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Full text of "Die kolonisations Bestrebungen der modernen europäischen Völker und Staaten Vortrag gehalten in der Berliner Volkswirtschaftlichen Gesellschaft am 27. Februar 1886"

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Die 

kolonisations - 
Bestrebungen 

der modernen 

europäischen ... 



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Die 



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Kolonisations-Bestrebungen 



der 



modernen europäischen Völker und Staaten. 



VORTRAG 

gehalten in der Berliner Volkswirtschaftlichen Gesellschaft 

am 27. Februar 1886 



von 



Karl Braun, 

Vit 

Mitglied des Reichstags, Ehren-Mitglied des Cobden-Clubs. 



BERLIN. 

VERLAG VON LEONHARD SIMION. 

1886. 



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Ich freue mich, dafs es heut zu Tage möglich ist, auch in 
Deutschland die Colonialfrage ruhig und wissenschaftlich zu er- 
örtern. Vor zwei Jahren oder selbst noch vor anderthalb Jahren 
war das aufserordentlich schwierig. Da flogen die Beschuldi- 
gungen herum, wie faule Aepfel: Phantasterei, Vaterlandsverrath, 
Mangel an Patriotismus und was dergleichen Dinge mehr waren. 
Heut zu Tage sind wir ruhiger geworden, die Leidenschaften 
haben abgenommen und die Kenntnisse haben zugenommen, 
und das ist immer schon ein gewisser Erfolg. Es geht mit 
dieser Frage wie mit allen anderen: ehe man sich ein Urtheil 
bilden kann, mufs man die Einzelkenntnisse sammeln und fest- 
stellen, und erst aus der Totalität der Einzelkenntnisse bildet 
sich dann die Erkenntnifs des Ganzen, das Gesammtbild, und 
daraus sind dann die nöthigen wissenschaftlichen Schlüsse und 
praktischen Folgerungen zu ziehen. Ich werde mich nicht in 
die gerade heute schwebenden Tagesdebatten mengen Ich 
werde dessen eingedenk sein, dafs wir eine volkswirthschaftliche 
Gesellschaft sind, d. i. ein wissenschaftlicher Verein und nicht 
ein politischer Debattirclub. Ich werde Ihnen also die That- 
sachen vortragen und dann zusammenfassende Schlüsse daraus 
ziehen. 

Zunächst will ich sprechen über die Physiologie der modernen 
Colonien. Ich rede nur von modernen Colonien, d. h. von 
denjenigen, die entstanden sind seit dem Ende des 15. Jahrhun- 
derts. Alles, was im Alterthum geschehen ist, was während des 
Mittelalters geschehen ist, Kreuzzüge u. dergl., hat einen ganz 
anderen Charakter und kann zur Beurtheilung unserer heutigen 
Colon ialpolitik absolut nicht herangezogen werden. 



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•..ich v'£r*t£rw: unter «Physiologie der Colonien > eine Darstellung 
und* Charakteristik* *der verschiedenen Arten von Colonien, die von 
europäischen Nationen, oder von Angehörigen der europäischen 
Nationen, aufser Europa seit dem Ende des 15. Jahrhunderts ge- 
gründet worden sind, und der für eine jede dieser Arten erfahrungs- 
mäfsig geltenden Gesetze ; ich gebe dann eine Geschichte der mo- 
dernen Colonien, natürlich kurz, vielleicht mit Siebenmeilenstiefeln 
vorwärtsschreitend, und endlich einen Ueberblick über die gegen- 
wärtige Lage der Dinge. Wenn die Zeit es erlaubt, werde ich 
Ihnen noch zum Schlufs eine Skizze geben über die Staats- und 
völkerrechtlichen Fragen in Betreff des Colonialwesens, aber 
auch nur in soweit, als sie zusammenhängen mit volkswirtschaft- 
lichen Fragen. 

Wenn wir nun einen Rückblick werfen auf die Periode, deren 
Anfangs- und Endpunkte ich Ihnen bezeichnet habe, so werden 
wir wahrnehmen, dafs die grofse Mehrheit der Colonien nicht 
von irgend einer Regierung gegründet und geboren und gleich- 
sam mit liebevoller mütterlicher Sorgfalt erzogen und aufgepäp- 
pelt worden sind, sondern dafs die Colonien entstanden sind 
theils durch den Unternehmungsgeist, der die Kaufleute hinaus 
in die weite Welt treibt, und theils durch die Auswanderer, 
welche die Noth, die Verfolgung, der Druck der Intoleranz aus 
ihrer Heimath vertrieben, und die im Vertrauen auf eigene 
Geistes- und Willenskraft in fremden transatlantischen und über- 
seeischen Landen wirtschaftliche Niederlassungen gegründet und 
denselben eine gesellschaftliche und politische Organisation ge- 
geben haben, nachdem sie ihre Kräfte gestählt hatten im Kampfe 
mit einem rauhen Land, mit einer wilden Natur, mit wilden 
Thieren und noch wilderen Menschen, nachdem sie Jahrhunderte 
lang gerungen, um aus diesem ihrem primitiven Gemeinwesen 
irgend eine gesellschaftliche und dann auch eine politische Organi- 
sation zu bewerkstelligen. 

Wenn die Staatsgewalt eines der europäischen Länder direct 
eingegriffen hat in das Colonialwesen, so ist sie in der Regel 
nicht als Ansiedler aufgetreten, sondern als Eroberer; und so 
haben wir eine ganze Reihe von Colonien, die eigentlich nichts 
sind, als Eroberungen nicht der Länder von wilden, sondern von 
bereits leidlich cultivirten Völkern, wie in Holländisch-Indien, 
Britisch-Indien u. s. w. Das setzt sich fort bis in die neueste 



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Zeit. Das sind Eroberungen mit Waffengewalt, aber eigentlich 
keine Colonicn. Man wird z. B. nicht sagen können, dafs Algier 
eine Colonie im Sinne der Ansiedlung ist. Sie wissen ja, wie 
diese Colonie entstanden ist. Nachdem unter der Führung von 
England eine europäische Verschwörung gegen den Sklaven- 
handel zu Stande gekommen war und bereits schöne Fortschritte 
gemacht, wies man immer wieder darauf zurück, dafs in den 
nordafrikanischen Barbareskenstaaten eine Sklaverei nicht der 
Schwarzen, sondern der Weifsen existirte; und da es dem da- 
maligen Herrscher von Frankreich, der sich durch unkluge Re- 
gierungsmafsregeln in grofse Verlegenheiten gestürzt hatte, in 
seinen Kram pafste, so hat er Algier erobert. Das ist aber 
keine eigentliche Colonie gewesen, und dieser heterogene Cha- 
rakter ist bis heut zu Tage noch deutlich in Algier wahrzunehmen. 

Dies vorausgeschickt, wende ich mich nun zu einer Charak- 
teristik der verschiedenen Arten von Colonien. Wir müssen 
unterscheiden Ackerbaucolonicn, Handelscolonien und 
Pflanzungscolonien oder Plantagencolonien. Diebeiden letzteren 
fafst man auch unter dem Gesammtnamen Betriebscolonien (colo- 
nies d'exploitation) zusammen, im Gegensatz zu den ersteren, 
welche man Bevölkerungs- oder Niederlassungscolonien (colonies 
de peuplement) nennt. Ich will jede dieser Kategorien von 
Colonien kurz charakterisiren und jeder Charakteristik einige 
kleine historische Exemplificationen beifügen. Diese Definitionen 
erschöpfen freilich die Sache nicht, sind unter Umständen viel- 
leicht ein bischen langweilig, aber sie dienen dazu, die Vorstel- 
lungen zu präcisiren und dadurch die Verständigung zu erleichtern. 

Sprechen wir nun zunächst von Ackerbaucolonien. Der 
Ausdruck zeigt schon, dafs es sich hauptsächlich um landwirt- 
schaftliche Interessen handelt. Die Träger der Colonien sind 
die Colonisten, welche aus Europa kommen, um den fremden 
Boden selbst und bleibend zu bebauen. Diese Colonisten werden, 
im Gegensatz zu den Leuten der Plantagen- und Handelscolonien, 
dort einheimisch. Sie nehmen für sich, für ihre Familien, für 
ihre Nachkommen bleibendes Domicil in dem Niedcrlassungs- 
gebiete. Aus diesen ursprünglich kleineren Niederlassungen er- 
wachsen Gemeinden, Grafschaften, Territorien und schliefslich 
Staaten. Auf dem neuen Boden mit den neuen Menschen bildet 
sich auf neuer Grundlage eine neue Gesellschaft und endlich eine 



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neue Nation. Freilich müssen wir, auch angesichts unserer 
neueren deutschen Colonien, den Umstand vorzugsweise betonen, 
dafs nur sehr wenig überseeische Länder auf die Dauer als ge- 
eignet zu europäischen Ackerbaucolonien sich erweisen. Um 
daau geeignet zu sein, müssen diese Länder erstens vorher nur 
dünn oder gar nicht bevölkert sein, damit die europäischen 
Ackerbauer dort eigenen Grund und Boden erwerben können, 
und zweitens müfsen das Klima und der Boden und die sonstigen 
natürlichen Voraussetzungen derart beschaffen sein, dafs sie sich 
nicht zu weit von Sem specifischen Charakter des Mutterlandes 
entfernen; denn sonst können die Bauern dort nicht bauen, nicht 
arbeiten und nicht existiren. Sie werden dort Leben und Ge- 
sundheit nicht erhalten können, und das ist doch die erste Vor- 
aussetzung zum Gedeihen einer solchen Niederlassung. 

Wir müssen nun zunächst ins Auge fassen die Erfordernisse 
des Mutterlandes. Das Mutterland, welches Ackerbaucolonien 
gründen will, mufs vor allen Dingen volkreich sein, d. h. es mufs 
bereitwillige, körperlich, geistig, sittlich und wirtschaftlich 
leistungsfähige Mannschaften haben, um den nöthigen Nachschub 
zu bewirken; denn sonst gelingt es dem Mutterlande nicht, eine 
Colonie dauernd zu erhalten. Wir haben im Laufe der Ge- 
schichte der Colonialbestrebungcn der modernen Völkerschaften 
verschiedene Beispiele, die das klar machen. Ich will nur eins 
anführen. Sie wissen, dafs New- York ursprünglich Neu- Amster- 
dam hiefs und gegründet worden ist von holländischen Einwan- 
derern. Weil aber Holland ein kleines Land war, welches eine 
so massenhafte Bevölkerung zum Nachschub nicht bereit hatte, 
so erfolgte dieser Nachschub nicht aus der holländischen oder 
niederländischen Bevölkerung, sondern aus der angelsächsischen 
Race, und das ursprüngliche Neu-Amsterdam verwandelte sich 
in New- York, wie wir das Alles sehr schön dargestellt finden in 
dem Skizzenbuch von Washington Irving. 

Die Ackerbaucolonien haben die Eigenthümlichkeit, dafs im 
Anfang ihr Wachsthum aufserordentlich langsam ist. Die Ein- 
wanderung geht nicht gleich stark und rasch ; es bedarf drei 
oder vier Generationen, um die ersten und gröfsten Schwierig- - 
keiten zu überwinden; dann aber geht es in der Regel sehr 
schnell, weil die Entwicklung gesichert und ganz unbegrenzt ist. 
Die Volkszahl steigt, das Gebiet dehnt sich aus, es kommen Er- 



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Weiterungen aut dem Wege der Niederlassungen, es kommen 
auch Erweiterungen auf dem Wege der Annexionen. Sie wissen 
ja, wie Nordamerika sich Texas annektirt hat; eigentlich ohne 
grofse Gewalt; die amerikanischen Squatters gingen dorthin, 
gründeten Gemeinwesen unter dem Vorsitz eines «Regulatort, 
und nachdem das Land einmal durchdrungen war von diesen 
nordischen Culturelementen , so war es auf einmal amerikanisch 
über Nacht geworden, ohne dafs es eigentlich in Europa irgend 
Jemand gemerkt hatte. 

Eine Eigenthümlichkeit der Ackerbaucolonien ist ferner, dafs 
die Einwanderer einander hinsichtlich der bürgerlichen Stellung, 
des Vermögens, des Ranges und der Sitten ziemlich gleich stehen 
oder wenigstens sehr nahe. Eine Aristokratie giebt es dort nicht ; 
das Mutterland ist fern; die aristokratische Bevölkerung des 
Mutterlandes kommt nicht, weil sie gewohnt ist, einen Rückhalt 
an dem Staat oder der Regierung zu haben — einen Rückhalt, 
den sie dort nicht finden würde, und so kommt es denn von 
selbst, dafs die Ackerbaucolonien eine Neigung zur demokrati- 
schen Organisation haben, d. h. zur Autonomie oder Selbstregie- 
rung einander möglichst gleichstehender Männer. Wenn nun 
das Mutterland thöricht genug ist, dieses in der Natur der Dinge 
begründete Streben mit Gewalt niederdrücken zu wollen, dann 
hat die Ackerbaucolonie die Tendenz, sich vom Mutterlande zu 
trennen, und dazu benutzt sie irgend eine europäische Krisis- 
Südamerika oder Neu-Spanien hat die Krisis während der 
Napoleonischen Kriegszeiten benutzt; Neu-England bediente 
sich französischer Hilfe. Umgekehrt sehen wir aber auch, dafs 
Colonien aus einer Hand in die andere übergehen und dann bei 
der letzten Hand fest bleiben, weil sie ihnen ihre Autonomie 
garantirt. Neu-Frankreich, d. i. Canada z.B., wurde englisch 
und blieb es, während Neu-England englisch war und es nicht 
blieb. Obgleich Canada von Hause aus französisch und katho- 
lisch war, fand es doch einen so aufserordentlichen Unterschied 
zwischen der schlechten französischen Regierung und der guten 
englischen, dafs die Canadier nach und nach gute Engländer 
geworden sind. 

Was die französische Verwaltung in Canada anlangt, so 
war sie ein Muster, wie man es nicht machen soll. Wir haben 
darüber ein vortreffliches Buch von Francis Parkman »England 



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und Frankreich in Amerika«, dessen Einführung in Deutschland 
wir Fritz Kapp verdanken. Das schildert uns, wie das »Ancien 
Regime« von Frankreich in Canada gehaust hat — alles in 
bester Absicht, aber mit den übelsten Mitteln und Zu einem ver- 
derblichen Ende. Alles sollte von Paris aus wie ein Uhrwerk 
geregelt werden bis auf die geringsten Kleinigkeiten. Man 
wollte auf diesem jungfräulichen Boden von Amerika den alten 
Staat von Frankreich wieder aufbauen, mit den Mönchen und 
Nonnen, mit den Marquis' und Abbe's, mit dem Adel und dem 
Klerus, mit allem, was drum und dran hing, — vielleicht in der 
Absicht, dafs, wenn es einmal in Frankreich zu Ende ginge, 
man dort drüben eine bequeme Rückzugslinie habe. Protektion, 
Bevormundung, Intoleranz, Feudalismus, Absolutismus, alles das 
wollte man auf diesem canadischen Boden aufrichten. Es 
waren Kavaliere, Franziskaner, Jesuiten und eine Menge von 
privilegirten Privatunternehmern und Monopolisten, die sich dort 
breit machten. Die Buchdruckereien wurden verboten, aber 
dafür zahlreiche Klöster errichtet, und da es mit dem Wachs- 
thum der Bevölkerung des Landes nicht recht vorwärts wollte, 
so organisirte die wohlwollende, allfürsorgende und höchst weise 
Regierung in Paris einen Import von Frauen, die man >les 
demoiseiles du roi« nannte. Von Zeit zu Zeit ging ein solches 
Schiff befrachtet mit solchen Damen — da es sich um Damen 
handelt, mufs man sich immer höflich ausdrücken — , die in der 
alten Welt mehr oder weniger entgleist waren, hinüber, und die 
wurden dort per ordre du moufti an die Colonisten verheirathet 
unter Anwendung einer gewissen douce violence; denn wenn 
einer nicht heirathen wollte, so wurde er von der Ausübung der 
bürgerlichen Rechte ausgeschlossen. 

Das sind so die wesentlichen Charakteristika der damals 
herrschenden französischen Colonialpolitik, die die Leute von 
oben herunter wohlhabend, reich, vergnüglich und zufrieden 
machen wollte. Das hatte allerdings stets den entgegengesetzten 
Erfolg. Wenn das schon in einem alten Staat nicht geht, dafs 
man die Gesellschaft und das öffentliche Gemeinwesen örganisirt, 
oder vielmehr »mechanisirt«, wie ein Uhrwerk, welches jeden 
Morgen der König oder der Priester aufzieht, so geht es natür- 
lich auf Colonialboden , namentlich aber in Niederlassungs- 
oder Ackerbau - Colonien, noch weniger. England, welches 



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Canada im Jahre 1763 erwarb, befolgte das entgegengesetzte 
Prinzip, und hat dasselbe immer mehr vervollkommnet, je mehr 
es seine traurigen Erfahrungen gemacht hatte in seinen eigenen 
Kolonien dafür, dafs es mit dem Absolutismus dort nicht geht. 
Canada ist jetzt ein Land, welches sich der vollsten Autonomie 
erfreut. Die Land- und Seemacht steht allerdings unter der 
Centralgewalt der Königin von England, aber im übrigen hat 
es eine vollkommen freie Verfassung durch die brittisch - nord- 
amerikanischen Akte vom 29. März 1867, und es herrscht dort 
abgesehen von Putschen der untersten Klasse gar keine Neigung 
zum Rebelliren, — während das in Neu-England umgekehrt war, 
weil es in seinen besten Rechten und natürlichen Eigenthümlich- 
keiten verkümmert wurde. Man bestritt seine wohlberechtigten 
wirthschaftlichen und politischen Forderungen, man nannte die 
Leute unvorsichtiger Weise «Rebellen«, und in Folge dessen 
sind sie es denn auch geworden. Canada wurde englisch und 
blieb englisch, Neu-England ward englisch und blieb es nicht. 
Diese Parallele ist sehr lehrreich für den Charakter der Acker- 
bau-Colonien. Sie zeigt uns: es giebt kein anderes Mittel, 
Ackerbaucolonien an das Mutterland zu fesseln, als eine voll- 
kommen freie Verfassung. Das Mutterland mufs ihnen den 
politisch -militärischen Machtschutz gewähren durch die ge- 
meinsame Centralgewalt, aber im übrigen sie sich selbst verwalten 
lassen, damit sie sich regieren auf der Grundlage der vollen 
bürgerliehen, wirtschaftlichen und religiösen Freiheit. 

So viel von den Ackerbau-Colonien. 

Ich komme zu den Handelscolonien. Diese werden ge- 
gründet von den Europäern, welche in einem aufsereuropäischen 
Lande die Naturprodukte dieses Landes, oder der Colonie (oder 
auch die Produkte des Meeres, wie Fische, Corallen u. s. w.) und 
die Culturproducte, namentlich die Industrieprodukte des Mutter- 
landes mit einander austauschen, jene exportiren, diese importiren 
wollen und sich im wesentlichen hierauf beschränken. In diesen 
Handelscolonien sind die Fremdlinge, die Europäer, die Minder- 
heit. Sie werden in der Regel nicht einheimisch, sondern 
bleiben Fremdlinge. Sie haben ihrem Mutterlande gegenüber den 
animus revertendi, oder, den esprit de retour, und machen 
davon unter allen Umständen Gebrauch. Heute noch nennt 
man in den holländisch indischen Colonien den Europäer «Gast«, 



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und wenn er recht lange dort war, acht oder neun Jahre, dann 
nennt man ihn »Oudgast«, den alten Gast, aber über den »Gast« 
kommt er überhaupt niemals hinaus. So ist es auch in Brittisch- 
Indien u. s. w. 

Zur Charakteristik der Handelscolonien erlaube ich mir 
noch folgendes anzuführen. Dieselben entstehen an Orten, die 
zum mannigfachen Land- und Wasserverkehr geeignet sind und 
natürliche Stapelplätze des Handels bilden. Die Kaufleute er- 
richten dort ihre Comptoirs und Factoreien, am liebsten in einer 
an Bevölkerung und Producten reichen Gegend, wo aber im 
übrigen noch primitive Zustände herrschen, wo die wirtschaft- 
liche Bewegung sich noch wenig entwickelt hat, und wo 
der Handel — namentlich der zur See — sich noch in einem 
gleichsam kindlichen Zustand befindet, d. h. noch nicht die 
Sicherheit, die Capitalkraft und die kosmopolitische Expansiv- 
kraft erreicht hat, wie der von Europa ausgegangene Welthandel, 
der sich über alle Kulturvölker der Erde erstreckt. In diametralem 
Gegensatz zu den Ackerbaucolonien , deren Voraussetzung ein 
an verfügbaren Arbeitskräften reiches Mutterland bildet, mufs 
bei den Handelscolonien das Mutterland eine grofse Capitalkraft 
und einen hoch entwickelten Transportverkehr besitzen, nament- 
lich einen Transportverkehr zur See: Handelsmarine, Kriegs- 
marine u. s. w. Freilich ist es nicht leicht, zu Wasser und zu 
Lande gleich stark zu sein. Wir werden wohl thun, die Lehren 
zu beachten, welche wir der Geschichte entnehmen. Hierfür 
nur ein Beispiel: Holland hat die höchste Blüthe seiner Seemacht 
unmittelbar nach dem Kriege mit Spanien gehabt. Später aber 
wurde es ihm schwer, eine grofse Landarmee und eine grofse 
Wasserarmee zu unterhalten, und nun vernachlässigte es seine 
Landarmee im Interesse seiner Kriegsmarine und seiner Colonien. 
Was war die Folge? Es wurde von Frankreich aufgeschluckt, 
in die Napoleonische Continentalsperre verwickelt und dann von 
England, welches Napoleon zur See bekämpfte, seiner Colonien 
beraubt, die es theilweise niemals wiederbekommen hat. Holland 
erlitt diese Nachtheile, weil es sich Lasten auferlegt hatte, welche 
es auf die Dauer nicht zu tragen vermochte, weil es den weisen 
Spruch vergessen hatte: Non omnia possumus omnes. Durch 
den Verlust seiner Colonien wurde Holland auch seines Reich- 
thums zum grofsen Theilc verlustig. Das ist so recht ein 



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Beweis, was die Handelsfeindseligkeit für P'olgen hat. Es ge- 
reichte allen denjenigen Staaten, die sich freiwillig oder ge- 
zwungen der Continentalsperre, d. i. dem System äufserster 
Handelfeindseligkeit anschlössen, welches Napoleon aus politischem 
Hafs gegen England und aus wirtschaftlichem Unverstand auf- 
richtete, zum äufsersten Nachtheile. In Folge der Ausschliefsung 
oder Erschwerung der englischen Concurrenz wurde die 
continentale Industrie leistungsunfähig. Sie verlor den Export 
und litt unter einem künstlich angefachten und ungesunden 
Wetteifer im Innern. Als das Continentalsystem plötzlich auf- 
hörte, ging sie mit diesem zu Grunde. Napoleon wollte England 
von dem europäischen Continent ausschliefsen, was ihm indessen 
nicht vollständig gelungen ist. Da gab es ja immer Hilfsmittel, 
da war erstens der Schmuggel, und zweitens die Bestechlichkeit 
der französischen Beamten. Was ihm dagegen wider seinen 
Willen vollständig gelungen ist, das ist, dafs er Frankreich und 
die mit ihm verbündeten Länder vollständig von der See aus« 
schlofs, und dafs infolgedessen nicht nur Frankreich, sondern 
auch die mit ihm verbündeten Länder ihre Colonien verloren, 
um solche erst nach dem die ersten napoleonischen Episoden 
abschliefsenden Frieden, und zwar nur theilweise, zurückzuerhalten. 
— So viel vom Mutterlande der Handelscolonien. 

Ich will nun sprechen von dem Colonial lande derselben. 
Ein Colonialland , in dem Handelscolonien gegründet werden, 
mufs folgende Eigenschaften haben, um zu gedeihen. Erstens 
mufs es an einem Kreuzungspunkt von Verkehrsstrafsen liegen; 
mufs Land- und Seewege, womöglich auch Eisenbahn haben. 
Es wird eine Aeufserung von Herrn Stanley colportirt, dafs der 
Congostaat, wenn er keine Eisenbahn bekäme, überhaupt keinen 
Schufs Pulver werth sei. Zweitens sind erforderlich geräumige 
und sichere Häfen; und drittens ein hoher Grad von Handels- 
freiheit und ein starker und sicherer Rechtsschutz. Nicht absolut 
nothwendig ist, dafs das Colonialland geographisch ausgedehnt 
sei. Es genügt Anfangs wohl eine Bucht, eine Insel, eine Land- 
zunge; aber es zeigt sich später häufig die Neigung, das Hinter- 
land zu erobern; denn wenn in diesem Hinterland eine gewisse 
Verwirrung eintritt, dann mufs man sich nach der Seite hin 
sichern, und es giebt am Ende bei fortschreitender Zerrüttung 
des inneren Landes kein anderes Mittel der Sicherung, als Er- 



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oberungskriege. Das haben wir in Britisch-Indien gesehen bei 
den Kriegen, die dort gespielt haben gegen den Sultan von 
Mysore, gegen Tipposahib. Das wird dann am Ende eine grofse 
Eroberung, während es ursprünglich nur eine Handelscolonie war 
und bleiben sollte. Das eroberte Land aber wird den Charakter 
der blofsen Handelscolonie mehr oder weniger verlieren. 

Nach der Ackerbaucolonie mufs ein starker Zustrom aus 
dem Mutterlande gehen, nach der Handelscolonie nicht. Da 
genügen verhältnifsmäfsig wenig Menschen. Aber diese Men- 
schen müssen sich den stärksten Anforderungen unterziehen. 
Sie haben Feinde ringsum an den Aufsenlinien der Colonien. 
Sie müssen einen Aufstand im Innern gewärtigen und müssen 
auch die coneurrirenden europäischen Mächte fürchten, welche 
die continentalen Verlegenheiten des Mutterlandes auszunutzen 
verstehen. Bei jenen Eroberungen, welche aufhören Handels- 
colonien zu sein, um wie Holländisch-Indien, Britisch-Indien und 
Algier einen gemischten Charakter anzunehmen, entstehen, wie 
in dem alten römischen Reich unter den späteren Imperatoren, 
immer wachsende Schwierigkeiten an den Grenzen. Es fragt 
sich: Vorwärts oder Zurück? — Vorrücken oder Aufgeben und 
Räumen ? 

Wir sehen die Handelscolonien entstehen, für Portugal in 
Asien und in Afrika, für England vorzugsweise in Ostindien, für 
Holland in den indischen Meeren auf den Sundainseln; überall 
mehr oder weniger erweitert durch Krieg. Der gegenwärtige 
Aschantikrieg der Holländer ist ja bekannt; ein Krieg, der schwer 
zu führen ist, weil man diese Wilden zwar einmal schlagen kann, 
aber auf die Dauer nicht packen. Wenn man sie geschlagen 
hat, so stäuben sie auseinander, und am Tage nachher sind sie 
doch wieder zusammen. So viel über die Handelscolonien. 

Ich komme nun zu den Pflanzungscolonien. Der Zweck 
der Pflanzungscolonie ist die Erzeugung von gewissen Genufs- 
und Nährstoffen und anderen Producten in Pflanzungen, welche 
Producte bestimmt sind für Europa, insbesondere für das Mutter- 
land. Nothig ist ein fruchtbares Land, geeignet für gewisse 
Specialitäten, wie z. B. in den Tropen Kaffee, Zucker, Cacao, 
in Australien Wolle, in Indien Gewürze. Es ist etwas anders als 
mit Ackerbaucolonien, die einen starken Zustrom aus dem Mutter- 
lande verlangen. Hier genügt ein verhältnifsmäfsig schwacher 



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*3 

Zuflufs. Arbeiten sollen und müssen die Eingeborenen, denn der 
Europäer kann in dem tropischen Clima nicht arbeiten, ohne 
Leben und Gesundheit zu gefährden. Der Europäer kann nicht, 
der Eingeborene will nicht. Er hat wenig Bedürfnisse und hält 
deshalb die Arbeit nicht für nöthig. 

Erforderlich ist möglichst viel Capital. Die Gefahren dieser 
Colonien sind: Mifsernten, Handelskrisen und Revolutionen. 
Leider scheint es, dafs in diesen Plantagencolonien die Arbeits- 
kraft nicht anders zu bekommen ist, als durch Zwangsmittel, 
d. h. durch Sklaverei. Natur, Boden, Clima verhindern die Euro- 
päer am Arbeiten und die Eingeborenen haben, wie gesagt, auch 
keine übermäfsige Arbeitslust Sie sind jedenfalls nicht so zu- 
verlässige Arbeiter wie in Europa; und deshalb hält man Zwang 
für nothwendig, oder wenn man es ohne Umschweife sagen will : 
Sklaverei. Man kann ja vielleicht sagen, dafs, wenn man die 
Geschichte der Arbeit bis zu ihrem Ursprung verfolgt, die Arbeit 
aus der Sklaverei entstanden ist, aber das ist denn doch der 
unterste und barbarischste Grad der Arbeit; und die höchste 
Blüthe der Arbeit ist die freie Arbeit. Hier also soll zurück- 
gekehrt werden zu der niedrigsten und barbarischsten Stufe 
menschlicher Arbeit, sei es entweder zur Sklaverei durch Neger, 
durch Sklaven, die von anderen verkauft werden, oder durch 
Coulis, die sich selber verkaufen, oder durch Verbrecher, die 
der Staat oder die Justiz verkauft. Das ist natürlich ein diame- 
traler Gegensatz zu den Ackerbaucolonien, in welchen bürger- 
liche Gleichheit herrscht, während man von den Plantagenwirth- 
schaften sagen kann: «man sieht da nur Herren und 
Knechte». Es ist ein Unterschied des Vermögens, der Race, 
des Ranges u. s. w., wie er gar nicht schlimmer in einem des- 
potischen Staat sein kann. Das Mutterland mufs seine Capita- 
lien hergeben, mufs seine Kriegs- und Handelsmarine zur Ver- 
fügung stellen. Reichthum des Mutterlandes an Mannschaft und 
Arbeitskraft hilft da gar nicht. Man hat also bei diesen Plan- 
tagencolonien die traurige Wahl, ob man entweder seine eigenen 
Leute opfern will, sei es als Bauern oder als Soldaten; denn ge- 
opfert werden sie ganz gewifs; und ein Zwang ist da kaum zu 
rechtfertigen, — oder ob man es versuchen will, Colonialarmeen 
aus dortigen Eingeborenen zu bilden, und ob man auf die Skla- 
verei eingehen will. 



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14 



Nun haben wir es ja in Deutschland erlebt, dafs man unter 
allerlei wohlklingenden Worten und Formen die Sklaverei oder, 
wie man sagt, «die zwangsweise Regelung der Arbeit» 
für unsere Colonien oder wenigstens für einen Theil derselben 
zu empfehlen versucht hat. Wenn man das richtig beurtheilen 
will, dann müfste man auf die Geschichte der Sklaverei oder der 
erzwungenen Arbeit eingehen, wozu uns freilich heute die Zeit 
fehlt, — namentlich die Geschichte der Negersklaverei. Ich ver- 
weise in dieser Beziehung auf die vortreffliche Arbeit meines 
unvergefslichen Freundes Fritz Kapp und will nur Folgendes 
recapituliren: Die Negersklaverei ist, wie so viele andere ent- 
setzliche Dinge, entstanden aus den humansten Beweggründen. 
Der grofse Menschenfreund Las Casas machte die Entdeckung, 
dafs in den amerikanischen Bergwerken die Indianer massenweise 
zu Grunde gingen; er machte darauf aufmerksam, dafs die Neger 
solche schwere Arbeit besser aushalten würden, und so gab man 
denn die Indianer frei und nahm statt ihrer Neger. So ist der 
Ncgerhandel entstanden. Man sieht also, wie sehr ein an sich 
humaner Gedanke, wenn er sich in den Mitteln vergreift, aus- 
arten kann zu dem Unglück ganzer Welttheile. In Folge dessen 
entstand in Afrika im Innern Mord- und Todschlag, Menschen- 
fang und nach Aufsen Menschenhandel; Amerika wurde der 
Menschenmarkt und konnte sich von dieser Pest nur befreien 
durch einen entsetzlichen Krieg. Die europäischen Colonien an 
der afrikanischen Küste lebten vorzugsweise vom Handel mit 
Negersklaven. 

England hat zuerst den Krieg gegen den Menschenhandel, 
d. h. gegen den Handel mit Negern, begonnen. Der grofse 
Wilberforce hat seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts in 
dieser Richtung ohne Unterlafs gearbeitet; und endlich wurde 
dann die Abschaffung des Sklavenhandels in England am 
24. Mai 1807 beschlossen. Seitdem ist die Abschaffung dieses 
Handels und nach und nach auch der Sklaverei immer mehr 
vorgeschritten; und ich glaube nicht, dafs es Deutschland ver- 
antworten könnte, wenn es, nachdem diese Greuel glücklich be- 
seitigt sind, nun die Hand dazu bieten wollte, jene scheufslichen 
Zustände wieder herzustellen und einen der gröfsten Culturfort- 
schritte der Gegenwart wieder rückgängig zu machen. Das 
würde dem neuen Deutschen Reich wohl schwerlich zur Ehre 



D igitizecf^Qoogle 



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gereichen. Man mufs nur die Berichte von Livingstone lesen 
über die Reisen, die er von 1841 bis 1873 in dem sogenannten 
«schwarzen» Welttheil gemacht hat. Dieser brave David 
Livingstone war nicht allein getrieben von dem Drang des 
Entdeckers, sondern vor allen Dingen von dem Drange der 
Humanität. Er wollte vor Allem diese Pest des Menschenfanges 
und des Menschenhandels unterdrücken. Wenn er jetzt erlebt 
hätte, dafs die Dienste, die er der Menschheit geleistet, nach- 
träglich den Weg eröffnen sollten für eine Wiederherstellung 
jener von ihm bekämpften Zustände, so weifs ich nicht, ob er 
nicht bedauern würde, überhaupt gelebt und für die Auf- 
schliefsung des Innern Afrikas so grofse Opfer gebracht zu haben. 

Ich habe versucht, Ihnen in kurzen Zügen die drei grofsen 
Kategorien der Colonien vorzuführen: Ackerbaucolonien, Han- 
delscolonien, Plantagencolonien. Viel Menschen und wenig 
Capital aus dem Mutterland erfordert die Ackerbaucolonie; 
weniger Menschen, aber mehr Geld erfordern die Handels- und 
Plantagencolonien. Die Ackerbaucolonien können nicht ver- 
tragen, dafs das Land schon vorher stark bevölkert ist; die Han- 
dels- und Plantagencolonien müssen Bevölkerungen in dem Colo- 
nialland haben, weil sie deren bedürfen als Arbeitskraft, freiwillig 
oder zwangsweise. Bei Handels- und Plantagencolonien wächst 
die weifse Bevölkerung nur sehr langsam oder gar nicht; bei 
Ackerbaucolonien wächst sie immer schneller, je gröfser die 
Sicherheit ist und je mehr die Entwicklung fortschreitet. Han- 
delscolonien führen zuweilen zu Eroberungen, Ackerbaucolonien 
zur Unabhängigkeitserklärung. 

Nun giebt es auch noch gemischte Colonien. Ich habe 
schon gezeigt, wie sich aus den Ackerbau- und Handelscolonien 
Eroberungen und erobernde Staaten entwickeln. Also die ver- 
schiedenen Colonialsysteme vermischen sich mit einander. 

Es giebt auch noch eine besondere Art von Colonien, das 
sind die Bergwerkscolonien, wie sie namentlich von portugiesischer 
und spanischer Seite in Amerika ausgebeutet worden sind, wo 
die Europäer sagten: »Wir sind die Tyrannen über der Erde, 
und ihr Eingeborenen seid Sklaven unter der Erde.« Daraus 
entwickelte sich dann, wie ich bereits bemerkt habe, durch den 
wohlgemeinten, aber übelgerathenen Vorschlag von Las Casas 
der Negerhandel und alles, was drum und dran hängt. Diese 



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i6 



Bergbaucolonien haben stets sowohl der Colonie wie dem 
Mutterlande zu gleichem Verderben gereicht. Namentlich gilt 
dies für Spanien. Die übrigen natürlichen Hilfsmittel der Colonien 
wurden vollständig vernachlässigt; die Wuth der spanischen 
Conquistadores, Gachupino's und Hidalgi's war immer auf Silber 
und Gold gerichtet. Und was hat Spanien davon gehabt? dafs 
es sozusagen jedes Jahr eine Silberflotte und einen Milliarden- 
segen erzielte, aber gerade daran ist dieses von Hause aus 
blühende und reiche Land — für einige Zeit, hoffentlich nicht 
für immer — zu Grunde gegangen. Es vernachlässigte seine 
natürlichen Hilfsmittel und jagte diesem Schemen nach. Creverunt 
et opes et opum furiosa cupido; man kannte kein anderes 
Capital mehr als Gold oder Silber. Was sollte man in Spanien 
arbeiten? Man konnte ja in den Colonien erpressen und rauben. 
Im Mutterlande war jede wirtschaftliche Thätigkeit verachtet. 
Da galt nur noch das Scapulier und der Degen. Aehnlich ging 
es den Colonien. Sie litten unsäglich, und erst, nachdem sie 
die Knechtschaft des Mutterlandes abgeworfen und die Bergwerke 
erschöpft oder verschüttet hatten, gediehen die Colonien wieder, 
indem sie sich auf die wirklichen und nachhaltigen Quellen 
wirthschaftlicher Wohlfahrt warfen. Ich fürchte, dafs sich unter 
unsern deutschen Colonien nicht viel Ackerbaucolonien befinden, 
und ich hoffe, es finden sich keine Bergwerkscolonien darunter. 
Bei Angra Pequena hat man zwar von Kupfererzen und ähn- 
lichen Dingen gesprochen, aber die Akademie in Freiberg hat 
ihr Gutachten dahin abgegeben, dafs es damit nichts sei. Jetzt 
sagt man uns, dafs man allerdings dort keine Erze hat, dafür 
aber auch kein Wasser. Auch daran fehlt es in dem viel ge- 
rühmten Lüderitzland, das man sogar schon auf improvisirten 
Karten so genannt finden konnte. Es ist mit diesen Karten wieder 
verschwunden. Sic transit gloria novi mundi. 

Nach Vorausschickung dieser Physiologie und Klassifikation 
der modernen Kolonieen gedenke ich nun Ihnen in kurzen Um- 
rissen die Geschichte derselben vorzuführen, welche ich chrono- 
logisch und nach Mafsgabe des Mutterlandes, von welchem sie 
ausgehen, kurz zu skizziren versuche. Ich spreche natürlich 
auch hier nicht von den alten griechischen, römischen, phönizischen 
u. s. w. Colonien; damals beschränkte sich die Culturwelt im 
wesentlichen auf das Mittelmeer. Der grofse und geistreiche 



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i7 



griechische Philosoph Plato sagte: wir sitzen um das Mittelmeer v 
herum, wie die Frösche um einen Sumpf. Das war die Charakte- 
ristik der damaligen Welt. Inzwischen ist an die Stelle der 
mediterraneen Welt die atlantische und oceanische getreten. 

Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts gehen die Colonien 
über See, und zwar fangen die Colonisationen von Westeuropa 
aus an. Man kann also sagen: je westlicher ein europäischer 
Staat liegt, und je früher er eine entwickelte atlantische und 
oceanische Marine hatte, desto früher betheiligte er sich an der 
Colonisation. Erst kamen die Portugiesen, dann die Spanier; 
beide gerathen in Streit über ihre Prioritätsrechte, und Papst 
Alexander VI. entscheidet im Jahre 1493, zieht einen Meridian, 
— falsch natürlich, denn er verstand wenig von der Sache — 
und sagte »was jenseits liegt, ist spanisch und was diesseits liegt, 
ist portugiesisch; ich mache Euch das alles zum Geschenk, 
erobert die Länder, bekehret die Heiden. » Das wurde auch eine 
. Zeitlang respektirt, aber nur solange, bis andere Länder mächtig 
zur See wurden, und die hatten dann darüber eine etwas ab- 
weichende Meinung und wufsten dieselbe auch zur Geltung zu 
bringen. Damals, in den spanisch -portugiesischen Zeiten, war 
also Gold und Silber die Hauptsache; erst in zweiter Linie kam 
die Religion; man suchte Edelmetalle und bekämpfte die Ketzerei; 
und weil das alles auf dem päpstlichen Theilungs-Recess beruhte, 
so colonisirte man nicht, sondern man eroberte; man überzog 
die Länder mit Feuer und Schwert; zum Beweis der damaligen 
Colonisationsmethode bemerke ich, wir haben noch eine sehr 
schöne, oder vielmehr eine sehr häfsliche Proclamation, erlassen 
von einem spanischen Gouverneur, der irgendwo in Südamerika 
einfiel. Sie ist gerichtet an die Eingeborenen des Landes, aber 
abgefafst in spanischer Sprache, die dort kein Mensch verstand. 
Sie wurde angeheftet an die Bäume eines Waldes, in welchen 
nur Affen hausten, aber nicht Menschen. In dieser Proclamation, 
die auf die angegebene Art anstatt notarieller oder gerichts- 
vollzieherischer Urkunde bekannt gegeben wurde, verkündigte 
der Gouverneur, dafs der Papst so und so verfügt habe und der 
König von Spanien sich nunmehr in den Besitz dieses seines 
Landes setze; wer dagegen sich sträube, der sei ein Rebell 
gegen alle geistliche und weltliche Obrigkeit und werde dem 
entsprechend behandelt. Das war damals die Art der Coloni- 

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sation; ich habe bereits erwähnt, welche Früchte sie für das 
Mutterland und die Colonien getragen. 

Glücklicherweise ist das inzwischen anders geworden. Die 
Portugiesen waren von Hause aus etwas vernünftiger, obgleich 
auch sie in Indien Monopole einführten und in Afrika vor allen 
Dingen Sklavenhandel trieben. Sie nahmen Brasilien und hatten 
Handelsverbindungen mit China und Japan. 

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beginnt nun der 
allmähliche Vorfall der portugiesischen Colonialmacht. Es kamen 
neue Colonialmächte zum Vorschein, vor allen Dingen Holland 
und dann England und Frankreich. Mit Holland hat es eine 
eigenthümliche Bewandtnifs. Holland besorgte früher seinen 
Handel in der Art, dafs es die überseeischen Produkte abholte 
in den spanischen Häfen; nun wurden damals Portugal und 
Spanien mit einander vereinigt, und da der König von Spanien 
die Holländer hafste wegen ihres freiheitlichen Sinnes, so sperrte 
er ihnen die Häfen der iberischen Halbinsel. Was war der • 
Erfolg? Die Holländer, die früher gar nicht daran gedacht 
hatten, direkten Handel mit transatlantischen Gebieten zu er- 
öffnen, waren durch diese Mafsregel dazu gezwungen, und dafs 
sie die Mittel dazu hatten, verdankten sie ebenfalls dem spanischen 
Unverstand; Spanien hatte Krieg geführt gegen Holland, um es 
wieder seiner Gewalt zu unterwerfen. In diesem Kriege hatten 
sich Freischaaren ausgebildet, nicht nur zu Lande, sondern auch 
zu Wasser: die berühmten Wassergeusen mit ihrem Wahlspruch 
tFidcle ä la liberte jusqu'ä la besacec Sie waren im Anfang 
nur Freischärler zur See — Piraten, wenn man will — , aber sie 
entwickelten sich rasch und bildeten den Stock zu einer 
holländischen Kriegsflotte; sie schlugen die Spanier nicht nur 
in Europa, sondern auch in den transatlantischen Ländern. Sic 
deckten zum ersten Mai die Schwäche des für unüberwindlich 
gehaltenen Landes auf und setzten so an die Stelle der ihnen 
versperrten spanischen Häfen den direkten Handel und die 
direkte Schifffahrt nach überseeischen Ländern und brachen die 
Alleinherrschaft Spaniens und dessen Diktatur zur See; so ent- 
stand die grofse holländisch - ostindische Compagnie, die eine 
wirthschaftliche, aber auch zugleich politische Körperschaft war, 
in hohem Grade unabhängig von der Regierung. Die Sache 
gestaltete sich so, dafs die Sundainseln die Hauptniederlassung 



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von Holland wurden; Batavia wurde der Centraipunkt, und das 
Kap der guten Hoffnung war gleichsam die Vormauer für dieses 
Gemeinwesen oder, wie der Holländer sagt, »unser Absteige- 
quartier für unterwegs.« 

Nun kommt nach Holland England; das hatte seine 
Colonisationskraft entwickelt ebenfalls im Kriege mit den 
Spaniern, auch in einem Freibeuterkrieg, der eine ganz ähnliche 
Entwickelung hatte, wie der der Meergeusen in Holland. So 
kämpften nun Holland und England gemeinschaftlich gegen 
Spanien und Portugal für die Freiheit des Meeres. Der 
grofse Hugo Grotius schrieb damals sein berühmtes Buch: 
»Mare liberum sive de Jure, quod Batavis competit ad Indiae 
Commercia« (1618). Es ist die erste gediegene völkerrechtliche 
Streitschrift im Interesse wirthschaftlicher Freiheit geschrieben. 

Wie Frankreich in Canada colonisirt hat, habe ich schon 
auseinandergesetzt. 

Später begann die Rivalität zwischen England und Holland, 
und da gab es einen langen Streit, in dem Frankreich eine 
grofse Rolle spielte, namentlich während des 17. Jahrhunderts, 
welches die Franzosen nicht ganz mit Unrecht für sich *le 
grand siecle« nennen, während es für uns Deutsche die 
miserabelste Zeit unserer langen Passionsgeschichte ist; bei 
uns wütheten Bürger- und Religionskriege, während Frank- 
reich im Innern einig, nach Aufsen sein Colonialbanner immer 
mächtiger entfaltete. Aber seine Handelscolonien gediehen 
nicht wegen der Regierungs- und Reglementirwuth, wegen des 
»furor burokraticus gubernandi,« und weil überhaupt die franzö- 
sische Nation für Ackerbaucolonien nicht diejenige Ausdauer 
und Lust zu grofser, langer und ununterbrochener und ruhiger 
Anstrengung der Kräfte besitzt, welche dieses Geschäft erfordert. 
Am meisten gedieh Brittisch-Nordamerika zu Ende des 17. Jahr- 
hunderts. Die Besitzungen erstreckten sich über die ganze Küste 
von Canada bis Georgia und man eroberte nicht mit Gewalt, 
wie die Spanier und Portugiesen, sondern man kaufte von den 
Rothhäuten das Land, welches man in Besitz nehmen wollte. 
Endlich proklamirte man auch volle Religionsfreiheit. Ich mufs 
beiläufig erwähnen, dafs auch diese Religionsfreiheit es war, 
welche die im und seit dem 30 jährigen Kriege geknechteten 
Deutschen dorthin geführt hat. Am 20. August 1683, also vor 

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etwas mehr als 200 Jahren, sind die ersten Deutschen unter der 
Führung eines Herrn Franciscus Daniel Pistorius in Pennsylvania 
eingerückt und haben dort eine Stadt »Germantown« gegründet, 
die später in Philadelphia aufgegangen ist. Es ging ihnen im 
Anfang so schlecht, dafs sie dieses Nest in einem seltsamen 
Englisch -Amerikanisch selber »Armentown« nannten. Es existirt 
eine vorzügliche Schrift dieses Herrn Pistorius selbst, betitelt: 
tUmständliche Geographie der zu allererst erfundenen Provinz 
Pennsylvaniae, in deren End-Gräntzen Americae in der Westwelt 
gelegenen, durch Franc. Danielem Pastorium, Juris Utr. Lic. und 
Friedens-Richtern daselbsten« erschienen im Jahre 1700 und im 
Jahre 1884 von Fritz Kapp unter genauer Nachbildung des 
alten Druckes von Neuem herausgegeben. Diese Schrift ist für 
Auswanderungs- und Colonialwesen so lehrreich, wie nur irgend 
eine, die existirt. Vortrefflich ist die Einleitung, die Kapp zu 
deren Reproduktion geschrieben. 

England hat nun zwar Frankreich und Holland überflügelt, 
jedoch durch eine verkehrte Politik seinen amerikanischen 
Colonien gegenüber deren Besitz verscherzt. Es erfolgte die 
Unabhängigkeitserklärung der dreizehn Staaten am 4. Juli 1776. 
Frankreich, Spanien und Holland mischten sich ein, und so 
verlor denn England seine amerikanischen Colonien mit Ausnahme 
von Canada und Neu - Schottland. Allein obgleich England 
militärisch und politisch besiegt war, hat es doch dabei wirth- 
schaftlich im Grunde gewonnen. Der freie Handel Amerikas 
mit England, doppelt so ergiebig, als der bisherige Zwangs- 
handel, bildete nun die Grundlage der Grofse des englischen 
Welthandels. Zugleich bildet die Entstehung eines neuen, freien, 
grofsen, mächtigen und ausdehnungsfähigen Staates von Europäern 
auf aufsereuropäischem Boden einen entscheidenden Wendepunkt 
der Weltgeschichte. Denn damit ist das Prestige der kaukasischen 
Rasse begründet. In Ostindien hatten die Engländer damals 
weniger Erfolg. Da trieben sie ihre alte räuberische Colonial- 
politik, sie schleppten das gute Geld weg und machten Münz- 
verschlechterung in bimetallistischem Stil. Es brach Hungersnoth 
aus, es wüthete der Krieg mit Hyder Ali und mit Tippo Sahib^ 
es kamen die Erpressungen des Warren Hastings und Consorten 
— kurz, es ist eine so lange und traurige Geschichte, dafs ich 
sie Ihnen nicht in extenso vorführen mag. 



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Man darf bei den englischen Colonien übrigens nicht ver- 
gessen, dafs sie keineswegs so gleichsam im Schlaf erworben sind, 
wie man wohl hin und wieder in Deutschland annimmt. England 
hat furchtbare Opfer und eminente Kosten aufwenden müssen, 
um sich diese Colonien zu erhalten. Es hat in den Jahren 
1689 bis 181 5, also während 127 Jahren, 64 Kriegsjahre um der 
Colonien willen gehabt, es hat eine Kriegsschuld von 840 Mill. £ 
kontrahiren müssen, zum Theil um die Colonien sich zu erhalten. 
Aufserdem hat es natürlich auch stets aus laufenden Mitteln einen 
grofsen Aufwand für die Colonien gemacht. Ich erwähne dies zum 
Trost für diejenigen, die immer sagen: wir müssen Colonien 
haben, und wenn sie uns auch ein schönes Stück Geld kosten 
sollten. Das hat eben doch seine Grenzen, oder man müfste 
etwa der Meinung sein, wie jener berühmte kleine Fürst in 
Deutschland, der vor längerer Zeit sagte: »Ich will auch in 
meinem Lande eine Eisenbahn haben, und wenn sie mich 
10000 Thaler kosten sollte.« 

Nun kommt das Napoleonische Zeitalter. Ich habe das 
Thema schon gestreift und kann darüber mit wenigen Worten 
hinweggehen; die Sache verlief so: Frankreich machte die Con- 
tinentalsperre, und dafür machte England die Seesperre. All- 
mächtig auf See nahm es alle Colonien derjenigen Staaten, die 
entweder freiwillig oder gezwungen mit Frankreich verbündet 
waren. Um ein naturwissenschaftliches Bild zu gebrauchen, 
England war die Raubmöwe, die jede andere Möwe, die im Be- 
griff war einen Fisch zu verschlucken, so lange würgte, bis sie 
den Fisch wieder ausspeien mufste, und dann frafs sie ihn selber. 
England wurde begünstigt durch seine insulare Lage und den 
glücklichen Umstand, dafs es keine grofse Landarmee zu halten 
hatte, dafür aber eine sehr grofse und starke Kriegsflotte halten 
konnte. Wir haben gesehen, wie Holland an der Unmöglichkeit, 
beiden Aufgaben gleichmäfsig zu genügen, gescheitert. Ich 
möchte da aber noch eine Erwägung anheimstellen, die mir 
bisher noch nicht genügend in den Vordergrund getreten zu 
sein scheint. Bei jeder europäischen Conflagration sind die 
Continentalstaaten von Europa, die Colonien besitzen, namentlich 
Colonien zerstreut auf der ganzen Erdkugel, insofern in einer 
schwierigen Lage, als sie ihre Streitkräfte auf dem Continent 
von Europa verwenden müssen, während England freie Hand 



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hat. Es sind also diese Colonialmächte bedroht: erstens von 
etwaigen Aufständen in den Colonien, zweitens von der Feind- 
schaft der Nachbarn und drittens von den allmächtigen Zugriffen 
Englands. Dies gilt von allen Colonien. Was insbesondere die 
Ackerbau - Colonien anlangt, so darf man folgende Alternative 
nicht aus den Augen verlieren. Wenn sie dahinsiechen, sind sie 
eine schwere Last. Wenn sie gedeihen, ist man in Gefahr, sie 
durch Unabhängigkeits-Erklärung zu verlieren. 

Ich komme nun zu Deutschland. Wir haben in neuester 
Zeit verschiedene Bücher über die Geschichte der Colonisationen 
Deutschlands erscheinen sehen. Es ist auch wahr, es sind 
Versuche zu Colonisationen von Deutschland aus gemacht 
worden, schon unter dem Grofsen Kurfürsten, der ein gut ge- 
meintes, aber mifslungenes Experiment unternahm. Dann hat 
sich in der ersten Hälfte der 40er Jahre dieses Jahrhunderts ein 
Verein deutscher Fürsten und Edelleute gebildet, welche Texas 
colonisiren wollten. Die Herren haben es ohne Zweifel sehr gut 
gemeint, haben auch ganz erhebliche Geldmittel dazu aufgebracht, 
aber sie selbst verstanden garnichts von der Sache, und sie 
waren schlecht berathen. Den Leuten, die ihrem Rufe folgten, 
um als Ackerbaucolonisten nach Texas zu gehen, ist es sehr 
schlecht gegangen: sie sind verdorben und gestorben und nur 
wenige sind übrig geblieben und haben sich von diesem hoch- 
fürstlichen Verein losgesagt und auf eigene Gefahr und Kosten 
zu wirthschaften angefangen; sie haben sich so nothdürftig 
gerettet. Das also gehört nicht in die Geschichte von wirksamen 
Colonisationsbestrebu ngen. 

Aufserdem steht in den erwähnten Büchern allerlei von 
Colonisationen bei den heidnischen Slaven, von der Auswanderung 
deutscher Bauern nach der Zips, nach der unteren Donau, nach 
Siebenbürgen und anderen Gegenden von Ungarn, dann von 
der Aufnahme von verfolgten Franzosen unter dem Grofsen 
Kurfürsten und unter Friedrich dem Grofsen, unter jenen grofsen 
Herrschern, welche Massenausweisungen im Inlande domicilirter 
Ausländer nicht liebten, sondern vielmehr alle einluden zu 
kommen, »alle, die da mühsam und beladen waren«, sie mochten 
einer Rasse oder Religion angehören, welcher sie wollten. 

Dann ist die Rede von der Hansa, die ja ihre grofse und 
glorreiche Rolle gespielt hat. Ich habe kürzlich in einer dieser 



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Broschüren gelesen, wie die Hansa doch so thöricht gewesen sei, — 
Kaiser Ferdinand von Oesterreich habe ihr vergeblich angeboten, 
er wolle einen Admiral der baltischen und oceanischen Meere 
ernennen, dem sie dann ihre Flotte zur Verfügung stellen sollte. 
Es wäre eine grofse Dummheit gewesen, wenn sie das gethan 
hätte, denn dann würde sie zu den Sonderzwecken der spanisch- 
habsburgischen Hauspolitik abgeschlachtet worden sein. Doch 
ich will Das und Anderes übergehen; das waren keine Colonien 
in dem Sinne, wie wir sie heute verstehen, keine Colonien euro- 
päischer Staaten und Völker in aufsereuropäischen Gebieten. 

Die Bahn der Colonisationsbestrebungen, wie sie die anderen 
Nationen seit dem Ende des 15. Jahrhunderts beschritten haben, 
hat Deutschland erst seit wenigen Jahren beschritten, als die 
jüngste unter den europäischen Mächten. Das deutsche Volk 
hat bekanntlich schon lange und früher als alle jene deutschen 
Regierungen, welche «unter des durchlauchtigsten Bundes 
schützenden Privilegien« vereinigt waren, eine grofse Auf- 
merksamkeit und ein warmes Herz für die deutsche Marine 
gehabt. Wir haben im Jahre 1848 für die Flotte gesammelt, 
haben sogar das Geld für ein Kriegs-Schiff zu Stande gebracht. 
Wir, die Privaten. Ja, was hat das Alles geholfen? Schliefslich 
kam der alte frankfurter Bundestag wieder und schickte seinen 
Hannibal Fischer; der brachte die Flotte unter den Hammer. 
Die von uns gesammelten Gelder gingen dem vaterländischen 
Zwecke verloren. Dann haben wir wieder, den Nationalverein 
an der Spitze, gesammelt, es war im Anfang der 60 er Jahre, 
da hat denn allerdings Preufsen die Sache mit Verstand und 
Kraft in die Hand genommen, und daraus ist unsere jetzige 
deutsche Flotte erwachsen, die ja ganz schöne Fortschritte ge- 
macht hat, aber immer noch unter einem Hindernifs leidet, 
nämlich unter der Schwierigkeit, Mannschaften zu beschaffen. 
Schiffe kann man bauen oder kaufen, aber das Zusammenbringen 
der Mannschaften ist etwas schwieriger; und grade hierbei 
stofsen wir auf ein zur Zeit unüberwindliches Hindernifs für grofs- 
artige coloniale Unternehmungen. 

Nun hat Deutschland in einem einzigen Jahre Colonien er- 
worben, die mehr als den Flächengehalt des ganzen Mutterlandes 
einnehmen, sehr weit zerstreut liegen in allen Weltgegenden, 
mit schwer festzustellenden und hin und wieder auch bestrittenen 



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Grenzen. Ich will auf die Differenzen mit Frankreich, Spanien, 
England u. s. w. nicht eingehen. Wir treiben hier keine Politik, 
sondern Volkswirthschaft. Ich mufs aber, wenn ich die 
Colonialbewegung in Deutschland mit unbefangenen Augen 
wissenschaftlich beobachte, sagen: es tritt da eine ganz eigen- 
tümliche Erscheinung zu Tage, nämlich der Enthusiasmus für 
Colonien wächst, je weiter man sich von der See entfernt. 
Am stärksten ist er in Schwaben, wo doch die Mehrzahl der 
Bevölkerung niemals das Meer gesehen hat, und wo man so 
naive Vorstellungen hat, dafs einer der hervorragendsten Männer 
dieses Landes sagte: »wir machen Corsets, folglich müssen wir 
Colonien haben.« Die Seestädte haben anfangs kühl bis ans 
Herz hinan diesem Enthusiasmus gegenüber gestanden; sie 
haben die surtaxe de pavillon und die surtaxe d'entrepöt, welche 
unser guter Mösle ihnen plausibel machen wollte, abgewiesen; 
sie wollten auch anfangs von SchifKTahrtssubventionen nichts 
wissen, sondern im Vertrauen auf ihre eigene Kraft ferner ohne 
Krücken fortschreiten. Allein, wie das so geht: nachdem diese 
rückläufigen wirtschaftlichen Bestrebungen eine Zeit lang immer 
stärker geworden sind, ist es den guten Herren auch so ge- 
gangen, wie jenem getreuen Thier, welches seinem Herrn das 
Essen holte und unterwegs von stärkeren bewältigt wurde; da 
es die essen sah, sagte es: retten kann ich es doch nicht mehr, 
da will ich doch wenigstens mitessen. Es ist die alte Geschichte : 
>wo alles liebt, kann Karl allein nicht hassen«, und so haben 
sich denn da die Dinge weiter entwickelt, bis sich zur Zeit das 
Reich und die Marchand - Princes einer dem andern die aus- 
schliefsliche Bestreitung aller Unkosten gegenseitig zuzuschieben 
bestrebt sind. 

Wir dürfen jedoch, wenn wir vollständig sein wollen, durch- 
aus nicht vergessen, dafs diese Colonialbewegung sich keineswegs 
auf Deutschland beschränkt, sondern dafs sie fast zu gleicher 
Zeit im gröfseren Theile von Europa grassirt hat, und zwar 
zeitweise mit einer an Fanatismus grenzenden Heftigkeit. Frage 
ich mich, woran das liegt, so haben gewifs einen grofsen Einflufs 
geübt, die rühmlichen Erfolge der wissenschaftlichen Forschungen 
und Entdeckungen, namentlich in Afrika, an denen ja auch 
Deutschland und seine Forscher einen glorreichen Antheil 
haben. Der Hauptgrund aber dieser Bewegung scheint mir der 



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von Deutschland und Oesterreich ausgegangene Rückfall in die 
Merkantiltheorie zu sein und die darauf gebauten Systeme des Staats- 
socialismus, Schutzzolls u. s. w. u. s. w. Sie haben ihre Wirkungen 
dahin geäufsert, dafs z. B. die deutsche Industrie ihren aus- 
wärtigen Markt beeinträchtigt sieht. Ueberproduktion im Innern, 
Abschneidung oder Schmälerung des auswärtigen Marktes und 
des Absatzes in das Ausland, Mehraufwand von Arbeit und 
Mehraufwand von Kapital, aber ein viel geringerer Gewinn — 
das sind die Symptome, die wir zu Tage treten sehen. Daraus 
ist dann erwachsen der überall immer heftiger zu Tage getretene 
Noth- und Schmerzensschrei nach Absatz, nach neuen Märkten 
und endlich nach Colonien. Das scheint mir der Hauptgrund 
der Bewegung zu sein, und der pafst nicht nur auf Deutschland, 
sondern mehr oder weniger auch auf eine Reihe von anderen 
Ländern. 

Dazu kommen nun in anderen Ländern noch gewisse innere 
Schwierigkeiten. Man glaubte in Frankreich »la belle France« 
wieder grofsmachen zu können durch die Colonialpolitik, die 
man in Tunis, Tonking, Madagaskar verfolgte mit den besten 
Absichten, aber mit unrichtigen Mitteln und einem grofsen 
Fiasco. Die Abkühlung ist gegenwärtig nirgends gröfser als in 
Frankreich. 

Wir können in der französischen Presse und Literatur von 
1874 bis 1886 ganz deutlich den Verlauf des Colonialfiebers ver- 
folgen, wie es entsteht, wie es wächst, wie es sich überschlägt 
und dann plötzlich verschwindet. 

Auch die wissenschaftliche Literatur zeigt uns die nämlichen 
Wandlungen der Meinung, Wir können sie sogar verfolgen in 
den verschiedenen Auflagen des nämlichen Buches. Ich habe 
vor mir liegen das höchst verdienstvolle und inhaltreiche 
Colonien -Buch von Paul Leroy-Beaulieu in drei verschiedenen 
Auflagen, von 1874, 1882 und 1886. In der ersten Auflage 
ist der Verfasser der Ueberzeugung, dafs für Frankreich die 
Colonien recht nützlich werden können. In der zweiten zweifelt 
er nicht daran, dafs Frankreich zu Grunde geht, wenn es sich 
nicht ausschliefslich auf Colonialpolitik wirft und die continentale 
Politik aufgiebt. 

»Seit zwei Jahrhunderten«, schreibt Leroy-Beaulieu am 
8. Mai 1882, »ist die französische Politik auf falsche Wege ge- 



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rathen. Nachdem wir gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts 
für unser Land in Europa gute und gesicherte Grenzen ge- 
wonnen hatten, war unsere Aufgabe, uns ganz den Colonial- 
bestrebungen zuzuwenden und die endlos grofsen Ländermassen 
zu verwerthen, welche wir in den zwei Welten besafsen: in 
Canada, an den Ufern des Mississippi, in Louisiana, in beiden 
Indien. 

Statt dessen warf man sich auf die Continentalpolitik. Sie 
hat zwei Jahrhunderte vorgeherrscht, und ihr Ergebnifs ist: Re- 
duktion unserer Grenzen und Verminderung unseres Ansehens. 
Wir haben inzwischen unsere Colonien hingegeben als Lösegeld 
für Ausgleichung unserer Niederlagen auf dem Continent, — 
hingegeben mit dem unbekümmerten Leichtsinn eines Ver- 
schwenders. Diese Politik bedarf einer Umkehr. Von nun an 
müssen unsere Colonisationsbestrebungen die erste Stelle ein- 
nehmen in unserem nationalen Gewissen. Unsere Continental- 
politik darf nur noch defensiv sein. Aufserhalb Europas müssen 
wir Genugthuung suchen für unsere so berechtigten Ausdehnungs- 
Triebe («nos legitimes instincts d'expansion«). Wir müssen 
arbeiten für Gründung grofser französischer Reiche in Africa und 
nicht weniger auch in Asien.» 

Der Verfasser weist dann auf die stets zunehmende Aus- 
dehnung der angelsächsischen Rasse, auf die fast hundert Millionen 
Deutsche, über welche das deutsche Reich in Gemeinschaft mit 
Oesterreich gebietet, auf das Wachsthum Rufslands u. s. w. und 
fährt dann fort: 

>Was soll aus unserm Frankreich werden inmitten dieser 
Riesen? Von der grofsen Rolle, die es in der Vergangenheit 
gespielt hat, von dem entscheidenden Einflufs, den es in der 
Leitung der Kulturvölker besessen, was wird ihm davon übrig 
bleiben? — Nur eine Erinnerung, die von Tag zu Tag immer 
mehr abblafst. 

Diesem Schicksal können wir nur durch Colonisationen 
entgehen. Colonisiren wir nicht, so werden wir dem Geschicke 
von Spanien und Portugal nimmer entgehen. 

Die Colonisation ist für Frankreich eine Frage auf Tod und 
auf Leben. Entweder wird Frankreich eine africanische Grofs- 
macht, oder es wird in hundert Jahren nur noch eine Rolle 
zweiter Ordnung spielen. Es wird dann in der Weltpolitik nur 



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noch so viel mitzusprechen haben, als Griechenland und Rumänien 
jetzt in Europa.« 

Dies war der Gipfel des Enthusiasmus, welcher den gelehrten 
Vei fasser vergessen machte, dafs Spanien und Portugal grade in 
Folge ihrer, auf Eroberung und rücksichtslose Ausbeutung ge- 
richteteten Colonialpolitik in ihrer politischen Stellung und ihrer 
wirtschaftlichen Bedeutung so grofsen Rückgang erlitten haben. 

In der Vorrede zur dritten Auflage, datirt den i . December 
1885, redet der Verfasser in einer weit gedämpfteren Tonart. 
Er spricht von den Schlagschatten, welche Tonking und 
Madagaskar auf das schöne Bild der französischen Colonien 
werfen ; von den grofsen Fehlern , welche die französische 
Colonialpolitik während der letzten drei Jahre (d. i. seit seiner 
Vorrede vom 8. Mai 1882, in welcher er die Rcgierungs- und 
die Volksvertretung so sehr angereizt und aufgemuntert) be- 
gangen worden; von der schlechten Führung dieser beiden, 
jetzt von Jedermann mifsbilligten Expeditionen; von dem daraus 
erwachsenen Mifstrauen der Nation wider die Colonialpolitik, von 
den unerhörten und unentschuldbaren Fehlern (les fautes inouies 
et inexcusables), die man begangen. 

Er predigt Mäfsigung und Vorsicht: die Welt werde nur 
durch Geduld und Ausdauer erobert. Er mifsbilligt also die 
explosive Politik, welche den Erfolg durch einen militärischen 
Coup oder durch einen Sprung erreichen will und die zurück- 
weicht, wenn dieser eine Sprung ihr mifslungen. 

Von einem ganz anderen Geist beseelt ist das Buch von 
Louis Vignon: »Les Colonies francaises — leur commerce, 
leur Situation economique, leur utilite pour la metropole, leur 
avenir» (Paris, Guillaumin & Cic. 1886). Der Verfasser hat den 
Gegenstand, den er behandelt, nicht nur wissenschaftlich studirt, 
sondern auch praktisch bearbeitet als Cabinetschef im Handels- 
ministerium und Stellvertreter des Staatssecretärs der Colonien. 
Sein Urtheil ist das eines erfahrenen und besonnenen Geschäfts- 
mannes. Er mifsbilligt die Colonialpolitik der letzten Epoche. 
Bevor man auf Eroberungen und auf Erwerbung neuer Colonien 
ausgehe, solle man erst die bereits vorhandenen nutzbar zu 
machen suchen. Weder Enthusiasmus, noch gänzliche Entsagung^ 
*nec temere nec timidet ist seine Parole. 

«Ob Colonien unter Umständen für eine Nation eine Quelle 



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von Reichthum und Macht werden können? Ohne Zweifel. 
Haben unsere französischen Colonien bis zum heutigen Tage 
uns ein hinreichendes Entgelt gewährt für die Kosten und die 
Anstrengungen, die wir auf sie verwendet? Nein, noch nicht. 
Sie haben also noch nicht den erforderlichen Grad der Ent- 
wicklung erreicht und wir haben es nicht verstanden, sie ge- 
nügend zu verwerthen. Warum? Prüfen wir, denken wir nach, 
untersuchen wir. Studiren wir diese Frage. Die Untersuchung 
ist eröffnet. Dies Buch will einen Beitrag dazu liefern.« 

Damit schliefst Vignon sein Werk. Dies besonnene Urtheil 
eines erfahrenen Beamten klingt anders als die chauvinistischen 
Fanfaronaden des begeisterten Professors. 

Dann kam Italien, welches jetzt auch auf einmal anfängt, 
Colonialpolitik zu machen. Italien hatte innere Schwierigkeiten, 
mit der »Italia irredenta« u. s. w., und da es die politische 
Bewegung nicht nach Triest und Trient tragen konnte und 
durfte, so marschirte es statt dessen nach der ostafrikanischen 
Küste. Das ist mehr Politik als Colonisation. Es soll auch 
an Nord - Guinea gedacht haben. Damit ist es jetzt zu spät. 
Die Unternehmungen in Abyssinien und im Sudan, zu welchen 
Italien von England »verführte worden sein soll — so be- 
haupten die Franzosen — sind kühn, aber schwierig. Ohne 
einen grofsen Aufwand an Geld und Kapital sind sie nicht 
durchzuführen. Es fragt sich, ob Italien die Kraft und den 
Willen hat, so grofse Aufwendungen zu machen. Freilich, zurück- 
weichen ist bitter. Defshalb soll man sich vorher besinnen. 

Endlich ist des Königs der Belgier zu gedenken, ein eifriger 
Förderer der geographischen Wissenschaften, der sich vielleicht 
auch unter den Schwarzen am Congo behaglicher fühlte, als 
unter den Fittigen seiner clcricalen Minister. Wir haben aber 
dem nicht nachzuforschen, denn er verwendet nur seine eigenen 
privaten und persönlichen Mittel zu diesem Zweck; man mufs 
die vollste Hochachtung für ihn und sein königliches Werk haben 
und hat kein Recht der Kritik und der Inquisition nach den 
Motiven. Vom Congo-Gebiet werde ich noch sprechen. 

Von England wissen Sie ja auch, dafs dort in gewissen 
Kreisen im Augenblick eine Auffassung herrscht, welche seltsam 
ist in dem alten und glorreichen Freihandelslande. Aufgestachelt 
von unseren continentalen Schutzzöllnern, welche laut triumphiren, 



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dafs sie durch ihre protektionistischen und prohibitiven Tarife 
England von unserem Markte verdrängt hätten, rufen die Con- 
servativen statt free trade » fair trade«, d. i. Gegenseitigkeits- 
zollpolitik, welche auf Schutzzoll hinausläuft. Man hat da ferner 
allerhand Pläne, ein grofses Schutzgebiet zu machen, »ein 
gröfseres Britannien« im Vergleich zu Grofsbritannien, ein 
gemeinsames Parlament für alle englischen Colonien, eine Aus- 
schliefsung des Auslandes von dem englischen Markt und von 
allen englischen Colonien. 

In Amerika träumt man auch von einem amerikanischen 
Zollverein, der seine prohibitive Spitze gegen Europa richten 
soll. Kurz, überall sehen wir mehr oder weniger fantastische 
Projekte auftauchen, unter die ich auch das viel genannte Zoll- 
bündnifs Deutschlands mit Oesterreich - Ungarn rechne, das im 
Grunde genommen doch nichts wäre, als der Versuch einer 
agrarischen Wiederbelebung der Continentalsperre. Ich hoffe, 
dafs alle diese Schierlingsbecher glücklich an uns vorübergehen 
werden, denn sie bergen einen solchen Rattenkönig von un- 
absehbaren Verwirrungen in sich, dafs ich auf die gesunde 
Vernunft der Regierungen und der Nationen vertraue und hoffe, 
dafs die Gefahr, nicht nur einen continentalen , sondern auch 
gleichzeitig einen americanischen und einen englischen Blocus zu 
bekommen, doch noch nicht so grofs ist. 

Bevor ich zum Schlufs übergehe, erlaube ich mir, über die 
völker- und staatsrechtliche Seite der colonialpolitischen Fragen 
noch einige Bemerkungen zu machen, welche zusammenhängen 
mit der volkswirtschaftlichen und finanzpolitischen Seite derselben. 

Früher glaubte man, durch die blofse Entdeckung das 
überseeische Land, welches man als «wild« bezeichnete, weil 
man es Staat- und kulturlos fand oder glaubte, für eine bestimmte 
Staatsgewalt in Besitz nehmen zu können. 

Das heutige Völkerrecht steht auf einem anderen Stand- 
punkt. Es sagt: Entdecken ist ein Akt der Wissenschaft, 
der für den Staat keine Rechte begründet. Der Staat kann nur 
erwerben durch Besitzergreifung, welche voraussetzt, dafs das 
betreffende Land nicht schon einem anderen Staate gehört. 
Auch kann man nicht Besitzergreifen par distance oder durch 
blofse Worte. Vielmehr sind an Ort und Stelle von dem 
occupirenden Staate, welcher die Gebietshoheit erwerben will, 



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3Q 

vorzunehmende Handlungen nöthig, welche >die dauernde 
thatsächliche Ausübung der ordnenden und schützenden 
Staatsgewalt in sich schliefsen» und welche eine Wirkung 
nicht weiter äufsern, als der occupirende Staat wirklich im Stande 
ist, sich das wilde oder staatlosc Gebiet anzueignen, es staatlich 
zu ordnen und durch »specificatio« der Cultur und der Civili- 
sation zu gewinnen. 

Die antike Weltanschauung kommt zwar hier nicht weiter 
in Betracht, da wir nun die modernen Colonien in's Auge fassen. 
Aber was das Recht der Occupation anlangt, so ist es doch von 
einigem Interesse, die Gegensätze zwischen Antik und Modern 
und dann zwischen Mittelalter und Neuzeit zu erkunden. 

Wie zum ersten Male die römische und die germanische, 
die antike und die moderne Weltanschauung auf einanderstiefsen, 
das erzählt uns in seiner die Gegensätze scharf hervorhebenden 
Weise Tacitus im dreizehnten Buche seiner »Annalen«. 

Es war unter der Herrschaft des Kaisers Nero. In Deutsch- 
land war Ruhe. Die römischen Feldherrn, welche dort kom- 
mandirten, lechzten nicht nach neuen Thriumphen, »denn die 
Ehren des Triumphes waren etwas so Alltägliches geworden, 
dafs sie nicht mehr erstrebenswerth schienen,« sagt Tacitus. 

Die alten Römer pflegten an ihren Grenzen aus dem Gebiete 
jenseits des Dammes, des Grabens oder des befestigten limes, 
oder im nördlichen Deutschland jenseits des Rheins, die Ein- 
gesessenen zu vertreiben und liefsen das Land unbebaut liegen, 
indem sie dasselbe als die »herrenlosen und dem Gebrauche der 
Soldaten gewidmeten Aecker« (»agros vaeuos et militum usui 
sepositos«) zu bezeichnen pflegten. 

Da aber in dem Innern Germaniens in Folge des Andrängens 
immer neuer Völkerschaften von Osten her, eine beinahe un- 
widerstehliche Massenbewegung nach dem Westen eintrat, wo 
diejenigen Völker neue Wohnsitze suchten, welche aus ihren 
bisherigen Sitzen im Osten verdrängt worden waren, so ver- 
suchten verschiedene germanische Völkerschaften, sich auf jenem 
unbebauten Lande auf dem rechten Rheinufer niederzulassen. 
Zuerst kamen die Friesen (Frisii) unter ihren Häuptlingen 
Verritus und Malorix. Allein der römische Befehlshaber Dubius 
Avitus befahl ihnen, das Land wieder zu verlassen, denn es sei 
vor Zeiten von den Römern occupirt und es gehöre auch jetzt 



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3i 



noch denselben, wenngleich sie keinen Gebrauch davon machten. 
Sie ergriffen Recurs nach Rom und schickten eine Gesandtschaft 
an den Kaiser Nero. Dieselbe wurde dort aufserordentlich gut 
aufgenommen. Aber der Befehl des Dubius Avitus wurde 
bestätigt. 

Einige Zeit danach erschienen die Ampsivarier auf dem 
nämlichen Boden. Ihr Führer hiefs Bojocalus. Er war ein 
alter Herr, der sich schmeichelte, bei den Römern besonders in 
Gunst und Gnade zu stehen. Herrmann, der Cherusker, hatte 
ihn wegen Verdachts römischer Gesinnung in Fesseln geschlagen; 
nach Herrmanns Untergang frei geworden, hatte er dem Ger- 
manicus Dienste geleistet und seinen Volksstamm veranlafst, sich 
den Römern wieder zu unterwerfen. Jetzt waren die Angrivarier 
oder Ampsivarier von den Chauci aus ihren Wohnsitzen ver- 
trieben und wollten sich ansiedeln auf dem herrenlosen Lande, 
das die Römer durch eine frühere Occupation erworben zu 
haben behaupteten. 

»Wieviel Land liegt nicht brach,« sprach Bojocalus zu 
Dubius Avitus, »blos auf dafs vielleicht einmal das grofsc oder 
das kleine Vieh der Soldaten darauf gebracht werden könnte? 
Nehmet doch lieber uns auf mit unseren Herden, damit wir 
nicht am Ende ganz vertrieben werden von allen Gebieten, wo 
man noch etwas weifs von der Menschheit. Glaubt doch ja 
nicht, dafs für dieses Gebiet Verödung und Entvölkerung besser 
sei, als die Anwesenheit befreundeter Völkerschaften. War doch 
vormals dies Gebiet bewohnt und bebaut von germanischen 
Völkerschaften (deren Namen aufgezählt werden). Wie der 
Himmel den Göttern, so sind die Ländereien dem Geschlechte 
der Sterblichen gegeben; und wenn sie leer sind, dann sind sie 
Gemeingut.« 

Und dann sprach der greise germanische Häuptling, zur 
Sonne aufblickend und die übrigen Gestirne des Himmels an- 
rufend, als wenn sie anwesend wären: 

»Ich frage Euch, möchtet ihr lieber auf ein bebautes als 
auf ein wüstes Land herabblicken wollen? Möchtet Ihr doch 
lieber das Meer über dies Gebiet hereinbrechen lassen, als die 
Menschen, die uns der fruchtbringenden Erde berauben!« 

Avitus anfangs hierdurch bewegt, entgegnete: 

»Man mufs die Herrschaft des Stärkeren dulden. Die 



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Götter, welche Du anrufst, haben nun einmal beschlossen, dafs 
es bei den Römern stehe, darüber zu befinden, was sie gut er- 
achten zu geben oder zu nehmen, und dafs Niemandem als ihnen 
selber eine Entscheidung darüber zusteht.« 

Das war die Antwort, die er den Ampsivariern öffentlich 
gab. Dem Bojocalus aber selbst sagte er heimlich, ihm wolle 
er in Berücksichtigung seiner bewährten römerfreundlichen Ge- 
sinnung Ländereien anweisen. Bojocalus aber erwiderte: »Das 
mufs ich als eine Bestechung, oder als einen Lohn des Verraths 
an meinem Volke zurückweisen, es kann uns wohl an Boden 
fehlen, worauf wir leben, aber nicht an solchem, worauf wir 
sterben.« So wurde das römische Programm aufrecht erhalten. 

Aber es kam die Zeit, wo das Programm unausführbar 
wurde. Denn wenn man sein Recht nur auf seine Macht stützt, 
so hört mit dem Schwinden der Macht auch das Recht auf. 
Man kann sich dieser Anwendung des eigenen Prinzips in ent- 
gegengesetzter Richtung nicht entziehen. So lange die Römer 
die Macht hatten, pflegten sie die besiegten Fürsten in den 
mamertinischen Gefangnissen erdrosseln zu lassen und deren 
Völker auszurotten oder sonstwie zum Schweigen zu bringen. 
»Die Verödung des Landes nannten sie den Frieden,« solitudinem 
pacem apellant, sagt Tacitus. Die germanischen Völkerschaften, 
welchen die Römer noch nicht einmal die Bebauung der ver- 
ödeten Ländereien gestatten wollten, protestirten dagegen. 
Zuerst durch das Wort, d. i. durch den Mund des Bojocalus, 
der die Wahrheit verkündete, dafs der Boden zur Bewirt- 
schaftung da sei, und dafs eine Verwüstung nicht einer 
Bewirthschaftung gleich zu erachten. Dann aber durch die 
That, d. h. durch die Zerstörung des römischen Reiches, das 
neben sich kein anderes Land und kein anderes Volk anerkennen 
und für sich alles Land monopolisiren wollte, das Gott den 
Menschen und nicht blos den Römern, gegeben. Und nun ent- 
stand ein internationales Recht in folgender Weise: 

Zwischen den zahlreichen germanischen Völkerschaften, die 
das weströmische Reich über den Haufen warfen, bestand bei 
aller Verschiedenheit eine Einheit, die sie zu einer Art Völker- 
staat zusammenfafste. Diese Völker — mit Inbegriff derjenigen, 
die sich in weiland römischen Ländern niederliefsen und 
romanische Sprachen adoptirten — waren sogar insoweit eine 



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Nation, als sie wechselseitig ihre Verwandtschaft und ihre volle 
Existenzberechtigung anerkannten. Diese Gemeinschaft wuchs, 
als diese Völker nach und nach zum Christenthum übertraten. 
Sie suchten eine dieser Idee entsprechende äufsere Gestaltung 
zu finden durch Wiederherstellung einer Weltmonarchie, die an 
der Spitze des europäischen, romano-germanischen Völkerstaates 
stehen sollte. Der römische Kaiser deutscher Nation sollte das 
weltliche Oberhaupt, der römische Papst das geistliche Ober- 
haupt der ganzen Christenheit werden. Nach der hierarchischen 
Weltanschauung des Mittelalters aber war der Papst der oberste 
Lehnsherr und Schiedsrichter aller Völker, und der Kaiser nur 
der oberste Kronfeldherr desselben. 

Diese Idee über das wechselseitige internationale Verhält- 
niss der Völker und Staaten Europa's und die gemeinsame 
kirchliche Spitze, welche dies universalistische Gebäude krönen 
sollte, fand auch auf dem Gebiete des Colonialrechts ihren Aus- 
druck. Die Herrschaft der Christen über die nichtchristlichen 
aufsereuropäischen Länder wurde als im Princip feststehend be- 
trachtet und der Papst gerirte sich als die oberste Autorität, 
welcher es zustehe, die Erde zum Zwecke dieser Beherrschung 
zu vertheilen. Als im fünfzehnten Jahrhundert die Spanier und 
die Portugiesen stritten in Betreff der aufsereuropäischen Länder, 
welche sie entdeckt oder occupirt hatten, oder noch zu ent. 
decken oder zu occupiren gedachten, warf sich der Papst zum 
Schiedsrichter in diesem internationalen Streit auf, indem er 
eine Linie von Norden nach Süden zog, durch welche die 
beiderseitigen Occupations-, Eroberungs- und Colonisationsgebiete 
für immer abgegrenzt werden sollten. In diesem Recht, über 
die ganze Erde zu verfügen, namentlich aber über die nicht- 
christlichen Völker, welche man sehr oft mit Unrecht als 
«Wilde« bezeichnete — denn die Eingeborenen von Mexico und 
Peru waren humaner und cultivirter als die spanischen Conquis- 
tadoren — in diesem Rechte oder in dieser Anmafsung, finden 
wir denn auch ein Wiederaufleben der Anschauung des Dubius 
Avitus, welcher verkündigte, Rom allein habe darüber zu be- 
finden, was es den Andern zu geben oder zu nehmen für gut 
erachte. 

Mit dem sechzehnten Jahrhundert begann sich der Sieg auf die 
Seite der weltlichen Macht und des nationalen Königthums zu neigen. 

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Das internationale Richteramt des Papstes verlor alle und jede 
Bedeutung. Nicht nur England und Holland, sondern auch 
Frankreich weigerten der päpstlichen Demarcationslinie jede An- 
erkennung. Heinrich VII. und Elisabeth von England sandten 
ihre Schiffe aus, um auf dem vom Papste vergebenen Gebiete 
Entdeckungen zu machen; und es entstanden manche Colonial- 
kriege, in welchen gewöhnlich Diejenigen Sieger blieben, welche 
sich nach dem Richterspruche des Papstes im Unrecht be- 
fanden. 

An die Stelle des früheren Völkerrechts trat das des »euro- 
päischen Gleichgewichts«, über welches die Grofsmächte mit 
eifersüchtigen Blicken wachten. Indefs auch der Bestand der 
Grofsmächte war nicht unabänderlich. Im siebzehnten Jahr- 
hundert gehörten Spanien und Schweden unzweifelhaft zu den- 
selben Heute beginnt Italien in deren Reihe aufzurücken. 
Auch der Ausdruck »europäische Pentarchie« beginnt zu ver- 
alten. 

Aus dieser Periode sind eine Anzahl interessanter Streit- 
fälle zu verzeichnen, in welchen in der Regel die gesunden 
Principicn siegten. Man findet eine Darstellung derselben bei 
Wheaton. Ich will nur einen erwähnen. Im Jahre 1790 stritt 
England mit Spanien über den Nutka - Sund. Spanien nahm 
den ganzen Besitzstand aus der Zeit Jacobs des Ersten von 
England für sich in Anspruch, ohne weitere Besitzhandlungen 
nachweisen zu können; es berief sich auf Art. 8 des Utrechter 
Friedens. England machte geltend, dafs dies nicht genüge, nur 
durch Specification, nur durch Niederlassung und Cultivirung ver- 
möge man Eigenthum zu gewinnen. 

Aus dieser Darlegung der Geschichte der internationalen 
Rechtsentvvickelung ergiebt sich, dafs die Occupation nicht nur 
Rechte giebt, sondern auch Pflichten auferlegt und dafs der 
Staat, der für das occupirte Gebiet nichts thut, seine Rechte 
an demselben wieder preisgiebt. Dies errinnert an die berg- 
rechtlichc Vorschrift, wonach ein Bergwerk, das man nicht be- 
treibt, wieder »in's Freie fällt«. 

Ein wichtiger Fortschritt auf dieser Bahn wird durch die 
im Februar 1885 auf der Berliner Conferenz vereinbarte Congo- 
Generalacte markirt, welche Deutschland am 8. April 1885 
ratificirt hat. Sie ist allerdings nur eine Vereinbarung unter 



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den Contrahenten, unter welchen wir z. B. die vereinigten 
Staaten vermissen. Auch beschränken die Vertragsvorschriften über 
Occupation ihre Wirksamkeit auf die Küsten des africanischen 
Festlandes. Aber wir wissen, das Völkerrecht ist in einer ge- 
deihlichen Fortentwickelung begriffen und Vereinbarungen, welche 
nur für einen gegebenen Fall getroffen sind, pflegen sich zu 
generalisiren und durch wiederholte Anerkennung nach und nach 
zu der Würde eines allgemein geltenden völkerrechtlichen Grund- 
satzes emporzuschwingen, namentlich wenn sie so sehr den Nagel 
auf den Kopf treffen, wie diese. 

Die Generalacte der Berliner Conferenz, Kap. VI. Art. 34, 
setzt die Bedingungen fest, »welche zu erfüllen sind, damit neue 
Besitzergreifungen an den Küsten des africanischen Festlandes 
als effective betrachtet werden. 4 

Um die Occupation zu einer «effectiven« zu machen, mufs 
vor Allem der Occupant in dem Land, von welchem er Besitz 
ergriffen, eine ordnungsmäfsig constituirte Obrigkeit einsetzen, 
welche stark genug ist, um Schutz zu gewähren und die Ver- 
pflichtungen zu erfüllen, welche durch die Congo - Acte für das 
Vertragsgebiet festgesetzt sind. 

Zu diesen Verpflichtungen gehört: 

1. Aufrechterhaltung der Handelsfreiheit; 

2. Zulassung aller Flaggen; 

3. Verhinderung der Ertheilung von Privilegien und 
Monopolen; 

4. Anerkennung der Neutralität der in das Vertrags- 
gebiet inbegriffenen Territorien; 

5. Durchführung der Niger- und Congo-Schiffahrtsacte; 

6. Verbot von allen Zöllen und Abgaben, welche den 
Betrag der gemachten Aufwendungen überschreiten 
oder dem Princip von Leistung und gleichwerthiger 
Gegenleistung widersprechen ; 

7. Anerkennung der Religionsfreiheit und Beschützung 
derselben. 

In formeller Beziehung schreibt die Congo - Acte vor, dafs 
die Mächte, welche dort Besitz ergreifen oder eine Schutzherr- 
schaft (Protectorat) ausüben wollen, hiervon den übrigen Ver- 
tragsmächten Anzeige zu machen haben, um sie dadurch in 

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Stand zu setzen zu reclamiren, d. i. ihr älteres oder besseres 
Recht nachzuweisen. 

Was das centrale Africa anlangt, so haben wir dort nunmehr 
zu unterscheiden zwischen: 

i. dem conventionellen Gesammt-Freihandels-Gebiet, wie 
solches gemäfs der Generalacte Cap. I, Art. I und 
durch die in § 3 vorgesehene Verlängerung der Zone 
definitiv festgestellt worden ist; 

2. dem geographischen Begriffe des Congo-Beckens, wie 
dessen östliche Grenze namentlich durch Art. 1 und 2 
festgestellt worden ist, und endlich 

3. dem politischen Gebiete der internationalen Gesell- 
schaft, oder nunmehr des Congo- Staates, wie solches 
durch die Verträge zwischen der Gesellschaft auf der 
einen, sowie Frankreich und Portugal auf der anderen 
Seite festgestellt und durch das Deutsche Reich 
durch Vertrag vom 8. November 1884 anerkannt 
worden ist. 

Gelöst ist jedoch bis dahin nicht die Hauptstreitfrage, welches 
Land ist völkerrechtlich occupirbar? 

Die Antwort lautet gewöhnlich: »Staatenloses, gänzlich un- 
bewohntes Land darf man occupiren.« Das steht aufser Zweifel. 
Aber dadurch ist wenig entschieden. Denn erstens giebt es nur 
noch wenig dergleichen; und zweitens wird keine Macht grofses 
Occupationsgelüste nach solchem Lande empfinden. Ob Be- 
nutzung des Bodens blofs zu Weide und Jagd einen ausschliefs- 
lichen Besitz bilden, welcher eine Occupation hindert, ist eine 
bestrittene Frage. Sie wird verneint von HetTter, welchen ja 
bekanntlich der preufsische Minister - Vice - Präsident von Putt- 
kammer als oberste Autorität angerufen. Hcfifter sagt nämlich, 
kein Staat habe das Recht, seine Herrschaft auch noch so rohen 
Völkern aufzudrängen. Bleibt also eigentlich nur der friedliche 
Ankauf von überseeischen Ländereien zum Zweck der land- 
wirtschaftlichen Ansiedelung oder Handelsniederlassung, — ein 
Verfahren, welches zuerst, und mit gutem Erfolg, die Puritaner 
in Neu-England und die Quäker in Pensylvanien eingeschlagen 
haben, und welches heute noch eine Grundlage der Unions- 
politik bildet: Denn auch heute noch wird keine »Reservation« 
der Rothhäute in Besitz genommen, die nicht zuvor von der 



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Regierung bezahlt worden wäre. Diesem Verfahren stellen sich 
jedoch in Africa besondere Schwierigkeiten entgegen. Denn 
sehr oft wird die Legitimation desjenigen bestritten, welcher als 
Verkäufer auftritt; und bei der aufserordentlichen Anzahl kleiner 
Zaunkönige, welche im schwarzen Welttheil durcheinander 
wimmeln und das Geld so sehr lieben, dafs sie geneigt sind, 
alles zu verkaufen, auch das, was ihnen nicht zusteht, ist die 
Frage dieser Legitimation schwierig und verwickelt. Endlich 
existirt auch kein Tribunal zur Entscheidung derselben und in 
Ermangelung eines solchen ist es z. B. in Kamerun zum Blut- 
vergiefsen gekommen. 

Vergleichen wir die überseeische und coloniale Politik, wie 
sie durch die Generalacte vom Februar v. J. inaugurirt wird, 
mit jener engherzigen, gewaltthätigen und] raubgierigen Colonial- 
politik von Ehedem, wie ich solche in meiner historischen Skizze 
zu characterisiren versucht habe, — jener Politik, welche ge- 
richtet war auf Handels- und Colonial-Monopole, auf finanzielle 
Ausbeutung, Uebervortheilung und Unterdrückung der Colonien 
und der Eingeborenen in denselben, auf Erwerbung und Ausdehnung 
durch Waffengewalt, auf Ausschliefsung der Wettbewerbung der 
Nationen und der internationalen Arbeitstheilung, — jener Politik, 
die mit einer Verblendung, die immer unbegreiflicher, widerspruchs- 
voller und hartnäckiger wurde, gegen den immer mächtiger sich ent- 
wickelnden Weltverkehr das veraltete Banner bornirter Handels- 
fcindseligkeit erhob, mit stets kraftloser werdenden Händen; so 
können wir nicht zweifelhaft darüber sein, dafs jener Politik die 
Zukunft gehört und nicht mehr dieser. 

So viel über die völkerrechtlichen Fragen. Was die 
staatsrechtlichen anlangt, so stehen dieselben im Begriffe, 
für die überseeischen deutschen Schutzgebiete durch die Reichs- 
gesetzgebung geregelt zu werden. 

Diese Territorien, welche zum Theil noch nicht eine feste 
Gestalt angenommen haben, weder in Betreff der Gesellschaften, 
die grofsentheils nicht einmal Corporationsrechte besitzen, noch 
in Betreff der Gebiete, ihrer Ausdehnung und ihrer Begrenzung, 
bilden keineswegs integrirende Bestandttheile des reichsstaatlichen 
Gebietes. Sie gehören noch weniger zu dem Territorium irgend 
eines einzelnen deutschen Staates. Sie sind auch nicht Reichs- 
land, wie Elsafs-Lothringen. Aus der Stellung dieses Reichs- 



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landes, seiner Gesetzgebung und Rechtspflege, Analogieen für 
unsere Schutzgebiete in Oceanien, Ost- und Westafrica herleiten 
zu wollen, würde gänzlich verkehrt sein. Man wollte das er- 
oberte Elsafs- Lothringen nicht zerstückeln und unter einige 
Einzelstaaten vertheilen, defshalb machte man es zu Reichsland; 
um es ungetheilt zu erhalten und Eifersüchteleien der Einzel- 
regierungen vorzubeugen, stellte man es unter die Gesammt- 
souveränetät aller deutschen Regierungen, wie sie im Bundesrath 
repräsentirt ist. Defshalb war der Kaiser von 1873 ab an die 
Zustimmung des Bundesrates gebunden. 

Es handelte sich hier um hochcultivirte Länder mitten in 
Europa, welche einer vollständigen Regierung bedürfen und be- 
rechtigt sind, grofse Ansprüche an dieselbe zu machen. Ganz 
anders ist es mit jenen oceanischen und africanischen Gebieten, 
welche in der That gar nicht wüfsten, was sie mit einem solchen 
kostspieligen und luxuriösen Regierungsapparate anfangen sollten. 
Zunächst fällt die Fürsorge und die Verantwortlichkeit aus- 
schliesslich der Thätigkeit der Einzelnen und der Gesellschaften 
zu, welche diese Niederlassungen unternommen haben. Den 
Macht- und Rechts-Schutz aber gewährt der Kaiser als oberster 
Schirm- und Kriegsherr. 

Die Colonieen, oder richtiger: »Schutzgebiete«, sind weder 
Reichsland, noch Inland, noch Ausland. Sie stehen in der Mitte 
zwischen In- und Ausland. Sie stehen uns näher als das Ausland, 
sie sind aber noch kein Inland, und es ist auch aus wirtschaft- 
lichen und rechtlichen Gründen zur Zeit gänzlich unmöglich, sie 
dazu zu machen. Sie sind Kaiserland, und die Schutzgewalt ist 
dem Kaiser allein zu übertragen. Es wäre rechtlich unstatthaft 
und im höchsten Grade unzweckmäfsig, den Kaiser an die jedes- 
malige Zustimmung des Bundesrates zu binden. Was die Volks- 
vertretung des Reichs anlangt, so mufs dieselbe, gegenüber 
völlig unfertigen Zuständen, welche sich zur Zeit noch der 
Reichsgesetzgebung entziehen, vorerst mit dem Budget-Rechte 
sich begnügen. Wenn und soweit aber die Reichsgesetzgebung 
dereinst einzugreifen hat, mufs dieselbe von allen verfassungs- 
mäfsigen Factoren ausgeübt werden; und es liegt durchaus kein 
Grund vor, den Einen, den Reichstag, zu Gunsten des Andern, 
des Bundesraths, zu ecelipsiren. Recht und Rechtsprechung sind 
nach Analogie der Reichsconsulargerichtsbarkeit (Gesetz vom 



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10. Juli 1879), cum grano salis, zu regeln. Ein Mehreres wäre 
vom Uebel. 

Doch nun genug. Ich habe Ihre Zeit und Ihre Aufmerk- 
samkeit vielleicht in einem zu hohen Grad in Anspruch ge- 
nommen, vielleicht auch mir eine so umfassende Aufgabe 
gestellt, dafs deren Bewältigung in der zugemessenen Zeit un- 
möglich ist, — wenigstens für meine bescheidenen Kräfte. 

Im Wesentlichen habe ich Ihnen Hergänge erzählt, welche 
der Vergangenheit angehören. Ich habe Thatsachcn referirt, 
ohne sie künstlich oder tendenziös zu gruppiren oder zu färben m 
Ich habe sie wiedergegeben, wie ich sie gefunden, unter ge- 
flissentlicher Vermeidung aller gegenwärtig üblichen Schlagworte. 

Ein grofser österreichischer Staatsmann, der zu Anfang der 
fünziger Jahre regierte und sich mit weltumfassenden und grund- 
stürzenden Plänen trug, zu deren Verwirklichung er alle die 
ausgezeichneten Kräfte seines Geistes und seines Willens ein- 
setzte, erklärte feierlich: »Ich kann aus der Geschichte nichts 
lernen». Aber all' seine Pläne sind zu Schanden geworden, und 
das Wenige, das er geschaffen, hat nicht lange bestanden. 

Daraus schliefse ich, er hätte in der That besser daran 
gethan, die Lehren der Geschichte zu Rathe zu ziehen. 

Ich schliefse mit der Hoffnung, dafs unser deutsches Vater- 
land die Erfahrungen und die Lehren, welche ihm die Geschichte 
der Colonialbestrebungcn der modernen Völker darbietet, nicht 
aufser Acht lassen werde. 



Druck von Leonhard Simion, Berlin S\V. 



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COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES 

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DATE DUC 


































































































































C28(747> MIOO 









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