallen, 

Und deine Schönheit ist dn Leichenlinnen 

Und deine Oröße Uegt entseelt darinnen. 

Wie einer trüben Kern Fhichenchcin 

Schleppt sich dein Name in den Tac hinein, 

Der strahlend für Italien entand* 

Die Nacht der dunklen Uateidrfickung schwand. 

In Qlanz und Leidenschaft hat es getagt, 

Die Hunde Österreichs, sie sind verjagt 

Und ruhen grollend hinter ihren Wällen. 

Die eisßekrönlen Alpenzitadellen 

Von West nach Ost, von Meer zu Meere frei. 

Bewachen jetzt die grüne Lombardei. 

Ich weiß es wohl, den Tod bei Lissa fand 

Manch deiner Söhne, auch im AlpenUnd 

Bei Aspromonte, in Novarras Schlacht 

Dtt hast die Opfer nicht umsonst gebracht 

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Und doch, scheint mir, du schlürftest ihn nicht ein 
Der Freiheit frischgepreßten OÖtterwdn. 
Dich hat er nicht, der ewige Stern, beraten, . 
Der V61ker fortreißt zu des Krieges Taten. 
Des Lebens mfide^ lockt dich Schlaf allein, 
Du gräbst dich in den Schatten tiefer ein, 
Verachtend der beschwingten Stunden Eilen, 
Willst bei verblichenem Qhuiz du träumend weilen. 
Der Freiheit Sonne blickt dir ins Gesicht, 
Es ist umsonst, dein Arm ergreift sie nicht, 
Die Fackel, die beim Wettlauf dir geboten; 
Du liebst den Schalten und die großen Toten. 



O wach nicht auf, laß deinen Schlummer hüten 
Von t)emsteingelben Asphodelosblüten, 
Von deinen Wiesen, lilienfiberspannt 
Bleib' wie du bist, vereinsamt und gebannt 
Du lächelst fiber alle Erdengröße. 
Armseliger Ldwnssoiigen dürftige Blöße, 
Wer würde wagen, sie dir vorzuweisen 
Vor deinen Trümmern, oder gar zu preisen 
Den Kampf, den königlicher Ehrgeiz führt, 
Von unfruchtbarem Völkeistolz geschürt! 
Der Herr der Adria, der sturmbewegten, 
Er hat dich »Braut« genannt, zu Füßen legten 
Zwei Riesenreiche dir die Königskrofien 
Und preisgegeben waren dir Nationen, 
Als Raub und deiner stolzen Xaune Beute. 
Du hast geherrscht als Königin — und heute? 
Die Tore stehen offen Tag und Nacht, 
Nur grünes Qras auf grauen Tftrmen wacht. 
Des Feigienbaums gespensterhaftes Walten 
Hat Wille und Bastionen längst gespalten. 
Wo deiner ehmen Söldner Rast]^atz war, 
Dort haust der Eulen mitternäcbt'ge Schar. 
Gestürzt, gestürzt von deinem hohen Stand, 
Im Netz verstrickt, vom Schicksal dir gespannt. 



Ravenna, nfchts hast du davon getragen, 

Aus deines Glanzes längst verwehten Tagen, 
Als einen Schild verbeult, erblindet, matt — 
Und deines Ruhmes welkes Lorbeerblatt. 

Doch wer bestimmi es» was die Zulninft bringt? 

Wer, ob im Morgengraun der Vogel singt? 

In Nacht voll Angst und Krieg, wer kann genießen 

Vom ruhigen Turm der Zeiten Nahn und Fließen? 

Selbst du erwachst vielleicht und ringst dich los, 

Sowie zum Purpurglanz aus Orabesschoß, 

Aus Nacht und Schnee die Rose aufersteht, 

Wie reifes Korn, das rot und golden weht 

Vom braunen Orund, der heut noch steif gefroren; 

Und nach dem Sturm wird ott ein Stern geboren. 

O heißgeliebte Stadt, weit komm ich her, 
Um meine Heimatinsel spült das Meer; 
ich sab aus der Campagna ödem Schweigen 
Geheimnisvoll und düster langsam steigen 
'Des Domes Kuppel über Himmels Rand, 
Umldeidet von des Morgens Purpurbrand. 
Und In der Vdlchenstadt bab ich gesehn 
1^ Sonne von Korinthus untergehn, 
Und von den Hflgeln, von den sternenhellen» 
Des blühenden Arkadien, hört ich schwellen 
Ans Ohr mir das »unendfidte QeUditer« 
Und den Gesang der frohen Meerestöchter. 
Doch wie die Taube zu des Nestes Kuh, 
Fliegt meines Herzens Liebe Dir stets zu. 

O Sladt des Dichters! Einer, der gesehn 
Kaum zwanzii^mial den grünen Sommer gehn, 
Des Herbstes farbenfrohes Kleid zu tragen, 
Wie könnte der die tolle Kühnheit wagen, 
Die Leier wecken für ein lautes Lied 
In dem dem alter Ruhm vorüberzieht ! 
Es klingt so arm und schwach die Hirtenflöte, 
Wenn wilder Tubascbrd das Rechte böte. 



fodifitternd mfifit es sidi zum Himmd heben 
Und wie dn Flammenhaudi voröbencbweben; 
Ein Wahnsinn wSr, ich weifi es, mein Beginnen 
Und doch und doch, ich fühlt es niemals rinnen 

So edel und so feurig mir durchs Blut, 
Niemals hab ich gefühlt so süße ülut, 
Wie damals, als des Rosses Hufe schlugen 
Dumpfdröhnend durch das Schweigen und mich trugen 
In die geliebte Stadt zum erstenmal, 
Nach langen Tagen müder Arbeitsqu^. 

VI!. 

Ravenna, iebewohl! Ein Jahr entschwand 
Seitdem ich einsam an den Sümpfen stand. 
Wo die Kapelle ragt, seit ich gesehn 
In Purpurglut die Sonne niedeigiehn. 
Der Himmel war ein Schild, mit Blut befleckt, 
Anf dem Im Todeskampfe hingestreckt 
Die Sonne Ug. Des Westens Wolkenscfaaren, 
Sie fOglen sich zu einem wunderbaren, 
Zu einem Königskleid voll dflst'rer Pracht, 
Bestimmt für eines großen Gottes Macht, 
Indes der Herr des Lichts die üoldgaleere 
Versinken ließ im Purpurathermeere. 

Und in der süßen Ruhe dieser Nacht 
Ist die Erinnerung an didi erwacht, 
Und schwellend steigt es» wie dn Meer, empor. 
Und all die heiße Uebe bricht hervor. 
Der Lidie und des Frühlings zartes Qrfin 
Wird abgelM vom stolzen SommerbIflh'n 
Auf Wiesen und auf Bäumen; bald, gar bald 
Erfolühfs im Oraae bunt und mannighilt. 
Und Lilien steigen aus dem dunklen Boden, 
Bis sie der Knaben Hände spielend roden. 
Und dann besiegt für eine lange Zeit 
Der reiche Herbst des Sommers Üppigkeit 



— M ~ 

Und «as er sdiliu dem Jalue könnt' entdeb'n» 
An alle Bäume gibt ers wnchernd hin, 

Sein aufgehäuftes Oold, und sieht erregt, 
Wie der Verschvcender Wind es ihm verfegt. 
Kalt naht und rauh der düstere Winter dann, 
Bis endlich in sich selbst das jähr verrann. 
So schreiten wir aus unserer Frühhngszeit 
Hinüber in des Sommers Mannbarkeit, 
Und schließlich fallen wir in Sorg und Not 
Und manches böse Schneeloch uns bedroht. 
Nur Liebe kennt kein Wintern und kein Sterben 
Und fürdttet nicht im Sturme zn verderben. 
Ravenna, niemals, niemals wird entschwinden 
Für dich der Seele liebendes Empfinden, 
Wenn auch die Uppe unseleak und leise 
Nur schwache Laute stammelt dir pm Mae. 

Lebwohl, lebwnhl, schweigsamer Abendstam, 
Der Nacht Gesandter, leuchtest hin so fern, 
Heimlenkst du Hirt und Herde von den Weiden. 
Vielleicht, noch ehe sie die Garben schneiden. 
Der goldnen Adiren windbevegte Welt, 
Eh' noch das erste Blatt vom Baume fällt, 
Erblick ich dich — und mit der Demut Neigen 
Bring' ich die Lorbeerkrone, die mein Eigen. 
Lebwohl, lebwohl, der Mond, der Mitternacht 
Mit seinem Si Iberlicht zum Tage macht, 
Gewiß auch um die heil'gen Stätten schwebt. 
Wo Dante schläft und Byron hat gelebt 



ANTWORTEN DBS HBRAU8GBBBRS. 

DetUsdker. Den Deutschen in Österreich — ich meine die mit 
dar »Lage« — kann man alles nachaigeQf aar nicht, daB de dentsch 
kfluen. Naa verlangt man ja von Nienumdem, nnd am alterweaigiteB 

von einem biedern deattdian Mann, daß er den Tücken adaer Sprache 

gewachsen ist. Solch Verlangen i^t aber gewiß dort nicht unbillig, wo 
der Deutsche sem Deutschtum selbst im Munde führt. Aufrufe zum 
Bei^iel, die von deutscher Qcsinnunk: übttquellen, dürfen der deutschen 
Sprache keine Schande antun. Da wurde jetzt, um dar Not der Ztit endgiltig 



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— 2S — 



abzuhelfen, ein Verein > Heimat« gegründet, der der >Hebune 

historischer und kulturhistorischer Ziele in Deutf;rhösterreich< dienen 
soll. Er wurde gegründet trotz der besseren Erkenntnis : >Wie die Pilze 
schießen heute bereits Vereine und Gesellschaften über Nacht empor 
und trregt dicK Orflndennit in der Tat bd den olt ntcbtesiieeiiden 
Zwecken boreditist» Bedenken«. »Und erregt« ««r ja zn emrtcn; 
aber man kann immer noch eher Ziele heben ala bei ZvecVen Bc denken 
erregen. Warum wurde der Verein trotzdem g-egründeT? Weil die 
Deutschöstcrreicher alljährlich zu Tausenden Roihenburg ob der Tauber 
besuchen und *nicht ohne Neid auf die prachtvolle g^länzende Durch- 
führung der Erinnerung an die Belagerung der Stadt 
dnrch die Schweden blicken«. Die »DnrdiflUirung derEdnnenmg 
an die Belagerung« lat Ja sewiB praditvolt, nur weiß »an nidbt, ob 
man den Schweden die Durdifülirung oder die Belagerung zu danken 
hat. jedenfalls bloH die Belagerung^, denn es heißt später ausdrücklich 
noch einmal: »Groß und Klein ist in den Trachten der Zeit früh Morgens 
bereits auf den Beinen und mit großartigem Erfolg wird das Ganze 
durchgeführt.« Und »was in Deutschland möglich, sollte bei uns 
in Öiimeicii in deutschen Landen nicht durchführbar aein?« 
Bekanntich nicht immer. Aber dem Verein »Heimat« wird's diesmal gelingen. 
>Bereits wurde heuer im Frühjahr in Wien durch die Veranstaltung 
des Veilchenfestes ein schwacher Versuch gemacht, der einen vollen 
Erfolg in Bezug auf die Teilnahme und den Besuch hatte«. Und so 
fort in bestem Comptoirdeutsch. Dabei wiii der Verein »auf deutscher 
Orundlage durch Wort und Schrift« seine Ziele fftrdcra. »Wir wflnschen, 
daß nnaere Hoffniing nicht fehiacfalftgt nnd unsere Bestrebung anr 
eUiiadien und wirtschaftlichen Hebung der Deutschen in Östamich bd> 
tragen wird<. Ob auch zur grammatikalischen? Voilaufig verspricht der 
Verein, dal5 »bereits demnächst Ortsaus?chfis^c sich t)ilden wo'den«. 
Das icann nicht schaden. Denn die deutschen Abgeordneten. Schrifsteller, 
Lehrer, Archivare und Beamten, die den Aufruf üi die Weil schickten, 
glauben gewiß, daß sie ea nidbt mehr nötig haben. 

Higtoriker. In der auswärtigen Politik bat'a in dieaem Sommer 
schon vor dem medensscblnß Ereignisse gegdien, die Herrn Friacfaaner 
außer Atem brachien. Witte in Paria. Die »Neue Freie Presse' ließ sich 
depeschieren: »Madame Witte trug ein graues Tuchkleid und einen 
einfachen, schmucklosen Hut < Ihr Enkelkind wird von der Amme auf 
dem Arm gehalten. »Die Kleine blickt mit ihren hellen blauen Augen 
herzig in die Welt. Die junge JVlutter und die Großmutter nahmen die 
Amme in dieMÜte und verließen mit ihr den Bahnhof . Eine Dienerin 
trug einen Korb mit den notwendigen Effekten der 
Kleinen nach.« Femer : « dauerte geraume Weile, bevor Fran Witte 
und ihre Tochter Wagen fanden. Frau Witte stieg mit der Amme und 
einem Stubenmädchen in einen der berttchtigten Pariser Eioapänner.« 
Ihre Tochter fuhr mit einem andern Einspänner. 

Wahnsinnig gewordener JUiplom it. »Bevor aber König Oskar 
das I^ttcben des norwegischen Storthing bewilligt, einen Prinzen seines 



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— 23 — 



Htnaes iit delegieren, mflOte der schvediiche Rddistag die Bedingung' 
oflUlen, die der König geildlt hat: d«6 tudi dieser Refdniag den 
Wunsch «Mpricht. der Köllig möge der Kandidshir eines Prinzen ans 
dem Hanse zustimmen«. 

Bemer Tor. In dem stenographischen Protokoll der Sitzung des 
österreichischen Abgeordnetenhauses vom 8. Juli d. J. ist die in einer 
Interpellation voi] Schönerer und Genossen wörtlich wiedergegebene 
Anklageschrift gegen Wilhelm Philipp Hauck auf Seite 31.209 ff. 
abgedntckt Ea heißt dort: »Da es aber «ohl selbstversOndlich ist, daß 
der ffir die Tendenz seines Blattes versntwortliche Redakteur vor allem 
die Hanptrnbrik selbst redigiert, so ist ancfa mit vollem 
Grunde anzunehmen', daß . , .« Ferner: »Wenn e?; ?omit schon im 
allgemeinen ausgeschlossen ist, daß die Redaktion eines so kleinen 
Blattes ihren verant wortl ichen Sch riftleiter (und wäre 
das ein noch so unbedeutenderMensch) ignorieren und 
Aber seinen Kopf hinweg BrandartilBel in die Wdt senden 
Unnte . . .< Ja, was sich nnr so ein Wiener Staatsanwalt unter einem 
Terantwortlichem Redakteur vorstellen mag! Ich glaube nicht, daß alle 
Redaktionsdiener, die sich durch die Übernahme dcs Postens eines ver- 
antwortlichen Redakteurs , einen kleinen Lohnzuschuß verschallen , die 
Hauptrubrik redigieren. Wenn sie aber gerade den Boden reiben, so 
ht es immerhin möglich, daß über ihren Kopf hinweg Brsndartil»! in die 
Vtit gesendet werden. 

Sirenge Mam t tu . Idi habe schon einmal ansgef&hrt, daß der 
peinliche Eindruck Ihrer Annoncen nicht in der Sache seihet, sondern 

io dem publizistischen Mittel begründet ist, dessen Sie sich zur Förderung 
einer guten Sache bedienen. Die Verbindung mit der , Neuen Freien 
Presse' ist das Anrüchige. Ich unterschätze nicht den Wert der strengen 
Massage, und ein Mädchen, das diesen Beruf erwählt hat, dient offenbar 
(hwm dringenderen Bedihrfnlsse weiter Kreise des Publikums als etwa 
etat öder Ldtsrülder oder ein blödsinniger Soniitagsbumorist. Sie nad Ihre 
Kolleginnen sollten nicht im Nachtrabe dieser Gesellschaft erscheinen! 
Und glauben Sic denn, daß die redaktionelle Duldung Ihrer Annoncen 
wirklicher Erkenntnis Ihrer Vorzüge entspricht? \X'o]len Sie denn von 
einem Blatt, das sich bei jeder Oclti^ciiheit — im (jerichtsaal über die 
Perversität eines Angeklagten und im Feuilletonteil über die Perversität ein^ 
Dichters - tittlich ecfaaafllert,Versandnb für Ihre Bestrebungen verlangen? 
Nein, die Lente haben es nnr auf Ihr Geld abgesehen I Hitte die ,Nene 
fteie Presse' (die in diesem Sommer zum erstenmal das Wort »Syphilis« 
3tt?gesprochen hat, ohne daß ihre Leser an?Tr«;terkt wurden) einigte 
Sympathie Itür das, was Sie wollen, sie zwänge Sie nicht zu dieser un- 
würdigen Jagd nach Pseudonynjcn. Denn wenn die »Wanda Massochin« 
vom Juli im August »Madame Sachomassoch« und im September »Wanda 
Sichomas« hdßt — wer soll sich da noch anskennen? 

Argt. JMinister Harte! ist nicht mehr, aber eine seiner kielen 
ministeriellen Lebensäußerungen ist der Überlieferung wert. Sie schrieben 
dsBials: »Herr t. Härtel hat unter dem Vorwande einer Interpellations- 



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— 184 — 



Beantwortung eine Reklamerede für die Privatpnuris der Professoren und 
oamentlich der Dozenten gehalten. Da er sie nicht bezahlen kann, da 
adiie Votgänger to viele (vie er zngdMii umB, obne genügendes Ver- 
dienst) ernannt haben. Also «enigstens genficeoden Verdienst! Härtel 
hat aber daneben die praktischen Arzte heruntergesetzt: die Dozenten 

<^eien von vornherein als tüchtTj^er anzu'^ehen. Die?e Werhing ist unrichtig: 
nicht Qie für theoretische Arbeiten verliehene Dozentur, sondern nur 
die umfangreiche praktische Ausbildung im Spital, eventuell 
die verantwortliche Stellung als Assistent macht — abgesehen 
m den menschlichen Elfcnsehiflen — den tflchtigen Arzt Theoretische 
Laboratorinnisarbeit zieht oft nnr vom ]&anl»nbett, von der Idinitehen 
Arbeit ab. Wissenschaftliche I^higkeit hat mit klinisch-praktischem Talent 
nichts TU tun. Der Dozent ist rntürlich anch Spezialist; nur zu oft 
aber überschreitet er das Gebiet seiner Kenntnisse und ist — als Dozent 
für Kinder- oder Frauenkrankheiten - Hausarzt oder mischt sich in 
andere Fächer hinein. Nicht zu vergessen die Dozenten und Professoren 
fOr rein theoretiscfae Ficher (z. B. Geschichte der Medizin, eiperimentelle 
Pathologie), die ohne jede praktische Ausbildung Praxis ausüben unter 
dem gefälschten Titel. Wie leicht auch unfähigen Proteg^ und Professoren- 
Söhnen und -Neffen die Erlangung der pozentur ist, hat die ,Fackel' 
schon öfters dargetan«. 

Leser. Ein kiemer Ausschnitt aus der Welt des Journalismus. 
,£xtrabiatf, 8. Oktober: »Am 22. v. M. hat .sich in dem StammscfaloMe 
des Esrl of Strathmore. Qlamit Castle, ein emster feierlicher Akt voll- 
zogen, der nicht nur fflr die engere Familie von Bedeutung ist, sondern in- 
^oferne auch fnr die allgcm eine Ö f f en 1 1 i c h k e i t Interesse 
hat, da es sich um ein mysteridaes f amiiiengeheimnis handelt« 



MITTEILUNG DES VERLAGES. 

Jene Herreti Buchliändler und Abonnenten, die sich in den 
letzten Monaten des Erscheinens der ,Fackel' über die auffallende 
Nicfaterledigung ihrer Wünsche und die Nichtachtung ihrer oft und 
oft wiederholten Urgenten zu beklagen hatten, werden !iachträs[lich 

um Entschiildij^iing: gebeten. Die Oewissenlosipkeit und Unfähig- 
keit eines inzwischen entbssenea stellvertretenden Beamten, der - 
ohne gewinnsüchtige Absicht, ohne irgend einen erdenklichen 
Grund — last alle Abonnementsau 1 träge trotz gebuchter Zahlung 
unatttlgdfihrt ließ, hat die Administratioti der ,raiCker in einen 
Zustand beispielloser Verwahriosung gebracht, der eist bei nach- 
träglicher Revision entdeckt wurde, die Verspätung des Wieder- 
erscheinens der Zeitschrift verschuldet hat und längere Zeit noch den 
ordentlichen Gang der Versendung hemmen wird. Dafür sei im 
Voraus Nachsicht erbeten. Soweit sich der angerichtete Schaden 
feststellen ließ, soweit aus den hinterlassenen Papieren jenes An- 
gestellten der ,Fackel', der in ihrer Administration wie in Feindes- 
land gehatist hat, die Wünsche der Besteller erraten «erden 
konnten, sind sie unverzüglich erfüllt worden. Weitere Reklamationen 
*- der Nummern oder der Rückzahlung, falls die Zusendung des 
Blattes jetzt nicht mehr gewünscht wird - wolle man an deu Verlag 
der ,Fackel' gelangen lassen. 

Hcruugeber und verantwortlicher Redakteur: Karl Kraus, i by Google 



Die Fackel 



üb: im WIEN, 26. OKTOBER IMS VII. JJUtt 



Im Wiener Preßlager herrscht mehr Freude über . 
einen reuigen Gerechten, als über neimundneunzig 
Sünder. Man glaubt — so melden Staffetten — aus 
meinen »Bekenntnissenc die Hoffiiang auf ane nun- 
mehr anbrechende Schonzeit ableiten su dürfen. Man 
glaubt, die ^Fackel* habe ein »neues Programme ent* 
wickelt Ich wuftte nicht, daft die Wiener Journalisten 
Analphabeten sind. Da ich bisher immer nur an- 
nahm, daß sie nicht schreiben können, überrascliL 
es mich, zu erfahren, daß sie auch des Lesens 
unkundig sind. Ich habe, heißt es, die Flinte 
ins Korn geworfen. Daß ich dann die Kornwucherer 
erschlage, statt sie zu erschießen, verstehen ihre 
journaHstischen Anwälte nicht. Sie lassen das Motiv 
der Stimmung des Schreibers und die Selbsthprrlich- 
keit seiner Anschauung nicht gelten : sie, die gewohnt 
sind, die Anschaimng ihres Ohefredakteurs aus der 
Stimmung ihres Administrators Yor dem Publikum su 
entwickeln. Aber sie sollten gegen mnen Schriflstri- 
1er, der den Mut hat, seine Mutlosigkeit so offen m 
hekexamkj doch mifitrauischer sein. Ich habe, wie so 
oft schon, gestanden» daß mir Mitkämpfer einm Kampf 
verleiden können. Ich habe den Freund verraten. Den 
Feind gebe ich darum so bald nicht preis. Aus der Be^ 
8orgnis,daß Gesinnung ohne Talent der feindlichen Sache 
nützen, daß die Gottverlassenheit meines antikorrup- 
tionistischen Anhangs die Preise der Korruption in 
die Höhe treiben konnte, ist auf raeine künftige 
»Haltungc kein für die Wiener Presse erfreulicher 



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Schlufi mx siehen. loh habe die Dummköpfe für has- 
senswerter ds die Spitzbuben erklärt Und wenn ich 
die Spitzbuben fortan aus dem Spiele liefie — wieso 
bliebe dann die Wiener Presse aus dem Spiel? Warum 

frolilockL sie ? 




Bemerkongw zur Krise in Ungarn*). 

Von Franz Herczeg (Budapest). 

Die chronische Notlüge des Dualismus ist ja schon 
lange angefault. Als die beiden Staaten sich Tor acht- 
unddreißig Jahren abaufinden und einzurichten hatten, 
da suchte man in Wien über den Paragraphenköpfen 
des Ausgleiches hinweg den Schein d^ Oesamtmon- 
archie zu retten, in Ungarn aber bemühte man sich 
den unabhängigen Nationalstaat einzurichten. Die 
Gesaratmonarchie fiel noch ziemlich imposant, aber 
bröckelig aus; der Nationalstaat war rudhuentär, aber 
entwicklungsfähie:. Wo die beiden Gefüge in Reibun|2f 
kamen, da umwickelte man die Kanten mit der dehn- 
baren, weichen und verlo Irenen Phraseologie des Du- 
alismus. In dieser Phraseologie hat jedes Wort seine 
doppelte Bedeutung, eine für österreichische und eine 
für ungarische Bedi^fnisse. Wenn Wiener Exzellenzen 
nach Budapest kamen, da beantworteten sie die Inter- 



•) Der bedmtende nncirisdie ScbriMdler hatte die Rcmidlich. 

keit, diesen Artikel für die ,Ptckel' zu sducflNan. Die deutschen Kenner 

und Verehrer seines Namens wird es freuen zu erfahren, daß er keine 
schwere Verletzung erlitten hat in dem Zweikampf, den er mit einem 
Abgeordneten der Unabhängigkeitsparte! — zufälligerweise an demselben 
Tage, an dem er mir das Manuskript übersandte — auszutechten hatte. 

Am* d. Htnnuii|di* 



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pretationen ungarischer Staatsrechtler mit nachRich- 
iAgom Schweigen, wenn aber unsere Minister nach 
"Wien gingen, dann heuhen sie mit den österreichischen 
Wölfen und knirschten nur in den Kunstpausen mit 
<ien Zähnen* Eb lap: in der Natur der Sache, daß man 
in 'Ungarn, wo man auf die Zukunft gröfiere Hoff- 
nungen setzen konnte, diesen Hoffnungen su liebe 
auch fröhlicher und mehr loe. 

Der jeweiligen ungariscnen Regierungspartei fiel 
die oft recht pemliche Aufgabe zu, die dynastische 
Interpretation des Äusidciches mit dem Leibe bu decken, 
Sie bediente sich dabei des G3mi8chen ^Kniffes, alle 
.nationalen Forderungen, selbst die gerechtesten, sobald 
sie nur in Wien unerfüllbar schienen, contre coeur 
niederzustimmen. Die Majorität sagte zu allem, was 
ihr unerreichbar schien, sie wolle es nicht haben, und 
rettete dadurch die Fiktion des souveränen ungarischen 
Parlaments. In der liberalen Aera nahm das Verhältnis 
zwischen Krone und Partei die Form eines soliden 
Pachtverhältnisses an. Die Partei zahlte pünktlich 
ihrw Tribut an Qold und Blut, hielt sich von den 
sakrosankten Gehegen der äußeren Politik in ehr- 
fürchtiger Entfernung und durfte dafür im Innern 
irei schalten. Nach Außen hin diente sie der Gesamt- 
monarchiei und um ihr Gewissen zu beruhijspen, pre- 
digte sie im Innern den souverftnen Nationalstaat 
mit wahr^ Flagellanteneifer. 

Ich will keine Ehrenrettung der liberalen Partei 
versuchen, will aber bemerken, daß ihr Verhalten 
nicht mit den Motiven des Machthungers zu erklären 
ist. Die konservativen Elemente, welche sich mit Vor- 
liebe um ihre P^ahnen scharten — denn der Name 
war seit langem ein bloßer Name — , waren der Über- 
zeugung, daß der ungarische Parlamentarismus, wenn 
•man liin seines Lügenge waades entkleiden woHte, das 
Zwitterhafte und impotente seines Wesens verraten 
müßte. Man fürchtete die Wahrheit wie eine nationale 
Katastrophe und log aus patriotisch beängstiglem 



J 



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Heraen heraus. Man hielt die Nation für m schwaohi» 
um ihr Brbreoht gegenüber Osterreioh und den Natio*- 
naUtäten rerfechten eu kdnnen» und ▼ertröstete sich 
auf spätere Zeiten. 

In Ungarn fußt jede Parteipolitik im Boden der 
Gesetze »de independentia regni Hunganae*. Der 
Parteigeist dreht sich nie um das Was, nur um das> 
Wie. Wie ist die mit einem Ber^e von Gesetzen garan* 
tierte Unabhängigkeit des Stefano reiches zu realisieren?' 
Die Unabhängigkeitspartei glaubt, oder tut, als glaubte- 
gie, daß der souveräne Nati mal Staat mit einfacher 
Stimmenmehrheit zu votieren wäre. Die 67er Parteien» 
hingegen behaupten, daß die Nation sich vorerst die- 
soBialen und wirtschaftlichen Vorbedingungen der 
Macht erwerben müfite, dann würde ihr f^utes aber 
hohles Recht sich automatisch mit dem« erwünschten 
Inhalte füllen. Man darf bei Beurteilung ungarischer 
Parteiverhältniflse nie yermisen, dafi es politisch» 
Qipfel ^bt, wo sich alle Parteien treffen^ und dalt 
das nationale Leben seine federnden Punkte hat, be» 
deren Berührung sämtliche Parteischranken über Nacht 
fallen können. Bei gleicher Gesinnung ist es eine 
Frage des Geschmackes, des Temperamentes oder der 
gesellschaftlichen Verbindungen, in welchem Partei- 
lager man steht. Graf Apponyi, dessen empfindsame 
Künstlernatur bis ins Feldlager der Achtundvierziger 
hinübergegroilt liat, konnte unläns^st in SzaJ^adka mit 
vollem Rechte sagen: »Meine Prinzipien haben sich 
nur in der Form geändert«! Das kann jeder anstän- 
dige Ungar sagen, welcher seine Parteistellung änderte 
Bs ist gewiß nur ein Geburtszufall, daß Kossuth, diese 
feierlich»matie Hofratnatur, heute Führer der Unab- * 
hängigm ist, und ein fthnUcher Oeburtesufall ist es^ 
dafl Graf Tina, ein kalvinisoh-fiinatisoher Cassius,, 
höfische Politik macht. 

Die jetsige Krise begann als infames Partei- 
manüver. Einige Unholde der Unabhängigkeitspartei,, 
gelangweüt durch die Hoffnungslosigkeit der eigenenr 



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Ikislenz, walKen fikasdal haben, um in ihren Wahl- 
kreisen sich reden au machen. Die Tomrimieren 
filemente der Partei fOhtten heftigen Bkel. Die Hinter» 

iDänner im Alföld, der aohtundvierziger Liandstunn, 
•wollte nicht recht in den Sattel steigen. Das Volk 
aerquälte sich ja seit langem in Unzufriedenheit, aber 
cseine Klagen bezogen sich auf wirtschaftliche Fragen. 
Wenn man ihm vom deutschen Kommando sprach, 
-dann wollte es von der Grundentlastung hören. Der 
nationale Gedanke hatte in letzterer Zeit allerdings 
an Schnellkraft gewonnen, er entriß sich aber auch 
zugleich der Führung der moralisch arg herunter* 
gekommenen Unabhängigkeitspartei und erhob sieh 

gwifisermaSen über die Parteien. Er hatte mit den 
»werbepatcioten des Abgeordnetenhauses nicht viel 
«nehr au tun^ als der LibmUsmus mit der liberalen 
Partei. Oana Jung^tTnffarn lebt und atmet ja heute 
in der Sphäre der XJnaUiängigkeitsidee. In den könig-* 
•liehen Staatseohulen, aus den Spalten der Begierungs- 
blätter, aus dem Munde königlicher Minister hören 
sie es täglich, daß Ungarn ein unabhängiger Staat 
-sei. Der apostolische König ist nebenbei auch 
Kaiser von Österreich, aber Ludwig der Große war 
ja auch nebenbei König von Polen. Nie wußte Jemand 
den Jungen vernünftig zu antworten, wenn sie fragten, 
weshalb eigentlich der König im Auslande wohnt und 
sein Land ,per Draht regiert, weshalb die ungarischen 
Regimenter deutsch kommandiert werden und weshalb 
<iie ungarischen Botschafter im Auslande biofl fremde 
OB^laggen führen. Die Denkungsweise dieser Jugend 
*ist das Produkt eines kömgUoh ungarischen Bkaiehungs- 
«jnitemsy und wenn sie aus der ofibiellen Interpretation 
«der Staatsgesetae die Folgerung aiehn, dafi ihrem 
y aterlande ungebenres Unredit gesehehe, dann denken 
-sie logisch. 

Daft das Lager der Unabhängigkeitspartei unter 

solchen Umständen nicht schon früher bedeutenden 
iZulauf erfuhr, erklärt sich daraus, daß eine höchst 



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sweifelhafte QeselLschaft die tatsächliche Führang a» 
sioh gerissen hatte. Bin albernes Demagogentum war 
in die Halme geschossen. Dttmm-pfi£Bge Analphabetei^ 

ernannten sich gegenseitig zu Führern der Nation^ 
Sie trieben mit den politischen Idealen schamlos Un- 
zucht, warfen sich ihrem König gegenüber m die 
Brust und demütigten sich vor ihren Bauernwählern, 
in den Staub. Einiges Ansehen erhielten sie durch 
die Gesellschaft etlicher reicher Pußten Junker. Es- 
sind dies iirmagyarische Schönerianer, die ihrerseits 
die Deutschen für eine minderwertige Rasse halten^ 
dabei aber liberal sind, da sie auch mit Juden Tarock 

Sielen. Für einen Menschen ron Geschmacki wie aucb 
ossuth einer ist, mag es damals sehr schwer gewesen 
sein, achtundyieraiger Patriot zu sein. Ihre Obstruk- 
tionen gingen dem Volke nicht iu Herzen. Man sab 
darin kalt aus^edflftelte UnTersohftmtheiteni womit 
diese Fraktion sich das Monopol auf den Patriotismu» 
KU retten suchte. Die vomehmefen Elemente der Partei 
waren untröstlich über ihre mlfiratene Brut. Hätte* 
man damals — es war im November vergangenen 
Jalires — die Obstruktion noch einige Zeit sich selbst 
anöden lassen und dann alli2:(?meine Wahlen aus- 
geschrieben: Die Krakehlerfraktion wäre höchst- 
wahrscheinlich aufo:erieben worden, zur großen Freude- 
ihrer Parteigenossen. Die Unabhänerigkeitspartei fühlte- 
ein Bedürfnis nacii 13efreiun«2; und Läuterung];. 

Der Verletzung der Hausordnung folgte der un- 
erwartete Zusammenbruch der Regierungspartei« Für 
koalierte Kinder mag es erbaulich sein, hierin das- 
Walten einer höheren Gerechtigkeit zu erblicken. Der 
Sturz der liberalen Partei hatte gewiß seine logischen 
Vorbedingungen und es ist nichts leichter, als die» 
naohtrtglich su koiistatieretl. Vorausgesehen aber hat 
ihn Niemand, wie man auch einen Bergstu» nicht 
▼oraussusehen pflegt. Am allerwenigsten hat ihn die 
Koalition vorausgesehen. Die Koalition machte vor 
der Entscheidung ihr Testament, hinterließ ihre" 



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politischen Schulden einer kommenden Minorität und 
schritt mit einer Märtyrermiene zum Wahlfichaffot» 
Als man ihr dort unverhofft den Siegeskrana über- 
reichte, mochte sie sich vor Verblüffung lange nicht 
fassen. Sie hatte in friedlichen Zeiten die Lärmtrommel 
so oft gerührt, dafi sie höchst überrascht war, als ihr 
der nationale Landsturm nun tatsächlich au Hiflfe 
eilte. Die liberale Partei wurde bei dieser Attacke 
niedergeritten. Der Sturz der gansen Partei ist viel- 
leicht weniger bedauerlich, als jener des Grafua Tisza. 
Er hat den Fehler, nichts Kleines und Kleinliches zu 
verstehen. In einem politischen Milieu wo jeder Gnorae 
voll spitzfindiger Geriebenheit ist, jeder Dutiimkopf vor- 
urteilslos denkt und jeder Blinde seinem Partner in 
die Karten Gluckt, da würde selbst ein Bismarck mit- 
leidig belächelt werden. Es ist übrigens für unsere 
verquickten Verhäitnif^se bezeichnend, daß der Fall 
der liberalen Partei von manchem Liberalen mit heim« 
lieber, aber aufrichtiger patriotischer Freude begrüßt 
wurde, während ihn mancher Achtundviergiger, welcher 
nun das Ende seines freien Lebens voller Wonne und 
ohne Verantwortlichkeit herannahen sah, betrauerte. 
Die koalierten Magnaten aber, die bei <lor Attacke 
gegen die Regierungspartei Torausgeritten waren, 
sah man von ihrem Siege geradezu entsetzt. Es war 
ihnen doch nur darum zu tun gewesen, im Hand- 
gemenge patriotische Bravour zu zeigen und nebenhin 
einige Pamilienfehden auszufechten; der Sturz der 
alten Ordnung paßte gerade ihnen am wenigsten. 
An ein Zurückweichen konnte aber nicht mehr gedacht 
werden ; ihre Vobker hätten sie zerfleischt. Es ent- 
stand eine Krise der Krise. Die PoÜtik war an einem 
jener toten Punkte angelangt, wo ein guter Kopf 
Herr der Situation hätte werden können. Die Lösung 
lag auf der Hand. Die Koalition mußte unbedingt auf 
dierotsamtenenMarterfauteuilles,um sich auszuregieren. 
Sie hätte für die MinisterportefeuiUes einen Preis 
beaahlt, den sie heute, wie die Zumutung eines Landes- 



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Verrates, ableugnen würde. Sie hätte das, was in Wien 
unannehmbar scheint^ unter einem Berge von Papier- 
garantien begraben und es übernommen, ihren reni*- 
tenten Waffengenossen den Vernichtungskrieg zu er- 
klären. Bb wäre dabei wohl nicht viei Vernünftiges 
heraufgekommen, aber man hätte die alte Soliabione 
mit neuen Schläferten rehabilitieren können. 

ZhifiUIigerweise scheint aber in Wien kein guter 
Kopf bei der Hand gewesen au sein. Denn über 
jeden Trank, welcher seit jenen Tagen »aur Sanierung 
der Lage« zusammengebraut wurde, waltete der 
Unstern des Hauses Österreich. Mit merkwürdiger 
Erfindungsgabe hat man immer jenes Mittel ordiniert, 
das eine der beabsichtigten entgegengesetzte Wirkung 
erzielen mußte. Selbst bei der Szenierung ist mau 
mit einer merkwürdigen Unkenntniß des ungarischen 
Nationaicharakters vorgegangen. Dt r Rassencharakter 
unseres Volkes kommt auch im politischen Leben 
zum scharfen Ausdrucke. Bin Österreicher kann über 
diesen Glmrakter urteilen, wie er will — ändern kann 
ihn Niemand. Wer aber dieses Volk beherrschen 
will« mufi es zum mindesten verstehen. Der Ungar 
stellt sich das Verhftltms seines Königs aur Nation als 
ein patriachalisoh-'heraliches vor. Der König ist gut^ 
milde und weise, nur ist er von bösen Wiener 
Batgebern umgeben. Die kühlen Formen der Hof* 
etikette versteht man bei uns nicht; sie wirken 
halb peinlich, halb komisch. Für künsiiiutioaelle 
Formen aber hat man tine fetischistische Verehrung. 
Der Ungar weiß seinem König kein schmeichelhafteres 
Prädikat zu verleihen, als wenn er ihn den »Aller- 
konstitutionellsten Monarchen <j noDiit. 

Die Entsendung des Ministeriums Fejerv4ry war 
unter solchen Voraussetzungen eine verkehrte Maß- 
regel. Die speBieil österreiohische Mischung von 
Militär und Bureaukratentum, die das Wesen dieses 
Kabinets bildet, ist auch für trainierte Mägen unge- 
nieftbar. Es kam als Kampfministerium, mit einem 



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ö — 



tapferen und hilflosen General an rl«r <3.,u j 
..^m im vorh,neiu durch ei^ZrZi^^^Ct 

''»m h^r''^'^'^*^^"«^'^ «»'t dem Säbel rassdn 
.,Mm bei der Koalitbn büüee Preise 7.. «r,:Ii \a ' 

bi^usparagraphenkloaken retten durch w«l.hf - ^ 
i^^Jauohe^ der Obstruktion SgedruSen IS eZ 
uimdeme StaatskunsL die sich von * ^ 

,,.«.nai..ance-Ecinneru'nger nährt, Tg scT^übe'? 
"Sf r "^r'^her Axt hinwegsetUn; L Sflik Ses 
, firipjges muß sie aber respekiTeren liid dieS LS 

^ne!" ^T'^'r. vernichtete. Csmem 

ÄeteSS' dif Staatskunst hatTzS 
. ^ • ^ mächtig zu kräftio-ßn 

' S^""^'-^'"^ ungeahnte moralis^che Se^zu 
- 8^w^r„,penQ wer je, ^„.Obstruktion der AchtunH 
"rf^W l>ekämpfte. der mußte logiscLr WetfdZh 
' KnW'°"/"'>^"Sierung mit^Ikel erfOll werden 
"^V-""* J^'»* tatsächlich den Wortllut des 
n,fiesetze^ fyr sich und wenn heute von einer ß^tnlff 
üngva, , ge,pcoche,n...,rerde„ kTn^ sHevolÄ 

Wr.^"*'**'""?- P'^ e^"^« ^''^^^ ist Marsche 
K ÖSennen nach dem Law Hör K-«„i:*- ^ T,r ® 

^^^^^^^^ 



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fürs Vaterland sterben zu wollen. Fitializtalente^ 
welohe sich an den Trögen der liberalen Partei 
dick gefressen haben, gehen mit dem tyrannetir 
mörderischen Dolch im Gewände einher. Menschen^ 
die zeitweise für einen Geheimratstitel, eine Magnatm- 
hausmitgliedschaft oder für einen lumpigen Hof- 
ratstitei der Regierung gewichtige Dienste Uiten und 
sich dann gesättigt oder verkoliert, Itir ilure Popularitftt 
besorgt, davonmachten, brechen heute den Richterstab 
über das dreißigjährige Regime des Liberalismus. All 
das äadert aber nichts an der Tatsache, daß aus der 
Sache der Koalition eine Sache der Nation geworden 
ist. Die Führung der Unabhängigkeitspartei ist über- 
dies in die Hände berufener Leute übergegangen und 
die Partei der i^ersonaiuuion gewinnt im warnen der 
Koalition täglich an Gewicht. Ich habe von einem 
federnden Punkte gesprochen^ bei dessen Berührung 
die Parteiichranken in Ungarn ins Wmken kommen. 
Um die Lage su sanieren, hat man mit Fäusten 
nach diesem runkte geschlagen. 

Das Ministerium Fej^viry soll sich nun, wie 
das Wolfsjunj^ im ungarischen Sprichwort, bessern 
undin ein konstitutionelles Kabinetumwandeln Jiaa wird 
mit irgend einem — gewifl vorsichtig beschnittenen — 
Programme Wahlen machen. Man mag dabei an 
sogenannte »starke Wahlen« denken, wobei mit einem 
beträchtlichen Aufwände von Geld und Bajonetteu 
eine Majorität erpreßt werden soll, welche dann 
unter neuer Firma die Geschäfte der liberalen Partei 
weiterführen müßte. Ich glaube, jedes andere Mini- 
sterium hätte in einem solchen Wahlkampfe mehr 
Chancen als das erblich belastete Kabinet Pej^r\ ary. 
Man soll nie prophezeien, am allerwenigsten in Wahl- 
angelegenheiten. Ich glaube aber, dafi das alte 
Oppor&nitätsregime selbst mit einer vorhandenen 
Majorität nicht weiter- su führen wäre. Seine Unschuld 
kann man nur einmal Terüeren und unsere Politik 
hat ihren Glauben an die Unentbehrlichkeit und 



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— 11 

• 

» ITnbezwingliohkeit einer Hpf-^i i wnd ; Regierungspartei 
bereits verloren. Bin Volk, das mit hunderttau^wad 
i JtöpfeB. denkt, kann sich nioht selbst belügen. . 

• f In Wien sqheiot man viel von der Sprengekraft 
r d/ea allgemeinen und geheimen WahlrcK^h^tea su er- 
.! werten. DimoiKrtifti iir(QdlQ4ii40ri * tatsäcUioh; inney 
lido^ igt» es noobi gar niebi: amgp^roaoht, ip.;;^elcher 
ifikfcMllig sie ihre VerwüstungftH/^aiftriXJWftD wird. Herr 
..Lfue^ri«telM»^hi die Sache .^iiDbfach typ?/ Diß Niatio« 

nfMht^ IMiSfM«mcDbHiicir.49i^. iV{^rv»6lim>HQgen(Hmie 
-4lt•frBit,/^tm9i'{)))4llMlUdat&r(fmü0(i^n isie dann gute 
ojChrpflABt^itfek^ W^td^ii.!.!^ min;iapQb AoMoger 

I j des allgemeinen Wahlj^ohtes, abeFaas anderön Oründen, 
l-ate iHerr Lueger, Ich huldige nämlich mit vielen 
r.(jtesinnuDgsgQnossen der Überzeugung, daß dieses 
-jWlahlrecht die Hegemo^iie des Magyarentums kräfti- 
T . gen. und i auf einie gesündere Basis stellen muß. Es 

wird vor allem das Land von der Verleumdung 
^ reinigen, daß hier eine Rassentyrannei mit künstlichen 

II Mitteln! erhalten wird. An dem^; T#^, <w(> ^i"^ t^us 
*»#<jignitWW¥ii>> Wahlen heiv^r.gegf||)gßQe nardciicll^nde 
idVllig]rtlliflf)he Ma^ior itÄt ^ d0r : natiQQAlistisieh^li Minoritllt 
••Mtgsgenstehexi .wird»«iwird d«jri .einheitliche NatiiniuU- 
9jita41^b^gr4M3ri^Vw•I4eni.Bei un^ereaNatioiMjUMiwoifd^ 

1 411111 imMAs^^^mtmii^fi^t l^idfmh-iltogywririiMrH^ 

.lataKttMhieri.fitftd^ (mtü ^turof^nne f jd9f ( BftcMdoben), 
ii4^8 gesaniten A4etey/4e8lGhK)6gruQdbe0itse8.uii^ 
.<Gtl(li^ut^ eiaeirmeQeioht •pTfinfitiyen, aber imoMphin 
n s^lbsttooigeof^ Nationalkultur, einen aus statistischen 
.f)öateu;y nicht zu übersehenden Vorsprung abgejagt 
rhat^/ist für den Kaiser und Groftösterreich nichts 
-.mehr zu holen. Die Nationalitäten wissen, daß Wien 
ihii#n:4aä nur versprechen kann, wa.s Budapest ihnen 
-^/t^en^. kann. I^h sehe zvm Beispriel gar nicht ein, 
f.i^eyr die Achtundvieraiger d^ran hindern soll, das all- 
^-gemeine Wahlrecht, deijsen Prinzip sie ohnedies in 



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_ 12 

aufzunehmen. Von allen nn garischen Parteien habt n 
ohnedies die Achtundvierziger die intimsten Verbin- 
dungen in nationalistischen Schichten. Man kann sich 
aucn mit wenig Phantasie eine Kombination denken, 
wo bei einem Htnansturme gegen den Dualismus 
serbische und rumänische Kohorten mitmarsohieren. 

Man sollte sich auch abgewöhnen davon su 
sprechen, »die Ungarn müflten energischer behandelt 
werden.€ Mit Gewaltmitteln sind Fragen der imteren 
Politik wohl noch nie gel^t worden. Bs klingt männ- 
lich, wenn man von einem Einmarsch in Ungarn 
spricht. Es ist aber albern. Das Königreich ist tat- 
sächlich von kais. und königl. Truppen besetzt, die 
Offiziere haben aber mit der Krise nichts weiter zu 
tun, als Einladungen zu politischen Diners taktvoll 
auszuweichen. Diese Bewegung wird nicht von 
inärzlichen Kruerköpien, sondern von hocharistokra- 
tischen Geheirnräten geleitet; man wird also nur 
unblutige Dummheiten begehen. 

Wenn man in die arg zerfahrenen Verhältnisse 
Ordnung bringen will, so muß man die Koidition 
sich ausregieren lassen. Sie wird ihre Programmsuppe 
nicht zu heiß servieren und sich im Wesen mit einer 
ehrlichen Revision des Ausgleiches begnügen. Die 
unausbleibliche Enttäuschung des Volkes wird die 
ersehnte »Brieichterungc herbeiführen. Dann, aber 
erst dann, kann man die Bildung einer gesunden, 
konstanten Ürdnuii<rspartei erwarten. Es gibt nur 
einen Mann in der Monarchie, der Ordnung schaffen, 
oder zum mindesten Frieden stiften kann: es ist der 
König. Man darf raeine bona fides nicht bezweifeln, 
wenn ich behaupte, daß unser Volk tiei dynastisch 
iühit. Der Träger der Stefanskrone verfügt über 
eine hypnotische Kraft, wie sie in anderen Monarchien 
imbekannt ist. Was man jetzt an paprizierten Aus- 
fällen gegenüber dem König zu hören und zu lesen 
bekommt, das ist nichts weiter als das brünstige 
Wüten eines verschmähten Volkes gegen sich selbvt. 



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— 18 — 



Es mag im halborientalischen Charakter unseres Volkes 
liegen, daß es für Gefühlswärme auf dem Thron 
immer zugänglich ist. Wenn Maria Theresia in den 
historischen Reichstag" zu Prossburc: einen homo res^ius 
entsendet hätte, sie hätte weder v itain, noch sau^j;ainem 
votiert bekommen. Ein persönliches Kingreifen des 
Königs kann der Monarchie für längere Zeit dcTi 
Frieden wiedergeben. Man muß mit den Ungarn 
nidit energisch sondern ungarisch sprechen« Und 
eine Messe ist doch jedes Paris wert. 



Die Zwangslage des österreichischen Privat- 
mannes zwischen der Dummheit der Ämter und der 
Qemeinheit der Presse ist fürchterlich. Wenn dir in 
deinem Hause ein Wertgegenstand abhanden kommt» 
mach keine Anzeige : du gehst oder die Deinen aus 
der Affaire übler beleumundet hervor als der 
Üftter» dem behördliche Findigkeit kein Härchen 
krümmt und der sdiadenfroh' die Notisen liest, die sur 
Mehrung der Pein des Geschädigten verfertigt werden. 

Bin Geschichtohen im Stil des »Biberpelz« hat 
sich neuhch im Unsicheiheitsbureau der Wienoi 
Polizei abgespielt. Einem reiciien Mann — d'dt» 
,Deutsche Vnlksl)lait' beginnt aufzupassen — werden 
zwei wertvolle Bilder c^estohlen. Der reiche Mann 
hat zwei Söhne und einen Diener. Einer der b( iden 
Sühne — er ist Pri\at|;elehrter — hat einen Assi- 
stenten. Die Wiener Polizei, der der Diebstahl ange- 
seigt wird, hat also, da ihr zu weiteren Recherchen 
e46r die i^eisUgeiiS pooti di^ materiellen lipttei j^ii 




Der Büderdieb« 



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Gebote stehen, die Wähl zw?ö3Wift fünf Tätern. Def^^! 
Verdacht, daß der reiche Mann selbst seirife^ Bndtt^'I 
entwendet habe, ist 'sßu naheli^end, ala daft '<ie^,\iätöi^*! ' ' 
spende Polizeikömniiösär äüf IM ' ^^M] BMUtl ' ^ 
iT^Älti Wei Söhiife;',fefÄ^ WiWÖft'*«na' yin ^Diörlfef; * 
Die ,PÄ)^^^ tej^nnt V6^^^^ 



»aaf den Kopf BÜi^ ^'^vmii ^""m'^s^'mtit 
Später niufi er den Schwergekränkten um Entschul- 
digung bitten. Was nun? Die Polizei hat getan, 
was sie tun konnte. Selbst Zirkulare hat sie für den 
Fall, dafi doch ein intiernationaler Bilder dieb der 
Täter wäre, inzwischen versendet. Ein Böcklin war 
gestohlen worden und die Wiener Behörde beschrieb 
ihn wie folgt: »Zwei Satiriker, ein Weib in 
Pischforra aus dem Wasser aieb^d.« Man merkt 
bereits, daß der Diener der Polizei wertvolle Dienste 
gelei^teli hätfj ' Bieidchi^eibubg 4«^- ^B^Kn haben 
wif ' ^eNi^ifl ä^ef^^ AttgÄbe 9u^ ^Abei^r^ 
währseh^nhch a^di' deiV QPbta^. 'Er hat; kaüni <8^]^^> 
defit '^¥enliU6M''>änti^dMn(dit,^ 4fo 'l'olifee^^'ttirfifgato»^ 

dM in Miiim''^(Miis:eh^^ 

dMl^iÄälSMm^ dMft«toi(ÄIta0tLiÜfl«l'S^e«^!riolili« ^ 

8t^ fftcU heriiti«,M^^ft Üe^ ähiei 'ny^cfh' M6ti«e Oflribil 
gereist ist. Und noöh dazu: nicht allein.^ 'Durcih darf/, 
dortige Kbnsnlat untersuchen liassen, ob er nicht 
außer dem Weibe in Fischform auöh die beiden "■ 
Böcklin'schen Satiriker raitgfettotnraen oder ob sich der i 
volljährige Millionärssohn durch iht^eh Verkauf die , 
Mittel zu der Reise beschafft habe, schei'rlt wohl ^ 
etwas umständlieh. Aber noch bleibt ja ein Söhnt d 
Der sich überdies auch dadiirch " verdächtig ge^ <^' 
macht Hat, daß ei» h ich t nach iM<mte Carlo geir^sV ^ 
ist. YF^ e^ Wäs?) <ddi< Dli^ndr^i^ 4bii^s 



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wotterd ^rdibUbi«biii^iite IDe^ jung^ JSeiMrf bringe i 

auch^nich' «eWi Uhr Pi'eund*^ iri's Haüs, yerkehre' > 
mit Schriftst^H^rn und habe sich über den Diebstahl, ' 
der an seinem' Vater' ^v^eröbt wurde, gar nicht aufgeregt 
geeeigti Der Beamte ' lädt; den jungen Herrn vor, - 
fragt, watutti^ er nicht aufgeregt geweseb s^i. D^r . 
erwidert, daß ler eben ein so merkwürdiges Tempera- 
ment habe. Der Beamte protokolliert, daß der Mann 
auf > eindringiiehes Befrage» zugeben muß, daß er ein 
sa ^nierkifettttli^ Terapörament hab^. Da^^etÜriti d«r.\ 
Diidn6^it4erf''Sidh Jeti») lieber die Poliser sds! seinen.! 
freHmren M^mtg^dr Ter^flichMn rmll oind über seinem i i 
H^i^tailMlMesrDatea^löis^wectjtes^^ die Brgreifef^ / 

iiMiA0l«HrMi'l>«//j teiMa-aohWager/ 
ailfl'dMeet^''f^Ks'«*»Na^^^ tultt< M Oi^A 

SmMimkik SOftr wenigstetitl mieiii irerMfliohbii^l 
öhWr^ilbefmitfcelt i »kohend über die Sicherheit : 
Ver^^ks beruhigt. Und die Polizei wird unruhig.-. 
Wi/klibh und tvahrhaftig. Sie nimmt die deutsch-' 
kroatische Aussage zu Protokoll und teilt Redak-- 
teuren diskret mit, däß gegen den Sohn de« ^ 
Bestohlenen Verdachtsgründe vorliegen. Aber sie wagt ' 
ed'dech nicht^ den Unbescholtenen (f ü r d e s s e n I n t e- 
girit'ät^ich per8(>nlich überzeugter einstehe 
als'fO'r den Scharfsr'i^n des Herrn Stiiikari) «!/ 
beschuldigt;; Ein letzter 'R^st von Einsi4pht sagt, den'' 
LÜit«r «destSioliieiiieitebttr^iis; daß hier keiiie Reklame^ • 
etiten ? feftr^ hdl^n ' sind. Män läßt i sieb /schlieflHbh : <toA < • 
deiiW^ftäwiizigkeilider'sTcndRofaAiB^ äMrzoiiften- 
ufrt''*>viiMMM>6b^Bf'id4miEKeiiev4fder 

pfctviÄtMhnf klinne: ^iVberMülei^ Dhener ist ' verv^^kek, * 

Er hat zahllose Protokolle'-w«- darunter eines, in dem 
die Worte: »pro foro interne« standen*-*- unterzeichnen ! 
dürfen. Ek kann und kann ^un eiumal den Glauben 

m 



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- 16 - 

aa seine staatsretterische Mission und an die Erp:reifer- ' 
prämie nicht opfeni. Und wirklich findet sich uin 
christlichsozialer Advokat, der seinen Anspruch ver- 
tritt, und schon ist auch das , Deutsche Volkshlatt^ »in 
der Lagec, zu berichten, in der AfTaire sei »eine sen- 
sationelle Wendiin^c einp:etreten. Es zitiert die An- 
gaben des Dieners, zitiert das Gespräch zwischen 
Schwager und Sohn und hält sich für die Un- 
möglichkeit, fafibare Beschuldigungen aus&iusprecheni 
durch den Sperrdruck harmloser Sätze schadioe. 
Zum Schlüsse bedauert es, dem Leser nicht ver- 
raten SU können, >wie weit die Untersuchung in 
dieser Affaire nunmehr fortgeschritten ist«: man 
verweigere an suständiger Stelle jede Auskunft »Eh 
schon wissen«, ergänst der Leser des yDeutscben 
Volksblatts^ Aber der von solcher Wirkung Betroffene 
kann den Schreiber, der ebenso anonym bleibt wie der 
Bilderdieb, nicht züchtigen, das Blatt, das dem 
Beleidigungsparagraphen besser ausweicht als der Ver- 
achtung reinlicher Menschen, nicht klagen. So haben 
denn die »umfassenden Reeh* n hen« des Sicherheits- 
bnreaus der Wiener Polizei doc h wenigstens ein sicht- 
bares Resultat gezeitigt: das Behagen der ordinärsten 
Wiener Publizistik. 

Ma^ der ehrenhafte Privatmann zusehen, wie 
er aus dieser Zwangslage zwischen Unfähigkeit und 
Niedertracht herauskommt. Wenn ihn aem merk- 
würdiges Temperament auch hier noch vor Aufregung 
bewaiurt^ wohl ihml Meiner Sympathie und Hilfe will 
ich ihn freudig versichenii ich« den nicht Naturell, 
sondern der ^mpf erst sur Verachtung der Charak- 
tere dieses Landes und der Einrichtungen dieses 
Staates geläutert hat. Heute kann ich das freie Spiel 
der Kräfte Dummheit und Schlechtigkeit künstlerisch 
betrachten, heute erst bekennen : Wenn zwei Satiriker 
ein Weib in Fisclifurm aus üeui Wasser zieheu 
freut sich der dritte. 



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— IT — 

Die Memoiren der Frau v. Hervaj. 

Wer in Wien für eine Sache eintritt, kann 
sicher sein, daß ihm bloß das Interesse für eine 
Person gesrlaubt wird. So versaut ist hierzulande die 
öffentliche Meinung. Der Fall Hervay hat mich natürlich 
nicht als der tiefste Fall der Justiz interessiert, sondern 
als die Gelegenheit su ritterliohem Dienst, dem 
ritterlicher Lohn winkt. Das bezweifelt heute keio 
Ssel mehr. TatBäohiioh habe ich mit Frau Heryay 
nach ihrer Verurteilung drei- oder vieroial gesprochm. 
Aber ich kann wirkiioh sagen, ich sei ron dieser Be- 
gegnung nicht einmal soweit beeinfluAt worden^ dafi 
ich die Publikation meiner Artikel bedauere. Das wäre 
die einsige Gefahr gewesen. Ich war standhaft, sagte 
mir, daß man eine Sache nicht um persönlicher Em- 
drücke willen aufgeben darf, und blieb dabei, daß der 
Angeklagten schändhch mitgespielt wurde, auch weiiu 
sie wirklich mehr lügt, als für eine Frau unbedingt not- 
vv L iidig ist. Wasöie getan, war sicher nicht kriminell und 
man braucht zur Exkulpierung auch nicht zu be- 
haupten, daß es pathologisch war. Es war höchstens un- 
sympathisch. Hätte ich Krau v. Hervay irüher ge- 
sehen, ich glaube, ich hätte bei voller ßehauptung 
meines Standpunktes bloß mehr Nachdruck aut' 
die Bescheidenheit der Ansprüche geiegt| die man 
in Miinauschiag auf weibliche Dämonie macht Und 
ich hfttte die &iefe der Frau y. Hervay nicht zvaa 
Druck befördert Sowie ich heute nicht in der Lage 
bin, die Memoiren, die Frau Hervay kürslich er^ 
scheinen ließ, zu empfehlen. Ich fühle mich sogar 
verpflichtet, sie ausdrücklich nicht zu empfehlen, 
weil Smlschweigen mir, der nun eininai als Ver- 
fechter der Hervay-Sache akkreditiert und auch in 
dem Buche selbst gepriesen ist, als Billigung des Un- 
fugs ausguk^gt werden konnte. Es ist nämlicii ein Irrtum, 
zu glauben, liaß der Zustand des unschuldig Verurteilt- 
aeins an sich schon ein Verdienst sei« das in 



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IS — 



Ein Buch unter dem Titel »Tamara y. Hervajr. 
nIlir.CielH9iitiiiid 'D«tnke>ii«*i8tii83ne-Jft»iige sErmMinung. 
Aus einer Unschtild ilni«) Sinne deis StrafgeBertzes 

•»i»t die Glorie nicht gewoben, in der die Jungfrau von 
« Orleans einhersohreitet; i und der ewige iVefsuoh^ /die 
V'erteidiguniß^ gegen - diis Anklage der tRigamie ;als 
xeinea »Kampf für Rf»oht und Wahrhait« auszußrebfen, 

• wirkt verstiinmend. Man irauß von der Gerechtigkeit 
vibrer Saciie schon tief durchdrungen sein, um öicli 
iduroh fiie^es banale Pathos des sper aspera ad aatraf, 
mit dem Frau v* -Heryjay idie.^iUffentliohkeit SIdt 

.Jdem«Leobeoeri£keigiii8 hanaogiitert, nicht absphr&iA^ 
•iii/las8en. Frau r. Her^i'ajrMidfiiokt in dem Vorwort 
ihres, Buehea eiMv.Erklftrung'Ab); inider' ^^xaiohMfBr 
fünftausend^ Krpnen mr^.UiitedäüBaung ridbr^Mitami 
. Feiiid8eligktfie& gQf^&n ^ JFamiUa idesf^toteo Btfaiite- 
r.hauptmaiiQ8'>irer]^lol)tei'< tfan>.:hiibe «ihr - diaBe-i.Vtfr'- 
yfltohtung aufgeBVongeu. .Da jite Frauirsidli iiiioh die 
! 'fünftausend Kronen aufzwingen ließ, durfte sie füglioh 
die Memoiren, die von Familienhaß bersten, nicht 
erscheinen lassen. Den Kampf für Recht und Wahrheit 
mit. der Summe, um die man sich den Frieden ab- 
kaufen Heß, von neuem beginnen, das muß dem 
Glauben an die heroischeste Gesinnung ..Eintrag tun. 
. Frau V. Hervay will sich eine Existenz bereiten. Aber 
. wenn sie früher von Stickereien gelebt hat, deren 
..Ertrag sogar fiVki einen Heise nach Indien gelangt .au 
'haben scheint^ ao jai jie jetziv nicht, auf litenusiwbe 
Handarbett .angei^iesen«. Bs - kann^^^sehr interesaant 

• sein, einen Kolportageroman sa xerlel»en;'-ihn . 9U 
setoeilim ist niohi uaeraUUich* « Rrm y^. HQrvajr 4til^§9if 
um allan iMifideutungen woj^^ Tornbrntn au begegnen, 

.'dafi«.flie ikeine «TerUSktehFiau* 8ei^,>ai0>.sich ^ tout'pdx 
ieiae aoi>qiei4o6e:Exa8taoK<«dMiS^ weUa.; 'flie>a0iffrM- 
mehr »eme tiefernste Natur« (S. 4.) Es ist guty dafi^^ie 
das ausdrücklich sagt. Sonst hätte man die angenehmen 

«iBekenntuiäse, die sie später ablegt, vielleicht d^h 



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nicht entsprechend gewürdigt: »Sie glauben, dal* meiti 
Mann nur den schönen Körper hebtu, meine Seele, 
meine Charaktereigenschaften ihm gleichgiltig waren? 
Nein, tausendmal nein, Herr v. P\ Er iit^bte meine 
Seele, vielleicht aber nicht ganz bewußt, er achtete 
und bewunderte meinen Charakter. . . Irewiß war 
seine Liebe auch eine sinnliche, nur war ihm die 
Sinnlichkeit nicht Hauptsache und ich hielt Maß. 
Auch ini intiaisten ehelichen Verkehr ließen wir uns 
niemals gehen» alles hatte eine gewisse Weihe und 
stets genossen wir unsere heilte Liebe als etwas Neues» 
Heiliges! Ich will Ihnen seine eigenen Worte wieder- 
holen: ySohatserl, wie ist bei uns doch alles so heilig, 
was gibt mir dein tiefes Qemüt für grenzenloses 
Qlflokl Aber sag^i wirst du mich auch lieben, so wie 
jelst^ wenn ich, was vielleicht bald sein wird, dich 
nur noch küssen kann?' Ich habe ihm sehr ernst 
geantwortet, daii das, was er raeint, doch nicht die 
jHauptsache* ist, daß die wahrhaftige Liebe ,davon' 
doch ganz unbeemtiuüt sei. Eine Ehe wie die unsere 
basiere doch auch aul gegenseitiger Hochachtung . . . 
Wenn die Freundschaft, die Hochachtung bleiben, 
so sei dies ein herrliclier Ersatz für den Sinnengenuß«. 
(S. 74 ff.). »Alle Augenblicke kam er während seiner 
Amtflstunden zu mir hinüber und rief: ^Mädi mein, 
ich muS mir schnell mi Bussi holen*. • .c Und als sie 
einmal Abends ausging, ohne es ihm zu sagen, war er 
untröstlich. Sie aber war »in die Maiandachtc gegangen. 
»Jbl, es ist wahr«, bekennt Frau v. Hervay auf S. 88, 
»ich bin yiel geliebt worden^ aber, wer will denn 
mich dafür verantwortlich machen, ich weifi es nicht 
einmal, was mich den Männern so ansiehend macht, 
denn was an mir schön ist, si eht doch keiner 
und in meiner Kleidung bin ich einfach und schlicht. 
Ich trug fast immer sciiwaize tailor-maide ... Die 
Dessous liebe ich elegant, sie waren das 
Entzücken meines Franz. Und was ich zu 
meiner ToUette brauche, was mich umgibt, muS 



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I 



' öchört isein. So eine durstige Sehnsucht nach • ächän- 
. 'heit heherrscht raiohi* wDaß die Dessous das ganze 
^ Unglück verschuldet, den Bezirkshauptraann fasziniert 

und die Mürzzuschla^er erbittert haben, davon bin 
' ich ja bei meiner Betrachtung der Alfäire Hervay 

ausgegangen. Aber ich J habe doch nicht ivorhersehen 
' können, dafi mh Fvauif^r;: Hervay einst iht«c iVoraüge 

9o'i>e^uiUj tfbij^eh wird iiiid<{dAik aid >eine^«äl düratige 

8^hiieu€iMiikcniSchönheit^ iiio^ lohnimoftUe 
<'4idr|*4iii<<genag'-otxj€dDti püblulittisoher Hichterioni 

rj inii OH ir'»Un li .oh hnii i^ii^t-i ,h*>si*5(l.*fr., :ii^lofl 
r"*-...i.;«,."?iT;iitj 'tili ti'iqpgviciflATItlBr^)*^^ T'" 'di>i >rir/7 

XV? o« p..^ Wert und die Exaktheit der psychiatrischen Kennt- 
nisse auf der fieutigeri Basis hat die Medizin ein treffendes Beispie 
' in ihrem eig^öhsten Bereich. Die Erfot^chung des gesunden Kör]>erB 
' Und seiner Funktioneti war es, di6 der WisstfiSChaf t die irti^fel iei^ 
' Fortidiritte ääi Öeg'^^^fniögliclit^; iWt 'ittÜÄfi^ 
^'khlizud^beiracht^^^^^ Stkiid Ü^d'l}rtäfc^ii(¥ 



' 'foc^i^'i^ ik'eiJte' \xiv^ilh? 




im 




^ 'dii 'ferfährung zu nahe, um sich fäuschüngen ÄintugfeWi*.' 'Es 

muß scheinen, dafi der Psychiatrie noch kein im modernen Sinne 
' wissenschaftliches Urteil mö^jhch ist. Die Grenzen zwischen gesund 
* und krank können von dieser Wissenschaft nfcht mit Gewißheit 
bestimmt werden. In welchem Tone Sibtt gegenwärtig das so sehr 
bedingte Urteil der Psychiatrie gesprochen wird und wie weit 
^eichend seine Folgen sind, ist bekannt. J(;ne Achtung, die sich 

- ' der Name der Wissensdiaft im harten KliM)!^ vi^'A^' All^jlMiittett 

N liiM T)irtini -uini fl,-)]" ^ 

. I. ^ÖHf Zn*Wft,. ^Jf^ dar; 4«tff .ftawi^, i^ip^tel ffte^V^r^kct 
. »JeBseitf deriSittlic|ii(eitM:reBac Eis Beitnie nr. Kiitikrjdcr 
. TÄaraim eBhiünnit, das demnichst ini AiäuleblUclM^ >^^bil|f' W'U^ 



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— 21 — 

errang:, wird hier im reichsten Maße g^spoidet; uQgwditet dctsen, 
dt0 da* Aasprudi auf diesen Namen nicbt genügend crwicMo Ist 
Im Oeridriasaal und im bfligerUchen Leben ist der Spruch des 
Ajyditaftefs eine leiste Instuiz* So konnte sick eine der settsamiten 
Socheinttiigen enMdieln, deien Zenge unsere Zeit gevoiden Ist: 
Bei einer Anzahl der modernen Ante Ist dte Ausfihung der 
ftycfaiatrie zu einer der gefihrlichsten Psychosen ausgeartet, 
die man billig dem Cäsarenwahnsinn und dem Trope« koller 
zur Seite stellen kann. Die Entstehungsbedingungen sind ähn- 
liche, wie bei den genannten Psychosen. Es ist eine große 
Gewalt über Menschen vorhanden, an kein ausreichendes Gesetz 
gebunden (wie dies bei dem Richter der Fall), die das 
Individuum, dem sie verliehen, nicht mehr vernunftmäßig zu 
brauchen weiß. Die Gefährlichkeit der Krankheit für die Allg^ 
meinheit ist infolge der erwähnten Stellung des Psychiaters im 
modernen Leben so augenfällig, daß es ein dringendes Bedürfnis 
echeint, ihr an begegnen. 

Oevift hat die mediiiniBdie Wisseischaft eine e|g^ Tedmik 
ausgebildet, die jener MhcierZdt weit flberlcgcn ist Heute genfigen 
weniger Tatsachen und geringere Anhaltspunkte, um urteilen zu 

können. Und der Ameisenfleiß, mit dem man, ohne die Übersicht 
des Ganzen zu besitzen, im Einzelnen gewirkt hat, vermochte 
Erstaunliches zu leisten. Deshalb sei des Psychiaters Recht unbe- 
stritten, wenn die Erkrankung' dnrch das Leiden eines Menschen 
sich zu erkennen gibt, oder \n der Minderung irgend einer Fähigkeit 
ihren Ausdruck findet. Schwerer wird der Anspruch zu erweisen, 
bei Fällen rein logischer Erkrankung. Paranoia ist das klassische 
Beispiel. Der Kranke ist in seiner Weit unangreifbar; hier steht 
menschliche Vernunft wider anders geartete menschliche Vernunft. 
Zu den Vonutsselzungen, die der normale Verstnid a |»iod 
anerkennt (Zeit, Raum, KusiliWX M noch ehie andere getacten, 
dte uns minder «esentüch cncMnt, z. B. die logisdi nicht zn 
begründende Obetsengung, verfolgt und in sefaie» Rechte gsschnälert 
m sein* Sie Ist nnbegrflndet, wie die Vorausseteuug des normalen 
VemtendeSi daB 2 mal 2 vier Ist; und wie der im Eisenbahnznge 
Fahrende nicht nur Irrtümlich glaubt, sich in Ruhe zu befinden, 
sondern tatsächlich ebenso das Recht hat, es zu behaupten, wie 
der draußen Stehende, der unbewußt die Bewegung des Planeten- 



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— 22 — 

« 

Systems mitnichti kann der Fuanoiker keines Intnms Aber* 
wiesen wcnlen* 

Immerliin kennen wir aber die Formen der allgemeinen 
Logik und haben das Recht, jede Ventandesfoim, die mit de» 
bestehenden, vom andersge a rtete n Veistand geschaffenen sozialen 
nnd anderen Formen kollidiert, als dem wirklichen Leben nicht 
reif, als minderwertig zu bezeichnen. 

Wenn aber die Psychiatrie dem nicht normal SexueHen 
gegenüber sich dieses Recht zuspricht, dann ist die Kranke, die 
hier logischer Störungen bescliuldi^^n wird, die Natur selbst. Der 
Irrenarzt tut damit nichts anderes, als was die Menschheit von 
Anbeg^inn tat. Nur ersetzt er die Versuche, die Heilung an ihrem 
Organisnius duTcli chirurgische Eingriffe herzustellen, durch minder 
anfechtbare. 

Die Gesetze der menschlichen Logik kennen wir, und ver- 
stehen Zweck und Ziel und die Wege des Erreichens zu beurteilen. 
Hätte der Päychiater aber selbst das Recht, dasselbe der Natur 
gegenfit>er zn tun, so mfißte doch vorher der Versuch gemacht 
werden, ihre Logik zu verrtehen, nach Zweck nnd Ziel zu soeben» 
ehe man der Schöpfung Paranoia diagnostizierte. 

Die SchiuBworle der Frend'schen Abhandlung sprechen es 
aus: »daß wir von den biologischen Vorgingen, in denen das 
Wesen der Sexualitit besteht, lange nicht genug wissen, um aus 
unseren vereinzelten Einsichten eine zum Verständnis des Normalen 
wie des Pathologischen genügende Theorie zu gestalten«. 

In den modernen Vertretern übernimmt heule die Psychiatrie» 
bedingungslos die Erbschaft der alten Anschauung. Nur ist es 
nunmehr kein leichter Verstoß, den nienschiiches Urteil begeht 
und der sich durch Unwissenheit und Sclirecken vor dem Unbe- 
kannten überhaupt entschuldigen läßt Der Mensch von heute 
muB Sehlem Tun und Lassen ins Auge sehen, die Verantwortung 
zn tragen lernen. Ein Kind an Erfahrung, sündigte die Menschheit 
vor Jahrtausenden an ihrer Mutter mit ihrer naiven Kritik von der 
»Zweddosigkdt*. Die Gegenwart aber, die sidi nicht loszusageo 
vermag, beigebt Schlimmeres als bloBen Intnm. Ob es ehi Ver- 
bredien wider die Natur gibt, nuig zweifelhaft enchehien; aber 
es gibt ein Verbiechen an der Natur, es gibt eine Ma|esttlrar- 
Ictzung der Schöpfhngl Otto«Soyka. 



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— 23 



Das längst Erwartete ist endlich eingetroffen. Die Usancen des 
tNeiten Wienei Journals' sind im »Archiv für Kriminal- 
Anthropologie und Kriminalistik' (herausgegeben von 
Prof. Dr. Hans Gross in Prag, Verlag von F. C. W. Vogel in 
Leipzig) verewigt worden. Und zwar von Dr. Emst Lohsing, der 
mir einen Sonderabdnick seiner wissenschaftlichen Würdigung 
des berühmten Diebsblattes sendet. Er schreibt über die »Technik 
des Eingriffs in das Urheberrecht« und erläutert sie an dem Bei- 
spiel eines »Originalartikds« des Lippowitzblattes. Und die be- 
stohlene Zeitschrift ist — das »Archiv für Kriminal-Anthropologie und 
Kriminalistik', der bestohlene Autor eisen jener Dr. Emst Lohsing 
dosen »Betracbtunsen über das Geständnis« (IV« Band) am 
11. Jim! 1905 unter dem Titd »Das Qestflndnis des Angieklagtenc 
im ^euen Wiener Journal' - von drei Sternchen gezddmet^ - 
auferstanden. Man erinnert sich, daß vor kurzem einem Staats- 
mvalt ein Fahrrad, das er an die Mauer des Qerichtsgeb&udes 
gelehnt hatte, gestohlen worden ist. Das ,Neue Wiener Journal' 
hat seit seiner Gründung säinthche Blätter der Welt geplündert. 
In 's ,Krirninaiistisclie Archiv' einzubrechen, war Vermessen heit^ 
und der Zeitungsbericht darüber müßte unter der Spitzmarke 
»Ein kecker Dieb« erscheinen. Herr Dr. Lohsing weist Absatz für 
Absatz die Tat nach und die droUigen Bemühungen des Täters,^ 
sie zu verdecken >So sieht eine ,Umari)eitung* aus«, schreibt er. 
»In dem Zitat IV ist der Name des Autors entstellt wiedergegeben, 
in dem Zitat XI das Archiv für Kriminalanthropologie als Quelle 
zitiert, wie wenn nur das Zitat IV eine Arbeit von mir und nur 
das Stat XI diesem Ardiiv entnommen wire. Im Übrige 
besdirfaikt aidi die Arbeit des e h re n w e rten Absdudbers, der an 
Plagiaten es zu solcher Virtuosittt gebracht bat, auf kleine 
Änderungen, meistens in der Wortstellung. Den Mut, mit dem 
Namen zu zeichnen, hatte dieser Herr nicht; er hätte Ihn ruhig 
haben können. Durch seine Zugehörigkeit zum ,Neuen 
W i e n e r J o u rn a r wäre er vor e i n e r S t r a f k l a g e ni e i n e r- 
seits geschützt gewesen. Aber kriminalistisch inter- 
essant scheint mir dieses Vorgehen und darum teile ich 
es hier mit.< Man muß dem Autor für den Hinweis auf dieses 
Paradigma redaktioneller Lumperei dankbar sein. Der schmutzigste 



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— 24 — 

Preßdiebstahl ist nämlich nicht die glafte Übernahme eines Artikels 
»ohne Angabe des Autors und der Quelle. Das ,Neue Wiener 
Journal' verfährt anders. Lohsing schrieb: »Auch die personliche 
Ehre kann zu einem Geständnis drängen« und verwies auf die 
j\ffaire Dreyfus und das Geständnis des Obersten Henry. Das 
' ,Neue Wiener Jonmal' hat bereite hundert Zeilen gestohlen und 
Ührt dann fort: »Auch die persönliche Ehre vermag jemanden 
zu einem Oestflndnis zu dringen*. Loaaing verwies bd diesem 
falle auf das Geständnis . • • « Und der Trottel von einem 
Leser bewundert das Blatt, das nadi den schwierigsten juristischen 
Ausführungen noch seine Belesenheit zeigt und »Lossing« zitiert. 
Später wird ein anderer Fall besprochen. >Vor mehreren Jahren 
u urde in der Nähe von Wien ein Raubmord verübt. Der Verdacht 
Itnkte sich auf einen italienischen Arbeiter.« Das ,Neue Wiener 
Journal' redio^iert: »Vor mehreren Jahren wurde in Wien ein 
Raubmord verübt. Der Verdacht lenkte sich, wie im Archiv 
für Kriminalanthropologie verzeichnet wird, auf 
einen italienischen Arbeiter.« Der Leser bewundert. Der fleißige 
Artikeischreiber hat sogar eigens das »Archiv« aufgestöbert, um seiner 
Erinnerung nachzuhelfen . . • Man sieht, die Quellenangabe ist 
undirlicher als ihre Unterlassung; denn sie spelculiert darauf, fOr 
»Quellenstudium« gditlten zu werden. Und einen so 
unehrUcfaen Dieb duldet die Wiener Publizistilc in ifaier Mitte, 
ttßt der Verein, der sich zur Wahrung der Standesehre benitai 
fQhlt, ungesehenen, beglückwünschen östcneichisdie Minister zu 
dem zehnjährigen Bestehen seines Gewerbes. Herr Dr. Lohsing hat 
Unrecht getan, den Verarbeiten seines Artikels zu schonen. Daß 
ihn >seine Zugehörigkeit zum , Neuen Wiener Journal* vor einer 
Straii^iage schützt«, ist ein vornehmes, aber unsoziales Argument. 
Wird der Staatsanwalt den Dieb seines Fahrrades nicht verfolgen, 
weil er einer Platte angehört^ Man muß endhch ein Exeiiipe! 
statuieren und den brachliegenden § 24 des österreichischen 
Urheberrechtsgesetzes in Betrieb setzen. Es wäre doch gar zu scbdn, 
wenn einmal einer wi^n Oewohnhei tsmitarbeit am 
.,Neuen Wiener Journal' abgestraft witode. 



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— 25 — 



ANTWWTBN DBS HBRAUSGBBBRS. 

HabiM. Die Herren Blnmentbal and Paul Qoldmaim belittt- 
gen an» arit WeUdafea fiber das Veriutten des BcrUner PimMmpob- 

fiknins gegen Herrn Sudermann. A4an habe nach Bassermana geralCBr 
als der »Dichter« ffir den BeifaU danken wollte. Mit Recht. Herr Bas- 
sermann ist ein guter Schauspieler, Herr Sudermann ein schlechter 
Dichter. Das Publikum wili Herrn Sudermann keine Erschütterung 
verdanken, es drückt in seinem Beifaü aus, daß der Aktschluß 
ohne die schauspielerisdK Hilfe wirkm^isios verpufft vir«. Was toll 
dann so absurd sda? Wvnm stellen sich die Thsalerp6fflkaBse plötsUd^ 
so naiv? Hat das Wiener Publikum wirklich Ohnet bejubelt, wenn- 
Sonnenthal den Hüttenbesitzer, Philipp! gehuldigt, wenn Baumeister im 
»Erbe« spielte? Das Berliner Publikum geht eben energischer ins Zeug, 
wenn die Sudermänner den Applaus einzuheimsen kommen. In Wien 
hat aneikanntcrmaßen Helene üarlmann die »SchmetlerUn^sschlacht« 
gerettet, weil sie das OegenMl m dm tfUbit, wm HenrSwIenaana gewollt 
kalte, la Berlla kitte taan daaMnatriert» waan alatt der grofiaaSckaaipideriiir 
denn Räuspern mdir wert war als das gßjut »Schaffen« des Herrn Suder- 
mann, der »Schaffende« vor den Vorhang getreten wäre. Herr Paul Gold- 
mann meint ja allerdings, Herr Sudermann >niüsse zum mindesten ebenso- 
ernst genomiiieii werden wie Frank Wedekind«. Aber Herr Goldraaan^ 
dem man öfter auf die Finger klopfen müßte, nennt ja auch Oerkart 
Haaptmami ciaea Aator aad BiaaMafhal eiaea Dlcktar. Die Verae dar 
Eagel ia »Hannele« verhöhnt er. »Das goldns Brot auf den Äckernt 
Dir wollt' es den Hunger nicht stillen; Die Milch der weidenden Rinder, 
Dir schäumte sie nicht in den Krug«. Schlichter Ergreifendes läl^t sich 
nicht denken. HerrOoldmann kann sich selbst hier nicht zurückhaUen und 
piüt wie folgt: »Sie reden in Versen, die hübsch klingen und doch 
gar keinen Eind|iick machen. Denn die Mitleidsworte, die sie ' iaßera« 
sind oliae Winae. . . Uad wieder aollte maa aieiaeii, daß Eüfld raa. 
Himmel, die der liebe Herrgott zu eiaem • anaea Kinde herabaendct 
diesem doch viel Zartes und Liebliches zu Sagen wiesen müf^ten, statt 
ihm salbungsvolle Aussprüche vorzudeklamieren. . . .« Dieser platteste 
aller Klugschreiber, der sich jetzt jede Woche bemüßigt ftihlt, einen 
t^ettiieck auf die deutsche Kunst zu schmieren, war es wohl auch, der 
kOrzUdi aaa Berlin aa die ^eae Frde Presse' berichtete: »Raak 
Wedckiad'a neues Drama ,Der Toteatanz^ deaaea Aaakiagebogea 
soeben erschienen sind, gab Anlaß zu einent heftigen Protest, 
den der Vorsitzende des deutschen Nationalkomitees zur Bekämpfung: 
des Mädchenhandels, das gegenwärtig in Bremen zu einer Beratung 
zusammengetreten ist, in folgendem Sinne äußert: Es sei tief bedauer- 
lich, daß Leute, die sich durcii Fleiß und Intelligenz eine literarische 
Bildung erworbea bitten, so weal|; moraliaclie Bildung besificn, eiae 
grofie ernste Bewcsnaf « die eiaea iiefea aiondiadiea Kern habe, za 
belächeln und zu verspotten. In dem Wedekiadadiea Drama wird eine 
dem Verein zur Bekämpfung des Mädchenhandels auo^ehörfge junge 
Dame vorgeführt, welche den Zyniamen eines Mädchenhändiers so sehr 



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erliegt, daß sie ihn bittet, sie gleichfalls zu verkaufen.« Aushänge- 
bogen sind Bürstenabzüge. Sie können also nie »erscheinen«, sondern 
liflchttciit dner Zdlnng zum VonMrndL flbertatsen «erilen. Ditwisieii 
mit Zettnofeii« Daß die ,Neue Fide Prane* ent ans Berifai das-Er«- 
scheinen eines Werkes erßUirt, das lange, bevor es in den Buchhandel 
kam, in vielen fauscndcn ExemplareTi einer Wiener Zeitschrift verbreitet 
wurde, ist verzeihlich; die Zeitschrift hciflt ,Die Fackei', und die müssen 
Redakteure der .Neuen Freien Presse' nicht kennen. Aber die kritiklose Wicler- 
gabe des Stumpfsinns, der im Verein der Mädchenhandelsfeinde geboren ward, 
ist tmvcneihlidi. Was ist fnaak Wedeldnd ? Bn Mann, dar sich dnidi Helft 
nnd InteUig«iz dne liferaiisdie Bildong erwofben liat Feinsinniger Inas 
man seine Stellong in der Kunst wohl nicht bezeichnen. Daß ihm die 
Majore a. Tf., so da gejr^n den Mädchenhandel m Pelde ziehen, 
moralische Bildung absprechen, ist schmerzlich. Aber daß sie seine 
literarische Bildung zugeben, i$t vernichtend. 

Chronist. »Infolge dnes beute frdh bd der Station Ripanj 
erfolgten Znsaninienstofies eines Utttznges mit dnem gemisditen Zuge, 
wobei ein Bremser getötet wurde, mußte der Orient-Expreßzng 
nach Konstantinopel in Belgrad verbleiben. Im Orient-Expreßznge 
befinden sich auch die bdden Töchter des Fürsten von Bulgarien, welche 
die Zeit bis zur Abfahrt im Zuge verbringen werden. König Peter 
stattete den jungen Prinzessinnen einen Besuch ab.« So interessiert's die 
Leser. Die sächterstattung fOr die Hintetbllebenen des getöteten 
BremaerSy der In einem schroncklosen Nd>ensatz bestattd wurde, mftBte 
anders vetfdiren : Bei einem ZusammenstoB zwder Züge, der eine Ver- 
<;p3tun^ jenes Oricnt-Fxpreßzu^es . . . , in welchem sich die beiden 
Töchier des Fürsten von Bulgarien..,, denen König Peter ... , wurde 
ein Bremser getötet. 

Klerikaler. Rom ist los von Lippay. Man schwelgt dort jetzt 
in Aufklärung. Der österreichische Hochadel nahm sich seine Vertretung 
dnidi dsn talentlosen Mder so zu Herzen, daß Priniesdn Alenndrine 
Windlsdigrfltz nach Rom dlte, vm den guten Papst, diesen gllnbigsten 

aller Katholiken und FSrdoer der Künste des Herrn Uppay, über 

dir Persönlichkeit des Herrn, der sich im Vatikan auf einen Auf- 
trag des Thronfolgers berufen hatte, zu unterrichten. Der Vatikan hat 
seine Beziehungen zu Herrn Lipnay sofort abgebrochen und bedauert 
es tief, daß sich weder der päpstiidie Segen noch der päpstliche Grafen- 
tild rflckgäugig madien 116t Der SnltaUt dem dnst Herr Angdo Eisner 
sdtöue Orflße vom Kaisar überbndite, soll nodi Immer nidit anf- 
geldlrt sdn. 

SammJai', »Lansdowne wird den Fleck, den er sdnemfransflsiadieB 

Freunde und Kontplizen Delcass^ zu danken hat, so wenig mehr von 
seinem Gewände abstreifen können wie Macbeth«. Glaubt der Leitartikler 
der ,N€uen Freien Presse' (18. Oktober), Die Fleckputzmittel-Inserenten 
werden schöne Augen gemacht haben! Vor allem jene, die Macbeth 
kennen und wissen, daß dort nidit vom Oewand des Lord, soiadcni 
roa der Hand der Lady die Rede ist 



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87 



Kirchendiener. Da läßt sich nichts machen. Und wenn Sie sich 

mit Ihrer Beschwerde an das , Extrablatt' statt an die , Fackel* wenden, 
wird es Ihnen gerade in dieser tranrig:en Angelegenheit nichts nützen. Daß die 
Hochzeit in der Votivldtcfae stattfand, ist ja gewiß ein bedauerlicher 
Mißgriff. Aber Sie eoUten doch das PnbUkum, das sich da neulich an 
4cr Verbindoog der Himer Baner md Rioaldiiii »beteiligte«, endlich 
henen. Ihr OotlediaHS wird von den Bewohnern der Kolingaase und 
Porzellan^asse vegen der Nähe bevorziij^ft. Und j^ing^'s denn diesmal 
wirklich geräuschvoiler zu, als bd den sonstigen israelitischen Hochzeiten 
in der V'otivkirche? Der Bericht der Ta<^fspres<ie liest sich allerdijig^ 
wie ein Concordiaballbericht, in dem bekanntlich auch kein Geistlicher 
ganmiit «lid. Whr erfihteii» «er tnveaend vir, and fnatn uns, «U die 
fttiifiMideB, fettKÜBicDdca Namen sn finden, die ans so oft den Winter 
unseres Mißfergnügens eihdlten. Aber mit stolzer Verachtung schweigt 
die .Neue Freie Presse' den Namen des Priesfers tot, der die Tranting 
vollzogen hat. Herr Oüdemann war es nicht. Der Weihbischof Marschall, 
der Beliebte, Oftgenannte, an sämtlichen Tafeln Moses' Geladene, war es 
auch nicht Ein schlichler Pfarrer von Margarethen war es. Sprechen wir 
nicht mehr von diesem StÜÜeUer. Dagegen erMUleesnnsmil denugtuung, 
2U hören, dsB das beliebte Fräulein Gerda Walde anwesend war. Bald 
wird sie unverwüstlich sein. Auch Herr Karezag war erschienen. 
Natürlich fehlten die Professoren Oser, Zuckerkand! und Herzfeld nicht. 
Da sah man den diplomatischen Emst im Zwiegespräch mii der heiteren 
Muse, da sah man das sorgenvolle Gesicht des japanischen Oeschäfts- 
higers sich zn frenndlldieni Llcfadn verldlren, als ihn du mUiIdtt 
NqMUek vom Ballett Aber dfe ü«e hiierpelUerte. Oberall entwickdte 
sidi die anresettdste Konversatian, aber vergebiich blieben die Be- 
mfifinn^i^en derer, die schüchterne Versuche zu promenieren machten . 
Schon wollte sich die Jugend zu ihrem Tanzrecht verhelfen, schon 
wollte Herr Julius Bauer ein Bänkel mit zündenden Pointen vortragen, 
als -~ die Herrschalten plötzlicii gewahr wurden, daß sie uiciit auf 
dem GonoordhdMll seien. Vielleicht hatte sie die Kiichennmsik, die 
Herr Charles Weinberger nicht komponiert hatte, ans der Illnsion 
gerissen. Aber daffii ließen sie es sich wenigstens angelegen sein, daß, 
man sie am nächsten Morgen in der Presse »bemerkte«. Welch' eine 
Heerschau der Abhängigen ! Ja, an solchen Tagen zeigf der Jour- 
nalismus, was er vermag- Der Schauplatz seiner Machtentfaltung, ob 
BalUokal oder Ku^e« ist ihm glcichgiltig. Der Jesuitismus hat ül>er 
den Sophiensaal keine Macht, aber die Presse mietet sich ein Qotleshans. 
Politik, Theater, Kunst, Literatur, Adel, Beamtentum, Oesellschaft — 
alles muß heran. Wenn Herr Julius Bauer Schwiegervater wird, wird 
die breiteste Öffentlichkeit zum Trauzeugen angferufen, der Glanz Öster- 
reichs als Beistand verwendet. Daß Girardi zur Stelle sein muB, ist schmerz- 
lich. Bei Fruu Hansi Niese-Jamo findet man 's sdion zur Hälfie begreif- 

hdi, Mnieht WaUte nnd Herrn Stardtmann mfichte man nidit missen. 
Aber der Aünisterprisident Freiherr von Cantsch? Ist er ein notizen- 
hnngrlger Tenor? Oder will er gar seinem Vorgibiger Koeiber nach- 



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— 28 — 



geraten? Und Ferdinand v. Saar, was sucht er neben dem Länderbank- 
Halm? Vera die fiefiiGliafieti WeUitiiidi tvMKfaen, gehea rie sogar ia die 
Kiidie. Oder Mukii venigsteBt OUIcinrratelide|MiGlieii, die am andern 
Tag in der Zeitnnfl: gezählt und irewogen werden. Nicht jeder ist ja 

imstande, so schöne Verse wie der Freiherr von Doczi zu machen, 
der wie kein anderer berufen war, das witzige Familienereignis zu feiern^ 
er, der in seiner eigenen Person die Verbindung von Add und Geist 
verkörpert. »Du Spötter und Ptet, Du Dom im Aug' der Flachen« 
ipoatrofdricrte er Herm Jnlins Bancr, diesen tieftlen Satirilcer» der adbat 
Arthur Pserhofer an Bedeutung noeh ilbertrifFt. WahrscheinUdi wollte 
Herr Doczi es beklagen, daß die Zeitgenossen für die Tiefe der Erkenntnis^ 
von »Antonius und Cleopatra« als einer Reklame für »Busenschützer« 
und von »Oedipus« als einer Empfehlung von »Au^ch« nicht reif 
seien . . . Der Brautvater aber ging begl^ickt nachhause und freute sich^ 
diB ünn die WoctvoUndai^ iwlaehen Oodui and C&ettoi gelungen «ar. 



MITTEILUNG OBS YBRLAaBS. 

Jene Herren Buchhändter nnd Abonnenten, die ncli in den 
letzten Monaten des Erscheinens der ,Fackel' über die auffallende 

Nichterledigung ihrer Wünsche und die Nichtachtung ihrer oft und 
oft wiederholten Urgfenzen zu beklagen hatten, werden nachträglich 
um Entschuldigung gebeten. Die Gewissenlosigkeit und Unfähig- 
keit eines inzwischen entlassenen stellvertretenden Beamten, der — 
ohne gewinnsQcfatige Absicht, ohne irgend einen erdenUidien 
Qmnd — fast alle Abonnementsaufträge trotz gebuchter Zahlung 
unausgeführt ließ, hat die Administration der , Fackel' in einen 
Zustand beispielloser Verwahrlosung gebracht, der erst bei nach- 
träglicher Revision entdeckt wurde, die Verspätung des Wieder- 
erscheinens der Zeitschrift verschuldet hat und iäneere Zeit noch den 
ordentlichen Gang der Versendung henmien wmL DafQr ad Im 
Voraus Nachsicht erbeten. Soweit sich der almerichtete Sdttdett 
fesistellett ließ, soweit aus den hinterlassenen Papieren jenes An- 
gestellten der , Fackel', der in ihrer Administration wie in Feindes- 
land gehaust hat, die Wünsche der Besteller erraten werden 
konnten, sind sie nnverzüt^lich erfüllt worden. Weitere Reklamationen 
- der Nummern oder dei Rückzahlung, falls die Zusendung des 
Blattes je<zt nidit mdir gewflnadit wfad - wolle man an den Verlag 
der »Fackd' gelangen lassen. 



Berichtigung« 

In Nr. 185, S. 17^ 2. Zeile von unka, ist statt »Novana« 
Novara zu lesen. 

Herausgeber und verantwortlicher Redakteur : Karl Kraus. 
Druck von jahoda und Siesd. Wien. III. Hintere ZMluMn$M 3. 



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Die Fackel 



Ni: 187 WI£N. 8. NOV£MB£R 1905 VII. JAUR 



DIB KINDBRFRBUNDB. 

Wir werden den Eindruck nicht mehr ver- 
gessen. Die Vorstellung der Tat hat sich tief in 
unser Innerstes gesenkt und wird eine schwere 
Depression unseres Kulturgefühls zur Folge haben. 
Wir unverdorbenen Kinder unserer Zeit haben ge- 
Rehen, wie der leibhaftigen Justiz unter die Röcke 
gegriffen wurde. Sie hatte die Augen verbunden und 
wufite nicht, wie ihr geschah. Wäre sie Jungfrau, wüfite 
man nicht, dafl sie oft schon ins Kabinett gegangen, oft 
schon den Wünschen hochmögender Herren erlegen ist, 
die Tat müflte an Tätern und Heifern schwer geahndet 
werden. Weil aber die routinierte Dame das Ver- 
gnügen der Schmach längst stärker als die Schmach 
des Vergnügens empfindet, so bleibt das Gefühl 
peinlichen Erlebens der unmündigen Zeugin Öffent- 
lichkeit gegönnt. Wie wird sie mit den Eindrücken, 
die sie in der Dunkelkammer des Gerichtssaals ^ 
empfangen hat, fertig werden? Wie werdf^n die Väter 
jener Kinder, die gierig nach den Zeitungsberichten 
über den Prozeß Beer gegritien l aben, sich mit den 
Amateurphotographen der Gerechtigkeit abfinden, 
die in den Alkoven ihres Hauses die öffentliche 
Meinung luden und sie an den Aufnahmen unzüchtiger 
Tatbestände sich delektieren ließen? Ist solche Öffent- 
lichkeit geheimer Verhandlungen nicht strafwürdig? 
Ist der perverse Einfall^ Vertreter der Wiener Presse 
ab Vertrauensmänner zuzulassen, nicht dem Hirn 



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eines ausgepichten Justizwüstlings entsprungen ? Ach, 
die österreichischen Ereignisse kommen inil ihrer Kraft 
der Antithese schoa als Satire zur Welt, und ein Satiriker, 
der ihre künstlerische Gestaltung erstrebt, muß eher 
mildern, als übertreiben. . . Wenn ProfessorTheodor Beer 
wirklich das getan hat, wessen er angeklagt wurde, 
wenn er zwei Knaben an Körper und Seelenheil 
gegriffen hat, — läßt sich sein Verschulden mit der 
ntmilienfeindlichen Unmoral vergleichen, die die Führer 
und Förderer dieses Prozesses auf dem Gewissen haben? 
Was sind die Obszönitäten, die im Hause Beer 4^n 
Kindersimi verwirrt haben sollen , neben den 
anderen, die diese GtorichtsTerhandlung den Kindern 
aller Familien gezeigt hat, so da in. der ,Neuen 
Freien Presse' oder im «Deutschen Volksblatt' 
Erbauung suchen? Was bedeutet die Oemütsdepression 
des kleinen Oskar, unter der die Wiener Öffentlichkeit 
seit zwei Jahren leidet, neben jenem Zustand, in den 
die Gesellschaft versetzt wird, wenn der Fauuliensiiui 
seine Scham entbiuiit und die Gerechtigkeit, auf fordert, 
Selbstbefleckung zu treiben? 

Das Verschulden eines Angeklag-ten wird zu 
bemessen sein, wenn die Schuld seiner Kläger und 
Richter vor den Augen einei* überprüfenden Öffent- 
lichkeit gekläst ist. Nie noch hat ein Sittlichkeits* 
prozeß schwerere Unsittlichkeit erzeugt, nie ist eine 
Anklage wegen Perversität verkehrterem Fühlen 
entsprungen. Die Wiener Moraljustiz arbeitet prompter 
als die Wiener Kehrichtwabse : sie verbreitet den 
Schmutz nicht blofi^ sie vermehrt ihn. Wenn wir an 
den Feststellungen des Gerichtsverfahrens nicht 
rütteln, wenn wir die Depositionen kindlicher 
Erinnerung als Zeugenaussagen achten wollen, welch 
heilloser Skandal l)leibt das Vorgehen jener bedenk- 
licheren Kinderfreuude, die zwei Knaben in den Löwen- 
rachen großstädtischer Sensation gesteckt, die den seeli- 
schen oQhadeUi den diese heimlich einpiaugen hatten 



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undöffentlichbestätip:en mußten, hundertfach vergrößert 
haben! Den Angeklagten zu überführen, hat es eines 
Zeui^en beweisen bedurft^ hat die Aussage zweier Kinder 
ß:enüo;t. Aber zur Belastung seiner Ankläger genügt 
schon die Anklage. Wer hat den armen Jungen übler 
mitgespielt: der Photograph, der sie im Atelier, oder 
die Väter, die sie im Gerichtssaal entkleidet haben? 
Als Oskar und Gustav das erstemal an ihrer Seeie 
Schaden nahmen, haben sich ihre Familien f&r sie au 
interessieren begonnen. Nun sind stOi an der 
Schwelle der Huinbarkeiti su öffentlichen Piiruren 
geworden: Ton der Neugierde ihrer Lern- und Spiel- 
ffenossen geplagt, auf dem Weg ins Leben yon dem 
Interesse einer Gesellschaft bereitet, die den Helden 
der Skandalprozesse treuere Eriinierung bewahrt als 
den Helden der Barrikade. Solch frühreifer Ruhm 
ist leichter zu erringen als zu ertragen. Die kleinen 
Prostituierten, die die Weisheit der Staatsbehörde im 
Berliner Sternberg-Prozeß den Lüstlingen vorführte, 
sind im Preise srestiegen. Den kij^dhohen Zeugen des 
Beer-Prozesses, bei denen die Nachfrage keinem An- 
gebot entspricht, steht ein größerer Erfolg bevor. 
Hoffentlich wird die prompte Bicherbeit, mit der die 
Knaben dem gerichtlichen Verhör Stand gehalten haben, 
sie nicht yerlasseni wenn weitere Anfechtungen sie 
Bwingen soUten, den Arm der Gerechtigkeit herbei- 
aurufeu. Ich glaube nicht» dafi es an Gelegenheit 
fehlen wird, und es mag wahrlich nicht immer leicht 
sein, bei den Behörden Glauben au finden, aumal wenn 
es gilt, sich der schmeichelhaftesten Anträge der 
ersten Päderasten der Monarchie zu erwehren. . . Der 
* Vater des zweiten Knaben« gab an, daü ihn 
— in seinem Verkehr mit dem Anj2:eklagten — vor 
allem eine Äußerung des Professors Beer *niit Miß- . 
behagen erfüllt habe« : daß ^die größten Feinde der 
Kinder die Eltern« seien. Welchem Großmut ließ ihn 
dies Wort des Gegners zitieren 1 Wenn ihn etwas mit 



dem Verführer seines Kindes yersöhnen könnte, mag 
es die spftte Erkenntnis sein^ daß der Herr Professor 
in diesem wie in keinem andern Falle Recht gt^habt hat. 

Der >Yater des erstenc und der »Vater des 
zweiten Knaben«, der » Vater des eben vernommenen 
mid der »Vater des zuerst vernommenen Knaben« . . . 
Die vornehme Presse hat blofi den Namen des Mannes 
genannt, der die Knaben nackt photographiert hat, 
aber nicht dieNamen der Kinderfreunde, die sie nackt 
ausstellten. Sie heißen Steger und Freund. Dieser ist 
bloß Hof- und Gerichtsadvokat, jener auch Regierungs- 
rat und Mitbesitzer einer Kunsibuiterfabrik, aus deren 
Vorrat er den Glanz seiner Plaidoyers bezieht. Er 
reißt fort, wenn er wilU, lieiüt es in SchniOL'ks 
Dekamt^ron der Zierden unseres Barreaus, »um ein 
anderes Mal eine Sache gänzlich fallen zu lassen.« 
Diesmal war er, da er die eigene Sache vertrat, 
so bescheiden, sie gänsiich fallen zu lassen. »Herr 
Regierangsrat Steger«, schreibt sein Biograph, »hat 
den Mut, den ich «hm in der heutigen Zeit hoch 
anrechne, mit Stola sich als Jude su bekennen» Br 
sali, solange man es ihm nicht verekelte, sogar im 
Vorstande der Kultusgemeinde und legte flammenden 
Protest ein gegen die Ritualmordverdäohtigung, trota-' 
dem er Regierungsrat war. Er hatte jedenfalls den 
Mut seiner Überzeugung.« Ich glaube, daß er bloß 
die Überzeugung seines Mutes hat. Denn Regierungs- 
rat wurde er, als man seine Fähigkeit entdeckte, mit 
dem Erzherzog Eugen vierhändig Klavier zu spielen, 
aber seine Stelle im Vorstand der Kultusgemeinde 
legte er nieder, als man »es ihm verekelte«. Seine 
äußere Erscheinung ira Verein mit seinen musikalischen 
Fähigkeiten weist daraufhin, daß nicht nur sein Wort, 
sondern auoh seine Stimme in der Gemeinde Geltung 
hat: man würde ihn, seitdem der Talar eing^e- 
führt ist, auf den ersten Blick für eine Art Ober- 
kanten in Strafisachen halten. Alles an dem Mann ist 



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I 



-8 — 

sonor. Und alles in eine Sonnentharsche Temperatur 
warmen Wohlwollens getaucht^ \n der die Kunstbutter 
zergeht, die man erzeugt und die man auf dem Kopfe 
hat. Weh dem aber, der sich das Wohlwülieii des Vaters 
— das Wort muß Tränen erpressen — verscherzt 1 
Daiii] steht ein Gott der Rache auf, der da ahndet, \^as 
an den Kindern e^esündiet wurde, bis ins dritte Geschlecht 
und bis zur letzten Instanz. Denn es steht geschrieben : 
»Ihre Tochter soilfit du nicht für deinen Sohn 
Aehmen. Denn sie würde deinen Sohn abwendig 
machen, dafi er anderen Göttern diente; und der Herr 
würde zürnen über euch, und dich eilends vertilßjen«. 
In eine getäuschte Hoffnung haben die Schrift- 
gelehrten des Falles Beer-Steger, die Bzegetiker 
dieser zwischen den Familien einer ESskomptefinnn 
und einer Margarinfiibrik spielenden Sensation» haben 
die Ältesten des Franz Josefs-Kai den Ursprung der 
Bibelrache verlegt. Sie fiihrt dann zu den folgenden 
Verkündungen, die man wöi Üich in den fünf Büchern 
und ähnlich in den zehn Zeitungen Moses nachlesen 
kann: *Und bei eiii'm Manne sollst du nicht schlafen, 
wie bei ( iin m Weibe; ein Abscheu ist dies . . , Und kein 
Tier sollst du beschlafen, und dich damit verun- 
reinigen. Und ein Weib soll sich nicht vor ein Tier 
stellen, sich mit ihm zu begatten; dies wäre eine 
sch&ndliche Befleckung ... Du sollst dir kein Abbild 
machen vom irgend Etwas . . . Ihr sollt eure Haare 
nicht ringsum am Ende abscheeren; und du sollst 
von den Enden deines Bartes nichts abnehmen... 
Mannes Kleider soll ein Weib nicht anriehen; und 
ein Mann soll keines Weibes Kleider anziehen; denn 
ein Oräuel des Herrn, deines Qottes, ist Jeder, der 
dies tut . . . Hüte dich, daß du nicht vergessest des 
Herrn, deines Gottes, wenn du gegessen hast, und satt 
bist, und schöne Häuser bauest, und darin wohnesi . . . 
W^enn du ein neues Haus bauest, so sollst du ein 
Geländer um dein Dach machen^ daß du nicht Blut- 



1, 



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— 6 



schuld auf dein Haus ladest, wenn etwa Jemand 

herunterfiele . . . Wenn Jemand ein Weib nimmt, 
und ihr beiwohnt, aber sie nachher hasset, und ihr 
schändliche Dinge aufbürdet, und einen üblen Ruf 
über sie ausbringt, so sollen die Altesten der 
Stadt den Mann nehmen und ihn züchtigen . . . 
Flieht Jemand in eine dieser Städte, so sollen die 
Altesten hinsenden, um ihn von dort zu holen, 
daß er sterbe . . . Denn in seiner Zufluchtsstadt 
hätte er bleiben sollen, bis der Hohepriester gestorben 
war. • « Bin einaelner Zeuge soll nicht aufstehen 
gegen Jemand, wegen irgend einer Missetat und 
irgend eines Vergehens, bei allen Sünden, die er 
begeht; durch die Aussaee aweier Zeugen werde 
eine Saohe best&tiet . . . Du sollst keinen Wucher 
nehmen Ton deinem Bruder, Wucher Ton Silber, Wucher 
von Speise, Wucher von sonst etwas, womit man 
wuchern kann. Von Fremden darfst du Wucher 
nehmen . . . Heil dir, Israeli wer ist, wie du? Volk, 
beglückt von dem Herrn, dem Schilde deiner Hülfe, 
und der das Schwert deiner Hoheit ist, es schmeicheln 
dir deine Feinde, aber du trittst auf ihre Höhen U . . . 

Sollte das Gerichtsverfahren, dem Herr Dr. Beer 
in diesem Chaos von Päderastie, Sodomie und 
Photographie, von Friseurkunst und Architektur, 
von ^Ibstmordi Verrat, Steckbrief, Reichtum und 
Übermut erlag, nicht doch ein wenig jenem Ootte, der 
da ahndet, geopfert haben? Der Angeklagte war von 
seinem vielgeschmfthten ersten Anwdi, der ihn in die 
Flucht jag^, besser beraten, als von seinem Dr. 
Bachräch, der ihm für ein Honorar von hunderttau« 
send Kronen den Si» versprach, Herrn Zweiirenthals 
Worte: »Bs ist schade, da» du nicht schuldig bist, 
denn es ist unter Umständen leichter, einen Schul- 
digen freizub(^kommen als einen Unschuldigen; wä- 
rest du schuldig, würde man die ganze Sache ein- 
fach in die psychiatrische Gasse bringen und be-> 



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weisen, dafi du nicht normal bistc — sind nicht, wie 
die antisemitische Prefihorde brüllt, der Ausdruck jü- 
discher, Advokaiefimoral» sondern blofl einer Erfahrung, 
die. den Wahnsinn der Sexual justis so oft durch 
die Unmoral der Psychiatrie paralysiert sah. 
Welcher einsichtige christliche Anwalt würde seinem 
Klienten mit anderer Auffassung dienen ? Herr Re- 
gierungsrat Bachrach glaubte es mit seinem eigenen 
Einfluß probieren zu können. Er hat ihn nicht ohne 
Erfolg für da« Interesse der Gegner verwendet. Vor 
ailern setzte er, dem em Verteidigerruhra ohne Herolde 
standeswidrig schien, seinem Khenten die Wiener 
Publizistik in den Pelz. Dann erreichte er, daß der 
Klient mit den Anklägern einen Vergleich schloß, der 
seine ruhige Verurteilung garantierte. Die Väter würden 
ihn bloß mit dem allernotwendigsten belasten, als 
Bohiichte Zeugen, nicht als Privatbeteiligte ihm geilen- 
überstehen. Um solchen Preis hat der Angeklagte auf 
die Qele^nheit yersichtet, in das psychologische 
Dunkel, m dem die Anschuldigung e^ konkrete 
Form gewann, Klarheit au Mngen. DieA Passivit&t 
und noch Bwansigtausend Kronen Honorar fQr den 
Anwalt der Väter sollten einen Preispruch nach sturm- 
loser Verhandlung ermöglichen, in der die sachliche 
Widerlegung sachlicher Aussagen den Gerichtshof von 
der Unschuld des Angeklagten überzeugen wurde. 
Die Vornehmheit, die Herr Dr. Bachrach in der 
Berührung mit dem Schmutz der Hoheiten erlernt 
hat, war von Übel. Ein Regierungsrat hackt dem andern 
kein Auge aus, aber der Angeklagte bekam bloß die 
Nachteile jenes Ahkommens anspüren und mußte Tor 
der Familienraohe mehr verantworten, als ihm zuir 
Last gelegt ward. Unter den Augen kontrollierender 
Vertreter der Skandalsucht. Die heiden Väter aber 
durften sich der Sachlichkeit freuen, mit der sie der 
Angeklagte und dessen Verteidiger bedienten, und 
der eine war vielldcht am Sehli»Be des Verfahrens 



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erstaunt, da& der Geß:ner nicht einmal der kriminellen 
Gefahr gedacht hatte, die blinde Yaterliebe über einen 
amen Jungen herauf beschwor, der heute noch su un- 
mündig ist» um den Ruhm seiner 2ieugen8cliaft su er- 
tragen, aber cur Zeit der Tat schon mttndig genug 
war, um Yor dem Gesetse die Mitschuld su verant- 
worten. Indes, elterliche Sorge baut auf ihre eigene 
Weise dem Schaden vor. »Was möglich war, das tat 
er« 5 der Vater, der einfach in die Redaktionen des 
Liberalismus ging und sie bewoi^, zu unt-erdrücken, 
was sich unterdrücken ließ, Namen, Stand, Alter 
usw. ... Es war eine öffentliche Verhandlung 
geg(Mi den Dr. Beer und eine geheime eog-en den 
Dr. Steger, Denn dieser ist ein eifervoller Grott, und 
Wiener Blätter dürfen seinen Namen nicht eitel 
nennen. Sie wissen, wann sie diskret sein dürfen, ohue 
gegen die journalistische Standesehre su verstoßen. 

Ob der Bock nicht doch noch eher zum Gärtner 
taugt als der Journalist sum Vertrauensmann, ist eine 
Frage, von deren Bntscheidunic der Bestand des altea 
S^chworfl oder die Bildung eines neuen ahhängea 
wird. Qlücklicherwme hat journalistische Diskretton 
wenigstens jene Vorkommnisse verschwiegen, deren 
Mitteilung der Erkenntnis des wahren Sachverhalts 
gedient hätte. Dagegen war sie — von der kinder- 
freundlichen Gesinnung der Väter gewoiinen — schon 
vor der Verlumdlung am Werke, den Beschuldigten 
weit ül)er das Maß seiner Schuld büßen zu lassen. 
Da braclitt' joder Tag einen neuen *Fall^, neues 
Belastungsmaterial; da wurde eine »Erkrankung« des 
ersten Knaben, dessen Geständnis jetzt so vielen 
Eltern die Augen geöffnet hatte und noch öffnen 
würde, gemeldet. Kein Zweifel, man hatte es mit 
einem Lüstling wildester Sichtung m tun, dessen 
Treiben erst ruchbar wurde, als er die »schfindiiohe 
Krankheit« ~ so heifit sie offiriell — auf eines seiner 
unglücklichen Opfer Übertragen hatte. Da müfite denn 



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Q 



firetlioh Richter Lynch das Urteil sprechen. Aber 
schnell, — ehe ihm die Aufklärung wird, daß eine Mittel- 
ohrentzündung von der Wissenschaft bis heute nicht 
unter die venerischen Erkiankungen eingereiht ist . . . 
Jahre vergehen, die Untersucher lia!)i»n Zeit und 
Eifer. Noch immer täglich ein neuer Fall, luiiidesttins eine 
neue Notiz. Gegen den Mann, der als BioloL' und 
Psycholoc: das wissenschaftliche Experiment zum Vor- 
wand seiner Lust nehmen komite, wird am Tage 
des Gerichts die ganze besitzlose Volksklasse zeugen. 
Was möglich war, das tat er — der Vater nämlich. 
Aber siehe da, in der Verhandlung treten Bitem 
und Söhne auf, die von dem Wahn besessen 
sind, daß beim Photographieren nichts geschehen, 
nicht einmal das »Storch-Märchen« widerlegt worden 
sei, und man mufi noch Gott danken, daS auf die awei 
Hauptzeugen ein Verlafi ist und dafi wenigstens sie 
ein Abenteuer mit der durch vier Jahre geateigerten 
Erinnerungsfähigkeit wiederzugeben wissen . . . Wenn 
ich hier von <iem — Geheimnis der Zeuijung^ spreche, 
so meine ich natürlich j-'nes, das der Ana'eklagte der 
Jugend sträflich offenbart hat. Denn die Kmder selbst 
mag nach wie vor der Storch bringen, aber die Zenö:en- 
aussagen von Kindern kommen auf natürlichem VV^eg 
zustande. Was sie vor Gericht gesact haben, ist 
gewiß jene Wahrheit, an die sie mit der Zeit glauben 
lernten, und mindestens von derselben Ehrlich- 
keit beseelt, wie die Erzählungen hysterischer Frauen, 
die Not Zuchtsattentate bezeugen, wenn sie sie schon 
nicht erleben . . , Wo in aller Welt nahm man all die 
Phantasie her, die vor, in' und nach dieser Qerüchts- 
verhandlung verbraucht wurde? Die Reportage unter- 
strich, was sie nicht sagte, weckte Vorstellungen 
krassester Art, wo sie verschwieg, dafi jene gelindeste 
Usance des Homosexualismus verfolgt war, die im 
Deutschen Reiche straflos ist. Konnte sie von den 
Taten des Dr. Beer nicht sprechen, so schwelgte sie 



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— 10 - 

in der Stimmung des Milieus. Man sollte den Eindruck 
empfangen, daß im Hause Beer, wo hilfreiche Frauen 
den Lüsten des Gatten und Sohnes assistierten, eine 
Art Kinderschändungsgesellschaft G. m. b. H. etabliert 
war, die sicli l)ei besonderer Bestellung auch mit Tier- 
experinieiiten befaßte. War die Neugierde des Lesers 
* mit Perversitäten überfüttert, so konnte es nicht 
schaden, wenn sie auch das vielzitierte Telegramm des 
Angeklagten an seinen Kechtsanwalt »Stier bei den 
Hörnern fassenc als eine sodomitische Weisung auffaßte. 
Die Phantasie mißbrauchter Leser sollte nicht tr&ger 
arbeiten als die der jugendlichen Qäste des Hauses 
Beer^ denen man »obszöne Photographien« gezeigt 
hatte. »Elephantenrüsselartige männliche Oiiederc, 
so beschrieb der jüngere, »die sich um nackte* 
Körper schlingenc. Also offenbar, da die Natur nicht 
so verschwenderisch ist, keine Amateurphotographien, 
sondern Reproduktionen von Gemälden. Und der Ange- 
klagte gestand, daü in seinem Bibllüthekszinnner tat- 
sächlich außer einer Darstellung: der Laokoniii^ruppe 
die berfihmten Stuck'schen Bildi r >Die Sünde« und 
»Die Wollust« aufgestellt sind. Dem Zcitungsleser 
ward dies Geständnis, das die Autorität des Kronzeugen 
erschüttern konnte, vorenthalten. Dafür wurde er 
reichlich durch die Mitteilung alles dessen entschädigt, 
was in der Verhandlung nicht vorgekommen ist. 
Eine Fälschung von vielen: Auf die Frage des Staate- 
anwaltS) warum die Gattin des Angeiüagten kurze 
Haare trage, hat sie nie die Antwort gegeben, die 
langen seien ihr in der Tür eingeklemmt worden. 
Dem Ankläger selbst mufite jeder Lacheffekt erepart 
bleiben. Eine Bonne sagt aus, dafl sie einen sweiund- 
einhalbjährigen Knaben, der naokt photographiert 
werden sollte, ins Atelier des Dr. Beer brachte. Der 
Staatsanwalt fragt sie, warum sie nicht auf das Schaui- 
gefühl des Knaben, der seine Nacktheit einem Weibe 
zeigen mufite, ßücksicht genommen habe. Um den 



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« 



— 11 — 

Paroxysmus obrigkeitlicher Sittlichkeit, die den Säug- 
ling unzüchtiger Berührung seiner Amme beschuldigen 
könnte, zu dämpfen, waren die Zeitungen so kulant den 
Knaben um ein Jahr älter zu machen* Dafür .ließen sie 
wieder den älteren Belastungszeugen — der sich selbst 
belastete — um vier Jahre jünger sein. Daß der Ange- 
klagte 8o irrsinnig gewesen sei^ die Abfassung einer 
Broschüre su planen, in der er seitliche Frauen, an 
denen er seinen normalen QeschKobtstrieb bewiesen 
hat, preisgeben wollte, müssen die Leser der Gerichts- 
saalberiohte glauben, da sie blofi von der Behauptung, 
nicht von dem Protest Kenntnis haben. Das jour- 
nalistische Zartgefühl ist vor Mißdeutung sicher. 
Es lüftet nicht einmal das Inkognito des »bekannten 
Gynäkologen«, dem eine Sterbende die Gräüel 
gebeichtet haben soll zu deren Anblick sie ihre 
Leidenschaft für den Angeklagteu gezwungen hätte. 
Auf dem Sterbebett lügt man nicht — rief der 
Staatsanwalt. Aber ist denn Herr Dr. Hrrzfeld auf 
dem Sterbebett ? Dann müßte er die schwerste Schuld 
beichten, mit der ein Mann und Arzt sein Gewissen be- 
lasten kann: die Verletzung der Verschwiegenheits- 
pflicht gegen eine Frau. Der Reporter ist diskreter als 
der A rzt ; er hat bei der widerlichstenEpisode dieses wider- 
lichen Prozesses nichtallsulange verweilt und denNamen 
des Trefflichen verschwiegen, der das Qeheinmis einer 
Sterbenden dem nach Belastungsmaterial fahndenden 
Anwalt der beiden Väter ausgeliefert hatte. Vor dem 
Untersuchungsrichter hatte der Spezialist für Frauen- 
leiden sich der Aussage entschlagen, weil die Mitteilung 
eines Berufsgeheimnisses den Arzt in Konflikt mit 
einem Strafparagiaphen, weil sie ihm Schande bringen 
könnte. Einem guten Bekannten gegenüber fühlte er 
sich zu so strenger Auffassuns- nicht genötigt und 
entband sich mit glücklicher Ruhe der ärztlichen 
Diskretionspflicht. Neidlos läßt man ihn jetzt in Fach- 
kreisen als geschickten Entbinder gelten. 



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1 



— 12 — 

« 

Ein SitÜichkeitsprozefi ist die sielbewuflte Ent- 
wicklung einer individuellen zur generellen Unsittlich- 
keit, von deren düsterem Grunde sich die erwiesene 
Schuld des Angeklagten leuchtend abhebt.Die Frage, ob 
Herr Dr. Beer Knaben mißbraucht hat, mag der Ankläger 
schwereren Mißbrauchs ohneweit ers bejahen. Man muß 
nicht einmal die Strafe in ihrer weit unter das 
gesetzliche Maß reichenden Milde als ein Schuld- 
bekenntnis des Qerichts auffassen, nicht glauben, 
dafl die Richter in jener einflußvergifteten Stimmung, 
die ein Opfer verlangte, den Ausweg zahmer Ver- 
urteilung gesucht haben* Man mag auch mit den 
Müttern dieser Verhandlung glauben, daß hysterische 
Knaben an Eindrücken, die sie in den Jahren der 
Pubesoenz erlebt oder erlitten haben, sich als »Fana- 
tiker der Wahrfaeitc bewähren können, dafl Hftnschen 

- Rilow in Wedekind's (nicht aus der Oerichtssaal- 
psychologie gebornen) Kindertragödie iFrühlings- 
erwachen« ein kleiner Gregor Werle ist, der die Onanie 

• für eine Lebenslüge hält und darum ein Venusbild, 
das den Schlaf seiner Nächte stört, dem Orkus des 
Klosetts überantwortet. Es ist nicht ganz so. In einena 
ausführlichen Giitarht(ui zum Fall Beer hatder Breslaner 
Psychologe William St^rn dieSteiirerung der vor Mutter, 
Onkel und Untersuchungsrichter abgelegten Bekennt- 
nisse anders als der Staatsanwalt, anders als mit der A b- 
nähme des Schamgefühls zu erklären versucht: »Psy- 
chische Ursachen, die dem Verhör eine so sehr viel 
geringere Glaubwürdigkeit verleihen als dem Bericht» 
gibt es viele . . « Zunftchst wirkt jede Fra«;e als Zwang 
auf den Gefragten, Erinnerungspartien, die so unklar 
waren, dafl sie sich nicht von selbst einstellen 
konnten, mit Gewalt hevorcusiehen. Sodann wirkt die 
Frage als Suergestion : sie legt eine Stellungnahme 
nahe, die der Fragende erwartet und die der Gefragte, 
wenn er suggestibel ist, nur allzuleicht ohne Prüfung 
zur seinigeu macht, selbst im Gegensatz zum wirk- 



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lichen Erlebnis. Bndlich aber wirkt die Frage, 
namentlich die recht eindringliche, bohrende, oft 
wiederholte, als eine der gefährUchsten Anreizungen 
zu Phantasie- und Lügengebilden, die zu Hilfe 
genommen werden, um die Fragefolter endgiltig los 
eu WIM leii«. Ein für dir l'sychologie des Kindes tief 
bedeutsames Beispiel, ein raerkwürdiees Analogen zum 
gegebenen Fall hat der Sachverständige in Gottfried 
Keller's »Grünem Heinrich« gefunden: »Ich saß einst 
hinter dem Tisch^i mit irgend einem Spielzeuge be- 
sohäftigt, und sprach dazu einige unanständige^ 
höchst rohe Worte vor mich hin, deren Bedeutung 
mir unbekannt war und die ich auf der Straße ge* 
hört haben moohte. Eine Frau 8afi bei meiner -Mutter 
und jdauderte mit ihr, als sie die Worte hörte 
und meine Mutter aufmerksam darauf machte* Sie 
fragte mtdi mit emster Miene, wer mich diese Sachen 
gelehrt hätte, insbesondere die fremde Frau drang in 
mich, worüber ich mich verwunderte, einen Augen- 
blick nachsiiuiend, und dann den Namen eines Knaben 
nannte, den ich in der Schule zu sehen pflegte. So- 
gleich fügte ich noch zwei oder drei andere hinzu, 
sämtlich Jungen von zwölf Iiis dreizehn Jahren, mit 
denen ich kaum noch ein Wort ^esprociii n liatte.« Die 
Sache wird angezeigt; es ioi^t Verhör in der Sehlde, und 
der Knabe gestaltet nun die begonnene Fälschung zu 
einem gewcdtigien Phantasie- und Lügengewebe 94is: 
»,Wo hast du die bewufiten Dinge gehört von 
diesen Buben?' Ich war sogleich wieder im Zuge und ant- 
wortete unverweilt mit trockener Bestimmtheit: 
Jim BrüderleinaholseH Dieses ist ein Qehdla, eine 
Stunde von der Stadt entfernti wo ich in meinem 
lieben nie gewefim war, daB ich aber oft nennen 
harte. ,Wie ist* es dabei zugegangen, wie seid ihr 
dahin gekommen?* fragte man weiter. Ich erzählte, 
wie mich die Knaben eines Tages zu einem Spazier- 
gange überredet und in den Wald hinaus mitgenommen 



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14 



hätten, und ich heschrieh einläßlich die Art, wie 
etwa größere Knaben eiiioii kieinorn zu einem raut- 
wiliigen Streifzuge mitnehmen. Die Angeklagten 
gerieten aufier sich und beteuerten mit Tränen, dati 
sie teils seit langer Zeit, teils gar nie in jenem Ge- 
hölze frewesen seien, am wenigsten mit mirl Dabei 
sahen sie mit erschrecktem Hasse auf mich, und 
wollten mich ini' Vorwürf^m und Fragen bestürmen, 
wurden aber zur Ruhe gewiesen und ich aufgefordert, 
den Weg anzugeben, welchen wir gtegangen. Sogleich 
lag derselbe deutlich vor meinen Augen, und ange- 
feuert durch den Widerspruch und das Leugnen eines 
Märchens, an welches ich nun selbst glaubte, 
da ich mir sonst auf keine Weise den 
wirklichen Bestand der gegenwärtigen 
Szene erklären konnte, gab ich nun we^ 
und Steg an, die an den Ort führen. Ich kannte 
dieselben nur vom flüchtigen Hörensagen, und 
obgleich ich kaum darauf gemerkt hatte, stellte 
sich nun jedes Wort zur rechten Zeit ein.« Folgt 
die Erzählung der kompliziertesten Abenteuer. 
»Noch nie hatte man in der Schule eine solche 
Beredsamkeit an mir bemerkt, wie bei dieser Er- 
zählung- Es kam niemand in den Smn, etwa bei 
meiner Mutter anfragen zu lassen, ob ich eines Tages 
durchnäßt und nächthch nach Hause gekommen sei. 
Dagegen brachte man mit meinem Abenteuer in Zu- 
sammenhang, daß der eine und andere der Knaben 
nachgewiesenermaßen die Schule geschwänzt hatte^ 
gerade um die Zeit, welche ich angab« Man glaubte 
meiner großen Jugend sowohl, wie meiner Brsählung ; 
diese fiel gans unerwartet und unbefangen 
aus dem blauen Himmel meines sonstigen 
Schweigens. Die Angeklagten wurden unschmdig^. 
verurteilt als verwilderte bösartige junge Leute, da 
ihr hartnäckiges und einstimmiges Leugnen und ihre 
gerechte Entrüstung und Verzweiflung die Sache 



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— 16 - 

noch verschlirninerten ; sie erhielten die höchsten 
Schulötrafen, wurden auf die Schandbank gesetzt 
und überdies noch von ihren Eltern geprügelt und 
eingesperrt.« Erst nach Jahren geht ihm sein Unrecht 
auf. »So oft ich daran dachte, stieg mir das 
Blut zu Kopfe und ich hätte mit aller Gewalt die 
Schuld auf jene leichtgläubigen Inquisitoren schieben, 
ja sogar die plauderbafte Frau anklagen mögen, 
w^che auf die verpönten Worte gemerkt und nicht 
geruht hatte, bis ein bestimmter Urspnmg derselben 
nachgewiesen war«. . . Qottfried Keiier's Ontachten 
durfte im Prozeß nicht zur Verlesung gelangen. Man 
wird sa^en, dafi der »Grüne Heiarich« ein auto- 
biographischer Roman ist und dafl im kleinen Qott* 
fried eben schon der exzeptionelle Mensch, der grolle 
Dichter steckt. Aber vielleicht ist auch die Zeugen« 
aussa^ des kleinen Oskar eine Talentprobe, und 
wenn er ein Dichter ist, muß deshalb ein 
Anderer noch kein Päderast sein... Dem Breslauer 
Psychologen fällt es übrigens auf, daß die 
beiden Knaben leus^nen, miteinander verkehrt zu 
haben; die Kommunikation lasse sich mit i>estimmt- 
heit iiiuiehiiK n. Und sie wird auch von kopfschiittehiden 
Freunden beider Häuser bestätigt. TJas Stern'sche 
Gutachten kommt zu dem Schlüsse, daß die Aussagen 
der beiden Jungen — so weit sie im Protokoll des Unter- 
suchungsrichters gediehen sind — , in8l)e8ondere die 
des Hauptbelastangsseug^en, »so viel psychologische 
Fftlsohungsmomente «eigen, dafl sie nicht als 
Beweisgrflnde fär die Realitit des behaupteten 
Tatbestandes gelten könnenc, und dafl die psy- 
chische Ver&nderung des jüngeren Knaben »weder 
ra ihrem Beginne und Verlauf nodi in ihrer Be- 
schaffenheit mit Sicherheit auf einen mimaligen 
Ohoo siurüokeuführen sei und daher nicht den 
Charakter eines objektiven Beweismomentes habec. 
Ich Will dem Pacluuann Unrecht und den Laien, 

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die die beiden Zeugen ia der Verhandlung g^iOrt 
haben, Reoht geben. Ich will auch ein weiteres 
Bedenken gegeo- die Bohtfärbigkeii ihrer Bekennt- 
nisse nur ftufiem, uqi es bu besiegen« Die Knaben 
schienen so m deponieren, als ob sie schon im 
Erlebnis die sKtliohe Empörung empfunden hälten, 
die sich später ihrer Eltern bemächtigen sollte. In 
der kindlichen Verwunderung über all das Neue, das 
sie gesehen iiubeD, klinp^t gleich die pädagogische 
Mißbilligung mit. Der eine Knabe sagt: ^Ich habe 
ihr nun erzählt, was ])r. Beer mit mir getan hat, 
daß er mir Auf klanin gen gab, die ich nicht verlangt 
habe«. (Sie wollrn mir sagen, wie die Kinder zur 
Welt komiiion, mein Herr? Ich bin nicht neugierig; 
das werde ich noch früh genug erfahren.) »Ich 
dachte mir nur: Es ist unmögUoh, was er mir gesagt 
hat, das kann nioht sein, das kommt nur bei 
ordinären Leuten vor. £k haben sich in mir unnatür- 
liche Vorstellungen gebildet«, (loh bin im Ent- 
wicklungsalter» mein Heir» und da bleiben Imoht 
sexuelle Bindrüjcke haften; lüso Yorsiobti wenn 
ich bitten darfl) »Der furohtbäre Eindruck ist mir 
klar geblieben«. Und auf eine Frage des Verteidigers, 
wörtlich: »Umso besser für sie, Herr Verteidiger, 
wenn Sie so etwas nicht durchgemacht habenc. Der 
Präsident appelliert an die psychologische Erfahrung 
des Zeugen: j>Spielt Ihnen die Phantasie vielleicht 
einen Streich, daß Sie verweben, was Sie denken, 
mit dem, was sich wirklich zugetragen hat?« Ant- 
wort: »Nein«. Und der Knalje erzählt, er habi^, nach- 
dem er einmal dem Dr. Beer l)o(::('gnet sei, zuhause voll 
Wut die Handschuhe ausgezogen und der Mama gesagt: 
»Lah roge mioh auf, weil ich ihn wieder traf. Die 
Hflndschuhe ziehe ich nidit mehr an. Ich habe mir 
auch die Hand gewaaehmc. Und: »Den Sohmutz 
bringe ioh in meinem Leben nioht weg«« jDie 
Beaktion auf die Tat des Verführers war also idne 



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1 



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hoohmondisohe. Und wieder: »ESs war mir das Ganse 
unverständlich. Ich habe dem Vorfall keinen Wert bei- 
gemessene. Auf die Frage, ob der Zeuge mit jeman- 
dem darüber gesprochen habe: »Nein. Ich habe 

mit niemandem darüber gesprochen. Ich suchte die 
unangeiiehine Erinnerung zu verlieren. Dr. Beer 
zeigte Photographien, die der Ivnal)e »nicht habe 
sehen wollen; es seien Bilder gewesen, die ihfi ab- 
gestoßen hätten«. Audi die Erzieherin hozeiurt das 
kindli(^he Verständnis fiir den Überi^rüT des i r- 
wacli^iMiHti. In Aussee habe ihr der Knabe gesairt : 
»Dr. Beer hat micli bei der Tür empfangen, war 
aber noch nicht angezogen. Was sagst du dazu?« 
(Ich wette, er ist homosexuell — muß hier eriränzt 
werden). Auch der Onkel berichtet, der Knabe habe 
ihm ein (Gespräch mit Dr. Beer wie folgt wiedererzählt: 
Beer fragte: Glaubst Du an den Storch? Der Knabe 
habe »mit Nein geantwortet, obwohl er eigentlich davon 
nichts wufitec. »Er wollte nur von d^m Thema los- 
kommen.« Er hatte, sagt die Mutter, »niemals 
Neigungen, auch 'nur ein Witzblatt mit gewissen 
Bildern anzusehen, wenn es zufällig in seine Hände 
katn. Er hat keinen Gesc Innack dafür gehabte. Er ist 
ein »Fanatiker der Wahrheit«^. Aber er bt^chiet nicht 
nur eine Unsittlichkeit, er erkennt sie auch sofort. 
Sonst sind Kin Icr n^nii:ierig und Mütter ertahreo. 
Hier ist es einmal umgekehrt. Sonst fragt der Bub, 
der zum erstenmal einen Klassiker best, was das 
Wort »Huret bedeute. Darauf gibt ihm die Mutter 
in der Regel eine Ohrfeige. Hier wäre es wohl umge* 
kehrt. Dies Kind — kein Engel ist so rein, aber auch 
keiner so ahnungsvoll — spricht von den Gefahren, die 
seiner Jugend drohen, etwa so, wie jener Possen- 
friedrich von dem siebenjährigen Ejrieg, in den er 2u 
siehen* beschlielBt. Um im Milieu des Prozesses zu 
bleiben: Diese kleinen Historiker sind wirklich rück* 
wärts gekehrte Propheten . . . 



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I 
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~ 18 - 

Indes» Venn wir auch von der Schuld des Herrn 
Dr. Beer überseugt sein müfiten, um ihn verurteilen 
zu können» so brauchen wir gewifi nicht an seine 
Unschuld 2U glauben, um sur Verurteilung des Pro- 
zesses berechtigt zu sein. Besteht zwischen dem, 
was er getan hat, und dem, was er leiden soll, ein 
Mißverhältnis, so mag es ihn, seine Freunde, seine 
Juristen beschäftigen. Weit ärgtre Zwietracht regt 
uns auf, die wir im Walten einer schamlosen Sitten- 
justiz tasrtäglich Vernunft in Unsinn, Wohltat in 
Plague verwandelt sehen. Und so wie ich manchmal 
stilistische Fehler einer journalistischen Äußerung, die 
ich zitieren will, heimlich beseitige, um ihre infame 
Gesinnung um so wirksamer blofiaustellen, so könnte 
ich einem Prozefiyerfahren seine gesetaliche Korrekt- 
' heit zubilligen, um wichtigeren Schlüssen Teilnahme 
und Glauben zu sichern. Daß die Circo von 
Mürzzuschlag keine vollwertige Buhlerin war, ist 
störend; ich hätte sie freier gegen philiströsen 
Unverstand verteidigt. Die Schijid des Herrn 
Dr. Beer müßte offenbar sein — und* mein Tadel 
des 1 Vozeßskandalö wäre wirksamer, weil er von dem 
Verdacht unbehelligt hHebe, eine Reinwaschung des 
Angeklagten üu hedeuten. Sie liegt meiner Absicht 
80 fern wie eine Beschönigung der Tat, deren ihn 
ein Richtersprueh schuldi» befunden hat. Das Urteil 
ist es, das die Tat beschönigte. Denn dem uniM forscli- 
lichen Ratschluß des Herrn Feigl hat es gefallen, 
den Angeklagten nicht wegen Kinderschändung 
(§ 128), sondern we^en Homosexualität (§ 129) zu , 
verurteilen. Die widerspruchsvolle Diktion des 
Schändungsparagraphen — mit ihrem törichten 
wenn-Satz — hat den Mißgriff verschuldet Aber in 
dem UnzuchtsgerQmpel des alten Strafgesetee^ ist es 
gerade der eine Paragraph, der noch in den Hersen 
freier Zeitgenossen, die Menschliches mit menschlichen 
Mafien messen, Widerhall zu wecken vermag. 



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19 



Denn darüber sind sich heute nur die Kriminalisten 
nicht klar : Der Gesetzgeber, der so völlig ahnungslos 
am Geschlechtsleben herumatümpert und so wenig 
geneigt ist, die Verbrechen des Rückenmarks der 
Untersuchung durch den Arzt zu überlassen, hat im 
Sezuaireioh blofi drei Rechtsgüter su schützen: 
die Gesundheit, die Willensfreiheit und die Un- 
mündigkeit. Der Staatsanwalt lasse das Individuum, 
das im Bewufitsein einer venerischen Erkrankung 
seine venerische Wirksamkeit fortsetzt, wie einen 
tollen Hund einfangen, er klage die Gewaltanwendung 
an und den Mißbrauch von Kindern. Was willige 
und mündige Menschen miteinander tun, davon lasse 
er seine Hand. Rechtsgut kann nie die private Sitt- 
lirlikiut, höchslens der öffeniliciie Anstand bein. Was 
innerhalb der vier Wände geschieht, kann kein Ärgernis 
erregen, und die Staatsgewalt ist nielit genötigt, sich 
vor's Schlüsselloch zu stellen. Die Zudringlichkeit einer 
Justiz» die den Verkehr der Geschlechter reglementieren 
möchte, hat stets noch die ärjeste Unmoral 
gezeitigt; kriminelle Belastung des Sexualtriebs ist 
staatliche Vorschubleistung m Verbrechen. Der 
Denunziant und der Erpresser sind die Bundesgenossen 
des Sittenrichters. Wird die Moral zum Rechtsirut, 
so sind die Lebensgüter der Freiheit, des Seelenfriedens 
und der wirtschaftlichen Sicherheit gefährdet. Kuppelei, 
Wuclier und Ausbeutung gedeihen, wenn das kri- 
minelle Risiko mitbezahlt werden muß. Homo- 
sexueller Verkehr: aut dem Fettboden der Strafdi nhung 
blüht der Weizen der Chantage. Und sie ist das ver- 
heerendste Verbrechen, das die Moraljustiz auf dem 
Kerbholz hat. Wenn der Erpresser nie zum Denunzianten 
wird, wenn der auf das Opfer tägüch geübte Druck 
die ßrewünschte Wirkung tut und die Unterlassung 
der Strafanzeige mit täglich erneuten Höllenqualen 
und dem wirtschaftlichen Ruin erkauft wird| dann 
— ich schrieb es schon einmal — versagt des 



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30 



Theoretikers Weisheit. Qewohnt, auf der Faulenzer- 
Grundlage der »Statistik« zu denken, weil) er keinen 
Rat: ihm fehlt die Statistik der nicht erstatteteif 
Anzeigen und der befriedigten Erpressunfi^en. Und 
da ihm ein allzu dürftiger Besitz an Phantasie und 
Lebenserfahrung — er ist ja Kriminalist — die 
Zahlenweisheit nicht ersetzen kann, so ahnt er nicht, 
daß in derselben Stunde, in der er sich einer Welt- 
ordnung freut, die Unsittlichkeit und VergewaHigung 
unter Strafe setzt, in seines Vaterlandes Gauen 
tausende unglücklK he Menschen in Furcht und 
Schrecken des nahenden Erpressers harren. So traurig 
die Sache ist, so grotesk i'^^t es, daß der Dummko[)f 
Staat, dem es auf die »Fortptlanzuns:« ankommt und der 
die Naturtriebe vom Standpunkt der Rekrutenaus- 
hebung beurteilt, lieber eir Jammergeschlecht ent- 
stehen und die Päderastie sich vererben lassen will, 
als daß er die zur Zeugung nicht Berufenen sich 
ausleben und somit aussterben liefie. Handelt er aber 
human, wenn er blofi für die kommende Generation 
von Päderasten besorgt ist und die lebende mißhandelt, 
wenn er die Nervenkraft von tausend barmlosen, 
tüchtigen oder hervorragenden Bürgern unter den Druck 
krimineller Gefahr und sozialer Schande stellt?. . . Herr 
Moritz Benedikt freilich, der Nervenpatholog, will 
sie erlösen. Er wurde nach seiner Meinung üher den 
Fall Beer gefraj^t und hat, ohne erst die soziale Ge- 
fahr der Kinderschäudung und die der Homosexualität 
gegeneiiiafuler abzuwägen, eine Methode in Vor- 
schlag c:ebrauht, die den unsehgen Opfern di^r Männer- 
liebe helfen könnte. »Enthaltsamkeit, Zuchthaus oder — • 
Chirurgie«. Wenn sich perverse Menschen nicht ent^ 
halten tnid nicht jede einzelne sinnliche Wallung im 
Kerker büßen wollen, sokönnensieja — gibt's etwas Ein- 
facheres und zugleich Radikaleres? — »einen chirurgi- 
schen Bingrifif an sich vornehmen lassen c . Man schwankt, 
ob man sich mehr über die Menschlichkeit oder 



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— ai — 

über die Kapazität dieses Nervenarztes, der den 
Ghinirgeii zuhiife ruft, freuen soll. Nur schade, dafi 
er nicht auch angegeben hat, wieviele EOrperteUe 
eigenüioh amputiert werden müssen, um den Patienten 
Tor einem »Konflikt mit dem Sittengosetsc bu be- 
wahren. Im Prozefl Beer wurde die Hand des Ange- 
klagten schuldig befunden. Aber ich weiß nicht, ob mau 
nicht ausschließlich die Nervenstränge amputieren zu 
lassen brauchte, um Staatsanwälte und Nervenpatho- 
logen vollständig zu beruhigen. Denn Michelangelo wäre 
ein großer Päderast geworden, auch wenn er ohne 
Hände auf die Welt gekommen wäre.,. Man muß 
sich nicht bei den Albernheiten eines Zeitgenossen 
aufhalten, wenn es die Vorurteile/ eines Zeitalters zu 
bekämpfen gilt. Mit Professor Sigmund Freud habe 
man die Einsicht und den Mut, zu bekennen, dafi 
der Homosexuelle weder ins Zuchthaus noch in den 
Narrenturm gehört. Waren grofie Denker^ Künstler 
und Gelehrte aller Zeiten, um deren perverse Sexualität 
wir wissen und .deren ethische Hoheit wir anerkennen, 
deren gesunden Oeist wir bewundern, krankhafte 
oder Terbrecherische Schädlinge? Die Propaganda 
der Kuiturnnenschen, die in Deutschland und Österreich • 
die Abschali'ung des nienschenniui derischen Para- 
graphen bezweckt, wird zura Ziel führen — mögen auch 
die Familienväter, die in ünitern, ParUunenten und 
GelehrLeastubeo die nächste lietbrm (\v< biraigesetzes 
vorbereiten, von der Angst um den geregelten Be- 
trieb in den staatlichen Gestüten der Menschheit 
gelähmt sein. Man wird si^ zwingen, das Gesetz so 
einzurichten, dafi ein Knabenschänder nicht deshalb 
in den Kerker wandere, weil er nicht nach dem 
Geschlecht, sondern deshalb, weil er nicht nach dem 
Alter gefragt, nicht weil er Knaben, sondern weil 
er Kinder mifibraucht hat. Mit Professor Freud mufi 
man der Ansicht sein, dafi die Tat, deren Herr 
' Dr. Be^ besichtigt wird, nicht uskt&r dem Gesichts- 



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punkl der Homosexualität zu beurteilen ist und daß die 
V erurteüang in solchem Falle aus demselben Grunde 
erfolgen müßte, wie wenn ein Mädc^hen unter vierzehn 
Jahren geschlechtlich mißbraucht worden wäre. »Eine 
Verurteilung zweier erwachsener Personen wegen 
homosexuellen Verkehrs ist zu bedauern; ein Mensch, 
der Knaben mifibraucht hat, die noch nicht das ge- 
setsdiche Alter erreicht haben, soll verurteilt werden.« 

Aber die Väter sollen ihn nicht anzeigen. Weil 
die kriminelle Erledigung solcher Affairen gegen das 
Interesse sündigt, das geschützt werden soll» weil sie den 
Schaden vermehrt, den die Tat gestiftet hat. Wenn 
zumal nicht mehr geschehen ist als im Falle Beer — 
und wenn dafür stärkere Beweise vorliegen — , kann 
eine Ohrfeige als das der Tat entsprechende Straf- 
ausmaß angesehen werden. Weiter durfte der legitime 
Kinderfreund auch im Selbsthilferecht nicht gehen. 
Er, der Jurist, durfte nicht, wie er es zuerst eretan, 
dem BeschuliÜLTten »Bedingungen«stellen, ihm die Wahl 
stellen zwis( lien Zuchthaus und anderen Strafen, die 
er in privatrichterlicher Machtvoilkonamenheit über 
ihn zu verhängen wünscht : Verlust des Lehramts und 
Landesverweisuujg. Er durfte nicht, wenn er weder 
anzeigen noch sich mit dem Ausschluß des Jugend- 
yerderbers aus dem Familienverkehr h^nügen wollte, 
den Mittelweg» die Aufhebung der Staatsgrund- 
gesetze, wählen, statt eines gerichtlichen Urieiles eine 
Rechtsfolge provoeieren und die Freizügigkeit des Be- 
schuldigten sistieren wollen. Auch durfte der andere 
Vater nicht an den Vater 'des Beschuldigten schreiben : 
»Mit Rücksicht daraiit", daLi Sie mir und meinen 
Kindern stets freundlich entgeß:engekomraen sind, 
habe ich es für meine Pflicht gehaiten, Sie davon 
zu verständigen, bevor ich etwas veranlasse. Vor 
allem fordere ich, daß Ihr Sohn sich bei meitiera 
Freund und Anwalt stelle . . . Ich verliere keine 
Minute mehr.c »Ich* habe erwartet«, bekennt 



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* 



- 28 — 

der Absender des Briefes vor Gericht, daß der Em- 
pfönger *&ich durch nichts abhalten lassen werde, zu 
mir zu stürzen und mir in irgend einer Weise Vor- 
stellungen zu machen.« Da dies nicht geschah, 
durfte er dem Gegner nicht schreiben : »vSie 
haben sich hinter Ihrem Advokaten und Ihrem Vater 
verkrochen, statt Sühne zu bieten c Daß die Herren 
aus der Furcht des Beschuldigten nicht Vorteil ziehen 
woUteni ist ihnen ohne weiters zuzubilligen. Aber 
Gesetz und Moral verbieten, die Furcht zum Nach- 
teil des andern zu nützen. Gegen die Anmaßung 
solcher Hausjustiz habe ich mich damals in einer 
begrifflichenUntersuchunedes Erpressungsparagraphen 
gewendet. Herr Hofrat Feigl, der yieUeicht in der 
landläufigen Meinung lebt, daß zur Erpressung ein 
gewinnsüchtiges Motiv gehöre, vernahm, wie sich 
die beiden Zeugen ihres Versuchs einer friedlichen 
Intervention rühmten, vernahm die Worte: »Wenn er 
der Aufforderung, sich zu stellen, Folge leiste, werde 
keine Anzeige erstattet werden, er brauche nur auf die 
Professur zu verziehtfMi und Osterreich zu verlassen«. 
Herr Hofrat Feigl erwiderte : »Es ist bejjreitlich, daß die 
Herren, wenn sie keine Anzeige erstatten, wenigstens 
die Genugtuung haben wollten, daß der Mann Reue 
vor ihnen bekunde«. Der juristische Sinn des Herrn 
Hofrats Feigl begriffe es vielleicht sogar, daß die 
Zeugen — ein Gerücht hat's ihnen sugetraut — 
vom Beschuldigten eine Leistung 2u wohltätigem 
Zweck verlangt, also auch in das Privileg des Staates, 
Geldstrafen eu verhängen, eingegriffen haben. Bloß von 
Hausarrest soll nie die Rede gewesen sein. Aber wenn 
Herrn Feigl auch das Veriiingen nach solcher Genug- 
tuung begreiflich scheint, daim kann man der staat- 
lichen Justiz nur den Rat geben, sich vor der Ambition 
eines selbstherrlichen Rächers zurückzuziehen, der 
Privatbcteiliij^ter, Atikläger und Richter m eigener 
Person sein möchte. Wie weit ein Vater in der un- 



> 



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ffesetslichen Vergeltung einer Übeltat gehen kann» 
deren gesetzliche Verfolgung seinem Qeschmack und 
seiner ViUerliebe widerstrebt, das scheint der gesunde 
Menschenverstand besser eu wissen als der juristische. 
Prügeln begreift er, Bedingungen stellen — das 
findet er so unbegreiflich wie eine Strafanzeige. 

...Am Tage, da in öffentlicher, mit strengstem 
Ausschluß der Heimlichkeit durchgeführter Verhand- 
lung der moralische Schaden unzüchtig berührter 
Knaben bemessen ward, fand vor dem Schwurgericht 
ein Beleidiguno:sprozeß statt, in dem sich ein Klein- 
gewerbetreibender gegen d-^n V^orwurf der Lehrlings- 
schinderei wehrte. Da wurde, wie etwas, das sich 
von selbst versteht, die Wiener Sitte erörtert, nach 
der ein Knabe, der als Zugtier dient, eine Warenlast 
von drei- bis vierhundert Kilo, wenn aber noch ein 
Hund vor den Handwagen gespannt sei, die doppelte 
ziehe. Ein Votant war esu der sich bemühte, das Oe- 
wisf en des gekränkten Qescbäftsniaunes au enÜasten 
und die Kinder- und Tiermarter als eine Usance' des 
Wiener Kleinhandels zu erklären. ESner richterlichen 
Kritik ward diese nicht unterzogen. Das Ende der 
Verhandlung habe ich nicht abwarten können. Ich 
nehme an, daß die zwölf Besitzer von Handwagen, 
die auf der Geschwornenbank saßen, den Angeklagten 
der Beleidigung bohuldig gefunden haben. Aber auf die 
Gefahr hin, endgiltig in die Reihe der moralischen 
Scheusale von Nero bis Professor Beer gestoßen zu 
werden, erkläre ich, daß mir das Verschulden des 
Mannes, der hundertmal der Knabenschändung und 
des Vorschubs zur Sodomie überwiesen wäre, hundert- 
mal n^ringer scheint als jener Mißbrauch von Kindern 
und Tieren^ dessen täglicher Anblick im Wiener Straßen- 
bilde uns schmerzt und beschämt, daß mich das SohickBal 
des Lastknaben beklagenswerter dünkt als das des 
Lustknaben. Ich glaube, die sittliche Verkleisterung 
der Gehirne, die aus der zärUicfaen Berührung der 



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— 26 — 

Kleinen * eine Sensation macht und die gewinn* 

süchtige Mißhandlung ihrer Körper hinnimmt., wird 
bald dem Ideal jeuer lebensfeiiuilichen Asketik reif 
sein, die die Last für menschenwürdiger als die Lust 
erklärt hat, Atif den Sittlichkeitsprozessen, die vor 
irdischen Richterstühlen geführt werden, liegt schon 
etwas wie der Abglanz j^^ner Effüllune:. Weit über 
die Straftat hinaus maßt sich der Arm der ( M i echtig- 
keit an, in das Leben des Angeklagten zu greifen, 
und durch die Maschen des praktiscben Gesetzes langt 
er, um sein Menetekel an die Wand einer Privat- 
wohnung zu schreihen. »Es ist nicht Sache der 
Anklagebehördec, sagt diese, »in dem knappen 
Rahmen der Anklageschrift die überaus xahlreichen 
Momente zu erörtern, welche darauf hindeuten, dafi 
der vermöge seiner finanziellen Unabhängigkeit, seiner 
Öffentlichen Stellung und seiner anscheinend fas* 
zinierenden gesellschaftlichen Gaben in jeder Hinsicht 
bevorzugte Beschuldigte ein IndividutitTi ist, das zti- 
mindest in der Moral Ansi lianLingen aufweist, w(»lche 
überhaupt von dem normalen Anstands- und SittHchkelts- 
gefühle abweichen«. Kls ist nicht Sache der Anklage- 
behörde, aber sie kotmU? es sich doch nicht ver- 
sagen. Da sie also zwar die Erkenntnis, aber nicht 
den guten Willen hat, so wud es notwendig sein, ihr ni 
jedem einzelnen Falle zu sagen, daß sie bloß Taten 
zu verfolgen hat und daß sie die »Anschauungen« des 
Beschuldigten einen Schmarren angehen. Ich bringe 
der Staatsanwaltschaft, wenn sie es noch nicht weiß, 
zur Anzeige, dafi auch meine Moralanschauungen 
»überbauptc — und üottseidank — von dem normalen 
Anstands- und Sittlichkeitsgefühle oder von dem, was die 
Staatsanwaltschaft darunter versteht, abweichen. Aber 
nicht darauf wird es ihr anzukommen haben, sondern auf 
die Untersuciiung, ob ich Kinder geschändet oder sonst 
eine gesetzwiiii ge tiaadlung l)eganfi:en habe. Für 
alle Fälle teile ich ihr mit, daß in meinem Arbeits- 



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ziraraer einige Radierungen von Felicien Rops hängen. 
Ich kann nicht dafür garantieren, daß ein Setzer- 
lehriing, der von meinem Arbeitstisch kommt, nicht 
Eindrücke nachhause trage, die seine jugend- 
lichen Sinne verwirren. Mag er auch durch die tech- 
nische Mitarbeit an der ,Packel* darüber hinlänglich 
aufgeklärt sein, dafi der Storch nicht die Kinder bringt, 
so KBxm loh doch ni6ht wissen, ob er nicht, eindringlich 
gefragt, mindestens sugeben würde, dafi ich ihn »ob- 
SKÖne Photographien« habe sehen lassen* Vor solcher 
Möglichkeit ist niemand, selbst ein Staatsanwalt nicht 
geschützt. Dr. Beer ist bartlos. Ich bin es auch. Der 
Staatsanwalt ist es auch. Um die homosexuelle 
Tendenz des Angeklagten zu beweisen, fragte er 
dessen Gattin, warum sie kurze Haare trage. Die Frage, 
warum der A ngeklaö:te bartlos sei, rauiiLe er sich leider 
versagen, und allgemein wurde es als ein taktischer 
Fehler der Staatsanwaltschaft empfunden, daß sie nicht 
einen bärtigen Substituten, am besten Herrn v. Türk, 
gegen den Angeklagten aufgeboten hatte. Für den, der 
nicht auf die objektive Wahrheit der Zeugenaussagen 
neurasthenischer Kinder schwört, schrumpft der Be- 
weiS| der hier cum Schuldspruch geführt hat, eu 
einem fatalen Indizienbeweis zusammen. Wer aber 
ist Yor einem Indizienbeweis sicher? Herr Dr. Beer 
hat den Besuch von Kindern empfangen. Wer ist Tor 
Kinderbesuch sicher? Nicht einmal ein Staatsanwalt. 
In Pötzleiasdorr sieht ein gastlicli Haus. Dort läßt 
Herr v. Kleeborn, der Chef der Ankhigebehüide und« 
Junggeselle, die Kindleni zu sich kommen. Dort sind 
Kleineraädchenjausen an der Tagesordnung. Auch 
Herr v. Kleeborn ist ein Kinderlreund; darum hat 
er sich besonders energisch fvr die Vei folgung 
des Dr. Beer eingesetzt. Die freilich das Gebaren 
des Professors am schärfsten mißbilligen, sagen, 
er sei gar nicht pervers, sein Snobismus sei straf- 
bar, der ihn das Studium der Kipderpsyche übertreiben, 
mit einem nackten Knaben auf dem Arm in Gesell- 



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27 



Schäften erscheinen und einmal den Ausspruch tun 
ließ, im Kinderzimmer sei es interessanter als im Salon. 
Aber ist denn die Kinderfreundschaft des Herrn v. Klee- 
boiU) der an Soramertagen oft vierzig Lieblinge traktiert 
und zu Ausflügen ladet, eine alitägUche Erscheinung ? 
Hält sie sich in den Qrenzen des normalen Qeschmaclä? 
Die Übertreibung der Humanität macht diesem 
gefühlvollen Staatsanwalt gewifl alle Ehre. Ahec 
Wörde er sögem, sie gegen einen der sträflichen 
Einderliebe Beschuldigten als »Indiziumt geltend zu 
machen? Würde er nicht, der in der Kinderrettungs- 
gesellschaft das große Wort führt, sogar die Mitglied- 
schaft eines Verdächtigen verdäclitio: finden? Bewahre 
der Himmel Herrn v. Kleeborn vor der Möglichkeit, 
daß einer seiner Lieblinge zu hysterischen 
W'ahngf'biideii neigt oder sich gar eine Mittel- 
ohrentzündung zuzieiitl Die »Ans( hauungen«, Hie der 
Staatsanwalt »aufweist«, sind gewiß nicht alltäglich. 
Eher ist es die Tat, deren Herr Dr. Beer schuldig be- 
funden ward. Darum macht ja auch der große Apparat, 
mit dem die rächende OerechtiKkeit in solchen Fällen 
auffährt^ einen so grotesken Eindruck. Ein 
Junge hat ausnahmsweise von einem Professor gelernt, 
was er sonst unfehlbar von einem Mitschüler gelernt 
hätte. Die Tat des Erwachsenen mag schändlich 
sein. Aber dem offiziellen Österreich, dem Land der 
Konvikte, steht es wahrlich schlecht genug an, 
sich darüber zu ciitrusteii, daß die Jugend aus dem 
Geleise der normalen Geschlechtsentwicklung geworfen 
werde. In den Pßanzstäuen bureaukratischen und 
aristokratischen Geistes wird freilich die Altersgrenze 
strenge respektiert, und es kommt dort gewiß si Itni 
genug vor, daß ein Knabe unter vierzehn Jahren 
einen älteren mißbraucht. Aber kann man denn nicht, 
ohne Widerspruch befürchten zu müssen, geradezu 
behaupten, daß die ganze österreichische Staatskunst 
ein Produkt mutueller Onanie ist ? In diesem Reich 
der wüstesten theresianistisohen Triebe sollte sich die 



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28 



offizielle Sittlichkeit doch nicht so patzig machen! 
Ihre Blamierung würde wie eine iLaite Douche in 
einem Dampfbad wirken. In diesem Land der ein» 
gestellten Untersuchungen gegen die Verkäufer 
obszöner Photographien (nicht nach Stuck)| die nach- 
weisen köanen, dafi sie auch hocligüstellte Persön- 
lichkeiten zu ihren Kunden zählen^ in diesem Staat, 
der Kupplerinnen einsperrt, weil sie eine schäbige 
Klientel haben, und Kupplerinnen ungeschoren läßt, die 
noble Herren bedienen, in diesem Staat vei un^^lückter 
Staatsanwälte, die peinliche Afifairen nicht rechtzeitig 
vertuscheln vvollteii, sollte das Schamgefühl wahrlich 
etwas zurückliaitender sein! Der Beschuldigte des 
letzten großen Sittliciiktitsexzesses Ijegründete seine 
Flucht mit der Furcht, die ihm sein erster Anwalt 
eingeflößt halte: »Es herrsche bei Gericht eine 
große Erbitterung. Man sei der kleinen Prozesse 
müde, man wolle einen großen Prozeß aufrollen, 
ein Ezempel statuieren. Ein Vorsitzender sei bereits 
ausersehen, der sich durch besondere Schärfe 
au82seichnet€. Das klingt nicht unglaubhaft. Die 
Herren unterscheiden zwischen Prozessen, in die sie 
»hineinsteigenc wollen und solchen, in die man »nicht 
hineinsteigt«. Hier kamen diese alten Hineinsteiger 
einmal aut ihre Rechnung! Hier ward von Richtern 
endlieh wieder euinial vergessen, daß auch sie ohne 
Talar iVlenschen und ohne Kleider iiackt sind . . . 
Aber was iht das? Welchen Knabenstreich spielt mir 
Phantasie, daß ich »verwebe, was ich duuke, mit dem, 
wa.s sieh wiridich zugetragen hat« ? Wie, wenn sich 
der Kall — der sich gewiß nie zugetragen hat — 
wiederholte, daß ein Angeklagter dem Richter zuruft: 
»Damals haben Sie anders mit mir geredet, als Sie 
auf mich im Votivpark gepaßt haben!«? Und ist 
dies große Beispiel für den Sieg des Allzumenschlichen 
über das Allzurichterüchei ist das Ende Uoizingers ver- 
eessen? In flammenden Lettern sollte seit jenem 
Tage, da in der Amtsstube ein Schuß gekracht hat, 
über dem Oerichts^ebäude die automatische Weisung 
prangen: Richte Dich selbst! 



Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Karl Kraus. 

Sunuk von jaluxU oiid SüNBd. Wko, Iii, Hünttrc ZollAmistn^C^iIrtized by Google 



Die Fackel 



NR. 188 WIEN, 18. NOVEMBER 1905 VII. JAHR 



8&tse und X^ehren ihm Gebranch lOr die Ji^fend*) 

Von Oscar Wild«. 

Schlechtigkeit ist eine von cruten Menschen 
erfundene Fabel, die die roerkw^ürdigu Ansiehungs* 
kraft der anderen erklären soll. 

Wohlerzogene widersprechen anderen. Weise 
widersprechen sich. 

Langweile ist der mündiggewordene Emst. 

Wer die Wahrheit spricht, wird sicher früher 
oder sp&ter ertappt. 

Vergnügen ist das einsige, wofür man leben 
sollte. Nichts macht so alt wie das Glück. 

Nur wer seine Rechnüngen nicht beaahlt, darf 
hoflkn, im Uedächtois der Kaufleute weiter bu leben. 

Kein Verbrechen ist gemein, aber jede Gemein- 
heit ist ein Verbrechen. Gemeinheit geht immer von 
anderen aus. 

Bine Wahrheit ist nicht mehr wahr, wenn sie 
mehr als einer glaubt 

Im Examen stellen Toren Fragen, auf die Weise 

nicht antworten können. 

- • 

*) £me dettiache Ütxrsetziwg. 



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ber Meifi ist clie Wursel aUer HäiUichkmt 

Greise glauben alles; Männer bezweifeln alles; 
Junge wissen alles. 

♦ 

Die Voraussetzung zur j Vollendung ist Trägheit; 
das Ziel der Vollendung ist Jugend. 

Nur den Meistern des Stils gelingt es, dunkel zu sein« 

»■ 

Es liegt etwas TragTsches darin, daß es gegen- 
wärtig in England eine ungeheure Anzahl junger 
Männer ^ibt, die mit voUendeter Physiognomie ins 
Leben hinaustreten und sohliefilich einen nütBlicben 
Beruf ergreifen. 

Eigenliebe ist der Beginn eines lebenslänglichen 
fiomaas. 

Es ist wichtig, geschäftliche Verbindlichkeiten 
nicht einzuhalten, will man sich den Sinn für die 
Schtoheit des Lebens bewahren. 

Verwandte sind einfach eine langweiiigeSippe^ die 
nicht die geringste Ahnung hat, wie man leben, und 
nicht das schwächste Oeiühl, wann man sta-ben soll» 

Es ist abgeschmackt^ ein hochnotpeinliches 
Richtmaß anzulegen, was man lesen TRSlite und was 
nicht Mehr als me Hälfte der modernen KuUw hängt 
Yon dem ab, was man nicht lesen sollte. 

Fragen sind nie indiskret. Antworten bisweilen. 

Sittlichkeit ist lediglich die Haltung^ die man 

gegenüber unsympathischen Menschen einnimmt. 

« 

Selbstaufopferung sollte polizeilich \:erboten sein. 
Sie wirkt so demoralisierend auf die Menschen, für 
die man sich aufopfert. 



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Haus und Schale. 

T. 

I>ie Diebe ilirer Rechte* 

»Die Eltern sind die Femde 
der Kinder«. 

Awspnidi einet wegen Kinder- 
«ehlndiiiig Ver u rtei l ten. 

Meines Vaters altes Vorstadthaus, das ansehnlich 
und bieder in die Strafte ragte, war mit allerhand 

windelweich grefor raten Möbeln angefüllt. Da standen 
Schreine ohne Kanten und wuUtige schwammige 
Stühle neben fürsorglich abgerundeten Tischen, und 
zahlreiche Polster und Kissen, wie Stoßhallen aus- 
ebaucht, lagerten besctiwichtigend auf hartem Holz, 
arait die Kinder nie.ht sittonwidri^e Beulen bekämen. 
Dieser Bereicli kraftloser Ängstiichkeit behütete na- 
mentlich die Jüngstgeborenen ganz eigenartig. Die 
Säuglinge wurden in wattierte Decken geprelt und 
mit Wickelbändern eng yerschnürt. Das gab fAn 
prächtiges handliches Packet, denn es war nur noch 
*ein verschwindend kleiner Rest eines eingesargten 
Menschen sichtbar, nflmlich die von einer IiStdichteu 
Mumienhaube umschlossene Nahrun^ffnung. In 
diese wurde mfeliohst oft ein widerhcher Brei ge- 
stopft und das Packet dann in der Luft geschwenkt, 
wozu man blödsinnige Reime lallte. Die Walzen 
wurden natürlich seekrank oder entfalteten ein 
beunru])igendes Innenleben. Es ist auch verständ- 
lich, daß diese geknebelten, halb erstickten Dinger 
Mißfallen über die erbärmliche Behandlung aus- 
drückten, die ihnen widerfuhr. Sie stießen geilendo ^ 
Entrüstungsschreie aus, die sich bis auf die Gasse 
verpflanzten und von den Leidensgenossen der Nach- 
barschaft mit den noch verfügbaren Opernkräften 
erwidert wurden. Hätten die kleinen Leute nicht ge- 
schrien, wären sie gewifi totgepflegt worden. ISpäter^ 
als wir Kinder schon gelernt hatteni Miflhandlungen 
SU verkneifen, waren wir dem Hause, namentlich 
Sonntags, zunftchst ein Ornament, ein leblos-steifer 



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Spitzenschnörkel, der bloft 2u eiiieJr Art SpietddseH 
tätigkeit erweckt wurde, wenn es galt, am Namens 
tag des Vaters ein eingedrilltes Qedioht herzusagen • • 
Man sieht also, das alte Haus hatte kaum eine Idee tq 
demi was BrBiehung eigentlich ist. Wollte ein Schnörk« 
sich emporranken, sich an Fremdes heranfra^en 
sich den Oroflen angleichen, so wurde er ent 
weder barsch abgefertigt oder man machte ihr 
etwas Berlinerblaues vor. Übte er aber eiiuiiS 
sein gutes Recht, Lärm zu schlagen, so kar 
gewiß aus verschlafener Ecke ein Zorn ruf wie ein 
aufi^escheuchte Fledermaus herangeraascht uad mai 
hörte dann: Mein Gott, lernt ihr denn solchen Unfu| 
in der Schule! Und in der Schule sae^ten sie uu 
wieder, wir wären vom Haus aus verzogene Rangen 
mit denen nichts aneufangen sei — wiewohl da^ 
iweifellos eine gemeine Verdächtigong war. Den^ 
der Eine hatte l'aient zum Rutschen, der andere suii 
Springen, dieser war Traber, jener Läufer « oda 
Renner und nicht wenige hätten sich so^ siu 
Fliegen geeij^net Aber das wollten sie nicht redj 
sehen, weil sie hätten denken, mit unserer Hend 
bildung sich ernsüich mühen müssen. Demnach wurde 
wir eigentlich weder von der Schule, noch vom Hau^ 
erzogen, sondern nur niedergehalten, zur Seibstab 
tütung unserer Unbeständigkeiten gezwungen. D« 
Andeutungiivolle j<Hloeh, das Verheißende in dd 
Nebeln unserer Wesenheit wurde nicht hervorgei» 
und konnte sich nur heimlich entwickeln. Ein Pacll 
ist eben eine gar bequeme Form, die das HintJ 
legen in ein enges bürgerliches Fach begünstigt. . . U| 
mag die Methode auch noch so morsch gewordi 
sein, es genügt, daß sie erzieherische Unzuiängliq 
keit mit dem heuchlerischen Glanz geBChichUiG| 
BfarwQrdigkeit eu verhüllen weifi. 1 
Ihr könnt es mir also jetst eher glauben, wa 
ich Yersichere» dafi meines Vaters biederes Yorstfl 
haus eine Unmenge von Verboten erfunden hfl 



— i — 



und in fast heimtückischer Weise zumeist das Aller* 
eio&chste und Natürlichste dem lebenshungrigen 
Jungen enteog. Ich will von den Vorenthaltungen 
Uer Speisekammer nioht reden und von den hoch- 
mütigen Verweigerungen, die lu allen Tagesstunden 
so aromatisch und henlos aus den Spalten der 
Küohentür quollen, die Sohnflffler höhnten, ihr Ver- 
langen bis Bu einem qualvollen Grad würdeloser Gier 
..aireizten. Denn auch der Garten, der prächtiß^e viel- 
verheißende Regent unserer Sommertage, enttäuschte 
uns. Er war nicht das, was er hätte sein küunen: 
ein Ausschnitt aus dem Brevier der Natur. Er ent- 
täuschte durch f'iiir^ vorlaute Fülle von unreifem 
Obst, durch Blumen, die man nicht pflückten durfte, 
durch absurde, zu Salon teppichen entartete Rasen- 
flächen, die als Liauf- und Spielplätze verboten waren, 
und die mit ihrem boshaften GhrQn die hellen Kleider 
desjenigen, der sich etwa gern gewälzt hätte, mit 
scheußlichen Qrasflecken und deren krtminellen Folgen 
bedrohten. Aber auch die Kletterbäume<^und die wie*- - 

Emden Äste, wp das freie Volk der Finken und 
rossein schrankenlos jubelte, waren nicht fOr uns 
schwingenlahme Zwinglinge geschaffen. Wofür hätte 
man denn sonst die steifen Turnapparate hingeslelk? 
Da sollten wir ganz langsam und bedächtig die Ge- 
lenke knacken lassen, wie alte Pensionisten, die einen 
bejahrten Schutzengel mit gestocktem Blute liaben. . . 
Aber weiß der Himmel, wie es kam: des Abends 
waren die Kleider dennoch ^rasgnin, man hatte 
Beulen, runde, püaumen blaue, und die Schuhe waren 
zeugnisreich mit Baumrinde und Ameisen angefüllt. 

An Begentagen konnte man vergleichsweise Äe 
weither£igere Duldung im Innern des Hauses loben. 
Unsere Verbündeten: Türen, Winkel und Verstecke 
' förderten Absonderung und Selbständiffkeity doch gab 
I es auch hier Gegenstände, die ihren ^eck nicht er^ 
! nUen wollten« wenn wir sie höflich aufforderten, sich 
gebrauchen m lassen. Zum Bdapiel wftre es ein be? 



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denkliches Unterfangen ^^ewosen, die trä<2:en Tabaks- 
pfeifen in des Vaters Zimmer aus ihrer glutlosen 
Buhe aufssuscheuchen, Vermessenhait aber, die -tücki- 
schen Spazierstöcke, die eine Sühne gestörter Ordnung 
schon freudig lauernd herbeiwünsch ten, zu einer Offen* 
barung ihres Wesens zu reizen. Und diese Jagdge- 
wehre! Wozu sind sie unter strengen, sohanernd 
gehörten Verweisen blank geputit und mit leeren 
TodesdrohuDgen geladen worden, wenn es, wie unsere 
Versuche sweifellos erwiesen haben, garnicht lebens- 
gefährlich ist, auf ihnen Kapseln abzufeuern ? . .*. Wie 
bedauerlich ist es, daß ein anständiges Bürgerhaus so 
eklig viel verbietet, den jungen arbeitenden Kopf 
mit fabelhaften Warnungen, Geheimnissen und un- 
nötigen Schwierigkeiten des Erfassens belastet! Wozu 
hat z. B. ein jedes soh hes Haus ein ewig verschlos- 
senes Gemach, genannt Salon, dessen Türen so selten 
Kindern gnädig sich erweisen ? In unserem Heim war's 
ein grofler, ungelüfteter, unheimlioh stummer Pracht» 
räum, der seit Menschengedenken nicht geheizt ward 
und nur aur Zeit des österlichen und weihnächtllchen 
Reinemachens betreten werden konnte. In dieser Zone 
des Ungewöhnlichen, der feierliche^ Andeutungen 
mufite man sich schon Anstand und Haltung gel^n, 
um die Unwissenheit über das Problem su vertorgen, 
weshalb hier die gepolsterten StQhle in grobe Leinen- 
Säcke gesteckt waren und so beharrlich die Kunst 
ihrer Formen und Farben der dankbar staunenden 
Bewunderung entzogen. Stockend fragte man sich 
ferner, weshalb die lebensgroßen Brustbilder der 
Groß- und Urgroßeltern die eiLrenen Fnkel mit stechen- 
den, beängstigenden Polizeiblicken verfolgten, die 
Eindringlinge so heblos für Vergehen vorbestraften, die 
ja noch gar nicht ausgedacht waren . . . 

Aber alle diese Prügel des patriarchalischen Re*! 
giertwerdens konnten uns doch nicht die sünd- 
hafte Lebensfreudigkeit austilgen. Wann B&ume su 
knospen uod Kinder au denken be^nnen, ist uo« 



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bestimmt. Aber allmählich grünt es ja docb| und man 
wurde sich dessen bewußt, daß Eltern und Stamm- 
herren vergeblich die Menschwerdung ihrer Kinder 
erschweren, ihnen veip^eblich das aus Anschau* 
ung und aittemder ontdeckerfreude ausammen- 
li:eset2te Vergnügen des Erkennens einschränken, 
diese Welt der warmen, schön und glücklich ge- 
schaffenen, sinnreich erfundenen Dinge, die der 
junge Forscher immer streicheln, nützen, mit hung- 
riger Vernunft ergründen und uusprobcu möchte, 
vergeblich mit Befehlen voll verborgener Absicht 
enteisenen. Jene Bingf^bildcten, die bloß die flackernde 
Willkür zähmen und mii Drohungen und Zuckerwerk, 
mit Strafen und einsichtsloser Güte die Jungen über- 
füttern, ihre Frische entnerven, die Zaubermacht ihrer 
Begabung ersticken, die Packung für wichtiger halten 
als den Inhalt, dürfen sich nicht selbstgefällig Er- 
zieher nennen. Zu preisen ist ee, daß in den ehr- 
barsten Häusern immer noch gesunde Verbrecher 
geboren werden voll «lohnenden Trotses, und su 
bedauern ist, dafi die Temperamentloseren und 
Schwächeren m dürfti^n, wunschlosen Musterknaben 
oder au vergrämt -boshaften Hämmlingen entarten. 
Heute begreife ich allerdings, weshalb ein gescheiter 
Nachbar einmal gesagt hat, meines Vaters Haus 
schwitze vor Angst. Es war die Furcht vor den Taten 
der Kinder, die Hilflosigkeit einer Familie, die, rnit 
dornenvollen Geschäften überlastet, in der Tage Mühsal 
die K ndererziehung als lästige Nebenbeschäftigung 
empfand und die eigene Unzulänglichkeit in der 
Übung der Pflicht nicht erkannte, übernommene 
Kultur, den Greboten eines immer höher sich ent- 
wickelnden Daseins entsprechend, auf Nachkommen 
zu tibertragen. Es war die Bequemlichkeit eines 
Autokraten, der Gesetze blind befolgt sehen will^ 
statt die Hörigen zu sittlichen Handlungen ansuieiten» 
4ie aus innerer Überzeugung zwanglos au vollaiehen 
aind« Ss war die sohwitsende UnwissiKihait eines 



« 



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Gärtners, der bildsame Organismen, die Luft, Sonne 
und Freiheit brauciien, in den Schatten stellt und 
sie anbindet und Scheinblüten der Ordnung züchtet, 
die in die Landschaft des Lebens nicht passen und 
verdorren. Darum ist auch die machtvollste Kinder- 
hilfe die, m't der die Jugend sich selbst hilft. Die 
Fähigkeit, Trieben zu gehorchen und das Herzklopfen 
anersogener Onindsätse su überhörea» die Kra^ 
einen Clan von Hemmungen zu durchbrechen, die 
Stärke, sich als Dieb vorenthaltener Rechte zu er- 
weisen — diese ttnerschöpfiichen, ausgleichenden 
Gtesohenke der Natur sind es, die alle ummerkranke 
Verschlafenheity alle faide Ärmlichkeit des Denkens 
besiegen und mit ewig treuer Weisheit in den Ge- 
schicken der Letztgebornen auch das Geschick der 
Rasse lenken . . . 

II. 

Verkrüiipelt. 

Die Lemehttle mit Over 

Vermittlung von Wortvissen 
nnd fast ein-^-iger Inanspruch- 
nahme des Oehörs unter allea 
Sinnen darf nicht mehr länger 
die ausschließliche Unter- 
rkhtifbrm litetben, veü tfe 

\ IkIIIC IDOOCnWII- MCUKJMl 

erziehen kann. 

Die Sitzschwielentltigkeit 

der Chinesen leitjgt 

keine Genies. 

Hueppc*) 

Als ich elf Schuljahre durchgesessen hatte, 
wurde ich in der fünften Unterrichtsstunde eines 
öden Realschulvonnittags von einem Anfall tiefster 
Kulturverachtune: hpin]<i;(^sucht. ich heschloß so 
unaufmerksam zu sein wie mögUch und fafite den 
Vorsats» mein ohnedies karges Leben fürd^ durch 

*) Ober Unterricht und Erziehung vom sozial-hygienischen und 
mlitanfhropoIogischeB Standpankt - Sondenbdrack atu iter ZdlMlHift 
nr SoiiMiicMdiaft A. Reimer, Berihi 1905. " 



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die Wissenschaft absolut nicht mehr stören zu lassen. 
Derlei Verstocktheit beruhigt einigermaßen, konserviert 
die Kräfte, die man im heimtückischen, mit allen 
Finessen der Unmoral geführten Gueriilakrif u: gegen 
die Lehrer so rasch verbraucht. Indem ich nua zur 
JBIrholung die Hände axial verdrehte uad besorgt tlie 
eräderten Beine strich, fühlte ich zu meinem 
chrecken, daß diese Beine kürzer geworden waren. 
Kein Zweifel, sie waren im Begriffe zu schrumpfen* 
Nach elf Sündenjahren des StiUsitzens auf Schul- 
bänken macht sich Blutleere in den Pü&en beraerkbari 
dann verholzen sie allmählich und endlich ist 
die Rfickbildung da, ein Prozefi, von dem 
kein unvernünftig vernachläßigtes Organ verschont 
bleibt. So hatten wir's nämlich in der Somatologie 
gelernt, das ist die Wissenschaft, die jene 
Gesundheitsregeln eifrig predigt, die in der 
Schule nie befolo:t werden. . . . Bis zur Matura 
werden also die Füüe gewiß vertrocknet sein. 
Und eigentlich sind sie ja auch völlig über- 
flüi^sig; denn wozu braucht man denn bei der Matura 
überhaupt noch Füße? Wenn nur der Kopf wie ein 
Magazin jene Unmenge von Formein, Regein, Zahlen 
und Vokabeln ordnungsmäßig verpackt enthält, die 
der Wortschwall der Protessoren vergeudet, dann 
ist alles gut und richtig« und der Kandidat wird 
selbst mit den augenschemlichsten Verstümmelungen 
für normal entwickelt gehalten und für »reife 
erklftrt. . . . 

Ich griff aho zunächst an meinen kostbaren 
Schädel. Schien mir\s doch am Morgen, als oh mein 
Hut locker gesessen hätte! . . . Man wird nach elf 
Schuljahren wirklich <jaiiz verstört — die Folgen 
jenes iätimeiidpii Troplenfalls von Millionen Schul- 
sekunden, dereii jede erbarmungslos mit einem >^Nicht- 
genügend« gedroht hat. Das höhlt den har rsten 
Stein, zermürbt den Tapfersten, macht den Will gsien 
bockig, yerdummt den Klügsten. Und je näher die 



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Matura heranrückt, umso öfter tragt man sich 
zweifelnd, ob man unter einem angebornen oder 
selbstverschuldeten Idiotentum leidet, oder gh gar 
diese ganze Unterricht erei nicht etwa doch ein 
ausgemachter Blödsinn sei. Natürlich entschloß ich 
mich für die zweite Hypothese. Es ist zu erfreulich, 
wenn man einmal den Schultyranncn, sei's auch nur 
im Gedanken, so recht die Wahrheit sagen kann. 
Und dann: außerhalb der Schule waren wir ja 
doch niemals so stumpfisumig wie innerhalb dieser 
Marterpfähle. 

In jener fünften Unterrichtsstunde meines 
KW5lften Schuljahres las' der Olympier auf dem 
Katheder' einen Absats aus Dickens Weihnachts- 
gesehiohten vor. Das klang aber gar nicht wie 
Dickens, sondern wie ein Englisch, das man etwa 
in der Gegend von Leitomischl an der Lautschna 
hören kann. Dieser gute englische Professor verlebte, 
statt nach London zu gehen, seit fünfundzwanzig 
Jahren die Hauptferien in seiner böhmischen Heimat, 
denn er hatte viele Kinder, die er dem Vaterlande 
nicht allzu sehr entfremden und in den Ferien auch 
billig ernähren wollte. In diesen Weihestunden, wo 
wir die Lautschna englisch rauschen hörten, versäumte 
der Professor selten^ uns auf den Segen der »mo- 
dement Realschule aufmerksam zu macheni die er 
die einzige »zeitreifec Schule der Gegenwart nannte. 

Als ich aber nach der Matura» der Schule satt, 
mich nach Plüladelphia wenden wollte, wo meines 
Vaters Bruder seit Jahrzehnten seflhaA ist^ sollte 
ich bitter enttäuscht werden« Ich erhielt den fol* 
genden Brief: 

Lieber Neffe! 
Da Du nicht englisch kannst und Deine Photo- 
graphir' zeigt, daß Du verkrüppelte Füße und Hände 
hast, so rate ich Dir dringend ab, eme praktische 
Laufbahn in unserem Lande zn beginnen. Dein 
outtelaiterliches Buchwissen wird Dir wenig nützen« 



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— 11 — 



Auf den eigenen Füfien stehen können, iat hier das 
Erste, mit den Händen schaffen, ist das Zweite. 
Dann heifit es laufen, die anderen überholen, sich 
mit den Fftusten wehren. Ein hurtiger« frischer, 

; natürlicher Mensch, der zugreift, fröhlich bildet 

I und gestaltet, kann bei uns das Leben erobern I Aber 
wie willst Du das vollbrine^en? Etwa mit Deinen 
verderbten Füßen und Händen, die zeigen, daß 
man Dich nicht zur Tatenlust, nicht zur Arheits- 
freudif^keit, nicht zur kämpf l>ereiten »zeitreifen« Per- 
sönlichkeit erzogen hat — ich sage nichts weiter, denn 
ich habe keine Zeit, viel zu reden. 

Dein Onkel Frans. 

I Als Amerika so schroff meine Maturitätskultur 
abgelehnt hatte, beschlofi ich seufsend die Studien 
fortsusetasen, Somatose su essen und österreichischer 
Beamter za werden. 

Wien. Professor Victor Loos. 

m m 

I hob der Hetäre« 

Gliche der Anklage: Klapperschlange zur xten Potenz, 
bloße Berührung tötend, Vampyr in verlockendster Gestalt, alles 
Minnliche erbarmungslos aussaugend, nicht aus Not, sondern aus 
! Sport, Gefahr ger:ide für die Besten, üeschwür am Leibe der üe- 
I seUschaft. Q i f 1 1 (Bildschmuck: Totenkopf und gekreuzte Knochen). 
Clich6 der Verteidigung: Naturprodukt Es gibt ebui 
auch Klapperschlangen. Kann man von ihnen verlangen, nicht zu 
sein? Oder anders zu sein? Sollen Klapper$chlaiigen etva Strümpfe 
i stricken statt lidfien? Und es gibt eben auch solche, denen Klap- 
poschlangen gefallen. Sie mfissen wissen, mit wem sie es zn tun 
haben. Klnj^eit tut not! Lerne den Umgang mit Klappersdilangen ^ 
— oder wundere didi nicht, daß du gebissen wiist. . . Gegengift! 
(Bikbchmuck*: BleidierRou6 mit Qiftphiole auf seine Sthrne zeigend, 
f^iff^i miraisch andeutend^ daß dort das Gegengift ist^. 

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Demgegenfiber drei Thesen: 1. Ein Qift, das nur bei Selbst* 
mdrdern giftig wirkt/ ist kein Oift. 2. Eine Klugheit, die gegen 
den eigenen Willen zum Untergang schützt, gibt es nicht. 3. Eine 

Substanz, die Verwesungsprodukte; anzieht und festhält, reinigt 
die Luft. 



Alles, was uns nxatg^ anfeuert, begeistert, jedes Tonikum 
bringt eine erbölite Ausgabe des Oi^nismus mit sich. Sie ist 
dort unsehidlich, wo auch die Rekonstituiionsflhigkdt des Oii{k- 
nlsmus in glefchem Qrade wächst (das nennen wnr dann einen 
»gesunden« Oiganismns) und dort scbidlich, wo der Ersatz nicht 
gleichen Schritt mit der Ausgabe hält (das nennen wir dann dnen 
»dekadenten« Organismus). Da nun der Delndente infolge fort- 
schreitender Schwächung immer stärkere Depressionen zu flbcr- 
winden liat, so macht sich bei ihm ein immer stärkeres Bedürfnis 
nach Tonika (Narkotika) geltend. Was beim Gesunden ein (jcnuß 
ist, das ist beim Dekadenten eine Leidenschaft. Was beitii Gesunden 
Tonikum ist, das ist beim Dekadenten Gift! Der Dekadente, der 
einer Leidenschaft fröhnt, ist also dem Untergang gev^eiht, und es 
ist ohne Belang, ob er ein unbewußter, oder ein bewußter Selbst- 
mörder ist und wie lange der Selbstmord dauert — keine Über- 
legung, keine Klugheit knnn ihn retten. Wenn ich ihm sage: was 
Sie wünschen, vet kürzt Ihr Leben, wünschen Sie nichts, damit 
* dehnen Sie Ihr Let>en aus — so könnte er ^ir mit klarer Logik 
antworten: Ich habe meine Wünsche nicht in meiner Qewah, soll 
4ch auf einem Sopfaa liegend möglichst hinge auf den Tod warten? 
Und glauben Sie nicht, daß auch dann meine Begierden mich 
eben so raadi verzehren würden, wie wenn ich sie auslebte? Wozu 
das Leben ausdehnen, selbst dann, wenn man es könnte? Das 
Leben hat den einzigen Zweck, es zu verbrauchen, lassen Sie es 
mich verbrauchen I Und ich kann es mir in nieiiier Leidenschaft 
verbrauchen. Dazu rät mir meine Klugheit. Ich wünsche tat- 
sächlich das Nichts, denn ich weiß, daß ich ein Verwesender bin. 
Ich will sterben, lassen Sie es mich auf meine Fa^on tun . . • 
Ihr Rat ist Torheit. 

Wenn also der Leidenschaftliche! der l>estimmt ist, an sehler 
Lfi^enschaft zugrunde zu ^en^ an dieser oder |ener Heti|r^ ^ 

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— 18 — 

^runde geht — wer kann sie, die Zufallsnrsache, verantwortlich 
machen, da doch die causa cfliciens in ihm seihst ist? Die Hetäre 
ist für sich immer gleich, für ihre verschiedene Wirkung ist sie nicht 
verantwortlich. Sie selbst ist eine rücksichtslose Sich -Verbraucherin, 
ihr Leben ist der Hingabe und Verschwendung geweiht, sie bietet 
sich jedem jenseils von Out und Böse dar. Dem einen ist sie ein 
Objekt des Verlangens^ dem andern dn Objekt der Bc;gierde, dem 
einen Erhebung, dem andern Zerstörung. 

Man könnte aber sagen, daß sie auch den Gesunden, 
durch finanzielle Ausbeutung:, zu schädigten imstande sei. Allein 
auch das i'^t unrichtig. Wie der Dekadent, der seiner Leidenschaft 
nicht widerstehen kann, em i<örperlicher Verschwender ist, so ist 
auch der Geld Verschwender dn echter Dekadent, der semem Triebe 
nicht zu widerstehen vermag. Der Gesunde kann auf den Genuß, 
auf die Erfüllung seines Verlangens warten, er nimmt, was sidi 
%m von adbst bietet, - der Kranke kann dies nicht Daher ist Ver- 
sdtwendung fast immer die Begldtung dner andern Leidenschaft 
Diese nimmt das yenn()gen und gibt es der Hetäre. Und nidit 
dnmal der Vorwurf trifft de, daß jenes Vermögen den Darbenden 
besser zu gute kime als ihr. Denn das Odd Hebt zwar die Ver- 
sdiwender und HetSren -* doch nur, weil sie ihm immer wieder 
die Freiheit geben. Die Hetäre ist selbst ihrem innersten Wesen 
nach Verschwenderin, sie lebt im Luxus und auf dem kurzen 
Uniwt der Hetäre fließt das Geld schneller den Darbenden zu 
als auf dem langen LJmwegf der Erben und Betruger. Die Hetäre 
wirkt der Kapitaiskumulierung entgegen. 

% kann fiberhaupt nur Gutes wirken. Dem Gesunden und 
OlflckUchen gibt sie Oesundhdt und Qlflck, ohne daß er hiczu 
Kti^hdt nötig hätte (hier kann ich die Bemerkung nicht unter- 
drücken, daß der Verkehr mit der Hetäre die wdtaus geringste 
Odahr dner Infektion in sich schließt), den Unglücklichen und 
Beladenen schafft sie Verdienst und den Sterbenden ei leichtert 
und verscliönert sie das Sterben. 

Das Sterben verschönern : darin liegt ihreHauptbcstimmtmg • 
hn kompllderten Aufbau der Gesellschaft Sie ist die große Luft- 
rdnigerin der Oesdlsduft, sie» die mit ihrem glänzenden Schdne 
lOlfs Verweseti(le anlpckt, festhält upd isoliert. So erspart de den 

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— 14 — 



Ocsunden den deprimierenden Aspekt klagenden Leides, verhindert 
unglückliche Ehen oder befreit unglückliche Gatten, verhindert 
vor allem verbrecherische Fortpflanzung und venniiidert dadurch 
die Leiden der Welt ... In allen vornehnieii Kulturen waren 
deshalb die Heiären auch stets der Gegenstand besonderer sozialer 
iiihrung. Lucianus. 



Puk af (Pflück ab) : so heifit ein Bauerokrug, 
Der nicht zu weit vom alten Poggfred liegt, 
Wo sich das Fuhrwerk ausruht und der Pflug, 
Ein Erzschelm lögt, dafi sich der Balken bi^. 

Zuweilen hält auch an ein Hochzeitszug; 

Kurz, alles Leben lacht dorti unbesiegt. ' 

Doch muß das Leid gar oft die Lust betäuben, 
Dann schaudern wir, dafi sich die Ilaare sträuben» . 

y Hier tranken sich mal toll und voll vier Bauern. 
. Des einen ^Wagen hat sie hergebracht. 
*Er selbst kutschierte. Und die Pferde lauern 
' Nun mit ;r<-senktem Hals bis Mitternacht. 
I Ich mcu litc mit den armen Gäulen trauern, 
^ hat kein Mensch an ihren Durst gedacht. 

Ein wüster Lärm dringt her: Die Zecher gröhlen, 
Als säfien sie im Schofi von Teufelshöhlen. 

Die Ernte diesmal: besser noch als gut, * 
j Ja, zwanzigfältig bogen sich die Ähren! 

Da setzt sich mal der Landmann schief den Hut: 
I ^ü^t wWt wi uns mal» d4Mnmmich! ameseern,« 




Die betrunkenen Bauern. 



Von Detlev v. LiUencroii. 



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! 



— 16 ~ 

■ 

Gesagt, o;etan. Im Willen wächst der Mut. ; 

Wer wirds nach ihrer Arl)eit ihnen wehren. ! 
Doch endlich nehmen Peitsche sie und Stock ■ 
Und fahren ab, die Sch&del voü von Grogk. 

Stockfinster ist die Nacht. Noch kreischen sie 

Und schreien durcheinander wie verrückt. 

Der Mensch wird tierisch, menschlich wird das Vieh; 

Die Braunen traben nüchtern, unverzückt. 

Mähüa: verstummt die edle Kompagnie, 

Das schwere Haupt in halbem Schlaf gebückt. 
Bis einer aus dem Wagen fällt, seekrank. 
Und in den Qraben kiülert und . — ertrank. 

Die andern fahren ihres Weges weiter, 

\ ou ihnen hat es keiner wahrgenommen. 

Im Dusel träumen sie von Land und Leiter, 

Daß sie auf ihrem Hofe afiö:f^kommen. 

Sie schwanken, ihr Gehirn wird breit und breiter, 

Sie lallen dösig, halb und halb beklommen. 

Da fällt der zweite ab von seiner Bank ' 
Und kullert in den Graben und ertrank. | 

i 

Stockfinster ist die Nacht. Die andern rollen i 

Geniächhch vorwärts. Halt, ein Fenster blinkt. . ! 

Die beiden steigen poltrie^ ab. Sie wollen 

Noch einen trinken. Also hingehinkt. 

»Wo sünd de annern ?€ Die sind schon verschollen. 

»Och wat.« Und weiter geht». Manch Sumpfloch .winkt. 
Da fällt der dritte von der Wagenbank * 
Und kullert in den Ghraben und ertrank. 

Stockfinster ist die Nacht. Der Kutscher fährt 

Allein durchs Lan d. >De am^ rn ? I^a, man to. 

De annern? an — nern?« Hat sichs ihm greklärt? ; 

Hat ers gemerkt? *Wat?.. Jaul.. Na, denn man to.* 

Die Pferde haben sich wie stets bewährt. 

»Wat? . . Wo sünd . . . Dunnerslagl Na, denn man to.< j 

Der Zügel fällt ihm aus der Hand . . ju . . jank . . 

filr kuUert in den Qraben und ertrank, 

I 
I 

I 



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Die blasse Morgenröte schweißet empor 

Und sendet ihre frostigen Grüße her. 
Die beiden Braunen stehn vorm Scheunentor, 
Bespritzt ist ihr Geschirr, der Wagen leer. 
Ein Vogelruf, der sich im Feld verlor, 
Und weite Stille dehnt sich bis ans Meer. 
Die Sonne, die nun ihren Bogen zieht, 
Ist ohae Wilibegier, was sie auch sieht. 



ANTWORTEN OBS HBRAUSGEBERS. 

PoRsant. Sie sind ja durch die österreichische Politik vor allem 
io Mitleidenschaft gezogen. Wie immer Sie sich zur Frage des Wahl- 
rechts verhalten mögen, ein Auge vird Ihnen nundestens ausgestochen . . . 
Keinem «eraOnftigen Memdwn wird et einfolleii, iicli ia die Wieaer 
Vororte zu wagen^^in deren Straßen jetzt Messerstecher Patrouille halten. 
Man flüchtet auf die Ringstraße und wird ein Opfer der geffirchteten 
Habrda- Platte. Die Polizei demonstrierte neulich gegen die Einführung 
des allgemeinen Wahlrechts und exzedierte wüster als in den Tagen, da 
sie im Parlament für^die Badenischen Sprachen Verordnungen eingetreten 
iet Was soll man dagegen tun? Freuen wir uns, daß sie entwtckinagi- 
fiiiig und fom »Ztmckl« l>ls zum »Oeh'n Sie aniemanderl« glflcIcUcii 
fortgeschritten ist. Daß sie den Messerstechern von Hemals solche 
Weisung nicht erteilt, ist heroisch. Die Messerstecher könnten bloß der 
Sicherheit eines Wachmanns gefährlich werden, aber die Politiker gt- 
fährden die höchsten Güter der Aiigemeinheit. In einem rührenden 
Schreiben hat ein Wiener Polizeikommissariat einem Wiener Bezirks- 
geridit die heroisdte Obnnadit gv^flticr dem Plfttlenveaen gestanden. 
Eine Vodie qjlter wird die Ohnmadit von Weibern und Kindern 
fegenilber der berittenen Wachmannschaft bewiesen. Der Coupletsänger 
Ktelmanseg'g meinte im Landtag, daß die Behörde vor allem die Pflicht 
habe, die N.ichtruhe der schlafenden Bürger vor Demonstrationen zu 
schützen. Nach der Sperrstunde gibl's keine Wahl reform. In diesem 
Geiste ist die Wiener Polizei längst tätig. Bei Tag darf ein Wachmann 
Urm acfalagen, wenn ein armer Hanaierä- seine »Uaenz« znlnnae fdaaKtt 
bat oder wenn einem greisen Lumpensammler ein Teil seiner Bürde zn 
Boden fällt. Bei Nacht ist die Polizei .ruhig. Belästigt höchstens Zigaretten* 
rauchende oder stehenbleibende Prosntnierte (die bekanntlich nie ti.it- 
einander. nur mit Wachmannern reden dürten). Bei leichteren Vergebungen 
gegen die öffentliche Ordi ung, z. B. Mordverjuchen oder Einbrüchen, 
wird die Nachtruhe polizeilich nicht gestört. Cme Szene, die mir von 
einem verlißlidien Augenzeugen geacbildert wird: Es ist nacbzdin Ubr, 
Ein Mann wird gestochen, bhitet, schreit um Hilfe, zeigt nacb der 
Ricbtung, in der der Altentiter entfioben ist Der Wadunann legt den 



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_ 17 — 



Finget aa dm Mond: »Sdii*t Hid — dleu^ scUifeaU Bildet w- 
tidttic um die Ed», ob dar Mann mit dm Maaer tdion fcndtwttndeB 
iit, und aetzt berohist adse Rnitda fort. . . 

Wiener. Ja, jetzt mußte man wieder fflr den KOoig von Spanien 
adn und allem, was sich bd der Hoflafel sviadien Hababnrw 
Bppe und Kelchesrand begab, andädit^ lauschen. Der Vertreter der 

jNeuen Freien Pres^^e' auf der OaÜerie war in fürchterlicher Aufre^ng. 
Der König wußte zwar vorher, bei welcher Stelle der Rede des Kaisers 
er besonders geröhrt sein werde; denn er hatte seine Antwort ebenso 
in der Brusttasche seines Waffenrocks verborgen, wie der Kaiser seine 
Anapndie. Aber der Reporter bemerkte, daS Don Alfons bd der Stelle 
des Toasts, die sich auf seine Mutter bezog, »den Icaiserlidien Spredier 
voll ins Auge faßte«. Femer hat er bei jener Stelle seiner Antwort, in 
der er dem Kaiser huldigte, »die Tischgesellschaft ins Atige gefußt«. 
Dafür konnte man wieder, nachdem die Tafel aufg^f hoben war, »den 
König ein wenig genauer ins Auge fassen«. Und siehe da, was bemerkt 
man an ihm? & »faßt sein Gegenüber sdiarf und prflfend ins Auge«. . . 
Was geht daraus hervor? Dafi bd einer Hoftafel nie gesdiant, aondem 
immer ins Auge gefaßt wird. »Zu Ende des Oaladiners hat sich ein 
kleiner Zwischenfall begeben, der übrigens von der Mehizahl der Gäste nicht 
bemerkt wurde E ner der spanischen Diplomaten, die der Tafel beigezogen 
waren, wurde un'^ohlc. Entweder hatte er zu tief in das ülas geschaut oder 
den Vertreter der , Neuen Freien F*rcsse* ins Auge gefaßt . . . Übrigens gab's 
wieder Mdnnngsversdiiedenheiten. Ich glaube, es ist hier adion dmnal 
lEcsagt worden, daß es sanz gidehgintlflr ist, ob der Kaiaer und der 
KUmg von Belgien in offener oder geschlossener E^nlpagie vom Bahnhof 
gfefahren sind, dsH es aber recht s'örend ist, wenn sie - dem Oesamt- 
eindruck der Wiener Zei-un<jcn zufolge — zugleich in offener und 
in geschlossener geiahren sind. Jetzt ist es mir wieder vollständig' e^al, 
ob der König von Spanien größer oder kleiner ist als der Kaiser. Abei ich 

mnfi darauf dringen, daß man sich, venu man adum diese Frage tu- 
adinddet, wenigstens dnlge. Ist dn unhaltbarer Znstand, daB AUdnso 
dem fNenen Wiener Tagblatt' zufolge »den Kaiser um Kopflänge 

überragend, martialisch atisschreitet« und nach der Version des 
,F>:irablatts' >niciit so ^roß wie unser Kaiser ist, schlank etc.« 
Entweder — oder ! Man tülire doch endlich interredaklionelle Konferenzen 
ein, die solche Fragen, die ja den Wiener beunruhigen, zu einträchtiger 
Eniadieldung bringen. 

Habitu€. Fast so trottelhaft wie die Einrichtung des täglichen 
Leitaitikels, zu dem - auch in ereignisloser Zeit - ein Ereignis gefunden 
werden mnfi, Ist die Sitte des Burgtheaterfenilletons. Mag dnen dieser 
>Stdn unter Steinen« schon vor der Wiener Premiere In zahllosen Berlina^ 

Korrespondenzen belastet haben, nützt nichts — ein Feuilleton mit 
Inhaltsing^abe muß erscheinen. Biegler mit dem Schusterstem, Zamcke 
mit der Güte. Mariechen mit dem Buckel. Tore mit dem Kind, Struwe 
mil dem Schlüssel,. Göttlingk mit den bösen Absichten — es ist zum 
Spden. In zehn Sätzen wäre der ganze Herr Sudermann abgetan, 



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It — 



mit allem Tatsachen kram, den er uns in Zukunft noch bescheren 
wird. Nein, man »analysiert« ihn, sucht ihm »gerecht« zu werden, 
* Nun sehe ich gai nicht ein, warum man dem Herrn Sudermann 
geredit werden miiB und wamm zu dieser sanem Arbeit Entyittai 
und nicht Inseratoiafiqniaiteitre venrendet werden. Ist es denn nüdkt 
genug, daß die Anna Csillag der Literatur Geld verdient? Soll sie auch 
noch kritische Ehren einheimsen dürfen? Wenn ein Publikum neugierig 
Ist, Herrn Sudcrmann außer auf einem Friseurschild auch noch vor 
einem Theatervorhang zu schauen, mag es sein Vergnügen haben. Die 
Utcraturgescfaidite arbeitet nltht mit Bartvodiimittelii. Uad die Betrid>* 
itinlEeit des Herni Sndemiaini nag den Volkavirt iatereaaiereni der 
Theaterkritiker verschone uns mit dem Versuch, ihr literarische AtiaKlitcn 
anzulügen. Ja, aber der »Katzensteg«', heißt es. Ich kenne den 
»Katzensteg« nicht, da ich über die ersten zehn Seiten nicht 
hinausgekommen bm. Aber Herr Sudermann könnte doch nicht 
plötzlich auf gehör i hai>ea, ein Dichter zu sein, und meine Ehr> 
UtiUait xvinst nddi za bctomncn, daß ich il» für das Gegenteil 
adion lange vor dem »Stein unter Steinenc, acboa in »Ehre«^ »Sodon» 
Ende« und »Heimat« gehalten habe. Die schändliche QeKhidtltelikBtt, 
die die Nerven der Spießbürger in Vibration bringet, an^^uerkennen, 
ist nicht Ressortsache des Literaturkritikers. Die Probleme des tierm 
Sudenuann hegen so tiei unter der Schwelle der Diskutierbarkett, die 
geistige Minderwertigkeit seiner dramatischen Lebenskreise ist so offen- 
bar, dafi wtrkUdi nur der Jammervolle Znatand dentseher Knnstkritilc 
die jahtelange Verwechslung eines HinterbäuserspekuUmten mit einem 
»modernen Dichter« erklären kann. Der Dichter Sudermann war stets 
unter dem Nivean der Fulda uiid Blumenthil, die immerhin sprach- ^ 
tfichtigen Witz bewiesen haben, zu rangieren; als Theatraliker 
müßte er jetzt Herrn Philippi beneiden. Er aber glaubt gtwm mit 
dem großen PnblilKum, daß er ein kühner Neuerer ist, weil er einen 
Oonvemantenroman in einer Steinmetawerkstatt spielen Iftßt DaB 
er ein dramatiadier Bauschwindler ist. bestreitet von f&iiienden Wiener 
Geistern nur mehr Herr Max Kalt}eck. Der kommentiert emsthaft 
seine >Absichten<, nimmt ihn gegen den überschätzenden Verdacht in 
Schutz, er habe »ein Tendenzstück schreiben wollen«, und empfindet bei 
dem Reißer des dritten Aktschlusses, daß »die im idealen Reiche der mensch- 
liciien Willensfreiheit aufgebaute höhere Wdtordnung den Ungeiechtig- 
keften des gemeinen Lebens gegenflber ihr sdiidnalsvolles Anachen be- 
hauptet«. Auch möglich; wenn 's nicht der alte Trick eines gewiegten 
Tarti^menfanj^ers ist, ist es gewiß der Triumph der sittlichen Welt- 
ordnung. Weniger zutreffend ist eine andere Beobachtung, die Herr Kalbeck 
gemacht haben will. Das Wiener Publikum, schreibt er, habe Herrn 
Sudermann »die glänzendste Genugtuung get)Oten f&r die pöbelhaften 
t Inanlten, denen der Dichter In Berlin ausgesetzt war«« Herr Kalbeck int 
Andi in Wien gibt' es Leute, die Herrn Sndermann Har keinen Dtehtcr 
balten, und dleae taten, was die Berliner mit Recht getan hatten. Sie 

riefen Herr Kalbeck scheint schwerhörig; zw sein — dem >Schaffenden« 
ganx deutUch den Namen des Haoptdarateiiers entgegen. Die Wiener 



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mit Unrecht Denn des Herrn Kafnz Effekte sind nicht um dn Haar 

echter als die seines Dichters. Mancher Urteiler, der jahrelang: Atem- 
technik mit üenialiiät verwechseUe, ist durch diese Leistung aufgeklärt 
worden. Sie war traurigf. Herr Sonnenlhal könnte nm zehn Jahre älter 
sein, und brächte mii deu Ge^ühlsausbrüchen des edlen Slrailings stärkere 
Wlilnuig mtuule. Es ist dn clseiiirtifet Vergnügen, Herrn Käut Imcr- 
liehlwit ikiadicinea zu hören. Unvergt*6Udi bleibt adn Freudcatamiid 
im letzten Akt, dieses ffintoal gleichmäßig ttad nidcweise wiederholte: 

»Die Steinmetze wollen . . .< Man fühlte sich an den schönen Abend 
erinnert, da Herr Kainz sich hinreil^en ließ, den Valentin im »Ver- 
schwender« zu spieieii, und uns so gar nicht mitriß. Echten Schauspielern 
entströmt die Seele, ob sie wollen oder nicht, Herr Kaiuz bewalirt 
de in einem Apotbeikerfllactadien. Und es ist dn In sdner Art rührender 
Anblick, wenn dort, wo rhetorische Mittd nidit bdfen Unnen, wie in 
plötzlichem Entschluß die Pfttbetlk hervoiseluilt nnd vor dem Ocfamneli 
hcfUg geschüttelt wird. . 

Pgychinter. Herr Professor Moritz Benedikt, der Mann, der auf 
die Homo.»exuaieu die Chirurgen loslassen möchte, hat vor kurzem in 
der fNeuen Praen Presse' überflüssige > Erinnerungen an Hans Canon« 
fer<lffentiiciit Scbreddidi dnd die alten Lente, deren QecOditttia mit 
dem Alter zunimmt. Nicht als Arzt, sondern als Modell will der treffliche 
Nervenpatholog dem Maler gedient haben. Aber auch zum Moddl 
scheint er nicht zu taugen, da er die Sitzung durch fortwahrende 
wissenschaftliche Betrachtungen stört. Dabei zeigt es sich leider, daß unser 
Psychiater deutliche Symptome beginnenden Größenwahns zdgt. »ich habe 
die Frage«, sdirdbt er, »mit iufimter kriiisdier Reserve nnd In dncr Wdse 
bdianddt, dafi de gewiß fflr alle Znknnft als klassisch gelten 
wird, sobald tUicrbanpt mbige Wflrdigung platzgreifen sollte Diese 
Studien führten mich zu einer exaVten MeBmcthode des Schädels und» 
anderer Organe und ich konnte den fundamentalen Satz aus- 
sprechen, daß die Unreg'elmäßigkeiten der Formen der organischen Welt 
nur scheinbar sind, daß vielmthr durchgehends strenge geometrische und 
mathemalische Oesetae wallen, wie ea Newton dnst prophesdt hatte. 
Bis heute Id dieser grundlegende Sata von den wenigsten Fach- 
m ä n ner n begriffen und gewürdigt. Aber Canon (dn Maler) wußte ihn xn 
schätzen <. Dann rühmt sich Herr Benedikt, daß er einst einer Einladung 
d« Kronprinzen zu einem Dejeuner mit Entlarvung eines Spiritisten nicht ' 
gefolgt sei. (Bekanntlich wurde m den Achtzigerjahren in Österreich 
bei Tag regiert und am Abend entlarvt). »Ich lehnte im Interesse 
der Währung der wisaensdiafflidien Würde die hohe Ehre ab. . . 
IMese EinUuimg und ihre Ablehnung habe ich aller Wdt gegcnftber 
verschwiegen und sie wurde erst nach der Katastrophe von 
Mayerling durch den Erzherzog Johann und auf diesem 
Umwege selbst erst meiner Frau bekannt.« Man wird sich das historische 
Datum: wann Herrn Benedikt s Ablehnungeiner Einladungbekannt wurde, 
merken müssen, Prfiftingsfrage : Oesdiah es vor oder nsdi der Kata- 
strophe von Mayerling? Wie wurde sie bekannt? Antwort: Durdi einen 
ft^mof, ilSD fn| dnem Umwege, yfoo^ wtir^ de xnidst bekannt? 



I 

L...., 



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Der Trau Benedikt . . . Noch eio Erzherzog im Leben des Herrn 
Benedikt. »Ich komme man tar Bequechung meines Bildnisses. Als es 1883 
is Mltaiditn ausgestellt wtar, sammelten sieh die Besttcher um dss- 

selbe, und der selige Erzherzog Karl Ludwig erzIhHe mir von dem tiefen 
Eindruck, denessovolil auf ihn al^ auch auf das ganye Pifblikum machte.« 
Der ,Newyoric Ht-nld' habe einen Spalten langen Artikel darüber gebracht. 
»Weder ti .s Publikum in München, noch der Verfasser des Artikels in 
dem amerikanischen Blatte hatten eine Ahnung, ven es vorstellt.« Es sei 
»die Tiefe des psychologisGhen Ansdrnckes, der des Bildnis so hoch sMlt« 
Der Meistei hat es >mit tiefem, liebevollem Eingehen in mein 
Inneres gemalt. Es ist nicht meine Sache zu erörtern, ob er mein 
Inneres richtif^ erfaßt und ob er es vol! ausgerchöpfl hat; sicher ist das 
Bild eine tiefsinnige Darstellung einer Individualität, wenn sie auch 
nicht die meine wäre. sehen will, wie Canon durch kleine 

Spalten tief ins Innere sehen IftEt, der betrachte den nn- 
mfiglichen roten Hemdknopf an diesem Bilde. Natürlich trug ich nie 
einen solche». Er diente dem Maler dazu, einen Farbeneindrnckspnnkt 
auf der monotonen Hemdfläche zu schaffen, vor allem aber, um anzu- 
deuten, daß dem Iräger die Geltung in der Oesell- 
schaft nicht obenan steht, daß er nie um Gunst der- 
selben gebuhlt und nie m Rücksicht aui persönliche äußere Erfolge 
geatfaeHel habe* Das schmeichelhafle Monnment, dss mir Canon 
gesetzt hat, entschidigt mich fOr alle Kiflnknngen, die mir immer 
etnenert nach jeder Leistung zuteil worden. < Wenn aber auch 
dies Täuschung wäre? Der pf^vcholoj^ische Au-^druck, die Indivi- 
tuaiität, der rote Heradknopf wenn sie etwas ganz anderes bedeuten 
sollten, als Herr Professor Benedikt meint? Er selbst charakterisiert ja 
dort, wo er einmal nicht von seiner Persönlichkeit und seinem Conterfei 
spridit, die Art Canons Wie folgt: »Ideal ehrlich war er als Bildnismaler. 
Wim er ans einer Persönlichkdt heranslas nnd künstlerisch hineinlegts, 
entspndi vollkommen seiner personlichen und künstlerischen Ober- 
zeugfiTis!", und ein Tiefblickender ist überrascht und erstaunt, mit welcher 
Unparteilichkeit und Unerschrocken hei t er dies auch hochgestellten 
Personen gegenüber tat. Es war em Glück für ihn, daß die Betroffenen 
weder den Tadd noch die Satire, noch die Bloßstellung, die 
im Bilde lagen,' herausgelesen haben nnd kaum ahnten.« 

Archivar. Die .österreichische Rundschau' glht's wirklich. Sie 
ist nicht bloß der Traum eines Kustos, der sich aus der geräuschlosen 
Welt seines Bibliothekszimmers nach der Realität des Jouma1iRmi?s «^ehnt. 
Sie wird herausgegeben. Freilich mehr von Glossy als von Berger. Herr 
Glossy existiert wirklich Man hat lange Zeit geglaubt, daß er bloß ein 
Begriff sei. Aber er ist stanbgeboren wie wh*. Bflcberstaobgeboren. Er 
hat den »LeitMen« in Wochenansgabe erfunden. & führt eine geistige 
Vertiindung von den Kaiser-Lithographien der Volksscfaulz i^ n < r aber den 
l^let^en Hnrjnak und ijber Johnnr! Onbriel Seidl zum Standpunkt des 
Herrn Glossy. Arisch, ärariscn, manchmal sogar literarisch. Natürlich 
wird, was in der Literatur über Ferdinand v. Saar hinausgeht, von der 
$Chwc|le der ,Österreichischen Rundschau' gejagt. Frauk Wedekind riecht 



21 



bdohntUdi gir nldit nich Flddkommifiblblioffiek. Dis itt cHb Miifaeilft 
Cir bat sieb -die Ungnade des Herrn Ubell aus Graz mgengem, M 
Aber den Dichter der »Vier Jahreszeiten« in der »Österreichiscben RiUld- 

<^chan' Dinrre scnrfihf, die man heule wirklich nicht mehr für mogflich 
hallen soilte und deren sich ein Karl v. Thaler m seiner üppigsten Zeit 
geschämt hätte. Der schtnutzi^^en Phantasie dieser literarischen Sittenrichter 
mag ja das »Lysolbad« zu gönnen sein, das Herr Ubell dem Leser det 
»Bficbse der Pandora« empfiehlt. Aber man staunt, daS efai UtnralttrbbiH 
liei^ nodli diese Summe von Unverständnis und BdsvilUfit^t als Wochen« 
pensam zustandebringt. Die ,österreichische Randschsu' darf sich 's er- 
lauben. Als ihren Abonnrntentypuf* stelle icn mir den alten Hofrat 
aus ßahr's »Sanna* vor. Aber der überschlägst tj;ewiß den literarischen 
Teil und erquickt sich an der Fülle von Aiciuaiiiai, die Herr Olossy 
allvOehentlich bietet, an Gngeveihter sIlUt mir eine Musterkollektion 
von Anfsatztiteln zur Verf&gung, die dennidist In der »östemkfaischen 
Rundschau' pnmgen werden : > Die Pflasterung Wiens unter den Baben- 
bergernc, »Der Silbeibergbau im Ii;Iaucr Bezirk im 15. Jahrhundert«, 
»Die Votivgeschenke in der Wallfahrt ,k:rche Maria Taferl bei Krumm« 
Nußl>aum an der Donau <, »Leoliersuorf im Wandel der Zeiten«, 

»Weihnadhtsbräuche in St. iii^yu«, >üic hauna dcä Leitha^ebirges«, 
»Dst Aibtirirar und die Wiener Qhida«, »franen in der Utenttnt 
von Roswitha bis M. E. delle Grazie«, »Die Uimatiidien Vetlilltnissc 
des Bisambergs«, »Der Zustand des amorphen Phosphors vor seinei 
Entdeckung durch Hof at v. Schrötter«, »Die Entwicklung^ der Wiener 
Staatsdr uckerei vor. :h;ci £.1 Öffnung bis zur Geburt OutenbergS«, »Die 
Tcicphonslörungen im Wien der Kongreßzeit«. 

JMerat, Herr Paul Qoidniann juckt die Schamteile der modernen 
Kunst Er wird inuner lästiger, immer hftuflger. Er tat dnfadi die «n« 
bequemste Tortur, die ein freches PhlUsterbtatt bis heute dem Qetates* 
leben angetan hat. Herr Nordau hatte die AllQrea einer Seuche. 
Man schleppt sich mit so einem Feuilleton hin, bis man gehirnweich 
wird. Herr (loldmann stimmt bloß verdrießlich. . . Im Ernst, das ist 
wohl der pbucste Geselle, der jcut in Deutschland schreibt. Linst wai 
er eine Hofhiung des jungen Wien. Speziell das junse Ischl war gerührt, 
ata er auf mondbeschienener Terrasse über die Schteheit Hofmannsthal« 
scher Verse, die er qiftter verlifihtten soUtf, Tränen vergoß. Herr Gold« 
mann ist nämlich aus Breslau und sentimental. Nur durch eine Reise 
nach Ostasien hat er sich ein wenig abgehärtet. Damals schrieb ei 
Reisebriefe, später Pariser Korrespondenzen für die , Frankfurter Zeitung*, 
und das befreundete junge Wien war von der Begabung entzückt, die 
Sich auf japanischem und Pariser Boden so schön entfsltcte. Nun hsbc 
ich freilich schon damste behauptet» daß sich auf japanischem und anl 
Pariser Boden die Begabung immer scbdu en' faltet und daß auf 

rumänischer Erde selbst der gute Marco Brociner Ta:L'r.t hnt. So znllftei 
näiTihch wie Gedanken sind iieobachtungen exotischitr Hcrkuiitt; 
je fremder das Milieu, desto größer der Effekt, und Entfernung ist 
nicht nur kein Hindernis, wie Koihberger so treffend sagt, sondern 
•ops dne Stfilze lenUlelontaCtachcr Wirlcung. Die Rotlümver der 



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Literatur, die von Hemtchaftcn abs:elegte Stoffe wenden, kennen dlt 
Anweisung. Herr Paul Goldmann kam aus Japan zurück und war 
talentlos. Vollständig. Der bewährte Blick des Chefs der ,Neaen Freien 
Pmae' sah aber nosh immer Japan und nkbt die Taknflo^ftlcelt «ad 
schickte Herrn Ooldmann nach Berlin. Was er dort — im Bereich der 
Theaterkritik — leistet, Ist aufreizend. Die Konstricblcr der ,Netiai 
Freien Presse' sollen dem Verständnis der kultiviertesten Börsebesucher 
die Formeln finden. Also mindestens auf dem geistiy^:en Niveau der 
Leserschaft verharren. Herr Goldmann ist vielleicht der einzige Schrift- 
steller, der unter dem Horizont des Le|ers denkt. Was der 
liberale Philister, der »jeden Mh«' anfier »sdnem« Tee nad »setaieB z«d 
Eiern« auch »sein« Morgeablait haben will, hi einem Sats erfiiBt, nmB Herr 
Goldmann auswalken, die% es selbst begreift Die frechsten Kunst- 
IfiS^en kaut pr dem Leser so gewissenhaft vor wie die abgegriffensten 
Selbstverständlichkeiten. Man hat es noch nie erlebt, daß ein Schrifr- 
steller, der nicht emen Gedanken hat, mit diesem Mangel so protzte, 
daß er das Flachste mit dem Nudelwalker einer Keportertecbnik so zu 
bearbeiten wüSte. wie Herr RmI Ooldmann. Dia Wahrheiten, die er ans- 
s|>richt, werden einem nnleMlicher als die Dfeistig|»iten. DaB der Beiliner 
Reinhardt- Rummel den Tod der Schauspielknnst bedeutet, werde ich 
hier nie mehr sagen können ; man \T'ird zum fanatischen Verteidiger 
der Defektspielerei, wenn man sie von Herrn Goldaiann bekämpft sieht. 
So gottverlassen ist der schlimmste Berliner Snobismus nicht wie die Klug- 
sciiwätzerei, die sich durch elf Fsuilietonspalten wälzt So seicht wie 
Hmn Ooldmsnas Stiii ist selbst eine Dramaturgie nicht, die das 
/ BilhneBld>enmit$diIsgirarten kommandieren mddite. Aber dekorativer istsid 
Ich veisichere der »Neuen Freien Presse', daß sie ihren philiströsesten 
HLesern mit Herrn Goldmann keine Freude bereitet hat. Ich kann es ihr 
aus zahllosen Zuschriften beweisen. Kann auch beweisen, daß Herr 
Ooldmann nicht einmal die Werke kennt, die seine triviale Feder be- 
schmutzt. Nachdem man, schreibt er, den Naturalismus satt hatte, 
»futden sie Fmiik Wedekind nnd gabeti seine Verwoimheik fttr 
Tiefe and seinen Zynismus in der Behandlung erotiscber Ragen 
für Oefait aus.« Herrn Ooldmann freilich werden sie weder Ittr 
verworren noch ffir zynisch hnl:en. BIoR für vorlant. Denn von 
Wedekind's »Erdgeist« sagt er, man sehe dann unter anderem, 
wie von der Leiche des Vaters, der sich wegen seiner Geliebten er- 
schossen bat, der Sohn (iiese Geliebte wegholt, um sie selbst zur 
Maihresse zu nehmen.« WedeMnd isi so verworren, daß Herr QMmtOM 
die Ermordung des Dr. Schdo für Selbshnord und die MMeria, die 
seine Gattin ist, fQr seine Geliebte halten mnß. Und er ist, meint ein 
Leser, >so zynisch, durch absichtltche Verworrenheit Herrn Ooldmann 
Gelegenheit zu einer Blamage 7u Kcl-^n«. Oder sollte wirklich auch für 
einen Sudler der ,Keuen Freien Presse' die Veipflichtung bestehen, eine 
Dichtung zu kennen, die er besudeln will? 

Xeser. Eine Beschwerde, der ich Rsnm gebe: »Ich wlie 
Ihnen verbunden^ wenn Sie einmal die Zdtungsmode geißdtt wollten« 
ia den Mmkn Nachrichlenteil Aassehwihmngen der Redaktioiishttmoclrtai 



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— 28 — 



Itttmneluiieii. ist ein wahrer Verdmß, wenn tttn t6 M, Wer 2dlefl 
dner Notiz in der Meinung: gelesen hat, daß man etwas erfahren werde. 

Merkt man dann, daß es überhaupt nichts ist und was man da gelesen hat, 
«nd wendet man sich zur nächsten Notiz, so stolpert man über die 
verhaßte Chiffre, deren Anblick allein Qähnen verursacht. Könnte St— g 
nicht wenigstens, wie elttst Sp— r an der Spitze zeichnen?« Cr hitte 
datm wenigstem ciaes nlt dnen wirldidien Witzkopf gemdMam. Rda- 
lichkeitsltebende Leser wollen die neugebomen ErdgniMe oline hämo* 
ristischen Orind von den Wehmüttern des Geistes empfangen. Sie wären, 
w^enn der Vorschlag befolgt wurde, vor dem Hereinfall geschützt. Die 
Namenschiffre als Warnungstafel! Ab^r auch die Verehrer des Herrn 
St— g, die den Sonntag nicht erwarten können, wären tür die Neuerung 
dankbar, da sie leichter fänden, was sie jetzt in einem Wust von Nach- 
rkktai fndiai mflnen. Sie loen dne vottkomncB gdsHoie Notk, 
glauben schon, daß sie von St-g ist, und ersehen erst zum SdilnB 
aus dem Fehlen der Chiffre, daß sie sich fdittidlt haben. Also — tXh 
etat die Chiffre, dann das Vergnügen! 

Sammler. In einer Literaturkntik der , Neuen Freien Presse' 
(5. November), die dn Herr Professor Pawel geschrieben hat, ist von 
der Übersetzung eines Buches »ins Tschechische, Finnische, Englische, 
Ameriktnlsche, ftiaafisMie und HoUindisdie« die Rede. Sidie 
da — dn Weltblatt ! Ein verstorbener Wiener Zdtnngdierausgeber, dessen 
analphabetische Weltanschauung berühmt geworden ist und noch heute der 
nachstrebenden journalistischen Generation als vorbildlich gilt, wollte 
dnst irgendeinen Löwy nach Brüssel schicken, stand aber von diesem 
Plane in der Erwägung ab, daß Löwy niclit Belgisch sprechen könne. 

Mruder» Herr Rudolf Lothar hat also kdne Anssicht, Meister vom 
Stahl in werden? Ja» ist*s denn dn gar so arges Venedtm, mit Ordens- 
mysterien Tantiemen schinden zu wollen? Di^Freimanrerei dient doch 
auch dem Erwerbssinn anderer Brüder. Was ist denn geschehen? »Er 
nützt das geheimnisvolle Kolorit der Loge für seine Handlung«, sagt 
dn gründlicher Kenner des Siückes und «meiner Vorzüge. War's vielleicht 
besser, wenn Herr Lothar Krida gemacht hätte? . . . Bedaueriicli 
wire es, wenn der Absatz einer literarischen Poldwarc Idden und ihr 
Erseuger künftig nur mehr von den neuen frden Maurern nnterstfltzt 
würde. Der Reklamartikel über die Premiere der »Rosentempler« war 
freilich vor dem Durchfall geschrieben. Und zwar — von einem gründ- 
lichen Kenner des Stückes und seiner Vorzüge. In Herrn Lothar's Manu- 
skiipt hatte der Volkstheaterkriljker, unser lieber Schütz, bloß einige 
Änderungen vorgenommen. . . Es scheint also, daß auch die joumaiistisdien 
KoUegen von Herrn Lothar nichts mehr wissen wollen und es ihm über* 
hwen, sich sdne tollenden Kntiken selbst an schreiben. 

Hutmacher, Das wird sich nicht halten. Die »Hntmodewahl 
für die Frühjahrssaison 1906« muß für ungiitig erklärt werden. Die 
Wahlkommission hat, so melden die hocherfreuten Zeitungen, unter 
den eingesandten Neuheiten zehn Hute gewählt, >die zumeist nach den 
Wiener The«terdirektoren benannt wurden <. Da erfahren wir, daß Ni. 1 
dn »ndßig hoher, wenig geschweifter Sddenzylinder mit wenig gehobener 



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t^tfidstellung:« ist. Aber tticht dieser heißt »Schleniher«, sontierli 
Nr. 2, der ein »hellfi:rauer, steifer, kantiger Hut mit schwarzem Um- 
bindband* ist Offenbar war die Wahlkomniission im Glauben, daß der 
Burgiheaterdirektor wirkh9h Laube's Erbe angetreten hal. Das Richtige bat sie 
getroffen, indem «de dnen »niedem RmidltQpf mit liaeb£e)>telUem 
'Riad« »Weisse« minnte. Nach Henrn Jarno ist ein »mittdlholicr 
RundkOflf mit halbfiach telllem Rande benmilt, nach Herrn Qettke 
ein »weicher Rundkopf«. Der Herrn Aman gewidmeten Form wird 
— ganz im Jargon der Theaterreporler ~ nachgerühmt, sie verspreche 
»ein Schlager der Sommersaison« zu werden. Nr. 10 fuJui keinen 
bestimmten Namen. Wahrscheinlich woliie man mit dieser Form 
ftllen Wiener llieiterdirektofen feredit werden: man lui einen 
»iKidicSeganleii Claqneimt« gewibIL Gegen diese sinnife Elmmg, 
die die Hutwahlkommisiion unseren TfaeslerdlreMoren beteitet hat, u äre 
gewiß nichts einzuwenden. Wohl aber ^e^er^ die ?peziali.<5ierung. Es 
ist gar nicht notwendig, dnH wir bei all den Flach-, Rund- und Hohl- 
feöpfen, die uns die Modt^ 1^06 bescheren wird, er-st an bcsummte 
Persönlichkeiten des Wiener Lebeus eiinnert werden. Und gar an die 
Wiener Thettetdirektoren wollen wir nicht bei jedem Sduntt denicen 
ttilisen. Daß es einen Oiiardi-Hnt gibt, ist ganz in Oidnnng. Der Oe- 
danke an den liebenswflrdigiBten Wiener Schauspieler t)elistigt uns nicht 
Aber einen »Weisse« — das erkläre ich schon heute — kaufe ich 
nicht. Der drückt. Wahrscheinlich ist er auch in schreienden färben 
gehalten. Den ziehe ich nicht an. Geben Sie mir einen andern! .. 
Im Ernst, es ist ein schrecklicher Gedanke: Im Theater mli^en wir die 
mte abnehmen, auf der StraBe sollen wir daf&r die Dkddoren 
auhetaen. 

= =4= ' : 

, MITTEILUNG DES VERLAGES, 

• 

Der Herausgeber dankt auf diesem Wege für die vielen 
frciiiidlichen Zuschriften, die nach Nr. 187 an ihn gelangt sind. — 
Den p. t. Verschleißern leilen wir mit, daß von Nr. 187, die 
* ohnehin in stärkerer Autla^e erschienen war, ein Neudruck aus 
technischen Gründen nicht mehr veranstaltet werden koinite. Bei fort- 
gesetzter Nachtrage könnten wir nur mit der vorher fertiggestellten 
und in der Broschürenfolge der ,Packel' zum Preise von 40 h 
erscheinenden Separatausgabe »Die KinderfFeimde« siehe 3. Um« 
Schlagseite — dienen. 



Heraaigdwar mid tmntvortlidwr IMikiettr: Karl Krtat. 
Dradr von lahoda md Sic«d. Wien, lU. Hialn» Zollaatiln6e 3. 



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Die Fackel 



NR. 189 WIEN, 30. NOVEMBER 1905 VU. JAhR 



HBINB ANTWORT. 

Von Joseph SchOlfel. 

Dem Reichsrats-, Landtao:sabo:eordneten, n.-ö. 
Laudesausschuß, Gemeinderat der Stadt Wieii, Mit- 
glied der Theater-Landes komraission und dergleichen 
mehr, Herrn Leopold Steiner, wurde von seinen 
Parteigenossen gegen Rüoklegunff seines Landes- 
ausschußraandats vom n.-ö. Landtag vor kurzem 
eine lebenslängliche, von Wahlstürmen und Wahl- 
Unfällen unberührte Sinekure eines Oberkurators der 
n.-d. Landeshypothekenanstalt in Onaden verliehen 
und ihm, dem neuernannten Oberkurator einer 
Hypothekenbank — Zeitungsberichten zufolge — 
gleichzeitig die Oberleitung oder Oberaufsicht des 
auf viele Millionen Kosten veranschlagten Baues der 
Wiener Irrenanstalt übertragen, weil Herr Steiner, 
wie seine Freunde behaupten, in seiner Eigenschaft 
als ZimTTiermaler als Sachverständiger im Baufache 
betrachtet werden muß. 

Man sollte glauben, daß der bürgerliche Zimmer- 
maler Leopold Steiner, dem die biaarre Laune der 
Glücksgöttin in dem Zeitraum von zehn Jahren, eine 
ungeahnte Fülle von Ehren, Würden und Ämtern 
in den Schoß geworfen und den sie mit Nachsicht 
jeder Vorbildung außer der Volksschule 'zu einer 
Kapazität im Fin«iz- und Bauwesen -emporgeschraubt 
bat, sich mit dem, was er Ira Traume errungen, be- 
gnügen und seine lebenslängliche Leibrente als Ober- 
kuraLor eines KrediLinöütutes ia Ruhe genießen werde. 



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— 2 — 

Leider ist dies nicht der Fall. 

Herr Leopold Steiner will noch weiter eine 

Rolle auf der politischen Bühne spielen, er lechzt 
wie alle Iiistrionen nach dem rauschenden Beifall 
der Menge und nach der gedruckten Reklame in der 
Presse, und so ließ er in der Sitzunij: <les n.-ö. Land- 
tages vom 9. d. M. eine * sensationelle Rede«, wie 
das ,Deutsche Volksblatt* paukt, von Stapel, in 
weicher er unter anderem meine Person und speziell 
einzelne Stellen meines yor mehr als sechs Monaten 
herausgegebenen Werkes ,Erinnerungen aus 
meinem Leben^, die bereits im Monate Juli zu 
einer Interpellation im n.-ö. Landtag und zu einer 
Replik meinerseits Änlafi gabeui zum Gegenstand 
seines Angriffes wählte* 

Sein Genius, ein Sproße des auserwählten Volkes 
Gottes, dessen Geist den Antisemiten Leopold Steiner 
bisher beschattet und alle seine Gedanken, Worte 
und Werke inspiriert hatte, konnte wahrscheinlich 
Herrn Steiner nach seinerti^ Ausscheiden aus dem 
Landesausschusse nicht warnen, enie nichts weniger 
als wohlriechende Sache, die bereits vor einem 
halben Jahre im Landtage ungeschickterweise auf- 
gerührt wurde, wieder aufzurühren und so wider 
Willen für raein Werk Beklame zu machen. Der 
Glückspilz Steiner, berauscht von seinen ErfolgeUi 
an welchen er so unschuldig ist wie ein Lamm, hat, 
so glaube ich, von seiner Elugheit und seinem AUes- 
unssen durchdrungen, den Bat seines Spiritus rector 
nicht eingeholt, hat mich herausgefordert. 

Da bin ich nun, um Lufthiebe mit Hieben, die 
Silzeu, zu erwidern 1 

Nach dem Wortlaute des stenographischen Pro- 
tokolls der Landtagssitzung vom 9. November, das 
mir erst heute, am 22. November, zugekommen 
ist, da^ es frün nicht fertiggestellt war, hat Herr 
Steiner ?f ine gegen mich gerichtete Philippika, wie 
folgt, eingeleitet: 



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»Ich habe diese Zahlen vorausgeschickt, weil ich jetzt eine 
Broschüre besprechen muß, die kürzlich erschienen ist; ich bedaure 
aber, daß ich das gegenüber einem Kollegen tun muß, mit dem 
ich selbst secks Jahre an einem Tische gesessen bin. Ich mde 
es in der Foim hin, daß ich nur auf Oruhd amtlicher Aktan die 
Vorbringungmi richtig stelle und Anvfirfe zurOclnrase.» 

Eine Broschüre habe ich in den letzten zwei 
Jahren meines Wissens nicht geschrieben, wohi aber 
ein Buch, betitelt: »Erinnerungen aus nieinem 
Leben«. Herr Steiner hat dieses Buch nicht gelesen, 
weil er überhaupt Büclier nicht gern liest, am aller- 
wenigsten aber ein Buch, das die Lebensgeschichte 
eines Menschen enthält, der nach einem bewegten 
LebeD, in hohem Alter, ohne Titel uad Würden, mit 
leeren Händen vom Schauplatz yerschwmiden *nnd 
trotzdem mit seinem Sohicksal zufrieden ist, was 
Dach der Weltanschauung Herrn Steiner's jedenfalls 
als eine Eiselet beseichnet werden dürfte. 

Der Beichsratsabgeordnete Schönerer hat das 
letzte Kapitel meines Ruches : »Die n.-^0. Landes* 
Pinanzverwaltungc im ,Alldeut8chen Taerblatt* 
abdrucken, sodann Separatabdrücke, wie mir mit- 
geteilt wurde, auf dem flachen Lande verteilen lassen. 
Eine Stelle meines Buches, lautend : ^ 

»Mit der Aufrechi.iing von Diäieii und Reisekosten wucde 
ebenfalls ein Mißbrauch sondergleichen getrieben. Die Aufrechnung 
von Diäten und Reisekosten für 300 Kommissionstage im 
Jahre fanden Ehmbie ganz in der Ordnung ... ich erhob bei* 
nahe in jeder Landesausbchußsitxung Vorstdtunfen gtgjm diese 
imverantwortiiche Wirtschaft Unisonstl« 

beantwortet Herr Steiner, natüriich ohne sie zu 
zitieren, nach dem stenographischen Protokoll wie 
folgt : 

>In der Broschüre heißt es, die Diäten der Beamten seien 
ins unermeßliche gestiegen. Meine Herren! Durch die Verwahung 
so vieler Anstalten, durch die Einrichtung ganz neuer Ressort 
wie der Oewerbdörderung und des Landeseisenbahnwesens — wir 

hatten im Jahre 1862 2 Anstalten und jetzt haben wir 22 und 

11 landwirtschaftliche Schulen — ist die Notwcndif^keit dieser 
F-rhöhiin^^ eingetreten. Icn selbst als gewesener Landesausschuß 
erkläre Ihnen, iäi stehe auf dem Standpunkte, daß das Amtieren 



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hinter dem grünen Tische, wenn die Sachen nicht durch den 
Referenten oder dessen Organe an Ort und Stelle kontroüiert 
werden, nicht im Interesse des Landes ist. (Beikü. — Rufe: Sehr 
richtig!) Es wurde vor einigen Jahren gegenüber dem Lande»* 
ausschusse — damals durfte ich nicht n&n, weil ich selbst die 
Ehre hatte ihm anzugehören — der Vorwurf erhoben, daß die 
Landesausschü=;sc Diäten machen. lc!i erkläre, d^iß ein Landes- 
ausschuii, der nicht hinausgeht, der sich niclit persönl'ch von 
den Vorkoini -.missen draußen überzeugt, ein schlechter Referent 
ist. (Beiiall.) Der Landesausschuti muß oft zu dem Zwecke hinaus, 
Streitis^elttti zwMien den Parteien, Differenzen zwischen den 
Politiken und autonomen Behörden zu schlichten und er ist 
als Vertrauensmann des Landes verpflichtet, in soldien Fällen 
hinauszugehen, um eventuell eine Einigung zu erzielen zum \X^ohle 
der beteiligten Bevölkeninor. Ich erkläre also, die Anwürfe m Bezug 
auf die Diäten der Lamlesausschüsse sind kleinlich, weil die 
Bezüge eines Landesauobciiusses noch geiuigei sind als die eiaes 
Landessdofetärs. (Hört! Hört!) So, das soll man einmal wissen« 
Idi habe mir vorgenommen das zu sagen, denn ich habe jahre- 
lang daran geschluckt und bin auf diesem Gebiete sehr empfiiullich, 
weil ich mir nicht Vorwürfe machen lasseh will, die ungerecht- 
fertigt sind. Wenn Sie aber wollen, daß hinter dem frrünen Tische 
amtiert wird, dann werden Sie sehen, wie die Beträt^e für die 
einzelnen Referate steigen werden. (Lebhälte Zustimmung.)« 

Wenn Herr Steiner logisch denken gelernt hätte 
oder wenigstens so klug gewesen wäre wie gewöhn- 
Uch) hätteier es gewifi unterlassen, in seiner Rede 
unmittelbar vor dem Angriff auf meine Person seinen 
Zuhörern mit entsprechendem PaÜios voraiutrageo, 
daß der Landesausschufi im Laufe eines Jah- 
res 87.404 Aktenstücke bu erledigen hahe. 

Wenn einer der Statisten im Landtage, welche 
diese sensationelle Rede des Herrn Steiner mit dem 
Rufe: Hörtl HörtI hegleitet haben sollen, das Gehör- 
te auch verstanden und Herrn Steiner gefragt hätte : 
Wie bringen Sie es nur, Herr Steiner, zustande 
nahezu 860 Tage im Jahre Dienstes« und Instruktions- 
reisen im In- und Auslande zu unternehmen^ neben- 
bei den Reichsrats- Landtags- Gemeinderats- und 
anderen Sitzungen beizuwohnen und die auf Ihr Refe- 
rat entfallenden, gering gerechnet 10.000 Aktenstücke 
zu lesen und im Konzept und m der Reiugchrilt^ also 



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sweimal» zu unleneiohnen? Die Erklärung des Ton 
Herrn Steiner geübten Wunders hätte jedenfalls mehr 
Sensation hervorgerufen, als alle übrigen Teile seiner 
Rede 1 

Der § 36 der Instruktion für den n.-Ö. Landes- 
aiisschuß, vom Jahre 1870 schreibt nämlich vor : »daß 
alle Ausfertigungen, nebst der Unterschrift des Land- 
marschalls auch von einem AusschuCHnitglied zu 
unterzeichnen sind.« Wenn der Landmarschall instruk- 
tionsgemäß über 87.000 Aktenstücke, also durch* 
sohnittlich nahezu 300 per Tag lesen und unterzeich- 
nen sollte, so würde er in wenigen Wochen gehim- 
weich werden. Oavor bleibt er bewahrt. Die gröfite 
Zahl der Aktenstücke wird ungelesen von Beamten 
einfach mit der Stampiglie des Landmarschalls und 
eines Ausschufimitgliedes fabriksmäßig versehen« 

Schon im Jahre 1886 und seitdem unzähUgemal 
habe ich dieses Vorgehen gegeißelt und eine vernünf- 
tige Abänderung der Dienstinslruktion für den Lau- 
desausschuß verlangt. 

Vergebens ! 

Im Jahre 1900 hat Landesausschuß Dr. Weitlof 
dieselbe idee aiigeresrt und darauf gedrungen, daß 
im n.-H. Landesausschuß die gleiche Manipulation ein- 
geführt werde, wie sie in den Landesausschüssen 
anderer Länder bestehen soll» wo die Vorstände der 
eineeinen Landesyerwaltungsdepartements in der Lan- 
desausschußsitzung referieren und der gewählte Lan- 
desausschufi nur übejr. die von den Beamten gestell- 
ten Anträge berät und beschliefit. Die Departe- 
mentsTorstände unterzeichnen alle Vor- und Zwischen- 
erhebuniren, Urgenzen und dergleichen mehr, nur Ur- 
kunden, Dekrete u. dgl. werden von einem Ausschuß- 
mitglied gezeichnet und vom Landmarschall kontra- 
signiert 

Alle Bemühungen Dr. Weitlofs waren ver- 
geblich. Es wurde weiter gewurstelt, denn das Port- 
wurstein ist uns zur zweiten Natur geworden und 



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bildet den Inbegriff aller Regierungsweisheit iti 
Österreich, dem lieiche der europäischen Mitte 1 So 
gilt auch nach Ausspruch des Herrn Steiner jener 
Referent, der das ganze Jahr reist und lustig Diäten 
aufrechnet, als ein guter, derjenige, der nebenbei 
auch Akten liest und erst das Gelesene unterzeichnet, 
als ein schiechter Referent, oder besser gesagt als ein 
Esel, der seinen Vorteil und seine Zeit nicht versteht, in 
der der Oeldsack das Allerheiligste der Bittiichen 
Weltordnung darstellt. 

Die Instruktion für den n.*ö. Landesausschufi 
Tom Jahre ISfO wurde, wie dies allgemein übliob 
istf nie beachtet Jedes Mitglied des Landesansschusses 
hat sich ab BessortminiBter gefühlt und das ihm 
übertragene Befera/I als MhusterporteHsuiUe ange- 
sehen. 

Kein Wunder, wenn die Mitteilung des Herrn 
Steiner, daß die Bezüge der Landesausschüsse 
kleiner sind als die Bezüge eines Landessekretärs, 
von seinen Zuhörern verständnisvoll aufge- 
nommen wurden. Nach der begeisterten Aufnahrae 
dieser Mitteilung zu schließen, wäre der n.-ö. Landes- 
ausschuß gerne bermt, nicht nur die Zahl der Landes- 
auflschuflmitglieder entsprechend der Zahl der Be- 
werber um diese Stellen zu vermehren, sondern auch 
ihre Bezüge den Bezügen der Staatsminister ent- 
spf echend zu gestalten. 

Der Landtag hat m seiner Munifizenz die DiAlen 
der Landtagsab^Bordneten den Diäten der Reiohs- 
ratsabgeordneten gleiohgestellt, indem er sie von 
16 Kronen auf 20 Kronen erhöhte, — er hat die 
Stelle eines Oberkurators der Landeshypotheken- 
bank, der früher auf eine bestimmte Zahl voji Jahren 
gewählt wurde, zsu einer lebenslänn^lichen Pfniade 
umgewandelt und gleichzeitig die Diäten der Kura- 
toriumsmitglieder entsprechend erhöht. Warnm sollte er 
die Bezüge der Landesausschußmitglieder nicht den 
Bezügen der Minister gleichstellen und ihnen ebenso 



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— T — 

wie den sofirenaiintmi parlaoenteischen Ministem 
Pensionsbesflge susichero? Sich darfiber, sowie über 
die AufrechDung von die fixen Belüge w^t über- 
flohrettenden Diftton und Reisekoiiten auftuhalten, 

wäre, wie Herr Steiner sagt, kleinlich I Wir 

Steuerträger, die wir heute die Hälfte unserer Ein- 
nahmen als Steuern und Abgaben aller Art auf dem 
Altar des Vaterlandes opfern müssen, werden auch 
diest^ und noch weitere Kieinigkeitea mit gewohnter 
Suhafseeduld zahlen ! 

Herr Steiner bekrittelt weiter eine Stelle 
meiner Memoiren, die ich, weil er sie ebenfalls nicht 
sitiert, dem Wortlaut nach hier folgen lasse. Sie lautet: 

»Nach d^n von mir bisher im niederösterreichischen Landtag 
gemachten Erfahrungen spielte der jeweilige Finanzreferent im 
Landesausschuß eine traurige Rolle. Eme Auskunft in Fmaiizsachen 
konnte man von ihm nie erlangen, denn er seibät wußlc nichts! 
In der Leitung des Finanzwesens war er ebenso dne NtiU, wie es 
der jeweilige Landmarschall in. der Leitung des Landesausschusses 
und des Landtages ist. Nach Obemahm^e des Finanzreferates ver- 
fügte ich — da der Usus eintjerissen war, daß die Kassa über 
einf.iche Anweisung der einzelnen Referenten im Landesausschuß 
Geldbeträge in beliebiger Höhe flüssig machte — daß die Kassa, 
mit Ausnahme der kurrenien Ausgaben, wie üehaKe, Löhnungen 
etc. etc., ohne meine speaelle Anweisung keinen Kreuzer ausbe- 
zahlen dürfe und daß mir täglich ein Kassenstandanjiport vor- 
gelegt werde. Sch on i m ersten Kassenstandsrapport fand 
ich eine Rubrik, bezeichnet ,1 andesanlag^schcine', in welcher ein 
Betrag von 331.000 Gulden als Ausgabe e^n^e^tellt war. Auf meine 
Fraee, was denn unter der Bezeichnung ,Landesan lagscheine' zu 
verstehen sei, antwortete man mir, daß diese Landesanlagscheine 
zweiprozentige Schuldscheine seien, welche bei Mang-I an Kassa- 
bestanden zur Deckung des jeweiligen Bedarfes ausgestellt werden, 
um nicht höhemrozentige Schulden bei der Landeshypothekenbank 
oder anderen Geldinstituten kontrahieren zu müssen. Ich nahm 
auf dies? Mitteilung hin sofort eine Revision der Kassa vor und 
entdeckte zu meinem nicht geringen Erstaunen, daß diese Landes- 
anlagscheine aus einem gewöhnlichen Kanzleipapierstrellen be- 
standen, welcher folgende uthographierte Inschrift aufwies? 

Anlage^Scndn-Nr. 

über „ Qulden Kreuzer 

i. e . fl Jkr. 

welche 



beim Landesfond fruktifiziert hat. 

Wien, am 

Dm n.-d. lJiidci-Obereiimeh]iMP*Amt 

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Auf meine Frage, wer denn auf diesen Wisch hin dem 
Landes-Obereinnehiner-Amte Vorscliüsse in der Höhe von 331.000 
Gulden geleistet habe, antwortete man mir schmunzelnd : Nie- 
mand! wenn Qeld gebraucht wird, vird den diversen Fonds 
^Stiftungen u. dgL) so viel Oeld entnommen als benötigt wird, 
tür die entnommenen Beträge werden Jjindesan lagscheine eingelegt 
und das diesen Fonds entnommene Kapital mit zwei Prozent 
verzmst' . . . Ich ließ alle vorrätigen Landesaniagscheine bis auf 
einen, den ich zum Andenken aufbewahre, verbrennen und die 
den diversen Fonds entnommenen Beträge ersetzen.« 

Herr Steiner sagt hierüber laut stenographischem 

Protokoll das Folgende: 

»Es wurde von dem Verfasser der Broschüre behauptet, 
daß, als er das Finanzreferat übemalun — (Rufe: Wer?) Schöffel 
— Landesfondsanlagescbeine in der Kassa gelegen sind. Ich er- 
kläre Ihnen, meine Herren, daß bis zum Herbste 1902 kein Partei- 
mann der christlichsozialen Partei das Finanzreferat im Landes- 
aiisschijsse hatte. (Hort! Hört!) Diese Landesfondsanla^escheine 
winden vom seinerzeitigen Referenten Dr. üranitsch, der gewiß 
kt n Anhänger der christlichsozialen Partei war, in die Kassa ge- 
legt. Sem Nachloiger war aucli kern Christiichsozialer und erst im 
Jahre 1899, als infolge ^ner Differenz im Landtage der damalige 
Straßenreferent Schöml das Referat für Straßen zurückgelegt hatte, 
hat er das Finanzreferat übernommen. In der Broschüre steht, daß 
Herr Landesausschuß Schöffel diese Anlagescheine sofort vernichten 
ließ. Ich habe hier das Protokoll der zweiten Sitzung des Landes- 
ausschußes vom 12. Jänner 1899, in der Herr Landesaus<^chuß 
Schöffel das Finanzreferat übernahm und ich habe auch hier den 
Akt, L. A. Z. 9237 vom 6. Febniar 1902. worin Herr Landes- 
ausschuß Schöffel die Herabsetzung des Zinsfußes der bisher mit 
3 Prozent verzinsten Anlagescheine auf 2 Prozent verfflgte. Hier 
ist auch die Unterschtift: Schöffel. (Hört! Hört!)« 

Der ehemalige Landesausschuß Dr. Granit seh 

war bekanntlich nie raein Freund, aber daß er die 

berüchtigten Landesaniagscheine, wie Herr Steiner 

sagt, in die Kasse gelegt haben soll, ist mehr als 

eine gewagte Behauptung. Es ist möglich, daß 

Dr. Qranitsch die Manipulation mit den Landesanlag^ 

scheinen gutgeheifien und den bezügliohen Akt 

ebenso unterschrieben hat, wie ich nach Angabe des 

Herrn Steiner einen Altt betreffend die Herabsetzung 

des Zinsfußes dieser Aiilagscheine unterschrieben 

habe. Es gescliah in voller Unkenntnis der Natur 

dieser Anlagscheine. Mein ganzer Irrtum, von dem 



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— 9 — 

die Steinersche »Enthüllung« lebt, besteht also darin, 
daß ich behauptete, ich hätte die Landesauiagscheine 
»schon im ersten Kassenstandsrapport« ge fanden, 
während es richtig he?ßen mußte: >schon in eniem 
der erRten Kassenstandsrapporte . . .€ Wenn ich 
meine Memoiren nicht im Amtsstil mit Anführung 
von Zahl und Datum geschrieben habe, so mö^en 
dies Herr Steiner und Konlorten vergeben, denn ich 
schreibe nicht für sie allein, sondern für die Öffent- 
lichkeit, für das Publikum, das ein im Bureau- 
geschmack geschriebenes Buch einfach wegwerfen 
würde. Tatsache ist, daß ich, als mir die sonderbare 
Manipulation mit den Anlagescheinen vom Kassen- 
direktor zur Kenntnis gebracht wurde, die An- 
lagescheine sofort vertilgen und die den diversen 
»Fonden« entnommenen Beträge diesen wieder re- 
• fundieren ließ. Diese nackte Tatsache läßt sich durch 
das schönste Gemauschel weder wegleugnen noch 
verhüllen. 

Herr Steiner verteidigt mit vielen Worten die 
christlichsoBiale Partei und die christlicfasoziale 
Majorität im Landtag und im Landesausschufi gegen 
einen Vorwurf, den niemand — am allerwenigsten 

ich, wie aus dem zitierten Wortlaut der bezüglichen 

Stelle inüiaes Buches ersichtlich ist — gegen sie 
eriiüben hat. 

Die den Bau der Irrenanstalt in Mauer- 

Ö Illing betrefTende Stelle in meinem Buche erfreute 

sich der besonderen Beachtung des Herrn Steiner. 

Ich muß sie zum besseren Verständnis ebenfalls wört- 

Uch zitieren: 

»Die von mir getroffene Verffigun«:, daß die Kassa ohne 
mein Visum nichts auszahlen dürfe, bereitete mir viel Schererei, 

viel Kummer und Verdruß, da einige Herren die Landesknssr! als 
ihren Dispositionsfond betrachteten. So hatte ein neu ernannter 
Chef eines neuerrichteten Departements im Landesbauamte . gegen 
die ausdrücklichen Bestimmungen der Instruktion für den Landes- 
ausschuß, welche vorschreibt, daß alle Bauten, welche im Ijinde 
geffihrt weiden, wie es in allen Ämtern der Fall ist. Im Offertwege 



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/ 



- — 10 — 



zu vergfeben seien, angeblich seinen Referenten uberredet, daß es 
ersprieiilichei für das Land sei, wenn aiie Landesbauten in eigener 
Regie durchgefßhrt werden. Auf diese Weise wurde dn Landes- 
beagAer zugleich Bauunteriiehmer otaneKonkuirenz, der nadi den 
von ihm verfertigten Plänen und Voransdiläfi^ alle Bauten des 
Landes, daninter den Bau der großen Irrenanstrilt in Mailar Öhüng^. 
den Bau des vierten Stock^-erkes im Landhause, die Adaptier un^ 
und luxuriöse Einrichtung des Landhauses und andere Bauten 
di^chiuhrtc. Dieses vielseitige Genie, dieser Landesbeauite und Bau- 
untentelmier in einer Person, Ititete alle diese Bauten, kontrollierte 
sidi selbst und koUaudierle auch sdne Arbeiten. Einem Baitunter- 
nehmer steht nur das eigene Kapital, mit dem er arbeitet, zur Ver- 
fügung, dem vom Lande angestellten Bauunternehmer standen die 
Kassabestände des Lnndes offen. Er stattete die Bureaus der 
Landesaiisschuß- Beisiizer mit demselben Luxus ans, wie er 
bei den üeneralgewaltigeu der großen Banken uiid Lisen- 
bahnen fiblicfa ist. Selbstverständlich geschah das alles zur 
Förderung des Kleingewerbes! UAi die Autorität dieses bau- 
unternehmenden Landesbeamten zu befestigen, wurde er wie 
dies in der heutigen Zeit der höchsten Blüte des verwegensten 
Strebertumes, sehr häufig der Fall ist, unter gleichzeitiger Ver- 
leihung des Oberbauratstitels nach Überspringung^ seiner Vorder- 
männer in die höchste bisher im Landesdicüste zu erreichende 
Rangstufe befördert. Da seine Vordermänner gegen diese unver- 
diente Präterierung remonstrierten, wurden auch sie in die sechste 
Rangsklasse befördert und ihnen der Oberbauratstitel verliehen. 
Der Landesbauamts-nirektor , der allein bisher in der sechsten 
Rangsklasse stand, wurde m derselben belassen und läuft nun als 
fünftes Rad am Wagen neben den ihm koordinierten Oberbau- 
räten her. Die von dem Landesbeamten durch die eigene Regie m 
Aussicht gestellten Ersparungefl entpuppten sich später als enorme 
Überschreitungen des Kosten Voranschlages, welche in Form von 
Nachtragskrediten .schweigend genehmigt wurden. Der neu er- 
nannte Chef des Wasserbaudepartements beanspruchte natürlich, 
gleich seinem Kollegen im Hochbau, daß die Flußregulieiimgs- 
arbeiten und Brückenbauten statt im üblichen Konkurrenzwege 
ebenfalls in eigener Regie durchgeführt werden sollen, was auch 
anstandslos genehmigt wurde. Es wurde für diesen Hem eine 
eigene Handkasse angeschafft und ihm Verläge in der Höhe von 
20.000 bis 40.000 Kronen gegen Verrechnung überwiesen. Alle 
diese Verfügungen, alle diese Ernennungen wurden vom Landtag 
selbst getroffen, ohne daß der Landesausschuß als solcher und ich 
speziell als Fmanzreferent früher davon in Kenntnis gesetzt worden 
wären. Selbstverständlich protestierte ich dagegen, daß 
öffentliche Landestuiuten von Landesbeamten in eigener Regie 
durchgeführt werden, da bei dieser Art BaufQhrung jede Aut- 
sicht, jede Kontrolle unmöglich sei. Da dieser Protest nichts 



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11 



nützte, verweigerte ich die Anweisüngder für diese Bauten an- 
gesprochenen Oe1dverläg«y worauf man einfach erklärte, daß 
dann die Bauten sistiert werden mülken, was mit enormen 
Verlusten für das Land verenden wäre. Ich mußte nach- 
geben, lehnte jedoch sowohl mündlich als schriftlich 
jede Verantwortnng fflr diese mehr alt sonderbare 
Gebarung ab, worauf die Landesbudaludtung in einem Be- 
richte an den Landesausschuß weitläufig auseinandersetzte, daß 
auch sie sich gegen jede Verantwortung in dieser Beziehung ver- 
wahren müsse, da ihr nur die ziffermänige Prüfung der von den 
Landesbauämtern vorgelegten Quittungen und Arbeitslohnausweise 
keineswegs aber eine Kontrolle der wirklich ausgeführten Arbeiten 
und ihrer Kosten zustehe. Auch der LandcsausschuBreferent fOr 
Flußregulierungen lehnte jede Verantwortung für diese anrüchige 
Manipulation ab. Um nun wenii^btens den Schein einer Kontrolle 
dei hu . Ideten Bauunternehmer für Hochbauten, für Fluß- und 
Brückenbauten zu kreieren , wurde ein den beiden Bureauchefs 
untergeordneter kleiner Landesbeamter mit der Kontrolle der tech- 
nischen Arbeiten seiner Vorgesetzten betraut. Eine Kontrolle, wie 
man sie dQmmer und verlogener wohl nidit erfinden kannl«*) 

Ich lasse, was Herr Steiuer darüber geäußert, 
nsLC-h dem Wortlaut des stenographischen Protokolls 
toigeu: 

>Ein weiferer Vorwurf wurde erhoben, gegenüber dem ich 
ebenfalls verpflichtet bin, eine Richtigstellung vorzunehmen, und 
zwar gegenüber einem Manne, dt i heute schwer kranic darnieder- 
liegt, dessen Wirken icii aber zu beobachten Gelegenheit hatte. Es 
ist dies Herr Oberbaurat v. Boog. Es wM ihn vorgeworfen, daß 
er seine Kompetenz fibeiscfarttten und aus eigener Machtvoll 
kommenheit Bauten in eigener Regie durchgeführt, sich selbst kon- 
trolliert und knllaudiert habe. Ich habe hier einen Akt, betreffend 
die Anweisung von Rechnungen über eine Stockwerkaufsetzung im 
Landhause, welche von dem damaligen Hausreferenten Herrn josef 
Schöfid gczcidiuet ist (Kufe: Hört] Hört!; und worin er anläßlich 
der in eieener Regie dnrchgefahrten Art>eiten durch Herrn Ober- 
battrat v. Bo(^ die Rechnungen selbst anweisen liefi. Ich 
führe vdters an, ich habe noch einen Akt hier, dersich auf die Arbeiten 
in eij^ener Re^rie, und zwar im SfnR'^n'.T^esen bezieht und die 
Nummer 39-93 f) trägt. Hier fuhren /v> Maurermeister beim Landes- 
ausschuß BohcluxTrde gegen die Aubiuhrung von Straßenbauten in 
eigener Re^ie. Herr Landesausschuß Schöffel sagte in seiner ab- 
weisllcfacn Erledigung, daß diese Ersparungen den Ste u e itig ge i a 

*) Anmerkung. Der liindtag schdnt teilweise zum Bewußtsdn 

der herrschenden Ube!stände sfr^Vonimen 7'i ^-e'v . indem er, Zeitungfs- 
benchten zufolge, eine Reorganisierung des Landeabauamts beschlossen bat 



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- « - i^r 

zu j^nte kommen und daß dieser Vorg^ang^ um so weniger als un- 
ben]j.^tei Gewerbebetrieb angeselien werden kann, als die Auf- • 
Stellung der Bauprojekte, der Kosten Überschläge sowie die Bau- 
leitung seitens der sachverständigen technischen Organe des Landes 
erfolgt Se sehen also» dafi der genannte Herr LandesausschuS die 
eigoie Regie audi beim Straßenbau dngeffihrt hat» 

Jedermann wird aus der Gegenüberstellting 

dessen, was ich geschrieben, und dessen, was Herr Steiner 
darauf im Landtage erwidert hat, ersehen, daß ich 
den Naaien des Beamten, der aut* Befehl oder über 
seine eigene Bitte den Bau der Irrenanstalt in Mauer- 
Öhling aus Landesmitteln in eigener ^ 
-Regie, ohne jegliche Kontrolle darch- 
ereführi hat, nicht genannt habe, daß dies vielmehr 
Herrn Stemer selbst überlassen blieb. Und jeder- 
mann wird ersehen, daß Herr Steiner hier ein Kunst* 
Stück ausgeführt hat. Bloß durch Niohtverlesung 
meiner W orte konnte er nämlich den Eindruck erwecken, 
als ob ich heuchlerisch etwas bemängelte, was ich selbst 
getan. Jedermann wird ersehen, dafi die Anweisung 
von Beträgen für Bauten aus Landesmitteln in eigener 
Begie, die Herr Steiner frfiher allein besorgte, durch den 
Passus meines Werkes: »Selbstverständlich protestierte 
ich . . . Da dieser Protest nichts nützte, verweigerte ich . . . 
Ich mußte nachgeben, lehnte jedoch so- 
wohl mündlich als schriftlich jede Ver- 
antwortun^r für diese mehr als sonder- 
bare Gebarung ab« mehr als gerechtfertigt ist. 

Die Behauptung aber, daß ich die eigene Regie 
beim Straßenbau eingeführt habe, ist mehr als 
eine findige Verdrehung von Tatsachen. Sie ist eine 
Albernheitl ^ 

Auf meine ' Veranlassung wurden nämlich die 
Landesstrafien^ (ehemalige Reichsstraflen), die vom 
Lande verwaltet und auf Kosten des Landes er- 
halten wurden, in Bezirksstraflen L Ordnung und die 
Gemeindestraflen, welche Unsummen von Landes- 
subventtonen zwecklos verschlangen, in Bezirks- 
£traßen III. Ordnung umgewandelt und den Be^ukb- ^ 



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13 



strafen- Ausschüssen in Verwaltung iibergelien. Die 
Bezirksstraßen -Ausschüsse beeilten sich, ihr Straßen- 
netz auszubauen. So ließ der Obmann des Bezirks- 
strafien-Ausschusses Amstetten Baron Kielmansegg 
▼on den Bauern alle Oemeindewege, die zu ihren 
Höfen führten, umbauen und ids Bezirksstrafien 
Ordnung kategorisieren^ und so entstand ein 
Straitennetz, wie es kein anderer Bezirk des Landes 
aufweisen kann. Ob die BezirksstraSen-Aussohflsse den 
Straßenbau in eigener Regie, oder durch Bauunter- 
nehmer durchführen ließen, ging den Landesausschuß 
nioiiu au, da der Bau von Bezirksstraßen durch die Be- 
zirksstraßen-Ausschüsse in eiß:ener Regie im Gesetz 
nicht verboten war. Der Landesausschuß hatte nur dafür 
zu sorgen, daß diese Bauten durch die exponierten 
Lande^insfenieure in technischer und finanzieller Be- 
Ziehung überwacht werden und daß gemäß den Be- 
stimmungen des .Straftengesetzes kein Mitglied 
des Strafienausschusses innerhalb seines 
Bezirkes Straflenbauten auf Kosten des 
Bezirkes unternehme, oder Lieferungen 
für Strafienzwecke übernehme. 

Das Land selbst» resp. der Landesauschufl hat, 
solange ich sein Mitglied war, Straftenbauten 
weder in eigener R< gie, noch durch Bauuternehmer 
durchführen lassen. Die Beschwerde zweier Maurer- 
meister über den Bau von Bezirksstraßen in eigener 
Regie der Straßenausschüsse mußte daher abgewiesen 
werden. Und nun soll diese Abweisung als Beweis 
dipnen, daß ic]\ die eigene Regie im Lande ein- 
gf^führt habe f Der § 10 der Instruktion für dvn 
n.-ö. Landesausschuß bestimmt: »daß Arbeiten und 
Lieferungen, welche aus den vom Landesausschusse 
verwalteten Fonden bestritten werden, in der Regel 
im Wege der öffentlir lien Offertverhandlung zu ver- 
geben sind.« Diese Bestimmung ist im Jahre 1870 
in der Zeit des finanziellen und wirtschaftlichen 
Haubrittertums verfallt worden und heute wurde ein 



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— 14 — 



Hochbau in der Kostenhöhe von Millionen aus den 
vom Landesausschuß verwalteten Fonden in eigener 
Regie ohne jegliche Kontrolle durchgeführt und gut- 
geheißen, und demjenigen, der diese Art der Durch- 
führung bekämpfte, in die Schuhe geschoben, dafi 
er die eigene Regie im Lande eingeführt habe. 

Herr Steinen r8ohtfertig:t die von mir kritisierte 
fOratliohe Auaatattang der Bureaus des liandmarsohalls 
und* der Landesaussäiüssei so wie des für ihn reser- 
vierten Boudoirs in der Irrmanstalt in Mauer<-Oehling 
mtl den folgenden Worten : . 

»Wenn erklärt worden ist, daß das Bureau des Landmar- 
sdttUs und «les ttadcsausschusses adaptiert und «iffieblidh zu nobel 
einrichtet wocden sind (Abgeordneoer Silberer: Das geliört sich 
auoi!), so habe ich darauf folgendes zu erwidern: Durch die neue 

Organisation des Landesdienstes mußte eine Kanzleidirektion ge- 
schaffen werden. Man ftat früher immer von Fortschritt und der- 
gleichen Dingen gesprochen, sie aber nie in die Tat umgesetzt. 
Der Landmarschall des Stamm landes der Monarchie hatte vom 
Jahre 18(S2 Ms vor einem Jahre nidit «ninal ein eigenes Schreib- 
zimmer und im AmtSlolcal des Landmarschalls war Kerzen- und 
Petroleumbeleuchtung, ein Ofen, wo nicht eingeheizt werden Iconnte. 
Man mußte dem Gmdmarschall also doch ein Schreibzimmer 
geben. (Rufe: Gewiß und ein würdiges und anständiges!) Die Amts- 
lokalitäten waren vom Jahre 1862. Infolge der Stockwerkaufsetzung 
wurden Möbel für die Kanzleien gebraucht, man hat deshalb die 
Mebd aus den Rftumen des LaadesaiuacfauaMS gemmimen, hat sie 
herrichten lassen und in die Räume der Beamten gegeben und 
die Amtsräunie der Landesausschüsse neu dngerichtä Daß man 
die Amtslokalitäten des Landesausschusses von Niederösterreich 
nicht einrichtet wie für einen Waserlbuben von Stix-Neusiedl, ist 
selbstverständlich. (Zustimmung.) Ich freue mich, daß es dem 
Gewerbe und der Industrie gelungen ist, zu zeigen, wie leistungs- 
fähig die betreffenden Oewmekategorien stod.« 

"Hie Bureaus der Landesausschüsse waren nicht 
besser und nicht schlechter eingerichtet, als die 
Bureaus der meisten Sektionschefs, Hof- oder Statt- 
haltereiräte. Das Bureau des einst allnaächtigen 
Sektionschets Baron Erb im Ministerium des Innern 
war mesquiner eingerichtet als mein Bureau im 
Landhause. Es waren da keine schweren Vorhänge, 
keine teueren Teppiche, keine schwellenden Divans, 



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16 



keine prachtvoUen' Höbel im Sesesrionsstyl au 

finden, wie sie heute die Bureaus der Herrn Landes- 
ausschüsse schmücken. Ich saß oft bei Baron Erb auf 
einem Bündel Akten, da kein aktenfreier Stuhl vor- 
handen war. Das Bureau des Landmarschalls war ein 
großer, prachtvoll getäfelter Saal, neben dem sich das 
Schreibzimmer des ersten Landessekretärs und das 
Sitziipß^sziraraer des Landesausschusses befanden. Daß 
diese Räume nicht geheUt werden konnten, habe ich 
nie erfahren. Gas wurde nibht eingeleitet, um die 
Täfelung nicht zu schädigen. Daß die Liberalen und 
Portschrittiichen Freiheit und Fortschritt nur im 
Munde führten und m persöniiohem Nutsen aus- 
beuteten, habe ich selbst unsfthligemal mündlich 
und schriftlich geäuflert) den Fortschrittlichen aber 
einen Vorwurf daraus zu machen, daß sie den 
Fortschritt nicht auch in prachtvolle Ausstattung 
ihrer Bureaus » umzusetzen c verstanden, wie Herr 
Steiner sich ausdrückt, ist ungeschickt; denn 
daß sie das unteriiel^en, verdient Lob und nicht 

Tadel 

Wälirend ich diese Zeilen schreibe, wird mir 
em vom n.-ö. Landesausschuß neu geschaffenes 
^Landes- Amtsblatt des Erzherzogtums Öster- 
reich unter der Enns', ohne daß' ich es bestellt 
hätte, zugestellt, in welchem unter der Marke »Zur 
Abwehre alles das wiederholt wird, was Herr 
Steiner im . Landtage vorgebracht und ich in den 
vorstehenden Zeilen klargestellt habe. Da bei einem 
Amtsblatt die Kosten der Herstellung nicht berück- 
sieht igt zu werden brauchen, hat man sich den 
Luxus stattet, zwei alte Akten zu photographieren 
und diese Photographien im Text einzuschalten. 
Begründet wird diese photographische Aufnahme 
ganz wert- und beweisloser Akten mit den Worten: 
»Nachdem Herr SohÖÜel die Existenz dieses Aktes 
geleugnet hat, sieht sich der Landesausschuß ver- 
anlaßty denselben zu reproduzierenc. 



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— 16 — 



Wann, wo und wem gegenüber habe 
ich jemals etwas geleugnet? Hat mich der 
Landesausschufi jemals darüber befragt^ 
oder sur.Rede gesteilt? 

Wenn der Mensch, der jene Worte niederge- 
schrieben, diese Frage nicht beantwortet, 80 gesteht 
er stillschweigend, dafi er gelogen hat! 

Herr Leopold Steiner hat vor dem Scftusse 

seiner mir geweihten Rede, nach dem Wortlaut des 
stenographischen Protokolls das Folgende von sich 
gegeben: 

»Nun wird die Broschüre von Herrn Schönerer aus Rosetiiu 

in das ganze Land verschickt. (Hörtl-Rufe.j Es scheint erstens 
mir, daß Herrn Schönerer nichts mehr einräüt, sonst müßte er 
selbst die Broschiire ge^en die Christlichsozialen geschrieben haben, 
und andrerseits wundert es mich, daß er für diesen Zweck — für 
andere nationale Zwecke werden die Schnüre des Beutels ziemlich 
zusammengezogen — noch so viel Oeld hat«. 

Herr Schönerer hat, wie ich bereits erwähnt, 
das letzte Kapitel meines Buches im ^Alldeutschen 
Tagblatt* abdrucken und die Sonderdrucke dann im 
Lande verbreiten laflsen. Das geschah alles, wie Herr 
Steiner selbst erklärt, auf Kosten SohOnerers. 
Der Landesaiiflschufl läfit dagegen seine mit tai« 
mudischer Spitsfindig^keit ausgearbeitete und mit 
kostspieligen Faosimiles rersenene Verteidigung in 
dem aus Landesmitteln hergestellten Landes- 
amtsblatt drucken und an alle Gemeinden, Anstalten 
und selbst an Private versenden, 

Dafi ich mich nicht vom parteipolitischen Ge- 
sichtspunkte leiten Uefi, wie mir am Sohlufie des 
amtlichen Artikels vorgeworfen wird» beweist meine 
ganze Vergangenheit — ich habe nie einer Partei 
. angehört — , beweist der ganze Inhalt meines 
Werkes »Erinnerungen aus meinem Leben«. 

Die Erklärung des Herrn Steiner aber, er »weise 
den der chrisüichsozialen Parteigemachteu Vorwurf der 



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17 ^ 

Korruption ' mit aller Entschiedenheit surückt, weise 
ich bloß mit der VersicKemng aurücki dafi ich diese 
Phrase schon unzähligemale^ in allen erdenklichen 
Variationen, gehOrt habe^ — insbesondere nach 

dem Krachjahre 1873. 




Noch einige LdM»itaie 

von Oscar WHde.*) 

Wären die Armen nur nicht so hftfilich, dann 

wäre das Problem der Armut leicht gelöst. 

Religionen sterben, wenn ihre Walirheit er- 
wiesen ist. Die Wissenschaft ist das Archiv toter 
ßeiigionen. 

Was tatsächlich geschiehti ist nie von Belang, 

Zeit ist Gteldverschwendung. 

« 

Nur die oberflächlichen Eigenschaften dauern. 
Des Menschen tieferes Wesen ist bald entlarvt 

Die Zeiten leben in der Geschichte durch ihre 
Anaohronismen. 

Nur die Qdtter kosten den Tod. Apollo ist nicht 
mehr, aber Hyacinth, den er der Sage nach er- 
schlagen hat, lebt weiter. Nero und Narciß sind immer 
um uus. ^ 



*) Erste deutsche ObeneUttos m »Sitze nnd Lehren sum Oe- 
brancb für die Jngend«. 



189 

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Bei Fragen von einschneidender Bedeutung igt 
der Stü, nicht die Ehrlichkeit atisschla^gebend. 

Frauen besitsen einen wunderbaren Instinkt. 
Alles entdecken sie, nur das Nächstliegende nicht. 

Bei einer sehr bezaubernden Pika ist das Ge- 
schlecht eine Herausforderung, keine Verteidigung. 

Man soll entweder ein Kunstwerk sein oder ein 
Kunstwerk tragen. 

Eine wirklich tadellose Knopf lochblume ist das 

einzige, was Kunst und Natur verbindet. 

» . 

Auf eine einzige Art Iftfit sich gut machen, dafi 

man bisweilen etwas zu viel Gewicht auf Kleidung 

legt: man muß stets das allergrößte Gewicht auf 
Kultur legen. 

Man sollte immer ein wenig unwahrscheinlich sciü. 

Nur die Seichten kennen sich grundlich. 

Frühreif sein heifit voUkoramen sein. 

Unwissenheit gleicht einer zarten fremdländischen 
Frucht; berühre sie, und ihr Hauch ist dahin. 

Vermeide Gründe jeglicher Art. Sie sind immer 
gewüluilich, oft überzeugend. 



ANTWORTEN DBS HBRAUSGBBBRS. 

K4nd«rfirmtmd. Eine grofie Frage bciddWIgt nr Zdt die 

kriminalistischen Kreise. Die Reform des Strafgesetzes? Nefal* Die große 
Fragte lautet kurz und bündig : D a r f P r o f c s s o r r e r N a c h 1 1 o k a 1 e 
besuchen? . . . Wie ein Lauffeuer g^ing es du-rh d-^ Korridore des 
Landesgenchts, l'rach es duich die Tiuen der Anitb/iim ler: Professor 
Beer ist am Tage nach seiner Verurteilung im »Casino de Paris« gesehen 
worden! Und beieichiieiidenNdie atelit iB efaiar OeaeUKbaft wm HÜ- 
gUedcrn der St. Petrus Omr SodiUtftt, «mdem von litenrisckcK 
Bohemicn. Ei ist oMriifirt Dt iMt niii dtesen Mentchai gofea ciae 



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19 



KiutioD von 200.000 Kronen wf freien Fuli gesetzt, und anstatt in sich 
M £elien»feht er int Caaino de Ms ... Die Ridiier, die ikn «crnrfeiit 
hsben, sagen: Jetzt haben wir den Be^reis seiner Sdinldf Und die 

Lfute, die immer roA an seiner Schuld zvÄ-eifeln, sagen mindestens: 
Man sieht, daÖ es kein ernster Men'^ch ist! Und ich, auf den Beweise, 
Verdachtsmomente und Illustrationsfakten einstürmen, saget Ich muß 
mich übergeben! Wer empfindliche Magennerveu iiat, auf den wirkt nuu 
einmal jede Wiener Sensation als nnx vomica. Oder es ist, als ob einen 
der Pinger, der den Sdüeier des Privatlebens gelfipft bat, in den Hals 
gesteckt wurde. Das wild nicht so weiter gehen, meine Henenl Ich bin 
wirklich der Meinung^, dnß es Sie einen Schmarren angeht, ob der 
Professor Beer, anstatt zuliaiitc über die sexuelle Empfindlichkeit der 
österreichischen Justiz nachzudenken, sie bei englischen Tänzen zu 
vergessen sudit. Ist Frau Themis eifersfichüg? Ist sie em Büffet- 
aiidcben, das den alten Stanungsit nlcsbt gern bi einem andern 
VergnBgnngslolcal weifi? Sie brancfat nicht zn gtonben, dafi ilur 
die »Würzen« echappieren wird; und wenn sie es emstlich fürchtet, 
wären ja 200 000 Kronen keine üble AI findungssumme. Sie hat klein- 
liche Rache genommen. Henn Professor Beer wurde die Erlaiibni'^, in 
sein Sciiwcizvr Heim zu reisen, verweigert. In merkwüidiger Anmaßung 
einer, nicht sittenrichterlichen, nem volksscUullehrerhafien Gewalt war 
dem verurteilten Universititsprofcsaor von der StaaisanwaUschaft 
bedeutet worden, daB die BewiUignng einer Reise von seinem »Be- 
nehmen« abhängen würde. Da ein Besuch des Casino de pvdt 
dem Professor Beer die gut österreichische Sittennote »minder ent- 
sprechend < eintrug, mußte der Urlaub verweii^ert werden. Nicht einmal 
das Recht, dem »Funktjünär<, der solchen Beschluß mit solcher Be- 
gründung verkündete, ins Gesicht zu lachen, ward dem Angeklagten 
verstattet Ich bitte es trotzdem gefaus. Und ich tue es heute im Namen 
des gedemiltigten Menschenverstandes. Noch nicht genug der Blaihaee, 
meine Herren ? Haben erwachsene Gerichtsbeamte wirkUdi keine anderen 
Sorgen, als sich um den Zeitvertreib eines Privatmanns, der der Justiz 
doch nur für seine kriininelien Handlungen haftet, zu bekümmern? 
Schöpft auch der offizielle Geist schon aus den Schlammgründen des 
Wiener Tratsches? Wenn wir uns überhaupt das Recht anmaßen dürfen, 
nns für das Nachtleben des rr o fesso r s Beer zn interessieren, so mftsseo 
wir die Frage, ob er am Tage nach seiner Verurteilung ins Casino de 
Paris gehen durfte, mit einem lauten und vernehmlichen Ja beantworten. 
Zunächst: Der Besuch des Casino de Paris nach dem Prozeß i^t ein 
beinahe so haltloser Beweis für Kinderschändung wie die Aussagen der 
beiden Knaben im Prozeß. Aber auch sonst* wirft er auf den Charakter 
des Besuchers kein wie immer geartetes »Licht«. Ich habe an jener 
Stitte schon einen Oeneral mit einer Cancanlinaerln und ebie Ortfin 
mit einem Nigger tanzen gesehen. Man kann aller anch ganz unacfanldlg 
aus solchem Nachtlokal hervorgehen, beinahe so unschuldig wie aus 
einer Oericbfsverhandhinpf, in der man zu drei Monaten verurteilt wurde. 
Der Besucli i1es Casino de Paris kann weder für noch liegen den 
Charakter eines Menschen etwas beweisen. Nur Staatsanwälte, sofern 
lie nicht selbst das Casino de PaAs besuchen, gianben das Immer. Aber 



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das ist ein altes Vorurteil der öäierreichischeii üereditigkeit, daß sie 
aelbtt bei Hochvcmt den Betttdi m NidillofcdfiB ite endivenDd 
anitliiitiii Einlfen wir nm alao dahin, dafi dmcb die Tat des Prof c M o ra 
Beer zwar seine »Leumundsnote« (die ohnehin in Wien der HaMnteister 

anferti^O» *t)er nicht sein Ruf gelitten hat. Was hätte er denn — 
Hand aufs Herz — sonst tun sollen? Durch den Verlauf dieses 
Schandprozesses dermaßen nfedergfescbmetten sein^ daß ihn der Wunscii 
nach Einkehr in sich selbst und nicht m ein Nachtcaf^ beherrschen 
mußte? Daß die moiaUadie Uatenng tridit mehr dnreh das Bedftitila 
nach Zeraiicmiig abgieVSst wenka kontile? Mit niciiteiii So pompöt 
aiiid die Folgezustftnde eines östeifddiischen Gerichtsurteils, und vire 
es das unanfechtbarste, nicht So transcendental wirkt kein irdischer Fdgfl. 
lEine Verurteilung iratr unangenehm sein, aber der peinliche Eindruck, 
geht dem, der einem hunderi jähr igen Paragraphen erlag, mehr auf die 
Nerven als aufs Qemüt. Der Donner der Gerechtigkeit hat hierzulande üngst 
wllMSdired(«teIncd>fl0t,nndwierdanialdaiLinde«g0riditb^ 
lotelir die Sdiaaer des jftnffiten Tam, aladen geiHasen P i s a o iig Bnicfa der 
österreichischen Amtlichkdt nafihlianse ndimen. Wenn jemandem ein naber 
Verwandter g^estorben ist, so maj^ es Oeschmacksachesefn, ober fien Schmers 
durch das Bedürfnis nach Zerstreuung oder nach Sammlung stärker zu betonen 
wünscht. Wen oder was soll ein Verurteilter, der sich mit Unrecht ver- 
u^dit wähnt, betrauern? Will ingendein Esd emsthaft sagen, daß es nicht 
der »Wflide dei Ocridiiwuda« eatipridit, wenn einer ilin so raadi vie 
nvBglidi mit einem Vergntfong^lokal tn fcrtanadien Iraditet? . • . 
Inda, Herr Dr. Beer mnS sidi nicht nur Eingriffe in sdn Nadit- und 
Familienleben gefallen lassen. Er scheint noch andere Taten, die er 
nach seiner Verurteilung begangen hat, büßen zu müssen. Meine Ab- 
handlung über die »Kinderfreunde«. Sie haben ihm im Landesgericht 
auf den Kopf zu gesagt, daß er mich informiert habe. Da ein Ange- 
klagter lügen darf, wird meine eigene Venntwortnng glanbliafler adn. 
Icli etWirn alao: Der AUiandlnoK, die die Nr. 187 der ,PadEd' fiOle, 
ist Herr Professor Dr. Beer vollständig ferngestanden. Er hat midi mit 
keinem Wort, keiner Zeile informiert. Ich habe mit ihm weder mund- 
lich noch schriftlich verkehrt, und er konnte auch nicht um meine Absicht 
wissen, einen Artikel über seine Saclie zu schreiben, konnte keine Ahnung 
von Infoimationen haben, die mir von irgendeiner Sdte zugeflossen 
Sind* Idi bitte weder von ihm selbst dne AnftÜmng angenommen noch 
etwa dem begreiflicheren Bestreben, nridi foo dner SIdInngnaiime ab- 
zubringen, entsprochen. Der Angeklagte konnte weder auf eine PtdiU- 
kation noch auf eine Unterlassung der ,Fackel' Einfluß haben. Dixi. Sollte 
es mir zu Ohren kommen, daß ein Oerichtsfunktionär auch jetzt 
noch Herrn Professor Beer für meinen Artikel verantwortlich macht, 
also meiner Erklärung mißtraut, so werde ich gegen ihn die Be- 
Iddlgungsklage efheben, die sieh sowohl aaf den Vonrarf der Un- 
wahrhafttgkdt wie auf den beetaflnflier pnbUdstisdier Darstdlnng 
beziehen wird. Ich kenne Herrn Professor Beer kanm; habe ihn 
vor etwa vier jähren in Oesellschaft c^eseheti, fast zehn Worte 
mit ihm gesprochen. Nach Publikation meiner Abhandlung traf ich 
den Mann in - einem Nachtlokal. Durch einen Zufall, den ich tief 



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I 



— 21 — 



btklskge. Ich vcftebre in Innern Krefoe ?oa KfinsUern, die attn cimnal 
ioteresumtere Leute als SteateanwUte sind. Hier traf ich mit Herrn 

Dr. Beer znaanitncn. Ich bedaure es im Interesse des Mannes, den 
i«. h schwer kompromittier* hrihe. Er hat mich auch diesmal nicht informiert, 
keines der Fakten, die ich zu seiner Prozebsache etwa noch vürbiinL'en 
köonte, mir mitgeteilt. Wir sprachen über Monsieur Henry, dm Con- 
ferencier und nicht über iitiiü Kieeboru, deu biauisanwali. Mir war s 
peinlich gcnu^ ; and ich Uieb nur Sitten, um einer Mifideutuna: meiner 
taktiadien Vonicht ab einer philiströsen Bedenltiichkeit voRuheugen. 
Ich «erde es nie wieder tun. Denn in dieser Stadt des Klatsches, der 
Personennenc^^fer nnd der pcr^pel'tivrln^fn f^ptrnrhinri; nlirs Sichtbnren 
ist es einem I^ubiizisten nicht möglich, Mi t einem Menschen, über den 
er cye^chneben hat, an einem Tisch: zu sitzen, ohne daß die Zeugin 
Öaeiiüichi^eit däzviscbenintt und »;^ha!« sagt. Jetzt ist ihr altes klar. 
Die zwei sind ftennde. Vielleidtt mehr als das. (Fth* das bdswilUge 
Idiotenvolit nlualich, dt« sich die Vertretung einer Sache ohne Währung 
persfinlicher Interessen nicht denken kann, ist es ausgemacht, 
daß ich Päderast b ri XX'i r" ich für die Streichung der Rehgions- 
dclikte ciuu .ite, gälte ich gewiß als Gotteslästerer aus Neigung und Beruf. 
Vorläufig üin ich Päderast. Wäre ich's wirklich, ich hätte das Bekenntnis 
als Motto vor meinen Artikel gesetzt, mich als ehrlicher Honiosexuaier 
gegen die Kouipromhtierung unserer Sache durch ehie Kindersdilndnngs* 
afhürenmao heftiger gewehrt. Ich bin nlmlich der Ansicht, daß nur dann 
ein Sieg Über den menschenmördertschcn Paragraphen in Deutschland 

und Österreich m err'w^en sein 'K'-rd, ijtenn d-'e nninh.^ftesten Homo- 
sexualen sich öftentl cli /u ihrem Verhängnis bekennen, wenn die »feudale 
Liste« — wie sie em Berliner Machitiaber fast neidvoll genannt hat — 
nicht von der Polizei, sondern von den Herrschafien selbst angelegt 
acitt wird. Ich wArde hdnen Augenblick zögern, mich zu homosexualer ' 
Anlage zu bekennen, da ich mir davon eine Wirkung gegen Gesetze 
ferspricfae, die es verwehren, sich zu eher homosexualen Handlung zu 
bekennen. Keinen .^nj^enblick ! Da ich's nicht tue, dürfte die Diagnose, die 
der Kretmismus auf meine Homosexualität stellt, falsch sein). Mindestens — 
spricht der Kretinismus - sind die zwei, der Publizist und der Ange- 
klagte, Freunde, jener hat sich des Falles aus persönlicher Gefälligkeit an- 
genommen, und sein ZorflcUialten In der direkten Verteidigung war 
ein zielbewttBtea Manöver. So sprechen Vlener, die mich mit Herrn 
Dr. Beet an einem Kunstlertisdie sahen. Wiener sind phantasielos. Sie sehen 
nur, daß man einmal bcis^mm-^n ist, und denken nicht, daß man nean- 
"undneunzigmal nicht beisammen ist. Ich kam cin^t in einer Burg- 
theaterpreraiere zufällig neben einem von der Preßgunst abhängigen 
Sdiriftsteller, den ich aus tiuiierer Zeit kannte, zu sitzen. Ich ahnte 
Böses, bat den Ärmsten, seinem Selbsterhaltungstrieb freien Lauf zu lasten 
und mit mh* nicht zu sprechen; Ich wire nidit beleidigt, kennte 
aber den Horizont der Clique, die ihm die zufUlige Nachbarschaft 
sicherlich verfibc'n ^^^fnde Er lachte mich aus. Im Zwischen.ikt 
zog sich der Ring enger zusammen. F.s wurde bereits Gericht gehalten. 
Vor Schluß dei Aufführung war das Urteil im Namen des Herrn Julius 
Bauer gesprochen : Keine Reklamenotiz für das nächste Stück des Jungen 



I 



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Autors ! Er appellierte vergebens an die Einsicht, daß er doch ffir die 
Nahe unserer Plätze nicht verantwortlich gemacht werden könne, daß 
überhaupt bei einer Burgtheaterpremiere die Auswahl der Sitzgelegenheiten 
nicht so grofi ad imd daß es selbst Horm Bauer passieren könnte, neben 
mir zu tttxen. Nttste nicfato. Keine Reldamenotiz. Das ist mdn WUn» 
die Stadt der Ueder. Die Stadt der Verbindungen und BeddtiliigieB. 
Ein Ttieaterptfltett ist seine Welt. Daß ich Herrn Dr. Stegfer viel näher 
kannte als Herrn Dr. Beer, ehe ich meine Abhand'imgf schrieb, weiß 
es bloß nicht. Sonst wäre es verwirrt worden, wäre über das Problem 
gestolpert, wie man jemanden so gut kennea und dennoch angreifen 
kann. »Darüber kann — in Wien — kein Mann weg«. Und darüber erst 
recht nicht, diB eine publizistische AuBemng nnd spiteres* Zn- 
sanunentreffen in einem Kabaret nicht in ursftdilichem Zusammenhang 
stehen sollen. Deshalb muß, wer auf Wiener Gehirne wirken will, 
die spezifische Tragffähigkeit von Wiener Gehirnen berücksichtigen. 
Deshalb war es ein Fehler, daß ich vor L.eni Dr. Beer nicht Reißaus 
genommen habe. Ich hätte lieber als Moralphilister dastehen als seiner 
Sache schaden, lieber den Schein wecken sollen, dafi ich den Verurteflten 
melde, als die ^^rlnnig meines Eintretens abscfawichen. Der Vorwurf, 
daß ich mich mit Herrn Dr. Beer Öffentlich nicht sehen lassen wollte, 
wäre mir einstlich nicht zu machen gewesen. Ich hatte mich ja — in 
der , Facker — öffentlich mit ihm gezeigt und hätte mich dnher nicht erst 
privat — in ejnem Lokal — mit ihm zeigen mü^^en Die W iener 
Auffassung halt allerdings das Eintreten in ein Lokal fiir öffentlich und 
dfts Bntreten In einer ZeHsdirift fUr privat Dem soll man Rechnung 
trafen. Ohne mich pablizistisch zu regen, durfte Ich — und ich hfttle 
es ohneweiters getan — Herrn Dr. Beer in eine Theaterloge laden; vor oder 
nach einer Abhandlung über seine Affaire durfte ich es nicht Und ich darf 
es erst wieder, darf auch wieder über seine Sache schreiben, nachdem ich 
diese Lrkläiiinc: abgegeben habe . . . Zur Sache selbst wäie freilich 
manche Uugeheuerüchkeit nachzutragen. Es ist einfach unglaublich, 
wie in dieser Veihandlnng alles dem Vaterzom pariert hat Die Bcricht- 
etslftttung: Nun, sagt Jeda*, der die Blitter gelesen hat, die Auassge des 
»zweiten Knaben« hat ihm das Oem'ck gebrochen! Ein verblGffender 
Effekt. Oer Knabe gab an, daß der Beschuldigte ein »besonderes Körper- 
merkmaU habe; dieser mußte es »zugeben«, zugeben also, dali der 
Knabe die >X^ahrheit gesprochen hatte, als er behauptete, der Beschuldigte 
habe sich vor ihm entkleidet. Ein schlagendes Argument. Jetzt war der 
Fttdis In der Fade, nnd der Gerichtshof, der bis dahin gesehwankt 
halte, wnfite, was er vom Angddagten zu halten hatte ... So der Ein- 
drack der Zeitungateser. Die VerhandhrngateDnehmer, soweit sie nicht 
»Vertrauensmänner« sind, berichten das Oeg^enteil. V'm verblfiffender 
Effekt war's freilich. Aber die Aussage des »zweiten Knaben« 
habe ~ dem väterlicher Suggestion entruckten Hörer — nicht 
gezeigt, was mau voui Angeklagten, sondern was man von dtr Aussage 
ZU halten hatte. Der AngeUai^ selbst fragte den Zeugen, zunfichst 
ohne üdi deutlidier ausnidrfiGken, ob ihm sein »beaonderes Kdrper- 
merkmal« aufgehülett sd, da er doch behaupte, ihn nackt gesehen za 
haben. Der Zeuc^e verneinte die Frage . . , Wen schlug das Argument? 
Wer saß in der Falie? ... So wird in Wien öffentliche Meinung gemachtl 



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^ 28 — 

Der Reporter Iwt nur dtt >be>oadere KArperaieriBoal« fta ittelH i He B nsd 
darflber Im Siniie vftterlicber Wfissche verffkst. Es war ja der aus- 
gesprochene Wunsch dieser Viter, daß mit den Leibern ihrer Kinder 

Mißbrauch gftriebpii worden sei; eine Rehabilitierurj]^ ihrer Spro«5s<;n 
wäre ihnen allzu schiricrzlich g^ewesen. Ein Blick in die Pro/t l.L'p^ciiichte, 
den mir der Zufall nachträglich gönnt, eröffnet Abgründe väterlicher 
Pädagogik. Da sollte kein Kind — Knabe oder Mädchen - , von dem 
muk znflälli^ erfahien hatte, daß es ecfaoB Uber die Oebeinmiase der 
Zengnng BcsdMid wußte, imd von dem man «nnlim, daß es »bei Beere« 
verkehrt hatte, geschont werden. Alle sollten sie vor den Untersuchungs- 
richter gestellt werden. Und gar erst die einmal phorographierten ! Die »Ein- 
gaben« — das Wort ist hier sowohl amtlich wie psychologisch aufzu- 
fassen — , die an den Untersuchungsrichter geleitet wurden, sind erlesene 
Dokumente eines Triebs, in dem sich passiver Verfolgungswaln mit 
akttvoB adtaam veil>tedet. Um eines' erbimlielieii Nidite willen nmßten 
ariiUoee Familien, die von ihren Kleinen das öffentliche Intemee abzu- 
wenden wünschen, zitternd einer Vorladung gewärtig sein; um rancunösen 
Tratsches willen sollten bis d.-^hin ahnungslose oder bloß halb unterrichtete 
Kiiuier einem hochnoipeiniichen Verhör unter >:ol;ch werden, von einem 
Untersuchungsrichter die letzte Weihe der Erfahrung erap&wgen. Es ist 
abschealichl Eine »Eincabe« nach der andern. Efaie Mutter drtBKt: 
andere Kinder sollen auch verdorben werden. . . Oonvemstttea, Bonnen, 
Institutsvorsteherinnen, Jourfreundinnen werden mobilisiert. Was hilft's, 
daß eine schreibt: »Es ist mir ganz unmöglich, etwas öffent- 
lich zu erklären und dafür einTustehen, was ich nur aus dem 
Munde eines Kindes, ohne personliche Gegenwart und Beteiligung, 
gehört habe. Das werden Sie, verehrte gnädige i^rau, besser als mancher ' 
andere begreifen und einsehen«. Nein, sie begreift's nicM. Sie icliieibt 
immer wieder an den Untersnchungsrichter. Dann etdlen die beiden 
V&ter elf Anträge. Der fünfte verlangt die Einvemehmnng einer früheren 
Pensionatsleiterin und lautet wörtlich : »Vor ungefähr 5 J ihren 
befand sich in ihrem Institute ein ungefähr lOjShriges Mädchen 
namens . . ., Tochter des Kaufmanns . , Theses Kind wurde von der 
Zengin aus der Schule ausgeschlossen, weil es den in ebendeu.selben 
zarten Alto* stehenden MItsehillerfnnen die Vorgänge der meneehliclien 
Zeugung und der meuflclilichen Oebnrt geschildert und mitgeteilt litt. 
Das war vor ungeAhr 5 Jahren und g,er a ' e damals hat das Kind 
und seine Eltern in dem Hause des Prof. Dr. Theodor Beer verkehrt . . . 
Wir beantragen nunmehr, das Mädchen einvernehmen zu wollen, 
welches heute ungefähr 15 Jahre alt ist und darüber aussagen 
soll, wiesoesindem zarten Alter von 10 Jahren bereits 
in den Besitz der erwähnten Kenntnisse gelangt ist.« 
4nf solchen Wahnwitz ging des Gericht nicht ein. Es nahm offenbar an, 
daB, wenn schon der Storch nicht mehr alle Kinder bringt, auch der Dr. l 
Beer nicht allen Kindern die Aufklärnng bringt. Später stellte sich 's hrratis, 
daß das erfahrene Mädchen zu jener Zeit, da ihm die Rätsel der Mamr 
erschlossen wurden, allerdings »bei Beers« verkehrt hatte, fatalerweise 
aber bei - anderen Beers ... Im Antrag VI schildert Herr Dr. Steger, 
dem die Tatsachen auszugehen droben, die »Millen« des Dr. Beer, 
Mit von einer Dnme^ eine andere habe jm ihr enihll, sie bitte 

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— 24 — 



»iidi wie doe IMm gooeiflislar Sötte beaamnieii« nad ttenot des Mio* 

sophea Joseph Popper (Lynkeof) den »Verfasser der berflchtigtes 

, Phantasien eines Renlisten'«. . . Der Antrag^ V'III enthält bloß eine Mahnung^ 
an den Unlersuchungsnchter. Sie lautet wörtlich: »Im allgemeinen 
erlauben wir uns darauf hinzuweisen, daß bei allen Einvernehmungfen 
in Straliäilen wegen Sittliclikeitsdelikien alle euiveiuommenen Personen 
dch einer natflrlicbeB ZurllckhtHitag befteiBen« Ans dieteni 
Omnde dürfte eich dne tnösllchst eindringliche Befrtgang 
durch den 11. k. UnterstichimgsHchter empfehlen, deascQ Aufgabe dtrin 
bestehen soll, diese Zurückhaltung und Scheu der Zeugen zu beseffigen. 
Dies gilt insbesondere bei der Befragung jugendlicher 
Zeugen und deren Eltern.« Im Antrag: IX wird wieder jene 
Dame aus dem Kreise Beer, der man Noblesse und beste Manieren 
nadittgt, beschimpft, liöhniichdne »nen^ebidtene Lad> genannt und mit 
dreister Anspidnng von dnera »rfihrenddtti Einvcmetanien«, in dem du 
Ehepaar Beer mit ihr lebe, gesprochen. Ober die Freundschaft dncr 
Gattin mft einer Freundin des Gatten sind bereits antisemitische Leitartikel 
j^etrouelt worden ; es wäre erniedriucinJ, auf die,--e Auswüche der Dienstboten- 
neugier näher einzugehen. »Die genaue Kenntnis des sittlichen Milieus«, 
schreibt Herr Steger, »ist von größter WidiUgkeit für die richtige 
Beurtdlnos der Vertddigung des Beadmldigtenc. QeviB» dn Kooknbinat 
in der Hand tot besser als eine Kindersdiindnng anf dem Didie. Daß 
der Verwalter der Schweizer Villa des Professors Beer zufällig Kni|ip 
hdßt, wird mit vielsn^endem Bchatien unterstrichen. Zum Schb.isse 
wird — was mag !n dem einen Fall vor^jegangen sein? - f^ebeten, 
>vorläufig von der Itiinvernehmungf der kleinen . . . abzusehen«. Die 
hätte bezeugen sollen, daß sie einst genötigt war, den Beschuldigten 
dn »leemdnca Sdiwdn« zu nennen. Es war aber bdm besten Willen 
nur festznstdlen, daß sie ihn »elielhaft« gefunden batte . . . Alle anderes 
Kindlein aber soll der Untersuch ungsriditer zn dcb kommen lassen« 
Die Mut*er besteht auch auf der Einvernehmung mehrerer Erwachsenen. 
Eine Malerin werde darüber aussagen, dnf' »das vor emigen jähren 
12jährige Töchterchen des. . . eines lages — es war ungefähr 
1902 — zu ihr gesagt habe: »Was werde ich denn von den Photo- 
graphien haben, wdche Dr. Beer von mir angefertigt bat? Idi kann 
sie doch nicht herzeigen, sie dnd gar zu unanstindigf« Und die 
Erzieherin des Kindes könne diese Tatsache bestätigen. Pdnönlich dn- 
vernommcn, wiederholt die Mutter, die Malerin habe ihr au«> eigfenem An- 
trieb mitjjeteilt, daR Dr. Beer auch die . . . photographiert hatte »und z^'ar 
in einer Weise, welche das Kmd zur Äußerung veranlaüte, sie habe 
von den Photographien nichts, könne sie nicht herzeigen, sie seien zu 
slcan da lös«. DieMderin wb-d als Zeugin veniommcn. Sie sagt, das Kind sd 
»dn aufgewedctes, intelligentes MIddien«, das aber nadi ihrer Anddit »Ober 
die geschlechtlichen Beziehungen noch nicht unterrichtet ist«. . . »Einige 
Zeit nach diesem Besuche erzählte mir die Kleine, daß sie von Dr. Beer 
photographiert worden sei, sie meinte aber, daß sie von den Bildern 
nichts habe, sie könne sie niemandem zeigen, denn sie seien zu 
schrecklich. Es ist mir nicht eimuerhch, daß damals das Wort 
iSkanddös* von dem Kinde gebnucht wurde, idi sdbd legte der 8idw 
.so gpr kdne Bedeutung bd und fmgte andi nldit, warum sie srtireddish 

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— 25 — 



seien. Im Vorjahre traf ich meine Freundin (die antragfstellende 
Mutter") und es kam das Gespräch aut die Affaire Beer und ich erzählte 
spontan die Sache von den Bildern der Kleinen. . . Es ist nun möglich, 
dafi ich unter dem Eindrucke der Mitteilung der Fhrn Dr. F. statt des 
Wortes pSdirecIdich' das Wort »nnanstiiidlg' cdmadit habe und so die 
Meinung hervorrief, als seien die Bilder in irgendeiner Weise nnsittlieli 
oder obszön. Ich habe mir jetzt die Photog:raph ien angesehen 
UH'^ hab« sfefimden, daß auf einem Bilde die iMutter des Mädchens mit 
der Kleinen photographiert ist, beide vollständig toilettiert in 
höchst dezenter Stellung, während das zweite Bild die Kleine allein 
zeigt, auch nach jeder Richtung hin tadellos. Allerdings ist die Auf- 
nahme giendem hißlieb, und es ist mir nunmehr Idar, dafi der Ausdruck < 
»schieddidi€, den das MIdchen gebraucht hat, ledi^ich ein ästhetisches 
Werturteil darstellen sollte, und daß ich diesen Ausdruck nach verhältnis- 
mäßig längerer Zeit und unter dem Eindrucke der Erzählung 
der Frau Dr. F. schlecht gedeutet habe.< Die Erzieherin wird als Zeugin 
vernommen und bestätigt: >Ich habe die Bilder gesehen und gebe mit 
aller Bestimmtheit an, daß sie weder einen nnkeusdien 
noch einen unanständigen Bndmdt machen; ästhetisch wirlcen sie nidit, 
sie sind mi&ratcn und dürfte darauf die Äußerung der Kleinen zu beziehen 
sein, wenn sie sagte, die Bilder seien skandalös. . . Ich habe die I^hoto- 
graphien gesehen, habe auch mit Frau Dr. F. über die Sache ge- 
sprochen, es war jedoch nicht davon die Rede, daß dte Photographien 
irgendwie unanständig seien, zum mindesten sollte kein moralisches, 
sondern lediglich dn Isthdiscbes Urtdl abgegeben werden. Wenn die 
Sadie anders verbanden wurde, liegt dn Mifiversiändnis vor.« Ans 
dem kreißenden Chaos von Beweisanträgen wurden schließlich diese 
beiden Zeu$Tenrtussaf:^en geboren. Sie bewiesen, daß »skandalös« auf 
deutscn »schrecklich« heißt. Dali man bestrebt gewesen war, aus einem 
»ekelhaften- Menschen ein »genicii,' s Schwein« zu machen. Aber auf 
haibveisiiiudeue Kniaerwuite ward tiue Anklage aufgebaut, die zur 
Vendditung dner Existenz führen sollte... Beginnt man allmihUch 
zu begrdfen, was man da getan hat? Ich ließ durdibllclKtt, daß 
man die Stiafe in ihrer — trotz den harten Folgen — weit unter das ge- 
setzliche Maß reichenden Milde »als ein Schuldbekenntnis des Gerichts 
auffassen*, daß man vermuten könnte, die Richter hätten >in jener ein- 
flttß vergifteten Stimmung, die p\n Onfer verlangte, den Ausweg zahmer 
Verurteilung gesucht«. Es besieht kern Zweifel mehr, daß hier Justiz- 
politik getrieben worden ist Und man ist bd Oericht über die »Sdterereien« 
entttuscht, die der Angeklagte den Richtern durch sdne Niditigfcdts- 
be^ch werde macht; man hatte gehofft, er »werde sich mit der milden 
Strafe zuf iedcn geben«. Die Feder wills nicht niederschreiben, daß 
solche Stimmung die Gerechtigkeit beherrscht. Aber es ist wirklich so. 
Zwischen den »Scherereien« zweier Ge^iner sucht man mit einer drei- 
munatiichen Kerkerstrafe duiciizukonunen. Manchmal glückt's. Alanchmal 
erscneint ein Artikel in der , Fackel'. Daß er die Wahrheit sagte, ver- 
hehlt ddi heute kdn Riditer mehr. Aber wir sind in Wien. Der 
Raciieanwalt, der die Gerüchtsverhandlung provoziert hat, tront in 
sozialem Ansehen, der Arzt Herzfeld, der Erzählung:en einer Sterbenden 
venateo hat» dit durch ihre eigenen Bride schlagend widerlegt 



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26 



\rerden, blefbt Universitlt^professor, und der Verurteilte, ^^^en dfö 
Kindermund zeugte und onanierende Hände sich zum Schwur erhoben, • 
soll den Titel ablegen. Aber der Fall stinkt weiter. Möge sich der 
Oberste Gerichtshof beeilen. Vielleicht könnte hier doch ein Unrecht 
seadkfSun sdii. MQjgie er prüfen, ob iiiclit vom Landesfiertdit Wien efn 
Vomrtell gefiOlt vbfden ist. Ich bCti jt fewiß der MdttnfHjr, daS der 
alte Justizkrempel nicht oft genug verachtet werden kann, halte fgfiM 
I yfichjiistiz für kulturvoller als die Volistrpcknne: hundertjährij^er Para- 
graphenweisheit. Aber Richter dürfen, so lange es Ofsetz»; gibt, nicht 
nach den ungeschriebenen Satzungen beleidigter Familienwünsche richten. 
Und die kriminelle Schuld eines Angeklagten — heiße er nun Tamara 
V. Hcrvay oder Theodor Beer — muß bewiesen leiai damit «ns iiidit 
der Qlittbe beumihig^e, die Venirleiliui£ sei wecea »tuisympatbiackeD 
Weiens« erfolgt! 

Habifuf^. Ich kann doch nicht jedesmal von neuem versichern, 
daß Herr Goidmann ein Flachkopf ist? Für das Feuilleton über »H dalla« 
(natürlich 1 1 Spalte n) hat er eben seinen Tritt im Voraus beköüuiien. — 
Anläßlich der Autführung der »Anderen«, emes Stückes von Hermann Bahr, 
das dttrchfid, wiewohl es sehr schlecht ist. Wäre naaches Uber die abnorme 
Waadlansr za sagen, die jetzt ein irauriK abgfeUäfter Wdn, den man llngst 
verdorben mahnte, zu gährendem Most durchmacht, l^tltigt sich diese 
Katharsis ans Rühe in Leidenschaft publizistisch (Tagebuch im ,Weg'), so 
tritt an die Melle der Gunstpchreiberei ehrliche Kritiklosigkeit, die, was ihr an 
Raison fehlt, durch erfreuliches Temperament wettmacht. Auf der Bühne wird 
bloß die Absurdität fühlbar, mit der sich der Most gebärdet, und Sätze, die 
einen feinen Eteay Ihndieren Icdnnten, werden zur Benfe des elodhafleslen 
Banansenhohns. Wie Kraut und lUlben schdnen dort fimmgenschaften 
neuen Erlebens. ;9cheinen Musik, Liebe und Anarchie nebeneinander zu 
liegen. Es widerspricht den Geboten des geistigen Anstands, ein Pub- 
likum zuschauen zu lassen, wie man sich in Johann Sebastian Bach 
badet, und man hat sich erst zu zeigen, bis man rein geworden ist. 
Aber die W^iener Kritik! Der sdieint um den schönen liberalen Schmutz 
leid zu sein, und sie seht Herrn Bahr schärfer an, als sie es gewohnt wn*. 
Die Versicheruns:, daß »schon Im ersten Akt die Vorbereitung Vede- 
kindischer Tragik das Publikum zur Heiterkeit giestimmt habe«, macht 
dem Verständnis des F. Sch. — Phnntn'^ip kann diese Initialen wie sie 
will erglänzen — alle Ehre. Von den achthundert Menschen, die ich 
zur Vursieilung der > Büchse der Pan ora« lud, hat nicht einer zu 
lachen gewagt, nicht einer sich den Wirkungen eines echten Tragikers 
entzogen. Bahr Ist kein Dramatiker; vielleicht hätten andi die achthundert 
bei der »Anderen« sdacht Heir Friedridi Schfttz aber Ist der cdstiee Re- 
präsentant jener Kreise, die man nicht zu künstlerisdhen Veranstaltungen 
ladet und die sich einst auch über die Zumutungen der Qrillparzer, 
Hebbel und Ibsen erhaben gefühlt haben. Herr Schütz hat überdies 
die Dreistigkeit, aus dem Arsenal der .Fackel' eine gegen Herrn 
Bahr geschmiedete Waffe zu entwenden. Er schreibt: »In dem Durch- 
einander dieser Figuren wiederiiolt sich die fisktnr der Bahr'sdMtt 
Stficke, die unsere Bfihnenleiter zumeist sehr ungfern 
— aber dennoch auf^flhren«. Herr Schütz hat's notwendig ! Sehie 
»Sophia Dorothea* - oder wie der Dreck SOnst heißt — hit dM 
Dsutsche Volk&theater »gern« aufgelührtl ^ 

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ar — 



Lüerat, Es gibt noch einen Sudemiana*Verdirer. Den Herrn 

Hofrat Professor Dr. Jakob Minor. In einer Revue ward neulich schon auf diese 
Persönlichkeit, dir' - wie sagt man doch? - >zu den intcic^antesten 
Erscheinungen des Wirncr Literaturiebens zählt«, hingewiesen. Es wurden 
dort nämlich einige undeutsche Sitze aus dem Buretheaterreferat eines 
deutschen Literarhisiutikcrs zitiert, aber dem Scharfsinn des Leders blieb 
es Sbeilaaeen, Herrn Professor Minor als den Verfuser zn erraten. Nnn 
liabe idi mir den Oermaniaten auf sein Dentsdi hin anseeehen nnd muß 
leider bestätigen, daß es damit nicht auf das beste bestellt ist Da finde 
ich eine liebevolle Analyse der Dichtung >Stein unter Steinen«, mit d^r 
seminaristischen Gründlichkeit eines Faust- Kommentars ausgeführt. Es 
muß auch solche Schwärmer geben. Sonst bildet sich Herr Sudermann 
wirklich noch ein, ein Unverstandener zu sein. Es ist ganz gut, daii 
die Herren Minor and Kalbedc dem Höhenflüge des Dfchten vom »Stein 
unter Steinen« zn folgen vermOgilli. Herr Professor Minor scfarei1>t 
natflrlich für die Olossy'scho »Rundschau*. Da kommt, wie es sich für 
einen Schulmann g^ehört, zunächst der ? Inhalt« des Sudermann'schen 
Stückes daran. (Wer speit nicht?), fl rr Professor Minor spricht von 
Zamcke, dem Philantropen, und von Struwe, dem Sträfling. Wie 
verteilt er ihre Funktionen? Man höre: >An dem sauberen Struwe, 
der Ahifmal vot b estrsft ist, hat er seine helle Freude; und als er neuer- 
dittfls einen Diebstahl begeht, hSlt er es zwar fOr seine Pflichtt öle 
Anzeige zn madien, setzt aber alles daran, ihn zum soundsovielten 
Male herausznhatien . . « Der Philantrop Zamcke begeht also nenerdintrs 
einen Diebstahl, hält es aber ftir seine Pflicht, die Anzeige zu machen 
und einen andern herauszuhauen. Dafür gibt's Beispiele. Im Untergymnasium 
lernten wir, daß man nicht schreiben darf: > Epaiuinondas hatte nur einen 
Rock, und wenn er geklopft wurde, konnte er nidit anstehen«, weHesaldi 
nindich von selbst versteht, daß ein Rock, der geklopft wird, nicht ausgehen 
kann. Ein besseres Beikel noch hat in den letzten Tagen die ,Neue 
Fre^e Presse', der Professor Minor ja nahesteht, geliefert. Die weiß 
nämlich schon, daß man >derselbe, dieselbe« nicht anwend'^n <;o11, und 
kennt sich jetzt t^ar nicht mehr aus. So schreibt sie denn in einem 
Beiidit über di^ Beiuiuug eines deutschen Schriftstellers zum 
deutschen Kaiser: »Er sprach mit ihm Aber alle seine Bflcher, 
ieilte ihm mit, daB seine Prau und Söhne warme Verehrer von ihm 
seien, und erzählte ihm auch von seinen Nordlandsreisen, wobd er 
Vergleiche zwischen Meer iind Gebirge anstellte«. Es ist nicht ganz 
klar, ob Wilhelm II. nül llerin Ganghofer über Wilhelms II. Hrrher 
und über Oanghofer's Koidlandsrcisen gesprochen hat oder umgekehrt. Aber 
sehr leicht möglicii wäre es, daß Wilhelm — man kennt ihn ja — Herrn 
Ganghofer erzihR hat, daß Oanghofer's Flau und Söhne warme Ver* 
ebrer von Ihm seien. . . . Zur Biographie des Herrn Professors Minor 
wäre nachzutragen diB er sich um die Popularisierung der Werke der 
Herren Leo Hirsch feld und Alexander v. Weilen, die er für den Bauern- 
feldpreis vorschlug, große V^erdienste erworben hat. 

Architekt. Sie haben Ihren Ekel ütierwinden müssen, um mir 
über tm Lreigais im Wiener Kunstieben zu bericliten, das seit einigen 
Vochctt die Pachkidse besehUUgt Da gibt es in Wien einen kleinen 
AMhttd^mi* Er hat inciBt kein Tident und kdn BeMefaskqiital. Später 

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• i 




hat er kein Talent und etwas mehr Betriebskapital. Geht hin und 
ioseriert sich samt Photographie und Reproduktion seiner Werke als einen 
»in Fachkreisen L^ekaonten Künsiier ersten Ranges«. Wo? In einem jener 
tjpisdi vkaeriachea Wische, die den Rohm niiefa dem Inseratesittrif 
mfiMen und daram die Ungicfecfatlcleeit befehen, Ooefhe, wchb er nldit 
zahlt, zu ignorieren und einen Lampenputzer, der zahlt, für das stärkste 
Talent "^firn Zt-it zu erk'ärrn. Nach Druckerschwärze diänpt, nn Dnicker- 
schwärze hängt doch alles ! An solcher FrkenntRfs schmarotzt — namentlich 
in Österreich — eiri du: kler Schwann publizistischer Blutsauger. Aber 
es ist vergeblich, Gimpel, die nach dem Leim verlangen, vor dem 
Vogelitdler achfttzeii zn voUen, es ist eine nttdtnkbire Aufgabe, den 
achfichternen liebhiber von Olmfltz und die Naive von Ischl vor den 
Ifiolorierten Ehrenmann zn bdiflten. Die Theaterleute fQrchten nicht 
nur den Tadel eines Erpressers, neh, ^}rmhcn das l.ob, dr.s sie vor einer 
Woche für zwanzig Gulden und ein Jahresaboniie;iient gekauft haben. 
Aber ich wollte ia von jenem schüchternen l iehliaber der Reklame 
^>redien, der Arciuiekt ist. Der Mime, dem die Nachwelt keine Krän/e 
flicht, hat ein Redit dannf, tidi bd Lebfeitett adudloe zn ballen. So 
ntair vielleicht aucb der Architekt, der sich Zeitunsslob kauft, im be- 
scheidenen Glauben leben, daß er nicht für die Ewigkc<t gebaut habe. 
Bloß für die ,Zrif'. Diese ztiglpich mit der östcri eichischcn KiiHiir «ge- 
gründete Zei^nnp, hat nämlich in ihrer sonst sireng liternnschen Sonntags- 
beilage die Arbeit besorgt, die kurz zuvor ihre aTrsscli^t- Kollegin der 
Prostitution besorgt hatte. Tiefer als bis zur Linschailung bezahlter 
Kritik in den redaktioneUen Teil wird ein Blatt, dessen Tugend bmce 
genug durch seine Reizlodgkeit behatet vard, nicht sinken können. 
Die ,Zeit' gdit bereits auf dem Strich. Unter dem Titel »Baukunst der 
O^enwart« wird den rfdik^'onellem Urteil vertrauenden Lesern »einer 
der hervorragendsten Wiener Architekten«, der >den Fachkre-sen 
weit über die Grenzen des Landes hinaus als Künbiler bekaiiiu* 
ist, im Bilde vorgeführt, nebst Reproduktion eines seiner Werke, das, 
wie mir eben jene Fachkreise versichern, mcbt einmal den bescfaeidensien 
Anfordernngen, die an einen Oewerbeachfilcr gestellt werden, entspricht 
Der Schöpfer sei ein Herr, heiBt es in einer Zuschrift, % der seine Werke 
sozusagen über die Gasse fabrizieren, d. h. für Schundlöhne von wenig 
bemittelten iungen Architekten ausführen läßt«. Sechs Fachmänner, die die 
Zuschrift unterzeichnet haben, bitten mich, auf diese dreiste Irreführung der 
Öffentlichkeit hinzuweisen. Ich tue dies umso lieber, als sich mir wieder 
einmal die Beobachtung aufdrängt, dafi es heutzutage keine Fachkorruption 
mehr geben kann, an der nicht journalistische Verkommenheit mit so und 
soviel Pierzent beteiligt wire. Die ,Zeit', die von einem Universitäts- 
professor berau<;gegebcn, von Sozialpol'tikern redlg;fcrf wird, mncht sich 
einen guten Soniitag: und fängt den revolvcrnden Bildermännern die 
Kundschaft ab. Vielleicht wird sie nächstens die kleinen Leute des Theaters 
um ihre Photographie und ein Jahresabonnement anschnorren. Wenn 
Sie sber hofft, sich durdi P ros ti t u tion in den Ruf der PIkanicrie in 
bringen, Irrt sie. Ich gtoube nicht, daß diese anmntlosesle VettdT, auch 
wenn sie sich zu der Aufforderung: >Komm mit| Kleinerf laB dich 
Verfahren 1« erniedrigt, viel Znspnich finden wird. 



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2» 



Polisfist. Ein Zirkular: »Euer Hochwohlgeboren ! Auf allen 
Gebieten des privaten und geschäftlichen Lebens macht sich hiufig das 
Bedürfing nach zuverlässigen Informationen und Erhebungen fühlbar. 

. Je komplizierter sich unsere Lebensverhältnisse gestalten, um!«o not- 
wendiger ist es, in allen Situttionen einen klaren Einbll^ Uber die 
obwaHenden tatslditidien Umstände zn s^ttsen. Diitm Einblick Itt 
oft nur ditrcli fachgemäße und zielbewußte Intervention zu erlangen, 
welche durch die bisher bestehenden Informations- und Erhebungs- 
bureaus vielleicht nicht immpr in ^anz wünschenswerter Weise geboten 
««rdcii konnte, weil diese Bureaus nicht von juristisch 
und fachlich geschulten Personen geleitet sind. Der Ge- 
fertigte beehrt sicli mm Euer Wolilgeboren zur Kevntiiis zn bringen, 
daß er mit lientieem Tage auf Onind der ihm von der k. k. n.-d. 
Statthalterei m Wien erteilten Konzession vom 19. Mai 1905, Z. 3359, 
ein Unternehmen ins Leben rief, welches sich zur Aufgabe stellt, Er- 
hebungen und Recherchen in Privat-, Familien- und üeschSftsanjrele^en- 
heiten, ferner die Ausforschung verschollener oder sich verbergender 
Personen, weiters der Verfasser, Schreiber oder Absender anonymer 
Briefe, Urbeber oder Verbreiter von Verdächtigungen un|d Beleidigungen 
sowie der Zengen derartiger oder UmUcher VorfUle in vertraulidier 
Weise zu pflegen. Die Beobachtung und Kontrolle der Oeschtftetfttigkeit 
und Treue von Angestellten bei Privaten und Privatanstalten sowie die 
Erteilung vertraulicher Auskünfte Ober besondere Anfr.igen in allen 
vorerwähnten An;j;elcgcnheiien, wie auch über Vorleben, Huf, Lebens- 
weise, Umgang, iDerufstätigkeit, Charakter und Vermögen von 
Privatpersonen werden in distaler Weise von diesem Untemelinien be- 
soret und die hierilber zu ermattenden Berichte mit besonderer Hervorhebung 
der juristisch relevanten Momente verfaßt werden. Wenn auch nach dem 
vorstehend angegebenen Inhalte der Konzession das Oeschäitsgebiet meines 
Bureaus alle Aorenien einer Privat-Detektivunternehn'ung umfaBt, somit 

• von allen i Ic; ufb^au !en in Anspruch genommen werden kann, SO 
glaube ich doch beäunders betonen zu sollen, daß ich ganz spezielles 
Gewicht darauf lege, den Banken, Großindustriellen, Transport- und 
Versicherungsgesellschaften sowie den Herren Advokaten und Notaren 
ersprießliche Dienste leisten zu können. Meine bisherige 30jährige 
Wirksamkeit als Juris-Doktor auf den verschiedenen Rechtsgebieten 
(Gericht und Magistrat) sowie meine reichen Erfahrungen als 
Poiizeibeaniter dürtteii Gewähr dafür leisten, dali jede meinem 
Unternehmen übertragene Aufgabe eine ebenso zielbtwußte als zweck- 
dienliche und zugleich diskrete Lösung finden wird. Ihrer geschätzten 
Inanspmclinahnie meines Intitutes mich empfohien haltend, zeichne 
ich mit vorzüglicher Hochachtmg . . .« Der Mann, der den bis- 
her bestehenden Detektivbureaus Schmutzkonkurrenz macht, indem 
er sich die größere fachliche Tiichligkeit zuerkennt, ist k. k. Po- 
Hzeirat i. P. Er annonciert bereits fleißig und erntet dafür redaktionelle 
Empfehlungen. Mehr noch wird ihm die Autorität des Amtes, da:» er 
IrOher bekleidet hat, das Geschäft fördern. Welcher Art dieses Oeschlft 
H viasen die Leser der ,Facker. Dafi ein Mann, der vom Staat ehw 
Pcasiott bezidit, von Privatleuten ffir die Auafonchnng von Ehebrüchen 



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Bezahlung nimmt, dfirfte den Respekt vor den noch aktiven Polizei- 
beamten wesentlich erhöhen. Diejenigen unter ihnen, die die Absicht 
haben, später Detektivbureaus tu errichten, erkennt man an der 
besonderen Hgfiichkeit, deren sie sich schon heute im Verkehr mit den 
Parteien befldBen. Und wer ireiB, woza es sonst gut ist? Würde es 
denn dem StclMriieittbttreaia der Wiener Polizddirekttoa adiiden, veno 
«teil Herr Stokirt bald »selbatindig madite«? 

KrimmaUti. Eine Sängerin wegen »Krida« angeklagt. Dumiae 
Qsllerd, die mit einem Preispruch seendet liai Des Inteveaaanteste 

daran ein* von den meisten Blättern verschwiegenes Detail. Der 
Herausgeber eines »illustrierten« Wochen visches hatte die Frechheit, 
eine -^Forderung« von 160 Kronen für Bild nebst lobender Kritik im 
Konkursverfahren geltend zu machen. So etwas läßt ein Gericht 
passieren! Und der Staatsanwalt klagt das Opfer einer Erpressung an! 
Der Name des interessanten Gläubigers wird im OerichtssaaUieridit 
rttBdswhBfsea. Dafflr wird das Alter der Singerin mitgeteilt. 

Leser. Da Sie mir gewiß nicht zumuten wollen, daß ich mit Herrn 
Uppowitz »Vater, leih' mir die Scher'!« spiele, so gehe ich wM nieiit 
fleiil, wenn ich Ihre Finge, ob das pr a ditrolle UUencron-Oedidit in 
der letzten Nummer ein >Originalbeitrag« des Meisters war, als 

einen Scherz auffasse. Wäre es keine neue Gabe, warnm sollte 
ich nicht öfter in den iinvergleichüchen Schatz lyrischer Kcwt- 
barkeiten greifen, warum gerade dir > rk trunkenen Bauem<, nicht 
hundert andere, ebenso schöne oücr noch schönere Gedichte Lüiencrons 
abdnicto? War ei|^ denn notwendig, das fUte Vergnügen, eitt eben 
crsduiffenes Werk «ns der Hand des Dicfateis zn em p fang e n, did[ zn 
nnterstreichen? Liliencron — es ist ja wirklich kaum glaublich, daß 
solche Erscheinung in einer Zeit lebt, die aus dem Blätter^n'd b!nR den 
Dreckfinken ruf vernimmt. Aber darum erscheint e^ doch nicht unerläß- 
lich, einen Beitra«? den der Dichter sandte, ausdrücklich als »Oiif^inal- * 
beitrag« anzukreiden. Uaü ihn der Leser auch ohne huünüie als solchen 
wertet - soviel Kredit iudie idi mir im Lnaf der Jalm schon fCT'* 
dient Oder waren die Bdlrige all der Aatofen, deren Nimen nnter 
Artikeln der ,nickel' gestanden sind, nachgedruckt? Später; in den tilli- 
losen Blättern, die sie aus der ,F-acker mit und ohne Quellenangabe 
übernommen haben. Da eine Mitarbeiterliste hier nie erschienen 
ist, will ich, um oft wiederholten Fragen zu genügen, einmal auf 
die kuriose Tatsache hinweisen, daü ein von den Offiziellen igno- 
riertes, von den guten Bfirscm gehaßtes, ?ott der Joainallie 
veifittdites Sdimäbbltttchen sich der UntarstAtzong so vieler ertetoMr 
Fledem zu erfreuen hatte und hat. Die .Fackel' brachte Mannskripte 
von Altenberg, Bleibtreu, Chamberlain, Harden, Herc^eg, Hof- 
mannsthal, Liebknecht, Liliencron, Schöffel, Martin Spahn, Stnnd- 
berg, Wedekind und vielen anderen, Manuskripte aus dem Nach- 
lasse von Kurnt>erger, Daniel Spitzer und Otto Weininger. Zwar, 
meine eigenen Schultern drfickt nach wie vor die schwerste Bflrde, 
nnd der Wiener Skandalsudier zieht noch immer eine EricfhHfeai- 
ttotiz, die idt schreibe — nctftiÜch wegen des »Angriffe«, tidit 



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n 



wtgtn a^tnetter itUfotisdier Reise — dem grSfiten Knastwerk for, 

das ein Dichter mir zum Erstdruck überlasseii hät. Das hat mich aber^ 
nie abgehalten, auf die Unterstützung hervorragender Autoren stolz zu 
sein und sie recht deutlich auf den Plakaten cicr .Fackel' anzumerken. 
Ich habe bisher fast stets noch einen Verlust von Käufern der , Fackel' 
mit hohem Honorar bezahlt. (Ich kann mir's — sagen die Schafsköpfe, 
die Aber meioe PrivatveiliUtiiisae den dreistesten Unsinn verbrdlen — 
»leisten «, weil ich ja > reich c bin. In t(^ridichkeit ld>t Jeder mittlereRedaktenr 
eines Wiener Tagesblatts, der sicher kleinere und vielleicht auch 
schlechtere Arbeit leistet, üppiger als ich). Aber die Mehr- 
auslagen, die ich an die Erziehung des Publikums wende, reuen mich 
nicht. Die , Fackel' bleibt das einzige Blatt, das nicht vom Leser, 
sondern vom Herausgeber redigiert wird. Und wenn ich der Ansicht 
bin, daß ein znm erstenmal flberaetites Qedldit von Oscar Wilde, daß 
eine formvollendete Nadididitnng in mein Blatt gehört, so bleibe ich 
der Ansicht, auch wenn sie von fünfhundert Kommis nicht geteilt wird. 
Ich soll »regelmäßig« erscheinen und soll mich selbst ihnen darbringen. 
Nicht zu machen. Zu einem Auionialen, der für zwölf Kreuzer »An- 
griffe« herausgibt, fühle ich mich nicht geschaffen, u!id die Herrschaften 
mikssen schon, wenn ich einmal 28 Seiten, also einen Artikel, der sechs 
JMcter tatiir Ist, flcaöbrieben habe, ein Weilclien nüt Uliencnm, Wede- 
kind, Wilde u. s. w. »vorlieb < nehmen und sieh damit trösten, daß ja 
in der Auswahl dieser Beiträge auch etwas von mir. nämlich mein 
Oe<^chmack, enthielten ist. »Antworten des Her??usgebers«, die vierzehn 
Seiten umfassen, sind ja auch keine Klein ^keit — nämlich 3 Meter. 
Ich ' mub aber meine Freunde dringend ersuciien, an meine Produktion 
einen andern MaBstab anzulegen, bei meiner Leistung anf dnc 
andere Dimensioa als die der Unge ta achten. Mnfi idi naidi der 
EUe arbeiten, so kann ich nicht Postarbeit leisten, und umgekehrt. Ich 
bin — entgegen einer verbreiteten Version erkläre ich's - nicht größen- 
wahnsinnig. Ich bin e? gewiß m'rht, wenn ich behatp^te, dal^ ich für 
die kürzesie Brief kastennotiz, die ich je geschrieben, eher den 
Bauern feldpreis verdient habe, als Herr Alexander v. Weilen für die 
lingste Oeschicbte des Burgtheaters. Damit wiU ich natfitlidi atdit 
ssgen, daB ich den Banemfeldpreis Terdiene. Blofi, daß es bd der 
Wcrtinig literarischer Dinge mehr darauf ankonunt, daß der Qeiat willig 
als daß das Sitzfleisch stark ist. . . Ich bin — entgegen einer ver- 
breiteten Version erkläre ich's wieder - - nicht eitel. Wenigstens nicht in Aus- 
übung öffentlicher i unktion. Wenn der ,Neuen Freien Presse' ein Schuster- 
bub schreibt, daß er ihrem Vorschlag einer Veiständigung von Parla- 
ment zu I^hment zustimme, so mistet sie sich drei Woctaen mit 
sokhem Lob und fragt die anderen SctaMterbnben, ob sie nicht ancfa an- 
stimmen. Würde ich den zehnten Teil der Anerkennung, die mir täglich 
aüf den Schreibtisch fliegt, publizieren, ich hatte keinen Raum für jene 
diclitcnschen Beiträge, durch die sich das Wiener Interesse an der , Fackel* 
so seil wer getroffen fühlt. Und ich g^tebe, daß mir der sinnlose Un- 
flat, mit dem mich tagiicii die Wut jouroal^scher Hasser bewirft, mehr 
Vtmdß macht und besser ab aUe Aaerimnnnnir niir sagt, daß ich auf 
dma ndtten Wege bin. Was idi an aoldier Qmmg tteüagei ist daaig 



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r- 32 - 



und allein die Tilentlosigkeit des Ausdincks. Wenn die Analphabeleii, 

die jeden anonymen Schimpfbrie^ der ihnen über mich geschrieben wird, 
drucken, sich einmal doch von mir schreib': n ließen, was sich gegen 
mich sagen läßt! Und vtnn diese armen ieufel doch nicht immer er- 
zählen wollten, dal) kein Hund mehr einen Bissen von mir nimmt, während 
sie fortwährend meine Stoffe und Gedanken von mir nehmen und 
meine Populaiitit sdion dann erkennen, daß sidi dnrdi Jeden Angriff 
auf mich ihre eigene Autlage hebt. Ich habe in Wien abgewirtadiafttt, 
kein Mensch liest mehr die , Fackel', aber wenn ein Käsewisch, den noch nie 
jemand gelesen hat, solche > Abrechnung« mit mir plakritiert, erreichter es, 
daß er gelesen wird. Das drolligste pressgeschichtliche Faktum: Ein 
Herr Kraus, der irgendwo in Kroatien gern versichern soll, daß er mit 
mir verwandt oder identisch ist, schickte einem Wieoer Blattei, das von 
mehr Leuten hergestellt als gekauft wird, eine Berichtignng; Das Büttel, 
mit dem ich selbst nie zu schaffen hatte, ließ sich den Geldaufwand 
nicht verdrießen und plakatierte: >Kraus berichtigt«. Die Plakatkosten 
wurden reichlich hereingebracht. . . Wnrnm ich nie auf die Versuche, an 
meiner Bekanntheit zu schmarolzen, reagiere? Weil solchem Pack jeder 
Tritt zur Reklame^ erwächst, ich greife an, aber nicht weil, sondern 
trotzdem ich angegriffen wurde. Auch, trotzdem ich gelobt wurde 
Ich beurteile die Dummheit und Lnmperei nach ihrer öffentlichen 
Schädlichkeit, nicht nach ihrem Ve«'halten zu mir. Ihre Attacken auf 
mich sind — schon ipit Rücksicht auf die Verbreitung der Blätter, in 
denen sie verQbt wetden — eine Angelegenheit meines Privat- 
lebens. Meine ArifjDfPr:' inÖ2;en als eme öffentliche Sache br-iradjict und 
ihnen Leitarukcl gewidmet werden. In meinen > Bekeuulni&scn« (Nr. 185) 
habe ich der gewißen Sorte talentloser Aufdecker, Beleuchter und 
Brandmarker gedacht, jener Antikorruptionistenr die einem den Kampf 
gegen die Korruption abgewöhnen könnten. Bis dahin war ihnen 
die ,Fackel' ein leuchtendes Vorbild gewesen, bis dahin hatten sie Tendenz 
und Terminologie meines Blattes anbetend verhunzt, waren nur dort ge- 
nießbar gewesen, wo sie Sätze der , Fackel' - bis auf die Mitteilungen des 
Verlages — einfach stehlen konnten. Da ich äußerte, daß mir die Gefolg- 
schaft listig sei», bin ich pldtzlicb vom General zum gemeinen Kol 
degradiert, dn Analphabet versichert — natihrlich mich, nicht mir — 
daß er nur meinen Stil gelten lasse, mich aber son<%t verachte, und be- 
teuert schließlich, daß er mir nicht mehr die Hand reichen werde. 
Immerhin ein Zeichen, woran ich den Anonymus erkennen 
werde . . . So geht's immer. Ein deutschnationales Literaturblatt bot 
mir Watteiibruderschatt an; ich lehnte brieflich ab. Fries mein 
Wirken, stahl meine Worte; idi Idinte öffentlich ab. Nun bin ich ein 
Lump. Ethisch komme idi flberhaupt nicht mehr in Betracht. Warum? 

tadle eben, wiewohl ich gelobt wurde. Diese Braven abei tadeln, 
weil sie getadc]! wurden. Dann aber antworte ich wieder nicht mit 
Tadel. Wei! aieiue Feder nicht meiner Privatsache dienen will. Und, 
weil es unklich die gröF.te Feigneit wäre, wenn der Jagendoiter mit 
dein Zwerg Ungrad ringen wuüie. . . Wie ist doch plötzlich alles so 
verludert, wie bin Ich in der Achtung meiner Lob^Muder gesunken, 
weil meine Gerechtigkeit so weit ging, anch sie tadelnswert zu finden! 
Möglich, daß mehl Tadd ungerecht war. Aber war darum anch Ihr Lob 
ungerecht? 

Hcnaifeber und vcfaatwortütfisr ItedaUair: Karl Kra«|gitized by Google 



Die Fackel 



NR. 190 WIEN. U. DEZEMBER 1905 Vll. JAHR 



Diskrete ZuMunineiiUiifte. 

Die sozralkritischen Verdauungsbesch werden liebt 
unsere liebe Presse nicht. Damm schöpft sie von der 
ungeniefibaren Melange der Wiener Breignisse blofi 
die Schlagsahne sQfien Klatsches ab. Da bewahre ich 
den Ausschnitt eines vor Wochen in der ^Neuen 
Freien- Presse' erschienenen Gterichtssaalartikefs »Zu 
neunundsiebzig Jahren«, über dessen Stoff und Stand- 
punkt ich längst ein Wörtchen sagen wollte. Zu 
neun üiulsiLb zig Jahren wurde er nicht etwa v erurteilt, 
dessen Schickt-al die ,Neiie Freie Presse* beklagt; 
vielmehr ist er selbst neunundsiebzig Jahre alt, »hat 
sich als Fabrikant ein ansehnliches Vermögen er- 
worben«, und miißfp nun ein Abenteuer mit der 
Österreichischen Justiz erleben, das dem Parailienblatt 
»pikanten« Artikelstoff liefert. Mit der Diskretion 
einer Tornehmen Kupplerin, die ihre den europäischen 
Dynastieen geleisteten Dienste dem Besucher rühmt| 
schildert die ^Neue Freie Presse*, .wie jenes Rendezvous 
zwischen dem »angesehenen Fabrikanten« und der 
österreichischen Justiz zustandekam. Blofi das Alter 
des Klienten interessiert sie; sie verliert kein kriti- 
sches Wort ttber das Alter der Dame, der es noch 
immer erlaubt ist, staatsbürgerlicher Unschuld Fall- 
stricke zu legen. Daß der Greis ein>t auf der Bank eines 
Parkes saß, »um sich von der noch warm strahlenden 
Herbstsonne bescheinen zu lassen«, läßt uns kalt. 
Wie er das Gespräch mit seiner jungen Nachbarin 
angeknüpft hat, interessiert uns auch nicht. »Am 



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folgenden Tage macht er sich fröhlich auf den Weg, 
um der Einladung bu folgen. Schreckt ihn nicht das 
Los Franz Sikora's zurück, der Tor nicht langer Zeit 
ein gleiches Abenteuer schwer büfite? Warnt ihn die 
Erinnerung an diesen Oreis nicht» der, vielieicht 
heiter wie er, seinem Schicksale entgegenging und 
nicht mehr zurückkehrte?« Diese Frage interessiert 
uns bloß wegen der offenbaren Gehirnerweichung 
dessen, der sie stellt. Er selbst gibt zu, dati unserm 
Greis nicht ganz so übel mitgespielt wurde. Die Dame, 
die Nachbarin auf der Bank, war harnüos. Aber die 
Öslei reichische Justiz, dieSchlüssellochhorcherin, wurde 
gefährlich. »Im Namen des Gesetzes, öfTnen S\e U Und 
noch einmal: »Irn Namen des Gesetzes, öffnen Sie, sonst 
muß ich die Tür erbrechen U Zwei Polizeiagenten treten 
ein. Gegen die Wohnungsbesitzerin war die- Anzeige 
erstattet worden, daß sie die Wohnung für »diskrete 
ZusammenkOnftec vermiete« Verschwörung? Hoch- 
rerrat ? Nein, für strenger verpönte Heimlichkeit Der 
Alte soll seinen Namen anheben, weigert sich mit 
Recht, wird mit der Abführung ins Eommissariat 
bedroht, und greift in seiner Herzensangst, die ihm 
diu sozialen Schrecken des Bekanntwerdens einer 
Sexualhandiu ng ausmalt, zu dem verzweifelten Ent- 
schluß, dennichi iininer mißlingenden Versuch zu unter- 
neliint II, sich in eioü Aintshandkmg mit einer Zehn- 
guldennote einzumengen. Diesmal hat die Zumutung 
geringschätziges Lächeln geweckt. Wenn sich die 
Kupplerin das Strafrisiko mit der Hälfte des »Schand- 
lohns c besahlen läßt, so könnte die Staatsgewalt, 
die das »unerlaubte Verständnisc zu vereiteln droht, 
gewifi mehr als die Hälfte beanspruchen. Wehe dem, 
der — und noch dasu mit unzureichenden Mitteln — 
das ethische Hoch^efOhl eines Spitzels su erschüttern 
versucht hati »Dieser Herr«, ruft er seinem Ge- 
nossen zu, »hat mich jetzt bestechen wollen, damit 
ich gegen meine Amtspflicht handle.« Der Greis wird 
der »versuchten Verleitung zur Verletzung der Amts- 



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8 



pflichte angeklagt. ESn jeder tou uns würde sie, 
wenn Büttelneugier sich in die priv^ateste Handlung 
mischt, begehen, — wenn ein »unerlaubtes Ver- 
ständnis« zweier Liebesleute durch das erlaubte Un- 
verständnis zweier Amtspersonen gestört werden soll. 
Der Richter, dem JrO raf^nschliche Erwägung nicht ganz 
fernzuliepren scheint, iät>t Hpo Angeklagten mit einer 
Geldbuße davonkonkmen. Die Qualen, d'v^ in Er- 
wartung einer Arreststrafe und des Fami Ihm] Skandals 
ausgestanden hat, schildert die ,Neu*i Freie Presse* 
humoristisch. Auch die Justiz verliert bei den Schänd- 
lichkeiten, die das Oesetz sie begehen läßt, ihre 

Ste Laune nicht: »Als der Neundsiebzigj ährige in 
r geheim geführten Verhandlung auf dem ihm £u* 
gewiesenen fatalen Platse erschien, seigte sich«, so er- 
- ftählt Schmeck, »ein Schmuneeln bei den Personen am 
Oerichtstischec. Und es habe Wirkung geübt, als der 
Verteidii^er »mit Humor schilderte, in welche Nüten 
der beklagenswerte greise Liebhaber durch sein Aben- 
teuer gelangt sei«. . . Die Justiz stranguliert das 
Privatleben, und die Publizistik müßte dazu ihr prin- 
zipielles Wort sao;en. Aber sie ziehen sich gemeinsam ins 
Gemütliche zurück und schlagen augenzwinkernd das 
Strafgesetzbuch auf, dort, wo die > pikanten Blätter« 
beginnen. Wieder eine »Lasterhöhle« ausgehoben! 
Der unschuldige Leser des Gerichtsmilberichts glaubt 
in solchem Falle, daß Prostitution und Kuppelei nun- 
mehr ein Ende haben. Der raffinierte beklagt, dafi 
man die Adressen zu spät erfahre« Und keiner weift, 
dafi es der Behörde biofi darum zu tun ist^ einigen 
soliden Firmen — sozusagen Hof- und Kammerlieferan- 
ten — die lästige Eonkurrenz vom Habe zu schaffen« 
Denn nicht überall dringen Polizeiagenten ins Schlaf- 
zimmer: ilu-en höchsten Vorgesetzten und anderen Herr- 
schaften wäre es nicht erwünscht, zu so ungelegener 
Stunde gestört zu werden. Als Schutzengel bewachen 
sie das Haus, auf daß der Beischlat der Gerechten nicht 
gestört werde. So oft man liest, daß- eine arme Offiziers- 



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witwe, die als Vermieterin eines Absteigquartiers noch 
immer mehr Moral beweist als der österreichische Staat, 
der sie durch eine schäbige Pension su solchem Neben- 
verdienst zwingt, vor Oericht geserrt wurde, empfindet 
man das Bedauern über die Ungerechtigkeit des Schick- 
sals, das die Straftat der Odegenheitsmacherei nicht 
in allen Fällen durch die Vornehmheit der Klientel para- 
lysiert hat. Der Ausspruch einer Anfängerin, der man 
aneresichis der erdrückenden Ubermacht der proto- 
kollierten Firmen ein schlechtes Prognostik oa stellte: 
»Ach was! Ich habe bereits an das Obersthofmeisteramt 
geschrieben I«, klingt nicht erfunden. Als der König 
von Spanien nach Wien kam, wurden außer den 
Schadehen' auch sämtliche Kupplerinnen Wiens 
mobilisiert. Und es ist Tatsache, daß von offizieller 
Seite ein Absteigquartier für den hohen Qftst ge* 
mietet wurde. Mit Recht. Warum sollte ihm versagt 
sein, was sich jeder Fremde von geringerer 
Diatinktion mit Hilfe des Hotelportiers verschaflEbn 
kann? Noch ist er ja unverlobt. Die Hotdporüers 
des Ohersthofmeisteramtes wissen, wosu sie ver- 
pflichtet sind. Und die Poliieiagenton, die die Hauer 
machen, werden nicht durch Zehnguldennoten für 
die Verletzung, sondern durch spanische Orden für 
die ErlüHung ihrer Amtspflicht belohnt. Einen 
wesentlichen Unterschied der beiden Fälle bildet 
aber auch die Tatsache, daß Alfons von Spanien 
noch nicht neunuudsiebaig Jahre alt ist 




Vorurteile. 

Unser Leben zerfällt nämlich in zwei 1 läifteii, und jede 
dieber Lebenshälften hat eine besondere Aulgabe. In der ersten 
Lebeoshällte werden uns von allerlei fremden Metischeo eine 



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— 6 



» 



Menge von Anstellten, Urteilen und Meinungen mitgeteilt, und 

wir haben die Aufgabe, diese Ansichten auswendig zu lernen; in 
unserer zweiten Lebenshälfte haben wir die Aufgabe, diese An- 
sichten teils zu vergessen, teils durch ihr (jcgenieil zti ersetzen. 

Der zweite Teil des Pensums ist natürlich viel schwieriger. 
Einem Urteil zustimmen und sich dabei denken: »Dt^r andere 
wird's schon wjsscnc: — das ist leicht. Aber sich gegen eine all- 
gemein verbreitete Ansicht stemmen und sagen: »Wieso? Ich 
halte es für Quatsch. Ich kann in meiner gesamten bisherigen 
Lebenserfahrung nichts finden, was diesen Grundsatz bestätigt«: 
— das ist nicht ebensoleicfat und endet meistens mit iiigend einer 
Enthisanng. 

In der Tat kommen die wenigsten Menschen so wtii, 
um auch nnr zu ahnen, di^ das, «aa sie von ihren Lehrern und 
Erzieheni fibemommen haben, ihnen gar nicht gehört Wenn ein 
Gegenstand eine gewisse Zeit lang in meinem Besitz ist und 
niemand dieses Besitzrecht bestreitet, so geht dieser Gegenstand 
schließlich auch juristisch in mein Eigentum über. So ist es mit 
den Meinungen, die wir aus der Schule niitnehnien: niemand 
bestreitet, daß wir ein Recht auf sie haben, und so behalten wir 
sie denn, umsnmehr als sie sich als sehr bequeme und nützliche 
Oebrauclisgegenstände erweisen. 

Zum Beispiel: Unsere Klassiker. Wir haben sie auf der 
Schule gelesen, und nun sagen wir unser ganzes Leben hmg: 
wir kennen die Khusiker. Aber wir haben die interessantesten und 
pendnlichslen Werke der Klassiker gar nicht, und die fifariffen 
unter falschen Qe^chtspunktoi gelesen. Trotadem aagea wk 
unser ganzes Leben kng, wenn das Thema auf Ooethe odtr 
Schiller kommt, mit Eiter und Obemugung : »Ja, unsere Klassiker! 
Das waren noch Kerte !«, und denken uns dar^icr dassdhe, «k 
die übrigen Menschen, nämlich nichts. 

Eine zweite Sache, die lediglich auf Überlieferung und An- 
passung beruht, ist die allgemein verbreitete Reisewut. Alle Welt 
reist oder will doch wenigstens reisen; warum sollt'^n nicht auch 
wir es tun'' Und wir hring'en uns in eine künstliche Begeisterung 
für fremde Völker und Länder. Nun, es ist ja gewiß nicht daran 
zu zweifeln, daß für manche Menschen das Reisen einen großen 
Nutzen hat, ja daß es aogpr ihr dgentltches Lebenadement iai: 



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Memdiat, deren geisliger und pbysiselMr Of^ginitinus fOr d«s 

Reisen geschaffen ist, wie es ja auch Zugvögel gibt, denen die 
Winterreise nach dem Süden ein großes Vergnügen bereitet. Das 
ist aber doch wohl nur die Minorität. Im allgemeinen wird man der 
Ansicht zuneigen müssen : der Hauptinnalt des Reisens ist 
Ruß, Staub, Wanzen, freche Kcüner, grobe Mitpassagiere, unver- 
schiinite Hoteii . riiiumL^en uvA Magenkatarrh. Nachdem eine Reihe 
edler und heldenhafter Pioniere die Strapazen des Reisens für uns 
übemominen und ihre Beobachtungen und Erfahrungen in vor- 
trefflichen Bildern und Beschreibungen niedergelegt haben, wire 
es eine sinnlose Kraftvergeudung, wenn wir alle diese Strapazen 
wiederholen wollten, da wir doch die Sachen jetzt ohne tUe An- 
strengung nnd ohne jeden Arger geniefien können. Wenn ich 
ztthanse bleibe, so habe ich drd Ding«^ die mir kdne Rdse i»eten 
kann: voUständige Ruhe und Ungestfirtheit, 
der sich meinen Formen bereits liebevoll angepaßt hat, und meine 
Phantasie. Meine Phantasie habe ich nämlich auf Reisen gewiß 
nicht; denn dis Auge wird so stark beschäftigt und mit 
äußeren Eindrücken überladen, daß das innere Gesicht j?ar nichts 
zu tun bekommt. Die meisten Menschen reisen, weil es so Mode 
ist, und weil sie ein neues ergiebiges Gesprächsthema haben 
wollen ; ienn aus sich selber können sie keines holen. Auch hat man 
ihnen immer gesagt : Reisen bildet. Reisen erweitert den Gesichtskreis, 
und wenn es so viele Menschen sagen, so wird es wohl auch wahr 
sein. Dann aber mtlßten jene reichen Leute, die niemals zuhause 
shid, sondern immer nur dort, wo die »Saison« ist, die fifebildetsten 
Menschen sein. Al^er gerade diese sind die luigebddetsten, Andcr- 
seHs hat man noch selten beobtehtet, daß die BildiuiK eiaes 
wirklich bikhingpfahigen Menschen unter dem Mangel nn Reise> 
dndrficloeii gelitten hätte. Kant, der trie fiber den Umkreis adner 
Vaterstadt hinausgekommen war, wußte nicht nur mehr von der 
Welt und ihren Btdingungin alt alk' \\ . Itinns- -:1er, er las auch 
Kollejrien über Geographie, die den j^iöikcn Zulauf liaiteii. Als er 
einii^al das Siraßenbiid Londons cutwarf, gab er eme so genaue 
uini ai ischaiiliche Schilderung? der We^tminsterbrncke, daß ihn nach . 
dem Koüejkj; ein Engländer fr,i|;te, wie viel Jahre er in London cjelebt 
habe. Und in der Tat: wir tragen alle Landschaf tsbiider der Welt in 
uns. Wir kennen Bombay, Johannesburg, San Frandsoo« Wollte 

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« 



■mi die Stcfcc cfai vcni^ nytHüch dUkicff^ flo kdnofe ntiii 
ngoi: iiBend eittcr «nscrer Vorfahitit bat ehtmal die Wdt 
tehdi und sdw EindnichifüOe bat aldi auf uns vererbt Aber 
vir biaudien gar nicbt ao weit zu gehen. Wir sebcn Im Lanffe 
imaeres Lebens taittcnde von Bildern und lesen hunderte von 
Reisebeschreibungen. Das Übrige tut die Phantasie. Ja, unsere 
i h .ntasie leistet sogar viel mehr, als unser Auge leisten könnte. 
Ich ließ mich einmal dazu überreden, eine Reise nach Kairo zu 
machen. Diese Reise ha( mich nicht nur vierzehn Ta^e dtr Be- 
quemhclikeit und Zufriedenheit, sondern auch meine llhisionen 
von der Schönheit des Orients gekostet.*) Daß ich während der 
ganzen Reise nicht eine einzige nibtge oder vernüntUge Stunde 
hatte, würde ich noch. hingenommen haben; daß man mir aber 
dieses Egypten vorführte, traf midi sdur scbmerziich. Ich hatte 
Afrika bisher nnr aus Mirchen und farbigen Natmachiklerungen, 
ans acfadnen Bitderbflchern und aus der Oper kennen gelernt Ich 
hatte die »Afrikanerin« In Dresden und Wien in wundervotier 
Ausstattung gesehen und irar nun sehr deprimiert, als ich be- 
merke» mnBte, das das virküche Afrika das nicht tiiclen laninte: 
es war Afrika in der Ausstattung eines kleinen Provinztheaters. 
Mit den Paiiiieii war <iraßlich geknickert worden. Die Karneele 
waren abi^earbeitet und schäbig. Und die Kostüme! Sie waren 
offenbar .ins der letzten Leihanstalt bezogen, und außerdem gänz- 
lich st"] los. Zu einem einzigen Elefanten hatte sich die F\e^ir Ruf- 
geschwungnen, und der w;ir ein ütschenk der Menagerie Schün- 
brunn. Der Gorilla der Stadt aber war drei Wochen vor meiner 
Ankunft gestorben . . . Die Haupt- und Grundimpression, die 
kh von dem Lande empfing, war: Heißer Schmutz. Nun, ich trö- 
stete mich damit, daß ich ja noch von Asien und Amerika die 
abentcucflicfasten Vorstellungen hatte^ und war froh, mit einem so 
geringen Lefafgeld davon gekommen zu sein. Trotzdem versuchte 
ein Mensch mhr auadnanderoisetoen, wer in Kako sei, der mtae 
sich unbedingt auch Büästina ansehen; es sd eine Sfinde, die 
Gelegenheit nieht zu benfitzoL Aber er kam niemals nach PaÜ- 
stina, denn ich drehte ilun sofort die üurgel um. 

*) Hier erUnbt sich der Herausgäier zu bemerken, daß er am 
Ende dieses Sommers mit Italien ganz ähnliche Erfahmngen geoiadit 
hat Anm. d. Her. 



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Eine dritte Immicht, die sieb mr «iif d» fcdattkenloie 
Aanehnieii fiemder Meinungen stfltzt, ist die Idee: der Memdi 
muB Zdtunsien lesen. Ich habe einen Pmmdr der niemals eine 
Zdtung ansteht, und er behauptet, diesem Umslaad verdanke er 
seine Bildung. In der Tat hat er Aber sehr viele Dinge viel unbe- 
fangenere und treffendere Ansichten als die meisten übrigen 
Menschen, weil er seine Urteile immer aus seiner eigenen An- 
schauung und Erfahmngf holt. Und der Verlust, den er hat, ist 
sehr gering. Um die Neuigkeiten zu erfahren, die wirklich wichtig 
sind, dazu brauchen wir nicht Zeitungen zu lesen; denn wir 
erfahren diese Dinge ebenso rasch auf anderem We^e: durch 
unsere Freunde und Bekannten, durch jeden Menschen, der uns 
auf der Straße anredet, und vor altem durch unsem Raseur. 
Dageg^ raubt uns das Lesen der Zeitung mindestens dreißig 
Minuten der behaglichen FrühstAcksaeit, fQUt unser so tdiAtt ausge- 
ruhtes Oehim» das bereit ist eine Mengeder tiefcten Eindrflcke zu ver- 
arbeiten, mit i&berfitaigen Daten und trftbt uns von vombcrein 
durch allerlei pefsönliche Zutaten unser Urteil Aber die Diagei 
Die grftBltchen Oerfichte z. B., die über Nietzsches Obermenscfaca 
umgehen, sind zum größten Teile auf Zettungslektfire xurfidD- 
zuführen. Man kann die samtlichen fünfzehn Bän ie, die Nietzsche 
geschrieben hat, durch und durch schüiteln, und nicht ein einziger 
von diesen Sätzen, die ihm aligemein zugeschrieben werden, wird 
herausfallen. Aber wenn jemand in einer Oesellschafl schüchtern 
äußert: »Ich bin ein groPer Verehrer Nietzsches*, so findet sich 
immer mindestens ein Mensch, der antwortet: »So, so. Dann wären 
Sie also jederzeit bereit, Ihren Vater zu ermorden ?€ Dies koauat 
daher, daß man Nietzsche nicht aus seinen Werken, sondern aus 
unverstSndigen Zettungsartaiceln kennen gelernt hat Ist man aber 
einmal von den falschen Ansichten infiziert» so ntttzt es oft nichts 
mehr, das Original zu lesen: denn wie der eiste Eindruck, den 
ein Mensch macht, oft das Urteil fiber ihn för immer bestimmt, 
so wird man auch diese fixe Idee so leicht nicht iriedcr loa. kh 
mache es daher seit einig( r Zeit wie niehi Freund, und lese behie 
Zeitungsartikel mehr, meine eigenen natürlich ausgenommen. 

Das alles aber wäre noch gamichts. Das schlimmste Vor- 
urteil, das ^i: aus nnserer Jugendzeit mitnehmen, ist die Idee 
vom Emst des Lebens. Daran ist nur die Scbuie schuld. Die 



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Kinder iMben ntaUdi den pm iidtti!gai Imllnid: de «iaseii, dafi 
dn lAm ntdit «rast ist, und bdMMdeln es ib .ein Spid md 
einen lurtigen ZeftvcrMb. Aber dmn kommt der Lehrer nnd 
ttgt: »Ibr mOfit ernst sein. Des Leben tst es tndi.« Lehrer sind 
Spiehrcnlerber. Andeneits hcl0t et aber immer: nimm Dir die 
Natur zum Vorbild Deiner Lebensführung! Nun, in der Natur 
wird nichts als Unsinn getrieben. Die Schmetterlinge tanzen, die 
Käfer musizieren, der Pfau schlägt sein Rad, der Hahn benimmt 
sich gräßlich albern, itnd unser nächster Verwandter, der Affe, hat 
nichts ais Schabernack im KopL Selbst wo der Frnst der unerbitt- 
lichen Notwendi takelt, in Gestalt der Nahrungssorgen, an die Tiere 
herantritt, scheinen sie noch zu spielen. Die Katze spielt mit der 
Maus, bevor sie sie frißt: ihr Spieltrieb ist stärlcer als ihr Hunger^ 
Der FortpHanzungstrieb, nächst dem Hunger die ernsteste 
Macht in nnserem Leben, kleidet sich bei Mensch und Tier in die 
Form eines Spiels» der sog^enannten Uebe.^ Und ich habe auch die 
niedrigeren Lebewesen, die Pflanaen z. sehr im Verdacht, daB 
CS ihnen gar nicht darauf anicommt, etwas zn »leisten« : ich glaube, 
daß einem Apfetbaum seine Ipfel ziemlich unwichtig sind, nnd 
daß er seinen Hauptspaß im Blühen und Duften und derlei zveck- 
loseni Unsinn findet. 

im Grunde ist es unter den Menschen auch nicht anders. 
Alles wirklich Wertvolle ist aus einer Spielerei hervorgegangen. 
Ich glaube nicht, daß Shakespeare ein sownannter »ernster 
Mensch« war. Jedenfalls sind seine Narren ininu r iiie »escheidtesten 
Personen in seinen Stücken, während der bleierne trnst eines 
Lear oder Othello mit dem Leben nicht fertig wird und lauter Mißgriffe 
begeht Ich glaube auch, daß die große Anziehung, die die Frauen 
auf uns ausüben, darauf beruht, daß sie so gar nicht ernst sind. 
Die Idee der Dampfmaschine entstand in einem Kinde, das mit 
einem Theekessel spielte. Das naturwissenschaftliche Experiment 
war anfangs dne Spielerei. )a, man kann so weit gehen, zu sagen : 
ein Mensdi, der nicht weiß, daß er ein Narr ist, ist nicht nur 
hein Künstler, sondern verstdit überhaupt nichts vom Ltbea, Daß 
es ernst ist, soll nicht in Abrede gestellt werden. Aber daß wir 
es ernst nehmen sollen, darauf scheint die Absicht der Natur nichi 
gezielt zu haben. Überall bemerken wir, daß sie b«trebt ist, die 
finstere Notweudigkeit ihrer Gesetze zu verhüllen. Es ist daher 



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eine Anmaßung, vom Ernst des Lebens zu reden. Ihn könnte nur 
ein Aleiisch erfassen, der bis zum Kern des Daseins voigedrun^en 
wäre. Uns aber bietet sich immer nur die Oberliacbe dar, das 
Spiel des Lebens. . . 

Man kann sich nnn denken, wiQ erfreut ich war, als mir 
vor vier Jahren der Antrag gestellt wurde, an dem Gymnasium 
einer kleinen süddeutschen Stadt ein paar Aushilfsstundes in 
Tertia und Sekunda zu geben. Ich beeann mit der AnwenditDg 
meiner Methode und suchte eine Menge Vorurleite tue den Klopfen 
meiner Schfiler zu verbannen, vor allem natflrUch daa üuiiil- 
vonirteil vom Emst dea Lebens. Aber der Erfolg war nicht ao 
glänzend, wie ich gedacht hatte. Am besten ging die Stadial noch 
bei den dummen Sdifliefn: die kaf^erten midi nicht Abor die 
intelligenteren Jungen gingen ganz entschieden in ihren Leistungen 
zurück. Eines Tages rief mich daher der Rektor auf sein Zimmer 
und teilte mir in sehr ernstem Tone mit: Die Art, ^)^ie jch mit 
den Junjjen verkehre, sei doch wohl n'cht die richtige, um mich 
in Respekt zu setzen; zumal bei einem Lehrer, der ohne- 
hin die Würde der Jahre entbeiue, sei sie ganz verkehrt. Hätte 
der Rektor mir das vierzehn Tage früher mitgeteilt, so hätte ich 
eine kolossale Gegenrede gehalten; nun aber hatte ich längst an- 
gesehen, daß er recht hatte. Der Mensch kommt nimUch mit 
aehr richtigen Ideen auf die Wdt, und will, wie alle Abtigcn 
Lebewesen, zunächst einmal k tout prix spielen. Diese ttamin» 
liscfacn Orundsltze wih'den ihm auch gar nicht Khaden, «nd er 
wflrde sidi natuigemifi zu einem sehr vemfiitftigen, ld)enaßhigen 
Geschöpf entwickeln, wie jeder Baum und jedes Her, wenn er 
nicht daneben pevtisse intellektuelle Gaben mitbekommen häUe, 
die dem Baura und dem Tier fehlen und die freeignet sind, seine 
Richtung ungünstig zu beeinflussen. Hier greift nun der Erzieher 
ein. Er dämmt die gefähriiche Kraft des selbsttätip^en -Denkens 
möglichst zurück und übt solange auf sie emen z wang aus, bis 
sie vollständig reif geworden ist und sich selber ihren Manometer 
schatfL Alle Anschauungen, die der Lelirer vertritt, zielen auf 
diesen einen Zweck ab. Der Mensch soll nicht zu früh erfahren, 
daß er ein selbständiges, selbstdenkendes Wesen ist. Ich änderte 
daher meine Taktik: Wenn ein Junge schien Ovid nicht oident- 
Uch pctpariert hatte, so machte ich ein griiilich finatoes Ocskht 



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nad ttl 30^ all ob er im Begriffe sei, sein LdMsg^ilck ni w- 
nkliten; «cbb ehicr die bypothetisdieii ntle nichi Imateii 
iEomrti; to Imtfit ich ibti: »Wie wollen Sie spiter einmal ins 
Leben Unaustreten?«, und iIb fgu einmal einer die verschiedenen 
Amenhoteps vcrvcdMeite, nannte ich ihn eine »katilinarische 
Existenz«, obgldch das gar nicht in die ägyptische Cteschichte 
hineinpaßt 

Ich habe aber nicht aufgehört, den Erwachsenen raeine 
Theorie zu unterbreiten. Ich sag^e ihnen: Der »Emst des Lebens« 
hat seine Berechtigung als pädagogische Maßregel, als regulatives 
Prinzip der firziehnnpf und des Uriterrichts. Aber auikrhalb der 
Schule ist er Sache des lieben Gotts, und nrcht der Menschen. . . 
Vorläufig habe ich jedoch nur erreiGht, daß die Menschen sich 
damit begnttgoi» ladae Polemiic cegoi den Emst des Lebens 
nicht ernst an nehmen* 

£gon FriedelL 

mm ^ 
m 

Qeld. 

Als Sie, verehrte Frau, mir neulich beim Abschied betahlen, 
Ihnen im nächsten Briefe meine Philosophie des Cjeldes ausein- 
andermsetz' n , da zitterten Ihre schönen nervo en Finger ganz leise, 
fast unmerklich. Wiesehr liebe ich diese Vibration! Sie vergeistigt 
schöne Hände. Sie erzählt so rührend von dem innern Ringen 
siobcer und selbstbeberrschter Menschen. Und ich liebe solche 
Menschen^ die sich nur im Zittern ihrer Hand verraten. Ich küsse 
im Geiste jeden Ihrer schlanken weißen Finger. Aber idi sehe, 
Sie sind schon wieder ungfxtnhiig, meine ieueisle Freundin, zwischen 
Ihren Beinen droht schon diese entzCIdiende FaHe und mft mich 
znr Sache. 

Das Qeld , gnidige Fran , M vieUdcht sphimdudter als das 

Weib. Es ist das Alltäglichste und Gemeinste und das Seltsamste 
und Kostbarste, es ist cier Gott der Vielen und Unwissenden, es 
ist auch der Qott der Wenigen und Wissenden , es ist der Hebel 
des Outen und des Schlimmen. Pis ist eine Peitsche für die, welche 
danach streben; ei::p K< t'e fü'- d'> welche daran häne^en ; eine 
Maschine, die keiTie Rast gönnt, die den Menschen schlie^'^ch ganz 
ausschaltet und selbst zur Maschine macht, für den Geldmann von 



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t 



Benif; ein Stachel und Verföhrcr für den Leidenschaftlichen; ein 
Lastträger fär den Weisen. Es ist em idealer Aickumulaior alier 
Kntft* rastlos umwandelbar in immer neue Kraft Es ist das trennende 
PHnzip, an dem alle Rflcksichten, die sonst verbinden» imn Schweigen 
kommen, aber es ist zugleich der feste Kitt, der AUe nrit AUen ver- 
bindet. El ist dumm und ungeschickt in der Hand des DummeUt 
bösartig und grausam in der Hand des Bösartigen ; gfttig m der 
Hand des Gütigen. Es vermag die Stolzen demütig, die Demütiget! 
stolz zu machen, aber aucli die Stolzen stolzer und die Demütigen 
demütiger. Es bi heil und macht elend, im Besitz und im Erstreben. 
Es folgt dem blinden Zufall und gehorcht dabei der ihm inne- 
wohnenden strengen Gesetzmäßigkeit. 

Doch Ihre Falte der Uni^ednld , gnädig^e Frau, vertieft sich. 
»Dies alles weiß ich schon !«, höre ich Sie sagen. Und Sie haben 
recht, ich habe Ihnen nur die sichtbare Oberfläche der Erscheinungen 
beschrieben, die vielfachen, sich schneidenden Kreise, die das Geld 
am Spiegel der menschlichen Seele bildet, wie die fallenden Tropldt 
am Spiegel des Wassers. Wollen wir jener Stunde beiwohnen» in 
der die Seele eines vornehmen Menschen sich dem Oelde weiht, 
um es stt errinfiqi* Gerade die Besten und Feinsten nlmlicfa er> 
sehnen die Macht, die das Geld bietet, am hefügisten und sind 
deshalb vom Oelde am abbingigsten. Wer sich der Macht des 
Geldes gegen sich entziehen wül, bedarf seiner am meisten, wer 
es verachten will, muß es besitzen, und veer es besitzen will, muß 
ihm zu Willeil sein. So lautet das paradoxe Gesetz de^ Oeldes. 

Auf dem Grunde vornehmer Seelen wohnt eine dunkle, 
treibende Lust, eine kühne gefahrvolle Abenteurerlust der unauf- 
hörlichen Veränderung und Bewegung, die Freude am Flusse aller 
Diflige, eine unbestimmte Sehnsucht, der alle Marmonie zur uner- 
träglidien Monotonie wird, der alles Gleichgewicht verhaßt ist. 
Diese Lust und Sehnsucht trieb einst den einsamen Konquistador 
in immer fernere Weiten. Seine Seele titumte in undeutlichen 
Bildern von neuen, seltsamen, Biegescbauten Landschaften, von 
immer, wechselnden pittoresken Szenen, von prichtiigen Ffiiiste»- 
höfen und PkUisten, von Trhsmph und Qimusamkdt, von Dieaem, 
SUaven und schönen Frauen ... So hiumte auch Ihre Seele — 
zürnen Sic nicht, teure Freundin — damals als Ihre Finger leise vi- 
brierten. Sie träumte vielieicht von Villen und Juwelen, von 



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18 - 



eleganten Vi^en, von schOnen Kleidern nnd iddensdnffliciiett 
Verehmm« Und sehen Sie, so werden Sie inni lange trtumen und 

dem Oelde folgen, wie ein Mystiker seinem innern Licht. Sie 
werden glücklich sein im Träumen und vielen damit Glück spenden. 
Sie werden Ihren Stolz und Trotz bezwingen, weil Sie in Ihren 
Träumen stolz und trotzig sind. Indem Sie dem Oelde zu Willen 
sind, werden Sie mild und gütig sem und viele Vi erden Sie segnen. 
Und wenn Sie endlich ausgeträumt haben, dann werden Sie mit 
freudiger Wehmut erkennen, daß Sie ohne diesen Traum weniger 
glficklich gewesen wären und weniger beglückt hätten — und daß 
das Oeld, welches Sie, von ihm träumend, erworben haben, Ihrer 
Seele kein tieferes Glück mehr geben kann. Odd will ertrftnmt und 
veriMiancht weiden, doch nicht besessen sein* 

In der Seele des Menschen wird es znm Qeisle der Schwer» 
loBighelt und Bewegung, der Oeist der Schwere und Ruhe ist sein 
Pehid. E» »rollt« durch Zeit nnd Ranm. Eb lebt in der Lust des 
Verschwendens. Jeder Besitz als solcher ist tot und gewinnt 
seinen Wert erst, wenn er verbraucht wird. Dieser Hauptsatz einer 
Wirlilichiceitsphilosophie. gnädige Frau, gilt auch für Körper und 
Seele. Verbrauche Dich! Das ist der einzige Imperativ des Lebens. 
Aller Wert ist Verbrauchen-können, alles Leben ist Verbrauchen . , . 
Damm ist das Geld der Feind des Besitzes und wil! nicht be- 
sessen, sondern verbraucht sein. Seine Wander- und Verwandlungs- 
natur rächt sich an denen, die es festhalten wollen. Es unterwirft 
sich nie dem WiUen des Individuums und bleibt allen Versuchen 
gegenüber, eslremden Zwecken »i unterwerfen, sonverfln. Es wirkt 
stets nach eigenen Gesetzen. Nur scheinbar Ußtes sich efnschtfeSen. 
EhtfespeRtaber ist es sterIL (Wenn es midi »arbeitet«, wie der Qetd- 
mann sagt, und Zinsen bigt.) Sein Oeist Ist dem Kerker entflohen, 
imr die seelenlose Hülle der Mfline und des Seheines bleibt aurflck, 
Odangt es aber hi die geftiende Hand, dann kehrt auch die Seele 
wieder, nimmt Wohnung in den Wünschen der Menschen und whkt 
ihre Wunder der Verwandlung. Das Geld will nicht einem, sondern 
Allen dienen und im Dienste frei sein. Es ist der ernsteste Gegner 
des Kapitalismus, es liebt den Verschwender^^ nicht den Geizhals. 
Fs kennt tausend Schliche, seinem Herrn zu entrinnen. Seine ^anzc 
Rede ist »Verbrauche mich!«, doch die Torheit vernimmt »Be- 
halte mscht« . . . 



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ich sehe Sie spöttisch lächeln, gnädig Fimu, Sie wollen 
mir sagen: »Ihr Philosophen seid doch recht unpraktische Leute, 
alles verdreht ihr und stclU es auf den Kopf. Sparaamkcit hUft 
besser im Leben als Veracbwendung.« Aber Sie wollen mir mir ein 
bifichen widersprechen, nicht wahr? Sie, Veradiwenderin* spicdicn 
nicht aus Oberzeugung ! Spaisamkett ist eine Not, keine TugouL 
Dem Reichen fällt es schwerer, sparsam zu sein, als dem Armoi. 
Denn die Sparsamkeit besteht darin, so viel auszugeben ais man hat, 
aber es ist nicht leicht, eine Oberiülle zu verbrauchen. In der 
Kunst des Geldverbiauches gibt es mehr Stümper als Meister. 

Trachten Sie nach dem Oelde, teure Freundin. Ich gebe 
Ihnen diesen Rat, weil ich weiß, daß niemand melir anders kann, 
in dem dieser Gedanke einmal Wurzel gefaßt hat. Sie würden stets 
an die unt)enÜtzte Möglichkeit, Reichtum zu erwerben, zurück- 
denken wie an ein verlorenes Paradies, Tndtlea Sie also nadi 
Geld, doch trachten Sk leichten Hemns danach. Veracbreibett 
Sie ihm nicht Ihre gan«e Seele, nur die tiinmendei nkfat <He stau- 
bende Glauben Sie nicht an die fieilknft- des OeldbcsHxes gefen 
die Leiden eines unruhige, sehnsOditiKen Henens! Dleaer Qlittbe 
nfltit nur denen, die niemals reich werdoi. Für sie ist der 
Olanbe an das Geld ein steter ungeheurer Ansporn zu Tätigkeit 
und Lcbv^n, ein Mittel zum Vergessen, eine Brücke über den Ab- 
grund der Melancholie, eine wüitätige Lebenslüge. Der Nicht- 
besitz des Oeldes schützt vielleicht vor seelischer Verzweiflung, 
denn der Arme vermag im Oelde immer noch eine Hoffnung zu 
erblicken, die dem Reichgewordeueni der an seiner Seele leidet, 
genommen ist. 

Sie aber werden einst reich sdn, denn Sic shid schön, klug 
und beharrlich. Verzichten Sie darum von vornherein auf die 
Wohltat des Glaubens. Ihre Seele Ist stark gemig hkca. Das 
GlOck adeligier Seelen ist nidii von der Ait wIedeMncnder Zn- 
friedeobeit, es Hegt in der Gbit nul iOUisMt ihm Bcgdnens. 
Sokfae Menschen sterben mit dem Sduei der Sehnsucht nadi dem, 
was man nie erleben kann ... Es ist ja grausaAi, wenn Ich Ihnett 
die Lebenslüge »Oe(^«, an der Sic jetzt ein wenig hängen, zu 
zerstören suche, doch ich erleichtere damit siciieihch Ihre reiche 
Zukunft. Und dies scheint mir wahrhaft phaosopiusch gehandelt. 

Lucianus. 



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— u — 

ANTWOOTBN DBS HBRAUSGBBBRS. 

SagicUdemiArai, Könnte eteKttltnimOMChÜberhatiptden Drang ver- 

PtfWftflUcn sH tttiei komnwB. Die Ttndenx pgen Uwe Vortnstar In 
Sdnits ntiiHMin in nriMMMi vSve lelie cfile Efetenntnliw Jede FHilii 
Mbt ihn der nndn m. EhrUdier Anttemit, nwB er nadi den 
wdnerltrhffii EmwB det Bfirgermdelcri einer Hnnpi» und Reildenisledt 

linttfsdier JndenfrtttRd «efden; Zimitglittbicer, vtrd er beim Anbikk 

eines Volkstheaterparketts zum Anhänger des Herrn Bielohlawek. Dienationale 
Verblödung des Büigertums treibt ilin in ölis sozirUciemokf atische Laqjer; 
der Siegesrausch der Nüchternheit, der Dünkel glanzlosester Diktatur 
stößt ihn wieder ab. Hier zumai werden die Tempera ineiUe, die im 
Kampf gegen Institutionen geweckt wurden, durch den Ausblick 
auf das Farteiideal getiUmt» Je langweiliger, desto hochmütiger wird 
diese Politik, die Jeden, der vom allgemeinen Wahlredit nicht viel 
mehr f&r die Knltnr ennuint alt eine VenMltmng der » i ctigeb e nden 
Tratteilntber nnd XTppciiM>ftff Iftr etsen Siftttftett crkUtt* Cinew dv 
Herren eoU der Venlind stehen crtitfeben tetn, alt er tih, dafi man in 
dieien »froßea Tafm« eine Broecküre über einen Sexnal]nroteß ickrelben 
bOnnn. Ich gMie id^, dna dl« MenicUMltifragen, die dn ioldNr 
hneeB beriUnl, nadi EtnAhmng daa alteemeinen Wahlneiilt Iciehter ab 
bei Portbestehen der »Kurienschande« zu lösen sdn werden. Ich glaube 
nicht, daß die Wichtigkeit e nes publizistischen Themas von seiner parla- 
me; "..irischen Dringlichkeit abhingt und daß jeder andere Gegenstand hinter 
der andächtigen Betrachtungeines Denionsiiationsznges und der definitiven 
Feststellung seiner Tcilnt-lirnerzahl zurückstehen niulj. Merkwürdig c; scheint 
es, daß bei der verödenden Wirkung einer Parteiteadenz, die Seele und 
Nerven aus den Menschen wegdekretiert nnd durch das allgemeine 
Wahlrecht cnelEt, noch sozialdemokratische Schöngeister ihr Dasein 
histea können. Sie dad freilich danach. Herr Stefan Qrofimana schreibt 
ebi Fenitteton über daa Jetrt gnuaierende »Thgebnefa einer Verlorenen €. 
NalMicli iat die P iie dU n U u n dm Walbea eine »birgirlldie« EinMtang. 
Mon dm Einflhrong dea allgemeinen WahlMGfala dfrile die 
polyandfiacfaen Triebe weeenfUdi beeehrinkett, nnd Im Zukunflsitaat 
viid Jene Francnnatar nieht gedeüwn, die weder kOiperliclie Hingabe 
noch die Annahme des Tributs, den die Mannheit schuldet, als seelische 
Erniedrigung empfindet. Nur immer schön marxistisch gedacht! 



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^ 18 — 

Wenn Herr Qroßraann trotzdem meint, daß »erst ein Bild des Mädchens«, 
dai leider dem Buche fehle, >alle Merkwürdigkeiten ihrer Lebens- 
geschichte erkUrlich begrfinden könnte«, so ist dies bloß da kleiner 
Mckfyi in seine individniUsliadK VerguagBohmt, der alchte wrilnr 

honsnmicreiidcii iniwnIfchBii Jnfeod ndisbe erdndit — wmn wnm dtose 
■ n i i s ct i g en MeiiqpveiiMnvniMiacn uinr ve^wnsontcn ivotpcr nt geuww 
Ijutveibsr mit pradiifoUsr Osnifipliflofsphis mriAfsn viH* Dcrisi 
pendon HUsdiungen bleONB fown IcUumb Poiln te MwlsiMi ll l 
flbcriMsen,dieilirebürserlichc Mission fasttrirtir fifMIeii? w irt s durf ft- 
liebe Bedfirfniase geistreich zn ,vergolden', bis sie ideale Forderungen 
sind! Eine gesellschaftliche Ordnung, die die Prostitution braucht, hat 
auch noch einen Frank Wedekind nötig, der ihr erklärt, da.Ü der 
Handel mit dem eigenen Leibe die beglückendste Fraucnbesdiäfiigung 
ist.« Ich weiß nicht, ob die bürgerliche Gesellschaftsordnung^ in einem 
Frank Wedekind nicht doch den gefährlicheren Gegner spürt als in 
Herrn Oroßmann. Aber jedealiUs lut die .Arbeiterzeitung' eine bs- 
CifidMidere Prauenbescblftigunf eisonnen als den Handel mit dem 
eignen Leibe. Wenn sich die Jnafen MiddMt nidit ndur den Mtaoeni, 
sondern der Politik in die Anne werfen, werden ihre Kdrpcr ent der 
voni Schfipfer smlUcii Bestiwtnmit diensttitr sstai. Bä Itk gnt, daB die 
«Aitettemünng' in derselben NnmaNTt in der sie Aber das TsgelHMli 
einer Verlorenen sdmibt, den Brief einer lilr das sOctoMiae Wifalrcdit 
Oewoaneaen veröffentlicht Den »Brief eines braven MAdefanaa« nennt 
sie das zarte Oesttadnis der Ring- und Kettenschmiedstochter, die, 
weit entfernt, den Lockungen eines Casti Piani zu folgen oder auch 
nur erlaubteren Idealen der Weiblichkeit nachzujagen, der Redaktion 
der .Arbeiterzeitung' versichert, daß sie — »von der Geburt eines neuen 
Osterreich uberwältigu sei. 

Wiener. Das Neue Wiener 1 agblatt' bleibt halt doch das charakter- 
vollste 1 Am 3. Dezember konnte man dort einen Aufruf der christlichsozialen 
Herren Prinz Liechtenstein, Oeßmantt, Weiakirchner nad Steiner lesen, la 
friedlicher Nachbarschaft riefm Wiemr Komnusaloas- and WcdiakriHraisn 
xur Wahl in die Bönenkanuner. Dem Chef der laseratenabteUnac des «Neoen 
Wieocr Tagblatts' könnte man felioit die Oesclrfcke der Völker Östandcfcs 
anvertrauen. Ein Kabinett Dakes, das mit aUea Partsien gate Freaadscfaaft 
httt, «ise so Obel nldtt DieUoB dretanl gespattena Koi«NMi]]cnik 
ist dock einem handertf^ gespaliswew Österreich entschieden wamtidiai. 



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— IT — 



DmMk&r, Zw Läse der Deutschen in Österreich liegt ein 

Stimmungsbericht vor; »Nfcht «m die Menge handelte es sich gfestem 
abends, als sich die 21 Teilnehmer an dem Preis- Sterz- Wett essen 
nm die Tafel setzten und mit Löffeln rasch in den Sterz fuhren, der in 
schöner gelblicher Farbe i^petitlich auf de» Tdlem lag. Nein, die 
SdmelUffkeit sollte genau IcstgetMIt weiden , nrit welcher ntn efaco 
Sterz verschlingen kann. Der vorjährige Rekord bftnif 1 Minite45 Sekunde!. 
Ein Küchenchef, Herr Albert Kotzrauth, hat es zuwege gebracht, den 
Sterz in einer Minute und dreißig Sekund<*n zu verschlinjren . . . Die 
Nachfrage nach Karten war eine ziemlich rege. Als die Teller mit Sterz 
vor den Teilnehmern slanden, nahm Herr Jauernig seine Uhr zur 
HmkI oad wd den Ruf ,LosI' wurde zu IbfMu begonnen . . . Bald war 
der Teller des Herrn Kotzmuth leer mid Herr HMker miA Herr 
Dragoner waren noch ifluner lüdit fertig. Eine lange Viertelminute ver- 
ging, bevor Herr Hacker seine Aufgtibe gelöst hatte. Er hatte zwar den 
Rekord des Vorjahres nicht geschlagen, aber gehalten, denn in 1 Minute 
45 Sekunden hatte er den Sterz verzehrt. Nun kam die offizielle Preis- 
vorteiiung. Herrn Kotzmuth wurde der Wanderpreis und eine silberne 
Ulir eiiigdiindigt uhI Herr Hacker aUdt ctw Rancbgamitur. Dantt war 
die IMertuHsiiff noch lanfffi nickt ant, es foigla das so taatlfe Haknan- 
schlagen, Schuhplattler wurden getanxt imd schlicBlldi wurde gesungen und 
gejodelt.« Das ist aber nicht etwa ein Communiqu^ de? Herren 
Derschatta, Pergeit und Qroß (ö'^terreich g:ähnt), sondern ein viel ver- 
ISßlicherer Bericht des , Illustrierten W iener tixtrablatts*. Man gratuliere 
dem deutschen Volk zu Herrn Kotzmuth, — der mit Recht so heißt. 

IMoMlroi». »Weihnnekten urfit m der Tikr«, und da kört man 
gewiß fm einer Betel lang armer SekntUndcr mit WInteitMdtm. 
Nickt «nkr? Aber in der «Neuen Freien Presse* (2. Dezember) liest 
man von einer H ete i 1 i jru n jr ?.rmer Schulkinder usw. O du Million du! 
Ander??, begreif ich wohl, als sonst in Menschenköpfen malt sich im 
Kopf des l'örsenwöchners die Welt. (Bcteilit:t euch! rief Zeus von seinen 
Höhen.) Die armen Kleinen! Rasch tritt i^ie der Ernst des Finanzlebens 

an. Nwi, koffentUdi kat die Earinionvon Wlatartteideni da arfraundm 
Retultat! 

fZeü* -Genosse. Ihr Blatt ist eine MQhle. Wenn es einst ver- 
stummen u'ird, wird der I.e<;er an«; dpm Schbf erwachen. Die ödigkeit 
dieses journalistischen Daseins wird vorlaufig nur durch krampfhafte 
Versuche zur Unanständigkeit unterbrochen. Vor zwei Jahren habe nie 
fZdt', so erzählen Sie, vor der biieiiich ordinierenden ärztlichen Ansuit 
•Spiro ipero« gewarnt. Die gemdnschldUche Vktendtdt dieiea »Knr- 
lusHtuAa«, die danudi m den skinpeltoaen Wiener BMttem — mit Ana- 
naknw der ,Zeit' - dnndi Annonce» gefördert wurde, crsckdnt jetzt 
dadurch paralysiert, daß die Annoncen nurh in der ,Zeil' erscheinen . . . Und 
Herr Singer führt den Titel eines außerordentlichen Univei sitätsprofessors. 

Literat. Sie schreiben: »Gestatten Sie mir eine Äul)eiun>< herz- 
lichen Dankes dafür, daü sich in Ihrem Blatt mii gebührender Prompt- 
kdt die riditige Rcaktioi auf den neuesten QOkfanann ekifeildlt kal. 
.Wim pboi ndr die Götter den Pkfi? Zum TMen, kekn kdUvn 



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1» 



AnakreoTi!' (So ungefähr habe ich das beUsAine Nietzsche - ^X'' ort 
in Efiiiuerimg) . . . Aber — vcizeihca Sie wäi s mchi doch 

vtendckt atlgdMndtt eemen, cioc bemdore Hakknlat ni dktni 
FeniUdoii Aber .Hkbült* besomleis moMäm? NiiaUcii die Ver- 
dichtignng, daß die «Mflnchener BohemeS za der mch ftittk 

Wedekind fr^höre, ein persönliches Interesse an dem sexuellen 
Verhalten der juni»' n Damen, daß egoislisches VerlariKen nach üem Ver- 
zicht auf Ji-n^^fräulichkeit an dem Werk seinen Anteil habe . . * »Die 
Hauptsache lai*, sagen Sie, »es schein! mir unertragbar, uab ^eeea 
mnercn ftlrkslieii tied viliisleB Dichter eiiie to timoilifiiierfamB Vcr- 
mgUapfoBg» dt6 eine eo plebejiiche Verdiddigung gegen die ReinlMlt 
seiner Motive angesprochen werden konnte. Da hofft man auf Siel« 
Und man läuscht sich nicht, da ich Ihre Zuschrift seiost ^'leder^ebe. 
Kur ems: Meine Ausräuchern njif des Khigschwätzers in Nr. ISS war, 
wie ich in der folgenden Nummer ausdiückiicli koastatierte, vor dtiu iir» 
scheinen des elden »Hidalla«- Feuilletons geschneiten. In Nr. ISO konnte 
kk dann nicht nMhr antfülurildt «erden, branddie Heim OoUnuuMi bloS 
darflber anfraklären, daB er den Fußtritt, den er soeboi erat empfangen, ab 
Vorschuß auf seine Qemeiniwlt gegen »Hidalla« auffassen Wkmt, Man kann 
sich doch nicht fihf-rhielrn und sisht verzweifelnd, d.iC man gegen den neuer- 
dings wieder aurg^liot^ncn Troß aller Schv/ar/alben der Kunst nicht 
mehr zur Feder, süuUeru bereits zum Tiiitenlaü greifen müßte. Soli man 
diesem Herru Goldmann einbUuen, daß nicht die Negation ues Virginitäts- 
ideale, eondera viel eher daa Virginitilaideal eclbet von den Wimcben 
Jener abznldten vir, die da cnt|nngfem «oUen? Vid Planereagdit in dkl 
dde Reportergdiim nidit hinein ! Cs itt wirklich das Zeicbcn einer voU^ 
kommen journalversauten Zeit, da!') man sich mit einem Herrn Oo^d- 
mann als kritischer Instanz auseinandcrsi *zen n>u!) In der ,Schaubur,ne', 
einer Berliner Theateirevue, finde ich eine ganz zuireitendc CiiaraKiCiii>uk, 
in der von dem Mann, dessen Stil »nur in den Momenten eines höchsten 
Mioa an den Jargon der Oleiwilanr Prodnkfenböiie erinnere«, gesagt 
wird: »El lige kein Anlaß vor, Ober Fatal Ooldmann auch oor ein 
Wort oder gar den Humor zu verlieren, wenn diesem Berliner Kritiker 
- der weder ein Berliner noch ein Kritiker ist — nicht eine Bedeutung 
zukäme, die zu unfenschützen man sich hüten muH. Sie liegt nicht in 
ihm, sie liegt in seinem Amt. Darin, daß er sich sah üesandier gegen 
die Berliner dramatische Kunst in Wien etabliert hat. Das Unheil, daa 
er in Mlcher Sldlnng stiftet, ist viel größer, als man gnnelnliin 
annimmt Vld größer ala das, das ein Berliner Kritiker in dnem 
Berliner Blatte anzurichten imstande wäre. Denn in diesem Fall Ist eine 
Kontrolle möglich, rine Kontrolle an dem, wa§ andere sa<^en, und an 
der Thcalerauftührung .^c bsi. in Wian iiai Ooldmann solche Kr^nkiu : (. uz 
niclit zu fürchten. Mau uunmt doii seine iiede umso lieber aut guten 
Glauben hin, als man in den liberalen Kreisen der Kaisers tadt ja noch 
immer an! die ,Nette Freie Presse* hdlige Eide aAvört nnd die Tat* 
aacfae, daß efaier überhaupt In diesem Blatt an Wort kommt, ncteoB als 
^^enn^ende Garantie für seine moralische und geistige Qualifikation 
ansieht. Diese liberalen Kreise bedenten aber fßr daa Wiener TbaMer 



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19 — 



dae siewiclitige Potenz. Das wire «a tich noch kein Übel: denn, in 
kflastidischn Tfiditknim poB ijMPOctiBn, vntcracbcidcn fte sidi diirdi 

Gediegenheit des Geschmacks «ohitnend von den Berliner KmulprOtzen. 
Es hat aber dieser Aristokratismus — hier wie überall — konservative 
NeijTimgcn im Oefr)?sjc, zu denen noch ein {Fewi*ises Ph^e^mT» al? W«>ncr 
SpTzifikUTTi hinzutritt. Gern weiden sicli solche Leute nnn von einem 
Manne führen lassen, der sie der Unbequemlichkeit enthebt, Neues 
begreiteii zn lernen, indem er dieses mit Wollnst in den Kot zerrt. 
Dtat Krdw siMl et doch alMf, die em ieizten Ende bestimmen, wckliet 
nwato im Wien gpspielt wird. Ihnen ges:enfiber das ehrliche Streben 
unsrer jungen Sucher auf neuem Wege in Mißkredit gebracht zu 
haben, ble'bt das Vergeh»*n dp^ Dr. Paul Ooldmann. Man fragt sich, 
wie es möghch ist, daß ein soh lu^r Mann an solcher Stelle zum Schaden 
deutsdier Kunst das Wort führen darf. Warum, wenn er selbst schon 
nicht Anrind htt, der Kttnat dedardi zn dienen, daß er teine 
ICrftHtni teMM, der Henmgcber ihm nidrt mit aller in diesem Fall 
gebotenen bef^fe die Tfire nvist . . . Weil der Herausgeber eben kein 
Herausgeber sein mußte, wenn er sich ein Universalq:enie vom Schlage 
Paul Ooldm^nns entgehen IteRe Weil er keinen finden wird, der tags- 
über bei Diploiiiaten auijcln irhnert, Gelehrte interviewt, Gerichts- und 
Parlamentsverhandiungen beiwohnt, I^kalpiaudereien (und in der Zeit, 
da er die Notdttrfl verrlditet, lyrMw Oedidite Mr den «Zeitgeist') 
scMM, nnd nach soldier IjelstMttif noch den Mnt liat, tber das 
d wiia chn Drama zu Gericht zu sitzen. Weil es einem soldicii Heraus» 
geber weniger darauf ankommt, d^s Interesse deutscher Dichter wahr- 
zunehmen, die \i die Zeitung noch nur im Kaffeehaus lesen, als durch 
solch praktische Kombination von Kritik und Depesche keine unnötigen 
Erleictiierungen am Portemonnaie vorzunehmen « Jedes Wort ist richtig. 
Nor daß der Sdu^fter den Übenden Wiener Qdstespdbd flberschltzt 
Wire der iMsaer ata seine Berliner Verwandtschaft, nnmdgNch bitte sich 
die ,Neue Freie Presse' — nach all den Katastrophen der letzten Jahre — 
jenen Kredit erhalten können, den ihr der Verfasser mit Recht zuerkennt. 
Nimmer wilrde sie es wagen können, d'e<;e f^enze Mentc der Talentlosigkeit 
und Wjderwärtickeft, diese Goklmann, Schürz, I othar, St — gund die anderen 
bellenden oder plaudernden Ungeheuer aut das Publikum losculassen, 
JSToMM Der Btnantenstandininlcti daß der Znschaner im Theater 
•Hat sdn QeM« Rechte e r w or b en habe, sd anerkannt Aber nicht gegen- 
fiber fenen, die dntch Benhlunsr der Theaterkarte ein Recht anf 
störende Kritik erworben zu haben glsiiben, sondern gegenüber den 
anderen, die durch BezahJung dns Recht auf den ungeschmälerten Genuß 
der Vorstellung erworben haben. Radau bei offener Szene wäre mit der 
Verhängung oder Zerstörung emes ausgebiciilen üenialdcs vergleichbar. 

Nndh AklacUnß nnd In etaer entsureehenden Distanz von dem Bilde 
ist |ede Kritflt citenW. Alles andere Ist Büberei. Eine Presse, die die Ab- 
wehr des Direktors des Intimen Theaters und den Protest des Volkstheater- 

regfs^enrs minbiHiort, ist nicht Erzieherin des Pnb!iknm<?, sondern die 
gehorsame Bedienerin seines Nachttopfs. — An dem i heaterskandal, 
der die »Andere 4 begrub, bat übrigens auch die darsteiierische Un- 



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nUglKit des Detttacheti VoUnflieitm üncn indlidica AsfdI. Die Worte, 
die Herr VtUenttn bd der Ivetten Voratenaoe im Pnblikitiii rief, luOte 
ich für deo lieeteren Teil seiner Leistung. Ganz unmöglidi, die LadMMde 

förmlich provozierend, schien mir c!;c T S^nrin der Hauptrolle. Man wetß 
nicht, ob man die Volksthcaterpolitik nu'hr dafür anerkennen soll, daß 
sie das Stück durch die Anfängerin oder dafür, daß sie die Anfängerin 
durch die schwierige Rolle kompromiUieren ließ. Theaterkenner standen 
vor der Offenbemog einer Unwdblidilieit, der die lieate noch feidcnde 
Tedinilc YieUddit einmal den SeitCBi«g in die RoUeafadi angesliieitar 
KonversatioQsdamen ermdglicheir wird. Auch Herr Lothar scheint dieser 
Ansicht zu sein, wenn er der Schauspielerin nachssqft, ihr Talent weise 
sie »auf scharfe, schneidende Rollen«. Man müßte ihr also, meint er, 
— »die Adelheid zu spielen geben c , . . Andere Thebaner der Wiener 
Theaterkritik sind noch kundiger. Sie halten Manj^el an Anmut fihr 
aediiciie KompUiiertlieit ttnd schlafen Pnisdbännie der Begeitternnr. 
Am putzigsten ist der Herr in der »östcnddiiaclicn Rundedian'. »Freilidi 
war die Darstellung« — so schreibt er gaoz richtig — »von unmöglicher 
Unzulänglichkeit. Fräulein R ist in ein paar Jahren möglicherweise ein 
zweite Eysoldt, heute vcrm.'isf sie der Linda höchsteus ein paar 
wundervolle Töne und Linien zu geben«. Höchstens! 

Kretin. Auf jeden dumAen Brief kann ich nicht reagieren. Aber 
der Ihre bebanntet» daß anf irgendeinem bedmclcten Kloiettpapier an 
lesen sei, ich hätte in meinem Nachtrag zum Beer* Prozeß eine »Drohnsg 
gegen den Obersten Gerichtshof« ausgestoßen und diese Drohung bedeute 
nichts anderes als den Hinweis auf eine Verbindung mit dem jetzigen 
Leiter des Justizministeriums, von dem schon zur Zeit des Prozesses 
Bahr »das Qerflcht ging, er habe sich beim Verhandlungsleiter zu 
meinen Gunsten verwendet«. Dieses Gerücht hätte ich »nicht deoMn» 
tiert«; und ao lube ea sidi bis .auf den hentigen Tag crhaltea . . • 
Ich weiß nicht, ob der Leiter des Justiznüniateriums densdben Einfluß 
auf den Obersten Gerichtshof hat, den er als Sektionschef auf den 
Vorsitzenden einer Schwurgerichtsverhandhin^ gehabt haben soll. Aber 
ich weiß, daß ich, wiewohl ich von keiner Macht der Welt gezwun- 
gen werden kann, jede Blödsinnigkeit, die über mich in Umlauf ist, 
zn »dementierett«, die eine, die nicht ein »Gerücht«, aoodem die dreiste 
Erfindung eines gehässigen Schmodcs war, anadrüdclich dementiert habe. 
Nur damit das »Ger&cht« endlich zur Ruhe komme oder wenigstens 
Persönlichkeiten, die durch eine nicht bestehende Verbindung mit mir 
zu Schnden kommen, in Ruhe lasse, will ich hier aus dem Artikel 
»Rache itn Ausland«, der in Nr. 72 der , Fackel' (Ende März 1901) 
erschienen ist, ein paar Sätze zitieren: »Ich mache die drei Richter« 
die mich verurteilt haben, in aller Pom anf die Nnnuier der »Breshmer 
Zeitung' vom 3. Mdra anfmerinanL Dort werden sie die kUtt Be» 
schuldigung ausgesprochen finden, daß sie im Prozesse Bafar*Bukovics 
gegen die .Fackel' nicht nach bestem Wissen und Gewissen gerichtet 
haben, sondern daß sie zn meinen Gun^^ten beeinflußt uarcn. Ich bin 
verurteilt worden, weil ich ei nein 1 heaterkritiker zugemuiet habe, daß 
er sein Urteil von außerhalb der kritischen Erwägung liegenden Mo- 



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ai 



menten bestimmen Lisse. Herr Julian Sternberg nennt mich einen Ver- 
leumder. Und seclLs Zeilen naclüicr verleumdet er mit einem Federstrich 
die Österreich isciie Justiz, mutet er diti Riclitern zu, sie hätten ihr 
Uitdl dmdi aufiofulb da PKonlMienits liegende Momente, dtndi eine 
RttdtsiGlit titf ihft Kürrlere^ dvrdi eisen Wink von oben beiMinimu 
kissen . . . Nie ist eine Verdächtigung grundloser yorgß' 
jrebracht worden Mit einem Ric ?enmateria! habe ich die Beeinflussung 
des Richters in i heatersachen belegt. Was führt Herr Sternberg an, 
um die Befangenheit der Richter in Strafsachen zu beweisen? Ich habe 
tiutm iheatei Unternehmer imputiert, daü er ein Interesse daran habe, 

die KrttUc günstig lo sümtne». Herr Siemberg besdraldigt einen 
bohen Vetwaltangibeaniten, den er flufldrflckliGh nennt, er iMbe die 

Richter zu meinen Qausten beeinflußt, ihm sei es zuzuschreiben, daß 

mir eine Frei heiter r^trafc erspart geblieben ist, ,I).is Urteil', meint er, ,war 
ein echt ös!erreichi.schcs' und ,es ^\hi kaum eiwas Schwarzgelberes als 
die Tatsacl; :', daß selbst die gröHu n Anukuu uplionisten den Weg durch 
Hintcrtinchen iuiden und biai emer Protektion von oben erfreuen. Und 
«an hringi Herr St^-g eum Beweis daflir vor, dnß der gievisie hcAe 
Bdunte ffBr mich, den nnabMnfigen Schriftsteller, bei nnabhinfigen 
Rkhtem interveniert hat? Er wurde ,schon Wochen vor diesen ftonefi 
in der , Fackel* auf das Aufdringhchste belobt und gepriesen'. Julian 
lügt. Anderthalb Jahre vor dem Prozeß, ein volles Jahr vor 
d^r Phrenbcleidigung wurde die Tätigkeit jenes .einfluiii eichen 
Mannes iu der ,fackei' gewürdigt, wie sie es verdiente. Angriffe 

in der ftekd' haben aich bühcr immer nocb alt kairlerafSrdernd 
bewibrt, afcad bei Snbaltemen aebr betlebt, nnd ein in dlaaem 

Blatte gespendetes Lob wird auch dn höcbalaMienden öster- 
reichischcii Reamten nicht gferade mit L)atikl ;iike!t erfüllen. Aber ein 
verteufelter Einfall ist es, einer vor andenhalh Jahren gedruckten 
Anerkennung die Wirkung einer Kabinettsjustiz zu meinen Oun^^ten 
zuzuschreiben. Wie viele Mächte bätte Jch nicht in all der Zeit durch 
Angriffe xn einer feindlichen Intervention reizen mdsaeoi... 
Ich vertanfe, daB Herr Stemberg von amtswegen aufgefordert wird, 
an beweisen, dafi ich die bei Crhärtttng der bona fides des Angeklagten 
übliche Umwandhinj^ der Arrest in eine Geldstrafe einer Beeinflussung^ 
des Gerichtshofes zu danken habe. Der Siaatsanwalt wird diesem Verlangen 
schon mit Rücksicht auf die Wiener Stellung des Verleumdci ^ der österreichi- 
schen Justiz ehestens entsprechen müssen. Der Gedanke, daß die Staai:»- 
gewalt aidi an einen der ,Nenen Men Pieaae' nahestfhenden Ddln- 
qnenlen nicht hetmtrant, wiie betnahe ao nnertriglieh wie der Oedankn 
einer Beeinflussung der richterlichen dmch die Staategewalt« Ste hat 
aich nicht herangetraut . . . 

Demivierge. Zu der aufreizend dummen Plauderei des Herrn 
Marcel Pr^vost über die l iage, ob >der moderne französische Roman 
unsittlich« sei, zu einem Schwachsinnsbekenntnis, das wirklich auch den 
treuesteu Leaem der J^enen Frden Preaae' nicht mehr zugemutet werden 
sollte, macht mein Mitarbeiter Lucianus die fblgende Anmerkung : «Herr 
Marcel Privoat nteunt den modernen tranzflaiachen Roman gegen den 



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22 



müßigen Vorwurf der ,Unsittlichkeit' in Schutz und sagt: ,In Wahrheit 
gibi es Iii allen Sprachen und Ländern eine SpeziüUiteratur für siUlich 
Verkoamene^ «ddie von cievisKnloKB Antoren «od Vcrlcgm «at- 
gebeutet vtrd/ Ich wM nicht» ob dts tehöne Bild der fon den AntafOi 

ausgebeuteten Literatur dem Verfasser oder dem Übersetzer zu dnhen 

i«;t, ich finde aber den S-^tz auch s^^^rem heabsichtißten Sinne nach 
nicht ganz richtig. Die Spezialliteraiur, dit^ Herr Marcel Prevo^t meint 
und für die der Roman ,Cousiiie Laura' von Marcel Prdvost als iypus 
geilen kann, wird sicherlich von keinem auch nur halbwegs sittlich Ver- 
komnifiiieB sdesen. Dm ist diese Uteratar viel nt sdnl «id tangwefllff. 
Sie ist viefanehr gerade fftr die SittUchcn im Sinne dee Henn Pr^mt 
geschaffen, denn nnr Menschen, die unter dem Zwang der erbärmlicMen 
Prüderie leben, vermögen die verstoliletie Lektüre, sagen vtrir I^ievostVher 
Romane als pikanten Reiz zu ernpiinden. Die sittlich Verkommenen 
brauchen so fades Zeug ganz ge^'iß nicht. Herr Prevost und die Porno- 
graphie sind unbedingt Zubehöre der Sittlichkeit, die Unsittlichkeit 
behilft sich ohne sie. ,Viel kommt, glanhe idi, bei eotehen Unter- 
nehmnngen (gemeint ist die »Ansbeatnng der SpesitUHetntnr') nicht 
heruis*, Uhrt Herr Prevost fort. Nun, wieviel dabei heraimhmiiiiii, nmß 
er ja am best ^ i wi?<;ep ; immerhin ist es möglich, daß infolge einer 
erfreulichen Abnahme der Sittlichkeit, wie Herr Prevost sie liebt, die 
Soezialliteratur, deren Vertreter ei ist, von den Autoren nicht mehr 
genügend ausgebeutet werden kann. ,£s ist erwiesen,' ruft er aus, ,daß 
in Frankreich derzeit das . große Pnblikam, das einzige, das Mr die 
Vermögen sbildnng der Schriftsteller in Betracht kommt, 
saft- und kraftlose Literatur haben will.' Schrecklich! Wenn das grofie 
Publikum in Frankreich die Pievosi'schen Snftigkeiten nicht mehr haben 
will, kommen sie vielleicht in die ,Neue Freie Pre^' ■— denn die 
Vermögcnsbildung darf auf kernen Fall aufgehalten werden.« 

Schranze. Der österreichische Olaube, daß das Publikum 

eine für die Bureaukratie geschaffene Institution sei, hat in den Dienern 

des Staates, der Stadt und des Holes ^seine täglich von Neuem 

aufreisende Verkörperung gefuodm. Der immer würstel essende Magistrats- 

beamtCt der die Vorgekideoen warten filßt, der Polizeünspektor, der 

efate Anteige tb Einmischnng fai die Amtshandlung seiner Untitigkdt 

empfindet nnd knuirend blo0 die Oberhoheit dta ZettungaiepoKtat 

nspefctiert — maa kennt und liebt diese Charskterbihler» die, vm dir 

p. t Parteien Haß nnd Oonst venHm, In der Oeschichte der Vlener 

Oemitlidikdt schwanken. Den Oöttem zonlchst aber dilrfie anf der 

Rangsklaasenlelter baicauknüsdien OtOfiehvahna der Hofftbeateriicamle 

zu stehen kommen. Mag das Burgtheater in seinen künstlerischen 

Leistungen immer sicalbare; nach der Tu^ nti der Bescheidenheit streben, 

die Administration verhani auf dem Standpunkt des »hors concours«. 

Ins Himmelreich zu kommen ist so schwer, wie 4u einor Premiä:« Karten 



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28 — 



iit der HofÜieateflEMn zu belomnieB, iber mf Erden ist nichts schwerer 
als dieses. Und nan soll nttr die Ho&ihliiiitsiiiieBe der Überlegenheit be- 
tnditen» mit der solcher Wnnsch tnficnoinmen wfard. Andere Theaterkissen 
haben Ihr Tdephon, nm dem ftafenden PnbUknm unnötige Wcfe zu er- 
sparen. OewIB, audi hier kommen hin und wieder Frediheiten wr, die dem 
nach einem Bfllet fragenden di« Ocnißheit sdiaffen sollen, daß es ancfa 
einen Privattheater-Orößenwahn gibt. Aber die Mittel einer Vorstadt- 
bühne sind dürftig. Da^ Telephon der Hoftheaterkassa funklioniert ganz 
anders. Ein im Cottage wohnender Leser, der mir den folgeiulen Vorfall 
mitteilt, wollte sich den wahrscheinlich überflüssigen Weg in die Rränner- 
straRe ersparen und fragte an, ob noch ein Billet für das Sudermann- 
Ereignis zu haben sei. Solche Vermessenheit wird mit der Antwort 
erledigt, daß das Telephon der Hofthf^terkassa dazu diene, keine Aus- 
künfte zu ertetten. Der Verwegene fragt nach der positiven Bestimmung 
des Tdephons. Die Kassa antwortet, es diene dem Verkehr mit 
»nn s e rew Hofiat«. Auf den antreffenden Cinwandi daß dann dieAnf&hmng 
der Tdephonnammer im Budie flbeiflflssig sei. da sie der Holrat 
sicfaefüch im Kopfe habe, und nur Belästigungen herbeiführen könne» er- 
folgt — wQrtUch — die fanponierende Erklirung: »Das Telephon dient zu 
' unserem höchsteigenen Qebrsuch. Sdilnßl« Schon wird dem Kassen- 
beamten vor seiner Gottähnlichkeit bange, da schreckt ihn ein neuer- 
licher Ruf auf. Wer don? Der Hofrat? Nein, mehr als das! Die .Neue 
Freie Presse' ! Der Leser im Cottage macht sich den Scherz, mit liberal 
gefärbter Stimme anzufragen, ob die Redaktion für den heutigen 
Abend noch Karten haben könne. Stimmungs^'echsel. Der Gebrauch 
des Telephons wird aus einem höchsteigenen ein höchst eigener. 
PrinzipieUes Gestammel, daß sonst zwar Moß mit dem Herrn Hofrat ge- 
sprochen waden dfitle, daß aber die Intendanz in diesem Fall gewiß 
eine Ansnahme msdiai werde: »wir bitten nur Nr. soundsoviel 
anzurufen usw.« — Hoftheaterbehörden werden gegenfiber dem 
Publikum erst dann einen anstindigen Ton anschlsgen, wenn das 
PnbUknm sich cntschHeßen wird, ht die Redaktionett der Wieher BUltter 
ebiznireten. Vielleicht wird dann auch mit jenem unhinteni Kassen- 
manöver bei abgesagten Vorstellungen aufgeräumt werden, durch das 
Beamtenfrechheit ein kaiserliches Haus in eine Schacherbude verwandelt 
hat, mit jener aus Betrug und Erpressung gemischten List, die den 
Käufer noch immer zur Annahme einer nicht t^cwünschten Ware oier 
zum Vetittst der Kanfsumme pressen wilL VieUeidit auch nicht. Denn die 



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— .24 — 



Zdtungen bürden ja wohl auch dann nicht das Maul aufitiachen, um 
der Hotlheaterbehörde zu sagen, uas sie zu hören verdient. Auch dann 
vielleicht wäre der hall Ncidl noch niöglich, die Af faire jenes armen Singers, 
dem der Theatervorhang auf den Kopf g^efallen ist und der sich nun im 
gerichtlichen Instanzeazu«: vergebens eine Pension zu erkämpfen sucht, 
die ihm die Schäbif^keit seiner Vorgesetzten weigert und zu der ihm 
da* Buchstabe des Gesetzes nicht verhelfen vill. Liegt das »eigene Ver* 
•efaitlileii« des Hofthette n m gcs telltea bloß daiin, dafi er eiaeo Kreide- 
Mdi flbenchrittett lu^t? Aach darin, daß er — oicht als Fabrikiarbdter 
^entnglfickt ist. . . . Schmarh Aber du Sjrsteni, daa der Angpxwdä/t dnca 
spanlsdieo Knaben Zebntftusende opfert nnd dem Elend adner Diener 
Vit barter Pfennfgfucbserd begegnet! 

JfSalar. DaS der Herr Banrat Strdt, bf a m kunem Voraland der 
feflnstler g e n o ss en s cha f t, kein diplomstisches Oenie ist, interessiert mich 
nicht. Daß er, ehe die fe-ri.ilichen Kün*^tlergruppcji, seinem Rufe iolßeaü, 
sich zu einträchtit^ein Wirken finden, den Gegner beschimpft hat, dafür 
möge er seinen eigenen Leuten Rede und Antwort siclien. Nicht der Zeit- 
punkt der Rede^ die Rede selbst weckt schmerzliches Bedauern darüber, 
daß der Herr nicht den Mund gehalten hat. Dieses engstirnige Qezeler 
gegen die »Konkurrenz« (sprich: Kannkarenz} und gegen die Unge- 
tKbtiskeit einer staatlichen Vorsehnnar, die das »Ausstellen« außerhatt» 
des Kftnstlerhanaes erbmbe» dieser groteske Angriff auf die Leistensan 
jingerer Kflnsttergruppen, dies bochmüttge Henbaeben anf die Knnat 
»NaachmarUes« nnd der »Marktballec bdsdit eneixlacbe Abvebr. 
ftirdert» daß man diesen privilegierten Erzeugern von Konsiadilnkea und 
Riobaaaer-Wibrsfen dn für allemal sage, daß sie dch mbig zn vnbalten 
nnd die Entwicklung der kflvsflerisdien Dinge nicbt dnrdi laute Reden 
z« stöxen beben. Pnnktum. Das fehlte noch, daß wir 1906 uns die 
Geschmacksrichtung der Anekdotenerzähler von der Lothringerstraße 
okiroyieren lassen! Mögen die Herrschaften auf Gächnasfesten brillieren, 
durch Anziehen von Röhrenstiefeln dem Geist ihres Canon huldigen, 
im »fröhlichen Zecherkreise« Tol snchtsanfälle gegen die moderne Kunst 
zum besten geben und un F.inlletan des .Neuen Wiener Tagblatts' 
Gott und das Wiener Rindfleisch loben — es wird ihnen nichts nützen, 
aber es sei ihnen gegönnt. »Programmatisches« wollen wir von dieser 
Seite nicht mehr hören ! Den Toten ist es höchstens erlaubt, aicb im 
Grabe umzudrehen. Wenn de drdnznreden beginnen, vird man kebi 
Bedenken tragen, mit ihnen pieOHoa zu verfahren. 

Henuitgeber nnd verantwortlicher Redakteur: Karl Kraus. 
QnKfe v«n Isboda an« SM. Wien. III« Htetet ZolhnalBMa S. 

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Die Fackel 



Ml. 191 WICH* 21. DEZEMBER IMS VU. JAHR 



Der Sozialanwalt« 
Qedanken nur ReTiaion dei b(ligorlidi6ii GaBetsbudiM« 

Tolstois der T^BODSchaft zugeschleudertes Hohnwort, 
daB sie auf alle wirldieh das Herz bewegenden Fragen die 
Antwort schuldig bleibe, hat woU keinen Ewigkeitswert, 

aber es trifft Tielleieht zu, wenn man damit den genüg- 
samen Betrieb geißelt, der an den Pforten aller großen 
Problt^nie stehen bleibt. Am aufreizendsten wirkt diese 
Lebensfremdheit bei den Hilfswissenschaften der Staats- 
kunst, weil deren ganze Rechtfertigung auf ihrer Umsetz- 
barkeit in Tat, ihrer Verwertbarkeit beruht. So entspringt 
eine gewisse geheime Abneifxung '-^^c'en die Jiu isterei dem 
BewuÜtsein, daß alle Kenntnis und feinste Ausgestaltung 
der Bechtsbegnff^? nicht über die tiefe Erniedrigung trösten 
kann, der das Recht im wirklichen Leben unterliegt. 
Es fordert den Widerwillen heraus, zu sehen, wie sich die 
Professoren in der Terfeinemng und Yerftstelung der Theorie 
nidit genug tun können, indes die Bechtsdurchsetzung eine 
Chimäre bleibt. Man müfite meinen, dafi es gar keinen Beiz 
besiteen könne, das Recht theoretisch auszugestalten, so- 
lange die Kunst noch nicht erfunden ist, den Menschen 
zu ihrem Hechte zu verhelfen. 

Die Abneiguiig richtet sifh also nicht gegen die 
Wissenschaft sondern gegen die Richtung, die der 
geistigen Arbeit gegeben wird, gegen das Versäumen des 
Dringenden, diis alle Kräfte auf sich lenken müßte. 
Gegen diese Forderung wird freilich eingewendet, daß dies 
Sache der Verwaltung sei und die Wissenschaft nichts an- 



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— a — 

gehe. Aber es wäre erst zu untersachen, ob die rnangfel- 
hatte Rechtsdurchsetzung nicht der materiellen Kechts- 
ordniin^ mv Last fällt, insofern diese von einem getrftiimten 
Zustand ausgeht und deshalb eine lebendige Hand- 
habuDg nicht gestattet Mit diesem Yerdaoht alao hitte 
sich die Wissenschaft auseinanderzusetzen. 

Das Recht hat ein dreifaches Antlitz. Die Satzung 
ist wirkliches Recht unter gleich Starken. Sie ist ein 
Werkzeug der Tyrannei in der Hand des Starken gegen 
den Schwachen ; Maske der Macht, wie Ihering sagte. Sie 
ist drittens ein Irrlicht, eine Illusion, wenn sichs der 
Schwache einfallen läßt, sich ihrer gegen den Starken zu 
bedienen. Unter gleich Starken ist das Recht ein wert- 
volles Instrument der Verständigung, ein voiausbeslimmter 
Vertragsteit. Es ist eine schreckliche Waffe in der Hand 
des ohnehin Mächtigen und ein Popanz in der Hand des 
Unterdrückten. In der Mitte liegt wohl das Recht, aber 
rechts und links ragen zwei Felsen, an denen es zerschellt : 
Beclitshohn und Kechtsmißbrauch. 

Hechtshohn und Becbtsmißbrauch sind die beiden 
Pole, zwischen denen das Becht oscilliert. 

Ich habe dich zu Boden geschmettert und besi^ft» 
leh kniee auf deiner Brust, du bist in meiner GewiSt» 
Dieser Zustand ist auch mir, dem Sieger, auf die Daner 
unbehaglich ... leh gestatte dir, di<di unter gewissen Be- 
dingungen zu erheben, damit ich Ton meinem Siege aus- 
ruhen kann und nicht so bald eine Umwälzung der Situation 
zu befürchten habe. Das ist die eine Gruiidfoim des iiechts. 
Wir haben wiederholt miteinander gerungen mit wechselndem 
Glück, mit einem nnverhältnismäßigen Aufwand von Kraft. 
Wir beschlieüen daher, uns zu einigen; wir Kleiden unsere 
Interessen in Satzungen. Das ist die andere Grundform 
des Bechts. 

Die wissenschaftUche Jurisprudenz befaßt sich mit 
dieser Form aUein. Sie blicl^t über die Klassen- 
unterschiede hinweg, unbekümmert darum, was diese aus 
ihrm heiligen Begeln machen« oder sie flberl&fit die 
Ordnung dieser Widersprache der Soxiaipolitik und der 



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Staatskunst. Die JimspnideTiz erleicht einer Mutter, die 
ein Kind in dip Welt setzt, aber für 'Üh Eihaltung des 
Kindes nichts fürderhin tun will, es dem Zufall oder der 
Mildtätigkeit anderer übeilieierud. Sie iat eine Erzsüef- 
matter ilires Kindes. 

Indem sie es verschmäht, dem eigentlichen Problem 
nftherzutreteD, ofifenbart sie auch ihre Gleichgiltigkeit gegen 
das KlassenschickRaly sie abstrahiert davon, sie verleugnet 
es» und wird dadarcb sogar eio&itig. Die Einfalt Uegt 
darin, daB sie verkennt, wie auch innerhalb einer Klasse 
ihre Absiditen nicht sum Darchbmch kommen, weil der 
Znstand der Stärke nnd SebwSche auch unter Ebenbürtigen 
fufallsweise wechselt und der RechtsmiLibraucher wie der 
Bechtsverhöhner häufig solche Individuen sind, die nur eine 
Augenblickscliance in die Position des Stärkeren rückt. 
So schützt die Rechtsordnung z. B. den Wucherer auch dann, 
wenn er zufällief s^f^rade jener Gesellschaftsklasae angehört, 
die grundsätzlich unterdrückt werden möchte. 

EechtämiUbrauch ist die Ausbeutung eines liechtes 
XU Zwecken, die außerhalb der Absichten der Bechts- 
Ordnung liegen und der Sittlichkeit widersprechen. Der 
Typus dafür ist der Wucher. Aber jede wie immer gear* 
tete Position kann wucherisch ansgenfitst werden, der 
WaAer ist nicht allein anf das Terhftltnis Arm und Reich 
beschränkt, sondern jedes anch vorabergehende Abhängig- 
keitsverhältnis, jede Monopolstellung kann Aasgangspunkt 
eines wucherischen Angriffs werden. Wenn die Rechts- 
ordnung dem Wucher nicht beikomrat, so rächt .sicii darin 
ihre Kiirzsichtigkeit: daß sie es gar uiclit lur ihre Aufgabe 
halten will, der ökonomischen Unterlape ihrer Gebilde auf 
den ürund zu gehen. Erst durch die Einbeziehung dieser 
Materie in die Zivilrechtsordnung, durch dU) Ni- htiger- 
klärung wucherischer Ansprüche, beziehungsweise gewisser 
Verpflichtungen, also durch Umwandlung sozialpolitischer 
forderangen in materielles Recht wird der Seuche ernstlich 
an den Leib gerückt. 

Wie steht es aber mit dem Rechtshohn? Unter 
Bechtshohn, inioria« ist an verstdien das einfache Igno- 



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rimB des Beohts tiu Übermut mi Bosheit^ rechtsfeind- 

lieber Gesinnung, die aus der Sicherheit entspringt, 
daß der Gegner sein Reciit nicht verfolgen kann. Ihm 
steht die KeclitsveiDachlässigiing nahe, die gleichsam 
eine chronische Erkrankung des Rechtsbewußtseins darstellt 
und einem perennierenden Selbstmord nicht unähnlich isi. 
Die VeifoliTunur eines Rechtes kann ebenso durch ökono- 
mische Schwäche und Verzweiflung an der Justiz, als 
auch durch eine zufällige Konstellation gestört sein. Sie 
kann etwa dadurch verursacht sein, dafi irgend ein 
Becbtsgeschäft nicht genügend gesichert wurde. Nehmen 
wir zum Beispiel an^ jemand yerpflichte eich, etwas su 
leisten, und empfange dafür das Yerspredien der anderen 
Partei, daß sie in einem spätem Zeitpunkt eine Handliing 
setzen werde, die nur an diesem einen Tage dnen Wert 
hat. Jener Teil leistet das Seine und erwartet die Gegen- 
leistung. Der andere Teil läßt nun den Termin heran 
kommen und versäumt böswillig die Leistung. Die Leistung 
kann nicht mehr eingeklagt werden, da der entscheidende 
Tag vorüber ist, und wenn aus Vertrauen auf die Anstän- 
digkeit keine Konventionalstrafe festgesetzt wurde, so 
kann kein Gerichtshof der Erde Genugtuung schaffen. Es 
liegt dann unsübnbarer Kechtshohn vor, der ohne Ver- 
schiedenheit der ökonomischen Lage durch eine brutal 
ausgenützte Konstellation mOglich war« 

In der Kej^ei aber sind die wirtschaftlich Schwachen 
das Opfer permanenten Kechtshohns und ihrer eigenen 
Rechtsvernachlässigung. Der Arme darf es prnr nicht wagen, 
sein Hecht geltend zu machen^ weil sein Kontrahent in 
der Bogel sein Brotherr ist. 

Dem liechtsholin ist noch schwerer beizukommen 
als dem Rechtsniiidu auch. Dieser springt deutlich in 
die Augen, uird sichtbar; er hat die Erfindungskraft der 
Sozialpoliüker gereizt. Der Wucher hat immerhm die 
Auf(nerksamkeit auf sich gezogen. Aber der schweigende 
Rechtsverzicht — die Ausbeutung, das stumme Einverständ- 
deä OpferSt das den Monopolherrn nicht reisen darf 



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— 6 — 

und badiBgangsIos in seiner Oewalt bleibt — wird kamn 
entdeckt, gesehweijzre denn geeflhnt. 

Wäre es nicht Aufgabe der Jnrispnidenz, sich mit 
dieser am Yolksmark zehrenden Krankheit zu befassen? 
Aach hier wieder drängt sich die Frage auf, ob das Laster 
des Eechtsverzichts nicht die Folge einer grobmaschigen, 
nndnrchdaehten materiellen Bechtsordnung, ob nicht das 
Zi?ilrecht nnsnreiehend sei. 

Das vollendete und warhaft erhabene Zivilrecht wird 
jenes sein, das die Kechtsverfolgung, diu Kechtsdu rch- 
setzung in seinen materiellen Inhalt aufgesogen hat, das 
die Ungleichheit aus sich selbst heraus balanzi^Tt, den 
ProzeO, bevor es dazu kommt, zu «Juristen der wahren 
Gerechtigkeit entsclieulet. Bis zu jenem Zeitpunkt, wo 
diese Aufgabe erkannt ist, und bis zu jenem ferneren 
Zeitpunkt, wo sie gelöst sein wird, muß durch Errichtung 
neuer Institutionen, die das Unrecht wenigstens einiger- 
maßen korrigieren, Ersatz geschaffen werden. 

Dem Wucher suchen das Strafgesetz und der Staats- 
anwalt beizukommen. Vv\n Kechtsliolm tritt bislang^ keine 
Institution entgegen. Hier bedarf es tifit^r iSeuschupfung. 
Die Kepression nuili durch einp oferegelte systematische 
Intervention ergänzt werden. Wird der liechtsmißbrauch 
vom Staatsanwalt verfolgt, so muß der Kechtshohn, die 
Bechtsvernachlässignng vom Sozialanwalt aufgegriffen 
und lurftckgewip^rn werden. Notwendig ist das spontane 
Einschreiten der die Gesellschaft vertretenden Oewalt« 
die das auf dem Boden liegengelassene Becht ohne 
BQcksieht auf die Zustimmung des Verletzten aabimmt 
und von amtswegen verfolgt. Die Oesellschaft wird einst 
erkennen, daß es nicht in ihrem Interesse liegt, wenn anf 
ihre gesatzten Rechte verzichtet wird. Der Sozialanwalt 
hat überall einzuschreiten, wo Rechte geknickt werden, 
wo krasse Ausbeutung und Menschenschändung durch 
pi ivatrechtliche Gewalt srcübt wird, gegen die der Ver- 
letzte sich nicht verteidigen kiH'Ti. Der Sozial^^erichts- ^ 
hof hätte dann auszusprechen, daß eine ansittliche liechts- 



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verliOhnnng, diffamierende Ausbeutung oder geiellschift»- 
feindlicbe Ausnützung eines Monopols yorliegt 

Daß der moderne Wolfahrtsstaat, der seinen Arm 
dem BegQterten leiht und ihm seine Allgewalt selbst dort 
zar VerfQgung stellt, wo er z&hnekntrscbend das Widerliche 
der Ansprüche durchschaut, daß dieser Wohlfahrtsstaat 
eigentlich eine solche ergänzende Maclit braucht, ist ein- 
leuchtend. Und wenn wir unseren Blick durch die Zeiten 
schweifen lassen, so finden wir, daß es bereits Staatswesen 
gegeben liat, die für die positiven Rittliclion Pflichten 
der Bürger ihr eigenes Ermunterungsorgan besaJJen, nämlich 
die antiken Staaten mit ihrer Zensur, deren Wiederauf- 
leben im Zeitalter der ökonomischen Notzucht ganz 
aaßerördentlich segensreich wäre. Vielleicht konnte eine 
nach großen Gesichtspunkten, etwa dem Gtewerbe-Inspek- 
torate nachgebildete Wohlfahrtsbehörde dann soviel Material 
und Einsicht vorbereiten, daß jene höhere Bechtslehre^ 
Ton der wir tr&amen, tu jenom eriiabenen Zivilrecht den 
Weg f&nde, in dessen materiellem Inhalt alle ünsulftogUoh- 
keit mid Lage anfgeldst ist. Bobert Scheu. 

Zwdl Bflcher. 

I. 

Die Reva che d( r Kulturgeschichte. Als die römische Kirche 
herrschte, trug die offizielle Weltanschauung den Kamen Re- 
ligion, die Wissenschaft war gezwungen, im Gewand des Glaubens 
Jünger zu werben; Naturbetrachtungen gaben sich ffir Oedanken 
über Oott und seine Wdsheit aus. Heute ist die allein selig- 
machende Wissenschaft im Besitze der^ öffentlichen Ancrkennuna: 
Nun aber werden heilige, sittliche Überzeugungen, die auf un- 
bewicstnen Glaubenssätze!! bcrübeii und ihrem mnerstcii Wesen 
nach den religiösen Charai<ler liaben, für Naturforsclni n?r und 
NatuierkeiuUnis ausgeboten. Es deckt der Name Wissenschaft statt 
nfichterner Betrachtung und ihrer Resultate das hohe Ued von der 
Rassezucht, die Bannformel gegen den Erbfeind Alkohol. Fest- 
stellung und Erläuterung des Dogmas vom Zweck der Liebe. Das 
aber Inntet: »Beim Menschen wie bei jVdem Lebewesen ist der 
iiiiinaiiente Zweck einer j^den sexuellen Funktion, somit auch der 
sexuellen Liebe« die Fortpiianzun^ der Art«. 



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\ 

I 
I 



Bfw Anachauung» die für dte nfederrtoi Lebewesen nur 
Annähernd Qeltuns: hat, wird hier zum offenbaren Unsinn durch 

die winkiirlirhe Ausdehnung auf m"nschl'che Verhäftni?se. Ver- 
geblich welirt sich ] "des klare Denken. In seiner »Analyse der 
Empfindungen« nimnjt Ernst Mach zur Frage iolgendermaßen 
Stdiung: »Die ErhaUung der Art ist überiiaupt nur ein tatsächlich 
wertvoller Anhaltspunkt für die Fortpflanzunsr» kdneswefss aber das 
letzte und höchste. Arten sind ja wirklich zugrundegegangen, und 
neue wohl ebenso zweifellos entstanden. Der Lust suchende und 
Schmerz meiderde Wille muß also wohl weiter reichen nl_> an die 
Erhaltung der Art. E^- erhält die Art, wenn es sich lohnt, er ver- 
nichtet sie, wenn ihr Befund sich nicht mehr lohnt. Wäre er mir 
auf Erhaltung der Art gerichtet, so bewegte er sich, alle Individuen 
und sich selbst betrügend, zweifellos in einem fehlerhaften Ztrkd. 
Dies wäre das biologische Seitenstück des berüchtigten physikali- 
schen perpetttum mobile«. Vergeblich führt man die ungezählten 
Folgen der sexuellen Liebe an, die mit der Fortpflanzutnr der Art 
nichts gemein haben. Im Geistesleben, in den Schöpfungen der 
Kunst, auf alUn Gebieten der Kultur sind sie zu finden. Aber vor 
dem genannten wissenschafliiciien Dogma sind und blt^iben sie 
nur Abiming vom Immanenten Zweck. Angesichts der WirkUdi- 
kdt erscheint ein Versuch, die sexuellen Erscheinungen von diesem 
Grundsatze aus zu erklären, so absurd, als wurde jemand, der ein 
Oemrilde zu beschreiben hätte, vorerst sorgfältig harbe und 
Zeichnung fortkratzen, und dann seine Aufgabe lösen wollen, 
indem er die Struktur der blüßgelrgten Lein wandfasern erklärte. 

»Die sexuelle Frage. Eine naturwissenschaftliche, psycho- 
logische, hygienische und soziologische Studie für Gebildete«. Mit 
diesem Titel ist das Glaubensbekenntnis des Herrn Professor 
August Forel über das Geschlechtsleben des Menschen im Buch- 
handiel erschienen. Unzählige Richter und wenige Denker haben auf 
diesem Geb'pt das Wort ergriffen. Hm-o schlimmer, daß wieder nur 
ein sittliches Etwas im wissenschaftlichen Löwenfell verborgen ist. 
»Die Sehnsucht des menschlichen Gemütes und die Erfahrungen 
der Soziologie der verschiedenen Menschenrassen und geschicht- 
lichen Zeitperioden mit den Ergebnissen der Naturforschung und 
den durch dieselben ans Licht gefördeiten Oesetzen der psychischen 
und sexuellen Evolution in narmon Ischen Einklang zu bringen c, 
so wird verheiße^n. Der gebildete Leser der vielbenannten Studie 
staunt vorerst über den Faktor »Sehnsucht des menschlichen Ge- 
mütes«. Später erkennt m^n seine Bedeutung; denn eine gar ge- 
waltige Menge vom üemut des Herrn Professors ist mit nur 
wenigen Erfahrungen in Einklang gebracht. 

Eine große Zahl von Problemen wird berührt. Diese sexuellen 
IPünktionen, als deren Zweck im vorhinein die Erhaltung der Art 
proklamiert ist, sie haben seltsamer Weise im Laufe der Kultur* 
cesdiicfate Beziehungen erlangt zum Qdd und zum Besits. zur 



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Religion, zum Recht, zur Medizin, zur Ethik, zur Politik imd tut 
Nationalökonomie, zur Pädagogik, zur Kunst und zur Suggestion. 
Das allö§ wird abgehandelt, auf all diesen Gebieten wird medi- 
zinisch amtsgehandelt. Für den InhaU dieser Erörterungen wäre 
»nichtssagend« keine passende Bezeichnung, denn dieses Niditi 
wird nie gesagt, es wird geschrieen, bekrifligt, ei-w o ge n und tottm» 
haft verfochten. Wenn man die merkwürdige Entdeckung: »Ver- 
schieden sind beide Geschlechter, das ist gewiß* nl> Probe für die 
Neuheit des Inhalts iierau-.greift, so ist diesem Inhalt nicht zu 
nahe getreten. Keine der so oft gehörten Banalitäten des Durch- 
schnitisreformatorä auf sittlichem Gebiet, der nicht die Reverenz 
bewiesen wird; nichts allgemein Qesdinähtes, das sdnem neuer- 
lichen Fußtritt entgeht Gelobt wird: das Sittliche, Reine, Ideale, 
Erhabene. Getadelt' wird: das Schmutzige, Pathologische, Ver- 
\verfliche. Definiert wird von dem allen nichts. Störend sind 
naturwissenschafiliche Angaben, die sich ab und iu in die Darlegung 
der sittlichen Überzeugungen des Autors eingeschlichen haben. 

Die Beziehungen der sexuellen Frage zum Hochmut des 
Beurteileis stehen nicht im Inhaltsveraddinis. Desto wdtttuligar 
sind sie praktisch im Texte dargetan, wo es gilt, Eischetnungen 
abzuurteilen, die aui'er dem Bereich der Kenntnisse des Autors 
stehn. Lob und Tadel, in ihrer flachen Allgemeinheit gleich wertlos, 
tönende Phrasen an Stelle des Vtrsteht-ns. Typisch für diese .Art 
ist die Scheidung von Kunst und Pornogrnphie : »Wir haben 
besseres zu tun als die wahre Kuusi und die genialen Darsteller 
sozialer Perversitäten za verfolgen nnd zu verunglimpfen. Mit der 
Pornographie ist es ein ganz anderes Ding ! Hier wird das sexuelle 
Laster nicht geschildert, um es in seiner Häßlichkeit oder in seinen 
tragischen Konseqnenzen zu kennzeichnen, sondern um es ?u ver- 
herrlichen, ihm em hohes Lied zu singen und ihm ] im fr er /u ce^vinriLii «. 
Also in der Absicht liegt der Unterschied, der Zweck aikm ent- 
heiligt das Mittel ; ob aber die »wahre Kunst« sich auch immer 
der Aufgabe, das Laster In seiner Häßlichkeit zu kennzeichnen, 
bewußt ist ? 

In den medizinischen Gebieten ist die vorgefaßte Über- 
zeugung ein schlechter Ratgeber des Autors gewesen, in allen 
anderen hat ihm auch der gefohlt. Es ist im ganzen Werk nur ein 
Beweis schlagend gelungen. Das ist der des einleitenden Satzes: 
»Die sexuelle frage gehört zu denjenigen, bei deren Behandlung 
man den meisten Entgleisungen ausgesetzt ist«. Nur etwas weit* 
läufig ist der Beweis auf fast 600 &iten ausgefallen. Nach der 
Lektüre möchte man meinen, es wäre dieses Jahrhundert der 
Forschung^ nie gewesen; man hätte in der Naturerkenntnis nichts 
gelernt, vom dogmatischen Irresein des Miudalters nichts vergessen. 

n. 

Drei Abba uilnng^en zur Sexur. Ithcorie von Pro- 
fessor Dr. Sigmund Freud. In der i^orm seiner Veröifent- 



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^ 9 



UrliMljrii beweist Professor Freud, daß wissenschaftliche Arbeit, 
ohne an sachlichem Emst einzubüßen, klar und jedem Gebildeten 
verständlich sein kann; daß ein wirklich vorhandener Oedanken- 
inhalt nicht für den engen Kreis der Fachgenossen, sondern für 
alle, die den Gedanken als solchen werten können, bestimmt sein 
kann; daß Geist und Stil' für wissenschaftliche Darstellung doch 
mehr bedeuten als eine Konzession an den Laien. Kurz, daß es 
nidti zweierlei Wahrheit gibt; heutzutage ebenso wenig eine wis- 
senschaftliche und eine populäre^ ab CS einst eint philosophische 
und eine göttliche gegeben hat. 

Die populäre Meinung und die wissenschaftliche Behandlung 
des sexuellen Themas gehen heute beide von derselben Voraussetzung 
aus. Das ist die kaum je in Diskussion gezogene Überzeugung von 
der Richtigkeit jener Anschauungen, denen Schopenhauer in seiner 
»Metaphvsik der OeschlechtsHeoe« Ausdruck eegeben hat. >Der 
Endzwedc aller Liebeshändel, sie mögen auf dem Sockus oder dem 
Kothurn gespielt werden, ist wirklich wichtiger als alle anderen 
Zwecke im Menschenleben, und daher des tiefen Ernstes, womit 
jeder ihn verfolgt, völlig wert. Das nämlich, was dadurch entschieden 
wird, ist nichts Geringeres als die Zusammensetzung der nächsten 
Generation.« Aber außer ihrer prSgnantesten Fassung gab Schopen- 
haoer dieser Anschauung noch eines, dtt sich in späterer Zeit als 
schlimmes Geschenk erweisen mußte: ihren Namen, den Namen 
der Metaphysik. In der Tat, die Physik der Liebe ist Physio- 
logie und Psychologie der individuellen Wollust. Darin ist aber 
auch das einzig mit Sicherheit vorhandene enthalten; das einzige, 
das ohne vorgefaßte Theorie gegeben ist, das allein Objekt empi- 
rischer Wissenschaft sein kann. Erhaltung der Art, Trieb zur 
Zeugung, Soige fflr kfinftige Qencrttion, das ist sehr interessante 
— Metaphysik der Sinnlichkeit, steht aber zu ihr, dem wirklich 
Erforschbaren, in demselben Verhältnis wie der christliche Himmel 
zur Erde. Die medizinische Forschung auf diesem Gebiet geht also 
denselben Weg, den Philosophie und Wissenschaft in der euro- 
päischen Kultur überhaupt gegangen sind. Sie findet eine gegebene 
Metaphysik vor (hier die von Schopenhauer angeführte — dort die 
vom Klerus gutgeheißene), zu der sie die Physik zu suchen bat »sie 
lernt im Laufe ihrer Entwicklung postulierten Natuizwecke 
entraten, und ist zur wirklichen Wissenschaft geworden, wenn sie 
voraussetzungslos geworden ist. Auf diesem weiten Weg, vom 
Himmel herauf zur Erde, bezeichnet das Buch F<jrels kaum den 
Anfang und das wenige Monate später erschienene Freuds bereits 
das ZidL Stdit Foiel auefdiogs noch unter dem Niveau der heute 
erreichten Wiasenschaf tUchkdt auf sexuellem Od>iet, so steht Freud 
wdt darfiber. 

Die drei Abhandlungen - Die sexuellen Abirrungen, Die in- 
fantile Sexualität, Die Umgestaltungen der Pubertät — geben den 
QnuKi]ü& der Wissenschaft vom Geschlechtsleben des Menschen. 



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10 



Kein letztes Wort, aber in unzShUgen PtMeaun das erste 

nüchterne, wertvolle Wort. In der erstgenannten Abhandlung^ 
trennt der Autor seine Anschauung von den Vorurteilen, die die 
populäre Meinung verfälschen. Sie »macht sich ganz bestimmte 
Vorstellungen von der Natur und den Eigenschalten dieses Qe- 
s^kditBtmies. Er aoll der KHidhdt ffehleiii sich um die Zeit wad 
im Zittammenhang mit dem Rdfungsvofgang der Pubertftt ein- 
stellen, sich in den Erscheinungen unwiderstefaUciier Anziehung 
äußern, die das eine Geschlecht auf das andere ansübt, und sein 
Ziel soll die geschlechtliche Vereinigung sein oder wenigstens solche 
Handlungen welche auf dem Wege zu dieser liefren. — Wir haben 
aber allen Grund, in diesen Angaben ein sehr ungetreues Abbild 
der Wirldicbkeit zu erblidcenc Der Methode, die Säritt fflr Sdiritt 
das Vorhandene prüft, werden Erscheinungen zu wertvollen 
Quellen der Erkenntnis, die minder flberl^ener Beurteilung 80 
oft zur Zote geworden sind Es ergibt sich für das Wesen des so- 
genannten Geschlechtstriebes, »daß die Anlage zu den Perversionen 
die ursprünghche aili^etneiiie Anha^^e des mensch heben Geschlechts- 
triebes sei, aus wtkiicr das nürniaie Stxualverhaiten infolge or- 
ganisdier Veränderungen und psychisciier Hemmiuigeii im Lnife 
der Reifting entwickelt wird«. Der ÖitwicklungBweg dieser Ver- 
änderungen wird in den beiden anderen Abhandlungen verfolgt 
Eine gekürzte Wiedeisiabe des Inhalts könnte ihm nicht gerecht 
werden. 

Wirklichkeit und ihr Sinn bilden den Gegenstand des Buches. 
Der herkömmlichen Metaphysik weiß es zu enibehren. Von ihr 
übernimmt es nur die Terminologie von »Normal« und »Pervers«. 
Das ist schon deshalb unumgänglich, weil kdne anderen 
Ausdrfldce lieute zur Verffigunfi: sfehen. 1^ sie hier kein Wert- 
urteil bedeuten, ist mit den Worten ausgesprochen: »Der nttbe> 
friedigende Schluß aber, der sich aus diesen Untersuchnngen Tiber 
die Störungen des Sexuallebens ergibt, geht dahin, daß wir von 
den biologischen Vorgängen, in denen das Wesen der Sexualität 
besteht, lange nicht genug wissen, um aus unseren vereinzelten 
Einsichten eme zum Verständnis des NcH-malen wie des FaHioia- 
{ladien genügende Theorie zn gestalten.« 

Hier ist die erste uiAassende Darstellung einer reinen Riyalk 

der Liebe gegeben. — Ein Teil dieser Liebe, jener, der den Namen 
Geschlechtsliebe führt, hat, wie einganfiis erwähnt, seine Metaphysik. 
Darin besteht also allein sein Vorrang vor jedem andern, Wollnst 
auslösenden Tun, Ob es auch wirklich em Vorrang ist, ob eine Sache 
durch einen Schatten, den sie in die Zukunft wirft, an Wert ge- 
• winnt — das bleibe unentschieden. Tatsache ist es, daß dieser 
Schatten, eben diese Metaphysik aiiein Wertmafistab der Uebe im 
sndalen Leben gewesen ist; daß diese, mit dem wissenschaftlich 
so gering geschätzten Namen zu bezeichnende Zweckinterpretation 
alkin die uesetzgebung der europüsdien Staaten, die Sittiichkeits* 



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becrflle dar KuttonitenMlilielt behemdii Nur eine Frage ist zu 
Iten. Ob bei jeder anderen Wollust wirklich die MögUcfakeit fehlt, 

natürliche Zwecke in ihren Folj^en nachzuweisen, ~ ebenso natürlich 
als die Erhaltung der Art es ist; ob die Metaphysik der Nicht- 
gesciiiechisiiebe undenkbar ist, oder nur unbekannt, weil sie nicht 
gesucht oder noch nicht geschrieben wurde. 

Otto Soykt. 



Die LehrmitteL 
(Noch ein Vorurteil). 

Und flberiiflupt die Sdiule. Zum Beispiel: »Lehmitlel.« 

Schon das Wort ist so häßlich, daß es tiefe Melancholie erzeugt. 
Ich glaube, das »LehnniUclkabiiicil* ist für unsere Zeit dasselbe, 
was für das Mittelalter die Folterkaniiiiei war. Die Elektrisier- 
maschine entspricht dem Streckbett, die Leydnerf lasche der Daum- 
schraube, die Luftpumpe dem spanischen Stiefel. Wenn man zur 
»Lehre von der Elektrizität« kommt, so ist der typische Vorgang 
der: Der Schuldiener bringt dem Professor ein häßliches und ab- 
surdes Kongiomenit von Qlas, Harz, Messing, Tuch, Holz» Leder . 
und sonstigen wertlosen Stoffen. Der Lehrer hält nun einen län- 
geren Vortng, in dem die Worte »negativ« und »positiv« in der 
J^joritit sind, und behauptet, es hinge nur von ihm ab, aus dem 
abscheulichen Monshimi, das vor ihm steht, Funken zu sdihqsen. 
Er drdit dann ziemlich lang an einer Knrbel und erzeugt ein 
quälende» Knarrgeräusche, jedoch keine Funken, was übrigens 
niemanden in der Klasse Wunder nimmt, da man es ja von vorn- 
herein für ganz ausgeschlossen gehalten hat. Am Schluß sagt er: 
>Nun, es muß etwas in der Leitung nicht in Ordnung sein, aber 
das Prinzip der Sache ist ja jedenfalls klargestellt Ich werde 
morgen daraus prüfen.« 

»Lehrmittel« sind Dinge, die es eigentlich nicht gibt. Oder, 
nm die Sache ganz genau anszudrflcken: Lehrmittel sind Dingel« 



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— 18 - 

die die Natur eigens geschaffen hat, damit der Lehrer sagen könne: 
»Ihr seht, hebe Kinder, wie sich die Natur bisweilen auch in ab- 
sonderlichen, ja abstrusen Formen g^elällt.« So daß man es eigentlich 
als eine Liicke in der Bibel empfinden muß, daß nicht von einem 
der Scböpfungstage gesagt wird : >Und üott schuf die Lehrmittel.« 
Denn sie bilden wirklich innerhalb der Schöpfung eine Gruppe für 
sich. So bin ich zum Beispiel fest überzeit^^t, daß die »Eisenblüte«, 
die in keinem Lehrmittelkabinctt der Erde fehlt, nur für Lehnnittel- 
kabinette geschaffen wurde. Die charakteristischeste Eiganchaft dieses 
Gesteins oder Metalls oder Oebüschs oder OewQrms » oder wie 
CS sonst zu bezeichnen ist — besteht darin, da6 es in nichts an 
Eisen und in nichts an eine Bifite erinnert Mehr kann niemand 
von ihm aussagen. Ich könnte noch vleto Naturprodukte anführen, 
die hiehergehören. Aber ich glaube, jedermann kennt ihrer genug. 
Auf das bcliebie »Ichneumon« möchte ich kurz hinweisen, 
weil nämlich alle Anzeichen darauf schließen lassen, daß es er- 
funden ist und daß die Krokodile ihre Eier selbst essen. Es durfte 
eine geschmacklose und schlerderhaft gearbeitete Attrappe sein, 
die von Mutter Natur bei dem Ansverkanf einer kleinen Konditorei 
billig erstanden wurde. Aber zum Schluß muß ich noch vor dem 
»Oürteitier« warnen, weil ich von diesem Tier nämlich ganz 
bestimmt weiß, daß es bloß in den Lehrmittelkabinetten 
sdn Fortkommen findet, während es in der Natur fiberhaupt nicht 

Egon Frieden. 

Das schwarze Buch. 
Yoa Petor Altonberg und ^gon FriMlolL 

Wir alle haben unter gemeingefährlichen Menschen zu 
leiden. Weil wir uns zu lange mit ihnen eingelassen haben. Wie 
leicht wäre ein Solcher im Anfang der Bekanntschaft abzu- 
schütteln 1 Aber man erkennt ihn erst später. 

Wir wollen helfen. Wir haben damit begonnen, ein 
>schwarzes Buch« anzulegen, in das eine Reihe von Bemerkungen 
eingetragen werden, durch die ein Mensch sogleich seine Zugehörig- 
keit zu jener ffichterlichen Klasse kundgibt Wer eine solche Be- 
merkung von sich gib^ dem hat man unvcTEaglidi den Verkehr 



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19 



zu kündigen; man hat ihn nicht mehr zu grüßen und ihm einen 
Brief TW sciireiben, in dem man ihm eine andere Stadt als Wohn- 
ort anrät. Alle Freunde sind vor ihm zu warnen. Wir machen 
unsere /ersten Eintragungen hiemit bekannt und bitten alle Leser 
um Mitteilungen zur Vervollständigung unserer Litte an die Re- 
daktion des »Schwarzen Buches«. 

1. MeiM Henen! Ich weifi nicht, wie Sie über die Sache 
denken, aber ich muB Ihnen aufrichtig sagen: Idi halte den 
Selbstmord einfach für dne Feigheit. 

2. Ja, — Nietzsdie. Sehr interesnnt Aber finden Sie nicht 
auch: wie er adne letElen Sachen g^sdnrleben hat, war er dodi 
schon nidit mehr ganz bei sich. 

3. Ich bin Sie, die Juden sind auch Menschen. Ich kenne 
gute Juden und schlechte Christen. 

4a. (Über die Tatsache, daß eine Ansichtskarte verloren 
• ging::) Aha, Briefe, die ihn nicht erreichten. 4 b. (Über den Physio- 
logen Vcrv-'orn in Göitim/eii ; i Sc hreibt der auch verworr'n? 
(NB. Diese beiden Bemerkungen sind als Repräsentanten zweier 
großer Gruppen aufzufassen.) 

5. (Im Qasthause:) Sie, was essen Sie denn da für dne 
merkwürdige Sache? Lassen Sie mich kosten — . 

0. (Zu dnem Schriftsteller:) Sagen Sie, Herr Doktor, was 
haben Sie jetzt unter der Feder? 

7. (Ehler sagt: Gestern hab Idi dne jung» Sdian^derin ab 
Grille gesehen« Sie war ausgezdchneO« Lassen's midi ansl Da 
hätten Sie die Qoßmann sdien müssen! 

8. (In einem Gespräch überSekt-Marken:) Ich sag Ihnen, ein guter 
Gespritzter, schöu aiisgekiihlt, ist nur lieber ais der bebte Champagner. 

9. (Über eine Dame, die mit drei Herren sitzt; in ver- 
traulichem Tone:) Sagen Sie, Sie wissen das doch sicher: welcher 
von den Dreien ist denn »derjenige, welcher«? 

10. 'Über einen Herrn, der soeben die Oesellschatt ver- 
käsen hat:) Ein sehr netter und gescheiter Mensch. Aber sagen 
Sie mir: von was lebt der eigentlich? 

11. (Ober ein naturalistisches Stück:) Die Kunst soll «ns 
erbeben. Den Sdmratz der Gasse habe ich au Hanse. 

12. (Zum Herausgd>er der ,Fackd':) Sagen Sie mir, ich 
bitt' Sie, was haben Sie dgenüidi geg^ den ? 



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Mi-«* 



ANTWORTBN DBS HBRAUMBBBRff. 

Kinderfreund. Im Wiener Landesgericht ibt das folgende 
tn Herrn Hofrat Feigl adressierte Schreiben eingelaufen: »Hocbgeebrter 
Herr Prisident ! Im BoToradmieii mit mdnem VoritiBde, dem Diicklor 
der Staatt-Realacbiile Im VII. Bezitte, NeostiftstMe 95, llbcrrelclie kh 

schriftlich dem hodilöblicben Oeriditshofe beiliegende Belege, die den 
Charakter d<»s Kronzeijo^en im Prozesse Reer anders beleuchten a^s dies 
von Seiten der Mutter geschah, ich habe knapp vor der Urleilsfällung 
den Namen dieses Schülers erfahren und fühle mich seither in meinem 
Cewisäen beunruhigt. Nach genauer Rücksprache mit meinem Voige- 
tetzteo wnrde Ich ermiditigt» das beiliegende Metertal dem Qericite 
vomleseo. Ein Iddicet Unvobltelii Modert midi, dleipendiilich ts ton* 
aber ich hoffe sdion nächste Woche so weit he^BNMlt sa wdn, tun dem 
hochiöblichen Qericlitshofe die Belegslßcke zenauer kommentieren zti 
können. Mit dem Ausdrucke der vorzüglichen Hochachtung zeichne ich, 
hochverehrter Herr Prisident, als Ihr ergebenster W. Dusch insky m. p., 
k. k. Professor und Klas^euvorstand der V. Klasse im Jahre 1905^6«. Der 
Schreiber des Briefes wurde am S» November eis Zenffe e iw ef o mmm 
Des ProtokoU lantet: »Am 26. Olrtober fiuid Idi in m»efcm Konferent* 
ximroer das ,Neue Wiener Tagblatt' vom gleichen Tage, daa mein Kollege 
Amts M. dort zurückgelassen hatte. D"r Oerii htssalbericht fiber den Prozeß 
Beer war färbie angestrichen, und an jener Spelle, wo von der zeugenschaft- 
lichen Vernehmung eines Schülers der sechsten Realklas'^e berichtet wurde, 
war der Name dieses Zeugen »Oskar F.< mit Bleistift eingeiügt. Nun 
encgte der PMneBbericht mda Interesse, iriUimd idi ihn früher In 
meiner Zeiinng ohne Jede persönliche Anteilnahme gelesen hatte; denn 
Oskar F. war vom September 1904 bis Pebmar 190^ öffentHdMr ^ 
Schüler der fünften Realklasse, deren Ordinarius Ich war. Ich las auch am 
nächsten la^^e, also am 27. Oktober, das Urteil und gewann den Eindruck, 
daß es vor allem die Aussage meines Schülers F. war, welche 
zur Verurteilung geführt hatte. Ob die Zeitungsberichte m dieser 
Riditnng koirekt waren, weiB Ich natarlich nicht Nnn war ea mir ina- 
beaon d er e aulgeAillen, da6 Oskar P. von aefner Mntter wihrand der 
Verhandlung , Fanatiker der Wahrheit' genannt worden war, 
welche Bezeichnung der Staatsanwalt atjfjrej^^riffen hatte. Es war mir 
nun klar, daß eine dera-ti^e Äußerung geeignet war, die Glaub- 
würdigkeit des Knat^en g\nz besonders zu festigen, während ich auf 
Grundmeiner persönlichen Crfahi ung nicht in der Lage bin, 
dieaeBeaeichnnnfl: nla für Oakar F. zutreffend in erklären. 
Wenn ich vor dem Piroaeiae, alao voUstindlg nnbednllußt, eine gnricht* 
liehe Frage Aber die Wahrheitsliebe und VertrauenswArdigkeit mdnea 
Schülers zu erledi^rpTi gehabt hatte, würde ich gesagt haben, er sei 
zwar nicht veriüg»*n, aber nicht zuverlässig und nehme es mit der 
Wahrheit nicht genau, er mache den Eindruck eines verzogenen Knaben. 
Als ich Oskar F. die ersten Schultage hindurch kennen lernte, war der 
Eindruck, den er machte, kein schlechter; er besaß mangelhafte Kemt- 
ttiase, konnte sich mit seinen Kollegen nicht stellen, war ihnen gegen- 



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— 15 



über recht hochmütig, doch führte ich dies alles auf seine bisherisen 
Prifitotadics nrftck, wenn idi allerdings tncli ba m ei toi nnß, daß er 
btraits tat dritten Sdittlfahre venn idi nftdi ndit crlmere eiat 
Zeitlang ScfafUer anserer Anstalt war. Seine Mutter zog sehr hinflg 

Erkundfgfiine^en ein, und ich kam zu der Ansicht, daß fier Knabe vom 
Haus aus sehr aufnierksam, liebevoll und sorj,', faltig' beobachtet werde. 
Nun wuide ich sehr bald stutzig dadurch, daii Oskar F. überaus häufig 
die ersten Unterrichtästuiidea versäumte und dann diese Absenzen 
dtndi atlae Matter unter den verschiedensten Vonriadcn entadinldigt 
wniden. Diese ErBcbeinnng war so anflUHg, daß idi ackUeßUeh anf 
Ontnd eines älteren Konferenzbeschlusses die Beibringung eines ge- 
stempelten ärztlichen Zeugnisses verlant^te. Ich glaube, daß diese Säum- 
nisse wesentlich der Oeschichtsstunde galten und dal5 sich Oskar F. 
den Prüfungen in diesem Fache möglichst zu entziehen suchte. Auf 
Grund des Absenzenbaches ließe sich dies ganz genau feststelle^. Aller- 
dings mnfl Ich anch die Möglichkeit gelten lasten, daß Oakar F. dn 
Langadilifer «ar und die eiate Stande verschlief. Jedenfidta M et 
auffallend, wenn ein Schüler so syttematlscli einzelne Stunden versiumt. 
Dem Zeitung<;berichte Sber den Prozeß Reer entnahm ich, daß es sich um 
ein Sittlichkeitsdelikt handle, und es kam mir nuneineSittlichkeits- 
Affaire in Erinnerung, welche Oskar F. in der Schule auf- 
gerollt hatte. Am 27. Jänner 1905 kam Frau Dr. F. zu mir und erzjUilte 
Brir, daß Ihr Sohn fat der Sdinle an anaßditigen Handlungen verleitet virda. 
Sie gab git kdne Deteila Uber diese nuzflclitlgen Handlangen nnd Idi fcoonta 
ihrer Mitteilung nicht entnehmen, ob es sich um Handlungen im 
engeren Sinne oder um obszöne Xnßertingen oier um Zeigen von 
Büchern oder Bildern oder dergleichen handle. Frau Dr. F. nannte 
auch keine Namen von Schülern, welche ihren Sohn verleitet haben 
sollten. Sie legte Gewicht darauf, daß die Sache vertrauUch behandelt 
«ante. Ick madite die Dante anftnerkaam, daß dieae Anzeige große 
Tragweite bitte, da man die SdmIdIgen, wenn eidit von allen An- 
atdten, so doch von unserer Anstalt ausschließen mflßte, daß nicht fest- 
ge<?tel!t sei, ob ihr eigener Sohn ah bloßer Zuhörer oder irgendwie 
aktiv beteiligt sei, und bat sie, die Saciie vorerst mit ihrem Gatten zu 
besprechen. Am nächsten Taj?e erhielt ich nun das von mir dem Ge- 
richte bereits zugemittelte Schreil^en vom 28. Jänner 1905, wodurch 
kk Ib der Lage bin, daa Datam dea ganzen Vorganges prizlse anzn- 
gdien. In diesem Schreiben eiandite mich Fnn Dr. F., ihre Anzdga 
nidit als Denunziation anzusehen ; doch mußte ich pflichtgemäß trotzdem 
der Sache näher treten, znmal ich in dem Briefe aii'^drncklich darum 
ersucht wurde Ich fragte mehrere meiner besten und von mir als unbe- 
dingt zuverlä'isig angesehenen Schüler, ob in der Kla^ unzüchtige 
Bilder oder Bücher kursierten, und suchte durch entsprechende Frage- 
atellnng der Sadie auf den Ornnd zu kommen. Hiebd mußte idi 
na t n rge mi ß adir vorsichtig sein, einmal um nicht ztt suggerieren, 
zum andern, um mdne Schüler nicht etwa auf Dinge aufmerksam zu 
machen, von denen sie vielleicht sonst nichts wissen würden. 
Daa Eigebnia war voUstaudig negativ. Maine SdiiUar versichertan 



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16 



■rfft tfifi iit «idir «am nMMflUhcm Hradtaifeii aocli kaßmmz^f aoch 
rem fAitadkm Bichm oder BOdtrii «tan wftBi«. Ich fragte niia etaice 
liitfei« Sdlflier in der RoUe von Betdiuldigten, weil ich ihnen derartiges 

nach meiner Kenntnis ihrer Moral und ihres Charakters zumutete, auch 
hier ohne Erfolj?. Ich fragte nun direkt den Oskar F., was er wisse und 
gegen wen er etwas wisse, worauf er mir sagte, er sag^e überhaupt 
nichts, er dürfe niemanden denunzieren. Ich muß nun alier diiigs zu- 
cebeo, dftB trotz des nepttves fisefaniiiei miMr Vnkniadamtt ikl- 
IcidU dodi ta der Klaiie iigepd «twu meeguiflcii wir, vis tit leile 
Bitte der erstttleln Aii'seige angesehen werden könnte, aber ich bin 
überzeugft, daß wenn solche positive Umstände vorj^elej^en waren, sie 
mir von einem oder dem andern meiner Schüier wären zur Kenntnis ge- 
bracht worden, und ich bemerke noch, daß ich in dieser Klasse, die 
ich auch heuer noch als Ordinarius leite, in Hinsicht der iAonl 
äBHnM keine scklechtea Walimelunvogen genaclit liate» I» Zeitwigi- 
bericfate Aber den Prozeß Beer kam ?or, daß Oskar F« das an ihm be- 
gangene Attentat durch geraume Zeit verschwiegen hatte. In dem Briefe 
seiner Mutter vom 28. Janner 1905 findet sich der Passii?, daß Oskar 
F. die angeblich an ihm in der Schulf^ begangene Vcrieitung zur Un- 
sittlichkeit Monate lang verschwiegen hatte. Diese Gleichföimigkeit 
in beiden Fällen hat mich bedenklich gemacht. Ich iühlte mich ver- 
«nlaflt, ndtie KesntBine dem Oerichle ai «nterbreiteB, «nd bitte, das 
torgdegte Malerial, «ena es beliiigloa edieinen sollte, ruhig in des 
Papkrkorb zn werfen. Ich persönliä lege Gewicht darauf, mir den 
Vorwurf zn ersparen, daß ich es versäumt hätte, beim Auffinden der 
objektiven Vv'ahrheit behilflich zu sein, wo i.h es meiner Ansicht nach 
zu tun verpfiichtct war. Daß Oskar F. in seiaen Angaben entgegen der 
Anschauung seiner Matter nicht absolut zuverlässig ist, geht noch 
ans folgendem hervor. Pran Dr. F. beklagte rieh in dem von mir dem 
Gerichte zugesdiidkten Brief ddto. Sonntag, ohne nihee Zeitangabe, 
daß die Fenster in den Pansen nicht geöffnet wetden, daß vielmehr 
ein Schüler B. die Pause zur Anfertigung von Schulaufgaben be- 
nütze. Zur Erklärung dieses Briefes gebe ich an, daß nach einem 
Ministerialerlaß die Fenster nach j^er Unterrichtsstunde geöffnet 
werden, während welcher Zeit die Schiller die Klasse verlassen müssen. 
Du Kliwenrimmer wnrde von zwei Schttlem ab gesp c nt nnd naeli AManf 
der Pause wieder geöffnet . . . Beide aind heute noch Schüler der Anstalt 
Sie bestritten die Angaben des P. mit aller Entschiedenheit. Das Öffnen 
der Fenster bei Beginn der Pause überwacht noch der betreffende 
Stundenlehrer selbst ... Ich konfrontierte Oskar F. mit den vorge- 
nannten beiden Sclnile.n, sie ziehen ihn ins Gesicht der Lüge. 
F. sagte nun, seine Angaben hätten Bezug au' eine frühere Zeit ... Ich 
befragte den B. aelbit, veteher mit aller BttadiiedeBheit lengnete, so daB 
mich diese Anzeige zu keinem positiven ErBebnisse führte. In gteidier An- 
gelegenheit hatte Frau Dr. F. dem Direktor von Miorini Anzeige erstattet, 
welcher eine abgesonderte Untersuchung, aber gleichfalls n.it negativem 
Erfoigfe eiUj^eleitet hat. Ich bemerke ausdrücklich, daß ich diese An^elenheit 
mit srobem Nachdruck verioigte, weil es sich um eine ausdruckiich 



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f Wgudi ricbent liygienfsche Maßreg:d iiandelte, und anderseits war 
CS fflr mich von Bedeutung, festzustellen, oh einer oder der andere 
meiner Schüler im Klassenzimmer anlesend war, weil damals einzelne 
SadwD gestohlen worden waren ntid die FetttteUnog in der angegebenen 
Riditvng zur Eralerung des Diebes httte fakm kteoai. Et fiel mir 
mm wtä, daß mdi ta dletam Falle F. nicht sogleich seine Wahr- 
nehmung anzeigte, sondern erst in einem Zeitpunkte, wo Nachweise 
nicht mehr zu erbringen waren. Auch fehlte es ihm hier an d?»r not- 
wendigen Gewissenhaftigkeit, denn erst im Zu^^e der Konfrontation 
berief er sich darauf, daß er einen viel früheren Zeitpunkt im Auge 
habe. In dem erwibaten Brief dir Rnn Dr. F. kommt auch der Name 
. « . m, «ad ciiat liidMi betondo» bt i aar fce ii a w e rt, da3 eia Scbfller dfeiea 
Naownt niemals an unserer Schale war. Wenn nicht eine Verwechslung 
mit dem . . . vorliegt, kann ich nur von Phantasie, sei es des Oskar F., 
sei es der Briefschreiberin sprechen. An dem jetzt besprochenen Briefe 
ist mir auch aufgef.^Üen, daB er von einer anderen Handschrift, als alle 
Übrigen Briefe henilhrt, er ist auch stilistisch und orliio^raphisch nicht 
im Eiaklang mit dem flbrlgen vorliecenden Material . . . Naturgemiß 
machte ea keinen gnten Eindmck. wenn Jede Klein jgkeii, die inderScbnle 
fMisierte, von Oskar F. zuhause aufgebauscht und zum Anlaß genommen 
wurde, eine Staatsaktion ein7u!citen. Daßaber der Chara kter desOskar 
nicht jene tadellose Höhe hat, die ihm d'e Mutter des Knaben in der 
Oerichlsverimndlung beiie^ie, titht aus folgeudeiii hervor: Al> Oskar F. auf 
eine Schulatbeit ,nicht genügend' erhielt, kam seine Mutier zu mir und 
enttdle mlr^ daB ihr Oskar eben nicht, wie meine andcm SchUer, 
bei den Schularbeiten abachreibe. Wenn auch offenbar diese Angabe 
seine eigene mangelhaften IjeisiHagen nicht entschuldigt, so beweist sie 
doch, daß er s'rh zuhnti^e damit gerechtfertigt hatte, daß er alle seine - 
Kollegen cl -nun/iitrie, es mag dahingestellt bleiben ob mit Ret'ht oder l'n- 
recht. icii mödiie mir bemerken, dali ich sehr g'ute AMSfen habe, die Klasse 
sehr genau überwache, so daii das Abschreiben woiil als ein Ausuahmsfall 
anmathen lit — Ich kenne anficr Oskar F. und Fun Dr. F. niemanden 
von den Beteiligten in dem Procesae Beer. Der Angeklagte aelbat 
ist mir aus seiner schriftsfellerischen Tätigkeit bekannt, well idi 
Oermanist und literari'^cher Rrft rcut der , Wiener Abendpost' bin. Tch 
muß nun gestehen, dail :r.ir insbesondere die Publikation des Professors 
Beer .Weltanseiiauuno^ eines Physikers' eröndlich mißfallen hat, 
aucii i»eme i euiiiciunb ai der ,Neuen l ieien Presse' waren mir anti- 

pathiach. Durch die LektAre der PftneSberIchte kam ich in einen 
OewiasenakonfUkt und nneh einer Unterredung mit 
meinem Direktor habe ich das Material dem Gericht 

vor^^eleg^t. Ich veiH nicht, ob es irgendwelche Bedeutung hat, aber 
ich kann nicht zugeben, daß meinem Schüler unbe- 
dingte Glaubwürdigkeit zugebilligt werde, wenn icli selbst 
^ als Lehrer der Überzeugung bin, daß diese Zuverlässigkeit 
gevift nicht gegeben ist Auch Herr Direktor von Miorini 
«Ire bereit, fiber aehm Wahmehnrnngen Auskunft an geben, und 
aa Ist ihm gani btaondcra aufgefallen. daB Oakar F. im 



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18 



Soinn«r9ciiierier 1905, «o er Prifitift M «m «flgemldcC ta*, 
ftbgemeld«! wurde, obwohl das Selitilgeld bereits ffciühlt 
war; der Herr Direktor fflhrt dies auf das Strebes 

zurGck, die Einholung der üblichen Auskfinfte über 
das sittliche Verhalten des Oskar F. h in ta nzuhal len, 
weil diese Auskunft irit dem Zeugnisse, welches Fram 
Dr. F. ihrem Sohne ausgestellt hat, nicht überein« 
geitlmnit kitte . . . Am dem PNoeBbmdite bdeam idi den Ein* 
dmck, daB Oskar F. mm seiner Matter als dttrch das Atimtat dci 
Professors Beer moralisch depraviert hingestellt wnrde. Dies stlsuttt am 
g^ar nicht mit dem Verhalten, das eingeschlagen wurde, als es sich um 
die Verleitung zur Unsittlichkeit in der Schule handelte. Denn 
entweder war Oskar F. damals bereits verdorben, dann konnten 
die Ereignisse in der Schule nicht mehr so schwer sein, daß 
ihm eine Mltteflmie hferflber nnrnflgUch gewesen wire, oto aber er 
empfand diese Ereignisse In der Schale nngemem schwer, dann kana 
wieder der Einfluß des Professor . Beer nicht gar so bedeutend sein. 
Auch die<?er Umstand hat mich g-anz besonders veranlaßt, meine Ansicht 
üiier Oskar F. dem Gerichte nicht vorzuenthalten . . . Oskar F. verließ 
im Februar 1905 unsere Anstalt mit der Sittennote ,entsprechend' mit 
Rücksicht auf seine häufigen VersDäiungen und einige Anmerkungen im 
Kiasienbache . . . Wilhelm Daschinshy n. p., k. k. FroleHor«« 
Sehr wdae hatte die Mutter an den Lehrer ihres Sohnes nadi dcmea 
Besdiwerde fiber du Sittlichkeitsattentat in der Schule --^ in Jenem Brief 
vom 28.1. o^e^ichrieben : »Wir müssen Sie drino-end bitten, m^ine Be> 
denken als vertraulich, meine Mitteilungen als privat aufzQf<iSsen . . . 
\X'as mein Jurif^e mir im Vertrauen mitteilte, kann ich nicht offiziell 
zu einer Denunziation benfitzen, denn das wird es auf diese Weise, 
und wie der Bub monatebing nicht sagte, am daeii EUat ta vermehlett. 
darf ich nicht eigen und diesen so herbelAhren, das wlre ihm schred^« 
lieh, und seiner Natur und Erdehung nach wäre es ein Vertrauen»- 
miPjhranch gegen ihn. Von mir. sein^T .Mutter! Ich fftge als zweiten 
Grund den von Ihnen selbst erwähnten hmz«, daß es höchst peinlich 
ist, Verhöre und Konfrontierun^^en usw. mitzumachen, wenn man ohne- 
hiu etwas feinfühlig veranlagt ist . . . Geehrter Herr, nehmen Sie's 
fOr das» was es war, dne wdirhdtsg^trene Hindeatnng anf Obdsttmle, 
wddie ein gates Fortkommen f&r den Neuling in der Schale er^ 
sdiweren . . . Von allem anderh bitte ich Sie aufs InstSndigste abzu- 
sehen«. Welch treffende VerurteilunE;- der Anzeig'e im TVo^eR Reer! Ge- 
richtlich und vor tiner Öffentlichkeit von Alillionen Zeitungslesern 
durfte untersuclit werden, was ftir ein Schulverhör -/u peinhch u'ar! . . O^kar 
F. verließ trotz dem liriag des Schulfi:eides die Realschule zu der Zeit, ais 

Professor Beer an« Amerika nach Wien znrfickkchrte. Im Procefi war aa- 
gegeben worden, daß er nie efaie Öffentliche Schule besucht habe . . . 

Xtferor. Wie wird die .Ödendcfaiscfae Rundschau' redigiert? 

Wie entsteht sie jede Wodie? Ist efai Totengräber die Hebamme 

dIsBsr Emdiaffunfi? Man zerbrisht sich vergebens den Koof. Berohigi 



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tfch dtbd, dftfi diCMt Blttt tut dem nicfat mdir dwcsdlmiiMMtai 
MftriUt ndi einer FopdirMcrnPC der Minor, Oloii]ri Weilca, War* 
teoegK wr, ertitiiideii iet Und vmiiikt in Jenen tagenehmen 
HiWiicliitf, der dwcU die blofie Nennnng fewiner MerrddiiwSqr' 
Dinge eraengt wird. Die ,Öilcmicbitciie Rnndtditn' hei tchon manchen 
Morphhrielen der ichidiichcn Obnng e ntw((hnt, fant te m e w eW e H en nulen. ^ 
seholtea, wo selbst dfe Crinnening an die österrdchiacbe Politik, 
etwa die Zitierung der Worte: *Commiinique des verfassungstreuen 
Oroßgrundbisitzesc, »Heraus mit dem allfiremeinen Wahlrecht !€, 
»Lage der Deuischen in Österreich«, >Derschatta«, > Obmänner- 
konferenz«, ja sogfar die Vorstellung der Trias »Peigelt, Funke 
und Oro6« nichts nützen wollte. £s ist bekannt, daß die Sorgen 
um die Gestaltung der Dinge in Österreich der Schaflosigkeit, die äe 
eneagett, tngleidi kiiftig entges^en^drken. Aber noch sicherer gehe 
ich, wtuk Ich mir for dem Schlafengehen die Worte »Minor nnd 
Qlo«!f . • • Minnr nnd O loey . . • Minor nnd Qloief • • .< h» Ohr 
rannen leme. Ist der Diener nicht da, to mnfl ich meine Phantuie 
xnhilfe nehmen nnd mir fontdlen, daß Jelit die Zelt kommt« da die 
föiterreichiirhe Rmidachan' nne gewiß einen Artikel Aber die »Weih- 
nacMib r to che in der Henna«, beschert Oder Ich blättere ehitttch in der 
Zeitschrift und stoße auf die Rubrik »Von der Woche«, wo wie folgt 
geplaudert wird: »Der Landlag von Görz >*ird verlagt, jener von Steier- 
mark geschlossen . . . Eine ^Ussenversamrnlung in Zara fordert V(m 
der Regierung d!e Einführung des allgemeinen geheimen Wahlrechtes . . , 
Im Ministerium des Äußern beginnen die Verhandlungen mit den ser- 
Uschen Delegierten, behufs Erneuerung des Handelsvertrages • • . Die 
«Wiener Zeitung' veröffentücht eine kaiserliche Entschließung, in welcher 
eine EhrenmedaiUe fftr 25 jährige tenUenatfoUe Titigkeit anf dem Qe- 
biele des Penervdur* nnd i^ettnngeveeens teetiflet whd«. CNe poinherle 
Vom, hl der dlme Pikanterlen dütfeleilt werden» tnt ihn Whknng. In 
frflheren Jahren emptehl mirdcr Hausarxt die Ldtvtikd des Herrn Kanner 
tadcr^Zeif. Aber anf die Daner enrieeen sie ticfa ab tnhmgweillg cum Ein* 
i d d ü er n . Die hier anfgespeicherle Tempecamentlosigkeit Ist nicht fon 
der Art, die nenrflee Menschen beruhigt, jetzt halte idi mich an Olossy, 
und habe keine schlechten Ei fahrungen mit ihm gemacht. . . Als ich aber 
neulich von der Lektüre der .Österreichischen Rundschau' erwachte und 
dr»s Blatt eben zuklappen «'oihe, gewahrte ich etw.is Seltsames. Mein Blicl< 
fiel zufällig auf eine Notiz, in der der Name Peter AUenberg 



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stand. Wie hatte sich dieser wunderliche Heilige in das Nachtasyl der 
I Herren Minor und Glossy veriirt? Und ward mit achtungsvoller Liebe 
empfangen i Wenn Herr Professor Minor im Caf^ L>Ta säße und 
Qlossy mit Bessie Cake walke tanzte, ich «Ire nkht erstaunter. 
Aber es ist wirklich so: Peter Altenl)erg den Leaera der 
lÖsterrdchiscben Rundschau' empfohlen, and nicht nur das: die Knralorien 
der vftterlindiachen »Pfeisstiltnngen» getadelt, vdl de diesen Dlditer Ui^ 
her flbetcangen haben^Es ist aho Idar, da6 die,Öilenelcfaiacfae Rnndadiätt' von 
niemtndemiedlKiert wird. Die Wbdienchronik wird sorgfUtif saammenfle- 
atellt; alles andere whd in die Dmckerd feachickt, wenn es auf den ersten 
Bück langweilig genug scheint, nm die Leser nicht for den Kopf xn 
stoßen. Der eine der bdden Herausgeber — > Alfred v. Berger liest 
hoffentlich auch die bereits erschienenen Beiträge der »österreichischen Rund- 
schau' nicht — denkt sich: Ach was, es wird schon fad sein, und 
akzeptiert den Beitrag. Da können denn leicht Mißgriffe vorkommen. 
Die Lescrscbar der Hofrite wird's nicht merken, wenn durch ein 
Versehen einmal einer lebensvolleren Auffassung literarischer Verhältnisse 
das Wort erteilt wurde. Da schrieb also der Essayst Otto StoeBl: 
»Hätten vir in Wien statt vieimitiger feindseliger Utefatentrflppchen 
nnd -sippchen und statt wohlbedenklicher, immer angatvoU am 
sich hiiekender Preisgerichte efaies, das aidi die Entdedaiqg, die 
Dnrchsetznng nener, geistig schöpferischer Talente an setamr wahren 
Anfigabe stellt, so wtßte es znm Beispiel, daß In Wien acil viden 
Jahren dn selbstlndiges, Ton Ornnd ans nenschApfc* 
risches, bei eller Exsentriaitit nnd Besonderheit echt 
nnd rein dichterisches Talent Idit und fai klehien Qesld* 
tungen das Wesen der Oroßstadtkultur ausschöpft, mit allen ihren 
fein organisierten nervösen Reizen und Eigentümlichkeiten, mit ihrer 
Beseeltheit im zerwühlenden Treiben der Gesellschaft und des Er- 
werbes. Dieses Preisj^ericht wüßte, daß ^^^n solcher Künstler Formen, 
Ausdrucksmöglichkeiten, Verdichtungen der Vielfalt ij^en Erscheinungen, 
einen Stil geschaffen hat, der ganz sein ist und doch jeden auf- 
richte Empfindenden beiehrt und beeinnußt, es wfißtc, daß diese 
Leistung, so wiUkfirlich, so hdchstpendnHch und barock sie anch 
erscheinen mag, ehie tiefe belebende Kraft beaitst, efaien Le- 
benswert über den sbigttliren, fBr meinen Geschmack cxqnisHen 
Kttnstwert hinaus, c* wABte, daß es diesem dichterischen 
Lebenswert vor eilem einen Krnnz zn reichen hebe. Peter 
Altenberg bekommt aber in Wien kefawn Pids, daiultmddil» 



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kdi tiMB Dd abkm. Ich faibt oidilL alt vuin hnirtiftiliiiffi im. 
dietem lUle «ahndtetollcli nur vielbdi«iiict Urteil Üm zu JMm, 
aber ein Schelm, der mehr gibt, als er hat: ich ffir meinen Teil kränze 
Peter Altenbergs neues Buch .Prodromos*, obgleich c? künstlerisch viel 
weniger wert ist, als stiue fiüiieren, aber menschlich^ erzieherisch, 
geistig steht es auf seiner besonderen Höhe und das genügt wohl . . . 
Es ist ein Lobgedicht des hygienischen Lebens. Die Ärzie iTiögen dariiber 
ihre besoudere Meinung haben, was Peter Altenberg den Grol^stadt- 
menschen als Oesimdbeitslehre bietet . . . Aber nicht die mediziniacfaea 
Einzelheiten sind wesentlich, sondern die Aufrichtigkeit und Begeistemng, 
mnit alt dnzisfe Ariilokntie die der Oeanndhdt erkannt «ird» die 
Kraft der Empfindung, die eine Poetisiemng des sdielnbar Poerie- 
«idrigsten dnrebaetzt, die nbigkdi dnet Wortes, fibrieiend, itam- 
nidndt trunken aus groben Naditemhdten diensofiek feine Zart* 
'heften zu madien und dem verpönten plqfsisdicn Leben seinen 
nrcigcntlichen Add zurflckzageben. Wer könnte dies, als ein Dichter, 
and welcher Dichter anders, als dien nur dieser! leb nöclite wahr- 
lieh keinen anderen Pieis vergeben müssen, ehe dieser 
eigenste, persönlichste Dichter, der noch dazu ein Öster- 
reicher zu sein das besondere Vorrecht hat, den seinen 
bekam.« Dies ht in der »Österreichischen Rundschau', Bd. V, Heft 58 
(T.Dezcmber lOüajzulesen. Hätte ich es geschriet)en, derWiener Kretinismus 
— antiseiiiiuscher oder jiddischer Kouleur — hätte eine Kaffeehausbeziehung alt 
Basis solcher Begeisterung vermutet. Ich hätte dann freilich sag:en können, 
daß ich nur mit Talenten KaffeehauRbeziehungen eingelie nnd daß ich mit Pdcr 
Altenbeig dien nidit Freundsdiaft hidte, wenn er nidit so geartd wire, 
daß idi f&r ihn in der lEsdttl' — aller Spießbürgenrnt zum Trotz ^ 
ebitreten lonn. Aber es ist nmstlndUch, ieder kritisdien Aaßemng dnen 
Motivenberidit voransaisdiidcen, jedesnul zu sagen: hier lobe idi, wiewohl 
idi nidit bezahlt wurde, dort tadle Ich, wiewohl idi ehist zum Naditmahl 
geladen war. . . So also stehts in der ^Österreidiischcn Rnndschan*. 
Und in einem Blatt, an dem ausschließlich Leute mitarbeiten, die 
Juroren bei den untcischiedh'chen Grillparzer- und Bauernfcldpi eisen 
sind, in einem Blatt, das vor. Berger und Qlossy herausgegeben, von 
Otossy und Minor geschriebeii wird, fiber dem der Geist der Bettelheim 
und Weilen schwebt, wird darüber Klage geführt, daß die Preisgerichte 
»immer angstvoll um sich blicken«. Es ist grotesk. Vor zwei Wochen 
kränzten sie Herrn Alexander v. Weilen. Und heute fragen sie erstaunt, warum 
sie Peter Altenberg nicht prämiiert haben. Man wfiide nun meinen, dai 



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jetzt zur literarischen eine mortlftdic Verpflichtung hinzugetreten fit, 
das zu tun, was versäumt zu haben sie so förmlich bedauern. Aber 
wir leben in Österreich. Die Furcht vor dem Gekläffe der antiscinitischen 
Talentlosij»keit, die den Preis für einen Dichter des Magistrats verlangt, 
wird die Herren bestimmen, wenigstensihreii Pensionären, deren Preis-Privileg 
sich schon eingebürgert hat, treu zu bleiben. Wenn fibers Jahr wieder das 
Midek Grazie gekrönt wird, werden wir in der ZdtKlirift der Preisrichter 
lesen können, daß es in Wien einen Dichter muneos Peter Altenberg 
Cibt Vielleidit wird dum anch mit Bedaneni cririUiat sein, dafi er iidi 
noch immer mit dem Verkauf von KoUiert mfiben mflaie — einer 
TltiglBdt, die eigoitiidi dem ftinida AI E. ddit Qraiit hemer 
zmM£tei 

Habihti, Norelli, ein großer Kfinatler en dehdl — als tokfacr 
erfriaehend nach dem ganz infierlldien Konstraktenr Zaoooni <~ wird 

in Wien doch fiberschätzt. An »Auffassung« ist sein Lear dem Soniieo' 
thal'schen über. Aber gerechter weise hätte die Wiener Kritik feststellen 
müssen, daß ihn Herrn Sonnenthal's Lear an elementaren Wirkungen 
übertrifft. Sie int das Gegenteil. Der Kritiker der .Wiener Abendpost' 
schrieb: »Sonnenthal, so ergreifend er an den rührenden Stellen ist, 
für den Ausdruck des elementaren Zornes fehlt ihm die Kraft, und 
seine Hoheit ist nur die der Güte. . . NoveUi hat beides« Kraft und 
Hoheit. Der erste Höhepnnkt seiner Leistung war die Ssene mit Goneril 
im ersten Akt« Mit Veilanb! Achtmal bat ndeh — ich hMt ihn schoii« 
all er nun erstenmal das Hans eneittem machte — Sonnenlhals QoncrU- 
flttdi ersdiftttcrt wie kanm eine zweite Temperamcntsenthidnng nnf 
deutscher Bfihne (Ich mflßte denn an Matkowsky-OtheUo's irnikaniscfac 
Anibrftche denken). Idt habe andi Kossi, habe die Herren Barnay, Zaocoiii 
und jetzt NovelH als Lear gesehen. Der größte ist Rossi. Aber selbst 
er wird von Sonnentlial in den Auftritten mit Goueril und lic^An über- 
troffen. Rossi gibt eine Gestalt, Sonnenthal Srcnen, die anderen Nuancen. 
Zwei, drei Szenen des Wiener Burgschauspielers wiegen die Gesamt- 

T 

leistnng aller anf. Sie entschäiiigen dafür, daß die Gestalt selbst — 
jeder Zoll ein Untertan — so marklos wie sein Wallenstein ist und 
daß die Reidisverteiitnig nicht wie ein Wetterleuchten des Wahnsinns, 
sondern als wohiro/bereiteter Regierungsakt an uns vorüberzieht. Der 
AufeinandeipraJl efaies Hit£kopfs und einer hysterischen Wshrfaeilsfuiatikefin 
gibt hier bdnen Panken. Sonncnthal scheint die »Jüngste, nicht Qerhigpte« 
nur von sich zn stofieUf nm seine gsnie Innerilchkdt Mr den bdipld« 
Iflsm Hcnktam0f des Oftniriinndits zusammenzaraftei 



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Dramaturg, Beim Novelli - Qastpiel klagte man über die Ver- 
stümmelung klassischer XX'crkc zu schauspielerischen Parades'ücken. >Der 
Kaufmann von Venedig« ward besonders hitzig gegen seinen itaiienischen 
Bearbeiter in Schutz genommen. Daß aber sogar der Titel des Stückes, 
den die Direktion des Theaters an der Wien in deutscher Sprache ver- 
lantbarte, in sinniger Weise geindert erschien, hat keiner der kritischen 
ttoicn bemerkt* In der ,Nenen Iheien Pkesms' vidleidit eneh enf des 
Flekaten — war am 9* Deiember zn lesen: >0ssl8|>fd Ennele NovcUl. 
Shytoek, der Kanfmann von Venedig«. Daß im Prok rastes bett 
der MaUenlsdien Bearbeitung anch zwei Gestalten des Werkes gepaart wurden, 
haben wir wohl der ttterarischen Bildung der Leiter des Theaters an derWkn 
zn danken. »Vergeltsgott!« 

Beamter, Es scheint wieder notwendig zu sein, Protektionstabellen 
anzulegen. Jeden einzelnen Fall »aufzudecken« ist wohl nicht möglich. 
Ich leide mehr unter der Langweile der Sache als das off' ntliche Interesse 
unter ihrer Ungesnndheit. (Jber den von hoher Onnst besonnten Herrn, 
der auf die Finanzprokuratur losgelassen wurde, ist mir vielfach Kla^e 
geführt worden. Und nun regnet's wieder Zuschriften iiber einen Fünf- 
nndzwanziglilirigen, der im Ministerium des Äußern, wo sein Vater 
Hofrat ist, um zehn Jahre früher als andere Konzeptspiaktikanten in 
die nennte RangiUasae stieg. Die Hertschaften sollten sich doch efai 
wenig genieren. Wenn man nicht hnmer gleidi ndt Tabellen, Vsttr» 
achaflMSiii welaeni Qflnnendiaflsbdegen n« di^ daldnier ist, werden die 
ftotehloren lippig. Aber es wird dafihr gesorgt werden, diB die B i nrae 
nidit in den Hinunei amdeien. 

JhnifjM* Mi den Hof* nnd Kwimertfefersnlcn ist jetzt nidt zn 
sprechen. Sie beginnen ihre Beziehungen zum Kaiserhaus, die bisher 
nur auf der Firmatafel be^laubii:'! u'uen, zu pflegen. Miudebtens glauben sie 
durch ihren Titel einen Anspruch auf die Revanche des Hofes ei*üiben zu 
haben. Der Hof soll ihnen nämlich auch et'xn«? Iteft-rn: die Reklame. 
Und so ist denn die »Audienz der Hof- und Kammerlieferantcn oeim 
Kaiser« zur ständigen Rubrik in den Zeitungen geworden Das in allen 
Unsauberkeiten führende Blatt, das uns eine Zeitlang wirklich einreden 
«oUtef es bringe in der »Kleinen Chronik« keine bezahlten Artikel, 
kum aicb nicht genug tun hi der Anfilhhing all' der schmeichelhafien 
Dhige, die der Kaiser Jedem einzelnen der Hof* nnd Kammerliefeiinten 
gssagt haben solL 9tf t Monaten loaatieren diese rebwn Phhlolen anf daa 
Wohl des Monarchen. Aber daffir zeigt sich der Undesvater über 
Stickerdkuastschulen wie iü>er Ktadcrmod«. Iber SMmm wie Iber 



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— «4 — 



die Kltvieriilirikatfoii, Iber die neiiclifii0e vle Aber EiMnöbel, Aber 
Tcppidie wie Aber OpemcndDer glddi gut informiert AUei «eifi der 
Keiaer, tu jedes Ocedilft, an die ViM^e jede» lohaben erinnert er eidi, 
and eilet findet er aefar sdidn. Weniger schön nnde er es, wenn er er- 
ffihre, daß vor dem Andienzseale schon der Vertreter eines Annoncen- 
barettts wartet, der tich nach der gewfinschten ZeflenzaU und nndt 
der gewünschten Lobstärke des Kaiserwortes erkundigt, Rabatt gewährt 
und »abschließt«. . . Der geistige Leiter der Bewegung, die den Kaiser 
in diesen stürmischen Zeiten über die Anhänglichkeit der Hoflieferanten 
benitiißen soll, ist — wer zweifelt noch? — Herr Sandor Jaray. Ein 
Fabrikant schreibt mir: > Bekanntlich bat Herr Järay euie Depuiaiion 
von Hoflieferanten Seiner Majestät vorgeführt. Seine Majestät soll die 
Widmung eino* Arbdteraltersversorgung annehmen, die zur Feier seines 
7S. Geburtstages von den Hoflieferanten gestiftet worden ist. Angddidi 
bet der Kaiser auf die Ansprache des Herrn jfoy daa MIgpende 
erwidert: ,Gs würde mich sehr freneOf wenn ancb weitere Kreise 
sich Ahr Ihre so lobenswerte Abalciht Interessierten'. Hadi «er- 
ttBlichen Nachrichten mscfat nnn Herr jlray aof Qnmd dieses 
angeblichen Kalserwortes die Rande bei den Fabrikanten und 
stellt sie fior die Alternative: Ebtweder zahlt ihr fftr meine Idee 
oder Ihr setzt euch In den Oeruch unpatriotischer Gesinnung • Das 
ist die neueste Manier, ein Kaiscrwort auszuschroten. Leider gibt es 
kein Miticl, aus dieser Alternative zu enikummcn, da Behörde und 
Ttgespres-e nicht helfen können oder wollen. Schlau ist dabei ein Aus- 
spruch des Kaisers benülzt : man möge )hn mehr durch Wohltätigkeit 
als durch Feste feiern, plump ist dagegen dieAbsicla, dneArbeiterversorgung, 
für die man viele Millionen braucht - und diestaaUiche kommt ohnedies binnen 
Jahresfrist - durch Schnorrereien bei den Fabrikanten heieinsntacinBeB. 
Ich vermnle» daß Sie, ver^rter Herr« der Einsige sind« dem es geiinseB 
iBftnnte, den Betooffenco Mut gegen Herrn JAraj an machen.« Osfen 
patriotische Bedrobnng gibt's in Österreich Icsnm ein Mittel. »JAgeil, 
der hst den Hnt nöt zog'n« ist tat diesem Dennnzhmien>Panidlts die 
Devins jener gnten Qesinnnnc, die sich bd dem Bewnßliefai« daß sie 
selbst den Hnt gezogen hat, nicht bemhigt Wenn die Fabrikanten 
Herrn Järay entgegenkommen, kriegt er seinen Orden. Bleiben sie — z. 
B. die Möbelfabrikanten — standh;<ft, &o weiden sie sicli bei ihren 
aristokratischen Kunden schaden, was Herrn Järay auch nicht unan- 
genehm sein wird ... In jedem Falle kann er nur heil aus diesem 
Feldzug hervorgehen. Magf Österreich wie eine schlechte Zinuncreia- 
richtung krachen — d ie Firma Järay erit in orbe ultima. • 

Heratugebcr nnd verantvortUdier Makknr: Karl Kransoigitized by Google 



BAND XXIV. 



JANNER-MARZ 1906. 



Die Fackel 



HERAUSGEBER: KARL KRAUS. 




lirilH 

VERLAG ,DIE FACKEL', IV. SCHWINDOASSE 3. 

DrtKk V. Jahoda 8i Siegel, Wien, III. Hintere ZolliMtlttriBc 3. 

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BlaelMlrtteli oerboton. 



« 



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INHALT: 



Nr. 192. 

Der Nebenmenscli. 
Die Verhaftung Witt«. 
Erotfk der KeitaälRit Von 

Lucianus. 
Attila. Von August Strind- 
berg. 

Antworten (Kinsky und Knöpfel- 
macher. Bfirgermefster und Lord- 
Mayor. Bismarck und Lassalle. Mein 
Cabaret. Aus meiner Sammlung. 
Allerlei Stilisten. Die Gärnter-K». 
Der Unfall des Erzherzogs). 

Mitteilung des Verlage 
Nr. 193. 



Kaiserworte. 

Die medizinische Schande 

Wiens. 

Die Sylvester-Nadit 

Zwei Skizzen. Von Egon 

Fri edell. 

Wer nie das Elend sah. Von 

Ludwig Scharf. 

Antworten (Das Sylvestergedicht 
4et Orafen Kielmansegg. Eine tolle 
Automobilfahrt. Die russische Ver- 
wirrung der , Neuen Freien Presse'. 
Witzkritik. Zu viel Charas! Wie 
viel ich vom Profeuor Beer bekam. 
Dm Ende der Affir« Coburg. Das 
Rfflitaaf dieLiebesldstaog. Scnwaraet 
Bueh). 

Nr. 194. 



Die Wahlreform. (Ein offener 
ikief an Karl Kraus.) Von 

Robert Scheu. 

Meine Antwort. 
Die Klassiker. Von Lucianus. 
An Mrs. Langtty. Ein ange- 



drucktes Gedicht von Oskar 
Wilde. (Englisch und Deutsch). 
Cabarethed. Von Peter Alten- 
berg. 

Antworten (Der Arrest ah Awl. 

Richter und Betschwestern. Ein ritu- 
elles Konzert. Kinder als Zjtuäai» 
Nathan der Weise und kdn Ende. 
Die Erschaffung der .Neuen Freien 
Presse'. Faschings-Schwarzbuch. Ein 
kurioser wohltätiger Zweck. Oberall 
Bachrach. Der Automobil-Nummern- 
zwang. »Die Sachse. Unterschlager'e 



Nr. 195. 

Status cridae. (Eine Stiirime 
zur Beamtenfrage). Von Re- 
formator. 
Kind und Kirche. Von einem 
ehemaligen Lehrer des 
Katholischen Schnlver* 
eines. 
Der ärarische Tod. 
Herr larno. 
Speidels Tod. 

Antworten (Vom Schwarzen Buch. 
Ooldmann und Hauptmann. Herr 
Oanz und die Erotik. Vom Intimen 
Theater. Ans meiner Sammlung. Hof- 
billbericMerrtatti ^ 

Nr. 196. 



Quer durch Österreich. 

Duell und kein Ende. Von 

Robert Scheu. 

Alt. Von Heinrich Mann. 

Antworten (Mein Briefeinlauf. Die 
Qeachlchte ehict Einbruchs. In der- 

selben Nummer.. . Deutscher Sieg. 
Mcngcrs Testament. Ein Prager 
Schniock Der Kuß Patriotismus und 
Logik. Wahlreform und Kcmkordia- 
ball). 



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Nr. 197. 

Ludwig Speidel. Von Otto 
Stoessl. 
Der äran'SGhe Tod. 
Status cridae. Von Dr. Julius 

Wilhelm. 
- Die Quellen des Sektionscheh 

Exner. 

Die Wetteriahiie. Von Frank 
Wedckind. 

Antworten (Der Kuß Die Ehe- 
reform Konkordiaballbcricht. Heines 
Grab. Eine Heine Biographie. Der 
Triesdi-KiBltus KntischeVeriitfriniig. 
Etjmologisdies. Eine Annonce. Der 
Titdiagdschrif tsieiier ) . 



Nr. 198. 
AbaUe. 

Ksnonen ?ms Kirchenj^locken, 

Von Robert Scheu. 
Status cridae. Von einem 

Staatsbeamten. 
Erotik der KMdmisr. Von 
Lucianus. 
Ein OrtghisUTtiegmnmi. 



Antworten (Wien in Monte Carlo. 
Eine Mittelschulrefomi. Feodorowna 
Rie'^ 'ind Oott. Sprachliches. Pro- 
phetisches aus dem , Deutschen Volks* 
blctt*. BrOmi. Mozart imd Weber). 



Nr. m. 



Um Hdiie. 

D er rechtshistofiMheWahnsfnil. 
Cabaret Von Erich Mfibsam« 

Antworten (McinnTi?Tsver<;ch!Piden- 
hdten. Die lustigen Weiber von Wind- 
sor. Lukian. Die sensible Annonce. 
Am meinerSanualitnK* Ein EntbiitiisO. 



Nr. 200. 



Der Seflwtmord der Themis. 
Plinecn. Von Karl Hauer 

(Lucianus;. 
Und Pippa tanzt! Von Thad- 
däus Rittner. 
Nordau. 
Symbole. Von Eridi Mühsam. 

Antworten (Matkowsky. Sezession 
und Kritik. Vcnraltunasrat Uharzik. 
Eine 8tfcfec*eiwii « jdhri«. ^ Dtc tttn- 



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Die Fackel 

Nr. 192 WICN, 5. jiNNER 1906 VII. JAHR 



D«r Nabeuaeueli. 

Bs regnet Beiträge zum »Schwarzen Buche. 
Auch viele, die ins Schwarze Buch gehören, raachen 
sich erhöti^j, es zu ergänzen. Immerhin zeugt die 
Fülle der Zuschriften von der gesunden Erkenntnis, 
die den Menschen endlich in den Zustand der Wehr- 
haft! i^keit gegenüber dem Nebenmenschen versetzt. 
Von der Erkenntnis, daß neue Verkehrsformen ge- 
schaffen werden müssen, damit er sich der qualvollen 
Obergriffe der Kulturlosigkeit erwehre. Duft cUa 
unscheinbaren Dinge des täglichen Lebens wiobtiger 
tein können als die geräuschyoUen Probleme der 
Politik. Daß sieh i. B. in der Bemerkung »Die Kunst 
8oU une erheben; den Scbmuta der Qasse habe ioh 
stthaote« ein tieferer Abgrund der Unkultur {kfloet, eine 
gröflere geistige Qefahr kflndet als etwa in dem 
Widerstand gegen die Blinftlhrung des allgemeinMi 
Wahlrechts ... Ja, es gilt, gegen den Nebenmenschen 
Stellung zu nehmen; seine Attentate auf unser 
Nervensystem nicht mehr ruhig und mit der durch 
ein faules Übereinkommen gebotenen Höflichkeit 
zu ertragen; seiner Geistlosipkeit zu entrinnen; seine 
acbiechten Manieren abzulehnen. 

Das ist der ernste Sinn» der im ecbeinbaren 
Ulk des »Schwanen Buches« yerborgen liegt» Es 
müite aooh jene Kulturbinde hertergen» deren 
Taten den Qeduldpanier angreifen, nut dem 
Hatnr unrnre fleistengshon gasabOtnt hat» Die grofie* 



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Frage, die 2wei Weltauffassungen trennt, sie lautet: 
Wer ist Gott wohlgefälliger: der ein silbernes ^iesser 
in die Tasche, oder der es in den Mund steckt? 
Ich entscheide: Wenn der Dieb es in die Tasche 
steckt, um uns die Nervenqual der anderen Handlung 
EU ersparen, so ist es ein kulturvoller Dieb* Und 
wenn der Biedermann seine ehrlichen Absichten 
gegenüber einem silbernen Messer nicht anders be- 
weisen kann, als indem er es in den Mund steckt, so 
wünschen wir so unästhetischer Ehrlichkeit, daü sie 
sich schneide und verblute . . . 

Ins Schwarze Buch gehören jene, die von der 
Ansicht ausgehen, daß ihr Herantreten an einen 
KafFeehaustisch, an dem ein einsamer Zeitungf«leser 
silat oder zwei ein intimes Gespräch führen oder 
drei und mehr sich nach ihrer FaQon zu unterhalten 
wünschen, unbedingt als eine willkommene Ab- 
wechsluDg empfunden werden müsse. Dabei sind die 
Barbaren, die sich ohne Aufforderung nied^lassen, 
bei weitem nicht so gefthrlich wie jene andereui 
die fragen, ob ee »erlaubte sei, Platz zu nehmen. 
Natürlich ist es nie erlaubt und natürlich wird die 
Frage stets bejaht. Denn dies ist die schlimmste Feigheit 
des modernen Gesellschaftsmenschen, daß er der Un- 
kultur nicht mit Wahrheit zu begegnen wagt. Lieber 
krümmt er sich in Nervenqualen, ehe er dem Ein- 
dringling üÜun sagte: En ist nicht erlaubtl oder: 
Sie störenl oder: Pardoti, ich muß lesen! oder: Sie 
sehen ja, wir haben zu sprechen! . . . Nein, ich habe nicht 
das Hecht, die Viertelstunde, die mir noch bleibt, 
für die leider notwendige Lektüre der Zeitungen zu 
nützen« Ich muß dem Herrn Bede und Antwort 
stehen, der, auch ohne Platz zu heischen, mich 
plagt, indem er stehend mir die folgenden Fragen 
an die Brust eetst: Finden Sie nicht, dafl Sie jeUt 
viel besser aussehen? (Immer sieht man jetat riel 
besser aus) . . . Sagen Sie, wie groft ist eigentUoh 
die Auflage der ,^Facker?... Haben Sie »Stein 



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unter Steinen« gesehen? . . • Wo waren Sie im 

Sommer? . . . Sie machen im Fasching: gewiß nichts 
mit ? . . . Was wird denn in der nächsten Nummer 
stehen ? . . . Eine Pra^je noch, weil ich das Ver- 
gnügen habe, Sie persönlich zu kennen : Was ist das 
eigentUch mit diesem »Totentanz«? Meint der Wede- 
kind das ernst ? . . . Ich darf die Viertelstunde nicht 
besser als zur R^^a!ltvvortu^g oder verbissenen Abwehr 
dieser Prägen nützen. Der freundliche Besucher hat 
eine bessere Zeiteinteilung. Er steht an meinem 
Tisoh« holt sich Bildung und sieht sicli während«* 
dessen langsam seine Handschuhe an . . . 

Man darf in einem Theater nicht rauchen. Aber 
viel gefährlicher ist es, in Wien ror einem Theater 
— nach Sohlufi der Vorstellung — mit einer bren- 
nenden Zigarette su stehen. Die Sitte , die 
die Bitte um »Feuert gestattet und selbst den 
Eilenden zu ihrer Erfüllung zwine:t, treibt den Raucher, 
der sich vor den Theaterausgang aLellt, in die Arme 
des Wahnsinns. Von fünfzig phantasielosen Menschen 
glaubt nämlich jeder, daß erdereinzi sre ist, der jenen mit 
der Bitte um Peuer belästio^t. Wird eine Gesetz- 
gebung f'inraal die Erkeiuitnis betätigen, daß der 
Nerve ti friede ein so schutzbedüri'tiges Lebensgut 
ist wie die Ehre? Die Beleidigung der Ehre wäre in 
der überwiegenden Mehrzahl der Pälle, also dort, wo 
sie eine Beschimpfung und nicht den Vorwurf ehren- 
rühriger Tatsachen darstellt, als eine Reaktion auf 
die Störung des Ner^enfriedens aufzufassen und 
für straflos su erklären« dagegen der Beschimpfte 
zu bestrafen. Liefie sich eine Statistik des 
täglichen Verlustes an Nervenkraft anlegen, den 
man zumal in einer Stadt wie Wien mit ihrer tort- 
währenden Hemmung des Notwendigen durch das 
Uberflüssige, des Sachlichen durch das Uiusiaiuiliche 
erleidet, man würde zu grauenhaften Erkenntnissen ge- 
langen. Die von sechs > Speisenträgern <^ gestellte Präge: 
»Schon bestellt, bitte?« und die you keinem einzigen 



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— 4 — 

ausgeführte Bestellung, der von sechs Speisenträp^ern 
mechanisch wiederholte und von keinem Zahlkellner 
erhörte Ruf »Zahlen Ic, sie bilden ein trauriges Kapitel 
jener nervenmordenden Gemütlichkeit^ die die Ehre 
dieser Stadt bedeutet. 

Die Menschen, die hier nicht leiden, frehören 
samt und sonders inf^ Schwarze Buch. Sie freuen 
sich auch der Wiener Priseursitten. Daß Priseur- 
gespräche möglich sind, beweist den Mangel an Denk- 
gepflogenheit, der in Wien herrsoht. Priseurgespräche 
sind nämlich dem Bedürfnis des mechanisch funktionie- 
renden Barbiers nach einer »geistigen Ansprache« ent- 
i^rangen. Das immer bereite Qehim des Durchschnitts- 
menschen geht auf den Versuch einer Gtodacnken Ope- 
ration, der den Friseur lockt, sofort ein. Wie leer müssen 
die Köpfe sein, die für die meteorologischen und politi- 
schen Betrachtun o^en des Rasierenden immer Platz 
liaben I Ich halx^ üfi darril)''r i^estaunt. Noch nie ließ ich 
ein Friseurgespräch mit niii anknüpfen. Dagegen habe 
ich hin und wieder selbst eines ane:eknüpft. Wenn 
ich mich nämHch für die Entwicklung des Wiener 
Priseurq:ewerbes interessierte, wußte ich mich an 
keine kompeteniere Instanz zu wenden, als an den 
Friseur. Stets aber habe ich gewünscht, daß jede An- 
regung, die vom Friseur ausgeh^ untersagt werde. Die 
Störung eines Gedankenganges durch Wendungen wie: 
»Jetzt sind die meisten Herrn schon in die Ferien«, 
oder: tDie Demonstration ist gana ruhig verlaufen«, 
sind unerträglich. Bine Bemerkung wie: »Frisch isfs 
heut' drauiten« ist überflüssig: entweder hat's der 
Besucher, der ja von draufien kommt, selbst gespürt, 
dann braucht es ihm kein Friseur der Welt au be- 
stätigen; oder er ist unempfindlich, dann nützt die 
richtigste Ansichtdes Friseursnichts. Derlei Kaiami täten 
wäre einfach durch eine Verordnung beizukoininen ; 
ähiilKih wie der Sitte der Wiener Gasthauskellner, eine 
bestellteSpeisf\ niiidersich dieGeschmac^ksncrveu schon 
fünf Minuten lang beschäftigt haben, mit der Bemerkung 



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»Kann leider nicht mehr dienen« abasusagen, das heiflt^ 
8o lange mit der Streichung der nicht mehr vorrätigen 
Ware au warten, bis sich ein Besteller gefunden hat^der 
aufsitaen kann. Aber eine Verordnune, die die Unter- 
brechung der Denkarbeit durch ein Friaeurgesprfidu 
untersagt, würde in Wien auf Widerspruch stoßen. 
Woher nähmen die meisten Menschen ihre politischen 
Ideen? Ich habe es selbst nicht geglaubt, als ich einsi 
Zeuge der folgenden Szene war: Ein gut an- 
gezog:ener Herr, sein Gesicht in einer Wasr lischiissel 
ab^[)ülend, ruft, da ihm das Wasser über don Mund 
rinnt, zu dem hinter ihm stehenden Rarbu ri^ehilfen : 
»Einen Bismarck brauchten wirl«. Ich erkannte, daß 
solchem Menschenschlag auch ein Bismarck nicht 
halfen könnte. Eis ist fürchterlich 1 . . . 

In der Friseurstube, wo die Köpfe mit beaon«- 
derer Berücksichtigung der Qehirne behandelt werden, 
kann man sie alle b^bachten, nach denen das Schwarse 
Buch yerlangt. Wenn sie, auf den Olana herge- 
richtet, aus dem Laden herauskommen, hdrt man sie 
die folgenden Bemerkungen von sich geben, die in 
sahireichen Zuschriften an die Redaktion des 
Schwarzen Bui;hes gesaiuuielt sind: A^is zum ,Lohen- 
grin* gehe ich noch mit ; aber was er später ge- 
schrieben hat — <; »Ein gutes Trabuckerl ist mir 
h'eber als alle Upuian und Bock« ; »Der arme Zar, 
der hat auch nichts zu lachen« ; »Mit wem lebt denn 
die jetzt ci^enrhcii ? ? ; ;Sie können sagen, was Sie 
wollen, aber eine gute Hausmannskost — «; »Wenn 
man ein paar Jalire in Amerika (beliebig zu ersetzen 
durch Australien, Neuseeland, Madagaskar) gelebt 
hat, sieht man diese Verhältnisse gana anders ant; 
»Ich begreife ganz gut, dafl ein junger Mann 
Aber mufl er sich denn mit ihr aeigen ?lc ; »Kritisieren 
ist leicht« ; »Ich kann die Menschen nicht leiden, die nur 
aerstören und nicht auf bauen« -» Ja, aber seine Haltung 
in der Drejfus-Affairel« ; hat ja eine ausge- 
zeichnete Feder, aber — « ; »Em Ton von Mozart ist 



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mir lieber, als die ganze moderne Musikc; »Ich 
▼ersteh' das Stück nicht; man weiß nicht, soll 
man weinen oder soll man lachen!«; »Naja! Sie sind 
noch ein Idealist U; (Zu einem Dichter:) »Sie, für Sie 
hfkW ich einen Stoff! Hören Sie, was mir passiert 
istl..€;(Im Zwischenakt einer Ibsen- Auffflhrung im 
Deutschen Yolkstheater:) »Können Sie ibsen?« oder 
wenig^stens : »Sie können noch eine Schinkensemmel 
essen? Mir ist der Appetit schon längst verdrängen«; 
(Bei einer Hochzeit zu der im Alter nachfolgenden 
Schwester der Rraut:) »No, jetzt kommst du d'ran« ; 
(Bei der Besichtiffuiig ein^r von Adolf Loos einj?^- 
richteten Wohnnng:) »Gnädige Frau, nnieh' Ihnen 
mein Komplimeiit - reinste Sezession!«; (Beim 
Zitieren eines Satzes aus der ,Fröhhcheu Wissen- 
schaft':) »Du wirst mir doch nicht mit Nietasche 
kommen? Der hat doch bekanntlich im Irrenhaus ge- 
endet« ; »Haben Sie schon den neuesten PoUack-Wita 
gehört?« . • • 

Das ist so siemlich der Oeist, der in Schau* 
spielhftusem, Konaertsftlen und Kunstausstellungen die 
Entwicklung der Dinge bestimmt* Bin Ghrauen er* 
faßt einen. Bei besonderen Gelegenheiten, im Foyer 
einer Sensationspremifere, im Trubel einer Silvester- 
nacht, stinkt diese ganze fürchterliche Öde des Bil- 
dungpphilisteriums auf. Das sind die Menschen, die 
von der Kunst verlangen, daß sie sie »erhebe^: ^d^n 
Schmutz der Gasse haben sie zuhaust' i. Man würde 
sie wotniegrunzen hören, wenn inai sie bei der 
Lektüre eines Feuilletons von Paul Goldmann 
ertappte I 




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3^^^^^"^ ^^^^ Strich geht, seit der 

Enjouroalliening der Weltgeschichte haben wir an 

so viele Ereignisse glauben müssen, die sich nicht 
zugetragen haben, daß wir jene, die uns nicht be- 
richtet wurden, kaum vermissen. Die Zufriedenheit und 
respektvolle Andacht des Zeitungslesers wird nicht 
einmal durch die Enthüllune: erschüttert, daß die 
Weltijeschichte mauchmid durch den Meiteur-en-pa^es 
beeinflußt wird, dem zum Sieg der russischen Re- 
volution, gerade noch eine halbe Spalte fehlt, die er 
ärgerlich von der Nachtredaktion heischt. Da parieren 
denn die Geschichtsschreiber. Rußland ist grofi — 
in der Hilfe bei redaktionellen Verlegenheiten . . . 
So wird denn einst ein Wiener Gelehrter, der die 
russiflche Revolution darstellen will und sich su 
diesem Zweck an die Quelle der ,Neuen Freien Presse* 
begibt, auf die- folgende sensationelle Tatsache'stofien, 
die am 19. Dezember 1905 dem österreichischen 
Publikum offenl>art worden ist: 

Die Ursache der Verhaftung des Präsidenten des 

Arbeiterrates. 

Wien, 18. Dezember. 
Wie die heute hier eingetroffene ,Nowoje Wremja' meldet, 
ist die Verhaftung des Präsidenten des Petersburger Arbeiterrates, 
Chrustalev, darauf zurückzuführen, daß der Rat der Arbeiter- 
depntlerten ernste Vorbereitungen zur Inhaftnahme des 
Ministerpräsidenten Oralen Witte getrofüen hätte. 

Soiiiü der Wiener Gelehrte, der wahrscheinlich 
an dem Verständiiis und der Ui)prsetzungökunst der 
»Neuen Freien Presse' nicht zweiteln wird, die Absicht 
habe?), die Verhaftung des Ministerpräsidenten Witte 
durch den Hat der Arbeiterdeputierteii in seiner »Ge- 
schichte der russischen Revolution t zu erwähnen, so 
wird er mir gewiß für eine rechtseitige Warnung 
dankbar sein. Ein Leser der ,Nowoje Wrenoja* teilt 
mir nämlich mit, daß dort eine Plauderei erschienen 
isty in der der Sata steht: 



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»Ich war so fest überzeugt, daß does schönen Morgm 
Herr Chrustalew Herrn Witte samt seinem ganzen Kabinett ver- 
haften lassen und alle Gouverneure durch seine Genossen ersetzen 
weide, daß ich direkt nicht glautiett konnte, Herr Witte habe die 
KtUinheit gehabt, Henn Chrustalew zu arretieren.« 



Brotik der KenacUi^t. 

Ich erlaube mir zunächst eine kiejiie Denunziation. Feh denunziere 
hiemit die stolzeste und gepriesenste der christlichen Haupttut;enden, 
die Tugend der Keuschheit — soweit sie nicht auf sexueller Taub- 
heit beruht, also ein physiologischer Defekt ist, und soweit sie 
nicht die natürliche Folge ablenkenden intensiven Schaffens ist - 
als verhaltene, ins Geistige vertriebene Begierde, als eine sublime 
Art der Erotik, als Anbetung der Sünde in der Forui des hmiachen 
Widerstandes. 

Die Keuschheit im Sinne der christiichen Tugend ist ein 
Produkt der Sflndenlehie. FOr die Erfindung der Sünde, und mit 
ihr der Tugend der Keuschheit, müssen alle Schätzer erotischer 

Komplikationen dem Oeiste des Katholizismus ewig dankbar sein, 
einem Oeiste, der übrigens als solcher unendlich hoch über dem 
Geiste des modernen Positivismus steht. Ihm, der eine Fülle neuer 
erotischer M ö g 1 1 c Ii k e i t e ii schuf, ihm, dem Erschaffer der 
erotischen Tragik, ist vor allem die erotische Vertiefung der Kunst 
zu danken. Allerdings ist er für dieses Gute, das er den 
Wenigen und Auserlesenen brachte, so wenig verantwortlich wie 
für das Schlimme, das er zu allen Zeiten durch die Beeinflussung 
des praktischen Lebens hervorrief. Seine Absichten wurden immer 
von seinen Wirkungen ad absurdum geführt 

Man kann in einem gewissen Sinne behaupten, daß mit 
dem Begriff der Sünde die Erotik, wie wir sie verstehen, über- 
haupt erst geboren wurde. Wir sind ^ wenn ich mich der ka- 
tholischen Terminologie bedienen soll - dunzh die Abkehr vdn 
der »Sünde« so sündhaft und veiderbt geworden, daB uns die 
Erotik der antiken Welt und des Orients (soviel wir davon wissen) 
gerade wegen ihrer freien Oröße unbeseelt und naiv di3nkt. 
Selbst lu ihren höchsten iiksiasen scheint diese Eroük sich nie 



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tbor ihre fdn pHysiotogiadie Wteiib«tt zu eriwben. Nur die 
Sexual fttt sdien wir in Acttr Welt großi frei, ata s d i we lfe pd 
md Intemiir. Von Jener dflslerglflhenden intmanenten Eh^tllc, die 
inuerer santen Kunst- und Oedanltenvelt Ihren geheimen eediaehen 
Rhythmus aufevhigt, verspanen wfr in der nlchtdnistüdien Weit 
kaum einen Hauch. Der Mann ist !n ihr ein bedenicenlos Qe- 
nießender, das Weib eine hemmungslose Gewthrerin. In ihrer 
Urform finden wir die beiden repräsentativen Typen des sexuellen 
Menschen der Antike im Satyr und in der Mänade, gebändigt 
und veredelt durch die Umwelt einer hohen Kultur erkennen wir 
sie in einer späteren Zeit am aiisg^eprägtesten im hedonistisch 
empfindenden Lebenskünstler und in der Hetäre wieder. 

Der Sflndenbqjiff legte den Begierden der Natur Zaum 
und ZOgd an, das neue Ideal der Keuschheit wurde dne Mauer, 
die den Menschen vom weiten Horizonte der Antike afaedilofi« 
die Unsdiuld des Oenlefiens lerbrach unter dem Hammer 
des Gewissens. Die Welt war eng, unfrd, sdiuldhewufit, 
^ bewußt geworden. Tief und im Bösen wissend. Das Chri- 
stentum hat die Sexualität geknechtet und verstümmelt, aber 
zugleich vergeistigt und so die Erotik - wenn auch nur im 
Hirne der Kranken und der Künstler — verfeinert und kompliziert. 
Die Idee der Sünde hob das Sexuelle in die Sphäre des Supra- 
naturalen und verlieh ihm einen bisher ungekannten Glanz und 
Nimbus. In dem Worte »Sünde< erklingt für den Menschen der 
christlidien Welt alles Verlockende ujid Verfuhrerische, alles, 
wonach sdn geheimstes Wünschen schreit. Es gibt kein anderes 
Wort von gleichem 2^uber, kein anderes, das mehr von Erotik 
dufdiglüht wäre. Unter Sünde schledithin versteht nämlich der 
Christ die Sfinde, die SQnde der SfindeUi die Unheuschhelt Wo 
die Idee der Keuschheit regiert, dort gibt es natumotwendig audi 
ehi ^oatolat der Unheuschhelt In der Unkeuschhdt manifestiert 
sldh Sdan, der Oetet der christlichen Erotik selbst, ihr weiht sich 
Satans zahlloses Gefolge. Die Ästhetik der Antike, halkyonlsche 
Klarheit und Sicherheit, verwandelt sich in eine Ästhetik des Pit- 
toresken und Grauenhaften, des Phantastischen und Verwirrenden. 
Eros, der heiter lächelnde Knabe, ist nicht mehr, und Psyche, die 
träumerische Freundin des Lebens, wird zur bleichen, wahnsinns- 
verzerrten Hexe, zur Buhlerin des Teufels • . • 



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Die Geschichte des Satanismiis, die einen breiten Raum in 
der Geschichte der Kirche einnimmt, ist für den Psychologen der 
Erotik das Lehrreichste, das es gibt. (Interessierten sei Przybyszewski's 
ausgezeichnetes Buch »Die Synagoge des Satan« empfohlen). Im 
Satanisnifis .sehen vir die Idee der Sünde ungeheure erotische 
Phantasien gebaren, neben denen alle sexuellen Tatsichlkhkdten 
verblassen. Hier tritt auch zum erstennale der Charakter der 
Erotik, die vom Sexuell*Wirk!ichen loqgelMe souvezäne Phantasie, 
rtitt und mAchtiff in die Erscheinung. Die Orgien des AUertmns 
mid Orients bedeuten nicfate gegen die Phantasiesdiöpfung des 
Hejttnsabbats^ die berfihmten indischen und persischoi liebea- 
bücher sind das Armseligste an erotischer Erfindung gegen die 
kasuistischen Phantasien iniitelalterlicher und neuzeitlicher Mönche, 
die alieii Knnstwerl<e im Ncapler pornographischen Museum sind 
hannlüs gegen die erotische Ghit Beardsley'scher und Rops'schcr 
Zeichnungen, die, meist ohne das Hilfsmittel der Pornographie, 
die erotische Paantasie durch die Idee der Sünde in Schwingung 
versetzen. Ich rechne drn kasuistischen Mönch nicht unbedacht zu 
den Satanisten und mache auf eine Gravüre von Rops »De castitate« 
aufmerksam^ einen ausgemergelten Mönch darstellend, dem beim 
Abfassen einer Abhandlung über die Keuschheit die Unkeuschhdt« 
die seine Phantasie erfüllt, als Weib von obszöner Nackt- 
heit erscheint 

Es ist nämlich auch die Keuschheit im Grunde ein Apostohit 

dtr Sünde. Sie macht das Leben zu einem endlosen Zweikampf 
zwischen üütt und SaUn. bic lordtri eine unablässige Aciiisauikeit 
auf die t-allen und Schhngen des Bösen, die Piiantasie des Keuschen 
ist fortwährend ei füllt von den Bildern der Sünde. Je strenger die 
Tugend geübt wird, desto mehr waciisen die Begierden, und in 
dem zerquälten Hirn des Heiligen tauchen von Zeit zu Zeit ero- 
tische Visionen auf, die in ihrer halluzinatorischen Kratt die Erotik 
Neros und Heliogabals beschämen. Der Heilige nennt es »Ver- 
suchung«. Die Phantasien eines keuschen Backfisches, der im 
Kloster erzogen wird, sind manchmal boterhafter« als die Taten 
Messalinas und Theodom. Als vor einiger Zeit bei einem HAndkr 
mit obaiönen Photomphien die OcschiliskoneBpoiidens saiiiert 
wurde, zeigte es sich, daß dn Orodteü der BiklerbesteUcr ZAIihatire 



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• 



— 11 — 

Die Keuschheit und ihre physiologische Kehrseite (»Die An- 
fechtung« in der Sprache der katholisdicn Ideologie) ist eine Art 
mtsochistischen Zostaodcs» D» geheimste Geheimnis 4er Ktusdt» 
hat ist ihre Hottmmg, von der Sünde überwältigt zu werden. 
Mit bevttiidanmertem F^cfaoloBaiblick steigt dies Wedekind In 
den Oedidit »Die Kemchlieitc. Dieses Qcdldit» das wohl die 
wenigsten mstaden haben, stellt die dnrcbans masodiistischen 
Zvingsvofsidltti^[fen eines kensehen fienens dar, es zeigt, was 
feenscbe Henen eigentlidi wünschen. 

Der Mann der christlichen Welt, der sich für die in ihm atif- 
tauchendeti Hegierden verantwortlich fühlte, der das Natürliche 
als ur.natiirlich empfand, der Mann, der zum >Srinder« geworden 
war, suchte die »Schuld« von sich abzuwälzen und schob sie dem 
Tetrfel als Versucher in die Schuhe. Im Weibe aber erkannte er 
das dgenükhe instmnientum diaboli — und in der langen Zeit 
des Hexenwahns hielt sich das Weib auch wirklich für die Oe» 
' hilfin des Teufels. Im Sinne der Antike stiegen Wert und Ansehen 
des Weibes mit der Lust, die es za spenden vermochte; im 
Christentum hiuffe sich damit seine Schuld. Nur wenn es sich 
seiner natftarychen Bestimmung entzog, wenn es sidi dem Teufd 
als Werkzeug der Veisuchung vemgte, war es schuldlos. So ent- 
stand aus der Sündenlehre die der alten Welt völlig unbekannte 
metaphysische Wertschätzung der Virginität. L'ni das Haupt der 
Jungfrau wob sich die Gloriole göttlichen Verdienstes. Dadurch 
aber erhielt die Virginität auch für den Erotiker einen erhöhten 
Illusionswert. Die geheih^te Reinheit einer Tiinf^^fraii 7.u beflecken — 
welche Sünde könnte dem Satanisten verlockender erscheinen! 
Es wäre denn die Vergewaltigung kindlicher Unschuld. (Vergl. 
hiezu den Fall Qilles de Rey's, Marschall des allerchristlichsten 
ftankrelch, des Mystikers und Beschützers der Jungfrau von Or- 
leans. Huysmans, lit-bas.) Das hysterische Schamgefühl der reli- 
giösen Keuschheit au verletzen — welch nnvei^leichlicher OenuB 
der Grausamkeit! In der Tat fand der minnlidie Sadismus in der 
Heiligung der Vhginitilt sefaie kriftigste Nahrung. Die römischen 
Kaiser, die die christlichen Jungfrauen in der Arena nackt den 
BtldGen der Menge preisgaben, wann die eisten Sadisten im 
Ocisfte des Christentums. 

Bis hieher versuchte ich die Psychologie der Keuschheit 



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— 12 — 

anzudeuten. Nun aber komme ich zu einem ernsteren Ktpftel, zur 
Wirksamkeit der K e usdiheitslehre im Leben. Und hier ist fir 
mich kein Zweifel, daß selbst der fanatischeste Wertschätzer psychj>- 
logischer Verfeinerung diese als keine ausreichende Kompensation 
für die ungeheure Schädigung erachten könnte, die das Chnstentim 
durch seine praktische Wirksamkeit der Gesundheit und Harmonie 
des Lebens zugefügt hat. Zumal dem Weibe g^enüber war das 
ChristcBtiiin von einer Oitusamkeit, deren Folge eine sadtitMCte 
Verrohung des Mannes war. Den wenigen ExeniDliKS 4iner ero» 
tiachcB Verfeinerung steht eine Allg^rndnlieit sexuell verkürzter 
Fimaea und erotisdi veipöbelkr MInncr gegen&bei. Die HeUiipuig 
der ViiginitU ist ml genommen dne sinnlnee OffMiaamkek am 
Wdbe. Der Zwing langer EnthaUaamkeit macht es byaberiadi» 4le 
Ihm aufgezwungene Monandric madit es vomitig sexuell nad 
crotfsdi stumpf, die Gefahr des gesdhchafllfcfaen Boykods im 
Falle seines »Falles« madit es furditsam, heudileriscb, unfrei, und 
die unnatürliche Prüderie des auf dem Virginitatswahnsinn be- 
ruhenden Mädchenerziehungs-Systems entwürdigt es eigentlich 
zum bloßen Opfer einer kurzen sadistischen Ausschweifimg. Denn 
— man gestehe es sich nur ein — unsere Mädchenerziehung, 
die unwissende »Engel« produziert, die das natürliche Schamgefühl 
ins Groteske steigert, ist eine offenkundige Förderung der sadistischen 
Oefloralionsmanie. Der unwissende »Engel«, den die Mädchen- 
eoiehung tfir den pasdonierten Deflorateur formt, ist überdies 
gewöhnlidi so sehr von unklaren, aber überhitzten Sündenvor- 
stellungen erfüllt, daß er von der wirklidien Sexualität unbefriedigt 
bldbt Aus dersdiimig-llistenien viigowird dieiemmeinoompria^ 
^ beides Typen der erotlsdien Hysterie. 

Während der Mann, fftr den die Sexnalitit nur eine der 
vielett Sdten des Ldxns is^ aus dem Wahnstnn der S&ndenldtte 
in wenigen mien als snblimlertcr Efotiber, gevOhnlich aber als 
brutaler Sadist hervorgeht, wird das Weib, dessen ganzes Sein 
durch die Sexualität bestimmt ist, durch eine künstliche Stauung 
seines Lebensquells nicht verfeinert und kompliziert, sondern des- 
harmonisiert und zerstört oder entwertet. Das weibliche Produkt 
des Keuschheitsideals ist am iiäufi^^sten die Hysterikerin. Im Beginn 
der Neuzeit tritt die erotische weibliche Hysterie als Hexenwahn 

qpAdeaüsdi auf. Die Opfa der Hexenveriolgungen waren durchaus 



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18 — 



nidit Ittiter »Unschuldige«, wie die moderne Ignoranz gern be- 
Inmistek. Es gab natOriidi auch viele solche, die Obenriqfeade 
Mehizahl aber war »sdiukiiir« in dem Sinne, daß sie — als aus- 
gesproehetie Hysterlkoinnen — an die Realittt ihrer Halluztnatloaeti 
ghubteii. Przybyszewsld iritl deshaO» der Hexenveifolgiuig das ^ 
allenlings uubewußie - VenHenst zugute halten, die epidenisdie 
Hysterie mit Erfolg ausgerottet und unsere Zeit dadurch vor einer 
furchtbaren Menschheitsgeißel bewahrt zu haben. 

Durch die ethische Belastung der Sexualität ist das Weib 
in einen tragischen Konflikt mit der sozialen Welt geraten. 
Jener Typus, der einst am höchsten geachtet wurde, ist heute am 
meisten geächtet Daß es überhaupt noch Hetärennaturen gibt, 
erfahren wir nur durch das — für den künstlerischen Betrachter 
allerdings unvergldchlich wundervolle — Schauspiel ihres Unter- 
gangs. Wir erleben es, wennsich — selten genug — solche Freuden- 
bringedn in unsm erbirmliche Zeit verinl IQhnpfend mqi alles, 
was Geltung und Anerkennung besitzt, isoliert von alten, was 
sie stfltzen und schfltzen könnte, jeder Roheit preisgegeben, ge- 
peinigt durch ihre eigene Unbegreiflichkeit, sidi selbst bezweifelnd, 
an sich verzweifelnd, sich betäubend mit allen Giften, zerbrochen, 
mißbraucht, besudelt — so geht die Hetäre zu^nnde.*) 

Man muß diesen tragischen Uewinn der Sündenlehre gut- 
schreiben. Sonst aber ist durch sie die Sexualität, vor aUem die 
des Weibes, verarmt, und der Mann bedarf der Keuadiheit nur 



♦) DcrtngMM Konflikt zwiMhcn FmönttchhaM und Ossdlschalt 

— nicht zu verwechseln mit dem alltägliches trasriHn Koofinct swisdian 

Unzulänglichkeit und Beruf (»Tagebuch einer Verlorenen«). Die auch 

gei«;l!gf hochstehende Ausnahmshetärp, die als grande amoureusc sich 
gepen eine Welt durchzusetzen weiß, ist wohl nur eine Konstruktion 
erotischer Wünsche, die das Schauspiel eines Sonnenuntergangs ver- 
ewigen möchten. Daß höhere BevuBtheit seihst noch die ZügeUoiis^t 
lenken, mit der erotischen Sublimlentag des StoaenkbcBS anch seine 
Sicherung bewirken könnte, ist unwahrscheinlich. Zumeist ist die 
Frau mit Oeist eine gefährliche Schachkünstlerin der Sexualität, oder 
sie ist asexuell und stellt das Qreue! der Emanzipierten dar, die 
in der Hochzeitsnacht die Wahlreform erörtert, eine Bach'sche Fuge 
liest oder eine Integralrechnung ausführt, ohne zur Potenz erheben 

Anm. des Hcnutsgebert. 



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als Defloratoui Man könnte die Apostel der Keuschheit heule, 
wo der Glaube nicht mehr stark genug ist, das Ideal zu recht- 
fertigen, füglich als die Zutreiber von Jungfrauen bezeichnen. Ich 
habe die ideellen und künstlerischen Verdienste der Sündenlehre 
gewürdigt, ich vervollständige nun noch meine Anklage. Die 
Predigt der Keuschheit erfüllt bmit das ganze Leben mit wider- 
licher Heudielei und fördert die versteckte und verlvochene Erotik. 
Sie erzeugt Onanie und Pornographie, du ausbeuterisches SfBtan 
der Kuppelei und verschärft die SkUtverd der Proststution. Fördert, 
was sie bekämpft und ffihrt sich unaufhörlich selbst ad absuidun. 
Mögen nun neue Ideale uns vor den Schäden eines veralteten be- 
wahren, unserm Blick wieder Weite und TYeiheit, unserm Herzen 
wieder den Mut der Unschuld geben, nicht der Unschuld, die 
noch nichts von der Sünde weiß, sondern der Unschuld, die weiß, 
daß es keine Sünde gibt. Lucianus. 



Es schien, als habe Europa au^teblfiht, aber es schien 
nur so. Die Geschichte ging nicht gieradeans wie ein Stridi, 
sondern machte Umwege, und deshalb sah es' ans, als wäre 
die Entwiddnng in Unordnung geraten, hre gegangen. Das 
war sie aber nicht In Rom begann eine neue Weltmacht aufzu- 
sprießen, eine geistige, die in der Stille eine neue Kaiserkrone 
schmiedete, um sie dem Würdigsten zu übergeben, s^cün die Zeil 
erfüllt war. Und der Erbe war von Tacitus angekündigt worden, 
ein neues Volk aus dem iNorden. gesund, ehrlich, gutmütig:. 

Da tritt ein noch neueres Volk aui den Schauplatz, dessen 
Herkunft unbekannt war; und die Verheil Lin<^% die den Germanen 
gegeben war, schien zurücicgenommen zu sein. Denn plötzlich 
saßen die Hunnen in Ungarn und erhoben Steuer von allen 
Nationen der Weit; um ein Holzschloß mit dnigen Baracken 

*) Aus dem sdiwediGchen Manuskript überMtat von Entt Schar lBg . 




« 



Attila*) 



Novelle von Aocost Striadbarg. 



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am ThHBffuß sammelten sich Griechen, Römer, Byzantiner «nd 

allerhand Germanen vor einem Thron, auf dem ein Wilder saß, 
der einem Fleischklumpen glich. 

Im Jahre 453 sollte dieser König nach manchem Schicksal 
eine von seinen vielen Hochzeiten halten, und er hatte die großen 
Herren von ganz Europa beniten; berufen, denn ein Fürst ladet 
nicht ein Auf Pferden kamen sie, aus Norden, Süden, Osten 
und Westen. 

Von Westen, am Donauufer entlang, gleich untcciiaib deren 
Biegung bei dem jetzigen Qran, kamen zvd MAnner an der 
Spitze dner Karawane gieritten. Mehreie Tage «wen sie den Uet>- 
Udien Ufern des grfinen Flusses mit seinen Binsen und Erlen und 
seinen SdiwSmicn von Enten und Rdhcni gefolgt. Jetzt wollten 
sie die k&hien Sdiatten der Waldr«gion verlassen und sidi nach 
Osten ß:egen die Salzsteppe wenden, die sich bis an den gdben 
Theiß eisttecicte. 

Der eine Leiter der Truppe war Römer und hieß Orestes, 
war bekannt und beruhnil; der andere war Rugier, von der Ostsee- 
köste und trug den Namen Edeko, war Fürst und war gezwungen 
worden, Attila zu folgen. 

Wenig hatten die großen Herren bisher gespi üchen, denn 
sie mißtrauten einander ; als sie aber auf die weite Sit ijpe hinaus- 
kamen, die sich klar und hell wie eine Meeresfiäche otfnete, 
schienen sie selbst sich aufzuklaren und alles Mißtrauen fallen 
zu lassen: 

— Warum rdsest du zur Hochzeit? fragte Orestes. 

— Wdl idi ntdit auszubleiben wage ! antwortete Edeko, 

— Ganz' wie ich. 

— Und die Braut ! die Bnigunderin wagte nidit ndn zu sagen. 
Dir? Dodi, die hätte es schon gewagt 

Sie sollte also diesen Wilden lieben? 
^ Das habe ich nicht gesa^. 

— Vielleicht haßt sie ihn denn? Eine neue Judith für 
diesen Holofernes? 

— Wer weiß ! Die Burgunder Heben den Hunnen nicht, 
sdt er auf seinem letzten Raubzug durch Burgund Worms zerstörte. 

— Unbegreiflich ist jedenfalls, daß er sich von der Nieder- 
lage auf den katalaunischen Gefilden wieder erholt hat 



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— 16 — 



— Unbegreiflich ist alles, was diesen Mensdien angeht, vom 

man ihn überhaupt einen Menschen nennen kann. 

~ Du hast recht! Er soll dem Bruder seines Vaters, Rua, 
von dem wir nichts wissen, nachgefolgt sein; er hat seinen Bruder 
Bleda ermordet Zwanzig Jahre haben wir ihn wie eine eiserne Rute 
üher uns gehabt, - und als er jüngst vor Rom stand, kehrte er um. 

— Aber er hat seinen Soldaten versprechen müssen, daß er 
ihnen einmal Rom geben wird. 

— Wirnm sdioate er Ron ? 

— Das welB man nicht ! Man weiß nichts von diesem Mann, 

und er selbst scheint über seine Person in Unkenntnis zu sein. 
Er kommt von Osten, sagt er; das ist alles. Das Volk sagt, die 
Hunnen seien von Hexen und Dämonen in Wüsten geboren. 
Fragt man Attila, was er will und wer er ist, antwortet er: Gottes 
Geißel. Er gründet kern Reich, baut keine Stadt, aber er herrscht 
über alle Reiche und zerstört alle Städte. 

— Um auf die Bfaut atradcEUkommen, die Ildioo hdfiti 
so ist sie wohl Oiristin? 

— Ja» was kfimmert das Attila ? Er hat ja kdne Religion. 
Eine muß er waM haben, da er sich Qofies Geißel 

nennt und behauptet, er habe das Schwert des Kriegsgottes gefunden. 

— Aber er ist gleichgiltig gegen die Förmen. Sein erster 
Minister Onegesius ist Grieche und Christ . . . 

— Sehen wir uns den sonderbaren Mann an, der statt in 
Byzanz oder Rom zu sitzen, sich in einer Salzsteppe nieder- 
gelassen hat. 

— Das soll von der Ähnlichkeit dieses Landes mit seinen 
Ebenen fem im Osten kommen. Der gleicfae Boden, die gleichea 
Kräuter und Vögjd; er fühlt sich hier zuhause . . . 

Sie veisbunniten, da die Sonne stieg und die Hilze zunahm. 
Niedrige Tamaristcen, Wermut- und Sodapflanzen gaben keinen 
Schatten. Steppenhühner und -lerchen waren die einzigen Wesen, 
welche die Wüste belebten . . , Die Herden von Rindvieh, 
Ziegen und Schweinen waren verschwunden, denn Attilas halbe 
Million Soldaten hatte sie aufgegessen, und seine Pferde hatten 
jeden einzigen genießbaren ürashalm abgeweidet. 

Zur Mittagszeit blieb die Karawane ganz plötzlich stehen, 

192 

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— 17 - 

denn «in öiiüdicn Horizont war dne Stadt mit Tttimen und 
Zinnen zu sehen, jenseite eines blauen Sees. 

— Sind wir da? fin^ EdekiL 

>*- UnmO^ldi, <• sind ja nodi zvaaxig Meiten, drei 
Tac^rdaen. 

Aber die Stadt war dort m sehen, und die Karawane be- 
adiieanigte ihren Gang. 

Nach einer halben Stunde war die Stadt nicht nlher gp» 

kommen, sondern schien sich im Gegegenteil zu entfernen, sich 
zu verkleinern und unter den Gesichtskreis zu versinken. 

Nach einer neuen halben Stunde war die Stadt verschwunden 
und der blaue See auch. 

— Zaubern können sie, sagte der üömer, das aber über- 
steigt alles. 

— Es ist eine Lnftspiegetung, eriüärtc der Wegweiser. 

Die Karawane madite gegen Anbruch des Abends Halt, um 
Aber Nacht zu ruhen. 



Auf dem Landstreiien andsckcn Bodrog und Thdß hatte 
Attjfai sein Standlager, denn ehK Stadt Imnte num es nicht 
nennen. Der Pakst war aus Hob, das in grellen färben taddert 

war, und glich einem kolossalen Zelt, dessen Stil wahrscheinlidi 
aus Sina, deni Seidenland geholt uar. Das Frauenhaus, das 
dicht daneben aufgefiihit Nxar, hatte eine etwas abweichende Form, 
die mit den Gdten von Norden gekommen sein konnte, oder auch 
von ßyzanz, denn das 1 laus war mit Rundbogen aus Holz verziert. 

Die Einrichtung schien von allen Völkern und allen Ländern 
zusammengestohien zu sein; viel Gold und Silber, seidene und 
samtne Behänge; römische Möbel und griechische Oefäße, gallische 
Waffen und gotische Gewebe. Es glich der Wohnung eines Räuiiers, 
und war es auch. Hinter der Unnäunmig des Maates Ixsann 
das Lager mit seinen verribicherten Zellen. Qne Men^s Pfeide- 
tiuscher und PfSerdediebe wimmelte in den Stmfien, und es w»n 
ebenso viel Pferde wie Menschen da. Außerhalb des Lagers 
we ide i e n Herden von Schweinen, Schafen, Ziegen und Rindern, 
lebender Frovi«nt fihr diese unohörte Horde, die nmr venebitii 
und zerstören, aber nichts hervorbringen konnte. 



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— 18 — 

« 

Jttzt am Morgen des Hochzeitstages bewegten sich in diesem 
Lager tausende kleine Menschen mit krummen Beinen und breiten 
SchiUtenii in Ratteafdle gekleidet und die Waden mit Uppen um- 
wIclKlt Neugierig blickten sie ans den Zelten heitas» wenn Fremd- 
linge, die 2um Fest geladen waren, angeritten kamen. 

Auf der ersten Zeltgasse trat der Thronfolger, Attilas Sohn 
EUak, den vornehmen Oisten entgegen ; mittelst eines Dohnelachers 
hieß er sie willkofnmen und fftbrte sie in das Haue der CMste. 

^ Ist das ein Prinz? Und sind das Menschen? sagte Orestes 
zu Edeko. 

— Das ist ein Pferdetauscher und die andern sind Hatten, 
antwortete Edeko. 

— Larven oder Lemuren, Vanipyre, ini Traum aiii:i Jon 
Phantasien eines Berauschten geschaffen! Sie haben ja keine (ie- 
sichter; die Augen sind Löcher, und der Mund ist eine Schmarre; 
die Nase ist von einem Totenschidel und die Ohren Topfhenkel. 

— Wahrhaftig! Und vor diesen Halbnackten, die keinen 
Harnisch und keinen Schild liaben, sind die r&mischen Legionen 
geflohen! Es sind Kobolde, die sich »fest« machen können. 

— Die Welt erobern sie niditl 

— Wenigstens nicht fai diesem Jahr! 

Und dann folgten sie dem Plriazen Elhik, der jedes Wort 
gehört und veistanden hatten obgleich er so tat, als kenne er die 
Spradie nicht. 



Im Haus der Frauen saß die Favoritin Cercas und nahte 
am Brantschleier. lldico, die schöne Bur^underin, stand am Fenster, 
in Gedanken versunken. Sie hatte in Worms den Helden gesehen, 
vor dem die Weif zitterte, und sie war wirklich verhext worden 
von dem majestätischen Wesen des kleinen Mannes. Selbst hmsch- 
süchtig und eigensinnig, war sie verlockt worden von der Aus- 
seht, die Macht zu teilen mit dem Mann, vor dem alles und 
alle sich beugten; darum hatte sie ihm ihre Hand gü^Beben. 
Sie hatte aber ketne rechten Begriffe von den ^tten nnd Oe- 
wohnheHen des fremden Volks gehabt, deshalb hatte sie sich ihre 
Stellung als Gattin und Königin gani anders vorgestellt Und 
ent heute Morgen hatte sie erbhren, da0 sie beim HocMtfest 
Oberhaupt nicht erscheinen dürfe, den Thron nicht teilen wftrde. 



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— w - 

mdeni gpi» cmficli mit den andmii Frauen un Ffiueiduuts 
eingesdtloneii bliebe. 

OrcBS, die Favoritin, hatte mit Schadenfreude ihre Neben- 
buhlerin über das alles aufgeklärt, und die stolie Udioo war jetzt 

im Begriff, einen Entschluß zu fassen. Freunde besaß sie nicht im 

Palast, und sich den treniden Fürsten zu nähern, war unmöglich. 

Cercas nähte und sang dabei ein wehmütiges Lied aus der 
Heimat im fernen Osten: 

Tiger folgt des Löwen Spur 
Dafaü-Nor, 
Dfllal-Niir; 

In der Steppe meiner Flur. 

Urgan, Kalgati, Kesse-gal, 

Klaun aus Kupier, Zahn aus Stahl. 

Siddi Kliur, 

mddl Khw; 
gM dn hMBaen in Min Harn, 
Kuniit du niemals mehr hcrani, 

Siddi Khm'l 

. . . Ildico schien ihre Oedanken geordnet zu haben. 

— Kannst du mir eine Nadel leihen? saglesic; ich will nähen. 

Sie bekam eine Nadel, die war aber zu klein; sie verlangte 
eine größere und wählte die aUergröiiie. Die steckte sie in ihren 
Busen und nähte nidit. 

Jetzt erschien in der Tür ein Wesen, so verabscheuenswert 
häßtich und von so bariudtcm Aussehen, daß ildico ghtubte, es 
sei ein Dinioa. Er war kohlschwarz wie ein Libyer aus 4m heißen 
Afrika, und sein Kopf saß lose auf dem Magen selbst, denn die 
Brust fehlte. & wir ein Zweig und ein Buektiga-, hieß Hamilkar 
und war Hoftnrr bd Attila. Der Narr war damals hehi Witzbold, 
sondern ein naiver Dummkopf, der alles ghutbte, was man sagte, 
und darum ein Gegenstand des Hänseins war. 

Hr steckte uur einen Brief in Cercas' Hand und war ver- 
schwunden. 

Als Cercas den Brief gelesen hatten wechselte sie die Farbe 
und wurde eine andere. Von Wut eig^ffen, konnte sie zuerst nicht 
sprechen, sondern sie sang: ^ 

Tiger folgt des Löwen ^ur . « * * 



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— 90 



— üdico, du hast eine Freundin bekommen ! brachte sie 
schließlich hervor. Du hast eine Freundin hier im Zimmer, hier 
un Fenster, hier an deiner Brust! 

Und sie warf sich dem Buqiundermiddien an die Brust, 
weinfe und lachte abirednebid. 

— Gib mir deine Nadd, deine große schflne Nadd, idi 
werde sie dnflklelny ndn ich verde de an mdncm Stahl sdiMen, 
ndn Idt will sie in mein Nadelkissen stedien, ndn ich will de 
in mein Riediflisdidien taudien, in mdn ganz besonderes Iddnes 
Riechfläschchen, und dann wollen wir zusammen dem Tiger das 
Maul zunähen, daß er nie mehr beißen wird ! Siddi Khur ! 
Siddi Khur! 

— Lass' mich deinen Brief lesen, unterbrach Ildico sie. 

— Du kannst nicht ! Ich werde dir den Inhalt sagfen ' — Er, 
unser Herrscher freit wieder um die Tochter des Kaisers Valens, 
Honoria, und diesmal droht er, uns alle zu verbrennen — das 
nennt er uns ein ehrliches Begräbnis geben. 

Ildico reichte ihr ihre Hand zur Antwort. 

— In dieser Nacht also! Und dnrdi daen eladgen Madd- 
stidi wild die Welt ohne Hensdier sdn. 



Edeko und Orestes hatten in der Herberge gesessen und 
nach der Reise ausgeruht Zur Mittagszdt, ab de ausgehen wolltm, 
fanden sk die Tür gesdiloasen. 

— Sind wir Gefangene? Sud wir in dnen Hinterialt ge- 
lockt? fragte der Römer. 

— Und kein tssen haben wir bekommen, antwoiiete Edeko. 
Da waren zwei Stimmen von draußen zu hören : 

— Wir erwürgen sie: das ist wohl am einfachsten! 

— Ich denke, wir stecken das Haus in Brand! Der Lange 
ist stark . . . 

— Und sie hat}en geglaubt, wir verständen ihre Sprache nicht. 
Die beiden Eingeschlossenen, die kein reines Gewissen hatten, 

wurden bestürzt, und glaubten, ihr Ende sei nahe. 

Da öffnete sidi eine Luke in der Wand, und der Narr 
Hanllkar idgte sdnen^diraddieben Kopf. 

~ Ob dtt der Teufd bist oder nicht, antworte uns auf 
einige Fragen! rid der ROmcr* • 



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— 21 — 

— Sprecht, ihr Herren ! sagte der Ncgw. 

— Sind wir Oefangene, oder waruin bekommen wir Cuern 
König nicht zu sehen "i 

Prinz Ellaks Kopf erschien jetzt in derselben Luke. 

Den König bekommt man erst heute Abend beim Gast- 
ml zu sehen, sagte der Prinz mit dncm boshaften Grinsen. 

— Sollen wir bis dahin hungern ? 

— Wir Demen es Meni und das tun wir immer, wenn 
wir ein Gastmal vorhaben, um dann desto mehr essen zu können. 

Köanca wir dem wenigstens hlsans ? 

— Nohl antwortele der Princ mit seiner Roßttuscher* 
Physiognomie. Man muß sich In die Sitten des Landes finden ! 

Und damit wurde die Luke geschlossen. 

— Glaubst du, daß wir mit dein Leben davonkominen ? 
fragte Edeko. 

— Wer weiß! Attila ist aus Falschheit geschaffen. Du weiüt 
nicht, daß er enioial zwei Briefe schrieb; den einen an den König 
der Westgoten, Diterich, und darin bat er ihn um ein Bfuidnis 
gegen die Römer als den gemeinsamen Feind; am selben Tag 
schrieb er einen ähnlichen Brief an die Körner, in dem er um e!n 
Büdnis gegen die Westgoten bat. Der Betrug wuide entdeckt« und 
Attila luitte sich zwischen zwei Stühle gesetzt 

— Er scheint unsterblich zu sein, sonst wftre er doch wohl 
einmal im Kampf getroffen woiden, da er immer an der Spitze gdit. 
• Bis zum Abend blieben die Reiaekameraden eingesperrt« 
dann wuide die Tür schließlich geöffnet, und ein Zefemonieo- 
melster führte sie in die Halle, wo das grofie Gastmahl suttfin- 
den sollte. 

In dem großen Saal waren unzählige Bänke und Tische, mit 
den kostbarsten Geweben überzogen und mit Trinkgetaßen aus 
Silber und Oold gedeckt. Die Qeasie waren versammelt, unsere 
Reisenden aber sahen keine bekannten Gesichter, und sie späiiteu 
veijgcbens nach dem Bräutigam und der Braut. 

Als ihnen ihre Plätze angewiesen waren, begann em leises 
Ocmurmei unter den Gasten, Man sprach halblaut und higte sichi 
wo der Oroßkönig sich zeigen würde. 

Orestes und £deko untersuchten mit den Augen Wände und 
Decke, ohne sehen zu können, wo das Wunder geschehen adKe; 



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^ £2 - 



denn diese kindlichen und hinterlistigen Männer pflegen die Gäste 
mit Überraschungen und scherzhaften Possen zu ergötzen. 

Plötzlich stand die ganze Versammlung auf. Der Behang 
der Wand im Hintergrund war fortgezogen worden nnci auf einer 
Estrade saß ein kleiner unbedeutender Mann, allein mit einem Tisch 
vor sich und einem Ruhesofa neben sich. Auf dem Tisch stand 
ein Hoizbecher. 

Er saß sanz anbewegücfa, nicbt dmnal die Augoiliikr be- 
wegten sich. 

Etwas tiefer als er stand sein Minister, der Orieche One- 
galm, der seine Blicke unablissig auf den Henrsdier geheftet hielt, 
der durch die Augen zu Ihm sprechen zu kdnnen schien. 

Der Minister gab ein Zeichen, und die QSste setzten sich. 

Attihi blieb sitzen» wie er safi, die Beine gehreuzt und die 
rechte Hand auf dem Tisch. Er grüßte nicht, beantwortete die 
Grüße nicbt. 

— Er sieht uns nicht! Er zeigt sich nur! flüsterte Orestes. 

- Er sieht wohl ! 

Onegesius erhielt einen Befehl aus dem Auge des Herr- 
schers; hob seinen Stab; ein Dichter trat vor, mit einem Instrument, 
das einer Harte und einer Trommel zugleich glich. Nachdem er 
die Saiten und das Trommelfell geschlagen, begann er zu lezi- 
tieren. Es war ein Lied von allen Taten Attilas, stark aufgetragen, 
und es wire endlos erschienen, wenn die Versammlung nicht In 
den Refrain eingefallen wire und dabei mit Ihren kursen Schwer* 
tem auf den Tisch geschkgen bitte. Der Dichter schilderte die 
Niederlage auf den kahüaunischen Feldern als eine ehrenvolle, aber 
unentschiedene Schhidit. 

Als die Fremdlinge eine Zeitlang den unbedeutenden 
Helden in seinem einfachen braunen Lederanzug betrachtet hatten, 
wurden sie von der gleichen unwiderstehlichen Achtung ergriffen 
wie alle, die ihn gesehen. 

Es lag mehr als Eitelkeit in dieser selbstbewußten Ruhe; 
diese sichtbare Verachtung von aüem und allen. Er wandte den 
Gästen fortwährend das Profil zu, und niemand außer dem Mi- 
nister konnte seine Blicke auffangen. 

Als dis Loblied zu Ende war, erhob Attila seinen Becher, 
und ohne einem zuzutrinken, nippte er dann. 



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Das war jedoch das Signal zum Beginn des Trinkgelages* 
und der Wein floß in goldene und silberne Becher, die bei jedem 
Zug geleert werden mußten, denn es ergötzte den Herrn, selbst 
nfichtern seine Umgebung benuscht zu sehen. 

Nachdem man eine Weite grbrunken hatte, trat der Neger 
Hamflkar vor und giaukdte. 

Da erhob sidi der QroBUnig, kehrte erst der Versammlung 
den Rfickcn, und legte sich dann auf das Sofa. Aber in jeder 
seiner Bewegungen lag Majestät; und als er so sinnend dalagt, tiie 
Kniee hinaufgezogen uiid die Hände u:iit;rin Nacken, die Augen 
gegen die Decke gerichtet, war er noch imponierend. 

— Aber die Brani, ufid die Hochzeit? iragte Orestes einen 
von den hunnischen üäsien. 

- Bei uns spricht man nicht von seinen t^raueo; sollte 
man sie da zeigen? antwortete der Hunne. 

Das Trinken nahm seinen Fortgang, aber Speisen kamen 
nicht auf den Tisch. Mitunter sang die ganze Versammlung und 
schlug auf den Tisch. Mitten im Rausch und Urm war der Saal 
plötzlich voll Ranch und das Gebäude stand in Flammen. Alle 
stflfzten auf, schrien und suchten die Flucht, der Minister aber 
schlug mit seinem Stab auf den Tisdi, und die Veratmmlung 
brach f n ein Lachen aus. 

Es war ein Hochzeitsscherz, und man hatte nur einige 
Ladungen Stroh draußen anL:esteci<t. 

Als die Riihe wieder eingetreten war, war Attila nicht mehr 
zu sehen, denn er hatte den Saal durch eine Paneeltfir verlassen. 

Und jetzt begann das Qastmal, das bis zum Morgen dauerte. 



Als die Sonne aufging, saß Or^tes mit einem avarischen 
Fürsten noch beim Becher. Das Aussehen des Saals war unbe- 
schreiblich, und die meisten Gäste tanzten draußen um Feuer. 

— Das ist auch eine Hochzeit! sagte Orestes. Die vergessen 
wir nicht so bald; aber gern hätte ich mit dem merkwflrdlgen 
Mann gesprochen; kann man das nicht? 

^ Neittp antwortete der Avare, er spricht ntdit ohne Not. 
Wozu soll das dienen, sagt er, dazustehen und einander voll zu 
Ifigen? — Es ist ein kluger Mann, und nicht ohne Züge von 
Wohlwollen und Menschlichkeit; er duldet keiue unnötige Biut- 



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veigießung, rächt sich nicht an einem Geschlagenen, verzeiht gem. 
^ Hat er Religion? Ist er bange vorm Tod? 

- Er glaubt an sein Schwert und seinen Beruf, und dar 
Tod ist ihm nur das Tor zur wiridichen Heimat Darum lebt er 
nur ab Oast hier unten» oder wie auf dner Reise. 

- Also ganz wie die Christen! 

- Qgentflmlich ist es, dafi er Respekt vor dem Piai»t Leo 
unten in Rom belcam. — Was ist nun los? 

Draußen erschallte dn Oeheul, das erst aus dem PlaU»t zu 

kommen schien, sich dann aber durchs Lager verbreitete. Eine 
halbe Million Menschen heulten, und es klang wie Weinen. 

Die trinkenden Oäste eilten hinaus und sahen alle Hunnen 
tanzen, sich mit Messern das Gesicht ritzen und hörten sie un- 
begreifliche Worte ausstoßen. 

EdelK) kam hinzu und riss Orestes mit sich durch die 
Haufen: 

- Attila ist tot! Gelobt sd Jesus Christ! 

- Tot? Das ist Ildico! 

- NdUp sie safi an der Lddie, veisdilderti wdnend. 

- Das ist sie ! 

- Ja, alxr diese Wilden sind zu hodimfitig, um zu glauben, 
Attila könne von einem Mensdien gddtet werden ! 

- Welches Qlfidc fflr uns ! 

- Schnell nach Rom mit der Neuigkeit! Das OHIck des 

zuerst Kommenden ist gemacht ! — — 



ANTWORTEN DBS HBRAUSGBBBRS. 

Kriminaiut. Von dem auch In weiteren Kreisen bekannten 
»Bezirksgericht Josephstadt in Strafsachen < sind erbauliche Dinge zu 
melden. Einigte Ehrenbefeidit^nnsren get^en > illustre Persönlichkeiten« — 
wie sie der Gerichtsreporter nennt — wurden >auf Grund von Vor- 
erhebungen ohne Anordnung einer Verhandlung a limine nbg^wiesen«. 
Da solche Praxis noch nie eiiieni in den Tiefen der Menschheit Oe- 
boineo zagutekani, so ist wohl annmebmeii» daß die »VorarhdHmgen« 
darin bestellen, dafi man die QeneraUen, Oebnrt, Rang nnd Stand des 
Beidraldiclen, also nidit sein Versdraldai, sondern sein Verdienst lest- 
Stent. Dafi in dalerreich der Mensdr beim Baron .anOngt, Ist cbie 



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-26- 

antiquierte demokratische Behauptung Wahr scheint nur zti sein, dal) 
in Österreich der Angeklagte beim Baron aufhört. Kompromittiert sich 
ein Graf durch die Geschäftsverbindung mit einem Börscaner und 
«erden zufällig beide der Ehrenbeleidigung beschuldigt, so wird die 
österreichische Jnttiz Onade für Unrecht ergehen und auch den bfirg^er- 
Uchnn Bdrsoiier dar atnoi Amtevohttat feeilhaftlif «erden Imen. Oiaf 
bleibt Onf, «btr Herr Koi^pfelnaite wird in der Reibe Jener »innitren 
PcnflnHcbkeften« fMidoulert, ttwr deren Ehrenbdeldignngen >obne 
Aflordnuf einer Verbandinns« enHctaleden wird. Die Verbindung lOnslor 
Ik KnAplebaneber bat rieb in jeder Beclcbnng icntiert. Der terlcbt- 
üebeErinlg «ar nnuaeicfaerer, ate der Kliger, der der Justiz zu tmponieten 
■Minte, die Unvoniehtigkeit beging, den FOrsten Hobcnlobe-Odirinflen, 
Herzog von Ujest, als Zeugen zu führen, io dessen »Bureau« die Be- 
leidigung geschehen sei. Das Bezirksgericht Josepbstadt beschloß wegen 
zu starken üerzklopfens auf die Ünvernahn'e des Herzogs zu verzichten. 
Es girg zur passiven Resistenz über und stellte das Verfahren ein. Das 
Landtsgericht freilich machte ihiu Mut und zwang es, den Herzog vorzuladen. 
Vermutlich ging die höhere Instanz von der Ansicht aus, daß angesichts der 
Mittäterschaft des Herrn Knöpfelmacher die rasche Erledigung des Falles 
doch nicht tualkh und daß znr Einitdbing des Verfahrens auch nach 
der Einfenudnne des Henoge nocb bnmer Zeit sei. Wiewohl die 
goldene VlieB lingst tont goldenen Kalb bezogen wird, bat die (teter- 
lefcfaiecbe Anllidikeit den Reipekt vor den HodtgelMMnen nicbt veriemt. 
Die nnd der QericlitMHua It^binen nnn einmal nidit znaanunenlcommen 
Entweder tdienen eie Ibn oder scheut er sie. 

JAbm^, »Was fOr ein Aufrnbrl Wae sind dttS fOr wilde Tiere, 
die da beulen? Das sind die Juden. Sie sind inmer so.« Qespilcii 
der Soldaten in »Salome«, Aber auch jedem, der die Berichte über 
eme »Protestversaniinhing der Kuiius^emeiud." « und die Leitartikel der 
rituellen F^resse lie^t, könnte die Aufklärung werden, daß »sie immer so 
Sind«. In VX^ien macht allfnia! eine Dummheit die andere gefährlicher, 
und wenn nicht eine dritte kanie, die die beiden ersten vergessen läßt, 
stände es schlimm um die Sicherheit der Stadt. Eine unsinnige Rede 
des BiUgenneistets wirbt dem Verein znr Abwehr des Antisemitismus 
Anhinger. Eine jüdische Protestversamminng treibt die neuen 
OHnblgen und mit ihnen vide alte dem Antisemltismns in die Arme. 
Frogranungemlfi rttckt eine griWcfae Kundgebung nach der andern an, 
»und aai die Bdie brausend bricbt's wie Tubaton des Weltgerichts . . .« 



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— • S6 — 

»Und dann der Baurat Stlaßny«. Er bat in der »Neuen Freien Presse' 
einen wehmütigen Vergleich zwischen dem Bürg^ermeister von Wien und 
dem Lord Mayor von Lontlon gco^en. Der Vergleich war n ciit glücklich. 
Die Äußeruntr des lord Mayors trieft zwar von phi losem iiischer Ge- 
sinnune, enthält aber auch den Satz: » Bekümmert und catmutifirt dufcb 
die Behandlung, welche ihre mit Ffißen feMenen Olaubensgenoeaen 
In anderen Landern za erdulden hatten, Yermocfaten eie dennoch ihre 
geredite Empdranc n nateidrfickettf damit daeneits dasfmndUciM Ein- 
vernehmen mit i hr e tt Mi t hfl rgetn in diesem Lande keineStdrnnc 
erleide nnd andererseits durch fdndsdice Demomtndiooen ihre ftwad- 
schaftUcben Beziehungen zu anderen, weniger gesitteten Lindem keine 
Änderung cifiUiren.« Die »Nene Freie Pressse' nnd Ihr fitnsemler haben 
steh wohl auf die Dummheit der antisemitisdien Journalistik verlassen. 
Sie hat es sich entgehen lassen, die vohl vollenden Bemerkungen des 
Lord iWayors über die Londoner Judenschift rür den Standpunkt des 
Wiener Bürgermeisters ausru schroten. In London und in Wien war von 
der Stell im>i der einheimischen Juden zu den russischen Ereigtiissen 
die Rede, dort wie hier wurde von der iVöglichkeit einer Stönirrg^ des 
freundlichen Einvernehmens zwischen den Juden und ihren Mitbürgern 
gesprochen. Nur daß in London Wunsch bUeh und Lob der Klug- 
heit, was in Wien die Form der Drohung annalun ffir den FaU 
der Unklttgheit In dem hIBUehen Kommentar, den Herr Dr. Lnmer 
seiner Rede gab — hifilicfa, weil er die Drohung anfrcchthleH, Indem 
er sie sdiehibar in Abrede ilelUe niul datmnf bestand, er habe »bloB« 
gemeint: »wenn die Juden usw.« hat er sich nlchl aBauvult von 
Standpunkt des Lord Minors entfernt, der Ja auch daa StUlschwelgea 
zu dem Leid der Stanunesbtflder als die Grundlage des Pricdens be- 
tdchnete. Der Unterschied ist blofi der Untcnchied der Londoner 
und der Wiener Manieren. 

Sozialdemokrat. Der Kai- rn schwillt. Und mit ihm die Kühn- 
heit der Behauptungen Dr. Viktor .Adler hat arn ^ Dezember in einer 
Volksversammlung, die gegen die Wahlrechts^^e-ner des Herrenhauses 
protestierte, nnch dem Bericht der , \rbeiterzeituQi' vom 8. Dezember 
die Worte gesprochen: »Denen (den preußischen Junkern) hat es nämlich 
Bismarck mit jener Genialität, die ihm Laasalle souffliertet 
erspart, sich durch dk Niedertracht eines Kampies gegen das aUgemelne 
Wahkecht zu kompromittieien«. Jettf ist's am Tage. Und die Nnü 
Bismarck wird hoCEsntiich bald von der Rechentafel der QcecUchte ge- 



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- 27 ^ 



MMt Mta, aof der in Znkiurft flberiitiipt nur mehr die »250.000«, 
die enf 4er RfofrimBe fftf das Vehlredtt demonslrierlen, figurieren 

Wimtr, ldk ktgue midi immer, dnB ich to wpU erst von all den 
Dingen, die fdh tne, erhdue. Immer spiter als die anderen, nnbeleltigfen 

Leute. Da habe ich hinter meinem Röcken ein modernes Cabaret gegründet 
Alle LeiKe wissen l>, d:": Kaffeehäuser sind voll davon, die Blätter schreiben 
darüber. Schreckliche Verejn<;humori8ten erzählen, ich hätte sie bereits 
engagiert. All dies erfahre ich als der letzte. Und freue mich der 
mythen bildenden Kr^ift, die ich ir.ir fn Wien bereits erworben habe. 
Ich werde wohl einst aus den wohlwollenden Nachruftin der Wiener 
Presse erfahren, daß ich gestorben bin. Die jfingste Neuigkeit freilich 
ward mir in so bestimmter Form gemeldet, daß ich mich fragen muß, 
ob's denn nicht TieUeicht doch vahr ist, daß ich das NadtUolcal »Bradj« 
gekauft habe nnd dort dn Cabaret crOHbe. Aber ao sehr idi ins 
Schwanken gebncht «erde, achlieBlfdi erinn e r e ich midi doch ganz 
beitamt, daß ea nicht der Fall ist. Dafi idi In QeaeUacfaaft des 
Laüen Mr Henry nnd seiner Mitattdter zn adien bin, ist nnbettrdtbar; 
ameh daß Ich ab nnd ru In szenischen Dingen mit Rat hdfe. 
Aber im Ganzen habe ich zn dem Cabaret, das gegründet vird, 
keine andere Beziehung: als die des Interesses, das ein Kunstfreund 
an einer kunstleri^^chen Gründung nimmt, und die der Hoffnung, daß 
sie dem Snl der GaltuiiK näher koiTimen wird als jene im Souterrain 
gelegene Herberp^e de«: Stnmpfsiiu s und der Ta!erill sigkeit, die Schiller 
gewiß gemeint hat, ais er die Worte schrieb: »Da unten aber ist's 
f&rchterlich« 

Sammler. Wenn Sie's durchaus nicht missen wollen, ad'a hier 
naditrftgüch erwähnt. Nach einer »Unterredung mit dem spamschen 
Mlniaier daa Aaflem, Don Pio OuUon« - diplomatisdie Interviews in 
der fNanaa fnkn Preise* dnd fanmer lohnend — war (am 14. November) 
iK lesen; »& (der Schmodc) hatte, als er den Mann mit dem scbnee- 
waillsn Haar nnd dar gebeugten Qestdt m ddi sah, den Eindmd[t 
alt ob Don Plo Onllon neben dem |nngen König von Siwnien dastdie 
wie Paaelon neben Telemach«. — In der ,Somi- nnd Montags- 
zeltnng' der alte Schmock lebt noch — ward kfirzHdi berichtet, 
eine Konzertsängerin habe einige Lieder »mit feinem Geschmack, gut 
geschulter Summe nnd schönem Erfolg vorgetragen«. Der Referent soll 
mit dem lange gesuchten Verfasser jener kleinen Anekdote identisch 



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— 28 — 



•du, nach, dtr dn Soldat in der loatniktkHmtiiiule mf dk ftagc, wo- 
mit er äein Oevelir putze, die AntvoH gab: »Mit Uebe, Ptsi« od 

Sorgfalt«. — Auch sonst ist manches in der letzten Zeit geschehen, das 
weri wäie, in tlie Sammlung aufgenommen zu «werden. Aber d<»r 
wichiijjste Grundsatz ist — nicht vollständig zu sein und lieber der 
Phantasie als der Neugierde zu dienen. 

Stilist. Kein Ver^rnögen w'ird so ehrlich empfunden wie das, der 
, Fackel' eine sprachliche Entgleisung nachweisen zu können. Selbst 
wenn der Nachweis nicht erbracht werden kann, ist das Vergnficca 
Sroß. Ein Esel hält mir vor, daß ich körzUcli einmal in einer Glosse 
Ober die Hntmodevahl den Hat > Weisse« mit den Worten mfldnpdaai 
ließ: »Den zidie idi ntdit anl« Man dcbe einen Hnt nie an, aondeni 
setze ihn auf. Unsinn! Qanz afafesdien da?on, dtfi man dnen finti 
der dn BeUeidmqisccgenstand ist, sehr wohl anddwn kann — mm 
zidit ttin d)en »an sich« - , htt es ddi dort nm die Anwendmc einer 
flblidien Redensart gdianddt. Die Anwendung ist riditig, «adi 
wenn die Redensart noch so falsch wäre. Je schlampiger, je lolnler 
der Ausdruck ist, uiiiSü notwendiger ist seine Anwendung dort, wo man 
ohne Gänsefüßchen zitiert. Aus dem kleinen Willomitzer aber lernt man 
keine stilistische Perspektive. — Ein unverfälschter deutscher Schwach- 
kopf bä'.t sich über die im Schluß der Abhandlung »Die Kinderfreunde« 
enthaltene Wendung auf: »Wie, wenn sich der Fall — der sich gewiß 
nie zugetragen hat - wiederholte«. Ja, kann sich denn ein Fall, der 
sich nie zugetragen hat, wiederholen? Und der deutsche Mann glaabt, 
daß idi soldie Unmöglichkeit nidit selbst za bedenken imstande wir. 
Aber soll idi ihm das Fremdwort »Oxymoron« flbers e tz en ? Em be d en te t 
einen »Ocdanlceo, der dnen sdieinbaren Wlderspmdi entUUt«. So etwas 
gibt's nimlidi Im dentsdien Stil, Das Oxjrmoton — nennen «ifs an* 
deutsdi »sdiarfUnnlge Dmnmhdtc — jstelneRedewcndfmc»dsien akhan 
allen Zdten die besten Sdiriftstetler bedient haben. Man kann a. & von 
einem lauten Odidmois sprechen, ¥on einer redenden Stille, dnem beredten 
Schweigen, und von deutsch volklichcn Blättern, die nicht deutsch können. 
Auch von Wiublättern, die nicht witzig sind. Da ist z. ß. die »Muskete', 
die zur Vermehrung: der vaterländischea Langweile neulich in die Welt 
pe^etztward, In fetten Leitern triumphiert sie, die , Fackel' habe in Nr. 189 
den Satz enthalten; >Ein Konkubinat m der Hand ist bef?ser als eine 
Kinderschänduue auf dem Dache<. Ja, aus dem Zusammenhang gerissen, 
würde der Satz mir selbst den Cindrnds madma, als ob sein Vcrfssser 



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29 - 



£ia«bit, dtß naii dn Konlmbiiiat mit der Hand und Kindencliiiidfiiicen 
«ir den Dtdie 211 begdien pflege. Lese Ich aber dfe gme Stdle, so bin Ich 
der Meinung, dafi ich eine Jnsttzbetze, die einen der KlnderBdilndnng 
Beecbald igten »wenigstens« durch den Nachweis eines Konkubinats 

herab5etzen möchte, nicht besser als durch die Paraphrasicruntj des 
bekannten Zitats charakterisieren kdnnte Ich «glaube, Jaß die , Fackel' 
nicht so humorlos sfeschrieben ist wie die .t'nverfäl?chten deutschen 
Worte' oder die .Muskete'; aber an stilistischem Gefühl nimmt sie's 
mit ihnen auf. 

Arst Das Anaeben, dessen sich die Wiener medizinische Fakultät 
weit Aber die Grenzen des Vaterlandes hinaus in den kanfmännischefl 
Kreisen erfreut, eifUnt mit Jedem Tage nene Förderang. Herrn Pr ofe ssor 
Moafi, den bevihrten Hansarztverdringer, der In schweren Flllen, bd 
denen er als Konaflisrins zagesogen vird, sich selbst den Patienten 
fc m d n et nnd dessen Methode hier einmal demonstriert wurde, bat die 
DIseipliniernng ereilt. Aber der akademistbe Senat scheint sidi fir die 
Ansdumnngen der Ärztekammer nicht ervSrmen zu können. Sicherlich 
biülft er auch das Tun jenes andern Unlversititsprofessors, der sich bei 
diesen schlechten Zeiten ^^^zwungen sieht, sich mit einer Papierhandlung 
zu assoziieren. Wie das? Sehr einfach. Seit einiger Zeit macht unser 
öffentlidies Leben dfe sogenannte »Gärtner- Ku r« durch. Wa? Ist 
die Gärtner -Kur ? Was bezweckt ste? Sie bezweckt durch systematische 
Dosierursf: der mensch ichen Nahrung ihren Erfinder fetter zu machen. 
Wenn nebenher noch die Entfettung des Patienten ohne weitere scnäd- 
liche Folgen für seine Gesundheit erreicht wird, umso besser. Nach der 
Oiftner-Kur dringt, an der Gärtner- Kur hängt doch alles l Ach vir 
Armen! Seit allzu langer Zeit liegt nns auBcr der Wahlretonn nur nocii 
die Oirtner-Knr am Herzen. Wer In Wten zur guten Oeseüschaft gezlhlt 
nsitt vin, speist nur mehr unter Anleitung des Professors Oirtner« 
Ob er dabei das Messer in den Mund steckt, tut nichts zur Ssche. 
Dem Erlinder, der Kur soll diese In wiederholten Pillen sehr gut an« 
gesddagen haben. Trotzdem ihre Methode, wie In Irztlichen Kreisen 
versichert wird, keineswegs nen Ist AnCh vor Professor Qlrtner's rituellen 
Spe segpsetzen soll natnlich schon in medizinischen Lehrbüchern die 
Speisewa^e ah Werkzeug menschlicher Enlfettungsbestrebun^en em- 
pfohlen worden sein. Herrn Professor Gärtner gebührt bloß das Veruirnst, 
die Meihode in seine eigene Praxis eingeführt und zur sogenanruen 
»Girtner-Knr« rationcil ausgestaltet zu haben. Haarwuchsmitieler^euger 



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30 — 



lassen den gewissen Inseratenmenschen, dem ein dichter Wald das einst 
unbehaarte Haupt krönt, mit der tiefempfundenen Versicherung eines, 
der's überstanden hat, uns taglich in den Ohren liegen: »Ich war 
kahl«. Solch kosmetischen Beglückern der Menschheit liefert wohl eine 
oder die andere Schauspielerin ein Reklamefeuilleton, in dem sie der 
Welt die Heilsbotschaft brin^, daß nichis über »Javol« gehe. Jeder 
ToiktteartUttl mlangt seine Darstdleiiii. Die Oirtncr-lUr lui flve Nicae 
ceftindefi, und die tfichtige Komikerin, die ihre Ptopidaiiltt UAtt «Is iinr 
Kj^ipeiseviclit zunehmen fflhlie^ eoU In Wort nnd Schrift nnd Man 
lie sogar nnter den Auspizien des Professors CUrtner ihre MthlaeUen 
einnimmt, jener Dankespflicht obliegen, die sich in der plfUttvoU« 
Versidierung betätigt: »Ich war dldc«. Die OIrtner-Knr nnd koln 
Ende. Und so kommt min nicht einmal dazn, fiber die Zniammenhinse 
zwischen der medizinischen Forschung und einer Papierhandlung nach- 
zudenken. Hier sind sie: Ein Leser, seines Zciciiens Frauenarzt, teilt 
mir das folj,a-nde Erlebnis mit: »Eines Tages wollte ich für meine 

zuckerkranke Mnuer in der Papierhandlung P {^o•'g^ die Adresse) 

eine »Speisewiige nacli i-'roffssor üänner' kaufen. Iii dem Geschäft 
wurde mir gesagt, ich könne die Wage ohne eine Anweisung des 
Henn Profeaaora nicht erhalten; doch würde er, der in demselben 
Hanse wohne, mir, dem Kollegen, den notwendigen Zettel ohne- 
weiten ausfolgen , . . Ich ging zu meinem Freunde K . . . . (folgt die 
Adresse) und erzlhlte ihm die Oescbicfate. Er begab sich aofoit nn$ 
Telephon, rief den Henn ProÜeseor tut, nnd es entwickelte eicfa das folgeMk 
Oesprich: ,Wer dort? — Hier Professor QIrtncr! ^ Persönlich? — 
Jawohl! — Ich bitte, ich wollte mir heute beim P. in der Sdi . • . . stniBe 
eine Spdaewage nach Ihrem System kaafen. — - Ver dort? — Hier 
K . . . . ~ Ja. diese Wagen sind nur für meine Patienten bestimmt. — 
Ach, muß man da also erst bei Herrn Prof'^ssor Visite machen? — Ja 
gewiß! - Danke! Schluß!'« - Sov-eii der Einsender. Dieses Tdephon- 
gespräch ist als Beilrag zur Lrforschung der Zusammenhänge zwischen 
wissenschaftlicher Theorie und — Praxis gewiß lehrreich. Es wäre 
interessant zu erfahren, ob sicli der Professor und der Papierhändler 
mit der fpegenseitigen Rekommandation begnügen oder ob der Papier- 
hindler andi noch von Jedem Patienten und der Professoi von jeder 
Wage einen Vermittleiantett bezieht Die Agenden sind übrigens un- 
gleicfa «erteilt Denn der Papierhändkr schickt gewifi nicht alle setat 
PaUenten - etwa die Käufer von Ansichtskarten ^ zum Psofeaaor, 



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81 



«UnoKl dkMT voäl tdiie aiiiriUdNB Kiwdcii mn PapiaMadtertdikkt. 
MBr ondfniert «Icder der Pipierhittdkr den gmuen Tig, mid der 
P to iee i oc Ist btoß elniee Stunden im Oeechlft tttig« 

Chirurg. Widerlich sind die Berichte der .Neuen Freien Presse* 
über den Beinbruch aes Erzherzogs Karl. Der Preßköter kann sich an den 
Knochensplit!ern einer so hohen Persönlichkrit nicht satt nagen. Was 
eine > informierte Sei{c< sagt. Was eine »andere Seite« sagt. Was man 
uns Abends meldet. Was man uns Nachts meldet. Was der Eislaufiebrer 
erzählt. Was der Eismeister berichtet. Was eine > arztliche Seite« meint . . . 
»Mit dem Automobil der Rettongsgeaellschaft wurde der Erzherzog in 
das Ausartenpalais gebracht, wo schon der Chefarzt, kaiserlicher Rat 
Dr. Chine» der inzwiechen fentindigt worden war, anf den Trsniport 
wartete«. Won? »Znr Unteranchnng mit ROnlgen-Stiahlen wbü Erz- 
henog Karl morgen ins Senatorinm Ißm gebracht werden.«. Die Nach, 
ridit wird vidldcht dementiert werden, to dafi also daa Sanatorium LOw 
nodi ebimal cenamit werden kann. Was der Kaiser sagte. Was die 
Enherzogitt Maria losefa sagte. Was der Erzherzog Otto sagte. Einer 
sagte, daß der Verband der Rettungsgesellschaft »sehr schön« ist. Das 
war aber niclit, wie man au' den ersten ßiicii vermuten könnte, eine 
der vielen höchsten Peisöniichkeiten, die sich über den Unfall geäußert 
haben, sondern bloß der Professor Hochenegg. 



MITTBILUNO DBS VBRLAGBS. 

Die Erhöhung des Pr.oises der einzelnen Nnmnier auf 
30 Heller ist nicht bloß deshalb erfolgt, weil sich die fiersteilungs- 
kosten seit dem 1. Jänner 1906 verteuern und weil läng;st das 
Verlaf^udget durch die Autorenhonorare fiberlastet wird» mit denen 

die ,Fackel' allemal den Verlust von Käufern, die sich für wert- 
volle künstlerische Beiträge nicht interessieren, be/ahlt. Die fir- 
höhuTig des Preises soll vor allem dem österreichische'! Lesepubli- 
kum die hier hundertmal gepreaigte Erkenntnis fühlbar machen, 
daß die materielle Wohlfahrt eines publizistischen Unter- 
nehmens nicht von seiner Ausdehnung abhängt Die ,Facleel' ist 
die bd weitem verbrdtetste Revue Detttscfa-Österreichs. Ein Blick 
auf ihren Inseratenteil aber wird den Kenner, der die großen 
Kosten der ungewöhnlich sorgfält ^:^en Herstellung erwägt, über das 
Mißverhältnis zwischen Extensität und Pro^pmlät, das last so groß 
ist wie das Mißverhältnis zwischen der Ai in itsleistun^ des Redak- 
teurs und seinem Einkommen, belehr en. hm Exemplar unserer 



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- « - 



dickbäuchigen Sonntags- und gar eines der Weihnacfats- oder 

Osterblätter, das etliche Bücher belletristischer Literatur aufwiegt, 
wird weit unter dem Herste! Iii njrspreise verkauft. Dem Inseiatcn- 
ertrag und dem dunkleren Nebengewmne, nicht der Auflajje haben 
unsere großen Blätter ihr MilHonengeschäft zu verdanken. Je 
größer die Auflage, desto größer das Defizit 
Aber je größer die Auflage, desto fetter auch der Inseratenverdienst 
Zu schmutzigem Nebengewinn bedarf es nicht einmal des Nach- 
wTises einer bestimmten Verbreitung. Die Revolverpresse gedeiht in 
Osterreich, und ihre Herausgeber zahlen, da ihre Blätter kaum in 
sichtbare Erscheinung treten, bei einem großen Einkommen eine 
minimale Erwerbsteuer. Publikum und Steuerbehörde bemessen die 
Gnkünfte eiiies Blattes ausschließlich nach seiner Verbreitung. Eine 
hohe Erwerbsteuer ist in Österreich das Strafgeld auf die 
H e r a II s Ji; a b e eines u n a b h ä n i <if e n Blattes. Dn ß eine 
Zeitschrift wie die ,hackel' neun Zehntel der ihr ani^ebotenen 
Annoncen nicht aufnehmen kann, daß sie sich die ergiebigste 
Einnaiuusquelle österreichischer Publizistik fast ganz veibtopfen 
muß, rührt weder das Publikum noch die Behörde. Sie ist das tn 
der Wiener Zdtungsgesdiichte erste Beispiel für die DasehfsmdgNcb- 
keit eines Bhittes >an sich«, dafür, daß ein Blatt ohne nranai^rertca 
Inserate noewinn aktiv sein, daß es ausschließUch von seinen Lesern 
leben kann. Daß es von den Lesern bei weitem nicht so üppig lebt 
wie das miserabelste Erpresserblatt, das den hundertsten Teil der 
Auflage der , Lackel' hat, von seinen Nichtlesern; das heißt von 
jenen, die es sich für eine Abzahlung vom Halse halt», ist tra«» 
rige österreichische Wahrheit. Das Publikum, das in den Weih- 
nachtsfejcrtagen für 8 bis 12 Heller alle neuen belletristischen 
Erscheinnrr^^f^n aller Nationen sich rrhenken läßt, erzieht die Tagfes- 
presse zur Kc^' tu p'inn. Und die korrupte Tagespresse macht durch die 
lächerliche Verbiüjgurig der LittTaturpreise das Bestehen an- 
ständiger Zeitschritten fast unmöglidi. Ein Blatt wie die 
,Fack«r, das aus sich selbst heraus es zu einer in Österreich un- 
erhörten Verbrettung gebracht hat, ist schon eine Ausnahms- 
erscheinung, weil es nicht passiv ist. Schlechtere Zeitschriften 
müssen, nm bestehen zu können, doppelt so teuer s* m und doppelt 
so sknipcdos in der Annahme von Inseraten. WiU die »Fackel* 
das iäciieriiche Mißverhältnis zwischen ihrer Verbreitung und iiuem 
^trägnis um ein geringes mildern» so kann sie nur im Verkaub^ 
preis» nicht in der Gestaltung ihres Annoncenteiles eine Reform 
eintreten lassen. Die Verteuerung der HersteUung^kosleii hat diese 
Reform unabweistich gemacht 



Die Bedingungen fflr die nach dem l.Jftnner 1906 
an gemeld eten, beziehungsweise erneuerten Abonne- 
ments sind auf der 4. Umschlagseite veröffentlicht. 



Hofiusgeber und veranhrortUcher Redakteur: Karl Kraai. 
rhmtjk m idMda nd 9lmL Wica. III. HIfilac ZoltoptM^ S 

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Die Fackel 



NK. 193 WIEN, 19. JÄNNER 1906^ VII. JAHR 



Und wieder hat der Inseratenagent als Flügel- 
adjutant fungiert. Der österreichisclie Patriotismus, 
der fast so wehleidig ist wie der österreichische 
Katholizismus, zeigt sich unglaublich tolerant, wenn 
das »Gott erhalte« zur Formel für eine Inseraten- 
quittung wird, und jener Staatsanwalt, der einst die 
Denunziation einer Majestätsbeleidignn^ als die vor- 
nehmste Pflicht des Bürgers bezeichnet hat, sitzt jetzt 
im Preßbureau, impiaiert die Tagesproase und 
»macht nicht mau«, wenn rieh die Schweinepriester 
der öffentlichen Meinung yon den für fingierte oder 
entstellte Kaiserworte abgepreßten Firmeng^dem 
misten. Wenn die Miqestätsbeleidiguog sich mit Br- 
pfessung paart, drflekt der Stutt ein Auge — 
juat das Auge <tes Geseties — au* »Der Kaiser in 
der KoohkttnstaussteQung.€ Welehe Devise fttremen 
Raubzug I Hat Se. Majestät eine Ahnung, welches Hand- 
werk er, in der landesväterlich frommen Absicht, dem 
Gewerbe auf die Beine zu helfen, fördert? Weiß es 
der Kaiser? Er weiß es nicht. Und das Gesinde 
wagt es nicht, es ihm zu sagen. Hat so ein Oberst - 
hofraeister die Rache der Preßmaflßa, die ja in ihrem 
Raubbezirk gefährlicher sein mag als die Kamarilla, 
zu fürchten? Gewiß nicht. Aber — »der Weitgeist 
will's«. Der Kaiser muß nun einmal herhalten, wenn 
eine Liqueurfirma eine wirksame BeklSflM braucht. 
Und einem Nachtkafifeesieder mufl er gessgt haben : 



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»Ja, ja, ioh kenne Ihr Geschäft^ und es ist sehr schOOi 

daß Sie sich so betätigenc 

»Ein Kaiserwürt suU man nicht drehii noch 
deuteln I« Der klassische Sprucli steht gewiß iiioht 
über den Türen der Wiener Preßhöhlen angeschrieben. 
Österreich ist halb erheitert, halb angewidert von 
dem journalistischen Zeremoniell, das bei jedem 
Rundgang des Kaisers durch eine Ausstellung em- 
gehaiteu wird, ein Zivilrichter hat es ausgesprochen, daß 
die Abmachung eines AnnoncenbureauSy das Kaiser- 
^orte yermitteltey mit einer Firma (die sie nicht 
bezahlen wollte) ein unmoralischer Vertrag war, und 
die Beiiegardes, Paars und -Kielmanseggs führen 
den alten Monarchen noch immer mit dem gleichen 
Emst a wischen den Spieflruten der Erpressung und 
Beklamesucht hindurch. Und alles findet er, der seine 
Qüte nicht mißbraucht fühlt, »sehr schön« . . . 
Aber diesmal ward der Trug frecher betrieben. 
Nicht nur daß der Kaiser vor jeder Oügnaciirma be- 
wundernd verweilen, bei jeder Übstkoaservenhandlung 
sich erinnern sollte, daß er sie von früher her 
kenne, und mit dem Paprika-Schiesinger über die 
Schlechtigkeit der Menschen klagte, die Fälschungen 
von Paprika auf den Markt bringen, — diesmal 
mußte er auch der Fresse, die für ihre patriotische 
Vermittlertätigkeit den Undank der ,Fackel' geerntet 
hat, ein tröstendes Kaiserwort widmra. Was also 
sagte er m dem »Obmann des Preßkomiteesc, der ihm 
vorgestellt wurde? Ich denke mir Bede und Gegen- 
rede etwa so : » Ah, der Bernhard Müni I Ich kenne 
Sie schon yon frOher. Es freut mich sehr, dafi auch 
die Presse wieder vertreten ist. Sie haben hier wohl 
viel Mühe gehabt?« »Majestät, die Presse stellt sich 
gerne in den Dienst der guten Sache, wenn sie etwas 
trägt.« »Ich weiß, ich weiß. Es muß Ihnen viele 
Mühe machen, die Worte, die ich nicht sprechen 
werde, zusammenzusteiien und mit jedem einzelnen 

Firmainhaber über den Preis einig au werden. Es 



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ist sehr schön, daß Sie nicht unter fOnf Gulden per 
Zeile heruntergehen. € Von dieser Unterredung wird 
natürlich nur ein Bruchstück den Lesern der ,Neuen 
Freien Presse' übermittelt. »,Sie haben hier wohl 
viel Mühe gehabt?* Herr Bernhard Münz erwiderte, 
daß sich die Presse gerne in den Dienst der guten 
Sache gestellt habe. Der Kaiser bemerkte darauf : 
,Die Presse hat hier ein gutes Werk gefordert, 
wenn es ihr auch Mühe machte'.« . . . Daß aber bei 
der sorgfältigsten Stilisierung der Kaiserworte, die ja 
oft noch im letzten Moment Preisschwaokungen unter- 
worfen sind, Irrtümer unterlaufen können, ist nur su 
be^iflioh. Auf ein bedenkliches Beispiel ungenauer 
Wiedergabe der vom Monarohen gespendeten Aner- 
kennung macht mich ein Strafrichter aufmerksam, der 
seiner Verwunderung Ausdruck gibt, dafi map ein 
Blatte das den Kaiser von Österreich im Serenissimus- 
ton sprecheil lasse, nicht konfisziert habe. »Näher- 
tretend apostrophierte der Kaiserc — so schreibt das 
,Neue Wiener Tagblait' — »Herrn Riener, auf die 
Forellen im Teiche weisend: ,Das sind schöne Porellen, 
sie schwimmen wie natürlich.« ... Ob man 
aber die Form, in der das ,Neue Wiener Tagbiatt' und 
die ,Zeit* eine andere freundliche Bemerkung des 
Monarchen wiedergaben, als Irrtum oder als Racheakt 
bezeichnen müftte, bleibe dahingestellt. Die Sache 
ist inzwischen gewiß witfiblattreif geworden; der 
^Fackel' wurde der Zeitungsausschnitt in einem halben 
Hundert ESzemplaren augeschickt. Bin Teil der Bin* 
Bender vertritt die Ansicht, daS nur eine Ent- 
täuschung der Administration die folgende schmeichel- 
hafte Reklame verschuldet haben kOnne: »Vor der 
großen Ausstellung der Firma Jakob Neumayer & 
Komp. wurden die Firmainhaber Neumayer sen., 
Heinrich Schedl und Niramrichter vorgestellt. Der 
Kaiser sagte: ^Dassindja kolossale Pracht ti er e. 
Das findet man selten*.« ... 

Die Firmeninhaber würden, auch wenn sie 



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solchen Insulten nicht ausgesetzt wären, die publi- 
zistische Verwertung kaiserUchen Lobes nicht durch- 
aus als Wohltat empfinden. Wie zahlreiche Be- 
schwerden, die ich auch diesmal wieder aus indu- 
striellen Kreisen erhielt, beweisen, weichen viele blofi 
der sechsläufigen Drohung der dreimal gespaltenen 
Zeile. Das ifiiohtmittel der Druckerschwärae» bei 
ptttriotisohem Anlafi verwendet, wirkt verheerend. 
Die Bedrohten mOss^ es sich sur Bhre anrechnen, für 
daS| was ihnen ein Kaiser gesagt hat, einen JounwlistMi 
berahlen su dürfen* Dieses durch idle Ausstellungen 
raunende »Was hat er gesagt ?< gebückter Reporter 
bedeutet eine fürchterliche Steuer, die der Staat ira 
Staate der Industrie abpreßt. Aber von dem Urtext 
bis zu der veröffentlichten Passung ist ein weiter 
Weg des Feilschen^. Nichts ist praktikabler als ein 
Kaiserwort. Jener betriebsame Tapezierer, der eine 
>Dekorationj auf dem Umweg der patriotischen Grün- 
dung einer Arbeiteraltersversorgung erreichen möchte, 
läüt ein Zirkular versenden, in dem ein Kaiser- 
wort nicht mehr wiederzuerkennen ist. Der McMoarch 
hatte angeblich su ihm gesagt: »Es würde mich 
sehr freuen, wenn auch weitere Kreise sich für Ihre 
so lobenswerte Absicht interessierten.« So lieft er 
in der ihm geneigten Presse vei^ünden« Das Zirkuliur, 
das vom Minister des Innern, dem Qrafen Bylandt- 
Rheidt, als »Ehrenpräsidenten des Ecnnitees« unter- 
zeichnet ist, wird zudringlicher, vermeidet es aber, von 
der kaum mehr zu drapierenden »Aböicht« des patrio- 
tischen Tapezierers zu sprechen, und läßt den Kaiser 
zur Firma Jaray also reden: »Ich hoffe und wünsche, 
d&ü sämtliche Hof- und Kamraerheferanten dieser 
Vereinigung beitreten, um so etwas Großes zu 
schaffenc. Das Kaiserwort, das in den Zeitungen 
schon unwahrscheinlich klang, ist im Zirkular des 
»Kaiser Franz Josefs- Vereins« wirksam abgeändert. 
In fetten Lettern wird es den Angeschnorrten zu- 
gerufen. Wer früher niobt beitrat, war kein Patriot 



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Wer jetzt nicht zahlt, ist ein Hochverräter. . . Analy- 
sieret die schwarzgelbe öchrninke, und ihr werdet 
finden, daß sie aus 500/o reiner Furcht und öQö/o 
schmutziger Ho&ung gemischt istl 




Aus einem Aufsatz, den der Münchener liygieniker 
Hofrat M. Gruber unter dem Titel »Die Scheu vor 
Wien« in der ,Neuen Freien Presse* veröffentlicht 
hat, erfährt man interessante Dinge. Vor allem, daß 
ein Mann, den, wie er ausdrücklich zuLnbt, niie un- 
glaubliche Indolenz« der österreichischen Unterrichts- 
verwaltung aus seiner Vaterstadt vertrieben hat, 
die gute Laune aufbrin^, die tieftrauemde und zu- 
rückgebliebene medizinische Forschung Wiens su 
tvdstenund über ihre Zukunft zu beruhigen. Schlimmer 
kaim'B nicht mehr kommen? Nein^ Hofrat Gruber 
metnt^ es sMie gar nicht so schlimm um die Fakultät. 
»Machen wir Wien doch nicht kleiner^ ab es istlc Man 
glaubt sidi lu erinnern^ dafl Herr HofratGruber unter dem 
berflchtigten Unfversitätsverderber Härtel Österreich- 
müde wurde ? Man glaubt, dafl er von der Demission 
Härtels die Besserung datiert? Was wir jetzt erleben, 
sei, versichert er, bloß »die Neige des bitteren Kelches, 
den Kurzsichtigkeit, Trägheit und politische Feigheit 
eingeschenkt haben«. Wessen Kurzsiehtigkeit, wessen 
Trägheit, wessen politische Feigheit? Doch die 
des Herrn v. Härtel? Mit nicht en. Zukunftpfrnh ruft 
der Münchener Professor, der heute so wenig mehr 
unter der österreichischen Unterrichtsverwaltung 
Icideni wie der Bmunister der Universität geflfthrlich 



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werden kann : »Wenn nur das Werk tatkrftftig fort- 
gesetzt wird, das großzügig geplant und begonnen 

zu haben das unvergängliche Verdienst des 
Ministers v. Härtel istU Herr Hofrat Gruber also, 
der vor drei Jahren vor Herrn v. Härtel nach Deutsch- 
land geflohen ist, würde heute bloß deshalb keine' 
Berufung nach Wien ^ — dem in hygienischen Dingen 
leider schattenfrohen — annehmen, weil — nun weil 
Herr v. Härtel nicht mehr Minister ist. Mit der Be- 
geisterung eines Mannes, den die »unglaubliche In- 
dolenz der österreichischen Unterrichtsverwaltungt 
befeuert hat, zählt er auf, was alles in den letzten Jahren 
für die Wiener medizinische Fakultät geschehen iat, 
was geschehen wird und — was geschehen ki^nnte. 
»Sorten Sie nur dafür^c ruft er den Bedakteuren 
der .Neuen Freien Presse^ m, »dafi die anderen Kliniken 
rasch nachfolgen, insbesondere die intern *medisini«* 
sehen, die doch immer den Grundstein der medizini- 
schen Fakultät bilden. Wenn erst diese neuen 
internen Kliniken stehen werden, ausjsrestattet mit 
dem ganzen großen chemisch-physikalisch-physio- 



sohung, den sie heute brauchen -- Sie werden die 
ersten Kliniker nicht mehr vergeblich zu rufen 
brauchen I< Das ist mehr als einleuchtend. Wenn nicht 
alle die Ursachen bestünden» die die ausländischen 
Qelehrten Wien in weitem Bogen ausweichen 
lassen, würde kein ausländisoher Oelehrter mehr 
Wien in weitem Bogen ausweichen. Wien Imt seine 
VorsQge: »denn wo sonst auf deutsdiem Bedenke 
ruft Hofrat Qruber, »f&nden sie ein reicheres und 
interessanteres Krankenmaterial . • . als in Wien?c 
Wie wahrt Der Ruf Wiens als Krankenstadt bleibt 
unbestritten und nimmt offenbar in demselben Ver- 
hältnisse zu, in dem sein Ruhm als Stätte medizini- 
scher Forsciiung abnimmt. So viele polnische Juden 
kommen täglich vom Bahnhof in die Spitäler, nnd kein 
Arzt ist unter ihnen, bloß lauter Kianke. Aber nur 




Apparat zur exakten For 



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MutI Wenn wir auch keinen »Nac hfolger Nothnagels 
auf der Lehrkanzel eines Skoda« kriegen können, so 
haben wir doch d^^n Staub und die Kehricht walze, die 
die Krankheiten wahrlich schneller erzeugen, als der 
Professor und seine Schule mit ihnen fertig würden. 



Pas war eine Sylvesternaoht I Die HMle schien 
ausgespieen. Die Bande heiliger Ordnung entswet. 
Durch die Eftmtnerstrafte rast ein Baochuseug. Faune, 
die bis dahin HilfjBbeamte waren, necken Nymphen, die 
bis dahin an der Schreibmasohine safien. Was Hände 
hat, knutscht; was Lippen hat, küßt: »Das Volk, 
zerreißend seine Kette, zur Eigenhilfe schrecklich 
greift«. Lehrer tanzen um einen Kirchturm, em Bureau- 
krat sieht ein Einspännerpferd für den Amtsschimmel 
an und besteigt es, Bürger familien kampieren auf dem 
Stefausplatz . . . Der schrecklichste der Schrecken: Der 
Philister hat das Dionysische bekommen! >Nichts Hei- 
liges ist mehr, es lösen sich alle Bande frommer Scheu ; 
der Ghite räumt den Plate dem Bösen, und alle Laster 
walten frei«. Ja, die Prostituierten haben für diese eine 
Nacht die Kärntnerstraße den Bürgerfamilien gerftnnrt, 
und infolgedessen ist das Schamgeftlhl gröblich V6r- 
letit worden, ist es au är^miserregenden Auftritten 
gekommen« Weit und breit kein Wachmann. Sie, die 
sonst peinlich darauf achten, dafi die Blicke der 
Strichmädchen nicht sn auffallend seien und dafi das 
Angebot nicht zu laut die Nachfrage übertöne, haben 
heute, wo sich die Ehrbarkeit unzüchtig gebärdet 
und der Familiensinn, der von Dirnen nicht be- 
lästigt sein will, tleh austobt, in der Kärntnerstraße 
nichts zu suchen. Die Polizei ist mit der Prostitution 
verschwunden, das freie Bürgertum behauptet das 
Feld. Es ist, als ob die Qeistlosigkeit eines ganzen 
Jabres in dieser Nacht rekapituliert würde. >Eiin 



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SUerar Herr drftngte aioh mii rmw^dtiimi OebUrden 
durch die Menge, im JammertoQ ausnifend: ,Ioh 
habe meine Schwiegermutter yerlcHreQ^«« »Bia «Her 
Herr hatte seinen Stndtpels umgekehrt nut dem 
Bauhan nach auften.€ »Bin junger llanni elejpait 

feklmdety lieft sich von einem Dienstmann auf einem 
chubkarren fahren.« Jugend und Alter aber ver» 
einigten sich, die Tür eines Wagens, in dem 
eine kranke Frau und ihre Tochter saßen, mit den 
Worten aufzureißen: »Außa mit die Menscherl« Das 
war, wie Schmöcke berichten, »nicht der harra- 
lose Wiener Humor mit seiner leichtlebigen Fröhlich- 
keit«. Wie sich der betätigt, weiß man. Wenn einst 
an die Vertreter aller Nationen die Frage gestellt 
werden wird, was sie auf £irden £um Fortschritt der 
Menschheit beigetragen haben — : der Rechenschafta- 
berioht des Wieners vor seinem obersten Riofatfr 
wird — man singt ihn aihiAehtUoh — laiiteii: 
»Mir ham an Sohampas trunken» a Bier dasu, an 
Wein • . .€ Nichts von dieser bloft der Brieitaaolie 
geflUirlichen Harmlosigkeit war in der Sj^ii^Mtamaoht 
Bu spOren, in der die waehgewordenen Lebensgeister 
des Philister! ums die körperliche Sicherheit gefährdet 
haben. Und die Polizei? Sie hat sich, wie gesagt, 
bloß um Prostituierte zu kümmern. Und überdies 
glaubte sie auch deshalb nicht intervenieren zu 
müssen, weil die Verkehrsstörung, die sie sonst erst 
arrangieren müßte, bereits im besten Gans:© war. 
»Die Schutzleute,€ sagt Plerr Henry in der deutsch- 
französischen Einleitung zu semer Pariser Straßen- 
ssene, »sind dort ebenso apathisch wie hier in Wien 
— vorausgesetzt, daft kein Verlangen nach die all- 

fameine Wahlrecht vorhanden istc Die PoUaei ist 
loß zur Stelle, wenn sie ein Redakteur der JNfeuen 
Freien Presse' ruft Vor dem rechtfertigte ein »mafl- 
gebender Funktionär« am andern Tage die Hal- 
tung seiner Behörde. Die Polisei ist unbewuJK 
wia eine sohOne Sünderin. »Wir haben mehrüsdie 



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- • - 



flberaioiliiBiiie&de ]Mdane;eQy dafi es m SjlTdster- 
Mcbt in der Innern 8im& emf ungewOhnlioh grofte 
Mmsohenbewegung und lautefli luweilen lirmendee 
Treiben gabt. Dom seien »bei den Sieherheitswaoh* 

raännem keine Beschwerden vorgebracht worden.« 
Das klingt plausibel, und die einzigen Beschwerden, 
die vorgebracht wurden, betreffen auch wirklich bloß 
die Abwesenheit der Sicherheits Wachmänner, bei 
denen man Beschwerden vorbringen wollte. Der maß- 
gebende Funktionär muß sich ferner dagegen ver- 
wahren, daß man behauptet, in der Innern Stadt 
habe sich »Pöbel« Rendezvous gegeben: »Es war 
zum Teil elegantes, meist gut bürgerliches Publikumc. 
Aber müßte sich nicht eigentlich der Pöbel, in dessen 
Besirkm in der SjrWestemaoht musterhafte Ordnung 



Ich kaufte mir also einen Panamahut Alle hatten gesagt 
ich m^'-ßte doch endhch einen Panamahut haben. Er kostete 
sechzig Kronen. Ich setzte ihn auf und begab mich in eine mög- 
tichtt bddite Stnße. 



*) Der Verfasser hat sie einigemal im oenen Cibifct »Nadit- 
IMrt«, das mit fMm Ttlcnten mid gutem OMdt die Sdmiiliitt des 
Wiener Publikums gesell die Harthdrigkeit des Wiener Publikums ver- 
wertet, zum Vortrag gebracht. Mit nicht allzu starkein Erfolg bei den 
Hörem und bei der Wiener Kritik. Eben darum bringe ich sie zum 
AbdnKk. Oiß nammitHch die »Bolette€ io Kreises, deren Lebenselement 




von £gon Friedeil. 



DW PMAOMiWt. 



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— 10 — 

Oleich s:h mich einer meiner Bekannten mici »gte: »Ak 
btkvo, bravo! E n Panamahut Steht Ihnoi lA-mo& — Aber Vor^ 
sidit, Vofsichtl Ein Rtgaeptiksa nod er Ist futedt« Ich wollte 
ihn noch um nähere Atiskfinfte bitten — er var tber schon voibd. 

0er Z77eite sagte: »Sehr chi& Wiildldi. — Nur muB man 
dazu eine anstfndige Kravatte nnd aostlndise Handschuhe trafen« 
Von den Stiefdn gir nicht in reden. In dem ToUette-Ensembte 
stört der sditae Hut blofi.« 

Professor Müller sagte: »Fi, mein junger Freund, welch 
prächtiger Hut! — Aber warum nicht lieber ein gutes Buch? — 
Dieser Hut kostet doch mindestens acht Kronen. Dafür bekommen 
Sie schon vier Lieferungen von .Weltall und iMenschheitMllustriert!« 

Einer sagte bloß: «Dazu haben Sie Geld.« Er wußte nicht, 
daß ich auch den Panamahut noch schuldig war 

Endlich kam mein ^reund Adolf Loos, der in unserer Stadt 
als erster Fachmann in Toilettefragen gilt. Er warf einen prüfenden 
Blick auf meinen Hut und sagte: »Was hat er gekostet« 

»Sechzig Kronen« erwiderte ich stolz. 

»Ach so!« sagte Loos. »Dann Ists ja gni Ich fflrcfatete 
nämlidi schon, Du wlist hereingeftdlen. Für sechzig Kronen 
kann er ja nidite wert sein. Ein echter Panannhut kostet mln- 
desiens zweihundert Kronen. Du mufit nftntUch wissen: ste werden 
unter Wasser gef loditen . • • « Er erklirte mhr die Prozedur nUier. 

Aber ein anderer trat herzu und sagte: »Unsinn! Unter 
Wasser oder ober Wasser, — das ist gleichgiltig. Die Hauptsache 
ist, daß er hübsch ist, und das ist er — das heißt, bis auf die 
Form. Die ist freilich furchtbar geschmacklos.« 

Schon aber mischte sich ein anderer ein und sagte: »Lassen 
Sie sich nur nichts^^nreden. Die horm ist sehr gut, - sie paßt 

die Terminologie des Hatisadinmisttators ist, unwirksam bleiben muß, 
ist begteiliich. Ich halte dcu Nachweis, wie der Menschenverstand 
fa&iiienii von der >hGfali€hkeit€ Abemimpelt whd nad allct aafgibt, 
um Uur zu entrinDcn, f&r Hiunor. Und Idi glaube, daß is dIeieB kletaNtt 
Skizzen, daß in dem dnea Satz, den der V^fasser der Studie Aber 
»Lehrmittel« (Nr. 191) dem Demonstrator der Elektrisiermaschine in den 
Mund legt, mehr Perspektive und Leben sbeobicniung steckt, als ein 
Dutzend Wiener Feuilielonisitu und Sonniagshumoristen zuwegebringt. 
Man wird mir, wenn ich das sage, nicht vorwerfen können, daß ich 
dacfl Mitarbeiter gdobt habe. Arno. d. Henuneab. 



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■nr nicht zu Ihrem Kopf.« Und er fügte nachdenklich hinzu: 
»>^dleklit . . haben^Gie Oberhaupt keinen Kopi ffir FuuuiMüifite . . .« 

Inzwischen war auch jenes Wesen erschienen, denizuliel)e 
ich mir eigentlich den Fanamahut gekauft hatte. Sie sagte: »Ich 
«dß niciii, wns ilnr von ilim woOt Idi finde den Hnt «infadi 
rdzend. Das Stroh ist fdn, die Fonn ist hfifaadi» und ich finde 
tnch^ dtB er ihn tnogeseiciinet Ideidet - Nur. . efaiesliabididiin 
• usniseta e n , aber . . d«9 ist meine ganz perstaUche Privatsache. 
Ninlich . . . Oott, es ist vielleicht eine Marotte von mir . • . aber 
ich kann eben Panamahüte überhaupt nicht leiden!« — — 

Infolgedessen schenkte ich meinen Panamahut einem be* 
freundeten Drosch kengfaul, der ihn jetzt mit vielem Stolz als 
Sonnenschützer trägt. Mir selb-t aber kaufte ich um zwei 
Kronen fünfzig einen Filzhnt, dessen Form und Farbe niemand zu 
bestimmen vermae. Tch hatte nämlich die Erfahrung gemacht, daß 
schöne und wertvolle Dinge ein sehr lästiger und störender Besitz 
sind, weil sie die Kritik der Menschen herausfordern, während man 
mit schlechten und billigien Sachen das mhigste Leben von der 
Weit Mfarsn kann. 



Die Boletto. 

Ich weiß nicht, ob es allgemein bekannt ist, daß ich ein 
Haus besitze. Es würde mich nicht wundern, wenn es einige nicht 
wüßten, da ich selbst nicht viel davon weiß. Zeit\veise wird es 
mir nicht schwer, es ganz zu vergessen, da das Jahr für mich selten 
mehr als ein Zinsquartal bat und auch dieses ziemlich dürftig aus- 
fällt. Ob das min an dem bißchen Wasser lies^t, das sich bei un- 
freundlicher Witterung in den Wohnungen befindet oder an was 
sonst — kurz, das Häuschen erhent sich nidit jener Frequenz, die 
man wfinschen könnte. 

Eines Tages aber faßte ich einen energiachen Entschluß und 
achrieb an rndnen Hauaadminiiiiilor. Ich habe nämlich dncn 
Hausadminfsbfttorr weil ich von diesen Dingen gar nichts venMie. 
Er antwortete postwendend: »In hOAldier Ehridernns Ihres Werten 
weide moi^gen^vcMspredien und Boletle mittiringen.« Ich dachte 
mifihst: »Bolette? Sollte er mich fOr die ungünstigt^a Ver- 



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— 12 

mietungen dadurch entacMdigen «ollen, daß er mir ete «Mm 
Mädchen miMngt?« Er kam ]edodi alldn. 4cli ngte mit Eat- 

lassermiene: »Mein Lieber, so geht das nicht weiter. Sie werden 
mir jetzt genaue Rechnung legen und davon wird es abhängen, 
ob ich einen Personal 'x^echsel eintreten lasse oder nicht Denn die 
Zustände des Hauses sind mehr als bedauerliche.« 

Er kam aber gar nicht in Verlegenheit, sondern erwiderte 
sofort: »Wem sagen Sie das? Glauben Sie, ich sage das nicht? 
Erst gestern hab ich ^ zu meiner Frau gesagt! Aber ich werde 
Ihnen alles vorrechnen. Bitte! Bei mir gibt es Iceine Unordnung 
und kdne Malversattonen. Hier ist die Bolette. Also: Wohnung 
Nummer 1. Ja, das war eine schöne Geschichte. Also wie ich den 
Saldo-Umhag mach, bemerk ich, daß die Sfaonto-Oberiage aidit 
stimmt Ich seh in der Botette nach — richtig: der Kommmal* 
Netlo-Umsdüag macht 209 Kronen 44 HeUeri Ako acfaitib tdi 
gleich ina Steneramt: »Wie Icommen Sie in 200 Knmcn 44 Helkr? 
Die iOdaster-Umhige geht dodi per 43/28 Pemnt« Damnf haben 
die geantwortet: »Der Oberbmtto ist doch per dislcontf« Kaum 
sind aber die von der K o m m u n a 1 Überlage nicht heruntergegangen, 
haben die vom Kataster Umschlag gesagt: »wir haben doch 
Saldomatriken« und haben im Brutto-Transport aufrecht limitiert. 
Die Leute glauben nämlich immer, wir haben liskompte-Boletten. 
Also hab ich wieder geschrieben: »Bitte, ich kann Ihnen aus den 
Kommissions-Tratten nachweisen, daß der Vortrag sub contocorrent 
ist.« Inzwischen hat sich auch herauigcalieU^ wie recht ich hab: 
nämlich sie haben die Skonto-Strazzen per comptant geredmct 
Da wir aber der Netto-Vorschlag im Sakio-Corrait per caaia 
ultimo flberiolvent, und die Tratten-Rimemen wiren in der Hand* 
hiktnra nnterlH>llationiert Nlmlich die Sahlo<&mttD»NettONCDniD- 
LoQO-Limtt*Valntft-Bolette hn SinGaen«Tialleii-Alae|)t*EUKmipt«Di^ 
kont-Kataaicr — — 

»Halt!« rief idi| »Ich habe mich nunmehr von Ihrer vollen 
Vertrauenswfirdigkeit überzeugt. Tun Sie von nun an, was Sie 
wollen: vermieten Sie oder vermieten Sie nicht. Aber um eines 
flehe ich Sie an: betreten Sie nie wieder mein Zimmer!« 

Ich habe ihn seither nicht wiedergesehen. Ich richte aber 
an alle Leser die höfliche Anfrage; Was ist eine Bolette? 



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1 



18 — 



Wer nie das Blend sah* 

Wer nie das Mend sah mit seinen hundert Armen: 

Hunger, Krankheit« Amcat und Not — 

Zumal wenn^B ohne Schuld sich weifi — 

Wie'a Btttndlich, täglich, nächtlich friflt und bohrt, 

Im Schlafe aufschreit und zusammenfährt, 
Krwacht und nun gelähmt an allen Gliedern liegt, 
Die Augen schließt, den holTnuagslosen Morgen 

nicht zu sehen: 
O der begreift es nicht, beerreift es nicht, 
Wenn sich ei'j Wahnsinnsschrei der Brust entringt: 
Aus welch pn Qualentiefen auf er dringt. 
O der begreift es nicht, begreift es nicht. 
Wenn jähe Mordlust aus der Seele bricht 
Mit Flüchen, die das Heiligste nicht schonen — 
Und er begreift ihn nicht, begreift ihn nicht, 
Den blutend wehgeborenen Entschiufl 
Der Mutter, die cur Hure werden mufl| 
Weil sie ihr Kind verkommen sehen mufl. 
Er hat den groflen Ekel nie empAmden 
Vor der Gemeinheit, die die tausend Wunden 
Dem preisgegebnen Opfer hat geschlagen, 
Vor der Geraeinheit, die aus allen Enden 
Wie Schlangen auf das arme Opfer schießen, 
Vor der Gemeinheit, die am schlimmsten ist, 
Wo sie rait kaltem Blick ihr Opfer mifit, 
Wo sie rait Allen ein Gewissen teilt 
TTnd eigne Schuld an fremdem Schuldig heilt, 
Zum Schluß das Opfer selber schuldig spricht^ 
Bis es vernichtet jäh ausammenbricht. 
Wer's nicht gesehn, wie ich es sehen mußte, 
Wer's nicht am eignen Leibe spüren mußte, 
Der kann die Wollust nimmer mit mir fühlen, 
Die süfie Lust, in Schinderblut 2U wühlen. 

Mflnc hen, Ludwig Scharf. 

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14 



ANTWORTEN DBS HERAUSGEBERS. 

AeMM. Es ist unbedingt notwendig, das Qedldit» das der 
Statthalter Oral UMmuuegg verftfit und bd der Sgrlveaterfeler da 
Wiener Miimasnaiigvacliies w o t ge ti ag e tt und das die ,NeaeMe Pwm ' 
TüMtaitUdit hat, hier noch eiiimal ni reprodmlcreB: 

Wiener Männer, edle Sänger, 
Kann nicht halten an mich länj^er, 
Euch zu danken, weil seit Jahren 
ich nur Bestes hab' erfahren 
Von Erfolgen Euro* Ksnat 
Und fon nir gewihrter Onnat 
Wenn ich henf das Wort nvn nähme 
Das OeflUü ich kann beiihiiie 
Meinea Herzens, das sich regt, 
Weü doch sind znrftckgelegt 
Hcnt zehn Jahr', adt der Verein 
Zum Sylvester lidt mich ein. 
Dies mein Jubiläum heuer, 
Siigt mir nun, wie lieb und teuar 
Der Verein mir war seit je, 
Weil ich doch verkörpert seh' 
In ihm Wiener Ideale, 
Die gleich einem Sonnen strahle, 
Allen c^eich zu Herzen geh'n, 
Die sich auf Oemflt versteh'n. 
Zehn Jahr' lang ich bd Euch lernte 
Wien'riach denken. Dieae Ernte 
Bleibt Ar mich du rechter Segen 
Stets auf mdnea Lebenswegen I 
Damm spricht ans mdnem Monde 
Hcnf mdn Herz in dieser Stande 
uer s^veaieneier , aer tcn rem 
Nie geblieben, vidmehr gern 



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15 



Uiiid Mit vihnter F^ramte n^evoteti 
Wctt't ttr Ek» Rreand sich lohnt! 

Olanbt an meine Freundschaft, Treue 

Und empfanget heut' aufs neue 
Meinen Wunsch auf Glück und Segeil| 
Die auf allen ferneren Wegen 
Euch der Himmel möge geben: 
Wiener Sänger, Ihr sollt leben! 

Ich weiß nicht, wie alt der Statthalter ist — daB er bereits erwachsen 
ist, steht fest — , aber ich bin fest davon überzeugt, daß er dieses Ge- 
dicht selbst verfaßt hat. Das Sylvesterpoen, das der neue Vorstand 
der Kfiostlergenosaenschaft, Hm Professor von Angelt — wenn ich nicht 
kit» auch bereits erwachsen — nun besten fsgeben hat, war ftbciflftsiig. 
El äad Vmt, wie alt Jeder Diktturt awhuKto briagl, aidit bMer, aber 
•Mh aichl aeUaite: »Mete aaiir wwAalm Qiafet! Henle bete Bfi- 
iM toi i M l e • .. . « ist inmig, difi Lante, die aif dM» beatümtei 
^jauiBK Qcw awcHKH^n oBer pwmmwwes jcisibda udisueh oen« cssssss 
myjiybcw, »lattk and um gehflrt m ^prerdea«» »dttBatUdi oder vor 
BNmwi I nun* \Wmi wie eae lansnKnan asanoBaic «er nnva- 
beleidigung sonst ^ißen) zu dichten. Es ist traurig. Aber schließlich 
nicht weiter aufregend. Einem großen Maler, der fühlt, daß ihm kein 
Oedicht gelänge, wird es gewiß nie einfallen, korrekte Oelegenheitsverslein, 
die jeder Schuster herstellt, aufzusagen, sondern er wird laut und 
▼emehmlich schweigen. Der Philister exzediert oder dichtet in der 
Sylvestern acht, und ein Vorstand der Künstlergenosscnschaft ist in der 
Regel — kein groikr Maler. Er mag in seinem Fach ganz Tüchtiges oder 
Brauchbares leisten. So legt naa sich denn nicht waüer auf, findet 
bloß, es sei überflüssig gewesen, und wüaacht von Herzen, daß er's im 
Mea Jahr siebt wilder tnc Die Pradvktion dei StaMudtm «ar nicht 
dberfifliaig. Es Ist «ta|»teBUdi, m erfahren, wie der geistige Horizont ' 
imu Pvadnlicbheit baac bai h n iat, die die obcnle imlitts in Dbigan 
dar Wiener Theaterzcoanr vnnteUt. Man wird nicht sagen können, daB 
der Qnf Kletmansegg ab Pottifloer and Verwattnngriieaniter etwaa Ttcb- 
tifB oder Beancbbana teilt«. Die Eingebungen aeiner aHn rahhaichen 
Mußestunden dürfen mit umso größerem Interesse beurteilt wenlen. Es 
ging schon lauge das Gerücht, daß der Statthalter von Niederisterreicb 



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— le — 

ImasMmifg id. Mn tRÜilte, diE « ImI «iam VcniMhMMrMHi 
BtiMiit Konum, der adt J«lm die te Mdmt mMmm XMiNkhe 
«od Linder mit ietnen adikcfatca ScfciMipiekr Kiaylett widur mkM, 
dit CoapleWiiflen erlernt lube. Solange er eine ftftentUdie Probe 
dieMr FUiigftelt nidit gegeben hat, glanbe Id» nidit Cnt idt tdaeni 
Sylvestersedicht ist der Kanstsimi des StttÜiaHe» fon NIederOilemfch 
hieramts bestätigt. Und das ist gut. Denn es ist absolut zntrigUdi, zn 
wissen, von wem man regiert wird. 

Chauffeur. Selbst die Abneigung gegen den Aatomobiltport 
wird einem hierzulande verleidet. Vor allern muB man g^^n die 
biederen Landbewohntr sefn, die sich viel iangsamer tn das neue 
Veliikd gewöhnen als ihre Pferde. Man soll nur einmal das grenzenlose 
Erstannen des stets im Wagen adilafenden Schwerkntschers gfsrhen 
haben, der sich die Augen reibt, wenn seine Oinle nach lingereni 
Zdtem dch fddvirls m hduen entschlossen haben. Die FlQche dar 
Enn dnenen nnd dan OmtHnii dv Ktainoi dnd die ^pptalmi Bci^d^ 
endMinnnin dner AnlonnbilidKt Hd>t Uv |e eine nntemonunw, ofeM 
dii^ ddi die idndcr det fladMi Lnidei mit MtanagdMi» iMün 
Kaaen nnd Stdnwflrfen an ihr beteiligt bitten? Weldw phantHtapoBB 
FoiBMn der HiB gegen' dm AatOMObü imtn'T** hm, zdgt etat 
OcrichtofeilHUidlttng, <Ue kflfiiicb in WloNP^IcMladt gegen einen 
Orafen durchgeführt worden ist und die auch ohne den Strafaut- 
^ließungsgrund des Adels mit einem Freispruch hatte enden müssen. 
Aus der Anzeige, auf die hin ein Staatsanwalt den Humor hatte 
die Anklage zu erheben, stmkt einem das provinzlerisdie Orauen vor 
dem UnfaBbaren entgegen und die Lust, ihm mit Lögen und Über- 
trelbung^en beizukommen. Der Nummernzwang besteht schändiicherweise 
noch immer nicht Trotzdem scheint es leichter möglich als man glaubt, 
dn Automobil, das auf einer Schnellfahrt UiMlnngedcbld bat, zu verfolgen. 
Oraf Hoyoa-Sprinientteln aoU wie dn Raaandar dKtnIloqcaiilm 
adn. Hdren wir, wit ea gelange aelnar babkafl in wiaa: 
»Ant 9. Scptanibaf 1. J, mr bd TbetMianldd die IWdMdfnBa v^^an 
Wagailiaftlan nur für den OrtavariDdir geAfhicL Ala tnli der dort ini|a> 
bnditan Tafd an dieaan Tage dn giroto AntonMbO nit vtar WwMian 
die Slra8e bdnbri wurde den Inaaaaan bedeutet, diB die D uwMdttl 
nidit mfiglidi nnd anch nIdit geabdtd ad. Dta VaUlDd idir otaw 
Mcfcddrt anf die Verstindigung auf den Odrareg weiter. Vor dem Oe* 



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— 17 - 

wtdtöMuA vwdta 41t AitffiwffMUitiTW von dMi frffhlftfiii PolfaRihoni* 
nlMlr Joliimi Lipp iml 4«i OmnciiidtdicMr LsopoU Wdacr «nce- 

halten. Die Herrea worden mgtmitaen, die Rflckfalirt aaintitleB. Dioe 
Weisung befolgten sie aber nicht, sondern fingen plötzlich an, in einem 
derartigen Tempo zu fahren, daß der Polizeikommissär im Lauf- 
schritt folgen und der Geraeindediencr sich vorn an das Auto- 
mobil anhängenund mitschleppen lassenmußte, um nicht 
fiberfahren zu werden. Sie fuhren im raschesten Tempo 
durch alle auf der frischgewalzteu Straßeostrecke aufgestellten Schnnkeii 
lickzack gegen Wien davon. Zwischen den Häusern Nr. 56 und 57 
«oUte der StraflonriaiinaMr Frans Pnuner das Automobil aalnll«i» 
«wihmalMrMdMiraMndta Te»poiiiciitMfl8ydi«w.PiRMMrw«i!de 
VOM Anlnaiobil «rfifit md erlitt «Im Verietscsg in eistm Plngcr 
der reclitna Head. Bti 6m Valnaaiditet anf der Slvede beim 
Hast Nr. 80 eageUsgt, wo tealnfliclieAriMilvbeidritfllgtwea 
wardm der Meiddeirt wnd Püluer der Mfltflkliie O rt tl lt fr Mftftrtf vad 
dv Heiler Alele SebetU beiaalie ftberiya«!. Der Hdm SelMtil 
iilitt fibrlgMe eine Verletzong an ICopf. Endlich worden die Attto- 
mobilisten Yon der höchst erregten, inzwischen zahlreich angesammelten 
Ortsbevölkerung gezwungen, das Fahrzeug anzuhalten und der in- 
zwischen nachgekommene Polizeikommissär Lipp und der Oc- 
meindediener Wein er mußten alle Mittel anwenden, um die Beanstlndeten 
vor Schllgen zu schützen.« Man sah also das Automobil in rasendem 
Tempo »Zickzack gegen Wien davonfahren«. Zwischen den Häusern 
Mr. 56 und 57 wollte es einer anhalten. Mit unerhörter (kschwindigkdt 
errelcitfe ee eadlich das Haus Nr. 80. Aber erst ein paar Hiuser weiter 
Inurte m mm Stehea fttoadit werden. Man denke: das Anteanba ftibr 
eo nadif daß der f N*i * i i ll ii niiilnii aei Ihi Laateliiitt lolgea Iwiattte. Wire 
er gwagaa, liitte er te AatoaralMl gnriB aidit auiv emidit 8o 
aber war er - ftreilidi, aetihdeai edtoa aOoM Vn^Mi geNbetaea war - 
Mtttwiecfaen aeekadanDnea«. £ia heMeaen e n ii e e Opia' dieMr tollen Fahrt 
war der Herr StnükaiefairinBwr. Er erUtt kMAVkh eine Verktnmg an 
eiaeai Finger dericcbtea Haad. Der Anfddi^ konnte das aicbt leugnen. 
Er gab zu, daß sich dem Automobil ein Mann mit einer Flasche entgegen- 
gestellt habe, die er drohend und unter unverständlichen Zurufen schwang. 
* Der Mann schleuderte schließlich die Flasche gegen das Automobil, so 
daJi sie an dem Vorderrade zerschellte. Daun hörte man ihn sagen ; Wegen 



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demmttfiich mich ftoeh tehneldeBl« . Eb» kvitomMhhti,ik 
cfn PoUscftonmiMlr iin LtnfMbiHt nltnitciht md ImbI der lich cte 

Straßeneiniiumer mit einer Flasche schneidet, gehört zu jenen öster- 
reichischen Dingen, die man nicht glaubte, wenn nicht das Ungiaub- 
lichste eintrSte: die Erhebung einer Anklage. 

Versweifeiter Leser. Sie schreiben: »Ich habe das Pech gehabt, 
fünf Jahre meines Lebens in Rußland, speziell im Kaukasus zubringen 
zu müssen, bin deshalb seit Jahr und Tag den ärgsten Qualen beim 
Lesen unseres Reitenden Tagesblattes' ausgesetzt und mußte leider sdKMi 
diverse Untertassen, Wassergläser und dergleichen Abieiter sporadischer 
WittanflUe in Kifieeliiiieero, Restaitraiits ete. benhleo. . . Wu eieii 
iiimBdi diese ans «itttichster Weftanadiaiiiitig, ger dft c rt er polittadier Veii- 
heit nnd gedicgBiMler ObeiieugniigilieBe die uivendiiler geraden 
cnchfedBeiide Büdtitig ttidit zn fefgesaen — * zusanmengeeetzten QtWn 
an allem unr erdeaUichcn Unaina teisten, eoliald das nn gWcksell ge 
KmuaiiQ ann lapec nommir gern scnon uoer cne rmncnnur, lespcKute 
unter das ,Dettiadte VollEd>latf . Es scheint Prinz^piensaciw zn sdn, A 
russischen Namen von Orten, Generalen, Judenschlftchtem en gros 
und en detail etc. falsch oder verstümmelt abzudrucken, auch sonst 
alle nur möglichen Blödheiten zu verüben. Was ist bloß an dem seligen 
Roschdestwensky gesündigt worden ! Was wird täglich an den Ortsnamen 
gefrevelt - speziell an den kaukasischen — , wo doch ein Blick in 
,Meyer' den Schraock sofort auf den Pfad der Tugerrd und des Rechtes 
führen würde! — Was ich aber im Montag-Abendblatt der ,Neuen Freien 
Presse' lesen mußte, hat mich dermaßen erschüttert, daß ich mich am 
Trost und Rat an Sie wenden muß. Es steht nämUeh in g Ba p e iite» 
Lettern die hataatraphale Nachriebt: ,Irhntah ist wow Bttvm nb- 
getchnilten'. Man sacht unwUlhttrlleh ein tadant n dteaem 
Jammeririld wie: ,Die dhrdde Schnd hw g p w b indnng vwimim Shttqpi 
nnu nonoinja ist anrai ueigiiuR nuRiiiiocnen oaer ,me XMge wm 
Her sirecxe renng ■■■ naciing aameu gestern iniDJge aCBncnfervcnmis 
vei8|)fttet an' n. dgl* Kam man denn wirltUdi gar nhAls dagegen 

fibMNi^. ja, wenn ein Professor der Mechanik ein TheatenilAck 
schreibt! Dann ist die Wiener Kritik um einen Witz nicht verlegen. 
Und das Gute ist, daß sich der Witz »wenden< laßt. »Mau sollte nicht 
glauben«, sa^t der f xtrablatt- liumonst, »dal> ein Professor der 
Mechanik als Dramatiker technisch so hilflos sein kann.« Aber 4er 



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— It — 

Oedanke kann auch fftr ein Lob gerettet werden: ein anderer V(rfki* 
theaterkritiker schreibt, Ferdinand WiUenbauer sei »auch als Dramatiker 
ein famoser Techniker«. Ich habe einer ^wissen Wiener Kritik schon 
öfter nachgerühmt, daß sie um eines Kalauers willen eine Iixistenz 
opfert. Beim Schau«<pieler nämlich rührt der Tadel eines einflußreichen 
Rezensenten an die Existenz (^sonst wäre das Liebedienern wirklicher 
Kfiaatkr vor amusischen Witzboktea nicht begreiflich). Herr Julius 
Bmm war vielleicht gar nicht einmal von der Taleotloiiclcdt eines 
jnm BwgUwutgidtbflfaMitei, der frfihcr Zakauzt gewesen tein toU, 
fibcnsogt Hwt H 9dm ttUiitiiGiM Katuk ietaer frcnde an dem 
Wuilvlltf dar ÜHB (Hidc ctaifid» iddrt stwidMO» er fcoMte IhB nicht 
»kaltai« ote wwlBrtfiii lo taMifM, dtfi keilt tdivcnr TtM dnmt 

mnmAm lamA «a«iiiii>A<iMlhaplMMlfc ta.Mlll WBfdg HtffM A«« dCf frMWf ZlillMIflt 

IpevcHS nif •dMMnJM lidwB adMB* Und vcni A« dit |^<Qdle 

ritdte Oorie «inl Am dem FUl Witttabtncr rieht vum, wie mnehwer 

es ist, einen epochalen Witz nach rechts und nach links zu wenden. 
Herr Bauer kann's nicht. Er, der noch weniger kritisches Temperament 
hat, als irgend einer der Herren, die in Wien über Theaterdinge 
richten, glaubt, daß die Negation zum Handwerk gehöre. Wie anders 
Rudolf Lothar, der Lobspuckerl In der , Kritik der Kritik', einei deutschen 
Monatsschrift, hat er seme Anachauungen über die Wiener Theaterkritik 
niedergelegt. Da ist natürlich alles rosig. In jeder Zeile der heimlich 
hdße Wunsch, daß die ganze Wiener Kritik am ehien Hintern bitte, 
damit die Arbeit de^ Herrn Loüier aidit fur io konplirieKk «ivet 
»loh mAchlt JolteifiMMr, ohne ihn iiahetretcii zu wollen^ odl 
Smogr M«ldeh«. Nkfat wr «efl er heRte ia Wien den gkfchea 
EhrftaB W Vit e. Z. Seioy bi Fluii, iondn aneh «eil er vie diewr 
hMMT die Sdiune de» gnundn MenachenveuhmdBe, des guten 
Oeeehaiftekt sn Wntle Jmmmtn üfit NeiBrüdi lit er fid moderner, 
reicher hn Georite, empflnffllcher fftr Vereehledenartiges 
wie Seieey«. Nnn, mit diesem Kompliment tritt Lothar Herrn Bauer 
doch bedenklich nahe. Er hätte gewiß nicht gewagt, dem Pariser das ms 
Gesicht zu sagen, was er hinter dem Rücken des Wieners so dreist 
vorbringt. Und in so üblem Deutsch. Denn es ist zwar möglich, daß 
Herr Üauei >enipfänglicher tür Verschiedenartiges« ist als Sarcey — 
Tcicber im üemüte w i e Sarcey ist er gewiß nicht. Und ob gerade 
9fnkr Oeschmack« die henrorstecbeodste Tugoid des F^trabUtt-Mmags 



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— ao — 

M, nwB dihtog em m bWtai. Aber et kM» Bicki «ft genug gettgt 
«erden, diß Herr Baner mch einer AnffUmHg wa »Aaioaitt wad 

Oeopeln« geschrieben hat: »Und die Moral davon? Kaufen Sie Bme»- 
schötzcr!«, und nach einer Wiederbelebunji des »Oedipus«: daß zum 
Schluß auf der Bühne »Ausstich« grachenkt werde Einen »Künstler«, 
den »Heine der Wiener Kritik« nennt der Schwatzer Lothar den Mann, 
den Shakespeare una Sophokles zu solchen Rülpsern des Geistes an- 
regten. Möglich, daß Herrn Bauer, der für Verschiedenartiges rmpfSngiich 
ist, nächstens ein Drama des Herrn Lothar in weihevoUere Stimmung 
versetzen wird. Herr Lothar hat g^anz recht, fOr teiae künftigen DutcIk 
fälle vorzutMuen. Aber nachdrücklich muß dagegen protestiert werden, 
daß dem Ausland als der fälucwle OcM der Wicwr VmMlumk, 
die inmrkia Cndidnragen wie Speidd, UU und Hemd nnfwkt, sin 
JonnudM vmigMleltt wwde^ wddier kawn In ectoeB gMdricklMi KofriiT" 
voiidn, WBMkwdgt denn in einer fWig nnpm J nWd wi Pnm Wbm 
die DfliftigMt eines Witzes zu tlnscfaen «waug, dar» ans Motr Tlele 
ds8 ^^cnlBcnB oder PBlileDa ypn luinenii I^Hi^peMMMit gesduHttt» dir 
ObetHidie der Dinge fcfne MlnieiiiiHinin iciiirllg wniirt. 

Arzt. Wird nicht der Dr. Chtras in der letzten Zeit zu viel 
genannt? Wnrde nicht vom Beinbruch des Erzherzogs Karl ein allzu 
üppiger Gebrauch gemacht? Man sieht den Dr. Oharas ins Palais eilen, 
nachdem das Bein bereits verbunden ist. Man steht ihn im Automobil 
den Patienten und die Erzherzogin -Mutter ins Sanatorium geleiten. 
Gleich darauf erfährt man, daß er mit dem Atifnig in das Röntgen - 
institnt int dritten Stodc gefahren ist. Nun gUniM ncn, daß er müde 
sein werdt. Nein, wir erfidven, daß dir &zlierzog, nachctem er eine 
Zigantte serancht hat, »anter OberanMcht dss CliiiMilii IM- 
wilUflcn Rettnagsgeeellsclurft Dr. Quais von zwei ftudHltdiamni in 
das Antomolitl der RettuagsgenUfdiaft fltbatlrt* wvdi« Jdrt ilirt dtf 
Dr. Oharas wieder im AutomoWL Und aiM die trifstc WiBiüii ihn 
iMtm der Neuen Pkdan PrenK' Im» sich Ixiiiia mmnämm^ daß der 
Dr. Oharas andi bd der RAddodv des Bih tt ims Ins PaMi zugegen sein 
werde. Nein, es muß ausdrücklich gemeldet werden, daß die Sanitüi* 
diener — wir erfahren auch ihre Namen - die Bahre bis zum Kranken- 
bett trugen, >auf das der Erzherzog dann unter Aufsicht des kaiserlichen 
Rates Dr. Charas gehoben wurde«. O du mein Wien! 



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I 

I 

t 



- 21 — 

JBUnffewiüam. W$ tM kh Ar nilat Artflsd iber 6m B«cr- 
PkQuO von dm Mtu* vciMfigindM Aii0ddtctei bthoBuncn iMibc? Draüt 

Sie ganz and grfindlich informiert sind, vill ich 's Ihnen verraten: 
10.000 Gulden — genau so viel, als Herr Dr. Steger für den »Vertreter 
der Privatbeteiligten«, Herrn Dr. Wolf-Eppinger, der im Prozeß als 
Zeuge gegen den Professor Beer auftrat, von diesem bekam. Sind 
Sie nun 7ufrieden ? Man sucht in Wiener Kretinkreisen nach einem 
>Motiv< für meine Haltung? Hier ist es. Und wie freue ich mich 
fitier den Erfolg meines Wirkens 1 Sielsen Jahre habe ich Mißtrauen 
nen gedruckte Meinung gesäet. Kann ich mir eine bessere Ernte 
wünschen, «It den Zweifel, daß meine eifcne Drackenchwärze, die ich 
aafwucUt^ am den Zwiüel an der anderen m wadiea, cchtfirblg ad? 
Idi fftUe mich an gar nickt alt Pcnon getroffen, wenn anbaliente Oe- 
Urne nnch »MoUvea« für ndne Urteile fahnden. Onbnmaabalber 
wilde kh» wenn aolchea Iniereate den greifbaren Awdruck einer 
BcBchnldlcnnff aonihme^ eine IQage flhemkhen nnd cerichtlich feat* 
■teilen Uaien, dafi ich weder von Herrn Profeaaor Beer noch von aonat 
irgendjenumd gekauft worden bin. NatSrUdi würde idi auf aoldic 
feststelinng nicht weiter stolz sein, da ich es ffir mein izreringstes Ver- 
dienst halle, mich von der Wiener Presse durch die Unverkäuflichkeit 
meiner Ansichten zu unterscheiden. Wohlwollende Urteiler versichern, 
daß mir meine letzte Publikation zum Prozeß Beer, die Veröffaitlichnng 
der nachträglichen Zeugenaussagfe des Realschulprofessors, >geschadet« 
habe. Mag sein. Aber ich verkaufe einen Artikel nicht bloß für baares 
Qdd nicht: ich unterdrücke ihn auch nicht, wenn man mir vorher 
•diJtarz auf weiß erklärt, daß seine Pnbiikation mir »achaden« wird Die 
JhidttA* wird nämlich im Oegenaatz zu anderen Journalen vom Heraut- 
geber «nd nicht vmn Pnbliknm redigiert. . . Man aagt alao »in Adfokaten- 
kreiaen«, nna der VeHMfentUehnng Jener Zengeminasage habe aUzn dent- 
Hch die Tendenz ceeprochen, etae WledennifiBahnie dea Verhdnena zn 
b ewirken ? Ich hüte dem Werk des Herrn Regienutgsratea Dr. Bachrach 
»nofge if fae l tct*? Zn albem, etaw Alwidit« die ich dodi weder ver- 
achlelem wollte noch konnte, dnich Verkuppelung mit einem bei der 
,Packel' aonat Abel berufenen Namen zu verdächtigen. Also: ich habe 
das Protokoll von Herrn Dr. Bachrach. mit dem ich nichts zu schaffen 
hnbc, nicht l)ekonimen. ich hätte es, da momentan Wich tigeres auf dem Spiele 
Stand als die Löaung der Frage, ob Herrn Bachrach 's Hoiskandal- 



L 



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— 22 - 

verhindernnfstätigkej t ein sauberes Handwerk sei, beruhigt auch aus seinen 
Händen empfangen können, ohne mich ihm zu verpflichten. DaR ich die 
Wiederaufnahme des V^erfahrens für geboten halte, konnten nicht ganz 
schwachsinnige Leser schon aus meiner ersten Abhandlung erraten. 
Wichtiger als die Verteldiguiig des unschuldig leidenden Individnums aber 
ist mir ^ in aUea Fällen — die Brandmarkung eines Systems. Um 
Vcifduciif dis den Pirofsssor Bccf ein|p6sdil^{en vontei m- 

fchanlicher zn madicn» habe kb des zwelfen Attikel w flffe ut Hdit 
Und Iis jene firdwllllse Zeafentnssace des RealschnI p io fe sso i ' S zn meiner 
Kenntnis gelangle, find idi, dtß ifafe konunentariose Wledeisabe das 
wiilisanisle Mittd sd, die Ungelienerlidikeit der ganzen Pt o ied nf den 
letzten Zveiflem vor Augen zn ffUiren. Eine Existenz dnith <ten rlditer» 
Hdten Obmbcn an die Aussage eines faysterisdien Schuljungen zerfHhnniert, 
der richterliche Glaube gepölzt durch die Aussage einer Mutter, daß 
ihr Söhnlein ein »Fanatiker der Wahrheit« sei. Und nun kommt ein 
Lehrer des Kronzeugen und bezeichnet ihn als Fanatiker der Unwahr- 
heit. Der Lehrer meldet sich freiwillig:, da das Oencht — gegen alle 
amtliche Gepflogenheit — eire Erkundi^ng in der Schule unterlassen 
hat. War, wer die Abhandlung über »die Kinderfreunde« geschrieben 
hatte, zum Bericht über solches Nachspiel nicht verpflichtet? Herr 
Dr. Beer könnte ein viel ärgeres Scheusal sein als die Meute, die ihn 
hetzt, zn glauben vorgibt — das Oericbtsverfahren selbst gMrt, mmIi- 
dem die Anssage jenes Leinen bekannt ge w den Ist, zn den Mnr- 
lefcbisdien Denkvflrdif^Eelten. 

Höfling. >Nur so viel darf gesagt werden, daß ein beide 
Tdle befriedigender, vornehmer Ausgleich anstände gekomnsen Ist 
Miaessin Loni« erliilt als UntarhaltäMitiag, naverinflerlidi nnd an- 
belastbar 400.000 Kranen, nnd ObcnUes monalUch 7000 K . Dk 
lOagd&hfnng in Budapest nnterbieibt.« ... Ich i^anba — sie »«dB 
was anf wem«. 

Gentleman. Bezirksgericht Josefstadt in Strafsachen. Die Oerichts- 
saalbcrichte variieren Eine verheiratete Frau wurde von einem oder 
zwei Minnern auf der Straße zum Souper geladen und hat, da sie nach 
dem Souper ein Übriges zu tun sich weigerte, zwei oder eine Ohrfeige 
erhalten. Jedenfalls so wuchtiger Art, daß die Ärmste zu Boden fiel 
nnd sidi verletze. Das »gericiitlidie Nachspiel«, das solche Allhiren hahan. 



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* 



- 28 — 

ist ein Shakespearescher Tanz der Rüpel, an dem sich der Ridlter be- 
teiligt. Mao würde glauben, daß in unserem Falle die schwerste nach 
dem Gesetz zulässige Strafe «a verhingen sei» dtfi nichts, nicht einmal 
die Enttäuschung des eiregteB «sd dämm munrechmingsfihigen männ« 
HdMO ScmalMcn dnt nfOdor« Bemidliiiig det RohdtMkles bewirken 
iDflaa«^ da0 ykbaOm die HmmanffMtg^ der aiaiiUeheD Fifebe, 
die 80kbe Stnfiit ermd^cbt, an aicb strifUch aeL Von dem BeclflB- 
gierlcbt Joeefrtadt wird der Mann ra vlenuidzwaniig Standen verarteHt, 
nnd die cttdadie Verdammnia trifft die fnoL V^e die ea aicb cinfillen 
fanaan loonni^ die ElnbMlttng «im Sooper anannchnjenl »Wimen Sie«, 
ruft Herr Dr. Schachner, >wenn eine Frau so mir nfcfats dir nichts der 
Einladung {remder Herren Folge leistet, muß man wohl mancherlei da- 
hinter vermuten. Der Herr wird sich wahrscheinlich gedacht haben, 
daß es beim Souper allein nicht bleibt, und in seinem Zorn über die 
Enttäuschung hat er sich zu der Mißhandlung hinreiLien lassen«. Man 
fragt sich, was es den Herrn Dr. Schachner, der ja nicht als Sitten- 
richter im Bezirksgericht Josefstadt fungiert, im Grunde angebe, 
wenn und aus welchen Qrfinden eine Frau sich zum Nachtmahl 
laden läßt. »Mir nichts dir nichts« hat sie die Einladung wohl nicht 
angenommen« Apipetit und Nengiefde difarften ihr den Ocdanlfenpng 
nabegekgt haben:' Mir daa Eaian, db* nichta. Ein daterreicbiachcr Richter 
bUt ea f&r ebi Oloyilea Oescbift. Er billigt dem enttänacbten Attaqnenr 
aocaaacendn »Recht auf die Leiatnng« zu. Die Frau hatte fleUdcbt 
0 niapribiglicb die Abaichti aicb flbr daa Souper zn revanchlerenf {Uwr« 
legte aidt'a apiler oder qHbrte Reuei aab — ganx im Sbme dea 
Herrn Dr. Schachner die Unacfaiddidtlieit ihres Vorgefaena du. 
Zu spät! Ein österreichischer Richter ist der Ansicht, daß es da kein 
Zurück mehr gibt, daß sie sich mit der Annahme des Soupers siill- 
schweigend zu einer Gegenleistung verpflichtet hat Die Sache gehört 
eigentlich ins Gebiet des Zivilrechts. Hätte der Mann anstatt zur bru- 
talen Selbsthilfe zu greifen, die man, weil's da*; Straf^'^^ciz will, 
mit vierundzwanzigstündigem Arrest ahnden muß, den Rechtsweg 
betreten, das Zi?ilgericht hätte versteht sich, wenn dort Minner vom 
Schlage des Dr. Schachner sitzen — tnsgesprocben, daß die Frau znr 
CnaAaleiatnng, hi Qdd oder in — Naturalien, verpflichtet ad. Die 
Recbtsfbidnng fußt auf dem Standpunkt des achUditen Mannes, mit 
deiaan Odid)ter du Tiadinacbbar bn Vhrtahana anbandelt: »Sie Herr, 



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» 

- 84 - 

entschuldigeu's. Harn Sic das Madl mitbrachl? Zahln Sie den Kas?< 
Ein Mädchen könnte den für eine Uebesieistung bedungenen Geldbetrag 
nie einklagen. Ctusa turpisl Offenbar aber ein Mann die für ciaai 
Geldbetrag nie versprcx^eoe Uebesldstung . . . Das Urtdl des Herrn 
Dr. Scbaduier ist uohattbtr. DerAppeUitut (Herr Ada») wird m ab- 
Andem und den Angefchtgtea zn einer OddstniB fon fünf Xmm 
fCfiirle0CB* 

Nebenmemdi. Scbwarzbuc b- Aspiranten : > Ich bin nur neugierig, 
was mit dem allgemeinen Wahlrecht noch herauslGOOunen wird«« »Jm, 
das ist eine Seeschlange, die Lösung der Fragen mit Ungarn; da 
heißt's: biegen oder brechen«. (Bei einer VonteUnng:) »So, ao» 
Chemiker 1 Die Chemie muß eine sehr Interessante Wissensdiaft sein 
nnd hat noch eine grofie Znlinnfi. Erfinden S' das kflnstUche Eiweiß! 
Wer das zusammenbringt, wird Aber Nadit AfUllonir«. »Laasen S' 
midi ans mit den modernen Stfideen! Wenn idi dnmal Ina Tbatar 
vdn\ will idi midi unterhalten nnd ladien.« Pemer aUe Leute, die auf 
die an sidi listige Frage: »Wie gdit's?« antworten: »Na, so so, 1a fa« 
könnte mir nodi geholfen werden«, oder: »Danke, man lebt«^. Alle, die 
die Frage stellen: »Wohin werden Sie denn heuer aul's Land gehen?« 
und alle, die darauf antworten: »Am liebsten blieben ich und meine 
Frau in Wien, wenn s uns nicht um die Kinder zu tun wär ; die Be- 
quemlichkeit wie zuhause hat man doch nirgfends « Alle, die auf der 
Tramway einem, der sich über das Oedränge beklajtit, den Rat geben, 
sich »einen Fiaker zu nehmen«. Alle, die die schöne BezeichuungT 
»Der Fackel-Kraus« anwenden, alle, die sich ihm als »Anhinserc vor- 
stellen und darauf verwdsen, daß sie »jede Nummer in der Trafik 
Icanfen« nnd alle, die ihn» nachdem sfe sdum mindica — andi ob et 
der Wedekind ernat mdne — erfahren haben, fragen: »Jctet sagmi Sie 
mir, bitte, ttodi eines: Wie groß ist dgentlidi die Anflace dnerNnnmor?«. 
AUe, die ihn mit den Worten apoatrophieren: »Anf die Oetebr bin, daß 
Sie midi Ins sdiwarae Bndi bringen . . . .« 



Rsdahtaar: Karl Krana. 

tu. 



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Die Fackel 



IM 



WIEN. SU. jiNNER im 



VIL JJIHK 



Die WaUref orm. 



Ein offener Brief an Karl Kraua. 

lob mttflte die migfteaiive Kraft Ibrer Worte 
geringe eiosohfttaen» ala ich ei tue, wenn iob ei 
gleichgiltig hinnehmen 4B0Ute, dafi Sie eioh in eineoi 



Sache yergreifen. Mir liegt dabei auch das Bild aan 

Herzen, das ich mir von Ihrem Geiste mache und 

das ja auch einmal ein geschiciuliches sein wird. 
Dies bewegt mich vor Allem, bei Ihnen vorstellig zu 
werden, wegen der Haltung, die Sie in der Wahl- 
rechtstrage einnehmen. Hier, fürchte ich, werden Sie 
auf Granit beißen. 

Ich gehöre nicht zu jenen, welche Ihnen kleine 
persteliohe Motive in irgend einer Oflbntiicihett Sache 
zutrauen. Im Gegenteil, iob schAtce am Ihnen die 
Fähigkeit, eich über alle persönlichen Verh&ltnisBe 
hinwegsuselBeii« loh habe Sie einmal bei Gelegenheit 
einer Offenfliohen ASkre von wirklidier Empörung 
und B^Ümmerihelt erbittern gesehen tmd weifi seit 
jenem Tage, daß Ihnen die öffentlichen Dinge als 
Erlebnisse ans Herz greifen und daß hinter jedem 
Ihrer Worte die echte Leidenschaft steht. 

Was hat ihnen nun die Wahlreforra getan, daß 
Sie dieser mächtigen Erscheinung so feindlich gegen- 
ttbsmtehen? Warum greifen Sie die Männ^ an, welche 
die gröMe Kuhurtat geleistet haben, die in cHisseni 




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Lande seit Menschengedenken yollbradit wuide^ und 
durch die beispiellote Ausdauer ihrer Agitation und 

Organisation die Pundamente dieses Staates erneatm? 

Sie selbst — wir wissen das sehr genau — leiden 
an Österreich. Ihr AutLiüLen gehörte zu den Vorzei- 
cheneinerneuen Or(hian^'-, und ein künftiger Geschichts- 
schreiber wird die .Fackel' vielleicht zu jenen Er- 
scheinungen rechiiei), welche der Neugestaltung 
Österreichs voraus^' gangen sind. Sie gaben einer 
unerträelichen Spannun^: der Gemüter, die durch ein 
Jahrzehnt aufgespeichert war, einen klassischen uad 
vehementen Ausdruck, wie er in dieser Pracht bei 
uns noch nicht erhOrt war. Ihre Attake richtete sich 

Sgen den gemeinsamen Feind des Künstlers, des 
loies und des Volkes: den Bourgeois. Sie spieSteo 
die Insekten und trafen mit Eeulenschlägen die fetten 
Monopolherren der geistigen und materiellen Oüteri 
Sie btaebten es suwege, dafi Analphabeten m Lesern 
wurden, daß Freund und Feind Ihre Worte mit glei- 
cher Neugier verschlangen, Sie schriehen Furchen in 
den Geschmack der Zeit, Sie hewirkten eine Um- 
wertung der Werte, — kurz, Sie taten Alles mit 
Ausnahme der positiven fruchtbaren Tat, die anderen 
Männern vorbehalten war. 

Als ein Erwählter des allgemenien, gleiciien und 
direkten Wahlrechts der Leser gingen Sie aus der 
Urne der öfTentUchkeit siegreiob hervor. Ihre große 
kritische Leistung war ein Bedürfnis der Zeit und 
kann durch nichts mehr rückgängig gemacht werden. 

Sie wissen am besteni was es heißt, in Oator- 
raich leben und wirken wollen» Aber Sie hattcoi nie* 
mals Sümpfe trocken su leiten und in Ackerboden sa rer* 
wandeln. Sie kennen den Kletnkampf um gfofte Gedanken 
nicht aus eigener Erfahrung, Sie können nicht er- 
messen, was Energie, Zähigkeit, organisatorische Ar- 
beit an Leidensiiihalt bedeutet. Aber Sie wissen mit 
Nietzs( he, daß der höchste Mut derjenige ohne Zeugen 
i^t. Und den hatten jene Mänueri welohe di» Axbei- 



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terklasse erzogen und organisiert haben. Dieses 
Unternehmen war ein fast hoffnunsfsloses. Nur der 
entschlossene Wille, sich ganz einfacli aufzuopfern, 
ura späteren Geschlechtern zu beweisen, daß nicht 
alle Zeitgenossen dumpf und stumpf gewesen sind, 
brachte diese Leistuno^ zuwege. Wenn die Führer der 
österreichischen Arbeiterschaft kein anderes Verdienst 
hätten, als daß sie binnen fünfzehn Jahren den 
Rechtsstaat erzwungen und das Gesetz in Österreich 
eingeführt haben, so hätten sie den Nobelpreis yerdient. 
Bezirk um Bezirk mußte das erarbeitet werden. Der Weg 
ffihrte durch einigeOefänmisse^aber er wurde surückge- 
le^. Oleichseitig wurde die gewaltigste Spararbeit, die 
peinlichste SohonuDg des anvertrauten Menschennia- 
teriab durchgeführt, die ganse Spannkraft nach innen 
gekehrt und in Überzeugung verdichtet. Ver- 
gessen wir nicht jenes Organ, dessen Sprache schon 
ein Ereignis war, das durch lange Zeit die einzige 
Zufluchtsstätte jeder Art von Wahrheit gewesen ist. 
Nun endlich betritt diese Klasse unseres Volks nach 
unvergleichlichen Mühen und Leiden den sicheren 
Boden der lebendigen Geschichte. 

Sie sehen in dem Allen nur die Demokratie, die 
geringzuschätzen Sie sich ästhetisch verpflichtet fühlen. 
Aber täuschen Sie sich nicht! Sie haben nur aka* 
demisch, nicht politisch- praktisch eine andere Wahl, 
als die Bejahung alles Bestehenden oder den be- 
taeraten Anschlufl an die neuen treibenden Kräfte, 
keine andere Wahl^ als swischen dem Spießer, der Sie 
verabscheut, und dem Volki das Sie gar nicht kennen, 
weO es erst entsteht. 

Denn wo wäre in Österreich die Aristokratie, 
von der Sie träumen ? Zeigen Sie uns erst die Aristo- 
kraten, die sich mit den geistigen Spitzen zu verbrü- 
dern bereit sind, zeigen Sie uns den Esprit des 
Rokoko, und wir nehmen seine Laster in Kauf. Wir 
wollen von Herzen c:ern gegen den Adel galant 
sein» — aber sehen möchten wir vorersti dafl er 



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irgendeine Art Geist, sei es einen Staatsgeisl, sei es 
einea ästhetischen, basiUt. Aber den suchen wir ver- 
«blich. Hier gibt es keine graudeen Abb^s, keine 
Benaissance-E^ardin&le, mit denen wir über Plate 
konversieren kOnnen» keine kunstsinnigen Marquis^ 
äondero höchstem Sportbarone, auch keine eagliachen 
Lordi, deren Hochaucht uns imponieren könnte« Ach, 
wflre nur erst der Adel da ! Wäre nur erst die Bour* 
geoisie da I Wäre nur erst der bdse, schöne Feind da, 
den man hassen, aber achten könnte! . . . Aber wir 
finden nur die abß^elebte Schar der beutegierigen 
Pfründner ; keine Pflicht des Besitzes, keine Mäzene und 
Pürstenhöfe, sondern eine Clique von Bevorrechteten 
ohne Geist, ohne Anmut| ohne Bildungi ohne Geschmack^ 
ohne Würde. 

Da bieten die Kolonnen der Arbeiterschafi doch 
größere ästhetische Befriedigung, der Arbeiter, die, 
wie Sie freilich nicht wissen dürften, schon heute 
eine hoiie Organisation des Kunstgenusses besiteen, 
deren Versammlungen, seien sie nun politischen oder 
kfinstlerischen InhalteSi niemals weniger als tausende 
Yon leidenschaftlich interessierten Menschen yereinigen. 

WiU ich Sie damit etwa aur Demokratie über- 
redeo f NeiUi ich meine nur, dafi das gar nicht in 
Ihrer freien Wahl steht 

Seien wir immerhin für die Auslese. A))er lassen 
wir doch erst die Menschen in die Arena kommen, 
lassen wir doch erst das un gemünzte Gold, die Fülle 
der Talente aus dem Schoß des Volkes steigen. Dann 
erst wird der Seher auch den Hörer finden und die 
ersehnte Resonanz haben. Nicht das Genießen, sondern 
der Drang zum Genüsse entscheidet; — verwechseln 
wir aber die reinliche Pflege vorzüglich gewaschener 
Schweine nicht mit — Ästhetik! 

Nun erst vom politischen Standpunkt: da han* 
delt es sioh tot ^em darum, aus dem Irrgarten ber- 
auaaukommen und endhch einmal den Kegel, der auf 
der Stpitae tani^ auf die Basis au drohen« Wollen wir 



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I 



6 - 



nicht endlich die Voraussetzung: Bum geistigen 
Schaffen, den geistigen Konsum bee^ründen ? Alle 
produktiven Menschen werden durch eine fundamentale 
Umwandhin nur gewinnen. 

Mir dürfen Sie es glauben, der Anstrengungen 
gemacht hat« gerade im Bürgertum zu wirken und 
es fttr eine Kufturpolitik zu begeistern. Wenn ein In- 
stinkt vorhanden wäre, hier war der Boden, um ah* 
seits yon der Tagespolitik eine Macht su entfalten. 
Warum T^harrt das BQrgertam in seiner Trägheit, 
warnm ist es nicht möglieh, die ttstbetisoheii GMMsr 
mit den soilalpoHtischen m einigen? Waram ist es 
nicht dimfcmwtsen, auch nur zur Betätigung der 
eigenen Gesinnung die Leute zu zwingen? Warum 
sind die Liberalen nicht liberal, die Antisemiten nicht 
antisemitisch, warum kann niemand an seinem Nerv 
gerülirt werden ? Weil nicht einmal der Wille zur 
Macht da ist. — Und nun kommt der Sturm, der die 
ganze Luo^e und Erbärmlichkeit hinwegfegt, nun er- 
bleichen alle die, deren angemaßte Herrschaft Sie, 
Karl Kraus, mit so großer Leidenschaft bekämpft 
haben. Aber anstatt z« jubeln, anstaitt dem großen 
Totengeläute mit Begier stt lansohen, — wenden SMe 
sich mit Kälte ab. 



eine neu« Jugend hoffen dflrfen — es mag ja itiii} 
und es bestehen CbOnde fbr die Meinungt d» finicM* 
lose SeRMstverbrennnng unser vott der Oesäiohto prMde* 

stiniertes Los ist —, aber w«nn ^ noch eine Karte 

gibt, auf die man setzen kann, wenn Licht in diese 
Wirrnis kommen kann, dann wird es von jener ge- 
heimnisvollen Macht ausstrahlen, der wir alle mit 
mystischem Stuuneu, viele mit (irauen, am 28, No- 
vember ins Auge i^^ehlickt haben, an jenem denk- 
würdigen" Tag. an dem nicht eine Klasse der Bevöl- 
kerung, sondern ganz Österreich, nicht nur eine 
Schlaohtf sondern einm Feldaug gewonnen hat. 

Bobert Sokei»* 



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»Nua 3äg , vi« hast du s mit der W&iiireform? 

Da hilft eis licnUch guter lianii, 

Alldtt idt eiaiib% du hilfst ittdit fiel davon.« 

»Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut; 

Für meine Ueben ließ' ich Leib und Riut, 

Will Biemand tthi QeMI ttad teliie Kirche ranben.« 

»Dtt tat sieht »cht, wum natd d'taa flkuibcBl« 

>Mtt8 man?« 

Da sich genug Leate bereit seigen dürfteti, die 
Anerkennung, die der Brie&ohreiber meinem Wirken 
sollt, absuwehren, aber keiner, mich gegen «einen 
Tadel zu verteidigen, so fähle loh mich bloft an die 
eine der beiden Aufgaben gebunden. Wenn der 
freundliche Tadler behauptet, daß ich mich iu einer 
großen Sache, in der Ffage der Wahlreform, ver- 
greife, so beweist er, daß er sich in einer kleinen ver- 
greift: in der Beurteilung meines pubUzistischen 
Wollens. Weil ich von diesen Dingen zu weni^ ver- 
stehe, so weiß ich nicht, ob er die Bedeutung der 
Wahlreform überscliätflt. Sicher übersobätst er die 
Bedeutung des literarischen Lebensplanes, dem ich 
meine Kraft gewidmet habe. Und unterschätzt sie, 
weil er sie verkennt; weil er dem künstlerischen 
Zweck, Bich selbst su genügen, populftre Wirkungen 
aufpfropfen möchte. Die Seiten dieser 2ieit8chrifkk 
die meine eigene Feder liesohrieh, «eigen alle mensch" 
liehen Untugenden aufier dem Ehrgeis, PoBtik so 
machen. Welch weites Gebiet publizistischer Erregung 
bheb noch dem Wunsche, sich selbst zu befreien und, 
wenns ging, Gleichgesinnten das erlösende Wort zu 
prägen. Die Erkenntnis, daß nicht in den »Ver- 
tretungykörpern« — herrUches Gegen warts wort, das 
den Kontrast zu den einsamen Seelen bedeutet — , 
daß nicht in den Parlamenten, sondern in den Re- 
daktionen die wirkenden Mächte am Werk seien, hat 
dieser Zeitschrift die politikfremde Richtung gewiesen. 
Die iSrkmatniSi daß weder hier noch dort das Glück 



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— 7 — 



der Menschheit bereitet werde, hat mich Stiramungen 
zugänglich p^emacht, die mich für den drini^lichsten 
Ansturm der Ta^esfragen unzugänglich machen. Ich 
weiß niclit, welcher Grad der Parteil)ef2:eisterunfj: den 
freundhchen Verfasser des oti'enen Briefes zu einer so 
augenfälligen Verkennung meiner Absichten vermocht 
hat« Sie scheinen schon gUM in jenen roten Dunst 

Sitauoht, den die Erhitzung am Parteiideal den besten 
öpfen jetat vormacht und in dem der Verstand 
sohließlioh vom Sohlagwc^ getroffen wird. 

Und wieder einmal ist, wer nicht mit ihnen iB% 
gegen siel loh itehe der Wahlreform »feindUoh 
gegenüber«, weil ich, der fimatisehe Niohtpolitikery 
raieh nait ihr nicht befaßt habe, weil, wo hundert 
sachverständige Federn sich regen, meine glückhch 
erworbene Unkenntnis dieser Dinge mir Schweigen 
auferlegt. Wann habe ich denn »die Männer ange- 
griffen, die die grüßte Kulturtat geleistet haben«? 
In kurzen Worten wehrte ich dem orthodoxen Eifer, 
der die Wahlrt form über die irdische Nützlichkeit 
hinaus in eine Frage des ewigen Seelenheils ver- 
wandeln möchte, wies ich nach, daß selbst der 
Horizont sozialdemokratischer Kunstauffassung von 
einem Plakatideal verhängt ist. Ließ mich vom 
Siegesmusch der Nöehtemheit nicht fassen, vom Dünkri 
glanaloeester Diktatur nicht blenden. Habe ich das Mar* 
tjrium der »Mutigen ohne Zeugent ^ im erobertNi 
Parkmient werden sie Ohrenseugen haben — ver» 
rocAiren geholfen? Hat sie die Not der Zeit so weh* 
leidig gemacht, daß sie es schon als persönHchen 
Angriff empfinden, wenn ein Scliriftsteller der Meinung 
ist, daß die Behandlung eines Gerichtsskandals seinem 
Temperament, seinem Stil und seiner Erkenntnis von 
der Erbärmlichkeit österreichischer Zustände besser 
liege, als die Entrüstunt^ über den Wahlrechtswider- 
stand der ^ Herrenhäusler^r ? Daß inh über die Stellung 
der Wiener Polizei zur Wahlreform Worte gefunden 
habe^ die iwar nioht so laut, gewiß aber krtokender 



L 



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für die Autorität geklungen haben als die des sozial- 
demokratischen Organs, zeigt doch, daß ich nicht so 
gana verhärtet bin, zeigt, daß in den Grenzen meines 
publizistischen Vermögens, die zu erkennen mein 
pubhzistischer V' orzug ist, etwas dergi eichen noch Piatz 
hat, was der Partei mensch aller Eigenart, aller Be- 

Sibiing, allem Temperament vorzieht : i>Ge6in[uing<t. 
nd dieser Tugend, die ein Mann meiner Beschaffen- 
Imii nickt gern mit Leuten gemein hat, die von 
parteiwegen dasu Vttrpflioblet sind, war doch in 
sieben Mbrgßngen der ,Faekel' ein erklecklicher 
Spiebiaum gefi^Gont. Die Zustandskritik an den Ein- 
richtungen der bfirgeriiehen Qeeellsoheft vatd hier 
mit etlrkesem impelnii — mit der geringefen 
SlMenKirkmig, aber mit der gröfleren Sindruid»- 
ffthigkfnt des Eineelkämpfers — getrieben eiof 
irgendeiner parteibeglaubigten Tribüne. 

Der Briefschn il>er gibt zu, daß sich meine 
Attake gegen den Bourgeois gekehrt habe, den er 
den 1 gemeinsamen Feind des Kün«?tlers, des Genies 
und des Volkes« nennt. Aber darin unterschied sie sich 
von der Parteikritik, daß sie zwischen Bourgeois 
und Volk nicht unterschied, wenn es galt, die 
Feinde des Künstlers und des Qeni^ m treffen. - 
Ich glaube tcotz der ausgesppoch^en Neigung 
der Arbeitervereine für die Qesangspossen dee Herrn 
Ooeta — an die »hohe Organisation des iümstgenuaces«, 
die der Yer&aier def Briefes seiner Partei nadurfihmt. 
Aber eelke nicht des edetete Streben, die QemiA- 
flUugkeit ^ MasecA «i ersielieni in der HroberunR 
bourgecnBer Kunetideale mandea? Ich glaube, defl 
im Zerstörungskampf gegen die künstlerische 
Persönlichkeit jede Masse zur »Bourgeoisie« wird, 
mag sie das Recht Abgeordnete zu wählen, besitzen 
oder erstreben, mag sie aus Bürgern zusammen- 
gesetzt sein oder aus Proletariern. Oder aus Aristo- 
kraten. Ich weiß nicht, durch welche Bekenntnisse 
der ^Fackel' die Vorliebe ihres Herausgebers für die 



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Spoitteioiie vnd WohUift%kiitikoiiitMteii bewiesen 
werden konnte. loh eweifle nicht, daß sich die Frage^ 
wo in Österreich die Aristokratie ist, von der ich 
»träume«, schwer beaiiLworteii lietie. Aber sollte es 
nicht mehr Utopistenrecht sein, von Zuständen zu 
träumen, die es nicht gibt? Nicht nur die Mäilyrer- 
pfliclit, unter Zuständen, die ea gibt^ 2U teideOi teile 
ich mit der Sozialdemokratie. 

Fruchtlose Selbstverbrennung unser Los? Oder 
das Ende der bürgerlichen Herrschaft unaere Hoff- 
mmg? In jedem Falle soll die Awahenurne Wahl« 
E wecken dienen. Ich habe michgeMn den Vorschlag 
nicht gesträubt» mioli niohty enstatt grofien Toten- 
geläute des alten usterreioh »mit Begier lu lausehenc» 
nwt KftKe abgewendet. loh spreche blo8 nicht» ioh 
iMSohe» Und nehme die unerhörte Bereitwilligkeit der 
Be^eranden, Osteneich .u erneuern, ernst. So wahr mit 
SDeialdemokratischer Hilfe der Rechtsstaat bereits 
erzwungen und das Gesetz in Österreich eingeführt 
ist, so sicher wird die Vergrößerung sämtlicher Rei- 
bungsflächen — auch der nationalen — , wird die un- 
geheure Vermehrung klerikaler Mandate die Reno- 
vierung Ost(^rreichB bewirken. Die Herrschen<ien wün- 
schen nicfUs sehnlicher. Sie sind ganz erfüllt vom Geiste 
einsichtsvoller Nachgiebigkeit. Etwa wie jener hohe 
Hetr, den man auf die Undurchführbarkeit einer 
Transaktion «afmerksam machte. »Wenn ich es 
wünsche, wird doch das Gericht nachgebm?« , Ja, aber 
das Gesetz, Hobsit, verbietet esU »Wenn das Gericht 
die Wehl iwischen dem Oesets und meinem Wunsch 
hat» wird es doch meinen Wunsch befdgen^t ,Ja, 
1^ ^ae QesetSy Hoheit, ist von Sr. M^jeetät sank^ 
tienierti' >Aoh sei, wenn es ein von Sr. Majestät 
sanktioniertes Gesetz ist, dann freilich — c... Und 
wenn der Kaiser die Renovierung Österreichs will? 
Dann freilich — wird ein neues Plakatideal ge- 
funden werden müssen, dessen Zauber hoffentlich 
wieder bis au sainer VerwirkUchung Torhaiten wird. 



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I 

— 10 — 

Bilie Wahlreform in Österreich mg die nüte^ 
Uohite und notwendigste Sache von der Welt Bein. 
Ich w^fi es nicht. Jedenfalls ist sie die nüchternste. Und 
daS mit Totschlag bedroht wird, ven das Thema nicht 
in ekstatische Stimmung versetet, ist unerMglieh. 
Der oreranisatorischen Begabune: gebührt Respekt, die ' 
aile Gestionen der Partei bis zu dein großen Auf- | 
maisch der Deinonoiranten als eindrucksvolle Beschä- 
mung der Staatsgewalt wirken ließ — deren Autorität 
und Verwirruugsteelinik bis auf weiteres brach liefen. 
Aber zur mystischen Verklärung des 28. Noveuiber 
fühle ich mich nicht verpflichtet. Nicht alle Teihiphmer 
waren von dem Zweck ihres Marsches unterrichtet; 
doch gewifl auch nicht alle von der Heiligkeit ihrer 
Mission durchdrungen. Wissen sie von der Bedeutung 
dessen, was im Parlament geschieht, mehr^ als etwa 
von der Bedeutung der plastischen Gruppe, die die 
Verhafllioher Wiens vor das Parlament Repflanst haben ? 
Ob das Rtesenweibi das eine Seifenfabrik der Beno- 
yierung Osterreiclis gewidmet su haben scheint, die 
Muttergottes oder die Kaiserin vorstellt: awlsoheo 
diesen Meinungen hörte man proletarische Betrachter 
schwanken. Sie sind auch der ecliten Kunst gegen- 
über zu besserem Urteil nicht verpflichtet und l>leiben 
als Wilde doch bessere Menschen. Ihre hohe 
Organisation des Knnsteenusses sciieint mir in der 
Welt jener IiK'üloj^MMi zu bestehen, die dem Proletarier 
das Brot nicht ohne Buch verat)reichen wollen und 
immerdar überzeugt sind, dati er zuerst das Buch ver- 
schlingen werde. Sie wollen, dafl die Arbeiterschaft! 
deren fiildungsdrang nicht mehr su halten sei, die- 
selben Kulturgüter erraffe, an denen sich die Baar> 
geoisie su Tode gefressen hat. Daft die Kultur ver* 
giftet ist, dafi der Unbildungstrieb su einer reineren 
führen ktante, so anarchisches Denken würde Fort-* 
schritisgeistem nicht Siemen . . . 

Ich freue mich, daß ich diesen so oft gefallen 
habe. Aber es betrübt mich nicht, dafi ich sie öfter 



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11 



«nttämohen muß. lob trage als Publieiat nur die Ver- 
antwortung für meinen Olanben, nicht für die Wahr- 
heit meines Bekamtnissea« loh schreibe, weil ich 
auflUIig in dem Drehen ron Brotkügekdien nicht den 
mich befriedigenden Ausdruck meines Innenlebens 
finde. Aber ich schreibe nicht, um dem zu dienen, 
der lesen will. Darum muß ich nicht »Stellung 
nehmen«. Und darum muß ich auch nicht zwischen 
der ^Bejahuno: alles Bestelvnden« und dem 
:^beherzten Ansihluß an die iieueMi treibenden 
Krätte« wählen. Wozu Wahl? Wozu Anschluß? 
Wenn ich von zwei Übeln das geringere wählen 
soll, wähle ich keines. Ich warte die Erneu- 
erung Österreichs ab und hoSe^ daft ich dann noeh 
immer genug an tun bekommen werde. Der freund* 
hohe Verfasser ahnt gnr nicht, wie schön das Leben 
ohne organisierte Ideale ist. Aber ich will es nicht 
unterlagen, ihm dafür, dafl er mir dm Vorwurf 
»persünlioher Mottvec, den die Dummköpfe aller 
Parteien gegen mich erheben^ ausdraokltoh erspart, 
▼on Herzen zu danken. Wie übermenschlich müfite 
mein Temperament sein, wenn persönlicher Anstüß 
meine Betrachtung zu der Perspektive erheben könnte, 
die sie der kleinsten Sache abgewinnti Ich weiß nicht, 
von w^»lcher Affäre er spricht, an der er mich im 
Innerb t' Ml beteiligt gesf licu hat. Aber daß ich ein 
Mens(^h bin, »an dem man mehr gesündigt, als er 
sündiglec, daß mich die Erscheinungen dieses Staats- 
wesens heftiger angreifen, als ich sie angrmfe» darf 
meinen Feinden aum Trcet gereichen* 




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Die Klassiker« 

Es gibt tine fflrchterliclw Sorte vos Imtm, die hdk 
BQdiiiig;»-Nekrofilil]eii senKS mdditei Sie oiad wn Nimbss 
der fOrodunstea ffotsüfln Abflfeklirtbeit iMs webt n und ihr hUItfv 
Kniff bcMit darin, innner, vtnn von QtgmwJUtigcni die Redt iit, 
ndi Mentiadicn Oestm die Vergangenlieit zu bovilnArett wmd 
mit dem milden Ukhetn irilesverstriiender Qik anf die nymni^Hn 
Klassiker zu weisen. Der hirnloseste Flachkopf wird in der 
»gebildeten Gesellschaft« als Kulturbringer verehrt, wenn er 
nur bei jeder Gelegenheit salbungsvoll »Mehr Goethe!« lispelt. 
Wer aber gar einen Vcremsvortra^ >Zurüclc zu Schiller!« hält und 
als Broschüre drucken läßt, der braucht um seinen Ruf als ernster 
Denker sein Lebelang nicht mehr besorgt zu sein. Je unverschämter 
ein solcher Oeistesindustrieritter mit seinen arrogierten Beziehungen 
zur Klassik flunkert, doita aicfaerer wirkt er damit auf den Pdbel^ 
der allem zujubelt, was seiner instinklmt gqjoi die lebendige 
KttMnr enigegenkoramt 

Man bnncht nur zu twciybaditeBy in was fflr eins vcrawaiMlB 
Eribtttemng so ein Blldungmntpcr gieril, wtm er dn «aiMcblliiei 
Voit filier c&ien jener toten* Sdviflstdln' hötk, dmn nnwn^ 
itadaae nad unvtfgcaent Lddfire seine Bildung an age n w oh t Sk 
Inbcn eine eigene sdiledifgafiielte Veitditung fftr dieae inteUefc* 
tiMlle Ehrlichkeit erfunden. Man gefiM nicllt mehr zn den 
»gebildeten Menschen«, nicht mehr zu ihnen, man ist Luft für 
sie. Aber der Haß, der sich als Verachtung maskiert, verrät sich 
jedesmal. Nicht die Klassiker erfüllen ihr Herz, sondern der 
gemeine Haß des Gesindels gegen alles Echte, Noble und Unbe- 
kümmerte. Nicht daß »Schiller zum alten Eisen« geworfen wird, 
betrübt diese Guten, aber darüber sind sie außer sich, daß es 
Menschen gibt, die eine wirkliche Kultur besitzen, für die sie 
keine Organe haben. Ihre Liebe zu den Toten ist nichts als der 
Vorwand för den grundlosen und deshalb fanatischen Haß g^en die 
Lebenden und gegen aUe jene» die nichts» auch nicht die Khoaiker, 
mit ihnen gemein haben wollen« Es gereicht mir daher tm 
aufrichtigen Befriedigung, durch einige unbefangene Bemerkungen 
Aber die deutschen Klassiker und die deutschen PhiUsler meinen 
Anspruch auf den Schandtitel ein« hn Sinne deutscher Philisler 
»geükieten Menschen« zu verwirken. 



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— 18 



Die »deutschen Klassiker« sind eine bloße Erfindung der 
kklcr virklichen dentachen PhiUBter, kb bmudie «lio nicht zu 
saeaif daß tle dne eachwcklcue Etflndung rind. Ich wundere 
midi inuKf imdcr, daß noch nicht laut fegen den Uiifiig 
pitrfeiäert wufde, cte Dutzend wdurloeer toter Schriftsteller vom 
vtacfatedensten Rusg md Wesen durch das Pbilistenport »KMIrer* 
zu mkoppeln, auf das Podhim der ofdinärsten und schein- 
heiligsten Standbilder- und Jubiläumsbegeistcrung zu stellen und 
den lebenden, mit ihren eigenen Problemen ringenden Schrift- 
stellern als unerreichbare Vorbilder aufzwingen .-^u wollen. Der 
Schaffende kennt keine anderen Klassiker als diejenio^en, die er 
auf dem genngsam mühevollen Weg zu seinem eigenen Selbst 
fmdet. Er weiß am besten, was seiner Art ist und ihn zu 
befruchten vermag, und muß jede Einmengung in seine urinnersten 
Angelegenheiten zurückweisen. Aber auch das bloße Interesse an 
wirklicher Kultur, der gute Geschmack, verpflichtet dazu, den 
Versuch des Phiiisterressentiments, eine Afterkultur zu oktroyieren, 
tapfer abzuwehren. Es würde allerdings nichts nützen, denn 
— Oott sei's geklagt! — es gibt Klassiker-Veileger und Uteratür- 
professoren, und diese Gattung hat den unbedingten Willen zum 
Leben, zum Geschäft und zur Fortpflanzung! Ohne die Klasi^iker 
aber würde sie aussterben. Und ohne die Klassiker hätten die 
Mikrokephalen keine Gelegenheit mehr, ihren Ge^ zu dokumen- 
tieren . . . 

Die Erfindung der deutschen Klassiker ist eine posthume 
Beleidigung Goethes. Wenn das jubiläenfeierndp Geschmeiß ein 
Hundertstel von dem geheuchelten Respekt vor üoethe und ein 
Millionstel von dem angemaßten Verständnis für Ooeihe hätte, 
es hätte ihm nicht mit solcher beispiellosen Banausenlicehhett 
ctnlach eine Reihe »Kollegen« gegeben. Daß ein Volk nach huncfert 
Jaluen den Raagunieiadbied zwisdm Ooethe und Schiller nicht 
bcgrifieB hat, beide auf dn Postament stellt und von den »beiden 
DichteifiifBten« spricht, Ist eigeniUch betrübend. Aber für ein Voib 
bei dem dank der Klassikerkolkgialltät auch dte Verbindung 
»Ooetiie und Körner« oder »Goethe und Hauff« möglich 
wäre, ist eine Encheinung wie Goethe umsonst gewesen, einem 
solchen Volke geschieht kein Unrecht, wenn es zum Gaudium der 
Weit unter der Spitzmarke »Volk der Denker« aus der Gemein- 



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— 14 — 

Schaft internationaler Kultur ausgeladen wird. Es ist unglaublich, 
was als Goethes » Kollegen € sich auf dem Podium der Klassiker 
herumtummelt Leute von kleiner bürgerlicher Herkunft mit uner- 
träglich olympischen Ocsten. Jeder hat den Oott im Busea, Jeder 
wird von Inspirationeii sebübt, kommt aus höham Sphären und 
Ist nur utieig«itlidi an! Eideii. Oer Qnmd alles Seins bemttrtslcli 
penönlidt um ihn. Er Ist Sdicr, Rfdrtar «ad Hdhmd. Er ist mit 
Pallas Athene aus Zeus* Hanpt g d uo dw u . Seine pirsche eckt 
auf Stelzen und Ist heiser wie die aller Demagogen« Aber nicUi 
gefällt dem Volke beaeer, sJs wenn ehier gut blitscn und donnern 
kann. Dann muB er ja wdil mit dem Himmel verwandt scfaL 
Goethes Kollegen!*) 

Für den deutschen Bildungsphilister konnte das Phänomen 
Ooetbe nichts bedeuten« Ooethe ist nicht in seinen 36 Bänden ein- 
geschlossen und pfleiste nicht zu blitzen und zu donnern. Der 
deutsche Bildungsphilister bmucht einen gehobenen Busen. Die 
Bedeutung eines Genies liegt in seiner Peisönlichkeit, in seinem 
bloBen Dasein, In der Impression, die es ausstrahlt, ich möchte 
sagen, eben in seiner PhinomenalitSt Sein Vorhandensein Ist be- 
reits, alles, seine »Werke« sind eine Begleiterscheinung, das unvoll- 
ständige und unvollkommene IVolokoU seiner Entfaltung, seines 
Sich-Eiiebens. Und diese Protokolle — - man denke z. B. an die 
»Wahlverwaadtscliaftenc - werden mit der Zeit immer unver- 
ständlicher und wertloser. Was von Ooethe noch lebt, lebt nur 



*) Die höchste Schätzung Schillers muß in die Spaltung jenes 
Doppelden knials einwilligen. Der deutsche liochgedanke, der für Poesie 
und Normalwäsche den Weg durch Einheit zur Unreinheit \rahlt und 
der die individttalitäten nur im »Verein« duldet, hat diese fatale Ver- 
brfiderung aoig^eckt. Aach wer Schiilar vor der Begeisterung dar 
fHacheo schützen möchte, muß gegen die Punma nUt Ooethe pm^ 
tettiercn« VermatUdi hat der Tronilraspeirt vor den »Xentai«, Iomt 
nnbedeutflndea Laune zweier OroAcni die nodi hcnis Ulimtaiptnlmonn 
auf die Sache aadi der eptiWIeii »AnlovscdiafI« tmRyl^ die Diosknnn* 
Idee fsilhft Aber wriiilldi, dem Veft dsr Dbümt, den Com p ai a i S ' 
Rfflien imp on i ere n , sMbtn Loeeer Ik Wolf noch hnaw nihar. 

Anm. d. Herausi^eb. 



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16 ^ 

in Lebendigen. Der Ktatler sengt sidi te KüMtkni fort, die 
WeriR sind dem Untei^g geweiht In den lebenden Mditern 
- es macht «en^ ma, ob ile andi wirklich »Oediehte« nwcfaen - 
steckt dn tieferer und gröBerer Goethe als hi »Oocthes Werken«. 
Und «er »Mehr Qoetfae!« sagt, weiß nicht, wts er redet, denn es 
kann nicht mdir Ooethe sein, als in den Lebenden lebendig ist. 
Weil du Goethe liest, wird er noch nicht lebendig; du sollst es 
dir sogar ersparen, wenn er nicht zu dir spricht. In anderen wirst 
du ihn, ohne es zu wissen, hören, aus anderen ihn in dich auf- 
nehmen. Aber plage dich nicht fruchtlos mit >Goethes sämtlichen 
Werken <, sonst fährt die Seele eines verstorbenen Litcraturprofessors 
in dich hinein — und nie wirst du dann Ooethe hören ! Genies, 
mein Freund, wollen weniger gelesen und besser gehört sein. 
Horch in dich und horch ins Leben, sei dein eigener KUesiker 
utid biß dich deine Unbiidung nicht verdrießen 1 . , • 

Lucianus. 




Ein Manuskript Oskar Wildaus, das auch 
im Englischen noch nioht rerdffeatliobt ist und darum 
hier in beiden Sprachen ereeheini: 

To Mrs. Langtry. 

Coiild we dig up this long buried treasure, 
Were it worth the pleasure? 
We never could learn love's aong, 
We are parted too long. 



L 



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- 16 



Could the passionate past tbat is Ütd 
Call back its dead? 
Could we live^it all over again^ 
Were it worth thc paia? 

I remember we used to meet 
By an ivied seat, 

And you warbled each pcttty vord 
Witli the air of a bini. 

And yoor voice bad a quaver in it 
Jnst like a Unnet» 

And shook as the blackbird's troat 
With its last big noit. 

And yoiir eyes they were green and grey 
Like an April day, 
But lit into amethyst 
When I stooped and kissed. 

And your moiith, it would never sraile 
For a long, Inno wiiile, 
Then it rippied all over with laugbter 
Five minutes after. 

You were always afraid of a shower 
Just like a flower, 
I remember you started and ran 
When the nin began. 

I remember I never could catch you, 
For no one could match yo«, 
You had wonderful iuminous fleet 
little wings to your feet. 

I remember your hair, did I tie it? 
For it always ran riot 
Like a tangled snnbeam of gold ; 
These tfaing^ are old. 



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I retnember so weli the roQ» 
And the lilac bloom 
That beat ai the dvlppifff paae 
In tfae wann June rain. 

And the colotir of yov gwn 
Ii was aniber<bmra 
And two ydlow saHa Iww« 
From your Shoulders roae. 

In your voloe as It said good bye 
Was a petufautt cry, 
On your band as it waved adieu 
There were veins of blue. 

And the handkerchief of Ftach lace 

Which you held to your face, 

Had a swall lear left on a slaiu? 
Or was it nün? 

»You have on^ waafeei your life« 

(Ah, that was the knile!) 

When I rushed trough the garden gate 

It was all too late. 

Could we Uve it over again, 
Were it worth the pain? 
Could the passionaie pas»t that fled 
Call back its dead? 

Well, if my hcart must break, 
Dear love, for your sake, 
U will break in music, I knowj 
Poct's hearts break so. 

ßut stränge that it was not told 
That the brain can hold 
In a tiny ivory cell 
Ood's heaven and hell. 



— la — 



An Urft. I#ftiigtr7. 
Von Oslnr WII4«. 

Wieder heben den Schate, den versoharrteDi 

Lohnt's das Erwarten? 
Doch wie lernen der Liebe Sang, 

Schon getrennt so lang? 

Und riefe die Zeit voll Glück 

Ihre Toten zurück — 
Alles leben zum zweilenmai, 

Wär* es wert die Quai? 

Ich weifi noch unsern Qang 

Zu der Epheubank, 
Und dein Zwitsohernj es klang so traut 

Wie Yogellaut 

Deine Stimme bebte Ton Seele 

Wie des Hänflings Kehle ' 
Und schloß wie die Amsel im Lens 

So voll die Kadenz. 

Wie Apriltage grau sonst und grün, 

Docli sah ich erglühn 
Deine Augen zum Ametiiyste, 

Wenn ich stehn blieb und küßte* 

Und dein Mund, Lieb, lächeltest du 

Nimmer mir m, 
Lachend jubelte er 

Fünf Minuten nachher. 

Du konntest bang erbittern 

Wie Blumen vor Gtewittern, 
Ich weiß noch wie du in Angst 

Dana mir entsprangst. 



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19 - 

Ich weiß noch, ich könnt' dich nicht fangen — 

Wem wär's besser ergangen ? 
Trugst Flügel ganz leicht und licht 
Au den Füßen du nicht? 

Ich weiß noch, dein Haar — wollt' icha kaüpfen, 

Sah ich stets es entschlüpfen. 
Wie ein wir»er Goldsonnenstrahl. 

Das war einmall 

Ich weiß noch so gut das Zimmer; 

Seh den Flieder noch immer 
In Juniregentagen 

An die Scheiben schlagen. 

Und dein Kleid, ii o h erlaub ichs zu schaun, 

Es war bernstein braun, 
Und die Schultern schmückten beide 

Qelbe Maschen von Seide. 

In der Stimme, die Abschied mir bot, 

War ein Schrei wilder Not, 
In der Hand, die mir winkte, der bleichen, 

Blauer Aderii Zeichen. 

In dein Spitzenmouchoir 

Von den Augen, fürwahr, 
Löst ein Tränlein sich los? 

War's Regen bloß? 

»Du hast nur verwüstet dein Lieben . . «« 

0 wie ließ mich's erbeben 1 
Als ich durchs Garteotor lief, 

War der Schmerz schon zu tief. 

Es leben nun noch einmal, 

War' es wert die Qual? 
Ruft je jene Zeit voll Qlück 

Ihre Toten zurück? 



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1 



9B 



Wohl, oint dMn bracihai Sohmmy 

Um dich mein Hensy 
Ein Diohterhen, bricht (rieh, 
In Melodie. 

Und seltsam, dafi nun mobft denkt, 

Wie der Geist dooli limftiMrt 
In Blfenbeinsohels die VttUe 

Von Himmel und Hölle. 



Was kümmert's mich, ob sich's mtg sclucken ^ 

mein Mann schaut au in Seelenpein. 
Ich seh' ihn blafl und blässer werden — 

ich bin sein höchstes Gut auf Erden I 
Er würde sich zu Tode kränken, ^ 

tät ich mich Einem ganz verschenken. 
Doch meine jungen Nerven mü8f?en 

die Sehnsuchtsqual von Männerhorjten spöreo* 
Ich lasse mich nicht einmal küssen — 

sie aber träumen Alle vom Verführen! 
Ich muß mir selber meine Macht beweisen, 

dadurch, daß ich unselig machen kann; 
Denn in geordneten Geleisen 

gibt sich der »Pflicht des Lebens« hin derdummeMannl 
So aber seh' ich Alle blafl und blässer werden — 

lOH bin ihr höchstes Chit auf Brden I 
Mein Mann tut mir aufrichtig leid 

bei allem diesen bösen Spiele ; 
Doch, ließ' ich ihn in völliger Sicherheit, 

wer weiß, ob ich ihm dann noch so gefiele? 
Am besten ist's, ich bleib* so wie ich bin — — — 
. wie lange dauert's^ ist man alt und hin 1 ? 



Von Petsr Altenberg. 

Ich fan&:e mir mit meinen Blicken 




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— ü — 

ANTWORTEN DES HERAUSGEBERS. 

Zeüffmmm, Ekt Qericbtsverhandknig: Dem Richter wird der 
VflfMt F. H. wtgm verboteaer RAoUBehr wmMkiL RiaMari Sit 
«iwB, HÜB Sit id«BKhatt itad? JU^dd.: Qi |«I tttMir: 

jtitt in Vtatv «Bit't ka AdMit tttl — Dm Urtafl lastet nf «tev 
MoMt timm AmHi ^ Aagdd. (tataMekt): Aa' Moatt? - 
Riete: Sit Uom bmtail - Aocril: Dfe Ii nlr ft t' «e»ig! . . 
I will drti Monmt', dtA 1 te SmBner tuSi komm, wmm% wieder « 

Arbeit gibt! — Di es kein Rechtsmittel eines Verurteilten gegen zu 
«[eringe Strafe gibt, wird H. zur Strafverbüaun^ abgeführt.« - Weita* 
können wir's in dieser besten aller Welten wohl nicht mehr bringen! 
Der strafende Staat, der Momo der Erwachsenen, hat seine Schrecken 
eingebüßt — auf freiem Fuß sein bedeutet Srhmach und Jammer. Iis gibt 
eine Verurteilung zur Freiheit. Aber F. H. braucht nichts anzustellen, . 
um die Unfreiheit so oft er will zu genießen. Er muß bloß nach adner . 
jedesmaligen Enthaftung «nd Abechiebung in die »Heimatsgemeinde« 
atdi Witt iflrMdcdM. Ftad tr dtrt Bicht AriMit, tt ündtl tr hkr 
WQifltflMig^ Ein Staiiy dv mehr Aircde als AfteüHtttlcn lad ud ^tair 
dtt tnnea Teidä vtf bsiHKni Uefity wtm't dicht OiMtit tßJbti die der 
mam TtHftl iberMn kaan« ist cta Maduditt. Vom dw Btwrteut 
et •cldieBlidi w datr IdNMlIiii^khMi VerisOitigvHic lai rrjlinini 
bifatiB litaalt, wlve die SInfenl endgüüg ad tfatardam gefOlirt Ua- 
rtm «M Venranft, Plage WoiiHtt. 

Betschwester. Zwei österreichische Gerichtsaffären. Zuerst sollte 
ein Salzburger Bauer >eingesp!rrt« werden, weil ihm etwa der folgende 
Ausruf entfahren war: »Ach was, i fnrcht mi vor kein Teufel. Den 
Teufel liab i zuhau5, mei Weih!« Nicht wegen Beleidigung des Weibes, 
sondern wegen Beleidigung des leufels, wegen ilerabwOrdigung einer 
»Cinrichtaag der kathoteiMB Kirehe« — eine solche ist nämiich der 
Tcalel — sollte der Mann >einge8pirrt« werden. Es gakdit ainükh zu. 
den aawiierbarea Rechten dea öttcneidiiidien Stuttbftrgcfi, zu jeder 
Staadt aad bd jedem Anlaß »tioeeifM« zn weiden. Der Maaa wurde 
aaflUkadarweiit twigr^iroclMai Wie tdiwcr tt aber ia Öttcneldi itt, 
htlat RtHgloaitiSraiig la begdita, aaigt der andtit Voiftlt, ftbtr 
dea ante MUtibtittr Laduat die folseadt Olottt tdudbt: »Ia Obafttc 
warf ehi Frltenr bd der Beeidigung seines Pnaadtt dat Erdscholle aaf 
den in die Tiefe gesenkten Sarg mit den in tschechischer Spracht «at* 



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— 28 — 

gerufenen Worten: ,ljebe wohl, Ferdinand, «nf der ganzen Linie r Er 
wurde wegen Religionsstörung angezeigt und — obfwohl er angib, 
daß er dem toten Frenide nor deaaea Ueh togai fo ite «enf der gwn 
LMCtiadiferalln habe, oh« die entferateaie Abaidii, ftmmi zu VttfMfjifB 
oder «i> Afferofa an ertegen zn drei Tagt« atresgeii Arrest« 
^verarteittl — Wir jeden Menachen,der dieaen Naaiea ferdieat. M c i nw e ii eia 
klar, daB der Friaeur, als er dem totes ftande jene Worte aackrief, die 
dieser Im Leben ab Redensart sn gebranchen pflegte, mMKfaHtaifcfa 
von efitem 2blHdtl[rii^*ef&1il fQr den Toten beherrscht war, daß er in 
seiner Art natürlicher und menschlicher handelte als die meisten Leid- 
iiagenden in der konventionellen steifen Schmerzenspose. Und sicherlich 
war ihm dabei kein Gedanke fremder als der an Beleidigung und 
Ärgernis. Es waren aber ein paar Leute dabei, die nicht den Namen 
Menschen verdienen, vermutlich feminini genens, vort^erückten Alters 
und nur mehr dem lieben Ootte lebend. Sie f&hlten sich verpflichtet, aa 
dem Uebeaawtrdigen und gewiß harmiosv Auanif ein «AigeDiie' -<> 
die ganze Beladiwesterei stinkt aas dleson Wort xa netaaea awl 
den Maaa ,aaa»aeiBan'* Uad ea faad aich bi dfeaem Lotterie«, 
Polizei- aad Klicheaataal vna idealer inneren Harmonie ein 
Slaataaavalt, der eine ,Aaldage' erhob, und ea fand aidi ein Rkiiter« 
der die für MauKtaea nnfafibax« Betsekareaterpqrcboiogie dnndi ada UiWl 
aanidfönierte. Mit etaem Wort: ela Sieg der Bdadimlmi - aaf dar paaea 
Uniel« ObtaneneStra^eaetz aofefaeSiegeamnögHcltanebea wird? Obea 
verhüten wird, dal5 der ahnungslose, blinde oder andersg:täubige Passant, 
der eine Prozession nicht grüßt, »eingespirrt« w-rde? (Wätireiui der reli- 
gionsstörendeKooperalorjrier auf demOangzu eineni Sterbenden inaeliäji und 
Spaziergängern den Hut vom Kopfe sculä^;!, straflos bleibt.) Wer kann's 
wissen? Rechtsgut wird wohl auch künftig nicht die Religion, sondern die 
timpfindiichkeit der Betschwestern sein. »Marandjosef !« lautet ein- für 
allemal die Klage, die der österreichische Staatsanwalt erhebt. Und wm 
die Kirchbof «aaae ainat, wird der delerreiciaaehe iMter ianienliir in 
Tkt mnaetzen. 

Bewohner der Klekim Mff^asa«. Die tNene fteie Vinrnf 
feiert mandtmal hinallche festei t n denen aar die CBt«e iteSla 
geladea ist. Wenn sie ganz nnter aidi aiad, flkh gaaa titeWiaHioa 

geben können, dann weiß die eine Hand nicht, was die andere tut: 

denn die eine fiJhrt das Essen mm Munde und die andere versichert, 
datt es gut sei. Lin solches fest war offenbar das Huberman- Konzert, 



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CNier vfelmehr seine Nachleier in der .Neuen Freien Prene' (14. JAnaar)» 
Das Blatt hat vielleicht nie so ehrlich bekanat« wessen Sprache ef 
tpKcbe, sie so ehrlich sich thi das Organ Jener Deutschen in C^ter- 
fdch deklariert, die ia ihica.OotteshliiMiii den Hut auf den Kopf 
WiaHett. ZamI eipeift Herr Koraffold, der MntikEeferent, da» Wort 
md mdit eltt Apcr^t Pfir tielere NfttHien, wie Hnbcrmaii, gebe et 
■odi iwaMrMhere Olpfel . . . D^B eis gprdfierei Oeaie als Holwciiiaii das 
PMm bis jMite nicht betreten hat, ventebt sicfa von selbst . Pas 
M aber nur die loltische Einldtusg an dem Stimnranfsbericht. 
»Nicht nur in dem heißblütigen Beifall, auch in der Phy- 
siognomie des Saales gfib sich das aulieiorden! liehe Interesse 
knnd, welches das Publikum für Huberman hegi«. >Bewuudcrun^ . . . 
Genie . . . leidenschaftlicher Enthusiasnius . . . tosender Beifall (Oemeint 
ist möglicherweise der Beifall Tausender) . . . Triutnphe . . . be- 
geisterte Stimmungc. Das Publikum? Natfirlicb ein »glänzendes«! 
>Oanz besonders fiel in einer Loge der zarte und doch sdion ent- 
sdüedane Unten eeigende Charakterkopf des kleinen Virtuosen Mischa 
Bmm «nf» der mit aUcn fibem den tsssinirnndtn Meister enf 
der EMesde «Mrle«. Die Hflicrinnen tmgni natflrtteh »bUliendQ 
Dimninten«. Alks edit Des Wesen Hnbennans ist natflrlldi »in- 
tewint«» Und das Merkvfinlige ist: nun sieht es ihn tax niobt an, 
dafi er vor nicht buqpr Zeit ein enates Leiden überstanden bat 
Hkr bcgfawt din Tendens a«r Abvebr ta Aatliemitisntns mit der 
int et nen MedlaHi ntsamraensupraUea, und sctooa fUlt auch der «Neuen 
Freien Presse' zum Olfick der Name »Nothnagel« ein. »Es wird inte- 
ressieren, daß er (Uubermau) Heilung vor allem duicn ausschliciS- 
lichc Pflanzeni(ost fand, die auch jetzt noch seine einzige Nahrunp: Ist, 
nnd dal' Nothnagel es war, der ihn in den letzten Tagen seines Lebens 
mit dieseni Rate der Kunst und der Lebensfreude rettete. Nothnagel 
widmete dein genialen Geiger nicht uur die Sorgfalt des Arztes, sondern 
auch die Fflrsorge des wohlwollenden älteren Freundes. Im Juli las 
Httbemnn, der sich damals in London befand, in einer dortigen Zeitung 
die t ekgiapbi sche Kunde von dem jiben Tode des großen Arztes. In 
denitelbcn Augenblicke « w seiner EkscbHitenuig noch 
nfdii Henr gu m o i d en ^ bnebte der Hoteldiener auf silberner 
PUtte einen Brief Nottansgds, bi welcben dlewr ihm auf zwQlf 
SeHm RAtscbttge fttr alle Einzelbdtes seiner Lcbensfftbinng gab«. Auf 
sUMtner Plattii NatMIcb wbidemni ecbti Oberbaiq)t alles echt: der 



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— — 

9CWIIDGK von OIMHlBICIt» Qw rant fOB aOMr ilM SlO UnH VMi 

KofncoM* So oclttf dtS tili HdratsvcrndfUift dv in KcintrtSMi {Mli- 
lieh avflBiidite, mrnfeii mftSte: »Ich bitf 9lo, «er boifft dtM 
Leuten?« 

RMerfreund. In der BtrHner .Tigticfaen Randtchtti' ^nm 

20, Jänner ist der folgende Oerichtssaalbericht zu lesen: »Die Qe- 
fährlichkeit der Aussagen von Kindern beleuchtete eine 
Verhandlung vor dem Schöffengericht I wegen Diebstahls gegen den 
dreizehnjährigen Schulknaben Plöger. Am Q. August 1905 sah die 
Schlächterfrau Grunwald, daß der Angeklagte In der Oleim-Straße vor 
einem Blumengeschäft einen Blumentopf mit Blechgestell wegnahm und 
sich dunn zusammen mit einem Mädchen enlferntc. Sie eilte mit der 
Vcrkftuferin den beiden nich und nahm ihnen fai daei Hanee, in de« 
ste vofanten, den Topl ab. — Der Knabe PMger behauptete, dafi diaa 
ttles nidit wahr ad ; er habe den Topf von einem ju w lm e n Hinae gt' 
achenkt «rimlten. Zoflllic aber «ar Hbite an der fatU adw » 2Sait in M- 
diicbiha^en znm Aagdn gewesen und hatte rfdi andi mit miaem Bß* 
gteiter itt daa nvmdenbndi am Tenfdawe eingeschtteben. Trotadem 
blieb der Junge bei aeinen Angaben, dte v a e l ner adrt* 
jährigen Schwester mit großer Bestimmtheit bestätigt wurden. 
' Sie beschrieb sogar ganz eingehend die Umstände, 
unter denen die Schenkung sich vollzogen habe. Der Vorsitzende be- 
tonte, ihm sei in seiner zehnlährig^en Praxis so etwas noch nicht vorge- 
kommen. Er, die Schöffen und der Staatsanwalt bemühten sich in 
langer Verhandlung, den Jungen und seine Schwester zum Bekenntnis 
der Wahrheit ru bringen. Der Voraitzende wies unter anderem darauf 
hin, wie geHtarlich ei^^e so bestimmte, flberaengend 
klinsende nnd auf nnzthlife Einaelbelten featfttate 
Anaaace, wie die der kleinen PIdS», «ardan mifit«, wenn 
ale In einer Sittlicbkeitaaaeke absageben «llrda^ wa 
manchmal anf die blofie Anaaafa v«n Kindarn hohe 
Strafen Terhlngt werden kannten, teattf wtei anch der 
Verteidiger hin, der Im ftbrigen bat, den Jungen mit einem Vmwdm 
davonkommen zu lassen und ihn nicht auf sehn Ttgt tea Oefingnis in 
schicken, wie es der Staalsanwalt beantragt hatte. Das Gericht erkannte 
auf 4 i'agc Oefäiignis.« Merk's Feig!! 

Ltbender. In der »Neuen Freien Press«' ist am 26. Jänner das 
finfzigate Feuilleton fiber >Natfaan den Weisen« erschienen. IHem 



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i 



— 86 — 

TolcfflSMdikte dfli Hcns SdriHif Rf den mIh LcHlmf amIi i B M i M f dcf 

Verwand ist, die AblÖsnnjj des Herrn Mosflse dwch dtn Hwfffl 

Bielohlawek zu beklagen, erden mit der Zeit den überzengtcsten Ver- 
ächter des Antisemitismin in einen Abonnenten des , Kikeriki ver- 
wandeln. Und welche Vorwände sucht er, um den Vorwand Lessiog 
benutzen ru können! »Nritban der Weise« bratichr nur aufterhalb det 
LJui gtheaters zu woliitaiigem Zweck gespielt zu werden bat ihn 
schon! Oder Herrn Nathan Weisse, Direktor des Volkstheaters, juckt 
der •dunnpielerische Ehrgeiz — hat ihn schon! Was gilt die Weti«: 
Herr Sddttz bringfi floch tuf das doppelte Maß m Natiian- 
Miniciinniseii I in iiuvcfiniMRncr gtw^fr senwacBe — wira • am 
kdfien » begittg er das JaUliom. leliKi ImiideftiieB f^ ttl ttt tet flhcr 
»Ntlluui den Weiats«. 

Ädmimakmtor, Di« ^tkmt ncia Pnm* iat bcInmatHch lo ort« 
rtBithw^ daß eioea TagM In der AdminlitiitiM der altei fPrcaae' die 
AdteBarfalcifen faUten : die Abonaestcfl Maneii das neoe Blatt «nd 
das wht konnte nicht expediert werden. Nun ist Adolf Werthner, dcr 
Orfinder der .Neuen Freien i^rcsse gestorben, und das Blatt ist so ehrlich, 
ihm (im Abendblali vom 2b. Jänner) die folgenden Wahrheiten nach- 
zuruien: »Die ,Neue Freie Fresse' wäre nicht entstanden, wenn Wertliuer 
damals nicht den Mut gehabt hätte, mit Mitteln, die heute gering 
erscheinen, die Finrichtung des Werkes zu übernehmen« und 
»Oleichzeitiis mit Max Friediänder und Michael Etienne trat Adolf 
Wertbner im Jahre 1864 aui den Verbände der ,Presse' ans, um ein 
neoes Blatt ins Leben zu rufen, die .Neue Freie Preaat'. Mit dem 
giMteB StolE «iet er dannf hin, äan die SympaHdea ds PuMtana 
•du» in der enlen Stunde die FortcdtteBg dei Blalteacrleidrtirt habtn. 
Noch Tor dem Eraclieiiien der traten Nnrnnier der ^Ntnen 
Fnksk Preise' an I. Sqitember 1664 hatte tic die QevIBhnit. 
dnB aic ftber viele tanaend Leaer verfftgen irerdn«. . . In 
einem Kondolenzaehrelben an die Hemnageber der ,Neaen Freien Presse' 
erklärt denn anch Herr Uppowitz, daß er in dem Verstorbenen »einen 
der intelligentesten und talkrätiigsten Zeitun^sadministratoren österieichs« 
verehre . . . Wie die ,Neue Freie Presse' aus der alten , Presse', so ent- 
stand das Szeps'sche lagbiatt nus dem , Neuen Wiener Tajjblatt'. Da- 
mals kam im Reichsrat die sogenannte lex S?eps zustande. Die erste An- 
wendung dieses Gesetzes traf jenen intelligenten und tatkriftigen Ver- 
leger, da die »Fackd' dnidi dne ,Nene Fad»l' «bcnkSaen fedacht hatte. 



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— 28 - 

N^wme t mth* Am doa Föchings • Schwarzbuch : »Haben Sie 
hemruktmvUi iiiü£!e«adit?« »Jcist, olme iUtaiistdiicr, htiBea die Bült 
BkWs nihr«. »Ich hüb' <Ue Qn^dfill« tiiir gei» zwii Sitze««, »Ohiü 
Itaks tMCB «1 lOmm, darf num heute auf gar kebien Ball cdiai«. 
tfWUteliea :) »Bneeffthrt mde idi eiffmtlkliantiiidutcs Jabr«. (Alter Heng 
»ja» wie wir beia Sptrl getanzt -haben, das wir was, aber die hentlgen 
jungen LentI«. »Das Schilfes hab' ich mir schon abgewöhnt; alles Ge- 
wohnheit«. (Auf dem Heimweg:) »Ich schau' nur noch int Barop'«* 
(Dialog:) »,Was sageii Sie, wie dieses C Je gehi? Tag und Nacht voll.' 
»Eine Goldgnilje'«. »Wenn Du eine Zij^aretle nn Mantel hast, kannst 
Du mir eine gelH iu . ( \u^ eine Aufforderung, zu »Maxim« mitzukommeu ;) 
»Ich bin zu jeder Schandtat bereit«. 

JPhUoumU, Sie flbennitteln mir die folgende Bcadivcrdes »DaS 
der Verein atr Abwehr des AntfoemiHmras eiH Hilfe der Wiener Joden 
Pesüidikeiten veranstaltetf init deren ErMgnte er die berfldiliglei 
,9diwarzen Banden' in RnBfand nnferstlHzt, Idlngt unglanbifeik 

Und doch muß e«? wohl so sein: Bei der , Akademie', die der Verein 

am 17. d. A\. in d(ii Scphicnsälen veransialtete, erhielt jeder Besucher 
ein Programm, auf dem deutlich zu lesen stand: »Konzert- AkadTuie zu 
Gunsten der russischen ju den m assacres*. Wahrscheinlich 
war der Zweck di ser Ve'-anstaltung schon vorher ruchbar geworden 
denn der Saal war halb leer«. 

Sammler. Daß die ,iNeue Freie Presse' (Abemiblaü vorn 
17. Jänner) aus Herrn v. Bacheracht, dem Vertreter Rußlands 
bei der Marokko-Konferenz, einen Bach räch macht, ist begreifl?ch. 
Der Name ist ihr sym.pathisch, auch ^'enn ihr sein bedeutendster 
Träger nicht so sehr an 's Jierz gewachsen wäre. Und warum könnte 
unser Hof- und Staataverauitler nicht auch in Marokko adoe Hand im 
S|>ie|e geliabt haben? 

Zeser. Die Bemerkung in Nr. 193 war irrig. TatsSchHdi ist 
der Niimmern^^ang^ für Automobiie seit dem 7. Janner ein^^^eführt 
Der Skandal besteht also bloß darin, daB die Polizei uoch vor ein paar 
Tagen viele Herrschaften die Verordnung stolz ignorieren Uefi. 

Lebemann. Ein Wiener Prozeß. Eine junge Dame verklagt d.e 
Agentin eines Rendezvous-Hauses, deren Antrag sie zurückwies und die 



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— 27 — 

üutM SMm dwch die BonerkuMr m falodkna Mmiditew nui wiiis 
dodi, 4iß 6te »zur Sad» «a 200 fl. gehe«. Di« Agwiia «inl ai €iMr 
Qekbtnli verurteilt, die sie bald hereinbringren wird, wenn dieselbe 

Zumutung von anderen Frauen nicht als Ehreubcleidiguniaf empfunden 
wefilen sollte. Wien ist, wie nach allen Ereignissen, zu deneu gebildete 
Menschen Stellung nehmen müssen, in zwei Lager gespalten. Die einen, 
die bis heute nicht geoTißt haben, daB Gelegenheit auch Liebe macht, 
enlrüsten sich darilbfr, daß die Frauenehie erst im Gerkhis?aal Schutz 
suchen müsse. Die anderen machen sich über die ]\mufi Dame luftig 
und finden die geräuschvolle Betonung ihrer Unnahbarkeit bedenklieb. 
Mit Unrecht. Man kann die höllische Sexualraoral der ,Fackcl' vertreten, 
muß die Prostitntioaaataig^t des Weibe« sidit ndt den Scbwgewidit 
tatanlidier Ethik Masten: traUdm wuig m» ce b^g^fcn» d«B ein« 
ftw «SS itcendeinem Qnmde taf die gwkhtliche Matelliing Wert 
ksl^ da0 sie nldit »m hßbtn* wtL Seldbe Rickriefaiihiriglwit Miea dk 
Knpplerainen ist hin nnd «Jeder reebt heiben. Mtn kann nimUeh aueii 
in dicseni Punkt so goilloe wie die ,f sekcl' denken vnd die staaUidie 
Verfolgung sonst nmifttser alter Weiber, die dnrdi die Ventitdung der 
Gelegenheit zwischen zwei willigen und mündigen Menschen ihre Existenz- 
berechtigung erweisen, jür clrn ausgemachtesten Blödsinn erkiaren. Jeden- 
falis aber wud man *iaiür einireten, daß die Knpprlei wct'.pri — Vor- 
spiegelung falscher Tatsachen verfolgt werde. Die Kuppler rnifn übei- 
BChreiten zumeist die Lizenz zur Löge, die die Natur dem Weib erleilt 
hat, und führen in ihren Katalogen Namen von Frauen, von denen sie 
bisher noch nicht einmal hinausgeworfen wurden. Hin niid wieder wird 
also durch die Gelegenheitsmacherei das Rechisgut der Ehre verletzt. Das 
Recht^nt der »Moral« geg^ sie zu scfafitzen, var der Einfall einer achvach- 
shmlsen Kriminalistik. Ein mottnftiser Staatsanwalt wird ihr am 
MebstaB mit dem Wtetefparsgraphen an den Leib rücken. So ist's 
aenlidi in Laflbach geschehen, wo die Besttaerln eines Frendenbaases, 
dte tfdi des besonderen Sdmtaes des PcdiaddiRkloia erfkentei vcgan 
nmaansdifichstfr Ansbentmv der Mädchen verurteilt wurde. Der Mitel* 
difeklor floh nach Amerika. Mit Unrecht. Er hatte bloß dem Gesetz 
Nachdruck feeg oben. Das Gesetz nämlich, das die Moral schützt, fördert die 
vucheii chen Tendenzen der Kujjpelei, die sich das Strafrisiko bezahlt 
machen muß. Da in NX len noch immer die Verletzung der Siulichkeit 
verfolgt wird, so mag mau verlangen« daß wenigstfens gleiches Unrecht 



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tionlr und der Rlthter andi nttr dt« g<Rl!if:ste Bedmkefi gegen die Lts^JnftiR 
solcher Berufung^ «hoben. Ich un'erscbätze die \'erdienstc der Frau 
Sachs siebt. Sie ist j^cwiß eine österreichische Sraatsnoisr^ndie^keit, hai 
den Besten ihrer Zeit genug getan uQd verdient es, gleich der ver- 
storbenen Kupplerin Felix ernst ^'enornrren zu werden, deren Name beksf»TTt- 
Uch in dem Wahlspruch : »Tu Felix Austna . . .« in untrennbare Verbin - 
dang mit Öfterreich getHracbt erscheint. Das Anxengntber^schc 
»*« kann d*r f*aciMli'a< kmi heute vohl ttlOMod mit gr66ocr 
Berecbtfsuoe zitieren als rhm Stete, die «K da Attesten 
teter FwIMtttaitei teii IMd wril 4ti Siutoinvilt teniL VM* 

mm pnnmisn i^iim— ic ■■a mpn aBni lEmi ms rnnn 
Mdi AMrfte. VkieiGM Mgt ale ffir tut «üteAamelie SMtellidt 
flHKr KUciÜBKni fodcm ilc tic dvch dm SvMm^t Ihr KuttMi ftaltä* 
hiMteif tfuMMT hcwdHta dts ^MrtteAtB Odid stf MteK VIbIk mn* 

gCDCB. KWEf MC BaC fUlC MCTIIU. IWr (MRie 1CM| USB Wi MU wnST 

cdfttidlen Chmne fibertrieben ist Es mag: hingehen, dtfi «Mh Gerichts- 
fnnlttiofiire totstellen, vtenn der Name einer hohen Kupplerin genannt 
wird. Aber nächstens «ird der VerhHndluDgsIeiler »nervös« werden und 
einer armen Angeklagten, die sich weg-en zu kleinen Betriebes zu ver- 
antworten hat und auf die erdrückende Konkurrenz anzuspielen wagt, 
die Mahnung sttrufen: »ich bitte, die Fnm Sachs nicht in die Debatte 
M lidiciil« . . . 

Hößivp Der ihronfolger, der in Vertretung des Kaisers den 
InduatrieilenbaU besuchte, hatte nur unter der Bedincung sein Er- 
Mteteett angesagt, daß mit den Cerckfesprichen, die er ffihre, kein 
Jaserateafleschlft ctmacht werde. Die Heianoiete der großen Büter 
iHiftlBB falffteieii. Stogoi abir jeltt «miiteiteaetei »Oatt «teilt •« 



Herausgeher mid vcrantw^ortllcher Rciiaktcur : Karl Krttts. 
f>rnrh vrai lahnda and Steffel. Wien. III. Hintere Znl larotitrafV 3 



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Die Fackel 



Nt. m WIEN, 10. f £BRUAR 1906 TU. JAHR 



Status cridae. 
Eine Stimme sur Beamtenfrage. 

Jede Talentlosigkeit der Regierenden, jeder 

M'ß^^riff in der Auslese der Berufenen, jeder einzelne 
Fall von Protektion, jeder Sieg der Korruption — 
ist ein Stoß ins Fleisch der Gesamtheit, ein Bhit Ver- 
lust des ganzen Volks, dpr sich mit matheniatischer 
Sicherheit in Tuberkulose, Paralyse, Syphilis und 
Verelendung umsetzt; muß in irgendeinem lebenden 
Körper gebüfit werden. 

Das grofie Summenergebnis aber, die endemische 
Armut, wird wie eine verhaßte Steuer zwischen allen 
Klassen der Bevölkerung hin- und hergewälzt. Die 
Kräfte der Gesellschaft werden von diesem heißen 
Ringen zum Teil aufgerieben und der Produküon 
entzogen. Ein stilles unsichtbares Morden wie im 
rauchlosen Feuergefeclit htidet statt. Der bleierne 
Druck, der über uns allen schwebt, pflanzt sich wie 
einem physikalischen Gesetz zufolge nach allen Dimen- 
sionen gleichmäßig fort. Bald senkt er sich auf die 
materielle Produktion^ bald auf die politische Frucht- 
barkeit, b»ld auf den Geiet» demn Schmingkraft er 
lähmt» bald auf das Temperament, das er verödet 
und ausdörrt Bald entladet er steh ids Wut der Zfinfte, 
baldalfl ekelhaftes Hasehen nach Sonderbegünstigungen, 
aber immer ist es dieselbe gemeinsame Not, die ein 



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Stand dem andern mit und Gewalt aofkuhal* 

sen sucht. 

Die gesellschaftliche Not zeigt sich in den ver- 
schiedensten Gestalten: als Unterkoiisuiii, ausgedehnte 
Arbeitslosigkeit bei gleichzeitiger Überbürdung der 
ins Joch gespannten Olieder, als stille Trauer, Er- 
starrung der Unternehmungslust» — Der Staat aber, 
dessen schleichende Krankheit eigentlich die Grund- 
ursache der gesellachaitlichen Armut ist, beteiligt 
sich am Oberwftlzungskampf, wobei er sich seiner 
organisierten Überlegenheit bedient. Er verdreifacht 
seine Härte» um seinen Anteil sichensustellem yer- 
schärfb die Exekutionen und scheucht die Armut^ 
das gehetzte Wild, mit dem Bajonett in die Gesell- 
schaft zurück. Während rin^s das Volk immer dürf- 
tiger wird, wühlt er noch m reicher Beute und er- 
gänzt sein Defizit durch rücksichtlosen Raubbau. Aus 
dem Fleisch der AUerärmsten schneidet er unver- 
drossen sein Shylock-Pfuad. So ist der Staat noch 
reich, während die von ihm repräsentierte Gesellschaft 
bereits verarmt ist. Im Kampf der Überwälzungen 
hat er sich die wirksamsten Waffen gesichert. 

Die wahre Qrundlage dieses Oebäudes ist der 
verschleierte heimliche Konkurs. 

Der schleichende, geschickt verhüllte, uner- 
bittlich überwälzte Konkurs ist das wahre Wesen 
dieser derouten Ordnung. 

Die Entschleierung dieses Konkurses ist eine 
eminent sosialpolitische Tat Seine Offenbarung und 
Rückwälzung auf den wahren Schuldigen eine ver- 
lockende Aufgabe für den Beformator. 

Solange bloß die produktiven Stände, die Arbeiter- 
schaft, die indubtric, die Laadwulschafl stiii verbluten, 
gelingt die Verschleierung des wahren Tatbestandes 
ausgezeichnet. Der zugruadeUegende Bankerott tritt 
. erst dort in Erscheinung, wo der Staat alg Unter- 
nehmer und Arbeitgeber auf tritt; hier ist seine iosolvena 



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nioht aoleicht zu verbergen. Darum ist die Frage dee 
flogaoannten Beamtenelends eine so tiefgreifende und 
nimmt mit Reoht die Aufmerksamkeit der ÖOfontUdi- 
keit in Anspruch. Denn hier gibt sieh der Staat eine 
BlGfte, hier hat seine Hornhaut eine weiche Stelle. 

Als Arbeitgeber und Unternebmer kann er 
die Überwälzung der eigenen Armut auf die Gesell- 
schaft nur in der [^'orm ausüben, daß er durch ein 
System der Kraftausbeutung und Unterentlohnung 
seiner Pflicht entrinnt. Als Ausbeuterin ihrer Arbeiter, 
genannt Beamten, enthüllt die Staatsmacht ihr eigent- 
liches Geheimnis: die Überwälzung des ihr sur iiast 
fallenden Defizits auf das Volk. 

Der Staat anerkennt offen, daß er diese Dienste 
weder entbehren noch entlohnen kann. Aber durch 
ein ebenso kompliziertes wie abgeschmacktes System 
von Listen, durch ein planvolles Wehrlosmachen, 
durch eine Unsumme mysteriöser Formeln gelingt 
es ihm, die Beamtenschaft dazu zu zwingen, daß sie 
seine Krida entweder mit ihrem Blute bilanziere oder 
im Wege individueller Versohuldung auf die übrigen 
Stände überw&lce. 

Die Schulden der Beamten sind in Wahrheit 
nichts anderes als Schuhlen des Staates, BU deren 
Übernahme sie durch einen Druck der Macht gezwungen 
werden. Der Staat kann nur dadurch bestehen, daß 
er die individuellen vSchulden seiner Arbeiter zwischen 
sich und die Gesellschaft schiebt und die Überwälzung 
durch das Medium unzähliger individueller Insolvenzen 
unsichtbar macht. Er verfährt dabei wie ein Schmieren- 
direktor, der seinen Komparsen nabelegt, sich vom 
Publikum bezahlen zu lassen. Nor mit dem Unter- 
schiede, daft der Staat sich dabei vorbehält, sittlich 
entrüstet m sein, wenn der Tatbestand als Wirtschaft- 
liehe Deroute seiner Diener m seiner Kenntnis ge- 
langt Dio yerdendeten Beamten erkidea dasselbe 
So&hsal wie die Übrigen Stände: die Arbeiter, 



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die Industriellen, die Kaufleute; alle diese decken mit 
ihrer Brust den Staat, sie nehmen die ihm zugedachten 
Schlä<2;e auf sich, sie setzen den Konkurs der Gesamt- 
heit in ihren persönlichen Konkurs um, sie breclien 
zusammen, fallieren, gehen ins Kriminal, — aber 
nur beim Beamtenstand wird der wahre Sachverhalt 
offenbar. 

Die Argumentation des Finanzministers: ehe 
man dem Beamtenstand aufhelfe^ müsse erst den 
anderen noch leidenderen Klasßen geholfen werden, 
ist daher swar richtig, insofern die anderen Stände 
ebensosehr die Opfer der Staatsausbeutune sind; sie 
ist aber verhängnisvoll wegen der Bdckschlüsse^ cUe 
sich daraus ergeben. 

Wenn daher die Beamten ihrer Verelendung ent- 
gegentreten, so kämpfen sie allerdings für die 
Gesamt h sofern närnüch, als sie den bankerotten 

Stand der gesamten Gesellschaft entschleiern und so 
die Wurzel des Obels entblöß 'u; außerdem dadurch, 
daß sie die schieichende Krise zu einer akuten 
gestalten. 

Der Staate der wohl erkennt, daß er zur Liqui- 
dierung gezwungen wäre, sobald sich diese Geheimnisse 
offenbaren, trifft alle Mafiregeln und schafft sich 
kunstvoll solche Verhältnisse« wie sie für ihn als 
Unternehmer, als Arbeitvergeber möglichst günstig 
sind. Dazu gehört das System, von 8taatsw€ig««i fOr 
ein nie versagendes Obmngebol von Händen zu 
sorgen und lieber eine krankhafte Entartung^ als eine 
gesunde Restriktion zu ibrdern. In dieser Erkenntnis 
macht er die Erziehung des DurchschnitLsbeamten 
zum (•iß:entlichen und letzten Staatszweck. Dieses 
Ziel wird schon in der Schule vorbereitet, wo nicht 
Menschen, nicht Individualitäten, nicht einmal Staats- 
bürger, sondern Staatsbeamte herangezüchtet werden. 
Die Rekrutierung beginnt schon in der Mittelschule, 
die von Beamten, nicht von Lehrern geleitet wird. 
Dieae^ selbst unter eiseroeoi Beglement stab^ndj 



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ireMn eum Drill gedrillt. Die Unirersitit ietast dai 
Systeni fort. Das Mandarineatum ist das rom Staate 
dem Volke aufgeiwungene LebenssieL 

Sein Überangebot an Händen sohaflt er sieh ein 
Bweiiesmal, indem er die heranwachsende Generation 
Bystematisch entmutigt. Er bricht den Gewerbssinn, 
den Freiheitsdrang, er hetzt sein Wild solange, bis 
es zum Beamtentunm reif ist. Dabei dehnt er seine 
Macht^phäre mit Vorliebe aus, um wieder dieses 
Überangebot zu plazieren. Die Auflösung des 
Volkstums im Beamtentum ist der natürüciie Instinkt 
des Leyiathan. 

Es liegt darum nicht nur in seinem Interesse, 
sondern in der ganzen wirtsohaftlichen Folge des 
Systems, daft seine Helotenschar arm ist. Dieser Zu- 
stand ist aber auch willkommen« Der Beamte soU 
immer hoffen, aittem, firieren. Die qgf malen Mittel im 
Lohnkaropf werden ihm schlau entwunden, man macht 
anm Qeseta der Disaiplin, dafi er jede Verbesserung 
seiner Lage als unverhoffte Uunst erhalte« In diesem 
Dienst- und Arbeitsverhftltnis wird der eine Teil 
ji^der Äußerungsmöglichkeit beraubt. Im Hintergrund 
lauert als letztes Ideal — der Chiuesengeist. 

Gegenwärtig verteidigt der Staat seine auf 
Konkurs gegründete Existenz m\t Hilfe des Wuchers 
und der oklro vierten äußersten Entbeliiung. Dies ge- 
lingt ihm sohuiire, als die Beamtenschaft sich willig 
zum Opfer darbrmgt. Das einfachste Mittel, die Dinge 
auf den wahren Stand zurückzuführen, lüge dariUi 
dafi die Beamten ihre Schulden wieder dazu machen, 
was sie ihrem Wesen nach sind: zu Staatsschulden» 
Sie müfiten sich nur künftig nicht mehr daau 
hereeben, ihren Brotherrn mit ihren Leibern au 
decken, sondern es gana einfach darauf ankommen 
lassen. 

Die Hillionenschulden, die heute wie die Last 

des Atlas auf den Schultern der staatlichen Arbeiter 
liegeni können mit einem kühnen ätarkeu Huck ab- 



L 



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6 



geschüttelt und auf den Allvater Staat zurück- 
geworfen werden. Das wäre ziemlich einfach durch 
absolute Passivität im wirtschaftlichen Kampf zu er- 
reichen. Wenn die Herren Beamten den Wucherern 
nicht mehr die Türen Anrennen und sich in keiner 
Weise mehr bemühen woliten» ihre Haut zu Markte 



sehenden Auges, solidarisch und ^ognanoiA&ig ifaren 
wirtschaftUohen Zusammenbrach su erwarten — wenn 
dies gleichieitig tausende titen^ und auf solche Art dae 
Geheimnis ihrer Privatwirtschaft offenbarten: dann 

würde der gesamt-soziale Charakter dieser Erscheinung 

offen zu Tage treten, das Ereignis seines schein- 
individuelien Ansehens entkleidet sein und als wirt- 
schaftliches Erdbeben wirken. Wer würde diese Tau- 
sende von Kridataren schuldig sprechen? Die Gläu- 
biger sollen sich dann dorthin wenden, wo der eigent- 



alles bevormundet und nun auch die Konsequenaeo 
seiner Allmacht tragen möge. 

Dann werden die gewerbetreibenden Stände m 
einem Tage plastisch wahrnehmen, worüber sie heute 

erst umständlich aufgeklärt werden müßten: daß sie 

doch in letzter Linie für das Elend der Beamten auf- 
zukommen haben. Kein anderer Stand hat diese 
Macht, die ganze Wucht seiner Sorge als Waffe zu 
verwenden und auf den Urheber zurückzuwerfen. 

Dieser neuartige Streik: die demonstrative 
akute Krida von Tausenden, der organisierte Konkurs 
wäre zugleich die Qemütsbefreiun^ von Legionen 
und weiterhin vielleicht die Entschleierung der wahren 
irirtschaftlichen Lage des ganzen Volkes. Staats- 
beamte! überwälzt eure Haftung auf den Beamten* 
Staat und rettet euch aus der Konkursmasse in den 




vorzögen, stehenden Fußes und 




an den großen Brotgeber, der 



Massenkonkurs 1 



Reformator* 



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Kind und Kirche. 



Wem für das Unglück in der Altiercheiifelder Kirche die 
»Schuld« aufgebürdet werden soll, ist ein müßiges Problem. In 
jeder Versammlung kann durch irgendeinen Zwischenfall eine 
katastrophal endende Panik entstehen, und allen denkbaren Vor- 
sichtsmaßregeln zum Trotz werden sich solche Unglücksfälle immer 
wieder ereignen. Soviel allerdings ist gewiß, daß die Entstehung einer 
Iteik bei AaMmniltiiifeii in Kirdun durch die \«rwirre«de md 
qieipmik Atiiniospliifc von hicfatisdiffm Ptuvk, Wefliniiidi imd 
VenOelnitig bcaottden begfl»tigt wird, daß dies in lodi wdi 
IMcmi Mafie von Kiadenmammhuigeo itt Kiiclicii gUt und 
daß speziell eine Predigt; die immer — aiidi wenn lie keine »Heia- 
predigt« ist ^ auf eine möglichst tiefgehende Ersdiftllening der 
Gemüter abzielt und daher notwendigerweise mit den stärk- 
sten Effekten arbeitet, die schon vorhandene Spannung in 
Killdergemütern bis zu Psychosen steigern kann, die nur des ge- 
ringsten Anlasses bedürfen, um sich in einer Panik auszulösen. 
Man mag sich ferner wundern, daß zwei- und dreijährige Kinder, 
daß epileptische Mädchen zu einer Predigt geführt, daß 
sieben- und acirtjihrige Kinder ohne Aufsichtsperson in die Kirche 
eingelassen werden. Man darf auch füglich zweifeln» ob der^ welcher 
einil sagte: »Lasset die Kindldn zq mir kommen«, es So gemeint 
Imbe. Man mnA sich aber vor Angen halten, daß diese Erachd- 
nungen, denen manche die Scfankl an dem Unglftck beimessen 
wollen, in einem unser ganaes Leben in seinen Bannkreb 
ziehenden System wuizebi, Uhr das die genmmte Ofientliehbeit 
nütvcnmtwortlich ist. 

Die Kirche hat sich bekanntlich aller liberalen Gesetzgebung 
zum Hohn beinahe denselben unumschränkten Einfliili auf den 
Geist der Masse bewahrt, den sie während des langen Mittelalters 
ausübte. Sie duldet die Einmischung des Staates nur, soweit diese 
ihrem ungestörten Wirken zugute kommt und soweit sie des 
Staates als ihres Büttels bedarf. Sie zeigt aber ihre wahre, nnbot- 
nißiga Nabu* sofort; wenn sie ihren EinflnB auf die Meinen» vor 
aüem an! die Schule^ bedroht steht Es ist ihr gar nicht recht, 
wenn nma ihr die OcMüt Aber das hiktene Qcmflt des Kindes 



cntrdfien wIlL Und die Vorlicnsduft in der Scfanle, die 
ihr in einem voi^gotduitlienen Lande jetzt bestritten wird« die 
Gewalt fiber d!e kommende Oenenition wird ilir bei uns nodi redit 

lange ungeschmälert erhalten bleiben. Sie kann sidi teidit darüber 
trösten, daß unsere liberalen Schulgesetze nur mehr von einer 
>siitlich-religiösen« und nicht mehr von einer »religiös-sittlichen« 
Erziehung sprechen, solange der Katechet alle Bemühungen des 
Lehrers, die Kmder zu vernunftgemäßem Denken zu erziehen 
durch seine geheiligte Metaphysik, durch den ihm zur Ver- 
fügung stehenden kirchlichen Apparat paralysieren kann. Ein viel 
größeres Unglück als in der Altlerchenfeider Kirche geschah, ge- 
sdiieht tägüdi in allen Sdmien, in denen in der Entwicklung be> 
griffene, für alle Art R<miintik empünglldie Qehime gewaltsun 
deformiert und zu ihrer natürlidien Funktion, Unacbe und "Vir- 
kung, Orund und Folge zu eitainen, fflr immer oder für liivgere 
Zeit untauglidi gemacht «erden. 

Ich l)ehaupte dies in vollstem Ernste. Während ein wahrer 
Lehrer bestrebt ist, den Schülern die Erscheinungen des Lebens 
und der Natur in ihrem organischen Zusammenhange verständlich 
zu machen, sie sehen und beobachten, folgern und denken zu 
lehren, sie geistig soweit auszurüsten, daß sie — wie die profane 
Pädagogik das Ziel der Erziehung definiert — beim Austritt aus 
der Schule imstande sind, ihre eigenen Erzieher zu sein, pflanzt 
der Priester, dem es nicht behagt, daß der Mensch mündig werden 
eine ganz andere, völlig abstrakte' und imaginäre Welt in ihre 
Qehime und lehrt sie, daß die whrkliche Wdt nur IVodukt Jener 
imaginären Weit, der Mensch ein Spielbill der höheren Mächte 
und das Leben nur die Voiterdtung für das Jenseits aei. Die 
durch solche Dämonologie vcniorl>enen Odiirne halten dann ilne 
mitflrilchsten Wünsche für eine Vemidmng des Bösen, efaien 
Glücksfall für das Walten des Schutzengels, Epilepsie für ein 
Besessensein vom Teufel, ein Elementarereignis für die Strafe 
Gottes, einen Zufall für ein Wunder, Lourdeswasscr für ein Heil- 
mittel gegen Lues, und Leintücher für Gespenster. In armseligem 
Größenwahn empfinden diese Iiwig-Uninündigen sich selbst als 
Zankapfel von Himmel und Hölle; ihr Leben ist ein ständiges 
Duell zwischen dem Teufel und dem Schutzengel und die Kirche 
ihr natürliche Rehiflium. Daß *M**ii im »Hm QtMiMm 



^ Kittüraphe den QeMtan der Nttnr gemftß äA abtpfelcQ tan, 
ifaB auch dn KMitam dncn Blitzabldter bnucht nnd daß im 
Wtihvaaser DiphtlieriebaiiUeD ihr Fortitommcn finden liAnnen^ 
dfirlle ihnen verwunderlich cncfadnen. Priester sind die Vermittler 
zwischen den Menschen und den höheren JVttchfen. Gewiß, sie 
dienen dem transzendentalen Bedürfnis der Kreatur. Sie geben dem 
armseligsten Dasein die romantische Würze. Und Ihre Verheißung ist 
künstlerischer und dekorativer als der Himmel des Marxisten. 
Aber sie möchten, daß ein Opiat die ausschließliche Volksnahrimg 
sei. Sie wollen der Seele auch dort habhaft werden, wo s e auf 
irdischen Radoi sich ersteht Der Priester tauft die Menschen, 
wenn sie gdx)ren werden, lehrt sie in der Schule den wahren 
Olanixn, vernimmt ihre Sünden, reicht ihnen den Leib des Herrn, 
lieM die Gnade des heiligen Geistes auf sie herab, verhekatet sie, 
tauft und erzieht ihre Kinder, steht an ihrem Totenbette und geht 
hinter ihrem Saife. Die Kirche darf sich Ober den Mangel an 
Einfluß auf dsa menschliche Leben nicht beklagen, er reicht in 
geschlossener Kette von der VItiegt bis zur Bahre, und selbst der 
fanatischeste Atheist empfängt seine Frau aus den Händen der 
Kirche, überläßt seine Kinder dem Katechtten und seinen Leichnam 
oder wenigstens dessen Asche dem konfessionellen Friedhof. 

Es scheint, daß die Ränkedes Teufels ungeheuerlich sind, da sie 
einen so unt^eheuren Apparat, wie ihn die kirchliche Seelsor^e dar- 
stellt, zu ihrer Bekämpfung notwendig machen. Es lohnt sich also 
gewIB, sich über den Teufel gehörig zu informieren. Erst künlich 
w^rde ein Salzburger Bauer angeklagt, weil er in sträflicher Furcht- 
losigkeit die Existenz des Teufels bezweifelte. Der »Kleine Kaie* 
dilsmus«, der fai den untersten Volksschulkhosen die Grundbge 
der Ohuibenslehre bildet^ hätte das Biuerletn leicht euies besser^ 
belehrt. »Nicht alle Engel«, hellet es im Katechismus, den ich 
zitiere^ weil er den Exbakt der erwfthnten Dämonologie wiedergibt 
und weil die Schüler diese Formeln auswendig lernen mtaen, 
»haben die Gnade Gottes bewahrt; viele haben sie durch die Sünde 
der Hoffart verloren. — Oott hat die hoifärtigen Engel bestraft, 
indem er sie auf ea g verworfen und in die Hölle verstoßen hat. — 
Die verworfenen tn^ei nennt man böse Oeister oder Teufel. ~ Gott hat 
die gut gebliebenen Engel mit der ewigen Seligkeit ini Himmel 

beiobnt - Die Engel, weiche Oott besonders zu unterem Schutze 



besümnit hat, nennen wir ScbutzengeL — Wir haben dk P f 1 i ckt« 
unsere Schutzengel tu verehren und amimf«, ihren Eimpie- 
chungen zu folfea und ihnen dankbar za sein.« Wer mm d«a 
die »Einsprcdiungen« seiner Scfantzentel nicht hören sollte, Ist 
freilich Abel daran, aber selbst wenn er der Verführung derbtan 
Geister erlegen ist, kann er durch das Sakranmt der Buße wieder 
hl den Stand der heiUgmadiend«i Oaade gebngen. Nndi ist der 
Himmel nicht verloren. Der stodige Mensch muß zunächst num 
lernt es in der vierten Volksschulklasse - sein »Oewisden erforschen«. 
Das ist nun freilich kompüzierler, als rnati glaubt und als es für 
Kindergemu ici fn Ii lar scheint. »Bei Erforschung des Gewissens«, heißt 
es im »Kleinen Katichisnuis«, »kann man sich der Zahl der Sünden 
erinnern, wenn man nachdenkt, ob dit: Sinide alle Tage, alle Wochen 
oder Monate nnd w ie oft im Tage, in der Woche, im xMonate geschehen 
sei. - Das notwendigste Stück beim Sakramente der Buße ist die 
Rette, veil ohne Reue keine Sünde vergeben wird. — Die Rwe 
muß innerlich, über alles groß, allgemein, übernatürlich sein. — 
Die Reue ist über alles groß, wenn vir die Sttnde für das girößte 
aller Obel halten und sie mehr verahsdienen als jedes andere 
Obel. — Die Rieiie ist abernatflriich, veiin der Sflnder mit 
Hilfe der göttlichen Gnade tind ans übernatflr liehen Beweg- 
gründen die Sfinde bereut — Die bloß natürliche Rene ist 
zur Vergebung der Sunden nicht hinreichend. — Die übernatürliche 
Reue ist zweilach; sie ist caiwcder vollkommen oder unvoll- 
kommen. — Die Reue ist vollkommen, wenn wir die Sünde aus 
vollkommener Liebe zu Gott bereuen, weil wir nämlich 
Gott, das voili<omir.enste und hebensw^irdi^ste Gut, beleidigt 
haben. — Durch die vollkommene Reue erlangt man sogleich, 
|LUcii schon vor der Beichte, Vergebung der Sünden; jedoch ist 
man schuldig, sich über dieselben in der nächsten Beichte 
anzuklagen* — Die Reue ist unvollkommen, wenn wir die Sünde 
aus nn vollkommener Liebe zuOottberenen, weil wir näm- 
lich durch die Sünde den Himmel verloren und die Hölle sowk 
andere Strafen verdient haben, oder weil die Sünde im Uchte des 
Ofauibena überaus häßlich eischeinL — Durch die unvoUkomoflae 
Reue erkngt man Vergebung der Sünden, wenn man zugleich 
das Sakrament der Buße empfängt« . . . 

Die grüßcü Rdürmäturen des Uuleiridits, Comeaiuä und 



— 11 - 

vom Unterricht in erster Ufrie dfe AmdKRiffdi* 

keit gefordert. Nur durch die Anschauung, meinten sie, könne 
wirkliche Belehrungr verniiUeit \xerden. Comenius zeichnete seinen 
Schülern einen primitiven orbis pictus, unsere fortschritüiclie Zdt 
aber bat den Anschauungsunterricht durch ri nureiche Rechen« 
tnaschinen und illustrierte Lehrbücher, durch künstlerische Wand- 
bilds und Modelle, Naturaliensammlungen und Experimentier^ 
Apparate, durch die Führung der Schüler in die Natur, in Museen 
lUKl Ausstellailgen beträchtlich vervollkommnet. Die Kirche, dieskh 
rfihmt; jedem »wlrkttchen« FortBchritt zu butdigcn nnd die bilduntl- 
litttndllcliste Eiariditong der Veit lu sein, eotlte hinter dem 
»F^lidi-Uiilerriciit« nicht «irAekbldben und dem AMctanwid* 
prinzip itt n«di Msglebigere» Wdie als dies durch die BdN!iatv- 
stritloaen und die Abbildung der Engel, die »keinen Leib«, wohl 
aber ein Oewand und Flügel haben, geschieht, zum Siege ver- 
helfen: vor nilem durch ein gelun^jenes Modell der »übernatür- 
lichen unvolikooimenen Reue«. 

Ein ehemaliger Lehrer des 
Katholiachen Schul vereint!^ 

• • 



Der Irarittche Tad* 

Die Gefahr, die die in einem Kohlenbergwerk 
Arbeitenden täglich bedroht, sie scheint eine kleine 
Unbequemlichkeit neben dem furchtbaren Risiko, das 
jene Ärmsten übernehmen, deren Beruf zu einem 
läne^eren Aufenthalt in einem österreichischen Amts- 
zimmer verpflichtet. Und manch einer ist vom Groß- 
gloekner heil zurückgekehrt, der später unter den 
Strapazen einer mehrstündigen Postsparkassenarbeit 
in die Kniee brach. Jetzt, da an einem Tage unter 
mthr ab viersig Venmglückten die Bergung jener 
achtzehn duroh die Freiwillige Rettungsgesellschaft 
geglückt iet^ siemt ea, eioe Wamuug au jene 



. kjui. u i.y Google 



orgdboii n laismiy . dto 8i6h dom 'gofjriurvoUoii Bomf 
eineft östormohischeD Beamten widmen woUen* Bs 
mag ja besonders verwegene Postsparkassenbeamte 

geben, denen die Höhenluft eines österreichiRchen 
Amtszimmers unentbehrlich geworden ist. Sei es! 
Die Nachstrebenden zu warnen, ist Pflicht der Hu- 
maniiät, damit nicht der bekannte Berieht unter der 
Spitzmarke »Ein Opfer des Postsparkassenamtes« zur 
ständit^en Rubrik werde. Man muß darauf hinweisen, 
daß für die Verpflegung der am Schreibtisch Ver- 
unglückten in durchaus unzureichender Weise gesorgt 
ist. Ein Arzt ist weit und breit nicht erreichbar. Statt 
seiner füngiert ein Beamter, dem die Direktion eine 
Handtasche lur Verfügung gestellt hat» dieKrampeil* 
tee, Hofmannstropfen» einen Bosenkrans und — f&r 
besonders schwere FiUe <^ Oognac enthftlt. Die 
SchutshQtte hat wohl ein Telephon» aber den Beamten 
ist streng untersagt, es zum Anruf der Freiwilligen 
Rettungsgesellschafi zu benützeu. Weil die Direktion 
das »Aufsehen« und nicht den sanitätswidrigea Zu- 
stand der Bureaus iiir das Grundübel hält. 

Mein Freund Ararius glaubt nftmlich, dafl es 

ohne den gewissen Pissoirgeruch keine Autorität gibt. 

Wena's nicht muffelt, freut ihn das ganze Famiüen- 
leben nicht melir, kann er nichts mehr in Erwägfun^ 
ziehen, nichts ins Auge fassen und keine Erhebungen 
pflegen . . . Ärarius ist ein frommer Mann und dafi 
er's zum Himmel stinken läßt, weifi WAQ. seit dem 
»Tod der Kalkulantiu Hahueic 

Die Interpellationsbeantwortung durch den Han- 
delsminister war Kramperl tee für den Todeskampf 

dieses Staatswesens. Die Verbrechen, die hierzulande 
geschehen, haben nie einen Schuldiß:en und immer 
einen Entschuldiger. Die Regierung verspricht, daß 

sie künftig »tunlichst« — das heißt so viel wie: 
»mit Gott«. — unterbleiben werden. Länger als zwei 

Stunden wand sich die der Simulation ¥erd&ohtige 



. ijui. l y Google 



— IS 



Boamtin unter ftirohtharen Sohmenen. Sie war sohon 

blau und ^rOn im Gesicht, abwr der Vorstand hielt es 
fOr s(ihwarz-ß:elb. Da schlich sich ein Kollege in eia 
nahes Kaffeehaus, um die Rettungsgesellschaft anzu- 
rufen. Dem Beamten ward hiefür eine Rüge, die 
Beamtin starb, und die Direktion ordnete Feiertap^s- 
dienst an, um die Hr-teili^nin^ der K oll egenschaft 
ara Begräbtiis nicht allzu demonstrativ wirken 
ftu lassea* Nur ktiin AuCnehenJ Die »Stimme voa 
oben«^ die, als einst — beim Riiigiheaterbrand — 
Allea gerichtet war, die Worte »Alm gerettet U rief. 
Dann der Hausmeittf^r der PoslKparkasaai der der 
Bettungsgeaellachaft mit den Worten entgegeokam:' 
» A bisseri Magenweh U » Und die miniateridlea Be* 
achwichtigungen, die immer den Ton der Sehddl» 
Anekdoten haben: Auf die Bemerkung der trauernden 
Witwe, daß ihr Mann an einer schweren Lungen- 
entzündung gestorben sei, wird die trostreiche Antwort 
gegeben: »Na, *s wird doch nöt so arg gewesen seinlc . . . 
Wenn nur der Herr Sektionsiat Bauer am Leben 
geblieben ist, ist noch nicht alle Hoffnung verloren. 
}• r wird seinem Amt erfiaiten bleiben. Er wird es, 
auch wenn der ärarische Tod rinirs um ihn Erntefeste 
feiert. Aber so pessimistisch muß man nicht in die 
Zukunft blicken. Slatt der Handtasche wird künftig 
ein Arzt ordinieren, und wenn aioh die OberbOrdeten 
▼or einem Unwohlsein schataen wollen, io dürfen sie 
aich bei der Arbeit die Nase anhalten. 




. y 1. ^ . y Google 



14 — 



Herr Jarno. 

Gegenüber dem Andrang markanter Wiener 
Individualitäten, die der kritischen Behandlunf}: harren, 
habe ich, um jeder zu ihrer Zeit gerecht zu werden, 
keine zu fibersehen und alle eu überblicken, die 
Methode gefunden: Abwarten, bis eine Qerichtsver- 
bandlung kommtl Sie kommt nämlich immer. Und 
entweder ist dann der An^klagte oder der Richter; 
der Yen eidiger oder der Staatsanwalt die Iftngst für die 
kritiache Judikatur vorgemerkte Persönlichkeit. DiecK 
mal ist'a der Angeklagte und heiflt Josef Jarno. Der 
Gerichtssaalbertcht als Behelf der Erinnerung sagte 
rnir, daß die publizistische Beschäftigung mit Herrn 
Jarno drinß:end «ei. Die Berichte demütiger Theater- 
sklaven, die ihr Gejammer in die Bitte um Diskretion 
ansklingen lassen, die Aussagen von Zeugen, die 
»nicht genannt« sein wollen, die Beschwerden jener 
Ärmsten, die ans einer Mi^^^e herauskommen, aber 
in keine AlFäre »hineinkommenc möchten, konnten mich 
bis heute zu keiner pubiisistischen Äußerung fiber Herrn 
Jarno's Betragen bestimmen. Mein TJntersuchunj^s- 
äpparat entbehrt des Nachdrucks, dem die Wahrheit 
gerichtlicher Zeugenaussagen auch dann nachgebefi 
mufi, wenn ein Theatertyrann angeklagt ist. Jeden- 
hills nachgeben mflfitei wenn ein nicht alisu naiver 
Richter sie zu hören wünscht. Aber selbst das aus 
dem Abhängigkeitsverhältnis der Zeugen gerettete 
Endchen Wahrheit, das eine Gerichtsverhandlung 
offen barty ermöglicht schon die publizistische Urteils- 
fällung. 

Herr .Jarno zählt dank der besonderen Unfähige 
keit anderer Wiener Theaterdirektoren su den über- 
achätztesten Persönlichkeiten des Wiener Kunst- 
I lebens. Seine besondere Fähigkeit bewährt er in 

der Erhaltung eines unverdienten Rufes. Dem Mann, 



1 



. ijui. u i.y Google 



- 15 - 

der fast in jeder Wiener Redaktion einen Autor 
eitlen bat, konnte es an kritischer Förderung nicht 
fehlen» und er hat den Herren durch die Etitsiehung 
der Freilosen nur imponiert, wenn er durch deren 
Verkauf ihre Tantiemen mehrte. Die Oeriebenheit 
eines Händlers mit Theaterwerten, der Strindberg 
zum Selbstkostenpreis gibt, wenn er an Huchl)iüder 
verdient hat, i^ilt in Wien für »wundervollen Flairc. 
Die Geschicklichkeit des Schaufc^pielers Jarno ist 
Mangel an Persönlichkeit, die Geschicklichkeit des 
Reffisseurs sohnurLrerade Routine. Wenn ich Herrn 
Jarno's Farblosigkeit, in deren Bewunderung die 
literarische Kritik Wiens ihren Bilderreichtuni 
aus«:ibt, stonfUlig machen wollte, müfite ich un«? 
bedingt su der Parallele greifen, er spiele so, wie 
Herr Kanner schreibt, wobei ich dann auch an Hie 
Verwandtschaft ihrer temperanienllosen Grobheit im 
Verkehr mit den Angestellten dächte. Wer sich a4 
die Darstellung des Matquis von Keith erinnert, in 
der Herr Jarno von der »Kreuzung von Philosoph' 
und Pferdedieb* den Philosophen schuldig blieb und 
den Pferdedieb zu einnm R' ßtäuscher verdarb, weiß, 
was er von dieser schauspielerischen Physiognotuie 
zu halten hat, die eben noch kapabel ist, ihre 
Lt^tdosiirkeit als »Si^hhehtlieiu wirken zu la<5sen. Aber 
schheülirh versteht Herr Jarno als Seliauspieler so gut' 
wie als Regisseur und Th»'aierkaufmann sein Handwerk,' 
und er wäre in allen diesen Berufen gewifi eine erfreuliche' 
Erscheinung neben Herrn Weisse, wenn die Literatur- 
kritik swisohen Wien und Berlin sich's nicht in dea 
Kopf gesetzt hätte, ihn zum »literarischen Direktere 
auszurufen. Weil er »Was ihr wollt« als die Devise 
seines dramatischen Warenhauses erwählt hat; w^ eif 
mit der rechten Hand das Werk Shakespeare's zu 
Provinzeffekten bringt und mit der Hand, die seinem 
Herzen näher ist, das Werk Buchbinder's zu einer 
kiinstlerischen Sensation macht. Aber Girardi konnte 
vua Herrn Jarno blufi mißbraucht, nicht mehr ent^' 

1« 



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16 



deckt werden, und die tüchtige Frau Niese, Hin 
nicht oranz so tief in der Wiener Volksseele wurzelt 
wie der Rnkiarneiärin glauben machnn niftchte, war 
eine bnliftite, nur ni<ht ganz so preßverwöhnte 
Koraikerin, ehe sie P'rau Jarno wurde. Die besten Kräfte 
j^eines Ensembles, Maran, Prau Pohl-Meiser und Herrn 
Straftny, hat der literarische Direktor von seinem 
Vorgänger, einem Theateragenten, übernommen« ihnen 
kaum zwei oder drei neue Talente gesellt 
Aber Herr Jarno hat nicht nur die Notizenschreiber, 
ßondern auch die Literat urrichter in derTaache» und 
seibat die Peuilletonlvriker rücken aus« um seine 
Herrlichkeit su preisen und, weil er das Jantsch- 
Theater gepachtet hat, sinnige Beziehungren awischen 
der Praterland^chaft ufid seiner Geschäftstüchti^keit 
herzusti Hen. Herr Paul Wertheimer, der ein Drama 
unter dem Herzen trägt und darum so lyrische 
Töne zum Preise eines Direktors fituiet, sucht uns 
einzureden, daß der Pächter des Jantsch-Theaters 
sich vom Nachtigallenruf bestimmen ließ, als er den 
geeigneten Platz für eine Lustspielbühne suchte. Auf 
»Taxushecken, Brunnenrauschen und Pliederduft«, die 
das Schloßiheafer in Schdnbrunn als den charmantesten 
Rahmen für einTheaterge8chäfterscheinen1assen«mußre 
leider versichtet werden, und »ineinempochendenMittt- 1- 
punkt« darf ein Lustspieitheater nicht stehen — Herr 
Jarno hfttte das Haus des Deutschen Volkstheaters 
wahrscheinlich nicht geschenkt genommen — : also 
bliebnurder Wurstelprater übrig. Früher hieß es Jantsch- 
TheaLer und ward — trotz einer AutTiihrung des 
»Julius Cäsar« — in Notizen abgetan; jetzt sagt 
man im Petidleton, »ein liebens\vürdi'2;es Heim liebens- 
wüflJiger Plauderdinjre blinke uns enlge^enc. Und das 
alle«* um des bißehens lienovierung willen. Der B ui 
i^Llbst bheb unverä' dert. Aber als Herr Jantseh, auch 
ein Routinier, das Haus übernahm, war's ein Theater 
wie ein anderes. Jetzt wird der sinnige VerglHich 
gefunden: »In blanken Farben, auf offen eoi 



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lt.- 



Plittt, wie es dem echten KomOdienhause, der' 

echten Komödie geziemt, grüßt das Theater: frei 
und aufrecht ist auch der Mann, der diesem 
heiteren Werke j^ebietetc. Der Lyriker, der das 
Ressort »Jarno« in der , Neuen Freien Presse' hat, 
macht noch weitere Entdeckungen: »Ein Österreicher 
— wär' ihm sonst der beweghche Lustspielsinn zu 
eigen? — ist Josef Jarno vor ein paar Jahren aus 
dem Reiche heimgekehrt und wieder bei uns gelandete, 
la Wahrheit ist aber Herr Jarno urqMrüagUch 
aus Uagara gekommen und auf dem Umweg 
über das Boich bei uns gehndet, und den 
Bttdapestem ist bekanntlich der bewegliche Lust» 

»*ekdnn so sehr m eigeii wie der Familienname.' 
firwahr«, ruft Herr Wertheimer, dem von der 
Jarno -Reklame der letzten sechs Jahre noch 
nicht übel ist, ungeduldig: »zu seinem Lobe 
muß einmal ein deutiichea Wort gesprochen* 
werden « . 

Aber die Erzverlogenheit, die einem uralten 
Theaterbau dem neuen Direktor zuliebe nach- 
zusagen wagt, er sei »ganz nahe wehenden Buchen 
und der Heimlichkeit einsamer Wege in diesem 
Frühjahr aus dem Pratergrunde herTorge-* 
schössen«, findet kein »deutliches Wort«, wemi' 
sich hmuflstellt, dafi des »allerüebst lierlidie 
Theaterohen« auch unweit von einem Benrks^;erioht 
liegt, und breitet Ober Hern Jamo's Gang dahm dm 
Sdüeier, den die Heindichkeit einsamer Wege Terlangt» * 
Den Glauben, daß Herr Jarno »der Typus des modernen 
Menschen in dem erfreulichsten Sinne, einer von 
denen, die unserer Vaterstadt not tun«, ist, wird Herrn . 
Wertheiraer auch das Ergebnis der Gerichtsverhand- 
lung nicht nehmen. In der Tat wurde bewiesen, daß 
der Mann i>voll gespannter Energien, tapfer und laten- 
tüchtig« ist. Er sa^te nämlic^h einem jun^^en Mädchen, 
das bei ihm für erste Rollen mit einer Monatsgage von 
120 Qulden eogagi^ iit, dafl. sie ein »Dreck« sei und 



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ein ^G€frieflc bsbe^ und iticS de ndt «inem Füf tritt 

zum Hause hinaus. 

Wer der fürchterlichen Verbürgerlichung der 
TheaterkuiLsl nicht das Wort spricht, wird ihr — • zu 
ihrem Heil — die Wohltat verminderter Empfindlich- 
keit in Ehrendii)fi:en zuerkennen. In einem Theater- 
prozeß, den ich einst führte, habe ich die Behauptung 
gewagt, daß es auch eine Bühnenperspektive für 
Ehrenworte gibt. Die Eatrüstung der beteiligten 
Tfaeaterkreise wehrte sich gegen solche Zumutung; 
nnd ich ward yenirteilt Im Proseil Jarno meinten 
die Bediensteten des Angeklagten, dafi man die 
Bhrenbeleidigungen beim Tbeater nictat tragitob 
nehme. Ein Regisseur, der sieh ab einen Au^ 
band von Horiichkeit empfahl, erklärte als Saeh« 
▼erstandiger, er wäre bis heute nicht aus dem Arrest 
herausgekommen, wenn man ihn für all die Schimpf- 
worte, die ihm auf Proben entfuhren, gerichtlich be- 
langt hätte. Auf den — inzwischen zum Zivilgericht 
versetzten — Richter schien solches Gerede, gegen 
das die Theaterleute mit vollem Recht protestieren, 
Eindruck zu machen. Auch die Aussage abhängiger 
Zeugen, die den Fußtritt nicht gesehen haben wollten. 
Br hätte den Herrschaften scharf ins Qesicht sehen, 
ihnen bedeuten müssen: dafi sie sich der Aussage 
enischlagen können, wenn sie ihnen lum Schaden 
gereicht^ daft sie aber, wenn sie spreohen, Biofai 
ilauben dflrfeo, sie unterstindm aueh Tor Oericht 
der Beglegewalt des Herrn Jarno« Mit der Theater- 
grobheit steht^s nändioh so: Der sseneführenden 
Persönlichkeit ist sie gestattet. Kein Schau- 
spieler und gewiß keine Sciiauspielerin empfindet 
die Energie, mit der ein Temperament sich mitzu- 
teilen, nnt der es die Unfertigkeit aufzupeitschen 
sucht, als Kränkung. Was aber für einen Albert Heine 
gilt, gilt nicht für den Herrn Groß, dessen un- 
interessante vStrenge wohl jeder Schauspieler mit 
Unbehagen empünden wird. Und es unteiUegt gar 



keinani Zweifel, dafi auch Emern Jarno die Bog^- 
stive Kraft fehlte obm die die Oiobhait uDeitrflgkob 
igt Sonst horte i&aa moht» seitdam «r M uns »ge- 
landete ist, an jedem Tag neue Klagen seiner Leute, 
die sich nie künstlerioh erzogen, sondern hnmer nur 
ang:eschneen fühlen. Was sehen genug: im Reich der 
Bühnengewalligen als eine Art sadibtischer Krafttiber- 
traguns: wirkt, wirkt allzuhftufig als Ehrenbeleidigung. 
Und daß eine Schauspielerin einmal den Mut hatte, 
die Kränkung oilentlich zu bekennen, dafür verdient 
sie den Dank ihrer eoii^eren Kollegen und ihrer 
Kolleginnen auf allen Bühnen Deutschlands und 
Öiterreichs, die dem Publikum imroeimu die huld- 
reichste Weibliohkeit servieren müssen und hinter 
den Kulissen ausgebeoiet, gehnnit und getreten 
werden, ob .sie nun willfährig sind oder ge- 
sohiokt genug, awischea den Wflnsohen sämt* 
Hoher Direktoren, Sekretäre, Begiaseure, Agenten, 
Insplsienten und Prefibengel Undarchittkommm. 
Auch für die Berührung des Gagentheraas mag man 
der Klägerin dankbar sein, zumal da es sich um 
die Belastung eines Theaterleiters handelt, dem be- 
kanntlich die Förderung der modernen Kunst über 
das Geschäft geht. Die Theaterkasse wird gewiß nie 
das Luxusbedurfnis einer Schauspielerin decken 
können, wohl aber die Grenze einhalten müssen, 
unter der die Kuppelei beginnt. Dafi Theater d amen 
sich bei Aushältem und » Aufführfrauenc einen Neben- 
▼erdieost holen, sei ihre Privatangelegenheit, und 
nie soUten die Aufführherren die Verantwortung dafOr 
tragen mQssen* Jedenfalls bleibt es die eines 
Utmrisohen Direktors und Shakespearo-ikitdeokers 
würdi|pe Tatsaohe, dafi die Dame, deren l\>iletten 
für die Hauptrolle in »Was ihr wollt« 1500 Kronen 
kosten, 240 Kronen Monatsgage bezieht. 

Welch eine Gerichtsverhandlung! Der Richter, 
Herr Dr. Drawe,dereininal einen Viehhändler wegen Be- 
eioes V iehhändlers au mehreren Monaten 



str en g e n AnrefU Tenirteüt hat, sanktionierte den 
Viehhäadlertoa gegenfiber einer Dame und ver^ 
urleilte Herrn Jarno, dem der Mumterialerlaft Uber 
die Beladigungsatrafen unnOftMn Sohreok einge* 
jagt hatte, lu einer Geldstrafe yon 60 Kronen. 
Des Pußtritts konnte er Herrn Jarno nicht für 
»fähige halten! Das Fräulein hat ihn gespürt, aber 
der Richter will sich den Glauben an die Mensch- 
heit l)e wahren. Er verurteilte den Angeklagten 
bloß we^en der Bezeichnung: »Drecke und des Zu- 
rufs »Ich schmeiße Sie hinaus I<r. »In dem Aus- 
druck ,Gefrieß' erblickte der Richter« — so sagt 
der Gerichtssaalbericht kommentarlos — »eine 
Kritikc. Ob einer der Zuhörer von dem Recht der 
Kritik auf der Stelle Gebrauch gemacht und dem 
Richter sugerufen hat» er m5ge doch kein solches 
Qefrieft schneiden, wenn ihm ein so liobtvoUes 
Urteil gelungen sei, meldet keine Zeitun|;« Ldder 
er&hren wir auch nicht, welche Binsioht die Straf* 
milderung eigentlich bewirkt hat. Nur in der Verant- 
wortune: des Herrn Jarno fmden wir eine Stelle, die 
einen Fingerzeig gibt: »Der Herr Richter begreift, 
daß ein Regisseur, der im Jantsch-Theater das Wag- 
nis durchführt, Shakespeare aufzutühren, eine gewisse 
Erregung fühlt.« Die ganze Welt begreift es. »Des 
Himmels Antlitz glüht, ja diese Feste, dies Welt- 
gebäu erzittert«, weil das unerhörte Wagnis, ein 
taniiämenfreies Stöok aufzuführen, vollbracht ward« 
Man erinnert sich zwar nicht mehr, ob auch der 
selige Jantsch getobt hat^ als er »Julius Cäsar« auf* 
führte und noch daau an einem Abend, der ai;^ dem 
Theateraettel nicht ausdrücklioh als »Literartsober 
Abend« angekündigt war. Aber man weilt, dafi Herr 
Jarno mit gans anderen Herren bei der Sache iiL 
Er muß sich, der Heraufköramling aus Ungarns Ge- 
filden, der Uiisiohere, täglich den Glauben an seine 
literarische Sendung festigen. Der geborene Finder 
einer neuen TheaterkuUur würde aich's an Striodberg 



4 



— 2L^ 

genügen lassen. Herr Jarno braucht Shakespeare zur 
Stärkung seines Selbstbewußtseins. Herr Jarno bietet, 
was ^ut und nicht zu teuer ist. Nach außen: Was 
ihr wollt. Jimen : Viel Lärm um niohts . . . 

• • • 

Speidel's Tod. 

Wie fem Ludwig Spefclel's OröBe dem Gebiet wndis, auf 
dem der Jonmaltous zweimal sdtie Scliladiteii mit 

der deutschen Spradie sclilägt, liat der Naehnif der ,Neuen 
FVden Plvase' gezeigt Dem »staricen SHIisten« — so nennt ihn 
der fette Stillst Harden In seiner Kondotenzdepeadte — hat seine 
Redaktion Stilblüten aufs Orab gestreut. Sie kann nicht anders. 
Peinlicher — und beklagenswerter selbst als der Todesfall — ist 
das Zeremoniell, das die ,Neue Freie Piesse* veranstaltet, so oft 
jetzt einer der ihren das Zeitliche segnet. Ludwig^ Speidel starb — 
und wir müssen den Dahingang Oppenheim's beklagen. Denn Oppen- 
heim war der ruhige und sympathische Lokalredakteur des Blattes, 
deTi solange er lebte, dem Einbruch jener wilden Oeschmacklosigkeit 
fcwehrt hat, die heute das Begräbnis eines berühmten Schrift- 
stellers zu einer Rekkmeorgie himmelhoch betrübter und zu Tode 
Jaudizender Lddtngender gestattet. Wer nie hn Leben Ausricht 
hatte, seinen Namen in der Zeitung giedmclrt zu sdien, dem 
geht adn Sehnen endlich in Erftttlnng. Man bmucht Jetat 
b!o0 der «Neuen Frden Pktaae' zu Icondolieren, so oft einer 
ihrer Mitarbdter stirbt. Es bleiben hnmer nodi genug Leute 
in der Redaktion, die das eingelaufene Beileid nicht wägen, sondern 
zählen. Denn anstatt in solclietn Falle einfach festzustellen, daß 
der ganze »Lehniann« kondoliert habe, beginnt die ,Neue Freie 
"Presse' den LehnKmn nachzudrucken. In der Regel daueit es eine 
Woche, bis sich der Strom jener Leidtragenden verlaufen hat, die von 
dem Verstorbenen nicht mehr wissen, als daß er verstorben ist. 
Die .Neue Freie Presse' scheint sich von solcher unermeßlichen 
Revue der Unbekannten eine Mehnmg ihrer Haiismacht zu ver- 
sprechen und würde bedenkenloa auch fünfhundert erf undeneNamen, 
die ihr ein dnziger treuer Leaer lieferte, in die Liste setzen. 
Sie weiß, daß sich dieQelllUgfceit die de den Kondolenzparasiten 
Imatenlos erweisl^ rentiert. Danun dfiifcn jeld Anaipbabcten Mknt* 



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— 22 — 

tich CfWm^dftB sie dwchdenTod eine» Speidd cncMHcrt sImI. 
lineit ist er g c ato ttc n ! Und «cldw Chttiktare sMen in der 

vordersten Reihe der Leidtragenden? NicBts ist bezeichnender für 
die innerste Beziehung der heutigen ,Neuen Freien Presse' zum 
Andenken Ludwig Speidel's, als daß sie an erster Stelle die Kon- 
dolenz des Herrn Lippo^fitz veröffentlicht, der den Hingang des 
»berühmten Kritikers« beklagt. Freiltch vermag gerade er, weiland 
Chef Bernhard Buchbinder 's, den Schmerz mitzuempfinden, den 
eine Redaktion erleidet, wenn der Mund eines berühmten Kritiken 
verstummen muß. Trotzdem wirkt die Verl»indung der Namen 
Speidel und Lippowitz störend und als unverdiente Herabsetaag 
der Eigenart des «Neuen Wiener lounisls'. Spddei's Feder «ar 
lange nidit so produktiv wie lippomit^ Scheie^ und fiberdica 
bat der demtidi einseitige ScbriMdler Imnier nur seine eigenen 
AuiBÜze geschrieben, wählend der Henuttgeber des «Neuen Wieno* 
Journals' sozusagen die veracfaiedenartiesten Qebiele umfaßt und 
ohne dem Leser seine eigenen Anschauungen aufzudrängen, den 
Arbeiten anderer Autoren die interessantesten Seiten abzugewinnen 
weiß und sie in der selbstlosesten Weise so herausbringt, als ob ^ 
seine eigenen wären. Wenn sich in dem, was er weise verschweigt, 
der Meister des Stils zei^^t, dann, wahrlich, hat die<;en Ehrennamen 
eher Lippowitz als Speidel verdient. Es war also unbillig, die 
Nennung des Herausgebers des ,Neuen Wiener Journals' durch 
das Andenken an Ludwig Speidel zu kompromittieren. Wenn 
Lippowitz kondoliert hat, so hat er sich einer privaten Höflich» 
keilspflicht entledigt Daß sich die »Neue freie Praase' wie cbi 
Oeior auf die Zuschrift stfinen und mit ihr Reklame ffir Speidel 
machen werden konnte Lippowitz nicht ahnen. Die anderen Leid> 
tragenden wissen wenigstens, daß sie selbst von der Kondolenz 
profitieren, daß ihre Teibiahme am Scbmerz auch ehie Teünabne 
am Ruhm eines Tages bedeutet. Das Gedränge ist darum enorm. Das 
ganze parasitäre Wien, dem eine Metternich- Redoute so erwünscht 
ist wie das Begräbnis Speidel's, wcnn's die Drucklegung des 
Namens gilt, diese ganze scheußliche Legion der Mitt^cher ist auf 
den Reinen, und schier acht Tage dauert das Reklamento, das 
sie anstimmen, um die Welt, die eben' daran ist, an die Vergäng- 
lichkeit des Irdischen zu glauben, von der Dauerhaftigkeit ihscr 
eignen PiTrittmif au ftfr y^ ^ gf^ft- 



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— s — 

AMTWORTBN DSS BBRAUMBBBRS. 

JT^fttiMiaweft. Der Notsebrei dnes Lesers: »Hochverehrter Herrt 
Es ist cntscttffch ! Has Schwarze Buch war die unglücklichste Idee von der 
Welt. Nie «-urde noch dem Unverstand, der allgemeinen Borniertheit 
and Trottclhaftigkeit ein schärferer Ansporn gegeben, sich zu betängcn; 
und gerade das Übel, dem gesteuert werden sollte, hat wie eine £pideniie 
verheerend um sich gegriffen. Sie sagen ja selbst: Auch viele, die ins 
Schwarze Buch geh(hieiif machen sich erbötigf, es xn erginseB.' Hintor 
diesen Worten scheinen mir bereits Gewissensbisse ve rt wrggn itt ttili, 
Aber die Sie sich hinwcgiidtai «oUen, i&deiii Sie icbieibcil: Jmau M ü 
adct die PUte der Zoadtriften von der gemiiden Efteontnii de' Ach 
aehi, UoB von der AnpassnBg^ltkdt «Iscr OcMÜidutft, die« MKat 
«sprodnktlT, Jtede Oelefenlwit trtptük, naduniciDplIndeii mid sadi- 
cmpfMend Afteiprodiikte Iwrvoizabrliigea. Anaenten : Wie vM tchiiiJerig 
gettante Kerle — sehr .gescMte' Mentcben — sind glücklich, eines 
AbflnB fQr ihre Witzitloalce gefimden zu haben 1 Wie viel Hohlköpfe selig, • 
ein neues Feld für ihre seit Uizeiten nimmer rastende Betätigung zu 
erobern! Welches Fressen für jeden Snob, über seinen Nebenmenschen 
sagen zu können: ,Der gehört ins Schwarze Buch.'! Mit einem Wort, das 
Schwarze Buch ist bereits eine ausgemachte Platitüde und für mich 
zum Schiboleth geworden, an dem ich jeden erkenne, der zu dir 
nnausrotlbaren Riesenarmee der ekelhaften Kerle gehört. Im Kaffeehaus, 
in Oesellschaft, auf Bällen — das Schwarze Buch ist gwadtzn des 
bdlebteste Mgetptiäi der ^Seison' — in den Fofwi dar ThutBr, auf 
dem EManlj^ttz, flberall h6rt man dat tnttwrlif ■€ Wort. Der gaM 
VeriBdur irt dtvoo dnivhielit nad «He Onten tind ndt EiMNenMf 
erfüllt, wenn idi «idit ftgai will, dem WelmiiQa dar Vtrmlllung 
adle, «ena de Men: ,Dae gelidrt lai Sdnnne Bachl* oder: ,8ie 
ktben doch sdion vom Schwarzen Buch gehört? Qnil Was?!' Ich darf 
wohl hoffen, daß Sie soviel Lhrgefühl haben »erdtn, sich iu Ihren 
Federstiel zu stürzen, soriald diese entsetzliche Sache einmal in den 
Zeitungen »ventiliert' wird und es sich zeigt, daß auch der mit den 
Errungenschaften seiner Zelt stets schritthaltende Schmock sich 
die köstliche Vokabel bereits zu eigen gemacht hat . . . jedenfalls hat noch 
nie eine Maßregd verkehrter gewirkt. Allein dies war vorauszusehen 
and eigentlich ganz selbstverständlich. Ein Schligvort — und alles grunzt 
vor Vergn&genl Ich darf aber jedenfaUa gaaehmca, daß Sie in Ihrer 
Qoddit dict fdlMt fmamdieB, aad httti Sie ddwr. dlema Znntf akfat 



I 



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IBr ilM |C9Bcf voflwtai StliBBiai m der ZiU OiKf Avudi ^ Qott 
bevalue Sie vor IhMiiI - m ImUchi 4ie Ste mit BddmifBit 
geaelBta Ritidiiicea wv. laigiReilat twd ixgfin . . .«Der Vcrfimr <ler 
Zmckrift hofft schUeBUch« diß kli die MentcUidt toq der Seacbe dm 

Schwarzen Buches befreien nnd l^pp und Utr aussprechen werde, daß 
jeder, der es noch zu zitieren wagt, hiiÄingehört, weil er nnd nnr 
er durch diese Einführung getroffen werden soilte. Was hiemit geschiebt. 
Aber der ideelle Wert einer Institution wird durch ihre» Mißbrauch 
nicht berührt. Bloß der praktische. Es ist ja klar, daß der Banalität ein 
Ventil offen bleiben muß. Wird sie durcn das Schwarze Buch gefesselt, 
io macht sie sich Luft, indem sie flioktich an die neue Erkenntnis klammert 
und durch Sdhtt|iersißage schwerer ansem Mervenfrieden Mistet, als sie ea 
itt ihrar nnprfinglkhen, harmtoceien Ocalelt fcrmocht hat Herr, dk Not 
iat CIO0I Aber kh heh'e ceihat «od werde die Qdetir, die idi rie|, 
edv bald loa sein. Der Philiater, der eich zn Voracfaliffni ffir das 
Schwane Buch erbdtig muht nnd alch dank ao gemeiner Liat mm der 
Rotte der OeistkweB ibhcbc» mdchie, ist der achroddicbate der 
Schreehea. Ich wiahe ihm hicuiit ab uad klappe das Sdiwam Bach 
vorllufig zn, das, wie ich verraten kann, einer Idee Otto Erich Hart- 
lebcns (von dem auch eine der ersten Eintragungen stammt) seine Ent- 
stehung dankte. Ich stelle hiemu das Chaos einer Qeistlosigkeit wieder 
her, die für die öffentliche Verachtung noch nicht reif ist. 

Didkter. Ich kenne Qeihart Hauptmann's Olashüttcnmärchen »Und 
Pippa tanzt 1< noch nicht, aber hoffentlich wird die Lektüre des Buches 
nicht völlig den schönen Eindruck verwischen, den da«; Work aach der 
verhöhnenden Feuilletonkritik des entsetzlichen Paul Goldmann auf nikfa 
geawdit hat Paft es eiae bceoBdcra feiae aad dichteriache Sadie aela 
arafi, seht ao zieailich aoa jeder Zeile dea beaoadaca gemtfaea Qe- 
aduaieni hervor. Isf a aicht eise Sdiwachj deft ba ZcatralUatt dcntKb» 
^W tfTfifhff rhff Bildaaf aadaaemd ein Drpcef lif iif f pcif tf r ha Bflcaea* 
jarffoa Aber Werke dar literabir ricbiea darf? Scheut die aaeriauurtr 
Oeschmadcloaigkelt dea Henra Benedikt vor solcher Blamage aicbt 
zurück? Wird et die moderne Dichtung nicht endlich von jener 
Zecke befreien, nicht endlich dafilr sorgen, dal') in seinem Blatte 
von den Autoren Hauptmann und Wedekind annähernd mit derselben 
Achtunj? gespiochen werde, die den Dichtern Triesch und Brüll längst 
gesichert ist? Oerhart Hauptmann könnte seit den Tagen der »Weber« 

aad dea *HaBBete« dea tifliit fi Fall ^eaiachtt die bittenftc En tt intH^iaim^ 



25 



den Scbäfzern sdncr großen Stlmmungslctinst bereitet haben, noch Immer 
wird der feixende Reporterhohn erbittern, der mit den Worten anhebt: 
»Das Amüsanteste am Abend der neuesten Hauptmann- Premiere war 
das Verhallen d^ Aahinger des Dichters«. Und wie Herr Ooldmüia 
diesmal in die Kontremine geliit »Wer das Ritseirslni liebt, niQge 
tticfat ntsitttuen, sldi Oeiliart Hanptnumn's nenes Stüdt «ansehen. Aüm 
Oramt liat es lieinen Wert; aber als drsnatisierter Mms mllent es 
Beaditung:«. Dieser originelle Einwand wird In nenn Sfislten «nsce< 
walkt Eine nnendliche Klage darflber, daB ntan am Abend nach Ab- 
widrlnng der Bdrsengescfaifte im Theater fon einem Dichter gephigt 
werde, der »Rebussen aufgibt«. In der Tonart der Leute, die auf die 
Frage, wie ihnen »Tristan« gefallen habe, antworten: »Man lacht«. »Er- 
schreckt stehen die Freunde vor dieser Verworrenheit und bejjreifcn 
nicht, woher sie auf einmal j^fekoüiiusn ist. Woher sie gekommen ist? 
Sie ist schon in manchen früheren Werken Qerhart Hauptmanns da- 
gewesen« . . . »Da ist nämlich der alte Wann, eine Art Zauberer. Ferner 
ist da der alte Hohn, ein ehenia!«>rer Glasbläser«. Huhn tut auf dem 
Höhepunkt des Dramaa den Auanaf ; Janakit »Was hdßt Jumalai?« 
Herr QoMmann vermiBt im Qlashflttenniirdien die »Logik«. Die Logik 
fertange, daB der alte Huhn den MIdid HdMegel dnrdqirilg^» »da« 
er ]a den Knftttel ergriffen halM. »Aber die Logik hat in diesem SHkk 
nldits «s sagen«. Herr Qoldmann erlaubt schon, daß ein Drama sfm- 
boUscb sd, aber dann milisen die BegebenbeHen »eine bcsHomite 0t* 
deutnAg« haben und die Bedeutung muß so klar sein wie im realistischen 
Stück die Begebenheit. Man muß sich auskennen. Muß wissen, daß der 
Esel kein wirklicher Esel ist, sondern Zettel der Weber, und der 
Literaturkritiker kein wirklicher Literaturkritiker, sondern Ooldmann 
der Esel, Ich kenne »Pippa« nicht, möchte mir mein Urteil über die 
Dichtung, das ich mir nach dem Feuilleton gebildet habe, vorläufig 
nicht durch ihre Lektdre erschüttern lassen. Die Bemerkung »Es ist 
wie dne Vision zusantmenhangloser n&d widersinniger Begebenheiten 
aas ebiem Alpdindrtranm« nimmt ]a ganz besonders Ar dss Wdrk ein. 
DaB in der hier dnst verBlfentliditen Diditnng Sblndbergs der 
träumende Lotse plfttzlldi dne Sdilange als Halsband trägt, ist in der 
Tat unlogischer als efai »Locdsdi«, und in Reportertiinmen bat sich nodi nie 
begdien, was dieQesdticbten der E. T. A. Hof feiann und Edgar Allan Poe 
sonnvabfadielnlidi aMcM.VidIdditid fibeibaaptdne dgene Dispositioniani 
gtnußroUen Crlsssen cfaier Dichtung notwendig« und gardaer, Inder HcM 



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26 ~ 



mit Fiscfamättlern httne», mid »IcHdd it m6 ein Mirdwn flberhaopt nichts 

»bedeuten«. Es soll doch einmal diesen Flachköpfen gesagt werden, 
daß es sie im Grunde gar nichts angeht, ob der Dichter etwas und 
was CT »sich dabei gedeicht hat«. Und daß er schon ein Dichter ist, wenn 
es ihm gfelingt, sie soweit zu bringen, sich endlich einmal etwas zu 
denken. Daß sich die Natur, als sie den Wald, das Gebirge, das A^eer 
•dwf, auch gar nichts gedacht hat und daß dennoch Wilder, Berge 
und Meere an so vielcrOed^akenarbeit genießender Menschen nltffetrbetet 
haben. Herr Ooldmann spottet fiber das Bemfihen, »Waaaer in Knseta ai 
ballen«. Dnvon Ist im Drmia Plppas dte Rede, nnd Herr OoldnwnB 
glsnht ottMdi nkbt, daA man's loun. Idi velß aldit, ob e» Znlall 
oder Anngnng Ist: Im «Weit-Mlichcn 0lvan* («Ued nnd Qeblldt«) 
helft doeStropho: >LMit' ich so der Sede Biand» Lied es etsdulkn ; 
Sdiöpft des Dichters lelne Hand, Wasaer wird sich ballen«. Vcrwontn, 
nicht wahr? Und im zweiten Teil einer dranatisdien Diditnog desseltien 
Autors sollen noch absirusere Din^e stehen, neben denen das »Junialai« 
ein wahrer Gemeinplatz des Verständnisses ist. Furchtbar gescheit meint Herr 
Ooldmann : »Dali dem Zuschauer die Aufgabe übertragen wird, in das StOck 
den Sinn hineinzubringen, ist doch wohl nicht die richtige Art der 
dramatischen Produktion, als dereo Grundsatz bisher wenigstens 
immer scflollen hat, daß der Antor das St&ck schreibt und nicht das 
Publikum«. Aber Herr Ooldmann nnd sdnesgleichen, die dem Publikom 
den Sinn dner P kfhH wr g wie Sch'wsli? snf*s Brot sdimleren mftf l i t titj 
Inbn dfe R«ckhdt, dncn Didhter m sch n i msl s to ii, «dl m 
d»SB sein SUkk sn sdttdben flswigl hat nml aldrt das Stikk dm 
PabUknms. 

SMM, Einer der sd i w iKm i« Alben Ist anch Hsr Hago 
Oans« der die »Fnmkfnrtcr Zeitnne* ans Wien bedient. & fehdrt r 

lesen literarischen Sittenrichtern, die ihre Fenilletons durch die Ent- 
rüstung über die moralischen Gräuel, die sie auf der Bühne zu sehen 
bekommen, pikant zu machen suchen. Daß in der Literatur nicht mehr 
bloß entjungfert wird, »darüber kann kein iMann weg«. Das »Perverse« 
hnt es dem Herrn Ganz angetan. Andie Gide's »König Kandaules« wurde • 
im Deutschen Volk«itheater aufgeführt, ohne beim Publikum und bei der 
seiner würdigen Kritik einer Spur des Verständnisses für das erotische 
Problem des Werhes snbcgifnsn. Hcnr Ganz wurde wenigstens schamrot. 
»Ntm erwarten vir« ruft er, »nur nodi ein Stfldc, das nadi aUedd 
MilMrinm dlt sthnlsdM Hdire stibst «af die BAImn hil^g^ dit 
Ihit lUdite dnidi den AaUkk thnr nsdalsn ffrhftnhdt btaideL ud 



. ijui. u i.y Google 



— 27 — 



lind iHr vMar gM Itt MBBlflSHi AfliliiL MU dm mm Attllm 
MT dat MBdm attlMhe Stlz. Die Oriechen, die das Nackte ««der im 
Leben noch in der Kunst gescheut haben, hätten einen Poeten gesteinigt, 

der es gewagt hätte, sie durch eine Nudttitenszene ins Theater zu locken«. 
Das wäre ja schrecklich, wenn man die leibhaftige Phryne auf die Bretter 
bringen wollte! Aber mit den Griechen stand es so: sie nahmen an dem 
Nackten im Leben keinen Anstoß und hätten darum den Dramatiker gestelnlgi, 
der sie mit einer Nuditätenszene belästigt hätte, hätten im Jargon unserer 
Zeitgenoasen geaptochoi: »OieKKMt aoU wm akftm. Das Nackte bafaen 
wir auf der Oasse«. Unaera aniiaaUgiK Oecenwart, die im Leba beadwlt, 
mnt aich im der Ktmaft diew itot a iia« McndiliclikdtiaztiiattmaiUaidMu 



2)nmatur0. Theaterkritik: 
»latlmaa Theater . • • Ehie atemloa 
knadiaMte Oeneteda, dte flaeh aHen 
Akten ZMko der Crcritohelt, der 
Bcgatetermg gab. Ea war die httn- 
deitete Vorstellnng dieser Bühne, 
die, vielleicht zuweilen auf recht 
vtinderlich verworrene Weise, doch 
immer nur der Kunst zn dienen 
den schönsten Willen hat. Wo ist 
in Wien eine zweite, die dies von 
lieh sagen darf? .... Uod was mir 
mehr gUt: hier iat kein Stftck an^ 
feffthrtwordea» daa nicht nm Hohea 
guuHgBU Ubtte^ hain ejBrjjm^ daa 
iof dae OmOM teachM hätte. 
Wb iai in Wien etee zvdte Bihne^ 
aich sagin darf? 

a B. 



Oerichtaatalhcri«fat:>Ite 
Bcrtht Antel» dleOatündea Kanf- 
ntauea Saallid Antal» hatte ihr cin- 
akttgeaVcftateack.DerWitUhar'dem 
,InthneB Theater' mr Anffilhnng 
überreicht. Die Direktion nahm das 
Stück zur Auffijhruiig an, unter 
Bedingungen, die in einem Vertrag 
mit dem Qatten der Dichterin 
fixiert wurden. Herr Antal mußte 
sich verpflichten, dem Theater einen 
Betrag von 400 Kronen als ,Emta 
für die dem Theater entgcfacndea 
Eianahman', ferner 70 Kronen lOr 
das Orchester nmd 40 KrOM Pia- 
ksattecvflgdmetett eu hczalricB» Dia* 
ffir worden ihm dte Kaaseneto- 
nehmen nach Abcng von 400 iCreocn 
zugesichert Wenige Tage nach der 
Aufführung erhielt Antal dnett 
Kassenrapport zugestellt, aus dem 
sich ergab, daß er dem Theater 
noch einen Betrag von 261 Kmnen 
zu leisten hube. Da Herr Antal 
die Zahlung verweigerte, klagte 
der Verein «Intimes Theater' des 
Rj^ry y heim Badd^gariciite Lao» 
ihl,« 



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2B 



mmmkf. An jenen M«taMtag, 4» UMIn Sptim 
m in der ,Ncnca Rrelea FrcMC* te Mfeade Sili iv letea : »Dfe 

VSomahrae 4er Operation wurde jedoch von der Obrigkeit abgelehnt, 
weil sie nicht wollte, Gerschuni in ein Krankenhaus zu überführen und 
so diesen gefürchtekn Revolutionär in Berührung mit fremden Personen 
zu bringen«. — Am 30. Jänner beißt es von einem verstorbenen 
Monarchen, er sei »wie man sich erzählt, unerkannt auf der Straßen- 
bahn gefahren«. Seinen Namen werdet ihr nie erfahren: es war der 
König Christian von Dinenark. ^ Aus dem Tasso-Feuilleton (19. Jinner): 
»Mitten in einer Uebesszene . . . zieht er (Kainz) das Taschcntadi and 
idraeut sich 1 Den Olympkr in «teer Wdmarer Hwitok m bitte der 
Sddaf g»trofleQ*Diiuiibcr»lm vierten Akt, wte MHeer arfg il iewm « . . « 
^ Wieder eine phyiiologieehe MerkvHidfglNit m. 21. Jinner: »Vle 
iülllirtidi, htt andi Iwner Midein ilto% AfeycriiafBr, dte bl^ 
linfcrinf Unen liedmfbend segeiNn • • • • PHUdeln M^fwlnfer edi ildi 
efaeaiiaiilrdchen Pnblikom gegenüber, daileliludleifeen BetfiU spendete.« — 
Ein akustisches Kuriosum aber wußte das .Nene Wiener Tagblatt' am 
10. Jinner aus dtra Konzertsaal zu meliea; >Eia Prolog . . . wird der 
Aufführung vorangehen, während der Wienet Männergesangverdn 
Mozart s bundeslied singen wird«. 

Hofhalibemcher. Das System bedarf noch der Vervollkommnung. 
In einigen Jahren aber wird, so hofft eine Leserin, der Hoftulibericht 
der »Neuen Freien Presse', der jetzt schon wie eine Revue von Pess&'t 
Haarwellen, Senneidenubtnen und Champagnerfirmen anmutet, also lauten : 
»Ali die innren Kondesien A. mit ttnrer Matter in den Siel tntn, 
rfcbtcten lieh eofoit alle BHdK aaf die rdsende Qmppe nnd n«n 
benteride ndt WoblgMlen, «elcb flMten Ctefhiß die OiitMr>Kv 
nnf die Eficbeinwig der Fran Oiittn A. fwinninw bei Der T«n 
begann, die ?un flegni Iber das ndt GcNiin blilrtlart ginIrtMiff 
Moitt Einige der DinMn, ao PHnneaabi X, Qiifln Y, Qeandtia 2, 
Uefien es sich trotz einer Unpäßlichkeit nicbt nehmen, den Hofbnll in 
besuchen. Sie bedienten sich der Luna- Binde, und so ging alles gut 
•von statten. Unter den illustren Oästen verließ als einer der letzten die 
fürstliche Familie B. die Redoutensäle Der Füist brauchte nicbt zo 
fürchten, später als die anderen Ballbesucher sein Heim zu erreichen; 
denn es wartete auf die Herrschaften ein Fiat-Automobil neuester Kon- 
struktion, welches denn auch alsbald mit rasend»' £ile und gevobntar 
Präzision dmcb die fittaium ttniiaL« 

Hcnuugeber nnd verantwortlicfaer Redaltteur: Karl Krtni. 
Onsh von iahoda und Skfld. Wlca, Iii. HiaHrt ZoilaatttraBt 3 

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9rs dibftisälii 

idO irii iifi dto .9tu^ ftor::£f rj^s b mih^ rjd »!nii9biöm 
n^nbjv US lU'i-^ji oid .not >I(ii^^ils !>:'>i)«]riidV ^Ih sImjijs ji^gnsib 

fti-m lüv ii) [i ;;(HJ ^i'^r'' ''jUAü;W»iiÜftii|U^'"^' .'j'UnJa 
,tr).nfnß.-)j»nH .-(!•»?<!'■• .-r^^^^W^W^F*!.- ■// v»i«: f ■•n'»? 

iiifl* Mürzzuschfa^ hatte sich^schon lah^ffc vor 4 Uhr zaW- 
^HHdMÄil^ul^ktim'iauf dem Perron d^s Bahnhofes ^wfe vor dHn 
iMikiMiftf^n»>Mti ^^glral^H khg^^ä#(iiMt<&^ AÜfre^g 

^ig«^de2^u 'v'^äTrtmel^ und die iJ^amte^lX^ädii^ann^^hirft bemühte 
-sich, die Passage aufrecht zu erhia^fen;' üm 4 ühf 55 Miltnttti 
.dv\^ ikt ZugJtäii u 4 . Der Justizfehiwebel fraget den Qeildannerie- 
3liost«Dfuilm:.nlskfiti «Mifageaick?« 'tiWir. bcatuaheo ki^ineii^WaR«^, 
.(§mUü^9mM ffittftfisOefeMi Ml nWcin iSitfÜnbii.Wagcft^ J^äMm 
9llitMuJtolkinijflättaL'6tttiein«nhteJ^^ nboMlenKiliolltt^, 
. antwoftttoddfer iPbsteßfIftrtEj Die Mengen £«Jkidfingtis die JiAMtofti 
-jiHRi «t«ieK)%Da 45t;sie! ja, die Mörderin! Schawt/^Euch nur den 
'jl!TaJterj^is< «iJ\udh Beschimpfungen ^wurden ausgesiQQcnv Marie 
[^^m 3«ökterzufcaiDJ£ncn, als sie diele Rufe hörte, zog lasdt.'ihr 
[^Mu^hiM%j Ü&ijj^sßttt .bmvj^T i jund. . hielt e^ ,voc da& t Qesicfat. 
4im jmntelfflttfpiQiiifi: d^aimaBtfliiiiMiratiseli^fnbialto^taitfäliTte- 
tiUki^i^Mtt vsKiM/iiMi taDÜenianÜftrnitacUnMfifefe eiw Qine 

iZeHer in ihre Mitte nah mtti. Biit Gendarm mit einem Orti- 
<m^zistm. JHWßte den Schluß der Eskorte. lUokt Johteit und 
jSchrei«n(:gin|[jj€$iidanu über den IVrron, dem «chtnalen . Auagangfc 
'^/J^hiK ni\tiMü\Kblkmmtß ^chx.di^ £skort£.'eiti^.Wc9ubahafiil; 
oUillSiii^ängte twtbilimd aii»ii&b:»AiiigangslinrenMiftHLi«ii It^bäKA- 
.9il&hr^kh^:Qfdflkr\&^iE^ nrifibdeniyKMeincMHii 
^la^hy nw^o/iiMuiUeriiii Daalyisch^, die Ekdchnlipfnti^n^ >idie^4i^ 
^Aiordenn zugeschleudert wurden. Die Eskorte semitt Vorwärta In 
Tgfirj^ezu wilder Jagd liefen, die Leute nach.;! jeder wollte die 
-Mörderin sehen, immer ärger und ärger wurde das Gedränge, ein 
,iEQßtir^nericif^iiSichi^lMa durch ilen^meteEl^ofib/li^fendAn 

i89bfi9fi. jBiaft {ffpeiW«lwwcg^ytoteiit»d»B>aj jaibtfe j ja/i^gBtittt' S dui i 
4mnd4n 4ietiMiWI>.ffm:t>eix)eUf E5;^aKatepi'fiiolLMmlicih ßsuA 



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tden, hier dngefundoi. »Aber a achOn't Madd it halt dodil« rief 
eine andere Summe. Etwa eine Vicrtelstuiide dauerte der Leide»- 

weg der Verhafttten. In den Straßen, die sie durchschreiten mußte, 
bildeten die Leute Spalier. An den Fenstern drängte man 
sicn Kopf an Kopf. Die Leute, die vor ihren Oesciiäftsläden 
standen, schrieen, ai^ sie der Zeiier ansichtig wurden : »Spuckt sie 
atlp anstatt ihr nachzurennen 1 DicK Bestie! Sie hüte verflucht 
werden sollen! Ein so jungfes Madel und schon Raub> 
mdrderin!« Bei jedem dieser lauten Rufe, die an ihr Ohr 
drangen, zuckte die Verhaftete zusammen. Sie begann zu weinen 
und ürückte ihr Taschentuch an die Augen. Immer wilder wurde 
das Toben der Menge hinter ihr. Die Eskorte war in die Rathaus- 
straße, dann in die Witnerstraße einget)ü^eii und hielt vor aem 
Rattaause. Auch hier «ar eine große Menschenmenge angesammelt 
die mit lauten Rufen das Erscheinen der Esltorte empting. »Pfui 
Teufel! Pfui Teufel N erscholl es im Choie. hine ältci^ irau, die 
beim Tor des Uenchtsgcbäudes stand, spuckte vor Marie Zeller 
aus. Nur wenige Schritte nocii und Marie ZeUer war den Blicken 
der ivleiii^e entzogen. Das lor des Rathauses schloß sich hinter 
ihr. Sie wurde über die Stiege mehr geuagen, als geiuhrt Man 
brachte sie in die Oerichtskanzlei. — — 

Als sie in Kapellen eintraf, war es noch nicht 7 Uhr früh. 
Der asige WükI treibt ihr den Schnee in's Ocslcht, verhindert sie 

am Oenen, sie droht zu stfinen und der Oendarm muß sie fuhren. 

Aus den kleinen Häuschen, den armseligen Hütten laufen die 
Bewohner auf die Gasse und Alles folgt der Eskorte . . . 
Man bracine Marie Zeller in die »gute Stube«. Vor den Fen- 
stern drängten sich die Leute und begaificn die Gefangene, die 
müde auf einer ßank niedersank, das Sacktuch vor die Augen 
hielt und weinte. Die Rufe der Leute, die sieh l>el den Fem£ro 
diflngent werden im Zimmer hörbar. Die Delmquentin hdrt Anb- 
rüte wie: *Du Fratz kannst an Mord verüben!«, »So jung und 
schon so schlecht!« Den Leuten genügt es nicht mehr, bei den 
Fenstern zu stehen, sie drängen in die biube selbst, sie versuchen 
mit Marie Zeiler zu sprechen. Die Uendannen macnen aber diesen 
Szenen ein Ende und weisen die Neugierigen hinaus. Marie Zeller 
hattet» man möge doch die Vorhince schuefien» damit sie Ruhe 
habe. Ihre Bitte wird nicht ertflilt Schlitten auf Schlitten 
fährt im Orte vor. Ganze »Vergnügungszüge« wurden ausgerüstet. 
Aus allen Orten der Umgebung, in denen die verhafteten Schvre- 
steru wohl bekannt waren, smd Neuy;ierige heute gekommen, 
weiche sich vor den Fenstern drangen, ninicr denen Marie Zeiler 
zu sehen ist. Das PubUkum stüimt das Gasthaus dcs Bürger- 
mdster Wengger sowie das Gasthaus »tum braunen Hinchens 
kein Plätzchen ist hier zu liaben. Ausgelassenste Stimmung herrscht 
hier, lautes Lachen, Singen und Zitherspieien erfüllt die Gast- 
räume. Die Rinbringung der Schwestern wird als Voiksbdustigmig 



aufgefaßt. »KArlag isN, höit man die Leu^e rufen. Einer fragt den 
Andern, ob er Marie Zeller genau gesehen habe, und Einer ennttcrt 
den Andern daran, daß sie um ^^11 Uhr od der Bahn sein 

müssen, wenn Friederike gebracht werde. 

Die Zeit der Ankunft des Zuges, der Friederike Zeller brachte, 
war heran n er iickt. Die Gasthäuser leerten sich, die Orts- 
bewohner verließen ihre Häuser, Alles strömte dem Bahnhofe zu . . . 
Um V2II Uhr vormittags fuhr der Zug ein. Noch selten war em 
Zug dieser Bahn so dicht besetzt» wie der, der die Mörderinnen 
brachte. In Mürzzuscblag waren »Veiignügungsreisende< eingestiegen, 
welche die Eskorte hatten sehen wollen. Sie füllten die Coupds 
bis auf das letzte Plätzchen. Zuerst sah man den Gendarm und 
hinter ihm kam Friederike Zelier aus dem Coupe heraus. Es 
wiederholten sich nun jene lärmenden Szenen, wie bei der Ein- 
lieferung der jüngeren Schwester in Mürzzuschlag. Johlen und 
Schreien erffilite die Luft Die Eskorte veriftBt mit der Arrestantin 
das Bahnbofgebäude, und obwohl zahlreiche Schlitten zur Ver- 
fügung standen, gewährte man der Verhafteten diese Wohl- 
tat nicht, sondern ließ sie zu Fuß den Weg durch den Ort 
machen. Die Menge drängte der Eskorte nach, schrie wie 
besessen und plötzlich hörte man die Rufe: »Schmeißt sie in den 
Schnee!« »Lieber glei' in die Mürz!« »Wart' nur, Du Mörderin, 
heut' werd'nt Dir schon einheizen l< Endlich Ist die Esi[orte mit 
der Verhafteten beim Gasthaus »zum braunen Hirschen« angdangt.« 

Postsparkasaa« 

>Die Untersuchung der sanitären Mißstände hat gestern be- 
reits zu Rencontres zwischen den Beamten und einzelnen Vorge- 
setzten geführt, die es als nicht zulässig bezeichneten, daß die 
Beamten selbst dem Sanitätsui^^au die erforderlichen Auskünfte 
erteilen. Als gestern vormittags der Santtätsinspektor im Buchungs- 
bureau der II. Sektion erschien, wollten einzelne Beamte dem 
Delegierten selbst ihre Klagen über die in jenem Bureau besondere 
argen sanitären Verhältnisse vorbringen. Kontrolior Springer ver- 
trat demgegenüber den Standpunkt, daß dies nur seine Sache als 
Vorgesetzter sei. Hierauf entspann sich eine lebhafte Konboverse, 
die schließlich tumultuöse Formen annahm. Die Beamten holten 
ihren Vertrauensmann herbei, der es sich nicht nehmen ließ, per- 
sönlich die Beschwerden des Personals vorzubringen, . . Vorgest^n 
machte ein junger, an einem Lungenleiden laborierender Beamter 
des Buchungsbureaus IV den Vorstand dieses Rnreritis, Oberkon- 
troMorVölkl, darauf aufmerksam, daß die vorgeschriebenen Lüttungs- 
pausen trotz einer Luftternparatur von 23° R nicht ei igehalten 
würden. Oberkon trollor Völki forderte den remonstrierenden Be- 
amten anf, ihm zum Sekretflr zu folgen, der kategorisch crkttrte; 



n*Diese Dummheiten (die Lüftungspausen) hat es 23 Jahrejgijifjjijijgp- 
j-jgeben und wird es auch in Zukunft nicht geb^ii,« Von (fetHnBe- 
n?imten aufmerksam gemacht, daß bei jeder Partie ein JUungen- 
ücranker sei, soll der Sekretär erwidert haben : ►Das haben sich 4ie 
^Herren nicht im Amte gehoU.« Der Sanitätsinspektor revidierte das 
Ig^i^phungsbureau IV, in dem>der Beamte arbeitete, und bezeichnete 
diefiAthmosphäre tatsächlich als direkt gesundheitswidrig. Gestern 
fi^tzte der Delegierte seinen Rundgang fort. Auf dem QajiTge nächst 
n4em Schecksaldobureau wurde beanständet, daß sich das Büffet 
f^nmittölbar neben off<?nen und total verunreinigten Klosetts befii^de, 
g^ie einen mephitischen Dunst verbreiten. In einer Garderobe des 
bzweitea Stockwerkes, die trotz , ihrer Enge von dreihundert Beamten 
g^lreqjiientiert wird, fanden , siqh uralte Staubmassen. Die rOawlerobe 
.ji^ht ständig offen und es sind deshalb auch- öfters Diebstähle 
byorgekommen, ßeamte erzählen, daß ihnen Butterbrote, die si^. in 
n^er fOarderobe in ihren Überröcken verwahrten, häufig von Mäusen 
.Tangefressen worden sind. Im Schecksaldobureau wird gegen <iie 
-iMMpse Rattengift verwendet. Erst aus dem sich von Zeit zu Z^it 
)-,p|ldenden Verwesungsgeruch werde das Vorhandensein von toten 
3 (Ä(Jäu§en entdeckt Von eiuer Pi^rsonalvermehrupg merkt mau Moch 
n9ii|cblB.',Der Platz der verstorbenen Kalkulantiu Hanei i&^ npct^ aü^t 
fneu Desetzt. Auch vorgestern ; iind, gestern sind viel^Jeichterj^i 
Ji)<rankungen zu verzeichnen. Gestern vormittags .mußten ni<?ht 
» weniger als zwölf ßeamte wegen Unw^jhlseins ihr^n^Pißii^t , unter- 
brechen und sich nach Hause begeben. Die Mehrzahl der Herren 
gehört dem Katasterbureau ait, wo der Dienst ein ungemein 
schwerer ist. Es müssen nämlich die je 600 Karten enthaltenden, 
bis zehn Kilogramm schweecn^. eisernen Schubladen behufs Revision 
fortwährend hii^- und hergeschoben werden und zwar von jedem 
•Samten mindesteris siebenhundertmal täglich. Diadurc^ ehtwickelt 
"'-Ö<*h ein derartiger Staub, daß die Athmungsorgäne förfwahrend 
^jgereizt werden. Tatsächlich ist der Krankenstand dort und äuch 'in 
'^8en 'anderen Abteilungen dn abnörmal hoheM ^ «loKnßua 
-e'^iWihril im '(\<nt?.ihn.\Hft rA, fi:;i /j'f(nov rntjvj^^ filA .n^iDj:^ 
ui')b ^>JffTE';d 'jnl'iXfiio lutllo'jcr f\ )\ih!'.[i »n>!J>l .11 Tib UR-jiud 

-i*»y r)'x.\hq'<t T)"^> ■'rt(,>^ .\n.: v'v. müiiiIi-^V ri'nniinRR n^j^aa 

z\f' or( -r.icAiis Tets<?hett''wr!»d'^€fmelddtt'' W 

,5giertchte hattö sich gestern d?e l^jährig^ K^ennerift" Martha Knebel 

uirtfß Dresden zu verantworten. Die öenantite hatt<e in i3er NatHit 

I "auf den 26. Jänner atff ' dem Perron des, Bodenbadier 

nBahnhofes in" öbermtVtiger Laurte 'einerti ffeiYiden Manne 'einen 

uKuß gegeben. Der betreffende Herr ließ das Mädcheh dtirch die 

-^©ihnhofpoUzci verhaften. Der Rfchter verurteilffe die KüRräuberin 

-^zu 14 Tagen Arrests, verschärft durch 4 Fasttage. Nach verbüßter 

iiStrafe wrrd di« Knebel nach Dresden abgeschobtti wer.dterf>'^"' <^l 
-sfj r.^(j\vn'Aii''ii\<)fi\-n n-.L 'j/ybiot I/!^ö / lullo i)ri()>li'3{iO .nobiuw 

;t>iißl)li^ tijmoipln'A ibh jrj^Tot ik iÜjrAj<i nius mrii ,luß nsJmß 



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fiorfoR nffoG und to&in^'BndÄ. "'^ ^'^^ i^^rn^w 

J^ai^iii' Zeitalter h^' 'Mrie «iwiöiftlcW'Arbert 2!u leifeteb t" 
88 hat di^ ^tte fortzubilden, als deren Quelle die Löböns"*^ 
erf<>rderms3e der- Stände, än^ gesamte jeweilige Wißfeeft^ 
1MI*> da^ t^ötbild ttiööMlvoll'lefr Pö^sdnliehkeiten m beträKjhtwi^ 

HUB die schöne Literatur, vor allem das (EliMttt. ^^Dtoi 
«fW*feA»fi8»4f^>>-*^iffi<*nft*Wl»^ lUpd^^ipe^^nfteüt, 

4 ^ ofM».^ h^^^ T^Am ^ ^^<!|MriT^hm> ^^^m^i^ 

Kpjjseqnwizen veifolgep, ^^^^ei.^Vf Ge^ptzgi^bjing, j^i^yr 

bAaNhig; ^1»ei)g^^ ^bt^e]tfbt<'k"fiUt6^^i'Ai«'«^itii^ i 

samkdt und ein heDseherisehes Eindrin^^^Wf M'^^ 
imSkseiw^iierl^^hi^nohmiif'ieii^^^ nur 

äffit Beruf, sondern: auch die 'iPflidht ' wir Gegetrßebungj ♦ 
sie hat sieh: periodisch die Frage Torzulegen, ob die Sitten 
überhaupt' feststeht, deren Aui^drucb das Gesetz sein woilt»p 
fer»^ ob die Bitte des Gesetzes weiterbin bedarf; sie bai'l 
strenge Hilknz'^zwischen diVsen beiden Mjä/chten zu ziehe» i 
und darf sich nicht dabei beruhigen, einen »Konflikt iestr'^' 
zustellen, ftondern- müß einen; Sehlb6«i ziehen;^ icüii Etidnrteill 
Mhxi/i'iB^w gehM Aufrichtigkeit gegeni r sibb ' Selbst undb 
Mut zttr^Wahrhdt: Konflikte zwiscbeult Sitten midi ^^tvfi 
sivivnflfiBiiviadlieäf waUiüdae iFltwilfe cmitüdeiiii StüMba 
oieUrqdiMMftahibefdBiliiira^ pk^ 
notaleniniind'^it JMtft Igibif '«^esJ'mipvoVi im 4HdiififU|(enum^ 
nimiicdlidM, dHA»dweewlV'in'«nmbht!Mi«f<li^ 
airfviBm öruhdei weü 98{*da« KanstIiöhe<fifirt;t»'Mifn»'.^'»dtvY 

Man präjudiziell; ' 'sicV ' dkto durchaus nicht, wenn" 
manf hibsicMli(5h des Konflikts z^sehän iDüelkwang und 
DfxeMverbbtjäinbekönnt^ daßfdieiReohtsondnuflbiike.NiedidrH'c 
lagti'Mitt«|i^atii'Hitoi4ic«ti«aw viom 



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weniger als ein halbes Jahrtanaend nniMt Denn schon 
M onüdgne konstatiert den Widerstreit zwischen staatlicher 

und ritterlicher Anffassung und stellt schon alle Argumente 

so erschöpfend dar, daß heute nichts hinzuzufügen ist 
Es ist daher gewii) nicht raehr voreilitr, wenn man die 
Materie für spruchreif erklärt und rundweg fordert, daß 
die Gesetze, die das Duell unter Strafe stellen, aufge- 
hoben werden. 

Per Fehler in der Behandlung dieses Gegenstandes 
lag bisher darin, dafi man die Frage des Oesetskonfliktes 
nicht genflgend Ton der eigrenen Gesinnung isolierte, daß 

man das Formelle vom Materiellen zu trennen nicht den 
Mut besaß. Eist wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, 
kann das Problem uubefan^en in Anerriff genommen werden. 
Es ist von solcher Koraplizienheit , daß es ^^ich nur 
schrittweise Zfriegeu läßt. Man kann sich hier nur durch 
einen Veigleich aus der physikalischen Wissenschaft ver- 
ständlich machen. 

Bs gibt in der Technik sweierlei Erfindungen. Die 
eine, soiosagen die elegante Eiasse ist dadnrdi ansge- 
leichnet, dafi ein einsiger Oedanke, eine Inspirationt ein 
GeniebHtf die ganse Anfgsbe gelöst hat, dafi Geist und 

Körper der Erfindung eins sind. Sie entspringen dem 
Haupt ihres Schöpfers wie die Minerva, mit Schild und 
Speer, ausgewachsen und reif, in einer glücklichen Stunde. 
Die zweite Klasse ist anders geartet. Es sind Erfindungen, 
derrn l-ilieher kaum genannt werden können, weil ei>t die 
aufgespeicherte Arbeit Vieler die Voraussetzungen ge- 
schaffen hat, die im Wege unzähliger Annäherungen zum 
Ziele führten, Eine Erfindung der zweiten \rt ist beispiels- 
weise das moderne Zweirad, eine Kollektiv- und An- 
näheningserfindnng, die sozusagen ans einer E^tte von 
Verbesserungen besteht und in den verschiedensten Tseh- 
niken schrittweise ihre Voranssetzungen erlebte. 

Das Problem des Ehrenschutzes gehört nun offenbar 
zu j Glien, welche in eine Summe von Teilaufgaben zer- 
taüen, Teilaufgaban« die einander vielleicht sogar wider- 



7 



sprechen und selbst nur Annähenin^slÖsiingfeli vertragen. 
Man darf daher nicht, wie es gewölmlicli geschieht, 
die Antwort mit Gewalt eizwingeii woIIpti, etwa, indem 
man seinen persönlichen Ges<'bmack autspielt, oder ein 
allgemeines Prinzip mit größerer oder genngorer Leiden- 
sehaft in die Wagschala schleadert. Man hat vielmehr die 
ganze Konstellation zu erforaohen und die ver- 
schiedenen Er&fte nadiznweiaen ) die sich gegenseitig 
stützen oder reiben. 

Die Gleichung hat mehrere Unbekannte. Zunftchst 
ist die soziale Yon der psychologischen Antagonie loszn- 
Msen. Anf der einen Seite handelt es sich um einen Kampf 
zweier ständischer Auffassungen, nämlich der ritterlichen 
und zivilen Persönlichkeit; auf der andern Seite um den 
Kampf der Individualpersönlichkeit mit der Rechtsstaats- 
ordftung. Diese beiden Antagonien decken sich nicht, sie 
kreuzen sich nur mit einem kleinen Teil ihres Uii^funges. 
Kriegerische Wejtuiur uiid individualistische Rache — das 
sind die beiden iStülzen des Duells in der heuti^'en Ge- 
sellschaft; aus zwei entgegengesetzten Welten stammend, 
aber allerdings sich gern kombinierend und durchdringend« 

Das Duell als militärische Einrichtung beruht auf 
der Hochwertnng des kriegerischen Spieles und ist aueh 
hitstorisch aas dem scherzhaften Turniere hervorgegangen. 
Es ist ganz natürlich, dafi der Offizier den Euiipf um 
die Bhre in seiner Berafsform austrägt. Der Offizier, 
sofern er mit seinem Beruf nicht zerfallen ist, muß den 
persönlichen, physischen Kampf für den selbstverständ- 
lichen Ausdruck der Persönlichkeit halten, da die Aner- 
kennung einer andern Waffe den Grundtrieb seines 
Berufes negiei*te. Nicht, weil seine Ehre eine empfindlichere 
ist, sondern weil infolge der Spezialität seiner Ehre der 
Depren wesentlich zum Ausdrurk seiner Persönlichkeit 
gehört, ist der Offizier an das Duell gebunden. Müssen 
ja auch kriegi^rende Staaten den Begriff der Waffenehre 
krampfhaft steigern, weil sie einmal an die Waffen appelliert 
haben und ein Widerspruch darin läge, das Werkzeug der 
Ultima Batio nicht zu glorifizieren. 



L 



. y 1. ^ . y Google 



fJ^öi-öhrer, welche an ^iesöm Institut liängöÄ, um ' feich dem 
w'atntlirhelQ Richter zu entziehen.' Für Me 'ist ^däs Duell ein 
"^Mittel, den Instinkten fielen Lauf zu laFsen und sie* w 
Eingriffen einer kaltblütigen Zivilisation schützen, 
^'kber i^ie verschieden sind nun wieder die Gründe, aus 
•'dönen das Duell gefordert und aus dönen es Verfolgt wird! 

^.»^»'^'''"''Was bekämpft der Staät im Dnell? Man ist 
darüber einig, daß das geschützte ftechtsgüt nicht das 
^ H^ben,^ sondern die Sittlichk^t bei. fiö igt' Ski 'Spiel 
"^tinis Leben, das vön (Jen Dnellgegnörii^ verdammt Wfijd. 
^'5&t "idlies aber auch der währe BeatitptritingsgrnnÖ föi- 'flie 
" staatliche öesetzgebüng, soWöit ii'e sich ,im Strafgesetz 
'^'bffenbart ? Mißtrauen iät hier' atii Platze. Ö^i" Instiüjtt 
'"-anseres Sttafgösetzes Ist ein anderer, pfesea' erifat^ 
®'gebejn ups die BestimTiiüHgyn tlbefr die Notwehr '^6^^ 
•' Anhaltspunkte. Der Staat en twaffn 6t .die BOrgfir. 
^JWenn er dann als Militäistaat iiiit sich ^älbgr i^ 'Wirf^^^ 
■'l^ruch gerät, 8ö offenbart sich dann ntif 'seiä^'i hö]!iere 
'^Konsequenz. Weit entfernt davon, sich' feelli^ itiö Gösiicht 
•'^ti'^chla^en, föhrt er nitit seinen leiteriäen Gedanken aus, 
^%en den Gedanken det liti'gleichen Bewa'ffnting der 
"Stände, des ungleichen Selbstgefühls, das txi erziehen jer 
•'sich vorgenommen haltr. "Nicht um Sittlichkeit ilnd' tJb- 
"^ttlichltOTt handelt es si(ih' ihm, sondern um das Vorrecht 
' äßv Selbstbestimmulig, um das TorriBcht der Waffe, Uin 
"We'tentwindiing des Degens.*) Wenn' |'4W' 'praktisch' ^ 
"'Konflikt zwischen dem StrafgesÖtj^' trni' (Jer .militärischen 
' Voi^schrift in Erscheinung tritt, öö nittiiöt'' 'drelö^-ebtett dßr 
^•Staat in äeh 'Tauf, da die Fofm de^ lyonMteb die ^^imge 
^iöt, in der die Ungleichheit aufrechterhalten 'werden kann. 
"•'Besitzt man doch das glückliche Korrektiv det Begnadi- 
^'gunö^^ durch die dem zwiespältigen Zustand däs Geföbr- 

*) Vor^fiUflta irohl äber um das Monopol des ilhr^nschutz^. 

^ Pcr Staat stuft im Zweikampf ebenso jjn der ErpressuBg 

mittelbar die Verletzunsf von Rechtsgütern — unmittelbar, daß sie 
durch Selbsthilfe geschieht-'- ' "''-^^^ "'•-! '^''Anm. d. ' Menrtisgebers.-^ 



fli ßwjÄis|,'! äfich''a»ö8^^i^öft riöii pi?Hfist»Äti ^GeMdJrtfrßrffAt 
■fetiärt« ''sifch'''«ö FoHö^^^ )m däfr 'büöll be9trafen<t6!i 
-0^y^z^''dfzuh^beti: efwe^ä* sieb Aeu^^dlngr, dA* Öais 
fiyA'el) • prinzipiell fteigegebön tv^rden mtiß, feoU eö effektiv 

eil) J^^Dit^^Militarstaat hM^f 

schickte Politik, indem ef' idaMdüklistiscbÄ ÄteulWttte 

'^?^'4ckiÄ'"äiyöyi)i^ön id'ßt, 'mi'cw'i a^/V^^'*itiSöiltik ap- • 

tör4iirT)air äb^i^V^in Wyiduälistfä^ölia GtÜii^S'beste'Üö^, 
;*feani'MMk^Vfiia^^^^ 

eib riotl!Pl^'l^W4)?^!istisohß I(}ee dös Duells bestebt darjn, 
^j4a&,,f?^n'^'ür,[^eVi3^^, ^pd A^ßeriingen mit 

..^^99(62;, g^pjiepj Bxi9te,i?;5 d^Pj^^^M. ^flW Per^Qi[ilichkeit 
eWW^^^^-^m^i\i^^^ß''^^if ^\^m r^]^M^^8M ^eyae^^ Lebens 

i\^j):hÄ9r)^op,^^\e,.,n^^^ alf,„pfti^r„, Wehrte und 

iSßtS? ^t^^i^P^.^MHfl^Pftfß!^ ^eiaeß ganzen 

^3j5poenSv we|Ji.Äftg aÜi^f^jP^angreich, inhaUsscbwex, relevapt 
,,ipf^.,jiua jedie I^^o^psäuiieruDg, flber den Bereich des 
c,]iiigettblickB nnd 4öv X«aun^, hipausgreift. Bs ist leine enopm 

jgf^teigertQ ,Piet»t^ ^ie in einer solchen VeraatworÜichk^it 
A,usdjjuck kommt, >^'me Pietät, die etwas Erhabenes 
.,J|^t,,,^^ber, schlechterdings unnjodera ist, in einer Zeit, wo 

4f^7lp4ivifduuTB wieder auf seine -„tausend Seelea" fitolz 
jist« Nicht die Oenugtuung, die pinep'schuldfit, sondern 
jjdie Wichtigkeit, die fr sich selbst ^beilegt, i^t der leitende 
^fi^^anke. Da,rjwn^^^ij^jii^^ ^re^M» ^S9jr^ch1i,,^^id 

(I ip[e^,,BeW/«i8 Mutes dnrcli das .Diif^ll ist nicht 
g^inms^ .^iflr^, ^undäres. Es gehOrlj .schon viel Feigheit 

dazu, um auf diesen Gesichtspunkt überhaupt zu v^r- 
, f^^^lpn. ; Mut w^(^/ vo^ausgöseUt;, /Die. fEhrlps jgkeit des Duell- 

verweigevers liegt nicht in d^r Feigheit, sondern in der 
jj^leichgiltigkeit , gegeu seine eigenen Gesinnungen,, . die 



Digitizei. i v.oügle 



4 



— 10 — 

als zu unwürdig erscheineo, um mit dem Degfen verteidig 
zu werden. Liesft ja auch im Aoiwuif der Lüge nach 
ritterlicher Auilassniie das Beleidigende nicht etwa in 
der imputierten Verletzung einer religiösen Wahrheits- 
pflichtt Bondern einzig und allein in der darin einif«^ 
sehloasen^D Zamntang der Abhängigkeit, also in dm 
Angriff auf unseie Souveränität. In der Diplomatie b«i- 
apielsweise, wa dieser Verdaoht nieht miti^ielt, ist die 
Lüge eine anerkannte Tugend. 

Um die Komplikation voll zu machen, tritt in 
dieses Wirrsal noch ein anbewußtes HotiT dn, 

nämlich die Sehnsucht nach einem Korrektiv sieges- 

" ~ 

trunkener sozialer Ubermacht. Wir leben in einem Zeit- 
alter fortschreitender politischer Freiheit, aber gleichzeitig 
sich verdichtender sozialer Abliärigi^^keiten. Durch die 
Notwendigkeit, sein Leben irgendwie als Carri^re zu 
konstruieren, gerät der moderne Mensch in ein unüber- 
sehbares Netz von Rücksichten und Zwangsanstalten, die 
jeden seiner Schritte zur Kesultante von lauter Not- 
wendigkeiten machen. Immer bedenklicher verstärkt sich 
das Oewicht der wirtschaftlichen Bücksichten, immer 
Tollkommener setzen sich Verstellung, Unterdrückung der 
^latüriichen Affekte durch. Der DraA der Tielseitigeii 
Abhängigkeit ist so stark angewachsen, dafi sdbst die 
Bechtsdurchsetzung illusorisch wird. Der formale Ansumcli, 
beruhe er nun auf dem Straf- oder Zivilrecht, wird 
vernachläßigt; denn die Ausübung und Durchsetzung der 
Kechte- steht nur demjenigen zu, dessen Macht von vorn- 
herein gröUer ist. Wo bereits das Übergewicht feststeht, 
dort kann es durch Verträge gestei<:eit werden ; dagegen 
sind Verträge für die wirtschaftlich Sciiwachen ohne 
Wert. In diesem entsetzlichen Druck des schweigenden 
Duldens liegt der Grund unserer Nervosität. Dae 
Abreagieren Terschwindet aas der Ökonomie unseres 
Gemüts. 

Da ist denn die Aussicht und Möglichkeit eines 
Duells immerhin eine Beruhigung für den entaenrteii 
Staatebürger. Soweit es sich um die landesübUchen 



. ijui.uu Ly Google j 



— 11 — 

Ehrenbeleidignngen bandelt, kann duroh eioe nachdrüeUicba 
Strafverfolgung eine Anflörang der SiwoniiDg bis zu einem 
gjawiifleB Grade erzielt werden, ond insofern int der EalklU 
richtig, dafi dnreb eine Beform der foexftgUehen Oeaetse 
eine YermiDdeniDg derDaelle berbeigeftthrt werden kann* 
Bei aooetigen Eingriffen in die PerfiOnliehkeit — wie 
beispielsweise in die Sexualsphäre — kann die noch so 
energische Intervention eines Dritten keine wahre Ge- 
nugtuung schaffen. Daher komint es, daß g^erade die 
unritterlichste Zeit an diesem Erbstück ruit einer gewissen 
Zähii^keit festhält. Das Duell ist liier ein psychologisches 
Hilfsmittel, in dem Sinn, wie man ge??agt hat, der 
Gedanke an den Selbstmord sei ein Trost, mit dem 
man über manche bOse Nacht hinwegkomme. 

Indem wir zu unserem Gleichnis zurückkehren, 
wiederholen wir die Meinung, dafi die Lösung dieses 
Problems mur durch einen konzentrischen Angriff 
Ton mehreren Seiten herbeigelflhrt werden faunn: Zar 
KIftmng und OemasUerang ist Tor allem der Konflikt 
«wischen Oesets und Oesellschaft aufzubeben und das 
Duell piinzipiell freizugeben. Durch diesen Schachzug, 
der der Aristokratie scheinbar entpfeß^enkommt, wird es 
in Wahihoit seinen aristokiatisch-militärischen Charakter 
einbülleii und anf seine individualistischen Motive 
ziirOcksiuken. Durch eine strent^ere Vei fols^ung der vulgären 
Eiirenbeleidigun^^ kann das GeiDüt einigermaßen entlastet 
werden, bei tieferen Eingriffen in die Persönlichkeit, wie 
beispielsweise beim Ehebrach, wird man die Entscheidong 
dM Betroffenen überlassen mflssen und es inawischen 
der philosophischen Erleuchtung überantworten, aeoa 
Konyentionen und Omndanschanungen Toraubereiten. Eine 
Terfsinerte gesellschaftliche Kritik, gesteigerter Gmchtig- 
keitssinn und BCickkehr zum natftrlichen Empfinden 
werden gleichfalls die Spannung entlasten. Aber die ker^ 
yorragendste Aufgabe fällt einer höheren Sozialpolitik zu, 
welche neue Gegengewichte schafft und die Nerven ent- 
lastet. Wer gedenkt da nicht jener herrlichen Stelle in 
der Orestie, wo endlich dem Schlachteu eiu Ziel gesetzt. 



. y 1. ^ . y Google 



Sticheldralit*^ ^^öer tlbersi>itzten Otdmin^ tersehiiöid^t,''^ 
die fodht^r des öemütös tum ' Sieg^^'ftthrt' tiM'^'riW^ 
hfliwre Freiheit erfindet/. * "'l^^W^Vi^Q/i'i?^^*''*"* 

inoh Jiin J^('iT üio i'<>^fu'H]i<iii'ib n^^U i v. >i n j: 1> r> 

sd^teki <Er n folid! Atlb<'i^Mhrfc<'aeiiS)B^ nUmÜ^s 

wiä^ einmal volh genug ig^issen, auf dl^ Neigen, die' noch vbiA 
den anderen darin waren. Ihrer Aller 'Herrschbe^ier, fhre Glicht, ' 
cihen anff die P^obe zu stellen, die Rnhelosigkeif ihrer Empfind' 
dangsart urtd ihre Unfähigkeit; uns Freund zu sdn: ihm deuchft^,*^ 
er habe von altedcm, um die Mitte d^r Vierzig, züwt'^SitrWff;^ 
gtntig. Er erinnertfc sich eines einsamen Hauses an^'W^g^^tikcfh^ 
Südtn i wcHÖ stand ' es vor tidtm Wald ; • ^dort* ließ si^h rrülto-// 
eiy««i<A»e hhil Nöcll' NÄ<lhtsf 'pö<ekte^ ei» ^WJ SdilöÖ i^r Öffe- ILiä^^;'^ 
itttMt'Jdii'flAus^darihi iVo^iJiytö häftt^^lk^dftesftMit^^' ^^Wtt^ 
WM» i»fMi«ll«Ntftttiu^ nl^' <Miftl<>4M iiM(> 

killfl£[etfMir *'('-.«f.)Xf«>/ m)^M\iH\ii ' \^ i '^^ hnts tmtoUit^inoH 

LeöMhitiidiil^Htf'-'bÄrhSäpfi?, ließ dfe 2\3i^cige ihre tthrmä^ W' 
scihem Gesicht abstreifen, legte sich in Bäche, sriß Uri^t^ 
regüngslois^ auf einem Baumsttimpf, und nichts wär iü hören fn^^, 
difflser Sd^tftentie^> ^düy ' lAut des' 'Von Heben ftbgehipiteft Oi-ases. " 



* 



i^iyui^ud by Google 



berühren '"köferterf. Nun ; hob os serne -gTOßen, schwar?:s!t:htigen • 
Augen :attf^ ihn, gmz un vissendv ' -iit^ einer HaKung, ^ ie wenn esi? 
fi>äre:fJ ^1 iindriuf diHnii i)egnfl tind* tat, ui« zu fliehen, ölt»h/ 
Rtifcki' als risse »isicii los"/ v T'iMiraäbiich gewöhnten' sie sich- am*^ 
seme sHMr fV>fm ; und ihiiT war, vänn'Si^' um ihYl her die sanften' 
Hälse iw^iui^ten^ wie isei W^sen,! dieser bdiiülete' iind- dte üim » 

Den Winter erwartete er unschlüssig in seinem Swriier^v 
alnioätd tni^ ^ w s^ibflUrrfraclittMi. EMrdiacS^ICiäite, die 

sMottbdidiiiilSMMni^^Misaliläii iufy MMüi» dmrte^fi 

Mtt^^r ^«n ^n^iribhlAi' Fehstet'ni diis '^f^^'l4ä^tMd>^'^l^'>*^iitMS 

Sturiiischlägen. Nur unvt'irttfehe Straßen führten in die ^htBefl**^ 
lifehef WelL Leonhardi begiückte eSj-^dafl er sie entbehren Sföniiie.'' 
&^ staunt^f ^ü'er^^ttieht^frtihef gemerkt habe, Landschaften und'^ 
Böefferf''erstft£t^"'<t!e Menschen:;' 'ScHaW 'tind' Orauen berührten'?? 
ihn' bef -dem Oedanlcen, er h^tte immei^ weiter, un^ab^^'hliar" weiter ' 
Alles was sein war, an das Lächefln^ und' die 'Launen von f ratien^l 
g^hgt/^^itf'dte^^eltööen- Dlliiejiidiöiilfl iHWn-^pf^'n ^«^c^ahen. 
Bt'^fa'ltöfSfdf^äU^ g:t^rn(jnbtidmi% gtkdg^ftV^blflte^ti rnid^wkt^^ 

. g«MKi.rfik taiiiii(ltt«iOliMiaterMll'gtfifl^in^ ^iti:ßb ,ttB ^te 
MiltBiMßMdmttcfitieltrh) ^t^^rt^^ättefTsdi^ifrbf SüliHtiP)! 

Er lernte' 4anÄCh^n,: lhri Jemandeffl-hMtjüÄChütten, sich iiiiiziiJ-3 
t^fei, ^dfe'^icheriicit ünd' ^^sheiti d4e geklärte Menschlldikeit,'! • 
alftfrf S^en dit^t fttnt f&hm Ux^ ^efn ArtdereS'^iU' übertias^en, nicht r 
eigensüchtig und nnnöti einst^zu endetli Ein^'Kind ersehnte er* ' " 
'Vo!l* fahrenden Leuten' nahm "ör- ein» »n, ein siebenjähriges ^ 
Mädeiien/ schwa^zlockig und feinkhöcWg/' mlt^ Augen/ ' die' • diit''^' 
Hwigfcr ^h4<mifüit}g «umrändert hitte. Die Kleine wtfßlc titir vön ' 
HUK^^ tkndf Stht^enf vüfi dift 'KnrlfetT^ wtmüt miatf ^hlägen^ 
etl^tH tmd.sm^lltmj^ftsMi^m eiigalttenK.'^ i^ecMliaia^i lehrt&^fe:^ 

Digui^ i.y Google 



mcMiien der Natur dnen acbvachen, spfeteriadicn WideilHül in 
ihr zu bewirken. Sie dffnete weit die Augen und tchmi^Kte sich 
tn jlm. Er war glficklidi. Als er sie betroffen liatte, wie sie jungen 

Vögeln die Hälse umdrehte, weinte sie vor Reue, bis ihm bange 
ward. Kurz darauf sah er sie ein Kätzchen quälen. Sie lächelte 
dabei naschhaft. Wie er dann hervortrat, trug sie plötzhch eine 
innig versunkene Miene und druckte sich das Tier gegen die 
Wange. Vor Beslürzung schwieg er ; auch vor Scham und beinahe 
vor furcht. 

Er lobte sie für ihre Freundschaft zu der kleinen Idiotin, 
die in der Küche diente. Überall kamen sie ilun zusammen 
entgegen; und Vinella hielt die Andere umschlungen, als wäre sie 
ihr sonst entianlen, und kfißte ihr das Gesicht, das iene offenbar 
gern versteckt bitte. Leonhaid Imd sie einmal, wie sie auf ihre 
Hände weinte, und sah die Fuigerspttaen alle verlmmit Sie wolUe 
nidit sagen, wie es gesdiehen sei. Da gewahrte sie Viodla und 
lief davon. Unruhig befragte Leonhard VindfaL Sie antwortete 
sicher. Sie hatte einen kleinen entschiedenen, nachsichtigen Ton 
und ein Lächeln, als sagte sie: »Ich weiß, was du denkst«. 
Er fühlte sich betreten und maclitlos. 

Selten bat sie, und nur um Dinge, die er sicher bewilligte 
und an denen ihr nichts lag. Die anderen nahm sie heirnhch. Auf 
weiten Umwegen erreichte sie die Erfüllung von Wünschen, die 
sie nur faßte, weil sie den seinen entgegien waren. Nie 
verschmähte sie Ausflüchte, führten sie nur von dem Spazier- 
wege fort, den er sich vorgenommen hatte. Verschwörungen zettelte 
sie an, damit ein von ihm bestelltes Gericht nicht auf den Tisch 
komme Und er mochte erschrecken, er mochte sich fragen, was 
er tue: ihr Streich machte ihm grftBeres Veignfigen, als wenn sie 
ihm folgte. Ihre Schlauheit; ihre Lügen um der Kunst des 
Huschens willen, unterhielten ihn. Wenn sie ümi am Halse hing, 
wußte er dennoch, daß er ihren Liebkosungen glauben dürfe; und 
daß sie ihn ehrlich hasse, kam er ihr irgendwo in die Quere. 
Schon war er ganz in dies Wesen eingesponnen, das versteckt 
und doch wahr, und das unschuldig in der Tücke war. Je mehr 
sie heranwuchs, desto deutlicher erinnerte sie ihn an lauter schon 
Erlittenes. Bei ihr schien Alles runder, entschiedener; er ließ in 
ihr noch einmal etwas über sich ergehen wie eine Zusammen- 



— 15 — 

fa^ung aller Anderen; und er erlebte sie ein wenig aus der ferne, 
mit einem nachprüfenden Lächeln. 

Er entschuldigte sich: »War es etwas Anderes als Selbstsucht, 
da ich sie ztt meinen seelischen Neigungen drängen, sie meiner 
Penönlfdikdt unterjochen wollte? Vielleicht hatte eher sie das 

Recht, weil sie vollsandiger und stftrker ist als ich? Wirklich 
gehört ihr in meinem Leben ein gewisser Platz; und ich bin nicht 

sicher, daß ich einen in ihrem habe. Erziehung? Was für einen 
Scliwäriiier damals die Einsamkeit aus mir gemacht haben muß! 
Ich hätte also eine Tigerin zum Droschkengaui zähmen sollen?« 

Noch immer, obwohl sie nun groß war, übernachtete sie 
oft hn Walde. In ihren fUttemden seidenen Kleidern setzte sie 
Tieren nach und kletterte auf ^ume. Ihr Zimmer war kokett 
möbliert; und Spuren waren auf den weißen Fellen, dem weifien 
Lack, wie von Tieren, die sich gewftlzt hltten. Wodienlang mochte 
sie nur Haselnüsse und Beeren ; plötzlich kamen ihrem Gaumen 
die schwierigsten OelQste, und das Haus roch frfih und spftt nach 
Festen. Vinelia hockte sich beim Essen auf Leonhards Kniee; 
schob ihm Bissen m den Mund, den sie küijte, wahrend er kaute; 
gab ihm den schwarzen Wein zu trmken, in den sie kindlich ihre 
rote Zunge getaucht hatte; fächelte ihn mit ihrem pariCimierten 
Fächer, tüs er einschüef. 

Erwachte er und sah sie nkfat mehr, ward ihm beklommen 
und leer zn Sinn. Kein Buch enctzte Ihre Gegenwart Er rief 
nach ihr, unter dem Vorwand von Gesehen ken. Um sie fünf 

Minuten länger bei sich zurückzuhalten, tat er, was er nie getan 
hätte. Er entließ, weil ihre Laune es wollte, seinen alten Diener. 
Er schoß auf die Rehe, die einst nahe um ihu her, wie in seiner 
Hut, geweidet hatten. Das Geld, das er seinen Netten schicken 
wollte, verlangte sie für «ich, und er gab ihr's. Sie hatte nie um 
Kostbarkeiten gebeten, außer um glitzernde. Es war ihr gleich, 
wem das Haus gehören sollte, durch das sie wie ein Windstoß 
du nnd ausflog. Nur er und seine Sethstachtung, ftthtte er, galten 
Ihr als Beute. Feige, sah er, hatte sie ihn gemacht, wie Jemals 
eine ihn feige gemacht hatte. Er hMete sich damit, daß er's sein 
woHe. »Warum war Ich ehedem andcfs? Weit es au mehiem OMck 
diente. Ziel ist immer nur das Olfldc.« 



. ijui. u i.y Google 



— aß — 



.^m^l lyb (in: dieser iHerbstnaieftt scWitf ear^fnhdU. i Die Fenster 
klirrten im Sturm. Fahrende LMtjWärm bettiber^ageweaeiL iNoch 
.soät da? Tor |;egang;en, Was tat jetzt si^? iWar sie ira, Walde? 
liim^k sich im' 2:impier'^en zerlumpten Burschen' mit d^ 
^ae, aen Handrucken a|if dir Hüfte, geplaudert, hatte? Leonh^ifd 

ri 
J 

I^^ges .wird sie nicht zurückkonjmen; und dann, was dann?« Liener 
\ l^9di - . , /öl(cltj ;i|tci^_ ^^fu^, hatte er gewollt, der Bursche 
wäre ii^ ihrem Limmer und slie zu Haus. Aber als er dies zu Ende 
^'iedaciit hätte, spräng er auf, le-gt^ zitternd 'Kreider an, ilahm den 
^ieAer. Die Tür flog zu, das Licht verlö^h "^i- tastete sich dber 
^^ajjfVelteh, Wänlc^rideh 'Dielen bis an ihr^2htfmtf/' hortete,' spähte 
"OTfctis Schlüsselloch iihd 'sah drinnen (t^ Mondfic^rt isicli^ätif den 
DckletiHirerfen und wieder aufspringen, gleich dmeni *Ö^^nst, däs 





^i&idl' untergehender' Schiffe:'' HtinÄert'''feff^ IL^äiÄ-'^Tfcdk'to 

'mien-^iiütiifert. &ie tuft hMk^'eMrii' mmö^'uM'tM Mhi 

""mmdem mif^h m gcHre?eh 'äÜ.' Lebhh^Hi''s^lii^-;dW^^a^^ 
Vinella, schrie ihn, unerlösbar, in den Sturrri. Als fei- ^fch Wleder- 
nfandy :s2)8 er aüf idnem iBatimsiumpf» ctarrte iwitr iitm iich und 
i merkie am Ende, daß er erwartet habe, ibio würden- Röhe: aitseben. 
]r.ii\ t)i£ri:ikährte Aira und betraf «ich d^d, da&' er betfcter «taut 
nbetete,inoeh »einmal möchte sie wied erkomm esj ; «Dann bisse krh 
.isie nicht mehr. Ich führe sie in die Welt Sie .'SoUirden Reichtum 
1 kennen iemen. Er wird sie fesseliL Sie, wird l)egtci£eQ, . ttas \säe 
naiL mir hart, ^ie wird mich lieben;» riM^'n.l t^fj^w;» ,ni\\ 

mu 'S Im Hause wehten ^H« Türen bin und ber; e&/war gaoz 
^ri^Un^tobt. Er^hlaß,:k«iiie, auch die seines Zimmers ni(;bt» inid 
a«üiidete Lichter an, so viele da ^aren. Und in^ihrem Scb«in 
(tstarid dort im Spiegel zum ersten Mal fin,Mtej;l U»n\\9f^ 
^lachauderiid auf ihn zvk, dem weißes Haar wirriumirda^ gi^ötfte 
riOesicht hingiiiiEru bückte ihm irh die iwUden Augfn,j^i ?jE4JÄ greiser 
>i)Ä'.ü3tling?i«,. dach tejeHo /J* leb babe »iqbt igewuß^»/wif^ima» da%;W>fd. 
Ich hatte von mir em ganz .anderes :B)ldr Wie die^.Ntnieti ^hren 



«HSinti äHÖÄ-n;'wcmi Uns selbst meinen, ' trrtltf die iHnge/'^Älld 
'tffi^^s^f^kfth !* l^ch eben, erinnerte' et !f^te'S#* gehö!ft, 
'^'^si^^erde ihn um seinen Reiehtum 'M^b^h.' »Ist das scWmi^ÜichJ 
^ 'Es kommt so sehr von selbst« ' tr 'Wedadhte auch: »Ntiü ich 
"'^fcdtt' hm, Sf^lt sfch^ 'heraus, däfi fch -alf bin/'^ Hin»^ Ü&ii 

*->i«äiteV^^tf1n'^ Sfmße%^feeril"•*Äb^^lf*«^fch'^Wa*'^Ift^W^^'mr 

Srinlicher. Außer den bitteren BetTi^/' dfe ^R' ^Frauen 
^lltieit; ^(^hien keiner mir trinkbar. Und wenn diesei^ d'd- fefAe 
"'%Ste'! Vinella'«" i*^'"' «'»^wdiA n^if-jffttnrti« 
iwrfoRtf.. 5^^Q„ merkte er nicht mehr, daß' eKTAiit'^^rnfe^n hatte ; ^ 
"'iitld''Wfe er äii'das Tischchen beim Fenster trat und das Glas mit 
' kn dfetl iWürfd höb, tWcH die Oärdfne iluröcii^- tbr Vinelfa. 

^'thf «rlachsf clrf?ges Läcton 'bfedeüttt^ \m, ' ^e'hm, -^Ms ' Alfes kr 
• '^e#?etÄiH''ti?id gedacht"häbe: Erredkte diVÄritH^' äÜ^'^'^lVttfifJl^* 

-l!F%cl»bB;'b^"»il^«'dilM 69«P¥taäi»«tton.t|>t3en/^e 

•'Duhi^jf war er Versicheit/Viheila 'hälie. 'ätti? dei* Oälflfti#-''het^br, 
^Sein Olas ein Pulver fallen lassen, und ef sterbe an dem Träilfk. 
""^Ji^der Schluck brannte fhtü Imgeheure Wonnen ins Fleisch r^Öei 
^^öhn letzten stürzte er. Noch Sah er sie erschreckt sein; m Körper 
^ausweichen. Er sah noch, wie sie, im Begriff zn entfliehen, ihre 
^feroßeil Aligert über ihn Hinschickte, garti'ütisdilirdig: und in dt*er 
^^^Ifuh^, als^6b ei ^i^*'fr6re/ * n-.:,u.„.o ^ wjx.ir.« 

! in.rii imt.wiiA rm'i.J tituuM t.i i-iij . i '. mimhi i.i ii .'1 
«""Urdeesnicht^laübeh, 

*^i^&>eicberi sein kaon. daß sie M äo vütii^ an jed^itt Taj^ aiif eWb s 



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18 



Mwnfi Sdmllm wiw Irnrnlt. Ich mflOlc WA w eifcU i, «M idi mm 
dm Iidtilte der mditei Brieft, die ich empluigt, anf die sdtüffni Qna* 
IHita mdaer Lner idilleBeti dürfte. Ich sage mir Immer, dtB et 

exzeptionelle Menschen sind, die sich hinsetzen, um midi ent w cdei 

mit ihren uninteressanten Beschwerden anzuöden oder mir mit ihren 
peinigenden Ratschlägen und schwachsinnigen Belehiur.gen zu imponieren. 
Tatmenschen, die sich von der Mengte ruhiger Durchschnittsleser, die 
mit meiner Indolenz und llnverbesserlichkeit sich abgefunden haben, 
unterscheiden wollen. Da ist der schreckliche Herr mit der kribbeligen 

m 

Sdirift, die ich seit sieben Jahren jede Woche dnmal nicht entziffern 
kann und aus der ich nttr tuf dnen unbeugsamen Charakter zu schließen 
imdtade bfak Idi habe, wenn idi alle tehn Tage im Halbachlaf mdoe 
Zfflimr CT tftffw ^yfc w BMf , den ^^nbf i t ifliwlTO Eindmdcy i l aft der Maso 
bald ermonfenid, bald tadelnd meine Sitten tud die InSere Form rndncr 
achrifaicfaen Arbdtea beurteilt Bald preist er midi - eolIBt mich man- 
dici Iftfrlifhf Wort erraten ^ In allen Tönen, wenn kh dnem ittditchen 
Reporter dnt am Zeug gefUdrt habe, bdd aehreckt midi wfltter antiaemiti- 
scher Schimpf auf, weil ich es »bezeichnenderweise« unterlassen hal>e, den 
Pohzeioffizier, der die berittene Wachmannschaft anf die deir.onstnerenden 
Arbeiter loslieii und der doch ein »Judenstämmling* sei, nameniiich an- 
zukeifen. Hafte ich die jV\öglichkeit, meinem treuesien Korrespondenten 
die Lektüre der , Fackel' zu entziehen, ich würde es tun. D?. ich's 
nicht kann, bitte und beschwöre ich ihn, endlich — vor dem achten 
Jahrgane! — das Schreiben von Karten und Kartenbriefen zu unter- 
lassen. Gräßlich sind anch die Kerle, die fon der Meinung anicdiea, 
daß Ich »Dmdcfditer« der ,Nenen Men Piene' hotridcre und eat* 
weder mir's tot werfen oder mir > Stoff« zn aoteher Betttigung Udcm. 
Einer acfareibt s. B.: »Wdt mdir wundert ea midi, daS Sie In der- 
adben Nummer das Wort ,Qrind' verwenden, reipektife, wenn Sie et 
nidit niedendirleben, ao dodi stdien Uefien, da beaaglea Wort ,Otend' 
geechrieben werden muß, was fedes Wörterbuch der nenen Redit- 
Schreibung bezeugen wird. Sie sehen, auch der .Fackel' kann etwas 
N. F. Preß lieh es passieren!« . . . Und für solche Leser schreibt man! 
Natürlich sind mir die WünNche cier »neuen RA'ciilschi ciininii.-' nichts weuigi^r 
als Befehle, tind natürlich ist üikuei richtiger als Greuel. Aber dali es 
Menschen gibt, die wirklich glauben, daß ich gegen die (^Kultur, 
Gesundheit, Wohlstand und Sprachschatz des Volks bedrohende) 
Journalistik dnen orthographischen Kampf führe, ist ein Sdhatmordmotiv. 
Mehr noch da der Immer wieder hervorbrediende Drang, der »Fackd' 



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- 1« - 



»etwas nachzuweisen € — der .Fackel', deren abenteuerliche formale Sorgfalt 
zuweilen die Vernichtung tansender bereits gedruckter Bogen nicht scheut, die 
ein bloß für den Heraus^^eber sichtbares Schönheitsfehlerchen enthalten. NX'as 
aber geht aohl in dem (lehirn des Lesers vor, der Antwort auf die 
Frage heischt: »Sehr geehrter Herr! Was ist das »Schwarze Buch', von 
dem in Nr. 195 geschrieben wird?« Ehe er sich's einfallen ließe, daß 
TieUeicht in den vorhergehenden Nummern, die er nicht gelesen hat, 
der Anfang einer Sache behandelt war, die in Nr. 195 atudritekUch »be- 
endet« wird, sctait er lieber Kotten und Milhaal einer Korreepoodemkarte 
olchi Und erwartet eine Antwort. Daa afnd mr swd Bci- 
ipiele, die mtde cwiiclien Tintenfaß nnd Sdncibpapier Uesen« Aber 
zehntanaend bewahrt «etai Afchiv. Sdiilze der Dnmndielt, die Idi an tadien 
bereit wire, wenn nidit ZeHmangd nnd die Furcht m tbmbigen Fingern 
immer wieder der Absicht widerrieten. Und was de allea haben, wissen 
oder lesen wollen ! Ich greife aufs Geratewohl in das volle Menschenleben des 
QueruJanlenlums: »Der ergebenst Gefertigte bittet um die Durchsicht des 
beiliegenden Briefentwurfs ni dem Zwecke^ um bei Anwendung der in 
diesem h'aHe geh-iihtenden Ausdrücke doch eine schirfere Strafe wegen Belei- 
digung zu vermeiden«. »Würden Sie sich bereit erklären, einen Artikel über 
einen ganz unfähigen Professor an der Wiener Handelsakademie in Ihre 
w. Zeitschriit attfottoehmcn ? Wenn ja, so bitte mir auf bdgef&gter Karte 
(Adicase poate teatante . . .) die Bedingungen anzngdien. Speziell 
ob ich den Namen der Lehrlcraft tnfOhren aoll oder mnfi, 
deagleiehen den m ei nen-Hochachbingifollein zeitweiliger Leaer«. 
»P. T. Oeefartcr Herr! &1anbe mir um Folgendes anznfiragen. Ich habe 
daa Unglück einen höheren Oertchtabeamten ala Verwandten an haben; 
derselbe hat eine 25jährige Tochter, welche von BaUnal an Ballaaal 
gefahren wird, ohne einen Bräutigam aufzutreiben; sie hat immer 
Kopiweh und ist so bissig wie ihre Eltern und die wollen sie also um 
jeden Preis anbriui^en. Da sie ihr Einkommen auf lauter Luxus vergeuden 
und noch mit Zahlungen dazu im Rückstand kommen, so sind sie auf 
mich verfallen — ich soll diesen biederen zärtlichen Verwandten durchaus 
den Oefallen erweisen, entweder geschwind zu krepieren oder närrisch zu 
werden damit sie alles zusammenpacken könnten (der Tochter eine Mitgift 
nnf dieae Weiae an betcbaüen.)Seit U Jahren alao dauert echon dieses Keaad* 
treiben aber sie werden Immer andringücher nnd rauben mir durch ihre 
niedertriichtigen VerieumdnngaUnate die Sympathien der Menachen. fan 
Anfug habe Ich gedacht, weil de alle zwd an macfaledenen Krankheiten 
[diifu. der Tod wird sie bald nIedermJUien habe die RipkUMluninde 



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i meh hml ^ mir #mi^ ***w*M und ttMmn . .. aU mh loh von «ll^n TTwattnrftm, 

h|4^^^..SchäUei beji igU.g^FiUert' Seit dieser Zeit hil)ejcft^i5^c!ipvi 

d^ß.jdiesie Lejile ia die Knbrik, der gefährlichen Vei wandten , ^e^^pr^lj 
Ich lese. Ihre Meuchen Fackel) und bitte mir in einem so\^h^n ^ti\y 
iil^l^ep. Antwqitßn eine Ancjeuiung ;?ukonimen zu lassen, weljcbem AdTf^ 
vQkalim, .ich Sache aaverirauen könt»t^ unter: ,Eiu wi;klicbcr.j 

Recl^sfrp^iud.* . Ich j. jn^ine^, , Hilfe, .du^ch diploiuatische Ratseh lägf^.jf„ 
Zft'i«ien «^r|Uj^Stpi5ÄW«f rieh *A«ßt«#Cn:Wi^:^«^ 

fH W M Mf**fc— Utt.jiadi Komotiott htelM tf , M wwbtBf r? i uff d ■ mMit 

frisQ^n,«' niicl^t scbadea köf pc. , Hj?r. ^akt änefi ,zu|n ep^^iji^, ^vieltfCiJf, 
Ma^eT meine Aufmetksamkieit auf .die »Vorgänge an der. Technik«;, 
dpjigt, gl^i^bt; ein anderer, daß icl^ mich für dije, Mienage eines Militär-^ 
iqvs^bdeohftuses / besonders interessieren werde, pa berühr),, es fast ^ 
al^i ^.^^l^hj^l^d^ . Abwechslung, daß. nur eifif. spfuelle,- Deutung d^^ 
QQ^tJ^^:^<5h^^ .Zfub^Jehr^ingß /^iig^tfm:.,^ <},... ,rti?,j,s^asat^eljft, .^t;^ 
^MW^flo^^^'jQPfitt^ ^° diesem Qediq^t? .pi^^ts andcTes al?,.^ F)ucl^. 

reich«, die durch einen Fall, auf den Kopf entstanden sein m.ußY,,/^pas. 
Sonntag habe ich weni^steits iminer einen Aiasaidek i»u Topf. AiJep ,dic^ 
Wei-kelUge bringen das öde Einerlei der ProviniblattpQletn.ik« Und 
blpk^ ^rg^dwo ein nationaler Schöps, so blökt die, gan?t^| Herds, , 
nach. Vp:^ ß^ft ,yoIkswehien' u'id , Volkswachten' scheint ein einzig j, 
^^^^ Ji^^^§ff^^^^ r?P%'*s^fl8 ^Swballensy^tjn; A^T Jjt^'„^ 



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r,l^t« schließltdiLr act^ .^AiffschiMttfi iiiTj^nd^, ^in ,4w9> r 
n eil» BemecliUDg der i t^Hndel ^ auf die (fciddistcri Art okommortiBrlS ndtxl. 
'4C#firlidi li^be ich den sozialdemokraf (sftiW Aö^sprtich Über die QeWa?rtlt, 
die sich Bismarck von ^assalle soufflieren ließ, festgenagelt', tut mir 
. leid; denn die deutschnation^le Presse lieut sich. Sie zitiert die .Fackel' 
lüNid > ist .roll' ij6b fuc .ol4cb. . Natüdicit^in der £a^n^>:»li>tr. Ifidiscfae 
^'Äckö> Kraus b^meVkt '- ^rfr ticWIgr«. We«*i iifc*' aliö' S^Hbtf^lBimä^ 

e:Vott idtfT' ^eheimnisvolM ¥erbjndung^ <zviie^m^ mk'. .1»d -^dkm^ Indien 

^abaref fortg:cs|?onnen. Der Schwachsinn \\i\t niii "ä^^ lhrti i^{g9tihn 
!'^Konsequenz an dem Glauben fest, daß ich der »Vater« der Gründung 
lif^i'iUnd SO bekomme ich noch immer zi| jes^,: Kraus wollte »jetjzt 
nirtim Artistentum einen Stein im Brett haben«,' »Kraits möchte auf d«s 
'"'Btettel« usw. Auf so tückische Art sucht die IHöStrierte S<;handpresse 

n Mmut^na^hM^mtA'iKsmiM h^iltÜt ^ inScfafifftlmd 

tiluittML 4m dit flitirrrrifir*iffh'iPiilxft*' innti IffiT»^*^"»- «EidHib inUitt* 

lIUUHltll I JM tJU IIJMJi|WI III 'JIJUW"!' ^HITTJÄJIT^ I JTUI "Tll/f II JUS III« n</T~ 

'>1^i(:UQMiideti «ilfalli^ Van ifiiMIIHi?«^ 8ii^'nnV>iäfs «EMfelti^n 

"^^^her öhtie'dies nicht 'ertiristht werden tind Vor* allem, Weil tiiertiä^d 
^"fir einem Bahkdirektor einen Einbrecher vermute Das Objekt irär 'bÄld 
ausgekundschaftet. Mit Kleinickeilen hatte er sich ja nie abge^^birfl, a!$o 
' mußte ^ 'diesmal wieder etwas GföÜes sei». Dazu brauchte er 
* H^tmWkih'HM'mä A«^^: etUdie Hof- tind Qtnäl^fkmiUl^, 
lidtnmhaifakiMtkaaM^iwm^ onlisii« 
rA?J»jW*|MnO?schäft «Ipft-jjn^^ui^öPflrie» ^irtM^r <A1^,^ 

^ 0^|ekt ausgei)|ündei^ .^ar, kajij- man an die Kasse. Da ereignete sich etwas 
"tynerwarletes! Der kassier stellte sich in den Weg und wehrte den fein- 
dringenden. Diese versuchten e^ mit ihm zuerst in Güte Und mit Vcrnuflft- 
ijffütidcn, i Et \ aber «ich nicht, Sie machten iiun die Unhalt- 



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Objekt in Ihrem Besitze sei; der Kaisier blieb trett. Dt flbcrmtnntc 
sie gerechter Zorn über solche Dummheit und sie warfen 
des Kassier efnfich tnr Tür hfntits. So kam dl« ganze Qesdiidite ta 
die ÖffentUdikeit and vor dte ordentlichen Ocricfate. Der Baukdirektor 
und seine Helfer vurden unter Anklage gestellt, aber nicht wegen Ein- 
bruchs, sondern weil dem die Kasse <;o treu behütenden Kassier beim 
Hinauswurf der Rock zerrissen wurde. Sie wurden zum Er- 
satz des Rockes ?erui teilt. Dcni führenden Blatte der Residenz aber war 
dieser Rechtsstreit Anlaß zu der Bemerkung, der Prozeß sei »für alle 
kBBlnliialidKii Krdae von groBem Interesse, wdl Uebei die wicbtige 
Vnffi, nach «eldien Onsndsitzen die Bilanz einer TextiUimift tnfni- 
flteUen lst| crdrtert nnd der ifciiteiUclien Judikatnr nnterworfen vorde«* 

.Deutsches Volksblatt', 
10. Februar, Seite 6: »Nun, 
unser Berichterstatter war auch bei 
der Aukuufi der AUzzi Zeller am 
Bahnhofe anwesend, aber irgend- 
welche Beschimpfungen dtt« 
selben hat er nicht gehdtt Es 
hatte aidt allerdings eine große 
Anzahl von Neu^^ierigen dortselbst 
angesammelt, die jedoch, ohne daß 
der Bezirkswachtnicisler Ullrich 
grotie Anstrengungen machen 
mußte, den Weg frei gaben. Daß 
es bei einer großen Menscbenan- 
samnilung nicht ganz lautlos zu- 
geht, ist ja begreiflich, doch Pfui- 
oder Schimpfworte wurden 
nicht gehört . . . Dieselben 
skandalösen Szenen — schreiben 
die Judenblitter — haben tidi 
andi in Kapellen bei der Anlnnft 
der Friederike Zeller ereignet Dni 
ist ebenfalls nicht wahr und, 
nebenbei bemerkt, war die hier 
angesammelte Menge überhaupt 
keine sehr große. Unser benchi- 
erstatter war flbrigens Zeuge eines 
VoifsUcs, der besser wie attet 
andere für das gute Herz der 
doftigen Bevdiketnng spricht . . .€ 

die Dentschen beld Tag werden! 

Bne bedenlsame Wendung in der Spficbcnfrsge: Der tobhecbiadte 

Dlrddor der Staatabahndirektfon in Pilsen, Herr TnMc, ist dnidi 

den Dentsdien Herrn Strzizdc ersetzt worden» 

Zeitgenoim, Anton Msnger starb, nnd die Übenden BUtter 

btiehten die nnvoatindUdie Knude von einer Widmung fir Huittoite- 



Dmmtf Kerl von 
(Deutsches Voksblatt', 10. Fe- 
bruar, Seite 1: ». . . So hat es 
ein typisches Judenblatt für not- 
wendig erachtet, die allerdings 
nichts veniger als schmei- 
chelhafte Behandlung» die sich 
die beiden ,Hcldmnen' des Mordes 
im Raxentale gefallen lassen mußten, 
als eine den Humanität?grundsätzen 
unserer Zeit geradezu hohnspre- 
chende Grausamkeit liinzustellen. 
Auch wir sind der Meinung, 
daß sich diese Szenen hitten 
▼ermeiden lassen können, 
aber daß man sich über die , Unbill', 
welche den beiden raffinierten 
Mörderinnen angeblich widerfuhr, 
entrüstet, wäiiiend man die bäuer- 
liche Bevölkerung, welche sich in 
den Straßen von Minzuschlag 
dringte, nicht um gendncr Neu- 
gier zu fröhnen, sondern ihrem 
Abscheu über das vergangfene 
Verbrechen Ausdruck zu i^ebcn, 
beschimptt, das ist t^ne so verkehrte 
AnffMSung der ganzen Sachlage, 
wie sie sich eben nur aus der Art, 
wie das Judentum tu urteilen pflegt, 
erküren läßt.« 

Mtlifar. Nun wird's ttr 



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— 88 — 



dost 8riiilllu€. idi vMiKi iliB et tkli Iritf m etat M^ti 
UnNkrelbM^ te «iluai Awdradti lunMt Mmpr Int fcrtiflgt, 
ditt »MrtlitHgMw SdvlflHi fokct «ttdoa. Dtt Oeitadd bringt ilia 
sfeht dmal to viel M»t cmd Plettt Ml« dtt Tcitanttt ta seinen Wnft- 

iMt in veröffentlichen! 

Prager Leaer. Glauben Sie denn, daß mein Pracker die 
journalistischen Schmeißfliegen der ganzen Monarchie berücksiciitigeo 
kann? Die mir ftbcttindte »Ploderei« des ,Prager TagbUtts' fiber das 
rrotw o f cnthcaia des Vltteabftner'aclicB Stfl^ Intematert nldi wiiUldi 
nicht. Auch nicht, da6 das Schmdckcben, weichet unter dem Namen 
>Bob« auf der Kleinseite steht und die Literatur verunreinigt, über die 
Fakultätsgönnenschaften sich wie folgt ausläßt: »Wenn ich nicht irre, 
ist etwas ähnliches vor Jahren in d^r .Fackel' gestanden, aber das war 
ebensowenig ernst zu nehmen wie die Rede des Professors Prutz — 
Sentitioniniacherd hier wie dort«. Nur eine kleine Probe Prager 
Hnmoiie. Dm Fenllleloii M adrintan FtaBocilen. Darmiter die folgeiidett: 
Der FenUtateniat zitiert aus dem Stflck die Worte: »Der Printdotent iat 
ein Fischer; er sitzt am Ufer und wartet« und bemeild dazu: >VgI. 
die Baüa'^e ,Der Ficcher* von Johann Wolfg^ang von Qoethe, geb. 
28. August 174y zu Frankfurt am Main, gestorben 22. März 1832 zu 
Weimar« . . . >Ich bin ganz paff !«, schieibt er und macht die Anmerkung 
»Man kann auch baff (mit weichem b) sagen«. »Die [.ukanusse können 
•bo mit der lierredienden Einrichtnns snfirieden tdn« — Anmerkung : 
»Dentiditflmelnde iVlehrzahl von Lnkanttt. Wäre nicht Lnkani richtiger?« 
Man sieht also, daß die Pfeiger Sdimöche mit Rcdit io berihmt find 
wie die Präger Sdünloen. 

Erimimm. Dae TUidicttcr Urlett Uier die »Knfirlnberin«, dm 
■n wer UTCBR swincoen onerretcnitcnem ivieunnmni unci aacnwcncr 
Bceliatttit geflUt adbien, hat lopr die .Nene Me I¥mk' bcnnrahigt 
9ie bemliigt nnn, nadidem ile in Tetadien »Mnndfgnngen« eingezogen 

hat, die Welt durch die folgende Aufklärung: Die Kellnerin sei »in Wahr- 
heit weji^en gewerblicher Prostitution unter den in § 5 des Gesetzes 
vom 24. Mai 1885 angeführten Umständen verurieilt »ordeii und der 
von ihr gegebene KuB nur die Ursache ihrer Anhalt iing«. Die • 
Verurteilte so bemerkt das edle Blatt und unterdrückt ein zufrie- 
denes »Na also« — > stand schon frilher in Dresden unter Sittenpolizei« 
Udler Kontrolle«. Nun kann der gute Bürfer raliig beischlafen. 
DaB die Francn, die Ümi gefaiten, dafftr »cingeipM« «erden, 
nwB Um aidit beUtaunen. Et mag Oun glelchfUtilK sein, ob 
ate aidi »mwlAer« nnter den im § S dae Oamtan f«m 24. Mai 
anceflUurten oder ta andcrca UmaUtadcn Ixlinden. Martlm lümbal 
iat nffaalmr dem 4. Akaalz Jeaaa Faragraplien mim Oplv 
gelitai: »Wen aokiw ftmiinipwwai (die mit ihnm KOip« 



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814. 



M iMi i tt i ^ m t l i<n j Mi fn| i Hjn Bni i linii 
uMmm Htm tam, mt tüMifilMM Ii 
letzt oder wire bloB fon der Ortspolizei, wtSAttdkti WtwMM k » njsdiajie 

3 jiL;cht,v|bKf«4nigt, straft, :ffir /^ifi paar Stunden in Behand^ng flraommen 
nvordeoi So aber raubte 'der: Strafricbler einschreiten, und idarlha Knebel 
''toekÄtti vierzehn Tage, ' idaninter vier Fasttage. IdFr fiiiti^ ^ie ■Stehe 
^|nach der Aufklärung der .Neuen Freien Presse* ' intere^sänter. 
„Ifjü^er kannte man ^;lauben, ^ dpifci nun es mit einem ,iVer^?ioaflteji Tp]?- 
,'flächttigea zu« tum habe, dar da« Richtschwert Dretcfafiegd^^iüldlUBt. 
lftB«i«wif; iM äiidf diteste Urteil jtlHimfecir be|G|t«ddei'%iti«^ 

; ■ mmiß lA ilüi «Mi* Hg d4»>i Whiimm a dM itüftmiliiigflMlmfir 

fH»*^häiSit!lSdU6ki :i|tMftbHl»z>l^?:/ Mg^e; ^^liM^' Witt/ 

,rOnt?^ <laß die. a41g;^inein^te Et^tj^^tt^ig j^c); -zii lei^n^ ^tiiton Aufschrei 
>£«cc^inigcn würde? Uitd venö der Hmi Abgeordnete rtdie Frage ^resiellt 
^häit^tr glaubt mn* an Österreich? darm brauche ich waW tiithf iu 
'antworten: Die ^'(^nionell untl' Millionen, die meinen Glauben 

verzweifeln, wenn noch öfter derartige Reden in tinserenljirtiArarfretmig 

^K^nn^^ , Ui ; fti^m Aljicmzug < ajjq; tv)er;?^e^^j ,^if^,,)|Ia4,.,^J^lionjfp 
Millioncnf an Österracii gkub^ti^ Sie g\m}xn, «Jber ,sie en ti ü sten. si^h 
. .jn^^k^'ürcajieß J^aftd L„Und ein mesk* ür(iigcr ^4i|iist^rj}':äsi4^t! 

.noi ( i£^^tfrfdc/i«nJpnfi!w«feHr^ TatttchenjAb^ Mddtag^dem li9>jFebfftitr, 
,iUttto 4die »Wi»|^4 j'itif o r m iej9ge)i0ttttbywerd«ti iilieti,tiDiCi fK^iedtrgdiin 



IflMHH diliiBiifctd>ii)ii<li<iiltiiiiiiinitfhiiMlrtiii«wiitei»bgrt^ 



» ~. und rerantwortllcher MihlBV: Karl Krava. , 
OnKk m IM« «ü IM. Wim HL IMm IrttoHteili 



Die Fackel 



NR. 197 W1£N, 2a. FEBRUAR 1906 VII. JAHR 



Ludwig Speidel. 

SdM Bedetttimg ib sehöpfeifeeher Qeist, ab Kfinstler, als 
D em h i ci - großer Hdniatswcrie itt ehier Zelt vtelliadi z c ra f ft ftndcr 

Triebe, wird ihm in der ganzen deutschen Welt, nicht bloß in 
Wien bestätigt und gedankt werden, sind einmal die vielen ein- 
zelnen Blätter zu einem Ganzen vereinigt, deren Sammlung er bei 
Lebzeiten sich spröd entzogen hatte. 

Ludwig Speidel war und bleibt einer der Schriftsteller von 
erstem Range; auf ihn mag insbesondere die Geschichte unserer 
Sptaclie als Beispiel hinweisen, wie sie in der abhandelnden 
Prosa Körpeilichkeiti blfihendes Licht und Farben Wohlklang und 
Zartheit, minnliche Ffihrung und anmutigste Bewegung, Imrz 
allen Reiz der Poesie selbst entwideehi könne. In eine unwfirdlg^ 
Tsgespresse verirrt, war Speidel vielleicht der Letzte, der sie zu 
ertragen, ja eben dadurch zu erheben wußte und ihr reichlich 
zurückgab, was er ihr verdankte; denn seine Stellung war von 
einer Macht begleitet, die, an seine Persönlichkeit gebunden, in 
Zukunft kaum wieder einem unabhängigen Geiste in solchem Um- 
ftaig zugestanden werden wird. 

Der Journalist übt ein Metier, der Schriftsteller hat einen 
Beruf. Im Wesen des Schriftstellers liegt es, aus seiner Natur und 
Bildung zu völlig in ihm beschlossenen, nicht wahllos von außen 
aufgenötigten Fragen ein besonderes Verhältnis zu gewinnen und 
daneustellen, wodurch er wieder andere in seine Lebensrichtung zu 
fOhren vermag. Dagegen bestimmt der Journalist gar nichts, sondon 
macht ab willenloser Zeiger des wechselnden Geschehens nur die 
Oeberden der Aktion, wihrend die Naturkraft der Ereignisse sidi 
auf seine Worte übertragt und sie wie Windmühfflfigel in Be- 
wegung setzt. Für dit Zeitung ais solche ist der Scimlisteller nichts 



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2 



ab eis dücr Dekor Iiiret ökononiKiheB, nMchaniach-priMai Qe» 
schäfies; sie sudit Oiii in «dan ImMoi Kiiften amnifllMii äbcr 
zugldcfa tdner Selbstbestimmung zu cntziebc«, Indem tk fiun 

die Gegenstände seiner Arbeit aufnötigt und ihn zu einer Ober- 
flächenbehandlungzwingt, die ihr gemäß ist, aber sein eigenstes Wesen 
geradezu auflöst. Aus dem Kampf, der Vereinigung, dem gegen- 
seiiißen Nachgeben, Bedingen und Beharren dieser zwei unver- 
söhnlichen, intimsten Feinde: Zeitung und Schriftsteller ist denn 
auch — namentlich in Wien und durch Speidels besondere Be- 
gabung — eine Art von eigener Kunstgattung und -Übung hervor- 
gfipuigjes: das Feuilleton. Der Oeist, die Auffassung und Technik 
dieser kostbaren Oeringfdgigkeit — der Umtcrbliciikelt eines Tages, 
wie Spcidel sie nannte - aind in Wienso aUgondn gpmdeq, dad 
man ruhig sagen kann, die Zeitung habe hier wie so fiele «ndava 
Güter, auch die Pdeaie. das Feuilleton habe die f ^^ttt^w 
schlungen. Abgesehen von Speidda ArWICB ist aber an all der fle> 
priesenen nlditigen Qefallsanikelt nur mehr ein SdieiB von Kunat 
und tieferer Betrachhing ; in Wahrheit ist der Schriftsteller ana 
diesem Gebiete fast ganz }i in ausgeschoben worden vom Journalisten. 
Das schlechte Oeld verdrängt das bessere. 

Daß aber diese Form — ausgereifte Improvisation, durch- 
dachte AugenblicksrcMijenz — in ihrer paradoxen Verlockung für 
einen Schriftsteller, wie der Journalismus selbst, ebensoviel An- 
ziehendes wie Abstoßendes haben mag, gerade genug sie zu 
suchen und wieder zu verachten^ begreift sich gem. Die Natur 
Speidels zumal hatte etwas Impulsives, ihr schöpferischer Trieb 
entfaltete sich und welkte bald nach dem wirkenden Augenblick. 
Seine firuchtbarkeit bestand nur vermdge der FfiUe der Eindrücke» 
die ihm der Tag brachte, nnd des ioumalistiachen Zwangra» aich mit 
ihnen vor dem Publikum auseinanderzusetaen. Fieilidi lialte dleaar 
fomi8ch(ypferi8che Geist, dieser gefilhlifle Dialektiker eine aolche 
Ehrfurcht vor dem Unwiderruflichen, das im niedergeschriebenen 
Worte liegt, daß er jedesmal den ganzen Widerstand der Sprache 
gegen die Leichtigkeit und Eile ihres täglichen Gebrauches empfand; 
aber indem er ihn besiegte durch eine vertiefte, zögernde, doch 
in der entschlossenen Wahl sichere Weise des Ausdrucks, gewann 
er eben eine bildnerische Dauerhaftigkeit über Anlaß und Moment 

lunaus und setzte seinen Beruf gesäen daa Metier d u rc h . 



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Diese harmonische Plastik der Prosa Ludwig Speidd^, 
diese Monumentalität im Kleinen, der weite Horizont, dar 
hinter allen den gefaßten und knappen Gebilden sich öffnet, 
werden erst ganz erkannt werden, wenn seine Schriften aus 
der trüben Umgebung einer fragwürdigen Institution endlich 
dauerad heraimsesidttr akh lelbit snrüd^eben sein werdeiL 
Freilich wird nttt dann mdi dit fostiten Gefühls* und 
UrtaUiwkiRspridK tmd die QmuMi tdnor EMradnilbliM 
tnid BciPigttiig dttrtlidicf orktmeOf äbcr Mcb zn ünfdigen winn^ 
wn MB ilmi bisher bloB mamduMm Ikfale: wttStt valieilvotte 
iVH0tffwiirli| doi dlf j^mj^ny ^ Jedciii JMfelMttHfBelMtte d^diurii 
Itanm Urteil trriben dait dafi sie, Rkbtar in dfener Sidie, otee 
WKter^pmtcli, mit Außerachtlassung der Gegner spricht unck immer 
nur sich selber hören will, ließ die mächtige Subjektivität eines 
selbständigen Geistes als gefäiirliche Willkür erscheinen. Der Schrift- 
steller, der die Zeitung für sich hat, findet eine überlaute Resonanz, 
und er entbehrt jeder Gegenrede, durch die sein Für und Wider erst 
zum Ganzen in Harmonie gesetzt würde. So konnteetwa in dem toben- 
den Streit um Wagner das Speidel'sche Wort von der »Affenschande« 
der Wagner'scben Populahtit elae niBliche Unsteblichkeit erhalten, 
ote der inneit Widersprndi ^nm die aeu euMeigeMte Welt 
von Kunstwerken mA Ldammämsafpm des AoKhein eisee iritt» 
ktaücfaes fVeßp^pettmei tmelMKn. Eben indem Spcidel seine 
Se ib e lb e stiin mupg und seinen Widcopmch als Qnmdiedit wafefiOb 
arinn er an Madit nnd Ansehen Sclnwieii» vett er sn 4it SMle 
gefehlt war, die tber ilks en cntebeiden die Anvateig nad in 
nkhts teilt tu betnUoi das Schldael hat 

Aber selbst dort, wo er der aufgewachsenen Übermacht des 
Neuen mit der ganzen Gegen ge Wichtigkeit seiner Natur sich zu 
einem von vornherein aussichtslosen Kampf stellt, bewahrt er die 
volle Schönheit eines reinen, unverdorbenen Empfindens und ist 
gleichsam unverwundbar durdi eine eotz&ckende Dialektik des 
Gefühls. 

Und es war ein ergreifendes Schauspiel — wie Immer, 
wenn ein Aiann in der vollen Kraft seiner EntsobiflSBer dnrch die 
böhere Gewalt der Zeit und der Menschheit aus seinem Scibsl 
und dirfl b er faimns tn einem Gesamtgefflkl cefittnt wird — , 
als die OenbdMI W«^ ibie Nttnr lelbB^ wm In 



— 4 — 

Sjpddel EtementoempRndeii wtr, tu rieh zwang, bis er fn der 
großen bleibenden Einheit der Kunst wie in einer voneitifen Ewi^ 

keit beruhigt und befreit, ohne Zagen und innerlich versöhnt 
einging, lange ehe er starb. 

Speidel war ein Sclnvabe und wahrte die ganze prächtige 
Gesundheit dieses Volksschlages, dessen Gabe und Grenze in 
seinem Werke so gut und lauter beschlossen ist, wie in den besten 
seiner Landesgenossen. Was den Dichter ausmacht: die ganze 
Hingabe an die Erscheinung, an die dingliche Kraft und 
Würze des Wort^, bestimmt auch ihn in seiner Wohlbeschaffes* 
heit In der geistig werlenden, dialektisch sich auseinaudcnetBOh 
dcM Außcrnng, fn sdncn kritiacbeo Bedfiilnia» wird er ebenso 
durdi dk idiwiblsche Sdrnle bcttimmt^ dmdi die »Sdnile« 
freilieb in eugeieiu Sfune, worunter eine gemtnfsHtck'lsldk^ 
logiscbe Qnindbige der Bädung zn vqrieiieu «ein mOdife^ dk 
du dichterische Sprechgeffihl dureb dn borcbendea Spracfadenhcn 
und ein spurendes Sprachwissen vertiefte. 

Für Schwaben ist eine besondere Methode geistiger Zucht 
typisch, die et^^a ganz bewußt und deutlich ausgebildet erscheint 
im Erziehungsgange der alten »Stittier«. Diese sollen eigentlich 
Theologen werden, einerlei ans welchem Wollen, Fühlen, aus 
welcher kindlichen und elterlichen Lebensstimmung sie herkommen. 
Sie lernen zu der angestammten Derbheit und Frische den 
Scbiiff der klassischen Tradition, das gesunde Holz wird ton^ 
sagen gehobelt und gegiftttet, wodurch erst seine schöne Maserung, 
sdn Kern beivortrftt Ihre «igreÜendeimptdsiTittt, mit alkn Salben 
gdstticfaer und getsHger Dialeidik gesalbt, darf tUh mm sbrtt nur 
Verteidigung der heiligen QQter gerade mm anheüfgrttn Angriff 
gCMbnieid^ ffihlen. So werden aic mündig, adudlBi mit ihm 
NotimndfglDeiten ab mit Hmter Rndbeiten, ünc SpracüMf duck 
welche die Landschaft der heimatlichen Mundart, die Gefühls- und 
Denkweise einer wohlerhalteneii Rasse schimmert, gewinnt zur an- 
geborenen Kraft eine gewisse vornehme Haltung, sie blitzt von 
morgendlicher Schärfe und schwin^^t gespannt und elastisch in 
lebendiger Latinität; die Rede det Alten wird in dieaem Dculsdi 
wiedergeboren. 

Diese Saiten sind auch bei Speidel rein gestimmt und 
klingen mit allem Wohllaut einfacher Harmoniiiemng und voUci- 



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ttnitldKr Melodik, mit einer «unutigen Mtcbt imd PfiUe^ 

die man nicht vermissen möchte, wenn wir auch oft tieferen 
verschlungeneren, schwierigeren Stimmen lauschen wollen, und 
wenn auch herbere, strengere, geistig mannigfachere, weniger 
bedingte und dringender bedingende, weniger abgeschlossene, 
aber feuriger aufleuciitende, weniger in sich ruhende, als 
nihelos suchende und findende Naturen jeder Zeit, also auch 
der unsrigcn, ihren eigensten Ausdruck geben. So war Speidel — 
wie fast alle setnc pricbtignen ümdakutie in der Geschichte nnserer 
Literatur - ein voraehm konaervativer, naiv anscbanUcher OcM, 
dn kontemplativer Idylliker, der sich in den wiendliditn, er* 
hibenen BedingtiieMett der voliatdefen, nidht in den ReYolntionen 
und Eicneniirtriebett der weidenden Welt und Kunst «olil ttUilfe 
nnd dB$ reinste seeUsdie Behagen, den OenuS dner uneradiatterten 
Oeanndlwit nnd Zuvcrsidit des gegebenen Disdnt mittdllt. 

Im unverwirrten, unmittelbar dnleuditenden Watten der 
Natur und in dem klar ausgewirkten Bilde der klassischen Lebens- 
sicherheit fand er immer neuen Anreiz bewundernder, verklärender, 
beseligter üestaltung. Hier spiegelte ungetrübte Tiefe seiner eigenen 
durchschauenden Betrachtung entgegen, antwortete ihm eine lautere, 
purpurne Unendlichkeit. Das Mannii^faltigste drängte er zu einer 
unvergeßlichen £iutachheit zusammen und gab der Macht der 
Erscheinungen eine knappe, körperhafte, blutr und muskel* 
starke Wtedeigd}urt im Wort. So konnte er schtuspideriaclie 
Ersdidnungen in ihrer ainniidien Spontaneität tpiaxn wie 
den Liebreiz dner süßen phyaiacfaen Berübmng und fest- 
iMtten. So Int er ^ «ie liein KntilKr sonst das alle 
Bnrgtlieater^ selbst dn Stikk abgcsdilossenen LdNus, ge- 
sellen nnd ganz nachgeschaffen. Mitterwuraer las einmal Miidiea 
vor nnd SptidttX fing den Klang, den wwthenden, verBunkeneo 
Tonfall der Stimme auf, wir hören ihn : »Im Märchen vom un- 
sichtbaren Königieiche wird ein Fiußlal geschildert, in das der 
Mond scheint. Wellen und Wald rauschen und erzählen seltsame 
Sachen. Durch gedehnte Worte eröffnet uns der Vorleser die Aus- 
sicht in das lange Tal, er laßt im Wone die Musik der Landschaft 
widei klingen, man sieht hörend die Natur. Die Beschreibung 
schließt mit dem Satze: ,es war ein wunderbares Tai'. Da nimmt 
Sieb Mittnrwnraer das Wort »wunderbar' heraus. Cr Iftßt das scböne 



WM miiliMi wütai« er HBt « Wtngm, tkm daft tr 4«t^ 

Am dem dttnMBren ,u' bildit dt» MIe ^ «It ein Tag «n dir 

Dämmerung. Wir haben nie eine herrlichere Wortmusik gehört«. 
Als Kritiker trat er einem Theaterstücke wie einem leil> 
hafffgen Wesen mit kindlich aufgetanen Augen entgegen und 
mochte es nur verstehen und verständhdi machen, indem er es 
von Grund aus beschrieb. So erzählte er den Inhalt, wobei er 
unversehens aus der Empfindung die Meinung^, aus dem Qefüh! 
das Urteil, aus der Anschauung die Ansicht enthülste. Und dies 
Erzählen, diese dem Dichter, wie dem Kinde angeborene ur- 
sprdnf liehe Freude am Berichten, am Aufbauen ist dai Bleibende 
teioer pmiUJniveB Knua mid mner cnnueiBeiit no g ffi wir aeiaer 
Meiiittiig noch ao adr wideratvebcn. Von den iridcn Sttekoii die 
ar In Lanie der Jalire sah wid cndQitte, b ce ld ic n licnte fedlicli 
nur mehr wenige, aber gerade die vcqgciaeueu nnd mwdkten 
bekoninen dwrcii aeine Ertfthtungr einen llaucli von Exi- 
stenz. Und dies ist der wahre, eigentliche Wert der rezeptiven 
Produktion — nicht die immer nur relative und augenblickliche 
Oiltigkeit ihres kritischen Urteils daß sie die ganze Literatur zur 
lebendigen und wirkenden Geschichte der wachsenden Dichtung 
verklärt und in dieser ein unsterbliches atmendes Ganzes erblickt 
und gestaltet, woran nichts tot, stumm, sinn- oder wesenlos bleibt. 

Die volle Höhe, das absolute QleichmaB von Inhalt und 
form, von subjektivem Anreiz und gegenständlicher Würde haben 
aeine Aufsätze, wo aie ein abgeschloMenes Bild, eine in sich zu- 
iMcgekdirte Bewegnng, einen Menadien, eine LandKWt, ein Er» 
tebnia durdidrhifen nnd allseitig nmftwen. Er bcKlireibt einnHÜ 
UblandteitfwfiidllseQcataH: »Klein, tekrtftiggdNuit, tnitdn« 
Rflcl^grat, daa eher biichida aichbog, adn von iMich blonden flMnn 
nmfalnzter Kopf hafte einen aUrhen und atrengen Knochenbau, 
aus welcticm die zwei hellblauen Augen wie zwei Kinder heraus- 
grüßten«. Oder er huldigt den ewigen Lehrern unserer Sprache, den 
treuen Gebrüdern Grimm: »Selbst wenn sie sich zur höchsten 
Vaterlandsliebe aufgeschwungen, kehren sie gern in ihre Furche 
zurück und vollenden da, der Lerche gleich, den Lobgesang eines 
Liedes, das sie in der Höhe geschmettert haben ... In Leben 
und Wissenschaft ist Jakob die trotzigere und bahnbrechende 
Natur, wo er den Pfing anaatat, drAdd Jakob Um tiefer ein, aadafl 



der BnxkB dar Eide hervorbridit und ach die ScboUfen achwer 
«ad hangum, ak v»Ulin ak ädi «te Wtite bodarnB, n Mdn 
Sdicii niedeikseii. Qn Oalaibucte fchillift JrtDH tnift AK ml 
rfliillPiliM, nHuml Wilhelm mehr eine Qirtnenndttr ist, die auf 
dem sthon gerodeten Etdreicbe ihre licrlichen Beete anlegt, sie 
jQigiam «artet und ttiU bq^ieBt«. 

Ein wanderhafter und trinkfester Mann — die mit ihm ver- 
kehrt, wissen von mancher Wirtsstube zu erzählen, wo er zechend 
und sprechend der Oberste war - ging er etwa Schuberts sagen- 
haftem Aufenthalt in der Hinterbrühier Höldrichsmühle. wie dem 
Klange der Müllerlieder selbst, an die Quelle nach. Oder er las 
in Mattighofen aus einer oberösterreichischen alterin mh'chen 
Bauemgegend den Oeist des VoUcsgesanges und der niittelalter- 
hdMn Dichtung aus Tracht und überkommener Sitte, ans 
der Oestalt der Bauemhiitser» ans der Inschrift eines vervitter«- 
tcn Wq|la«iiM> ans dam UfttmUehen Ansahen des Waid- 
lind AdwlaBilM^ vic ani dneni MifBeicUacnaii e wi g en BUdci^ 
faifht iib» 

Wie ff in dar achtateo Wiener Undichilt — itfawr 
speiten Hdnat «- das hokM^ Walten der srtaMV mm 

Lidbt und Blüte, Duft und Gesang durchhauchten Stunden lau- 
sche hü einatmet, hat er einmal unvergeßlich geschildert und in 
dieser kleinen heblichsten Prosadichtung das eigene Bild — ein 
Idyll der höchsten geist^en Kiarheit und sinnlichen Liebenswurdig- 
iieit — dargestellt. 

So saß er ein ebenbürtiger üenosse aller deutschen Meister 
schon bei Lebzeiten recht eigentlich beherzt und guten Mutes 
an den Tischen der Götter. Was er schrieb, schien einen Motsin* 
glänz der Unsterbifchhdt «nszustrahlan nnd halte den rosen- 
achrnimandan» unendlichen Oiund hcsper^cbcr Ttgj^ die Knf^ 
Ldditii^ mid KlaiUt Uassiicher Sicherheit^ die Wahtebgewofoi- 
halt in afeh hemhcnden, dte FAlte geaicfiendeB, um aeiaer adbal 

Aassage, dfe in jedem AngenbHdie sidi selbst gemlB, Ihre innere 

Wahrheit wie das eigene Schicksal herausstellt, den Laut einer 

Prosa, in welcher der volle, stete Rhythmus eines gesund schlagenden 
Herzens gleichsam an sich selbst Freude hatte. Im hihait dieser 

knappen« in jedem Satce au^erundeten» sparsam-reichen Oestal- 



— ff — 

tungen liegt ein dauernder Schatz ursprünglicher und unsterblicher 
StamiiMsart, in ihrer Fom ist der Geist, das Hen» altes Woiteiit 
Wiam und Können tmaerar Spncke kbendig. 

Otto Stoessl. 




Der ärarische Tod. 

Von einer mit den Verhältnissen des k. k. Post- 
sparkassenspitals vertrauten Persönlichkeit erhalte ich 
die folgende Zuschrift: 

Sie haben sich mit dem in Nummer 195 der 
yFaokel' ersohimenen Artikel »Der ftrarlBche Tode 
V/2 Tausend Postsparkassenbeamte und -beamtinnen 
zu Dank verpflichtet. Denn dort weifi man sehr wohl, 

daß selbst eine kleine Notiz in der ,Fackel* in den 
»maßgebenden Kreisenc bessere Wirkung tut, als 
spaltenlange Artikel in den Tagesblättern. 

Nach einer Meldung des , Neuen Wiener Ta^- 
blatts* vom 11. d. M. hat die Staatsanwaltschaft die 
Untersuchung des Falles Hahnel eingestellt. Olga 
Hahnel, so heißt es dort, hat längere Zeit jede ärztliche 
Hilfe abgelehnt und ihren Zustand, der nicht sogleich 
erkimnt worden war — Bureauvorstände haben da 
ihr ärztliches Gutachten abgegeben — selbst für un- 
bedenklich gehalten. Also ist em fremdes Verschulden 
ausgeschlossen? Mag die Todesursache welche immer 
gewesen sein, die Tatsache bleibt aufrecht, daft die 
Erkrankte infolge des Verbots, die Rettungsgesellschaft 
zu rufen, über drei Stunden ohne ärztliche Hilfe 
blieb und daü der Beamte Hager, der sie dennoch rief, 
vom Sektionsrat Bauer zur Verantwortung gezogen 
wurde. Auch der Fernstehende kann erraten, warum 
das verschüchterte Mädchen, das ihr Unwohlsein schon 



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als ein Vergehen gegen die Disziplin empfand, die 
ftritliohe Hilfe ablehnte. Ob die Staatsanwaltschaft 
an dmea gewifl auch ihr bekannten Pakten blinden 
Anns vorübergehen durfte, ist ein« Frage, die Sie, 
homgeehrter Herr, gewift mit mehr Sachkenntnis zu 
beurteilen yermögen als ich. 

Nun üben verlftfiliche PoliBeiärzte im Postspar* 
kassenarate ihre Praxis aus und sie wußten mit Ge- 
nugtuung zu melden, daß sich innerhalb einer Woche 
bloß 16 Erkrankte in ihre Behandlung begaben und 
auch vQn diesen nur vier dienstunfähig waren. Sie 
berichteten aber nicht über die weit größere Zahl 
von Erkrankten, die privatärztliche Hilfe aufsuchten. 
Wozu auch ? Jedes unliebsame Aufsehen muß doch 
Termieden werden, und so darf die Öffentlichkeit 
nicht erfahren, daß der 6 Vf stündige Normaldienst 
noch immer nicht eingehalten wird, dafi die Beamten 
imd Beamtinnen nach wie vor geawungen werden, tftglich 
drei und mehr Überstunden lu macheni und dail es 
hauptsftchlioh dieser ITmstand ist, der eine bis dahin 
in ihrer Massenhaftigkeit unerhörte NerTenkrisis her- 
vorgerufen hat. 

Wie Sie ganz richtig bemerkten, ^ wird eben auch 
hier, wie überall in unserem lieben Österreich, nicht 
die Wurzel des Üt)el3, die Ausbeutung, sondern die 
Folge, das Kranksein, von unserer erleuchteten 
Direktion bekämpft. Und so wird es Sie interessieren, 
ZM erfahren, daß die Beamten und Beamtinnen jetzt 
nicht nur im Amte, sondern auch in ihrer privaten 
Häuslichkeit polizeiärztlich »überwachte werden. Zu 
Personen, die im Dienste zusammengebrochen sind 
und denen ihr Hausarst sur Erholung eine kurae Be* 
freiuofl; vom Dienste verordnetei schickt man einen 
Poliaeiarat»^ der, wenn er die Brkranklen nicht 
gerade bei den Vorbereitungen mira Sterben oder 
bei der Abreise ins Irrenhaus antrifft, die Diagnose 
»dienstfähig« stellt und die Erschopiieu ins Amt kom- 
maadiert 



Während für die »öffentlichen MAdohetic viel- 
fach die Abschaffuni^ der Regknratieirmg gefordert 
wirdy wird aie für die Mädchen, die im OfBuiUtehen 
Dienst stehen^ eingeführt Vielleicht Interessiert 
sich die Arstekammer far diese n^uge«» 
sohaffene Eompetens der PoliB«iArste| di« 
förmlich als eine befufsmäfiige Deeavou- 
ierung der pri vatärztlichen G utachten aus- 
geübt wird. 

Was an Maßre^f^lungen und Quälereien aller Art 
von der Amtsleituii^ aus ^^escheheii kann, geschieht, 
um die ir^kränkte Autorität wieder auf den alten 
Ulanz herzurichten. — 

Sollte Ihnen, hochgeehrter Herr, einiges von 
dem hier Mitgeteilten der Veröffentlichung in der 
,FackeP wert erscheinen, sc bitte ieii danim. Sie 
würden damit eine Qrtii^ d&r aoig^atetstitt 
Staatsbeamten in ihrem wahrhaft sohw^mi Kampfc 
ums Dasein unterstütsen* j 

Zu dem Artikel in Nr. 195 sendet mir der Sekrctir- 
stellvertreter des Export-Vereines die iolgeaden zu- 
liimmenden Bemerkungen: 

Hente leben gewiß 90 Vt der Bevölkerung Österreichs 
direkt oder indirel^ von Lohn und Gehalt. Beide Begriffe 
sind wesensgleich und bezeiehnen den fistgelt für eine 
Leistung ohne BerOcksicbtigiiiig des Ertn^ss der Arbeiti 
ohne Büoksiofat auf Oewinn und Verlost des Unterashmeas. 
Bbessowenjg wie das Fostpferd ist der Pestbedtostsfes am 
Srtrage der Pest inftereesteiti keide aber wolka 
möglichst gutes und reichhches Futter und mnen mOgHehsl 
angenehmen Stall erhalten. Der Unterschied zwischen 
Mensch und Tier ist nur der, daß düs Pieid sein Los 
Willig trägt, während der denkende Mensch revoltiert mid 



- 11 — 

dsdnrcht daß «r es tat, das Nationtlemkomiiieii erhobt, 
don Yerdienrt allsr BernftklasseB, die Ton ihm leben. 

Da bei waehteoder Yolkszabl die Zahl der Selb- 
ständigen zurücksteht, wird die zirkulierende Lohnsumme 
ein immer maB^benderer Teil des nationalen Einkommens. 
Daher interessiert die liöhe von Lohn und Gehalt nicht 
nur den Arbeiter und Beamten, sondern den Hausherrn, 
den Wirt, den Cafetiei', den Schneider und den (1 reisler. 
Yor Allem aber den Staat, denn er erhält direkt und 
indirekt io Eorm von Uauszinssteuer, Tabak-, Petroleum-, 
Biersteuer, in Form ve« Terkehrssteuem aller Art mindestens 
Vs aller LohnerbObungen in küneater Zeit zurück. Da die 
Zahl der Privatanf^estelheD eidiMr mehr als 5 mal so grcrft 
iit, ala dk der Stiatfluigestellteii, so ist det Staat der 
MeistiBtcreasterte, dann erat fblgeii der Hansbeaitser, der 
LadeabeattMT und alle anderen, deren Binkemmen in 90^ 
mä Gebalt «id Lohn baeiert. 

Wenn der Staat nun c^ez^vungen wird, das m tun, 
was in Privatbetrieben schon geschehen ist, so hinkt er 
der Entwicklunef nach; er hat die Bedeckung für diese 
Aiis<?aben schon in der Hand, bevor er sie naelizuliolen 
gezwungen wird. Gezwungen durch die Not der f^eiiniten- 
scbaft, subventioniert der Staat endlich die Giäubi^rer 
seiner Beamten und seine Steuerzahler, wie Hausherren und 
LebeDsmittellieferanten, Schuster und Schneider. Was w 
tut, ist nicht ein Akt der Gereditigkeit, der Güte, eia Aue- 
fluß weiser Soxialpolitik, aein, ea iat eia Akt eiallieber 
¥enraaft, Tite er ee nicht, so wire du nioht nvr sein 
Bankarett, vett er die Quelle aeiaes Beiditnma Tsr- 
aehflttetiv ■Badem die angesagte Krida 4ei IntrileiEtes 
direr, ctie deo Staat rapriseatienn. 

Im Zeitalter der progressiven Überproduktion, der 
Eiesenbetiiebe und der Maschinenanwendung ist jede 
Lohnsteigerung barer Gewinn für die Volkswirtschaft und 
den Staat. Amerika wiri dadurch reich, die Türkei und 
China gehen an den niederen Löhnen TOgruucie — wenn 
sie nicht bald den Unsinn der BedOiiaislosigkeit ab- 
Bobflttflhi 

Dr. Julius Wilhelm. 



• 



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— xa — 

Die Quallen des Sektiotuichete Buer. 

»Sektionschef Exoer crkllrt, 
daB ihm dtae ttoveraiecbin 

Quelle zur Liquidiernng: der 
oötigen Mittel «obl bekannt 

sei, er halte es aber aus ver- 
schiedenen Orfinden für op- 
portun, diese Geldquelle vor- 
IflufiS noch nicht pretszn- 
geben«« ' 

Der nnennfidlicbe Indiistrielleiibtll-Msideiit» denen winen- 

schaftlicbe Bedeutung in Nr. 157 der , Fackel' durch den Hinweis 
auf jenen einstimmigen Protest aller Exrier gegen eine Ver^echs^ 
lufig charakterisiert wurde, hat sich, so schreibt mir ein Mitarbeiter, 
unter dem Trompetengeschmetter der , Neuen Freien Presse* als Retto" 
der Heimarbeiter proklamiert. Dieser Wundermann weiß, wie die 
halbe Million notleidender Meimarbeiter wohlhabend gemacht 
mtsäok kann, und weiß eine unversi^bare . Quelle zur »Uqui- 
diemiig« der Mittel; er ngt sie aber nicht, obwohl er sonst 
cber zn viel spricht Wantni dies Schweigen? Seinemit — siehe 
Nn 157 der .Fsdod' ^ venprtch er, alle EnUipfel hi Sphritus in 
verwanddn. Dies gelang zwar nicht, aber Exoer wtirde ffir die 
Sphitu^-AusstdlmigHerrenhaiisaiilglied. Die HeimarbeMar «enlcn 
nur unter der Bedingung gerettet, daß Emer Exzettena wM. Nor 
als Oeheimer Rat wird er die geheime Qudle enthtllen — bis 
dahin zerbricht sich ganz Wien den Kopf. Wie ich nun aus bester, 
aber gleichfalls geheimer Quelle erfahre, verhält sich die Sache so: 
Bekannthch bezieht Exner gleichzeitig t.) eine Pension als 
Direktor des technologischen Gewerbe-Museums, 2.) eine Pension 
als Professor der Hochschule für Bodenkultur, 3.) einen Gehalt als 
aktiver Sektionschef, endlich die Bezüge als Verwaltungsrat der 
Nordbahn, der Wienerberser, der Unfallversfcherungsaktiett-Oeselt' 
schaff ünd verschiedener ando-er Qesellschailea mit zusammen 
zirka 70.000 K B^figien« Da dicie Kumullennig von Pensiotteni 
Ocbalt und VervaltnngiialaehikQnften gesetzvidricf Ist, beabsiditigt 
Exner zu Ounsten der noÜeideDdcn Htimaibeiter wenigstens auf 
die VcrwaltungsratsdnUfaifte zu verzlohtai . . • Nadi ehwr andern 
Nachricht freilich verhilt sich die Sache doch nkhl wo, sondern 
Ezners Geldquelle und Wissensquelle sind identisch mit dem 
beiühmten Geldschrank der Madame Humbert. Exiier aber wird 



— 18 — 



80 giiitbt der andcfe Ocwährsiuann, ffortfthren, sdiifii iitivdi und 
cntzflcktai ZxMrm inlKdcsne Witsensbrocken in pitauiter Vor- 
Ingntim m «ervicren. 



Voa frank Wedeklnd. 

Du auf deinem höchsten Dach, 

Ich in deiner Nähe; 

Doch die wahre Liehe, ach, 

Schwankt in solcher Höhe. 
Du in deinem Herzen leer, 
Ich in blindem Wahne — 
Dreh dich hin, dreh dich her, 
Schöne Wetteriahnel 

Unterhaltend pfeift d*»r Wind, 
Bläst uns um die Ohren; 
Von des Himmels Freuden sind 
Keine noch verloren ! 
Glaubst du, dafi verliebt ioh bin, 
Weil ioh dich ermahne? 
Dreh dich her, dreh dioh hin, 
Sohdne Wetterfahne I 

Dreba wir uns auf hohem Turm 
Immer frisch und munter I 
Acli der erste Wintersturm 
Schleudert dich hinunter. 
Wenn dann auch verflogen WÄr, 
Was ich jetzt noch ahne . . . 
Dreh dich hin, dreh dioh her, 
Sohöne Weiterfahne 1 




Die Wetterfahne. 



, Google 



— u — 

ANTWORTEN OBS HBRAUSQEBERS- 

arW* Sit Mfatiben * MHMeh aMoy« — : »Bi WM ai d« 
Iddigm TeMiener KoBfesdildite: Ihnoi gw i gt dio 4it f wp MI i i t e 
BcsjAndmc dn Urteilet nMit? Hb, mnii dtB Ste vitfelclit pcrvcn 

genug geweften wären, sich n«ch den Küssen der alkoholduRefldei 
Dirne, vor Wohlbehagen schmatzend, die Lippen abzulecken, ist Ihre 
Sache, und gehört weiter nicht hierher. De gustibus non disputandura 
est. Daß aber ein Men^, der, wie es scheint, jedes Rechtssinnes bar 
ist, seit Jahr und Tag sich bemüht seine Anschautingen den Mitmenschen 
zn suggerieren, das ist ein Crimen, welch» mehr als ,14 Tage Arrest 
verschärft durch 4 Fasttage' verdient«. Ich glaube, daß icb, der achlinuMtea 
Verimmg tchnidig, da ich mich frei zu ihr bekenne, so veracfatensvert 
nicfat sein ktm wie der OeaMMBenschy dar Mi hiar teoocBlto uad 
int Nimen der b&nBcHlditii Mond CKÜcrt» UstttMiciMEt lit &tt Brief 
^ ich habe tdio« lins» akkt «te« m ^ypMm h i kmmm — 
mit der Wage der Tbeorii. Der Kerl, dar ndr Messel aa RediMaa 
mwlrft und anonym Kbimpft, ist alt» nnoMdk JinM, rilzt f iel te l d rt 
in irgend einem Btzkk fiber Ehrenbeleidigungen zu Oeridit. Wie gut, 
daß es die Institution der anonymen Briefe gibt! Die reine Oesinnungs- 
schäbigkeit würde sich Oberhaupt nicht kenntlich machen, wenn sie es 
nicht ohne Unterschrift dürfte, und gleichsam unter der Oberfläche ihr 
Werk verrichten. Anonyme Briefe erinnern daran, daß eine gute Gesell- 
schaft lebt, die zu verachten die Pflicht der guten Menschen ist. ich 
bin von der ObOfzengung durchdrungen, daß der Mann, der meine 
Kritik des Tetacheiicr Urteils auf Perversität zurückführt, eine Zierde 
aelnct Standea^ der Sloli aeinaa icraiGB ist ErhidMtrde« einen Mder, 
daB er »adt Jalir und Tag« die «MmT tat Die gelil «v 1b dei acMm 
Jalifsang, abei der HenonBebar fflit «och taner MUt lo aidt Nie 
hat er aidi benfihti aeioe AMachaiiiiiHBH dn MttiMBMdMHi n avojariaraif 
nie aie gezvonfen, aeine AaadiannBfen keaflcn tu lanaii. Wea'e sieht 
paßt - Aber neiiie anonymen SdUnplnr rind «etaw wMa^Ifcta te« Latcr. 
Nun, sie verschwenden des Hasses Müh'. Ihre Zuschriften e iniuH ge n midi 
nicht einmal: auch ohne sie bliebe ich bei meiner Ansicht. Und bleibe 
es in der Tetschener Kuß-Affaire. Icb habe in Nummer 196 unter der 
Devise »Quer durch Österreich* das Schauderhafteste, das sich bei uns fM 
den letzten Wochen begeben hat, kommentarlos rusammenßrstellt. Der 
Sprachlosigkeit, in die man hierzulande manchmal verfällt, glaube 
ich den redtten Ansdmdc gstadaa a» beben. Die T^tadiencr Notiz 



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— » — 

praA Hhv Itaricnt 'OpposlHt kiMb An Itar TilHrts tdbrt w |a 
«Mt itfM wdtiK 14 Tt«t Hll 4 IMtasoi m cH» IM. Jtat 
flitfmr 8Mlf ^ ia imilbai Nttttttcr nhm Ml dermUidMn 

mnoMiyv iwn^ irt fficsm nw nw« cib no^HWCV 

UvV VRIOm Mn" im MWNMBf «Hi (BBHR WRIB «DB OUV Vn^B* 

•pent wurde, ist eine Prostituierte. Und bei dem Klmg dieses Wortes 
hält sich die christliche Nächstenliebe die Ohren zu, und bekreuziget 
sich die jüdische Journalistik. Aber ich irrte, da ich das Rehagen an 
dem geg:en eine Prostituierte verübten Unrecht für einen spezifisch 
bourgeoisen Zug hielt und schrieb, der gute Bfirger könne nun 
mhig beischlafen. Auch der sozialdemokrattsche Philister kann es. Denn 
dt die letzte Nnmmer der ,Packel' in Oroek ging, gab auch die ,Ar- 
Mt uMtltuug * Üm vollMe O b e r e h Mtfamnat Mit dem Tetadwner Urteil 
■mi« w \iBniWfonwM «ne üm wwiiwroi uuuiunc uuip wui cht 
KhiB Bidtt is übcmAlli^ Ijuim ffgAtw ntnd dift (Micilii vidit wonm 
401 IQhm fMrMt wm&tt fondeni diS tfe Hfnt -dfter «m der 
Düiaewr O H top gi W abf ettrtfte ProttlUiert« M, A sdittMen- 
kritef UM DradBi fMdit^ cevoideB war, sidi fa BodcBbiiA bcidli 
Mft viertehn Tages «nterstindilos hemmtrieb and sdiilenicli 
vor dem Bahnhof ihr Gewerbe auf eine schamlose Weise ausüben 
wollte, indem sie den ankommenden Reisenden um den Hals fiel 
und sie mitzulocken versuch»«. Mört, hört! ruft das sozialdemokratische 
Blatt, bringt die Worte, die das Entsetzen der bfirg^erüchen Oesellschaft 
wecken sollen, in Sperrdruck, und revoziert die scharfe Kritik, »die wir an 
die falsche Voraussetzung geknüpft haben«. Denn der Richter hat »ein formell 
getetzmißiges Urteil g^Ut«. Daß ein solches die Kritik mundtot madit, 
lit etaa Aafleattagf die iai ftduMs dar fArbaiteiictla&g' db^iaichead 
«iikt Ufld daft diaMrdlaBerataif anfdte Dretdaaer StteapdlfKi iai* 
pcwiiewB varaat war jaec aaca mcsas TOiaaeBiiienaa» lan aana ▼leuaaBr 
ceswaaff aao cas uauiiaincaa i 'roieiai laieBBicaiai» oae aia lancafacr 
Onlcldibarlidl aar Degi Badung dct UiteOe beaMcte» ta dar ,ArbaÜer- 
laHaBg* daca Anwalt findea, dafi sie den Herren DelaiFfgiie aad 
Keibl antworten würde: Für so dumm, anzunehmen, daß selbst in Öster- 
reich wegen eines Kus««es — Unsittlichkeit oder Ehrenbeieidigunij:? — 
einer Frau strenge Ärreststrafe diktiert w erde, sollt ihr uns nicht halten. 
Wir haben b!olj das Urteil nicht verstanden, aber sogleich vermutet, 

daß der Käß aar der i^AalaA« gewcieB ecia konnte. Jetzt, dt wir hören, 



. y 1. ^ . y Google 



daß es STch um eine gehetzte Prostituierte handelt, verstehen wir dti 
Urteü und finden es {grausam. Ohne den Kuß wäre das Mädchen — 
vielleicht — für einen Taz in den Polizeiarrest gekommen. Nun ward aber 
dndi dca KuS da» »öffaitliclie Argemisc M^beir, das hieranlaad« 
fanmer cvlitelU, «emi ein pur Punzen es empßwlai «olki^ «d 
in derart InapUtierta» FiU »geverbniißigcr Frottttatioa« •dundtet 
der SInfrkhter ein. Es ist wibr, daß das StraMnlmia dei Ufid- 
rimiffai OeMfaEtt dn Monat tot IndeB, «ann die Pkaxia niclit dia 
Jahre In Monate» die Monate In Tage verwandelte^ wMc die dater> 
itkhiaehe Beidlkerung den Tag, dt ihr dn nenea Stralgesetz geboren 
wird, im Arrest erieben. Aber ein Mörtkr maß liloB an dem Jahrestag 
seiner Tat Usttn und die Proslituierte — dies blieb unberichtigt — 
viermal in vierzehn Tagenl Nimmer wird uns ein solches Urteil 
zur stutn nen Anerkennung^ seiner »formellen Gesetzmäßigkeit«, znr 
RQckziehung ui:screr Kritik bestimmen können. Die bürgerliche Presse 
— jene ,jMlgemeine Zeitung' zum Beispiel, die die gemeine Zeitung ist 
ffir Aiie ~ mag von der »Milde € des Urteils in dem AugmhUdi 
zu schwärmen beginnen, da sie erfährt, daß ca eine Prostituierte ge- 
trollen bat» Wir ScbQtiar der Awag a at oßenen Verden dfe Jndliidte 
Schirie. in der sich der pt^rfrffr'hf Haß der »OaseUachaftc zn «iv 
Faattagen CBfomtt hat, verdaminenaverl finden. Wir afiredm dea Opte 
der Dresdener SittenpoUael frei ond Maien eine ateatiidie Ordmmg an, 
die dte Anibentn«g der Weiblichkeit an dam Wdb ahade^ dte aa 
der »aduunloeen Anaftbnns der Proetitidion aoff einem Bahnhof« 
Vortchtib leistet, und die in ihrer perversen Oerecfatigkeit schließlich 
den Hunger mit vier Tasttag^m bestraft 1 

Geschiedemr, Wir sind schon wieder, so schreiben Sie, um ein Pro- 
blem österreichischer. Aber die Misere hat vor ihren Anklägern die logische 
Konseguenz voraus, »Die fchereformatoren schlagen zur Lösung der 
Frage der katholisdien Geschiedenen die folgende Kompromißlonnd 
vor, von der sie glauben, daß aie der Kirche genehm sein werde: 
Man gestatte die bOrgerliche Trauung der geschiedenen Katholiken ohne 
UichUdicn Segen! Auf diennn Wege hoffen ate dte Kinder der 
Kirche den verpönten Konhnhjbiat m enMflen« Aber ate ¥eigeaeen> 
daß ihr Kompromiß nadi den strikten und ttonrnst^cfacn LeHen 
der Kirdie nichts anderes ist« als ein Konknhinat, nnd zwar ein anf der 
Basis dca Ehebruches aufgehantea nnd dennoch von , der etaatMdicn 
Qeseu^ebung sanktioniertes» aomit doppelt qualifiziertes Konkubinat 



IM 0mt ftmel dem i HmUw i u i »non possaim« der iCIrelie be- 
mm ipvfl tit dm Dogiui tm dar UoMmMt der Qn^ das 
den Ai yijM^nfc^ 4ff ymttft^tfftfm^ OmMr UkM» difikt znwidcrli«ft 
Bei Mbttf j B f fff fft iibilhiflHi i^ff l fftntM tt ifi T* OcichHwid^^Bit in wvtt" 
UdMi Sidwa, M dir KifiMMrinint doch vo« der mbefgnnilai Stair* 
kdt und MigWt te tUea Dogiattifragen. Püktltreft «ad Kbwpro* 
mittieren gibt et dt nicht. Die Icatholisch QesdiiedeBCtt MllleB dn 
wissen und sich keinen Illusionen hingfeben. Entweder sind sie fiber- 
zeugte gllnWge Katholiken : dann müssen sie sich in die Gebote ihrer 
Kirche fügen und ihr Individuelles Mißgesciiick als ein Opfer ertragen, 
das dem Ideal der ünlösbarkeit der Ehe dargebracht wird, oder sie 
tind nur formell Angehörige der katholischen Kirche: dann können sie 
lieh nm ihre Lehren dei Teufel fcberen und müssen auf eine radikale 
— die einzig möglicte ~ LBmat der Frage hinarbeiten, ohne sich 
der — aiimin n MOmmg Mmfabu» diA iie duroli ifgoidviktas 
Kj o rnf t mi m dm Beielaad der iQMhe cevinwB wdei. Vor* 
ttflfls ober eeOen ele eoviel Mnt enftriiiceii, dwci oScae md dnv 
Hche Pinude dee KoidnbtaMle den en ^ihififp taefleMei totteHtf Mehtl 
■ ■ hdiMi w M . MUdmifite da vor eilen Jeacteadi fir de« Mattesten imd 
FMflifltfgsten «nfiberwindlidte Hiademii weggerännt werdta, das dnrdi 
den Aberwitz unserer strafgerichtlichen Praxis entstanden ist: die 
Ahndung des Ehebruches geschiedener Eheleute«. Hier scheint mir 
der schmerzlichste Punkt der Lhelrage zu liegen. Hier setzt der spezifisch 
österreichische Jammer ein. In einer der vielen Zuschriften, die die aktuelle 
Frage behandeln, heiljt es: »Wer ein Mensch ist, der erzittere vor 
Wut, wenn er von der Scheußlichkeit hört, die der Scheidung einer 
katholischen Ehe folgt: von der Strafsanktkai auf geschle cbt l k faen 
Veitehr fiberluni^ außer mit dem geecMedenen Otttenl Diese morali- 
edie Kestrlerang;, naglrirh widerlicher als die pliyriecbe des Oricnl^ 
wtU sie beide OsecUeditcr trifft, Jet die KristeUfbrm eiaee Ocsetses, das 
den Armen scImkUg awcht, nm ihn der Ma la ftbcrliefem» Man be* 
echönige dieee Schande nicht mit dem relativ cariateo Strafanemaße 
aad mit der Notwendigkeit ciaer Klage des aadera Teiles: nicht die 
Strafe ist die aufreizende Roheit, sondern die Androhung, die zur Er- 
pressung hier und dort zur Verzweiflung treibt, und dies alles, weil 
le|)ensfremde Greise das Oiegesetz auslegen, das dieses Frugfelsystem 
nirgends ausspricht, leider aber vergaß, es klar zu verbieten. Nicht die 

Strafe ist das Unglück,' sondern deren Folgen, in einem Staate, wo ün- 



taKboltenheit eine biWI» rTiHHmilwmiiMiiiig ist, |Mtti|^ 4» 
OmnUU. OS MiM: Ob fnrr taibh f«lli« Hei ta dn MMk 
dflir Mm, tuBcMittti Md teoM ihOlmm iMte. Mi 

Eht Mte« 4te flüMdi dl taid w» niptallll^ Dv Mtn «KfeH 
MbK f^Brifliln Nwvtt f/ä vohMMfci Ahmi ni iMtubl^jeik Di 'PMkli 
dir tfprewwiie Biii d fa der tncUedwn OiMa « dl» TiM; Am dte 
trtgeriiebe Heiligkeit de» Hsmes schätzt nicht vor »Helios« und 
anderen weitsichtigen Schmutzwühlern. Schleunige Flucht rettete die 
Existenz... Es ist sinnlos, für ein Volk, das diese schmachvolle Gefahr, 
»eingespirrtc zu werden, lethargisch auf dem beulenreichen Rücken trigt, 
ein ^uies UhicgfittiU 20 vcrUngoi. Dem Sehenden tilMbt der gfouea* 
lose £kel<. 

Sd^moek. Idi «iU wfaMii dtailünrlsn KonkoitlislitU-Bericiit in 
die geflfigelten Worti «niiiinultticpt »Der dietjahrtge IbBakardtabell 
nerM tn Otaat die eeiae Voigtager«. Mm «M «■ ndr iwWtait 
difi ich flIM «bor clM ¥munlidt«nc ipfedM eoO, die Ich «fc^ 
«lid oadmtveiiei •adiM.dee fch dB» dli4U«lfM 
gevohat hebe «DdiMfaieKcttrtBli wy i chM» O ^ lette bIeßieidiB Tiilaeji 
bcridrtoi ediBiite. Die IM |a aMi gm richtig. Aber tchlnnni « wiMhePi » 
dtB ich schon for der Lridthre der Zeitttnspcn, vor den dlesJMiiigen Kea* 

kordiaball gewußt habe, daß der diesjährige Konkordiaball alle seine 
Vorgänger an Glanz fibertreffen weide. Die Zeitungen selbst hatten 
das gewußt und in Vornotizen viedcrhok darauf aufmerksam gemacht, 
daß >der diesjährige Kon kordiaball, welcher Montagf, den 19. Februar 
in den Sophiensälen stattfindet, seine Vorgänger an Glanz übertreffen 
dfirfte«. Im nächsten Satze kamen natfirlich die aUbekaaaten »Spitzen der 
Bchörda«, die trotz jahraelartelangem Gebrauch gegen die Lockungen 
dee Kioahofdtebenet aoch temer nicht abgeitanyfl äad. Der ileHhaiidd 
hielt getrenlidtf vat die Vbnwtte venpfochea halte» nhchleriMi iMaa* 
dete du Sdnaodrtaai na der Eetnde. Aaf dienr laicl der Mtgai 
aiBiiea vieder ednMtaeade KoMMeearilgiliaderf deaea lUe Oelela^MriBa 
von der Stiroe tropfen, die FeHüh adt der Kaart gi pag t hab«l 
9faid die folgenden Stot awiae CiBadaag ate eted ele den Mihi 
der , Neuen Freien l^resse* entnommen? »Es wurde gestern im Sophien- 
saale viel politisiert. Alle Welt tat es. Unseie schönen Gäste aus der 
Kunstwelt, die Sterne des Schauspiels und der Oper, schlössen sich 
nicht aws, A\anciies Wort an den, nein an d i e Minister wurde gerichtet, 
manche Interpellation aus schönem Munde wurde gestelU nnd mit galanter 



— 1« - 

Binllvtt||lielt InuiUmiIiI. Ut wungioglicMni dnlMMBtiftar hMiHi 
orit ihren Anschauungen Aber dit lüge ttkflif mrftck, oor idM 

sie die Dinge weit rosiger und freundlicher als an gewöhnlichen 
Tagen . . . Die Estrade im Sophiensaal, die am Konkordiaball 
rtets das interessanteste und farbenreichste Kaleidoskop der Wiener Qe- 
scllschatt bietet, hat auch gestern Politiker und Diplomaten, Künstler 
und Künstierinnen in schier unübersehbarer Fülle vereinigt. Da hört 
man ans doer Ckuppe das inhaltsschwere Wort , Demission I' Ein Minister 
hat's gesprochen; aber kein Omnd znr Besorgnis um unser staatUdMi 
WuhL Die «dikflart^ Piwtlnif Int das poUtische Ocspridi mit der 
wAütt/ttM Wiener OpcvsttendlVA tSbttßhtodbn vnd dte NsitgicrifB trtw^ 
mÜM failwvievl: M « ttehtig, di& goldig» Fnm &m Dinklor live 
DwMoft nfMn Inim? . . Dort sidil maa die hnail i dte Am- 
mmk 6m Despr^ Wer iraMki SfeMk wd ScWdter MtognunninHigriffe 
ndMr entgegcngeftPselEt fun Medtlrigr liclit m Heb iwd liendidi^ dril 
man ihr tränenschwere Sentimentalität gar nicht zutrauen würde. Die 
Sterne der Opet und der Operette, Fräulein Kurz und Fräulein Bland, 
Frau Günther und Frau Zwerenz werden von zahllnsen Trabanten um- 
schwärmt, und Blasel, der Ewigjunge, erzählt freudig, daß er Minen 
vierzigsten Konkordiaball milmacht; ein schönes Jubiläum, das auf- 
gedeckt zu haben, ein Verdienst des rührigen Komitees bildet.« Ist das lieb? 
Und erst die Präsenzliste 1 Soviel MensdHB im Saal, soviel Namen tn 
dar ZiltMtt. TrotulMi «ir aidit jeder da, der genaint wird, und wtnt 

iMHif ^^Moeo IditeHdea Kerte ^'os eeiocHi 9olBi# eetocoi SdHieiddVf 
mtmgm Väumwätm •iiw fiirlirii wmiät. Aflf den mii ae uii tischMi Sdulll- 
•Idlirbill, der stell dir llbenlen Mdboda gesdridEk bemichtlft 
iMt^ ««dt wmäkk ete Mnel ymlmbeuei Burgschauspieler, aa deiscn 
Adresse nach alter Oe s wArth e l t die Einladung gesdriekt whtl, »«rtor 
den Aüwes€nd<»n bemerkt«. Man teilt aber die Menschen in zwei Gruppen: 
solche, die den Konkordiaball besuchen und solche, die ihn nicht 
besuchen. Die ihn nicht besuchen, teiltman wieder in solche ffn, die »unter den 
Anwesenden bemerkt« werden, und solche, die »ihr Fernbleiben entschuldi- 
gen«. Diese bilden eine eigene Rubrik. »Ihr Fernbleiben«, heitites, »hatten 
aslschuldtgft«: Erzherzog Franz Ferdinand, Fürst Montenuovo, der 
Mteisterpräsident, der Reichskriegsminister, der Finanzminister, der 
fjaiK das fanHamfaiilaftaaB. QasaaAB. Oanamla dB. olc. Etae aiaü* 
Itaht iMel All« dte »BtWuddIgwvs die Thmfeicer 4m tat- 



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kovdiftbi]l*KioiBili6 (CMiyMMV iMkoi vif vb4i Mrfdi iHtanMlHHii 
AMh ob der die^Mg^ KMoidttUO «kUkk idae Vadtafv 
abttti q ff tti kat Nidit ctvi bloB u grtncBvoBer Liusvctte, ■di kd ifa r 
Luft, cfdiniMni Oedtii^ ind ctelhtftai VlMgui. Du dmlce JIdK 
Vtener Tigblatt* Bberticlbt oklit: »Dar KonMiiMI, te Montag ii 
dm Soi^iaiiilcB tbtditlteii wde«, schreibt es, »glich auf ein Haar 
seinen Vorgingem«. Allerdings, weil nach seiner Ansicht »eine Stei- 
gerung des traditionellen Glanzes, der lauseadlalügeQ Attraictionea 
dieses Balles wohl kaum möglich erscheintc. 

Liberaler. Wer beleidig^ das Andenken Heines schwerer? Der 
antisemitische Trotte!, der gegen ihn lospöbelt oder. . . ? »Unter den Be- 
suchern, die sehr zahlreich zur letzten Ruhestätte Heines pilgern, hat 
sich der Brauch eingebürgert, ihic Visitkarten io einem elgma hicfftr 
baUauateii Behitto' zurflckzulassen.« Darauf wird in Wien «H Loh 
hüHarttOMi. Vk vllnlai dch die Ubeodon Wid oi iftwi io tnl hrnm, 
«am sie die Widimutgen Hoea, mit doKO die VMtetM b eecln te b M 
Verden 1 »bn Kampfe um tin Deskmal fBr dfaA wrtwlag ich dv 
DwwnlMlt md ddnea Fdadcn«, onlblt Herr SObenieni den M« f 
DIeUer. Der anmutige Brandl soll oMeober hii, wcbei, daBdai AatalMi 
•n die Wiener Ubenilett criiaitcn nvide nnd die Besndier des Qrabcs 
in der Erinnerung Heines fortleben. Wem aber sein Einfall — so 
berichtet mir ein Pariser Leser — zu bedeutend erscheint, um in der 
Fülle des Behälters zu versinken, der bricht aus einem daliegenden 
Kranze ein Stückchen Draht und hefiet seine Karte recht auffällig an 
das Grabgitter. Wenn nun die Familie Kohn nach Paris kommt und | 
im Begriffe ist, die Loreley fOr ein schdnes Gedicht zu erküren, dann { 
klettert Kohn jun. übers Gitter nnd rdcht Papa, Mamt wkI der ' 
Schwester t imUi die Viaitfcarten hinflber, damit sie nachsehen, ob »wer 
BdnaiBfer« darunter leif rad die poftieeb fwnilogte TbMncMi ISotai 

aiw *!W DIB * MWMT» fl^K — n^^* wVU^^HD^^^^S. ^Bm. ^BD^HK SBHI^^I^^I IWI^^^KI 

on^peregf verde • • • 

UkfWfkkbaHkm. Die .Nene Me PMe* (1 1. Mmv) bringt eiM 
nnmdCentBdrten Brief Heines enden BtnkitrfrfcdUmd nnd einen nntm- 

öffentlichten Brief August Lewaids an Heine. Zwd recht i ulerea e an le 

Beiträge zur Heine-Forschung. Damit aber die Heine- Forscher auch 
wissen, wer Heine war, knöpft sie an die Publikation dreißig Zeilen 
»Aus dem Lebenslauf Heinrich Heinesc. Er sei in Düsseldorf geboren, 
habe sein Rltemhans und seine Kindheit in Frota und Venen geadi Udert, 



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~n — 

habe einen Onkel namens Salomon Heine gehabt, der ihn für die 
kaufmännische Karriere erziehen woiUe. »Heinrich Heine wurde in 
Deutschland und Frankreich ri^b berühmt ... In Paris erkrankte er 
an einem Rücken mar Ic »leiden, das ihn jahrelang an die .Matratze.igrnift' 
fesselte, bis ihn der Tod am 17. Februar 1966 ereilte. € Zum Schlüsse zwei 
Witze IM den letzten L^benstagen. Dktcnr machen Belehrung der Leser, die 
Mü ttvcrOüsBlttBfatCB BiicfcB kuUk cutBiiiMl WM Heiw cfiahreB • • • 
IMNsar J üipäu t Der wtd M ni dem Qrib Hetoee «m^nto, «en 
er diese Btogxi|ilile lieett Itt malader rNeoea Men Presse* schon ganz 
IpdiinnpBMi? Sie enüillf um Ihras Loieni tn bcvitoeMf diB Hdiie eta 
gßUU ü Mm Mmm w», «r kün «af die Fmgt dei Anm »Wie M Uv 
uescBiiNKBr* cewnponef • »inr ■eneri wiener won nerni OTniie** fieine 
beechftnigte sehieD Znstand. »Wie der von Henn Benedikt« : dü war 
die traurige Diagnose, die der Arzt ihm gestellt hat. 

HahUu^. Ober ein Stück des Herrn Triesch schreibe ich, ohne 
es za kennen. Daß es die Umarbeitung eines Stückes ist, das ich vor 
zehn Jahren g^esehen habe, macht mich nicht befangen. Ich erinnere 
mich an »Ottilie« nicht mehr und weiß doch, dat^ die »Schuldigen« 
ein Schnnd sind. Würde ich denn eine Woche später die »Schuldigen« 
kennen, wenn ich sie heute sähe? ich stehe mich jederaeit erbötig, 
aaf Omnd der faüuHsaiifiUK des Iferra Ketek das gmee Werk 
dee Horn Triftcii n relcoaslmlerea, Idi kmne die Oedenkenwelt nad 
die Sl^iadie Mlacr MeiüiiB. Deaa «caa ich aadi die »Headlaqg« voa 
»OMlHtc, »Mai«, »Hcmaaeliler« aad »KoaqdolN iiiiiienn iiebi;, m 
Mdea dodh aNriae Norvea dkw Badrftdie toa eedigraaer Telcaftoelf- 
keK aidrt los, die ife la der Zdt frttwr ttadcrtaMIglBeit empfai^gen 
habea. Wie dae fOrchterliche Verpflichtung, ton einer bdeen Fee aaf* 
erl^, lastet dieser Triesch- Kultus auf dem Burgtheater. Die modernsten 
Direktoren, die Hauptmann aufführen und die bloß für ihn »eintreten«, 
können sich ihr nicht entziehen, im Jahre 1906 wird auf dem deutschen 
Theater der Satz gesprochen: »Vielleicht war auch der üatte selber 
nicht ohne Schuid. Vielleicht hat er, nur seinem Berufe lebeud — auch 
das ist eine Art Egoismus — sein junges Weib, das nach Liebe 
dftndcte, nach Zärtlichkeit, nach trauliclieni Gedankenaustausch, darben 
laMaU. »Vitfleiclit, mh, «MMdrtI« telit Henr Keibcek biani, »Die 
Oevl0lieit vir« aae Heber feweiea« Um ftan Aaceto ver- 
salbea aa MNuiea» artOm Wik* ele aad dn VetMUtab la Maaa aad 
LMMmt iMNhiGbMia aad b«nlftaN. Itor mUxek «enaUR alao eiaea 



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— SB 



»klareren Einblick in dit VorfeMhichte des Dramas«. Am Drama selbst 
hat er nicht genug. Herr Kalbeck, der feinsinnige Triesch- Kommentator, 
gibt sogar zu, daß Ibsen einsetzen müßte, wo Triesch versagt. Dem Triescfa 
nämlich genügt der »Fehltritt« einer Frau, um ein Stück daraus zu 
machen. So ist denn also der Fehltritt der Frau Angela nicht ohne 
Folgen gebliebca. Sitze des Kommentars, die mtfirlich auch im 
Sifick vorkommen könnten : >Da iat das Unglfick sescfaeiien, in einem 
Augenblicke trunkener SeibstftrfMieiiieit, ikr.tidi wktmin wMuhtkm 
MOtt • • Nm ImBIb iis dM IteMi dm ttt n llibMi vIIhIb • • • 
Ai«ek wM m q)lt geMKkt ttod «filnw hitm, dtf flg OdiiHm h mm 
Tmt !■ dsi AimcB dncf jBflUflriH ftinAI wlffciuidci kitk^ dwcf ilsli 
die Mkiifitt tchM. Vte Akechm Md iniliiiiWM idl8^ In 8Mm 
Umr ftanoidttt bdeidigt, wM #e dw nichlMiMlIflHi VcrMhnr »II 
Eutkifiuig gedroht krtm, um, gebroeiMn an hrib wad Serie» InMtae 
Tage der Reue in schvermütigvr Einsamkeit zu verbringen . . .« Oibt's 
denn das heute noch? Eine Figur heißt >Guido von Hochwalden<. Herr 
Kalbeck: »Der Cousin Paulas, Guido von Hochwaiden, ein flotter 
Husarenleutnant, der ältere AnspiQrhe auf die Tochter Webers zu 
haben meint, gibt den Anstoß zur tragischen Enthüllnng des sorgfÜtig 
gehüteten Geheimnisses«. Herr Kalbeck kommt zu dem acoHl» 
aber nicht hoffnungslos ausklingenden Eode des Stückes« • , « 
Ich glaube nickt, daß ich mit einer der Personen, die deiii iMJikWK^ 
drei Worte spncken ktate. Aber kk Mfe, deA tum dkeeei DnoMdte, 
der eriM Süd« «Msit «■! eiMr ViefetediMiiir Owitui der Ita» 
keidia enlOliiai llOk und des Kritikm Mr lUe lUe Mck Mektfow- 
beeeche ebelittet, odlUi eievel die Tb- dee Bwgfteelat aaeli M0ei 
Mm» wird. Und Mieiidich wM^-devIt He irTiMi nicht dv» deck 
bei einer enduti T«r «teder hcnfakent — der Tritt k«ia »MllrilN 
eefaif Men nra6 schon aUerhand Respekt vor dem Eifer haben, ndt 
dem die »erste deutsche Bühne« nm die Literatur wirbt. Sie leiht den 
Gedanken des Herrn Triesch ihre beste Schauspielkunst und läßt 
ein Stück des Herrn Pr^vost von fierrn Siegmund Lautenburg ins 
Deutsche übersetzen, von jenem beiiihrnten Herrn Lautenburg, der einst 
behauptet haben soll, daß es »Hailuncmation« und nicht »Hallucina- 
tion« heiße, und da man ihm das Wort im Koaiersationslcxikon jaeigte» . 
veiicktkch rief: »Na ja, Meyer! Und noch dazu ein alter Jahrgang 1« 
Otmmand. kl dv denteohn Theeleikiitik reifit Jetet eie« Ver- 
tirtekus dee T«Me dn. die oedMide neteikib bHllBi Uikä 



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- SB 



ebi aoiltldemokrtHtcher Lfterttnrrichter, dem num doch dne derbere 

Methode zutrauen würde, läßt sich — siehe das Referat der Wiener 
.Arbeiter-Zeitung' über Georg Hirschfeld's »Spitfrühling« die foleende 
Wendung entschlüpfen: »Dt« Publikum, dem Hirschfeld in diesem Lust- 
spiel eher zu viel zuliebe getan, hatte keinen Grund zu den peinlichen 
IntuTten, die es nach jedem Akt gegen den lichtblonden zarten 
Dichter aufzischen UeB«. Dieser Kritiker liebt also die Uchtblondea, 
Zftrten. Efn anderer ist melur Har die brtinetteo Literaten. Da schreibt 
ein Wiener Mitarbeiter der neuen Berliner Zeitschrift fi^kt SchanbiUiiie' 
(<M Iwlfaiillrli iMr tiinftinMli ftlinMf lihi Ii niü fkm l Iwirhl^tiiitt iliir Pffrfc ny 
fliMtdMw«M)fllMrtiMteOillflteilif »AbOmMm Ymtimm 

ilti «Mat n*, wlwliilb WIM mi dem ganxw QtolMt nldü «Mir 
ftidM<* Ja, es {[drt ctmi licMt Wut Wim wd rtbic ydBddHlMMH 

Schriftsteller, seine raudelsauberen Dramaturgen, seine mollerten Dichter t 
JS^kymoioge. £jn Kopenhagener Le^ schreibt: »Gestatten Sic mir, 

n den Bottlit der iNtven Aticn Ptcne* Iber die BdtetxnagpleifrUdüB^ 
fai Roildlde eine Ueliie Bemerlmng tn madieii. Die BUtt Kfactst nldit 
nitr dnen Spezialberichtentttler, eondem auch einen Ethymologen nach 

Dincmatk delegiert zti haben. So unintere'^sant der Berichterstatter ist, 
so ioteresaant ist der Eihyrnologe, der einen Zusammenhang zwischen 
»Roskilde« und »Rothschild« wittert. Vielleicht übernehmen Sie es, den 
scharfsinnigen Gelehrten darüber aufzuklären, daß ätiat elhytnologischen 

Wrendie redit vaglflddtdi wncii. »Roskilde« bedeutet Roerddlde. 
Rw Ist flu ssfealufter KOttigssotm, desses Oeeehidrte Jeder dlaisehe 
ScMlnoge erzählen kann, »s« ist die Endung des zweiten Falls, ttnd 

Kilde heißt Quelle. Roskilde heißt also Roars Quelle. Ich möchte aodi 
hinzufügen, daß rot auf dänisch rod und Schild Skjeid heißt«. 

Praktiker. Ein Inserat der »Neuen Freien Presse' (14. Februar): 
>KAnzUstin gesucht mit orthograph. u. kalligraph. schöner Schrift, welche 

iMii der XMSlei woImeB Iwhl Allein olme Beluraiiticliaft 
«Ad VeiwandttcJiaft slelioide^ wprispiitatfoiisfihlge Daoie mit an- 
genehmem Exterieur bcvarzagt Anträge mit Zeugnisabsdiriflen a. 
bMieriger Venrendnng unter ... an das Ank.-Bureau d. BI.€ 

i^perCsMm Die Titeljagdaaiaon denert in öileneicii dü gme 

Jslir. NenertM ernst ia Sportlireisen der Relocnd eines Herrn KamlUo 

Morgßn Bevundenm^. Der Mtnn sibt sldi den Titd »Jagdtchrlft- 

•t et 1er« nnd ist efn Tltdjagdicliriftstdler fon herromgender Be- 

deolnng. Sdm In Nr. 103 entlrite Icli, dafi er sldi »fttrstUcber Rat« nnier* 

schreibe md dafi inf seinem Brie^iapier drei Orden abgdiildet sind, 

nnter denen tldi der ifBddldie Besitzer ab »Jagdferleger nnd 



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I 



JairteMMdkr, fÜNv IMMor «iii ffcrtMrtiii OMn «owlc 

ausgezefdnMl fwi T li i wüWi« öilüii i d l U agM— 

nad könfgürhen Hoheit dem Dnrchlancfatigsten Henm 

P<«Td:ii^;nd durch e;ne Busennadel aus Brillanten, Wien, IXJ* Sobieski- 
i la:z 4« vorstellt. Nun wird mir eine NuraiEer des .Central blaues für 
Jagd- und Hundeltebhaber' zugeschickt, aus der ersichtlich ist, daä der 
Marjn es se:t zxci Jaliren um ein hübsches Stück «'eitergebracht hat. 
Als Veifi&sereines Autsatzes über »Pelzwerk« unterschreibt er rämlicfa 
vie folgt :»Ka]iiiilo Morgan, bekannter Jagdschriftsteller im In- 
ttttd Auslände, EhrcsfifiädMt des öiiaT.iagdk}nl»Qnd Inhaber ai*her 
Ordern «sd ekrMgcvclieBkt«. Nun verde ich MttdidanMfi 




1*1 

jatmOmiderwM nrft dm»WieiMr|Rfdkiidi«wnmMtmteioQ 
ti rtfiliitHfh UbB Hifiiiiifi dMt isMoM »Khite dtr 
Wddaiantf« M « . . Ab« HcffMoriiB MdMvfdvldriM 
ktit, als dafteto Leser — der kdB KnCta ist — dieae Betaerktin^cn alsciMi 

»Aiigfriff« und nicht sofort als das auffassen sollte, vas sie im Oruode 
sind: die Iv_;rachiung eines typischen Falles von ösieueichibcher Titel- 
sucht. >AUiuh;iuil glaube ich«, so schrieb ich in Nr. 163, »der Spult 
Über Ordens- und Titelsncht sei antiquiert. Aber dann höre ich wieder, 
daß sich eiiKT ^ein ganzes Leben lang abquält, ein ,Truchseß* zu 
werden. Über weniges wird er in St. Moritz zuoi zehntenmal an Kaisers 
Ocbnrtitag die VoUntafouic «flOBB, itnd der Herbst wted ki's Land 
gehen, and vir «crdea alt werden, und er wird noch Imwm nicht 
TroeineB cmrdea adn. Dmo böre ich wieder, daß eis Mami amcdit, 
dcMCD diiiigft Zid Stt, Bahaho&fxiriiereD die Larve nm Oeiidlt und 
die imediles Orden foo der Brust m teiBca. Ncta, Idi Julte mßf dea 
Scraiiniiii«a»9|MB für. veraltet, dfe Dnuntaelt dar UaMuMi M aknler 
denn Je. Orden sind nocb immer die Bdofanmv Ar FIdfi and gnie 
Sitten; aber die Voriaginclifiler des Staates sltaen auf der EteMbank. 
Nichts scheint abgebrauchter als die witzige Unicrsdiddniig zwisdien 
Titeln und Mitteln. Aber in Österreich sind jene noch immer zugkräfiiger 
als diese«. Und der Titel bringt mehr herein, als für ihn gez^Ü 
wurde . . . Aber der Herr Morgan sollte persönlich nicht getruifen werden. 
Ein einziger Satz aus Einern Anikci über »Pelzwerk« muß seine Feinde 
wieder ver'^öhnen. Er schildert, wie ein Fallen Fabrikant namens Weber 
die l ucnse überlistet hat: »Aus der Beobachtuni^ daß Meister 
Reinecke furchtlos auf jeden Stein tritt und einen auf diesem an«e* 
legten Fangbtodcen aufnimmt, ist Altmeister Weber anf den Oedaukea 



gekommen u|w.< So flberiistet der Altmdsler dnen Ifdiler* Jian aiehtr .^1 



Die Fackel 

Ml. 116 WIEN» 12. MARZ im VIL JÄHR 

Abläll«. 

Der Klerikalistmis ist das Bekenutiüs^ dal^ der 
Aadere nichi religiös 8d. ^ 

Druckfehler der Geschichte: Da die Regieruneeii 
aller Staaten soaialpolitische Einrichtungen so^uien, 
flohlofi sich öaterreich mit Widlfahrtsbestrebungen an. 

Modernes Symbol: Der. Tod mit , der Huppe. 

loh begeistere miohfibr den »Bhrenpunktt^seitdem 
ichdieBeobaohtuo^ gemaoht habe, dafi man mner »uner^ 

ledigten AiDlrec die Befreiung von lästiger Gtosellsohi^ 
verdankt. # 

Die Frauen. 

Ob sündig odw sittenrein? 

Lafit sie doch lieber gleich begraben! 

Ich teQe rie in Gefallene ein 

Und sojphe, die nicht gefallen haben. 

• 

Eine je stärkere Persönlichkeit die Frau ist, 
desto leichter trägt sie die Bürde ihrer Erlebnisse. 
Hochmut kommt nach dem Fall. 

Wenn die Sinne düt Frau schweigen, verlangt 
sie den Mann im Mond. • 

Mftnnerfreuden — Frauenleiden. 

♦ 

Die weibliche Orthograpiiie schreibt noch immer 
»genusc mit zwei und »Qenuss« mit einem >8«. 



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Dia ErQtik de« Maones iBtdie SepHtUt^t ^er 9rau. 

■ 

In der triebe kommt es nur darauf an» dalS man 
mbt dümmer erodiaiiii ab naan olmedies gemacht wird. 

« 

Sie war schön wie die Sünde« aber kunbeinig 
wie die Lüge. # 

Ihre Züge führen einen unregelmaftigen Lebeni- 
wandeL 

Perrersitat ist die Oabe, VerateUungswttrte und 
Bmpfiadungen au einem Ideal su suminieMi. 

e 

»Gesunde ist, wer die Virginitat im allgemeiiten 
heiligt und im besondern nach ihrer Zerstörung lechzt 

Das aktive Wahlrecht des Männchens haben die 
Realpolitiker der Liebe geschaffen. 

»Ich mag kein Beefsteak, von dem schon ein 
anderer gekostet hatl«, tagte ein starker Esser der 
Liebe. Und ward ein Bissen fitar eine starke Beselin. 

♦ 

ESne Fraui die genn Mfamar ba^ hat nur einen 
Mann gem. • 

Was ich weifi, macht mir nicht hßUL 

Die Sexualität der Frau besiegt alle Hemmungen 
der Sinne, überwindet jedes Ekelgefühl. Manche Qatlin 
würde sich mit der Trennung von Tisch begnügm. 

♦ 

Die Schauspielerin Ist die potensierto Frau, der 
Schauspieler der radisierte Mann* 

Wenn ein Prauenkenner sich verliebt, so gleicht 
er dem Arzt, der sich am Kraukeubätt ii^iert: 
Märtyrer ihres Berufs. 

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1 



Der Astbatiker: Sie wäre «m Ide«!, sber ^ diese 
Uandl Der Brotiker: Sie ist mein Ueel. Abo mdaeen 
alle Fiaimi diese Hand liabml 

Lieber ein häßlicher Fuß verziehea, ak löin 
bäßlidier Strumpf 1 « 

Brotik ist Überwindung von Hindernissen. Das 
verlockendste and populärste Ifindeimis ist die »Horelc, 

Die GeseUschai'Uordnung ist conti oi-seiuai veraiilagt. 

* 

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Nämlich: 
Jeder ist sich selbst der Nächste. 

Wer Andern keine Qrabe gräbt, fUIt seBrat hsnent. 

Man lebt nicht einmal einmal. 




Kanonen aus Kirchenglocken. 

In der Tatsache, dafi ein Staatswesen sehr rOok- 
ständig ist^ Hegt in einem gewissen Sinne auch 
etwas Hoffnungerweckendes; insofern namHcfa, als 

hier ein ökonomisches und geistiges Reservoir ge- 
bundener Kräfte heimliche Energien autspeichert. 
So liegt die suggestive Macht Rußlands, die auch 
durch seine großen Niederlagen nur zeitweilig ver- 
bleicht, in der sich aufdrängenden Vorstellung, daß 
hier gewaltige, unverbrauchte Kraftvorräte dem Tag 
ihrer Erlösung entgegenharren. In Zeiten großer 
allgemeiner Krisen ist die Belastung der Voikskraft 
mit gewichtigen Hemmungen beinahe einem Out- 



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» 



— 4 — 

haben gleichsuachten. In diesem Sinne konnte man 

die katholischen Staaten als solche betrachten, die 
noch einer großen Expansion nach innen fähig 
sind, wenn sie sich einmal entschließen sollten, die 
gigantische Voikersparbüchse, die Kirche zu liqui- 
dieren und deren Schätze auszuschütten. Sollte sich 
der große Säkularisatiooszauber nicht eines Tages 
wieder erneuern lassen? 

Der Geist der europäischen Staaten ist längst 
ein durchaus heidnischer. Mir drängt sich iaimer 
lebhafter der Gedanke auf, daß die Staatsverfassungeii 
im letzten Orunde der Ausdruck militärischer Not- 
wendigkeiten Bind. Vielleicht gelingt einmal einem 
inründliohen Kenner der Taktik und Strategie aller 
Zeiten der Nachweis^ dafi die jeweils gegebene For- 
mation der Truppen im Felde eine bestimmte staat- 
liche Konstitution nach sich zieht, beziehungsweise 
von dieser bedingt ist. Der Zusammenhang von 
Reiterei und Rittertum tritt schon im Wort hervor. 
In dem Maße^ als die Bedeutung der Kavallerie im 
Felde sinkt, büßt auch die Gentry an politischem 
Gewicht ein. Der geschlossenen Schlachtlinie der 
Priederizianischen Zeit scheint mir der aufgeklärte 
Absolutismus zu entsprechen. Die Vorherrschaft der 
Artillerie ist durch das Bestehen großer kapitalistischer 
Stablissements bedingt, und der Kanonenkaiser Na- 
poleon ist der Sohn und Heros der bürgerlichen Be- 
volution. Das weittragende Männlicher zwingt zur 
Auflösung der dichten Ziele, und die heute einiig 
mögliche Sohwarmlinie ist auf miUtibischem Gebiete 
' etwas ähnliches wie das Freilioht in der Malerei und 
die unendliche Melodie in der Musik, die bekanntlich 
Nietzsche als ein Echo der Demokratie erraten hat. 
Alle modernen Menschen dürfen ihre Hoffnungen be- 
ruhigt der weiturawälzenden Macht der Schwarralinie 
anvertrauen. Ich für raeine Person baue auf sie heilig 
und ziehe aus ihr den unbedingten, fast möchte ich 
sageuy untrüglichen Schlufi, , dal wir einem Zeitalter 



_ 5 — 

einer streng heidnischen maohtvoUen Demokratie 
entgegengehen, die ^eiobaeitig wieder dem Individuum 
eine gewisse Amplitude garantieren wird, was ich 
aus dem Abstand der Kombattanten in der Schwarm- 

linie beinahe exakt ableiten könnte. Die moderne 
Feuerlinie — aufgelöste Plänklerreihe — wird und 
muß ihr Spiegelbild in der Staatsverfassung finden; 
denn es ist schlechthin unmöglich, auf Grundlage eines 
feudalisierenden Regimes das entspreclu nde Material 
für die Schwarmlinie zu rekrutieren, geschweige denn 
im Felde mit ihr zu manipulieren. Der organisierte 
^ofistädtische industrielle Arbeiter ist das beste und 
intelligenteste Infanteriematerial der modernen Feuer- 
taktik, wie übrigens jeder General bestätigen wird. 
Alle militArisch yeranlagten Köpfe fühlen das in* 
stinktiv und sind heute im Heraen demokratisch 

Sinnt. Diese Empfindung kam unlängst bei der Bede 
Landesyerteidigungsministers gewissennafien 
durch Inspiration zum Vorschein, bei jener sensationell 
wirkenden Rede, deren Erfolg in der unbewußten 
Enthüllung dieser Tatsache begründet war. 

Sollte zur Entkräftung dieser Theorie von dem 
innigen Zusammenhang zwischen der Gefechtsfor- 
mation und der Staatsverfassung etwa auf die Tat- 
sache hingewiesen werden, daß in einem und dem- 
sell)en Zeitalter die verschiedensten Verfassungen 
nebeneinander bestehen, während die anerkannte und 
jeweils geübte Taktik nur eine sei, so würde ein 
genaueres Eingehen in die Geschichte lehren, daft 
die Kriege eben der Plrosefl sind, durch den sich die 
Ausgleichung der Taktik yoU^ieht, und im Sieg der 
Waffe auch stets eine Überlegenheit der Staats- 
"yerfaskung mm Ausdruck kam und anerkannt 
wurde. Die nachträgliche Analyse und Diskussion 
aller kriegerischen Auseinandersetzungen erweist die 
Notwendigkeit und Gerechtigkeit des Sieges; um- 
gekehrt wirken Niederlagen unfehlbar revolutionär, 
was nicht mit solcher Uamittelbarkeit und Vehemenz 



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der Fall laiii kiömite, wann es nicht gefadesu im 
SiaitiTer&ttuag wite« die im Oefeeht uotfrlag. 

Die europätsohe Opposition, gebildet aus der 
Summe aller nach Entbindung ringenden Kräfte» er«- 

blickt in der Kirche und der Armee ihren gemein- 
samen Feind und bekämpft die auf sie gestützte 
Staatsmacht, ohne sich davon Rechenschaft zu geben, 
dafi die erstarkenden und gesundenden Staatswesen 
von immer lebhafterer Sehnsucht erfüllt werden, ihr 
innerliches Heidentum zu offenbaren. Das immer 
deutlichere Einbekenntnis zu einem kühnen Heiden- 
tum, die Abwendung des Staates von der Kirche, wie 
sie eben jetzt von Paris» dem Nabel der Erde, in^ 
stradiert wird, ist das größte moderne Ereignis. 
Allmälig fühlen gioh die Staatawesen hinreioheod 
entwiokelt, um Anlehnung an die Kirobe m 
entraten und lu ihrem historiadhen Antagonismiie 
lurfleksakehfoii» Die enropüsohe Opposition kftmirft 
nodi in ihrer alteü Zweifrostenstellung und befestigt 
dadurch künstlich ein Bündnis, das nahe daran 
aus natürlichen Cji linden zu zei fallen. 

Armee und Kirche sind aber innerlich ver- 
schiedene Kategorien. 

Die Kirche ist der immanente Feind des weltlichen 
Staates und Fortschrittes. Die Armee ist es nur 
akzidentiel], teilweise und durch ihre Nebenwirkungen. 
Die Kirche haßt den Staat, weil sie ein selbständiges, 
mit ihm rivalisierendes Prinzip ist. Die Armee ist 
weit weniger herrsohsücbtig, sie besitzt die Fähigkeit 
der Subordination und gewinnt ihr Obergewicht wie 
etwa ein hypertrophiscbes Qlted einee Oq;aia8miia, 
m dem es aber immer noch ala ein Bee^dteil ge- 
hört» Die Kirdie ist die Summe aller gebundemi 
Gmter, sto ist säbst ntchts anderes als das Prinsp 
der Gebundenheit, die Autorität um ihrer selbst 
willen, das mit Macht bekleidete Dogma, gleichmütig, 
welchen Inhalts. Sie ist in letzter Linie die Orirani- 
satioß aller Schwachen. Die Armee ist eine Ober- 



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Beagungssache der Gesamtheit; ohne diese — Tiel« 
leicht irrige — Überzeugung von ihrer Notwendigkeit 
könnte sie kaum einen Tag bestehen. Ihre gesamten 
Einrichtungen, so drückend sie sind, werden aus- 
schließlich vom Geiste der Zweckmäßigkeit diktiert, 
sind, den Zweck einmal zugegeben, durchaus logisch. 
Die Armee ist prinzipiell an der Volksbildung inter- 
efiaiert, ihre disziplinierende Leistung hat teilweise 
einen Kulturwert. Sie steht mit der Technik in 
l^ontakt, befeuert und inspiriert die Industrie und 
bleibt selbst in ihrer parasitisehen ESntartung eine 

?aeUe der Zucht und Kiaftsteifferun^. Das nulitftrisohe 
rinzip der Offenheit, eine gewisse mechanisofae 
Handhabung in moralischen Dingen, im Gegenati 
2um subjektiven gedankenverfolgenden Raflbiement 
der Kirche, die Aufrichtigkeit in sexueller Beziehung 
~ all das läßt die Armee als die Inkarnation des 
Heidentums erscheinen. 

Können wir uns in dieser Gedankenfolge mit 
dem Bestände der Armee nicht versöhnen, so können 
wir uns doch mit ihm verständigen. Anderseits 
nähert sich unsere Heeresverfassung ebenso wie die 
militärische Wissensehaft immer mehr der Erkenntnis 
von dem Hochwert der Milisen* Der prätorianische 
Haudegen wi^d von der modernen Figur des Zivil- 
strategen in den Schatten ff esteltt. Bekrutierung, 
Aufinarschi Verpflegung, E&enbahnen, kura die 
IGIttftrverwaltung gewinnt an Bedeutung, die 
Offlaiere nähern sich dem Typus des Technikm. 
Auf Basis der Demokratisierung und Zivilisierung 
des Heeres überwinden wir den Militarismus sicherer 
und tiefer als durch gehässige AngriflTe auf die Armee. 
Die Einführung des Rechtsbegriffes in die Armee ist 
das nächste große, aber nicht unlösbare Problem, zu 
dessen Behandlung die einsichtigen Mihtärs geneigter 
sein werden, sobald die prinzipielle Negation vschwindet. 
Als Eecompense für die Durchdringung der Armee 
durch das Volk winkt die Duiabdri^gung 4as Volkes 



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durch die Armee, die heute noch notwendige Syn- 
these, die bei der gegebenen internationalen Konstel- 
lation die Grundlage zur Auflösung des Militarismus 
bereiten wird. 

DieAbschüttelungdes entaetBÜchenSpesendnicks, 
der faux frais, ist in allen Kulturstaaten eine brennende 
Lebensfrage geworden. Der moderne Staat erkennt 
seine Hauptaufgabe in der Entwicklung der Macht- 
stellung nach außen^ der handelspolitischen Expansion, 
einer umfassenden vS()zial|)oUtik im Innern, der Her- 
stellung des Gleichgewichtes und äußersten Ent- 
bindung der produktiven Kräfte und der Sicherung 
des Konsums. Der heidnisch-militärisch-industriell-so- 
zialpolitische Macht- und Handelsstaat krystallisiert 
sich mit äußerster Rapidität vor unseren Augen, Er 
findet kein gefährlicheres Hindernis, aber auch kein 
gewaltigeres Reservoir auf seinem Wege als die katho* 
lische &rche. 

Wir in Österreich erkennen in ihr noch spedell 
das serseteende Element p£^ excelleace, das alle 
Aggregationen durchbricht. Sie ist die schwere 
Störung unserer äußeren Politik, sie entzweit uns 
mit Italien, Deutschland, aber auch mit Ungarn und 
unserer raohaniedani sehen Bevölkerung. Alle am 
Staatsbestande interessierten Elemente und Kräfte: die 
Dynastie, die Industrie, die Arbeiterschaft und die 
Armee einander zu n^ern, ist vielleicht heute die 
modernste Politik. 

Ein herzhafter sozialpolitischer Gäsaiismus, ein 

Kompromiß mit der Armee zugunsten einer frisch- 
fröhlichen heidnischen Staats- und Machtpolitik als 
Grundlage der großen Rangierung in tiefer Zerrüttung, 
namenloser Verbitterung und Ermüdung — hätte 
heute im Reiche Josefs des Zweiten ungleich freund- 
lichere Aspekte, als zur Zeit jenes verfrühten, nie 
wiederholten V ersuches, der noch nicht den Hinter- 
grund eines krait vollen Proletariats, besaii* 



Digitizcci bv 



\ 

I 



Auf Qnmd dieses Programms w&ren dem Kaiser 
die Kanonen su bewilligen, yoransgesdst^ daS rie 
aus Kirohenglooken gegossen sind. 

Robert Scheu. 



Status cridae. 

ich erhalte die folgende Zuschritt: 

In Ihren höchst interessanten Artikeln über die 
Beamtenfrage haben Sie bisher zwei Theoretiker su 
Worte kommen lassen. Erlauben Sie heute einem 
Praktiker, der das Beamtenelend sattsam am eigenen 
Leibe spflrt^ einige Zeilen an dieses Thema au wenden. 

Die aahlreichen StaatsbeamtenTersammlungen, 
in welelien die Herren Volksvertreter von rechts 
und von links den Mund gewaltig vollgenommen 
und teils verschämt, teils unverschäint Stimmenfang 
getrieben haben, sind nun vorüber und die Regierung 
hat, zwar nicht um die Beamten, aber wenigstens 
um die Abo^eordneten zu beruhie^en, einen Uesetz- 
entwurf eins^ebracht, der die Beamtenfreundlichkeit 
dieses Beamtenkabinetts ad oculos demonstriert und 
in den betroffenen Kreisen neuerlich Empörung her- 
vorgerufen hat Wäre es den Herren. »Reichsräten« 
mit ihrem Interesse für unseren Stand wirklich ernst, 
so bfttte mindestens einer von den fünfzig Parlamen- 
tariem^ die in der Protestversammlung im neuen Rai- 
baus ersebienen waren, gegen diese Fopperei energisijh 
Stellung nehmen müssen. Gelegenheit war den Herren 
reichlich geboten, denn dieses Qesetz — über die 
partielle Einrechnung der Aktivitätszulagen in die 
rension — hat bereits den Budgetausschuß passiert. 
Es ist der nackte Hohn auf alle bisherigen Bestre- 
bungen und Kundgebungen der Beamtenschaft. 

Anstatt uns eine DienstespraLiinatik zu geben, 
anstatt die Verkürzung der Dienstzeit auf 35 Jährt; 



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10 



«UBUgestehen Maflndlimen, deren erate dem Staat 
i;aroicht8, detren awette keiae auds nur halbwcK^ 
nennenswerte Susune koatMi würde — , will «man «in 
Geseta achaffen, das unseren gegenwärtigen kärg- 
lichen Standard of life noch mehr herabdrOokt, indem es 
die Staatsbeamten zwingt, die Auslagen ffir eine künftige 
Pensioiiisaufbesserung ganz aus eigener Tasche zu be- 
streiten. Was würde man etwa zu einem Fabrikanten 
sagen, der seinen Arbeitern auf ihre begründete Bitte um 
Lohnaufbesserung das Folgende antwortet: »Lohn- 
aufbesserung kann ich euch keine gewähren, aber 
ich werde euch von euren Bezügen wöchentlich 
soundsoviel abziehen, damit ihr bei Unglücksfällen 
mehr herausbekommt«? Welche Antwort erhielte der 
Fabrikant von seinen Arbeitern^ Was würde die 

große Öffentliohkeit au solcher Sozialpolitik sagen? 
er Staalisbeamte aber, der natürlich au allen Drane- 
aali^ruagen kusdien muft, wird aiieh diese PUie 
addttoke^, weil im Parlament «ich niemand findet, 
die ganse Hinterhältigkeit dieses Gescrtaentwvifes 
zu entlarven. Id allen Staatsbeamtenversammlungen 
der letzten Zeit wurde darüber geklagt, daß die 
Gehaitsregulierung vom Jahre 1898 ganz unzuläng- 
lich war, daß deren Wirkungen längst durch die 
allgemeinen Teuerungsverlülltnisse überholt worden 
sind, daß die erdrückende Mehrzahl aller Staats- 
beamten auch weiterhin darbeti muß — die Regierung 
aber lidgt dem Abgeordnetenhause einen Gesetaent- 
wurf Tor» der uns eine weitere empfindliche SdunAr 
lerung unserer Belüge verspricht Und das wU 
die halbverhungerten Beamten kirre machen» tfe 
furchtbare Brbitterung in unseren Kreisen bannen? 
Wftre die Beamtenfireundlichkeit der Herrai Volka* 
. Vertreter eine echte, sie hätten sie nicht besser doku- 
mentieren können, als durch wistimmige Ablehnung 
des Gesetzentwurfes im Budgetausschusse. Das ge- 
rade Gegenteil ist, wie stets in diesem Lande der 
uabegrenaten UmnOgllohkeiteOf auch di^soial giß- 



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— 11 



Bofaeheii. Der Budgetausschufl hat den Bntimrf ein«* 
BtimiDig altteptiert. . . In diesem Autechuageaber aitiM 
saUreiehe Abgeordnete, die gerade in Beamtenrer* 
saixradungen das grolle Wort au führen pflegen. Hof- 
fentlich geben die 1>eTor8tehenden Wahlen audi der 
Beamtenschafc die gewünschte Gelegenheit, mit ihren 
falschen Freunden entsprechend abzurechnen. 

Ein Staatsbeamter. 




Arotlk d«r Kl«ldniig. 

tHt Philteler oder Mondisten (oder wie inm die Utile du 
euiprteii acl&Ugeii HoHzonfes sonst imuieii will^ iMben eine ci^ne 
Art» die Unnrclt des Alenschcn, die sidi in vieUansendjährigcr 
Berillinnqr ^ ^« «linfiiliGli voigeistisit Imt, wieder geistles tu 
machen. Sie entdecken nämlich von jedem Ding, von jeder Fähigkeit, 
von jedem Trieb die »Bestimmung«. Alles in der Welt hat bei 
ihnen einen Zweck, alles ist »zu etwas da«, und zwar hat der 
Ordnung halber jedes Ding nur einen Zweck und ist nur »dazu da«, 
Sie spannen Dinge, Fähigkeiten und Triebe in das Joch Irgendeiner 
»Nützlichkeit« und verstümmeln sie solange, bis sie endlich 
»zweckmäßig« sind. Der Geist scUsst zum Beispiel ist in diesem 
System eines harmonischen Idiotismus »dazu da«, unser ganzes 
Leben in das Zweckmäßigkeiteprinzip einzurenken; die Kunst, die 
leider einnial da ist nnd dslier tndi einen Zwecli lisben muB, ist 
»dm ds«, nns zn »erbeben« (das Qesindei steckt immer im 
Morast und will immer »erlioben« sein); der Oesdileditatfleb Ist 
»dtzn dt«, eine Nsdikommettsdmft nt sidieni, also die Idioten 
nicht alle werden zu lamen; der Wdn ist »dazu da«, »nns in frSb- 
HdierOescIbdiaft^mäBIg genossen, die Grillen zu verscheuchen«; 
die Kleidung ist »dazu da«, uns gegen Kälte und Schmutz zu 
schützen^ das Leben überhaupt ist »dazu da«, daß »du« immer 



# 



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12 — ' 



Treu' und Redlichkeit übest und die Mogelei in den Mantel der 
Ehrbarkeit hüUest — und die Philister sind »dazu da«» dies alleft 
festamstellen . . . Signor Bartolo, den Spucknapf! 

Weil aber die Wdt nicht von den Philistern erbaut wurde, 
ist sie ghtcklicherweise gßoz unzweckmäßig dngerichtet Sie ist ao 
unzweckmäßig dngericlitet, daß die wertvollen und kMUdiai 
Dinge darin erst dann Ihm Weit und ihre KMlichkdt efhalten, 
wenn sie Ihre »Bestimmung« und Utililfit weq^cs s cn nnd, gegen 
diese Besthnmung und Utllltät, nach ureigenen Oesetzen sich ent- 
falten. Erst wenn der Intellekt sich Uber seine »Bestimmung«, 
seinem Besitzer das Fortkommen im Leben zu erleichtem, erhebt, 
wird er zum Geiste, der an seinem eigenen, zwecklosen Spiel, 
an seinem gefahrvollen Fluge und an seinen Rätseln sich ergötzt, 
der ganz unnütze, ja sogar höchst nihilistische philosophische 
Systeme ersinnt und die Natur ganz iiberflüssigerweise in Kunst- 
werken vergeistigt. Erst wenn der Geschlechtstrieb den Frondienst 
der Fortpflanzung abschüttelt und, am Geiste sich emporrankend, 
selbstherrlich wird» wenn er, jeder fürsoiglichen Einfriedung 
spottend, öbermäditig, vernichtend anstatt zeugend, auf allen ver- 
botenen Pfaden wandelt, dann eist ^ jenseits aller UtlUtälen und 
Bestimmungen — subllmlert er sich zu der sich selbst genießenden 
Erotik. Und wenn die Kleidung und Wohnung des Menachea 
nicht mehr bloße Schutzmittel gegjen Witterang und Sdunutz sfaid, 
sondern Ausdrücke des Stolzes und der Machte Abadclien der 
sodalen Distanz, Betätigungen der ^«chtliebe und des Kunst- 
triebes, dann erst sind sie ein Wertvolles, eine Emanation des 
Geistes, Symbole und Kunstwerke. 

Vor allem die Kleidung. Ihre höchste Vergeistigung erlangt 
sie als Lockmittel erotischer Wünsche. In der Glut der Erotik 
\Tird sie zum glühendsten und spirituellsten aller Dinge: zum 
Fetisch. In vieltausend Jahren hat die Kleidung soviel des Geistes 
vom Menschen in sich aufgenommen, daß wir alle Probleme 
menschlicher Kultur begreifen würden, wenn wir den Qdst der 
Kleidung völlig und unmittelbar vostünden. In jeder Erfindung 
steckt nämlldi unendlich mehr Geist als In ihrem Cifindar. Aber 
für das, was wir immer vor uns sehen, sind unsere Augen stumpf, 
und so Intensiv auch unser unbewußtes Leben von diesem Qtlsle 
beeinflußt wird, so Ist es uns doch unmöglich, uns hierfiber Uar 



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18 



bewußt zu werden. Während die Kleidung dem oberflächlichen 
Deaken tis eine VcrUddung» als ein Mittel der Tftuschuncf, als 
Maslre erscheint, welche die wihre Oeshdt und daa Wesen 
des Menschen yerbhst, spricht sie in Wu'ldichicelt das un- 
bewußte Wesen eines Mensdien am deutlichsten ans. Sie endOilt 
uns direltt und dhne Umschweife vom Inneistcn des Menschen, 
aus dem alle Wilnsche» Oedanicen und Erld>ni8te entspringen. 
Aber diese Sprache hat noch keine Grammatik. Die Äußerlichkeiten 
der Kleidung, die vielfach vom Zufall abhängen, bedeuten wenig, 
sie lenken nur das Auge vom eigentlich Charakteristischen ab. Und 
nicht dieallgeirieine honn der Kleidung (die Fa^on) ist für den Träger 
absolut charakteristisch die Form der Kleidung, die Mode, 
erzählt uns etwas anderes: die Geschichte der menschlichen 
Kultur — , sondern das Leben dieser horm an seinem Körper. 
Wie die Form, der Qeist der Allgemeinheit sidi nütdem Individuum 
verbindet, wie diese Form zu ihm paßt und vas der Qeist des 
Individuums ans ihr macht, «ie er sie von innen umsestaitet, 
wie er sie belebt — darin sprldit sidi daa Wesen eines Menschen 
nnfehlbar aus. Die Form des Kleides» die von der P^fche einer 
Qesamiheit bestimmt wird, Ist zugleich auch der subtilste und 
korrekteste AAeBappant fVtr das Besondere und Eigene eines 
Menschen, ffir dü Individuum In Ihm. Das verschiedene Leben 
der gleichen Form an verschiedenen Trägern tritt bei der Uniform 
am reinsten in die Erscheinung, hür einen guten Beobachter 
ist das individuelle Leben der Kleidung bei Uniformierten am 
frappantesten und bezeichnendsten. Eine interessante erotische 
Verwendung findet die Uniform beim Ballet. Hier wirkt die 
Gleichheit der Kleidungsform, unterstrichen durch die Gleichheit 
der^ Bewegung, bereits als konkreter, sinnfälliger Organismus, dessen 
individualisierende Analyse dem Betrachter den erotischen Reiz 
einer Intimen Enthüllung bietet. Die Mode oder Uniform ist der 
Ansdruck einer Entwicfciung^fe der Qeaamtfaeit, in der alle 
vorausgegangenen Entwiddungastulendnverlelbtsittd; die Kleidung 
des Individuuma ist der Reflex der Qesamiheit am Pei^önllchen» Fflr 
den Psychologen istdIeVerfolgung gerade dIesesReflexes wertvoll, weil 
er von allen gidchaitigoi der dhrekleste und am meMen unbewußte 
ist. Ich beschränke mich jedodi auf eine kurze, andeutungsweise 
Schilderung der allmählichen Verbindung von Kleid und Erotik. 

m 



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14 



Die Erotik hat durch die Erfindung der Kleidung erst 
ihren wesentlichen Inhalt bekommen. Die Ausgestaltung der Erotik 
ist mit der Ausgestaltung der Kleidung Hand in Hand gegang:cn 
und in unserem unbewußten Empfinden sind Erotik und Kleidung 
Qbcrlttupt nicht mehr zu trennen. Wir wissen kaum, wie sehr 
uinm ganze Erotik eine Erotik der Kteidung ist Seibst «naefe 
VoRtenung der Nacktheit Ist nodi unUMicfh mit dar Vmlellnnc 
der Kleidung verbunden. Wir empfinden das Beklekleladn da 
den natOilidien Zuatand und das Nackte isl für nns in enter 
Linie das Entldeklete und ersdieint uns als Blöfie^ ab NndMt 

Dies trifft nicht etwa nur auf Frömmler und »Nudititen- 
schnüffler«, sondern, einige Maler oder Bildhauer, die ihr Auge 
mfihsam umerzogen haben, vielleicht ausgenommen, auf die Ge- 
samtheit zu. Unser Auge ist durchaus der Optik der Kleidung 
angepaßt und die Erotik der Nacktheit ist für uns zum aller- 
größten Teile eine Erotik der Entblößung. Was der Mann im 
allgemeinen an weiblicher Nacktheit sieht, ist zumeist eine 
stückweise Nacktheit, eine Entblößung. Das Erregende einer 
Entblößung besteht darin, daS ein Körperteil durch die bekleidete 
Umgebung isoliert »tr Schau gestellt wird. Während die Har- 
monie des vdliig nackt» Körpers das Auge zur sjrniiietiaciiett 
Erlnanng eines Orgimiannis zwingt, kmkt der entWöBte Körperteil 
den BUck hypnotisch auf sich und wird zum Triger elfter 
erotiscben Mee, zum Fetiadi. Audi die Betonung einzelner KAfpertelle 
durch die Kleidung, dwdt Farbe, Pressung, Schoppung, Ormünentik 
oder Faltenwurf, ist nur eine ideelle, erotisch doppelt wirksame 
Entblößung. Fast immer ist der Fetischismus der Körperteile mit 
einem Fetischismus der Kleidungsstücke verbunden, denn er ist, 
wie das körperliche Schamgefühl, nur ein Produkt der Kleidung. 
Wie das Schamgefühl eine Entblößung stärker empfindet als 
völlige Nacktheit, so wird auch das direkte erotische Empfinden 
durch die Blöße ungleich heftiger erregt als durch die Nacktheit 

Die ungeheure Mehrzahl der Männer kennt überhmipt den 
Franenkqrper nicht (»kennen« im Sinne von Kennersdudl), sfe 
kennt, liebt und hekatet nur Kleider nnd Blöden. Nochabftihiglger 
von der Kleidung ist die Vorstellung der Ftm vom Manne. 
Die Vtadiledenheit der Kleidung fOr die Qesdilecliter, wdehe 
ha»|Mdilidi dwdi die Verschiedenheit der LabensHUinmg be- 



Digitizeci b> . 



— 16- 

«Ungt ist und kaum «ine erotische Umehe hal, bedeutet gteidi' 
wohi fOr die £rotik eine wichtige Etappe ihrer Entwicklung und 
^tmMuS cHie mubuUmt Ffllte «nitisdwr Möglichkeiten. Die 
KldduQg des andern Oeachtocfaics Ist ein sexndles SyaiboL Das 
w^mdn» Kteiduttgsitflck wird für te Mmni ein eraÜMlMr Misch 
und die VrrtoMdiung der Tndittn (riitt Uebüngspasiimi des 
fffrti a c h e n SpidtridMi) lockt die überall schhunmemden homo- 
sexuellen Triebe. Die Frau Mftnnerkleidang Ist ekw der vor* 
breite tsten Lockungen unbewußter Bisexualität. Wir sehen sie auf 
Schaubühnen, bei Maskeraden und beim Sport, beim Photographen 
und in den erotischen Witzblättern. Auch die zeitweilige Anähn- 
lichung der weiblichen Kleidung an die männliche, der männliche 
Hut auf einem Frauenhaar, der Stehkragen nm den Frauenhals 
, und der männliche Paletot als Frauenkleidung entspringen — wie 
die erotische Wu'kung auf den Mann, der es als »chik« oder 
»pikmit« empfindet» beweist — der unbewußten Bisexualität. Eine 
besondere ^wähnung verdient hier noch der aus praktiachen 
OrOndcD crfttndcnc^ «ber in seiner aUmlttilichen AnsgiaMteng 
deutlich seine bc e ondere Eignung zum erotisdiett Fetisch zeigende 
«eihliciie Psatelon, 

Eine zwdte wichtige Etappe in der Entwicklung der Sralik 
der Kleiduttg ist deren Zcrkgnng, die Erfindung der Unterkid d un g 
fnekhe dem Bedürfnis Öfterer Auswechslung und Retntgung, dem 
Bedürfnis der Waschbarkeit ihre Entstehung dankt) und in deren 
Folge die trfiridung der Taille. Die Zerlegung der Kleidung 
schuf für die Erotik vor allem den Reiz der umständlichen all- 
mählichen Entkleidung, die auch in der Orgie und im erotischen 
Schauspiel aller Kulturen als beliebtes Requisit auftritt. Ebenso 
wurde der Akt der Ankleidung (»die Toilette«) zur erotischen 
Scene und findet in zahlreichen Werken der bildenden Künste 
nein Echo. Die weibliche »Wäsche« ist das Objekt des allgemeinsten 
minnüchen Fetischismus und daher der besonderen Soigfait und 
. Aufmerlaamheit der Frau. Eine »Bmuiiusitattungc besieht im 
Wichtigsten nnd Teuersten aus luxuriösen Fetisdien. DieZMiining 
der iOeidungf welche dne knappere und gescbtoasencre Um- 
lifiUaaf des Körpers ermöglicht, vcrieiht femer der whrklicben 
Entblößung einen Rdz der Seitenhdt und erhöhten lUusimi nnd 
ermögUcht erst alle Arten der andeutenden, ideeUen Entblößung. 



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Wenn dne fnut« die ilwe Tdlette od! naivem Stoit zur Sdnm 
trägt, eine Ahnting von der eietiadien %nilMlik hätte, veldie io 
der jahrlrandertiangen Entwicklung einer Tncht in diese ein- 
gesponnen wurde, - ihr konventionelles Schamgeffihl, das in 

jahrhundertlanger, der Entwicklung des Lebens konträr zuwider- 
laufender Moraiideologie zur intelligiblen OemÜtseigenschaft ge- 
worden ist, würde sie unbedingt verhindern, diese Toilette zu 
tragen. Aber jene Symbolik erwies sich als stärker, sie wurde 
gerade durch ihre Sinnfälligkeit dem Auge gewohnt und den Be- 
griffen verschleiert, sie wurde zur Sitte und schlug der »Sitt- 
lichkeit« ein Schnippchen. Die heilige Mond predigt di» Oevaad, 
und die unheiligste Lüsternheit guckt erst recht aus ihn Imor. 
»Mehr VerlifiUttngl« adirdt der üAonluiwiit »Uqd idi nadie ans 
jeder Hfille eine doppelt mfillirerisGlie BIdße«, kichert der Oeirt 
der Erotik. Si natttiam eipijles fnrca, iunen uaque recnnet • . . 

Die Taitte, die eigentlich adion durch Hflftketle oder 
Oiirtel gegeben ist, eher durch die fortschreliende Zerlegnag der 
weiblichen Kleidung gewissermaßen prinzipiell wird — das 
Empirekleid durchbricht dieses Prinzip eine Zeitlang — , teilt den 
Frauenleib in Ober- und Unterleib. Die bekleidete Frau wird 
zum Insekt, zur Wespe, mit schari abgegrenzter Qemüts- und 
Geschlechtssphärc, mit einer himmlischen und einer irdischeu 
Partie. Schon die Isolation der »Frde« ist eine geistige Ent- 
blößung. Der Hinterleib der Wespe hypnotisiert das Auge des 
Männchens. Und tatsächlich hat der Oesäßfetischismus (eine der 
stärksten und allgemeinsten Manien der letzten hundert Ja^re) 
die wunderlichsten Bluten weiblicher Mode gezeitigt: die Krino> 
line, den cui de Paris und das Bauchmieder* 

Die Erfindung des Trikots ist für die Erotik in erster 
Unie durch die Einffihmng der hugen TrikotstrOmpfe bedeiitaant 
geworden. Das Trikot wkkt erotisch, weit es die Plastik des 
Körpers durch die einheitliche Farbe hervorhebt; es vere infacht 
und isoliert die Körperform für das Auge und gewinnt an 
Wirkung, je mehr seine Farbe von der Umgebung absticht und 
mit der sichtbaren oder unsichtbaren Fleischfarbc kontrastiert. 
Fleischfarbene Trikots sind eine plumpe, für einen feineren ero- 
tischen Sinn unwirksame oder störende Vortäuschung der Nackt- 
heit. Ein Bein w irkt im Strumpfe auf die meisten Männer, ero- 
tischer als ein nacktes, und lange Strümpfe wirken wieder erotisdier 



I 



— 17 — 

als kurze. Rops bekleidet aeioe mdcten Pnuen gerne mit 
StrflmpfeB. (In indem Bildent genflgt ihm ein Hut» dn efai- 
xlges Bmid oder eine sdunale Oenditslarve, «m ans der Nackt- 
. Mt eine Blöße za machen.) 

Der durcfastcbtige Stoff ^. der (z. B. als Schleier) andi 
praktischen nnd mondisdi-religiöseB Zwecken dient ^ nnd die 
Spitze (ursprünglich ein bloßes Luxusprodukt) haben ihre feinste 
Ausgestaltung und sinnreichste Anwendung erst durch den erfin- 
derischen Oeist der Erotik erhalten. Sie verwischen oder verwirren 
die Konturen des Körpers, um die erotische Phantasie zu ihrer 
kühneren Nachbildung anzuregen, sie lassen die Nacktheit aus 
einem zarten Nebel hervorschimmern, um sie dem Verlangen 
begehrlicher zu machen. Beardsley hüllte die Sünde, die er 
zeichnete, in durchschimmernde Qewänder von kindlich-frommem 
Schnitt, mit langen Spitzenmanschetten an den Ärmeln und zog 
ihr weite, hmge Spitzenhosen an. Denn erwuftte, daß die Kleidung 
nackter ist als die Nacktheit, nnd daß wir hinler einem Schleier 
mctar sehen als im UnverhflUten ... >• 

Wenn wir den Qdst der Kleidung ganz verstanden, 
wfltdentwlr alle Probleme des Menschen l^egreifen« Aber whr 
vermögen ihn erst zu ffihlen, und der Philister gilrt sich mit dem 
Schlagwort »Modeturheit* zufrieden. Lucianus. 

Bin Original-Telegramm. 

Das ,Neue Wiener Journal' hat es kürzlich mit einem wirk- 
licfaen Originaltekgiamm veisncht und dabei Schiffbruch gelitten. 
Sein Berliner Korrespondent depeschierte (Me die Nummer vom 
1. Mte) ansf&hrlich unter dem Titel »Josef Lewinsky bei 
Ludwig Barnay«.Jo8efLewins1^ schildere »In einem FeuiUeton« - 
welches Blattes, wird natürlich nicht gesagt ^ seinen Besuch bei 
Bamay. Wiedas? Der atte Lewhisky,in der deutschen Bfihnenwelt eine 
berühmtere und rühmlichere Erscheinung als die Berliner Mätzchen- 
größe, hat sich auf die Nachricht hin, daß sein Kollege Direktor 
des Hofschauspielhauscs j^eworden sei, eigens nach Berlin begeben, 
um für ein dortiges Blait ein Interview zu liefern? F.s muß wohl so 
sein, Sonst wijrde ein Spann eister wie Herr Lippowitz nicht eine 
Unsumme an ein Originaltelegramm wenden. Und die Tatsache ist 
sensationell genug, um rascher als durc)! die Schere, die erst am 



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— It — 

indem Tag arMti« kOoBte, den hpttn veavHAelt .na iMiiga 
.Levtmky, Mßi m tlso, babe ptaaS s^ .Ammhm, ihm tdmt 
Beeegnung zu gevilireii, von Birai^ die Mittdivqg >1k- 
kommen, die einzige Zeit, ihn auBemnllicli m npndtutm, wOm hä 
Tiedae; «ens himiasky sein Oast eein wolle, eo sei er wUlfcontmea«. 
Polgt die Sdiflderttng, die Levinsky von »seinem Empfang« 
gibt. Bamay sagte za ihm: >Seien Sie mir nicht böse, daß ich 
Sie warten ließ; ich bin jetzt so sehr in Anspruch genommen«. 
Barnay ist sehr gnädig und erzählt dem aufhorchenden Lewia&ky, 
wie seine Berufung jeustande kam. Das alles interessiert den 
alten Burgschauspieler mächtig. Und er zuckt nicht mit der 
Wimper, als ihm Herr Barnay mitteilt, der Kaiser habe sich zu 
Herr v. Hülsen geäußert, er habe ihn, Barnay, als Richard den 
Dritten gesehen und als den >voUendetsten Bösevicht« empfanden. 
Hier erlaubt sich Lewinsky kein fachmännisches Urteil. Dagegen 
8|iridit er aebr eingebend von den Qemiiden im Hauae Bamqy. 
Ein kurioaer Mensch, dieser alte Lewinal^, der binkr allen nann 
Ereignissen her ist uncWicb soflsr nadi BerUn anfmacbtt um bei 
ctaem Kriegen Audienzzn nehmen* btdasnidiiirirklicbaeBsationci]]» 
Lohttt% nicht ehie. Orlginaldepesdie des ^Nenen Wiener ionmali^? 
Nun wird vielleicht manch ein Leser glauben, das Lippo Titzblatt 
habe sich einen Ulk erlaubt. Es war noch in der Gebciaune semer 
Faschingsnummer, von der es selbst erzahlt, sie habe »in ganz 
Europa Aufsehen gemachte. Von Drontheim bis Lissabon hat man 
von nichts anderem gesprochen. Mindestens aber hat Wien anei k:innt, 
daß diese Spottj^eburt von Dreck und Wasser nicht durch dn" 
Schere vom Nabel enier fremden Mutter gelöst, sondern wirklich 
dem Schöße der Redaktion entsprossen war. Gewiß, die Bespdmig 
des Privatlebens der Frau Eysoldt war im Qeste jenes Alt- 
meisters Buchbinder gehalten, den das ,Neue Wiener Journal' heute 
mit Unrecht verleugnet Herr Lewinslcy darf, wenn's einen jonr- 
nalistiscfacn Ulk gili, auf größere Scbonnng nicht rechnen« nis sie 
einer Dame zuteil wtnt Ihn bei Herrn Barnay antfchambricsea 
zu lassen, mag dämm ein' loser Einfall der lippowibnem 
Faschingslanne sein. So denkt der Leser. Aber er irrt. Josef 
Lewinsky hat tatsächlich den Herrn Barnay interviewt. Freilich 
nicht der Wiener Hof Schauspieler Josef Lewinsky, sondern ein un- 
interessanter Kunstreporter, der fatalerweise den gleichen Namen 
flUurt und geschäftstüchtig genug ist, sich kein PKudonjrm zu 



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- 19 - 

wiblen. Dieser Herr Josef Lewinsky grassiert in den reidadeutscfaen 
Theaterrubrilcen etwa so wie die Frau Ilka Horowiiz-Bainay, die 
rastlos Besuchende, in den österreichischen. Hätte Herr Lippowitz 
den wahren Sachverhalt geahnt, er hätte nicht fünf Heller für 
die Original-Nachricht ausgegeben und ruhig mit der Schere ge- 
wartet, bis das Blatt mit dem Interview in Wien eingelroffen \xar. 
Nun ist das Malheur geschehen, und es gibt bloß einen gerechten 
Aüsgieich: Daß die Berliner Zeitung ein Originai-Telegnunni aus 
Wien bringt, dtt etilen Ocgenbesuch »Barnay bei Lewinsky« 
schildert. Es war aber nur die Ilka. 

ANTWORTEN OBS HfiRAUSCfBOBRS. 

W4emr In MMMe Oli, dieser «uvsmiMIt Wednsl 

isli wt isüim MiBvergnfigenf wird nnsem Qesdinadr to Iwüloses 9iediiuni 
bringen! Sicht mm den Rabbi Bloch, so findet man Herrn Vergani sym- 
pathisch, und sieht man Herrn Vergani, so sehnt man sich nach dem Rabbi 
Bloch. Man kommt in dieser Stadt zu keinem harmonischen Unbehagen. 
Man wird seines Antisemitismus nicht froh, weil er eine gewiss:: Juden- 
freundlichkeit auslöst, und man geht nicht im Liberalismus auf, weil 
man mit einem Blick auf die Gefolgschaft einer gewissen Verpflichtung 
zum Judenhaß irnie wird. SchreckUdi tteiie Ich mir das Cbaot im Qe- 
mit eines Menschen vor, der wem die beiden Reprisentationsfeste 
in dsndbsn Nackt stattfinden -~ von le on lc o w H abtn iwn Ball der 
DentedKdslSffeiclilsciwn ScIwIflsIdleiKinosBSMclurft IHve* Dort wttnsdit 
maSf daß dar AbfBoidnels Sdindder den KotiHon amsslSM^ 
erlitt dnn stltiiwisrfie Seliusuidit nadi O^Beüicn. Absr ksnte will 
icü aM «Oer stdmden Antipa&je gegen die JfldMie Joomlisilk ent- 
inOsm ttnd, ganz den Oemme des »Deutsdien VoUdMattt* Mn gegeben, 
bekennen, daß es wohl das Viehischeste und Ordinärste ist, was zur 
Zeit in Europa geboten wird. M^n hat sich gewöhnt, die Antrottelung 
Heines durch Analphabeten als eine Wiener Erscheinung^ hinzunehmen, 
die 80 legitim ist wie das Sperrsechserl. Aber das Ausland soll auch erfahren, 
wie das , Deutsche Volksblatt' fiber Müsset denkt. Es schrieb: 
»Vorgestern kam im Intimen Theater einer der schamlosesten 
modernen französischen Di ch ter, Alfred de Musset, zum Worte. 
Dieser Dichter, der ein Jahr nach dem Tode des ihm an Erbirmlichkeit 
der Oesl nnnnff etaibfliticen Hcinrldi Hdne gsstorl i en Ist, adcbnete Sick 
In isiBen Sdhifllaa faisbcioiidere dnvdi selaen niedrigen Zynlsnins, der 
allM 'Merie in dea Kot lerrls, nnd damli seiae w«nderUeiw Blasistf. 



i. 



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« 



— 20 — 

(•0 sagen tefaw Biograptei) fdien hlcfftr dac gewitie DcgiUadiuig. 
Dtt Istiiiie Thetter Mnssets drdaktises Lustspiel ,Le duindelier', 

zu deutsch ,Der Defant', in dem der Autor die Liebe eines Knaben 
zur Frau seines Chefs schildert. Das raffinierte Weib benützt diese, 
nach den Worten und der Ansicht des Dichters — , reine' Liebe ! 
des Jüngling^s, um den Verdacht von ihrem wahren Liebhaber abzulenken | 
Das gfrausame, rnit aller Sinnlichkeit geschilderte Liebesspiel hat sein Ende 
darin, daß sich Jüngling: und Frau in , wahrer' Liebe eadlich finden . . .« 
Und die Wiener »Intellektnellen«, die sich im Fall Hdne wiildich mete 
fflr eine natiootle als ffi( eine Asgdesenlidt der Knntt erfaitztoit liira 
dch nidit. mm da RblnoMrae ink tdriladiea Btnt—nbert henuMtuopIt 
ÜMMt »dflcr dflr idiwIOMitta aoderaen liaHi fl d i d wi DIditer«: • 
kdn Olomteff der jAdiidiea Vnm htt die teaidioMlle Dcnknalcat- 
hflnniiC cnrilurt • • • Aber kb vcrfdlt wiete In ndne alle Aattpaade 
gegea dea Ubendinai. Ritdi da Fettlttetoa dea Herrn Vmwud Aber 
»Wlea la Moate Carlo« fdeiea» aad hefaaUdMt Sdnea aach allea ! 
L9a7B wird mdne Sinne nmfangen. Herr Vergani war wiräidi in Monte 
Carlo. Man müßte eigentlich seinen Tischnachbar an der Table d'hdte 
auffordern, über diese Tatsache ein Feuilleton zu schreiben. Über >Wictt 
in Monte Carlo« sollte man Monte Carlo, nicht Wien vernehmen. Wien 
behauptet, daß >eine balsamisch reine Luft die Brust des Athraenden 
weitet«. Ob auch Monte Carlo dieser Ansicht wäre? . . So sachlich wöBte 
es jedenfalls nicht zu berichten. Man höre Herrn VerganL Schon in der 
erdca Spalte erzählt er uns das Wichtigste: daß er »meist im Monat 
Febntar oder Man mit fYan und Sdiwignia ia Moate Cario afaile«. 
Deaa, daß der Bmmiddv Sil«! aadi da id. Uad der Kanteaaa 
KM aaa Om anch. Uad «odi dde awkre PeiaöBUdikdfta von iatcr- 
aafioQdcm Raf. »Wbr «ohaca faa »Hotel Sumf, la dem da Öilir* 
fcwaer eae irenai nerr Leopoia Neaanaa» i/Hnnor iHt weaamaa var 
längere Zdt Oe a dritf tdttier ia dem eniea aad tenerrtea ftewdea 
bdierbe-gungaebdsiiaBenieBt fon Moate Carlo, im splendid ausgestatteten 
.Hotel de Paris', wo er sich jährlich 40.000 bis 45.000 Franken ver- • 
diente. Er heiratete die einzige Tochter des Besitzers des 
.Hotels Savoy' und ist heute ein gemachter Mann«. Der letzte 
Satz klingt nicht ganz rassenrein; immerhin ist es erfreulich, daß 
Herr Neumann im , Deutschen Volksblatt* besser abgeschnitten hat als 
Müsset Aus dem sachlichen Ton geht Herr Vergani plötzUch in des 
Iddu witriadiaa Aber. »NalftrUdi gibt et Ucr«, advdbl er, HMdi daa 

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.. ■ -*■'- 



- 21 - 

j Unmas$e von Wiener, Pester und Pra^rer Jnden, die sich mit ihren 
I aufgedonnerten Kaües, wie überall, möglichst breit machen. Den Ritter 
j von Leon sah ich auf der Straße und ein gewisser Sonnenschein wohnt 
j neben mir. Er gerät stets in gelinde Raserei, wenn ich meiner Pran 
■ad meiner Schviferin aus dem Volksblatte laut vorlese, «nd 
I frömmelt erbost an die Tfir«. Oa kann ich Herrn Sonim- 
tcheia nicht Umcht geben. Unte Lddflic stört die Rohe des 
Zl i mi i iffM di l iiiMi dem man et ancb nidrt wftbäs ktm« vcna er 
gbnbt, daB dnrdi die VorleRng cbMi VoOnblatt-fMIMm mit 
WcndMigiCM ?OBi >CBiMcM6B Mm* de* tthk ciBtmi' JaiCDo verspottet 
fpwde; Sofite eliie Bcscliwcids dct Hcm SouMndMiii bd HttiM Nsn* 
vuam Erfolg liaben, so wird sidi Herr Verfutf gevlB als da Opfer 
der {üdischen Solidarität bezeichnen vnd hinter dem Namen 
des Hoteliers im antisemitischen Hadecker das Sternchen durch ein 
Rufzeichen ersetzen. Vorläufig nimmt er seinen sachlichen Ton 
wieder anf und berichtet einigte höchst interessante Tatsachen. Zum 
Beispiel : >Im Kasino stellte sich meiner Frau ein Mitglied der Deutsch- 
österreichischen Schriftsteilergenossenschaft vor, die Witwe Drapala, die 
mit ihrer Tante, einer gemütlichen Ungarin, bereits seit November hier 
«ellt«. Oder: »la Kidiiosaale traf ich Herrn Füll Sdinbert, der adr 
MiUte, daB er ein nntrflgliches Mittel hab^ im stets n ge w ImieiL 
Uh vftMdtte Um vid OHtek«, Oder : »Dr. Lneger Ofit ddi nfctt ver- 
leiten, an den Tische» der goldpnmhsndca SUe m spidcn, dafftr madtt 
er nbende gern mit den hdasdldun Rate Wddingcr, dessen fran und 
^^nmc^d^ie ^^sniCttfltihc ^l^ei^s^d^p^^rtiiett ^K^cl^Bin^jsr ntid P^mcr s^ielc^ken aber 
votnufissi oei oen opiettiscnen ncmni«» noneuuicn vira oer saii nioit 
miBvertlMidstt weiden: >Phni Swoboda Idact, daB de Jeden AngenbHdr 
I mit ihren paar Louis fertig ist, während Frau Weidinger nur auf ein- 
I zelne Nummern setzt«. . . Herr Vergani seli)st hat >über 800 Franken ge- 
'• Wonnen«. Man kann s brauchen. Das Leben dort unten ist nicht billig. Was 
speist Heir Vergani in Monte Carlo? »Eine gute Rindsuppe, einen Tafelspitz 
I mii Kreon, Gulasch, Wiener Schnitzel und Rostbiaten mit ErdSpfel- 
pflree . . . Jeder, einzelne Wunsch wird . schleunigst erfüllt, ja, sogar 
Nuddn und Nockerln erhielten wir«. Das ist geschddtl Und hoffentlkh 
i cPif 8 auBer den lasterhaften Parissr Kokotten auch riegelsame Wienerinnen 
te Monte Cark», d«nit die Wiener »etwns flftr's Qemit« hahent »Wir 
werden xww (anf den noiglien Bell) »Oelefenheit hehen, die 

wiifi n kftanea«. Mmt tm W dodi ■idrt dit RkkUgt. Mm 



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^mMmaI^ ^^aiMA B^MMB t »fcal^^M ^C^^M ^^^^^ fttf^^^AA ^^^^Aa 

npHWiin voHv «mn fmsnoK • • • ns» viiiigui imm mdhm vw 
di0 »Pole der Rhrien« und eiiieii »Hespendeoapfel«. Aber »trotz aller 

Herrlichkeiten des Südens ist doch für uos hier der Augenblick der 
schönste, wenn wir unsere Zeitung und Briefe von unseren lieben 
in der Heimat erhalten«, ja, was wäre die Perle der Rivicra ohne die 
FattUOiT des .Deutschen Volksblatts'? Was ist der Hesperidenapfel, wenn 
Herr Vergfani nicht hineinbeißt? Er ließ sich ihn wohl schmecken, 
rülpste und sab ein Feuilleton von sich ... Ich werde bol iUm Nenmaiui 
vQfitellig «crdoi. Vielleicht g:ibt or aür doch Hcmi SoaaHnBhdB 
wm Nachbini an der TaUe dlidte. 

Mda^oy. EndUehl Die VckIm »JÜUdtetato« sttd »AmI- 
«Me« UtHoi eine fmdutuiK VenumbniK ab. ImvMOui wOm^ 
4ar fclfnde Auing zur Bentragi »Die fBr lüt donteümg der ^iMlii 
IcfihiiigBM vofgjBfldiridbMiis NolcdidGriA bidil .vcdor in fluiw Afdhni 
.aodi IB Ura aUMdacn Pkidikatea h ettc M tte » MaB zu AiMkrapw 
«QfMliIIcea. Zar Bcnr&ttaiis cinzeliMr S M k M tttangm «ibvoid det 
Semetters wird auch die Verwendung: der Note ,kaum genügend' 
gestattet.€ Dieser Antrag gab Anlaß zu einer sehr lebhaften Debatte. 
Sodann wurde in die Beratuug der Notenskala für »Sitten« eingegangen. 
Hierzu lag die folgende These vor: »In der für das sittliche Betragw 
derzeit üblichen Notenskala wird , lobenswert' durch das ursprüngliche 
»musterhaft' ersetzt; die übrigen Noten bleiben unverändert An Stelle 
des zu weiten Begriffes ,tittticfaes Betragen' tritt die tkMitsm, fftr die 
Bkm klarere Bezeichnnng .Disziplinares Vcduiltaii'.« Die Antrige 
WdMi aMi Baic?falnB eiiiobaii. la iriUlIc aane BihiMi aker fM dk 
JilB!BudSRUiiH|[ dnch des Antnitf yiaiikti »die NolBaahale Vkt die 
Mrik MBett Vom der echtmUckcii Afbetten« Ifrtn i Mlif » « . Pfe 
VouHnde beidar Vorebie vndea Iw a i iftiagt, aalaaneit dieakart^HdK 
Anlilne iPOffislcsni • • • GMBMil 

JKMmiar. Zn Tiel Faodofoviia Riei! Es geht cfa nini d« 
Reklame doreh den Wiener Blätterwald. Ein Wiener Künstler stellt hi 
einem Schreiben an mich Betrachtungen über den Wandel der Zeiten 
an. »Wir werden doch Großstadt. Seinerzeit konnte Sdiindler von einem 
Kunstkritiker der .Neuen Freien Presse' sagen, er nehme so kleine Be- 
träge, daß er sich beinahe der Unbestechlichkeit nähere. Da war ein 
lobender Zeitungsausschnitt noch erschwinglich. Nach Fräulein Feodoroma 
ist's teurer geworden. Sie macht eine ,Dezennal-AttS6teUung' und das 
Oeld, das unsere Grafen, Barone «d bfttjerltolw Seoha bei der Ifiaaia 
«topw i, babai—u die Wtew FMiat vnt md fw «star dm UM: 



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4 



— 28 — 

Wohitttigfer Zweck — Konkordia. Herr Edgar von Spiegel forderte 
eigenhändig die Kollegen vom Metier, welche Lob fabrizieren, 
znin Besuche der Ansstellung auf. Das hat doch einea großen 
Zug:!« In letzter Stand« tat die »Dezennal- Ausstellung« um ein ko8tt>aict 
9 Stückbeteichert worden : Feodorowna saß selbst dem » Portritiiten « des^twn 

* Wi«cr JoofMlft'. Vpb dtm QnbdenkaMl €ia«i JAflgHot» «niUt er «n: 
•Vi tilgt «iMg eaipMidnPilMnden Köiper. Ane den Stalo «ichet «faie 
Ibad. iln Am «ad dto Kovtar ctaee aiidititai Kgpfei. Ut ci ein KppT? 
in m Mrt «Oaiie tamiisB? .Et Ut Gott', «gto die mnetleria. 
»WirMaiAllt Wiera edtMnwi Vonteltangai hob Qotf» fthrt eit fort. 
Jiltliclt«ffel» whm ihn alt Tkettcrgref e, Qoetlie aaniite IIib 
einen Alten, den man von Zeit zu Zeit gern sieht, mir ist 
er Urkraft alles Schaffens'.« Bilde, Künstler, rede nicht - mit 
einem Reporter des , Neuen Wiener Journals'. 

Anonymus. Sie sind dreist wie alle Ihre Gesinnungsgenossen, 
die mir mit ihren namenlosen Gemeinheiten die Arbeitslust versüßen. 
Damit Sic abw nicht allzulange in dem Hochgefühl leben, rair 
>etwas nachgewiesen« zn haben, will ich Ihnen antworten. Sie haben 
mit Ihrem Rotstift — wekh schäbige Beschäftigung:! — die folgende 

* Vndiog te Nr. 197 angeilridiea: »As der Tatsache selbit vir Ja 
•kU fvikrt wdn« wd ttdln dk ftage: »VtMtßM Sie denn 

4NBt «MW wMT 10 fWl liC&llgM UflllÜR« mi III wliüB» Wl «Itt 

«m ^ tkmm QüPMinMl tfllMi', aber »ir ,aa elata OiiHMlaMd 
rihraa' haiia?« Wenn $ia dM« hiUiMgM MHldBopy dloe Kmrektnr 
«igen, ao gfautbt er nttMkk, daB Sie Redrt habca and diß Ich der 

Blamierte bin. Leider ist wieder einaMl das Umgdidnlc dir fUL Uk 

schwöre nicht auf Sanders, aber wenn er und ich einer Meinung sind, 
■dürften wir doch gegen Sie Recht behalten. Im »Handwörterbuch der 
deutschen Sprache« — ein mderes habe ich nicht ^ur Hand — heißt es: 
»Rühren ... 3) intr.: R. an mit Accusativ, an Etwas fassen, es anfassen; 
zuweilen auch mit an und Dativ, wo dann die Bedeutung 5c zu 
Ornnde liegt ... 5c) Etwas von der Stelle rühren, vgl. (s. 3): An 
einem Qegensttnd rfihres (aad rfttteln)«. In jener Stelle hat es 
ilch nicht nm daa BtrAhrang, sondern nm ein von der Stelle rflhren 
flpduniiilt, aüD «ar aaaMiiüeimcH der Dativ richtig. Ich bitte Sie, 
•Idi te Zalaaift^ wtm 8ia ikte fetaaa «oün, doch liebor inf bmIb 
^piadvaMl n mliiM ik aal da* Ihre. 

FirtfM» Ei iit ite xiiaüicli itAidtnv Mm« daB dia aati- 
aiMNiMha Zaltai0rtMlHilK ad^MiBUIgir üi ak dte fAdlMlttt Oü 



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24 — 

.Deutsche VolksblaU' hat neulich eine Probe der Fixigkeit abgelegt, die. 
wäre sie bemerkt worden, alle Szepse und Scbapsein mit neidvollei 
Bewunderung^ erfüllt hätte. Im Morpenblatt vom 2. März brachte es 
einen Bericht über einen Vortrag, den der Linienschiffsleutnant Wicken* 
hanser Ober d^e «entscheidenden Episoden im letzten Sedateffe« bm 
MUitinrineinchaftlichen und Ktsino-Verdae »gestern abendi vor 0latM 
^ Ab«rt«s zfthlreichen Anditorittiii« cekattn MI». Et »tdüldcrte 
einleitend« md »kam za den IMflewtes SdJnfifolfet MBf cn«. Dt- 
tvbdieii aMfBhflite hMütmagüm. Wtea der fMorllir dn rMwirte 
gefedtricr Ptapbct so Itk dar R^iorter Ate v€fvlrlt tcftincDdcr 
Misloril»r. tmAbeodbtott dtt^DeslNlian VWri4^ 
»flbenmi salilrefciie Aadttorian«, das den AtnAUirungen das Ltalca- 
flcbiffslentnant« gelansctat hatte, zn seiner Obmaschung die folgende 
Notiz lesen: »Dieser interessante Vortrag findet erst heute Abends im 
Militär»'i?senschaftlichen und Kasino- Vereine statt. Unsere heutijge Nacta^ 
riebt beruhte auf einem Miliverständiiissec. 

Sozialpolitik er. Die ,Zeit* wird bald das beliebteste Blatt voo 
Brünn sein. Eine ganze Sonntagsbeilage hat sie neulich der Verherr- 
Udwng der mährischen Hauptstadt gewidmet. Brünner Oemeindever- 
^ waltnng, Brünner Tnche, Brfinner Lyrik — alles war vertreten. Was doch 

Qdd inutande istl Vbr dfd Jabm noch wud Br&nn in der ,Zcit' daa 
»kktaia Todiniaidienlidtdwn« fBOUBoL Jalzt piani^'lMf dla AabcitttH 
»&rflnfl| das Marrdcidldia Mancbester«. So cntvJdtdt tidi eben — dla 
Was aber wird Rdcfaanbarc daan aagen? 
BinMMoriher. Die «Nana Mc Pveiae* bat - in ibim Aband* 
bbdt «001 1. Min - doa aaoaationalle Ebtdadoing genwdit. Sie 
sdireibt: ». . . Wolf gang Amadtna Mozart grataUerte selnarSdivcsler Man, 
.zwei Jahre und vierzehn Tage nach seiner Hochzeit mit Konstanza', 
der Schwester des Tondichters Karl Maria v. Weber, welcher 
Verbindung jedoch der Vater Mozart nie besonders freund- 
lich geg^enüberstand«. Nicht besonders freundlich? Ach, er wollte 
nicht nur nichts von dieser Verbindung; wi5seTT, man erzählt sogar, daß 
er tatsächlich nichts von ihr gewuBt hat. Ja, erst im Jahre 1906 gelang es dem 
Schadehen der , Neuen Freien Presse', sie überiianpt zustande 
ZV bringen. Nnnntehr wird die Verschwägemag Mozarts und Karl Marias 
von Weber offiziell verlantbart Darf man gratnlicren? ... I» CtaMt: 
^aram bleibt die ,Ncna ftate Pmaa' nidit anf ihnai atfCMkn 
Tanain? Sie iai mfeblbar, wm de die Varblndnnc der MUan WOmk 
ans Oaya and Sdilednger in Aiad bekutntgibt 

Htrtuseeber und verantirortlicher Redaktear: Karl Kraat. 
pmk wQA labada aid SNfil. Wi«, III. Hialna ZallaadMM| f^f^^ 



Die Fackel 



NR. 199 WIEN, 23. MÄRZ 1906 VII. JÄHR 



Um Heine* 

Zur Begeisterung fOr ihn kann man sich erst 
bequemen, nachdem man sieh der Vorstellung er- 
wehrt haty daA Herr Oskar Blumenthal »in naoh* 

denklicher Einsamkeit« vor dem Denkmal auf Korfu 
*träumt«. (Was will die einsame KrokodiLsträne?) Und 
zu einem Einwand gegen ihn kann man erst Mut 
gewinnen, nachdem man alle Urteutonen, die ihm die 
Denkmals Würdigkeit absprechen, beleidigt hat! Denn 
man baut aus deutschen Eichen keine Galgen iUr die 
Reichen — auch nicht für die Geistreichen. 

Aber sollte die beschämende Denkraalsbettelei 
nicht doch einmal ihr Ende finden? Widerlich ist 
das Treiben dieser intellektuellen Komitees, die der 
Welt ernstlich einreden wollen, daß Heinrich Heines 
Seelenheil yon der Errichtung jenes Steinbildes ab* 
hänge, das vom Sittenaom eines teutonischen Lümmels 
viel empfindlicher lädiert werden kann als der sohlechte * 
Ruf des Dichters. Die nicht die Ck>urage haben, den 
Spieß gegen die Spießer umzudrehen und ins Aus- 
land zu rufen, daß das deutsche Volk, soweit es 
in Jäger-Wäsche für sittliche Ideale transpiriert, eines 
Heine-Denkmals unwürdig: sei. Bejammernswerte 
Wehrlosigkeit der Toten, die sichs gefallen lassen 
müssen, daß man ihr Andenken jenen aufdrängt, die 
es zu ehren nicht wert sind! Verwünschte Perversion, 
die ein Publikum an eine Gruft zerrt, aus der noch 
immer drei Handvoll Erde gegen die Leidtragenden 
SU fliegen scheinen I 

Wie viel Unaufrichtigkeit und Kulturlosigkeit 
doch dieser Kampf um Heine in Aktion bringt I Die 



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deutsche Menschheit scheint in Schraöcke und 
Trottel geschieden. Man wird plötoUch gewahr, daft 
jene Fehler, die die Feinde an Heine todein, seine 
uieigentUchsten Vorzüge und dafi jene Vorzüge, 
die die Freunde lohen, seine ureigentlicbsten Fehlw 
lindL Der ilffim^oissimiis* zeichnet eine deutaohe 
Plulistersippe, £e sich Yor Heine bekreuzigt, um 

K* ich darauf in seliffer Gemfitsbesoffenhät die 
relei zu singen. Die Gegenüherstellung verrät die 
ganze Armut liberaler Ästhetik. Ich bin der Meinung, 
daß die deutsche Philistersippe sich im zweiten Bild 
erst zum wahren Philisterbekenntnis erhebt, geführt 
von dem in literarischen Dingen gutbürgerlich gesinnten 
Bruder Siraplicissimus. Und daß man Heine ablehnen 
und dabei doch die sentimentale Melodei summen 
kann. War's die Erkenntnis von dem Ijrisohea 
Wert eines Gedichtes, was den sentimentalen Qassen* 
hauer, den einer dazu komponiert hat^ populAr 
werden ließ? Wie viel deutsche Philister — Hand 
auf den Bauch! — hätten die Lorelei zitiert, wenn 
sie nicht — ich glaube von Schilcher — in Musik 

Setzt wftre? Immerhin vielleicht mehr deutsche 
Ilster als deutsche EOnstlerl Die Sangbarkrit 
ein^ Gedichtes war stets ein yerdachts6:rund &:eQ:en 
seine Bedeutung als lyrisches Kunstwerk. Verschmäht 
es die Ileine-Verehrung nicht, sich auf die Beliebt- 
heit der Lorelei-Musik zu stützen? Dann ist am Ende 
Goethes: »Füllest wieder Busch und Tal c oder *über 
allen Gipfeki . . .< schlechtere Lyrik als : »ich weifi 
nichti was soll es bedeuten«. 

Die Absicht, Überschwang und Dummheit ab- 
zuwehren, mufi nicht zur kritischen Obduktion des 
Lyrikers Heine — ihm zumal soll ja das Denkmal 

K setzt und versagt sein — verleiten* Auch ruhige 
üfung bedürfte erst des Vergleiches zweier Stand- 
punkte. War die Seelenstimmung des Lyrikers auf 
der Suche nach Sjymbolen und Builem und b^m An* 
kniffen toh Beziehungen zur Aufienwelt zu betreten 



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wünscht, wird Heine iür einen größeren Lyriker 
halten als Goethe, Lenau, Mörike, Storm^ die Droste 
und Liliencron. Wer aber die andere, ich möchte 
sagen: die induktiye Methode für die ausschließlich 
lyrische hält, wer das Gedicht als OiFenbaruog des 
im Anschauen der Natur versunkenen Dichters und 
nicht der im Anschauen des Dichters versunkenen 
Natnr begreift, wird sich bescheiden, Heine als geist- 
reichen und formgewandten Bekleider seiner Stira- 
miiugeu zu schätzen. Wie über allen Gipfeln Ruh isi, 
teilt sich Goethe, teilt er uns in so groß empfundener 
Unmittelbarkeit mit, daß die Stille sich als eine 
Ahnung hören läßt. Daß aber ein Pichtenbaum im 
Norden auf kahler Höh' steht und von einer Palme 
im Morgenland träumt, ist eine besondere Artiirkeit der 
Natur, die der Sehnsucht Heines mit sinnigen Sym- 
bolen entgegenkommt. Wer je eine so kunstvolle 
Attrape im Schaufenster eines Konditors oder eines 
Feuilletonisten gesehen hat, mag — wenn er ein 
Dichter ist — m Stimmung kommen. Aber ist ihr 
Brsenger deshalb ein »Ljrriker« ? Selbst die bloflePlastik 
einer Naturanschauung, von der sich sur Pi^che kaum 
sichtbare F&den spinnen, scheint mir, weil sie eben 
ein Sich versenken voraussetzt, lyrischer zu sein, als 
das Einkleiden fertiger Stimmungen. In dli sem Sinne 
ist Goethes »Meeresstille«, sind Liliencrons Zeilen: 
»Ein Wasser schwatzt sich sei ig: durchs Gelände — 
Ein reifer Roggenstrich schließt ab nach Süd — Hier 
stützt Natur die Stirne in tlie Hände — Und ruht 
sich aus, von ihrer Arbeit müd« (ün Meisterstück, das 
von Lyrik dampft. Der nachdenklichen Heidelaud- 
schaft im Sommermittag entsprießen tiefere Stim- 
mungen als jene sind, denen Fichtenbäume und 
Palmen entsprossen, weil ein Kün th r die Stirne in 
die Hftnde oder — die Hand an die Wange gedrückt 
hatte • • . 

Ikst Heines »echt jüdischer Zynismus und fran- 
sOselnde Frivolit&t« — mit denen er bekanntlich die 



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jrriiche Stimmung »serrafit« — soheinen mir die 
DiBhaurmonien xwisohen dem Dichter und der An- 
schauungswelt in Wohlklang aufzulösen. Den deutschen 

Mann geniert es gar nicht, die in Sentimentalität er- 
weichte Empfindung Heine^scher Liebeslyrik beim 
Juden zu kaufen: erst wenn dieser ehrlich wird und 
mit einem gottlosen Wort den ( letuhlshandei be- 
schließt, fühlt sich jener beschummelt. Es sind nicht 
die schlimmsten Germgschätzer Heines, die ihm 
vom deutschen Wald bloß den Spottvogel, der 
darin nistet, glauben. Und ist sein Ton nicht melodisch^ 
sein Gefieder nicht farbenprächtig?. . . Neuere Sünder 
mögen stärkere Gifte brauen, appetitlicher als er hat 
keiner sie bereitet Qewifi hätte Heinrich Heine sich 
mn Deutaohland verdienter i^macht^ wenn er ein 
unfehlbares Mittel gegen Schweififöfie erfunden 
hätte. Trotzdem sollten die Pfaffen und Litmitur- 
profosen nicht allzu grausam sein. Auf daß ihnen 
nicht gescheiie, was dem unerbittlichen Aurelius 
Polzer in Graz geschah. Der ließ sich näraUch am 
4. des Lenzmondes (März) in seinem Wochenblatt wieder 
einmal vom Ekel über den echt jüdischen Zynismus 
und die französelnd^^ Frivolität Heines überwältigen 
und wies diese Eigenschaften an einem »Schand- 
gedichtc nach, das den Titel »Die Beichtet führt und 
dessen Verfasser tatsächlich im Heine-Ton versichert^ 
dafi er die feurigsten seiner Küsse nie geküflt habe^ 
und schließlich bekennt: 

Die Sünden, die ich begangen, 

Wird mir der Himmel verzeihen. 
Doch die ich versänrat zn begehen, 

Die «erden midi ewig gieren'o. 

So wäre denn alles in schönster Ordnung, wenn 

nicht ein ^^:ozialdemokrai isches Blatt entdeckt hätte, 
daß der alldeutsche Mann zwar das Gedicht richtig 
zitiert, sich aber im Dichter vergriüeii hatte. Nicht Heine, 
sondern Hatnerling, der einwandfreie lyrische Re- 
präsentant der »Lage der Deutschen in österreichc, 



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# 



hat jene Verse auf dem Qewissen. Dafi er fireilioh sein 
Oewisseo mit deutschem Mannesmut nooh rasch, eh' ihm 
der Himmel seine Sünden und die Reue Ober seine Unter- 
lassungssünden yerzieh^ entlastet hat, verschwieg die 

freisinnige Journalistik. Im III. Band der von Herrn 
Dr. Rabenlechner veranstalteten Volksausgabe der 
Werke Hamerling's, auf S. 340, kann man die Fuß- 
note nachlesen, die der Dichter selbst zu der letzten 
Zeile seiner »Beichtec gemacht hat: >Zur BernliiLrung 
Derjenigen, welchen dieses Gedicht ArG:ernis gei^ehen, 
sei ausdrücklich bemerkt, daß das Wort Sünde hier 
nicht in seinem religiösen Sinn gemeint ist. Robert 
Hamerling.« Hätte man Herrn Pcker das Gedicht mit- 
samt der Fußnote eingesendet, er wäre gewiß nicht 
aufgesessen, hätte seinen Hamerling sofort erkannt und 
nimmer den Heine verdächtigt Dafi auch jene Sünde, 
die nicht im religiösen Sinne gemeint ist, im religiösen 
Sinn eine Sünde ist, hat Herr Hamerline wohl nicht 
bedacht; sonst hätte er seine Beichte Ägelegt und 
nicht zum Druck befördert. Aber da er per Fuß- 
note nach Canossa ging, war er bei Pfaffen und 
Philistern wieder lieb Kmd. Hätte Heinrich Heine seine 
sämtlichen Ruchlosigkeiten mit Fußnoten versehen, er 
wäre vielleicht vor dem Richterütuhl der Uterarischen 
Nachwelt auch besser davon gekommen, und wer 
weiß, ob nicht Herr Aurelius Polzer in Graz manches, 
seiner Gedichte als Werk des Herrn Hamerling wohl- 
wollend beurteilt hätte. . . 

Wie die wahre Schätzung Heines ihre Argu- 
mente erst vom Haß der Dunkelmänner besieht, so 
setzt die Kritik erst beim Bntzücken des liberalen 
Qelichters ein. Wenn nach Nietssche Heine ein 
»europäisches Breignist war, so ward hier eben das 
Unzulängliche Ereignis. Und je höher in unseren 
Tagen die Wogen journalistischer I^j geisterung 
schlagen, umso deutlicher wird da^ Bestreben, 
Heine als den Vater aller F^euilletongeister zu kom- 
promittieren. Neben dem Konfetti-Stil einer Ge- 



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denkrede des Herrn Hevesi erscheint Heinrich Heine«? 
Prosa freilich als die Übung eines stilistischen Bomben- 
werfers, der der UrfeuiUetonist in seinen persönlichsten 
Attacken nicht gewesen ist. Der Wits, der blitzendem 
Denken den Donner des Temperaments verbindet, 
hat ihm nicht geeignet, dessen beispiellos grar 
aiöse Feder Pathos su Tränen destilliert nnd den 
Humor cum Lächeln gedämpft hat. Als dem Er- 
seuger eines Geschlecht^ pointenlausender Zierbengel, 
als dem Bereiter jener geistreichen Vorwände für 
schlechte Absichten, die alier literarisclie Aufpatz 
der modernen Tagespresse darstellt,, müßte mau 
Heinrich Heine gram sein, wollte man ernstlich dem 
Talent die Fähigkeit lockender Wirkung als Mangel 
zure( hncn. Wir werden diesen Odeur von Esprit und 
gebratener Gansleber — von Mütterchen hatte er pie 
nebst der Lust zu fabulieren — aus den Garküchen 
der literarischen Unterhaltung nicht so bald loskriegen« 

Aber der Ahnherr hat's nicht verschuldet, wenn 
wir die erschreckende Familienähnlichkeit plötzlich 
entdecken: In träumerischer Kaffeehausnische sitzt 
Jüngstdeutschland« nach und nachdenklich, und hält 
— Gespenster 1 — die Hand an die Wange gedrückt . . . 
Es sinnt über seine Temperamentlosigkeit. Die kunsi- 
volle Frisur, die eine sentimentale Locke in die Stirn 
sendet, wird dabei nicht zerrauft. Was will die ein- 
same Strähne? . . . 

Sprechen wir trotzdem getrost den deutschen 
Philistern die Denkmalswürdigkc it im Fall Heine 
ab! Wir wollen nicht ungerecht geo;en ihn werden, 
weil uns seine Grazie amoralischer Tugend heute im 
Zerrbild journalistischer Verkommenheit entgegentritt, 
weil seine künstlerischen Vorzüge an den Nachfolgern 
als sittliche Mängel wirken, an seinen künstlerisdien 
Mängeln eine Qeneration schmarotzt, die noch immer 
unter Heuies Tränen lächelt 




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7 — 



Der reditBlilstoriedie Wahtudnn. 

IHe Prüfungsordnung «b unseren Jäechtsfakultäteii 
ist ein mißglüoäes Gesetz und blieb deshalb durch 
Jabnehnte big heute in Geltmig« Sigentlicb bildet sie «n 
sehmaebroliee testimoniiim panpeftatis fllr die sünfUgen 
Juriitea österreidis, an toen Eigmoig aar kodifikatorieehen 
Tätigkeit sie eehr berechtigte Zweifel aufkommen IftK. 
aie keimien niehi mmal pro domo, ftr ihre vreigeDaten* 
Bedürfnisse ein zweckmäßiges Gesetz zustande bringen. 

Um dem Laien eine ungefähre Vorstellung von der 
Verkehrtheit dieser Prüfungsordnung zu verschaffen, seien 
hier ihre Gnindzilcre angedeutet. 

Der gesamte Kechtsstoff zerfällt in diei groüe 
Gruppen, aus denen pine StaatsprüfuIlt^ mul wenn das 
Doktorat angestrebt wird, je ein Rigorosum zu machen ist. 
Die erste Staatsprüfdng, die der Einfühning in daa Studiuni 
modernen Bechtes gewidmet ist, muß spätestens Innerhalb 
der ersten zwei Jahre erfolgsn, während bezüglich allw 
ftbrigen FrOfongen die eiaaige Toreebrift besteht, daft aie 
erat nach Ablauf der geaamten Stadienaeit (normal 
mindeatene vier Jahre) abgelegt werden dttifen. 

Lassen wir diese Ordnung fonktioniermi: 

Dar Jurist maeht die erste Staatsprüfung und bo* 
reitet sich hierauf zur zweiten vor. AVas soll er auch 
sonst anfangen? Nach dem Absolutoiium legt er sie ab 
uudsciilieiit daran auch das entöpiechende (zweite) Hii^orosum, 
wenn er auf das l)oktor;it rofl^ktiert. Dasselbe wiederholt 
sich bei der nachfolgenden dritten Staatsprüfung, resp. 
dem dritten Ei^orosum. Nun besitzt er bereitf? dio Eignung 
tür den praktischen Dienst und tritt ihn in den meisten Fällen 
auch sofort an. Zum Doktorate fehlt ihm abernoch immer das 
erste Higorosum, bei dem ein Anschluß an die entsprechende 
(erste) Staatsprüfung unmöglich war, weil die Ablqping der 
Bigorosen durchwegs das Absolutorium Yoraussetst So 
tritt nun das YertdjUbnde ein: der fertige Jurist, mitten 
in der Praxia, mnft nodi einmal — & Sinffthrang in 
das Bechtsstodium durdimadiai« 



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Man denke nur diesen tiefen Unsinn dui ch : den praktisch 
wichtigen Stoff, der in der xweiten und dritten Staats- 
prAfang, resp. in den Mgoroeen enthalten ist» studiert er 
nur einmalf die Einführung und den daran angehängten 
Ballaet dagegen zweimal: am Anfang and zum »düiiß! 

Ab man an dieser famosen Ordnmig ta itttehi be- 
gann, erhob sich sofort ein lebhafter Widerspradi seitens 
der Becfatsfalniltftiett. Die Bigorosen, hieß es damals, 
kämen nicht so sehr für die praktischen Berufe, wie für 
die Pflege der \\ isseiibcliaft in Betracht. Das mag heute 
noch bei der theologischen und der philosophischen Fakultät 
zutrefifen, bei der medizinischen trifft es gar nicht, bei 
der juridischen in miDimalem Ausmaß zu. Das Rechts- 
doktorat ist vor allem Erfordernis für die Advokatie, hat 
also mit der Ptiege der Wissenschaft garnichts zu tun. 
Es wird jedoch darüber hinaus von jedem, der die Mittel 
hat, angestrebti der besseren Qualifikation nnd vor allem 
des Titels wegen. Besieht man schon keinen Gehalte so 
will man wenigstens einen anstfindigen Titel führen. Da 
heißt man sonst naefa jahrelangem Stadium »Fkaktikaatc 
und muß diesen odiosen Titel in einxelnen Yerwaltungs- 
sweigen jahrelang genießen« Der simpelste Mann aus dem 
Volke bekundet mehr Taktgefühl als alle Eodifikatoren 
zusammen, da er sich sciiämt, einen so großen und ge- 
lelut aussehenden Menschen, der bald ein Familienvater 
sein könnte, ^Herr Praktikant ? anzureden. 

Das Doktorat hilft daiüber hinwe^^ Es ist nicht ein- 
zusehen, warum es i^eiadn den Juris teil erschwert werden 
sollte, nachdem es den Techuikeru zugänglich gemacht wurde. 

Ehemals bestand zwischen den Kandidaten und 
Examinatoren die tacita conventio, daß beim letzten 
Bigorosum aus der deutschen Beichs- und BeehtsgesAiebte 
nur das sogenannte Privatrecht zu prQfen sei, man be- 
tarachtete das Ganze mehr als eine Iftstige Formalitat und 
drflekte gern ein, und wenn es nötig war, beide Augen 
SU» Was sollte es auch heifien, einen fertiflen Juristen 
durchfallen zu lassen, damit er »die Binftfaimigc grflnd* 
lieber studiere? Der Kandidat empfindet es als eise 



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^ 9 — 

Kr&nkuDg und Beleidigung. Jedenfalls ist es Seaf nach 
dem Essen. Aber das Veinflnftige währt bei uns selten 
am längsten. Eines Tagai erwachte ein Germanist mit 
dem Enteehlnsse, die gaase Beichs- und Beehtsgeeohiehte 
m prOfeBt lud sofort war die Ausnahme nur Bogel ge- 
wordoD. Das üaglflek kommt jedoch selteii allein : swei 
Gennanisteii — anstatt xweier Bomanisten — ftingiwteii bald 
als Examinatoren, mi ohne genane Kenntnis des ominösen 
Oegenstandea ^ab es kein Doktorat mehr. 

Man muld sich nur vor Augen halten, was er alles 
in sich birgt! Nicht weniger als sieben Materien (Reichs-, 
Eechts- und Wirtschaftsgeschichte, Straf- und Zivilrecht» 
Straf- und Zivilprozeß)» die sich auf einen Zeitraum von 
anderthalb Jahrtausenden erstrecken. Die Vorti üü^e darüber 
umfassen jetzt schon über 1400 Folioseiten, und das 
Ende der »Forschungc ist gar nicht abzusehen. Man ist 
heute eifrig bemüht, die historiedie Entwicklung jedes 
eiszelnen Hechtsinstitutes zu er&BSOD. Bin echter Oer- 
manist verfolgt sie aber nicht etwa nach Tome, um die 
lichtigen Anfaiüpfiingspnnkte an die moderne Bechts- 
bildung n gewinnen, — sondern nach hinten, mög- 
Hdist in das Säuglingsalter der Germanen hinein. Man 
kann sich leicht denken, was da alles zu Tage gefördert 
wird. Düs ärgste Übel ist jedoch die üehandluiigsmethode. 
Das Kulturgeschichtliche wird durch den Spürsinn eines 
nach Rechtsregeln lechzenden Gehirns zu einem geschniack- 
losen Zerrbild, der Kechtsstoff selbst durch geist- und 
witzlose Darstellung und öden wissenschaftlichen Apparatns 
völlig uiii^enieLihar geniacht, Es ist doch eine alte Wahr- 
heit : Je weniger in einem Gegenstande steckt, desto mehr 
Kathederweisheit wird hineingetragen. Wo nnr schwache 
Ansätze gedanklicher Abstraktion durchschimmern, werden 
schon Priasipien abgeleitet Überall werden Distinktionoi 
gehftnft, unnfltse Theorien aufgestellt und in dem, was 
nur ein Ansdmck der ünbeholfenheit ist, allerlei Tie&inn 
erblickt Der Böhm der Bomanisten IftBt die Oermanisten 
noch immer nicht schlafen und in ihrem nationalen Über- 
eifer ahmen sie jene blind nach. Aber aus dem römisuiien 



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— 10 — 

Beeht sprtiben Funken, wo und wie maTi es nur anfafit, 
und das deutsche Kecht wird zu einem Misthaufen, desaaii 
Gtotank desto gröüer wird, je mehr man darin wühlt. 

Mau muü sich das dach endlich einmal oöen ein- 
gestehen: unsere Altvordern besaßen das zur BechMildun^ 
nötige Zeug nieht. Wenn irgend ein Zweifel daran mög- 
Ueh gewesen wire, so hätten üui die Ergebnisse genna- 
niiUidier Fonchiuig grtedlieh «ntreiit Min MiacMe 
nur ihre BeehteeisriehlQiigin: das Kompositioni^vtanif 
die Fehde^ den Bflinigungmd» den ein Fremder nshenmal 
seehefaiander schwdreii mnBte, die Ordalien, den Zwei- 
kampf als Rechtsmittel u. a. m. Wie rührend mutet einen 
die Unbeholfenheit an, die sich z. B. in der Entwicklung 
der Obligationen spiegeltl Wenn ich jemandem 5 Ü. borge, 
so ist er mir 5 Ü. schuldig und ich kann sie von ihm 
fordern. Das bogreift heute jedes Kind. Was gibts da zu 
entwickeln? Unsere Altvordern konnten es dennoch nicht 
einsehen. Auf x Seiten wird da breit und lang auseinaDder- 
gesetzt, wie sie jedesmal, wenn oum schon freudig aus- 
mfim will: Hfti jetit haben sie es!, immer noch daneben 
greifen. Sie waren eben ein im abstrakten Denken schwer- 
fÜQliges, mit naiver Weltanschauung behafteliee Velk und 
behanddten das Beeht mehr alt ein Spielaeng« Ihr Hoii* 
aent war eng begrenat: jedes Dorf bildete einen 9tnat tBür 
sieh« Uoflhig, sieh in fremder Oedankenwelt iweeht an 
finden, trugen sie, so oft sie die Grenzen ihrer Heimal 
verließen, das Recht wie ein Hemd mit sich herum. War 
zwischen zwei Angehörigen verschiedener Dörfer ein liechta- 
geschäft abzuschließen, so mußten zunächst umständliche 
Vorfragen gelöst werden. »Nach welchem Hechte lebst 
du?« fragte der Eine mißtrauisch de« Andern. »Nach 
dem Salmannsdorfer. Und duV« Ich nach dem inzers- 
dorfer.« Bald war ein internationaler Konflikt da und 
bevor die zwei über einen Ochsenkauf schlüssig worden, 
dürfte bei der fidelen Gewohnheit der Germanen, jedes 
Beehtsgesehift zo »begiefien«, ein hübsches QnaBtum Wem 
ausgetrunken worden sein. Yielleidbt rührt gar die Ten 
Taeitas ihnen nadigerühmte Tmnkanehl von dieaer Beehts- 



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kompliziertheit her? Dodi ich will mit meiner munaßgeb- 
lieheo MeiDnng kdnesmgB dar »Forscbangc vorgreifen. 

Wie anders war dies alles bei den BOmem! Welt- 
bewandert, eihaben Uber die Yomrteile der Heioiat, mit 
' weitem, die ganze damalige Welt nmfiissenden Ausblick, 
verschwendeten sie auf die Jnrispnident mit erstaunlicher 
LeidenschaftlicLkeit tausend Jahre hindurch die ganze 
Fülle ihrer scharfen, alles durchdringenden Logik und 
Findigkeit und schufen so ein Werk von unst^blicher, 
nie versiepfender Schönheit. 

Die German 011 sind über die Anfangsschwierigkeiten 
nie hinansgekommen. Der übertriebene Individualismus 
wirkte das ganze Mittelalter hindurch auf die Kechts- 
bildong lähmend und destruktiv. Es gab eine Unzahl von 
Stammes-, Land-, Stadt* und Doiirechten. Aber auch ein- 
zelne Stande besaßen ihr eigenes Becbt: Dienst-, Hof-, 
Familien- imd Lehnreeht Alle diese Rechtsarten waren 
ineinander so venwickt, dafi scUielUich Niemand mehr 
wvflte, was in einem konkreten Falle rechtens wftre, nnd 
jeder sdiwang sich lieber gleich selbst zum Biditer anf. 
Faust- und Fehderecht wurden zn förmlichen Bechtsein- 
richtungen, so daß ein Kardinal summarisch nach Rom 
berichten konnte: tota Germania unum latrocinium est. 
Der Volkgmund aber prägte die bezeichnende Parömie: Das 
Stehlen ist keine Schande, das tun die Besten im Lande. 

Da kamen emilich die Weisen, entwanden dem Volke 
sein Recht und sclieiikten ihm dafür das erhabene Meister- 
werk der Römer. Das dumme V olk brummte und schimpfte 
und benahm sich ongobärdig wie ein Kind, dem man ein 
Spielzeug aas der Hand nimmt. Aber drei Jahrhunderte 
genügten, um die gewaltige Erziehmigskraft des römischen 
Rechtes nnanfecfatbar zu dokomentieren. Kaum war die 
Einderpasstcn llberwnnden, eilten die Deutschen mit 
Bieeenschritten Tcran und llberflügelten im Nu alle flbrigen 
Nationen. Und wer waren sie, die den Böhm deutschen 
Namens in die Welt tragen? Iherrag, Savignj, Pnchta, 
Mommsen, Arndts, Windscheid, Dernburg, Bruns — lauter 
Komaüiäteu. 



Diaitize< 



— 11 — 

Anderthalb Jahrhmidiirte dauert nnn schon die germa- 
nistische Forschung. Kaum ein anderer Zweig wurde mit sfiö- 
fierer Yerre und Hingebung gepflegt Und das Resultat? Kein 
noch so glflhender Patriotismiie Irann tber die SteriUtftt der 
Sache mehr Unwegtftascheni Die ganze Epodie trigt deatUdi 
die Spvren einer sanem nnd penibtaiLehrseit» und nnr blinder 
CÄuravinismaskann sich an dem Treiben derLehrlingeergOtsen. 

Der Einfluß des spezifisch deutschen Rechtes auf 
die moderoen Disziplinen ist lächerlich gering. Unser 
bürgerliches Gesetzbuch ist trotz der bewußten Opposition 
seiner Redaktoren gegen das römische Recht gänzlich auf 
diesem aufgebaut und die dem deutschen Recht ent- 
nommenen Rechtssätze kann man an den Fingern einer 
Hand zusammenzählen. Der Strafprozeß lehnt sich an 
das französische Vorbild an. Bei der Beform des Zivil- 
protesses mußte man mit der Yergaogeuheit foUständig 
aufräumen nnd dort einsetzen, wo die Römer aufgehört 
hatten. Das Staatsrecht? Das heUige römische Beieh 
deutscher Nation, das »monstmm tantom simile«, wie 
es der geniale Fnffendorf benanutOt mußte ginslidi 
in Trflmm'er geschlagen werden, ehe man an seiner 
Stelle ein neues herrliches Gebäude errichten konnte. Von 
all den mittelalterlichen Dingen ist nur der Namo *Reich8- 
kanzler« übrig geblieben . . . Das Strafrecht bedarf zu seinem 
Verständnis keinerlei historischer Vorkenntoisse. Gehört 
doch unser Strafgesetz selbst bald der Geschichte an! 
Eher tut hier ein Rundblick auf die modernen Straf- 
einrichtiiDgen anderer Staaten not. 

Nur bei drei Materien finden sich nützliche An- 
knüpfungspunkte an die deutsche Rechtsbildung: beim 
Grundbuchs-, Handels* und Wechselrecht. Aber gerade 
auf diesen Gebieten versagt die Kathederweisheit toU- 
stftndig und der Kandidat steht ihnen nadi swei Jahren 
wie einer Sphinx gegenüber. Wenn er sich durch all den 
historischen Kram au ihnen durchwindet, besitzt sein 
€Miim keine Aufnahmsfähigkeit mehr. 

Als Rechtsstoff ist demnach die Deutsche Reichs- und 
RechUgeschiclite praküscli wertlos. Als Kulturgeschichte 



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f 



- It — 

gdiOrt sie aber gsr nicht in die jnridisöhe, eonden teib 
m die jphUesopluiehe Faknlt&t» teile ins Gymnasium« 

und nnn stelle man sich die Qnalen unserer jaugeQ 

Juristen vor, die, meistens mitten im praktischen Dienst, 
dieses entsetzliche Zm^ p^enau leiüeii müssen! Cui prodest? 
Da sie davon für ihre Zukunft nicht ein Jota brauchen 
können, müssen sie sich glücklich schätzen, wenn es ihnen 
gelingt, es so schnell als niöpriich zu vergessen, damit 
es am Ende nicht den modernen Stoff völlig verdränge. 
NcLch ein paar Tacfen bleibt ihnen davon nichts übrig als 
das bittere Geiühl vieler verlorenen Stunden und eine 
unüberwindliche Abneigung gegen jede Wissenschaft. Die 
wird, wie immer, durch die Wissenschaflerei totgeschlagen. • 

Es ist nicht lange her, daß uns der nach Deutsch- 
land entführte Mitteis herüberrief: »Ihr Terdnmmt ja 
eure Jagend U Sein Mahnwort ist ohne Widerhall Ter- 
Unngen. Yerdammimg, ach, das Wort hat ja einen 
heimatliehen Klang, bildet ja die Devise nnseres Lokal- 
patriotismus. Und so erleben wir noch immer das er- 
bebende Schauspiel, daß unsere jungen Juristen, während 
sie den Flug nach oben unternehmen sollen, um die Kom- 
pliziertheit der jetzigen Verhältnisse ans einer besseren 
Perspektive kennen zu lernen, mit nichtsimtzigein Ballast 
V(3llgepfropft werden. An der Schwelle des XX. Jahr- 
hunderts, wo täglich neue Probleme an den jungen 
Menschen heranstftrmen, wird sein Blick gewaltsam in 
die dunkelste Vergangenheit gelenkt. Akademische Lehr- 
freiheit — eine hehre Sache in Händen lebenskluger 
Männer, die Eopf und Herz auf dem rechten Fleck haben 1 
Von der Lebensfremdheit« dem Eigendttnfcel nnd der 
Wiohtigtuerei geleitett wird sie mm geschliffenen Messer» 
das man einem Wahnsinnigen in die Hand Mdrt« 

Der ganze Jammer der österreichischen Lebens- 
unfähigkeit wird aber erst dann recht sichtbar, wenn man 
bedenkt, wie winzig wenig zur Beseitigung jeueH Übels 
genügen würde! Man brauchte bloß mit dem kindischen 
Prinzip — eigentlich nur eine petitio principii — zu 
brechen, wonach das Abaolutorium auch ftlr das erste 



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— 14 ~ 

Eigorosum notwendig sei, und zu dekretieren: Das erste 
Rigor<Miim kaiin bereits nach Ablauf von drei Semestern 
abgelegt werden, — und sofort gewinnt die Sache ein ge- 
ft^eres Ansseben. Das erste Bigorosnm erfallt AnscUiiS 
an die erste Staatsprüfung, und die tristOi tos Lebens- 
tiberdrafi imflorte Srsebeinung des ewigen Dokborsts- 
kandidaten, der manchmal sogar die praktische 
Prüfung lünter sich hat, vei beiratet ist, von semer 
Umgebung mit verletzender Diskretion per Doktor 
angesprochen wird, verRchwindet sofort. Nicht einmal 
mit der Rückwirkung h auchte man sich den Kopf 
zn zerbrechen. Man lasse einfach das Gesetz sofort wirken. 
Jene Kandidaten, die noch nicht allzu tief im judiziellen 
Studium stecken, werden von dieser Kechts wohltat noch 
Gebrauch machen können, die ^übrigen werden es wohl 
unterlassen. Zugleich restituiere man bezüglich der deut- 
sehen Beichs- und Rechtsgeschichte die frdhere Praos 
und Tergesse insbesondere nioht zn TerfttgeBi daß awei 
Bomanisten als Ezaminatom zn fängieren haben. Denn 
Gott bewahre nns daror, daß der Sehweipnakt des Bigo- 
rosnms vom römischen ins dentscbe Becfat verlegt werde! 

Man munkelt ja schon, daß an dieser Reform »gear- 
beitet« werde. Die Berj^e iu Österreich kreißen. Hoffentlich 
erleben wir keinen Abortus! Denn der ist bei uns, selbst 
wenn es sidi um die kleinste Maus handelt, zu befürchten. — 

♦ 

Über kurz oder lane wird man jedoch dem ganzen 
Rechts-Doktorat an den Leib rücken müssen. In der gegen- 
wärtigen Gestalt bildet es, wie schon sein Name andeutet, ein 
antediluvianisches Monstrum. Die Zeiten, wo der Schwer- 
punkt der wissenschaftlichen Tätigkeit im römischen und 
kanonischen Rechte kg, sind längst und definitiv vorbei. 
Heilte unfafit es zehn mnfiingreiche BAcheTf unter denen 
das römische Becht zwar immer noch seinen BSirenplats 
bdiauptet, das kanonische sich dagegen mebrwieein Anhingsd 
ausnimmt. Ifit dem Anschwellen des Bechtsstoffes voll- 
zog sich ein ständiges Abflachen der wissenschaftlichen 
Ausbildung. Eiu tief ei es Wissen in allen zehn Fächern 



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— 16 — 

— dne Aufgabe für das ganze Leben — zu verlaugeu, 
wäre ja absurd, und kann man es nicht in allen 
verlanpfen, so verlangt iiiiin es schließlich in keinem. So 
sind heute die Kigorosen kaum mehr denn eine Wieder- 
holung der bezüglichen Staatsprüfunc^en. Dds Gehirn eines 
Jüür. gleicht aber einer Encyklopaedie der Rechts- 
Wissenschaften, enth&lt multa, non multum. Es ent- 
spricht also keinesw<^ den Anforderungen der nach einer 
S^ialisierang drängenden Wissensdiaft Es wird aber auch 
den Postnlaten des praktischen Lebens nicht gerecht. Dia 
stresga Sdieidimg awischas Beehtspflega imd Varwaltoiig 
Tarlangt gebiatariaeh aina antspreebanda Spaltung das 
DokfeortAas. Was soll ein Biahter mit dar wissanscbafUiehan 
Ausbildung in politicis, was ein yarwaltangsbasmter mit 
einer solchen im judiziellen Fach anfangen? 

Da nun die Staatsprüfungea die nötige Abrunduag 
des juristischen Wissens garantieren, läßt sich eine Reform 
des Rechtsdoktorates ohne jede umstürzende Änderung des 
bisherigen Stndienplanes, die immer an dem zähen 
Widerstand des österreichischen Konscrvativiamiiszerschellen 
w&rde, etwa folgendermaßen durchtühren: 

1» Zum Baditsdoktorata genügen von nun an zwei Rigo- 
rosen: das erste und zweite (praktisch für Richter und 
Advokaten), oder das erste und dritte (praktisdi fOr jana, 
die sich dam Yarwaltimpdienst, und Jena, dia sieb dam 
politisaban Laban widmen wollen)« 2. Das erste Bigorosnm 
kann bereits nach drei Semestern, dia llbrigen erst nach 
dem Absalntoriiim abgelegt werden. 3. Dar Frttftingsstoff 
bleibt unverändert. Bloß beim ersten Rigorosura wird im 
Sinne der frülieren l'raxis aus dfr deutschen lieicbs- und 
Rechtsgeschichte das deutsche Privatrecht geprüft, und 
zwar so weit es Bestandteil des gemeinen Rechtes ge- 
worden ist und in besonderer Berücksichtigung der öster- 
reichischen Eechtsbildung (also im Umfange des Gerber- 
schen Systems). Die Zahl der Examinatoren wird anf drei 
herabgesetzt. Um jedoch dem römischen Recht seine 
Stellung zu sichera^ erhält dar Bamanist zwei Stimmen. 
4. Dia FrOfiingstaxa wird beim arstra Bigoraum harab* 



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16 



ges0kBt (etwa auf 100 Eroim), bri den awrf aoderai 

dage{^en erhöht (etwa auf 180 Kronen). 5. An dem Prinzip 

der Üaersetzlichkeit der Staatsprüfungen durch die Rigo- 
rosen wird festgehalten. Da hiebei jedoch nur der eine 
Zweck verfolgt wird, die praktische Ausbildung;der Juristen 
neben der theoretischen sicherzustellen, wird jach der 
Regel : ces^'ante ratione cessat lex ipsa bei der ersten 
Staatsprüfung eine Ausnahine statuiert: das erste Eigorosum 
ersetzt die Staatsprflfong. Zum Yorrück«! genügt iedoch 
ailenfalls das Bestehen der Staataprüfang. 

Mit Hilfe einiger Übergangsbestimmungen könnte 
auf diese Weise das Rißchtsdoktorat mit einem Schlage asf 
die Höhe der Zeit gebracht und tiberdiee die folgend«! 
Torteile enielt werden: Die Möglichkeit entsprecheiider 
wisseoschaftlicber YertielbDg. Botiastim^ der nrofeseoren 
ohne Beeintrftcbtigung der Einkünfte, ^e Überfoürdnng 
der Professoren mit Prüfungen ist namentlich an großen Uni- 
versitäten enorm.) Vorbilligung des Doktorates und Ausfall 
zweier überflüssiger Prüfungen. Erfüllung des Wunsches nach 
Einiühruni{ eines Doktorates der Staatswissenschaften. Das 
römische liigoroHum würde in der anf^edeuteten Gestalt 
gewiü kein Hindernis für deasen Erreichung bilden 

Ein Jnriet 

Das Cabaret. 

SeUg sind die Dichter der Qeg^nwart Ihr goldeiMS Zdtalter 
ist zurückgekehrt Wie in den Tagen des Minnesangn nad der 
fidireftden Schobren ziehen sie wieder von Ort zu Ort und kfiaden 
ihr eigen Lied. Und die großen Herren und Fktuen eriaben sich 

an ihrer Kunst und lohnen sie mit Speis' und Trank und geben 
dem Dichter ab von ihrem Überfluß. 

Ein wenig anders ist's freilich geworden seit Heinrich von 
Ofterdingen und Wolfram von Eschenbach. Der Dichter ist kein 
fröhhcher Tronbadnur mehr, der mit schmetternder Stimme und 
sanfter Harfenbegieitim^ seiner Herzliebsten das neueste Geständnis 
seiner heiligen Minne ablegt Seine Kehle ist heiser geworden, und 



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— 17 — 

sda Uä)CSlfaNl «dB nidite mdir von tehnsMitican Vcriangien 
mi^ fadBcm Wcfben. Mit hohler Mhetik krächzt der Dfditer von 

heute den Bericht vcrbuhlter Nächte und öder Enttäuschungen 
in die Ohren seiner Hörer. Auch geht er nicht mehr in die Höfe 
der Burgen und Schlösser, um den Besten, die er sich erwählt, 
seine Kunst zu zeigen, - sondern seine Gönner suchen ihn auf, 
wo er abwechselnd mit einer kreischenden Schnadahüpflerin und 
einem Cake-Walk-tanzenden i^iggq: gegen ein entsprechendes Entree 
seine Muse entblößt. 

Die Tribüne des Dichteis ist nicht mehr der Schloßhof 
etncs kunstfreudigeii Edehnannes, sondern das Cabaret, und der 
iducnde Sängo* ist tiidit mdir ein frohes Ereignis, sondern eine 
Ptognunm-Numnier. 

Die O^genfiberstdiung der singenden Scholaren von ehedem 
und des BietÜrDichters von heute whrkt einigemiaßen schmenlidi. 
Nicht minder schmerzliclt aber wirkt die Oegienfiberstelhmg 
des ursprünglichen französischen Cabarets und seiner deutschen 
Nachbildungen, an denen nur noch der französische Titel der Ein» 
richtung die Herkunft verrät. 

Die Idee, die dem Cabaret zu Orunde liegt, ist gewiß 
nicht un künstlerisch. Sie ging hervor aus dem Mitteilungsbedürfnis 
lustiger Künstler. Dichter, die fidele Verse machten, Maler, die 
groteske Bilder zeichneten, Musiker, die vergnügte Weisen fanden, 
vereinigten sich zu ihrer eigenen Erheitcmng. Sie zeigten einander 
flu neuestes Schaffen, und jede Zusammenkunft gab ein neues 
c^^nart^ Bild kfinsQerischer Produktion, Fand einmal ein an- 
derer Ton seinen Weg in diesen lustigen IMs, so modite er 
die Mhfidie Oeseiligkeit weihen und die ganze, mdnroder weniger 
improvisierte Veranstaltung kflnstkrisch abrunden* Minner, die 
kamen, um sidi mitzufreuen an den Gaben der hungrigen Brflder, 
mußten sie mit Wein und Eßwerk traktieren, und alimählich mag 
sich so das Pariser Cabaret zu einer regelmäßigen Zusammenkunft 
schaffender Künstler und kunsttroher Genießer herausgebildet 
haben. Daß man mit dem Teller sammeln ging, und schließlich 
wohl auch festes Eintrittsgeld erhob, tat den künstlerischen Dar- 
bietungen keinen Abbruch. Die Veranstalter waren und blieben 
die Künstler. Was sie gaben, waren Geschenke ihrer Muse. Daß sie 
reiche Leute aahien Ueficn, war ein praktischer Notbahalf. Aber 



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wtm iHm Darbietungen nicht paßten, der mocbte fortbltiben. 
K jonaMlo nen wniden nicht gemai^ 

Der Ruf vom >Cluit noir« uiut intaen tefser Gabucb 
dang Aber die Vogewn. Mit der ptnmpen Itnlteflooswiit, die den 
Dcvtedien anageichiiet, atflnie man lich auf die neue Idee — und 
pflanzle PBlnieii in Sddiecitlder. 

Zuent vereucbte man es aUerdings mit einer dem deuMien 
Wesen viel mehr entsprechenden Qrflndung. Man machte aus dem 
Cabaret ein I heater. So entstand Wolzogens Überbrettl. Das vcar 
an sich gar kein übles Gewächs. Jedenfalls lagen hier Möglich- 
l^ten, heitere Kleinkunst zu popularisieren. Anspruchslose 
Verschen, anspnichslos vertont und niedlich gesungen - das war 
etwas, was zwar mit dem Wesen der Pariser Cabareis in ihrer Be- 
tonung künstlerischer Eigenart herzlich wenig gemein hatte, — aber 
dem deutschen Qemut hat nie etwas besser gelesen, als die KUng- 
Idamggioribusch-Liedchen der Herren O.J.Biettiaum und OskarSimtB. 

Die Idee war lebeuafthig, und Herr von Wolzogen war 
woiil der Mann, aie unter Wahrung eines gewissen IdlnsOeiisdien 
Niveaus am Leben zu erhalten. Woran daa Untemdmien acbeitertef 
bat er selbst oft genug ausdnandcrgesebd: an der ProfUgier Im- 
kunems&drtiger Banausen, die nach der eine^ Seite die DiOaBz 
zwischen Übcrbrettl — die Bezeichnung war ausgezeichnet! — 
und Tingeltangel, nach der andern Seile die Distanz zwischen 
Überbrettl und Vorstaduheater nicht abzumessen verstanden. 
Wolzogen gab den Kampf mit den wohl pekuniär überlegenen 
Nachtretern auf, und diese sorgten dafür, daß die gesunde und dem 
flachen Verständnis des deutschen Bürgers trotz der Einhaltung^ künst- 
krischer Grenzen noch angepaßte Institution rasch zum Teufel fuhr. 

Jetzt kamen die Neunmalklugen an die Reihe. Sie bewiesen 
mit scharfsinniger LjQgik, daß das Überbrettl selbstverständlich eine 
total veiiehUe Idee wu, und daß nur das Cabaict, wie es iu Plaiis 
florierte, der Vermittler poputtrer fOeinkunst sein kdmie Abo 
wurden Gabarets gegründet 

Zuerst gings noch« Es traten Kftuatlcr zusammen, die wüfc- 
iich etwas waren. & amfisierten sich In aller Itomlosigkdt mit 
ihren Vorträgen und sahen nicht viel auf die Zuschauer, die mit 
ihren billig erworbenen Eintrittskarten gerade die Unkosten 
deckten. Aber bald ward in den deutschen Künstlern der deutsche 



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— It — 

Kiimer lebendig. Mm setzte hAtaere Pxeiie tti| und das Cabaret 
ward für den jeweitisen Unterneliaicr eiii einidclichcB Oeidiift 
Damit bMe natfirlicb der KSnsUer auf, der Oaalgeber zn wt»u, 
der den Besucher des Cabarels mit sdneni Scfaaliien bekannt 
macht. Er mußte sich dem OeKbmack des Publfknma anpaasen, 
und das heißt in Deutschland nichts anderes als: seine Kunst 
verkitschen. Das \tar natürlich das Ende des künstlerischen Cabarets. 
Hier war der Strich, der das deutsclie Cabaret von seinen fran- 
zösischen Vorbildern grundsätzlich schied. Das Cabaret begab sich 
seiner Wesensart, als es anfing, der angstgemuten Schwerfälligkeit 
des deutschen Philisters Konzessionen zu machen. 

Berlin ward jetzt übersät mit Cabarets, die die geschmack- 
loaesten Namen trufeo« Da war das Cabaret »zum Nachtxminibus«, 
»zum Kbmporkasten«, »zur SchnUnksdiatiiUe« (Herr Danny Oörtkf 1) 
jum, nsir* Was da gidioien wurde, kann man sidi voiatdlen. 
Fadester DUettentjsmus. ödeste Zoterd, gdstkNKSter Humbuc. Daß 
hier und da doch immer wieder mal ein echter Kflnaüer auftauchte, 
y daß einzelne — sdtr vereinzelte — Cabarets doch ein cevimes 
kfinstterisehes Niveau wahrten, vermochte den sidieren Niedeitaiic 
nicht aufzuhalten. Denn zu aller blöden Schablonenhaftigkeit trat 
noch ein Faktor hinzu, der jeder künstlerischen Kegung auf den 
Cabarets vollends den Todesstoß versetzte: die hohe Obrigkeit. 

Aus dem Betrieb der Cabarets war naturgemäß mittler\Ä^eile 
ein sehr einträgliches Gewerbe geworden. Geschäftskundige Leute, 
die bis dahin mit irgendwelcher Kunst nicht das geringste 
zu tun hatten» gescheiterte Existenzen, die zu keiner andern 
BesdiAft^gmig mAr anstellig waren, wurden plötzlich Cabaiokiees. 
Sie fingen zum Teil mit recht erheblichen Kapitalien an, 
engagierten Leute, dte als Humoristen bei Witebtttteni ehien 
gjewissen Ruf hatten« ffir ung^eufe Oagen und adiufen dadurch 
auch so manchem Weinwirt leidie Nebeiieimiahmett. Das mtffit 
den Konkurrenzneid mancher anderen Oastwhrte; dte sich dann 
mit dner Denunziation an die Berliner PöUzd wandten, wdl 
da und dort öffentliche Schaustellungen ohne polizeiliche Kon- 
zession vorgenommen würden. Seitdem unterliegen auch die 
Cabaxet-Darbie tu Ilgen der behördlichen Zensur. 

Das ist natürlich schon an und für sich absurd genug. Die 
Originalität der Pariser Cabarets besteht et)en darin, daß die 



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KttntÜBr hti jeder Zutmimgnfcmift mit iiyeiid ciseni neiicti 
Bdtng fätmmAm, dtfi dle Vorträge osler Unsttoden gn» 
InfNrevisifirt «erden. Dis wtr mm für Bcrfin nmnöglicfa. Ans der 
Mliliciien Veninstaftnnif künstierhdier OetelHgkelt wtr eine 

programmatisch abgezirkelte, behördlich sanktionierte, künstlerisch 
wertlose bürgerliche Abend Unterhaltung geworden. 

Aber damit nicht genug. Die Berliner Polizei zeichnet sich 
dadurch aus, daß ihr Rotstift mit unnachahmlicher Sicherheit all 
das zu treffen weiß, was durch eine satirische Note oder durch 
die formale Qestaltung oder durch andere Qualitäten sich von 
dem Kitsch der übrigen Darbietungen künstlerisch abbebt 
Sexuelle Themata lind natürlich in der Satire gamidit m 
vermeiden, und es gehört adu» eine cme Portion verbohrten 
MilCfcertimit dizn, solche Themifa eo ipso inMßig «t finden. Dis 
tvt audi die Piolisd nielit Wo et aiÄ tun nadde, nnverfiUaciile 
Zote bandelt, ist sie gamicht zimperlich. Witzlose, tüsteme 
Sidielclien dflrfen, soweit sie grade AnsdrAdoe vermeiden, getrost 
passieren. Aber «die der Deibheit, wenn sie boshaft istl Ohne 
Onade verfällt sie der Konfiskation. — Von socialen Thematen 
gamicht zu reden. Kriüsch ist polizeiwidrig. 

Kunstlos, poesielos, kastriert vegetiert so in Berlin das 
Cabaret weiter. Sehr vermögende Unternehmer, die die Prätention 
haben, das Publikum trotz allem in dieser oder jener »Nummer« 
mit Kunst zu füttern, geraten dabei natürlich nach der andern 
Seite hin auf Abwege. Bald indem sie einen Künstler aufs Brettl 
lerren, der seinen ganzen Qualitäten nach auf die Bühne oder in 
den Konzertsaal gehört, bald indem sie einen Vo rtrs gen d en in du 
abentenerücfaes Kostüm stecken und ihn so ztt dner Ziriam> 
Attftlction degradieren. Das übrice Repertoire sctst ddi dann 
ans Tfogelbnicd- und VarlM-Nnnunem hödist abgesdimadit 
zusammen, aus denen sidi das Rroeramm der anderen Gabards, 
die audi nadi auBen hin keinen Ansprudi mehr auf eine kOnst- 
lerische Note machen, ausschliefilidi rekratieri 

Wie lange sich die Rudimente des französischen Cabarets 
in Berlin noch halten werden — das kann kein Mensch wissen. 
Sicher nicht länger, als bis das liebe Publikum, dem zu Gefallen 
sich die Künstler derart entwürdigt haben, selbst angeödet ist von 
der Einrichtung. ^ — 



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4 



In Wien bcginiit sich dt» Gtbaret-Leben ebm oal zn 
PBgOL Der Anluig M von dncni ftimmim ipenuidit wonleii, 
noch dazu von dneni, der das beste Cabaret, das Deutschland 
Je besessen, gdeltet hat, und zwar in München, wo das Volks* 
tempenuncnt dem ffranzflsiscben schon sehr viel ihnlichcr ist ab 
iü Berlin. Vorläufig kann Wien also zufrieden sein. 

Wenn ich trotzdem trübe Auspizien stelle, so geschieht 
das aus meiner intimen Kenntnis der Entwicklung des Berliner 
Cabarets heraus. Eine Polizei-Zensur brauchte in Wien nicht erst dem 
Cabaret auf den Hals gehetzt zu werden; die hat's hierzulande 
stets und bei jeder Gelegenheit gegeben. Das Publikum aber ist 
schon jetzt ein wichtiger Faktor für die Zusammenstellung des 
Programms. Und es werden Konkurrenten entstehen, die; «ie 
in Berlin, langsam aber sicher die Kunst zum Tempel hinaua- 
jacien verden, um die Cabaret-Kunst durah das tatime Variä^ 
zn ersetzen. 

Pisris Berlin — Wien* Ob das eine Steigerung ist? 

Erich Mflhsani« 



ANTWORTEN OBS 

8ckied$ridUer. 

Musikkritik: 

.Sonn- und Motitagszeitung* : 
»Als Eröffüungsnummer figurierte 
BeeÜiöveiis Odnr-Symphonie, vd- 
che eine gnsdczn mufterliafte 

Interpretttion erfuhr. An jeden 

einzelnen Satz knüpften sich stör- 
rnische Beifallskundgebungen, die 
sich nach dem Finale zu förm- 
lichen Ovationen für Herrn Dr. 
Madr und unsere trelfUdiea PhU- 



Theaterkritik: 

^ene Freie ?ma6*: »Die 
klassischen Abende ditut Bflhne 



HBRAUSQBBBRS. 



,Zdt': »Was ist nur Herrn 
Dr. Muck eingefallen, die Tempi 
der crrten Beettiofcnsdien Sym- 
püieide denit tu fcnddeppen? 
Das Werk Uang wie unter den 
Händen junger Klavierschüler, die 
es zum erstenmal vierhändig 
durchnehmen .... Wie sehr die 
Auffüiirung verfehlt war, konnte 

Herr Muck schon an dem BdlUldM 
Pnkliknmi bemerhttt. Nach dsu 

ersten Sätzen erfolgte er so spär- 

; lieh wie noch nie .... Erst nach 
dem letzten Satze, der zwar langsamer 
als sonst, aber doch in erträghchem 
Tempo gezielt wurde, erschoU er 
einmfltig«. 

lArbeiteradtung': »Eine rd- 
cende Auffflhrung. Eine Vor- 
Stauung, die dem Thaatar hohe 



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22 



ibcf siebt Mhr iibHu^bm Not- 

fhb— g; Shake^^eim 4Astfs:€ 
Weiber von Windsor' .... Wie 
,Der zerbrochene Krug* durch 
gleichen Mangel jüngst im Volks- 
theater zerschellte, so wurde auch 

JU^ T iiJi «Ii -» - - WM^Ib^^ 

l^adiac' aiK fttdiidlgL Die 

Wefidnng der IHntellung loa Qio* 

teske verma;^ da nfcht abzuhelfen, 
sie ist verfehlt und dem Oeiste des 
Dichters völlig entgegen .... Ame- 
rikanischer Grote:skclovnspaü, mit 

tfsoft Buui heute SbeloHpetfe cuf 
dies «Idcrwirtigste verroht und 
der hier eich holtaitlich nlemale 

einbürgern wird. So war der drama- 
turgische und schauspielerische 
Erfolg des heutigen Abends ein 
geringer; jener wurde durcii herz- 
im PMiMiie dMCBeme oceniiiuist, 
dievr litt ea den Mlen jeder 
nemieiifverteB LeietiuiK«. 



EStre nicht «od dte Hcßumg er- 
weckt, endlieh, endUdi veMto äm 

Volkstheater vollbringen, was tn 
den letzten Jahren nur mehr mit 
resignierten Hoffnungen erwartet 
wurde. In Richard Vallentin, der 

die IHIein Weiher' 
lamü dm Wiener Theelv 

Reinhardt findoi! Was er gestefa 

ans den atisge^eichneten Schau- 
spielern des Volkstheater? hervor- 
zauberte, das erfreute bis ins Detail. 
Und die Slioimung des ganzen 
Wethes «nfile er M Mi wa Jene 
Qrcmeii lo etelgerOf wo mir n^hr 
der musikalische Ausdruck der zu- 
reichende ist. Soweit das Theater 
die innere Musik der Shakespeare- 
Sprechoper laut werden lassen 
kann, ist das gestera geschehen .... 

jubd, den die Vontdlnng er- 
» • • • vontti^clies En* 



• • • 



HcUniu^. Herr st g. von der ,Arbe{ter-Zeitung' — noch nicht zu 
verwechseln mit Herrn st— g von der .Neuen Freien Presse* — , der 
begeisterte Rezensent der uninteressanten Vorstellung der »Lustigen 
Weiber von Windsor«, ist Jener Herr, dem dss Deutsche VoUotheeier 
sni Siisonbeginn ein Stflch eligenonunen hit» Dieser Vogd Im Kttlg 
der SoetifdemohiBtie lücgt JcIaL dller Ins Lmid des bAtgcrHchen Ten* 
nteienervnbs. E2n in der ,Arbeiter-Zeitnog' gdoMes Land. Mit zwei 
Thesten, dem des Hem Webse und dem des Herrn Jtno$ steht Herr 
Stelen Orefimenn sie Dnmitiker In Qes dii ft s ver h lndttngy beiden 
Theatern hat er sich bisher als kulanten Kritiker s:ezeigt. Mit 
seiner Begeisterung für die , Lustige Weiber'-Aufführung stand er aber so 
vereinsamt da, daß er sich's vorläufig überlegt hat, das >dankbare 
Nachwort«, welches er den Lesern der , Arbeiter- Zeitung* versprochen hat, 
erscheinen zu lassen. Die Vorstellung verdiente wirklich ein Nachwort, 
wenn auch nicht das eines dankbaren Volkstheaterautors. Man müßte 
erzlhlen, daß der Berliner Humor-Saugapparat »Vallentin« versagt hat 
Anf kaltem Wege läßt sich den Volkstheaterschauspielem nicht beibringen, 
«IS Sie nicht heben. Sind |s bnve Lenls, ttasdwn hd en tspjeg h e n d s m 
Difll ipeviS nodi echtere LebensecbttieK vor eto die NiclitnBjAievoluNri 



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88 



dit ftor VaUenliii fai Boliii fCKkiilt hat Abv ISr Shahnpcut Iv^ft 
■MitliitecaiiieBfigiiroiiniche&Votitdliuig 
(Sdual) «Bd Ronaaovilgr (Sdunieiitig) nad dai wi got Bcgabw 
Bkht bctdiäftigte Piitdda Schafler (Anw Face) StiL Der Rvt M 
Urnwa. Der tflchtige Herr ffonnia ktnh nichts fSr den bflaea Witten 
der Direktion, dit ilua ta Falfltaff zngfemntet hat. Die VoilBhraBK det 
Falstaft in dncr Stadt, die Bernhard Baumeister, den lieben genialen 
Naturschwimmer, in dieser Rolle erlebt hat, wird nach Jahrzehnten noch 
ein panrenfihaftes Unterfangen sein. 

Gebildeter. Sie sind im Irrtum. Lukian, dessen Dialoj^ >Die i"ahrt 
über den Styx« das Lustspieltheater aufgeführt bat und der wahrschein- 
lich nm das Jahr 116 geboren wurde, ist odt nwinem Mitarbeitar 
Lndaniis nicht identisch. Unrichtig ist auch die Behauptnng des 
IttarataifonGtaa fon iNenen Wiener Jonraal', da6 »anni ihn (Uikiaa) 
nodi in den garmaniatlaahcn Seminaren Ivnnt« nnd dafi dies 
»die eindfle FBUmv iek» die er ndt der Oefenvnrt nntaridtt«« Wenn 
'r^'fHT, der gprieddedi edvnibcnde Sjnwr» anf die gM nw iaHeehen 
Seminate angewieeen «iie, hOnnte er zneelMn, «o er die FUünng Alt 
der Gegenwart hemilmie. In WirUldilKit sofl er diese einem gewImen 
Wieland verdantai. 

Beobachter. Wandel d«r Zeiten! Ehedem hieß es einfach: Die 
besten Klaviere bei Kohn. Jetzt ist die Annonce sensibel geworden ; 
»Das Klavier ist das adeligste Instrument .... Edle KUviermusilc 
ist sozusagen immer: Musik» einige tausend Meter ilber'm Meeres- 
spiegel .... Die Klaftere, die man Jelat bei Kohn vereinigt sieht, sind 
ariHohiitiedisle Vertreter ihrer Ratten«. NatihrUch gibt'a andi »dne 
wnendB^ FWe latenter Morik«. FriUMr war du I ne ei at engMdrittl ein 
nilinaa: Mal Ut es »ialent«. Die Penfltttwntiien mgsien ihre tiMenten 
Bflder, Nnaneen nnd Benbadrtnnfen dann «enden. Ehedem McS et 
einiMh: Pralacinei Böecndofier-Klafiart 2000 Onlden. Jetit: »Zweüneend 
Oniden hostet solch ein Instrament, dessen Anaerea, dessen kmggestiteMer, 
aristokratisch -schlanker Leib, dessen ganze Maßen- nnd Größen verhilt- 
nisse schon Harmonie alraen. Der Normalbürger wird kaum zweitausend 
Oulden für ein Klavier seinein Budget abpressen können. Aber man 
geht mit riemlicher Unlust und Unzufriedenheit an den kleinen ,aber- 
spielten' Stutzflöge!, der das häusliche Musik inst rumen ta r reprisentlert, 
wenn man einmal aus einem solchen Wunderkasten das Meer von 
Wohlklang henwlichwtilen hörte, dai awiiehen seinen schwanen Hnto- 



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ei ht «oM Midi tu OntaHnc. daß Haytere Iftoii iac li sewflrdifft «cnAeo. 
Nv vift tlVM0B daravt an aditen, 4a6f vcrm afcli du VtfduAoz won 
dam Klavier angatcgt fUdt» die Amcgimg der Adaiiaittntioa dorch 
die Fimift mterUeibe. 

Sammkr, Sogar in der Rnbrüc der Theaterzettel ist die ,Naie 
Freie Presse' desorientiert. Lange Zeit erfuhr man unter der Spitz- 
marke »Theater und Vergnügungen in Wien«, was in den Schauspiel- 
häusern von Prag, Brfinn, Graz und Innsbruck gespielt «rnrde. Die 
weite EnlfernunfT dieser Theater vom Zentrum unserer Stadt hat den 
Wert der Ankündigungen '^c'^entlich herabgemindert. Man kommt 
doch noch rascher ins Carltheater. Aber ach, dort hieß es am Q. MIrz: 
»Oeachlossen. Anluig V28 Uhr, Ende 10 Uhr«! - Ein Leser schreibt: 
•2m den Abenteuern am ,Lop-Nor-See', zn den achreddidien ,Ouerilla< 
Krieges', zu den tchaneriidiea »AttcBtata- Vcrattebeii'» die wir fiatt 
■agiicii nocr vm cfsencB lawen uioBaeii, Koniiit mni m oer fNewai 
nden Praaae' von 10« d. 11» Abcadbiattr eine VemngMdiiiiiK in Skl- 
Scknlieii and tage voilier Im Mofgenblatte gar «ine Anti-IMh 
bekämpf nng. Die ,Ne«e fteie Pwc^ iat doch eine anfragende Lefctilttl« 

Onkd Momon. Bei der Heine-Fder der »Kooleordla« ist der Ver- 
treter der .Wiener Allgfemeinen Zeitung* lobsfichtfg geworden. Sein 
Bericht lautet: > . . . Zuerst kam ein Prolog von Ludwig Hevesi, der 
ja wirklich auch zu den großen Dichtern gehört. Er hat wieder einen 
seiner köstlichen Aufsätze geschrieben, die man mit Goidbuchstaben 
und kfinstlichen Miniaturen auf unvergänglichem Pergrttnent oder auf 
ehernen Tafeln festhalten sollte, von denen jeder einzelne ein unvergeß- 
liches, kflnstieriiches Erlebnis ist, in denen alle Künste, Poesie, Malerei, 
Plastik und die Kunst der Architektur, venchmolzen sind zu dem edelsten 
Erz der Spiadie. jedes seiner Worte war eine Welt, jeder Satz dn Epi* 
granun, Jeder Abaate eine Oeachidite der litewlnr, der Knnat oder da- 
Knltor flberiuwpt« nnd mdur als das. Und trotz der Tiefe seiner Philo* 
aqpbie schreitet sdne ^nwbt leicht dahin wie etae Tlmeiin. Ein islhe- 
tischer Ocnnfi von höchstem Reiz war ea, zn sehen, wie die sroße, 
vidgewaltige Naftnr Heines sich in dem vidgewandten, liilgewaltigen 
Hevesi spiegelt: es glänzt, es blitzt fon Oeist «nd die Heften fenditen 
in die hdchsten Höhen und die tiefsten Tiefen.« 

Mit der nächsten, der 20a Nnrnmeft schlicfit der VII» Jaltfw 

gang der »Fackel* ab. 

HerMusgeber und veranhrortlicher Redakteur: Karl Kraus. 
Draik von lahoda and Siesel. Wim, III. Hiatei« Z«lUalssMt S. 

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Die Fackel 

■ 

NR. 200 WIEN. 3. APRIL tW VII. JAIUK 



Der SellMitmord der Themii. 

Hätten wir, ehe Laura Beer sich in die Stirn 
«chofi) die WaU gehabt, die Erhaltung ihres Lebens 
oder des Ijebens der Herren Kleebom -j- Feigl + Steger 
etc. etc. zu wünschen, wir hätten nicht geschwankt. 
Wenn Themis' Wage Mansohenwerte su vergleichen 
hätte» die Summe von Anmut, die mit derÄrmsten aus 
der Welt gestrichen wurde, hätten alle richtenden 
Hofräte und rächenden Regierungsräte dieses Schand- 
prozesses nicht aufgewogen, nicht die Würdigkeit 
eines Staatsanwalts, der zur Erstattung einer An- 
zeige »rät«, nicht eiiiiiiiil der Heroismus zweier 
Knaben, die eiterlichem Rachedurst den Ruf ihrer 
leiblichen Unschuld opfern. »Wegen zwei solcher 
Buben U soll ein Helfer der Justizschändung, den die 
Nachricht vom Selbstmord in Ciarena zur Besinnung 
brachtCi ausgerufen haben. Graut den Herren 
▼or dem Walton eüner Judikatur, deren Strafwirkung 
weit über die gesetzlichen Maße ins Zentrum des 
Menschenglücks trifft? Fühlen sie das Mißverhältnis 
Bwischen Tat und Strafe? Der kriminalistische Wahn- 
sinn wirkt auf keinem Gtobiet^ das die» Profosen der 
Menschheit annektiert haben, so verheerend wie auf 
dem der Sexualjustia. Die Phantasiearmut, die hier 
Gesetze kleistert, Anklagen erhebt und Urteile fällt, ahnt 
nicht, daß sie für \'ergehen, die in anderen Himmels- 
Strichen keine sind, unerhörte Menschenopfer fordert. 

Moralheuchelei imd die Feigheit einef Presse, 
die bloß den Speichel des Siegers leckt, überbrücken 
die Kluft zwischen kleiner Ursache und großer Wk- 



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kong: m sorgm dafQr^ dsfl <9e sezualW Verfehluog, 

deren einer angeklagt ist, nicht beim richtigen Namen 
genannt werde. Im Falle Beer hat journalistische 
Diskretion durch delikate Verschweigung des wahren 
Sachverhalts der Phantasie weitesten Spielraum ge- 
lassen: die vom Prozeß ausgeschlossene öffentlich- 

.keit glaubt an den schwerste n pädera s tischen Ein gritf, 
der die Gesundheit vergewaltigter Knaben dauernd 
vernichtet hat. Bis heute kennt kein Zeitungsleser 
die »Tal«, für die jener kleine Wahrheitsfanatiker, 
der in der Sobnte die Sittennele: selbstbefriedigend 
batlay seine Hand sum Schwüre bentttete. Sk> sei 
dmn emmal au^esprochen» daß vier Jidhoren die 
Weh rebelliieh gemacht wird, die Merreiohiaolie 
Jwtia kopflrteht^ die Akten des Wiener Landee- 

• gericbte sich berghoch türmen, PamiMen eerslOrt 
werden, Väter an Zuckerkrankheit sterben, blühende 
Gattinnen sich den Tod geben, weil das Glied eines 
AdvokatensÖhnlems flüchtig berührt worden sein soll. 
Ina Deutschen Reich, das dem Wahnwitz homosexueller 
Straf drohung genau m opfert und die Bestrebungen 
der Erpresser genau so f ordert wie usterreich, ist die 
Übung, deren Professor ßeer — nein, in diesem Fall 
sein Geschmack — beschuldigt war^ absolut straf- 
frei. Unser Oberster Gerichtshof hat sich, wie neulich 
Mit die ^Gerichtshalle' feetstelHe, in einer Bntscheidia^ 
▼cm 11; April 1908 ansnahmsweise mm vernünftIgeQ 
AufÜMUng des imvernllnftigsten Paragraphen bekannt 
und — bei minder haraücsem SachTerhalt als hn Falle 
Beer die ptaMoe Setbstyentändlichkeit ausge* 
iproehen, dafi »uncdehtige Betastang« noch nicht den 
Verbrechensbegriff der »widernatürlichen Uueucht« 
darstellen kann. Die Di:skrepanz der beiden Judikate, 
die die ,Gerichtöhalle' veröfienüicht, ist himmel- 
schreiend. Mit einem Eifer, der für die simpelste 
Deduktion von der Weit die Jurisprudenz aller Völker 
und Zeiten, die Carolina und die Theresiana, das 
Joaeäoiscbe Qesetebuch und alle üofdekrete und 



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Prtigelpatente Ton Peking und Wien herttuiidit, g^t 

der Oberste Gerichtshof für die Prwöieit, die Getd- 
talien des Nebenmenschen zu ergreifen, ins Zeu^^. 
Und dies in einem Falle, der nicht einmal einen 
österreichischen Aristokraten betrifft, dem etwa die 
verlockende Gelegenheit eines Dampf! lades als 
mildernder Umstand zugebilHpjt werden könnte. 
Dieselbe Gerichtsinstanz ist es, die plötzlich aus den 
Abgründen juristischer Gelehrsamkeit ans Licht steigt, 
um sich an einen Abgrund der Maral zu begeben 
und ohne wissenschaftliches Bemüheii ein Spiel, das 
sie eben noch für straffrei erklärt hat, zum Verbrechen 
Bu stempdn. Und die ^Oeriohtshalle^ stellt fest, dafi 
die GhBoeralprokurator jenen erfreulichen Fehltritt des 
Kaeaationahofefl »in Auaübung der ihr selteamerweite 
«uatebenden PubliiierungBmacht, lowohl in der Ton 
ihr herausgegebenen Sammlung der Entscheidungen 
als in der bekannten vom Generalprokurator Gramer 
veranstalteten Ausgabe #des Strafgesetzes übergangen 
und so der Vergessenheit geweiht« hat. Schwer drückt 
den Obersten Gerichtshof die Reue über die homo- 
sexuelle iSeigung, die er ein einziges Mal verspürt 
hat. Das Rechtsgut des § 129 L b ist wieder ein 
freiwillig bis auf Widerruf eröffneter Durchgang für 
kriminalistische Dummheit und Grauaamkeit, und 
wenn zwei österreichische Zollbeamte in Tetschen 
— wo hekanntlich der Kuß eines Weibes als Ober^ 
tretung geahndet wird — miteinander kein Yerimefaen 
begehen wollen, mümn sie ums Haus henimgehea. 

• • • So iat'a denn dabei gebUebeou Für die »Täte, 
die der Proferaor Beer in demselben Jahre, in dem 
sie die höchste Gerichtsstelle für sümffrei erklarte, 
nach dem Zeugnis eines hysterischen Knaben be- 
gangen haben soll, wurde der Angeklagte zu drei- 
monatlichem Kerker, sein Vater und seine Gattin zum 
Tod© verurteilt. Da^ Gesuch um Wiederau f naiime des 
Prozesses, die wenigstens den Angeklagten und seine 
Frau noch retten konnte, ward abgewiesen. Mit Berufung 



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auf das (3e8eti der Trägheit, dessen Auffassung in 

Österreich keinen Schwankungen unterworfen ist und 
das die Revision eines Vorurteils in einem Falle 
nicht zuläßt, in dem einmal die feste Absicht des 
»Einspirrns« betont wurde. Die Beteiligten werden 
mit ihren Ansprüchen auf den Weg der Selbsthilfe 
verwiesen. 

So tief frißt sich hierzulande das Bewußtsein 
des Unrechts ins Qemüt, daß Weiber zu Rechta- 
kämpferinnen werden. Ein österreiohisches Justis- 
martyrium macht den Verurteilten zum Heros, sein 
gläubiges Weib cur Hysterikerin. Der Mann könnte 
68 verwindra^ von der Wiener Ringstraße als Ver- 
brecher verachtet au werden, könnte den Kampf um 
die soaiale Geltung au&^mra oder, der durch Reich* 
tum Unabhängige, in freiermn Klima die Erbärm- 
lichkeit vaterländischer Renommeen verlachen. In einer 
Schweizer Villa brütet eine Frau über Selbstmord 
oder Mord eines JustizgewÄltigen, den sie für den 
Zerstörer ihres Lebensglücks hält, während er bloß 
— das allgemeine Rechtsgefühl zerstören half. Laura 
Beer hat einmal den Regierun ^srat Steger, den An- 
zeiger, auf der Straße mit der Reitpeitsche gezüchtigt. 
Von dieser Frau war noch viel zu erwarten. . . 

Die einzige Frage, die der mit dem Fall Beer 
beschäftigten Neugier zu lösen blieb : ob der Heraus- 
geber der ,Fackel' Pädwast oder vom verurteilten 
Millionär bestochen sei, ist^ wie ich erfahre, iniwischen • 
in allen Instanaen der Wiener Uerachtdbarkdt in 
doppelt bejahendem Sinne entschieden worden. Und 
BOiion wieiler mufi man sich mit der vertrackten 
Affaire beschäftigen . . . Seit dem Tod^ des Richters 
Holzinger hat kein Schuß im Wiener Landesgericht 
eine so starke Detonation gefunden wie jener, durch 
den unlängst die Frau eines Angeklagten aus dem 
Leben schied. Ein Schuß, der die Ratskamraerherren 
weckt, ist der Rest, wenn die Rechnung zwischen 
Justiz und Sittlichkeit nicht stimmt Siner mufi hinüber: 



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i 



nicht der Richter, so ist's der Ancre klagte .oder 
wer ihm zunächst steht. Oder war^s nicht Frau Themis 
selbst — die aufier Land auf Gerechtigkeit War- 
teode — f die sich diesmal erschossen hat?. . . Und 
wenn* man das Herz eines Staatsanwalts hätte, man 
mochte gegen diesen Selbstmord einer Schönen Be- 
rufung einle^nl Aber ach» er ist inappellabel wie 
eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, — 
nur dafl die Justiz, die zum Tode durch eigene 
Hand verurteilt, keine Widersprüche in der Auffassung 
des § 129 kennt. Der Selbstrichter ist sich stets über 
Schuld oder. Unschuld klar. Der Oberste Gerichtshof 
handelt manchmal in Sinnesverwirrung. 



Die Hachtbaber von einst waren nidy und 
hatten eui gutes Gewissen. Die Machthaber von 
heute sind wissend und brauchen ein gutes Qe* 

wissen. Einst schien es dem Mächtigen natürlich, 
daß er unterdrückte und Wilikiir ül)te, heute scheint 
es ihm unnatürlich — und zur Überkleisternng dieses 
fatalen Koiilliktes zwischen Gewissen und Interesse 
erfand er die moderne Etiiik: die Freiheit, Gleichheit 
und Brüderhchkeit. Die Sklaverei wurde abgeschafft, 
ersten.^ weil der »freie« Arbeiter billiger ist, zweitens 
weil die Freiheit auch besser klingt und ein gutes 
Gewissen macht. Der Sklave kostet Geld und man 
muft ihn überdies anständig nähren; denn stirbt er 
vorzeitig, so verliert man das durch ihn repräsen- 
tierte Kapital Der freie Arbeiter verursacht keine 




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Anschaffun gekosten und darf unterernährt sein, weil 
er in jedem Augenblicke kostenlos ersetzt werden 
kann. Außerdem sind Hunger und Feigheit bessere 
und biliigare AaflBeher als die mit der Nilpferd* 
peittche. 

Die »Freiheitf bedeutet recht Terschiedene 
Wünsche. Oer Proletarier will frei sein von Hunger 
und ZwangBarbeit^ der Besitaende will frei iain von 
dar Furcbty daS mto ihm »einen Beaite nehmen 
könnte. Und weil diese beiden Freiheiten sich schlecht 
Terlragen, führen Prol^ariat und Kapital einen rni- 
erbittlichen Kampf. Die Waffe des Proletariats ist die 
Organisation, die Waffe des Kapitals ist die offizielle 
Macht. Diese klare Sachlage wird nun von beiden 
Seiten durch ein ekelhaftes, moralischtuendes Phrasen- 
tum vor wirrt und v(Ttus(:ht. Die einen «schreien nach 
»Gerechtigkeitc, wenn sie Brot und freie Zeit haben 
wollen, die anderen verheißen »Rechte«, wenn sie 
knechten und ausbeuten wollen. Was geht aber uns 
das feifce Gewissen des Kapitalismus an, der sich mit 
frommen Lügen Mut zum Gebrauch der eigenen 
Macht machen mußl Der gute Geschmack fordert 
vom Machthaber, dafi er hart und ehrlich sei. Aber 
nooh widerlicher als die kapitalistischen Phrasen sind 
die soaialdemokradeehen. Wenn 8i<di die Proletarier 
mit »Rechten« abspeisen hissen, verdienen sie kein 
besseres Schicksal. Ein Sklaventum ist die Grundlage 
jeder Kultur und naturnotwendig, automatisch, überall 
dort vorhanden, wo ein Mächtigerer es über einen 
Schwächeren verhängen kann — ganz unabhängig 
von Ethik, Kulturstufe und Reg:ierungsforra. (Ethik 
ist und war immer nur ein Nebenher und Nachher, 
eine Beschönigung der Willkür oder eine Bemäntelung 
der Schwäche. Die Höhe der Kultur verhindert die 
Sklaverei nicht nur nicht, sondern verschttrft sie noch. 
Zu allen Zeiten einer Hochkultur war auch die Be* 
drückung am härtesten, weil die Macht am ver- 



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7 — 



toekendBlen war. Die kafritalisliscbe Skkmrei ist 
durch jede Regierungsform geschützt, dureh «iM 

Hberale sogar noch besser als durch eine absolute.) 
Wenn min die Proletarier, anstatt ihre Krätte auf 
den wirtschaftlichen Kain{>f zu koui^enlrieren, sich io 
einen politischen einlassen, wenn sie in unglaublicher 
Verblenduno: politische Rechte anstatt besserer Be- 
zahlung fordern, dann fahren die Besitzenden am 
besten. Politiscdie Rechte können die Besitzenden 
ruhig verleihen; wenn die Parlamente die Macht des 
BesitdMB antasten wollen, führen sie sich selbst ad 
absurduoL Das Recht des Stimmzettels kann man den 
Besitdosen gtanen, denn »die Macht des Stianii^ 
aettelsc ist nnr eine Phrase. Von der Phrase leben 
aUerdings awer unerfrenliofae Spezies von Mensdwn: 
die Sohmdeke nnd die Demagogen, 

Bs war eine Stunde, in der das Schicksal der 
Menschheit sich in leiser Anstel drehte. Unhörbar 
schloß ein Tor sich zu, unhörbar brach ein anderes 
auf — und der Strom den Geschehens wälzte sieh in 
ein neues Bett . . . Am lieblichen Gestade eines 
kleinen See» im Judenlande aber sprach in dieser 
Stunde ein sanfter, dunkeläug^er Yersückter in 
wunderlicher, wirrer und bilderreicher Sprache lu 
Fischern und Handwerkern, Herumlungernden und 
Neugierigen, au Oerineen und Deklassierten. Von 
meot Reich sprach er, das nicht ein Beicb der »Weitt 
sei, von einem Beioh der Armen und Yerkarniten 
und von einem Vater, in dessen Wohnung die Htm«' 
gemden und Müden einen festlieh gedeckten Tisch 
fänden, von einem Vater, der alle j Kinder« mit 
seiner Liebe umfange, und von einem (Bericht, das 
der Vater über die Harten und Stolzen halten würde, 
die sf'ine Kinder geärgert. Wer gering sei vor der 
Welt, werde vom Vater erhöht werden, die Reichen 
aber werden ausgestofien werden aus der Wohnung 



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— 8 — 

deB VateiBi ond eher ginge ein Kamel durch ein 
Nadelohr» ehe em Reicher ins Himmelrdch Urne. So 
wenigstens verstanden es die groben Ohren, au denen 

der verzückte Symboliker sprach, und trugen es 
weiter als frohe ßütischaft für die Darbenden und Ge- 
plagten, für die Brüder und Schwestern, für die 
Kinder des guten Vaters. Der Verkünder starb am 
Kreuze, die frohe Botschaft aber breitete sich aus 
und zu Damaskus fiel es einem jüdischen Demagogen 
von Genie wie Schuppen von den Augen und er er- 
kannte, daß die »Welte nichts anderes sei, als die 
römische Aristokratie, welche das Boich usurpiert 
habe, das der Vater den Kindern versprochen. Auf 
ausgedehnten Agitationsreisen organisierte er die 
»Kinderc aller Länder, und Rom selbst ward zum 
Zentrum der ersten internationalen Demokratie. Qleieh 
Maulwürfen hausten die »Kinder« in unterirdischen 
Grüften und untergruben den Boden der »Welt«. 
Verzweifelt und grausam wehrte sich der G^st des 
Imperiums — aber das Auge des Menschen war \^ er- 
wandelt worden. Es sah, was es bisher nicht gesehen 
hatte, und es sah anders, als es bisher gesehen hatte. 
Es sah plötzHch das nngeheure Leiden des Menschen 
und konnte den Anl)Hck. des Leidens nicht mehr er- 
tragen: es war neurasthenisch geworden. Den Ver- 
folgten und Geächteten wuchsen aus Blut und Martern 
neue Genossen und die Machthaber wurden feige und 
schauderten vor dem Blute. Der Imperator selbst er- 
griff das Symbol der Macht des Leidens — und der 
stolzeste Kulturbau der Menschheit versank in die 
Grüfte . • . Der Vater hatte Gericht gehalteui aber 
das Reich war nicht den Kindern gegeben worden. 
Der Vater zu Rom verwaltete es für die Kinder, ver» 
sprach den Kindern das Himmelreich im andern Leben 
und lenkte die Geschicke der Welt, Ein neuer Bau 
erhob sich über den Trümmern des alten, die Mächti- 
gen, die i^Welt«, waren wissender und furchtsamer 
geworden., sie. gaben deu »Kindern« das Recht« und 



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» 



behielten nur den Besitz. Und sie sprachen es aus, 
daft <Ue Menschen yor Qott und den Oerichten gleich 

• • • Karl Hauer.*) 



Und Fippa tanzt I**) 

Pippa tanzt. Aber die Maßgebenden sind nicht zufrieden. 
Nämlich: la grande foule und die kleinen Rezensenten. Sie wird 
mcht nur ignoriert. Sie wird gehaßt. 

Was hassen la grande foule und die kleinen Rezensenten? 
Die Ironie. Die ganze künstlerische Physiognomie Pippas jst ironisch. 
Das ist meine EmpfindilQg. Ungewollte Ironie. Das heißt: eine 
Eigenschaft der Dichtung, nicht d«s Diditm* Wie denn überhaupt 
das Gewollte das Schlediteste an diesem und an jedem Drama 
ilt PipfMS Schönheit ist irooiscb. Alles Frfiheie von Hauptmann 
TOT bitterer Jitenuriacbcr Emst Darum var alles Frühere so beliebt 
Darum erhielt Hauptmann so schöne Qrillparser- und andere jWse. 
FIhr Pippa bei[ommt er gar nichts. Sie ist der Pferdefuß. Eine kom- 
prondttlercnde Qeschiehte. Kmz gesagt : eine Dlchtni^. 

Pippa hat ihre eigene Luft Ein Königreich des Glases in 
Schlesien. Die Leute sind in der Glashütte beschäfti;^! oder leben 
von ihr mittelbar. Aber nicht die Arbeu gibt der Diehiung den 
Gruudton v«^ie in den »Webern«), sondern das Material der Arbeit. 
Das ist das Charakteristische. Aus dem Gegensätze zwischen der 
häßlichen Arbeit und dem schönen Material ei^^ibt sich das Leit- 
motiv des Ganzen. Das Glas stammt von Venedig wie Pippa, die 
Tochter des Olastechnikers Tagliazzoni. Und dieses »Venedig« 
mehr dne Sehnsucht, als eine Stadt - gibt dem Stücke einen 
fvdlen Hinteisnind. Den rein poetischen neben dem »Orte der 
Handlung«. 

Rauhe Banemhlnde erzeugen zarte Blnmenwunder aus 
Oiss. Ahnungslos. Hungrige Bauemaugoi verschlingen die tan- 

*) Der Verfuser der mit Lnclanua untendchnelen AolSAtK. 

^ Ich freoe mlcfa, dieser wm einem Dichter beaoigten Ehren- 
fsthnig einer DIchhiQg Raum geben zu können, an der die Ratknalitoten 

der deutschen Kritik — von Harden bit 0©ldmann — den Zorn der 
eigenai Ritioeigknt auegciaisen haben. Aaih. d. Heraitsgeb. 



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- 10 - 

leiKle F^pf» und leiden an ihr, «ber aehen sie ttkht SU tavl 
«Dt ihaeB» «Imt nidit Mr 

Pippa ist*die editeite vdbliche SdiApfimg de» frfllim» 
Ltaitoi. Tnuurig echt in ihrem Sdiicknle. 

Sie ist »die Sdiönheit utf Eideii«. Sie ist dts Weib. Jeden- 
fslls ist sie dizu dt, mtßvenhuiden zu wetden. Vor Minnem «i 
tanzen, die sie tusBtvBBdertiafztntitai oder - heiraten möditen. 

Zwei symbolische Tänze am Anfang und am Ende. Das 
erste Mal im Wirtshaus — eine »Produktion«. Und zum Schlüsse 
in der Hütte Wanne — eine höchst cigfene sexuelle Angelegenheit 
Zwei Bilder von einer imposanten Perspektive. 

Im Wirtshaus. Unter den zuschauenden Raren ist auck 
der »Glashütten-Direktor«. Ein gewöhnlicher Mensch. Aber doch 
unter den Bären ein Weltmann. Seine Oahtnterie hat dnige 
lenere Nüancen. Zneist kommandiert er, das »verlauste« Mädel 
soll tanzen. Aber Pippa erscheint, und er tiehaadelt sie zart - 
«i» Oist. Der Herr Direktor »titbt«. listsogiff ?on Pipp« Tiiauie 
Er 91^ ihr, dafi sie ans dem Qlisofen stamme. So richtig trftunt 
er von ?\pptu Er sagt iirr >Wcnii die Veiflglttf aus <ieni Ota 
bridit, sehe idi dich oll ganz sahmumdcrhaft in den glfibeddat 
Lfiflen mit hervondttem.« . • « Da Bfif sich pUMshdi dn gyoiesftef 
Riese vemdimen, ein früherer Ofasbläser, »der alte Hnhn«: »Vo 
dar hoa iich o schunn Träume gehoU . . .< Das ist unheimlich. 
Jenseits von Literarisch und Szenisch. Aus dem Sch lesischen im 
Wedekind sehe übersetzt: Ferdinand (dn Diener im letzten Akte 
des »Erdgeist«): ^Man ist auch nur ein Mensch . . . 

Fjppa tanz\ mit dem »alten Huhn«. 

Man sehe, vas aus dem Literaten Hauptmann geworden ist 
Die putzigen »Spezialkorrespondenten«, die den Beiüner Durchfall 
Fippas in die Welt telegraphierten, ließen den ersten Akt noch 
gätin. Mch »einem Oeiahl mit Untecht Denn dieser Akt ist audt 
von einem Diditer. Er q>idt »in der Sdienke des alten Wen4e to 
Rol Mseigf i wd », ht aber kein Akt ansFtifarmauo HetisdieL Und die 
^bändelnden Personen« reden zwar scheinbar das gev^htilidiste 
Sdilesbch, aber jedes ihrer Worte hat einen gewissen Unterton» der 
ihre ZflgeMrigkeft m einer unendlichen Welt verrät. Symbolisdie 
Fäden verbinden sie mit dem poetischen Hintergrunde und nicht 
nur gesprochene Aiitagiichkeiten mit dem »Orte der Haudiung«^ 



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— 11 — 

Daher das prächtige KoiorH 4es «chdnbar »retUitilciw 
Diftlogs: du Wedekind 'scher Dialog — von Hauptmann. 

FinM tawrt mit Hülm, den sie haßt und Mrchtet, vor 
Mimen» die sie vfraditet Bwt fftvchtet Bis auf Ciwt DicMrCint 
ist ein »wandemiicr HandraMxirN^«. Der JiMicr Mffhefl HdJp 
ficfeV der te die Wdt ddbt» ua «etviit gvn» Bmndcm« zu ei^ 
tmen «ad m erleben. Spuckt Blut Aber h$i die Jn^ead nad dea 
Mlntaigtoiiben. Also ete iCMg . . . Uad aaa wcifi aam, 4$B 
Pippa für ihn tanzt. FOr den Dichter tarnt »die Schönheit auf 
Erden«. 

Vorläufig wird aber diese Schönheit von einem Stärkeren 
entführt. Der alte Huhn benützt einen günstigen Augenblick, 
stürzt sich, wie ein Raubtier, auf Pippa nnd sie d^von» 
hinauf in die Ber^e, in seine Hütte. 

Und nun, in dner luftigeren »wildromantischen Umgebung« 
' {wo die Wirklichkeit und das Verständnis der Ideiaen Rezensenlw 
aaifhören), die Fortsetzung der Tnglkaaiddie ma irdiidhca SpM>' 
mteoiaiifcn der Schönheit 

Der veorQdde Poet Mkteei kommt iwientar ia die 
IWtte des Itoen. Dm Reubtier iit aa dm MoMnle NMt zu 
Hiaeec. WoU iter eciae Beate« Ein koetbeves Ü^k ^mä 
Pippa. Eine der scbtataa Ssaeacn. Qaeii »Udbeame«, abor ea 
wie mtn im Mifdu» liebt Er — nie Peer Oyat ^ Lügner aad 
Poet, Kind und Prahler. Glaubt am liebsten an diejenigen 
Dinge, die es nicht gibt - und ist jeder Heldentat fähig, wenn 
sie unsinnig ist. Und sie eine Pferle in der Galerie der deutschen 
»Naiven«. Aber zwischen ihr und einem Gretchen liegt ein Ab- 
grund oder — Luhi von Wedekind. Auf die Nachricht von der 
Ermordung ihres Vateis, der sie prügelte und überhaupt niolto 
catlivo war, fällt sie nicht in Ohnmacht, sondern ihrem Michel 
lachend um den Hals. »Ach, so hab' ick ja Niemand mehr in der 
Welt! Niemand als Dich!« Und der Poet beschUeßt natArbch 
aoicirt, das arme Madchen bis aas Ende der Weit za trafen. 

Wenn sie auf dieser üeiee aeck »Venedig« Ober Berpe and 
Oletacher aicfat {i^^nuide geben, 60 verdanbea 
PeisfinUchkdt«, de» greisen Wann, der ia daer Baude auf dem 
Kaaim des Oebiq^es v«bQ<^ die Welt Hebt ia^ ¥oa der Vogel- 
peispefctive liebt Er kickt die Bekicn in adn Haus ae4 «ettet sie 



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so vor dem Tode. Wer ist Wann? Sicher nicht der — Herrgott 
(wie die scharfsinnigsten Rezensenten meinen). Mir genügt es, daß 
er hoch oben wohnt und (wie der Dichter des Qlasmärchens 
Pippa) die Welt von der Vogdpcrspektive sieht. Vielleidit ist er 
lEdne »PersöiiUcbl[eit€, sondern — dn Standpunkt 

Wann nimmt Jugend und Sclitaheit zn sidi auf und 
bewirtet sie wie königliche Oiste. Und die Beklen danken ilun' 
nidit» sondern begegnen ihm mit TMz und Stob, wie es der 
Jugend geziemt Dafflr spiett er mit ihnen wie mit Kfndem. Er 
lacht über den Poeten, der »auf praktische Weise« nach Venedig 
reisen will . . . Nein, »so kommst du wahrscheinlich niemals hin. 
Aber . . .« und er zeigt ihm das kleine Modell einer venetianischen 
Gondel: >, . . wenn du mit diesem Schifflein reisest, mit dem schon 
die ersten Pfahlbauern in die Lagunen hinausfuhren und aus dem, 
wie aus einer schwimmenden Räucherschale phantastischer Rauch: 
der Künstlertraum Venedig quoll ... so kannst du mit einemmal 
alles erblicken, wonach deine Seele strebt . .« Ja, das ist unsinnig 
genug und Michel ist einverstanden. Cr nimmt das Spielzeug in 
die Hand, und Wann versetzt ihn in einen hypnotiscfaen Schlaf 
— mitteb einer Zauberformel, die er PSppa nachspiedien li0t, 
wobei er ihren Fing^ um den Rand eines venezianisciien Qlaacs 
herumföhrt Das Olas eischauert und eri[Ungt unter der Berfibmng 
PIppas, die Töne werden immer stärker und auf den Wellen 
dieser Musik reist Midiel im Traum nach »Venedig«. Aus seinen 
im Schlafe gesprochenen Worten erfährt man, daß er »alles er- 
blickt, wonach seine schmachtende Seele strebte. 

Er reist also — allein. Dies kleine Detail ist wichtig. Dies 
tragikomische Detail, daß »die Sciiönheit auf Erden« nur für 
Einen ist, für den Dichter, und auch für diesen Einen — nicht 
ist. Nur darum macht der alte Ironiker sein seltsames Experiment 
mit der Gondel. Aus purem Veignügen an einem schönen »Be- 
weise«. An dem Beweise, daß Michel seine Pippa in der Seele 
hat — und erblinden könnte — und Pippa doch hätte* Die Rolle 
Pippas, der »irdischen Schönheit« besdurSnkt sidi darauf, da0 sie 
in der Seele des Poeten Michel jene KOnge hervorruft, die ihn 
in das Wunderland der Phantasie tragen. Aber sonst ist Pippa 
fQr Michel - nicht Sie tanzt wohl f fir Ibn. Aber ntdit mit Ihm. 
Sie tanzt mit demjenigen, den sie haßt In diesem Stück und — 



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r 



immer. Sie tanzt mit dem brotalen Htihn. Und zu diesem Ttnse 
tnM sie der starloe^ ewigie Imtiiikt, der alles Lebendige In dte 
Arme des Todes treibt 

Dieser zweite ond letzte Tanz, der Todestanz der Sdiönbeit 
mit der Kraft, bildet den Schluß des Dramas. Der Riese 
gleicht sich in die Hfittc Wanns ein und versteckt sich hinter 
dem Ofen. Wann weili es zuerst nicht (zur großen Freude 
»Speziaikorrespondenten«, die ihn für ein Symbol des Allwissenden 
halten) und entdeckt den Eindringling erst Nachts, als Alichel und 
Pippa schlafen. Ein kurzes, fast stummes Ringen der Weisheit mit 
der Kraft, und es siegt die Weisheit. Huhn sinkt . . . aber lebt 
noch. Und mit dem Reste seines brutalen Lebens tötet er spater 
Pippa« die sich in Atmeaenbeit Wanns und mit dem Einventftndnis 

I Michels von ihm »im Tanze verleiten läßt. 

Dieser Tanz ist das sdiönsie Finale, das icb Icenne. &innert 
midi an dw henUdie EndeLuluainder »BUcbse der Paodora«* Der 
»alle Hnlin« spielt hier die Rolle des Jadi tiw rlpfier. Eis tat wie 
ein ries^es, histig brennendes Opfinfener zu Ehren des »mm 
Imperator«. Drei OUeder des Tanzes: die »Efailadunsf«, das Rehen 

I des totkranken Raubtieres, schwere, prächtige Urworte, heiße 

Lavastücke; dann das »Mitleid« des Mädchens für den Sterbenden 

I und die göttliche Naivttat des Poeten Michel, der Pippa zuredet 

I zu tanzen; schließlich das große > Feuer*, der Tanz . . . Während 

des Tanzes zerbricht das Wemglas, das Huhn in der Hand hält, 

' und . . . Pippa stirbt. Dann stürzt der Riese. 

Ein sozusagen retrospektives Symbol ist die nun wirklich 
eintretende — BUndteit Hellriegels. Er weiß nicht^s vom Tode 
setner »Geliebten«, so wie er früher nichts von ihrem Leben wußte. 
£r ist gUIcklich; er hat Pippa in sich. - 

Das Olaamircben vom kdiachen Spießrutenlaufen der ' 
Schönheit erleidet Uenleden das gleidie Sdudaal wie die ScbAnhelt 
seibat Und das ist sozusagen die äußere Ironie des jfini^ten 
Hauptmann'scfacn Stfickes. Es vereinigten sieb alle Spezial-Barbaren, 
die in Kritik madien» denn es handelte sich um den Angriff 
auf einen gemeinsamen Feind - den Dichter. Sie vereinigten 
sich Alle, um ihn und das Werk, das > Niemand verstehen kann*, 
mit ihrem Hasse zu krönen. Und Pippa tanzt . . . Ave poeta! 
^ . Thaddäus Rittaer. 

• • • • 

X» 



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I 

- u- 

üordaiL 

Hot Mix Nordttt ist wieder ifBcai BekMm der Kiuvt 
bändlet OewolmliefteiiiiBighob er das Hiplafbein mÄ I W HJiciif l c 
flm mit dem tuiedleii NaB dm FeoiSkkm In der »Neuefl Freien 

Plesse*. Diesmal fsfs Flaubcrt. Während die ,Neue Freie Presse* 
bei jeder Gelegfenheit mit ihren Beziehungen zur französischeii 
Intelligenz protzt und den Hanswurst Marce! Prevost als Inter- 
preten französischer Kultur auftreten läßt, sitzt Herr Nordau seit 
langen Jahren in Paris und mißbraucht die französische Oast- 
freundschaft, um bei jeder Gelegenheit die erlauchtesten Dichter 
und Künstler Frankreichs in den Kot seiner geistigen Verdauung zu 
zemn. Wenn der Oedeaktag eines Oro8en gefeiert wird, wenn ein 
von aller Welt mit Spannung erwartetes Buch oder ein Werk der 
bildenden Kunst der ÖüciitUdilfieit fibergeben mitä, jedcaimd veis' 
soritzt Herr Nbnlatt In dar .Ntnctt IMeii Pleasii' seiueu eilen 
Odfer. Soetai sM die Briefe Plauberls an seiae ^Bdrte KmXtttt 
emefaieneB. Pfir Herrn Nonkn ist niso der Anlifi g^[d}en, das 
Qrib Fianberis zu beplssen. Er wiift ihm »CMMfoBiPilm« 
wefl er Philister und Banausen von der Art des Ilerm Norden 
verachtete. »Seine Urteile über die Menschen ermangeln überhaupt 
jeder Nachsicht, jeder Nächstenliebe. Die Worte, die er am 
häufigsten im Munde führt, sind: Idiot, Trottel, Esel, Dummkopf.« 
So schreibt Herr Nordau, der Maeterlink für einen Trottel, 
Mallarm^ für einen Schwindler, d Anrevilly für einen Idioten, 
Huysnians für einen Paralytiker, Qobineau für emen Dummkopf» 
Baudelaire und Verlaine für Deliranten, Zola für einen Schweinekerl, 
M^.tjpassant für einen verrückten &otoniaiieD, die Bröder Qoncourt 
für Fasier, deren HaupÜeidensciMft im Sammeln iron Nachttöpfen 
bestehe, Pnvis de Chavanne fttr eincK^Sdumerer und Rodin ttr 
einen Patzer erkiftrt hat! Es i^ibt iint fcefaien ffimfislidien Namen, 
der dem modernen KnHumiensdien bedeittnngsvoH «nd teuer ist, 
den nicht Herr Nordan n besudeln vereucfat faAtte. Flaubcrt 
sdiemt Ihm von «bekiemmender D ft i fU g h e H ^, »innerüch aitti«, da 
»Papiermensch«. Der Schöpfer der >Madame Bovary« versfamd 
nichts vom Leben. »Lr sah in die Welt und das Menschen- 
leben hinaus, wie es ein Gefangener täte, der in einer 
Turmzelle auf einem hohen Berggipfel eingeschlossen 
wäre und aus seinem Oittertenster viele Berge und Täl^ über- 



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adMtncii kamte, teb ohite sie zu betrete» nnf dtaie si i1u«R 
EhneflMftai ein iMnOdHdM VeAillitli m fgiwimmk* Im paer 
SpiiHw veMEr wM ftfli dtr Vorwurf f^MMcftt, dsS er sich itnUt 

um Einzelbtiteti kümmere, daß er sich bei Fachleuten informiere 
und sogar Reisen unternehme, um genaue Eindrücke zu erhaben. 
»Seine Zeit- und Kraftvergeudung ärgert beinahe*, meint Herr 
Nordau, denn Plaubert sei es doch nur um »Schein wissen« zu tun 
gewesen. »Um ein an der Rachenbräune erkranktes Kind 
zu beschreiben, läuft er in das Rouener Krankenhaus 
Sainte Eugenie und beobachtet, nicht ohne eigene 
Oefahr, stvadenlang DiphtberitisfäUe.« Daß sieli <io 
SdniMeltar im seinen Stil bcmtlrt, findet Herr Notöau pam 
uäbtg^MUk »Er bcferte 4m Dimdii des Stils tn.« »Er tmg 
liscl»t i« QMdCB mit sich, «m sin q«l od» qnc z» fcmidden. 
OslMV KiiHlitAck, so vir «r glOcHkii und stoli. fir 

MIe Mm SMn 4Mc, wie ncbcnsidiUdi, ja kiwIlBcb dsmrtlBe 
WorMte wam.« Flmbert Imdits »sielisii Jahre, uei eiaen RottHOi 
aufzubauen «, er »brachte in einem vierzehnstündigen Arbtitsta^ssdM 
Zeiien zu Papier, die er am folgenden Ta^^e wieder ausstrich.« Dies geht 
Uber die Fassungskraft des Herrn Nordau. »Nie«, ruft er aus, »ist 
schöngeistige Oberflächhchkeit gründlicher und mühsehgtr ge- 
wesen!« ja, wahrhaltig, Gott sei's geklagt, Herr Nordau macht 
sich's leichter. Er ringt nicht tagelang in Qualen mit sich, um 
eine vornehme Erschemung zu bespucken. Er vollbringt's ohne 
jede Hemmung, ganz automatisch. Er betet nicht den Dämon des 
Stils an und erficht keine Wortsiege. In der kürzesten Arbeitszeit 
füllt er viele Feiälkton^lien mit dftmiflüssiger Jauche ... Be- 
sonders steb aebeiiit Herr Nordau mS die Uituhiraiien politischen 
Rückblicke zu sein, in denen er an jedem Neujslirstaee das veiv 
llossene Jahr In der ,Nsiieii ftelen Pftaae' mit der WeNseschlchte 
verkuppelt Er vcrwält nutet den Handel an poUHacnem In- 
teresse und beirichnet sdae politlidMn AnedMwniKen als die 
Weisheit »kannegießernder Reiseonkel«. Flaubert sagt nSmlidi: 
>Die Gesellschaft, die aus unseren Truniinern ^1S71> hei vorgeht, 
wird militäiisch und repubhkanisch, das heißt allen meiuen In- 
stuikten zuwider sein. Alle l'eingtistik^keit, wie Montaigne gesagt 
haben wurde, wird ihr unmöglich sein; diese Überzeugung, weit 
mehr als der Krieg, ist der eigentliche Qmnd meiner Traurigkeit 



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Eft wird kein Platz sein für die Musen.« So sprechen doch die 
»lamiiegießefiiden RoBeonkels oidit «alv? Herr Nordau aber 
heult: »Welches Bekenntnisl Das IfiichterUche Unglfick sdiies 
Vaterlandes sreifl ihm hanpteidiiicfa darum ans Heiz, «dl er 
vmnsBidtt, daß Frankrcidi sich ehie xeitlaBg nicht viel nn 
Romane von Karthago vnd Erzihlungen ans Jcmsalcn bn Zeit> 
alter Christi kfimmem werde.« Aber nm diese Romane und Et- 
Zählungen wird man sich in Frankreich und anderswo noch 
kümmern, wenn die Feuilletons des Herrn Nordau längst nicht 
mehr den Stolz der ,Neuen Freien Presse' und den Ärger aller 
reinlichkeitslicbenden Menschen bilden werden. »Armer Flaubert!« 
ruft er zum Schlüsse aus, »er war ein Märtyrer seines kranken 
Nervensystems.« Dies ist leider das Los aller feineren Naturen, 
sie erkranken an dem Ekel, den ihnen die vielen Nordaus ver- 
ursachen. Im letzten Satze wird aber Herr Noiylan sogar seatir 
mental. »Ich wollte, Karoline hätte den Schleier von den kleinen 
tfglicfaen Geschicken ihres Oheims nidit wcgggO B en, die dn 
dttziger Lddensgang ohne Rnhcdaiionen waren.« Ein frommer 
Wunsch! Wenn aber h^endwo dn Schldcr von Uehien ^tijddm 
Geschicken weggezogien wird, dann soiigt Herr Nordau mit seiner 
kleinen täglichen Gesdtlddicfakdt, daß der, der den Lddensgang 
zurückgdegt hat, auch im Grabe noch kdne Ruhestation finde. 

H. 

Symbole. 

Mein Gemüt brennt heiß wie Kohle — 
Könnt' ich's doch durch Verse kühlen 1 
Aohy ioh berat' fast von Gefühlen» 
Doch mir fehlen die Symbole. 
Weltschmern, banne meine Nötel 
WeltBohmers, den so oft ich reimte. 
Tacktsch greint die abgefeimte, 
Schleimig-weinerliche Kröte.^ 
Laster, die mich erdwärts leiten, 
Gebt mir Verse, zeigt mir Bilderl 
Satan lacht, und läßt nur wilder — 
HöUen mir vorüberreiten. 



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— 17 — 

Helft denn ihr, sosiale Tücken 1 

Mußt' durch euch ich viel verzichten — 

Seid auch Spender! Laßt mich dichten 1 — 

Doch sie stechen nur wie Mücken. 

In des Monds verfluchtem Scheine 

Such' ich und im Alkohole; — 

Alles quält mich ; doch Symbole, 

Ach, J^ynibole find' ich keine. 

Aus. Vorbei. — Ich^war ein Dichter. — 

All mein Sehnen, all mein Hassen 

Ist vom Qenius verlassen. — 

Leben, zeig' mir neue Lichterl • . 

Mag mich denn die Liebe trösten, 

Mutter meiner besten Scbmersen« 

Strahlend stehn in tausend Kersra 

Die Symbole, die erlösten. 

Erich Mühsam. 



ANTWORTEN DES HBRAUSQBBBRS. 
Hahitu^. Ich sprach newHch von jenem anarchistischen Vog^el im 
Käfig der Sozialdemokratie, der gern ins Land des bürgerlichen Tan- 
tidmenerwerbs fliegt. Herr Stefan Qroßtrann also hat sein »dankbtm 
Nachwort« zur VonttUniig der »Lnstifai Weiber von Windsor« nunmdtt 
doch ertcheiflea lanen. Dar rote Dmckfefalertenfel hat darin die ftan 
nnfb Ja dne soeialpalHieclie Rran PBrfh vervuidelt (Er kiin dualt 
einer latentton des Prihileins Oelefr^i entfqeen.) Das madit aber 
■Ichtk Herr Stebm OroSmann findet, daß Wiens kitsdHgsle BUnie 
Anssidit iMbe, »sein lüemisciics Theater« m wdea. Heir Weliae, der 
TheatfiUlrer, der aUen modem-ÜtcnulsdwB Anfechtangen mit 
Itenng tmd »Wfirda« begegnet, hat bekanntlich am Befifinne sdner 
Direktionstätigkeit einem Interviewer erklärt, daß er Stücke, die ein 
proielarisches Milieu behandeln, von vornherein ausschließen werde. 
Wahrscheiiiiich hai das Stück, das er dem Kritiker der .Arbeiter- 
Zeitung' abnahm, kein proletarisches Milieu behandelt. Fs wurde m^r 
vor der Nase abgesetzt und so kam ich um das Vergnügen, es kennen 
zn lernen. Sei dem wie immer — die Privatmeinung:en und die Privat- 
Stimmungen des Herrn st g. sind uninteressant. WOnsdienavert wäre 
nnr, daß ein TbcaterkritHcer im Sachlichen Bescheid Wime oder dafi er 



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- 18 — 

vcnlgiteiit in Jenen flmltiigneliklfttidMi Dlfffw tavintalr td, fiber 
die 9 «mte idwüt UkM, üe Meeitg Afcinngnin. dar IfcriBitpirimi 
, zn iMben, Hl «bmHiIIcIl Dift atar dn MMbt afldi ohne die ferinssle 
Erfdmuieim Tei dkldM— ülMr dev 9tn4L der 9McespearfdnmdluQg auf 

dftttschen BQhnen schreibt, ist eine arge Obcrhebung. Weder die 
Volkstheaterdirektion noch seine Leser haben Herrn Großmann gezwungen, 
sein dankbares Nachwort zur »Lustigen Weiber* -Voistellong mit einer Weh- 
klage darüber einzuleiten, daR auf deutschen Theatern >der heroisch^ Shakes- 
peare ehrfurcht«?voll umgangen« und bloß seine Lustspiele gespielt werden. 
Herr QroBoaann kennt offenbar nur jene Theater, die seine eigene 
Produktion nicht ehrfnrchtaiidl nrngehen: die der Heiren Jarno 
nad Weisse. »Keine deutsche Bfiiint«v schreibt er «ortMch, »hat 
steh adt Emmerich R«becli Tod ai Shaksi^eflKS hochshmicttm Drama, den 
.Corioiaa', gewagt Sdt dem Tode d» Wolter Int das MMe Theater 
keine Ladj MadMlh gawiHrn, FoUt ea d4>«lf aof ar am Otlielloa« nnd 
Soonenlliala Lear liat auf iw a liBtin niiiMifw fhal fednen Rlvalett . . . 
Um einen aenen Coriolan wire ntu ein halbes Dutzend Nenfnaienicrnngen 
onaafapeareauier ronen icii<. ricrr moonunm acnenn oocn nnwisKnoer 
zu sein als erlniht ist. Er ist dtirchaus nicht verpflicbtet, vom König- 
lichen Schauspielbause in Berlin etwas zu wissen. Wenn er aber nichts 
davon weiß, so dürfte er deshalb doch nicht behaupten, daß es nicht 
besteht. Wollte er eine Zeitlang das Repertoire jenes Hoftheaters in 
einem Berliner Blatt nachlesen, so könnte er entdecken, daß auf der 
einen Bühne der heroische Shakespeare dreimal in deraeiben Woche 
anm Wort kommt, in der daa Burgtheater Fulda, PkUIppi und Triesch 
tfUU. Er würde erfahren, daS ein gewisser Adalbert Matkowskjp 
den Coriolan, den Mndielli, den OtlieUo apM«. Und den Marc Anton, 
Riduid Ii. nnd den Baalard im »KBoiK JalUHin« dann. So n ncndi al a Uar 
- die TniiMie wird ftberiwnpi idteMr gegdMn » bat anf dcmtadMn 
BdjWfn nidit bloa »fad«^ aondein wlildidi iDdnMi Rlwalen. Vodiallf 
nimlicb hat Malfeowakjr den Lear noch nicht 0es^ Aber adn OMa, 
dm wd§ ich, id daa ttncrMhteste Eridntia» daa iMito auf einer 
deutschen Bfihne geboten werden kann. Sehlen CoHolan kann* Ick 
leider niclit. Emmerich Robert, den edelsten Künstler, in Ehren — was 
bedeutete er, was bedeuten alle Bnrgftheaterheroen gegenüber der Urkraft 
dieses Einzigen ! Lind doch hätte Matkowsky nirgendwohin besser getaugt 
ins Burgiheater, er, der eiuzig ebenbürtige Oegfenspieler der Wolter. 
Er hat einst, da unser Krastel sich beim Sprechen den Arm verrenkt 
hatte, als Orestes bd einem Qastqpid seiner KoUegin Poppe anageholfea. 



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— 1« - 

Mnn war an solches Toben entfesselter Elemente im Buretheater nicht 
mehr gewöhnt und lehnte den Riesen ab. NX^iewohl er mit polnischem 
Akzent sprach, dem Oeist des »Hauses der Dialekte* also nicht 
mißfallen konnte. Nun erleben wir stit SO vielen Jahren den Skandal, 
daß die sogenanate erste deutsche Bfilme, die jeden bfirgerlichea 
Charakter dutzendfach besetzen tanm, Wnen Heldendarsteller litt. In 
Berli«, wo die kleinen Chaiynnoachtr den Snob begdstem, erfriert 
IHitkopei Lj r't MdkaBiedRS Tf y e wuB i^ snttvt im der Aadacht dmm 
UciWMi SftMuwpwIiHlflnie)^ Id efflev Mwusi es deoi ^f^sh ditt ^INesutodiV' 
Humi nocnraiis vonieieiRwiGMiu mnciMi mc iivib uombiii uiiWt 
Ii ftinkfiit wsid eben lebet OevMen ait Hemi iObch icn bNMrinti 
und fedes Uetae denttefae HofÜMter ktna OMIp nd Mwieth in 
aneüMilgcr Aaffilmmr Immbringen. Des Bniflbfliiler M wUM io 
glücklich. Dort ist Herr Kainz nervös and Herr Reimers dekonrtir. Wer 
einem vollendeten Zungenjonj^leur und Exzentrik-Tragiker inneres Palhos 
glaubt, ist ja beneidenswert Aber die Shakebpeareschen Kraftmenschen 
wird man der dünnen Persönlichkeit des Herrn Kainz im Ernst nicht 
zumuten. Und Herr Reimers, der schmucke Soloherr, hat sich aus der 
klisiischen Dichtunsr, der er bloß als Herold, nicht als Heios dienen 
hlM» mk Recht in efai beqvemes Netnrbttrschentam znrflckgezogen, 
$m dem ibn Idder hfn nnd wieder der Ruf nach dnem Egmoat 
nd Pom hmriocht Dm Bmilweto hnt eich in Ftm Weibtreu 
ftoe HeMfae gedtehtet, die - eta Wtaider — wf iDÜtan Wtgt iMk 
fall M miM in«IMher Wariauvseltt^ 

ft«di InetMMle wiii «Me, Our dnea dicablrtlcM Ruteer n wduUm^ 
WMunt iMHM ciiic UMKncHi ofii iiwg|UNiieiB| dem jumc ci wk, wm 

Indolenz, die den hcroisciwii Shekcspeew in Wien uictht . *Seft den 

Tode der Wolter hat das deutsche Theater keine Lady Macbeth gesehen«. 
Herr Großmann meint nicht etwa: keine große l^dy A\acbeth, sondern 
Oberhaupt keine. Aber Macbeih ist dn Repertoirestück des Berliner 
Hoflheaters, und so tief Frau Poppe unter einer Wolter sieht, «o 
hoch steht Matkowsky über allen Macbeths, die seit dem Abgang jener 
historischen Orößen, deren Bedeutung heute nur mehr die zwanzig* 
jährigen Kritikj^nglinge kontrollieren können, auf dem Burgtheater ge- 
shiBdfn siad. Und so becddienid viild dieser Künstler, daß ein Berliner 
EMQrtd, iuHM Bd», la «iner MMOomplUa (Ooee fr Tdritfl; Berita) 
adifdM Iwwte: »IMofifriv ^ ^ ^fhimpiflrr Shil iM M iB i . . . JEi 
igt €ii* Mmadi HiiMlc!, fla iMiiütidii l i MlU M i i ny i Mii allir 



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I 



Kfifte in dictcm Muui| der, «cm nan «Hl/ Clin viidgaiirt^ tnd 
nichtB andt» M ate eine «nfdwnre VetUrpenu^; des Typus .Memdi'. 
Matkovsky ist unindividuell — wie Shtkespeare ... Er ist Shakespeare 

kongenial, soweit ein Schauspieler einetn Dichter überhaupt kongenial sein 
kann . . . Wo Shakespeare das ganz Lebendige ist, der gioBe Künstler, dessen 
Lebensspfirsinn noch aus fnrchtbarsien Untergingen den Jul)ei der 
donnernd hinioiknden Notwendigkeit heraushört - da ist Matkowsky 
ihm ganz Gefährte und vermag ihm zu folgen, Schritt vor Schritt. Wie 
aus dem Mittelpunkt der Erde schleudert er das Feuer der Leidenschaft 
Imch und trägt zugleich mit offenen Händen alle HebUclie 
ffdferiGeit und aenfl reifende Trmer der Wdt: ,Der Venv, 
an dcaaen Abhingen die lacrymae Onrleti widiaen' — ao 
benanrfn mir einmal du Frennd diesen Mann nmt adne Knaat« 
Und dar Kritiker elnea grofien Wiener Jonmala, der flbrigena M i l a i bd ter 
jener Bcriiner Revnc lit« in der die Ckavakierblik Mttkovskya zoent 
gcdmdtt «nrdef Idagt, daß ea auf dem deniachen Tlmater Iwinen 
Coriolan, keinen Othello, keinen Macbeth mehr gebe! Man könnte eher 
l)chanptcn, daß es vor Matkowsky keine gegeben hat . , . Die Spezialität 
des Theaterkritikers, der außer dem Theater, über das er schreibt, kein 
anderes gesehen hat, wird immer häufiger. Man würde verlacht, 
wollte man fordern, daß ein Mensch, der über Schauspielerei öffentlich 
urtdlt, so gut wie der Bilderkritiker eine Studienreise hinter sich haben 
müsse. Aber Herr OroBmann begnügt sidi nicht damit, anßer den 
Thcfttem der Stadt, die das Qlfick iiatt aeine UrteOakraft zn genießen, 
kdne anderen an kennen» adne Ignoranz dient ihm geradezu da ver- 
glddwnder Mtßalali. Und ao id ea mdgUdi, daß er die Sdianapidar 
Sl i ak eipe at ea bentteilt, ohne den Sdian^pider Simkeapcaita zn kennen. 
Idi aah den Unverglddilidien znietzt da Baataid im »KMg Johann« 
Herr Harden, der Beatinfofmierte, mrmißt diea Stfld^ im Repertoire 
des Hoftheatffs — nnd da Rfdiard IL Idi find ihn adiaam gedimpft. 
Ein Vulkan, der seinen Ausbruch reguliert und Schlacken vermeidet, ts 
wäre kein Wunder, wenn der isolierte Riese sich vom Berliner Natür- 
lichkeitsschwindel für ein Weilchen hätte imponieren lassen. Hoifentlich 
rast er wieder in alter Ziigeliosif^koit und verachtet das Urteil jener 
Theaternivelleure, die dem Löwen vorwerfen, daß er »brülle«. Weil die 
Enthaltsamkeit der Eunuchen unter einer tüchtigen Regie als Tugend 
der Keuschheit wirkt, deshalb maß sich noch niemand Itastrieren lassen . . * 
Der Wiener Hoftheaterbehörde aber aoUte kein mtterieUes Opfer zn 
aGhmefzUdi,haine Rfldcridit auf eraearenen RoUenbeaitz zn hdligada.mn 



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cndHcb Mttkovtky und mit ihm wieder den grofi«n Stil tngbdier 
Schanspfelknnst zu gewinnen, der in der traurigai Verbfircerlichiuig der 
»Burg« verloren gegangen ist. 

Maler. D e Leitung der Secession hat ein paar Kunstreferenten 
YOn der Vorbesic-htiiJunK der Frühjahrsausstellunjj ausgeschlossen. Und 
das ist gnut. Von keinem vernünftigen Slandpunki aus wäre etwas da- 
gegen einzuwenden. Selbst wenn die Kritiker nicht, wie die Leitung 
der Secession behauptet, »die Grenzen sachlicher Kunstkritik weit fibet» 
schrittoi« bitten. Ich weiß nicht, ob es Sache der Beteiligten ist, dies sn 
bcnrtaUen. Zugegeben, die Kritiken wiren innerkalb Jener Orenxen ge- 
blieben nnd die Scceaiion könne efatbch Tadel nicht fcndUMtM« ' 
So kat lie recht gehawlett Wer mich acUedrt macht, den m«B ich nicht 
in miBln Hmi Inden. Kchien Mentlick Meinenden iit et vcfvebity Kin 
Urteil abcngebtn, wenn die Aimtrlhing fftr das Pnhüknm gd^toet ist 
Die S ece mlan hat eich nicht das Hecht ancenuBt, mhhmgivilligen Be- 
suchern den fiintritt zu verwehren oder ein gDnstiees Urteil vorzu- 
schreiben. Der Theaterdirektor aber, dessen Geschäit geschädigt wird, 
ist berechtigt, die Freikarten zu entziehen oder den Tadler vom 
Besuch der Generalprobe auszuschließen, und die Veranstalter einer Aus- 
stellung, von der sie im vomhinein wissen, dafi sie abfällige Kritik finden 
werde, sind nicht verpflichtet, einen Großmutsakt zu üben und dem 
Tadler die Vorbesichtigung xn gestatten. Die solidarische Verwahtung 
der Wiener Knnilkritiker gegen die Entziehnng eoteher Qnnat ist ete 
itnpide Anmifinng« vcrgieichhnr dem Proteet einee HinenegewoffMcn, 
der sich anf das Recht IMer llelnttngrilnBcmng Irnnft, «eil der 
Hamhcn nicht gevOlt «ar^ .efaten »mchlichen« Tadler aeiner Sjpeiett 
antznfflttenL Dnrchane löblich ist der Mat der Oecemlon» die den 
Protest mit der ErUirung erwidert, daft nicht iwei, aoodem drei 
Kritiker anegeschloaaen worden aelen. Oberftttslg nnd vielleicht nn- 
gehörig bloß die Begründung des Beschlusses, die zwischen »sachlidier 
Kunstkritik« und »kritikloser Feindseligkeit« nntersciieidet. Der Tadler 
der Speisen kann Recht hüben oder das >Motiv« seines Tadels ein 
verdacutiges sein — das eist zu uatcrjuchen, ist gar nicht Sache des 
Gastgebers, dessen klares Recht des Hinauswun\s schon beim 
»sachiicben«, in sich iiegründeten Tadel einsetzt. Wenn er ehrlich ist, 
vird er auch zug^eben, daß ihn nicht das »Motiv«, sondern der Tadel 
geirgert hat. Welche B^grifiaYerwirmng aber ta den Gehirnen der 
PreAlente phdwgiiffen hat, zeigt der Eifer, mit dem eie darauf he- 
«iafc— ■ mtia an dem *^***«*fct taflinaehmen. aa dem Ouen der Ver«» 



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mMim im OigMiw^ tm privilaa fUmhum — 4m flati 
BmUMir »icM vtlgm Im«. Tfplidi tliid die Mttrmiai äm «Eirfttip 
bliif •Mtaaci. Der AnndiitB der SeoMiM habe bewiMi. daft «r 
»htiae Akasitg dtvon bit, «it ons Mi der Ktltik g^^eaBbtr n fcr- 
hiiteo habt«» dtB «r >voa de» VMMbIs zvtoehoi Ktortl c r fer Mbi dw 
nsd der Kritik ganz unriclitige Vorstellttngen hat«. Was für ein Ver- 
hältnis denn? Das dnzig legitime Verhältnis, das des Urteilenden zum 
Bearteilt^, wird durch die AusschiieUung von der Vorbesichtigung nicht 
berfihrt. Eher durch gegenseitige Gefälligkeit, also eiwa durch die Er- 
laubnis der Vorbtsichtigurg. Wie der Mann selbst 7Ugibt. Es sei, 
sagt er nämlich, »eine ganz irrige Anschauung, daß der Ausschuti den 
Kuaatreferenten elM Höflichkeit 7u erweisen gUubt, «tmn. er sie zu 
den Vorbcttehtlgnvm fialidt«. in QigfiaMi »et Heft tasschließlicii 
im latercMs der femstaHmdBO IB h ullwTrrn ii i i i vwb dit KjiBrt'- 
liiBnirtai dit PiUäu dvrch Vofbtriclite Iber die soMelet 
Beeb recbt »afertigen A«tttcll«eges auf dleEröffaftsct» 
lese attfaerfctem macbea.« fi> wird alae yicbwiaddt nadomder 
RaUaaw wHüm dm Urlta gefiUt, dae elaeidlkb oech aicht geBitt 
Mdta buHk VetbtMrtigung — VerarteiL Der KrttHmr tot, »eeonieaan 
glauben, bloß den Lesern verpflichtet, bloß zwischen ihm und dem Publikum 
hat ein »Verhältnifi< zu bestehen. Mit urwüchsiger Naivetät gesteht aber der 
Kritiker ein, daü er sich seiner Pflichten gegenüber dem Kritisierten bewußt 
ist, daß Kritik eine Oefiüigkeitssache ist. Dem Publikum dient sie nicht. 
Wörtlich: »Entfallen die Vorbesichtigangen derSecess:on und damit die 
Vorberichte, so wird da& Publikum dies den Kuastreierenten ganz gewiß 
aad amso leicnter verzeihen, als man die Seneetioaen, welctae die Secessaeo 
in der letzten Zeit gebracht hat, wirkUcb erwarten kann und ffir die 
Kaaatfraaade nicbit verioiea gebt, weaa sie awai oder diel Tage q^Her 
^jeeow erfabrea» waa ebca aaageitalU iai«. Hier wird die Scbbaigt ao 
btoilgp daß aic alcb adbat bi dea Sdiwaaa batft Daa PabUnua lat- 
lidUBt auf daa Vetbolcbt, die Kritik dint ledbdicfa daa Abi- 
ateUara - aaf die daa FbUUnaa darcb dea Voriiaiicbt 
gemacht wfariL & tot tolL Aber dea KaaatbrHibir atgwdbat, die 
wolle ihm das Recht freier Kritik nehmen, nnd rftt ihr, ihre Abs- 
Stellungen »bei geschlossenen Türen zu ihrem Privatvergnügen zu ver- 
anstallcn«. Das sind Übertreibungen. Die Secession hat ausschließlich 
ihren Willen kundgegeben, die »Vorbesichtlgungc bei geschlossenen 
Türen zu ihrem Privatvergnügen zu veranstalten, vor d^r Eröffnung 
der Ana a tdlang niemand hiinriarHiafimi denea Ocaicht ihr nicht gafiütt. 



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Leider noch nicht den Willen, auch nach d^r Eröffnung der Ausstellung 
nur gegen Entrde schimpfen zu lassen. Wer kauft, darf schimpfen. Aber 
dtß die Veranstalter schon am Fimistag die Lackierten sein müs^n, 
kann man nicht verlangen. Man weil; nicht, oh es Methode oder Be- 
griffsverwirrung ist, in die Öffentlichkeit hinauszuschreien, die Secession 
hibe es auf das Mundtotmachen der Kritik abgthen Die Secession 
dodlt flidrt ttom, die staatsgrundgesetzlich goiilU'tolit^c Miinungsfreiheit 
amMn. tund MmUnt don PuMUeb», d» bdalich und &m affeat- 
lieh ndseiidcii, PHtattentm «d JoanüMea, Mit dpr EimritMnrle 
llidrt raf Kritik dn. Dm .btnUHf-MM cnW iiidit 
»IHc ftekUKS Astvort«! idtfifbt tx, »Mtoc €§ vimfu CiMhleBtp wtou 
4te KHtflc ttcfifaifcOHnBcn wttidCy flbw die Vcciiurtiltfuiceit der 
SibmIm so lange nJdrfi n bcridrteif 14f iMi dnr Iwalinnliiliclic 
Ausschuß wieder erinnert hat, daß es genau so ein Recht zum Kriti- 
sieren wie zum Veranstalten von Ausstellungen ^ibt.« Wenn die Kritik 
übereinkommen *würde« — in diesem falschen Konditionalsatz liegt die 
ganze >\Vürüe« der Wiener Kritik. Sie droht. Ein schöneres Bekenntnis 
der Gerin^schätztin^, die die Presse für ihie iMission hat, habe ich bis 
heute nicht gelesen. Kritik ist Oefälligkeitssache. Kunstkritik ist üefälligkeit 
gegen das Sekrcturiat, wie Ausstellen Oefilligkeit gegen die KiUMtkritik ist. 
Das »Recht« zum Kritisieren wird erst geltend gemacht, wenn das Oe- 
iü HiMi hs uhi haii «ekiidift ist. Der «adm Teü iut bloß aita RMbt 
uin ViMBililtni voft ^ Yoibwic^ilpiMyii belogt, i wipcil i te p die »Oc^ 
Müglitft« Ittt anffririlrt^ lud ao tfCfUndM c&t KrttilKr üttn AtiMrt, 
i^MilMrlGe VOD BU an ttidit maihr m ta^MCtaa« NKslit daa TalaBt, 
nt ffiiwipHnBC csaMMMHCi lat utfieuuB« niniERiMQier ueuauiurag. 
Daa PaMikani iat foQattate aussesdialtet. Es wird aia OMbr triihrea. 
Via in der bOdeapdis Knoat vorgebt. Da die Pmaa nidrt mehr detn 
Sekretariat gefällig sein kann, stellt sie die Kiitik ein. Wenn in Wien 
der Michelangelo einen Reporter nicht grüßt, gibt's keine Renaissance. 

Aktionär. Als Herr Liharzik noch k. k. Sektion«!hef war, träumte 
er von einem Verwaliungsratsposten bei der Creditanstalt, Ich wlmU 
nicbt, ob sein Traum in i:vrfüllung gegangen ist. Man muß nicht allzu 
gebildet sein. Nun meidet aber die ,Neac Freie Prasse', daß Herr 
Ubarzik a. D. is aiac bessere Verwaltung der Hohhandels-Aktien- 
faaeUscbaft einfaSMfca iaL Leider wird er aicfc stinas Fdadeos ntebt 
oluia ainici Skraipd erfreueu kAmieB. Zwir^ dia ttitoianiMMlItH dca 
IMbarai Staalabeamtan und des Jetzigen finanziers wird flis ruhig 
acUaiia hmm. Aber Harr Ubanik bcgtag nach aelaem Anatritt aas 



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* 

dem StaalHUcntt tadi die Unvonicliüclieit» Abeeoidnder tu «cntes. Uad 
dii flMH et flidi nmi licfiiiSr dtB die socenuDnite denttche ForiidiHHf* 

partci, der er angehört, in ihren SUtaten die Bestiminung hat, daß 
keines ihrer Milj?lieder eine Verwaliunasratssleile annehmen dürfe. Wer 
weiß einen Aus*eg aus dies^ein Dilemma? 

Entsetzter Leser. In Rußland sind nach dem Abendblatt der 
, Neuen Frcfen Presse' vom 27. März »bewaffnete Raubanfälle« 
vorgekommen. Es ist indes zu hoffen, daß sie dcmnicbst ans einer 
rdtetiden Artilleriekaserne abgewehrt werden. 

S^kmmehleifer. Das ,Neue Wiener jonnud' luU bekaantUch 
die cedieceneteD Mitarbeiter. Daran kamt gar kein Zveifet adn, veü 
Ja in anderen ZeUunsen und Zdtodiriften vortrefBlcke AaMtaee cr- 
•ebelnea. Mit Recht lat daa »Nene Wiener Jonnnd' anf die Sdur der 
Mitarbeiter dicaer Zettungen nnd Zcttadniften atolz. Ea lal «nvemeid- 
ildi, dafi daa »Nene Wiener Jounial' anch tote Antuitn In Matergiltigeo 
Obenetznngen an Worte kommen lifit,^ nnd man kann niclrt verlangen, 
daß bei der unfibersehbaren Ffllle des Cinlaufs immer unterschieden 
werde, v '^icher MiUfbeiter deä Herrn Lippowitz bereits verstorben 
ist und welcher nicht. So ist es gewiß auch verzeihlich, daß in 
einem Zirkular, welches da^ ,Neue Wiener Journal" soeben versendet 
und m dem es seine Vorzüge anpreist, der folgende Passus enl- 
halten ist: »Das Feuilleton bringt nur Originalarbeilen, vorwiegend aus 
der erzählenden Literatur, nnd nennt Namen vie: Anton Tscheclioli, 
Maxim Oorki, Alfred Capna» Alphonse Daudet, Frao^ois Copp^, 
Bal<faain OroUer, Hana tom Kyle. Ottokar Taim*Ber8^cr, SlgiMUMl 
SGUeetegeretcnnter aeinen atlndlf en Mitarbeitern»« Nm» Meiater 
vie Balduin OroUer, Tann^Bergter nnd^gmnndSdiieaiiigervniefadMidctt 
aich von den Tadiechoff nnd Dandet vor aUem dadnrdi, daß ate noch 
am Ubea nnd wirkUdi In der RedakUoo dea »NcHen Wiener Jonnala' anitt* 
tfcftett alnd. Andi Oorki nnd Coppte leben noch, gehören aber nteht 
dem Verbände des ,Netten Wiener Journals' an. Daß sie trotzdem stiodlg 
an dem Ciaue Jes Herrn 1 ippowitz mitarbeiten, ist ßicher. Viel 
bemerkenswerter ist aber die s ändi^e Mitarbeit an dem , Neuen Wiener 
Journal', die die Tscheclioff und D^^tulct für die ewige Ruhe eingetauscht 
haben. Und sie all^' liefern *nur Üriginalarbeiten«. Was jederzeit beweis- 
bar isT Denn es ist klar, daß sie tlue Arbeiten nidit aus dem «Neaea 
Wiener Journal' gestohlen haben. 

HcnaigdMr nnd verantwortlicher Redaklenr; Karl Kraas. 
praik «m IriMda an« Wien. in. Htalef» ZatlaaMMAf 3. 



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