Himmel und Erde
Urania-Gesellschaft
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Himmel und Erde
Urania-Gesellschaft
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I
I
i
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Himmel und Erde
Illustrierte naturwissenschaftliche Monatsschrift.
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Himmel und Erde.
Illustrierte
naturwissenschaftliche Monatsschrift.
Herausgegeben
von der
GESELLSCHAFT URANIA ZU BERLIN.
Redakteur: Dr. P. Schwahn.
XI. Jahrgang.
BERLIN.
Verlag von Hermann Paetel.
1891).
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PUBLIC LIBRaryI
*STOW. LENOX AND
t'nberectaligtei' Nschdrut k aus dorn Inhalt dieser Zeitschrift uul«r»agt.
t'ber*et/uo(f8recht vorbehalten.
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Verzeichnis der Mitarbeiter
am XI. Bande der illustrierton naturwissenschaftlichen Monatsschrift
„Himmel und Erde".
Blankenborn, M.. Dr., in Cairo. . Less, E., Dr., in Herlin.
Turtze, M., Prof. Dr., in Thorn Maafs, G, Dr.. in Berlin.
Foerster, W., Prof. Dr., in Berlin. Müller, C, Pn>f. Dr., in Berlin.
Fi eh de, P., in Schönebock a. K, Müller, P., in Zittau.
Ginzol, F. K, in Berlin. Rümker, G., in Hamburg.
Günther, L., in Stettin. Scbeiner, J., Prof. Dr., in Potsdam.
Häpke, L., Dr., in Bremen. Schmidt, A., Dr., in Berlin.
Hahn, R.. in Leer. Scliwahn, P.. Dr., in Berlin.
Jacobowski, A., in Bromberff. Spies, P., Dr., in Berlin.
Keilhack, K., Dr., in Berlin. Sürinj;, F., Dr., in Potsdam.
Kny, L., Prof. Dr., in Berlin Wcnsky, W, in Berlin.
Kronecker, F, Dr., in Berlin. Witt, G., in Berlin.
Koerbor, F., Dr., in Steglitz. Zimmermann, A., Prof. Dr.. in Bni-
Koppe, C, Prof. Dr.. in BrHun*<.hweijr. tenzorg.
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Inhalt des elften Bandes.
Grössere Aufsätze.
Seit«
Die hrd- und Lander-Vermessung und ihre Verwertung. V on Prof. C. Kopp«
■i. in
'Die Spektralanalyse. Von Dr. F. Korrber in Steglitz . . 2K. (i<). 1 22.
171
'Das Märchenland des Yellowstone. Von Dr. P. Schwann in Berlin.
49
*Lichtelektri§che Telegraphie. Von Dr. P. Spies in Berlin
ot>
Keplers Traam vom Mond. Von Ludwig Günther in Stettin
97
Die üpih'iitung der »urzel lur das Leben der rtlanze. von rrol. l>. Kny
in Berlin
14.'.
'Nicolaus (]oppernicus. Von Prof. M. Curtze in Thorn 193. 260. 315. 362.
405
Die neueste Erzeugung reinen Sauerstoffes und dessen wirtschaftliche Be-
deutung. Von Dr. L. Hapkc in Bremen
226
'Der Botanische (jarten zu üuitenzorg auf Java. Von Prof. A.Zimmer-
241
Die Lehre von der Bewegung der Erde im griechischen Altertum. Von Prof.
Wilhelm Foerater in Berlin
2S9
•Eine Reise ins neue Goldland Alaska im Jahre 1898. Von Oberleutnant
348
Nachtrag zu: Die Temperatur der Sonne. Von Prof. J. Scheiner in
322
337
385
•Erinnerungen an die Erdbebentage in Laibach. Von Dr. P. Schwann in
Berlin 392.
4<;r>
Das lilühen der festen Körper Von Prof. J. Scheiner in Potsdam.
433
•Die Erhaltungsweise der vorweltliehen Lebewesen. Von Dr. K Keilhack
in Berlin
441
Die Meeresforschnng der liegenwart, ihre Ergebnisse and Probleme. Von
P. Joh. Müller in Zittau
481
"Südafrikas Diamanten. Von P. Frehde in Schönebeck a. E
501
'Das Erreichen der Erdpole mit Hilfe von Eisbrechern. Von R Hahn in Leer
507
Die allgemeine Zirculation der Atmosphäre. Von Dr. E. Legs in Berlin . 52!)
543
Der Malteserritter d'Angos. Von Adol f Jacobo wski in Bromberg
554
VIII Inhalt.
S f 1 1 r
Mitteilungen.
Kin nener Planet zwischen Erde nnd Mar«! , , , . , ai
Die grSfsten astronomischen Kefraktoren 40
Bcwegnng des roten Jnpitertlecks 41
tieographische Verhrcitun:; der Krdhehen in den Vereinigten Staaten nnd aul
Hawaii , ; , . ; . , . , . . . . . . . . . . . . LI.
Astronomische Pendeluhren ohne Kompensation , . 43
Fossile Krdbehenspuren u
• Blitzphotographie . . 1 34
Pas Nordlicht vom !) September !:'■«;
I>ie lliintgenstrahlen . . 137
Kin bedeutender Fortschritt in der Photographie Ikhtschwacher Himmels
ohjekte 183
Das Xecmannsche Phänomen 18/»
Astronomische Fragen in der allorientalisc hen Chronologie ls'i
Über da« grofse Teleskop der Pariser Ausstellung von ItioO ist)
Her Weltäther entdeckt? 232
lläuligkeit der Erdbelien in Niederländisch- Indien 233
Has Spektra» von Atair 23 ö
I >i t- Siumenllnstprnis des ihalev . . , . , , , , . 2IH
Archäologisch-Astronomisches 281
Ans der interessantesten l.cheiisperiode Michael Karadays -JS3
Das Spektrum des Androniedanehels und dessen Beziehungen zu unserem Ki\-
slernsystem .
"Künstliche Sonnenllecken 3*J>
Päimncrnngsstreiten als Witterungs Aiizeirlien ...
Prähistorische Meteorsteine 37t;
* l>ie Spandauer Versuche zur Bestimmung der mitliefen Dichte der Knie ■'■77
Die Kar he des Wassers . 4 ' ■
Das grolsc Potsdamer Fernrohr 4L' 4
•«Helschens irkung . . . , . 4 '-'■">
Kntdccknng eines neuen SaUirnmondes 4Ji:
Durstige Schmetterlinge IJti
Maniniutriiiid in Klondyke 427
ingeniöse Verwendung \ erllhssigtcr liase 428
Beichtum einzelner Sternhaufen an veränderlichen Sternen : : , . , , . 473
Knldeckung der Sonnciilinsternis des Agalhueles aul einer Inschrift . . . . 47~>
Die Temperatur des Mondes . 177
•Blitzableiter für elektrische Leitungen 47S
Zur Kntsv ickelnngsgeschichle der liestir ne ril3
Iber die I rsachen der l'olscliwankiiiigen ~>M'.
Hie drei Aggregatzustände öl 7
'Lichtenbergs Figuren nnd Wechselslromantersnchong '<is
Musi helkrebse als Lnftsihitfer • r>22
Klima lies Klond\ ke -(iehietes 3
Kür die Mondtheorie wirblige historische Sonnenfinsternisse 'mh;
Protuberanzenhöhe und Sonnentteckenperiode .i"0
Die Scln\ anklingen der Spitze des Kifl'elturius . '»72
Inhalt. IX
Bibliographisches.
Violle, J.: Lehrbuch der Physik 45
Richter. A.: Kalendersehe ibc zur rmcclmung aller möglichen Daten in
jnlianischcs oder gregorianisches Datum -4 * ■
tirnnniarh. L.: Die physikalischen Erscheinungen und Kräfte 96
ȟllcr-Pouillet: Lehrbuch der Physik und Meteorologie. 9. Aufl. II. Bd. . 130
Kaiserling, f.: Praktikum der wissenschaftlichen Photographie .... 140
Verzeichnis der der Induktion zur Be sprechnng eingesandten Bücher ... 141
Studniekit. F. J,: Bis ans Knde der Welt ISO
Thompson. S. 1'.: Iber sichtbares und unsichtbares Licht 1SD
Hühner: Geographisch-statistische Tabellen. Ausgabe 1VS 10O
Kohelt. W.: Studien zur Zoogeogi aphie 190
Schulie, J.: Nautik 237
Neubau!"*. R. : Die Farbenphotographie nach Lippmauns Verfahren . . . 238
Meyers Konversations - Lexikon. ■">■ Auflage, 18. Band, Ergänzungen und
Nachträgt» 238
l'lafsmann. J.: Himmelskunde 287
Rosenberger. F.: Die moderne KiU vnckeinug der elektrischen Principien :'>:.;:;
Newton. J: Optik oder Abhandlung über Spiegelungen, Brechungen,
Beugungen und Farben des Lichtes 334
Verzeichnis der der Heilaktion zur Besprechung eingesandten Bücher . . -<'M
Müller, fl : Die Photometrie der Centime , , . . , , . , , 3Ä2
Scheiner. ■).: Die Plmtogi ^phie d. r Gestirne ;'.s-j
Brückner. K. : Die feste Krdrindi- und ihn- Formen . , l.'il
Morich. H-: Bilder aus der Mineralogie 526
Schmidt. K. ¥,. F.: Experirnental -Vorlesungen über Elektrotechnik . . . 527
Hann, Hochstetter nnd l'okorny: Allgemeine Erdkunde, III. Abt. .... 573
F.der. J. M.: Jahrbuch für Photographie und Reproduktionstechnik für das
■Jahr iv H) :,74
Mix & Genest: Anleitung zum Bau elektrischer Haustelegraphen-, Telephon-,
und Blitzableiteranlagen .">T4
\ "erzeiclinis der der Redaktion zur Besprechung eingesandten Bücher . . . 57'.
Himmelserscheinungen.
Für October und November 1808 46
» Detember 1808 und Januar 1800 .... 142
„ Februar und März 1899 230
„ April und Mai 1809 331
, Juni und Juli 1800 429
„ August und September 1809 525
Sprechsaal.
Herrn Prot. ß. in Ulm 102
Mitteilung, betreffend die Heransgabe eines astronomischen Jahresberichte« . 336
Namen- und Sachregister
zum elften Bande.
Agathokles, Entdeckung der Sonnen-
finsternis des, auf einer Inschrift 475.
A ^gregatzustände, Die drei 517.
Alaska, Eine Reise ins neue Gold-
land, im Jahre 1898. 300. 348.
Andromedanebels, Das Spektrum
des, und dessen Beziehungen zu
unserem Fixsternsystem 325.
d'Angos, Der Malteserritter 554.
Archäologisch - Astronomisches
281.
Astronomische Fragen in der alt-
orientalischen Chronologie 18G.
Astronomischen Jahresberich-
tes, Mitteilung, betreffend die Her-
ausgabe eines 336.
Astronomische Pendeluhren ohne
Kompensation 43.
Atair, Das Spektrum von 235.
Atmosphäre, Die allgemeine Zir-
kulation der 529.
Blitzableiter für elektrische Lei-
tungen 478.
Blitzphotographie 134.
Botanische Garten, Der, in Buiten-
zorg auf Java 241.
Brückner, E.: Die feste Erdrinde und
ihre Formen 431.
Bücher, Verzeichnis der der Re-
daktion zur Besprechung einge-
sandten 141. 334. 574.
ßuitenzorg auf Java, Der Botanische
Garten zu 241.
Chronologie, Astronomische Fragen
in der altorientalischen 18G.
Coppernicus, Nicolaus 193. 260. 315.
362. 405.
Dämmerungs - Streifen als Witte-
rung»-Anzeichen 330.
Diamanten, Südafrikas 501.
Dichte, Die Spandauer Versuche zur
Bestimmung der mittleren, der Erde
377.
Ed er, J. M.: Jahrbuch für Photo-
graphie und Reproduktionstechnik
für das Jahr 1899. 574.
Eiffelturmes, Die Sch wankungen der
Spitze des 572.
Eisbrechern. Das Erreichen der Erd-
pole mit Hilfe von 507.
Elektrische Haustelegraphen,
Telephon- und Blitzableiteranlagen.
Herausgegeben von Mix und Genest.
574.
Elektrische Leitungen, Blitzab-
leiter für 478.
Elektrischen Prinzipien, Die
moderne Entwickelung der. Von
F. Rosenberger 333.
Elektrotechnik, Experi mental- Vor-
lesungen über. Von E. F. Schmidt 527.
Entdeckung eines neuen Saturn-
mondes 426.
Erdbeben, Geographische Verbrei-
tung der, in den Vereinigten Staaten
und Hawaii 42.
Erdbeben, Häufigkeit der, in Nieder-
ländisch-lndien 233.
Erdbebenspuren, Fossile 91.
Erdbebentage in Laibach, Erinne-
rungen an die 392. 400.
Erd- und Länder-Vermessung und
ihre Verwertung 1. 49. 127. 209.
Erde, Die Lehre von der Bewegung
der, im griechischen Altertum 289.
Erde, Die Spandauer Versuche zur
Bestimmung der mittleren Dichte der
377.
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XII
Inhalt.
Erdo und Mar9, Ein neuer Planet
zwischen,! .'57.
Erdkunde, Allgemeine. Von Hann,
Hochstettcr und Pokorny 57.*;.
Erdrinde, Die feste, und ihre Formen.
Von E. Brückner 431.
Ei d pole, Das Erreichen der, mit Hilfe
von Eisbrechern 507.
Erhaltungsweise, Die. der vorwelt-
licheu Lebewesen 441.
Faradays, Aus der interessantesten
Lebensperiode Michael 28."».
Farbcnphotographie nach Lipp-
manns Verfahren. Von Ii. Neuhaufs
23*.
Feuer bergen, Von Javas 543.
Fernrohr, Das grofse Potsdamer 424.
Fixsternsystem, Das Spektrum des
Androniedanobels und dessen Be-
ziehung zu unserem '525
Gase. Ingeniöse Verwendung verflüs-
sigter 428.
Geographisch - statistische Tabellen,
Ausgabe 1SJ.S. Von Hübner 190.
Gestirne, Die Photographie der. Von
J. Scheiner 382.
Gestirne, Die Photometrie der. Von
G. Müller 382.
Gestirne, Zur Entwickelungs - Ge-
schichte der 5 Iii.
Gletscherwirkung 425.
Glühen. Das, der festen Körper 4.'»"..
• loldland Alaska, Eine Reise ins
neue, im Jahre 1S!»8. 300. 34S.
Gravitation. Die 337.
Griechischen Altertum, Die Lehre
von der Bewegung der Erde im 28!).
Grunmach, L. : Dio physikalischen
Erscheinungen und Kräfte
Hann, Hochstetter und Pokorny: All-
gemeine Erdkunde 573.
Hawaii, Geographische Verbreitung
der Erdbeben in den Vereinigten
Staaten uud auf 12.
Himmelserscheinungen, übersieht
der, für Oktober und November 1898
4fi.
Uini in elserschein ungen, Übersicht
der, Tür Dezember und Januar
18(ti>. 142.
H i ra m o 1 s e r s c h e i n u n ge n. Ü bersicht
der. für Februar und Miirz 18:<f>. 23!».
Himmel so rsch ein ungen, Übersicht
der, für April und Mai 18!)!). 331.
Himraelse rsch ein ungen, Übersicht
der, fdr Juni und Juli 18!)!*. 42!).
Hirn melsersch ein ungen, Übersicht
der, für August und September 18!»!).
525.
Himmelskunde. Von J. Plassmann
287.
Himmelsobjckte, Ein bedeutender
Fortachritt in der Photographie licht-
schwacher 183.
Hübners Geographisch - statistische
Tabellen, Ausgabe 18?8. l!)0.
Java, Der Botanische Garten zu Bui-
tenzorg auf 241.
Javas, Von, Fouerbergon .543.
Jupiterfleckes, Bewegung des roten
41.
Kaiserl ing.C.: Praktikum der wissen-
schaftlichen Photographie 140.
Kalenderscheibe zur Umrechnung
aller möglichen Daten in julianisches
oder gregorianisches Datum. Von
A. Richter 40.
Keplers Traum vom Mond ;»7.
Klima des Klondyke-tiebietes 523.
Klondyke, Mammutfund in 427.
Klondyke-Gebiotes, Klima des 523.
Kobelt, \V. : Studien zur Zoogeo-
graphie rjo.
Konversations - Lexikon, Meyers
238.
Körper, Das Glühen der festen 433.
Laibach, Erinnernugen an die Erd-
bebentage von 3!»2. 4»;0.
Licht, Über sichtbares und unsicht-
bares. Von Silvanus P. Thompson
1S:>.
Lichtelektrisohe Tolegraphio 86.
Lichtenbergs Figuren und Wechsel-
strom-Untersuchung 518.
Lippmanns Vorfahren, Die Farben-.
Photographie nach. Von R. Neuhauf»
238.
Luftschiffer, Muschelkrebse als 522
Malteserritter, Der, d'Angos 554.
Mammutfund in Klondyke 427.
Meeresforschung der Gegenwart.
ihre Ergebnisse und Probleme 181.
Meteorsteine, Praehistorische 375.
Meyers Konversationslexikon 23*.
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Inhalt.
XIII
Mineralogie, Bilder aua der. Von
H. Morien .V27.
Mix und Genest: Anleitung zum Bau
elektrischer Haustelegraphen, Tele-
phon- und Blitzableiteranlagen 574.
Mond, Keplers Traum vom 97
Mondes, Die Temperatur des 477.
Mondtheorie. Für die, wichtige
Sonnenfinsternisse 566.
Morich. H.: Bilder aus der Minera-
logie 527.
Müller, O.: Die Photometrie der Ge-
stirne 382.
Mülle r-Pouillets Lohrbuch der Physik
und Meteorologie Vi'.h
Muschelkrobse als Luftschiffer 522.
Nautik. Von J.Schulze 237.
Nernstsche Licht. Das 385.
Neuhau Ts, R.: Die Farbcnphoto-
graphie nach Lippraanns Verfahren
•238.
Newtons, Sir Isaak: Optik oder Ab-
handlung über Spiegelungen, Brech-
ungen. Beugungen und Farben des
Lichtes 334.
Niederliindisch-Indien, Häufig-
keit der Erdbeben in 233.
Nordlicht, Das, vom !>. September
i:sg.
Pariser Ausstellung von li»00, Über
das grorse Teleskop der 18'J.
Pendeluhren, Astronomische, ohne
Kompensation 43.
Pflanze, Die Bedeutung der Wurzel
für das Leben der 145.
Photographie, Die, der Gestirne.
Von J. Scheiner 382.
Photographie und Reproduktions-
technik für das Jahr 189'J, Jahrbuch
der. Von J. M. Eder 574.
Photographie. Ein bedeutender Fort-
schritt in der. lichtschwacher Him-
melsobjekte 183.
Photographie, Praktikum der wissen-
schaftlichen. Von C. Kaisorling 140.
Photometrie, Die, der Gestirne. Von
G. Müller 3S2.
Physik, Lehrbuch der. Von J. Violle.
45.
Physikalischen Erscheinungen und
Kräfte, Die. Von L Grunmach '.'6.
Physik und Meteorologie, Lehrbuch
der. Von Müller-Pouillet 13!).
Planet, Ein neuer, zwischen Erde
und Mars! 37.
Plassmann, J.: Himmelskunde 287.
Potsdamer Fernrohr, Das grofse
424.
Praehis torische Meteor steine 37»;.
Protuberanzenhöhe und Sonneu-
lleckenperiode 571.
Refraktoren, Die gröfsten astro-
nomischen 40.
Richter, A.: Kalendorecheibo zur
Umrechnung aller möglichen Daten
in julianisches oder gregorianisches
Datum 46.
Röntgenstrahlen, Die 137.
Rosenberger, F.: Die moderne Eut-
wickelungder elektrischen Prinzipien
333.
Saturn mondes, Entdeckung eines
neunten 426.
Sauerstoffs, Die neueste Erzeugung
reinen, und dessen wirtschaftliche
Bedeutung 226.
Scheiner. J : Die Photographie der
Gestirne 382.
Schmetterlinge, Durstige 426.
Schmidt, E. F.: Experimental -Vor-
lesungen über Elektrotechnik 527.
Schulze, J.: Nautik 237.
Schwankungen. Die, der Spitze des
Eiffelturmes 572.
Silvanus, P.Thompson: Über sicht-
bares und unsichtbares Licht 18t>.
Sonne, Die Temperatur der. Nach-
trag zu: 322.
Sonnenfinsternis, Die, des Thaies
27'.).
Sonnenfinsternis, Entdeckung der,
des Agathocles auf einer Inschrift
475.
Sonnenfinsternisse, Für die Mond-
theorie wichtige historische 5f>6.
Sonnenflecken, Künstliche 328.
Sonnen flecken periode, Protu-
beranzenhöhe und 571.
Spektralanalyse, Die 26. •>:». 122.
171.
Spektrum, Das, des Andmmeda-
nebels und dessen Beziehungen zu
unserem Fixsternsystem 325.
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XIV
Inhalt.
Spektrum, Das, von Atair 23").
Spreche aal 192. 336.
Sternhaufen, Reichtum einzelner,
an veränderlichen Sternen 473.
Studnicka, F. J.: Bis ans Ende der
Welt 189.
Südafrika» Diamanten 501.
Teleskop, Uber das grofee, der
Pariser Ausstellung von 1900. 189.
Tclegraphie, Lichtolektrische 86.
Temperatur, Die, des Mondes 477.
Temperatur der Sonne 322.
Thaies, Die Sonnenfinsternis des 279.
Veränderlichen Sternen, Reich-
tum einzelner Sternhaufen au 473.
Vereinigten Staaten, Geogra-
phische Verbreitung der Erdbeben
in den, und auf Hawaii 42.
Vermessung, Die Erd- und Länder-
und ihre Verwertung 1. 49. 127.
Violle, J.: Lehrbuch der Physik 45.
Vorweltlichen Lebewesen, Die
Entstehungsweise der 441.
Wassers, Die Farbe des 423.
Wechselstromunter Buchung,
Lichtenbergs Figuren und 518.
Welt, Bis ans Ende der. Von F.J.Stud-
nicka 189.
Weltäther, Der, entdeckt? 232.
Witterungs- Anzeichen. Dämme-
rungs-Streifen als 330.
Wurzel, Die Bedeutung der, für das
Leben der PUanze 145.
Yellowatono, Das Märchenland dos
49. 109.
Zeemannsehe Phänomen, Das 1S">.
Zoogeographie. Von W. Kobelt 190.
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Dreiecksnetz L Ordnung der Königl. Preufsischen Landes- Aufnahme.
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Die Erd- und Länder- Vermessung und ihre Verwertung.
Von Professor Dr. C. Koppe in Braunschweig.
ie Anschauungen und Vorstellungen der Menschen von der
Gestalt und Gröfse der Erde, welche ihren Wohnsitz bildet,
entsprechen dem jeweiligen Stande ihrer Naturerkenntnis und
gewähren ein charakteristisches Abbild der letzteren, sowie ihrer fort-
schreitenden Entwickelung. Ungezählte Jahrtausende galt ihnen die
Erde dem unmittelbaren Anscheine nach als eine Scheibe, vom Ozean
umflutet und vom Himmelsdome überwölbt, der auf ihr ruhte; auch
Homer beschreibt sie als solche. Die griechischen Philosophen aber,
unter ihnen namentlich Pythagoras, erkannten die Unhaltbarkeit dieser
primitiven Anschauung. Sie ersetzten die Scheibe durch eine Kugel,
und nahezu zwei Jahrtausende hindurch wurde dann ihrer Lehre ent-
sprechend als unumstößliche Wahrheit angenommen, dafs die Erde
eine kugelförmige, also durchaus regelmäßige Gestalt habe, bis der
Scharfsinn des großen Newton aus theoretischen Erwägungen
folgerte, auch diese Ansicht könne der Wahrheit nicht entsprechen,
vielmehr müsse die Erde die Gestalt eines an den Polen abgeplatteten
Ellipsoides haben. Auch er ging noch von der Voraussetzung aus,
dafs die mathematische Erdoberfläche eine nach einfachen Gesetzen
gebildete und daher durch eine geschlossene Formel (Kugel, Rotations-
ellipsoid) darstellbare Fläche sei. Erst die Erdmessungsarbeiten der
letzten Jahrhunderte und namentlich diejenigen des neunzehnten
Jahrhunderts haben diese Vorstellung wesentlich modifiziert; zugleich
erfuhren die Untersuchungen zur Bestimmung der wahren mathe-
mathischen Erdgestalt eine weit gröfsere Ausdehnung und Ver-
tiefung.
Himmel und Erde. 1898 XI. 1. I
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2
Wäre die Erde ganz mit Wasser bedekt und dieses in Ruhe, so
würde seine Oberfläche der ^mathematischen" Erdoberfläche ent-
sprechen. Diese Fläche würde in jedem ihrer Teile normal zur
Schwererichtung sein, und zugleich müfste der Druck auf die Flächen-
einheit an allen Stellen derselbe, d. h. die Fläche eine „Niveaufläche"
sein. Die Oberflächen unserer Meere, aus denen die Kontinente her-
vorragen, sind in ihrer mittleren Ruhelage Teile ein und derselben
Niveaufläche, wenigstens sehr nahe; sie bilden also den einen sicht-
baren Teil der mathematischen Oberfläche der Erde. Denkt man sich
dieselben unter den Kontinenten fortgesetzt zu einer zusammen-
hängenden, die ganze Erde umschliefsenden „Niveauflächeu, d. h. einer
solchen, welche den obigen beiden Bedingungen genügt, so erhält man
die wahre mathematische Erdoberfläche, d. h. die Oberfläche des
öeoides. Dieselbe entsteht unter der Einwirkung der Schwerkraft, d. h.
der Anziehung aller Massenteilchen auf jeden ihrer Punkte sowie
unter der Centrifugalkraft infolge der Umdrehung der Erde. Da die
verschiedenen Massen, aus denen die Erdo zusammengesetzt ist, un-
gleiche Dichte häben und unregelmäfsig gelagert sind, so wird diese
mathematische Erdoberfläche keine regelmäfsige , durch einfache
mathematische Formeln ausdrückbare Gestalt haben können. An
Stelle eines geschlossenen mathematischen Ausdruckes ist daher die
folgende Definition zu setzen: Als mathematische Erdoberfläche ist
diejenige Niveaufläche der Erde zu betrachten, von welcher die Be-
grenzungsflächen der Ozeane in ihrer mittleren Lage den einen sicht-
baren Teil bilden, und die man sich unter und durch die Kontinente
entsprechend fortgeführt zu denken hat.
Die Beobachtungen und Messungen zur Bestimmung der mathe-
matischen Oberfläche der Erde geschehen auf ihrer physischen
Oberfläche, d. h. ihrer festen oder flüssigen Begrenzung. Diese ist
ganz regellos gebildet und gestaltet, wie der unmittelbare Augenschein
lehrt. Aber auoh die eben zuvor als wahre mathematische Erdober-
fläche definierte Niveaufläche hat infolge ihrer Abhängigkeit von
der Schwere, d. h. der Gesamtanziehung aller Massenteilchen, eine
sehr komplizierte Gestalt Auch sie läfst sich nur empirisch und immer
nur stückweise ermitteln, durch Messung des Abstandes einer Anzahl
ihrer Punkte von ein und derselben als Vergleichsfläche angenommenen
regelmäßig gebildeten Fläche, ganz analog wie man die plastische
Form der natürlichen Erdoberfläche durch Höhenmessungen zahl-
reicher Terrainpunkte in Bezug auf einen gemeinsamen Vergleichs-
horizont bestimmt. Dies ist natürlich ein sehr langwieriger Prozefs,
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3
und da jodo solohe Punktbestimraung die genauesten und feinsten
astronomisch-geodätischen Messungen verlangt, so ist die Arbeit der
Bestimmung der wahren mathematischen Erdgestalt zugleioh mit
der tieferen Erkenntnis und genaueren Definierung derselben gleichsam
ins Endlose gewachsen.
Solange die mathematische Erdgestalt als kugelförmig galt, ge-
nügte die Messung eines Grades eines gröfsten Kreises dieser Kugel
zur Bestimmung ihres Durchmessers und somit auch ihrer Oröfse,
daher die Bezeichnung „ Grad m essungen" für die älteren Erdmessungs-
arbeiten. Diese waren somit verhältnismäfsig einfacher Natur. Die
Newton.
Höhe desjenigen Punktes über dem Horizonte einer Beobachtungs-
station, in welchem die verlängerte Erdaxe das Himmelsgewölbe trifft,
und den alle Gestirne in ihrem scheinbaren täglichen Laufe als festen
Pol umkreisen, ist um so gröfser, je weiter vom Äquator und je
näher am Pol der Erde der Beobachter sich befindet, und bekannter-
inafsen gleich der geographischen Breite des Standortes. Mifst man
die Entfernung zwischen zwei Punkten auf der Erde, von denen der
eine genau nördlich vom anderen liegt, also in demselben Meridiane
mit ihm, so findet man für einen Polhöhen- oder Breiten-Unterschied
der beiden Punkte von einem Grade einen linearen Abstand von
nahezu 111 km. Ist die Erde eine Kugel, so hat man in diesem
Längenmafse den dreihundertundsechzigsten Teil des ganzen Erd-
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1
e
n
er
en
rde
die
der
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lema-
velcbe
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gebiete
ng und
aftlicher.
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hon Ma Ts-
Geometrie,
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ier mathoina-
Vergleichung
Igt
m ist die Auf-
ewton. Schon
if den Gedanken
Jen Mond anstatt
■isen, die auf der
Wirkt diese Kraft
irten quadratischen
tvitations-Gesetz als
n, welches das ganze
vifsten Himmelskörper
littlere Entfernung des
uesser. Aus der Gröfse
des läfst Bich sein Fall
liichst in Teilen des Erd-
nach bekannt ist, auch in
gegen die Mitte H«»^ sieben-
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4
umfanges gemessen und kann daraus die Länge des gräteten Kugel
kreises und den Radius der Erdkugel leioht berechnen. Auf solche Weise
bestimmte schon Erathostenes angenähert die Gröfse der Erde.
Nahezu zwei Jahrtausende vergingen, bevor man erkannte, dafs
die Länge der Meridian-Grade nicht unter allen geographischen Breiten
die gleiche ist, sondern um so gröTser wird, je mehr man sich den
Polen nähert Erst die im vorigen Jahrhundert von den Franzosen
in Peru und in Lappland, also unter sehr verschiedenen geographischen
Breiten vorgenommenen Gradmessungsarbeiten bewiesen dies zweifel-
los. Sie führten zu einer genaueren Kenntnis der Gestalt und Gröfse
der Erde, sowie zugleich zur Bestimmung des metrischen Mafssytems,
indem man die Einheit desselben, das Meter, als vierzigmillionsten
Teil eines Erdmeridianes definierte. Teilt man den Kreis nach der
sogenannten neuen Teilung in 400 Grade und den Grad in 100 Bogen-
minuten, so wird eine solche Bogenminute gleich dem vierzigtausend-
sten Teile des ganzen Utnfanges, somit in Längenmafs gleich 1000 m
sein, wenn man den gröfsten Kreis der kugelförmig angenommenen
Erde nach Längenmafs in vierzig Millionen Meter teilt; daher die Ein-
teilung des Erdumfanges in 40 Millionen Teile, weil dabei eine
Bogenminute die Länge von einem Kilometer erhält.
Der grofse Königsberger Astronom Bessel bewies sodann zu
Anfang unseres Jahrhunderts durch einheitliche Bearbeitung der in-
zwischen in verschiedenen Erdteilen ausgeführten Gradmessungen,
dafs das Meter als „Naturmafs" nioht eindeutig definiert sei, insofern
die verschiedenen Erdmeridiane nioht ein und dieselbe Längenaus-
dehnung besitzen. Den Vorteilen gegenüber jedoch, welche ein ein-
heitliches metrisches Mars- und Gewichtssystem bietet, konnte dieser
Umstand, wie die Erfahrung gelehrt, nicht so schwer ins Gewicht
fallen, um seiner allgemeinen Einführung hindernd in den Weg zu
treten, und nicht das geringste Verdienst der Erdmessungsarbeiten ist
es, den gesitteten Nationen zu diesem einheitlichen Mafs- und Gewichts-
systeme verhoifen zu haben.
Bossels Berechnungen und Untersuchungen zeigten ferner, dafs
die raathematische Erdgestalt angenähert derjenigen eines an den
Polen abgeplatteten Rotationsellipsoides entspricht, dafs aber die
wahre mathematische Erdoberfläche im einzelnen mancherlei Ab-
weichungen von einer gesotzmäfsig gebildeten Ellipsoidfläche besitzt,
und dafs diese Unregelmäfsigkeiteu nur durch ausgedehnte und plan-
mäßig vorgenommene Spezialuntersuchungen ermittelt werden können.
Letztere in grofsem Stile und auf der ganzen Krde nach einheitlichem
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Plane durchzuführen, hat sich die „internationale Erdmessung-* zur
Aufgabe gestellt. Anfang der sechziger Jahre vom preufsischen
General Bayer, dem Mitarbeiter Bessels, in bescheidenem Umfange
als „mitteleuropäische Gradmessung" begründet, ist dieselbe in wenigen
Jahrzehnten zur großartigsten wissenschaftlichen Vereinigung aller
Kulturvölker angewachsen. Entsprechend ihrem Umfange und ihren
Mitteln hat sioh dieselbe, nachdem zwei Jahrtausende hindurch die Erde
als Kugel gegolten hat, nachdem im vergangenen Jahrhunderte die
ausgezeichneten Arbeiten der grofson französischen Geometer in der
Ermittelung ihrer ellipsoidischcn Gestalt der Wahrheit einon Schritt
naher geführt hatten, nunmehr als Ziel gestellt, ihre wahre mathema-
tische Gestalt zu erforschen, eine schier endlose Riesenarbeit, welche
mit der fortschreitenden Erkenntnis und Vertiefung durch das Hinein-
greifen in andere, verwandte Wissenszweige und Forschungsgebiete
stetig an Umfang noch zunimmt. Der Zweck der Vereinigung und
ihrer gemeinsamen Arbeiten ist zunächst ein rein wissenschaftlicher.
Ihr Einflufs aber auf das praktische Leben tritt unverkennbar hervor
in den internationalen Schöpfungen zur Feststellung und Sioherung
der metrischen Mais- und Gewichts-Einheiten, der elektrischen Mars-
einheiten etc. und namentlich auf dem Gebiete der praktischen Geometrie.
Am nächsten ist naturgemäß der Zusammenhang der wissenschaft-
lichen Geodäsie mit der Astronomie, da die Bestimmung der mathema-
tischen Erdoberfläche durch die Verbindung und Vergleichung
geodätischer und astronomischer Ortsbestimmungen erfolgt.
Eine der folgenreichsten Entdeckungen aller Zeiten ist die Auf-
findung des allgemeinen Gravitations-Gesetzes duroh Newton. Sohon
in seinem 23. Jahre war der große Naturforscher auf den Gedanken
gekommen, dafs es dieselbe Kraft sein müsse, welohe den Mond anstatt
geradlinig fortzueilen zwingt, um die Erde zu kreisen, die auf der
Erde selbst die Gesetze des freien Falls bedingt Wirkt diese Kraft
auch auf den Mond, wie auf der Erde, im umgekehrten quadratischen
Verhältnifs der Entfernung ein, so raufs das Gravitations-Gesetz als
ein allgemeingültiges Naturgesetz betrachtet werden, welches das ganze
Universum beherrscht und die Bahnen der gröfsten Himmelskörper
wie der kleinsten Weltteilchen regelt Die mittlere Entfernung des
Mondes von der Erde beträgt ca. 60 Erdhalbmesser. Aus der Gröfse
des letzteren und der Umlaufszeit des Mondes läfst sich sein Fall
gegen die Erde in jeder Zeit berechnen, zunächst in Teilen des Erd-
halbmessers, und, wenn dieser seiner Länge nach bekannt ist, auch in
dem gleichen Längenmaße. Als Newton gegen die Mitte des sieben-
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zehnten Jahrhunderts diese Berechnung anstellte, war die Gröfse der
Erde noch so wenig genau bestimmt, und die Abweichung des von
ihm mit dem unriohtigen Erdhalbmesser berechneten Wertes von dem
den Fallgesetzen entsprechenden Resultate so grofs, dafs Newton an
der allgemeinen Gültigkeit dieses Gesetzes zweifelte und seinen Ge-
danken nioht weiter verfolgte. Erst 15 Jahre später, als er von einer
neueren, genaueren französischen Gradmessung hörte, welche, unter
Picards Leitung ausgeführt, das Mars des mittleren Erdradius wesent-
lich gröfser ergeben hatte, nahm er seine früheren Rechnungen wieder
auf und bemerkte nun sehr bald, dafs das Endergebnis dem von ihm
ermittelten Gesetze entsprechen würde. Diese Bemerkung versetzte ihn
in eine solohe fieberhafte Aufregung, dafs er nioht weiter rechnen
konnte und einen Freund bitten murste, die begonnene Rechnung zu
Ende zu führen. Als ihm einstmals sein Lieblingshund ein kostbares
Manuskript, die Frucht langjähriger Geistesarbeit, während seiner Ab-
wesenheit vom Tische in das Kaminfeuer gezerrt hatte, wo es verkohlte,
strafte Newton ihn nur mit den Worten: „Wenn du wüfstest, welchen
Schmerz du mir bereitet hast". Wie weitschauend mufs der Geist
eines solchen Mannes gewesen sein, dafs die Erkenntnis, seine Ver-
mutung in Betreff des Gravitations-Gesetzes bestätigt zu sehen, ihn
unfähig machen konnte, eine einfache Rechnung zu Ende zu führen,
welohe ihm die Gewifsheit verschaffen mutete! Aber in der That ist
kaum eine wissenschaftliche Entdeckung folgenreicher gewesen als
diese. Ruht dooh auf ihr das ganze stolze Gebäude der theoretischen
Astronomie, ausgebaut namentlich von dein grofsen Geometer Laplace
in seiner „Mechanik des Himmels" und weiterhin immer mehr bestätigt
durch theoretische Vorausberechnungen und ihnen entsprechende Er-
gebnisse der verfeinerten Beobachtungskunst.
Einen weitgehenden Einflute auf die Beobachtungskunst, nament-
lich in der Astronomie und Geodäsie, hatte die Entdeckung der
Fehlerausgleichung nach der Methode der kleinsten Quadrate durch
den grofsen Braunschweiger Mathematiker und Geodäten Karl
Friedrich Gauss. Diese Ausgleichungsmethode dient allen Messungen
der höheren und der niederen Geodäsie in gleicher Weise als leitende
Richtschnur, den ersteren, um mit den feinsten Mitteln die genauesten
Resultate zu erzielen, den anderen, um in rationeller Weise, d. h.
mit zweckentsprechendem Aufwände von Zeit und Kosten, eine aus-
reichende Genauigkeit zu erreiohen. Bei den feineren Messungen
auf allen Gebieten der Beobachtungskunst, welohe auf wissenschaft-
liche Genauigkeit Anspruch machen, ist die Bestimmung des jeweils
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erreichten Genauigkeitsgrades durch eine Ausgleichung und Fehler-
berechnung nach der Methode der kleinsten Quadrate ein als ganz
selbstverständlich betrachtetes Erfordernis. Aber auch bei den
praktischen Vermessungs-Arbeiten der niederen Geodäsie gründen
sich die Genauigkeitsanforderungen, wie solche z. B. von Seiten des
Staates in Bezug auf Länge und Winkeltnessungen, Flächeninbalts-
Erraittelungen von Grundstücken vorgeschrieben werden, wesentlich
auf das Gausssche Ausgleichungs-Verfahren.
Um dies zu veranschaulichen, sei folgendes bemerkt. Angenommen,
ein und dasselbe Grundstück werde von einer gröfseren Anzahl von
Feldmessern gemessen, jedesmal mit der gleichen Sorgfalt und unab-
hängig von allen übrigen. Stellt man dann die Resultate zusammen,
so werden dieselben infolge der unvermeidlichen Fehler alle etwas
von einander abweichen. Das arithmetische Mittel ist hier der wahr-
scheinlichste Wert, da alle Messungen unter denselben Umstünden
und mit gleicher Sorgfalt ausgeführt wurden und somit als gleich-
wertig zu betrachten sind. Die einzelnen Werte selbst werden mehr
oder weniger von dem Mittel abweichen, teils nach der einen, teils
nach der anderen Seite; aus allen Abweichungen zusammengenommen
wird man aber eine mittlere Abweichung oder einen mittleren
Karl Friedrich Oanu.
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8
Fehler ableiten können, der dann für diese Art Messung charakteristisch
ist in der Art, dafs, wenn dieselben Feldmesser unter analogen Ver-
hältnissen ein anderes Grundstück in gleicherweise aufnehmen, auch
der mittlere Fehler sehr nahe derselbe werden mutete, wenn auch
die Einzel-Abweichuugen wieder sehr verschieden ausfallen. Sehr
grotee Fehler werden nur verhältnismäteig selten vorkommen und um
so seltener, je gröfser sie sind. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung
lehrt nun, in welchem Verhältnis die Häufigkeit des Fehler-Vor-
kommens durch die Gröfso der Fehler im Vergleich zum mittleren
Fehler bedingt wird. So ist z. B. die Wahrscheinlichkeit, dafs ein
Fehler vorkommt, welcher den 4 fachen Betrag des mittleren Fehlers
erreicht, noch nicht Vtooo '■> m'* anderen Worten, wenn in obigem Bei-
spiele 1000 Feldmesser das Grundstück messen, oder, was auf das
Gleiche hinausläuft, wenn ein Feldmesser 1000 Grundstücke mit
gleicher Sorgfalt mifst, so wird unter allon diesen Messungsresultaten
noch nicht ein einziges sein, welches um den 4 fachen Betrag des
mittleren Fehlers unsicher oder unrichtig sein kann. Der Staat
wird daher seinen Feldmessern mit Recht vorschreiben dürfen, dafs
ein solcher Fehler unstatthaft ist, und dafs die betreffende Aufnahme
als ungültig angesehen und neu gemacht werden mute, wenn dieses
Mate dooh einmal erreicht oder gar überschritten werden sollte. So
wie man hiernach aus vielfach wiederholten Vermessungen für ein
Grundstück einen mittleren Messungsfehler für diese Art Aufnahme
herzuleiten vermag, so kann man dies naturgemäte auf analogem
Wege auch für andere Arten von Messungen und Aufnahmen aus-
führen und in solcher Weise „rationelle* Genauigkeits- Vorschriften
für das gesamte staatliche Vermessungswesen festsetzen. Was aber
für die einfachen Messungen der niederen Geodäsie angeführt wurde,
gilt in weit höherem Grade von den feineren Messungen und ver-
wickeiteren Bestimmungen der höheren Geodäsie, indem die Aus-
gleichung und Fehlerberechnung nach der Methode der kleinsten
Quadrate dort zugleich lehrt, wie die Beobachtungen anzuordnen und
zu modifizieren sind, um Fehlerquellen thunlichst zu vermeiden und
so die genauesten Resultate zu erzielen.
In beiden Fällen wurde ein rationolles Vorgehen beiden vor-
zunehmenden Vermessungsarbeiten erst durch die Gausssche Methode
der Ausgleichung und Fehlerberechnung ermöglicht.
Das gesamte Anwendungsgebiet der Geodäsie oder praktischen
Geometrie ist ein sehr umfangreiches und vielseitiges, wie solches
schon bei der bloteen Aufzählung derjenigen Institute erhellt, an
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denen sie gelehrt wird. Die höhere Geodäsie hat ihre Vertreter vor-
nehmlich an den Universitäten, die Geodäsie für technische Arbeiten
an den technischen Hochschulen, das Vermessungswesen für wirt-
schaftliche Zweoke, Kataster, Zusammenlegungen etc. an den land-
wirtschaftlichen Akademien und Hochschulen, dasjenige für Forst-
wesen an den Forstakademien, die Markscheidekunst wird an den
Bergakademien gelehrt, das nautische Vermessungswesen und die mili-
tärische Topographie an den Marine- und Kriegsakademien; die Geo-
graphie endlich verwertet die geodätisch-topographischen Aufnahmen,
und Karten der Forschungsreisenden und der Generalstäbe etc. zur
Herstellung geographischer Karten durch Projicierung von Teilen der
Erdoberfläche auf ebene oder in eine Ebene abwickelbare Flächen.
Entsprechend diesen verschiedenen Lehr- und Anwendungsgebieten
der praktischen Geometrie ist ihre Verwertung für wissenschaftliche
und praktische Zwecke eine sehr mannigfaltige und vielseitige.
Das Ziel der höheren Geodäsie bildet in erster Linie die wissen-
schaftliche Erforschung der wahren mathematischen Erdoberfläche, der
sogen. „Geoid "-Fläche mit allen ihren Einzelheiten und Unregelmäßig-
keiten. Absolut genommen, sind diese Abweichungen gegenüber der
Fläche eines der Erde gleich grofsen Rotations-Ellipsoides nur ge-
ring; sie betragen in maximo einige hundert Meter, um welche die
wahre mathematische Erdoberfläche infolge der Massenanziehung
innerhalb der Kontinente über, in den Ozeanen aber unter jener ge-
dacht werden mufs. Für alle praktischen Zwecke genügt daher die
Betrachtung des Geoides in erster Näherung als Rotationsellipsoid,
selbst bei Vermessung und Darstellung der gröfsten Länder und Ge-
biete. Die Halbaxen dieses „Referenz"-Ellipsoides haben eine Länge
von 6378 km und 6357 km, unterscheiden sich somit um 21 km. Für
mancherlei geodätische Arbeiten und kartographische Darstellungen
kann man einen Schritt weiter gehen und die mathematische Gestalt
einfaoh als kugelförmig betrachten. Man nimmt dann als Kugel-
Radius, wenn nur ein bestimmtes Stück der Erdoberfläche in Betracht
kommt, den mittleren Krümmungsradius dieses Teiles und für die Erde
als Ganzes das Mittel der Halbaxen, welches sich um nicht mehr als
10 km von ihrem wahren Werte entfernen kann. Bei Annahme
eines mittleren Krümmungsradius für ein mäfsig großes Teilstück
der Erdoberfläche kann man diesen Radius der wahren Krümmung
derselben anpassen.
Kommen nur Gebiete von verhältnismäfsig geringer Ausdehnung
für die Vermessung bezw. Darstellung in Betracht, so kann die Erd-
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Oberfläche direkt als Ebene behandelt werden, denn die Abweichung
derselben von einer sie im Mittelpunkte des Vermessungsgebietes be-
rührenden Kugelfläche kann dann für viele Zwecke unboschadet der
zu erreichenden Genauigkeit gänzlich vernachlässigt werden. Dies ist
namentlich bei allen Vermessungen und Plandarstellungen für wirt-
schaftliche und technische Zwecke der Fall und gewährt hier eine
grofse Vereinfachung und Erleichterung. Angenommen z. B., die Ent-
fernung eines Punktes vom Berührungspunkte der Ebene mit der
Kugelfläche betrage 50 km, so beträgt dort der Abstand der Ebene
von einer Kugel mit dem mittleren Krümmungsradius der Erde rund
200 m. Die Gröfse der Kugelfläche wird daher soweit nahe überein-
stimmen mit der sie berührenden Ebene und die Projektion der einen
auf die andere sioh nur unwesentlich von dem projicierten Flächen-
stücke selbst unterscheiden. Der Abstand der Ebene von der sie be-
rührenden Kugel wächst mit dem Quadrate der Entfernung vom Be-
rührungspunkte, beträgt daher bei 500 km Entfernung bereits 20 km.
Das deutsche Reich hat rund 1000 km Ausdehnung zwischen seinen
äufsersten Grenzen. Hier wird die Abweichung der Kugelfläche von
einer sie im mittleren Deutschland berührenden Ebene zu grofs, um
bei kartographischen Arbeiten ohne weitores vernachlässigt werden
zu können. Die einzelnen Mefstischblätter des Preufsischen General-
stabes umfassen rund 2 Quadratmeilen. Jedes für sich kann nooh
als eine Ebene behandelt werden, welche in der Blattmitte die Erd-
kugel berührt Diese Kartenblätter lassen sich in ihrer Gesamtheit
nicht in einer Ebene zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfügen und
ausbreiten, was in der ganzen Ausdehnung des Preufsischen Staates
ja auch nicht erforderlich ist; doch beim Zusammenfügen einer ge-
ringen Anzahl wird noch kein durch diese sogen. „Polyeder- Projek-
tion" bedingter Unterschied bemerkbar. Wie weit man die Erde als
ebene Fläche betrachten und behandeln darf, hängt von der Natur
der Aufgabe ab. In der gesamten „niederen" Geodäsie genügt diese
Näherung fast ohne Ausnahme in Bezug auf die Horizontal-Projektion.
Für die Bestimmung der Höhenunterschiede wird die mathematische
Erdoberfläche meist als kugelförmig betrachtet werden müssen.
Was zunächst die Bestimmung der wahren mathematischen Erd-
oberfläche, d. h. der Gröfse und Form des Geoides betrifft, so hat
sich, wie bereits bemerkt wurde, die genauere Erforschung derselben
die „internationale Erdmessung", eine wissenschaftliche Vereinigung
fast aller Kulturstaaten, zur Aufgabe gestellt. Wenn man die geo-
graphische Lage zweier Punkte der Erdoberfläche nach Länge und
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Breite auf astronomischem Wege bestimmt, und dann auch durch geo-
dätische Messungen die Länge ihrer Verbindungslinie, sowie die Rich-
tung derselben gegen den Meridian ermittelt, so kann man, unter der
Voraussetzung, dafs die Erde ein Rotationsellipsoid von gegebenen
Dimensionen ist, aus geographischer Länge und Breite des einen
Punktes mit Hilfe der gemessenen Länge und des Azimuthes ihrer
Verbindungslinie auch die geographische Breite und Länge des anderen
Punktes berechnen. Die so berechneten Werte zeigen gegen die auf
astronomischem Wege direkt bestimmten Gröfsen bald kleinere, bald
gröTsere Abweichungen, je nachdem die wahre, mathematische Erd-
oberfläche weniger oder mehr von der für dieselbe angenommenen
Fläche des Rotationsellipsoides abweicht Diese Unterschiede bezeich-
net man als „Lotabweichungen" oder „Lotablenkungen". Ihre Be-
stimmung an thunlichst vielen Punkten gewährt offenbar die Möglich-
keit, zu beurteilen, ob die wahre mathematische Erdoberfläche mit der
angenommenen Ellipsoidfläche zusammenfällt oder nicht. Ist letzteres
der Fall, so giebt die Gröfse der Lotabweichungen zugleich die Neigung
des wahren Horizontes, d. h. der wahren Eroberfläche gegen die
Ellipsoidfläche an. Aus diesen Neigungsunterschieden läfst sioh
dann weiter berechnen, wie viel der wahre Horizont oder die Niveau-
fläche des Geoides über oder unter die Ellipsoidfläche sich erhebt oder
senkt, wenn man von einem Punkte zum anderen weiter geht und
so fort.
Mit der Erforschung der mathematischen Erdgestalt, welche vor-
nehmlich in einer immer mehr ins einzelne getriebenen Vergleichung
astronomischer und geodätischer Ortsbestimmungen auf der Erde be-
steht, wird naturgemäfs auch die GröTse und Gestalt desjenigen Erd-
ellipsoides bestimmt, welches der wahren Erdform am nächsten kommt.
Diese liefert in erster Linie die Grundlage für alle Landesaufnahmen
und Landkarten, die im allgemeinen Staats-Interesse unternommen und
ausgeführt werden.
Hervorgegangen sind dieselben ursprünglich aus dorn Bedürfnisse
des Staates, einerseits für die Grundsteuer-Veranlagung einen ge-
naueren Anhalt zu gewinnen durch Bestimmung des Flächeninhalts
der zu besteuernden Grundstücke, andererseits, um im militärischen
Interesse sioh bei der Kriegführung möglichst rasch und sicher im
Lande zurechtfinden zu können. Die zunehmenden Fortschritte auf
wirtschaftlichem und technischem Gebiete, die gewaltige Ausdehnung,
welche der Verkehr der verschiedenen Länder unter einander ange-
nommen hat, führten naturgemäfs dazu, jene einseitige Unterscheidung
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und Zweckbestimmung mehr und mehr fallen zu lassen und zu ver-
wisohen. Die Kataster-Aufnahmen dienen infolge dessen nicht nur
Grundsteuer-Zwecken, sondern vornehmlich auch der Sicherung des
Qrundeigentums und seiner Verwertbarkeit, d. h. dem Realkredit. An
sie schlössen sich die Aufnahmen und Vermessungen für Ab-
lösungen, Verkoppelungen, Separationen, denen die Landwirtschaft
zum grofsen Teil ihre rasohe Entwicklung verdankt, und die mit dem
Kataster meist in enger Beziehung stehen; ferner die Vermessungen
für forstliche Zwecke zur rationellen Waldkultur, die Stadtvermessungen,
die Aufnahmen für Eisenbahn-, Kanal- und Wegebauten u. dergl.
Andererseits dienen die militär-topographischen Karten nunmehr viel-
fach auch zu Vorstudien und generellen Projekten für technische und
industrielle Unternehmungen und werden aufserdem verwertet für
angewandte Karten aller Art, agronomische und geologische, kommer-
zielle und statistische, geographische und touristische Spezialkarten etc.
Es wuchs nach und nach die Bedeutung und Ausdehnung der Landes-
aufnahmen und der Landeskartographie in solohem Mafse, dafs man
um die Mitte unseres Jahrhunderts die Frage aufwarf und eingehender
erwog, ob es nicht rationell sei, um möglichst vielen Bedürfnissen
einheitlich und gleichzeitig mit geringstem Kostenaufwand gerecht zu
werden, ein Land ein für allemal genau zu vermessen und auch karto-
graphisch darzustellen, dafs thun liehst allen Anforderungen Genüge
geschehe und weitere Vermessungsarbeiten unnötig würden. Die Ant-
wort auf diese Frago lautete: Bis zu einem gewissen Grade, ja! Warum
nicht vollständig? Aus dem gleichen Grunde nicht, aus welchem man
mit Landstrafse, Post und Segelschiff etc. sich nicht begnügte, sondern
Eisenbahnen, Dampfschiffe und Telegraphenlinien etc. hinzubaute.
Immer werden kommende Zeiten und Generationen wieder höhere An-
forderungen stellen, und unsere jetzigen Arbeiten werden dann, aber
auch nur dann Aussicht auf länger dauernde Brauchbarkeit haben,
wenn sie so genau, wie den Umständen nach möglich, ausgeführt
werden.
Dies richtig erkannt zu haben, ist eine Errungenschaft der Neu-
zeit. Sie führte zu der Forderung, das staatliche Vermessungsweseu
so einheitlich und zweckentsprechend zu organisieren, dafs einmal alle
unnützen Doppelarbeiten vermieden, andererseits aber dio zu machen-
den Aufnahmen mit solcher Sorgfalt und Genauigkeit ausgeführt
werden, dafs sie thunlichst bleibenden Wert besitzen.
Kein Geringerer als der Begründer der internationalen Erd-
messung, der preufsische General Bayer, war es, welcher um die
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Mitte des Jahrhunderts die Forderung aussprach und verfocht: „Eine
gute Landesaufnahme soll alle Anforderungen so viel als möglich und
auf eine lange Reihe von Jahren befriedigen." Um dies zu erreiohen,
sollte das gesamte staatliche Vermessungswesen unter eine Centrai-
Behörde gestellt und unter deren Leitung die nötigen Neuaufnahmen
so genau wie möglioh ausgeführt werden. Der Gesamtbetrieb der
letzteren umfaßte nach seinem Plane unter einheitlicher Direktion
mehrere verschiedene Abteilungen, welche der Reihe nach die grund-
legenden Arbeiten, die Detailvermessungen, die topographischen Auf-
nahmen und die Landeskartographie zu besorgen hatten, und zwar in
der Art, dafs jedes folgende Arbeitsstadium sich an das vorhergehende
unmittelbar anschlofs, die Klein-Triangulation an die Haupt-Triangulation,
die Klein-Nivellements an die Haupt-Nivellements, die Parzellen- Ver-
messung an die Dreiecksseiten letzter Ordnung u. s. w., während die
Topographie und Kartographie des ganzen Staates für militärische
wie für civile Zwecke sich auf die in grofsem Marsstabe aufge-
nommenen und aufgetragenen Detailvermessungen und Nivellierungen
aufbaute. Die Bayerschen Vorschläge bezogen sich zunächst und
direkt nur auf die Neugestaltung des Vermessungswesens in Preußen,
und wenn er auch nioht vollständig mit denselben durchdringen
konnte, so wurde doch allgemein als richtig und notwendig anerkannt,
dafs die grundlegenden Arbeiten, d. h. Dreiecksmessungen und
Nivellements seinen Forderungen entsprechend als einheitliche Grund-
lage aller staatlichen Vermessungen so genau wie möglich auszu-
führen sind. Die Militär-Topographie hingegen glaubte man nioht auf
die in grofsem Marsstabe aufgetragenen Detailaufnahmen aufbauen,
sondern gesondert für sich behandeln zu sollen, um den ihr zu-
geschriebenen besonderen Charakter zu wahren. Die hervorragendsten
Militär-Topographen der damaligen Zeit vertraten sehr entschieden die
Ansicht, die topographischen Karten müßten durch direkte Aufnahme
für sich wie aus einem Gusse hergestellt werden, und auch heute gilt
dies auf militärischer Seite vielfach noch als Axiom. Die neueren
Erfahrungen sprechen aber mehr und mehr zu Gunsten der Bayer-
schen Auffassung einer durchaus einheitlichen Gestaltung des ge-
samten staatlichen Verraessungswesens, einschliefslich der Topographie,
worauf wir später eingehender zurückkommen werden.
Auf Grund der Bayerschen Vorschläge wurde in Preufsen im
Jahre 1862 eine Kommission, bestehend aus Vertretern sämtlicher
Ministerien, zusammeuberufen, um über ein« Neuorganisation des Ver-
messungswesens im Preußischen Staate zu beraten. Dieselbe sprach
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sich dahin aus, dafs zur Gewinnung einer einheitlichen Grundlage für
die staatlichen Vermessungsarbeiten in erster Linie die Ausführung
einer umfassenden Triangulation geboten erscheine. Die trigono-
metrische Abteilung des Generalstabes, welche bis dahin der Haupt-
sache nach, nur für militärische Zwecke gearbeitet hatte, wurde infolge
dessen zu einem Bureau der Landestriangulation erweitert, mit der
Aufgabe, das ganze Land mit einem Netze von Dreiecken zu über-
spannen, als Grundlage nicht nur für die topographischen Aufnahmen,
sondern auch für das gesamte Civil- Vermessungswesen, dessen einzelne
Zweige seither getrennt von einander, jeder nur für seine speziellen
Zwecke, Vermessungen und Aufnahmen hatten ausführen lassen, natur-
gemäß nicht ohne vielfache Doppelarbeiten und dadurch verursachte
unnütze Ausgaben. Im Jahre 1869 wurde dann von der vorge-
nannten Kommission ein Statut ausgearbeitet für ein „Centrai-
Direktorium der Vermessungen im Preußischen Staate", welches mit
der einheitlichen Leitung des gesamten staatlichen Vermessungswesens
in Preufson beauftragt werden sollte. Dieses „Centrai-Direktorium"
begann seine Thätigkeit im Jahre 1872.
Dasselbe besteht aus dem Chef des Generalstabes der Armee
als Vorsitzendem und den Kommissaren der einzelnen Ministerien als
Beisitzern. Seine Aufgabe ist:
1. Die allen staatlichen Vermessungen als Grundlage dienende
Landestriangulation etc. zu leiten und zu überwachen.
2. Dafür Sorge zu tragen, dafs bei den Vermessungen der ver-
schiedenen Behörden Doppelarboiten vermieden und gleichartige
Arbeiten verschmolzen werden.
3. Die bei den Vermessungs- und Kartenarbeiten des Staates zu
Grunde gelegten Verfahren zu prüfen, inwiefern sie der fort-
schreitenden Wissenschaft, der gesteigerton Technik und den
wachsenden Ansprüchen des wirtschaftlichen Bedürfnisses ent-
sprechen; es soll das Direktorium den Ausgloich vermitteln
zwischen diesen Anforderungen, den verfügbaren Mitteln und der
gegebenen Zeit.
Drei Jahre nach seiner Gründung schuf das Centrai-Direktorium
die gegenwärtige Organisation dor Königlich Preufsischen
Landesaufnahme, welche als Abteilung des Generalstabes die
trigonometrischen, topographischen und kartographischen Arbeiten aus-
zuführen hat Während aber die beiden letztgenannten Aufnahmen
und Darstellungen vorwiogend im militärischen Interesse erfolgen,
vollführt die trigonometrische Abteilung zur Herstellung einer ge-
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tntMnsamen Grundlage für alle Militär- und Civil-Vermessungen in
Preufsen, sowie in den mit ihm in Militärkonvention verbundenen
anderen Staaten Deutschlands die Landestriangulation mit den
nötigen Basismessungen und die Präzisionsnivellements,
wofür ihm im Reiohs-Militär-Budget die erforderlichen Mittel ausge-
worfen sind.
Diese allgemein als grundlegend betrachteten geodätischen Ar-
beiten der Landesaufnahme stehen meist in innigem Zusammenhange
mit den Erdmessungsarbeiten und bilden integrierende Teile derselben.
An diese grundlegenden Arbeiten werden dann weiter die Detail-
Vermessungen und Aufnahmen angeschlossen, welche für die ver-
schiedenen behördlichen und privaten Zwecke, Kataster, Separationen,
Forsten etc., industrielle Anlagen, Eisenbahn- und Kanalbauten u. dergl.
erforderlich sind. Analoge Einrichtungen zur einheitlichen Ge-
staltung des Vermessungswesens sind auch in anderen Staaten ge-
troffen worden.
Die topographische Aufnahrae und Kartographie, welche ur-
sprünglich ausschliefsiich von militärischer Seite besorgt wurde, liegt
auch jetzt noch vorwiegend in den Händen des Generalstabes der
betreffenden Länder, dooh werden in neuerer Zeit in einigen Staaten,
namentlich Süd-Deutschlands, auch von Civil-Behörden topographische
Karten hergestellt, und zwar unter vorteilhafter Verwertung der für
allgemeine Staatszwecke ausgeführten Detail-Vermessung im Sinne der
Bay ersehen Entwürfe.
Betrachten wir nun die einzelnen Vermessungsarbeiton etwas
genauer.
Die Triangulierungsarbeiten.
Die Grundlagen jeder rationellen Landesvermessung bilden ein-
zelne gleichmäßig über das ganze Gebiet verteilte feste Punkte,
welche als Marksteine für alle weiteren Aufnahmen dienen. Sie werden
gegeneinander festgelegt als Eckpunkte ausgedehnter Dreiecksnetze,
die in weitmaschiger Form das Land überspannen. Die größte Aus-
dehnung hat das Dreiecksnetz der internationalen Erd-
messung, welches sich über ganz Europa erstreckt, im Osten weit
nach Asien sich hineinzieht und im Süden von Italien und
Spanien aus nach Afrika hinübergreift. (Siehe Titelblatt). An
diesen Stellen ist die Länge der Dreiecksseiten, welche im Mittel
etwa 60 km beträgt, bedeutend größer; sie steigt dort bis zu 200
und 300 km. Im Kaukasus und im Himalaja kommen Dreieckseiten
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sogar bis zu 400 km Länge vor, d. h. Abstände der einzelnen
Dreieckspunkte, welche beinahe ebenso grofs sind wie die Entfernung
der Ost- und Westgrenze des deutschen Reiches von seiner Mitte.
Dreieckspunkte auf solche Entfernungen sichtbar zu machen, war vor
der Erfindung des Heliotropen durch Gauss kaum möglich. Man
baute gewaltige Türme oder Signalgerüste, wie sie jetzt noch bis-
weilen im Hochwaldo notwendig werden, um über die Baumwipfel
weg eine freie Aussicht zu gewinnen, aber man konnte sie auf solch
grofse Entfernungen nicht mehr deutlich genug erkennen, um sie ge-
nau anzuvisieren, selbst beim klarsten Sonnenschein. Der Turm z. B.
auf dem Brocken ist hei klarem Wetter auf Entfernungen von 50 bis
Heliotrop von Gaui*
100 km im Fernrohre noch zu erkennen. Er hat einen Durchmesser
von 5 — 6 Metern. Bescheint ihn morgens die Sonne von Osten, so
sieht man seine östliche Seite heller beleuchtet als die westliche.
Nachmittags wird dagegen die westliche Seite beleuchtet sein und die
östliche im Schatten liegen. Ein hellbeleuchteter Gegenstand erscheint
infolge der Irradiation des Lichtes immer gröfser als ein dunkler,
auch wenn beide in Wirklichkeit gleich grofs sind. Man soll beim
Messen genau die Mitte des Turmes anvisieren, legt dieselbe aber des
Morgens infolge der einseitigen Beleuchtung — „Phase" ist hierfür
der technische Ausdruck — zu weit nach Osten, nachmittags zu weit
nach Westen. Das führt zu fehlerhaften Resultaten, namentlich wenn
die Entfernung so grofs ist, dafs man den dunklen Teil gar nicht
mehr deutlich erkennen kann. Unter diesem Übelstande, welcher die
Genauigkeit der Messungen sehr beeinträchtigt, litt seiner Zeit auch
der schweizerische Ingenieur Denzler, der vom Rigi aus den Turm
auf dem Feldberge im Schwarzwalde beobachtete. Dieser Turm wurde
im Jahre 1857 von den umliegenden Amtsbezirken Schönau, St. Blasien
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und Freiburg zur Erinnerung- an die Vermahlung des Grofsherzogs
Friedrich von Baden mit der Prinzessin Luise von Preufsen
auf dem sogenannten „Höchsten", dem höchsten Punkto im Schwarz-
walde, erbaut. 1859 fand die feierliche Einweihung statt. Als nun
wenige Jahre später die Verbindung der schweizerischen und deutschen
Dreiecksnetze bewerkstelligt werden sollte, und der Turm auf dem
Feldberge (Siehe Fig.) als sehr geeignet hierzu ausgewählt worden
war, empfand, wie bereits erwähnt, der schweizer Beobachter es sehr
unangenehm, dafs er je nach der Beleuchtung des Turmes abweichende
Resultate erhielt.
Turm auf dem Feldberge.
Kurz entschlossen reiste er zum Feldberge und liefs den ganzen
Turm, um eine gleichmäßigere Beleuchtung zu erzielen, von oben bis
unten mit Teorfarbe schwarz anstreichen. Die über diese Behand-
lung ihres Nationaldenkmals empörten Badenser berichteten sofort
nach Karlsruhe und verlangten Abhülfe sowie Genugthuung. Die
badische Regierung beklagte sich beim schweizerischen Bundesrate,
der sich beeilte zu erwidern, es sei das Anstreichen des Turmes nicht
in böser Absicht geschehen, sondern im Übereifor für die Wissen-
schaft; man wolle gern bezahlen, was die Reinigung des Turmes
koste. Infolge dessen zogen eines Tages die vereinigten umliegen-
den Gemeinden auf den Feldberg und reinigten ihren Turm mit Soda,
Seife etc., worüber sie der Schweiz eine Rechnung von 106 Gulden
Himmel und Erde. 1696. XI. I. 2
18
süddeutscher Währung ausstellten, incl. Getränke, welche auch richtig1
bezahlt wurden. Hierdurch besänftigt, erlaubten sie dorn Ingenieur
Don zier, wenn er nun wieder beobachten müsse, dem Turm einen
schwarzen Mantel anzuziehen, aber anstreichen dürfe or ihn nicht
mehr. Durch Erfindung und Benutzung des Gaussscben Heliotropen
wurde dies unnötig gemacht, und als wir Ende der siebenziger Jahre zu
ähnlichen Zweoken ebenfalls auf dem Feldberge zu messen hatten, haben
wir von dieser schönen Erfindung den ausgiebigsten Gebrauch gemacht
Wie man mit einem Spiegel ein Sonnenbildchen an die Wand
wirft, ist allgemein bekannt. Ebenso, wie hell oft Fenster auf grofse
Entfernungen von der Sonne beleuchtet erscheinen. Beim Heliotropen
wird das Sonnenlicht von einem kleinen Spiegel in eine vorher ein-
gestellte Richtung reflektiert, und ein in dieser Richtung auf einem
entfernten Dreieckspunkte befindlicher Beobachter sieht dann das
Sonnenbildchen wie einen hellen Stern, der sich natürlich viel ge-
nauer anvisieren läfst als ein dicker, dunkler oder einseitig beleuch-
teter Signalturm. Das Einstellen und Handhaben des Heliotropen,
— die Spiegel müssen mit der Sonne gedreht werden — ist so ein-
fach, dafo es Gehülfen wie Jäger, Führer, Soldaten, Arbeiter eto. bald
erlernen. Von dem Gewinn an Genauigkeit kann man sich einen un-
gefähren Begriff machen, wenn man den noch nicht handbreiten Spiegel
mit einem mehrere Meter dicken Turme vorgleicht, der zudem auf
grofse Entfernungen selbst bei den günstigsten Witterungsverhältnissen
kaum noch wahrnehmbar ist. Erst dio Erfindung des Heliotropen hat
Messungen auf Entfernungen von mehreren hundert Kilometern und
damit die geodätische Verbindung von Afrika mit Europa möglich
gemacht. Dies Instrumentchen findet ferner sehr nützliche Verwendung
zum Zeichengeben als optischer Telegraph. Ähnlich wie beim Mörse-
System das ganze Alphabet in kurzen und langen Zeichen oder Strichen
besteht, kann man mit ihm Lichtsignale von kürzerer oder längerer
Dauer durch einfache Unterbrechung des Leuchtens mit der Hand
oder einem beweglichen Schirme geben, und so eine telegraphische
Verständigung herbeiführen.
Das Aufsuchen der am günstigsten gelegenen Dreieckspunkte
macht oft nicht geringe Schwierigkeiten, und die Rekognoscierung des
Terrains zur Auffindung der besten Form eines grundlegenden Drei-
ecksnetzes ist namentlich unter ungünstiirou örtlichen Verhältnissen
eine sehr mühsame und aufreibende Arbeit, welche an die Kenntnisse,
den Überblick und die körperliche wie geistige Leistungsfähigkeit des
ausführenden Technikers hohe Anforderungen stellt. Von ihrer zweck-
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entsprechenden Ausführung hängt das Gelingen der ganzen weiteren
Arbeit ab, denn Vernachlässigungen und Fehler bei Anlage des grund-
legenden Netzes lassen sich später nicht wieder gut machen, und es
haben alle weiteren auf dieselbe begründeten Vermessungen dann darunter
zu leiden. Am schwierigsten gestaltet sich eine solche Rekognoscierungs-
arbeit im Flachlande mit ausgedehnten Waldungen und im eigentlichen
Hochgebirge, in ersterem wegen des Mangels an Übersichtlichkeit,
in letzterem wegen der schweren Zugänglichkeit seiner vereisten
Gipfel und Felsspitzen. Interessant und berühmt geworden in dieser
Hinsioht ist namentlich die Lüneburger Haide, welche sowohl der
ersten von französischen Offizieren zu Anfang des Jahrhunderts aus-
geführten Triangulation, so wie auch der für die Geodäsie so wichtig
gewordenen Gauss sehen Gradmessung in Hannover derartige
Schwierigkeiten in den Weg stellte, dafs die Franzosen die Lüne-
burger Haide ganz umgingen, Gauss hingegen sich mit ungünstig
geformten Dreiecksnetzen begnügen mufste. Erst der preufsischen
Landesaufnahmo gelang es, Mitte der achtziger Jahre infolge ihrer
ausgezeichneten Organisation diese Schwierigkeiten zu überwinden
und auch jene Gegenden mit einem gleichmäfsig geformten Dreiecks-
netze zu überspannen. Hauptmann Gaede, vom preufsischen General-
stabe, welcher diese Rekognoszierung und Netzprojektierung leitete,
äußert sich darüber in seinem Berichte, wie folgt: „Wenn man bei
der Rekognoszierung eines Dreieck ssystems im flachen und waldigen
Gelände, welches keine Türme oder sonstige direkt gegebene Aus-
sichtspunkte darbietet, selbstständig sehen will, so darf man nicht,
unsicher im Finstern tastend, am Boden bleiben. Die Errichtung
hoher Rekognoszierungsgerüste über die Bäume hinaus, sowohl zur
Umschau als auch als Einstellungsobjekte zu vorläufigen Messungen,
ist notwendig geboten. Das kostet Zeit und Geld, aber in solchem
Gelände kann man überhaupt nicht schnell und billig triangulieren,
und am wenigsten ist Sparsamkeit da angebracht, wo es sich darum
handelt, zunächst eine gründliche und sichere Unterlage für alle
weiteren Entschließungen zu gewinnen. Den Charakter eines
größeren Landstriches unter solchen Umständen riohtig aufzufassen,
die hervorragenden Punkte herauszufinden, aus einem in der geistigen
Auffassung immer mehr zur Klarheit sich durcharbeitenden Terrain-
bilde die möglichen Zusammenhänge der brauchbaren Punkte zu kombi-
nieren — dazu sind weniger tiefe theoretische Einsichten notwendig
als vielmehr praktische Anstelligkeit und Erfahrung, Urteil und
Entschlufsfähigkeit, körperliche und geistige Versalität, denn sonst
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läuft man Gefahr unter der körperlichen Anstrengung im steten
Kampfe mit äufsern Friktionen wie Überwindung weiter Räume, dem
Abpassen günstiger Witterungs-Momente eto., aus Zweifeln, Grübeln
und Kombinieren gar nicht herauszukommen." — Andorer Art, aber
nicht weniger angreifend, sind die Rekognoszierungsarbeiten im Hoch-
gebirge. Hier sind hervorragende Gipfel, welohe eine weite Umschau
gestatten, in reicher Zahl vorhanden, aber gerade dieser Reichtum
an brauchbaren Punkten macht die richtige Wahl unter Berücksichtigung
aller Verhältnisse, — Besteigbarkeit, Wind, Nebelbildung, Signalbau etc.
oft sehr schwierig. Ingenieur Gelpke, welcher viele Messungen
für das schweizerische Gradmessungsnetz ausgeführt hat und der vor
wenigen Jahren durch einen Fehltritt beim Abstieg vom grofsen
Mythen verunglückte, beschreibt die Schwierigkeiten, auf höheren Berg-
gipfeln gröfsere und dabei hinreichend regelmäfsigo und symmetrische
Signale zubauen, recht ansohaulich : „Arbeiten, wo dies nötig wurde,
waren meist sehr wichtiger und grofsartiger Natur, wie die eid-
genössische Triangulation für den Dufour- Atlas und die internationale
Erdmessung, und deshalb in die Hände der erfahrensten Fachleute
niedergelegt Diese meist schon älter, konnten unmöglich die Auf-
stellung soloher Signale selbst überwachen, auch richtige Maurer und
Steinhauer brachte man nicht auf die höheren Gipfel, deren Besteigung
schwierig und gefährlich ist. Die Arbeit mufste Führern und Jägern
überlassen werden. Wer nun schon selbst viel auf den Spitzen der
hehren Alpen wolt gewesen ist, der kennt ja aus Erfahrung, wie leicht
uns da oben nach einem mühseligen Ansteigen unter dem Einflüsse
der feineren Luft Apathie und Schwäoho besohleicht, wie die gröfste
Geisteselastizität, Willenskraft und Energie uns da oben verläfst.
Nun soll noch naoh dem Aufsteigen, das an und für sich eine Arbeit
ist, die Arbeit erst beginnen, ein Signal von mehreren Metern Umfang
und Höhe errichtet, die Steine dazu erst gebroohen werden. Die Zeit
ist beschränkt, Nebol erregen Befürchtungen wegen der glücklichen
Heimkehr. Alle diese Faktoren werden zu gröfster Eile, zu einer
Vollendung des Signales ä tout prix treiben. Dafe dabei die Genauig-
keit leiden, und man zufrieden sein mufs, überhaupt etwas nur Brauch-
bares erzielt zu haben, liegt auf der Handu. — Die schlimmsten Feinde
im Hochgebirge sind Nebel und Wind, wie ich selbst bei Ausführung
der Triangulation am Gotthard genugsam erfahren habe, denn zu einem
einzigen Signale bin ich 14 mal vergeblich hinaufgestiegen, weil bei
vollständig klarer Luft und bei Windstille im Thale der auf dem
Gipfel wehende Sturm jede Beobachtung unmöglich machte.
*
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Nachdem das grundlegende Netz in 6einer ganzen Ausdehnung
bestimmt und seine Eckpunkte möglichst dauerhaft festgelegt worden
sind, geschieht die Winkelmessung auf den durch solide Granitpfeiler
versicherten Dreieckspunkten erster Ordnung mit der gröfstmöglichsten
Genauigkeit, unter Benutzung der feinsten Theodolite und des Helio-
tropenlichtes zu den günstigsten Tageszeiten. Das durch den Spiegel des
letzteren reflektierte Sonnenbildchen erscheint meist wegen ungleicher
Erwärmung der Luftschichten, welche die Liohtstrahlen passieren
müssen, unscharf begrenzt und wie in unruhiger Bewegung begriffen.
Bald nach Sonnenaufgang und namentlich kurz vor Sonnenuntergang
nimmt es aber die Form eines hellen, ruhig leuohtenden Sternes an,
welcher sich sehr genau einstellen läfsL Die Absehlinie des Fern-
rohrs, welche durch den Mittelpunkt der bilderzeugenden Objektiv-
linse und den Durchschnittspunkt zweier im Okulare ausgespannter,
sich rechtwinkelig kreuzender feiner Fäden gebildet wird, läfst sich
infolge der Bauart des Theodoliten um eine horizontale und um eine
vertikale Axe drehen. Bei der Bewegung um die horizontale Fern-
rohraxe beschreibt diese Absehlinie eine Vortikalebene; führt man
dieselbe im Kreise herum durch Drehen um die vertikale Instrumenten-
Axe und stellt sie nach einander auf die verschiedenen Signale ein,
so kann man am Horizontal kreise mit Hülfe der Ablesungsmikroskope
bei jedem einzelnen eingestellten Dreieckspunkte genau den Wert der
Kroisteilung ablesen, weloher der betreffenden auf den Horizont der
Station projizierten Dreieoksseite entspricht. Die Differenz zweier
solcher Ablesungen giebt somit unmittelbar den Horizontalwinkel,
d. h. den auf den Stationshorizont projizierten Winkel, welchen die
beiden Dreiecksseiten einschliefsen. Nimmt man die Erde als Ebene
an, so sind die Horizonte der 3 Eckpunkte eines Dreiecks parallele
Ebenen. Denkt man sich dieselben, wenn sie ungleiche Höhe haben,
auf einen gemeinsamen Horizont projiziert, so erhält man in diesem
ein ebenes Dreieck; betrachtet man hingegen die Erde als Kugel oder
Ellipsoid, so liefert die Projektion auf eine gemeinsame Kugel- oder
Ellipsoidfläche ein sphärisches bezw. ein sphäroidisches Dreieck. Sind
die Abweichungen des Geoides von der als Näherung angenommenen
gemeinsamen Projektionsfläche aber zu bedeutend, um vernachlässigt
werden zu können, so wird dieses auch in der Summe der 3 gemessenen
Dreieckswinkel gegenüber ihrem theoretisch zu berechnenden Werte,
d. h. in dem sogenannten „Dreiecksabsohlusse*, sich als Wirkung der
Lotablenkung zu erkennen geben. Derartige Lotabweichungen kommen
auf der Erde vielfaoh vor; sre wirkon im Gebirge bei den oft sehr steilen
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Visuren in viel stärkerem Grade auf die Winkelbestimmung ein, als in
ebenen Gegenden. Namentlich bedeutend waren die Lotablenkungen
bei den schweizerischen Gradmessungsarbeiten im Tessinthale, wo die-
selben bis zu rund 20 Bogensekunden betrugen. Die Winkelmessung
selbst kann aber im Mittel aus mehreren guten Einzelbeobachtungen
mit einer Genauigkeit bis auf einzelne Sekunden und Bruchteile der-
selben ausgeführt werden. Was das besagen will, kann man sich
veranschaulichen, wenn man den Faden eines Spinngewebes, weloher
ein Zehntel Millimeter Dicke haben mag, aus einer Entfernung von
zwanzig Metern betrachtet. Die Ricbtungsfestlegung in den Dreiecks-
netzen erster Ordnung ist dann so genau, dafs sie nicht um eine halbe
Spinnenfadendicke auf diese Entfernung abweicht. Eine solche Ge-
nauigkeit der Winkelbestimmung ist aber nur bei Benutzung der
besten Instrumente und der günstigsten Zeiten — Nachtbeobachtungen
bei künstlicher Beleuchtung führen zu annähernd gleicher Genauig-
keit — von geübten Beobachtern zu erreichen. Sie wird in allon
Haupt-Dreiecksnetzen erster Ordnung angestrebt, gleichviel, ob die-
selben den Zwecken der internationalen Erdmessung oder einer
speziellen Landesaufnahme, oder — was vielfach der Fall ist —
beiden als Grundlage dienen sollen. Das Dreiecksnetz erster Ordnung
der Königlich Preufsischen Landesaufnahme (Siehe Titelblatt) besteht
aus mehreren in sich geschlossenen und unter sich zusammen-
hängenden Dreiecksketten, welche den festen Rahmen für die zwischen
sie weiter einzuschaltenden Dreieckspunkte und Füllnetze bilden.
Der Zeit nach wurde es im Osten des Königreiches begonnen und
immer weiter nach Westen vorgeschoben. Dementsprechend wird die
Form der Dreiecke beim Fortschreiten in der gleichen Richtung eine
immer regelmäfsigere und günstigere.
Nimmt man dio Genauigkeit der Richtungsbesümmung in eiuem
Dreiecksnetze erster Ordnung, wie oben angegeben, zu 0,5 Bogen-
sekundon an, so entspricht bei 50 km Seitenlänge bezw. Entfernung
der Dreieckspunkte dieser Winkelabweichung eine Querverschiebung
in Länge von etwas mehr als einem Decimetor. Bei geringerer Seiten-
länge wird die derselben Winkelabweicbung entsprechende Querver-
sohiebung entsprechend kleiner, um so mehr, je kleiner der Abstand der
benachbarten Dreieckspunkte ist Dieselbe Genauigkeit der Winkel-
messung braucht somit nicht durch die Füllnetze und für die Punkte
niederer Ordnung beibehalten zu werden, um vor gröfeeren Quer-
verschiebungen sicher zu sein, sondern man wird dieselbe zugleich
mit der Entfernung der Dreieckspunkte entsprechend abnehmen lassen
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dürfen und dooh eino hinreichend grofse und gleichmäfsige Genauig-
keit der ganzen Arbeit erzielen können, wenn man nur einer ein-
seitigen Anhäufung der Beobachtungsfehler vorbeugt Dies wird bei
den Triangulationsarbeiten auf systematischem Wege durch das
„Arbeiten vom Orofsen ins Kleine" erzielt, indem jedes Netz höherer
Ordnung den festen und unveränderlichen Rahmen bildet für alle in
dasselbe einzuschaltenden Netze niederer Ordnung. Die grundlegenden
Dreiecksketten haben im Mittel Seiten von 40 km Länge. Die in
diese eingeschalteten Zwischenpunkte und Füllnetze ebenfalls erster
Ordnung allmählich geringer werdende Abstände bis zu 20 km Länge
und so fort Diese Gliederung, bei welcher das Netz erster Ordnung
in grofsen Maschen das Land überzieht und als feste Grundlage
für ein Netz zwoiter Ordnung dient, dem sich eine dritte und vierte
Ordnung in analoger Weise anreihen, ermöglicht eine wissenschaftlich
und zugleich praktisch genügende Behandlung des Beobaohtungs-
raaterials.
Die grundlegenden Dreiecksnetze I.— III. Ordnung werden in
Preufsen und in den mit ihm in Militärkonvention verbundenen
Staaten von der trigonometrischen Abteilung der Landes- Aufnahme
ausgeführt An diese schliefsen die anderen Behörden im Interesse
der Spezialvermessungen für Kataster, Zusammenlegung, Forsten,
Stromregulierungen etc. ihre Detail- oder Klein-Triangulierungen an
und führen diese soweit durch, bis schliefslich pro Quadratkilometer
Fläohe je ein gut bestimmter und in der Natur durch einen festen
Granitstein versicherter Dreieokspunkt vorhanden ist Eine solche
Zahl fest bestimmter Dreieckspunkte gilt allgemein der Erfahrung
entsprechend als notwendig und ausreichend für eine in grösserem
Mafsstabe ausgeführte gute Spezial Vermessung des Landes im Interesse
der Civilverwaltungen, der Technik und Industrie. Die militär-
topographischen Aufnahmen, welohe meist im Mafsstabe 1 : 26 000
vom Generalstabe ausgeführt werden, erhalten als feste Grundlage
meist einen gut bestimmten Dreieckspunkt auf je 5 Quadratkilometer
Fläche. Sie begnügen sich also entsprechend dem kleinen Mafsstabe
und dem Zwecke der Aufnahme mit etwa einem Fünftel fest be-
stimmter Dreieckspunkte gegenüber den Vermessungen für wirtschaft-
liche und technische Zwecke. Andererseits geht man bei Stadtver-
messungen mit der Detailtriangulierung noch viel weiter, d. h. soweit
ins Detail, bis auf den Quadratkilometer eine gröfsere Anzahl genau
festgelegter Dreieckspunkte vorhanden sind. Die nötige Zahl der-
selben richtet sich nach der Natur der jeweils zu bearbeitenden Auf-
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gäbe. Im Prinzips geschieht durch die Winkelmessung die Bestim-
mung einer hinreichenden Anzahl gut festgelegter und dauernd ver-
sicherter Dreieckspunkte stets auf dieselbe Art und Weise. Man will
durch sie einen festen und unveränderlichen Rahmen schaffen, in
welchen alle weitern Aufnahmen einzufügen und einzupassen sind,
und erreicht dies zweckentsprechend durch das Arbeiten vom „Grofsen
ins Kleine" der Art, dafs das Dreiecknetz I. Ordnung nach seiner
endgültigen Bearbeitung als fest und unveränderlich gilt für das
Dreiecksnetz II. Ordnung, welches nach seiner Einfügung in jenes den
festen Rahmen für die Dreiecke III. Ordnung bildet, und so fort bis zur
Detail-Triangulation und den Punkten letzter Ordnung.
Die Dreiecksnetze I. Ordnung werden so genau bearbeitet, wie
es dio feinsten Mittel der Mechanik, Optik und der wissenschaftlichen
Geodäsie zulassen. Sie dienen auf der einen Seite zur Ermittlung der
Gestalt der mathematischen Erdoberfläche durch Vergleichung der
geodätisch bestimmten gegenseitigen Lage der Dreieckspunkte mit den
auf diesen einzelnen Dreieckspunkten vorgenommenen astronomisch-ge-
ographischen Ortsbestimmungen, andererseits bilden sie den festen
Rahmen für die Zwecke der Landesaufnahmen, für welche die Erde in
erster Näherung hinreichend genau als Rotations-Ellipsoid betraohtet
werden kann. Bei dem Fortschreiten zu den Dreiecksnetzen niederer
Ordnung wird man, wie bereits erwähnt, sowohl an Schärfe der Beobach-
tungen wie der Berechnungen immer mehr abnehmende Anforderungen
stellen können, um eine „zweckentsprechende" Genauigkeit zu erzielen.
Während daher beim Beobachten kleinere Instrumente, eine geringere
Zahl der Einzel-Messungen etc. ausreichend sind, wird man bei der
Berechnung vom Ellipsoid zur Kugel und zur Ebene als Form der
mathematischen Erdoberfläche übergehen dürfen. Je einfacher das
Gesetz ist, nach welohem die den Rechnungen und Darstellungen zu
Grunde zu legende gemeinsame Projektionsfläche gebildet ist, um so
leichter und bequemer worden sich diese ausführen lassen. Aus
diesem Grunde hat man z. B. für wirtschaftliche Vermessungen wie
Kataster-Aufnahmen, Zusammenlegungen etc., zur gröfseren Verein-
fachung der genannten Arbeiten den ganzen preufsischen Staat in 40
einzelne Bezirke geteilt, welche so bemessen und abgegrenzt wurden,
dafs unbeschadet der bei diesen Aufnahmen zu erreichenden Genauig-
keit in jedem einzelnen derselben von der Krümmung der mathe-
mathischen Erdoberfläche ganz abgesehen und diese jeweils als eine
Ebene behandelt werden darf. Auch bei allen Arbeiten für tech-
nische, kulturtechnische und allgemein wirtschaftliche Zweoke genügt
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diese Annahme stets, soweit die Horizontal-Projektion und ihre Dar-
stellung in Betracht kommen.
Die folgende Tabelle zeigt die Ergebnisse einer Genauigkeits-
untersuchung für einen Teil des grundlegenden Dreiecksnetzes
I.-III. Ordnung der Königlich Preufsischen Landesaufnahme und für eine
an dieses sich anschliefsende Braunsohweigische Spezialtriangulation.
Die in derselben enthaltenen Zahlen lassen unmittelbar erkennen, wie
die GröTse der benutzten Instrumente, die Zahl der Messungen und
ihre Genauigkeit zugleich mit der Länge der Dreiecksseiten abnehmen,
wie aber die mittleren Fehler der festgelegten Punkte von der ersten
bis zur letzten Ordnung so nahe dieselben sind, dafs eine sehr schöne
Gleichmäfsigkeit dieser ganzen grundlegenden Arbeit erzielt wurde,
welche auf Generationen hinaus den festen Rahmen für alle Detail-
Aufnahmen zu bilden berufen ist:
Mittlere Fehler der Richtungen und Coordinaten.
Gültig' für die neueren Arbeiten der Preufsischen Landesaufnahme nach
dem Jahre 1*75 und für die Arbeiten der Braunsclmcigischen Anachlufs-
Triangulation.
I.
Braun-
eohwe
fische
Ordnung
öS
SS
. *
öS
fs
II.
„,.
aufn
aefl*
Ihme
Z 3
o.
l&
47
Limbusdurchniosser der zur Beobachtung
dienenden Theodolite in cm ... .
27
27
27
21
13
13
13
Einstellungszahl für jede Richtung (Ge-
24
24
12
12
6
4
4
Mittlerer Fehler der beobachteten und
und
mehr
und
mehr
und
mehr
auf der Station ausgeglichenen Rich-
tungen nach den unmittelbaren Be-
0,24"
0,34"
0,58"
1,3"
2,5"
2,5"
Durchschnittliche Seitenlänge in km . .
40
40
24
4,5
25
1,5
Mittl. Coordinatenfohler iu m
0,07
0,11
0.10
0,06
0.0G
0,05
0,06
(Fortsetzung folgt.)
*
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Die Spektralanalyse.1)
Von Dr. F. Koerber in Steglitz.
I. Die physikalischen Grundlagen
icht das geringste Verdienst des unsterblichen Newton stellt
die prismatische Zerlegung des weifsen Sonnenlichtes in die
„sieben" Regenbogenfarben, das sogenannte Spektrum, dar. Die
Thatsache der Zusammensetzung des weifsen. Lichtes aus allen mög-
lichen Farbengattungen ist uns an der Neige des neunzehnten Jahr-
hunderts stehenden und durch die Fülle grofsartiger naturwissen-
schaftlicher Entdeckungen in gewissem Grade blasierten Modernen
etwas so „Altbekanntes" und scheinbar Selbstverständliches, date wir
ganz verlernt haben, über das Wunderbare darin zu staunen und zu
verstehen, wolch eine grundlegende Bedeutung für unser Verständnis
der Farben dieser Erkenntnis zukommt. Unser Interesse ist heute in
so vorwiegendem Grade denjenigen Gebieten der Physik zugewendet,
von denen die grofaen technischen Errungenschaften des Jahrhunderts
ihren Ausgang nehmen, dafs wir gern die Ergebnisse sicherer
Forschung auf dem weniger „praktischen" Felde der Optik als etwas
Ausgemachtes uns mitteilen lassen, ohne uns lange mit Zweifeln und
strengen Beweisen aufzuhalten, geschweige denn, die Entwickelung
unserer jetzigen Kenntnisse näher zu studieren. Und doch bietet gerade
die Farbenlehre und alles, was damit zusammenhängt, dem philo-
sophischen und historischen Sinn eine so außerordentliche Fülle von
Anregungen, dafs es kein Zufall ist, wenn die genialsten Naturen
gerade von diesem Teile der Naturforschung besonders gefesselt wurden.
') Hinein Wunsche der Hedaktion entsprechend bringen wir mit obigem
AufsBtz die Grundlehren der Spektralanalyse, von denen im einzelnen in
dieser Zeitschrift bereits vielfach unter Voraussetzung mehr oder minder weit-
gehender Vorkenntnisse gehandelt worden ist, einmal im Zusammenhange und
von Grund auf zur Darstellung, um vor allem unseren neu hinzugetretenen
Abonnenten die Möglichkeit zu bieten, ihre vielleicht vielfach verwischten
Schulkenntniaso wieder aufzufrischen, sodass sie dann den in unseren Mit-
teilungen gegebenen Berichten über die neuesten Fortschritte der Wissenschaft
leichter werden folgen können. Der Verf.
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Das weifee Licht erscheint unserem Auge gewissermaßen als das
Licht schlechtweg, als das von jeder farbigen „Trübung-, um mit
Göthe zu reden, freie, reine, himmlische Etwas, welches von der
Sonne ausstrahlt und erst beim Auftreffen auf die irdischen Körper
die Farben entstehen läfst, die sonach dem nur reflektierenden Beob-
achter als durch materielle Beeinflussung entstandene, dem Licht zu-
nächst nicht inhärente Abarten der Helligkeit erscheinen mögen.
Gewifs ist diese physiologische Einheit der Empfindung des
Weifsen unbez weifelbar; sie macht es uns verständlich, daß ein so
subjektiver Naturforscher, wie Göthe es war, nun und nimmermehr an
die Richtigkeit der New ton sehen Entdeckung glauben wollte, ihr
vielmehr eine auf ganz anderen Fundamenten ruhende Farbenlehre
entgegenzustellen sich bemühte.
Noch heute stellt die physiologische Einheit der Weifsempfindung
ein Problem dar, das von den auf dem Boden der Younir-Hel m-
holtzsohcn Theorie stehenden Physiologen durch den Hinweis auf
die Gewöhnung abgethan wird, während Herings Farbentheorie eine
einfache Ur-Weifsempfindung als existierend annimmt, neben welcher
die Farbenempfindungen, als durch besondere Erregungen hervor-
gerufen, einhergehen.
Sei dem nun, wie ihm wolle, vom physikalischen Standpunkte aus
kann heute an der Richtigkeit der Newtonschen Farbenlehre ein
Zweifel nicht mehr bestehen; hatte doch sohon Newton selbst sich
nicht mit der prismatischen Zerlegung des weifsen Sonnenlichts
begnügt, sondern auch die Rekonstruktion desselben aus seinen
farbigen Elementen mit Hilfo von Linsen dargethan. Am leichtesten
gelingt diese Synthese vermittelst des Farbenkreisels, auf welohom
die Farben des Spektrums Sektoren förmig aufgetragen sind. Bei
sohneller Umdrehung ersoheint der Kreisel grau, da wegen der Dauer
der Lichteindrücko die Empfindungen aller Farben sich vennischen
und ein lichtschwaches Weifs1), das wir Grau nennen, erzeugen. In
ähnlicher Weise kann man auch die Farben eines natürlichen, mit
Hilfe des Prisma erzeugten Spektrums wieder zu Weifs zusammen-
setzen, wenn man dem Prisma eine oszillierende Drehung um seine
breohende Kante erteilt.
Kann sonach die objektive Zusammengesetztheit des Sonnenlichts
als sicher erwiesen betrachtet werden, so drängt sich uns die Frage
J) Die Farben wirken ja nämlich nicht gleichzeitig, sondern nach ein-
ander auf das Augo; in jedem Augenblick ist also nur ein kleiner Bruchteil
des weifsen Lichtes wirksam, und es kann sonach nur mattes Weifs entstehen.
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•28
auf, warum denn gerade ein Prisma die wunderbare Fähigkeit besitzt,
dieses Mischlicht in seine elementaren, farbigen Bestandteile zu zer-
legen. Der Grund hierfür liegt in der verschiedenen Brechbarkeit
der einzelnen Farben, und diese wiederum ist eine Folge der ver-
schiedenen Schnelligkeit der entsprechenden Lichtschwingungen oder,
was dasselbe bedeutet, der verschiedenen Wellenlängen.
Denken wir uns bei A (Fig. 1) einen Sonnenstrahl (oder richtiger
ein möglichst schmales Strahlenbündel) durch einen horizontalen Spalt
in der Wand eines verdunkelten Zimmers eintretend, und verfolgen
Figur 1 Die Entstehung des Spektrum«.
wir nach nochmaliger Abbiendung durch den Spalt B C dessen Lauf,
wenn wir ihm das horizontal gehaltene, im Querschnitt also dreieckig
erscheinende Prisma P in den Weg stellen. Der auf die ebene
Glasfläche auftreffende Strahl kann alsdann nicht geradlinig weiter-
laufen, da die Geschwindigkeit der Fortpflanzung des Lichts durch
einen dichten, materiellen Körper, wie es das Glas ist, wesentlich ge-
hemmt wird. Wie nun ein Regiment Soldaten, das beim Marsch in
schiefer Riohtung auf ein Hindernis, etwa ein dichtes Gehölz, stöfst,
infolge desselben eine Schwenkung seiner Front erfahren wird, da der
eine Flügel durch das Hindernis bereits eine Verlangsamung erfährt,
während der andere noch eine Zeit lang ungestört weiter marschieren
kann, gerade so erleidet ein Lichtstrahl beim Übergang in ein dichteres
Medium eine Richtungsänderung, die unter dem Namen der r Brechung*"
bekannt ist und beim Eintritt in das Glas stets in dem Sinne erfolgt,
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•J9
dafs der gebrochene Strahl steiler gegen die Glasfläche gerichtet ist,
als es der eintretende war. Der Orad der Brechung ist dabei noch
von dem Einfallswinkel nach einem höchst einfachen, mathematischen
Gesetz — dem Snelliusschen Brechungsgesetz -— abhängig, aufserdem
aber, was für uns das Wichtigste ist, verschieden grors für die ver-
schiedenen farbigen Liohter, aus denen der weifse Strahl zusammen-
gesetzt ist Der Unterschied der Färbung, der, wie aus anderen Ex-
perimenten sich folgern läfst, auf einer Verschiedenheit in der Sohwin-
gungszahl1) beruht, bedingt also zugleich eine verschiedenartige Brech-
barkeit, und zwar in dem Sinne, dafs die am schnellsten schwingen-
den violetten Strahlen auch die stärkste Brechung beim Übergang in
das Glas erfahren. Treten die einzelnen Farben demnach schon inner-
halb des Glases auseinander, so wird diese Zerstreuung bei der zweiten
Brechung, die das Licht beim Austritt aus dem Glase erfährt, noch
verstärkt, wie eine genaue Betrachtung der Figur erkennen läfst.
Beim Austritt aus dem Glase bewirkt die Brechung nämlich das Um-
gekehrte wie beim Eintritt: die Strahlen verlassen die Glasfläche unter
einem weniger steilen Winkel, als sie auf dieselbe auftrafen. Wäre
die Austrittsfläche der Eintrittsfläche parallel, wie es bei einer ge-
wöhnlichen Glasplatte der Fall ist, so würde die zweite Brechung dio
bei der ersten entstandene Divergenz der verschiedenfarbigen Strahlen
wieder aufheben und alle Strahlen parallel maohon; nur die pris-
matische Gestalt unseres Glaskörpers kann daher auf der weifsen
Wand statt der Liohtlinie B'C ein wirkliches Spektrum RV erzeugen,
bei welchem die roten Strahlen (R) die geringste Ablenkung von
der ursprünglichen Richtung aufweisen.
Zur Erzielung gröfserer Reinheit des Farbenbandes mufs nun
einerseits der Spalt A möglichst eng sein, andererseits aber das Licht
als paralleles Strahlenbündel das Prisma durchlaufen, was man durch
') Die Zahl der in einer Sekunde stattfindenden Ätherechwingungen be-
läuft sich beim roton Licht auf 100 Billionen, beim violetten dagegen auf
750 Billionen, sodafs im Vergleich mit der Akustik die verschiedenen Farben
den verschieden hohen Tönen entsprechen, wobei aber die gesamte Farben-
skala noch nicht einmal eine volle Oktave unifafst. Da nun allo Lichtarten
sich mit der gleichen Geschwindigkeit von rund 300 000 km in der Sekundo
fortpflanzen, so kommt der Lichtstrahl in der Zwischenzeit zwischen zwei
Schwingungen für verschiedene Farben verschieden weit vorwärts, d. h. don
Unterschieden der Schwingungszahlen entsprechen auch solche der „ Wellen-
länge". Die Weilenlänge des roten Lichts, der Weg, um welchen der Licht-
strahl in der Zwischenzeit zwischen zwei Schwingungen weiterkommt, betrügt
etwa 750 ;iu (Milliontel Millimeter), dagegen diejenige dos violetten nur unge-
fähr 400 u.a.
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Einschaltung1 einer Linse, der sog. Colliraatorlinse, erreicht, die so
zwischen Spalt und Prisma gestellt wird, dafs sich der Spalt in ihrer
Brennebene befindet. Fügt man schliefslich noch ein Beobachtungs-
fernrohr hinter dein Prisma hinzu, mit dessen Hilfe das Spektrum in
seinen Einzelheiten deutlich erkannt und ausgemessen werden kann,
so ist aus dem einfachen Prisma der Spektralapparat hervorgegangen,
wie ihn unsere Figur 2 den Lesern in einer der gebräuchlichsten
Formen vor Augen führt.
Fijrur 2 Boomiu Spektroskop.
P Prisma; A CoUimatorrohr; B Beobachtuogsrohr ; C Skalenrohr. Mao siebt Im Beobach-
tuogsrohr B die Susi» S das Spektrum durchziehen, da dieselbe an der vordersten Prismen-
flache nach B gespiegelt wird; K, f Bunsenllammen zur Verflüchtigung der Leichtmetalle;
/». t, r Stellschrauben.
Betrachten wir das durch Sonnenlicht erzeugte Spektrum genauer,
so können wir zwar nur etwa 6 bis 7 mit verschiedenen Namen zu
bezeichnende Farben darin erkennen (Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau,
Indigo und Violett), aber diese Farben gehen durch unmerkliche
Zwischentöne in einander über, sodafs eigentlich von unzählig ver-
schiedenen Farbentönen gesprochen werden mufs; das Farbenband
besteht gewissermafsen aus sehr vielen, dicht neben einander liegen-
den und successive immer wieder etwas anders gefärbten Bildern des als
Lichtquelle dienenden Spektroskop-Spaltes. Die Grenzen des Spektrums
sind sowohl am roten als auch am violetten Ende äufsorst unscharf;
sie bedeuten auch gar nicht ein wirkliches Aufhören desselben, son.
dern nur eine allmählich so weit gehende Farbenänderung, dafs
schliefslich unser Auge die äußersten roten und violetten Strahlen
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nicht mehr zu empfinden vermag. Dafs eich in Wirklichkeit das
Strahlungsspektrum nach beiden Seiten hin viel weiter ausdehnt, als
wir zu sehen vermögen, beweisen uns jenseits des Rot das Thermo-
meter, beziehungsweise die viel empfindlicheren Wärmemefsapparate,
die man als Thermosäulen und Bolometer bezeichnet. Die auf der
anderen Seite an' das sichtbare Spektrum sich anschliefsenden ultra-
violetten Strahlen sind dagegen vorwiegend durch ihre chemische
Wirksamkeit erkennbar, sodafs z. B. photographische Platten von
solchem für uns unsichtbaren Lichte noch geschwärzt werden. Mit
Hilfe fluoreszierender Körper jedoch, die die Fähigkeit haben, auf-
fallendes Licht gröfBerer Brechbarkeit in solches von geringerer
Brechbarkeit zu verwandeln, können wir die „chemischen" Strahlen
auch unserem Auge wahrnehmbar machen; so leuohtet ein Barium-
platincyanürsohirm, wie er bei den Versuchen mit Röntgenstrahlen
gebraucht wird, auch im ultravioletten Teile des Sonnenspektrums mit
schönem, grünem Lichte auf.
Haben wir so einen Überbliok über die verschiedenen, im Sonnen-
lichte enthaltenen Strahlensorten durch ihre Nebeneinanderlegung im
Spektrum gewonnen, so ist uns doch noch das eigentliche Charakte-
ristikum des Sonnenspektrums entgangen, nämlioh die zahlreichen
feinen dunklen Linien, welche das Farbenband an allen Stellen durch-
queren, und die zwar schon im Jahre 1802 von Wollaston bemerkt,
aber erst 1814 von Fraunhofer als unverrückbare Merkzeiohen des
Sonnenlichtes erkannt worden sind und darum mit Recht des letzteren
Kamen tragen.
Um diese Fraunhofersohen Linien in möglichst grofser Zahl
und Schärfe erkennen zu können, müssen wir den Spalt des
Spektroskops so eng stellen, als es die dadurch natürlich bedingte
Verringerung der Helligkeit des Spektrums gestattet Wir er-
kennen alsdann, wie es unsere Figur 3 zeigt, eine grofse Reihe
solcher dunkler Unterbrechungen der kontinuierlichen Farbenfolge;
einzelne derselben sind durch ihre Intensität und Breite ver-
hältnismäfsig leicht erkennbar (Fraunhofer hat diese stärksten
Linien mit den grofsen Buohstaben des lateinischen Alphabets be-
zeichnet), während die überwiegende Mehrheit von äufserster Feinheit
und darum nur mit vorzüglichen Instrumenten erkennbar ist. Die
Zahl der heute bekannten Fraunhofersohen Linien geht in die
Tausende; was sie jedoch zu bedeuten haben, können wir erst ver-
stehen, nachdem wir auch andere Lichtquellen der Analyse durch das
Prisma unterworfen haben.
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■!F'
i
!
-.
-
-
r
=
Richten wir das
Spektroskop auf
eine unserer künst-
lichen Lichtquellen,
etwa auf die Flamme
einer Petroleum-
lampe oder auf den
Faden einer elektri-
schen Glühlampe,
so gewahren wir
~'* zwar dasselbe Far-
benband wie beim
Sonnenlicht, jedoch
sind die brechbare-
ren Teile desselben
verhältnismäßig'
lichtschwach,
und die im Sonnen-
spektrum so zahl-
reichen Fraun-
hoferschen Linien
fehlen gänzlich.
Die Verschiedenheit
in der Helligkeits-
verteilung können
wir uns leicht durch
den gewaltigen
Temperaturunter-
schied der ver-
glichenen Licht-
quellen erklären;
denn wenn wir die
Tomperatur der Pe-
troleumflamme, z.B.
durch Einleiten von
reinem Sauerstoff-
gas, künstlich stei-
gern, so sehen wir
schon mit freiem
: \ Auge das vorher
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gelbliche Licht in oin glänzendes Weite übergehen und das Spek-
troskop zeigt uns nun auch das blaue Ende des Spektrums hell leuchtend.
Man hat durch derartige Vergleiche feststellen können, dafs die Stelle
maximaler Strahlungsenergie nach einem ganz bestimmten, von Wien
theoretisch gefolgerten Gesetze sioh mit steigender Temperatur vom
Hot naoh dem Blau hin verschiebt, und Pasohen konnte sogar aus
der Lage des Helligkeitsmaximums im Sonnenspektrum ermitteln, dafs
die Temperatur der Sonnenoberfläohe sich auf etwa 5400° belaufen
müsse. — Das Fehlen der Fraunhoferschen Linien im Flammen-
spektrum läfst uns ferner vermuten, dafs diese Linien nur unter be-
sonderen Umständen in einem kontinuierlichen Spektrum auftreten,
vielleicht erst auf dem Wege von der glühenden Sonnenoberfläohe
bis zu unserem Auge durch irgendwelche Absorptionswirkungen zu
stände kommen, wie dies in der That von Kirchhoff im Jahre 1859
erwiesen worden ist.
Bevor wir indessen auf diese Kirchhoffsche Deutung der
Fraunhoferschen Linien näher oingehen können, müssen wir erst
noch eine weitere Gruppe von Lichtquellen spektroskopisch unter-
suchen. Ein kontinuierliches, völlig lückenloses Spektrum zeigt uns,
wie wir oben gesehen haben, nur das von glühenden, festen Körpern
ausgesandte Licht, denn wie in der Glühlampe der feste, durch den
elektrischen Strom zum Glühen gebrachte Kohlenfaden das Leuchtende
ist, so stammt auch das Licht einer Petroleum- oder Gasflamme von
glühenden, festen Kohlenstäubchen her, deren Vorhandensein im
Inneren der Flamme durch ihre russende Wirkung leioht nachge-
wiesen werden kann. Mischen wir dem Leuchtgase jedoch vor der
Verbrennung eine ausreichende Menge von Luft bei, wie dies bei
dem sogenannten Bunsenbrenner mittelst der im Stativ befindlichen
Öffnungen geschieht, so wird die Verbrennung im ganzen Querschnitt
der Flamme gleichzeitig von statten gehen ; die Rufsteilchen gelangen
gar nicht erst zur Abscheidung, und die Flamme verliert daher ihre
Leuchtkraft, während sie gleichzeitig eine bedeutend höhere Temperatur
erlangt. Das matte Licht, welches jetzt nooh von der Flamme aus-
geht, stammt von dem verbrennenden Leuchtgase selbst her und
zeigt sich schon dem blofsen Auge bläulich gefärbt, woraus man
bereits schliefsen kann, dafs es nicht alle Strahlengattungen des
Spektrums enthält Richten wir jetzt das Spektroskop auf die „Bunsen-
flammeu, so erblicken wir kein kontinuierliches Spektrum mehr, son-
dern drei durch dunkle Zwischenräume getrennte, naoh der blauen
Seite hin allmählich verblassende Lichtbänder im Grüngelb, Grün und
Himmel und Eni». 189a XI. 1. V>
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34
Blau. Wir haben jetzt das typische Spektrum eines leuohtenden,
ohemisch zusammengesetzten Gases vor uns.
Noch mehr vom kontinuierlichen Spektrum verschieden sind nun
aber die Spektra leuohtender Oase von chemisch elementarer Be-
schaffenheit. Betrachten wir das Spektrum der Bunsenflamme eine
längere Weile, so blitzt von Zeit zu Zeit eine ganz schmale, isolierte,
intensiv gelbe Linie auf, die in einem stark zerstreuenden Instrument
sich als doppelt erweist. Woher diese Linie stammt, können wir leicht
feststellen, wenn wir vermittelst eines Drahtes etwas Kochsalz in die
Flamme einführen; alsdann ist nämlich die gelbe Linie sofort mit
grofser Intensität dauernd in dem Spektrum vorhanden. Allem An-
sohein nach beruhte daher auch das vorherige Aufblitzen dieser Linie
darauf, dafs salzhaltige Staubteilchen zufällig in die Flamme gerieten.
In der That befindet sich Kochsalz in minimalen Spuren zu
jeder Zeit in unserer Luft, wie ja auch ganz erklärlich ist, da der
Wind auf dem Meere kleine Wasserteilchen der Luft beimengt und
aus jedem noch so kleinen Tröpfchen Meerwasser bei dessen Ver-
dunstung ein Salzkrystallohen zurückbleiben mufs, das dann von der
Luftströmung bis weit in das Binnenland mitgeführt wird. Die
Spektralanalyse ist aber ein so empfindliches Foreohungsmittel, dafs
schon der dreibillionste Teil eines Gramm Kochsalz durch die gelbe
Linie nachgewiesen werden kann. Ist nun die gelbe Doppellinie das
Spektrum des glühenden Salzes? — Keineswegs! Das Kochsalz ist
vielmehr seiner chemischen Zusammensetzung* nach eine Verbindung
von Chlor und Natrium und wird durch die Flammenhitze sofort in
diese beiden Bestandteile dissoziiert. Das metallische Natrium ist nun
aber ein sehr leicht flüchtiges Element; es entwickeln sich daher in
der Bunsenflamme glühende Natriumdämpfe, und dieses elementare,
glühende Gas sendet nur Licht von zwei ganz nahe zusammenfallen-
den, und zwar gelben Farben aus. Die doppelte „Natriumlinie " ist
ein typischer Repräsentant eines metallischen Gasspektrums.
Andere metallische Gasspektra erhalten wir durch andere Salze,
die wir der Flamme beimischen; alle diese Spektra bestehen jedoch
nur aus einer oder mehreren, charakteristisch gefärbten und daher
an bestimmten Stellen im Spektrum erscheinenden, schmalen Licht-
linien. So liefert das Thallium eino grüne, Kalium aber zwei tiefrote
Linien; Calcium, Rubidium und Baryura liefern sehr linienreiche,
prächtige Spektra von einer für jeden dieser Stoffe eindeutig be-
stimmten Zusammensetzung (vergl. die Zusammenstellung einiger
dieser Spektra in Fig 4). Dabei genügen, wie wir schon beim
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Natrium sahen, die minimalsten Spuren dieser Stoffe zur Ilervorrufung
der entsprechenden Linien. Gerade dadurch ist die Spektralanalyse
für den Chemiker von so hervorragender Bedeutung geworden, ja
eine ganze Reihe von zwar verbreiteten, aber stets nur in sehr ge-
ringen Mengen vorkommenden Elementen wie Rubidium, Cäsium,
Thallium, Indium und Gallium, sind erst durch die Spektralanalyse
entdeckt worden.
H o W U O OMA
Sonne
Nitrium
Thallium
Kalium
Citcium
Figur 4. Zusammenstellung einiger Spektra.
Zur Untersuchung der Spektra der schwerer flüchtigen Metalle
bedürfen wir einer anderen Methode, da dieselben in der Bunsen-
flamme nicht vergast werden würden. Man bedient sich in diesem
Falle des elektrischen Funkens, dessen Temperatur eine aufserordent-
lich hohe ist, und dessen Spektrum daher neben den Linien des durch-
schlagenen Gases auch stets die Linien derjenigen Metalle zeigt,
zwischen denen der Funken überspringt. Auch in dem Davyschen
Lichtbogen (Bogenlampe) herrscht eine so hohe Hitze, dafs darin so-
gar die schwerst schmelzbaren Metalle verflüchtigt und in Bezug auf
ihr Spektrum untersucht werden können; nur projizieren sich in
diesem Falle die hellen Metalllinien auf das kontinuierliche Bogen-
lichtspektrum, das von den glühenden Kohlenteilchen herrührt. Da
jedoch dieses Spektrum bei stärkerer Dispersion durch die Ausbreitung
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auf eine gröfeere Fläohe erheblich abgeschwächt wird, während die
metallischen Linien von dieser Sohwächung nioht betroffen werden
weil sie eben Linien bleiben — , so ist der Kontrast, mit welohem
die Metalllinien hervortreten, meist völlig ausreichend.
Die Spektra der Schwermetalle sind zumeist aufserordentlich
reich an Linien; so hat man z. ß. beim Eisenspektrum mehr als ein
halbes Tausend Linien beobachtet und gemessen. Wenn nun übri-
gens auch die Lage dieser Linien für jedes Metall charakteristisch und
unveränderlich ist, so ist doch die Sichtbarkeit derselben in hohem
Mafse von den Druck- und Temperaturverhältnissen der betreffenden
Dämpfe abhängig, sodafs unter besonderen Verhältnissen Linien, die
sonst zu den hellsten gehören, vollständig fehlen und dafür andere,
sonst äufserst schwache Linien stark hervortreten können, wodurch
das Spektrum fast bis zur Unkenntlichkeit verändert wird.
In noch viel höherem Mafse vom Druok abhängig erweisen sich
die Spektra niohtmetallischer Elemente, besonders die der permanenten
Gase: Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff. Diese Gase bringt man
gleichfalls durch elektrische Entladungen zum Leuchten, nachdem
-man sie zuvor in Glasröhren eingeschlossen hat. Am einfachsten er-
scheinen die Spektra dieser permanenten Gase bei sehr niedrigem
Druck, also in sogenannten Geifs ler sehen Röhren. Der Wasserstoff
zeigt bei 1 bis 3 mm Druck ein aus drei Linien (in Hot, Blau und
Violett) bestehendes, sehr einfaches Spektrum ; der Sauerstoff zeigt
ein aus zahlreichen, namentlich in Blau und Violett gelegenen Linien
bestehendes Licht, während der Stickstoff ein Uberaus schönes und
charakteristisches, aus zahlreichen kannelierten Banden (d. h. Gruppen
von Linien) zusammengesetztes „Säulenspektrutn" erkennen läfst.
Unter anderen Druckverhältnissen können die Linienspektra von
Baridenspektren vertreten werden, oder es kann auch ein continuier-
liohes Spektrum daraus hervorgehen — immer aber bleibt der Ort der
Linien, so lange sie siohtbar sind, unveränderlich, so dafs eine Aus-
messung ihrer Stellung trotz aller Mannigfaltigkeit in dem Aussehen
des Spektrums sicheren Aufschlufs über die Natur des leuchtenden
Gases zu geben vormag.
(Fortsetzung folgt.)
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Ein neuer Planet zwischen Erde und Mars!
Wer hätto sich's noch vor kurzem träumen lassen dürfen, dafs
das Bild, welches seit mehr als 50 Jahren — seit der denkwürdigen Ent-
deckung des Neptun durch Galle auf Grund der Rechnungen des
Franzosen Levp rrier — unsere Planeten weit darbot, eine so wesentliche
Vervollständigung erfahren würde, wie sie in diesen Tagen zur That-
sache geworden ist? Immer höher schwoll die Zahl der Asteroiden
an, doch keine der zahlreichen Entdeckungen, die wir zum weit über-
wiegenden Teile in den letzten Jahren der Photographie und ihrer
Verwendung bei der systematischen Verfolgung der kleinen Planeten
in den bewährten Händen eines Wolf in Heidelberg und eines Char-
lois in Nizza zu verdanken hatten, liefs den von Leverrier bereits
gehegten Gedanken gerechtfertigt erscheinen, dafs auch in dem Räume
zwischen der Erdbahn und der Bahn des Planeten Mars sich noch
ein Wandelstern herumtummele. Wer vermag zu sagen, ob der Planet,
über dessen Entdeckung wir nachstehend unseren Lesern einige
Mitteilungen zu machen beabsichtigen, der einzige dieser Art ist, ob
nicht vielleicht noch mehrere, etwa gar eine ganze Gruppe, das Schick-
sal des nun entdeckten Gestirns teilen, dafs sie sich bisher vor unseren
Blicken verbergen konnten? Es wäre unwissenschaftlich und im gegen-
wärtigen Augenblick überdies mehr als verfrüht, wenn wir schon jetzt
der Erörterung der Frage näher treten wollten, ob und inwieweit die
zu meldende Entdeckung dazu führen wird, manche bisher unerklärte
Erscheinung im Getriebe des Planetenmechanismus aufklären zu helfen;
das aber steht fest, dafs sie künftig von der allergröfsten Bedeutung
für die Lösung der fundamentalsten Aufgaben im Gebiete der theo-
retischen wie der praktischen Astronomie werden wird.
In der Absioht, den seit dem Jahre 1889 nicht mehr beobachteten
Planetoiden (185) Eunike aufzusuohen, photographierte der Verfasser
dieser Notiz mit Unterstützung eines freiwilligen Mitarbeiters, Herrn
Studiosus Linke, die Umgebung des Sternes ß Aquarii, wo sich der
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gesuchte Körper der Berechnung gemäfs befinden sollte, in der Nacht
vom 13. auf den 14. August dieses Jahres. Gleich nach Beendigung
der zweistündigen Belichtung, noch in der nämlichen Nacht, wurde
die Platte entwickelt und fertig gemacht. Am nächsten Morgen be-
gann dio sorgfältige Durchsuchung der Platte, auf welcher nach kurzer
Zeit die beiden Planeten (119) Althaea und (185) Eunike identifiziert
wurden. Etwas später wurde ein verdächtiges, strichartiges Objekt
mit Hülfe der Lupe bemerkt, das unzweifelhaft einem Gestirn ange-
hören mufste, welches sich während der Exposition unter den Fixsternen
weiter bewegt hatte. Verfasser hielt diesen Strich, den er auf einer
älteren Platte derselben Gegend nicht finden konnte, wegen seiner be-
träohtliohen Länge von ca. 0.4 mm — im Durchschnitt zeichnen bei
zweistündiger Beliohtung die Planeten Striche von 0.2 bis 0.25 mm
Länge auf — für die Spur eines neuen Kometen; da an der be-
treffenden Stelle nämlich weder ein bekannter Planet, noch einer von
den gegenwärtig am Himmel sichtbaren Kometen stehen konnte, so
handelte es sich jedenfalls allem Anschein nach um ein neues Objekt.
Nun hiefs es den Himmel befragen. Der Abend des 14. August
war klar, der Himmel wolkenlos. Gleich naoh 10 Uhr, nachdem die
letzten Besucher die Sternwarte verlassen hatten, wurde der 12 zöllige
Refraktor der Urania auf den Stern ß Aquarii gerichtet. Nicht weit von
diesem hellen Gestirn fand sich bald ein fixsternartiges Objekt 10. bis
11. GröGse. Der neue Körper war gefunden. Sofort, nachdem seine
rückläufige Bewegung unzweifelhaft durch ein paar rohe Messungen
festgestellt war, wurden mehrere genaue Beobachtungen gemacht.
Damit war die Hauptarbeit dieser Nacht erledigt
Am nächsten Morgen zeigte die Reduktion, dafs das neue Objekt
eine ungewöhnlich grofse Bewegung besafs, wie sie bisher nie an
einem kleinen Planeten — von einem Kometen konnte nun schon
nioht mehr die Rede sein — beobachtet worden war. Das merkwür-
dige Resultat mitsamt dem scheinbaren Ort des Planeten DQ, welche
provisorische Bezeichnung er bis auf weiteres trägt, wurde unverweilt
telegraphisch naoh Kiel an die Zentralstelle für astronomische Tele-
gramme gemeldet und von dort, ebenfalls auf telegraphischem Wege,
wie üblich, an eine grofse Zahl Sternwarten weiter gegeben.
Fleifsige Beobachter machten sich sofort daran, den Planeten
zu beobachten, und binnen kurzem war eine grofse Zahl brauchbarer
Ortsbestimmungen zusammen, die sämtlich auch an Herrn A. Berbe-
rich vom Berliner Königlichen Recheninstitut, den verdienstvollen
Planetenberechner, gelangten. Nachdem am 31. August dem Verfasser
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39
noch eine Beobachtung- geglüokt war, umohte sich Herr Berberioh
am 2. September an die Arbeit, aus den 17 Tage Zwischenzeit um-
fassenden Beobachtungen eine Bahn zu errechnen. Am Nachmittag
bereits war das überraschende und kaum glaublich erscheinende
Resultat ermittelt, dafs es sich nicht um einen kleinen Planeten der
Gruppe zwischen Mars und Jupiter handele, vielmehr der neue Welt-
körper, nun ein gesichertes Glied unseres Sonnensystems, seine Bahn
um die Sonne zum weitaus gröfsten Teile in dem Räume zwisohen
der Erdbahn und der Marsbahn beschreibt Die Elemente, die aller-
dings, wenn der Planet längere Zeit beobachtet und verfolgt sein wird,
noch kleine Änderungen erfahren dürften, sind die folgenden:
Epoohe: 1898 August 31.5 mittlere Zeit Berlin.
Mittlere Anomalie . . . == 220° 14' 3 ".7
Abstand des Perihels vom
aufsteigenden Knoten . = 178 28 26.2
Länge des aufsteigenden
Knotens
i
Neigung der Bahn gegen
die Erdbahn ....
Exzentrizitätswinkel . .
Mittlere tägliche Bewegung
= 303 48 63.0
11
13
2010'
6 57.1
13 3.8
.131
bezogen auf die mitt-
lere Lage von Äquator
und Ekliptik für den
Jahresanfang 1898.
Dauer des Umlaufs um dio Sonne — 645 Tage.
Halbe grofse Axe der Bahn = 1.4606 astronomische Einheiten,
welohe letztere zu rund 20 000 000 Meilen gereohnet werden kann.
Hiernach ergab sich, dafs der Planet nahezu in der Sonnenferne
aufgefunden ist, dafs aber, wenn die Zeit seiner Opposition zugleioh
mit der Sonnennähe zusammenfällt, er die Helligkeit eines Sternes
sechster Gröfse erreichen und bei einer solchen Gelegenheit der Erde
bis auf 2 7a Millionen Meilen nahe kommen wird.
Diese kurzen Andeutungen werden schon zur genüge erkennen
lassen, dafs hier ein Planet gefunden wurde, dessen planmäfsige Be-
obachtung namentlich für die Ermittelung der Sonnenparallaxe, mit
anderen Worten der Entfernung der Erde von der Sonne, eine bisher
ungekannte Genauigkeit erhoffen läfst, ein Punkt, über den später in
Verbindung mit anderen bedeutsamen Aufgaben nähere Mitteilungen
erfolgen werden.
Wie häufig der Zufall sein Spiel treibt, so auch in diesem Falle.
Haid nach Bekanntwerden der Entdeckung meldete nämlich der
Direktor Perrot in der Sternwarte Nizza, dafs Herr Charlois dort
in der Nacht vom 13. zum 14. August die fragliche Gegend ebenfalls
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photographisch aufgenommen habe, und dafs der Planet sich auf der
Platte vorfinde. Nach astronomischen Gepflogenheiten gilt indessen
derjenige, der zuerst eine bezügliche Meldung an die Zentralstelle
nach Kiel gelangen läfst, als der eigentliche Entdecker, und so haben
Zufall und Olück zusammengewirkt, um dem Verfasser vorstehender
Zeilen diese wichtig« Entdeckung zu teil werden zu lassen.
G. Witt.
Die grössten astronomischen Refraktoren besitzen derzeit das
Yerkes - Observatorium (unweit Chicago) und das Lick - Observa-
torium auf dem Mt Hamilton (California), beides von Clark gebaute
Instrumente, ersteres mit einer Objektivöffnung von 135 cm (40 inches),
das andere von 121 cm (36 inches) Apertur. Über 100 cm Öffnung
haben aufserdem folgende Fernrohre: 109 cm das Instrument des
Nationalobservatoriums zu Meudon (Paris), 106 cm daß in Ausführung
begriffene grofse Instrument des astrophysikalischen Observatoriums
in Potsdam, und nahezu die gleiche Gröfse, 102 cm resp. 101 cm, be-
sitzen die Refraktoren der Sternwarten von Nizza und von Pulkowa
bei Petersburg. Folgende Instrumente rangieren mit 86—100 cm
(25-30 inches):
98 cm Öffnung der Refraktor des Pariser Observ. (Martin),
94 „ „ „ „ des Greenwicher Observ. (Grubb),
90 „ „ „ Wiener Refraktor (Grubb) und das Archenhold-
sche Fernrohr zu Treptow bei Berlin (Schott,
Steinheil, Hoppe),
88 „ „ zweite Refraktor zu Greenwich (Grubb) sowie die
Refraktoren des Naval-Observatory zu Washing-
ton und des Cormick - Observatory (Virginia)
(beide von Clark),
85 ., „ „ Refraktor des Cambridge-Observ. (Cooke).
Mit Objektivöffnunge>n von 67—85 cm (20—25 inches) sind derzeit
folgende Instrumente gebaut: der Refraktor von Gebrüder Henry in
PariB (83 cm), die Instrumente von Clark für das Harvard - Coli ege-
Observ. (Cambr.) und das Lowell-Observatory, sowie der Grubb -Re-
fraktor der Kapstadt- Sternwarte (81 cm); ferner sieben Instrumente
(67—80 cm) von Clark, Merz und Henry an den Observatorien Paris,
Princeton, am Ätna u. a. a. Orten. *
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Bewegung des roten Jupiterfleckes. Das vor zwanzig Jahren
auf der südlichen Hälfte der Jupiterkugel entdeckte merk-
würdige Gebilde eines grofsen roten Fleckes hatte schon bald nach
seiner Entdeckung eine selbständige, d. h. von der Rotation des Jupiter
unabhängige Bewegung gezeigt, so dafs die Weiterbewegung dieses
Fleckes unter der Annahme gewisser Hypothesen im voraus angegeben
werden konnte.
Am astrophysikalischen Observatorium in Potsdam ist der rote
Jupiterfleck oft beobachtet worden, und ein ansehnliches Material
mikrometrischer Messungen, bis in die neueste Zeit reichend, liegt
vor. Prof. Lohse hat vor kurzem den Versuch gemacht, unter An-
nahme eines festen Meridians und unter Voraussetzung einer gleich-
förmigen Rotation des Jupiter von 9 11 55,7 m die Bewegung des Fleckes
in der 20jährigen Periode aus den Messungen festzustellen und ist
dabei zu einem sehr merkwürdigen Resultate gelangt. Er leitete aus
den Beobachtungen über den Mittelpunkt des Fleckes für jede Oppo-
sition einen „ Normalort" ab, und der Vergleich dieser Normalörter
liefs deutlich die eigentümlich fortschreitende Eigenbewegung des
Fleckes erkennen. Folgende jovigraphische Längen resultierten aus
den Jahresbeobachtungen:
1878,6
249,5
79,7
182,7
1880,7
128,5
82,1
78,0
84,1
32,6
86,3
8,3
88,3
358,9
1891,7
352.0
94,0
358,8
96,1
10,1
97,3
20,4
Aus den ersten Normalörtern zeigt sich also schon eine andauernde
schnelle, aber gesetzroäfsige Abnahme der Längen. Der Fleck kam
jeden Tag früher in die Mitte der Scheibe, als er nach der mittleren
täglichen Rotation des Jupiter kommen sollte; demnach übertraf seine
Bewegung die Rotationsgeschwindigkeit des Planeten. Die Geschwindig-
keit des Fleckes verringert sich aber, wie man aus den Zahlen sieht,
schnell, und verlangsamt sich allmählich, so dafs um 1891 eine gleich-
förmige, aber in umgekohrler Richtung sich vollziehende Bewegung
eintritt Wenn man also von der mittleren Rotation von 9 u 55,7 m an-
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nehmen darf, dafs sie dem festen Jupiterkörper angehört, so würde
aus den Zahlen die Folgerung zu ziehen sein, dafs der Fleck in den
ersten 13 Jahren seit seinem Auftauchen fast 3/4 des ganzen Urafanges
der Jupiterkugel durchlaufen hat, dann umgekehrt ist und jetzt nach
und nach in die bereits inne gehabten Stellungen zurückzukehren
scheint. Die Kraft, welche den Fleok bei seiner Entstehung in Ro-
tation versetzte, bewirkte demnach anfänglich ein Vorauseilen des
Fleckes gegen die tägliche Rotation, dann sank die Kraft rasch, später
allmählich und erreichte 1891 Gleichförmigkeit; 'seit dieser Zeit trat eine
weitere und stärker werdende Verminderung der Bewegung ein. Nach
dem Bekanntwerden des Lohseschen Resultates wird man wohl die
zur Erklärung des Fleckes herangezogene Hypothese, dafs es sich
hier um einen kolossalen vulkanischen Ausbruch auf der Jupiter-
oberfläche handle, und der rote Fleck durch die Fortbewegung der
Auswurfsprodukte in der Jupiter- Atmosphäre entstanden sei, streichen
müssen. Denn diese Hypothese dürfte für die Erklärung der Bewegung
des Fleckes seit 1891 nicht mehr ausreichen. *
Geographische Verbreitung der Erdbeben in den Vereinigten Staaten
und auf Hawaii.
Die statistischen Untersuchungen von Montessus de Bailore
über die Erdbebenverbreitung erstrecken sich jetzt auoh auf das Gebiet
der Vereinigten Staaten Nordamerikas und auf Hawaii. Das über Erd-
bebenaufzeichnungen zu Gebote stehende Material ist allerdings noch
sehr lückenhaft, besonders mangelt es an gröfseren, mit Seismo-
graphen angestellten Beobachtungsreihen, indessen läfst sich folgende
Verteilung der Erdbebenhäuflgkeit deutlich erkennen. Obenan steht
die Hauptinsel der Hawaii-Gruppe; es kommt dort, wie wegen der
vulkanischen Natur der Insel (welche zwei der bedeutendsten Vulkane
beherbergt) naheliegend ist, schon auf je 37 qkm je ein Erdbeben.
In den ausgedehnten Gebieten der Vereinigten Staaten stellt selbst-
verständlich Zentral-Kalifornien das seismisch bewegtoste Land dar,
nämlich das Terrain von San Franzisko bis östlich zum Yosemite-Thal,
südlich bis zum Fort Tejon, nördlich bis zum Shastaberge. Auf je
76 qkm kommt ein Erdbeben; die unruhigsten Gegenden liegen um
die Bai von San Franzisko, am mittleren Sakramento, und in den
Cordilleren von Quincy bis Jackson. Südkalifornien, von der Bai von
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Monterey bis San Diego (Häufigkeit 87 qkm) zeigt namentlich längs
der Küste eine stärkere Bewegung. Dann folgt in der absteigenden
Reihe der Erdbebenhäufigkeit Neuengland (90 qkm) mit dem Zentral-
punkte Ost-Haddam; unruhig zeigt sich besonders die Bai von Boston
und der Long Island-Kanal. Das Territorium Washington mit der
Vulkankette zwischen Mount Baker und Mt Hood und der Insel
Vancouver und Nordkalifornien von San Franzisko bis Crescent City
ergänzen das südlichere grofse kalifornische, erdbebenreiche Gebiet»
Als besonders seismisch bewegt erweist sich die Küste vom Kap Men-
docino bis zur Humboldtbai und die sich am Eelflusse hinziehende
Gegend. Die Erdbebenhäufigkeit im Territorium Washington und
Nordkalifornien steht fast gleich, etwa 118 qkm. Nun folgen die
weniger von Erdbeben heimgesuchten Gebiete der Vereinigten Staaten,
betreffs welcher sich freilich das Bild der Häufigkeit wesentlich anders
gestalten dürfte, wenn der grofse wissenschaftliche Fortschritt in den
Vereinigten Staaten auch eine systematische Beobachtung der Erdbeben
zu stände gebracht haben wird. Die Gegenden am Erie- und Ontario-
See, mit Rochester als Mittelpunkt, haben eine Häufigkeit von nur 345
qkm; ganz gleich stehen Ohio, Tennessee und Mississippi, noch. niedriger
rangiert Michigan (487 qkm). Zahlenmäfsig gegenwärtig noch schwer
bestimmbar, aber nicht unerheblich ist die Erdbebenhäufigkeit in dem
grofsen Gebiete, welches sich östlich von Zentralkalifornien ins Innere,
über die Staaten Nevada und Utah bis zum Rio Colorado erstreckt. Hier
erweisen sich einzelne Partien von den Cord illeren gegen den Pyra-
midensee, beim Salzsee, und die Gegend östlioh von Mt. Whitheney
(in den Jahren 1868 — 72 vielen Erdbeben ausgesetzt) als recht be-
wegt. Von den Küsten am mexikanischen Golf finden sioh nur einzelne
'Erdbeben aufgezeichnet, und sehr dürftig ist besonders das statistische
Material über Nebraska, Kansas, Colorado. Kapitän Montessus
macht auch darauf aufmerksam, dafs die im Norden Amerikas befind-
liche, gewissermafsen die Brücke zwischen Asien und Amerika her-
stellende vulkanische Kette der Aleuten eine lebhafte seismische Be-
wegung, besonders auf der Insel Unalaschka, besitzt.
Astronomische Pendeluhren ohne Kompensation.
In der Auffindung einer Stahl -Nickel -Legierung von aufser-
ordentlich geringfügigem Ausdehnungskoeffizienten ist dem Physiker
Guillaume eine nicht nur theoretisch hochinteressante, sondern auch
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praktisch wichtige Entdeckung') geglückt. Während man nämlich bis-
her bei der Herstellung astronomischer Pendeluhren gezwungen war,
kostspielige Kompensationsvorrichtungen (Rostpendel oder Queck-
silberkompensation) anzubringen, um die durch Temperaturschwan-
kungen bedingten Störungen des Uhrganges zu beseitigen, lassen sich
jetzt aus Nickelstahl Pendel herstellen, welche durch Temperatur-
änderungen nur eine kaum bemerkbare Veränderung der Schwin-
gungsdauer erfahren und daher Tür astronomische Uhren ohne wei-
teres Verwendung finden können.2)
Die Thatsache, dafs bei Legierung des Stahls mit wechselnden
Mengen von Nickel eine so aufserordentliche Veränderung der ther-
mischen Ausdehnung stattfindet, ist eine ganz neuartige, vom physi-
kalischen Gesichtspunkte aus höchst merkwürdig« und vorläufig un-
erklärbare Erscheinung, dio übrigens mit ähnlichen Änderungen der
Elastizität parallel geht und auf eine eigentümliche Molekularstruktur
der betreffenden Legierungen schliefsen läfst. Während sich Stahl bei
Erwärmung um 100° C. auf das 0.00 1035 fache seiner Länge ausdehnt,
nimmt diese Zahl — das Hundertfache des sogenannten Ausdehnungskoef-
fizienten — bei geringem Nickelgehalt noch zu, bis bei 24 pCt Nickel-
gehalt ein Maximum erreicht wird. Bei weiterer Steigerung der Nickel-
beimengung nimmt der Ausdehnungskoeffizient nun aber rapide ab
und erreicht bei 35,7 pCt. Nickel den erstaunlich niedrigen Wert
0,0000877, der nur den zwölften Teil des beim Stahl beobachteten
Wertes beträgt und selbst dem Iridium gegenüber eine achtmal ge-
ringere Ausdehnung anzeigt. Bei noch weiterer Zunahme des Nickel-
gehaltes zeigte sich aber wieder eine rasche Vergröfserung der Aus-
dehnung, die bald einen normalen Wert erreicht und bei reinem
Nickel sogar gröfser ist als beim Stahl. Ein Analogon für diese
höchst überraschenden Thatsachen kennen wir allein bei den Schmelz-
temperaturen, die bekanntlich für Legiorungen oft wesentlich niedriger
liegen als die Schmelzpunkte der einzelnen Metalle, aus denen sie
bestehen; so hat Lipowitz aus Wismuth, Zinn, Blei und Kadmium
eine Mischung herstellen können, die schon bei 60 0 flüssig wird, wäh-
rend die Schmelzpunkte aller Konstituenten höher als 220 0 liegen.
Es liegt auf der Hand, dafs der Nickel-Stahl aufser zu Pendeln
auch zu vielen anderen Dingen mit Vorteil verwendet werden wird.
') Die Auffindung dor Legierung erfolgte bei Gelegenheit von Arbeiten,
die von dem internationalen Institut für Mafs und Gewicht angeregt waren.
?> Derartige Uhren mit .immunem- Nickelstahlpendcl konstruiert
H. Heele in Berlin.
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45
So werden in Zukunft vor allem Mefslineale, die im Freien gebraucht
werden und eine genaue Temperaturermittlung kaum zulassen, aus dem
„immunen" Material herzustellen sein. Allerdings mufs bei dieser
Verwendung der Umstand berücksichtigt werden, dals der Nickelstahl
in der ersten Zeit nach seiner Erstarrung noch sehr merkliche Volumen-
veränderungen erfährt, die auf einer Art elastischer Nachwirkung
beruhen. F. Kbr.
Violle. J.: Lehrblich der Physik. Deutsche Ausgabe von E. O um lieh,
W. Jaegor, St. Lindeck. II. Band, Zweiter Teil: Geometrische Optik.
Mit 270 in den Text gedruckten Figuren. — Berlin, Vorlag von Julius
Springer. 1897. — Preis 8 M.
Der vorliegende Band des Vio 11 eschen Lehrbuchs der Physik behandelt
das Gebiet der reinen geometrischen Optik, während die physikalische Optik
in einem besonderen Bande zur Darstellung gelangen wird; einige speziellere
Resultate der letzteren, soweit Bie die spektrale Zerlegung des Lichtes ver-
schiedener Lichtquellen und die Deutung der hierbei sich ergebenden Erschei-
nungen betroffen, haben allerdings bereits in diesem Bande Berücksichtigung
gefunden.
Ausgehend von dem Erfahrungssatz der geradlinigen Fortpflanzung der
Lichtstrahlen in einem homogenen Medium, werden die Gesetzo der Reflexion
an ebenen und gekrümmten Spiegeln, die hierauf gegründeten Vorfahren der
Winkelmessung, die Methode der Ermittlung kleiner Drehungswinkel durch
die sogenannte Spiegelablesung und einige speziellere Formen häufig gebrauchter
Instrumente, bei denen Spiegel zur Vorwendung kommen, abgehandelt. Re-
ferent vermifst in diesem Zusammenhang die Erwähnung des Gaussschen
Heliotropen. Besonderes Interesse verdient u. a. in diesem Teil des Werkes
die Schilderung des von Foucault angewendeten Verfahrens zur Her-
stellung parabolischer Spiegel und der von ihm vorgeschlageneu Prüfungs-
methoden.
Die nächsten beiden umfangreichen Kapitel handeln von der Brechung
und Zerstreuung des Lichtes an der Grenzfläche zweier verschiedenen optischen
Medien, den besonderen Eigenschaften der Linse, sowohl der unendlich dünnen
wie derjenigen, deren Dicke nicht vernachlässigt werden darf, und den Hilfs-
mitteln zur Erzeugung achromatischer optischer Systeme. Den Schlufs bildet
eine gedrängte Darstellung der Theorio der optischen Instrumente, die allos
Wissenswerte berührt, ohne indessen sich allzusehr in die Einzelheiton dieser
schwierigen Materie zu vertiefen. In diesem letzteren Teile sind uns einige
46
klein© Ungenauigkeiten, dio zum Teil auf Druckfehlern zu beruhen scheinen,
aufgefallen. Zum Beispiel dürfte die Angabe nicht zutreffend sein, dafs Frauen-
hofer den von ihm hergestellten achromatischen Fernrohrobjektiven das
Öffnungsverhältnis 1 : 30 gegeben habe, welche Zahl auch heute noch üblich
sei Unseres Wissens wird im allgemeinen nicht unter das Verhältnis '/ij — V»
heruntergegangen.
Die Darstellung zeichnet sich wie in den früher bereits erschienenen
Teilen durch Klarheit und Anschaulichkeit aus, berücksichtigt auch in kurzen
Umrissen überall den geschichtlichen Entwicklungsgang, beruht im übrigen
aber gänzlich auf der älteren Methode, ohne sich der neuen Ab besehen An-
schauungsweise zu bedienen. Dankenswerterweise haben die Herausgeber
mehrfach in Fufsnoten eine Vervollständigung des Inhalts, namentlich auch
bezüglich neuer Instrumente und im Texte des Buches nicht erwähnter optischer
Systeme, z.B. der von Zeiss in Jena der Vergessenheit entrissenen bildum-
kehrenden Prismenkombinationen u. a. m., gegeben G. W.
Adolf Richter: Kalenderscheibe zur Umrechnung aller möglichen
Daten in julianisches oder gregorianisches Datum. — Riga, Hinckfufs.
Dieses Hilfsmittel zur Verwandlung der Daten anderer Arten in die ent-
sprechende unserer Zeitrechnung besteht aus einer Orundscheibo mit der Ein-
teilung in 36!) resp. 366 Tage und einigen kleineren Scheiben, die je nach der
gegebenen Frage auf dem Mittelpunkte der Grundscheibe befestigt werden.
So erlaubt z. B. ein und dieselbe Scheibe dio gregorianischen Daten der jüdischen
Mondjahre von 354, 353 und 355 Tagen und des mohamodanischen Mondjahres
von 354 und 355 Tagen unmittelbar abzulesen. Eine andere genügt für das
längere jüdische Jahr von über 383 Tagen und das chinesische Mondjahr, etc.
Da man nur mit wenig Scheiben zu thun hat, auch die Gebrauchsanweisungen
auf den einzelnen Scheiben beigedruckt sind, so kommt man mit der Verwand-
lung gegebener Daten recht schnell zum Ziele, und die „Kalenderscheibe" kann
darum gut empfohlen werden. G.
Obersicht der Himmelserscheinungen für Oktober und November.
Der Sternhimmel. Um die Mitto der Monate Oktober und November ist
der Anblick des gestirnten Himmels um Mitternacht der folgende: Im Oktober
kulminieren dio Sternbilder der Fische, Andromeda und Kassiopeja, im No-
vember der Walfisch, die Plejadcn und Perseus. Im Untergänge sind um
Mitternacht Adler (gegen 1 h morgens, im November um 1 1 i> nachts unter-
gehend), Delpbiu und Wassermann (zwischen 12*» und 2*>). Die Sternbilder
Bootes, Herkules und Ophiuchus gehen zwischen 8—10 h unter, Jungfrau geht
6chon nachmittags unter, Wage und Skorpion in den ersten Abendstunden
(Antares nach 6 h, im November um 4*»). Im Aufgehen sind um Mitternacht
der grofse Löwe (Regulus geht um V, 1 >> resp. '/41*2»» auf), der grofse und
kleine Hund (Sirius geht um V,lh resp. 7*Hhftuf, Procyon eine Stunde
früher) Der Orion ist seit 8*», die Zwillinge seit 7 h abends vollstäudig sicht-
bar, der Stier schon in don ersten Abendstundon (Aldebaran geht um '/.,8 h
resp. Vj6»» auf), dio Storno des Walfisches noch etwas früher. Am Morgen-
Himmelserscheinungen.
47
himmol (gegen 5 b morgens) bemerkt man den Aufgang des Jungfraustern-
bildes. Folgende zur Orientierung verhelfenden Sterne kulminieren für Berlin
um die Mitternaehtszeit:
1 . Oktober C Androm. (4. Gr.)
(AR. Oh 42m D.
+ 23°
43')
8. „ t Piscium (4. Gr.)
1 G
H-29
33
15. „ » h (4. Gr.)
1 36
+ *
58
22. „ ß Trianguli (3. Gr )
2 3
+ 34
30
29. „ «Ceti (4. Gr.)
2 34
- 0
6
1. Novemb. 41 Arietia (4. Gr.)
2 44
+ 26
50
3. „ 12 Eridani (3. Gr.)
3 8
— 29
23
15. „ 5 „ (3. Gr.)
3 38
— 10
7
22. „ o „ (4. Gr.)
4 7
- 7
6
29. „ 53 „ (4 Gr.)
4 33
-14
30
Helle veränderliche Sterne, welche vermöge ihrer günstigen Stellung vor
und nach Mitternacht beobachtet werden können, sind:
UCephei (Variabilität zw. 7.8. und 9. Gr., Periode 2 Tage 11 St. 50 Min.)
BPegasi ( i| „ 2.2. „ 2.7. Gr. „ irregulär)
K „ (Maximum 7.8. Gr. am 9. Oktober)
U Arietia ( „ 7. Gr. „11. „ )
RLeporis( ,t 7. Gr. „ 20. „ )
aufserdem namentlich die beiden merkwürdigen Veränderlichen ß Persei (Algol)
mit der kurzen Periode von 2 Tagen 20 & 48 m, und Mira Ceti (o im Walfisch),
dessen Periode 331 Tage beträgt und dessen Maximalhelligkeit (3.4 Gröfse) auf
den 6. Oktober fallen wird. Von den hellen Nebeln ist der Andromedanebel
noch gut verfolgbar.
Die Planeten. Merkur ist im Oktober anfänglich am Morgenhimmel noch
sichtbar und tritt in der zweiten Hälfte des November wieder am Westhimmel
nach Sonnenuntergang hervor. Am 16 Oktober ist er sehr nahe beim Jupiter
zu finden, mit welchem er, und fast gleichzeitig mit der Sonne, untergeht. —
Venus geht im Oktober eine Stunde nach der Sonne, später immer kürzere
Zeit nach derselben unter. Sie läuft aus dem Skorpion, in welchem sie am
19. Oktober dorn Antares am nächsten kommt, bis in den Ophiuchus und kehrt
Mitte November in letzterem um. Vor Ende Oktober erreicht sie ihren gröfsten
Glanz. Mitte November erfolgt der Untergang schon Vi Stunde nach dem
Sonnenuntergänge. — Mars geht Anfang Oktober um V4 Hh abends auf, An-
fang November um Vi 10 h. Ende November um 8t>. Sein Lauf zieht sich von
den Zwillingen (südlich von Castor) gegen den Krebs hin, Ende November ist
er unweit der Sterngruppe „Krippe" im Krebs angelangt. Während der beiden
Monate vermindert sich die Entfernung des Mars von der Erde um weitere
0.45 Einheiten der Entfernung Erde-Sonne. — Jupiter ist nur noch kurze
Zeit am Abendhimmol beobachtbar, da er immer zeitiger untorgoht; nach Mitte
Oktober erfolgt sein Untergang früher als das Verschwinden der Sonne, und
der Planet wird im November allmählich vor Sonnenaufgang am Morgenhimmel
auffindbar. Er beschreibt einen nördlich von Spica in der Jungfrau nach Süd-
osten ziehenden Weg. — Saturn steht im Skorpion nördlich von Antares und
läuft gegen den Ophiuchus hin. Er befindet sich während des Oktober und
November in der Näho von Venus, steht aber 5— G Grad nördlicher als letztere.
Er ist mit Venus am Abendhimmel zwar noch sichtbar, geht aber immer zei-
tiger unter, Anfang November um 6 •» abends, Ende November um V«5h. —
Uranus ebenfalls im Skorpion, in der Nähe von ß Scorpii, steht in demselben
Parallel wie Saturn, aber westlicher aLs der letztere. Er geht eine halbe Stunde
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früher als Saturn unter. Das Zusammenfinden dreier Planeten, Venus, Saturn
und Uranus, in demselben Sternbilde, in der Nahe der hellen Sterne a und ß
Scorpii, ist keine ganz unbemerkenswerte Konstellation. — Neptun endlich
ist die ganze Nacht sichtbar, da er Anfang Oktober um 9 b, Ende November
gegen 5 b abends aufgeht. Er befindet sich in der Nähe von C Tauri (3.3 Gr.).
Für Berlin sichtbare Sternbedeekungen durch den Mond.
Eintritt Austritt
6. Oktober 132 Tauri (5.4. Gröfse) 5 b 23 m morg. 6 h 37 m morg.
18. „
o Scorpii
(3.3.
)
5
0 abends
5
51 abends
22.
-Capricorni (5.
« )
4
57
6
9
22.
?
(5.1.
)
6
11
7
10
Mond.
Letztes Viert ,
air
t 7. Oktober Aufgang 9 b
56
m abends, Unterg. 2 b 0 °> nachm.
Neumond
* i
15. „
Erstes Viert.
••
22.
1
52
nachm.,
10 54 abends
Vollmond
29. .,
4
3
8 12 morg.
Letztes Viert
fi. Novemb.
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11
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Neumond
14.
Erstes Viert
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20. „
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11 80 abends
Vollmond
••
28. „
3
43
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i>
9 8 morg.
Erdnähen : 20. Oktober, 16. November; Erdfernen : 7. Oktober, 4. November.
Sonne.
Sternzeit f. den . , Souucnaufg. Sonnenunterg.
mittBerl. Mittag Gleichung L Berlin
1. Oktober
12 b
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15
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7
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4
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15
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13.8
- 15
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16
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16
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7
49
3
49
•
Vorlug: lleru&QB Paetel Im Berlin. — Druck i Wilhelm Orcnto i Kaebdrock«rrl in Bfrlin - 8ch6n»b»Tf.
Ttt die KedmcUon veaotwectlieh: Dr. P. Bchweha 1» Berlin.
Unberechtigter Nachdruck tu den lohelt dieeer Zeitschrift uUnifl
ÜberseUnnfsrecht vorbehalten.
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Das Märchenland des Yellowstone.
Von Dr. P. Seil tvah ii in Berlin.
c J(Tm Nordwesten der Unionsstaaten an der Grenze der drei Terri-
torien Montana, Wyoming und Idaho liegt inmitten der Berg-
riesen des Feisengebirges im Quellgebiete des oberen Yellow-
stone- und Madison-Rtver das berühmte Wunderthal Amerikas, das
unter dem Namen „Yellowstone- oder National-Park" bekannte grofs-
artigste Geysergebiet der Welt. — Es ist ein Märohenland, dem auf
dem ganzen Erdenrunde nichts Ebenbürtiges zur Seite zu stellen ist,
das die Bürger der Vereinigten Staaten wie ein Geschenk der Natur
verehren, zu dem sie hinpilgern wie zu einem Mekka, und von dessen
natürlichen Fontänen, mächtigen Felspartien, majestätischen Wasser-
fällen, anmutigen Seen und herrliohen Waldungen sie mit einer ge-
wissen Ehrfurcht und Andacht erzählen.
Merkwürdigerweise ist dieses Wunderland erst seit einem viertel
Jahrhundert bekannt Eine unbestimmte Kunde von den eigenartigen
Erscheinungen desselben stammt zwar schon aus dem Anfange dieses
Jahrhunderts, wo gelegentlich ein kühner Pionier, nach Erzen suohend,
einen staunenden Blick in das Zauberland that; auch wurden Nach-
richten über koohende Quellen, vulkanisch ausgeworfene Wasser- und
Sohlammergüsse von Zeit zu Zeit aus Jäger- und Indianermunde der
oivilisierten Welt des Ostens überbracht, doch blieben diese märchen-
haften Schilderungen und abenteuerlichen Gerüchte mehr denn sech-
zig Jahre unbeachtet und fanden keinen Glauben. Als jedooh im
Jahre 1869 die Goldsuoher Cook und Falsom den oberen Yellowstone
besuchten und nach ihrer Rückkehr von herrliohen Wasserfällen, von
einem grofsen See, von heifsen Quellen und Geysern erzählten, wurde
Himmel uod Erde. 1888. XL £ 4
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die öffentliche Aufmerksamkeit so sehr erregt, dafs General Wafs-
burn mit einer Anzahl Bürger aus Montana eine Expedition dahin
ausrüstete. Die Nachricht von dem neu entdeckten Wunderland durch-
flog die Union wie ein Lauffeuer, sie erweckte in den einflußreichen
Kreisen den lebhaften Wunsch einer gründlichen Erechliefsung jener
Regionen. Diese erfolgte denn auch bald darauf im Sommer 1871
unter der Leitung des damaligen Direktors der geologischen und geo-
graphischen Landesaufnahme, Prof. H aydens, durch eine vom Staate
ausgerüstete Expedition.
Es ist bezeichnend, dafs die Mitglieder der Haydenschen Ex-
pedition, als sie den ersten Qualm der kochenden Springquellen ge-
wahrten, ein Geschrei erhoben: die Geyser! die Geyser! geradeso wie
der verwunderte Ruf: Land! Land! erscholl, als sich Columbus' Zu-
versicht auf die Entdeckung einer neuen Welt als Wahrheit und
Wirklichkeit erwies.
Die begeisterten Schilderungen des amerikanischen Geologen
von der Anmut, von der Romantik und düsteren Melancholie des
alle Erwartungen übertreffenden Schauplatzes vulkanischer Thätigkeit
erregten die Aufmerksamkeit der Bundesregierung und bewogen die-
selbe auf Hayden8 Anregung zu einer That, die ein ehrendes Zeug-
nis von der Achtung der Repräsentanten der amerikanischen Nation
für die Bestrebungen der Wissenschaft und für die Juwelen ihres
Landes ablegt, und die zugleich dem Volke ein kostbares Geschenk
erhalten sollte, das sonst leicht in den Händen gewinnsüchtiger Spe-
kulation geschmälert werden konnte.
Am 1. März 1872 beschloß der Kongreß der Vereinigten Staaten,
einen Teil dieses Märchenlandes, 168 deutsche Quadratmeilen um-
fassend, — also etwa ein Gebiet von der Größe des Grofsherzogtums
Oldenburg — zu einer Staatsdomäne, zu einem Nationalpark zu er-
klären, der für ewige Zeiten dem Wohle und Vergnügen des Volkes
und den Forschungen der Wissenschaft reserviert bleiben sollte.
Der Name „Park" könnte leicht zu irrtümlichen Auffassungen
von der Natur jener Gegenden Anlaß geben; man könnte glauben,
die Landschaft, welche die wunderbaren vulkanischen Erscheinungen
umrahmt, sei durch Menschenhand bereits künstlich zu einem Parke
umgestaltet worden. Allein nichts ist irrtümlicher. Das ganze Gebiet
stellt noch immer eine der ursprünglichsten Gebirgswildnisse dar,
welche sich überhaupt im westlichen Teile der L'nionsstaaten vor-
finden. Außer der Anlage einiger Wege von primitiver Beschaffen-
heit, der Herstellung einiger die Verkehrstraßen vermittelnden Brücken
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hat man sich wohl gehütet, der Natur irgend welchen Zwang anzu-
thun; die Bäume liegen so, wie sie Wind und Wetter durch einander
geworfen haben. Das Thal war noch bis in die neueste Zeit so un-
berührt von der Hand der Civilisation, dafs jeder Reisende sich Wa-
gen, Pferde, Zelt und Proviant selbst mitbringen mufste, und zur Be-
nutzung der warmen Quellen gab es im ganzen Parke in den 70er
Jahren nur zwei elende Bretterbuden. Erst seit dem Sommer 1883
haben die Amerikaner inmitten der Wildnis fünf Hotels von kolossa-
len Dimensionen erbaut, um den Tausenden von Touristen und Hei-
lungsbedürftigen, welche aus allen Teilen der Welt dies herrliche
Fleckchen Erde aufsuchen, ein Unterkommen zu schaffen.
Auch wir wollen heute eine Wanderung nach dem berühmten
Wallfahrtsorte der Amerikaner unternehmen; eine Anzahl von Natur-
aufnahmen soll uns die Gaben zeigen, welche hier mit vollen Händen
ausgestreut sind.
Um dorthin zu gelangen, benutzen wir die nördliche der beiden
grofsen Weltverkehrslinien des neuen Kontinents, die im Jahre 1883
eröffnete Northern Pacific Bahn. Von der kleinen an dieser Bahn,
fern von den volksreichen Städten des Ostens, etwa in der Mitte
zwischen St. Paul und dem stillen Ozean liegenden Stadt Livington
führt eine von der Hauptlinie nach Süden sich abzweigende Schienen-
Eintritt in den Yellowstone-Park.
uigitizeo Dy Vj
52
strecke, der Thalfurche des Yellowstone-Flusses folgend, nach dem
Fufs der Zinnoberberge, und hier bei dem Örtchen Clnnabar betreten
wir die Schwelle des Parkes.
Aber wir sind vom Herzen des Märchenlandes noch eine gute
Strecke entfernt Die mäohtigen Bergketten der Rocky-Mountains,
welche vom Westen und Osten den Park umgürten, machen wegen
der bedeutenden Höhenansteigung eine Weiterführung der Bahn-
strecke in die Berge hinein unmöglich. Wir müssen die in
Cinnabar bereitstehenden Jagdkutschen besteigen, und auf diesen
geht es nun auf und nieder im Thale des Gardiner - Flusses nach
dem ungefähr 8 Meilen südlicher liegenden National - Hotel. Mit
Moränenschutt bedeckte Berghalden, Zeugen der Eiszeit, begleiten
uns längs des ganzen Weges; dann windet sioh der Pfad an einer
imposanten Oebirgswand vorbei, die Felswände schieben sioh ku-
lissenartig aneinander, durch welche sioh etwa 1000 Fufs tiefer der
Gardiner -Flufs hindurchwindet.
Endlich naoh einer etwas holprigen Fahrt gelangen wir nach
dem Nationalhotel, das einsam in der durch den fein zerriebenen
Kalkstaub sohneeweifs glänzenden Thalsenkung nur wenige tausend
Sohritt von den heifeen Quellen entfernt liegt.
Das Gasthaus ist ein hübscher vierstöckiger Holzbau im schweizer
Verandastil ohne Anspruch auf architektonischen Luxus; es besitzt
800 Zimmer und ist selbstverständlich mit Telegraph, elektrischem
Licht und allem in den besseren amerikanischen Hotels übliohen
Comfort ausgestattet Gleich nach Vollendung der Northern-Paoific-
Linie 1883 ist es von einer unternehmenden Gesellschaft hier aufge-
führt worden. Seitdem so auf die Bequemlichkeit der Parkbesuoher
Bedacht genommen ist, hat sioh denn auch die Zahl derselben be-
deutend vermehrt Die Amerikaner haben eben Geduld und Ausdauer
auch im Vergnügen, und tausend Meilen Eisenbahnfahrt ist für sie kein
unüberwindliohos Hindernis.
Um vom Hotel aus die südlich gelegenen grofsen Geyserbassins
zu besuchen, sind die Touristen noch gezwungen, sioh mit Wagen
und Pferden zu behelfen. Wir sehen auf unserem Bilde gerade eine
Anzahl Fuhrwerke — sie sind nicht alle so elegant wie das vorn-
stehende, sondern oft sehr primitiver Natur — , welche vollbeladen
naoh den Geysern abrücken. Aber diese zeitraubende und beschwer-
liche Wagenfahrt wird nicht lango mehr dauern. Die rührigo Gesell-
schaft für „Improvements- hat die Absicht, die einzelnen interessanten
Punkte des Parkes durch Pferdebahnlinien mit einander zu verbinden,
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ein Projekt, das nicht nur Verwirklichung finden, sondern sich auoh
gut bezahlt machen wird.
Wenige hundert Schritte vom Hotel beginnen die grofsartigen
Naturphänomene. Da erhebt sioh in der Niederung ein etwa 17 m
hoher und 7 m breiter, stumpfkonischer Krater von der Form eines
riesigen Zuckerhutes, der den poetischen Namen „Liberty Capu,
d. h. die „Freiheitsmütze" erhalten hat Es ist offenbar ein aller er-
loschener Geyserkessel, wie dies die überhängenden Schalen von
festem Kalktuff zeigen, der sich sein Grab selbst gebaut hat. Sein
Trichterrand ist durch die Kalkniederschläge, welche das siedende
p*"^ 1
Nationalhotel bei den Mammoth Hot-ßpringi
Www beim Verdampfen zurückliefs, zu dieser mächtigen Kuppe
angewachsen, deren Gipfelöffnung sich schliefslich völlig verschlofs.
In der Nähe dieses ermatteten Riesen zieht sich ein Quellhügel
etwa 70 m an der bewaldeten Berglehne empor. Von der Spitze des-
selben schaut man eines der großartigsten Naturphänomene, eines
der schönsten und seltsamsten Gebilde natürlicher Architektur. Wir
stehen hier vor den heifsen Mammuth-Quellen, vor den „Mammoth
Hot -Springs", welche wie eine Sphinx am Eingange des geheimnis-
vollen Hoohthales ruhen.
Weifs, wie aus Marmor gehauen, gewährt dieser phantastische
Wunderbau einen Anblick, als ob ein über Stufen stürzender Wasser-
fall plötzlich in Stein verwandelt worden wäre. So schön, so massen-
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haft tritt kaum anderswo im Parke die schöpferische Kraft der kalk-
haltigen Gewässer auf. Zwar ist die Jugendkraft dieser Quellen dem
Erlöschen nahe. Die durch die Feuergewalten der Tiefe erhitzten
Ströme brausen nicht mehr mit zorniger Gewalt auf; es ist kaum
mehr als ein mäfsiges Aufkochen, und aus der azurblauen Krystall-
flut der tieferen Becken steigen nur noch spärlich zitternde, silber-
weifse Dampfnebel in die Lüfte empor, doch oben auf dem Plateau
dieser Bastionen geht die Arbeit noch immer ungestört fort; dort
sprudeln vorzugsweise die heifsen Quellen hervor. Spalten verbinden
sie mit jenen unterirdischen Regionen, wo die Quellwasser ihre hohe
Temperatur erlangen und beim Aufsteigen durch kalkige Sohichten
sich mit aufgelöstem kohlensauren Kalk beladen. Durch die Ab-
sonderungen dieses Kalkes beim Verdunsten haben sich auf der Ju-
piter- und Minerva-Terrasse eine Anzahl schön geformter Becken ge-
bildet, die bald halbkreisförmig vorspringen, bald zurückweichen,
bald sich berühren oder durch Einschnitte von einander getrennt sind.
Diese Pfühle oder Becken sind von der mannigfaltigsten Gröfse, ihre
Durchmesser halten von einigen Centimetern bis zu 3 m Weite, und
ihre Tiefe schwankt zwischen 2 und 3 m; sie gleichen eben so vielen
Badebassins, die der raffinierteste Luxus nicht schöner und bequemer
hätte herstellen können. Bisweilen wallt das Wasser in ihnen über,
und die zahlreichen kleinen Abflufskanäle, welche es aufsucht, gleichen
steinernen Kaskaden mit zierlichen korallenartigen Gebilden, mit Säulen
und Stalaktiten geschmückt und so herrlich ausgezackt, dafs der Be-
schauer in stummem Entzücken vor diesem Naturwerke verweilen
murs. — Das Wasser in diesen Naturwannen erscheint bei klarem
Himmel bisweilen im zartesten Ultramarinblau, bisweilen krystallklar,
wenn nicht brodelnde Schlammströme es von unten aufwirbeln und
trüben. Man kann — sagt Hayden — in die kry stallhellen Tiefen
hinabschauen und mit vollkommener Schärfe die kleinsten Einzelheiten
am Grunde der Becken erkennen, man kann die Wölkchen des
Himmels, die wirbelnden Dampfballen sich spiegeln sehen in den
duftigen Tiefen, und die meerblaue Farbe der Fluten wird verstärkt
durch die unausgesetzten sanften Wallungen der Oberfläche. Sobald
ein leichter Wind dieselbe kräuselt, entfalten sich alle Farben des
Prismas; Regenbogen von der feurigsten Farbeupiacht treten in
einer märchenhaften Schönheit zu Tage. Schneeweifser Kalktuff ver-
ziert die inneren Ränder, gleich der zierlichsten Stickerei oder den
Eisblumen gleich, die der Frost hervorzaubert.
Und diese wundervollo Farbenpracht wird noch verstärkt durch
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die kleine Pflanzen- und Lebewelt, welche am Rande der minder
heifsen Quellen sich überall ansiedelt. Algen und Diatomeeen rufen im
Verein mit den zugleich mit dem kohlensauren Kalk ausgeschiedenen
geringen Mengen metallischer Substanzen, namentlich Verbindungen
von Eisen, Magnesium, Alaun, Natrium und Kieselerde, die intensivsten
schwefelgelben, scharlachroten und braunen Farbenerscheinungen
hervor, die an Glanz unsere feurigsten Anilintinten übertreffen. Überall
sieht man auf der klaren Flut eine grofse Menge von fasriger, seiden-
artiger Substanz, welche bei der leisesten Wallung des Wassers er-
zittert und das Aussehen der feinsten Kaschmirwolle hat. Ist dagegen
Mammoth Hot -Springs.
die Ruhe eine vollständige, so überzieht sich die Masse mit Kalk,
die zarten vegetabilischen Fäden verschwinden, und es bleiben fasrige,
schwammige Gebilde übrig, eine entzückende Decke von weifsen
Schneekrystalleu um! Stalaktiten bildend.
Wir kennen auf dem weiten Erdrund nur eine einzige vulkanische
Schöpfung, die sich den Mammoth Hot- Springs als ebenbürtig zur
Seite stellen läfst. Es sind dies die beiden herrlichen Sprudelterrassen
des Rotomahana-Sees auf Neuseeland, dessen Zauberbau uns Fer-
dinand von Hochstetter in so lebhaften Farben beschrieben hat.
Allein diese Terrassensprudel gehören heute der Vergangenheit an.
Eine furchtbare Katastrophe, welche den Boden Neuseelands im Mai
des Jahres 1886 heimsuchte, hat ihrem Uasein ein jähes Ende bereitet.
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Von den heifsen Maramuth-Quellen treten wir jetzt die Exkur-
sion ins Gey sergebiet an, zunächst nach dem weiter südlich gelegenen
Norrisbeoken, wo der vulkanische Einflufs sich direkter und bestimm-
ter geltend macht als bei den versiegten Kalkthermen am Nordrande
des Parkes.
Ein steiler Weg windet sich an den Berggehängen empor; man
erreicht nun das 350 m höher gelegene Hochplateau des Yollow-
stone-Parkes, ein breites, flaches, mit Moränensebutt der Eiszeit be-
decktes Gebiet, in welchem der Gardiner River in mäandrischen
Windungen träge dahinschleicht. Nur ab und zu fesseln in der wenig
bemerkenswerten Ilügellandschaft vulkanische Tuffkegel oder verein-
samte Weiher, mit warmem Wasser gefüllt, das Auge, oder schwarze
Du goldono Thor im Yollo wi tone • Purk.
Rauchwolken, aus einem brennenden Tannenwald emporsteigend, ver-
künden uns, dafs dort eine Reisegesellschaft unvorsichtig mit Feuer
gespielt hat. Dann plötzlich verengen sich die Felsen, wir passieren
das „Goldene Thor", wo der Pfad im wahrsten Sinne des Wortes
in den Felsen gehauen ist. Hier durch die Borgwand einen Fahrweg
hindurchzubrechen von fast 1 '/j Kilometer Länge hat den ameri-
kanischen Ingenieuren viel Mühe gekostet. Am Ende der Wald-
sohlucht in der Nähe eines kleinen Sees, worin Biber schnurgerade
Dämme kunstgerecht angelegt haben, erhebt sich eine Felsenklippe
aus Obsidian, deren regelmäfsig fünfseitige Kry Stallsäulen bei Sonnen-
schein ein prächtiges Funkeln und Glitzern verbreiten. Es ist dies
ein geologisches Wunder des Parkes, denn dieses in vulkanischen
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Gegenden vielfach verbreitete Gestein zeigt nur äufeerst selten solch
kunstgerecht prismatische Absonderung. Eigentümlich ist das Ver-
fahren, welches die amerikanischen Ingenieure bei der Herstellung
des Fahrdamms durch die glasige, schwarze Lavamasse in Anwendung
brachten. Man zündete mächtige Feuer um die grofsen Obsidian-
blöcke an und übergofs dieselben, nachdem sie sich in der Hitze aus-
gedehnt hatten, mit kaltem Wasser, wodurch die Felsatome ausein-
anderreifsen muteten. Auf dem so in Trümmer zersprengten Material
baute man den Weg, wahrscheinlich der einzige Weg in der Welt,
der über Glas führt
Diese Felswand war in früherer Zeit eine berühmte Fundstelle
für alle Indianerstämme; sie war ein neutraler Grund und Boden, der
allen Rothäuten der Rocky-Mountains als eine geheiligte Stätte galt,
weil man einzig hier im ganzen Felsengebirge das vulkanische Ma-
terial fand, welohes sich zur Herstellung von Pfeilspitzen besser eig-
nete als Feuerstein. Bruchstücke von Obsidian und teilweise voll-
endete Stein wafifen finden sich denn auoh überall im Parke zerstreut,
uns an die vergangenen Zeiten erinnernd, in denen die Crows
und die Shoshones im Kampfe gegen den weifsen Eindringling, gegen
den unerbittlich vordringenden Pionier des Westens ihr Teuerstes
und Heiligstes, den angestammten Grund und Boden mit ihrem Blute
verteidigten.
Nach einer vierstündigen Fahrt über Berg und Thal durch alle
die Pafsengen des Felsengebirges hindurch ist nun endlich das erste
Geysergebiet erreicht, eine rings vom Wald umgebene, unregelmäßig
geformte Einsenkung, die ihrem Entdecker und früheren Inspektor
des Parkes zu Ehren seit 1881 „Norris Geyser-Bassin" getauft wor-
den ist
Es ist ein grofsartiger, ein seltsam beängstigender Anblick, der
sioh dem in diese Schmiedewerkstätte Vulkans Eintretenden darbietet
Eine blendend weifse, wie mit Gips überstreute Fläche, rings von
Wald umgeben, liegt vor uns, und auf dieser Fläche da zischt da
siedet und brodelt es, da dampft und qualmt es überall. Dort hört
man das ärgerliche Gurgeln eines unterirdischen Quells, der sich
keinen Ausweg zu bahnen weifs, dort wiederum bricht sich ein mun-
terer kleiner Geselle aus der Unterwelt Bahn und sendet seinen
kleinen Strahl oder seine liohtweifsen Wölkchen flatternd gen Himmel.
Früh, beim Sonnenglanz, wenn der Dampf aus Hunderten von Sohloten
und Essen emporwirbelt glaubt man, einen Fabrikort vor sich zu
sehen, so zahlreich steigen die Dampfwolken hoch in die Lüfte, so
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wütendes Brausen, Stampfen und Brüllen vernimmt das Ohr, als ob
eine Dampfmaschine oder ein Pochwerk, in der Tiefe versteckt seien.
Man zögert vorwärts zu gehen, denn der Boden unter den Füfsen
giebt nach, und aus den Fufstapfen treten gelbe, dicke, übelriechende
Massen, mit Schwefelwasserstoff gesättigte Dämpfe hervor; sie ver-
raten hier die letzten Anstrengungen der Feuergewalten, gerade so
wie aus den Trümmern einer Brandstätte, wenn längst die Flammen
erloschen, noch schwelender Dampf emporsteigt.
Wohin man sich wendet, überall quillt das heifse Wasser aus
der Erde, in Blasen, Sprudeln, kleinen Springbrunnen; aus Spalten
dringt der Qualm; die Atmosphäre ist stets mit heifsen Dämpfen und
schwefligen Gasen geschwängert, welche den Klüften im Erdboden
entströmen. Unter der chemischen Einwirkung dieser Gase und der
schwefligen Säure wird das leicht zerstörbare Gestein zersetzt, zu einer
breiigen Masse aufgeschlemmt, die kraterähnliche Becken ausfüllt oder
in platzenden Blasen in die Luft gespritzt wird. Obwohl mit herr-
lichen Fichtenwaldungen umgeben, ist das Becken selbst vegetations-
los, denn Sträucher und Baumäste werden in kürzester Frist mit
einer dicken Kruste eines bleiartigen Schleimes überzogen, die jeg-
liches Pflanzeuleben erstickt.
Bevor wir uns nun zu den Riesengeysern am Feuerlochflufs be-
geben, wollen wir noch einen Blick auf dio auf der folgenden Seite
Vorri« Qeyser- Bassin
59
dargestellte Landschaft werfen. Sie zeigt uns das Xorrisbecken mitten
im Winter, eigentlich so wie der Yellowstone-Park sich das ganze Jahr
hindurch mit Ausnahme der beiden Sommermonate Juli und August
darstellt, die einzige Zeit, wo er von Touristen besucht wird. Denn in
der Regel beginnt daselbst der Winter schon Mitte September und
endet erst im Juni. Ks ist ein Hochgebirgsklima, verschärft durch
die kontinentale Lage.
Das im Juli und August so freundliche Hochthal gleicht einer
eisigen Schneewüßte. Aber diese Öde, diese Todesstille enthüllen
Lichtzauber, wie sie nur die Polarwelt mit ihren Wundern und Schön-
heiten entfalten kann, während die unter Schneemassen erdrückten
Tannen und Fichten der Phantasie Tausende von abenteuerlichen
Gruppierungen und Gestaltungen vorzaubern. Ab und zu regt sich
auch das Leben, wenn die Furien der Hüllenwelt den Eispanzer durch-
brechen, und nun der Krieg der Kiemente, der des Wassers und des
Feuers beginnt. — Das ist dann ein wunderschönes Schauspiel, ein
Schauspiel, das trotz der schneidenden Kälte und der Mühseligkeiten
eine Winterexpedition in das Hochthal des Yellowstone zu einer der
dankbarsten Unternehmungen macht.
Der Pfad, welcher uns jetzt vom Norrisbecken einige Meilen
südlich nach dem „unteren Gey serbeck en " am Feuerloch flusso
führt, zeichnet sich durch eine seltene landschaftliche Schönheit aus.
Horm Geyscr- Bassin im Winter.
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Zahlreiche kleine Seen schimmern zwischen grünen Hügeln und
Bergen hervor, wilde Gebirgsbäche bilden reifsende Kaskaden, während
ringsum den Blick plateauartige Rücken von 300 bis 400 m Höhe mit
dichtem Fiohtenbestand begrenzen.
Wir haben soeben die schroffen Felsmauern einer düsteren Schlucht
passiert, durch welche der Gibbon River, einer der Quellströme des
Madison hinrauscht In ungeduldigem Kampfe um Erlösung aus den
steinernen Fesseln bricht sich der Strom hier Bahn ; tief unten in der
romantischen Felsschlucht bildet er einen prächtigen Wasserfall, der
seine Fluten wie Silberfäden 25 m in die Tiefe führt, um sie mit
Farbentopfe im Yellowitone • Park
dem Madison, einem der Vater des Missouri, zu vereinigen. Es sind
dies die Gibbon-Fälle, eine von den vielen schönen Kaskaden, an denen
der Park, entsprechend seinem plateauartigen Charakter, so reich ist
Von hier aus geht es wieder bergauf, bergab zwei Stunden lang
durch duftigen Tannenwald, bis an der Vereinigung der beiden Arme
des Firehole-FIusses das untere Geyserbecken erreicht ist
Es ist ein ziemlich weites Thal, 100 qkm grofs; nur der zentrale
Teil bildet eine baumlose, mit weifsem Kieselsinter und Dämpfen be-
deckte Fläche. 693 heifse Quellen und 17 Geyser treiben darin ihr
Spiel; mindestens eben so viele sind erloschen oder hauchen nur noch
heifse Dünste aus, welche die kraterförmigen Spalten mit glitzernden
Schwefelkrystallen schmücken.
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Ee ist besonders der „Fountain-14 oder „Brunnengey serM, der
duroh seine weithin sichtbaren Eruptionen, duroh die malerische Form
seines Sinterbeckens und die tiefblaue Färbung seines Wassers die
allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Etwa alle zwei bis fünf Stunden
gerät die blaue Flut in heftige Wallung; dann plötzlich steigt eine
haushohe Wassersäule aus dem Krater empor, löfst sich in Millionen
Tropfen auf, die sieb, einem Regen silberner Kügelchen glcioh, beim
Niederfallen zerstreuen.
Einige hundert Schritt davon liegt einer der merkwürdigsten
Sohlammgeyser des Yellowstone - Parkes, der sogenannte „grofse
Farben topf-. Der Inhalt dieser Farbentöpfe besteht aus einem dünnen
Schlamm, in fortwährend heftiger Wallung begriffen, sodafs der Krater
einem Kochkessel gleioht, dessen breiige Masse dem stärksten Feuer
ausgesetzt ist Die Oberfläche ist mit aufsteigenden Dampf blasen über-
deckt, die mit eigentümlichem Geräusche platzen und regelmässige,
sich vom Zentrum nach den Seiten hin bewegende, konzentrische
Ringe hervorbringen. Ein bis zwei Meter hoch steigen diese Ring-
wälle auf und tragen nioht selten im Innern einen kleinen verhärteten
Schlammkegel. — Es sind Miniatur- Modelle von Vulkanen, wie
man sie sioh nicht schöner denken kann. Ja, wenn die Phantasie
uns solche Gebilde in vieltausendfach größerem Mafsstabe vormalt,
dann soheint vor unseren Augen ein Rätsel erledigt, dessen Lösung
die Kosmologen bislang vergeblich gesuoht haben. Wir meinen die
Bildung der Mondkrater mit ihren Kegelbergen.
(Fortsetzung folgt.)
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SS
Die Erd- und Länder- Vermessung und ihre Verwertung.
Von Professor Dr. C. Koppe in Braunschweig.
(Fortsetzung.)
^-w Die Basis-Messungen.
ie Genauigkeitsangaben der Tabelle auf Seite 25 setzen still-
schweigend voraus, dafs die Seiten der Dreiecksnetze zugleich
mit den Winkeln bestimmt worden seien. Um aber ein Netz zu-
sammenhängender Dreiecke, von welchen jedes einzelne mit seinen
Nachbar-Dreiecken eine Seite gemeinsam hat, naoh Messung der sämt-
lichen Dreieckswinkel der Oröfse nach bestimmen zu können, genügt
es offenbar, die genaue Länge einer Dreiecksseite in ihrer Projektion
auf den Horizont des Vermessungsgebiets durch direkte Längen-Messung
zu ermitteln. Aus ihr kann man dann die Längen aller anderen Drei-
ecksseiten berechnen. Da aber die Seiten des Netzes L Ordnung
gegen 40 km lang sind, so mifst man nicht unmittelbar eine solche
Hauptdreiecksseite, sondern bestimmt durch Längenmessung eine mög-
lichst bequem und günstig gelegene, thunlichst ebene Strecke von nur
einigen Kilometern, eino sogenannte „Grundlinie" oder „Basis", schliefst
dann diese durch ein besonderes Dreiecksnetz an eine der Seiton des
Hauptnetzes an und leitet letztere endlich aus ihr duroh Rechnung ab.
Jedes Dreieck hat mit seinem Nachbardreiecke eine Seite gemeinsam;
daher kann man weiter aus der ersten, ihrer Länge nach ermittelten
Hauptdreiecksseite alle folgenden berechnen und schliefslich die Lage
sämtlicher Dreieckspunkte gegen einander durch Rechnung festlegen.
Eine genaue Längenmessung galt in früheren Zeiten als eine der
mühsamsten und schwierigsten Operationen der höheren Geodäsie.
Durch die Vervollkommnung der Mefsapparate, vornehmlich aber
durch die einheitliche militärische Organisation der Messungsarbeit
selbst, geschehen heute die Basismossungen in ebensoviel Tagen, wie
man vormals Wochen und Monate zu ihrer Erledigung gebrauchte.
Eine Längenmessuug ist im Prinzip sehr einfach. Nachdem die
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zu messende Strecke ausgerichtet und durch vertikale Signalstangen
bezeichnet ist, mifst man ihre horizontale Länge durch Aneinander-
legen von Mefsstangen, welche meist 4 Meter lang sind und beim
Messen genau in der Linienrichtung zur Berührung gebracht werden.
In analoger Weise verfährt man bei jeder gröfseren Längenmessung
für wirtschaftliche und technische Zwecke; der Unterschied gegenüber
einer Basismessung für die grundlegenden Dreiecke der Landesauf-
nahme oder der Erdmessung ist nur der, dafö bei diesen die größt-
mögliche Genauigkeit erreicht werden soll, und daher die Apparate
und die Ausführung der Messung selbst diesem Zwecke entsprechend
eingerichtet sein müssen. Die MersBtangen werden nicht von Holz,
welches sich bei Temperatur- und Feuchtigkeitswechsel unregelmäfsig
verändert, sondern von Metall angefertigt, dessen Ausdehnung beim
Erwärmen bezw. Abkühlen vorher genau bestimmt ist und nach der
bei der Messung selbst beobachteten jeweiligen Temperatur hernach
in Rechnung gebracht werden kann. Um die mittlere Temperatur der
Mefsstangen, von welcher ihre jeweilige Länge abhängig ist, thunlichst
sicher bestimmen zu können, verfertigt man die Stangen nicht aus
ein und demselben Metalle, sondern setzt sie zusammen aus zwei über
einander gelegten, an dem einen Ende fest verbundenen Streifen ver-
schiedener Metalle, welche ungleiche Ausdehnungs-Coeffizienten haben.
Die Länge dieser beiden Metallstreifen wird sich beim Erwärmen oder
Abkühlen entsprechend ihren verschiedenen Ausdehnungs-Coeffizienten
in ungleichem Mafse verändern und der Abstand ihrer freien Enden
daher von der jeweiligen Temperatur der Stangen abhängen. Mifst
man diesen Abstand vorher bei bekannten Temperaturen in einem
geeigneten Lokale, wo sich die Temperatur in hinreichend weiten
Grenzen verändern und durch Thermometer jedesmal sehr genau be-
stimmen läfst, so kann man später bei der Basis-Messung selbst
umgekehrt aus dem gemessenen Abstände der Streifenenden einen
Rückschiurs auf die mittlere Temperatur während der Messung selbst
machen. Die Stangen aus zwei verschiedenen Metallen bilden gleich-
sam ein Metall - Thermometer, welches ihre mittlere Temperatur
genauer zu bestimmen gestattet als Quecksilberthermometer, insofern
diese letzteren während der Basismessung nur sehr schwer von ein-
seitig wirkenden Strahlungseinflüssen so weit frei zu halten sind, dafs
sie die mittlere Temperatur der Mefsstangen richtig angeben. Bei
der Messung selbst werden entweder mehrere gleichartige Mefs-
stangen aneinandergereiht — Apparate mit mechanischem Kontakt — ,
oder es wird ein und dieselbe Mefsstange jeweils um ihre eigene
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Länge vorgeschoben - Apparate mit optischem Eontakte — von einem
Ende der zu messenden Grundlinie bis zu ihrem anderen, wobei im
zweiten Falle das Vorschieben um genau eine Stangenlange vermittelst
Einstellen von Mikroskopen auf ihre Endstriche — also durch optischen
Eontakt — erzielt wird. Bei Benutzung des meohanisohen Kontaktes
werden die Mefestangen beim Aneinanderreihen nicht unmittelbar zur
Berührung gebracht, da hierbei trotz aller Vorsioht durch Stöfs oder
Druck Fehler der Messung verursacht werden könnten, sondern um
diese thunlichst zu vermeiden, lftfst man zwischen den einzelnen Mefs-
stangen — man benutzt deren in der Kegel 4 — je einen kleinen
Zwischenraum und bestimmt die Gröfse derselben durch vorsichtiges
Zwisohenschieben eines kleinen Mefskeiles von bekannter Dicke. Beim
optisohen Eontakte hingegen stellt man zwei Mikroskope mit ihren
im Okulare ausgespannten Fäden auf die Endstriche der einen Mefs-
stange genau ein und rückt diese Stange dann in der zu messenden
Linie um ihre eigene Länge vor, indom man sie soweit in dieser vor-
schiebt, bis der Anfangsstrioh unter das unverändert stehen ge-
bliebene zweite Mikroskop fällt. Ein weiteres Mikroskop wird dann
wieder auf den End strich eingestellt, die Stange von neuem um ihre
Länge vorgeschoben, ein Mikroskop auf den Endstrich eingestellt und
dem ersten Prinzip entsprechender Mefsapparat, mit welchem der grofse
Königsberger Astronom Bossel in der ersten Hälfte unseres Jahr-
hunderts die Basismessung für seine berühmte Gradmessung in Ost-
preufsen ausführte, hat zur Messung aller seither vom preufsisohen
Generalstabe vorgenommenen Längenbestimmungen von Grundlinien in
seinem Haupt-Dreiecksnetze gedient Der Basismefsapparat mit Mikro-
skopeinsteilung etc. wird in neuerer Zeit immer mehr benutzt. Das
Prinzip ist nicht neu. Der Mefsapparat wurde aber in genauer Ausfüh-
rung zuerst angefertigt um die Mitte des Jahrhunderts von dem Pariser
Mechaniker Brunner im Auftrage der spanisohen Regierung nach
den Angaben des General Ibanez, des langjährigen Leiters der spa-
nisohen Landesvermessung. Mit ihm wurde unter anderen auoh eine
der interessantesten neueren Basismessungen ausgeführt, an welcher
Vorfasser teilzunehmen Gelegenheit hatte, und die zur Veransohau-
liohung des gaazen Vorganges bei Basismessungen überhaupt dienen
kann, nämlich die von Spaniern und Schweizern naoh einander
ausgeführte Messung einer Grundlinie bei Aarberg im Kanton
Bern.
Das schweizerische Gradmessungsnetz bildet infolge der zentralen
nzen Basislinie entlang, bis ihr Ende erreicht ist. Ein
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Lage der Sohweiz die Vereinigung der analogen Messungen in den
umliegenden Staaten: Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich.
.Jedes der Netze dieser 4 Länder enthält seine eigene Längenbestimmung.
Beim Zusammenstorsen der Dreiecke mit der Schweiz ergeben sich natur-
gemäß Abweichungen für die Längen der Ansohlufsseiten. Welcher Wert
ist dann der richtige? Welchen soll die Schweiz für ihr Netz benutzen?
Die Schweiz würde ohne eigene Basismessung eine vollständig passive
Rolle spielen, hingegen fallt ihr gleichsam das Schiedsrichteramt zu,
sobald auch sie mit entsprechenden Hülfsmitteln die Längen ihres
Netzes bestimmt Aus diesem Gründe wurde von der geodätisohen
Kommission der Sohweiz, um ein völlig unzweideutiges Resultat zu
erzielen, beschlossen, nicht nur eine Grundlinie, sondern deren drei
an den Eoken ihres Netzes zu messen. Wesentlich erleichtert wurde
dieses Vorhaben durch die Bereitwilligkeil der spanischen Regierung,
der Eidgenossenschaft den eigenen vom General I banez vervollkomm-
neten und vereinfachten Basismel*s- Apparat leihweise zu überlassen.
Ja, General I banez erbot sioh sogar, den schweizerischen Geodäten
selbst Anleitung zum Gebrauche und zur Handhabung seines Appa-
rates zu geben, zu diesem Zwecke mit seinem eigenen Personal nach
der Schweiz zu kommen und eine der drei ausgewählten Grundlinien
vor den Augen der schweizerischen Ingenieure zu messen. Als solche
wurde die Basis bei Aarberg gewählt, und so hatten wir denn das
interessante Schauspiel, die Längenmessung dieser Basis zunächst von
den Spaniern und unmittelbar darauf von den Schweizern ausgeführt
zu sehen.
Am 17. August 1*80 traf Kommandant Casada mit 12 Offizieren
und 10 Gehülfen vom geographischen und statistischen Institute
Spaniens in Aarberg ein. Die Instrumente, welche in einem eigenen
Waggon von Madrid nach Aarberg hatten transportiert werden sollen,
inufsten an der französischen Grenze umgeladen werden, weil die
Himmel und Erde. 1898. XI. 2. 5
/
BasismoMung bei Aarberg im Kanton Bern.
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spanischen Eisenbahnen, wie die russischen, eine von den übrigen
abweichende Spurweite besitzen; doch trafen sie naoh kurzer, hierdurch
verursachter Verzögerung wohlbehalten in Aarberg ein. In den fol-
genden Tagen wurden sie ausgepackt und gereinigt, die Zelte zu-
sammengesetzt und an Ort und Stelle aufgeschlagen, die Beobaohtungs-
pfeiler centrisch über den Endpunkten der Basis errichtet, die Basis-
linie abgesteokt und duroh metallne Signalstangon ihre Richtung genau
bezeichnet. Am 20. August traf General Jbafiez ein. Auf seinen
Wunsch war der Basis eine Länge von annähernd 2400 m gegeben
worden, welche in Abschnitte von 400 m mit fest bezeichneten End-
punkten eingeteilt wurde. Am 22. August, morgens 4 Uhr, wurde
zur ersten Basismessung ausgerückt. Das Wetter war trübe und
nebelig und den Beobachtungen wenig günstig. Erst um 6 Uhr war
es hinreichend Tag geworden, um die Mikroskope des Apparates ein-
stellen zu können. Trotz des feinen, niederrieselnden Regens, der sich
nach und nach zu einem tüohtigen Landregen entwickelte, begann die
Messung kurz vor 6 Uhr und wurde in 5 — 6 Stunden bis 800 m vom
Anfangspunkte programmmäfsig durchgeführt Hier wurde aufgehört,
um die Beobachter nicht zu ermüden. Ebenso die folgenden Tage,
sodafs nach 3 Tagen die erste Messung der Aarberger Basis beendigt
war. Noch am Nachmittage des 24. wurden die Instrumente, die Zelte
und sämtliche Gerätschafton zum Basisanfango zurücktransportiert, alle
Apparate einer sorgfältigen Prüfung unterworfen und am gleichen
Abende die nötigen Vorbereitungen getroffen, um am folgenden Morgen
die Kontrollmessung sofort beginnen zu können. Am 25., 26. und
27. August wurde, wie an den 3 vorhergehenden Tagen, wieder um
je 800 Meter vorgerückt und so trotz der Ungunst der Witterung, die
namentlich durch Nebelbildung störend wirkte, auch die Kontrotl-
messung programmmäfsig beendigt. Die Endresultate stimmten bis auf
wenige Millimeter unter sich überein.
Sodann kamen die schweizer Beobachter an die Reihe. Am
Nachmittage des 27., einige Stunden nachdem die Spanier ihre zweite
Messung beendigt hatten, wurdon schweizerischerseits die ersten
Probemessungen gemacht Am folgenden Morgen stellte General
Ibanez zu jedem schweizer Beobachter einen seiner Offiziere, und
zwar denselben, welcher bei den vorhergehenden Messungen die be-
treffende Operation ausgeführt hatte, die der schweizerische Beobachter
nun seinerseits ausfuhren sollte Nach etwa 30 Stangenlagen rief er
seine Leute zurück. Das schweizerische Personal funktionierte unter
Leitung des Oberst Dumur selbstständig und regelmäßig weiter, und
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grofs war die Freude, als der erste Zwischenpunkt mit nur einem
halben Millimeter Differenz gegenüber der spanischen Messung er-
reicht wurde. So ging es regelmäßig weiter, und wenn anfangs auch
etwas mehr Zeit gebraucht wurde gegenüber den Spaniern, was ja in
der Natur der Sache lag, so wurde dooh auoh sohweizerischeraeits
die Basi8raessung programmmäfsig in 3 Tagen vollendet. Das End»
resultat stimmte bis auf wenige Millimeter mit dem vorher erhaltenen
überein.
Zur Vergleichung der Genauigkeit der neueren ßasisraessungen
gegenüber älteren Bestimmungen analoger Art mag angeführt werden,
dafs der mittlere zufällige Fehler der erateren rund 1 mm pro Kilo-
meter, also nur ein Milliontel dieser Länge beträgt, während derselbe
z. B. bei der berühmten Grad- und Basismessung in Lappland, welche
dort in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zur Bestimmung der
Erdgest< von den Franzosen vorgenommen wurde, nooh den zwanzig-
fachen Betrag erreiohte. Am schwierigsten ist es, die Temperatur der
Mefsstange mit hinreichender Genauigkeit zu ermitteln, denn da sioh
das Eisen für 1° C. um rund ein Hunderttausendstel seiner Länge
ausdehnt, so mufs seine Temperatur bis auf ein Zehntel Grad genau
ermittelt sein, wenn man die Länge auf ein Milliontel des Betrages
genau haben will. Bei Zink, Messing etc. ist der Ausdehnungs-
Coefflzient aber noch erheblich gröTser. Beim Besse Ischen Mefs-
apparate sind die Mefsstangen in hölzerne Kästen eingeschlossen,
aus welchen nur ihre Enden hervorragen; sie werden in diesen
Kästen bei der Messung belassen. Ibanez gebrauchte seine Mefs-
stange ohne Umhüllung, führte aber die ganze Messung unter trans-
portabel Zelten aus zum Schutz gegen Sonnenstrahlen, Regen etc,
wahrend der preußische Generalstab ganz im Freien mifst.
Um den Einflufs der Temperatursohwankungen auf die Resultate
der Basismessungen möglichst gering zu machen, hat der Vorstand
der geodätischen Küstenaufnahme in den Vereinigten Staaten von Nord-
amerika, M. Menden hall, bei den neuesten dort ausgeführten
Messungen dieser Art seine 5 in lange motallne Mefestange in einen
mit Eis gefüllten Kasten gelegt und in diesem während der ganzen
Messung belassen. Vor Ausführung der letzteren wurde auf die ganze
Basislänge ein Scbienengeleis gelegt zum leichten Vorsohieben des
Kastens mit der Messingstange, vorbei an den in Entfernungen von je
6 Metern auf fester Unterlage aufgestellten Mikroskopen. So wurde
es möglich, mit 8 Personen jeden Tag 500 Meter Länge zu messen,
und zwar mit der geradezu fabelhaften Genauigkeit von nur ein
h*
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Zehntel-Millimeter Abweichung auf das Kilometer, d. h. mit einer Ge-
nauigkeit von 1 zu zehn Millionen. Diese sehr grofse Messungs-
Sohärfe erscheint in Anbetracht des Umstandes, dafs die Winkel-
messung, welohe zur Übertragung der gemessenen Basislänge auf die
Seiten des Hauptdreiecksnetzes nötig ist, nioht mit gleiober Genauig-
keit ausgeführt werden kann, etwas zu weit gegangen. Derart ge-
naue Basismessungen verursachen naturgemäfs viel Arbeit und Kosten
und können daher nur in beschränkter Zahl ausgeführt werden,
während es rationeller ist, im Hauptdreiecksnetze eine gröfsere Anzahl
von Grundlinien in geringen Abständen mit einer der Winkelüber-
tragung mehr gleichwertigen Genauigkeit zu bestimmen. Als passende
Entfernung der Grundlinien hat man seither 200 — 300 km genommen.
Der Abweichung von 1 Bogensekunde in der Richtung entspricht auf
die Entfernung von 200 000 Meter eine Längen- Verschiebung von einem
Meter, d. h. von V200000 der Länge. Die Winkelmessung müfste somit
auf wenige Hundertel der Bogensekunde genau ausgeführt werden, um
eine Genauigkeit von ein Zehnmilliontel zu erreichen, während in Wirk-
lichkeit der mittlere Fehler der genauesten Winkelbestimmung in den
Dreiecken L Ordnung mehrero Zehntel-Sekunden beträgt.
Aus den mit Hülfe der Basismessung und eines Ansohlufsnetzes
abgeleiteten Längen der Dreiecksseiten des Hauptnetzes werden dann
weiter die Dreieoke zweiter Ordnung, aus diesen diejenigen dritter
Ordnung und so fort berechnet bis zu den Dreieoken der niedrigsten
Ordnung mit den kürzesten Dreieoksseiten, an welohe die Detailauf-
nahme, die für ihre Zwecke auch eine direkte Längenbestimmung
durch hölzerne Mefslatten, Stahlband, optische Distanzmessung eto. be-
nutzt, dann angeschlossen werden kann.
(Fortsetzung folgt)
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Die Spektralanalyse.
Von Dr. F. Koerber in Steglitz.
(Fortsetzung.)
m bisherigen haben wir nun zwar die wesentlichsten vor-
kommenden Lichtarten spektralanulytisch zerlegt, aber dabei
noch nicht darauf Rücksicht genommen, dafs das von einer Licht-
quelle ausgesendete Licht auf seinem Wege bis zu unserem Auge nooh
wieder gewisse Veränderungen erleiden kann, indem es nicht durch den
leeren Raum, sondern durch allerhand mehr oder weniger durchsichtige,
körperliche Medien hindurchstrahlt. Es ist von vornherein zu er-
warten, data dem Lichte bei diesem Hindurohgang durch nichtleuoh-
tende Materie nur Verlustejrgend welcher Art bevorstehen, die man
in der Wissenschaft als Absorptionswirkungen bezeichnet Wie nun
die bisher betrachteten „Emissions-Spektrau Aufschlüsse über die
Natur der strahlenden Lichtquelle liefern konnten, so werden uns
vielleicht auch die durch Absorption in einem ursprünglich konti-
nuierlichen Spektrum erzeugten Veränderungen, die kurzweg als Ab-
sorptionsspektra bezeichnet werden, die Natur der durchstrahlten, ab-
sorbierenden Materie verraten.
In der That ist dies in vielen Fallen zutreffend. Lassen wir
freilich weifses Licht duroh ein geschwärztes Glas oder duroh Kohlen-
rauch hindurchgehen, so wird nur eine ziemlich gleichmäfsige
Schwächung aller Farben des kontinuierlichen Spektrums erfolgen,
eine deutliche, qualitative Veränderung also nicht bemerkbar sein.
Die meisten durchsichtigen Körper zeigen aber neben dieser all-
gemeinen Absorption oder auch anstatt einer solohen eine selektive
Absorption, indem sie gewisse Farbengattungen in weit stärkerem
Grade verschlucken als andere, sodafs das geschwächte Licht zu-
gleich irgend eine schon dem blofsen Auge erkennbare, charak-
teristische Färbung besitzt. In diesen Fällon wird nun aber wieder
das Spektroskop wesentlich genauer die Absorptionswirkung be-
stimmen lassen als das blofse Auge, denn das letztere kann nur
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feststellen, welche Mischfarbe aus den nioht absorbierten Strahlen6orten
resultiert, während spektralanalytisch die absorbierten Farben selbst
mit voller Sicherheit erkannt werden. Dieselbe Mischfarbe kann aber
auf unzählig verschiedene Arten aus Spektralfarben zusammengesetzt
werden, wie ja z. B. das weifse Lioht durchaus nicht aus allen Spek-
tralfarben zu bestehen braucht, sondern aus beliebig vielen Paaren
von „Komplementärfarben" zusammengesetzt sein kann. Ein aus Grün
und Rot gemischtes Lioht würde z. B. dem Auge ebenso weifs er-
scheinen wie ein aus Blau und Gelb oder wie ein aus allen mög-
lichen Spektralfarben zusammengesetztes. Der unschätzbare Gewinn,
den uns die Anwendung des Spektroskops gewährt, besteht also
gerade in der sicheren Analyse einer Mischfarbe in die dieselbe kon-
Violett Blau. Grün Gelb
Fig. 5.
de« fit
Roth
Kali (A), dei Bubinglfuea (B),
Die blaue Seite des Spektrums erfährt bei ß und C eine allgemeine Absorption,
was in der Figur durch Schraffur angedeutet ist
stituierenden Elementarfarben. Lassen wir z. B. das Licht einer Lampe
erst durch ein rotes Glas, dann durch eine Auflösung von überman-
gansaurem Kali und ein drittes Mal duroh Blut hindurchgehen, so
wird in allen drei Fällen das hindurchgelassene Licht dem Auge
ziemlich gleich rot erscheinen. Mit Hilfe des Spektroskops würden
wir aber sofort erkennen können, durch welches von den drei ge-
nannten Medien das Licht hindurchgegangen ist Während nämlich das
Rubinglas nur die roten Strahlen hindurchläfst und das Spektrum nach
dem Durchgang duroh dasselbe an der Grenze von Rot und Orange
wie abgeschnitten ersoheint (vgl. Figur 5), läfst das übermangan-
saure Kali ebenso wie das Blut bei nicht zu starker Konzentration
auch die brechbareren Strahlen passieren, während sich die Absorption
hauptsächlich auf das Grün erstreckt, sodafs das durchgegangene
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Licht weife minus grün, d. h. gleichfalle rot erscheinen mufs, da ja
grün und rot komplementär sind, sich also zu weite ergänzen. Wäh-
rend wir nun aber im Spektrum des übermangansauren Kali deutlich
fünf Absorptionsbänder im Grün unterscheiden können, zeigt das
Blutspektrum deren nur eins oder zwei, je nachdem die Blutkörperchen
mit Oasen gesättigt sind oder nicht4)
Ganz besonders interessant und wichtig sind nun aber die Ab-
sorptionsspektra der Gase, insofern dieselben nämlioh aus feinen,
dunklen Linien bestehen, die genau denselben Ort im Spektrum ein-
nehmen wie die hellen Linien, welche bei höherer Temperatur das
Emissionsspektrum des betreffenden Gases ausmachen. Diese That-
sache ist die unmittelbare Folge des berühmten Kirch ho ff sehen
Satzes, dafs für alle Körper das Verhältnis von Absorptionsvermögen
und Emissionsvermögen einen ganz bestimmten, nur von der Tempe-
ratur und der Wellenlänge abhängigen Wert besitzt
Dieser von Kirch ho ff theoretisch begründete Satz ist darum von
der allerhöchsten Bedeutung, weil er sofort eine Erklärung der Fraun-
hof ersehen Linien im Sonnenspektrum lieferte und damit die bedeut-
samste Anwendung der Spektralanalyse auf astronomische Probleme
begründete. Da nämlioh jenes Verhältnis von Absorption und Emis-
sion für alle Körper dasselbe ist so folgt, dafs an solchen Stellen des
Spektrums, wo die Emission eines glühenden Gases besonders grofs
ist, wo wir also im Emissionsspektrum eine helle Linie sehen, auch
die Absorption entsprechend grofe sein mufs5), sodals also an der-
selben Stelle eine Verdunkelung in dem kontinuierlichen Spektrum
von weifsem Lichte entstehen mufs, welches duroh das betreffende
Gas hindurchgeht Da nun z. B. die von Fraunhofer mit D bezeich-
nete Linie des Sonnenspektrums genau dieselbe Brechbarkeit besitzt
wie die gelbe Linie, welohe das Emissionsspektrum von Natrium-
dämpfen ausmacht, so mufs diese D-Linie des Sonnenspektrums dadurch
zu stände gekommen sein, dafs das weifse, von der etwa glühend flüssig
zu denkenden Sonnenoberfläche stammende Licht eine von Natrium-
dämpfen (und wegen der vielen anderen Linien auch von den Dämpfen
zahlreicher anderer Elemente) erfüllte, atmosphärische Umhüllung
des Sonnenballes passieren mufste, ehe es zur Erde gelangen konnte.
Experimentell läfst sich die Richtigkeit dieser Schlufsfolgerungen
*) Auf diesen letzteren Unterschied gründet sich sogar eine Methode der
Untersuchung des Blutes in Bezug auf Vergiftung durch Kohlenoxydgaa.
5) Ein Verhältnis (oder ein Bruch, was dasselbe ist) ändert nämlich seinen
Wort nicht, wenn beide Glieder sich gleichzeitig in entsprechendem Mafse ver-
größern oder verkleinern.
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aus Kirch hoff s Gesetz, also die Thatsächlichkeit der Umkehrung
heller Linien der Emissionsspektra in dunkle Absorptionslinien leioht
demonstrieren. Bringen wir auf die Kohlen eines elektrischen Bogen-
lichtes eine gröTsere Quantität Kochsalz und schliefen den Strom, so
wird zuerst die Natriumlinie sich hell von dem kontinuierlichen Spektrum
der glühenden Kohlen abheben; wir sehen das Emissionsspektrum
der zwischen den Kohlen im Lichtbogen glühenden Natriumdämpfe.
Warten wir jedoch, ohne sonst etwas zu verändern, einige Zeit hin-
durch, so wird alsbald die Entwicklung von Natriumdämpfen eine
sehr reichliche werden, dieselben werden aus dem Lichtbogen heraus-
gedrängt werden, und nun mufs die kühlere Natriumdampfhülle, welche
die Lichtquelle umgiebt, auch absorbierend auf das gelbe Lioht der
D-Linie wirken. Sobald nun diese Absorptionswirkung gegen die
Emission des heifsen, im Lichtbogen glühenden Dampfes überwiegt,
wird an Stelle der bis zum Verschwinden abgeblafsten helleD Natrium-
linie im Spektrum die dunkle D-Linie, bei hinreichender Vergröfserung
als Doppellinie deutlich erkennbar, hervortreten.
Ehe wir nach dieser Auseinandersetzung der physikalischen
Grundlagen der spektralanalytischen Forschungsmethode zu den An-
wendungen derselben auf astronomischem Gebiete übergehen, geziemen
sich noch einige Andeutungen darüber, wie denn die eindeutige,
genaue Bezeichnung der Lage von Spektrallinien ermöglicht wird.
Für eine genäherte Angabe reicht es ja im allgemeinen aus, wenn
gesagt wird, in der Nähe welcher von den bekannteren Fraun-
ho ferschen die zu bezeichnende Linie liegt. Wenn es sich aber um
genaue Identifizierungen handelt, so reicht diese rohe Vergleichung
mit dem Sonnenspektrum oder vielleicht mit irgend einem anderen,
mit Hilfe geeigneter Hilfsvorrichtungen neben dem zu untersuchenden
Spektrum künstlich hervorgerufenen, bekannteren Spektrum nicht aus,
und man ist genötigt, die Stellungen der Linien unabhängig von dem
individuellen Zorstreuungsvennögen des gerade benutzten Prismas in
einem allgemeingültigen Mafse anzugeben. Als solches Mafs für die
Ausmessung der Spektra wird seit Angström die Wellenlänge der
betreffenden Lichtart benutzt.
Wir haben bereits weiter oben*) angegeben, dafs die Wellenlängen
des siohtbaren Spektrums von etwa 330 jjiu. bis 810 u-ja variieren. Wie
ist man aber im stände, Oröfsen von so fabelhafter Kleinheit zu be-
stimmen, zumal doch noch keines Menschen Auge die Schwingungen
der Ätherteilchen, die nach der Undulationstheorie das Licht hervor-
•) Vgl. dio Anmerkung auf Soito 29, sowio Figur 3.
73
rufen, gesehen hat? Wie ist es andererseits möglich, die Hunderte
von Billionen Schwingungen zu zählen, die nach derselben Theorie
sich in einer einzigon Sekunde vollziehen sollen?
Die Antwort auf diese Fragen ist nicht mit wenigen Worten zu
erschöpfen und würde uns auch zu weit von unserem Hauptgegen-
stande entfernen. Nur soviel können wir hier verraten, dafs diese
wunderbaren Messungen natürlich nur auf einem indirekten Wege
orfolgen können; und zwar sind es die sogenannten Intorferenzerschei-
nungen, d. h. Fälle, bei denen Lichter von entgegengesetztem Schwin-
gungszustande sich gegenseitig auslöschen, die eine Bestimmung der
Wellenlängen und damit auch der Schwingungszahlen ermöglichen.
Handelt es sich also um die genaue Bestimmung der Wellenlängen
der Linien des Sonnenspektrums, so mufs man das Spektrum statt
durch ein Prisma auf einem ganz anderen Wege, nämlich mittelst
eines äufserst feinen, aus mikroskopisch dicht neben einander in einen
Spiegel oder eine Glasplatte eingeritzten Striohen bestehenden Gitters
erzeugen. Ein Lichtstrahl wird von einem solchen Gitter derart be-
einflufst, dafs sich das Licht nioht mehr nur geradlinig, sondern nach
allen Richtungen hin ausbreitet, eine Erscheinung, die man als Beugung
oder Diffraktion zu bezeichnen pflegt. Dabei treten aber in bestimmten
Richtungen durch Interferenz zusammentreffender Schwingungen dunkle
Streifen auf, deren gegenseitiger Abstand von der Wellenlänge der
benutzten Lichtart abhängt und daher auch umgekehrt jene zu er-
mitteln gestattet. Ist nun das benutzte Licht etwa weifses Sonnen-
licht, so werden die Interferenzstreifen für die verschiedenen Farben
einen verschiedenen Ort haben, und die Farben müssen zu einem
Spektrum auseinandertreton, in welchem die Abstände der Linien
untereinander im direkten Verhältnis zu ihrer Wellenlänge stehen.
Professor Rowland hat mit meisterhafter Geschicklichkeit derartige
Beugungsgitter hergestellt, die nicht weniger als 1700 Linien auf einer
Breite von nur einem Millimeter aufweisen und herrliche Spektra er-
zeugen, deren Wellenlängen nun ohne Schwierigkeiten ausgemessen
werden konnten. Für die Hauptlinien des Sonnenspektrums haben
sich zum Beispiel die folgenden Werte ergeben:
Linie
A
B
C
Wellenlänge in
Milliontel-Millimeter (»au)
760,5
68(?,8
656,3
589,6
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Linie
Wellenlänge in
Milliontel-Millimeter (w)
D2
E
F
G
H
589,0
527,0
486,2
430,8
390,9
Sind aber erst einmal für eine gröfsere Zahl von F raun ho fer-
schen Linien und für die Linien der Metalle die Wellenlängen genau
bekannt, dann läfst sich empirisch auch eine Aiohung jedes Prismen-
Spektrometere ausfuhren, so dafs man alsdann aus der am eingeteilten
Kreis des Apparates abgelesenen Ablenkung irgend eines Strahles
oder aus den Zahlen der auf der vorderen Prismenfläohe sioh spie-
gelnden und im Beobachtungsfernrohr zugleioh mit dem Spektrum
sichtbaren Vergleichsskala (siehe Figur 2) mit Hilfe einer Tabelle so-
fort die zugehörige Wellenlänge finden kann.
Fassen wir kurz noch einmal die Hauptergebnisse unserer bis-
herigen Darlegungen zusammen, so gipfeln dieselben in der Erkennt-
nis, dafs das Spektrum desjenigen Liohtes, das von einer sehr heifsen,
festen oder feurig-flüssigen Masse ausgestrahlt wird und dem blofsen
Auge weifs erscheint, alle möglichen Farben in unmerkbaren Ab-
stufungen neben einander enthält oder ein „kontinuierliches Spektrum"
ist6) Die Verteilung der Helligkeit auf die verschiedenen Farben ge-
stattet bei solchen Spektren zwar einen Rüokschlufs auf die Temperatur
der Lichtquelle (Rotglut und Weifsglut), aber über die chemische
Natur des strahlenden Körpers vermögen wir in diesem Falle aus
dem Lichte nichts zu ermitteln. Ganz anders liegen aber die Ver-
hältnisse, wenn wir ein glühendes Gas beobachten; sein Spektrum be-
steht, solange sich die Dichtigkeit in mäfeig-en Grenzen hält, stets aus
einzelnen, getrennt von einander liegenden, weil verschieden gefärbten
Linien, deren Zahl, Farbe und Wellenlänge für jedes Element so
charakteristisch ist, dafs die chemische Natur des leuchtenden Gases
durch genaue Ausmessung seines Spektrums mit Sicherheit festgestellt
werden kann, auch wenn die Lichtquelle selbst durch ungemessene
Entfernungen von uns getrennt und darum jede andere Art der Unter-
*) Nach Zöllners Untersuchungen kann bei hinreichender Dichtigkeit
und Dicke der strahlenden Schicht sogar auch das Spektrum oinor gasförmigen
Lichtquelle infolge allmählicher Verbreiterung der Linien in ein kontinuier-
liches übergehen.
IL Die Spektralanalyse der Gestirne.
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suchung ihrer chemischen Eigenschaften völlig ausgeschlossen ist Bei
Kometen und Nebelflecken werden wir von dieser Kenntnis Gebrauch
machen; von ganz besonderer Wichtigkeit für die Erforschung der
Gestirne ist aber die Umkehrung der hellen Linien in dunkle, die,
wie wir aus dem ersten Teil wissen, durch Absorption des weifsen,
vom leuchtenden Kern der Sterne ausgestrahlten Lichtes in den
kühleren Gashüllen derselben zu stände kommen kann.
Die Sonne.
Im Sonnenspektrum ist, wie wir ebenfalls schon wissen, die Zahl
der Fraunhofer sehen Linien aufserordentlich grofs, und die stärk-
1
i i .
.IL
-
1
Fig. S. Dia Nktriamlinien bei starker Dispersion (nach T hol Ion).
sten dorselben wurden bereits von Kirchhoff auf bestimmte, in der
Sonnenatmosphäre reichlich vorhandene Gase zurückgeführt. Dafs
die D-Linien dem auch auf der Erde aufserordentlich verbreiteten
Natrium angehören, haben wir bereits experimentell festgestellt. Die
gleichfalls sehr auffallenden Linien C, F und H sind ebenso mit
den Linien, die uns der Wasserstoff bei niedrigem Druck in Geifsler-
schen Röhren zeigt, identifiziert worden, während die im äufsersten
Rot liegenden Absorptionsbanden A und B, auf die wir sehr bald
noch näher zu sprechen kommen werden, dem Sauerstoff angehören.
Namentlich mit Hilfe der Photographie hat die gegenseitige Lage und
Intensität der feineren Linien mit grofser Genauigkeit festgelegt werden
können. Die auf direkto Messungen gegründeten Darstellungen des
Sonnenspektrums von K i rch ho ff, Angström und Thollon wurden
durch das neuerdings von Rowland hergestellte, photographische
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Spektrum von mehr als 13 Meter Länge weitaus übertroffen, zumal
durch die photographische Methode auch das ultraviolette Spektrum
mit grofser Genauigkeit bekannt geworden ist. So ist die Gegenwart
des Eisens zur Zeit bereits duroh mehr als 1000 Linien erwiesen,
deren intensivste die Frau n hof ersehen Linien E und G sind. Mit
welcher Zerstreuung das Sonnenspektrum duroh Anwendung mehrerer
Prismen betraohtet werden kann, ersieht der Leser am besten aus
Figur 6, welche uns einen kleinen Ausschnitt aus T hol Ions Atlas
vor Augen führt. Die beiden Komponenten der Natrium-Doppellinie D,
die bei schwacher Zerstreuung wie eine einzige Linie erscheinen,
sind hier weit auseinandergerückt, und der Zwischenraum zeigt nicht
I II
III IL
j
!• (ti ii |t| • »- *
Fig. 7. Die Liniengruppea A and B bei starker DUpersion.
weniger als 15 neue, schwächere Linien. Die breiten, intensiven mit
A und B bezeichneten FraunhoferBchen Linien lösen sich bei so
starker Zerstreuung in eigenartige Gruppen von dicht gedrängten,
gosetzmäfsig verteilten Linien auf, wie es Fig. 7 zeigt. So ist es denn
erklärlich, dafs die schwierige Aufgabe, all die zahllosen Linien des
Sonnenspektrums mit den Linien der uns bekannten chemischen Grund-
stoffe zu identifizieren, bis jetzt erst in sehr unvollständigem Mafse ge-
löst ist. Das bisherige Gesamtresultat dieser Arbeit hat erkennen lassen,
dafs die Sonnenatmosphäre vorwiegend aus metallischen Dämpfen zu-
sammengesetzt ist Auch der Wasserstoff, der sicherlich einen sehr
wesentlichen Bestandteil der Sonnenhülle bildet, kann ja in chemischer
Hinsicht als ein Metall bezeichnet werden. Die in Fig. 7 abge-
bildeten Liniengruppeu A und B gehören, wie bereits gesagt, dem
Sauerstoff an, sind jedoch tellurischen, und nioht solaren Ursprungs.
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Wir haben bis jetzt nämlich noch nicht berücksichtigt, dafs das Sonnen-
licht ja auch die irdische Lufthülle erst durchdringen mute, ehe es in
unser Spektroskop gelangt, und dafs daher zu den schon in der
Sonnenatmosphäre entstandenen Absorptionslinien nooh eine Anzahl
tellurischer Linien hinzukommen mufs, die hauptsächlich durch den
Stickstoff, den Sauerstoff und den Wasserdampf unserer Luft bedingt
sind. Diese tellurischen Linien aus dem Sonnenspektrum auszusondern
ist natürlioh nioht ganz leicht; die Möglichkeit es zu thun gründet
sich aber auf die Veränderlichkeit ihrer Intensität sowohl bei
wechselnder Sonnenhöhe, als auch bei wechselnder Meereshöhe
des Beobachters. Offenbar wird die vom Sonnenstrahl zu durch-
dringende Luftschicht einerseits um so dicker, je mehr sich die Sonne
dem Horizonte nähert, andererseits um so dünner, je höher wir uns
über das Meeresniveau erheben. Tellurische Linien werden daher
daran als solche erkannt, dafs sie mit sinkender Sonne intensiver
werden, dagegen verblassen, wenn sich der Beobachter auf einen hohen
Berg oder mittelst des Luftballons in höhere Luftschichten begiebt.
Auf solche Weise wurden die Liniengruppen A und B als tellurisch er-
wiesen, und es war darum lange Zeit hindurch eine Streitfrage, ob die
Sonnenatmosphäre überhaupt Sauerstoff enthalte. Erst ganz kürzlich
ist das Vorhandensein dieses auf Erden so verbreiteten Elements in
der Sonnenatmosphäre auf Grund gewisser anderer Linien durch Runge
und Paschen erwiesen worden.7)
Wenn man ein Verzeichnis der mit Sicherheit auf der Sonne
nachgewiesenen Elemente durohsieht, so fällt aufser dem Fehlen der
Nicht-Metalle auch das der Schwer-Metalle, wie z. B. Gold, Platin und
Blei, auf. Gleichwohl ist es sehr wohl möglich, dafe aufser dem
Sauerstoff auch noch einzelne andere nichtmetallische Stoffe in der
Sonnenatmosphäre vorbanden sind, sioh aber infolge der gleichzeitigen
Gegenwart von Metallen nioht bemerkbar machen. Endlich ist keine
einzige chemisohe Verbindung spektroskopisch auf der Sonno fest-
zustellen, während doch auf Erden die Elemente nur selten isoliert,
sondern meist auf mannigfache Art fest zusammengekettet vorkommen.
Als Ursache dieses Zustandes der „Dissoziation" sieht man die hohe
Temperatur der Sonne an, welche die Atome in so lebhafte Schwin-
gungen versetzt, dafs die chemische Verwandtschaft nicht zur Geltung
kommen kann, sehen wir dooh auoh im Laboratorium schon die
meisten zusammengesetzten Stoffe bei gewissen Hitzegraden in ihre
Elementarbestandteile zerfallen.
T) Vgl. Himmel und Erde, X. S. 425.
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Dl. f>2
Besondere Beachtung verdient nun noch die spektralanalytische
Untersuchung der auffälligen Gebilde, die unsere Fernrohre am Sonnen-
ball erkennen lassen, nämlich der Flecken und Protuberanzen. Was
zunächst die fast stets auf der Sonnenscheibe vorhandenen Flecken
betrifft, so erkennt man im allgemeinen an den betreffenden Stellen
mit Hilfe des Spektroskops sowohl eine über das ganze Spektrum
sich ausdehnende Verdunkelung, als auch eine hochgradige Verstär-
kung der schon im gewöhnlichen Sonnenlioht erkennbaren Fraun-
ho ferschen Linien, die vielfach bandartig verbreitert erscheinen.
Zöllner schlofs hieraus, dafs die Bestandteile der Sonnenatmosphäre
sich über den Fleckenregionen im Zustande starker Verdichtung be-
finden. Ganz eigentümliche Wahrnehmungen kann man aber mit-
unter an den Natriumlinien machen. Dieselben zeigen nämlich oft
an der Stelle der gröfsten Verbreiterung
einen hellen Kern, wie es Figur 8 veran-
schaulicht. Dieses Phänomen ist nur da-
durch erklärlioh, dafs im Fleck eine sehr
verdiohtete Schicht Natriumdampf von weni-
ger dichten , aber heifseren Dämpfen der-
selben Substanz überlagert wird. Diese
heifseren Schichten erzeugen dann, da ja
die Leuchtkraft mit der Temperatur wächst,
den helleren Kern, der wegen der geringeren
Diohtigkeit dieser oberen Dämpfe nicht so breit werden kann wie die
durch die tieferen, unter hohem Druck stehenden Schichten hervor-
gerufenen Absorptionslinien.
Von ganz hervorragendem Nutzen für die wissenschaftliche Er-
kenntnis hat sich die spektralanalytische Untersuchung der flammen-
äh nlioben Hervorragungen oder Protuberanzen erwiesen, die man
früher nur zur Zeit einer totalen Sonnenfinsternis am Rande des
Sonnenballs erblicken konnte. Diese Gebilde sind uns jetzt nicht
nur ihrem Wesen nach erschlossen worden, sondern zugleich macht
das Spektroskop es auch möglich, sie an jedem Tage am Rande der
Sonne zu sehen; ja auch mitten auf der Sonnonscheibe können wir
heutzutage mit Hilfe der spektralen Zerlegung dos Lichtes diejenigen
Gebiete herausfinden, wo sich solche Lichtbäume auf der Sonnen-
oberfläche erheben. — Die erste spektroskopische Beobachtung von
Protuberanzen erfolgte durch Jansson bei Gelegenheit der totalen
Sonnenfinsternis von 1868 in Indien. Es zeigte sich dabei, dafe die
beim direkten Anblick im Fernrohr rötlich erscheinenden Flammen-
Ki.r 8. Die Hatriumlinien
im Spektrum einet Sonnenfleck».
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zungen ein aus wenigen hellen Linien bostehendes Spektrum besitzen.
Namentlich waren vier Linien sehr deutlich sichtbar, von denen drei
die bekannten Wasserstoff linien sind, die im Sonnenspektrum „um-
gekehrt" als dunkle Linien gesehen werden; die vierte Linie, die
merkwürdiger Weise weder einer dunklen Linie des gewöhnlichen
Sonnenspektrums entspricht, nooh auch irgend einem von den damals be-
kannten Elementen zugehört, liegt im gelben Teile des Spektrums nahe
bei der Natriumlinie und wird deshalb mit dem Buchstaben D3 (vgl.
Fig. 8) bezeichnet, während man dem durch sie angezeigten, neuen
chemischen Element den treffenden Namen „Helium11 gab. Aus diesem
Spektrum der Protuberanzen ergab sich also, dafs wir es hier mit
gewaltigen Gasmassen zu thun haben, die aus dem Sonneninnern ex-
plosionsartig hervorbrechen und im wesentlichen aus Wasserstoff und
dem auf Erden damals noch nicht gefundenen Helium bestehen.8)
Neben diesem Aufschiurs über die Natur der Protuberanzen
führte die spektroskopisohe Beobachtung aber auch sofort zu einer
Methode, dieselben Gebilde alltäglich zu sehen; und zwar kam
Janssen unmittelbar nach Beendigung jener denkwürdigen Sonnen-
finsternis auf den zum Ziele führenden Gedanken, so dafs er bereits
am nächsten Tage die erste Protuberanz mittelst des Spektroskops
entdecken konnte. Noch ehe die Nachricht hiervon nach Europa ge-
kommen war, hatte auch Lockyer bereits völlig selbständig dieselbe
Entdeckung gemacht, nachdem er schon seit zwei Jahren den richtigen
Gedanken verfolgt und nur mangels geeigneter Instrumente nicht
früher hatte zum Ziele kommen können. — Bei vollem Sonnenschein
sind offenbar die Protuberanzen im Fernrohr nur dadurch unsichtbar,
dafs sie, wie bei Tage die Sterne durch das Licht der erhellten Luft
verblassen, von dem Lichte des Sonnenballs und der ihm zunächst
sichtbaren, erleuchteten Luft bei weitem überstrahlt werden. Um über-
haupt die Sonne ungeblendet betrachten zu können, müssen wir durch
dunkle Gläser oder irgendwelche andere Mittel das Licht so stark ab-
schwächen, dafs von den weniger stark glänzenden Protuberanzen
*> Dem eifrigen Leser der letzten Jahrgänge unserer Zeitschrift ist be-
kannt, dafs neuerdings das Helium in minimalen Mengen auch in irdischen
Körpern und in Meteoren entdeckt und dadurch der direkten chemischen
Untersuchung zugänglich gemacht worden ist (vgl. Bd. VIII, S. 181, IX,
S. 517). — Auch wollen wir hier nicht verschweigen, dafs in neuester Zeit von
mehreren Seiten eine wesentlich andere Auffassung der Protuberanzen, als
oben zu gründe gelegt ist, zur Geltung gebracht worden ist, worüber gleich-
fall» in dieser Zeitschrift (Bd. IV, S. 329, Bd. V, 8. 345 und 578) gebührend be-
richtet wurde.
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so
nichts mehr erkennbar ist. Die Verschiedenartigkeit des Spektrums der
Protuberanzen von dem der Sonne selbst giebt nun aber die Möglichkeit
an die Hand, das direkte Sonnenspektrum sehr stark abzuschwächen,
ohne dafs zugleich die Intensität des Protuberanzenspektrums im
gleichen Marse verringert würde; der Helligkeitskontrast kann daher
soweit gemäfsigt werden, dafs beide Spektra nebeneinander erkennbar
werden. Das Mittel, wodurch man das erreicht, besteht in der An-
wendung einer sehr starken Dispersion, also eines Spektralapparates
Fig. 9. Beobachtung dar Protuberans and der ChromoiphAre bei Sounenechein
mit mehreren Prismen, welche die Farben des Spektrums weit aus-
einanderzerren.
Richten wir den Spalt des mit einem Fernrohr versehenen
Spektroskops so, dafs er den Rand des im Fernrohrbrennpunkt be-
findlichen Sonnenbildchens senkrecht schneidet, wie es die linke Hälfte
unserer Figur 9 darstellt, so gelangt durch die untere Hälfte des
Spaltes direktes Sonnenlicht, durch die obere dagegen einerseits das
von unserer Atmosphäre intensiv zurückgestrahlte Tageslicht und
andererseits, falls sich an der betreffenden Stelle des Sonnenrandes
eint« Protuberanz befindet, Protuberanzenlicht in die Prismen. Nun
wird durch die Verteilung des durch den schmalen Spalt eindringen-
den Lichtbündels auf ein ausgedehntes, kontinuierliches Spektrum so-
wohl das direkte, als auch das reflektierte, weifse Sonnenlicht sehr
beträchtlich abgeschwächt; das von der rötlichen Protuberanz stam-
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mende und nur aus wenigen diskreten Farbengattungen bestehende
Licht erfährt dagegen keine derartige Ausbreitung, die vier hellen
Linien rücken bei starker Dispersion zwar weiter auseinander, bleiben
aber so schmal wie der Spalt des Spektroskops. So erreichen wir
denn, dafs sich diese Protuberanzlinien nicht nur von dem allenfalls
aus dem Gesichtsfeld zu bringenden direkten Sonnenspektrum, sondern
vor allem auch von dem darübergelagerten und auf keine Weise völlig
zu entfernenden Spektrum des diffusen Tagesliohtes hinreichend ab-
heben, um deuüioh wahrgenommen zu werden. — Befindet sich an
der gerade eingestellten Stelle des Sonnenrandes keine Protuberanz,
so fehlen natürlich die entsprechenden Linien, man erblickt aber eine
grösfere Zahl ganz kurzer heller Linien, welche von jenem roten Saum
herrühren, der bei totalen Finsternissen rings um die verdunkelte
Sonne gesehen wird (vgl. den unteren Teil der Figur 9). Diese
äufserst schmale Schiebt glühender Gase (und zwar wiederum vor-
nehmlich Wasserstoff) wird als Chromosphäre bezeichnet und stellt
gewissermaßen den Boden dar, in dem die Protuberanzen wurzeln.
Die Chromosphärenlinien sitzen meist mit breiter Basis dem Sonneu-
rande auf, laufen aber nach aufsen hin in feine Spitzen aus. Dieses
Aussehen erklärt sich durch die Abnahme des Drucks und der
Dichtigkeit der betreffenden Gase bei zunehmendem Absland vom
Niveau der Photosphäre.9)
Durch die Janssen- Lock versehe Beobachtungsmethode kann
man also bei Absuchung des Sonnenrandes leicht feststellen, an
welchen Stellen jeweilig Protuberanzen vorhanden sind, und bis zu
welcher Höhe sich dieselben erheben; aber die Gestalt dieser Bildungen
ist nicht unmittelbar erkennbar, sondern könnte erst aus mehreren
radialen Durchschnitten erschlossen werden. Zöllner stellte nun den
Spalt des Spektroskops, nachdem er eine Protuberanz aufgefunden,
tangential zum Sonnenraud und öffnete denselben, nachdem der helle
Sonnenrand gänzlich aus dem Gesichtsfeld entfernt war, bis zu einer
beträchtlicheren Breite. Sofort sah er nun statt einer hellen, gegen
das kontinuierliche Luftspektrum hinreichend kontrastierenden Linie
die ganze Protuberanz in ihrer natürlichen Gestalt und in der
Farbe der betreffenden Spektralgegend. Dieselbe Protuberanz liels
sich nun ebensogut in der C-, wie der D3-, oder F- Linie in roter,
gelber oder blauer Farbe wahrnehmen und naturgetreu abzeichnen.
Unsere Abbildung Figur 10 zeigt uns die Zöllnersche Einstellung;
wir sehen, wie das vom Fernrohrobjekliv entworfene Fokusbild
u) Photosphäre = Lichthülle ist die wissenschaftliche Bezeichnung der
leuchtenden, eigentlichen Sounenoberfläcbe.
Hlmmol und Krde 1898. XI. 2. ß
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der Sonne den weitgeöffnoten Spalt seitlich berührt, so dafs nur
die in der Nähe eines Flecks befindliche, über den Rand hervor-
ragende Protuberanz (die natürlich für das freie Auge neben dem
hellen Sonnenbilde nicht sichtbar ist) ihr Licht in das Prisma senden
kann. Figur 11 zeigt uns, was der Beobachter am Spektroskop dabei
sieht. Das Gesichtsfeld ist der Quere nach von einem Stück roten
Spektrums (von dem von der Luft reflektierten Sonnenlicht her-
stammend) durchzogen, in dessen Mitte die durah die weite Öffnung
des Spaltes sehr verbreiterte C-Linie l0) eine dunkle Unterbrechung
bildet. Diese Lücke sehen wir aber durch die zierlichsten Formen
einer Protuberanz und der bei dieser Beobachtung einem feurigen
Grasfelde gleichenden Chromosphäre erfüllt. -Man könnte sich ein-
bilden," sagt Young. „man sehe den Abendhimmel durch eine halb
geöffnete Thür, nur fehlt die Mannigfaltigkeit und der Kontrast der
Farben, alle Wölkchen zeigen dieselbe, rein scharlachrote Farbe."
Seit der Entdeckung dieser spektn>skopischen Bcobachtungs-
niethode ist natürlich kein Tag mehr vergangen, ohne dafs von
unermüdlichen Snnncnforschern, wie z.B. Secchi und Tacchini. der
Sonnenrand nach Protuberanzen abgesucht worden wäre. In den
„Memorie degli Spettmscopisti Italiani" finden wir seit langen Jahren
eine regelmässige Registrierung und Abbildung der beobachteten Piro*
tuberanzen. Beim Durchblättern dieser Sonnen-Annulen fällt uns ein
grofser Formenreichtum jener Bildungen auf. Namentlich lassen sich
zwei Haupigruppen von Protuboranzen unterscheiden, die wolken-
lu) Die feineren Fraunhoferschen Linien sind dagegen wegen der Breite
des Spaltes röllig verblafst.
Fig. 10. Tangentiale
Einteilung einer Protuberanx
bei weit geöffnetem Spalt.
Fig. 11. Beobachtung der Protuberans«!!
ihrer Gestalt nach.
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ähnlichen und die eruptiven. Der erstere Typus, wie ihn unsere Ab-
bildung Figur 12 links darstellt, zeigt unscharfe, neblige Umgrenzung
und nur langsame Veränderungen der Gestalt. Die eruptiven Pro-
tuberanzen (Figur 12 rechts) gleichen mächtigen, feurigen Spring-
brunnen, die aufser Wasserstoff und Helium, wie das Spektrum lehrt,
auch verschiedene metallische Dämpfe mit in die Höhe reifsen und
demgeraäfs jedenfalls sehr viel heftigeren Vorgängen in den tieferen
Schichten der Sonnenhülle ihre Entstehung verdanken. Dem-
entsprechend beobachtet man an solchen Gebilden oft auch schon in
kürzester Zeit beträchtliche Veränderungen der Gestalt und Gröfse.
Die Figur 13, welche uns vier Entwickelungsstadien eines besonders
lebhaften Ausbruches vor Augen führt, die im ganzen nur etwa eine
Stunde auseinander lagen, giebt uns hierfür ein eindringliches Beispiel.
P f
Fig. 13. Protuberanian.
Übrigens hat Tacchini bei Gelegenheit von Sonnenßnsternis-
beobachtungen auch weirse Protuberanzen entdeckt, die außerhalb der
Finsternis spektroskopisch nur schwer oder gar nicht wahrnehmbar
waren. Überhaupt läfst uns, wie gar nicht anders erwartet werden
kann, das Spektroskop immer nur die hellsten Teile einer Protuberanz,
ihr Gerippe so zu sagen, erkennen, während die feineren Details nach
wie vor nur bei totalen Sonnenfinsternissen studiert worden können.
Seit wenig mehr als etwa einem Jahrzehnt hat man sioh bemüht,
in allen Zweigen der Himmelskundo die Photographie in den Dienst
der Forschung zu stellen, und auch die Erforschung der Protuberanzen
und der mit ihnen nahe verwandten „Sonnenfackeln" hat durch diese
neue Methode einen bedeutungsvollen Aufschwung genommen. Es
zeigte sich, dafs die im Violett ziemlich an der Grenze des sicht-
baren Spektrums gelegenen, von Calciumdämpfen herstammenden
Linien H und K nicht nur im Lichte der meisten Protuberanzen
ebenso hell oder noch heller als die Wasserstoffliuien vorhanden sind
sondern mit Hilfe photographischer Aufnahmen auch mitten auf der
6'
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Sonnenscheibe sich doppelt umgekehrt, das heifst mit einem hellen
Kern versehen, zeigen. Haie und Deslandres haben daraufhin
unabhängig von einander besondere, komplizierte Apparate, „Spektro-
heliographen", ersonnen, die es gestatten, mittelst mehrerer beweg-
licher, gekreuzter Spalte das Bild der ganzen Sonne oder auch ihrer
Umgebung im Lichte der K-Linie photographisch zu fixieren. Unsere
Figur 14 zeigt das Ergebnis einer derartigen Aufnahme, die freilich
einen ganz anderen Anblick gewährt als eine gewöhnliche, direkte
Sonnenphotographie. ") Wir haben hier eben nicht eine Abbildung
der das eigentliche Sonnenlicht ausstrahlenden Photosphäre vor uns,
sondern vielmehr eine Darstellung der über dieser lagernden und
i i-',. 13. Vcranaoiuugen einer Protuberani (nach Zu Huer.]
durch die Hilfsmittel der photographischen Spektralanalyse sichtbar ge-
machten chromosphärischen Schicht mit den Hervorragtingen derselben,
die sonst am Sonnenrande als Protuberanzen, vor der Scheibe aber
höchstens in weit geringerer Ausdehnung als Fackeln erkennbar sind. 12)
Endlich ist natürlich auch die Sonnencorona, jene ausgedehnte,
äufserste Umhüllung des Sonnenballs, die nur bei totalen Verfinste-
rungen des letzteren gesehen werden kann, aufs eifrigste spektro-
skopisch untorsuclit worden, so oft die wenigen Minuten eim-r totalen
Sonnenfinsternis die Gelegenheit dazu darboten. Das Coronaphänomen
"| Näheres über diese Aufnahmen, sowie über gewisse diesbezügliche
noch nicht entschiedene Streitfragen findet man in Himmel und Erde, Bd. V,
S. 94 und Bd. VI. S. 3So.
u) Die eigentümliche Gestreiflheit des Bildes ist allerdings nur durch ge-
wisse Unvollkommcnhoiton des Aufnah meapparatea bedingt und entspricht
keineswegs reellen Lichtunterschieden.
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stellte bis zur Entwicklung der spektralanalytischen Forschung für die
Gelehrten noch ein völlig ungelöstes Problem dar; man wufste nicht
einmal mit Sicherheit, ob diese Strahlenkrono dem Monde oder der
Sonne angehört oder gar nur eine rein optische Erscheinung sei.
Das Spektrum zeigte sofort die Zugehörigkeit zur Sonne an, denn
neben einem schwachen kontinuierlichen Spektrum erkannte mau helle
Linien (besonders eine grüne und mitunter zwei grüngelbe, sowie auch
die Wasserstofflinien), die beweisen, dafs ein wesentlicher Teil des
Coronalichtos von selbstleuchtendon, glühenden Oasen stammt, wie
Fig 14. Eine Sonnenaufnaame im Licht« der K.-Liaie (nacli Haie.)
sie nur in unmittelbarster Sonnennähe existieren können. Aus den
grünen Linien speziell, die einem sonst bekannten Element wegen
ihrer besonderen Lage nicht entsprechen können1''), müssen wir auf das
Vorhandensein eines glühenden, jedenfalls äufserst leichten Gases von
unbekannter Natur (Coronium) sohliefsen, während das kontinuierliche
Spektrum anzeigt, dafs sich diesem Eigenlicht der Corona auch reflek-
tiertes Sonnenlicht beimischt, welches vielleicht von feinen, meteori-
schen Staubpartikelchen stammen mag, die den gewaltigen Sonneu-
ball den Mücken gleich, die um eine Lampe schwirren, umkreisen.
(Fortsetzung' folgt.)
") Vor einigen Wochen haben jedoch italienische Forscher ein Gas mit
entsprechendem Spektrum in den Solfa taragasen von Pozzuoli entdockt.
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jiiiiiiiiiitniiiiiii iiiiiii 111 ii ii iiiitiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiniiiii Ii Iiiiiiiiiiii iiiii iitiiiiniiiim
^11 III III II Hill I IIIII II IIIIIIIIIIII Hill I IIIII HIHIHI H II II II lllllllllllllllllllllll III II Hill II 1111111111111?
Lichtelektrische Telegraphie.
Von Dr. P. Spie« in Berlin.
chall- und Lichtwellen ermöglichen dem Menschen in der ein-
fachsten Weise eine Zeichengebung auf einige Entfernung. Auf
der primitivsten Stufe freilich, auf welcher eine solche „Tele-
graphie ohne Draht" auch ohne sonstige Zurüstungen ausgeübt wird,
also lediglich die menschliche Stimme zur Erzeugung von Tönen, die
menschlichen Oliedmafsen zur Hervorbringung sichtbarer Zeichen be-
nutzt werden, wird die zu überwindende Entfernung eine verhältnis-
mäfsig kleine sein. Die nächstliegenden Vervollkommnungen akusti-
scher Art sind durch lauttönendo Geräte gegeben, etwa durch Glocken,
Nebelhörner, Signalhörner oder Trommeln, und es ist bekannt, dafs
beispielsweise das letztgenannte Instrument, die Trommel, bei mancheu
wilden Völkern mit grofser Meisterschaft in der Weise gehandhabt
wird, dass wichtige Nachrichten durch die „Trommelsprache" im
ganzen Lande schnell verbreitet werden.
Auch der kultivierte Mensch verzichtet auf eine solche akustische
Signalgebung nicht vollständig, wenngleich er von ihr kaum zur
Übermittelung mannigfaltiger Nachrichten Gebrauch machen dürfte.
Eine weitergehende Anwendung hat sich bei der optischen Zoichen-
gebung erhalten; nicht nur wird eine Verständigung spezieller Art
zwischen dem Bahnwärter und dem Personal des fahrenden Zuges
durch optische Signale ermöglicht, sondern wir erzielen auch zwischen
einem Schiff und der Küste mit Hülfe der'bekannten farbigen Flaggen
eine sehr weitgehende und dauernd mit Nutzen angewandte Ver-
ständigung.
In diesen beiden letzteren Fällen haben wir bereits recht typische
Aufgaben für die drahtlose Telegraphie herangezogen. In den meisten
anderen Fällen, vornehmlich im Verkehr auf dem Festlande von Stadt
zu Stadt oder zwischen weit entfernten Punkten an verschiedenen
Küsten desselben Meeres, überhaupt auf gröfsere Entfernungen mutete
der einstmals so bedeutungsvolle optische Telegraph dem elektrischen
Leitungsdrahte weichen, weil dieser letztere unabhängig von Witterungs-
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einflüssen, von der Gestaltung des Geländes, einigermafsen auch von
der Entfernung arbeitet, und weil er, was besonders ins Gewicht fallt,
die Nachrichten niederzuschreiben vermag.
Recht eigentümlich berührt es uns, wenn wir sehen, dafs man
in der neuesten Zeit versucht hat, für jene Fälle, in denen die An-
wendung eines Drahtes ausgeschlossen ist, die elektrische Telegraphie
durch Hülfsmittel zu ergänzen, welche mit der physikalischen Grund-
erscheinung der optischen Telegraphie, also dem Lichte, nahe ver-
wandt oder vielmehr identisch sind. Es versteht sich von selbst, dafs
derartige Methoden die Vorzüge der optisohen und der elektrischen
Telegraphie, leider aber auch die Fehler beider in sich bis zu einem
gewissen Grade voreinigen werden. Die eine dieser Metboden draht-
loser Telegraphie, nämlich die Marconische, ist in dieser Zeitschrift
bereits ausführlich besprochen worden. Wir weisen an dieser Stolle
nur daraufhin, dafs die von Hertz entdeckten Ätherwellen, mit denen
Marooni arbeitet, vorhültnismäfsig lang sind; ihre Länge bemirst sich
nach Dezimetern oder gar nach Metern, und deshalb ist es bis jetzt
nicht gelungen, die für die Lichtwellen — und bei Laboratoriums-
versuohen auch für die Hertzschen Wellon — bewährten Hülfsmittel
einer Konzentration der Wirkung nach bestimmten Richtungen hin,
also Spiegel und Linsen bei Versuchen im grofsen anzubringen. Es
wird also die Wirkung des Wellengebers nach allen Richtungen hin
verstreut, ähnlich wie dies im allgemeinen bei den von einer Schall-
quelle ausgehenden Schwingungen der Fall ist, und demzufolge mufs
man den Empfänger gewissermaßen mit einem recht grofsen Ohre,
einer Auff&ngevorrichtung versehen, nämlioh mit einem lang aus-
gespannten Drahte. Der allgemeine Charakter der Anordnung schliefst
sich also immer noch mehr an dasjenige an, was man bei elektrischen
Apparaten zu sehen gewohnt ist; nur das Fehlen eines fortlaufenden
Drahtes weist uns darauf hin, dafs es sich hier um eine Naturerschei-
nung handelt, welche der Ausbreitung von Schall- oder Liohtwellen
analog ist.
Die neue Methode, welohe ihr Erfinder „Lichtelektrische Tele-
graphier genannt hat, benutzt ebenfalls Ätherwellen, welche auf unser
Auge eine Wirkung nicht ausüben; aber diesmal handelt es sich um
die Strahlen, welche nicht jenseits der unteren, sondern jenseits der
oberen Grenze des sichtbaren Gebietes liegen, um die sogenannten
ultravioletten Strahlen. Merkwürdigerweise ist die besondere Eigen-
schaft dieser Strahlen, welche zur Verwertung gelangt, ebenfalls von
Heinrich Hertz entdeokt, und zwar bei Gelegenheit seiner Ver-
suche über elektrische Wellen. Hertz fand nämlioh, dafs das von
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elektrischen Funken ausgehende Licht, und zwar die in ihm ent-
haltenen Strahlen geringer Wellenlänge, insbesondere die ultravioletten
Strahlen die Eigenschaft besitzen, elektrische Entladungen auszulösen.
Wenn man beispielsweise die kugelförmigen Elektroden eines im
Gange befindlichen Induktionsapparates so weit auseinanderzieht, dafs
die elektrische Spannung nicht mehr hinreicht um noch eine Funken-
entladung herbeizuführen, und wenn man dann auf die Elektroden
ultraviolette Strahlen fallen läfst, so setzt die Funkenentladung sofort
wieder ein. Diese Erscheinung und die ihr verwandten Phänomene
pflegt man als „lichtelektrische" zu bezeichnen. Professor Zickler
in Brünn benutzt den Vorgang in folgender Weise für die Zwecke
der drahtlosen Telegraphie. Von einem an der Sendestation befind-
lichen Bogenlichte werden in den deu telegraphischen Zeichen ent-
sprechenden Intervallen Strahlen in der Richtung der Empfangsstation
ausgesendet und diese lösen an letzterer in denselben Intervallen
elektrische Funken aus. Die von den Funken wiodergogebonon
Zeichen können nun in verschiedener Weise fixiert werden, z. B. da-
durch, dafs man nunmehr zur Marcon i sehen Methode übergeht, also
die Funken auf einen Cohäror wirken läfst und dadurch diesen und
die von ihm abhängigen Apparate bethätigt; oder man schaltet in die
sekundäre Rolle des Induktoriums selbst eine Vorrichtung, welche auf
den beim Übergang des Funkens entstehenden Strom anspricht, also
einen geeigneten Morseapparat oder besser ein Relais.
Da der in Rede stehende Hertzsohe Effekt stärker wird, wenn
man die Luft zwischen den Elektroden bis zu einem gewissen Grade
verdünnt, so schliefst man die letzteren in eiu Glasgefäfs ein. welches
mit Hülfe einer Luftpumpe entleert werden kann. Über die benutzten
Apparate sei ferner noch bemerkt, dars der Zeichengober ein gewöhn-
licher elektrischer Scheinwerfer ist; um die Aussendung ultravioletter
Strahlen zu begünstigen, wird durch Auseinanderziehen der Kohlen
ein etwas gröfserer Flammenbogen gebildet. Eine gewisse Erschwerung
liegt in dem Umstände, dafs die Linsen und Spiegel, welche zur
Konzentration der Strahlen benutzt werden, nicht aus Glas bestehen
dürfen, bezw. bei gläsernen Spiegeln die Vorderfläche versilbert sein
mufs. Glas hat nämlich die Eigenschaft, die wirksamen Strahlen stark
zu absorbieren; man wird also seine Zuflucht entweder zu Linsen aus
Bergkrystall oder zu einfachen metallenen Hohlspiegeln nehmen. Das
Glasgefäfs, welches, wie oben erwähnt, die Elektroden des Empfangs-
apparates einschliefst, mufs ebenfalls mit einein Quarzfenster ver-
sehen sein.
Die erwähnte unangenehme Eigenschaft des Glases, die wirk-
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samen Strahlen zu verschlucken, kommt dem neuen System nach
einer anderen Richtung' hin zu gute. Sie ermöglicht es, durch einen
Verschlufs aus Glas, der etwa durch ähnliche Mechanismen bethätigt
werden könnte wie die Momentverschlüsse photographischer Apparate,
die wirksamen Strahlen abzuschneiden. Die hierdurch herbeigeführte
sichtbare Intensitätsänderung ist so gering, dafs sie einem Beobachter
des Strahlenkegels entgeht, dafs also ein unerwünschtes Mitlesen der
übermittelten Nachrichten hier viel weniger leicht möglich ist als bei
dem M a reo ni sehen System. Die ganze Anordnung wird durch die
Figur schematisch wiedergegeben: L bezeichnet eine elektrische
Lampe, deren Strahlen durch den Spiegel S reflektiert werden und
durch die Quarzlinse Q in annähernd paralleler Richtung austreten.
Die Linse Q kann fortfallen, wenn der Lichtpunkt mit dem Brenn-
punkt des Spiegels zusammenfällt, was bei gröfseren Scheinwerfern
G
L
(>
S
1
(1 ä2r_-y
Li
zu militärischen und anderen Zweoken der Fall zu sein pflegt. Für
Abbiendung des Xebenlichtes sorgt das Metallgehäuse G. V ist der
erwähnte Verschlufs aus Glas.
Dor Empfänger besteht aus einem gläsernen Gefäfs, welches
die Platinelektroden P, P2, eine Kugel und eine Platte enthält, und
durch das Quarzfenster Q2 verschlossen ist. Durch die Quarzlinse
Q,, deren Abstand regulierbar ist, kann auf der negativen Elektrode
P2 das Strahlenbündel konzentriert werden; es hat sich nämlich ge-
zeigt, dafs vornehmlich die Belichtung der negativen Elektrode von
entscheidendem Einflute ist. Das Induktorium J raufs so reguliert
werden, dafs seine Spannung nur während der Bestrahlung P2 zu der
Erzeugung eines Funkens ausreicht.
Die Versuche Zicklers, welche ohne Anwendung eines geeigneten
Reflektors stattfanden, haben bis auf eine Entfernung von 200 Metern
eine sichere Wirkung ergeben. Dieses Resultat ist insofern günstig,
als ja ohne Reflektor bei einer derartigen Entfernung nur ein ver-
schwindend kleiner Teil der Strahlung ausgenutzt wird. Selbst bei
viel gröfseren Entfernungen wird, wie eine einfache Betrachtung des
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geometrischen Strahlenverlaufs zeigt, die Wirkung bedeutend intensiver
sein als bei den Zicklerschen Experimenten, sobald man einen
Scheinwerfer benutzt. Allerdings ist hierbei nicht berücksichtigt, einen
wie grofsen Anteil der Strahlen die Luft absorbiert, eine Frage, welohe
auf Grund neuer Experimente wird in Angriff genommen werden
müssen. Man sieht ohne weiteres ein, dafs hier eine Schwäche der
neuen Methodo liegt, welche sie mit der alten optischen Telegraphie
teilt, während sie derselben durch die Niederschrift, sowie duroh die
Verhinderung des Mitlesens überlegen ist.
Von allgemeineren physikalischen Gesichtspunkten aus erscheinen
uus die Zicklerschen Versuche recht bemerkenswert Zweifellos
sendet uns die Sonne auch in der Form ultravioletter Strahlen grofse
Energiemengen zu. Ein grofser Teil dieser Strahlung wird in den
oberen Schichten der Atmosphäre aufgehalten, ohne dafs wir eine
hinlänglioh begründete Antwort auf die Frage geben könnton, was
für eine Rolle jene Energie etwa bei meteorologischen Vorgängen zu
spielen vermag. Die ultravioletten Strahlen, welche zu uns mit dem
Lichte herabgelangen, sind vielleicht Tür das organische Leben auf
der Erde und sicherlich für manohen wissenschaftlich - technischen
Prozefs, z. B. die Photographie, von Bedeutung; in allen diesen Fällen
aber geht ihre Wirkung neben denjenigen der Lichtstrahlen einher,
und es diirfto deshalb hier zum ersten Male der Versuch gemacht
sein, eine technische Wirkung zu erzielen, dadurch, dafs man einen
Gegensatz zwischen den Lichtstrahlen allein einerseits und der Gesamt-
strahlung einer elektrischen Lampe andererseits ausnutzt.
Noch weiter geht freilich ein anderer etwas phantasiereicher
Vorschlag, den wir nur seiner Eigentümlichkeit wegen erwähnen.
Nach demselben soll das von einer Strahlenquelle ausgehende Licht
ganz unterdrückt und nur der ultraviolette Anteil zur Bestrahlung
eines fernen Objektes benutzt werden. Die hier diffus reflektierten
Strahlen sollen dann ein Bild des Gegenstandes abgeben, genau so.
-
wie uns die von einem Scheinwerfer ausgehenden Lichtstrahlen ein
fernes Objekt sichtbar machen. Der einzige Unterschied würde darin
bestehen, dafs beim Auftreffen der ultravioletten Strahlen der Gegen-
stand nicht für das Auge, sondern nur für ein besonderes, auf dem
bekannten Prinzip der Fluorescenz basierendes Instrument sichtbar
sein würde. Es versteht sich von selbst, dafs der Autor dieser letzteren
Idee vornehmlich an eine Verwendung zu Kriegszwecken denkt, und
es berührt uns eigentümlich, wenn wir uns etwa ausmalen, dafs man
einen Feind mit dunklen Strahlen und mit Hilfe eines für diese
empfänglichen „künstlichen Auges- beobachten könnte, ohne dafs der
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Ahnungslose hiervon etwas zu merken im stände wäre. Man sieht
wieder einmal, wie die moderne Wissenschaft die kühnsten Zauber-
märchen zu übertreffen im stände ist, oder sagen wir lieber wie sie
dieselben denkbar erscheinen zu lassen vermag.
Seit langer Zeit kennt man in Nord-Amerika und in Kufsland
eigentümliche Qesteinsgänge, deren Ausfüllungsmasse weder aus
eruptiven, in glutflüssigem Zustande era porgedrungenen Gesteinen,
noch aus wässeriger Lösung auskristaliisierten Mineralien, sondern
vielmehr aus sedimentärem Gesteinsmaterial besteht, und man hat sich
allmählich daran gewöhnt, auch diese auffälligen Gebilde mit dem
Namen „Gang11 zu bezeichnen. In Kalifornien finden sich beispiels-
weise in eozänen Mergeln weithin sich erstreckende schmale Gänge,
dio mit Sandstein erfüllt sind, und im Gebiete des Pikes Peak treten
ganz analoge Sandsteingänge im Granit auf. Auch in Kufsland ist
das Verhältnis ein ganz ähnliches. Dort finden sich bei Alatvr in
neokomen Thonen gleichfalls Gänge von Sandstein. In allen diesen
Fällen hat man zur Erklärung des merkwürdigen Phänomens ange-
nommen, dafs es sich hier um Spalten handelt, die bei Gelegenheit
von Erdbeben aufrissen und unmittelbar nach dem Aufreihen sich
mit Sand füllten, der ein späteres bei Erdbcbenspalten oftmals ein-
tretendes WiederverschlieCsen verhinderte. Indessen besteht in ein-
zelnen Gebieten ein Unterschied in der Art und Weise der Aus-
füllung. In manchen Fällen ist nämlich das Ausfüllungsmaterial
einfach von oben her in die Spalte hineingefallen, während es in an-
deren aus der Tiefe derselben emporgeprefst ist Die Ausfüllungs-
raasse und ihre petrographische Zusammensetzung läfst in den meisten
Fällen mit vollkommener Sicherheit erkennen, auf welche dieser
Fossile Erdbebenspuren.
St2
beiden Arten die Spaltenfüllung erfolgte. In Kalifornien werden die
eozänen Mergel von Sauden unterlagert, die der Kreideformation an-
gehören, und die Aiisfüllungsmasse der Gänge stimmt vollkommen mit
jenen Sanden des Untergrundes überein Hier ist also mit Sicher-
heit der Vorgang so zu erklären, dafs unmittelbar nach dem Auf-
reihen der Spalte der wasserdurchträukto Kalksand von unten her
wie ein Eruptivgestein empordraug und die Spalte füllte, bevor sie
sich schliefsen konnte. Anders liegt die Sache am Pikes Peak und
in Rufsland. In beiden Gebieten fehlen unter dem von der Spalte
durchsetzten Gestein solche sandigen Ablagerungen, deren Material
mit der Spaltenausfüllung übereinstimmt, dagegen sind dieselben in
jüngeren Schichten der betreffenden Gebiete, wenn auch nicht immer
in unmittelbarer Nähe des Sandsteinganges, noch vorhanden. Bei
Alatyr stimmte das Material der in der Kreidetbrmalion aufsetzenden
Sandsteingänge vollkommen mit den im gleichen Gebiete auftretenden
der älteren Tertiärzeit angehörenden Sanden des Oligozän überein.
Hier ist also offenbar das Material der Spaltenausfüllung von oben
hereingestürzt und hat dieselbe im Momente der Entstehung ausge-
füllt. Ks ist nun von hohem Interesse, dafs ein solcher Sandstein-
gang nunmehr auch in unserem Vaterlande beobachtet werden konnte,
und zwar ist es in diesem Falle durch die eingehende und sorgfältige
Untersuchung eines unserer ausgezeichnetsten Petrographen, des Pro-
fessors Kalkowsky in Dresden, gelungen, den Charakter dieses
Sundsteinganges als Ausfüllungsmasse einer Krd bebenspalte durch
Anwendung feiner chemischer und mikroskopischer Methoden auf das
sicherste festzustellen. Kalkowsky berichtet über seine Untersuchungen
in einem Aufsatze in den Abhandlungen der Dresdener Isis, dem wir
folgende interessante Einzelheiten entnehmen. Östlich von Meifsen
wurde bei Weinböhla im Elbthale eine kleine Soholle von der der
Kreideformation angehörendem Plänerkalke abgebaut Während des
Steinbruchbetriebes sliefs man auf eine dünne, vertikale Sandsteinmauer,
die sich etwa 50 m weit durch den Bruch hindurch verfolgen liefs.
Die Stelle ist noch dadurch besonders interessant, dafs sie in der
nächsten Nähe der grofsen, sogenannten Lausitzer Überschiebung
liegt. Durch eine gewaltige Bewegung in der Erdkruste sind hier
ältere granitische Gesteine flach über jüngere, dem Jura und der
Kreidel'ormation angehörende Kalksteine und Mergel hinwegbewegt
worden, sodars hier eine vollkommen verkehrte Schichtenlagerung ent-
standen ist. Der Sandsteingang, der gegenwärtig durch Eingehen des
Steinbruchbetriebes nicht mehr sichtbar ist, besäte eine Mächtigkeit
von 30 — 45 cm und verlief ungefähr senkrecht -egen die allgemeine
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Richtung der Lausitzer Überschiebung, während er fast vertikal in
die Tiefe hinabselzt. Zu beiden Seiten des Sandsteinganges liegen
Mergel und Sandsteine des Pläner. Leider hat das Aufhören des Be-
triebes die Beziehungen des Ganges zu der nahe gelegenen Über-
schiebung nicht erkennen lassen. Das Gestein des Ganges ist ein
fester Sandstein, der fast ausschliefslich aus Quarzkörnern besteht, die
durch ein Bindemittel von kohlensaurem Kalke innig verkittet sind.
Der Kalk ist durch Auflösung aus dem Nebengestein in wässeriger
Lösung in den Sand hineingebracht worden und in demselben so
vollkommen auskristallisiert, dafs er alle Hohlräume der Quarzkörner
erfüllt hat Wenn man nun in einem gewissen Volumen des Sand-
steina durch Behandeln mit Salzsäure den Kalk auflöst, so erhält
man, da Quarz und Kalkspath ungefähr dasselbe spezifische Gewicht
haben, in der Menge des Kalkes das sogenannte Porenvolumen des
Sandes, d. h. das Verhältnis der zwischen den einzelnen Sandkörnern
sich befindenden Hohlräume zu der Masse des Sandes. Dieses Poren-
volumen nun ergab sich zu 30 p. c; es ist das eine außerordentlich
niedrige Zahl, denn das mathematisch zu berechnende Porenvolumen
kugelförmiger, gleich großer Körper beträgt 26 p. c, also nur ein
geringes weniger, während dagegen scharfkantige Quarzsande von
derselben Korngröfse wie die unseres Sandsteinganges ein solches
von mehr als 37 bis gegen 40 p. c. besitzen. Daraus geht schon
hervor, dafs der Sand vor seiner Verfestigung durch Kalkspath eine
Zusammenpressung erfahren haben mufs, durch die das natürliche
Porenvolumen erheblich vermindert wurde, eine Zusammen pressung,
die man wohl zwanglos auf den gewaltigen Seitendruck zurückführen
kann, den die Wände der eben aufgerissenen Spalte bei ihrem Be-
streben, sich wieder zu schließen, ausübten. Eine ausgezeichnete Be-
stätigung findet diese Anschauung in dem mikroskopischen Studium
der Quarzkörner: schon bei der Auflösung des Bindemittels mit ver-
dünnter Säure zeigt es sich, dafs der Rückstand nicht zu einem losen
Sande zerfällt, sondern dafs die einzelnen Quarzkörner mit ihren
Spitzen und Ecken so fest aneinander geschweifst sind, dafs es kräf-
tiger mechanischer Nachwirkung bedarf, um ihren Zusammenhang zu
lösen. Die mikroskopische Untersuchung dieser Partien lieferte eine
vollständige Bestätigung, indem es sich zeigte, dafs die so ver-
schweißten Quarzkörner an ihren Grenzen so gut wie gar keine Dis-
kontinuität besitzen. Auch diese Erscheinung ist unzweifelhaft auf
mächtige Druckkräfte zurückzuführen, wobei wahrscheinlich der in
Lösung hinzugeführte kohlensaure Kalk als Auf lösungsmittel der
Grenzmoleküle der Quarze eine gewisse Rolle spielte.
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Auch das Alter dieses Sandsteinganges läfst sich mit greiser
Sicherheit bestimmen, wenn man die Beschaffenheit seines sandigen
Materials mit anderen Sanden und Sandsteinen der Umgebung ver-
gleicht. Über dem heutigen Ausgehenden des Ganges lagert in
grofser Mächtigkeit der diluviale Haidesand der Dresdener Haide.
Das Material desselben ist von völlig anderer Zusammensetzung und
von sehr mannigfacher Beschaffenheit; vor allem aber sind die
Quarzkörner alle stark abgerollt und abgerundet. Auch der jüngere
Sandstein der sächsischen Kreideformation, der sogenannte Über-
quader, kann unraöglioh der Lieferant des Sandes gewesen sein, denn
seine Körner sind stets gröber, und vor allen Dingen sind rosa ge-
färbte Quarze geradezu charakteristisch für ihn. Da auoh im Liegenden
dos Pläners die dunkelgrauen bis schwarzgrünen glaukonitischen Sand-
steine nicht in Frage kommen können, so bleibt nur eine einzige
Formation übrig, und das ist das Oligozän. Noch jetzt sind oligozäne
Sande und Kiese in der Nachbarschaft von Weinböhla in einzelnen
kleinen Partien vorhanden, die vor der Zeit des Diluviums entschie-
den eine zusammenhängende, ausgedehnte Decke bildeten. Diese oligo-
zänen Sande sind bald feinkörnig, bald grobkörnig, und die ersteren
zeigen nun bei mikroskopischer Untersuchung in Gröfse, Form und
optischem Verhalten der Quarzkörner, sowie in dem Fehlen fast aller
anderen Mineralien die allergrößte Ähnlichkeit mit dem Material
unseres Sandsteinganges. Aus dem Gesagten läfst sich die Geschichte
dieses hochinteressanten Gebildes mit gröfster Sicherheit in der folgen-
den Weise feststellen: nach der Ablagerung der Plänerschichten
und des Überquaders der jüngeren Kreideformation wurde ein grofser
Teil dieser Sedimente in der jüngsten Kreide und im ältesten Tertiär
durch Erosion wieder entfernt, worauf zur Zeit des Unteroligozän
in einzelnen Seobocken und Flufsläufen Quarzkiese, Sande und Thone
sich niederschlugen, die später auch wieder zum grofsen Teil durch
Erosion entfernt wurden. Gegen das Ende des Unteroligozän be-
gannen hier, wie in vielen Gebieten der Erde, Bewegungen im Boden;
es leiteten sich kraftvolle tektouische Bewegungen ein, und als Vor-
läufer derselben treten Erdbeben auf. Bei einem dieser Erdbeben
rifs der feste Plänerkalk, der von darüber lagernden, lockeren
Sanden bedeckt war, zu einer Spalte auf, in die alsbald von oben her
der Sand hineinstürzte, sodafs das Wiedorverschliefsen der Kluft un-
möglich wurde, während der bei diesem Versuche ausgeübte Druck eine
mächtige Zusammen pressung der Ausfüllungsmasse zur Folge hatte.
Kurze Zeit nach seiner Entstehung, die also in das Ende der Unter-
oligozänzeit fällt, hatte sich der Sand des Ganges bereits durch Kalk-
95
spath zu einem festen Gestein verkittet, und als nun die gewaltige
Störung einsetzte, als deren Ergebnis wir die Lausitzer Überschiebung
vor uns sehen, entstand, was bei der unmittelbaren Nachbarschaft
dieses mächtigen Phänomens nicht zu verwundern ist, eine Zertrüm-
merung des Sandsteinganges und eine Verschiebung sowohl im hori-
zontalen, wie im vertikalen Sinne, durch die die einzelnen Teile des-
selben von neuem getrennt wurden. Gleichzeitig wurde das Gestein
in sich mit einem Netzwerke von Trümmerspalten durchzogen, auf
denen später wieder feinere und stärkere Adern von Kalkspath aus-
kristallisierten. Im jüngeren Tertiär wurden dann weitere Teile des
Turon und Oligozün entfernt, aber ein günstiger Zufall liefs unter
einer Decke von diluvialem Haidesand den Sandsteingang als Zeugen
vergangener Erdbeben bis zum heutigen Tage bestehen. K.
Die Abbildung auf Seit« 3:> ist durch ein Versehen leider verkehrt ein-
• gesetzt worden. Dementsprechend müssen die Bezeichnungen ebenfalls in
umgekehrter Reihenfolge stehen, das oberste Spektrum ist also das des Calciums,
das unterste dasjenige der Sonne; ebenso muteten die über der Abbildung
befindlichen Buchstaben links mit A beginnen. Indem wir den freundlichen
Leser um entsprechende Korrektur ersuchen, bitten wir für das störende Ver-
sehen um Entschuldigung. Die Rodaktion.
Berichtigung.
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Prof. Dr. L. Grunmach: Die physikalischen Erscheinungen und Kräfte.
Leipzig 1898, Verlag von Otto Spamer.
Das vorliegende Werk ist ein Sonderabdruck ans dem zweiten Bande
des allbekannten Buches der Erfindungen, der aufserdem noch die Abschnitte
.Mechanik" und „Kraftmaschinen" enthält, die freilich unseres Erachtens gleich-
falls unter den Titel des Sonderabdrucks fallen, deren Abtrennung daher wohl
nur deshalb erfolgte, weil sie einen anderen Autor haben. — Die neue Bear-
beitung des auch bisher schon als ausgezeichnet bekannten Werkes zeigt zahl-
reiche, recht in die Augen fallende Verbesserungen oder vielmehr richtiger
eine gänzliche Neugestaltung. Abgesehen von einer gründlichen und sach-
gemäfsen Revision beziehungsweise Neuschaffung des Textes ist namentlich
auch die Zahl guter Illustrationen erheblich gestiegen, sodafs hierin wohl
ziemlich das denkbar Besto erreicht ist. Ein» grofse Zahl von guten Portraits
bedeutender Forscher sowie von Ansichten moderner, wissenschaftlicher Instru-
mente wird das Buch selbst dem Fachmann, dem der Text nichts wesentlich
Neues bioten kann, wortvoll machen. Berühmte Refraktoren z. B. sind auf
einer besonderen Tafel zusammengestellt, darunter auch der Urania-Refraktor
und das Pariser Equatorial coude. Die fünf der Stückrathschen Vakuum -Wage
gewidmeten Illustrationen werden vorwiegend den weiter vorgeschrittenen Leser
interessieren, während sie dem Anfänger zwar nicht in allen Teilen verständ-
lich sein, aber doch immerhin einen Begriff von dem Worte „Präcisionsmessung"
beibringen werden, wie er durch Auseinandersetzungen mit Worten gar nicht
zu erzielen wäre. -- Nach alledem zweifeln wir nicht, dafs das Buch auch in
seiner neuenQestalt seinen grofsen Interessentenkreis voll befriedigen wird, mögen
auch manche früher broiter behandelten Abschnitte, wie z. B die überseeische
Telegraphie und die musikalischen Instrumente zu Gunsten der Hertzschen
Wellen, Tesla-Ströme, Röntgenstrahlen und ähnlicher aktueller Neuheiten zu
kurz gekommen sein.
Vetlaj: Hermann Partei in Berlin. — l>rock: Wilhelm Oronan-» Unrbdraekerei in Berlin - HchAneberv.
Für die Kedaction reranl wortlich : Dr. P. Schwann in Berlin.
Unberechtigter Nachdrnck au» dem Inhalt die«« Zeitschrirt nnt«r»afl
Cb«r»«Uong»rnrht Yuil«-h»ltrn.
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Photographie eines Bandblitzes.
Aufgenommen auf der Sternwarte zu Hamburg
von (5. A. L. Rümker.
Keplers Traum vom Mond .*)
Von Ludwig Günther in Stettin.
as uns von unserem grofeen Astronom hinterlassene Werk
über die Astronomie des Mondes ist wohl die merkwürdigste
Schrift aus der Reformationszeit der Sternkunde: gleich merk-
würdig wegen ihres Inhalts, wie wegen ihres Geschickes.
Schon bevor er die Astronomie zu seinem Lebensberufe erkor,
zu der Zeit, wo er in Tübingen noch dem Studium der Theologie ob-
lag, beschäftigte sich Kepler mit der Beobachtung des Mondes, und
hier Bchon mag ihm der erste Gedanke zu seinem _ Traum- gekommen
sein. Einige Jahre später — 1593 — verfafste er einige Thesen über
die Himmelserscheinungen auf dem Monde, welche er dann in einer
öffentlichen Disputation verteidigte. Diese Thesen selbst sind ver-
loren gegangen; man darf aber annehmen, dafs Kepler sie, wenigstens
zum Teil, in seinen „Traumu aufgenommen hat.
In einer Abhandlung über Galileis Sternboten, die er 1610 ver-
öffentlichte, sagt er u. a. nach einer Besprechung der Meinung
Plutarchs von den Mond flecken: «Diesen Fragen gab ich mich im
vorigen Sommer so sehr hin, dafs ich eine neue Astronomie, gleichsam für
Mondbewohner schuf." Hiernach wird Kepler den Text unseres Buches
ungefähr um das Jahr 1609 vollendet haben. Dieser enthält in kurzen
Umrissen diejenigen astronomischen Erscheinungen, welche ein Beob-
achter auf dem Monde haben wird. Mit der Absicht ausgeführt, sich die
Kopernikanische Lehre in all ihren Konsequenzen klar zu machen
und sich dadurch, dafs er im Geiste einen aufserhalb der Erde be-
*j Kommentierte Ausgabe von Joh. Kopiers posthumem Werke „Ueber
die Astronomie des Mondes1'. Verlag von B. O. Tcubner in Leipzig. IS'.KS.
Himmel und Erde im. XL 8. 7
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lindlichen Standpunkt wählte, von der Augentäuschung der scheinbaren
Bewegungen zu befreien, diente dieser Text zunächst wohl nur «Inn
Zwecke der Selbstbelehrung. Das macht es wenigstens verständlich,
«iafs Kepler nach der Vollendung in seinen Schriften dea -Traum"
lange Zeit nicht erwähnt. Erst im Jahre 1620 beginnt er wieder, sich
mit seiner Jugendarbeit zu beschäftigen, und wir erfahren durch einen
Brief vom 9. Dezember 1623 an seinen Freund Bernegger, welche
Pläne er damit verfolgte. „Meine Astronomie des Mondes", schreibt er,
„habe ich vor 2 Jahren umzuprägen oder vielmehr durch Zusätze zu
erläutern begonnen. Ks sind darin so viele Probleme als Zeilen,
welche mit Hülfe teils der Astronomie, teils der Physik, teils der Ge-
schichte gelöst sein wollen. Aber wer wird es der Mühe wert halten»
sie aufzulösen? Deshalb habe ich beschlossen, in Noten, welche fort-
laufend dem Texte folgen, sie alle aufzulösen. Hat Campanella von
dem Reich der Sonne geschrieben, warum ich nicht von dem des
Mondes? Tbue ich nicht recht, wenn ich die evclopischen Sitten
unserer Zeit lebhaft schildere, aber zur Vorsicht die Erde verlasse und
mich in den Mond begebe?"
Bernegger ermunterte ihn, das Werk doch ja bald der Öffent-
lichkeit zu übergeben. Aber sei es, dafs wichtige Arbeiten ihn ab-
hielten, sei es, dafs andere Gründe ihn zur Zurückhaltung bestimmten,
erst Ende des Jahres 1629 war das Buch vollendet. -Was wirst Du
sagen", schreibt er, wiederum an Bernegger, „wenn ich Dir meine
„Astronomie des Mondes" zueignote"? Verjagt man uns von der
Erde, so wird mein Buch als Führer den Pilgern zum Monde nütz-
lich sein "
Das ist alles, was wir in Keplers Schriften über seinen
„Traum" finden. In seiner letzten Äufserung spricht er ahnend sein
baldiges Hinscheiden aus: or selber ist bald darauf ein Pilger in den
Mond geworden! Haben wir so die Entstehung des merkwürdigen
Buches aus Keplers eigenen Worten erfahren, so hören wir aus
denen seines Sohnes Ludwig die weiteren Schicksale.
Danach mufs Kepler noch in Sagan, nicht lange vor seiner
sorgenvollen Reise nach Regen sburg. wo er am 15. November 1630,
all seiner Hoffnung beraubt, die müden Alicen schlofs, den Druck des
Buches begonnen haben. Nach seinem Tode nahm Jakob Bartsch.
Keplers Eidam, die Fortsetzung des Druckes m die Hand, aber --
ein eigentümliches Verhängnis — auch Bartsch starb vor der Be-
endigung. Nun fiel die Sorge der Drucklegung auf Ludwig, der es
1 in Sohnespflicht hielt, den Ruhm seines grofsen Vaters der Nach-
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weit unverkürzt zu überliefern. Ludwig- hat dem Buehe auch den
selenographischen Anhang beigegeben, einen gleichfalls durch Noten
erläuterten Brief, den Kepler nuch Betrachtung des Moudes im Fern-
rohr an den Jesuiten Guldin schrieb. Der Brief ist nicht datiert, er
stammt aus Linz und ist wahrscheinlich gleich nach 1623 geschrieben.
So erschien das Buch endlich im Jahre 1634 in lateinischer
Sprache zu Frankfurt a. M. im Selbstverlag der Erben Keplers.
Auch über der Verbreitung waltete ein trübes Schicksal. Der
„Traum u erschien zu einer Zeit, wo die kriegerischen und politischen
Ereignisse fast ganz Europa beherrschten, wo Unwissenheit und der
krasseste Aberglaube jedem Versuch der Aufklärung uud des Fort-
schritts entgegentraten. Hätte so eine zweifelhafte Aufnahme des von
Kepler hintorlassenen Werkes damals eine gewisse Berechtigung
gehabt, so ist es befremdend, dafs auch heute noch, wo die übrigen
Werke Keplers längst die verdiente Anerkennung gefunden, der
-Traum" vergessen und verkannt geblieben ist. Man hielt und hält
ihn für ein mystisches Werk, uud die Sprache, in der er geschrieben,
ist auch für die Allgemeinheit wenig geeignet, dies Mifsverständnis zu
klaren. Selbst Breitschwert, ein sonst begeisterter Biograph
Keplors, hält das Buch für eine Schrift nicht astronomischen Inhalts,
für eine Zeit-Satyre, eine beifsende Schilderung der Gebrechen des
damaligen Menschengeschlechts, in Kunstausdrücken verhüllt. -• Ge-
wi fs, Kopier wollte, wie er sich treffend ausdrückt, die cyclopischen
Sitten seiner Zeit, das heilst die einäugigen Ansichten derer, die nicht
mit offenen Augen sehen wollen, sondern fanatisch und immerfort am
schalen Zeuge des Althergebrachten kleben, geifseln, und in der
poetischen Einkleidung bringt er diese löbliche Absieht in geistsprühen-
der Weise zur Ausführung; aber in dem Hauptteil ist das Buch eine
in schönste Form gekleidete, eminent astronomische Offenbarung, das
Hohe Lied der Kopernikanischen Lehre!
Das ganze Werk zerfällt in drei in gleich genialer Weise durch-
geführte Abschnitte: den Traum, den Kepler lingiert, um auf den
von ihm gewünschten Standpunkt zu gelangen, und der gleichsam
den poetischen Kähmen bildet, die Allegone zur Verherrlichung der
Astronomie des Köpern ikus und die eigentliche Mondastronomie.
Hierin giebt er uns eine methodische Untersuchung aller die wechsel-
seitigen Beziehungen zwischen Erde und Mond betreffenden Fragen;
er streift dabei fast allo Gebiete des Wissens und bietet uns eine
naturgemäfse Kntwickelung derjenigen Betrachtungen, die er in seinen
früheren Werken zerstreut und nur gelegentlich ausgeführt hat.^ .-- , ,
"'in
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100
Nimmt man hinzu, dafs er an diesem seinem Lieblingswerke während
seines ganzen, thätigen Lebens gearbeitet, gewissermafsen alle seine
Erfahrungen darin niedergelegt hat, so dürfen wir das „Somniuin"
nicht allein als eine auf Kopernikanisohen Prinzipien begründete Mond-
astronomie, sondern vielmehr als ein Kompendium der Keplersohen
Werke überhaupt ansehen.
Indem ich bezüglich der ersten beiden Abschnitte auf mein Buch
selbst verweise, möchte ich hier von der eigentlichen Mondastronomie
eine allgemeine Obersicht geben:
Nachdem wir Mondreisenden den Abgrund zwischen Erde und
Mond auf einer aus dem Erdschatten erbauten, schwerelosen Brücke
unter mancherlei Beschwerden überschritten, zeigt Kepler uns zunächst
den Fixsternhimmel des Mondes, den wir verwundert mit dem unsrigen
als völlig gleich erkennen. Dennooh wird die Bewegung der Pla-
neten ganz andere als von der Erde aus gesehen, so dafs auf dem
Monde eine von der unsrigen sehr abweichende Astronomie herrscht.
Aufser denjenigen Kreisen, die speziell dem Mondglobus zu-
kommen, wie Divisor oder Teilkreis, Medivolvan u. s. w., deren De-
finition wir erfahren, kann man auch solche Kreise, die denen auf
unserer Erde ähnlich sind, wie Äquator, Parallelkreise, Meridiane, auf
dem Monde ziehen, indessen fallen die Ebonen dieser Kreise hier und
dort nicht zusammen.
Den Mondbewohnern erscheint die Erde als eine am Himmel
sich fortwährend um eine feststehende, gleichbleibende Achse wälzende
— volvierende — Kugel ; sie ist aus diesem Grunde „ Volva" genannt.
Hieraus bildet nun Kepler, echt astronomisch, diejenigen Ausdrücke,
wofür die Erdbeschreibung kein Analogon hat. Er teilt die ganze
Mondoberfläohe in 2 Hemisphären, die durch den Divisor oder Teil-
kreis getrennt sind: in eine der Erde zugewandte, die subvolvane,
und eine der Erde abgewandte, die privolvane, und entsprechend
nennt er die Bewohner der ersteren Subvolvaner, die der anderen
Privolvaner. Ferner bezeichnet er die Linie, die durch die Mittel-
punkte der beiden Hemisphären und die Pole geht, mit dem Namen
Medivolvan; dieselbe vertritt etwa die Stelle unseres ersten Meridians.
Zunäohst werden nur diejenigen Erscheinungen betrachtet, welche
beiden Hemisphären gemeinsam sind. Zwar kennt man dort auch
den Wechsel zwischen Tag und Nacht, allein diese nehmen nicht zu
und ab, wie bei uns, sondern sind sich immer fast ganz gleich; Tag
und Nacht zusammen kommen ungefähr einem unserer Monate gleich.
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101
Die Jahreszeiten sind, obgleich man auch eine Art Sommer und
Winter kennt, an Verschiedenheit mit den unsrigen nioht zu ver-
gleichen, auch fallen sie für einen und denselben Ort nioht immer auf
dieselbe Zeit des Jahres; unter dem Äquator verschwindet der Wechsel
der Jahreszeiten beinahe ganz, weil die Sonne sich in diesen Gegenden
nicht über 5° hin- und herbewegt. Daher fehlen auf dem Monde —
Levania nennt Kepler ihn, nach dem hebräisohen Wort Lebana —
auch die den unsrigen entsprechenden 5 Zonen; es giebt dort nur eine
heifse und zwei kalte. Die Ekliptik haben die Levanier gemeinsam mit
uns, da sie sich mit der Erde um die Sonne bewegen.
Was nun die einzelnen Halbkugeln für sich betrifft, so besteht
zwischen ihnen ein sehr grofser Unterschied. Denn da der Mond uns
stets dieselbe Seite zukehrt, so sieht auch nur allein diese Seite, die
subvolvane Hemisphäre, die Erde oder Volva, die für sie die Stelle
unseres Mondes vertritt; die andere, die privolvane Hemisphäre, aber ist
für ewig des Anblickes der Volva beraubt. Und die Gegenwart oder
Abwesenheit der Volva bewirkt nioht allein verschiedene Erscheinungen,
sondern die gemeinsamen Phänomene haben hier und dort verschiedene
Wirkungen.
Das weitaus großartigste Schauspiel, das die Subvolvaner ge-
niefsen, ist der Anblick ihrer Volva. Wie mit einem Nagel ans
Himmelszelt geheftet, steht sie für einen bestimmten Ort unverrüokbar
fest, mit einem fast 4 mal so grofsen Durchmesser als unser Mond, dessen
Scheibe sie also inhaltlich 13 mal übertrifft, und hinter ihr ziehen
langsam die Gestirne und auch die Sonne vorüber. Ähnlich wie wir
Polhöhe und Länge, benutzen die Levanier die Richtung nach ihrer Volva
zur sicheren Ortsbestimmung. Denjenigen nämlich, die im Mittelpunkt der
eubvolvanen Hemisphäre wohnen, erscheint siegonau im Scheitel, anderen,
die am Teilkreis hausen, am Horizont, den übrigen zwischen diesen Stel-
lungen; für jeden Ort aber hat sie eine ganz bestimmte feststehende Höhe.
Wie unser Mond nimmt aus gleioher Ursache auch die Volva zu
und ab; auch die Zeit ist dieselbe, indessen zählen die Mondbewohner
anders als wir: sie bezeichnen die Zeit, während welcher sich Wachs-
tum und Abnahme vollzieht, als Tag und Nacht, eine Periode, die wir
Monat nennen. So unterscheiden sie die Stunden ihrer Tage nach
den verschiedenen Phasen der Volva, und selbst in der Nacht, welche
14 unserer Tage und Nächte dauert, sind sie viel besser als wir im
stände, die Zeit zu messen, denn aufser jener Aufeinanderfolge der
Volvaphasen bestimmt ihnen die Volva an sioh schon die Stunde.
Obgleich sie sich nämlioh nicht von der Stelle zu bewegen scheint,
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so dreht sie sich, im Gegensatz zu unserem Mond, doch an ihrem
Platze um sich selbst und zeigt dor Reihe nach einen wunderbaren
Wechsel von Flecken, so zwar, dafs diese von Osten nach Westen
gleichmäfsig vorüberziehen. Die Zeit nun, in welcher dieselben Flecken
zur alten Stelle zurückkehren, wählen die Levanier zu einer Zeit-
stunde, und diese, etwas länger als bei uns die Dauer von 24 Stunden,
ist das sich ewig gleichbleibende Zeitmafs.
Nachdem Kepler das Wesen und die Gestaltung der Volva-
flecken beschrieben und weitere Vorteile angeführt hat, u. a. auch
den, dafs die Levanier aus den Flecken auch Schlüsse auf den jedes-
maligen Stand der Sonne im Tierkreis ziehen können, geht er zu <ien
Sonnen- und Volvavertinsterungen über. Sie kommen auf Levania
zu eben denselben Zeiten vor, wie auf der Erde, indessen aus gerade
entgegengesetzten Gründen. Wenn nämlich für uns die Sonne ver-
finstert erscheint, so ist es bei den Levaniern die Volva, und umge-
kehrt, wenn wir eine Mondfinsternis haben, ist ihnen die Sonne ver-
finstert. Eine totale Volvafinsternis sehen die Subvolvaner niemals,
sondern für sie bewegt sich durch die leuchtende Volvascheibe nur
ein kleiner schwarzer Fleck, der seinen Weg von Osten nach Westen
nimmt. Für eine Sonnenfinsternis ist bei ihnen dio Volva der Grund,
wie für uns der Mond. Da nun die Volva für die Subvolvaner einen
4 mal so grofsen scheinbaren Durchmesser hat als die Sonne, so mufs
diese bei ihrem Lauf notwendig sehr häufig hinter der Volva ver-
schwinden, so zwar, dafs letztere bald einen Teil, bald die ganze
Sonne verdeckt. Wenn aber auch eine totalo Sonnenfinsternis häufig
vorkommt, so ist sie doch bemerkenswert, weil sie oft einige unserer
Stunden dauert und deshalb an Grofsartigkeit und Schrecknissen der
unsrigen weit überlegen ist.
Zum Schlufs wendet Kepler sich zur Beschreibung der Mond-
oberfläche und der Geschöpfe auf derselben. Er prüft eingehend die
Beweise Mästlins, die das Vorhandensein von Luft und Wasser
auf dem Monde darthun sollen, und wenn er sie auch schliefslich
billigt, so erkennt man doch aus seinen Auseinandersetzungen, dafs
er sich den Gründen Mästlins nur bedingungsweise auschliefst.
Interessant sind die Schilderungen, die Kepler von der Ge-
staltung der Mondoberfläche vor und nach Betrachtung durch ein
Fernrohr giebt. Obgleich ganz Levania nur ungefähr 1400 deutsche
Meilen im Umfang hat, so hat es doch sehr hohe Berge, sehr tiefe
und steile Thäler und steht so unserer Erde in Bezug auf Rundung
sehr viel nach; stellenweise ist es stark porös und von Hohlen und
103
Löchern gleichsam durchbohrt. In der Beigabe des Buches, eben
in dem Briefe, den er nach Beobachtung des Mondes im Fernrohr au
Guldin schrieb, geht er auf die einzelnen Konfigurationen der Mond-
oberfläche näher ein; er beschreibt uns ganz richtig" die Krater, Hohlen,
Gebirgszüge, Meere u. s. w, so dafs wir hierin und besonders in den
dazu gegebenen Thesen das bedeutendste der stenographischen For-
schung damaliger Zeit erkennen. Wenn er schließlich zu dem Re-
sultat gelangt, dafs einzelne, vorzugsweise rund gestaltete Formen das
Produkt vernunftbegabter Wesen sein müfsten, so ist das mit in den
Anschauungen seiner Zeit begründet, und diesem Glauben sind auch
wohl die Deduktionen entsprungen, die er über die Lebewesen auf
Levania giebt. „Alles, was der Boden hervorbringt, oder was darauf
einherschreitet. ist ungeheuer grofs. Das Wachstum geht sehr schnell
vor sich. Alles hat nur ein kurzoä Leben, weil es sich zu einer so
monströsen Körpermasse entwickelt. Die meisten sind Taucher, alle
sind von Natur sehr langsam atmende Geschöpfe, können also ihr
Leben tief am Grunde des Wassers zubringen. Dort und in den
Höhlen finden sie Schutz vor den glühenden Sonnenstrahlen. Im all-
gemeinen kommt die subvolvane Halbkugel unseren Dörfern, Städten
und Gärten, dagegen die privolvane unseren Feldern, Wäldern und
Wüsten gleich."
Das sind in grofsen und allgemeinen Zügen die Gedanken, die
Kepler in seinem ..Traum" niedergelegt hat. Je mehr man sich
darin vertieft, um so mehr erkennt man die hohe Bedeutung, aber
auch die Probleme und Rätsel, die darin verborgen, und wenn Kepler
sie zum Teil auch in seinen Noten gelöst und näher ausgeführt hat,
er, der nur die „Geister- zu vergnügen wufste, hat dabei der
..Leiber- wonig gedacht. Und doch, auch die grofse Menge würde
ihre Freude an den grofsen Gedanken Keplers haben! Ich habe
nun versucht, in meiner Ausgabe die von Kepler gegebenen An-
regungen weiter zu begründen, sie zum Teil aus seinen eigenen
Werken auf ihren Ursprung zurückzuführen, zum Teil weiter zu verfolgen
und Reflexionen daran vom Standpunkte der neueren Errungenschaften
auf diesem Gebiete zu knüpfen, wobei ich mich bemühte, meine An-
sichten in gemeinverständlicher Ausdrucksweise vorzutragen. So
glaube ich, dafs ich dem Buche das hinzugefügt habe, was geeignet
sein wird, es nioht allein dem Fachmann, der doch manches, besonders
geschichtlich Neue darin finden dürfte, beachtenswert erscheinen zu
lassen, sondern den Inhalt auch dem Naturfreunde und gebildeten
Leser verständlich zu machen.
104
Es sei mir gestattet, hier einige Auszüge aus meinen Kommen-
taren anzuführen, um zu zeigen, in welcher Weise ich meine Aufgabe
zu lösen bestrebt war. Mit der Bemerkung, dafs der Mond denselben
Fixsternhimmel habe wie die Erde, nahm Kepler Gelegenheit, den
Grundgedanken seines Buches, den Sieg der kopernikanischen Lehre,
hervorzuheben. Man hat thatsächlich gegon die Möglichkeit einer
Bewegung der Erde die Unveränderlichkeit der Lage der Fixsterne
angeführt, und sogar Tycho Brahe hat diesen Einwand oder,
wie man sich wissenschaftlich ausdrückt, das Fehlen einer Fixstern-
Parallaxe gegen das kopernikanische Planetensystem geltend gemacht.
Kepler aber hat diese Erscheinung richtig gedeutet: er behauptete
kühn, dafs der gauze Durchmesser der Erdbahn gegenüber der un-
geheuren Entfernung der Fixsterne zu einem blofsen Punkt zusammen-
schrumpfe und aus diesem Grunde eine Fixstern-Parallaxe auch nicht
gefunden werden könne. Diese Thatsache, die Kepler, wie viele andere
noch, allein durch die alles durchdringende Schärfe seines Verstandes
ergründete, ist später vollauf bestätigt. Man hat nach Vervollkomm-
nung der Beobachtungsinstruinente Fixstern-Parallaxen gefunden und
daraus berechnet, dafs der uns nächste Fixstern — i Centauri —
doch noch 4-/3 Billionen Meilen von uns entfernt ist. Damit war
zugleich der Beweis der Bewegung der Erde auch nach dieser Rich-
tung erbracht. Ist also die ganze Erdbahn nur ein Punkt im Weltall,
wieviel mehr raurs dasselbe von der Mondbahn gelten, und wenn
Kepler mit seinem Ausspruch die unendliche Ausdehnung des
Himmelsgewölbes vor Augen führt, wie unwahrscheinlich mufste da
dessen tägliche Umwälzung um die winzige Erdkugel erscheinen?
Die Ungleichheit der Tage und Näohte, die Verschiedenheit der
Jahreszeiten, die Ausdehnung der Zonen auf dem Monde führt Kepler
ganz richtig auf die Schiefe der Ekliptik, d. h. den Winkel zurück,
den die Ebene des Äquators mit dor der Ekliptik bildet, und findet,
dafs diese äufserst gering sein müssen. Er bestimmt den Winkel,
den die Ebene der Mondbahn mit der Ekliptik bildet, zu 5°, wie es
in der That auch der Fall ist; aber damit, dafs er die Ebene der
Mondbahn als zusammenfallend mit der des Mondäquators, also den
Winkel zwischen Mondäquator und Ekliptik gleichfalls mit 5° an-
nimmt, befand er sich noch in einem wohl verzeihlichen Irrtum.
Nach den neuesten Messungen bildet nämlich der Mondäquator mit
der Mondbahn einen Winkel von 6'/2°, und daraus folgt, dafs der
Mondäquator mit der Ekliptik in einem Winkel von nur l1/?0 steht.
Dadurch wird alles, was Kepler hieraus bezüglich der Tage, Nächte,
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Jahreszeiten, Zonen u. s. w. folgert, in noch erhöhtem Mafse statthaben:
es wird auf dem Monde stets nahezu ein Zustand herrschen, wie bei
uns zur Zeit der Äquinoktien, wenn wir uns in den Schnittpunkten
des Himmelsäquators und der Ekliptik befinden.
überraschend sind Keplers Ansichten bezüglich der Schwere,
die wir in seiner Beschreibung der Reise in den Mond finden: „Ohne
Zweifel", sagt er, ..kommt der Körper bei einem so weiten Weg aus
dem Kreis dor magnetischen Wirkung der Erde heraus in die
des Mondes hinein, letztere erhält also das Übergewicht". Ferner:
r Indem die magnetische Wirkung von Erde und Mond durch gegen-
seitige Anziehung die Körper in der Schwebe halten, ist es gleich-
sam, als ob keine von beiden anziehe", und weiter: „Der Stöfs ist
nicht stark, wenn der Körper, der gestofsen wird, leicht nachgiebt;
eine bleierne Kugel wird mehr erschüttert als eine steinerne, weil
bei gröfserem Gewicht auch der Widerstand größer ist, welohen sie
dem anstoßenden Körper entgegensetzt". Die .Schwere, worüber er
in der Einleitung zu seinem Werke ..Von der Bewegung des Mars"
sehr interessante Thesen aufstellt, deliniert er ganz richtig „als eine
Kralt, die dem Magnetismus ähnlich ist, der mit der Attraktion in Wechsel-
wirkung steht. Die Gewalt dieser Anziehung ist gröfser unter nahe-
stehenden als unter entfernteren Körpern". Man erstaunt, wie nahe
er hier dem Gedanken der allgemeinen Schwere kommt; zwar nahm
er nicht eine Gravitation im Sinne Newtons an, wohl aber einen
Weltmagnetisraus, welcher die Himmelskörper durch gegenseitige An-
ziehung verbindet. Er hatte — beinahe 100 Jahre vor Newton — be-
merkt , dafs die Kraft , mit welcher die Sonne alle Planeten um
sich hält, in gröfseren Entfernungen von ihr immer kleiner werden
müsse, weil die weiter von ihr abstehenden Planeten sich immer
langsamer bewegen; ja, er stellte die Mutmafsung auf. dafs diese Kraft
der Sonne auf die Planeten sich umgekehrt wie das Quadrat der Ent-
fernung dieser Planeten von der Sonne verhalten könnte. Es fehlte
nur noch, von der Vermutung zur Rechnung überzugehen, um seinem
Werke die Krone aufzusetzen. Im weiteren Verlauf seiner Deduktionen
führt er bestimmt die Ebbe und Flut als einen Beweis an, dafs die an-
ziehende Kraft des Mondes sich bis zur Erde erstrecke, und betont,
dafs auch die Sonne ihren Anteil an der Erzeugung der grofsen ir-
dischen Gezeitenwelle haben mufs.
Ich kann diese interessante Materie des beschränkten Raumes
wegen hier nur im engsten Auszuge geben, und verweise für das
Weitere, ebenso wie bezüglich anderer, eigentümlicher Betrachtungen
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Keplers, wie der stenographischen Einteilung der subvolvanen
Hemisphäre des Mondes, der Erklärung der Planetenbewegung in
Ellipsen, der Störungen im Mondlauf, der stenographischen Ortsbe-
stimmung u. s. w. auf mein Buch selbst.
Nur auf die Mondflecken möchte ich noch kurz eingehen, weil
sie so in die Augen springend sind, dafs sie gewifs schon die Phan-
tasie auch eines nur flüchtigen Beobachters erregt haben weiden.
Kepler sagt in seiner prägnanten Weise: . Von den Flecken im Monde
schliefsen wir auf die Beschaffenheit der Mondoberfläche als zusammen-
gesetzt aus Nassem und Trockenem".
Plutarch war der erste, der die Färbungen auf der Mondscheibe
als Unebenheiten der Oberfläche erkannte und bestimmt aussprach,
dafs die Flecken Meere und Ebenen seien. Dieser Meinung wider-
sprach Kepler noch zu der Zeit, als er den Text seines „Traums"
schrieb, und zwar hielt er die dunklen Stellen für Land und die hellen
für Wasser. Erst spater änderte er seine Ansicht und sah — wie aus
seinen Noten hervorgeht — nun in den dunklen Partien ebene, in
den hellen dagegen koupierte Flächen, was noch heutigen Tags als
zutreffend anerkannt werden mufs. Aber Kepler begnügt sich nicht
hiermit, sondern er macht daraufhin auch Rückschlüsse: ..Andererseits
gestehe ich meinen Mondbewohnern aus der Umkehrung meines
Schlusses zu, dafs, da ja die Oberfläche der Erde auch Berge und
Meere hat, sie den Bewohnern des Mondes ebenfalls den Anblick von
Flecken im Hellen darbietet-. Und nun giebt er uns eine fesselnde
Schilderung von dem Anblick, den die Mondbewohner von ihrer Volva-
scheibe haben werden, indem er aus den einzelnen Erdteilen Bilder,
die unserer Vorstellung geläufig sind, zusammenstellt. Sein morpho-
logischer Blick macht Afrika zu einem männlichen Kopf, dem sich
Europa in Gestalt eines Mädchen mit langwallendotn Gewände zum
Kusse hinneigt ; Süd - Amerika ist ihm eine Glocke mit Klöppel
(Patagonien), die an einem Stricke (Centrai-Amerika) hin- uud her-
schwingt u. s. w. Und wie glücklich seine Phantasie ist, erkennt man,
wenn man den betreffenden Ländercomplex auf einer Landkarte aus
einiger Entfernung ansieht. Ich habe in meinem Buche, angeregt
durch die Ideen Keplers, ein Bild der Volvascheibe in einer Stellung,
in der sie sich dem Beschauer am grofsartigsten präsentieren dürfte,
entworfen : zur Zeit, wo die Sonne im Krebs stoht und die Volva dem
Monde die Spitze ihres Nordpols zuwendet. Ich glaube damit meinen
Lesern wenigstens einen Begriff von dem überwältigenden Eindruck
vorschafft zu haben, den die inhaltlich 13 mal unsere Mondscheibe
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übertreffende, in majestätischer Kuhe vor einem tiefschwarzen Hinter-
grund thronende, hell erleuchtoto Volva auf die Levanier ausüben mufs.
Die Schilderung der Lobewoson auf dem Monde, wie Kepler
sie in seinem „Trauni" giebt, mufs man nicht etwa, wie das wohl ge-
schehen, als Fabeleien und Spekulationen auffassen. Einen bedeut-
samen Faktor, der auch heule noch bei der Entscheidung über die
Bewohnbarkeit eines fremden Weltkörpers maßgebend sein würde,
glaubte er für sich zu haben: die Gewifsheit des Vorbandenseins von
Luft und Wasser, und es konnte sich für ihn nur noch darum handeln,
seine Mond-Lebewesen den übrigen Verhältnissen anzupasseu. Wie
er in dieser Beziehung alles „nach üblichem Brauch- mit oiner seiner
Zeit oft weit vorahnenden Einsicht bestimmt hat, ist immerhin anzuer-
kennen, so phantastisch auch auf den ersten Blick seine Äußerungen
zuweilen erscheinen mögen.
Sollten wir heute die Frage der Bewohnbarkeit des Mondes vom
rein astronomischen Standpunkte aus beantworten, so würden wir, wenn
wir auch kaum nach anderen Prinzipien, als Kepler es gethan, ver-
fahren könnten, freilich zu einem ganz anderen Schlufs gelangen. Luft
und Wasser sind auf unserem Satelliten so gut wie nicht vorhanden; ver-
besserte Beobachtungsinstrumente haben uns gezeigt, dafs die Erschei-
nungen auf dem Monde doch wesentlich verschieden von denen sind,
wie sie unsere Vorfahren sahen und beobachteten. Die .Jahres- und
Tageszeiten, sowie die klimatischen Verhältnisse sind von den unsrigen
ganz abweichend, und endlich ist die Gravitation nur ' 6 so grofs wie
auf der Erde. Berücksichtigt man alle diese Umstände, so wird man
logischer Weise zu der Überzeugung kommen, dafs auf dem Monde
von menschlichen Wesen, was wir darunter verstehen, überhaupt von
lebenden Organismen, die denen unserer Erde auch nur im ent-
ferntesten ähnlich sehen, füglich nicht die Rede sein kann. Der Sinn
dieses Schlusses liegt auch in der Keplerschen Beschreibung der
Endymioniden. Er giebt ihnen wohl, und das mit Recht, die geistigen
Eigenschaften der Erdbewohner, aber die körperlichen Organe liifst er
kluger Weise ziemlich unerörtert oder hüllt sie sorgsam in das
blendende Gewand phantastischer Ungeheuerlichkeiten. Es ist ja noch
nicht erwiesen, dafs lebende Wesen auf dem Monde überhaupt nicht
vorhanden seien; ja es ist sogar im höchsten Grade wahrscheinlich,
dafs nicht der Mond allein, sondern jeder Weltkörper lebende Wesen
beherbergt, da gar kein Grund abzusehen ist, aus welchem die Erde
einen so ungemeinen Vorzug uusschliefslich in Anspruch nehmen
könnte. Aber wenn Lebensformen auf einem fernen Weltkörper be-
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stehen, so sind es nicht Nachbildungen oder durch planetare Verhält-
nisse modifizierte Metamorphosen einer oder mehrerer Urtypen, sondern
freie Schöpfungen, nur denjenigen Welten angemessen, die sie bewohnen.
üie hohe Bedeutung der von Kepler kritisierten Beweise
M äst lins für die Existenz einer Mondatmosphäre, sowie der Thesen
Keplers über die Topographie dos Mondes habe ioh eingangs schon
hervorgehoben: sie gehören wissenschaftlich und historisch zu dem
Bedeutendsten des ..Somnium-.
Wenn Kopier Sohlüsse bezüglich der Entstehung der Mondge-
bilde zieht, die mit unseren neueren, auf eingehenderen und unter ganz
anderen Voraussetzungen und Verhältnissen gemachten Beobachtungen
gegründeten Ansichten nicht zu vereinbaren sind, so darf uns das
nicht Wunder nehmen. Kepler selbst würde, wenn er heute unter
uns träte, der erste sein, der rückhaltlos seinen Irrtum einge-
stände. Aber das eine müssen wir doch anerkennen, dafs er in der
Unterscheidung zwischen dem, was durch die Thätigkeit vernunftbe-
gabter Wesen, und dem, was unter dem unab weislichen Zwang der
Elemente entstanden sein mufste, Kriterien für die Beurteilung der
Bewohnbarkeit fremder Himmelskörper giebt, die auch heute noch als
völlig richtig gelten dürften. Es ist unzweifelhaft, daf6 die Seleniten
nach diesen Grundsätzen bezüglich unserer Erde verfahren und damit
auch zu einem zutreffenden Resultat gelangen würden. Denn die aus
der Arbeit vernunftbegabter Wesen und dem Zwang der Elemente resul-
tierenden Veränderungen unserer Erdoberfläche, wie Kepler sie an
einigen Beispielen erklärt, vollziehen sich stetig seit Urzeiten.
Die Voraussetzung, die diese Kräfte notwendig haben müssen, dafs
sie nämlich nur auf einem lebenden und belebten Himmelskörper thätig
sein können, war für Kepler gegeben, und so war es nur eine be-
rechtigte Konsequenz, sie auch als wirksam auf dem Monde anzunehmen.
Wir Epigonen wissen zwar, dafs unser Nachbar ein Weltkörper
ohne Luft und Wasser, ein trookenes, nacktes Felsengerippe ist, auf
welchem nach unseren Begriffen weder Vegetation, noch Leben, noch
irgend eine Bewegung, sondern nur ewige Ruhe und Grabesstille
herrscht. Aber wir wissen auch, dafs er nicht immer in diesem Zu-
stand war. Vielleicht hat er sich selbst überlebt und ist nach einer
glänzenden Vergangenheit nun als unbrauchbare Schlacke aus der
Reihe bewohnter Welten herausgetreten, ein Schicksal, das unserem
Wohnsitz höchstwahrscheinlich noch bevorsteht! Vielleicht befindet
er sich zur Zeit in einer Art von Verpuppung, einem neuen, besseren
Lebon, seiner Auferstehung entgegenschlummernd! — Wer weifs es!? —
Das Märchenland des Yellowstone.
Von Dr. P. Schwann in Berlin.
(Schlüte.)
nser Weg folgt dem südlichen Arme des Feuerlochflusses bis
zu einer Stelle, wo auf dem jenseitigen Ufer des Stromes ein
niedriger, mit dampfenden Nebeln erfüllter Kessel auf einem
nach allen Seiten sanft abfallenden Sinterplateau unsere Aufmerksam-
keit fesselt. Dafs es sich hier um keine unbedeutende Quelle handelt,
davon legen auch die dem nahen Strome zueilenden Abflufsgewässer
Zeugnis ab, welche dampfenden Kaskaden gleichen und zeitweise so
massenhaft in die kühle Flut sich stürzen, dafs man deutlich das An-
schwellen des Feuerlochflusses erkennen kann.
In der That, wir stehen hier vor einem der gröfsten Wunder des
Yellowstone-Parkes — vor dem Excel sior-Geyser — und werden
noch Gelegenheit haben, diese vielleicht gewaltigste Springquelle der
Welt in vollster Pracht und Herrlichkeit zu sehen.
Wir begeben uns inzwischen nach dem Kraterrand des Excelsior,
um uns das Innere des Höllenrachens ein wenig näher anzuschauen.
Es sieht darin aus wie in einem kleinen Vulkanschlote. Zerrissen
stürzen sich die Umfassungswände hinab zur Wasserfläche, teilweise
überhängend und den wildesten Schlund bildend. Darin wogt das
tiefblaue Wasser, ein kleiner See, 100 m lang und 60 m breit an der
weitesten Stelle. —
Trotz der Gefahr, hinabzustürzen, lassen wir uns nicht abhalten,
so nahe wie möglich heranzutreten, um dieses unvergleichliche Natur-
wunder ganz in der Nähe zu besohauen. Nahe dem Mittelpunkt er-
hebt sich plötzlich eine gewaltige, helle Dampfkugel mit dumpfem
Poltern aus der Tiefe und verwandelt sich in eine Dunstwolke, während
das Wasser fufshoch umherspritzt. Dann scheint der Geyser für einige
Sekunden Erholung zu schöpfen; das Wasser liegt ruhig und glatt,
bis wiederum eine etwas grössere Dampfkugel seine Tiefe aufwühlt.
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Dieses Schauspiel wiederholt sich in immer kleineren Zwischenräumen,
bis endlich der See in ein wildes Wogen gerät; er erreicht fast den
Rand des Schlundes. Gewaltige schaumgekrönte Wellen erheben ihre
glitzernden Häupter und schiefsen zischend und brüllend hin und her,
bis sie ohnmächtig in den Schlund zurückfallen. Aber neue Wogen-
ungeheuer treten an ihre Stelle, immer wilder wird der Aufruhr, immer
höher züngeln die Wogenschlangen, immer dichter wird die Dampf-
wolke, immer heftiger das Brüllen und Donnern in der Tiefe.
Da mit einem Mab' scheint sich ein furchtbarer Krampf der
Wassermasse zu bemächtigen; mit rasender Eile hebt sich eine ge-
schlossene Wassersäule 100 m hoch, fünfmal so hoch wie unsere
höchsten Häuser, empor; die Dampfwolke steigt bis zu 300 m und
mehr. Allmählich sinkt die ganze Erscheinung in sich zusammen wie
eine phantastische Traumgestalt; der Lärm läfst nach; der Donner
wird schwächer, und ebenso plötzlich, wie sie sich erhoben, verschwindet
die Wassermasse in dem Schlünde, der nun, mit aschgrauen Sinter-
perlen überdeckt, fast trocken daliegt. — Lange starrt der Beschauer
dem Zauberbilde nach, wenn es schon längst in den dunklen Tiefen
der Unterwelt versank; nur die Dampfwolke in der Höhe und das
Donnern in der Tiefe geben ihm noch Kunde von dem grofsartigen
Schauspiel, das soeben stattgefunden hat. ')
') Nach Zittel: „Das Wunderland am Yellowstonc-'.
Ausbruch det Excelliorgeyter» im Jahre 1888.
111
Noch nicht lange ist der Excelsior als ein wirklicher Geyser
bekannt. Erst Oberst Norris, der frühere Parkinspektor, entdeckte
ihn im Jahre 1881. Auf mehr als eine Meile hörte er das furchtbare
Getöse, sah die himmelhohe Dampfsiiule und eilte mit der vollen
Schnelligkeit seines Rosses herbei, um noch gerade die letzten
Zuckungen des Ausbruches anstaunen zu können. Seitdem verhielt
sich der Geyser still bis zum Jahre 1888, in welchem Jahre er durch
seine grofsartigen Vorstellungen die Umwohner des Parkes anzog, die
auf Schneeschuhen massenhaft herbeieilten. Gegenwärtig speit er
unregelmäfsig, etwa einmal am Tage.
Grotten - Ouyser.
Wie hier, so treten uns in dem einige Meilen südlich liegenden
„Oberen Gey serbecken", das wir nunmehr aufgesucht haben, über-
all die Symptome der unterirdischen Feuergeister entgegen. 26 Geyser
und etwa 400 heifse Quellen beherbergt dieses obere Becken, auf
dessen engem Raum man das Absterbon der vulkanischen Thätig-
keit in grofsartigstera Mafsstab beobachten kann. Die kalte urauweifse
Farbe des Kieselsinters, welcher die Landschaft wie mit einem Leichen-
tuche überdeckt, sticht grell gegen das dunkle Grün der Tannenwälder
ab, während die Ufer des Feuerlochflusses die Vorstellung einer unter
Flammen in die Schlünde des Erdinnern herabgesunkenen Stadt er-
wecken, deren Ruinen ihren Qualm fortwährend durch die schwälende
Asche hinaufsteigen lassen. Es liegt etwas Unheimliches, Schreck-
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haftes in dieser mit seltsamen Gebilden, mit Kegeln. Wannen, Kratern
und Tuffhügeln übersäten Landschaft, die zugleich wiederum das Ge-
müt mit. Staunen und Bewunderung erfüllt.
Die erste Überraschung beim Eintritt ins obere Gey serbecken
bietet ein dicht am Fahrwege liegender, sonderbar geformter Sinter-
hügel dar. — Ks ist der sogenannte „Grottengey ser", der seinen Na-
men von den ruinenhaften, grottenfürmigen Hohlräumen erhielt, welche
sein kieseliger Aufbau zeigt. Er spritzt in unregelmäfsigen, mehr-
stündigen Zwischenräumen aus seinen mannshohen Öffnungen fein
zerteilte, glitzernde Wasserbündel aus, allein die hervordringende
Wasserraenge ist im Verhältnis zur riesigen Dampfentwicklung nur
wenig beträchtlich. Solche Geyserruinen, wie der Grotto, findet man
vielfach im Parke zerstreut. Sind sie gänzlich •'Höschen, so dient
ihre innere Höhlung wilden Tieren zum Schlupfwinkel. Ein Blick in
eine derselben zeigt sie angefüllt mit Schädeln und Knochen, von wil-
den Tieren herbeigeschleppt, denn solche giebt es genug im Park.
Der Grizzlybär und eine Art von Panther halt sich in den ent-
legensten Bergschluchten auf und überfällt die scheue Antilope, das
Bergschaf oder den Elch, welcher in dem Waldesdunkel noch in
grofsen Scharen zu finden ist.
Unweit des Grotto befindet sich der als „Kiese" bezeichnete
(ieyser, das eigentliche Wunder des oberen Beckens. Sein 3 m
Rieten - Geyier.
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hoher Kegel erhebt sioh auf einer Plattform von 25 m Durchmesser.
Auch hier sind es wieder die reizenden Ornamente, welche den Blick
auf sich lenken, der kunstvoll gezackte Hand des Sinterbaus und der
zierliche Perlenschmuck innen und aufserhalb. Gewöhnlich spielt der
Riese alle 6 Tage anderthalb Stunden lang. Unter gewaltigem Ge-
räusche steigt dann seine Wassersäule 75 m hoch in schwindelnde
Höhen empor.
Der „Castle- oder Schlofsgeyser, zu dem 'twir jetzt gelangen,
zeichnet sich hauptsächlich durch seinen imposanten Sinteraufbau aus;
er gleicht der malerischen Ruine eines alten Schlosses. Alltj 24 bis
30 Stunden wirft er 25 Minuten lang eine Garbe 50 in hoch aus;
allein die Periode der gröfsten Thätigkeit, die zweifellos eine gewaltige
war, ist längst vorüber. In geringer Entfernung vom Castle umschließt
ein niedriger Rand ein anderes Geyserbecken, den himmelblauen
„schönen Brunnen", welcher überfliefsend den weifsen Boden
mit farbigen Niederschlägen schmückt. Es ist unmöglich, die Durch-
sichtigkeit dieses merkwürdigen Wassers mit Worten zu schildern.
Bei leise bewegtem Spiele der Fluten bildet sich ein wahres Chaos
von prismatischen Farben; es flimmert und tanzt wie in einem Kalei-
Hiromel und Erde. 1898. XI. 3. 8
Old Faithfull während de* Ausbruches
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doskop, und durch dieses Farbenspiel hindurch schimmern die zu
Seiten des Beckens aufgebauten Dekorationen in wilder, märohenhafter
Schönheit; man fühlt sich in ein Zauberland versetzt und vergifst hier
vor der Gegenwart die Märchen vom Elfen reigen oder aus „Tausend
und eine Nacht".
Getrennt von ihrem Gemahl auf der anderen Seite des Feuer-
loohflusses hat die „Riesin" ihren Platz. Im Ruhezustande sieht ihr
Krater ganz unschoinbar aus; das Wasser siedet nur in träger Weise
aus dem randlosen Becken auf. So können wir uns denn, allerdings
mit einem Gefühle des Bangens, der schlummernden Riesin nahen,
um unsere Neugier zu befriedigen, wie es dort unten im Schlünde
des Unterwelt-Feuers zugehen mag. Desto ärger tobt aber die Riesin,
wenn sie in Thätigkeit ist Der gesamte Inhalt des 20 m tiefen
Kraters fliegt dann mit einem Male heraus; 12 Stunden etwa währt
das Höllenspiel und endet mit einem wütenden, dröhnenden Oampf-
speion von einer Stunde Dauer.
Von dort begeben wir uns nach einem anderen, weniger launen-
haften Geyser, der mit seinen Künsten nicht so zurückhaltend ist. Dieser
Geyser ist der Old Faithfull, der ^zuverlässige Freund der
Touristen", wie ihn Hayden wegen der Regel mäfsigkeit seiner Aus-
brüche genannt hat Sommer und Winter, Tag und Nacht giebt er
alle 63 Minuten, kaum einmal mit 5 Minuten Verspätung, seine wun-
derbaren Vorstellungen zum besten „without money and without
price", wie der Amerikaner hinzufügt Pfeilschnell schiefst dann eine
riesige Wassersäule 50 m hoch in den glänzendsten Farben, von
weifsem Schaume umkleidet empor; immer neue, rasch auf einander
folgende Stöfse halten das blinkende Phantom 4 Minuten in gleicher
Höhe; weit breitet sich die Garbe aus und glänzt beim Sonnenscheine
in allen Regenbogenfarben. In achtungsvoller Entfernung schaut der
Mensch staunend diesem Wirken der vulkanischen Kräfte zu; denn
nicht nur das brühend heifse Wasser, sondern auch der Dampf nöti-
gen ihn, aus angemessener Entfernung dem Ausbruch des Riesenkessels
beizuwohnen, der gewöhnlich durch ein Brausen und Dröhnen in den
unterirdischen Regionen und durch die sich bestündig steigernden
Krampfbewegungen der Wassermassen im Schlünde des Brunnenrohres
angekündigt wird.
Wie gesagt, hat Old Faithfull die löbliche Gewohnheit, mit nie
fehlender Pünktlichkeit seine Pflicht zu erfüllen, während die anderen
grofsen Geyser des oberen Beckens die Geduld der Reisenden oft
tagelang auf die Probe stellen; verspätet er sich einmal, nun so ent-
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sohuldigt er sich durch einen um so majestätischeren Ergufs. — Um
seine Kunststücke zu erproben, werden von den Besuchern bisweilen
Kleidungsstücke in seinen Schlund geworfen. Doch nicht immer zeigt
er sich auch in dieser Beziehung als ein „treuer Geselle". Manoher
hat sohon bei einem solchen Waschexperiment diese üble Erfahrung
zu seiner Betrübnis machen müssen. Der Geyser hat das hinein-
geworfene Stück nicht wiedergegeben.
Eine Wanderung über das Geyserfeld am Feuerlochflufs bietet
eine Sammlung der merkwürdigsten Sinterbildungen dar, deren groteske
Mannigfaltigkeit auch die kühnsten Erwartungen übertrifft. Einige
Der Pnnchbowle • Oeyser.
solche Geyserkegel, den Grotten- und den Schlofsgeyser, haben wir
schon kennen gelernt; in der vorstehenden Abbildung sehen wir ein
anderes, gar seltsames Gebilde natürlicher Architektur. Es ist die so-
genannte Punchbowle, eine mit vollendeter Symmetrie und Schönheit
gebaute Riesenschale, deren kunstvoll ausgezackter Rand, mit wunder-
bar reizenden Ornamenten geschmückt und in allen Farben leuchtend,
etwa 60 cm über dem Boden hervorragt.
Wir haben hiermit die Hauptgeyser des Yellowstone- Parkes
kennen gelernt, und es drängt sich nun die Frage nach dem Ursprünge
dieser merkwürdigen Naturspiele auf. Dafs wir es hier mit einer zu
Tage tretenden Äufserungsfortn einer im Kritischen begriffenen vulka-
nischen Thätigkeit zu thun haben, unterliegt wohl keinem Zweifel.
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Denn überall, wo sioh heiße Springquellen vorfinden, auf Ißland, auf
den Azoren, in Neuseeland und Californien, da ist deren Auftreten an
vulkanische Gegenden gebunden. Auoh die Geyser des Yellowstone-
Parkes bezeiehnen das letzte Stadium einer großartigen vulkanischen
Aktionsperiode, welche in einer uns verhältnismäßig nahe hegenden
Epoche des Erdenlebens, im tertiären Zeitalter, ihren Ursprung nahm,
und offenbaren die letzten Todeszuckungen der jetzt im Dahinschwinden
begriffenen Kräfte. Wenn auch der Park heute keine rauchenden
Krater mehr besitzt, so beweisen dooh die Hunderte von Gehäusen
vulkanischer Öffnungen, dafs dieser Teil des Felsengebirges einst zu
den intensivsten Brandstätten der Vorwelt gehört hat. Kegel von
Andesit-Trachyten bedecken das ganze Gebiet; später quollen aus den
Schlünden der Unterwelt Trachyte, Tuffe, Obsidiane und an ein-
zelnen Stellen Rhyolithe und Basalte hervor und bildeten daselbst
Deckenablagerungen von vielen Tausenden Metern Mächtigkeit Dann
kam die Eiszeit, welche ihre Gletscher über die erloschenen Feuer-
berge schob und deren äufsere Form bis zur Unkenntlichkeit zer-
störte. Aber in den Tiefen des Bodens hat sich noch ein Teil des
Glutfeuers erhalten. An ihm erhitzt sich das in die Spalten des Erd-
reichs eindringende Wasser; es kann in den Geyserkesseln weit über
dorn Siedepunkt erhitzt werden, ohne zu verdampfen, weil die darauf
lastende kühlere Wassersäule es unter einem Druck von vielen Atmo-
sphären hält.
Sobald nun aber in der mittleren Region des Brunnenrohres
durch das beständige Steigen der Temperatur der der Druckhöhe ent-
sprechende Siedegrad erreicht wird, entwickelt sich daselbst Dampf,
und indem dieser die darüber befindliche Wassersäule zu heben sucht,
schafft er bei jedem Stofso momentan einen leeren Raum. Dem tieferen,
überhitzten Wasser wird so Gelegenheit geboten, mehr und mehr zu
verdampfen. Der innere Dampfkern wird endlich nach einer Reihe
mifslungener Versuche so grofs und erhält eine so hohe Spannung,
dafs schließlich die ganze darüber befindliche Wassermasse in die
Höhe geschleudert wird.
Die großartigen Geyserbecken sind zweifellos das Wunderbarste
im Parke, allein sein Hauptreiz besteht in der Mannigfaltigkeit der
Naturspiele. Ks mag in Island und Neuseeland einige Springquellen
geben von derselben Großartigkeit, in vielen Ländern der Welt finden
sich auch Sehneeborge so wild und gewaltig wie im Felsengebirge, aber
nirgend sonst sind so viele natürliche Sehenswürdigkeiten im gleichen
Räume geschart, wie innerhalb des amerikanischen Märchenlandes.
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wo auch das Wasser sich mit den unterirdischen Kräften vereint hat,
um Wunder auf Wunder zu häufen.
Den Glanzpunkt des Parkes bildet der im östlichen Teile liegende
Yellowstone-See, sowie das Thal des gleichnamigen Flusses.
Unter allen Hochgebirgsseen Nordamerikas (2264 m über dem
Meere) der gröbste, hat derselbe eine Fläche von 240 Quadratkilo-
metern. Er wird umschlossen von den höchsten Spitzen des nörd-
lichen Felsengebirges — im Süden von den drei majestätischen Tetons,
die, alles überragend, ihre schneebedeckten Häupter zum Himmel
strecken; südwestlich breiten Bich dunkle Fichtenwälder aus, so dicht,
dafs kaum ein einziger Gipfel die finstere Waldmasse durchbricht;
sonst erschaut man rings um den See ein chaotisches Wirrwar wild zer-
klüfteter, vom Zahn der Zeit zu phantastischen Gestalten geschaffener
Bergriesen. Am Morgen liegt die Wasserfläche gewöhnlich ruhig da;
erst gegen Mittag beginnen die Wogen zu rollen. Ganze Scharen von
Pelikanen ziehen darüber hinweg und bevölkern die goldig gelben
Ufer oder die zahlreichen smaragdgrünen Inselchen. Auch der Fisch-
reichtum ist ein bedeutender; aber nur eine einzige Forellenart tummelt
sich in den klaren Fluten. Und doch hat es der Angler nirgends be-
quemer als hier am Yellowstonsee; er kann, ohne sich von der Stelle
zu bewegen, sofort die Forelle herausziehen und in dein heifsen Wasser
/
Yellowstone-8ee.
118
der Quellen abkochen, die zahllos in unmittelbarster Nähe der Ufer
die Wasserfläche umgürten.
Den Abflute dieses Hochsees bildet im Norden der durch seine
Reize, seine majestätischen Wasserfälle und düsteren Felsschluchten
berühmte Yellowstone-River, einer der Quellströme des Missouri. Dort,
wo der Strom den grofsen See verliifst, lliefst er in ruhigem, stetigen Lauf
durch einen hügeligen, mit Wiesen und Wald bedeckton Thalkessel
— es ist das Hayden-Thal, so benannt zu Ehren des] verdienten
Geologen, der zuerst den Naturpark wissenschaftlich durchforscht hat.
Und wie er so dahineilt, friedlich und majestätisch als hellblinkender
Hayden • Thal.
Silberstreif durch das freundliche Wiesenthal, kein Anzeichen verrät
die nahe Katastrophe, der er entgegeneilt.
Aber weiter abwärts verengt sich sein Bett zu einer schmalen,
felsigen Schlucht; es bilden sich Stromschnellen, die sogenannten
rRapidsu des Yellowstone. Von zahllosen Riffen in seinem Laufe ge-
hemmt, kämpft hier der Strom in wilder Empörung, bald um eine ver-
borgene Stein klippe kreisend und wirbelnd, bald an eine Felswand
prallend oder durch eine schmale Rinne hindurchschiefsend. Doch
all dies Toben ist nur das Vorspiel zu der kommenden Kata-
strophe, nur das Präludium zu der Täuschendsten aller Natursym-
phonien. Denn plötzlich, unmittelbar hinter den Rapids, stürzt er mit
donnerndem Brausen über einen Abgrund, 40 m tief, und eine
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viertel Meile dahinter folgt ein zweiter Salto mortale, aber diesmal
noch gröfser, 120 m in die Tiefe. Es ist der grofse untere Fall
des Yell ow stoneflusses.
Die ganze Wassermasse zerschellt auf dem Grunde der Schlucht;
dichte Nebelwolken steigen aus der Tiefe und umhüllen den kristall-
hellen Wogenschwall mit fast undurchsichtigem Schleier. DieStrahlen der
Sonne brechen sich in den Tropfen und schmücken das Schauspiel
mit einem Farbenkranz, durch dessen Öffnung die Silberfluten zittern.
Oben aber an den Basaltwiinden, die von beiden Seiten dieses Wellen-
— n
Der untere FaU des Yellowiioue- River
bachanal umschliefsen, erhalten die Nebelwolken durch ihre Feuchtig-
keit einen üppigen Baumschmuck.
So zeigt sich aber der Yellowstone-Fall nur in der kurzen Zeit
des nordischen Sommers. Wenn der Winter Höhen und Tiefen mit
blendendem Schnee bedeckt, wenn die Tannenwelt dort oben sich in das
Silbergewand gekleidet, dann erstarrt auch der Kiesenfall zur Silber-
siiule; das lustige Tosen und Schäumen seiner Fluten verstummt, und
nur ein dumpfes Krachen ertönt ab und zu durch die öde Winter-
landschaft, wenn eine fallende Schneelawine über den Eispanzer
rasselt. Aber dafür entfalten sich die Zauber des Winters. Riesige
Eiszapfen, den schönsten Stalaktiten gleich, hängen von dem Eisfall
herab, tausend bunte Lichter klammern sich au jede Krystallkante an.
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klettern herauf und hinab gleich geschäftigen Elfen, unaufhörlich be-
müht, die Öde des Winters zu verschönern.
Unmittelbar hinter seinem grofsen Fall tritt der Yellowstone-
Kivcr in eine Schlucht ein. Mehr denn 600 m hohe Wände be-
grenzen beiderseits die nach oben sich ausbreitende Thalspalte. Heifse
Quellen finden sich überall an den Felswänden, und diese selbst sind
der Verwitterung anheimgefallen, so dafs die kühnsten und seltsamsten
Formationen geschaffen wurden. Man siebt da Gebilde aus den
Schutthalden hervorragen, welche Türmen, zerfallenen Festungen,
Yell o ws tone- Fall im Winter.
gothischen Domen gleichen, und all diese grotesken Bauwerke einer
unbewufst schaffenden Naturkraft leuchten unter dem Einflufs der
mineralischen Gewässer in den verschiedensten Farbentönen.
Wir stehen hier wiederum an der Pforte des Wunderlandes.
Nicht wegen der Grofsartigkeit des einzelnen, wohl aber wegen der
Fülle der Sehenswürdigkeiten auf so engem Räume ist der National-
Park das Juwel des ganzen Felsengebirges. Es giebt in dieser mäch-
tigen Gobirgsgruppe Naturwunder, die, wenigstens was die Schaffens-
kraft des Wassers betrifft, auf der ganzen Welt unerreicht dastehen.
Dahin gehören die abenteuerlichen Landschaften in den Bad-lands
von Montana und Wyoming, die grandiosen Schönheiten des Columbia-
und Snake-Hiver mit seinen Schluchten und Fällen. Auch der Götter-
liain oder Monumentenpark in Colorado ist in seiner Eigenart ein
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geologisches Wunder des neuen Kontinents. Man kann ihn mit einet
Kunstgallerie vergleichen, in welcher die Natur all ihre Monumente
ausgestellt hat, wo Kathedralen, Pyramiden, Häuser und Paläste uns an
die Ausgrabungen einer verschütteten Stadt erinnern.
Und endlich die Felswüsten von Arizona mit den Riesen-
sohluchten des Colorado, die der fallende Tropfen gehöhlt, — nirgends
läfst sioh denselben etwas Ebenbürtiges zur Seite stellen.
Einfachheit und Grofsartigkeit ist der Naturcharakter der neuen
Welt.
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Die Spektralanalyse.
Von Dr. F. Kterker in Steglitz.
(Fortsetzung.)
Die Planeten und ihre Trabanten.
o interessant auch die zahlreichen Entdeckungen sind, welche man
durch direkte, teleskopische Beobachtung an den Geschwistern
unserer Erde und deren Begleitern gemacht hat, so außerordent-
lich gering ist doch gerade die spektralanalytische Ausbeute auf diesem
Gebiete gewesen. Bekanntlich leuchten die den regulären Hofstaat
der Tageskönigin bildenden Himmelskörper als der Erde ähnliche, an
sich dunkle Gestirne nur mit reflektiertem Sonnenlicht, sodafs ihr
Spektrum im wesentlichen offenbar nichts anderes sein kann als eine
mattere Kopie des Sonnenspektrums. Die Gashüllen, welche die übri-
gen Planeten ebenso wie die Erde als Atmosphären umgeben, sind
bei den meisten Planeten nicht ausgedehnt und dicht genug, oder
aber das Licht dringt in sie nicht tief genug ein, um das Spektrum
ein beträchtlich verändertes Aussehen gewinnen zu lassen. Die Fest-
stellung der chemischen Zusammensetzung jener Lufthüllen ist daher
eine sehr subtile, bis jetzt noch in den ersten Stadien befindliche
Arbeit
Von unserem Erdmonde ist schon auf (Irund der scharfen Ab-
grenzung aller Schatten, insbesondere der klaren Grenze zwischen
der beleuchteten und unbeleuchteten Hälfte seit langem bekannt, dafs
er überhaupt keine nennenswerte Atmosphäre besitzen kann. Neuere
Beobachtungen über das Verschwinden von Sternen, welche vom
Monde auf seinem Laufe des öfteren bedeckt werden, haben auch
nicht das geringste Anzeichen einer auf eine Absorptionswirkung zu-
rückzuführenden, allmählichen Verdunkelung bei der Annäherung des
Mondrandes erkennen lassen, und selbst auf theoretischem Wege hat
man ergründen können, dafs dieser Himmelskörper infolge seiner ge-
ringen Masse eine ihm etwa früher einmal zu eigen gewesene Gas-
hülle gar nicht auf die Dauer hätte festhalten können. Bei diesem
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Thatbestande ist es nioht anders zu erwarten, als dafs das Spektrum
des Mondliohtes in jeder Beziehung dem Sonnenspektrum gleichen
wird, wie es die Beobachtung auoh bestätigt hat. Das Spektroskop hat
also hier lediglich unsere bereits auf anderen Wegen gewonnene
KenntniB von der Abwesenheit jeder Spur von Atmosphäre von neuem
bekräftigt
Ähnliches gilt nun auoh von den inneren Planeten; ihr Spektrum
läfet keine sicheren Schlüsse auf das Vorhandensein einer absor-
bierenden Gasschioht zu. Gleichwohl ist man der Ansicht, dafs Venus
eine verhältnismäfsig dichte Lufthülle besitzen dürfte, die aber von
dichten Wolkenmassen derart erfüllt ist, dafs schon letztere in grofser
Höhe über der eigentlichen Planetenoborflächo das auffallende Sonnen-
licht wieder zurückwerfen. Die Beobachter dieser Planeten sind
indessen in der Angabe einig, dafs die von uns bereits oben er-
wähnten tellurischen Linien deutlich verstärkt erscheinen, sodafs man
5« » 4» i9 60 «1 6? 6J 6>t 6} M 62 CS 69
I Iii ! H \ II
Fig. 15. Du Spektrum des Jupiter.
wohl zu der Annahme berechtigt ist, dafs die Atmosphären unserer
Nachbarplaneten im allgemeinen aus denselben Gasarten bestehen
wie unsere irdische Luft. — Auoh bei Mars glaubt Vogel eine deut-
liche Verstärkung der tellurischen Linien konstatieren zu können,
und Huggins will sogar auf der blauen Seite der D-Linie ein diesem
Planeten eigentümliches Absorptionsband gesehen haben. Diesen
Wahrnehmungen steht allerdings eine auf der Lick-Stern warte von
Campbell ausgeführte Vergleichung der Spektra des Mars und des
Mondes gegenüber, bei welcher nicht der geringste Uutorschied er-
kennbar war. Indessen ist dieses negative Resultat sehr wohl durch
besondere Umstände erklärbar und kaum imstande, die positiven
Wahrnehmungen anerkannter Meister der Beobachtungskunst umzu-
stofsen.
Aufserordentlich deutliche Absorptionsbänder zeigen uns die
zweifellos von mächtigen Atmosphären umhüllten äufseren Planeten;
allerdings liegen auch hier die Unterschiede gegen das gewöhnliche
Sonnenspektrum nur im golbroten Teile des Spektrums, sodals photo-
graphische Aufnahmen, welche nur ein Abbild der brechbareren
Partien liefern, über das Vorhandensein einer Atmosphäre auch bei
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diesen Planeten keinen Aufschlufs geben
würden. Die im Jupiterapektrum von
11. C. Vogel erkannten dunklen Streifen
(Fig. 15) fallen wiederum bis auf einen
mit tellurischen Linien zusammen. Nur
das breite, bei 618 u|x gelegene Band
ßndet sich im irdischen Luftspektrum
nicht vor. Ob die Ursache dieses Bandes
in einem besonderen, der Jupiteratmo-
sphäre eigentümlichen Gase, uder aber
nur in den veränderten Druck- und
Temperatur- Verhältnissen einer der irdi-
schen ähnlich zusammengemischten Luft-
hülle zu suchen ist, konnte bis jetzt nicht
entschieden werden. Die einem jeden,
der durchs Fernrohr auch nur einen
llüchtigen Blick auf Jupiter wirft, sofurt
auffallenden, dunklen Äquatorialstreifen
zeigen neben allgemeiner Abschwächung
des Lichtes auch eine Verstärkung der
oben dargestellten, dunklen Streifen,
woraus sich ergiebt, dafa wir hior Auf-
lockerungen der von dichten Wolken
erfüllt zu denkenden Jupiteratmospbäre
vor uns haben, die uns einen tieferen
Hinblick in das Luftmeer des Riesen-
planeten gestatten. — Die bekannten,
unseren Mond an Gröfse bedeutend über-
treffenden Trabanten Jupiters sollen nach
Vogel dieselben Absorptionsstreifen wie
ihr Centraikörper erkennen lassen,
dürften also gleichfalls von Atmosphären
umgeben sein.
Saturn ist, wie in jeder anderen Be-
ziehung, so auch in Bezug auf sein
Spektrum dem Jupiter aufs nächste ver-
wandt, und auch das Uranusspektrum,
welches unsere Abbildung (Fig. 16) nach
Keelers Zeichnung wiedergiebt, zeigt
intensive Absorptionswirkungen, vor
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allem auoh das oben erwähnte, der Erdatmosphäre fremde Band bei
618 Bemerkenswert ist jedoch, dafs dieser Streifen im Spektrum
der Saturnringe völlig fehlt, sodafs diese überhaupt nioht in eine Gas-
hülle eingebettet zu sein scheinen, was auch mit ihrer der Saturn-
kugel gegenüber deutlich kontrastierenden, grösseren Helligkeit zu-
sammenstimmt
Vom Neptunspektrum läfst sich entsprechend der grofsen Mattig-
keit des von diesem äufsersten Mitgliede des Sonnensystems zu uns
gelangenden Liohtes nichts Bestimmtes aussagen, dooh ist wahr-
scheinlich, dars es ebenfalls den Spektren der großen Geschwister-
planeten gleicht
Die Kometen.
Während bei den Planeten schon der im Fernrohr deutlioh er-
kennbare Phasenwechsel lange vor der Entdeckung der Spektral-
analyse gelehrt hatte, dafs diese Gestirne nur mit reflektiertem Sonnen-
licht leuchten, konnte diese Frage bei den Kometen, die nur sozusagen /
gastweise in den Bereich des Sonnensystems eindringen und während
der kurzen Dauer ihrer Sichtbarkeit stets ein sehr verwaschenes Aus-
sehen besitzen, nicht so leicht entschieden werden, obgleich die oft
ziemlich plötzlichen Helligkeitsänderungen dieser rätselhaften Himmels-
körper bereits vermuten liefsen, dafs hier eigene Lichtentwickelungen
eine Rolle spielen. In der That erwies sich denn auch das Spektrum
des Kometenlichts in allen bisher untersuchten Fallen als ein
Emissionsspektrum, das jedoch meist nicht aus feinen, hellen Linien,
sondern aus drei breiten, einseitig nach der violetten Seite hin ver-
waschenen, hellen Liohtbändern besteht, deren Lage beweist, dass ein
beträchtlicher Teil des Kometenlichts von glühendem Kohlenwasser-
stoff ausgeht Nach genaueren Untersuchungen einerseits von
H. C. Vogel, andererseits von Hasselberg konnten gewisse Eigen-
tümlichkeiten, welche das Kometenspektrum von dem gewöhnlichen
Kohlenwasserstoffspektrum, wie es etwa eine BunsenHamme zeigt,
unterscheiden, künstlich im Laboratorium erzielt werden, wenn man
entweder Kohlenoxydgas beimengte oder die Temperatur möglichst
erniedrigte und das Aufleuchten durch disruptive, elektrische Ent-
ladungen bewirkte. Es ist demnach als wahrscheinlich anzusehen
und stimmt auch mit den Vorstellungen, diu man sich sonst in neuerer
Zeit über die Kometenphänomene gebildet hat, dafs das Aufleuchten
der Kometen eine Folge elektrischer Funkenentladnugen bei niedriger
Temperatur ist, und dals den Kohlenwasserstoffen oft auch Kohlenoxyd-
gas beigemengt sein mag, zumal auch die aus den zur Erde gefallenen
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und vielleicht von Kometen abstammenden Meteoren du roh Erwärmung
entweichenden Gase nach Vogels Versuchen beiderlei Arten von
Kohlensto ffverbind ungen enthalten.
Eine hochinteressante Überraschung in spektroskopisoher Hin-
sicht bereitete den Astronomen der im Frühjahre 1882 erschienene
„Komet Wells". Zur Zeit, als dieses Gestirn der Sonne am nächsten
kam. änderte sich nämlich sein Spektrum, indem die gelbe Natrium-
linie intensiv aufblitzte, während zugleich das Kohlenwasserstoff-
spektrum verblafsto. Dieselbe Erscheinung wiederholte sich bei dem
grofsen, der Sonne gleichfalls sehr nahe kommenden September-
kometen desselben Jahres und würde vermutlich seitdem noch öfters
beobachtet worden sein, wenn nicht die letzten 16 Jahre an helleren
Koinetenerscheinungen überhaupt auffallend arm gewesen wären.
Offenbar ist das Auftreten der Natriumlinie bei grofser Sonnennähe
durch die damit eintretende Temperaturerhöhung des Kometenkernes
verursacht, welche schliefelich eine Verdampfung des bekanntlich in
der ganzen Welt aufserordentlich verbreiteten und daher auch den
Kometenkernen nicht fehlenden Natriums bewirkt. Für die bereits
oben ausgesprochene Ansicht, dafs das Kometenlicht eine Folge elek-
trischer Entladungen ist, wurde zugleich durch das Verblassen der
Kohlenwasserstoffbanden ein neuer Beweis erbracht Gerät nämlich
ein Salzteilchen in eine gewöhnliche Bunsenflamme, so sieht man im
Spektroskop einfach die Natriumlinie neben den in unverminderter
Stärke verharrenden Kohlen Wasserstoff banden aufleuchten; bringt man
dagegen Geraenge von Kohlenwasserstoffen und Kohlenoxyd, die in
einer Röhre eingeschlossen sind, in welcher durch Erwärmung auch
metallisches Natrium verflüchtigt werden kann, durch die Entladungen
einer Leydener Flasche zum Leuchten, so tritt das Spektrum der
erstgenannten Gase wie bei den Kometen sofort gegen die Natrium-
linie zurück, wenn der offenbar die Elektrizität besser leitende Natrium-
dampf zur Entwickelung gebracht wird.
(Schiute folgt.)
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Die Erd- und Länder- Vermessung und ihre Verwertung.
Von Professor Dr. C. Koppe in Braunschweig.
(Fortsetzung.)
Das Landes-Nivellement
t£ \/\ in unterscheidet wesentlich drei verschiedene Methoden der Höhen-
messung, das geometrische, das trigonometrische und das baro-
metrische Nivellement Beim geometrischen Nivellieren wird die
durch ein feines Fadenkreuz bezeichnete Absehlinie des Fernrohrs mit
Hülfe der Wasserwage horizontal, also normal zur Schwererichtung ge-
stellt Dreht man dieselbe dann um eine lotrechte Axe im Kreise herum,
so beschreibt sie eine Horizontalebene, d. h. einen künstliohen Horizont,
welcher senkrecht steht auf der Sohwererichtung des Stationspunktes
und somit die durch ihn gelegte Niveaufläche dort berührt Für
kurze Entfernungen, wie solche beim geometrischen Nivellieren
in Betracht kommen, kann man die Krümmung der Niveauflächen,
bezw. der wahren Erdoberfläche als gleiohmäfsig betrachten. Läfst
man nun an zwei Punkten, welche gleich weit, z. B. 50 m, von der
Station entfernt sind, genau geteilte Latten lotrecht aufstellen, so liest
man beim Einstellen der horizontalen Absehlinie des Fernrohrs auf
den Teilstriohen unmittelbar ab, wie tief die betreffenden Punkte unter
dem Horizonte der Station liegen, und erhalt weiter in der Differenz
dieser abgesehenen Zahlen den Höhenunterschied derselben. Liest man
z. B. (siehe umstehende Figur) an der in A aufgehaltenen Latte 3 in
ab, an der in B aufgehaltenen Latte 1 m, so liegt A um 3 m unter
dem Stationshorizonte, B hingegen nur um 1 m; also beträgt der Höhen-
unterschied der beiden Punkte 3 — 1 = 2 m, um welche B höher liegt
als A. Diese Art der Höhenmessung ist einer grofsen Genauigkeit fähig.
Die Instrumente für Fein-Nivellements haben Fernrohre mit 30
bis 40 maliger Vergröfserung und Libellen mit einer Empfindlichkeit von
wenigen Sekunden für einen Teilstrich der Röhre. Bei Ablesungen
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an der Latte werden noch halbe Millimeter geschätzt Der Höhen-
unterschied zweier um 100 m von einander entfernter Punkte, zwischen
denen in der Mitte das Instrument aufgestellt wird, kann durch solches
„Nivellieren aus der Mitte" bis auf weniger als 1 mm genau bestimmt
werden. Teilt man eine zu nivellierende längere Strecke in Stationen
von 100 zu 100 m Abstaud, stellt zuerst zwischen A und B auf und
bestimmt den Höhenunterschied B— A, stellt dann zwischen B und C
auf, und bestimmt in ganz analoger Weise den Höhenunterschied C — B
und so fort dem ganzen Zuge entlang bis zum letzten Punkte N, so
braucht man nur sämtliche der Reihe nach bestimmten Höhenunter-
schiede zu addieren, um den Höhenunterschied des Anfangspunktes
und des Endpunktes zu erhalten. Wenn die bei Bestimmung der ein-
zelnen Höhenunterschiede begangenen Beobachtungsfehler nur zufälliger
Natur sind, also ebensowohl positiv wie negativ sein können, so wächst
ihr Betrag bei der Addition der Einzelmessungen mit der Quadrat-
wurzel aus der Anzahl der letzteren. Ist der mittlere Fehler bei einer
Bestimmung der je 100 m von einander entfernten Punkte z. B.
zk. 1 mm, so wird er für 4 Stationen, d. h. auf 400 m Entfernung,
=fc 2 mm, für 9 Stationen, d. h. auf 900 m Entfernung, di 3 mm u. s. w.
ausmachen. In Wirklichkeit erreicht er aber diesen Betrag beim
Feinnivellement noch nicht, indem bei diesem der mittlere Fehler für
Llagen - Nivellement.
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129
1 Kilometer in Maximo ±8mm betragen darf. Der Höhenunterschied
zweier um 100 km von einander entfernten Punkte kann durch geo-
metrische Präzisions- Nivellements bis auf wenige Centimeter genau
bestimmt werden.
Beim trigonometrischen Nivellement berechnet man aus der ge-
messenen Zenithdistanz der Visierlinie zwischen zwei Punkten und ihrer
horizontalen Entfernung den Höhenunterschied beider Stationen. Da
bei einer Entfernung von 200 Kilometern einer Winkelabweichung
von 1 Bogensekunde eine lineare Verschiebung von 1 m entspricht, die
Winkelme88ung aber mit feinen Instrumenten bis auf Bruchteile einer
Sekunde genau ausgeführt werden kann, so würde man den Höhen-
unterschied zweier um 100 km von einander entfernten Punkte durch
trigonometrische Höhenmessung bis auf wenige Decimeter genau direkt
ermitteln können, wenn sich der Einflute der atmosphärischen Re-
fraktion mit ausreichender Genauigkeit bestimmen liefse. Dies ist aber
keineswegs der Fall, da die Änderung der Lufttemperatur, welche hier
in erster Linie in Frage kommt, der direkten Messung auf der ganzen
zwischengelegenen Strecke, welche der Lichtstrahl zu durchlaufen hat,
nur sehr unvollständig zugänglich ist. Man wendet daher die trigono-
metrischen Höhenraessungen mit Vorteil nur auf kürzere Entfernungen
von einigen Kilometern an und für Zwecke, für welche die gröfste
Genauigkeit nicht verlangt wird, wie namentlich bei topographischen
Aufnahmen. Hier ist eine Genauigkeit bis auf einige Centimeter, wie
sie die trigonometrische Höhenmessung auf kürzere Entfernungen zu
liefern im stände ist, ganz ausreichend, und da die hierzu aufzu-
wendende Zeit weit geringer ist als bei einer Höhenbestimmung durch
geometrisohes Nivellement, so hat rationellerweise das letztere nur
die festen Ausgangspunkte zu liefern, an welche das trigonometrische
Nivellement für topographische Zwecke angeschlossen, und zwischen
die es zur Erhöhung der Genauigkeit eingeschaltet wird.
Am wenigsten genau, abor am schnellsten auszuführen ist das
barometrische Nivellement. Bei der barometrischen Höhenmessung
schliesst man aus der Länge einer kurzen und schweren Quecksilber-
säule auf das Mafs einer langen und leichton Luftsäule, welche jener
das Gleichgewicht hält Da die Luft im Meeresniveau ungefähr
10500 mal leichter ist als das Quecksilber, so mute auch eine
Luftsäule 10500 mal länger sein als die Quecksilbersäule, welcher
sie im Barometer das Gleichgewicht hält. Fällt daher letzteres beim
Hinaufsteigen auf eine Anhöhe um 1 cm, so muls die ganze auf ihm
lastende Luftsäule um 10500 cm oder um 105 m kürzer geworden
Himmel und Erde. 1888. XI. 8. 9
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130
sein, und somit auch die erstiegene Höhe zwischen dem Fufs und dem
Gipfel der Anhöhe 105 m betragen. Hat man bei der Ermittelung
der Quecksilbersäule einen Beobachtungsfehler von 0,1 mm gemacht,
so wird auch dieser mit 10500 multipliziert und die Höhe um 1,05 m
unrichtig erhalten werden. Die Zahl 10500, welche für den bestimmten
Fall hier als Verhältniszahl zwischen den spezifischen Oewiobten von
Quecksilber und Luft angenommen wurde, läfst sich genauer bestimmen
nach der Oröfse des jeweiligen Luftdruokes und der Lufttemperatur,
durch welohe sie nach dem Mariotteschen und Gay-Lussacschen
Gesetze bedingt wird. Mit abnehmendem Drucke und mit zunehmen-
der Temperatur dehnt sich die Luft mehr und mehr aus und wird in-
folgedessen immer leichter. Im gleiohen Mafs wächst obige Ver-
hältniszahl der spezifischen Gewichte und ebenso der Fehler in der
Höhenbestimmung, welcher einer Unsicherheit von 0,1 mm im Ab-
lesen der Quecksilbersäule entspricht Zum mindesten wird man daher
auf einen Fehler von 1 m beim Messen von Höhenunterschieden mit
dem Barometer gefafst sein müssen, und zwar gleichviel, ob man das
Quecksilberbarometer selbst benutzt, oder statt seiner die weit be-
quemer zu transportierenden Aneroide, welche in mäßigen Grenzen
des Luftdruckes ein Quecksilberbarometer ersetzen können, wenn sie
gut gearbeitet und mit den nötigen Vergleichstabellen versehen sind.
In der That lassen 6ioh mit solchen Instrumenten Höhenunterschiede
von einigen hundert Metern bis auf wenige Meter genau leioht be-
stimmen. Bei grofsen Höhenunterschieden wird die barometrische
Höhenmessung sehr unsicher wegen der Schwierigkeit, die in Betraoht
kommende Lufttemperatur mit ausreichender Genauigkeit zu ermitteln,
wozu beim Gebrauche von Aneroiden noch die elastische Nach-
wirkung der Metall fedorn und Büohsen hinzukommt, weil dieselben
gröfseren Druckdifferenzen nicht rasch und genau genug zu folgen
im stände sind.
Für genaue Höhenbestimmungen kommt hiernach nur das geo-
metrische Nivellement in Betracht; dasselbe bildet dementsprechend
einen Teil der grundlegenden Arbeiten der internationalen Erdmessung
sowohl, wie der einzelnen Landesaufnahmen in den zu ihr gehörigen
Ländern und Staaten.
Die Höhenzählung geschah früher von einer sehr grofsen Zahl
natürlicher oder künstlicher Nullpunkte aus.
Um die in Gebrauoh befindlichen zahllosen Pegel und Spezial-
Nullpunkte zu beseitigen und einen gemeinsamen und festen Aus-
gangspunkt für alle Höhenmessungen an ihre Stelle zu setzen, wurden
131
von der internationalen Erdmessung die Europa begrenzenden Meere
durch genaue Nivellements mit einander verbunden und die Höhenlage
ihrer Mittelwasser nach den Pegelbeobaohtungen ermittelt. Es ergab
sioh hieraus, dafs diese mittleren Meereshöhen nicht genau überein-
stimmten, sondern bis zu mehreren Deciinetern von einander abwichen,
was teilweise in wirklichen Unterschieden der mittleren Meeres-Höhen,
zum Teil aber auch in den Beobachtungsfehlern der Nivellements auf so
grofse Strecken seinen Grund hat. Da nun jede spätere Neumessung
wieder etwas andere Resultate liefern wird, so dafs an einem derart
festgelegten gemeinsamen Nullpunkt fort und fort Korrekturen ange-
bracht werden müfsten, um seine Lage den neuen und immer genauer
ausgeführten Nivellements entsprechend zu gestalten, so wurde auf der
10. allgemeinen Konferenz der internationalen Erdmessung zu Brüssel
im Jahre 1892 beschlossen: „Von der Wahl eines gemeinsamen Null-
punktes der Höhen in Europa wird abgesehen. Für die wissenschaft-
lichen Zwecke der Geodäsie werden die Meereshöhen mit Hülfe von
Nivellements nach den benachbarten Küsten des Atlantischen Ozoans,
des Mittelländischen und Adriatischen Meeres und der Ostsee abge-
leitet, wobei solche Stellen auszuwählen sind, an denen das Mittel-
wasser voraussichtlich aus theoretischen Gründen oder erfahrungs-
mäfsig keine Anomalien darbietet. Es ist aber andererseits eine fort-
dauernde Aufgabe des Centraibureaus der internationalen Erdmessung,
die Ergebnisse der einzelnen Länder zu sammeln, zu vergleichen und
zu verknüpfen, sowie insbesondere die gegenseitige Lage der Spezial-
Nullpunkte festzustellen."
Ein solcher Spezial-Höhenpunkt wurde für das Königreich
Preufson am 22. März 1879 von der trigonometrischen Abteilung der
Preufsischen Landesaufuahme an einem Pfeiler der Berliner Stern-
warte festgelegt. Zunächst nur für Preufsen bestimmt, ist derselbe in
der Folge für die einheitliche ilöhenzählung im ganzen Deutschen
Reiche maßgebend geworden. In dem offiziellen Berichte „der
Normal-Höhenpunkt für das Königreich Preufsen" etc, Berlin 1879,
wird über seine Festlegung eingehender berichtet. Die Höhen-
messungen im Preufsischen Staate wurden vorher auf verschiedene,
für den jedesmaligen Zweck gewählte Nullpunkte bezogen. Während
ein grofser Teil von Behörden und Privaten seine Hühenangaben vom
Nullpunkte eines Meerespegels, insbesondere des Amsterdamer .oder
des Swinemüuder Pegels zählte, zog es ein anderer Teil vor, das an
einem Hafenorte der Ost- oder Nordsee beobachtete Mittelwasser als
Ausgangspunkt zu nehmen, oder aber seinen SpezialVermessungen
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den Nullpunkt eines in der Nähe liegenden Flufspegels oder einen
andern geeignet erseheinenden Ausgangspunkt zu Grunde zu legen.
Diese verschiedenen Höhenzählungen stimmten heim Zusammentreffen
der von ihnen ausgehenden Nivellements keineswegs überein, sondern
zeigten Abweichungen bis zu Beträgen, welche beim Eisenbahnbau,
Wasserbau etc. sich in der störendeten Weise fühlbar machten. Die
Ursache dieser Mannigfaltigkeit der Höhenzählung lag darin, dafs es
an einem genauen zusammenhängenden Nivellementsnetze fehlte, um
dio in den verschiedenen Landesteilen ausgeführten Nivellements mit-
Der Normal-Nullpunkt das Deutschen Beichei am Nordpfeiler
der Kgl. Sternwarte in Berlin.
einander zu verbinden und auf einen gemeinsamen Nullpunkt zu be-
ziehen. Nachdem aber die Präzisions-Nivelloments der Preufsischen
Landesaufnahme so weit vorgeschritten waren, dafs sie namentlich
den nördlichen Teil des Preufsischen Staates mit einem zusammen-
hängenden Netze bedeckten, glaubte man mit Recht dem sich immer
dringender fühlbar machenden Bedürfnisse nach einheitlicher Höhen-
zählung durch Festlegung eines Normal- Ausgangspunktes für alle
staatlichen Nivellements entsprechen zu sollen. Bei der Wahl des
Ortes kam vor allem in Betracht die möglichst sichere und unver-
änderliche, sowie auch hinreichend centrale Lage, um die nötigen An-
schlüsse und Hühenübertragungen thunlichst kurz und sicher zu ge-
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133
stalten. Der ersteron Forderung entspricht die Meeresküste jedenfalls
weit weniger als ein alter, durch Hebungen oder Senkungen, nach-
weislich längere Zeit hindurch nicht beeinflurster Alluvial-Boden, wie
z. B. derjenige von Berlin und Umgebung, dessen Lage zugleich auoh
der zweiten Forderung gerecht wird. Man beschloß daher nach ein-
gehenden Erwägungen, den Norraal-Höhenpunkt an einem tief und fest
fundierten Pfeiler der Berliner Sternwarte anzubringen, als demjenigen
Orte, welcher allen Anforderungen am besten entspricht.
An einem ein halbes Jahrhundert hindurch für astronomische
Zwecke systematisch auf seine Unveränderlichkeit mit empfindlichen
Wasserwagen geprüften Nordpfeiler wurde ein 1,7 m langer Syenitbalken
angebracht, welcher an seiner frei vorstehenden vertikalen Stirnfläche
auf einem eingeschobenen Emailleglas eine Millimeterskala von 20 cm
Länge trägt, deren Mittelstrioh mit der Inschrift 37 Meter über Normal-
Null den Normal - Höhenpunkt bezeichnet Der eigentliche Null-
punkt aller Höhenzählungen im Deutschen Reiche liegt 37 Meter
unter diesem Normal-Höhenpunkte, und sämtliche offiziellen Höhen-
angaben führen nunmehr die Bezeichnung „Höhen über N. N.", d, h.
über Normal-Null. Durch weitmaschige Nivellementsnetze, welche in
einer Gesamtausdehnung der Nivelleraents-Züge von mehr als 16000
Kilometer das Preufsisohe Staatsgebiet bedecken, und durch Ansohlurs-
Nivellements an die Netze der Nachbarstaaten wurde seither dieser
NormaUNullpunkt allseits durch Übertragung leicht zugänglich gemacht
und hierdurch in sämtliche im staatlichen Interesse ausgeführten
Nivellements, alle Eisenbahn-Nivellements, die Höhenangaben der
Karten des ganzen Deutschen Reiches u. s. w. die so lange angestrebte
erlösende Einheit gebracht.
(Schlufe folgt.)
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Blitzphotographie.
„La structure des eclairs est encore bien peu connue et la
Photographie est appelee ä rendre ioi encore de grands Services",
schrieb 1888 mit Recht in der „Revue d'Astronomie populaire"
M. Trouvelot. Obwohl seitdem 10 Jahre verflossen, sind die guten
Blitzphotographien noch immer selten. Die meisten Bilder leiden an
der Entfernung des Blitzes, sodafs kaum mehr als eine dünne Linie
auf die Platte kommt. So giebt es von den interessanten Bandblitzen
nur sehr wenig Aufnahmen, und von diesen zeigen fast alle nur mit
Hülfe der Vergrößerung die auffallenden Merkmale dieser elektri-
schen Entladung. Wie selten diese Bandblitze Photographien sind,
ergiebt sich daraus, dafs noch M. Trouvelot schrieb: „Cette forme
rubanee de la foudre ne saurait, croyons-nous, ßtre attribue ä une
Illusion quelconque, ou bien ä un defaut de mise au point."
Bandblitzphotographien wurden, soviel mir bekannt, nur auf-
genommen und veröffentlicht von iL Trouvelot am 24. Juni 10h
80 m 1888 in Paris (Revue d'Astronomie populaire), von Mr. Bishop
in Bath am 22. August lh 35m 1895 (Knowledge), von Herrn Pilt-
schiko ff- Odessa am 26. Mai 8h 30 m abends 1895, und von Herrn
Dr. Precht-Heidelberg am 25. Juli 9h 10m 1894, die erste in „Comptes
rendus", die letzte in „Himmel und Erde" veröffentlicht Endlich,
last not least, haben wir die am 16. Juli 1884 10h abends von Herrn
Professor Kayser aufgenommene und in den Annalen der Physik und
Chemie veröffentlichte Photographie zu erwähnen, die damals als erste
Abbildung allgemeines Aufsehen erregte. Alle diese Beschreibungen
des Bandblitzes, die wegen der Seltenheit der Erscheinung ausführ-
liche sind, stimmen auffallend überein. Mir gelang es, am 23. August
6h 35m abends 1898 von der Hamburger Sternwarte aus einen Band-
blitz aufzunehmen, der in die Deutsche Seewarte einschlug. Hier
haben wir den seltenen Fall, dafs die Entfernung des Einschlagepunktes
135
vom Aufnahmepunkt genau bekannt ist; sie beträgt 500 m. Aus der
Brennweite des Objektivs von 22 cm ergiebt sich daher die Blitzbreite
zu etwa 10 m. Das gleiche Resultat erhalten wir aus der Breite des
Ost- Turmes der Seewarte, die 8 m in nat. Grösse, 0,4 cm im Apparat
beträgt, und der Blitzbreite auf der Platte von 0,5 cm. Diese Breite
stimmt mit der Berechnung des Herrn Piltschikoff, dessen Band-
blitz auf 12 m 50 cm angegeben wird, gut überein.
Auch auf physikalischem Wege ist es gelungen, dem Bandblitz
ähnliche Funken zu erzeugen, die auf der Photographie die Haupt-
merkmale deutlich zeigten und manches Rätselhafte dieser älteren
Erscheinung klarlegten. Auf Grund dieser Beobachtungen ist es
zweifellos, dafs der Wind Einflufs auf die Bandform des Blitzes ausübt.
Die Hauptmerkmale sind kurz folgende: An einem Rande des
Blitzes befindet sioh immer eine besonders helle Linie, die nach
der Handseite hin horizontale kleine Stäbchen auszustrahlen scheint;
diese Linie ist erwiesenermafsen der Anfangsfunke. Von diesem
Hauptblitz allein gehen auch die Seitenverästelungen aus, die man
stets mehr oder minder deutlich bis zur Hauptlinie verfolgen kann.
Auf unserer Photographie sind die Verästelungen, zwei rechts, zwei
links, nur schwer zu erkennen. Die Form der Erscheinung ist die
eines leiohten, dunklen Seidenbandes, das von hellen, senkrechten
Fäden durchzogen, im Winde flattert Herrn Trouvelot gelang es
sogar, eine Drehung eines derartigen Blitzbandes zu photographieren.
Wie das Band von hellen Fäden so ist der Blitz von einer Reihe mehr
oder minder hell leuchtender Linien durohzogen, deren Zahl keine be-
stimmte ist. Die wellenförmigen Krümmungen der Lioien sind ein-
ander parallel, der Abstand bleibt immer derselbe. In der Mitte des
Blitzes befindet sich ein bisher unerklärter, dunkler, breiter Zwischen-
raum. Auch die merkwürdigen horizontal und parallel gehenden
Seitenstrahlen des Anfangsblitzes, die denselben aber kaum berühren,
entbehren bisher einer bestimmten Erklärung, wie überhaupt dio ganze
Erscheinung nooh viel Rätselhaftes darbietet. Sicher ist wohl nur,
dafs dor Wind eine Hauptrolle bei dieser Blitzform spielt. Jede
Blitzentladung dauert bedeutend längere Zeit als die, welche wir auf
physikalischem Wege herstellen können. Man kann also eine mehr-
fache Entladung in sehr kurzen Zwischenräumen annehmen, mag diese
nun von oben nach unten allein oder auch, wie Prof. Kayser annimmt,
abweohselnd nach unten von oben und von unten nach oben vor sich
gehen. Treibt nun der Wind, der damals aus West- Süd - West kam,
— die Photographie ist in Südrichtung aufgenommen — den erhitzten
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Luftkanal des Anfangblitzes zur Seite, so kann eine solche Erschei-
nungsform wie der Bandblitz entstehen. Die Windstärke, zur Zeit des
Gewitters auf der deutschen Seewarte gemessen, betrug 14 tn in der
Sekunde, dooh wird dieselbe in den höheren Regionen, von denen der
Blitz ausging, eine bedeutend gröfsere gewesen sein, und dürften die
aufeinander folgenden Entladungen des 10 m breiten Blitzes innerhalb
einer halben Sekunde erfolgt sein. Mir ist eine besonders lange
Dauer des Blitzes nicht aufgefallen, dagegen war der Donner, der
gleich darauf erfolgte, von einem gewaltigen Krachen begleitet. Die
Seewarte selbst war, wie Augenzeugen berichten, von einem Flammen-
meer umgeben, ohne dafs der Schlag aufser in den Telephon- und
Telegraphenleitungen ernstlichen Schaden anrichtete.
Sehr wünschenswert wäre es, wenn die grofse Zahl der Ama-
teurphotographen dieser interessanten Erscheinung der elektrischen
Entladung noch mehr Aufmerksamkeit zuwenden würde, da auf diesem
Wege sehr viel zur Lösung der noch offenen Fragen beigetragen
werden kann. George A. L. Rümker.
t
Das Nordlicht vom 9. September.
Das gewifs von vielen unserer Leser bewunderte Nordlicht war eine
so glänzende Erscheinung, wie sie seit 1870 in unseren Gegenden nur
sehr selten gesehen worden ist In Berlin erreiohte das Phaenomen,
welches im ganzen etwa eine halbe Stunde währte, um 9 Uhr 45 Minuten
seinen Höhepunkt. Zahlreiche , mehrere Grad breite Lichtbündel von
vorwiegend grüner und auch roter Farbe0) durchzogen wie die Strahlen
einer Reihe von Scheinwerfern parallel dem magnetischen Meridian
das Himmelsgewölbe bis fast zum Zenith, fortwährend ihre Helligkeit
und ihren Ort verändernd, was am deutlichsten mit Hilfe der Sterne
des grorsen Bären bemerkt werden konnte, die mitten durch das Nord-
licht hindurch schimmerten. Da am Osthiromel von den westlichen
Berliner Vororten aus zur gleiohen Zeit ein intensiver Feuersohein
siohtbar war, der von einer brennenden Scheune herrührte, so befand
sioh das Publikum vielfach im Zweifel, ob es sich hier wirklich um
ein Nordlicht oder nur um einen Widerschein jenes Feuers handle.
Inzwischen sind nun aus allen Teilen des nördlichen Kuropa Nach-
*) Die grüne Strahlung des Nordlichts (von der Wellenlänge 557 ftn)
soll nach Berthelot von dem jüngst durch Ramaay und Travers als Be-
standteil der Atmoaphäre entdeckten Krypton herrühren.
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137
richten über das Nordlioht eingelaufen. Man hat es z. B. auch bei
Paris, sowie in England und Dänemark gesehen, in letzterem Lande
sogar noch glänzender als in Deutschland. Auch die regelraäfsigen
erdmagnetischen Nebenwirkungen sind nicht ausgeblieben. In Green-
wich begann die Störung der Magnetnadel schon bald nach 2 Uhr
nachmittags. Namentlich die Vertikal -Intensität des Erdmagnetismus
erfuhr eine viele Stunden anhaltende Schwankung, aber auch die Ab-
lenkung der Deklinationsnadel von der normalen Lage betrug zwischen
7 und 9 Uhr nioht weniger als einen vollen Grad. Erst gegen
Morgen beruhigten sich die feinfühligen Instrumente. Die Ursache
dieser magnetischen Störungen sucht man in Erdströmen, welche mit
den uns als Nordlicht sichtbar werdenden elektrischen Entladungs-
erscheinungen in den höheren Luftschichten Hand in Hand gehen. Auf
der Telegraphenstation in Fredericia klingelten, wie jedenfalls auch
an vielen anderen Orten, infolge dieser Erdströme die elektrischen
Alarmapparate von selbst, und das Telegraphieren war in hohem Grade
erschwert
Die kosmische Veranlassung zu diesen aufsergewöhnlioben Ereig-
nissen bot sich uns in Gestalt einer gewaltigen Sonnenfleckengruppe
dar, die gerade zur gleichen Zeit den Zentralmeridian der Sonne
passierte. Da wir gegenwärtig einer Periode des Minimum der Sonnen-
fleckenhäufigkeit entgegengehen, so war das Erscheinen dieser grofsen
Fleckengruppe von vornherein etwas Auffallendes und Hers ungewöhn-
liche Wirkungen erwarten. Warum aber die sichtbare Wirkung in
solchem Falle nicht früher als gerade an dem Tuge erkennbar wird,
an welchem der Fleck infolge der Rotation in den Mittelmeridian der
Sonne gerückt ist, ist eine Frage, die noch der Lösung harrt.
In England und Frankreich hat man übrigens den grofsen
Sonnenileck vielfach auch noch für die abnorme Hitze und Dürre
verantwortlich gemacht, welche in diesen Ländern während der zweiten
Hälfte des August und des gröfsten Teils des September geherrscht
haben, jedoch ist in diesem Falle der ursächliche Zusammenhang
durchaus noch nicht nachgewiesen, ja sogar bei genauerer Überlegung
recht unwahrsoheinlioh. F. Kbr.
Die Röntgenstrahlen, welche der Elektrizität ihre Entstehung
verdanken, vermögen gelegentlich ihrer Erzeugerin ebenfalls einen
Dienst zu erweisen, indem sie eine eigenartige Untersuchung der bei
elektrischen Installationen gebrauchten Materialien gestatten.
138
Materialuntersuchungen in weiterem Umfange, z. B. die Er-
kennung von Blasen und sonstigen Strukturfehlern in Metallteilen,
waren neben den in erster Linie stehenden medizinischen Ergebnissen
dasjenige, was man an praktisch verwertbaren Resultaten von den
Röntgenstrahlen erhoffte. Der Verwirklichung dieses Gedankens steht
indes die immerhin grofse Undurcblässigkeit der Metalle — selbst
gegenüber den kräftigen modernen Arten von Röntgenröhren — im
Wege, die eine bequeme Anwendung des in Rede stehenden Hülfs-
mittels erschwert, wenngleich selbst die Durchleuchtung dickerer
Metallteile keineswegs unmöglich ist. Als Beispiel für das letztere
sei erwähnt, dafs man mehrfach das Werk einer Taschenuhr durch
die metallenen Kapseln hindurch Photographien hat, ja Röntgen selbst
hat u. a. eine interessante Aufnahme eines Lefaucheuxgewehres mit
Doppellauf angefertigt, in welchem zwei Patronen steckten. Nicht nur
diese waren erkennbar, sondern auch die Deckpfropfon ; dabei mufsten
die Strahlen vor und hinter den Patronen je eine etwa 3 mm starke
Stahlschicht durchdringen.
Bei den elektrotechnischen Materialien handelt es sich indes nioht
ausschließlich um Metalle, sondern auch um die isolierenden Stoffe,
wie Hartgummi, Glimmer, Porzellan oder etwa neuerdings erfundene
Isolatoren, wie Stabilit, Ambroin u. a. m. Alle diese Körper sind er-
heblich durchlässiger als die Metalle, und deshalb ist es, wie Dr.
Levy in der Elektrotechnischen Zeitschrift (1898, Heft 38) schreibt,
hier durchaus möglich, Fehler aufzufinden, z. B. gröfsere Blasen,
Sprünge oder eingeschlossene Metallteile zu erkennen. Es ist ferner
ein leichtes, bei den verarbeiteten Gegenständen zu konstatieren, wie
weit das leitende Metall, wie weit das Isoliermaterial reicht. Eine An-
wendung hiervon ist auch bereits für die Untersuchung von Isolations-
materialien für Straßenbahnen gemacht worden, um festzustellen, ob
die zur Aufnahme der Kontaklleitung einerseits, der Spanndrähte
andrerseits dienenden Metallteile durch eine genügende Sohicht von
Isoliermaterial von einander getrennt sind.
Die Einfachheit der Methode, welohe die Materialien in keiner
Weise beschädigt, gestattet nicht blofs, wie früher, eine Stichprobe,
sondern einen großen Prozentzatz derselben einer Kontrolle zu unter-
werfen. Sp.
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Biailer-Pouillet'i Lehrbuch der Phyulk und Meteorologie. 9. Auf-
lage von Prof. Dr. Pfaundler, unter Mitwirkung deB Prof. Dr.
Lummer. II. Band, 2. Abteilung Braunschweig 1898. Verlag von
Vieweg und Sohn. Preis geb. 12 M.
Durch deu vorliegenden, die Wärmelehre umfassenden Band ist das in
weiten Kroisen rühmlichst bekannte Werk in neunter Auflage komplett ge-
worden. Was den rein physikalischen Teil dieses Bandes betrifft, so ist der-
selbe in sachgemäßer Weise sorgfältig dem gegenwärtigen Stande der Forschung
angepafst worden. Dabei ist von der graphischen Darstellung des thermischen
Vorhaltens der Körper bei den verschiedensten Zustandsänderungen noch aus-
giebiger als bisher Gebrauch gemacht worden, was die Anschaulichkeit gewifs
nur erhöhen kann. Ob manche nou eingeschaltete Paragraphen, wie z. B. die-
jenigen über die Gibbssche Phasenregel für den Anfänger ausreichend ver-
ständlich sein werden, erscheint uns zweifelhaft. Auffallend ist es, dafs in
einem so gründlichen Lehrbucho der Wärme, das die Jahreszahl 189S trägt,
noch nichts von dem Uberaus merkwürdigen, thermischen Verhalten der Stahl-
Nickel-Legierungen zu finden ist, das doch wenigstens in einem Nachtrag hätte
erwähnt werden sollen. Auch neuere, höchst schätzbare Demonstrationsapparate,
wie Loosers Thermoskop und Rebenstorf fs Farbonthermoskop, hätten doch
wohl einige Worte verdient. Weit störender aber als diese Lücken empfinden
wir das mit der wissenschaftlichen Höhe, welche das Werk sonst einnimmt, stark
kontrastierende Schlufskapitel über die meteorologischen Erscheinungen. Die
Meteorologie ist im Laufe der Jahre zu einer so umfassenden Disziplin geworden,
dafs sie unmöglich als ein Appendix der Wärmelehre behandelt werden kann.
Konnte der Herausgebor nicht auch für dieses Spezialgebiet eine geoignete
Kraft gewinnen, wie es bei der Optik möglich war, so hätte er auf das Hinein-
ziehen der Meteorologie lieber verzichten und den Leser auf Müller»
Pouillets kosmische Physik verweisen sollen. Im vorliegenden Bande wird
die Ablenkung der Winde immer noch aus der Veränderung der geographischen
Breite statt aus der Erhaltung der Bewogungsrichtung erklärt; in höheren
Breiten kämpft noch immer nach Altmeister Dove der Äquatorialstrom mit
dem Polarstrora, ohne von den barometrischen Minima und Maxim.i etwas zu
wissen. Der Regen entsteht (§ 18(1) hauptsächlich dadurch, dafs südwestliche
Winde feuchte Luft in nördlichere und daher kältere Gegenden bringen; von
der Bedeutung des vertikal aufsteigenden Luflstroms wird aber kein Wort ge-
sprochen. Das sind Anachronismen, wie sie in einem sonst so trefflichen Werke
unseres Erachtens nicht hatten unterlaufen dürfen. Hoffen wir, dafs nach dieser
Richtung hin wenigstens bei der Bearbeitung der nächsten Auflage Wandel
geschaffen wird, damit der altbewährte Müller-Pouillet wirklich ein
„Sundard work" bleibe, auf das man sich in jeder Beziehung verlassen kann.
F. Kbr.
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140
Dr. C. Kaiserling: Praktikum der wissenschaftliehen Photographie.
Mit 4 Tafeln und 193 Abbildungen im Text. Berlin 1898, Gustav Schmidt.
Preis geh. 8 M.
Ea giebt keine .wissenschaftliche-, „künstlerische" u. 8. w. Photographie,
sondorn überhaupt nur eine Photographie schlechtweg — diese These vertei-
digt Verf. am Anfang des Kapitels über die Aufnahme. Wenn er für sein
mit vieler Liebe schwungvoll verfafstes und durch vortrefflich ausgewählte
Dlustrationen gediegen ausgestattetes Werkchen trotzdem den obigen Titel ge-
wählt hat, so wollte er dadurch nur so kurz als möglich angeben, dafs man
hier ein Lehrbuch der Photographie mit besonderer Rücksicht auf die Anwen-
dungen dieser stolzen Tochter des 19. Jahrhunderts zu Nutz und Frommen
wissenschaftlicher Forschung und wissenschaftlichen Unterrichts vor sich hat.
Nach einem einleitenden Kapitel über das Licht, wobei von der spek-
tralen Zerlegung desselben ausgegangen wird, folgt dementsprechend zunächst
eine knappe, aber dabei recht gründliche Darstellung der photographisohen
Technik, die auch für den Anfänger jedes Zurückgreifen auf andere Anlei-
tungen zum Photographieren unnötig macht. Dabei hat Verf. in der photo-
grap Machen Optik auf mathematische Formeln durchaus verzichtet und trotz-
dem versucht, ein wirkliches Verständnis aller in Betracht kommenden Er-
scheinungen bis zum Astigmatismus an der Hand anschaulicher Figuren zu
vermitteln. Diese schwierige Aufgabe scheint uns auch in reichem Mafse ge-
lungen zu sein, wenn auch manches sich eben in so elementarer Weise nie-
mals wird völlig erklären lassen. So ist z. B. die Beseitigung der Verzeich-
nung durch Figur 31 doch nur recht unvollkommen erläutert, denn danach
scheint nicht der Abbildungsfehler, sondern überhaupt die Linsenwirkung be-
seitigt. Tritt der Strahl A parallel zu sich selbst aus, so müfete ja die Kombina-
tion nur wie ein planparalleles Olas wirken. — Die letzten vier Kapitel be-
fassen sich mit den Methoden zur wissenschaftlichen Verwertung der Photo-
graphie, indem Bie nach einander dio Vergröfserung und Mikrophotographie,
die Stereoskopie, die Radiographie mit Röntgenstrahlen und die Photographie
in natürlichen Farben nebst den wichtigsten photographischen Reproduktions-
verfahren behandeln. —
Man könnte dem Buche mit einem gewissen Recht den Vorwurf der
Unvollständigkeit machen, da die astronomische Photographie und das Mefs-
bildverfahren ganz und gar unbeachtet geblieben sind, obzwar sie doch zu
den wichtigsten und an schönen Erfolgen überreichen, wissenschaftlichen An-
wendungen der Photographie gehören. Offenbar hat sich der Verf. indessen
nur deswegen von der Aufnahme dieser Gebiete abhalten lassen, weil er als
Mediziner in denselben nicht selbst gearbeitet hat. In der That wird der er-
wähnte Mangel durch den Umstand wohl völlig ausgeglichen, dafs in allem,
was das Buch bietet, die eigene reiche Erfahrung des Verfassers sich aus-
spricht, und dafs die Kompilation des Stoffes aus anderen Werken völlig ver-
schmäht wurde. Die Photographie ist eben heute schon ein so vielverzweigtes
Gebiet, dafs ein Mensch unmöglich alle ihre Teilgebiete beherrschen kann;
die Vielseitigkeit der photographischen Thätigkeit des Verfassers ist ohnedies
eine erstaunliche. Wie in der Auswahl des Stoffes, so prägt sich auch in der
ganzen Darstellung und in dem Urteil Uber Apparate und Methoden ein
starker Subjektivismus aus, der jedoch eine flotte jugendliche Schreibweise er-
möglichte, die jedenfalls auf den Leser viel anregender wirkt als die an sich
ja höchst schätzenswerte, aber etwas greisenhafte Objektivität zaghafterer
Naturen. Mag auch manches Urteil des Verfassers berechtigten Widerspruch
finden — so scheinen z. B. die abfälligen Bemerkungen über Seiles Verfahren
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der Photographie in natürlichen Farben etwas ungerecht — , das Buch ist
sicherlich eine höchst dankenswerte und für den Anfänger im wissenschaft-
lichen Pbotographieren sehr nutzbringende Anleitung, die ihm die gesamte
Erfahrung eines lebhaft und vielseitig thätigen Praktikers zugänglich macht.
Verzeichnis der der Redaktion xur Besprechung eingesandten Bücher.
Blaas, J., Katechismus der Potrographie (Gesteinskunde). Mit 86 in don
Text gedruckten Abbildungen. Zweite vermehrte Auflage. Leipzig,
J. J. Weber, 1898.
Bley, Fr , Botanisches Bilderbuch für Jung und Alt. Zweiter Teil, umfassend
die Flora der zweiten Jahreshälfte, '216 Pflanzen bilder in Aquarelldruck
auf 24 Tafeln. Mit erläuterndem Text von H. Bredow. Berlin, Oust.
Schmidt, 1898.
Blücher, H., Der praktische Mikroskopiker. Allgemein verständliche An-
leitung zum Gebrauch dos Mikroskops und zur Anfertigung mikrosko-
pischer Präparate nach bewährten Methoden, zugleich ein praktisches
Hilfsbuch für Pharmazeuten, Droguistcn, Gärtner, Landwirte, Floischbe-
schaucr und Naturfreunde. Mit 120 Bpobachtungon und IM Abbildungen
im Text. Leip/.ig, Lehrmittel-Anstalt, 1898.
Bölsche, W., Charles Darwin. Mit einem Bildnis (Bibliographische Volks-
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dem Faksimiletitel der Originalausgabe, 24 Abbildungen im Text und
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burgischen Zeitung im Jahre 1896. Herausgegeben von Rud. Weiden -
hagen. Mit einem Vorwort von Professor Assmann in Berlin. Band XV,
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Wellisch, 8., Das Alter der Welt. Auf mechanisch-astronomischer Grundlage.
Leipzig, A. Hartleben's Verlag.
Übersicht der Himmelserscheinungen für Dezember und Januar.
Der Sterohiinmel. Der Anblick des Himmels um Mitternacht während
der Monate Dezember und Januar ist der folgende: Um Mitte Dezember kul-
minieren die Sternbilder des Hasen, Orion, Ziege, Fuhrmann und der östliche
Teil des Stiers (Aldebaran gegen 11 » abends), im Januar das Einhorn, der
kleine Hund, Zwillinge und Luchs. Dem Untergange nähert sich um Mitter-
nacht das Sternbild des Pegasus Pegasi geht nach 2 h morgens resp. nach
Mitternacht unter), der Wassermann verschwindet zwischen i* — 10 Uhr, etwas
früher der Adler (zwischen 9 und 7 Uhr abends); in den ersten Morgenstunden
gehen Walfisch und Stier unter (zwischen 2 und 4 *> resp. 4 und 6 *» morgens).
Im Aufgange ist um Mitternacht Bootes, ihm folgt bald die Wage (3—4 *> morgens)
und Jungfrau (Spica geht um */4 3 resp. V, lh morg. auf), später noch der
Skorpion (7 •» resp. 5 h morgens). Die Zwillinge sind schon in den ersten Abend-
stunden am Osthimmel sichtbar, alsbald auch der grofse Löwe (Regulus um
8—9 h abends) und der Orion. Sirius wird um '/» 9 h resp. >/j 7 h abends,
Procyon eine Stunde früher sichtbar. Folgende Sterne kulminieren für Berlin
um die Mitternachtsstunde:
Himmelserscheinungen. !
Jii. S cH
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143
1. Dezember pEridani (3. Gr.) (AR 4* 40« D. — 3« 26')
8-
a Aurigae (1. Gr.)
5
9
+ 45
54
15. .
a Orionis (4. Gr.)
5
33
- 2
39
22. „
> - (5. Gr.)
6
2
+ 14
47
29. „
7 Geminor. (2. Gr.)
6
32
+ 16
29
1. Januar
» , (3. Gr.)
6
46
+ 34
5
8. „
/. „ (4. Gr.)
7
12
+ 16
43
15. .
P . (1. Or.)
7
39
+ 28
16
22. .
c Navis (3. Gr.)
s
3
-24
1
29. ,
8 Cancri (4. Gr.)
8
39
+ 18
32
Helle veränderliche Sterne, welche vermöge ihrer günstigen Stellung vor
und nach Mitternacht beobachtet werden können, sind:
R Aurigae (irregulär, Maximum 6.7. Gr.)
t) Geminorum (Periode 229 Tage, Maxim. 3. Gr.)
R ( . 371 „ „ 6.7. Gr.)
TMonocerotis (Maxim. 6. Gr. am 6. Dezemb. u. 2. Jan.)
R Cancri ( „ 7. Gr. „15. )
Von Nebelflecken ist besonders der grofse Nebel im Orion bei 9 Orionia aus-
gezeichnet sichtbar, aufoerdem mehrere Nebel im Einhorn und in den Zwillingen,
ferner der Sternhaufen Krippe im Krebs.
Die Planeten. Merkur ist anfänglich noch eine Zeit vor und nach Sonnen-
untergang sichtbar, erreicht am 19. Dezember sein Perihel und Bteht im Januar
vor Aufgang der Sonne wieder am Osthimmel. — Venus geht Anfang Dezember
noch kurze Zeit nach der Sonne, bald aber mit derselben unter und wird darauf
wieder am Morgen himrael sichtbar, Mitte Dezember schon 2 Stunden vor Sonnen-
aufgang, Anfang Januar um 5 h morgens. Am 5. Januar, um welche Zeit Venus
den gröfsten Glanz zeigt, steht sie nördlich von a Scorpii; der Weg, den sie
während Dezember— Januar beschreibt, zieht sich von ß Scorpii bis in den
Ophiuchus. — Mars geht nach 8 k abends auf, Anfang Januar vor 6 h abends.
Am 15. Januar ist er in Opposition mit der Sonno und erreicht um diese Zeit
seine kürzeste Entfernung von der Erde = 0,65. Er bewegt sich im nördlichen
Teile des Krebses und steht Ende Dozember fast im Parallel mit Pollux (Zwillinge),
etwa 14 Grad östlich von diesem Stern. — Jupiter wird immer zeitiger am
Morgenhimtnel sichtbar, Anfang Dezember bald nach 4& morg., Ende Januar
nach 1 h morgens. Er befindet sich östlich vom Sterne Spica (Jungfrau) und
kommt bis an die Grenze der Wage. — Saturn, nordöstlich von a Scorpii, ist
immer besser in den Frühstunden am Osthimmel zu sehen, Ende Januar schon
um 5 h morgens. In der zweiten Hälfte Januar kommen Venus und Saturn im
Ophiuchus einander ziemlich nahe, Venus geht dann etwa 4 Grad nördlich von
Saturn vorüber. — Uranus, ebonfalls am Frühhimmel, ist Anfang Januar vor
6 b, Ende Januar um 4 h morg. übor dem Horizonto. Er bewegt sich langsam
von ß Scorpii gegen Antares hin und befindet sich Ende Januar etwa 4 Vt Grad
nördlich von letzterem Venus und Saturn findet man um diese Zeit östlich,
fast im selben Parallele von Uranus. — Neptun ist die ganze Nacht sichtbar,
Ende Januar bis 5 morgens. Er steht in der Nähe von C Tauri (3.3. Gr.)
Für Berlin sichtbare Sternbedeeknngen direta den Mond.
Eintritt Austritt
7. Dezember c Leonis (5. Gröfse) 1 & 46 » morg. 2 & 33 «» morg.
18. . xAquarii (5.2. . ) 5 32 abends 6 1 abends
19. „ xPisoium (5.3. „ ) 4 2 . 5 5 „
29. . C Cancri (4.6. , ) 11 11 „ 0 27 morg.
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144
Mond.
Letztes Viert am 6. Dezemb. Aufgang 0 h 25 n» morg., Unterg. mittags
Neumond
Erstes Viert
Vollmond
Letztes Viert
Neumond
Erstes Viert.
Vollmond
13. .
20. .
28.
5. Januar
II.
18. ,
26.
11
4
I
53
26
52
vorm.,
abends,
morg.,
morg.,
abends,
1 h 15 n> morg.
8 58
11 13
85 morg.
46
■ 10 40
4 32
Erdnähen: 14. Dezb., 12. Januar; Erdfernen: 2. Dezb., 29. Dezb., 25. Januar.
Mondfinsternis am 27. Dezember, in Deutschland sichtbar.
Anfang 10 h 41 m abends. |
Mitte 0 36 morg. L Berliner Zeit Gröfse 16,6 Zoll.
Ende 2 30 J
Die beiden partiellen Sonnenfinsternisse vom 13. Dezember und 11. Jannar sind
in Europa unsichtbar.
Sternzeit f. den
Zoitgleichung
Sonnenaufg.
Sonnenunte
mitt. Berl. Mittag
f. Berlin
1. Dezemb.
16h 41 m
18.7»
— 10m
44.8»
7h
52 m
3h 48"»
8. „
17
8
54.6
- 7
51.7
8
1
3
44
15.
17
36
30.5
- 4
35.3
i?
8
3
44
22. n
18
4
6.4
- 1
7.4
8
12
3
46
29.
18
31
42.3
+ 2
20.1
8
14
3
51
I. Januar
18
43
32.0
+ 3
46.3
8
13
3
54
8. .
19
11
7.9
+ 6
55.0
8
11
4
3
15. .
19
38
43.8
+ 9
38.9
8
5
4
13
22. .
20
6
19.7
+ 11
49.2
7
57
4
25
29. .
20
33
55.6
+ 13
21.0
7
48
4
38
•
Varl»*:
Paatel in Berlin.- Druckt Wilhelm dmil ttaehdrnekerei In
Für dia Heda-etion T«rmnt wortlieh: Dr. P. Sehwfthn in Berlin
Unberechtigter Nachdruck »tu dam Inhalt dieser ZeiUehrift
Cbersetiungarecht Torbe betten.
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Die Bedeutung der Wurzel für das Leben der Pflanze.
Von Prof. L. Kiy in Berlin.
z^WJ^nn <lie pnanzen mehr als die Tiere in ihrer äufseren Er-
ji^if scheinung die Wirkung der sie umgebenden Einflüsse wieder-
spiegeln, so verdanken sie dies in erster Linie ihren Wurzeln,
welche sie dauernd an den Boden ketten. Die Tiere vermögen in-
folge ihrer Beweglichkeit sich schädlichen klimatischen Einflüssen
für Stunden oder Tage, ja in gewissen Fällen selbst für ganze Jahres-
zeiten zu entziehen; sie können sich vor den Angriffen von Feinden
in Schlupfwinkeln verbergen, können sich durch Sammeln von Vor-
räten gegen Nahrungsmangel in ungünstigen Zeiten schützen. Die
Pflanzen dagegen müssen Regen und Sonnenschein, Nahrungsfülle
und Nahrungsmangel über sich ergehen lassen. Sie müssen befähigt
sein, ihren Feinden an Ort und Stelle erfolgreich zu widerstehen,
wenn sie ihren Platz im Haushalte der Natur dauernd behaupten
wollen.
So sehen wir die Bedeutung der Wurzel weit über ihre nächste
Aufgabe hinausgehen.
Diese Aufgabe ist eine doppelte. Sie besteht auf der einen Seite
darin, die Pflanzen derart im Boden zu befestigen, dafe allen übrigen
Teilen die für ihre Lebensaufgabe notwendige Stellung dauernd ge-
sichert ist, dafs insbesondere die am Stamme und seinen Auszweigungen
befestigten Laubblätter die für den Lichtgenufs günstigste Stellung
festzuhalten vermögen. Andererseits ist die Wurzel bei fast allen
Pflanzen das ausschließliche Aufnahmeorgan für die im Wasser ge-
lösten mineralischen Nährstoffe, und diese bilden, wie bekannt, mit
der Kohlensäure der Luft fast das alleinige Rohmaterial, aus dessen
Umwandelungsprodukten der Pllanzenkörper sich aulbaut.
Himmel und Erde 1«W XI. i. 10
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146
Wenn wir hier von Wurzeln sprechen, so denken wir in erster
Linie an diejenigen der höheren Sporenpflanzen und besonders an die
der Blutenpflanzen, wo diesen beiden Aufgaben in vollstem Mafse genügt
ist. Unter den Blütenpflanzen erreichen die Wurzeln auch bei zarten,
krautartigen Gewächsen nicht selten Längendimensionen, wie sie der
Laie nicht vermuten würde. ■) Sie stellen meist schlanke, cylindrische
Gewebekörper von kompliziertem Baue dar, welche sich bald mehr,
bald weniger reioh verzweigen. Diese Verzweigung wird durch die
Vergröfserung, welche die Oberfläche und hierdurch der Reibungs-
widerstand erfährt, von grofser Bedeutung für die Verankerung der
Pflanze im Boden; als wichtigstes Moment für dieselbe tritt hierzu
aber noch die ausgesprochen zugfeste Konstruktion der erwachsenen
Wurzelteile. Wenn Stürme den oberirdischen Teil der Pflanze aus
dem Boden zu reifseu drohen, wird durch sie die normale Stellung
des Stammes gesichert.
Die jüngeren Teile der Wurzel dienen in erster Linie der
Nahrungsaufnahme. Da die Nährstoffe im Boden meist sparsam
vorhanden sind, ist es von grüfstem Werte für die Pflanze, dafs die
Wurzeln im allgemeinen rasch in die Länge wachsen und sich
meist reichlich verzweigen. Die aufnehmende Überfläche wird
hierdurch allein schon erheblich vergrößert. In den meisten Fällen
treten aber noch besondere, zarte Ausstülpungen, die bekannten
..Wurzelhaare1*, in geringer Entfernung hinter dem fortwachsenden
Scheitel zahlreich hervor und verbreiten sich zwischen den kleinsten
Teilen des Bodens (Fig. 1, D). Es ist hierdurch selbst dann eine
genügende Aufnahme von Nährstoffen gewährleistet, wenn dieselben,
wie dies meist der Fall ist, der Pflanze in sehr verdünnter Lösung
dargeboten werden.
Das erste, was bei der Keimung der Samen aus der schützenden
Hülle hervortritt, ist das Würzelchen (Fig. 2, bei 7, 9 u. 14). Schon
im reifen Samen war es im Keimlinge in Form eines kleinen, gegen
das Ende sich verjüngenden Zäpfchens ausgebildet. An der Basis
schliefst sich an dasselbe der Keimstengel an, welcher meist ein ode.
zwei, in Ausnahmefällen mehr als zwei Samenblätter (Cotyledonen
trägt Die junge Stammknospe (Plumula) ist zwischen den Samen-
blättern meist erst schwach entwickelt. Auf früheren Entwicklungs-
>) Bei der gelben Lupine (Lupiuus luteus) Bind solche von 2,32 m, bei der
Sandluzerne (Medicago sativa var. media) solche von '2X> m Länge gemessen
worden (vergl. A. Orth im Jahrb. d. deutsch. Landwirtschaftagesellsch. 7. (1S92),
S. 330.)
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147
stufen des Samens war die Anlage der Keimpflanze von einem be-
sonderen Nährgewebe umschlossen gewesen. In den meisten Fällen
bildet sich dasselbe bis zur Samenreife fort und ist dann im keim-
fähigen Samen als „Endosperm" deutlich kenntlich. Ihm fällt die
Fig. L
A. Keimpflanze des Raps (Brassica Napus). B. Dieselbe; nur sind die den
Wurzelhaaron anhaftenden Bodenpartikelchen mit dargestellt. C. Wurzeln
einer Getreidepflanze mit der Bodenhülle der jungen Teile. D. Querschnitt
einer Wurzel. Die aus der Oberhaut entspringenden Wurzelhaare sind z. T.
mit den Bodenpartikelchen verwachsen. (Nach Frank u. Tschirch.)
10'
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148
Aufgabi» zu, dem jungen Pflänzchen bei der Keimung wertvolle
Bildungsstoffe auf den Weg zu geben (Fig. 2, 9 u. 10). Nioht selten
wird dieses Nährgewebe aber schon vor der Samenreife ganz oder
bis auf unkenntliohe Reste aufgezehrt, und dann sehen wir, wie z. B.
bei der Eichel (Fig. 2, bei 6), dem Samen der Rofskastanie, der Erbse,
Fig. 2.
Keimende Samen. 1 u. '2. Kapuzinei kresse iTropalolum majus). 3 u. 4. Wasser-
nufs (Trapa natans). 5 u. G. österreichische Eiche (Quercus austriaca).
7-10. Dattelpalme (Phoenix dactylifera). 11—13. Rohrkolben (Typha Shuttle-
WOrtbÜ). 14 u. IS. Segge (Carex vulgaris). (Nach Kerner v. Marilaun.)
1 — 8 in natürlicher Gröfse, 9— 10 s fach, II— 13 40 fach, 14—15 Gffcch vergrof.se it.
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149
den Keimling unmittelbar von der Samenschale umschlossen. In
solchen Fällen liefern die diokfleischigen Samenblätter dem Keim-
pflänzchen die Baustoffe für seine erste Entfaltung, bis die Wurzel
befähigt ist, selbständig Nährstoffe aus dem Boden aufzunehmen, und
bis die grünen Laubblätter soweit gediehen sind, dafs sie dieselben
verarbeiten können.
Wenn der Landmann oder der ( tärtner seinen Samen dem Boden
anvertraut, achtet er nicht darauf, welche Lage das Würzelchen
zum Erdradius einnimmt. Er hält es für selbstverständlich, dafs die
Wurzel ihren Weg in den Boden finden und dafs der Stengel dem
Licht zustreben werde. Der wissenschaftliche Botaniker ist weniger
leicht befriedigt. Er beobachtet die scharfen Krümmungen, welche
alle Teile der Keimpflanzen beim Hervortreten aus der Samenschale
ausführen, falls der Zufall ihnen nicht von vornherein die richtige
Stellung gegeben hat, und schlierst daraus, dafs sie ein ausgesprochenes
Empfindungsvermögen für die Richtung der Schwerkraft besitzen
müssen. Dieses Empfindungsvermögen, welches auch bei erwachsenen
Pflanzen in mannigfachen Formen zum Ausdruck gelangt, wird als
„Geotropismus" bezeichnet. Wendet ein wachsendes Organ, falls
es nicht durch andere Kräfte abgelenkt wird, sich dem Erdmittel-
punkte zu, so wird es als positi v-geotropisch, wendet es sich
vom Erdmittelpunkte hinweg, so wird es als negati v-geotropisch,
wächst es in horizontaler Richtung fort, so wird es als transversal-
geotropisch oder diageotropisch bezeichnet.
Der Nachweis, dafs die Wurzel der Keimpflanze positiv-, ihr Stengel
negativ-geotropisch ist, wurde von dem englischen Pflanzenphysiologen
Knight2) in einfacher und schlagender Form geliefert Er befestigte
keimende Bohnen-Samen an der Peripherie eines um eine horizontale
Achse rotierenden Rades, welches von dem Wasser eines Baches ge-
trieben und gleichzeitig am Rande genetzt wurde. Die Wirkung der
Sohwerkraft war bei dieser Form der Versuchsanstellung aufgehoben,
da die Keimpflanzchen innerhalb kurzer Zeiträume abwechselnd die
verschiedensten Stellungen gegen die Lotlinie einnahmen. An die
Stelle der Schwerkraft trat aber bei der grofsen Zahl der Umdrehungen
(160 in der Minute) die in ihren Wirkungen ähnliche Centrifugal-
kraft. Unter ihrem Einflüsse strebten bei weiterem Wachstum alle
Keimwurzeln von der Drehungsachse hinweg, während die Keimstengel
sich ihr zuwandten. Wurden die keimenden Samen an der Peripherie
») Philo«. Tratiwictiotis ot the Royal Society of London, 1806, Part I, S. 1>9 ff.
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150
eines um eine vertikale Achse rotierenden Rades befestigt, so wurde
die Schwerkraft nunmehr nicht aufgehoben, sondern wirkte mit der
Centrifugal kraft zusammen. Alle Keimstengel waren jetzt schief nach
innen und oben, alle Keimwurzeln schief nach aufsen und unten ge-
richtet Von der gröTseren oder geringeren Geschwindigkeit der
Umdrehung hing es ab, welche der beiden richtenden Kräfte die
andere überwog.
Bei den aus älteren Stammgliedern hervortretenden Nebenwurzeln
und den durch Auszweigung aus den Keimwurzeln hervorbrechenden
Seitenwurzeln treten mannigfache Abweichungen von dem Verhalten
der Keimwurzeln sowohl in der Stärke der Beeinflussung durch die
Schwerkraft, als auch in der Wachstu msrichtung auf. Die Verhält-
nisse liegen hier sehr verwickelt und bedürfen noch weiterer Klar-
stellung.*)
Man versteht, dafs das verschiedene Verhalten der Wurzeln im
Interesse der Pflanze liegt. Strebten alle Wurzelauszweigungen dem
Erdmittelpunkte zu, so würden sie ein parallel laufendes Büschel im
Boden bilden und sich gegenseitig die Nährstoffe streitig machen.
Wenn aber, wie es thatsächlich der Fall ist, die letzten Wurzelaus-
zweigungen nur eine sehr geringe oder gar keine Empfindlichkeit
tregen die Schwerkraft besitzen, und annähernd in den Richtungen,
in welchen sie angelegt werden, fortwachsen, dann wird eine möglichst
vollständige Ausnutzung des Bodens für die Zwecke der Ernährung
erreicht.
Die Richtungsbewegungen, welche die Keimwurzeln unter dem
Einflüsse der Schwerkraft ausführen, sind echte Wachstums-
bewegungen. Sie finden nur solange statt, als die sich krümmende
Region noch in Längsstreckung begriffen ist. Ist das Längenwachstum
einer Wurzel abgeschlossen, so lassen sich vorhandene Krümmungen
durch eine Veränderung der I^age zur Lotlinie nicht mehr rückgängig
machen oder in das Gegenteil überführen. Die Wachstuinsbewegung
erfolgt mit einer gewissen Kraft; sie vermag gröfsere Widerstände zu
überwinden, als dem Gewichte des wachsenden Wurzelteiles entspricht.
Deshalb kann man eine Wurzelspitze, falls die älteren Teile straff genug
sind, um als Widerlager zu dienen, veranlassen, in Quecksilber einzu-
dringen.4) Diese Thatsache ist von grofser Bedeutung für das Leben
3) Näheres bei Czapek in dem Sitzungsber. der Wiener Akademie,
Bd. CIV. (\m), S. ll'.)7 und Jahrb. f. w. Botanik, Bd. :\2 (18!»8), S I7*>.
4) Siehe die Wiederholung der älteren Pinotschen Versuche bei Frank,
Beiträge zur Pflanzenphysiologie (I8ß8), S. '*> ff.
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151
der Pflanze. Nur den Kulturpflanzen wird ihr Keimbett durch den
Menschen künstlich aufgelockert; die wildwachsenden Pflanzen müssen
sich ihren Weg in den Boden zum grösseren Teile mühsam erzwingen.
Die Region, in welcher die Keimwurzel ihre geotropischen
Krümmungen ausführt, fällt mit der Region ihres gröfsten Längen-
wachstümer zusammen. Diese liegt nicht dicht am Scheitel, sondern
mehrere Millimeter weiter rückwärts. Es lag nun dio Vermutung
mibe, dafs diese Region dieselbe sei, in welcher auch der Reiz der
Schwerkraft empfunden werde; der Versuch hat diese Voraussetzung
aber nicht bestätigt. Charles Darwin5) zeigte, dafs, wenn man vom
Ende einer vertikal abwärts gewachsenen jungen Keimwurzel mit
einem scharfen Messer ein Stück von 1 — mm Lange abträgt, der
übrig bleibende Teil die Fähigkeit verloren hat, bei horizontaler Lage
unter dem Einflüsse der Schwerkraft Reizbewegungen auszuführen.
Diese Art der Versuchsanstellung läfst aber den Einwurf zu, dafs die
Unempfindlichkeit eine Folge des durch Verletzung begangenen Ein-
griffes in die jungen Gewebe der Wurzel s«>in könnt«*. Schlagender
ist die von Czapek«) gewählte Form der Versuchsalistellung: Er
liefs Keimwurzeln, welche durch langsames Rotieren um eine hori-
zontale Achse ihre Empfindlichkeit gegen die Schwerkraft einbüfsten,
in je ein rechtwinklig gebogenes, am Endo geschlossenes Glasröhrchen
von 1,5 — 2 mm Schenkellänge hineinwachsen, dessen Form es sich
anschmiegte. Wird die Wurzel in einem wasserdampfgesättigten Räume
derart horizontal gelegt, dafs die Wurzelspitze nach abwärts schaut,
dafs also ein krümmender Einllufs der Schwerkraft ausgeschlossen
war, so blieb weiter rückwärts im horizontalen Teile jede geotropiscbe
Krümmung aus. Wurde dagegen die Wurzel vertikal aufgestellt, wo-
bei das kurze Endstück horizontal zu liegen kam, so entstand nach
einigen Stunden eine Reizkrümmung mit der Konkavität nach der
Flanke, welche der Wurzelspitze abgekehrt war, und erreichte schliefs-
lich 90°. Hierdurch wurde die Wurzelspitze in ihre geotropische,
vertikal abwärts gerichtete Gleichgewichtslage gebracht.
Diese interessanten Versuche zeigen, dafs bei der Pflanze, ebenso
wie beim Tiere, die den Reiz aufnehmende und die auf den Reiz
durch Bewegung reagierende Region räumlich getrennt sein können.
Auch von anderen Kräften als der Schwerkraft, werden die
Wurzeln in ihrer Wachstumsrichtung beeinflufst. Das Licht, welches
r,| The power of movements in plante, ISSO, S. .*»i»:S IT.
«) Untersuchungen über Geotropismus (Jahrb. f. w. Bot., XX VII. (IS'.'j),
S. 243 ff., besonder» S. 25«— 259.)
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15-2
so wirksam in die Stellung oberirdischer Pflanzenteile eingreift, wirkt
auf die Wurzeln im allgemeinen nur in geringem Matse ein, am er-
heblichsten noch anf die Luftwurzeln vieler klimmenden Gewächse,
wie des Epheu, welohe das Licht fliehen und hierdurch die geeignete
Stellung erhalten, um ihre Muttersprosse an die Unterlage zu be-
festigen. Richtend wirken ferner die einseitige Erwärmung, die
gröfsere oder geringere Feuchtigkeit des Bodens, elektrische Ströme
und wahrscheinlich auch die gröfsere oder geringere Darbietung freien
Sauerstoffes. Von ganz besonderer Bedeutung für die Ernährung der
Pllanzen ist es, dafs die Wurzeln offenbar auch die Fähigkeit besitzen,
von gewissen für sie brauchbaren Stoffen, wenn diese ihnen im Boden
in geringer Menge einseitig dargeboten werden, angezogen zu werden
und schädliche Stoffe zu fliehen. In diesem Sinne sucht also auch
die Pflanze ihre Nahrung auf, wenn auch mit ganz anderen Mitteln
als das Tier. In nährstoffreichen Böden erfahren die Wurzein auch
eine sehr viel reichere Auszweigung als in nährstoffarmen. Sie können
ihr Substrat infolge dessen vollständiger ausnützen.
Während die Hegion des lebhaftesten Längenwachstumes, wie
wir sahen, sich mehrere Millimeter hinter der fortwaohsenden Wurzel-
spitze befindet, liegt die Kegion der lebhaftesten Zellteilungen an
der Wurzelspitze selbst. Diese ist zusammengesetzt aus einer grofsen
Zahl kleiner, sehr zartwandiger und protoplasmareicher Zellen mit je
einem grofsen Zellkern (Fig. 3). Den in rascher Folge sich wieder-
holenden Teilungen geht die Spaltung der Kerne unmittelbar vorher.
Bei der sehr raschen Zellvermehrung findet eine Änderung der Form
und Anordnung der Teilzellen nur ganz allmählich statt. Dieser Um-
stand ermöglicht es, aus der Anordnung der Zellen am Vegetations-
punkte des Wurzelscheitels einen sicheren Rückschluls auf die Art
der Teilungsfolge zu machen.
Ein so zartes Zellgewebe, wie es den Wurzelscheitel aufbaut,
bedarf ganz besonderen Schutzes. Es mufs dafür gesorgt sein, die
Wirkungen des im Boden sich mitunter sehr erheblich steigernden
Druckes unschädlich zu machen. Die Vegetationspunkte der I^aub-
sprosse. welche ja auch mancherlei Fährlichkeiten ausgesetzt sind,
schützen sich in wirksamer Weise durch die jungen, unter ihnen her-
vortretenden Blattanlagen, welche sich über der Sprolsspitze zusammen-
wölben und mit ihr die Endknospe bilden. Da den Wurzeln die
Fähigkeit abgeht, Blätter zu erzeugen, müssen sie auf andere Weise
Hat schaffen. Dies geschieht in wirksamster Weise durch die Bildung
einer „W u rzelh au beu. Wir verstehen darunter eine den Vegetations-
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153
punkt der Wurzel bedeckende, kegelförmig zugespitzte Hülle, welche
in der Verlängerung der Wurzelachse den gröfeten Durchmesser be-
sitzt und sich naoh seitwärts und rückwärts allmählich auskeilt. Ihre
jüngsten Schichten sind mit denen des Wurzelkörpers eng verbunden,
und die Zellteilungen, welche zu ihrer Fortbildung dienen, gehen mit
denen des Wurzelkörpers Hand in Haml (Fig. 3 u. 4). In dem Mafse.
wie die Gewebe der Haube an der Grenze des Wutzelkörpers sich
Fig. 3.
Medianer Längsschnitt durch die Wurzclspitzc von Seeale coreale.
C.-C. Junger Oentralcylinder, am untern Ende in ein abgerundet-kegelförmiges
Bildungsgewebe ausgehend. S.-S. Junge Endodermis. Ii. Das übrige Rinden-
gewebe. Ep. Oberhaut, üie drei letztgenannten Gewebepartion gehen am
Scheitel aus einem einschichtigen Bildungsgewebo hervor. Den unteren Teil
der Figur nimmt die Wurzelhaube ein, welche ihr eigenes Bildungsgewebe
besitzt. — ilS mal vrrgr.
erneuern, werden die ältesten Teile an der überdache abgestofsen,
indem die Zellen sich abrunden und, nachdem ihre Membranen sich
gewöhnlich verschleimt haben, im Boden sich ablösen. Die Schieim-
hülle, welche die junge Wurzelspitze umgiebt, hat gewifa ihre hohe
Bedeutung. Sie schützt einerseits die jungen zarten Gewebe vor dem
154
Austrocknen, andererseits erleichtert sie das Vorwärtsgleiten der
Wurzelspitze im Hoden.
Bei den meisten Farrnkräutern, den Sohafthalmen und einigen
nächst verwandten Gruppen der höheren Sporenpflanzen befindet sich
am Ende des Wurzelkörpers eine grofse Zelle von der Form einer
dreiseitigen Pyramide (Fig. 4, t). Ihre Basis ist der Haube zugekehrt;
ihre Spitze ragt in den Wurzelkörper hinein. Die in regelmäßiger
Folge auftretenden Teilungswände sind abwechselnd den vier Aufsen-
Fig. 4.
Medianer Längsschnitt durch dir Wurzel von l'teris cretica (nach Straabur-
jrer). t Scheitelzelle, k Wurzelhaube. Die übrigen Buchstaben beziehen
sich auf die Abgrenzung der Uewebepartien des Wurzelkörpers.
240 mal vergr.
wänden der Pyramide parallel. Es werden dadurch von der Scheiiel-
zelle flache Segtnentzellen von dreiseitiger Grundnfsform abgeschnitten.
Die basalwärts liegenden hauen durch weitere Teilungen die Haube
auf und ersetzen derselben von innen her, was sie durch Abschuppung
älterer Zellen an ihrer Oberfläche verliert. Die in drei Reihen schief
gegen das Innere der Wurzel abgeschiedenen Segmentzellen bilden
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155
i
den eigentlichen Wurzelkörper fort. Die Teilungen erfolgen in gesetz-
mäfsiger Reihenfolge; jeder ihrer Nachkommen ist im Bauplane der
Wurzel eine bestimmte Stelle angewiesen.
Nur bei einer beschränkten Anzahl der höheren Sporenpflanzen
folgt der Aufbau der Wurzel einer so einfachen Regel. Schon bei
einer ihnen nahe verwandten Familie, nämlich bei der Farrngruppe
der Marattiaceen, lassen die Gewebe sich nicht mehr von einer einzigen
Scheitelzelle, sondern von 4 gleichartigen, benachbarten Zellen ab-
leiten, welche gleichmäfsig um den Scheitel verteilt sind. Bei den
Blutenpflanzen komplizieren sich die Verhältnisse mehr und mehr.
Man hat hier eine Anzahl verschiedener Typen unterschieden, welche
im grofsen und ganzen darin übereinstimmen, dafs nicht alle Gewebe
von einer an der Grenze von Wurzelkörper und Haube liegenden
Zelle oder Zellengruppe abstammen, sondern, dafs die Gewebesysteme
der fertigen Wurzel entweder einzeln oder zu zweien aus getrennten
Bildungsgeweben am Scheitel ihren Ursprung nehmen. Es wird für
unseren Zweck- genügen, dies an einem Falle zu erläutern. Doch
ist es für das Verständnis notwendig, vorher den inneren Bau der
erwachsenen Wurzel kennen zu lernen.
Jede Wurzel lüfst in derjenigen Region, wo das Stadium der
eisten Teilungen abgeschlossen ist, eine Sonderung in 3 konzentrische
Gewebepartien erkennen.
Die äufsere Umhüllung bildet die Oberhaut oder Epidermis.
Sie ist fast bei allen Wurzeln nur aus einer Zellschicht aufgebaut.
Aus ihr entspringen als cylindrische , am Scheitel abgerundete Aus-
stülpungen die oben erwähnton Wurzelhaare7), welche die Aufgabe
haben, die Oberfläche der Wurzel zu vergröfsern und die Aufnahme
von Wasser und den im Wasser gelösten Nährstoffen zu erleichtern.
Sie entspringen meist erst in Entfernung von wenigen Millimetern vom
Wurzelscheitel, wachsen rasch zu ihrer definitiven Gröfse heran und
sterben nach kurzer Lebensdauer weiter rückwärts ab. Im Laufe ihr es
Längenwachstums schmiegen sie sich eng an kleinere und gröfsere
. «. _ _ _ _ .
7) Die Wurzelhaare können bei gewissen Pflanzen, besondere sok-heu,
welche humöaen Boden bewohnen, durch Pilzfäden ersetzt werden. Die im
Boden wuchernden Pilze, deren Stellung im System noch nicht sicher ermittelt
ist, dringen in die Oberhautzellen ein und erfüllen sie mit dichtem Geflecht.
Da Wurzclhaare sich unter solchen Umständen nicht entwickeln, sind die vom
Wurzelkörper ausstrahlenden Pilzfäden die Vermittler der Nahrungsaufnahme.
So z. B. bei der Kiefer, der Rotbuche, dem Heidekraut. Näheres bei Frank,
Lehrbuch der Botanik. I. S. 2.W ff.
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166
Bodenpartikelchen an und verwachsen zum Teil mit ihnen (Fig. 1, D).
An einer noch im Längenwachstum befindlichen Wurzelspitze, welche
man aus dem Boden hebt und vorsichtig in Wasser abspült, kann
man die Region der noch lebensfähigen Wurzelhaare annähernd an
der Länge der Umhüllung mit anhaftenden Sandkörnohen erkennen,
welche sich vom Wurzelkörper ohne Zerreifsung der Härchen nicht
entfernen lassen (Fig. 1, B und C).
Da die Aufgabe der Wurzelhaare darin besteht, die aufnehmende
Oberfläche der Wurzel zu vergröfsern, wird es nicht Wunder nehmen,
dafs sie in gewissen Fällen, wo kein Bedürfnis für die Vergrößerung
vorhanden ist, fehlen. Besonders sind es zwei Kategorien von Pflanzen,
wo sie meist nur sparsam auftreten oder ganz vermifst werden. Erstens
solche Pflanzen, welche sehr trockenen Kliinaten angepaßt sind
und deren oberirdische Organe mit besonderen Schutzvorrichtungen
gegen zu starke Verdunstung ausgerüstet sind, wie z. B. die soge-
nannte hundertjährige Aloe (Agave amerioana) und die Dattelpalme
(Phoenix dactylifera). Zweitens die meisten Wasser- und Sumpf-
pflanzen, denen unbegrenzte Mengen von Wasser zur Verfügung
stehen. Auch an den Wurzeln solcher Landpflanzen, welche, wie
Mais und Erbse, im Boden zahlreiche Wurzelhaare hervortreten lassen,
sehen wir bei Cultur in wässerigen Nährstofflösungen die Wurzelhaare
erheblich kleiner und sparsamer worden, ja z. T. ganz schwinden.
Der Oberhaut schliefst sich als zweites konzentrisches Gewebe-
system das Grundgewebe oder die Rinde an, welche aus
mehreren, nicht selten aus vielen Zellschichten aufgebaut ist (Fig. 1,
D). Wenn sie auch meist nur aus zartwandigen, wasserreichen
Zellen besteht, kann sie in gewissen Fällen einzelne Zellstränge oder
ganze Zelllagen fester ausbilden, wenn für die betreffende Pflanze ein
besonderes Bedürfnis hierfür besteht Es ist dies z. B. dort der Fall,
wo die Wurzeln sich zum Teil oberhalb des Bodens befinden und
als Stützorgane für den Stamm oder seine Auszweigungen funktionieren,
wie bei den tropischen Mangrovebüschen und den in unsern Warm-
häusern nicht selten kultivierten Pandanus- Arten. Die innerste
Schicht der Rinde, welche den Namen Endodermis führt, besitzt
immer eino eigenartige Struktur. Sie dient der Regelung des Wasser-
austausches zwischen der Rinde und dem von ihr umschlossenen
Centralcylinder.
Dieser Centralcylinder enthält die leitenden Gewebe, welche
die von den jüngeren Teilen der Wurzel aufgenommenen wässerigen
Nährstofflösungen in den Pflanzen aufwärts zu fördern und dafür die-
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157
jenigen Substanzen abwärts zu leiten haben, die, wie der Zucker, die
Stärke, die Eiweifssubstanzen, zum Fortbau der Wurzel und zur
Bildung ihrer Auszweigungen notwendig sind. Fig. 5, welche einen
Querschnitt durch den innersten Teil einer verhältnismäfsig schwachen
Fig. 5.
Centraler Teil einer Wurzel von Asparagus officinalis, im Querschnitt.
End. Endodermis. Peric. Perieambium. Sp.-G. Spiral-Gefafse, mit deren Aus-
bildung der Aufbau des Holzkörpers (Xyl.i beginnt. P.-G. Poröse Gefaise,
dem zuletzt ausgebildeten Teile des Holzkörpers angehörend. Phl. Baugruppen.
M markartige» Gewebe im inneren Teile des Centralcylinders. -->47mal vergr.
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158
Wurzel des Spargels (Asparagus officinaüs) darstellt, zeigt den nor-
malen Bau des Centralcylinders in übersichtlicher Weise. Auf die
Endoderinis (End.) folgt als einfache, zart wand ige Zellschicht das
Pericambium (Peric). In diesem entstehen die Anlagen aller
Seitenwurzeln, welohe beim Spargel nur in geringer Zahl gebildet
werden- Im Anschlüsse an das Pericambium sehen wir 13 dunklere
und hellere Oewebepartien mit einander abwechseln. Die dunklen,
welche aufsen mit sehr engen Kiementen (Sp.-G.) beginnen, denen
sich nach innen allmählich weitere (P.-G). anschliefsen, reichen bis
nahe zum mittleren Teile des Centralcylinders hinein und vereinigen
sich hier zu einem geschlossenen Ringe. Das Querschnittsbild, wie
unsere Figur es darbietet, erinnert an ein gezahntes Rad. Das be-
schriebene Gewebe stellt in seiner Gesamtheit den Holzteil (Xyl.)
des strahlig gebauten Leilbündels dar; es dient dem Transport der
von der Wurzel aufgenommenen Nährstofflösungen. Ganz besonders
sind es die im Bilde deutlich hervortretenden grofsen Gefärse (P.G>
welche ihn fördern. Die zwischen den Zähnen des Hades liegenden
hellen, zurtwandigeren Gruppen, welche dauernd getrennt von einander
verlaufen, stellen die Bast teile des Leitbündels (Phl.) dar. Ihnen ist
die Aufgabe zugeteilt, die für den Aufbau neuer Zellen geeigneten
organischen Stoffe, das sogenannte „plastische Material ', den Orten
des Verbrauchs zuzuführen.
Die Wurzel des Spargels — und es gilt dies auch für alle anderen
Pflanzen aus der grofsen Abteilung der Monocotyledonen — bewahren
Zeit ihres Lebens den inneren Bau, wie er ursprünglich angelegt wurde.
Sie sind eines nachträglichen Dickenwachstumes nicht fähig, und es
werden darum die Monocotyledoncnwurzeln da, wo ein Bedürfnis hierfür
vorhanden ist, gleich ursprünglich sehr kräftig angelegt. Bei einiger-
mafsen starken Palmenwurzoln hat man mehr als 100 Bastgruppen
und ebensoviele damit abwechselnde Fortsätze des Holzkörpers, bei
sehr dicken Stützwurzeln von Pandanus soyar bis 400 gezählt. In
anderen Fällen, wie bei Hyazinthen und Tulpen, kann freilich die Zahl
bis auf 2 herabgehen.
Die Wurzeln der anderen grofsen Hauptgruppe der bedeckt-
sämigen Blutenpflanzen, der Dicotyledonen, zeigen dagegen sehr ge-
wohnlich die Fähigkeit, sich durch Dickenwachstum fortzubilden und
zwischen die zuerst ausgebildeten Gewebe neue, sekundäre Gewebe-
messen einzuschalten. Das Beispiel der Buffbohm>, Vicia Faha, auf
welche sich unsere Figuren 6 und 7 beziehen, möge dies erläutern.
Fig. 6 zeigt den Querschnitt des < "entralcvlmders einer jungen
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159
Wurzel kurz nach der Zeit, wo seine erste Ausbildung abgeschlossen
war. Wir sehen innerhalb der einschichtigen Endodennis (Endod.),
deren radial gerichtete Wände in ihrer Mitte an einer anscheinend
knötchenartigen Verdickung kenntlich sind, ein 2- bis 3-schiohtiges
Perioambium (Peric). Innerhalb desselben zeigt der Centralcylinder
einen vierstrahligen Stern von Holzgewebe mit Gefafsen (Pr. Xyl.),
Fi»-. (5.
Centraler Teil eines jugendlichen Wurzelstückes von Vicia Faha, im Querschnitt.
Endod. Endodermis. Peric. Pericambium. Pr. Xyl. Primäres Holz. See. Xyl.
Secundäres Holz. Phl. Zartwandiger Bust. Scler. Dickwandige Zellgruppen
im äufseren Teile des Bastes. Camb. Catnbium. — KIT mal vergr.
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160
in dessen Buchten 4 grofse Bastgruppen liegen; die äufseren Zellen
derselben (Seier.) zeigen starke Verdickung ihrer Membranen; die
inneren sind sehr zart wand ig.
Am innersten Rande der Bastgruppen fällt es auf, dafs die zuletzt
entstandenen Membranen fast sämtlich im Sinne der Buohten parallel
geriohtet sind. Es hat sich hier an der Innenseite jeder der 4 Bast-
gruppen eine Fortbildungszone, ein Cambium (Camb. im mittleren Teile
der Figur) konstituiert, und diese vier ursprünglich getrennten Cambium-
streifen haben sich bereits über die vier Strahlen des Holzgewebes
hinweg zu einem geschlossenen gebuchteten Cambiumringe vereinigt
(siehe Camb. im unteren Teile der Figur). In demselben finden fort-
dauernd Zellteilungen durch Wände statt, welche den erstgebildeten
annähernd parallel sind. Infolge dessen vermehren sich fortdauernd
die Zellsohicbten in Richtung der Dicke. Im Grunde der vier Buchten
fügen sich die innersten dieser sekundär entstandenen Zellschichten
als neue Elemente dem Holzkörper (See. Xyl.), die äufsersten als neue
Elemente dem Bastkörper an. Über den 4 Strahlen des Holzkörpers
bleiben die nach innen und aufeen vom Cambium abgeschiedenen
Zellschichten meist zartwandig und erhalten den Charakter von Mark-
strahlen. Indem diese Neubildungsprozesse zuvörderst besonders aus-
giebig in den vier Buchten des Holzkörpers erfolgen, werden diese
sehr bald durch aufgelagortes sekundäres Holz ausgefüllt. Nachdem
dies geschehen ist, schroitet das Dickenwachstum nach allen Seiten
annähernd gleiohmälsig fort. In Fig. 7, welche einen Querschnitt
derselben Wurzel, wie Fig. 6, nur aus einem älteren Teile und bei
etwas schwächerer Vergrößerung darstellt, ist der ursprüngliche
4-strahlige Holzstern (Pr. Xyl.) noch sehr deutlich zu erkennen.
Auch weiterhin nimmt das Dickenwachstum der Dicotyledonen-
wurzel in gleicher Weise seinen Fortgang. Stamm und Wurzel zeigen
fortan in ihrem Bau keine erheblichen Unterschiede mehr.
Diese wenigen Andeutungen mögen genügen, von dem Bau der
normalen Wurzeln der Blütenpflanzen eine Vorstellung zu geben.
Abweichungen von dem beschriebenen Schema kommen zwar vor,
sind aber nicht sehr häufig und im ganzen nicht sehr erheblich. Die
Beständigkeit im Bau der Wurzeln sticht von der grofsen Mannig-
faltigkeit der Bau-Typen bei den Stämmen und Blättern in sehr be-
merkenswerter Weise ab. Es hängt dies ohne Zweifel damit zusammen,
dafs die Lebensverhältnisse der Wurzeln im grofsen und ganzen ein-
förmiger sind, dafs also für erhebliche Abänderungen ihres inneren
Baues der äufsere Anstofs fehlt.
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161
Nachdem wir im vorstehenden einen Überblick über den inneren
Bau der Wurzeln bei den Blütenpflanzen gewonnen haben, wird es
nicht schwer sein, die Art ihres Längenwachstums dem Verständnisse
Fig. 7.
Centraler Teil derselben Wurzel von Vicia Faba, welche in Fig. f> dargestellt
ist, aber von einem etwas älteren Teile, im Querschnitt. Bezeichnungen der
einzelnen Gewebe wie in Fig. 6. — 125 mal vergr.
näher zu bringen. Es wurde oben gesagt, dafs der Ursprung aller
Gewebe sich hier nicht auf eine grofse am Scheitel liegende Zelle,
wie bei den meisten Furrnkräutern (Fig. 4), oder auf eine aus wenigen
Zellen bestehende Gruppe zurückführen lasse, sondern dafs die scharf
Himmel und Krdn. 18«9. XI. 4. ||
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162
unterschiedenen Gewebesysteme der fertigen Wurzel ihre gesonderten
Bildungsgewebe am Scheitel besitzen. Unter den Wachstumstypen,
welche unterschieden worden sind, wähle ich denjenigen der Gräser
und mehrerer verwandter Gruppen aus. Fig. 3 stellt einen genau
durch die Längsachse geführten Schnitt der Roggenwurzel dar. In
mittlerer Höhe sieht man eine etwas dunklere Linie in flachem Bogen
quer durch die Figur hindurchgehen. Alles, was unterhalb und außer-
halb dieser Linie liegt, gehört der Wurzelhaube, was über ihr liegt,
dem Wurzelkörper an. Das Fortbildungsgewebe der Haube stellen
die kleinen Zellen dar, welche unmittelbar an den mittleren Teil des
Wurzelkörpers nach unten hin grenzen. Durch Querteilungen scheiden
sie fortdauernd neue Zellen nach unten hin ab und bewirken dadurch
eine Verlängerung der Haube; durch gelegentliche Längsteilungen
vermehren sie ihre Zahl in Richtung der Breite und folgen damit dem
Breitenwaohstum des jungen Wurzelkörpers. Infolge dieser Teilungen
zeigt sich die Haube aus Zellreihen zusammengesetzt, welche von
unten nach oben sich an mehreren Stellen in je zwei Zellreihen spalten.
Was an der Aufsenfläche der Haube durch Verschleimung und Ab-
lösung der ältesten Zellen verloren geht, wird auf solche Weise von
innen her durch die Fortbildungsschicht ersetzt. Die Fortbildung der
Wurzelhaube erfolgt also, wie man sieht, bei der Roggenpflanze ganz
selbständig.
Für den eigentlichen Wurzelkorpor giebt es zwei gesonderte
Fortbildungszonen. Die unterste, welche sich der Fortbildungszone
der Haube unmittelbar anfügt, besteht am Scheitel aus einer einfachen
Zellschicht. In unserer Figur ist sie durch zwei genau in der Achse
liegende Zellen bezeichnet. Diese Zellen geben durch wiederholte
Längsteilungen neue Zellen nach aufsen hin ab, welche in ziemlich
gesetzmäfsiger Folge durch zur Oberfläche parallele Teilungen, die
mit zu ihnen senkrechten abwechseln, der Oberhaut (Ep.) und der
Rinde (R.) einschliefst ich der Endodermis (S.-S.) den Ursprung geben.
Der junge Centraloylinder (C.-C.) welcher sich in unserer Figur nach
unten kegelförmig abrundet, wird durch die hier befindlichen kleinen
Zellen selbständig fortgebildet.
Eingangs ist gelegentlich der mechanischen Aufgaben gedacht
worden, welche den normalen Wurzeln im Leben der Pflanze zufallen.
Dieselben bestehen darin, dafs sie die Pflanze im Boden zu befestigen
und ihren oberirdischen Teilen dauernd die für ihre Entwickelung
und ihre Lebensthätigkeit günstigste Stellung zu sichern haben.
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163
Während diese oberirdischen Teile, um die meist nioht geringe Last
der Belaubung tragen und der Gewalt der Stürme trotzen zu können,
biegungsfest gebaut sein müssen, ist für die Wurzeln Zugfestigkeit
erstes Erfordernis. Diese wird am vollkommensten daduroh erreicht,
dafs die widerstandsfähigsten Gewebe, in unserem Falle der Holz-
körper, in den axialen Teil verlegt werden. Dementsprechend sahen
wir den Holzstern entweder ganz oder bis nahe zur Mitte des Quer-
schnittes reichen und die zarteren Bastgewebe, welche des Schutzes
bedürfen, sioh zwischen dessen Strahlen einfügen.
In vielen Fällen sind die Wurzeln aber nicht nur passiv, sondern
auoh aktiv mechanisch thätig. Seit langer Zeit ist bekannt, dafs die
Endknospen krautartiger Pflanzen, welche die ersten Stufen der
Keimung an der Oberfläche des Bodens durchmachten, später mehr
oder weniger tief in denselben versenkt sind. Besonders auffallend
ist diese Erscheinung bei den monokotylen Zwiebel- und Knollen-
gewächsen, wie bei den Lilien, Schwertlilien und Aroideen. Bei
manchen, wie bei unseror gefleckten Zehrwurz (Arum maculatum),
liegt die erwachsene, in jedem Frühjahr neu austreibende Knolle in
etwa 10 cm Tiefe. Für jede der betreffenden Arten bleibt die in er-
wachsenem Zustande erreichte Tiefenlage innerhalb enger Grenzen
eine konstante. Dieser Erfolg kann entweder, wie bei der Herbstzeit-
lose {Colchicum autumnale), daduroh erreicht werden, dafs die End-
knospe der Keimpflanze nach abwärts wächst, bis sie naoh einer Reihe
von Jahren ihre Gleichgewichtslage in entsprechender Tiefe gefunden
hat; oder es behält die Knospe ihre aufstrebende Wachstumsriohtung
bei, wird aber durch die Verkürzung von Wurzeln, welche die Verlänge-
rung des Sprosses überwiegt, in die Tiefe gezogen. Diese letztere
Erscheinung ist im Gebiete der Blütenpflanzen viel verbreiteter, als
man früher glaubte. Entweder ist es die Ilauptwurzel , welohe sioh
mehrere Jahre hindurch dauernd verkürzt, wie bei dem als Unkraut
verbreiteten Löwenzahn (Taraxacum offlcinale), oder es sind Neben-
wurzeln von beschränkterer Lebensdauer, welohe in jeder Vegetations-
periode neu erzeugt werden (Gladiolus, Narcissus). Entweder sind es
alle oder nur eine oder wenige bestimmte, durch ihren gröfseren
Querdurchmesser gekennzeichnete Wurzeln, welche diese nicht uner-
hebliche mechanische Leistung vollführen. Meist ist die Verkürzung
auf einen basalen Teil von gröfserer oder geringerer Ausdehnung be-
schränkt, dessen Rinde, wenn die Verkürzung erheblich ist — sie be-
trägt im Maximum bis 70 pCt. — , deutlioh Falten wirft Nur die
inneren, sehr saftreichen Gewebe der Rinde sind bei der Zusauimen-
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164
Ziehung aktiv thätig; die Aufsenrinde und der Centralcylinder mit
seinem Leitbündelgewebe werden passiv in der Längsrichtung zu-
sammengedrückt.
Auch die Knospen oberirdischer Ausläufer, wie derjenigen der
Erdbeeren und mehrerer Brombeer-Arten. werden durch Verkürzung
ihrer Wurzeln, wenn diese im Boden erst Fufs gefafst haben, nach
abwärts gezogen. Der Vorteil, welcher ihnen daraus erwächst, besteht
wohl zweifellos darin, dafö der Boden ihnen Schutz gegen raschen
Wechsel von Temperatur und Feuchtigkeit und vielleicht auch gegen
Nachstellungen von Feinden bietet.8)
Die Darstellung, welche wir von Bau und Leben der Wurzeln
zu geben versuchen, würde gar zu unvollständig sein, wenn wir nicht
noch der weitgehenden Umwandlungen gedächten, welche die Wurzeln
in Zusammenhang mit eigenartigen Lebensverhältnissen der betreffenden
Pflanzen erfahren können. Der normalen Funktion der Wurzel können
hierbei eine oder mehrere neue, ihr fremdartige hinzugefügt, oder sie
kann von einer anderen vollständig ersetzt werden. Es zeigt sich
hierbei in höchst anschaulicher Weise, wie sehr der pflanzliche Or-
ganismus die Fähigkeit besitzt, sich veränderten Lebensbedingungen
anzupassen.
Dafs bei Pflanzen, welche auf fester Unterlage emporklimmen,
wie beim Kpheu, die Fähigkeit der Wurzeln, Nährstoffe aufzunehmen,
hinter die Aufgabe, die Sprosse an der Unterlage zu befestigen, zurück-
tritt, wurde schon oben gelegentlich erwähnt. Es kann aber die Fähig-
keit der Nahrungsaufnahme vollständig verloren gehen, so dafs die
Wurzeln nur noch Haftorgane sind. Sie verhalten sich dann physio-
logisch den Hankon gleich, zu denen sich beim Weinstock gewisse
Staramsprosse, bei der Erbse die oberen Teile der Blätter umwandeln.
Solche zu Ranken motamorphosierte Wurzeln treffen wir in besonders
charakteristischer Ausbildung bei zahlreichen Epiphyten, d. h. bei
Pflanzen, welche auf anderen Pflanzen leben, ohne als Schmarotzer
von diesen ernährt zu werden. Zahlreiche Beispiele liefert die Familie
der Bromeliaceen, in der es aber auch Bodenbewohner giebt, wie die
Ananas. Die meisten ihrer Verwandten nisten in den Kronen tropischer
Bäume, wo sie auf dem Geäst keimen, blühen und Früchte tragen.
»I Näheres bei A. Himbach, die contractilen Wurzeln und ihre Thätig»
keit (Heitr. z. wissenseh. Botanik, herausgegeben von Fünfstiick. II., I , ( 1897),
S. I ff. Für die Knospen der Ausläufer vergl. auch Kerner von Marilaun,
Pflanzenloben, 2. Aufl., I. (189fi), 8. TM) ff.
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165
Ihre Wurzeln, welche nach Art von Ranken für Berührung reizbar
sind, schmiegen sioh dem tragenden Ast so eng an, dafs eine Ab-
trennung ohne Verletzung meist nicht möglich ist. Das für die Ent-
wickelung notwendige Wasser und die in ihm gelösten Nährstoffe
nehmen diese Pflanzen am Grunde ihrer Blätter auf, welohe eng- zu
einem Trichter zusammensohliefsen. In ihm werden Regenwasser nebst
vielen organisohen Resten, insbesondere Leichen kleiner Tiere auf-
gesammelt»
Abweiohend hiervon ist die Lebensweise der Clusia rosea,
welohe sich ebenfalls in den Kronen tropischer Bäume ansiedelt Sie
besitzt zweierlei Wurzeln, solche, welche, denen der epiphy tischen
Bromeliaceen ähnlich, die überpflanze auf ihrem Tragaste befestigen
und diesen fest umklammern, und andere von gröfserem Durchmesser,
welche, meist ohne Verzweigung, rasch nach abwärts wachsen und in
verhältnismäfsig kurzer Zeit den Boden erreichen. Diese wie Taue
aus den Baumwipfeln herabhängenden Nährwurzeln, welohe sioh in
der Erde reioh verzweigen, versorgen die Pflanze mit Wasser und
Nährstoffen. Die beiderlei leitenden Gewebestränge, Holz und Bast,
sind deshalb ausgiebig in ihnen entwickelt, während in den der Be-
festigung dienenden Wurzeln, ganz ebenso wie bei denen der
epiphy tischen Bromeliaceen, die mechanischen Gewebe das Über-
gewicht haben.10)
Dafs die Wurzeln gewisser Pflanzen, nachdem sie vorher Nähr-
stoffe aus dem Boden aufgenommen haben, Baustoffe für Neubildungen
nebst Wasser in gröfserer Menge in ihren Geweben speiohern, um
dieselben im nächsten Frühjahr für das Austreiben junger Sprosse zur
Verfügung zu haben, ist allbekannt. Solche Wurzeln nennt man, je
nachdem ihr oberer oder ein mittlerer Teil am stärksten verdickt
ist, Hüben oder Knollen. Die Zuckerrübe z. B. verwendet den
Rohrzucker, welchen ihre Gewebe in reichem Mafse enthalten, im
nächsten Jahre zur Ausbildung des Blüten- und Fruchtstandes. Nur
ausnahmsweise kommt letzterer schon im ersten Jahre zur Ent-
wickelung.
Während bei der Zuckerrübe, der Möhre, der Georgine (Dahlia
variabilis) die Funktionen der Nährstoffaufnahme und der Speicherung
plastischen Materials in derselben Wurzel vereinigt sind, verteilen sich bei
anderen Pflanzen, wie bei vielen Erd-Orchideen und bei dem Sohar-
9) Näheres bei C. K. W. Schimper, die epiphytiscbc Vegetation Amerika*
(Botanische Mitteilungen aus den Tropen), 2. (1888), S. 66 ff.
,0) Näheree bei C. K. W. So Ii im per. I. c, S. 56 ff.
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16G
bock (Ficaria ranunouloidos) beide Funktionen mehr oder weniger
vollständig auf zweierlei Wurzeln. Bei der letztgenannten, als weit-
verbreitetes Unkraut bekannten Pflanze entwickeln sich mit einer
Wurzelknolle versehene Knospen auch oberirdisch in den Achseln der
unteren Laubblätter. Nach dem Abwelken der Pflanze gelangen sie
in den Boden und tragen zur reiohlichen Vermehrung des Un-
krautes bei.
Viel seltener ist die Umwandlung von Wurzeln in Sohutz-
organe für ihren Pflanzenstock. Sie spitzen sich dann nach kurzem
Längenwachstum am Ende zu und erhalten durch Verdickung und Ver-
holzung ihrer Zellmembranen eine sehr feste Konsistenz. Wir können
sie mit demselben Rechte als Dornen bezeichnen wie die zu stechen-
den Gebilden umgewandelten Sprorsspitzen des Weifsdornes (Crataegus
Oxyacantha) und der Christusakazie (Gleditschia triacanthos), die drei-
zackigen Blätter der Berberitze (Berberis vulgaris) und die zu zweien
am Blattgrunde angefügten Nebenblätter der falschen Akazie (Kobinia
Pseudacacia). Besonders schön sind solche verdornte Wurzeln bei einigen
Palmen, wie bei der im tropischen Amerika heimischen, in unseren
Gewächshäusern kultivierten Acanthorrhiza aculeata entwickelt Ober-
halb der normalen, in den Boden eindringenden Wurzeln befindet sich
ein mehrfacher Kranz anderer, welche sich im Bogen aufwärts wenden
und samt ihren Auszweigungen mit stilettförmiger Spitze dem Be-
schauer entgegenstarren.
Eine Umwandlung von Wurzeln in Schwimmblasen findet man
bei einer Anzahl sumpfbewohnender Jussiaea-Arten. Jussiaea repens,
eine in allen wärmeren Ländern der Erde verbreitete Pflanze, ent-
sendet aus dem am Hoden hinkriechenden krautigen Stengel zweierlei
Wurzeln, erstens Nährwurzeln, welche in den Schlamm eindringen und
sich reichlich verzweigen, und zweitens Schwimmwurzeln von meist
2 cm Länge, welche an den Blattknoten zu mehreren entspringen und
sich gegen die Oberfläche des Wassers wenden. Ihr Gewebe ist sehr
lufthaltig und vermag deshalb die Pflanze flottierend zu erhalten.
Wurzelauszweigungen, welche als Durchlüftungsorgane
funktionieren, findet man in charakteristischer Ausbildung bei einer
Anzahl der die sumpfigen Meeresküsten der Tropen bewohnen-
den Mangrovepflanzen. Avicennia officinalis, A. tomentosa, Sonne-
ratia acida u. a. m. erzeugen sehr lange, kabelartige Wurzeln,
welche in geringer Tieft- im Schlamme fortwachsen und zahlreiche
spargelartige, in die Luft ragende Auszweigungen nach aufwärts ent-
senden. Ihr äufseres Gewebe ist reichlich von Lufträumen durchsetzt,
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167
welche mit der Atmosphäre kommunizieren. Hierdurch wird eine ge-
nügende Versorgung der vom Schlamm bedeckten Pflanzenteile mit
freiem Sauerstoff ermöglicht. Demselben Zwecke dienen die durch
scharfe knieartige Biegung veranlagten Hervorragungen der Wurzeln
der Bruguiera-Arten sowie der Lumnitzera cocoinea und die über den
Schlamm sich mit fast messerartig scharfer Kanto erhobenden flachen
Wurzeln von Carapa obovata. »') Auch die bekannten Hervorragungen
an den Wurzeln der in unseren Parks nicht selten angepflanzten nord-
amerikanischen Sumpfoypresso (Taxodium distichum) haben dieselbe
Funktion.
Höchst auffällig ist das Verhalten mehrerer in den Tropen epi-
phytisch auf Bäumen wachsenden Orchideen, wie das von Angraecura
globulosum 12) und Taeniophyllum Zollingori. ,3) Der Stamm ist hier
zum Blütenstiele, die Blätter sind zu kleinen, trockenen Schüppchen
reduziert. Für beide treten die Wurzeln als Träger des Chlorophylls
ein. Sie sind verhältnismäßig massig entwickelt, deutlich grün ge-
färbt, bei Taeniophyllum Zollingeri an der dem Lichte zugekehrten
Seite abgeflacht An Stelle der fehlenden Laubblätter versorgen sie
die Pflanze mit plastischem Baumaterial.
Im wesentlichen dieselbe Erscheinung finden wir bei einer in
Tracht und Lebensweise von den Orchideen weit abweichenden Familie,
den Podostemaceen wieder. Diese leben in den Tropen am Grunde
rasch strömender Gewässer auf Felsen oder Holz und schmiegen sich
ihrer Unterlage eng an. Auf den ersten Blick scheinen sie mehr
Wassermoosen als Blutenpflanzen zu gleichen. Von dem extremsten
Falle, wo die flachen Wurzeln fast die alleinigen Träger des Chloro-
phyllfarbstoffes sind, giebt es alle Übergänge zu den Formen mit
grünen beblätterten Sprossen.14)
Die mannigfachsten und durchgreifendsten Umgestaltungen erfährt
die Wurzel bei den Schmarotzergewächsen, welche ihre Nahrung
ganz oder zum Teil anderen Organismen entnehmen müssen. Auch
hier giebt es alle nur denkbaren Abstufungen. Bei zwei natürlichen
Gruppen, den Santalaceen, zu denen der ostindische Sandelbaum ge-
n) Näheros bei A. F. W. Schimpor, Die indomalayisehe Strandflora (bo-
tanische Mittheilungen aus de» Tropen, 3. (18:H), S. M ff.). Hier sind auch
frühere Untersuchungen erwähnt.
J1) Pfitzor, Qrundzügo einer vergleichenden Morphologie der Orchideen
(1882), S. '20.
•3) üöbel, PUanzenbiologische Schilderungen, I. (1S89|, S. 103.
u) Vergl. Warnung in Englor-Prantl's Natürlichen Pflanzenfainilion
III.. 2a. <l«M>. S. 1 ff.
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hört, und den Scrophulariaceen, welohe durch zahlreiche Wald- und
Wiesenbewohner in unserer deutschen Flora vertreten sind, zeigt die
parasitische Lebensweise ihre schwächste Ausbildung. Die zu ihnen
gehörigen Pflanzen besitzen normale Wurzeln, mit denen sie den
gröfsten Teil ihrer Bedürfnisse aus dem Boden decken. Aus ihnen
entspringen seitlich unscheinbare Saugfortsätze, welche in benachbarte
Wurzeln anderer Pflanzen hineinwachsen. Ohne diesen Zuwachs an
Nährstoffen scheinen sie es über die ersten Keimungsstadien nioht
hinausbringen zu können.
Die allbekannte Mistel (Viscura album), welche auf zahlreichen
Laub- und Nadelhölzern jene fremdartigen, rundlichen Büsche mit den
weifsen Beeren bildet, ist dem Boden entrückt und deshalb ganz auf
den von ihr befallenen Baum angewiesen; doch bildet sie in dessen
Gewebe wenigstens noch deutlich erkennbare Wurzeln, welche im
Innern der befallenen Zweige zwischen Holz und Rinde hinwaohsen
und eine Wurzelhaube tragen. Von ihnen entspringen besondere Auf-
nahraeorgane (Senker), welche in den Holzkörper eindringen. Die
grüne Farbe der Mistel zeigt, dafs sie in der Hauptsache Lösungen
roher Nährstoffe aus der Wirtspflanze schöpft und dieselben selbst-
thäüg zu organischen Verbindungen verarbeitet.
Der bei unseren Landwirten übel boleumundeten Flaohsseide
(Cuscuta Epilinum) geht diese Fähigkeit ab. Sie windet ihre zarten,
drahtartigen Stengel, welohe sehr bald durch Absterben des unteren
Teiles die Verbindung mit dem Boden verlieren, an der Flacbspflanze
empor. Die Stelle der Wurzeln nehmen hier Saugfortsätze ein, welohe
durch den Reiz der Berührung an der der Nährpflanze zugekehrten
Seite erzeugt werden. Sie dringen in diese ein und lösen ihre Zell-
reihen am Ende in ein pinselartig ausstrahlendes Aufnahmegewebe
auf. Dieser Schmarotzer ist von seiner Nährpflanze viel abhängiger
als die Mistel; er entnimmt ihr vorwiegend plastische Baustoffe. Deshalb
zeigt er in allen Teilen eine bleiche Färbung, und die Blätter, welche
bei normalen Pflanzen ja die wichtigsten Träger des grünen Farb-
stoffes sind, haben bei der Flaohsseide die Form sehr kleiner, un-
scheinbarer Schüppchen angenommen.
Eine überaus grofse Mannigfaltigkeit und zum Teil nooh weiter-
gehendeRüokbildung zeigen dieAufnahmeorgane der meist in den Tropen
vertretenen Familien der Balanophoreen, Cytineen, Rafflesiaoeen. Dooh
müssen wir uns mit Rücksicht auf den uns zur Verfügung stehenden
Raum versagen, auf diese höchst interessanten Verhältnisse näher
einzugehen. Nur die bei uub einheimische Gruppe der Orobanchen»
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zu welcher unter anderen der Hanftod (Orobanohe ramosa) gehört,
mag als extremstes Beispiel noch Erwähnung finden. Hier ist die
Verschmelzung des Schmarotzers mit der Nährpflanze eine so innige,
dafs alle korrespondierenden Gewebesysteme beider unmittelbar in
einander übergehen. Es ist hier nichts vorhanden, was im geringsten
an ein differenziertes Aufnahmeorgan erinnerte. Das anatomische und
physiologisohe Verhältnis des bleichen Schmarotzers zu seiner Nähr-
pflanze ist dasselbe, wie das des Blütenstandes einer beliebigen Pflanze
zu dem ihn tragenden Laubsprosse.
Auch bei nicht parasitisch lebenden, grünen Pflanzen kommt es
vor, dafs die Wurzel ganz verloren geht; hier mufs sie dann aber
von anderen Teilen des Pflanzenkörpers vertreten werden. Es ist dies
das Gegenstück zu jenen oben erwähnten Fällen (einige Orohideen
und Podostemaceen), wo die Wurzel für die fehlenden Ijaubblätter
Ersatz leistet.
Die meisten Pflanzen, welche ganz unterhalb des Wasserspiegels
leben, scheinen die Fähigkeit zu besitzen, durch alle jüngeren Teile
Wasser und Nährstoffe aufzunehmen. Die Wurzel wird hierdurch zum
Teil oder ganz entbehrlich. So sehen wir denn bei einzelnen Arten
submerser Wasserpflanzen, wie bei der bekannten Wasserpest (Elodea
canadensis), Wurzeln aus dem Stamm in so geringer Zahl und Aus-
dehnung hervortreten, dafs sie zu den übrigen Teilen in keinem rechten
Verhältnisse stehen. Bei anderen schwinden sie vollständig. Bei
den in unserer Flora heimischen Arten des Igellocks (Ceratophyllum)
kann man Exemplare mit mehr als fufslangem Stengel aus dem Schlamme
ziehen, ohne eine Andeutung von Wurzelbildung zu entdecken. Und
doch war im Keimling des Samens eine Hauptwurzel angelegt. Wurzel-
los ist ferner unter anderen Wasserpflanzen die kleinste aller deutschen
Blutenpflanzen, eine Wasserlinse (Wolffia arrhiza), welche in Form
grüner Körnchen von der Gröfse eines kleinen Samens mitunter weite
Strecken stehender Gewässer bpdeckt Überraschenderweise giebt
es aber auch unter den nicht schmarotzenden Land pflanzen wurzellose
Arten. So werden bei zwei deutschen, den Humus von Wäldern
bewohnenden Orchideen (Corallorrhiza innata und Epipogium Gmelini)
die fehlenden Wurzeln durch unterirdische, mit Wurzelhaaren bedeckte
Sprosse ersetzt. Ganz eigenartig verhält sich die Tillandsia usneoides,
eine im tropischen und subtropischen Amerika weit verbreitete, kleine
Bromeliacee. Die langen, dünnen, mit unscheinbaren Blattrosetten
besetzten Stengel hängen wie Bartflechten von den Baumkronen herab,
ohne festgewachsen zu sein. Der Wind reifst sie ab und trägt sie
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oft auf weite Strecken fort, bis sie sich wieder um einen auf ihrem
Wege befindlichen Ast wickeln oder an einer anderen beliebigen
Unterlage hängen bleiben. Die Versorgung mit Wasser und Nähr-
stoffen erfolgt an den Blättern durch sehr eigenartig und zweckmäßig
gebaute Drüsenhaare.
Aus dem vorstehenden ergiebt sich, wie geschmeidig der Bau-
plan der Pflanzen ist, wenn es gilt, den Organismus unter veränderten
Lebensbedingungen entwickelungs- und fortpfianzuntrsfähig zu erhalten.
Der Aufbau der Blüten pflanzen aus Wurzel, Stamm und Blatt und die
Verteilung der Functionen, wie wir dieselben bei der Mehrzahl der
Landpfianzen finden, sind Kein starres Schema, welches unabänderliche
Geltung hat Für den Fortbestand einer Art ist es vor allem von
Wichtigkeit, dafs die ihr obliegenden I^ebensaufgaben in vollständiger
und zweckmäßiger Weise ausgeführt werden. Ob die Organe diejenigen
Functionen, welche uns nach Vergleichung verwandter Formen als die
naturgemäßen gölten, festhält, oder ob ein anderes Organ für sie ein-
tritt, ist dabei von mehr nebensächlicher Bedeutung.
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Die Spektralanalyse.
Von Dr. P. Koerber iu Steglitz.
(Sehl ufs.)
Die Fixsterne und Nebelflecke.
ür die direkte Beobachtung mittelst des Spektroskops sind unter
den Fixsternen nur die helleren Größenklassen zugänglich, da
ja das Licht eines Sternpünktchens14» durch die Auseinander-
zerrung zu einem Spektrum notwendig bedeutend abgeschwächt werden
mufs, sodafs bei schwächeren, teleskopischen Sternen die Intensität
des Spektrums unter die Schwelle der Wahrnehmbarkeit herabsinkt
Dazu kommt noch der weitere Umstand, dafs wir das an sich punkt-
förmige Sternbildchen mit Hilfe einer Cylinderlinse zu einer Linie
verzerren müssen, um dem Spektrum eine gewisse Breite zu verleihen.
Unser Auge würde nämlich in einem linearen Spektrum, wie es ohne
Cylinderlinse durch die blofse Prismenwirkung aus dem punktförmigen
Sterne entstehen müfste, die feinen Unterbrechungen der kontinuier-
lichen Farben folge nicht wahrzunehmen vermögen ; sobald das Spek-
tralband aber eine gewisso Breite besitzt, treten die Unterbrechungen
als dunkle Linien deutlich hervor. Selbstverständlich bedingt aber
diese Verbreiterung eine nochmalige Verringerung der Helligkeit, so-
dafs auch bei Anwendung mächtiger Fernrohre die visuelle Beob-
achtung der Fixsternspektra auf die helleren Objekte beschränkt bleibt.
Allerdings kann man unter Verzichtleistung auf feinere Details bei
Anwendung sehr schwach zerstreuender Spektroskope einen Schritt
weiter gehen. Für die Betrachtung schwächerer Sterne, wie etwa
des Veränderlichen Mira Ceti, eignen sich daher am besten kleine,
'*) Bekanntlich erscheinen die Fixsterne ihrer unerraefslichen Entfernung
wegen auch im gröfeten Fernrohr nur wie hellleuchtende Punkte, während die
Planeten zu deutlichen Scheiben versfrüteert werden.
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geradsichtige15) Okularspektroskope. die nach Einstellung des be-
treffenden Sterns einfach vor das Fernrohrokular aufgeschraubt werden.
Handelt es sich aber um die genauere Erforschung der Spektra
schwächerer Sterne, so ist die photographische Fixierung derselben
der direkten Betrachtung weit überlegen Denn auch ein dem Auge
nicht mehr deutlich wahrnehmbares Spektrum kann bei hinlänglich
langer Expositionszeit photographisch noch wirken, zumal die Cylinder-
lin8e jetzt entbehrt werden kann, indem die Verbreiterung des photo-
graphierten Spektrums durch eine allmähliche Verstellung des Fern-
rohrs ebensogut erreicht wird. Aufserdem kann, und das trifft auch
bei helleren Sternen zu, in vielen Fällen die Unruhe unserer Luft ein
solches Flimmern im Spektrum erzeugen, dafs das menschliche Auge
zu einer sicheren Auffassung feinerer Linien nicht leicht gelangt.
Die photographische Platte fixiert dagegen nur die Summe des während
einer längeren Zeit gewirkt habenden Lichtes. Vorübergehende
Schwankungen des Spoktrums können daher wohl eine gewisse Ver-
waschenheit in dotn Aussehen der Fraunhofer sehen Linien ver-
schulden, werden aber die Linien selbst nicht verschwinden lassen,
denn an dem Orte einer dunklen Linie mufs trotz aller Unruhe des
Bildes während eines längeren Zeitraums doch immer die geringste
Lichtsumme zur Wirkung gelangt sein.
Die bedeutungsvollsten Ergebnisse in Bezug auf die Fixstern-
spektra verdanken wir daher den sogenannten Spektrographen, d. h.
Spektralapparaten, die speziell für photographische Aufnahmen ein-
gerichtet sind. Um auf einer Platte zugleich die Spektra mehrerer
Sterne aufnehmen und auf diese Weise interessante Objekte aus dem
grofsen Heere der Fixsterne herausfinden zu können, hat Pickering
,s) Der Umstand, dafs man bei den gewöhnlichen Spektroskopen wegen
der Ablenkung der Lichtstrahlen im Prisma in einer ganz anderen Richtung
in das Instrument blicken innfs, als dem wirklichen Ort des Objekts entspricht
(vgl. die Abbildung des Lirkspektroskops Fig. 17), erweist gich natürlich bei der
Beobachtung vielfach als störend, namentlich, wenn es gilt ohne Abschrauben des
Spektroskops von einem Objekt auf ein anderes überzugehen. Amici hat dalier
eine Konstruktion erdacht, bei welcher vermittelst mehrerer entgegengesetzt
brechender Prismen ans verschiedenen Oiassorten erreicht wird, dafs für die
mittleren Strahlen des Spektrums die Ablenkung gerade aufgehoben wird,
ohne dafs dies gleichzeitig für die Zerstreuung des Lichtes der Fall ist. Die
Möglichkeit dieser Anordnung eines „geradsichligen- Prismcnsystoms ist da-
durch gegeben, dafs verschiedene Oiassorten in sehr verschiedenem Orado das
Licht zerstreuen, sodafs z. B. ein Crownjrlasprisma. das die durch ein Flint-
glasprisma hervorgebrachte Ablenkung bei entgegengesetzter Stellung gerade
aufhebt, die Dispersion des ersteren aber noch nicht gänzlich zu kompen-
sieren vermag.
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statt an der Stelle des Okulare bereits vor dem Objektiv seines Fern-
rohrs ein grofses Prisma montiert. Die sämtlichen, im Gesichtsfeld
des Fernrohrs befindlichen Sterne werden alsdann in ihrer natürlichen
Konstellation als kurze Spektra abgebildet16); der Haupt- Übelstand
dieser schönen Methode besteht in dem hohen Preise eines guten
Prismas von so erhebliohen Dimensionen und in der Kleinheit der bei
ihr anwendbaren Dispersion.
Das Aussehen der Fixsternspektra selbst zeigt nun zwar eine
recht erhebliche Mannigfaltigkeit, aber gleichwohl wurde schon den
ersten Astronomen, die sich mit einem Vergleich derselben beschäftigten,
klar, dafs sich die individuellen Verschiedenheiten der Sternspektra
derart innerhalb gewisser Grenzen halten, dafs eine Klassifizierung mit
Hilfe weniger Typen möglich orschien. Der erste, der durch eine solche
Einteilung die Übersicht erleichterte, war Secchi (Fig. 18); später
gaben Vogel, Lockyer, Pickering und Miss Maury andere Ein-
teilungen an.
Wir wollen uns hier damit begnügen, die von H. C. Vogel
eingeführte Klassifikation kurz zu besprechen, da dieselbe nicht nur
einem praktischen Zwecke dient, sondern uns zugleich ein Bild von
dem natürlichen Entwickelungsprozefs der Gestirne darbietet, also ge-
wissermafsen als natürliches System allen künstlichen Anordnungen
ebenso gegenübersteht, wie das natürliche Pflanzen System mit seinen
wenigen Hauptgruppen von Gewächsen dem 24 klassigen Li n nöschen
System, dessen mechanischer Schematismus gewifs noch bei vielen
unserer Leser von der Schulbank her in traurigem Andenken steht
Vogel begnügt sich mit einer Gliederung in drei Klassen, welche
drei charakteristische Entwicklungsphasen der selbstleucbtenden Ge-
stirne kennzeichnen, und die daher in mannigfacher Weise durch
Übergangsformen unter einander verbunden werden. — Die erste
Klasse wird von den weifsen Sternen gebildet, in deren Spektrum
auoh die brechbareren Farben intensiv auftreten, während die metalli-
schen Absorptionslinien entweder ganz fehlen oder doch nur sehr
zart vorhanden sind. Die Hauptrepräsentanten dieser Klasse (z. B.
Vega und Sirius) zeigen sich von ausgedehnten, durch breite dunkle
Linien (C, F und H?) charakterisierten Wasserstoffatmosphären um-
geben, die bei einigen wenigen ebenfalls hierher gehörigen Sternen
(ß Lyrae und i Cassiopejae) so ausgedehnt sind, dafs das Licht des
eigentlichen Sterns gegen das seiner Atmosphäre zurücktritt, sodafs
") Wir haben die Reproduktion einer derartigen Sternspektralaufhahme
im «siebenten Bande dieaer Zeitschrift S. 184 gebracht
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die Wassers toll- und Helium- Linien als helle Emissionalinien und
nicht als dunkle Absorptionslinien hervortreten. Eine besondere
Unterart dieser ersten Spektralklasse wird von den sogenannten Orion-
eternen gebildet, in denen von den Wasserstofflinien überhaupt nichts
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zu bemerken ist, während die Heliumlinien in stattlicher Anzahl vor-
handen sind. Derartige Sterne sind übrigens von Vogel und
Schein er bei ihrer spektrographischen Durchmusterung des Himmels
auch aufserhalb des Orion in den verschiedensten Gegenden des
Himmels aufgefunden worden.
Die zweite Klasse der Sternspektra kann kurz als die der zahl-
reichen Sonnensterne charakterisiert werden. Die hierher gehörigen
Spektra (z. B. das von Cape IIa, Pol lux. Arktur) sind dem Sonnen-
. Spektrum sämtlich mehr oder minder ähnlich, da die Metalllinien in
grofser Zahl und Intensität auftreten, während die Wasserstoff linien
weniger verbreitert erscheinen und sich daher im Aussehen kaum noch
von den Metalllinien unterscheiden. Die brechbareren Teile des Spek-
trums leuchten bei diesen Sternen mit etwas geringerer Intensität als
bei den Sternen der ersten Klasse, was eine mehr ins gelbliche
gehende Färbung des Gesamtlichtes bewirkt und auf eine etwas
niedrigere Temperatur zu schliefsen berechtigt. Übrigens kommen
auch in dieser Klasse noch einzelne Sterne vor, bei denen aufser den
dunklen Linien und Bändern auch mehrere helle Linien auftreten,
die auch hier auf sehr ausgedehnte Gashüllen deuten. Besondere
interessant werden diese Spektra mit dunklen und hellen Linien durch
den Umstand, dafs die Spektra der neuen Sterne stets denselben
Typus zeigten, wie wir aus der Abbildung des Spektrums der Nova
Aurigae (Fig. 19) erkennen, die im Jahre 1892 durch ihr plötzliches
Aufleuchten grofses, vielen Lesern gewife noch erinnerliches Aufsehen
erregt hat. Die überraschenden Lichtentwicklungen der sogenannten
..neuen", in Wirklichkeit aber jedenfalls sehr alten und darum nicht
mehr leuchtenden Sterne müssen demnach sicherlich mit gewaltigen
Gasausbrüchen in Zusammenhang stehen, die wohl als Begleiterschei-
nung einer Durchbrechung der noch dünnen Erstarrungsrinde durch
die glühend flüssigen Massen des Inneren aufgefafst werden können.
Die in der regulären Entwicklung am weitesten fortgeschrittenen
Fixsterne bilden den dritten Vogelschen Spektraltypus. Dem blofsen
Auge schon fallen die hierher gehörigen Sterne (z. B. a Orionis,
a Herculis) durch eine entschieden rötliche Färbung auf, und dem-
entsprechend zeigt auch ihr Spektrum eine starke, allgemeine Absorp-
tion in der brechbareren Hälfte. Das bedeutsamste Kennzeichen dieser
Spektra besteht aber in dem Auftreten breiter, einseitig verwaschener,
dunkler Absorptionsbänder, wie solche für chemisch zusammengesetzte
Gase charakteristisch sind. Die Temperatur mufs also in den Atmo-
sphären dieser Gestirne bereits so weit gesunken sein, dafs die Ab-
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sorptiou wesentlich gesteigert erscheint und dafs sich chemische Ver-
bindungen bilden konnten, was ja bei unserer Sonne, wie früher
erwähnt, der großen Hitze wegen nioht
möglioh ist. In der Unterklasse I II b
vereinigt Vogel endlich einige wenige,
entschieden rot gefärbte Sterne von
geringerer Helligkeit, bei denen die
Absorptionsbänder eine so grofse Aus-
dehnung gewonnen haben, dafs die
Reste des kontinuierlichen Spektrums
fast wie helle Linien erscheinen. Auch
ist die Verwaschenheit der Händer bei
diesen Sternen auf der entgegenge-
setzten Seite wahrzunehmen wie bei
den Sternen der Klasse III a. Bemer-
kenswert ist noch, dafs eine grofse
Zahl der veränderlichen Sterne mit
unregelmäfsiger Periode zum dritten
Spektraltypus gehört, ein weiterer
Grund, diese Sterne als solche zu be-
trachten, deren Licht dem Verlöschen
nahe ist und nur noch gelegentlich
mit gröfserer Helligkeit aufflackert.17)
Als letzte Kategorie von Gestirnen
bleiben noch jene zahlreichen, ver-
waschen begrenzten, mattleuohtenden
Objekte zu besprechen, die man treffend
als Nebelflecke bezeichnet, da sie in
der That mit mehr oder weniger aus-
") Man vorgleiche übrigens hierzu das
die obigen Darlegungen in mancher Hin-
sicht ergänzende Referat über Scheiners
Untersuchungen der Spektra der helleren
Sterne (Bd. VIII, S.. 143). — Unsere Tafel
(Figur 18) stellt die im Text besprochenen
Haupttypen der Fixsternspektra zusammen.
Jedoch hätten beim Siriusspektrum die
Wasserstofflinien breiter und verwaschener,
das kontinuierliche Spektrum dagegen
holler ausfallen sollen. Das mit IV bezeich-
nete Spektrum eines roten Sterns gehört
zur Vogelschen Unterklasse IHb.
Himmel und Erdi». !WK>. XI. 4. 1-
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CO
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178
gedehnten Xebelwölkchen auf serlich die gröfste Ähnlichkeit haben.
Der absolut unveränderliche Ort dieser Himmelskörper lehrt uns,
dafs dieselben mindestens ebenso unermefslich weit vom Sonnensystem
entfernt sind wie die meisten Fixsterne. Wenn wir nun in Betracht
ziehen, dafs einzelne dieser Gebilde, z. B. der berühmte Orionnebel,
die Mondscheibe an scheinbarer Gröfse übertreffen, während doch
die Fixsterne auch bei stärkster Vergrößerung punktförmig bleiben,
so ahnen wir wohl die enorme Ausdehnung jener nebligen Materie,
und es drängt sich von vornherein die Vermutung auf, dafs hier ein
lockerer Ursloff sich gewissennafsen noch in einem chaotischen, un-
geformten Zustünde befinde. Darum war die spektralanalytische
Untersuchung des matten Lichtes der Nebelflecke von besonderem
Interesse, und man kann wohl sagen, dafs im allgemeinen die älteren
Ansichten über die Natur der Nebelfiecke durch dieselbe bestätigt
worden sind. Das Spektrum dieser Himmelskörper besteht nämlich
aus wenigen feinen, hellen Linien und zeigt dadurch, dafs die Materie
sich hier in der That noch im Zustande sehr verdünnten Gases befindet.
Vorwiegend sind es vier Linien, die in den meisten Nebelflecken-
spektren gesehen werden. Die hellste derselben (bei 500,6 sowie
eine zweite (bei 495,7 können bis jetzt noch nicht mit dem Spektrum
eines bekannten Stoffes identifiziert werden, während die beiden übrigen
Linien mit den bekannten Wasserstoff linien F und H? zusammenfallen.
Bei liohtschwächeren Nebeln ist nur die Linie bei 500,6 ujx erkennbar,
die darum als Haupt-Nebelliuie gilt.
Auffallend ist bei dem Vorhandensein der blauen und violetten
Wasserstoff linien das Fehlen der roten Linie C; dasselbe dürfte ver-
mutlich durch die geringe Dichtigkeit der die Nebel bildenden Gas-
massen und vielleicht auch durch deren Temperaturverhältnisse zu
erklären sein. Übrigens finden sich in einzelnen Nebeln aufser den
oben genannten, typischen Nebellinien auch noch vereinzelte andere
Linion, ja mitunter sind die hellen Linien sogar noch durch ein
schwaches kontinuierliches Spektrum verbunden, das im Grün be-
sonders hell erscheint. — Eine bedeutsame Verschiebung haben durch
die spektralanalytischen Forschungen die Ansichten über die Entfernung
der Nebelflecke erfahren. Während man früher glaubte, dafs diese
Gebilde als völlig selbstiindigo, weit aufserhalb unseres Fixsternsystems
gelegene Weltkomplexe anzusehen seien, hat die Spektralanalyse
mehrfach einen unmittelbaren physischen Zusammenhang zwischen
Nebeln und Fixsternen dargethan. Vor allem waren es Photographien
des Orionnebelspektrums, die einen derartigen Schlufs zuliefsen, nach-
dem Huggins vortreffliche Aufnahmen des Spektrums dieses hellsten
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aller Nebel bei engem Spalte erzielt hatte. Diese Bilder zeigten
nämlich feine Liniengruppen, die in der Nähe der Sterne des Trapozes,
einer inmitten der Nebelmasse gelegenen Gruppe von vier Sternen,
besonders intensiv wurden ; auch waren gewisse Linien überhaupt nur
in denjenigen Teilen des Nebels vorhanden, die jenen Sternen be-
nachbart sind. Aus diesen Thatsachen geht unzweifelhaft hervor, dafs
die Trapezsterne nioht etwa blofs optisch sich gerade auf den Nebel-
fleck projizieren, sondern inmitten der Nebelmaterie als fertige Sterne
schweben und sozusagen die Centraikörper jenes chaotischen Welt-
gebildes darstellen. Man sieht daraufhin nunmehr die Nebelflecke
vielfach als eine besondere Klasse von Gestirnen an, die innerhalb
unseres sogenannten Milchstrarsensystems nicht selten vorkommen,
wenn auch ihre Anzahl gegen die der sternartigen Körper bedeutend
zurüoksteht. Übrigens sind vereinzelt auch Übergangsformen entdeokt
worden, nämlich Objekte, die bei blofser Betrachtung im Fernrohr
durchaus einen sternartigen Eindruck machen, auf Grund ihres Spek-
trums jedoch zu den Nebeln gezählt werden müssen.
Die Linien Verschiebungen.
Am Schlufs unserer Darstellung der Ergebnisse, zu denen die
Spektralanalyse der Gestirne geführt hat, erübrigt uns uoch die Be-
sprechung eines hochwichtigen Prinzips, mit Hilfe dessen wir aus
genauen Ausmessungen der Sternspektra nioht nur astrophysikalische,
sondern auch astrometrischo Schlüsse ziehen, und zwar gerade die-
jenige Bewegungsart der Gestirne ermitteln können, die uns direkt
nicht wahrnehmbar ist, weil sie in die Verbindungslinie Erde — Stern
fällt. Man kann wohl sagen, dafs die hierher gehörigen, sich auf das
sogenannte D opp lersche Prinzip stützenden Entdeckungen den aller-
gröfsten Ruhmestitel der spektralanalytischen Methode bilden. Ent-
sprechend der gerade in neuester Zeit hervorgetretenen Bedeutung
dieser speziellen Anwendung der Spektralanalyse sind in dieser Zeit-
schrift schon wiederholentlich sehr gründliche Erläuterungen des
Dopplerschen Prinzips gegeben worden, und wir können uns darum
hier unter Hinweis auf jene ausführlicheren Darlegungen1*) füglich
kürzer fassen.
Die Wellentheorie des Lichts lehrt, dafs die Farbe eines Licht-
strahls von der Zahl der unser Auge während einer Sekunde treffen-
den Äther -Wellen abhängt; jede Ursache, welche diese Zahl zu ver-
ändern im stände ist, mufs auch eine Farbenänderung unserer Licht-
«») Himmel und Erde Bd. I S. 197; B. III S. 149; Bd. V S. 20, 69, 131;
Bd. VI S. 101, 241; Bd. VIII S. 88; Bd. IX S. 89; Bd. X S. 283.
12*
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empfind ung bedingen. Nun kann offenbar die Zahl der das Auge des
Beobachters treffenden Wellenzüge bei objektiv völlig unveränderter
Schwingungszahl eine Modifikation erfahren, wenn Auge und Licht*
quelle sich nicht in relativer Ruhe befinden, sondern ihren Abstand
vergröfsern oder verkleinern. Bewegt sich z. B. das Auge der Fort-
pflanzungsrichtung der Lichtwellen entgegen, so wird es in kürzeren
Zeit-Intervallen den Wellenbergen begegnen, als wenn es in Ruhe
verharrt wäre. Gegenseitige Annäherung von Auge und Lichtquelle
mufs also die Farbe und damit auch den Ort einer isolierten Spektral-
linie etwas nach der violetten Seite hin verschieben, während Ent-
fernung das Umgekehrte bewirkt. Wie eine isolierte, belle Linie wird
sich aber auch jede dunkle Linie in einem kontinuierlichen Spektrum
verhalten, ist dieselbe doch nur durch „Umkehrung" aus einer hellen
Linie entstanden.
Der erste sichere Nachweis der Realität einer solchen Linien-
verschiebung infolge sehr schneller Bewegung in der Oesiohtslinie
gelang 1871 H. C. Vogel mittelst des eigens zu diesem Zweoke von
Zöllner ersonnenen „Reversionsspektroskops". Vogel konnte an
gegenüberliegenden Rändern der Sonne entgegengesetzte, durch die
Sonnenrotation hervorgerufene Verschiebungen feststellen. Später
wurden dann mit inzwischen vervollkommneten Apparaten auch die
Geschwindigkeiten der Planeten spektralanalytisch gemessen und
die Ergebnisse dieser Messungen in genauer Übereinstimmung mit
der berechneten Bewegung befunden. Durch derartige Kontrollen
war die Zuverlässigkeit des Dopplerschen Prinzips hinreichend ge-
prüft, um es auch in jenen Fernen anwenden zu können, wo wir
sonst wogen des allzugrofsen Abstandes der Gestirne von Bewegungen
kaum mehr etwas wahrzunehmen vermögen. Da zeigte sich denn,
dafs Fixsterne und Nebelflecke ebenso wie die uns näheren Himmels-
körper in rastloser, zum Teil sogar enorm schneller Bewegung begriffen
sind, ja aus gewissen Schwankungen in den Geschwindigkeiten konnten
sogar die kühnsten Schlufsfolgerungon in Bezug auf das Vorhanden-
sein unsichtbarer Doppelsterne aufgebaut werden, wie dies besonders
in dem Aufsatz „Dio Astronomie des Unsichtbaren- im fünften Bande
dieser Zeitschrift näher besprochen ist.
Aber auch die Erforschung der Rätsel unseres Sonnenballs ist
durch die Anwendung des Dopplerschen Prinzips wesentlich ge-
fördert worden. Zunächst konnte die Rotation der Sonne durch Beob-
achtung der Linienverschiebungen in allen möglichen Breiten unter-
sucht werden, während man vordem nur auf Grund der Flecken-
beobachtungen die eigentümliche Verlangsamung der Umdrehung in
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höheren Breiten erkannt hatte. Duner konnte mit Hilfe der Ver-
schiebung zweier Eisenlinien feststellen, dafs auch die absorbierende
Schicht, in welcher diese Linien zustande kommen, in ähnlicher Weise
rotiert. Andererseits hat allerdings Crew aus der Beobachtung an-
derer Linien den Schlufs gezogen, daß die Sonnenatmosphäre wie ein
starrer Körper in allen Breiten mit gleicher Winkelgeschwindigkeit
rotiere. Der scheinbare Widerspruch dieser Resultate dürfte sich ver-
mutlich, wie Brestor aussprach, daraus erklären, dafs die von Crew
benutzten Linien erst in der eigentlichen Sonnenatmosphäre zustande
kommen, während die von Duner beobachteten Eisenlinien schon
zwischen den photosphärischen Wölkchen durch Absorption entstehen
mögen, wo die Gasmassen natürlich annähernd dieselbe Geschwindig-
keit haben müssen wie jene Wölkchen, die diejenige Schicht der Sonne
bilden, in der auch die Flecken anzutreffen sind.
Fi*. ->0.
Vig. 21.
Auch individuelle Bewegungen von außerordentlicher Geschwin-
digkeit konnten spektroskopisch bei Flecken und Protuberanzen
beobachtet werden. So zeigt uns Fig. 20 das Spektrum eines durch
eine Lichtbrüoke in zwei Teile geteilten Fleckens nach Vogel. Die
Linien sind in der Lichtbrücke schräg verzerrt, d. h. sie sind am Rande
des größeren Flecks nach Violett, am Rande des kleineren nach Rot
verschoben. Daraus würde zu schließen sein, daß die absorbierenden
Gase am Rande des größeren Flecks mit einer Geschwindigkeit von
30 bis 40 Kilometern in der Sekunde aufstiegen und auf der anderen
Seite der Lichtbrücke in entsprechendem Maße herabsanken.
Auoh bei den am Rande der Sonne durch das Spektroskop
sichtbar gemachten Protuberanzlinien treten mitunter auffallende Ver-
zerrungen ein, wie es z. B. durch Fig. 21 dargestellt wird, die eine
von Vogel am 3. Juni 1871 in der F- Linie beobachtete Protuberanz
zeigt. Die Figur wird nach unseren früheren Besprechungen über
die Beobachtung von Protuberanzen sofort verständlich sein; uns
interessiert hier nur die s-förmige Krümmung der hellen Linie.
Dieselbe deutet auf eine höchst heftige Wirbelbewegung, da die Linie
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in ihrer mittleren Höhe nach Violett, weiter oben aber nach Rot ver-
schoben erscheint, während die Spitze wieder die normale Lage auf-
weist, die durch die dunkle, vom in der Luft reflektierten Sonnenlicht
herrührende Linie markiert ist. Diejenigen Teile der Linie, welche
nicht verschoben sind, werden gleichwohl nicht in Ruhe sein; hier
ist vielmehr nur die Bewegung senkrecht zur Gesichtslinie gerichtet,
sodafs in Bezug auf unser Auge weder Annäherung noch Entfernung
stattfindet. — Dio durch Vogels Beobachtung im vorliegenden Fall
angezeigte Geschwindigkeit der wirbelnden Gasmassen beläuft sich
auf über 100 km in der Sekunde, eine überwältigende Zahl, wenn
man bedenkt, dafs auf Erden selbst bei den heftigsten Orkanen Ge-
schwindigkeiten von 50 m nicht überschritten werden.
Wir sind zum Ende unserer Erläuterungen über die Bedeutung
der spektralanalytischen Forschung für die Astronomie gelangt Von
nicht minder hervorragendem Nutzen als für diese Wissenschaft ist
die Spektralanalyse natürlich auch für die Chemie, wie wir schon
im ersten Teil dieses Aufsatzes kurz erwähnt haben. Aber auch im
praktischen Leben erfährt die spektrale Zerlegung des Lichts die be-
deutsamste Anwendung. Der Gerichtschemiker kann mit ihrer Hilfe
gar oft Verfälschungen von Nahrungsmitteln und Droguen entdecken,
Blut aber wird selbst in den geringsten Spuren erkannt, sodafs schon
mancher Verbrecher mit Hilfe des Spektroskops überführt werden
konnte. Der Photograph benutzt dasselbe Instrument, um sich die
für seine jeweiligen Zwecke passendsten Lichtfilter auszusuchen, und
der Gufsstahlfabrikant bedient sich desselben, um den Moment der
Beendigung des Besseraer- Prozesses mit Sicherheit zu erfassen, da
eine rechtzeitige Unterbrechung des Gebläses zur Erzeugung eines
guten Produktes von der höchsten Wichtigkeit ist
So sehen wir, dafs die von Kirchhoff (siehe Titelblatt) und
Bunsen in treuem Zusammenwirken geschaffene Methode der quali-
tativen Untersuchung des Lichtes zu den fruchtbarsten Errungen-
schaften des zur Neige gehenden Jahrhunderte gehört. Bei den
kommenden Geschlechtern werden die Namen aller der Forscher in
dankbar ehrendem Andenken bleiben, dio in emsiger Arbeit sich um
die Ausgestaltung der Spektralanalyse und ihrer Anwendungen Ver-
dienste erworben und sie so zu dem wichtigen Forschungsmittel ge-
macht haben, als das sie sich uns heute darstellt.
— -
Der Schlüte des Aufsatzes von Prof. Koppe „Die Erd- und Lämlcr-
Verniessung und ihre Verwertung" folgt im nächsten Heft.
Ein bedeutender Fortschritt in der Photographie lichtschwacher
Himmelsobjekte ist in neuerer Zeit durch die Herstellung- von Fern-
rohren mit abnorm kurzer Brennweite erzielt worden. Je kürzer die
Brennweite des Objektivs, um so kleiner mute ja nämlich das
reelle Bild des Objekts ausfallen, und da somit die gesamte, vom
Objektiv aufgefangene Lichtmenge auf einer kleinen Fläche konzen-
triert bleibt, wird die Helligkeit des Bildes notwendig in entsprechendem
Grade erhöht sein. Es gelingt daher mit Instrumenten von kurzer
Brennweite, bei verhältnismäßig kurzer Expositionszeit deutliche
photographische Aufnahmen der lichtschwächsien Himmelsobjekte zu
gewinnen. — Das non plus ultra dieser Gattung von photographischen
Fernrohren dürfte bis jetzt in dem neuen Teleskop der Sternwarte zu
Meudon erreicht sein, das einen Spiegel von einem Meter Durchmesser
bei nur drei Meter Brennweite besitzt. Begreiflicherweise mufste die
technische Herstellung eines so grofsen und dabei so stark gekrümmten
Hohlspiegels die allergrößten Schwierigkeiten bereiten, deren jedoch
die meisterhafte Geschicklichkeit der Gebrüder Henry, jener berühmten
Begründer der modernen Himmelsphotographie, in vorzüglicher Weise
Herr geworden ist. In der Sitzung vom 31. Januar 1898 konnte
Mr. Rabourdin der Pariser Akademie eine Reiho von Photo-
graphien bekannter Nebelflecke vorlegen, die bei verblüffend kurzer
Expositionszeit mit dem Meudoner Teleskop gewonnen wurden und den-
noch die feinsten Einzelheiten mindestens ebenso gut erkennen lassen
wie die besten älteren Aufnahmen mit anderen Instrumenten, zu deren
Gewinnung jedoch die vier- bis zehnfache Belichtungsdauer erforder-
lich war. So wurde vom Ringnebel in der Leyer in zwanzig Minuten
ein Bild gewonnen, welches dem 1890 von Rabourdin in Algier
während sechsstündiger Exposition aufgenommenen völlig gleichkommt,
jind bei einer Belichtung von 53 Minuten hatte auch die ganze Innen-
fläche des Ringes, die bekanntlich mit einem äufserst feinen Nebel-
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schleier erfüllt ist, derartig gewirkt, dafe der Eindruck der Ringform auf
dieser Platte gänzlich verschwunden ist. Die letztere Aufnahme zeigte
sich der mit einem zur offiziellen Himmelskarte dienenden Instrument
zu Taschkent während 24stündiger Belichtung gewonnenen Platte
überlegen. — Der berühmte Dumb-bell-Nebel zeigt sich bei zweistün-
diger Belichtung im Reflektor zu Meudon als ein elliptischer Nebel, der
in vieler Beziehung dem Ringnebel in der Leyer ähnlioh ist, so ver-
schieden auch der direkte Anblick beider Nebel selbst in kräftigen
Fernrohren erscheinen mag. — Eine Plejadenaufnahme (Belichtungs-
dauer eine Stunde) brachte sogar aufser den schon von den Gebrüder
Henry entdeckten Nebeln noch zwei neue Nebel (um Atlas und
Plejono) ans Licht und zeigte aufserdera merkwürdige geradlinige Nebel-
streifon, welche gewisse Sterne der Plejadengruppe unter einander
verbinden und in geringerer Anzahl ebenfalls schon auf den Henry-
schen Platten bemerkbar waren.
Wenn man mehrere Aufnahmen desselben Nebels, die bei ver-
schiedenen Expositionszeiten mit demselben Instrument erhalten wurden,
mit einander vergleicht, so ist man vielfach kaum im stände, die
Identität des Objekts zu erkennen. Ähnliche Unterschiede sind
natürlich bei gleicher Belichtungszeit auch durch die wechselnde Luft-
beschaffenheit, verschiedene zur Anwendung kommende Instrumente,
d'e ungleiche Empfindlichkeit der benutzten Platten u. s. w. bedingt.
Um es daher zu ermöglichen, in Zukunft unter veränderten Verhält-
nissen eine Nebelfleck-Aufnahme zu erhalten, welche mit einer älteren
vergleichbar ist und daher etwaige reelle Veränderungen anzuzeigen
gestatten würde, ist es durchaus nötig, jeder Aufnahme gewisser-
mafsen den Stempel des Komplexes aller Umstände, unter denen sie
zu stände kam, aufzudrücken. Janssen hat zu diesem Zweck seinen
schon 1881 ausgesprochenen Vorschlag wiederholt, auf jeder Platte
noch einige Sternscheibchen sich abbilden zu lassen, wie man sie
erhält, wenn man den von einem helleren Fixsterne kommenden
Strahlenkegel aufserhalb des Focus auffängt. Alle auf die Güte
der Nebelaufoahme einwirkenden Faktoren werden in gleicher Weise
auch auf die Schwärzung dieser Sternscheibchen einen Einflufs haben,
und das bei derselben Belichtungsdauer erhaltene Sternscheibchen
wird daher als Testzeichen für das Ergebnis des Zusammenwirkens
aller die Güte des Bildes beeinflussenden Faktoren gelten können.
Will man dann später einmal eine Aufnahme unter entsprechenden
Verhältnissen zum Zwecke der Vergleichung machen, so hat man
zunächst duroh Versuche diejenige Belichtungsdauer zu bestimmen,
welohe ein dem früheren völlig gleichendes Scheibchen der betreffenden,
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185
selbstverständlich als nicht veränderlich vorausgesetzten Sterne ergiebt;
diese Belichtungszeit ist dann auch für den Nebel in Anwendung zu
bringen.
$
Das Zeemannsche Phänomen.
Seit etwa einem Jahre wird das Interesse der Spektroskopiker
in hohem Marse durch eine Beobachtung erregt, welche zuerst von
Zeemann gemacht und dann alsbald durch eindringende Studien von
Cornu, Michelson, König1 und anderen näher untersucht worden
ist, da sie uns einen ganz neuen Zusammenhang zwischen Magne-
tismus und Lioht kennen gelehrt hat.
Schon seit Faraday kennt man die Thatsache der Drehung
der Polarisationsebene des Lichts durch magnetische Kräfte; war
dies doch der erste, überraschende Beweis eines Zusammenhanges
zwischen dem Licht und der Elektrizität, der Maxwell einen wesent-
lichen Anstofc zur Entwickelung der elektromagnetischen Theorie
des Lichts gab. — Zeemann hat nun gefunden, dafs nicht nur die
Richtung, in welcher die Ätherteilnhen ihre uns als Licht wahrnehm-
bar werdenden Schwingungen vollführen, durch magnetische Kräfte
geändert werden kann, sondern dafs dasselbe auch von der Schwin-
gungsdauer gilt, was wir an einer Verbreiterung der feinen Spektral •
linien, wie sie von leuchtenden Oasen erzeugt werden, erkennen.
Bei hinreichender Intensität des magnetischen Feldes gelang sogar
die künstliche Verwandlung einfacher Linien in doppelte und mehr-
fache, wobei sich noch die merkwürdige Thatsache herausstellte, dafs
dir den einzelnen Teillinien entsprechenden Strahlen sich durch ihre
Polarisation, d. h. durch die Richtung, in welcher die entsprechenden
Ätherschwingungen stattfinden, unterscheiden. Verlaufen die Strahlen
in der Richtung der magnetischen Kraftlinien (d. h. in derjenigen Rich-
tung, welche eine kleine, frei drehbare Magnetnadel angeben würde), so
tritt eine Zerspaltung in zwei Strahlen von etwas verschiedener Schwin-
gungsdauer (und darum auch verschiedener Brechbarkeit) ein, und die
nähere Untersuchung* liifst dann erkennen, dafs die Ätherteilchen jetzt
nicht mehr geradlinig schwingen, sondern in kreisförmigen Bahnen
mit entgegengesetztem Drehungssinn die Gleichgewichtslage umlaufen.
In der Kunstsprache heifst das: die beiden durch magnetische Spaltung
entstandenen Strahlen sind entgegengesetzt cirkular polarisiert. Steht
dagegen der beobachtete Liohtstrahl auf der Richtung der magnetischen
Kraftlinien senkrecht, so wird derselbe sogar in drei Einzelstrahlen zer-
spalten, die im Spektroskop drei dioht nebeneinander liegende Linien
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186
erzeugen; diesmal finden jedoch die Schwingungen der Ätherteilchen
in geradlinigen Bahnen statt, und zwar so. dafs diejenigen der mitt-
leren Linie senkrecht stehen zu der Ebene, in welcher die die
äufseren Linien erzeugenden Strahlen schwingen — die Strahlen sind
alle drei geradlinig polarisiert, und zwar der mittelste senkrecht gegen
seine beiden Nachbarn. Eine Erklärung dieser merkwürdigen Wahr-
nehmungen ist schwierig, aber doch möglich nach einer besonderen,
von Loreutz aufgestellten Theorie, auf die hier freilich nicht einge-
gangen werden kann.
Ganz kürzlich haben noch Cornu und Michelson gezeigt, dafs sich
das Phänomen unter Umständen noch komplizierter gestaltet, als wir eben
angegeben haben, indem die bei Zeemann noch einfach erscheinenden
Teillinien auch ihrerseits sich wieder als mehrfach erweisen.
Becquerel und Deslandres endlich haben noch festgestellt, dafs
die durch magnetische Kraft hervorgerufenen Veränderungen durch-
aus nicht bei allen Linien eines und desselben Spektrums die näm-
lichen sind. So werden bei dem sehr linienreichen Eisenspektrum
zum Beispiel ctliohe Linien gar nicht verdoppelt, manche aber sogar
in Quadrupel aufgelöst, und dies hängt vielfach auch von der Lage
der Ebene ab, in welcher das Licht vor dem Eintritt in das magne-
tische Feld polarisiert worden war. So enthüllt uns das Zeemannsche
Phänomen, ganz abgesehen von dem Interesse, das die Beeinflussung
der Lichtschwingungen durch magnetische Kräfte an sich schon er-
wecken mufs, auch natürliche Gruppen von Linien eines Elements,
die sich der magnetischen Kraft gegenüber gleichartig verhalten.
Durch solche neuen Gruppierungen werden wir in dem Chaos der
Hunderte von Linien einzelner Elemente hoffentlich eine vollkommenere
Übersicht zu gewinnen lernen, was auf dem Wege zum vollen Ver-
ständnis der spektralanalytischen Erscheinungen einen wichtigen Fort-
schritt bedeuten rauf».
Astronomische Fragen in der altorientalischen Chronologie.
Unsere Kenntnis der Zeitrechnung der Babylonier, über die man bis
vor wenigen Jahren nicht viel mehr wufste, als dafs sie ein gebun-
denes Mondjahr (nach Mundmonaten mit Schaltung) gewesen ist, hat
durch einen Versuch von Mahl er Anstoß» zu lebhaften Diskussionen
gegeben. Mahl er hat die Hypothese aufgestellt, dafs die Babylonier
eine feste Schaltungsmethode angewendet haben, welche nach be-
stimmten Hegeln vorging. Diese Meinung wird indessen von einigen
Assyriologen nicht geteilt, besonders aber von Oppert heftig bekämpft.
V
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187
Letzterer wendet namentlich dagegen ein, da Ts nach M ahl ers System
die Monatsanfänge zum Teil mit dem Eintritt des Neumondes zu-
sammenfallen würden, was unmöglich sei, da dann die Babylonier
ihre Monate nicht (wie die übrigen orientalischen Völker) mit dem
Sichtbarwerden der Mondsichel nach Neumond begonnen haben
könnten. C. F. Lohraann kommt nun in einem neuen Buche übor
historische Schwierigkeiten in der morgenliindischen alten Geschichte*)
auch auf den Mahlerschen Schaltungsmodus zu sprechen. Kr macht da-
rauf aufmerksam, dafs bei einem Schaltcyclus der Monatsanfang ebenso-
wohl auf den Tag des wahren Neumondes wie auf den Tag fallen konnte,
an welchem die Sichel zum ersten Mal sichtbar wurde. Denn ein Schalt-
cyclus versucht überhaupt nur die Ausgleichung der zwischen Sonne
und Mond bestehenden Bewegungsversohiedenheiten, bei seiner An-
wendung sei also eine Kongruenz der Zeitrechnung" mit den thatsäch-
lichen Vorgängen am Himmel nicht immer zu erwarten, desto weniger,
je unvollkommener eben die Schaltung gewesen sei. Wenn also die
von Mahl er auf Grund seiner Schaltungshypothese ausgearbeiteten
Tabellen den Monatsanfang nieht immer auf den Tag der Sichtbarkeit
des Neulichtes fallen lassen, so sei das noch kein Beweis dagegen,
dafs der von Mahler proponierte 19jährige Schaltcyclus von den Baby-
loniern angewendet worden ist. Bei diesem Volke — dessen astro-
nomische Kenntnisse jetzt naoh den Forschungen von Strassmaier
und Epping erheblich höher zu stellen sind, als man früher ange-
nommen hat — ist vielmehr die Wahrscheinlichkeit vorhanden, dafs
es einen regelrechten Schaltcyclus in der Zeitrechnung angewendet
hat. Die allmähliche astronomische Entwickelung der Babylonier (aus
der Zeit der Seleuciden giebt es bereits keilschriftlich überlieferte
astronomische Ephemeriden!) weist darauf hin, dafs mit der sich er-
weiternden Kenntnis der Mondbewegung ein regelmässiges System
der Schaltung Platz greifen mufste und nicht willkürlich geblieben
ist, wie Oppert zu behaupten sucht. Ob Mahlers Hypothese schon
ganz das Richtige trifft, oder ob sie noch Verbesserungen bedarf, wird
die Vergleichung keilinschriftlich überlieferter babylonischer Datums-
angaben mit seinen Tabellen lehren. C. F. Lehmann bemerkt ferner,
dafs auffälligerweise der Beginn des 19jährigen »Schaltcyclus auf das
erste Jahr des Königs Nabonassar fällt. Nun bezeugt bekanntlich
Berossus (ein Zeitgenosse Antiochus I. 281 — 261 v. Oir.), dieser
König habe, um mit seiner Regierung zugleich eine neue Zeitrechnung
*)Zwei Hauptprobleme der altorientaliseheu Chronologie, Leipzig:, E. Pfeiller,
1898.
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188
beginnen zu können, die bis auf seine Zeit vorhandenen inschriftlichen
Urkunden zerstören lassen. Diese „Ära des Nabonassar* beginnt
mit dem 26. Februar 747 v. Chr.; eine grofse Reihe astronomischer Be-
obachtungen ist uns von Ptolemüus mit Zugrundelegung dieser Zeit-
rechnung überliefert worden. Die offenbar in dem Zeugnisse des
Berossus vorliegende Reformierung der Zeitrechnung durch Nabo-
nassar und das Zusammenfallen dieses Zeitpunktes mit dem Anfang
des Mahl ersehen 19jährigen Schaltcyclus legt den Gedanken nahe,
ob nicht vielleicht Nabonassar es gewesen, der mit der neuen Ära
auch einen neuen Schaltungsversuch eingerührt hat — Eine andere
astronomische Frage, welche <_'. F. Lehmann in seinem Buche be-
rührt, ist die vermutliche Bedeutung eines ägyptischen „Kalenders"
auf der Rückseite des Papyrus Ebers. Auf diesem uralten historischen
Dokumente heifst es nämlich: „Jahr 9 unter Amenophis 1."
„Neujahr Epiphi, Tag 9 Aufgang der Sothisu
„Tni Mesore 9 -
„Mnht Thout „ 9
„Hathor Paophi 9 „ „
Der Kalender giebt nämlich (für alle zwölf Monate) in der ersten
Columne die Namen der Sehutzgötter der Monate oder der Feste,
die in diesen Monaten stattfanden, in der zweiten die ägyptischen
Monatsnamen mit Hinzufügung von .,Tag 9", in der dritten immer
„Aufgang der Sotbis" mit bezüglichen Wiederholungszeichen auf jeder
Zeile. Der Boginn des Jahres wurde von den Ägyptern beim Früh-
aufgange des Sirius gefeiert („Aufgang der Sothis"), und durch die
Angabe des Kalenders stoht fest, dass im 9. Jahre des Amenophis I.
das Neujahrsfest des festen Jahres auf den 9. Epiphi des Wandeljahres
fiel. Der Sinn, der in der Anordnung der weiteren Zeilen ausgedrückt
sein soll, ist noch nicht genügend aufgeklärt. Lehmann deutet (in
Übereinstimmung mit Eisenlohr) die Absicht des Kalenderschreibers
so, dafs für jeden 9. Tag aller zwölf Monate der Sirius-Aufgang ver-
zeichnet werden sollte. Dafs aber ein Sirius-Aufgang wieder auf den
9. eines Monats fiel, ereignet sich jedoch erst in Zwischenräumen von
120 Jahren. Also liegt zeitlich zwischen den einzelnen Zeilen des
Kalenders eben diese Periode von 120 Jahren. Ob in dem Kalender eine
vom 9. Jahre des Amenophis 1. ausgehende cyclische Rechnung aus-
gedrückt werden soll, oder ob darin eine direkte astronomisch«' Beob-
achtung verborgen liegt, hat sich nicht weiter entscheiden lassen. — •
f
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189
Über das grofsc Teleskop der Pariser Ausstellung von 1900
wird jetzt bekannt, dafs das Objectiv eine Öffnung von 49 Zoll und
eine Brennweite von 197 Fufs erhalten soll. Demnach würde das
Riesen-Instrument, dessen Herstellung die Firma Qautier übernommen
hat, das bisher gröfste Fernrohr der Welt auf der Yerkes-Sternwarle
allerdings noch erheblich überflügeln und sicherlich eine Haupt-
sehenswürdigkeit der Weltausstellung bilden. Die Kosten des Unter-
nehmens sollen auf 1 400 000 Francs veranschlagt sein.
F. J. Studnicka: Bis ans Ende der Welt. Astronomische Causerien.
Prag. Selbstverlag. Neue Auflage.
Dieses hübsche Btichlein beweist, data auch Mathematiker (der Ver-
fasser ist Professor an der Prager Universität) sich mit Glück bisweilen auf
das ihnen sonst sehr ferne stehende Gebiet der feuilletonistischen Darstellung
begeben dürfen. Einigen Freunden, unter denen ein kenntnisreicher Engländer
besonders hervorragt, bietet der Aufenthalt in Karlsbad sowie die Reise von
dort nach Prag die Gelegenheit zu Unterhaltungen über die verschiedensten
sachlichen Kapitel und historischen Seiten der Astronomie und Physik. Geist
und Humor, manchmal auch feine Satyre, wird der Leser an diesen Gesprächen
— die am Karlsbader Brunuen, im Eisenbahn Waggon, in Prag bei Besuch
wissenschaftlich -historischer Sehenswürdigkeiten u. s. w. geführt werden —
nicht vermissen. G.
Sil \ jiii ms P. Thompson: Über siebtbares und unsichtbares Licht.
Deutsche Ausgabe von Prof. Dr. O. Lummer. Halle a. S., Verlag von
W. Knapp. 1898. Preis 9 M.
Das vorliegende Buch läfst den Leser an einem an der Royal Institution
in London gehaltenen Vortragscyclus teilnehmen, soweit sich das selbst beob-
achtete Experiment an der Hand von Abbildungen durch den Wortlaut des
erläuternden Vortrags ersetzen läfst. Herr Thompson giebt sich durch diese
Publikation als ein zweiter Tyndall zu erkennen, indem er mit lebhaft be-
geisterter Rede eine Reihe der interessantesten Kapitel der Optik mit ebenso
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meisterhafter Gewandtheit vorträgt, wie man es einst von John Tyndall ge-
wohnt war. Herr Professor Ummer hat sich daher um das deutsche Publikum
ein grofses Vordienst damit erworben, dafs er ihm diese Vorlesungen, mit er-
gänzenden Anmerkungen versehen, .zugänglich machte und dabei auch manche
einseitig englische Auffassungen des Autors berichtigte. — Höchst originell
mutet gleich die erste Vorlesung über .Licht und Schatten" an; hat es der
Verfasser doch hier verstanden, die geometrische Optik in überraschend ein-
facher Weise unmittelbar aus der Wellenlehre abzuleiten, statt zuerst in alther-
gebrachter Weise nur mit abstrakten, in der Wirklichkeit gar nicht existierenden
Lichtstrahlen zu operieren. In trefflichster Weise werden die Schattenphänomene,
sowie die Gesetze der Reflexion und Brechung zuerst mit einem Wasserwellen-
apparat demonstriert und dann unmittelbar auf Lichtwcllen übertragen. Auch
in den späteren Abschnitten, welche die verschiedenen Arten der Strahlung
und die Polarisationserscheinungon behandeln, werden vielfach höchst sinn-
reiche, einfache Apparate zur Voranschaulichung benutzt, die es in hohem
Mafse verdienen, allgemeiner bekannt zu worden. Bei der Besprechung der
farbigen Photographie wird auch das Ivossche Pholochromoskop, das letzthin
die Besucher der Urania entzückte, ausführlich behandelt, wie auch sonst, z.B.
im Kapitel über Röntgenstrahlen, die nouesten Fortschritte unseres Wissens
vollauf berücksichtigt sind. Eine Anzahl von Anhängen ist für diejenigen
Leser bestimmt, die in einzelne Materien noch etwas weiter eindringen wollen,
als die populäre Vorlesung es gestattete — Jedenfalls sind Bücher von diesem
Schlage vortrefflich geeignet, die Freude an wissenschaftlicher Belehrung zu
steigern, zugleich aber auch den Lehrern der Physik als Vorbild einer an-
regenden Darstellungs weise zu dienen, die durch methodisch durchdachte An-
ordnung des Stoffes fast mühelos auch üher solche Gebiete hinwegführt, die
gemeinhin als schwierig und undankbar gelten. F. Kbr.
Hübner's Geographisch -statistische Tabellen. Ausgabe 1898. Heraus-
gegeben von Hof-Rat Prof. Fr. von Juraschek. Verlag von Heinrich
Keller in Frankfurt a. M. Preis der Buch-Ausgabe M. 1,20, der Wand-
tafel-Ausgabe G0 Pfg.
Das Werkchen löst die Aufgabe, dem grofsen Publikum die wichtigsten
statistischen Zahlen in klarer, Ubersichtlicher und dabei möglichst knapper
Form zugängig zu machen, in überaus glücklicher Weiso. Es ist bewunderns-
wert, ein wie reiches Material auf dem goringen Räume dieser Tabelle geboten ist.
Wir linden die notwendigsten Daten über Bevölkerung, Verfassung, Finanzen,
Heerwosen, Flotte, Handel, Verkehrswesen etc., welche fast täglich vorkommen,
dort angegeben und können das Werk als ein Vademecum bezeichnen, dessen
Vorzüge sich zusammenfassen lassen in den Eigenschaften: Übersichtlichkeit,
Reichhaltigkeit, Gediegenheit und Billigkeit.
Es sei noch besonders auf die eingehende Berücksichtigung verwiesen,
welche in der diesjährigen Ausgabe die neuesten kolonialen Erwerbungen
finden. Ferner sind die neuesten Angaben über die Vorteilung der Nationali-
täten, Konrossionen und Borufsstände und die offiziell richtig gestellten Er-
gebnisse der Volkszählung im Russischen Reiche vom Jahre 1S<>7 aufgenommen.
W. Kobelt: Studien zur Zoogeographie. Bd. I. Die Mollusken der
palaearktischen Region. Wiesbaden. C. W. Kreideis Verlag. Preis 8 M.
Dieses wichtige Werk wendet sich zwar keineswegs ausschliefslich an
das malakozoologische Publikum, im Gegenteil, es beabsichtigt in erster Linie
die Resultate der Studien über Systematik und Verbreitung der Mollusken
den NichtSpezialisten zugänglich zu machen: dennoch wird das Erscheinen
des Buches ganz besonders unter den engoron Fachgenossen Froude erregt
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haben, da es uns wie eine oratio pro domo anmutet. Wer sich mit den müh-
seligen und oft recht trockenen systematischen Detailstudien abgegeben hat
und bei der herrschenden Strömung in der Zoologie, die fast ausschliefslich
auf zootomische und physiologische Untersuchungen gerichtet ist, oft den Mut
verlieren möchte, das mifsachtete Gebiet der Systematik weiter zu kultivieren,
den mute es mit hoher Befriedigung erfüllen, wenn er die Wichtigkeit der von
ihm bevorzugten Tierklasse für die Zoogeographie und die Erdgeschichte von
einem dazu besonders berufenen Fachmann in das rechte Licht gesetzt sieht
Kobelt hat zweifellos Recht, wenn er sagt, dafs die Mollusken, speziell die
Landschnecken , obschon sie an Wichtigkeit allen Tierklassen voranstehen,
bisher von den Zoogeographen sehr stiefmütterlich behandelt worden sind.
Zum Teil lag dies freilich an den Fachgelehrten selbst, <L h. an der mangel-
haften Systematik, welche erst neuerdings in die rechte Bahn geleitet worden
ist und zu deren Vollendung immer noch viel fehlt. Wer wollte z. B. mit
einer Gattung wie die selige Helix von mehr als 3000 Arten etwas anfangen
und geographische oder geologischo Schlüsse auf eine solche ingens ineptaque
tnoles basieren? Erst durch richtige Art-, Gruppen- und Gattungsabgrenzung
ist es möglich, die Verbreitung der Schnecken von höheren wissenschaftlichen
Gesichtspunkten aufzufassen und für die allgemeine Zoogeographie zu ver-
werten. Man gewinnt wieder Freude an den oft bis zur Entmutigung ein-
förmigen und doch so notwendigen Handlangerdiensten, wenn man sieht, wie
jede minutiöse Einzelbeobachtung und Feststellung ihren Baustein zu dem
Gesamtgebäude liefert
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Herrn Prof. H. in Ulm. Sie nehmen Anstob an der vielfach üblichen
und auch von uns (Seite 28) benutzten Veranschaulichung der Brechung des
Lichts durch den Vergleich mit einer Soldatenabteilung, die mit schräger Front
auf ein Hindernis stöbt. Wir geben Ihnen zu, dab das Oleicbnis wie jedes
Gleichnis hinkt, denn nur unter der stillschweigenden Voraussetzung, dab der
Weitennarsch stets senkrecht zur Frontrichtung erfolgt, dafs sich also jeder
Mann beim Marsch beständig nach seinem Nachbar richtet, würde die Brechung
thateächlich stattfinden, während sonst ein geradliniges Fortachreiten mit
schiefer Front sich ergeben müfste, wie Sie es durch Ihre Zeichnung illustrieren.
— Immerhin scheint uns das Gleichnis doch recht auschaulich, kann man doch
sogar experimentell auf ähnlichem Wege die Ablenkung erzielen, wenn man eine
gröbere Garnrolle über ein schwach geneigtes Brett laufen und schräg gegen
einen mit Sammet bedeckten Teil des Bretts, der das Hindernis repräsentiert,
treffen labt. Wir wollen indessen nicht verhehlen, dafs sich ein weit tieferes
Verständnis der Lichtbrechung gewinnen läbt, wenn man das „Strahlenbüschel-
ganz fallen läfst und das Licht als eine Wellenbewegung deiiniert. Man kann
dann z.B. auf Grund des H uy ghensschen Prinzips, dafs jeder Punkt einer
Welle wieder als Ausgangspunkt neuer Wellen betrachtet werden darf, sofort
die Notwendigkeit der Brechung einer ebenen Welle beim Eintritt in ein
Medium mit langsamerer Fortpflanzungsgeschwindigkeit erkennen. Mit Wasser-
wellen läbt sich die Brechung demonstrieren, wenn man dieselben aus einem
tieferen Gefäb schräg in eine angrenzende, seichtere Bucht übertreten läbt,
wie es Silvanus P. Thompson in seinen Vorlesungen ȟber sichtbares und
unsichtbares Licht" thut. F. Kbr.
Verlag: Hermann l'»«tel In Berlin. — Druckt Wilbela Qroaao't Bicbdrnekerel In Berlin - Schoneber;.
Pur die BednctioB rerrnntwortlicb : Dr. P. Schwab« in Berlin.
Unberechtigter Nachdruck ui den Inhalt dienet Zeitschrift »atereagt.
CberseUnngsrecht rorbebalten.
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Nicolaus Coppernicus.
fVon Professor M. (urtie in Thorn.
ie iiitesten Kulturvölker, auf deren Entwicklung mittelbar oder
Unmittelbar die unsere fufst, lebten unter den gesegneten Breiten
des mittelländischen Meeres. Der ewig heitere, klare Himmel
jener Gegenden mit seiner leuchtenden Sternenpracht zog naturgemäß
das beobachtende Auge auf sich. In unbestimmbar früher Zeit mag
schon der damalige Polarstern, der einzige ruhende Funkt an der um-
schwingenden Krystallglocke des Himmelsgewölbes, dem Einsamen
auf der gewaltigen Wüste des Meeres, im Sande Afrikas als Richt-
schnur gedient haben. Das segenspendende Tagesgestirn, der Gott
so vieler Millionen, zog den Blick seiner berufensten Verehrer, der
Priester, empor zum Firmament. Gewisse astronomische Kenntnisse
finden wir in der Orientierung der Tempel nach den Himmelsgegenden
schon verbreitet, soweit zurück wir Tempelspuren verfolgen können.
Die Babylonier kannten die Länge des Jahres. Auf diesen ersten
Hntwickelungsstut'en mögen Weltsysteme entstanden sein, wie das der
ionischen Schule: Die Erde ist eine Scheibe von gröfserer oder ge-
ringerer Dicke; auf ihr ruhet, wie eine Glocke, des Thale s Himmels-
gewölbe. Ein Anaximander lafet sie frei in der Mitte der Welt-
kugel schweben, und um sie dreht sich die Krystallsphäre des Firmaments
mit den daran befestigten Fixsternen. .,wie der Hut sich um unsern
Kopf dreht." Bald aber fielen eifrigen Beobachtern Gestirne mit Eigen-
bewegung auf im Gegensatz zu den von einander in gleicher Entfernung
verbleibenden Fixsternen. Pythagoras war es, der zuerst mit der
alten Anschauung brach. Ihm wird die Erde zum freischwebenden
Gestirn, wie der Mond, wie die Planeten. Er stellt ein neues Welt-
system auf: Die Erde trägt die Himmelsaxe, um welche sich die
Himmel und Enlo. I8W. XI. & (3
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Fixsternsphäre dreht; Sonne, Mond und Planeten laufen ira Kreise um
die ruhende Erde. Die weitere Entwickelung seines Systems durch
seine Schüler wird uns später beschäftigen.
Bald jedoch genügte des Meisters Anschauungsweise nicht mehr.
Kein Geringerer als Piaton warf die Frage nach einer anderen Theorie
auf, die mit den neu entdeckten Verzögerungen und Beschleunigungen,
ja Rückwärtsbewegungen des Planetenlaufes sich im Einklauge befände.
Sein Schüler, Eudoxos von Knidos (409 356 v. Chr.), löste für damalige
Zeit befriedigend die Aufgabe durch Aufstellung dor sogenannten
homocentrischen Sphäreutheorie. Auch für ihn befindet sich, im Ein-
klang mit dem allgemeinen Glauben und der täglichen Erfahrung, die
ruhende Erde im Weltmittolpunkte; ein erklärlicher Irrtum, der
durch die Jahrtausende so eingewurzelt war, dafs dereinst dem geister-
beherrschenden Rom ein Zweifel daran als Ketzerei erscheinen konnte.
Ferner ging er von dem Grundsatze aus, eine jede Elementarbewegung
müsse in der vollkommensten, in der Kreisform verlaufen. Unter Zu-
grundelegung dieser Annahmen gab er jedem Gestirne so viele kon-
zentrische Sphären, als er Elementarbewegungen an ihm wahrnahm,
wobei die Axo jeder inneren von der äufseren in ihrem Äquator ge-
tragen wurde, wahrend der Stern selber im Äquator der innersten be-
festigt war. Durch entsprechende Annahmen von Drehungsrichtungen
und Geschwindigkeiten für die einzelnen Sphären gelang es ihm so,
für die ira Centrum ruhende Erde die Erscheinungen des planetarischen
Laufes für seine Zeit genügend zu erklären. Ihm waren diese Sphären,
27 an Zahl, nur mathematische Hilfsmittel. Aristoteles versetzte
der Theorie durch Vermehrung derselben um 29 und Annahme wirk-
licher, mechanischer Krystallsphüren mit dem Fortfallen dor Einfachheit
den Todesstors1).
Angeregt durch die Erkenntis von dor Verschiedenheit in der
Länge der Jahreszeiten gab Hipparch um 200 v. Chr. eine neue,
sehr glückliche Lösung der Sonnentheorie. Durch Verschiebung des
Centrums ihrer Bahn um V24 ihres Radius nach dem sechsten Grade
der Zwillinge gelang ihm aufs Einfachste die Erklärung ihres Laufes,
freilich auf Kosten der genauen Centraistellung der Erde. Schon bei
einem Versuche zur Erklärung der Mondbewegung reichte jedoch sein
exzentrischer Kreis nicht mehr aus, um den thatsächlichen Verhältnissen
Rechnung tragen zu können, so dafs Klaudios Ptolemaios um
') Ober die hoiucH'cnirisclie S|thäi-cnihcorie sehn man die Abhandlung
I V. SL-hiuparcllis: Li? sfore omooontrielie di Eudosso. di Callippo e di
AristotiW«. doutsch von \V. Horn (Abhandl. z. Osch, der Mathem. 1,101 — 198).
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140 n. Chr. eine neue Theorie aufzustellen gezwungen war. Er ver-
setzte den Mond an die Peripherie eines sich um seinen Mittelpunkt
drehenden Kreises, des Epi cy kels, während eben dieser Mittelpunkt
sich gleichmäßig auf der Peripherie eines zweiten Kreises, dos Deferens,
abrollte. Hierdurch, und indem er sich den deferierenden Kreis wieder
in Bezug auf die Erde als exzentrisch dachte, gelang es ihm, bei
Annahme entsprechender Geschwindigkeiten und Richtungsverhältnisse
der Kreisbewegungen die so erhaltene Mondbahn genügend mit den
Beobachtungen in Übereinstimmung zu bringen. Noch einen Schritt
weiter mufste er bei dem Erklärungsversuche der Planetenbahnen
gehen. Er behielt den exzentrischen delirierenden Kreis der Mond-
bewegung bei und liefs sich den Epicykel vom Centrum dieses,
hior Äquans genannten Kreises aus gesehen gleichmäßig abrollen,
schaltete aber einen zweiten, dem Äquans gleichen Kreis so ein, dafs
der Mittelpunkt dieses jetzt Deferens genannten Kreises im Halbierungs-
punkte zwischen der Erde und dem Centruin des Äquans lag. Die
Schnittpunkte der Sehlinie zwischen dem Mittelpunkte des Äquans
und dem scheinbaren Ort«' des. auf der Peripherie als gleichmüßig
sich abrollend angenommenen Centrum des Epicykels mit dem neu
eingeführten Deferens waren nun die wahren Orte des Epicykelmithd-
punktes. Dadurch war das Prinzip der gleichmäßigen Bewegung, wie
h-icht zu sehen, aufgegeben, nur vom Mittelpunkte des Äquans aus
blieb eine Fiktion derselben bestehen. Auf diesem Wege gelang ihm
die Herstellung einer genügenden Übereinstimmung zwischen Theorie
und direkter Beobachtung.
Diese seine Grundlehren faßte er nun, im Verein mit anderen
Beobachtungen, in seiner großartigen \yj.^i\ii-:rri z'j'/-?*-:; zusammen,
gewöhnlich nach ihrer arabischen Verballhornung Almagest genannt.
Für ein Jahrtausend und mehr war damit die Richtung des astro-
nomischen Denkens festgelegt. Erst ein Coppernicus wagte es, sich
von seinem Baune zu befreien, ein Kepler baute das neue System
aus; erst ein Galilei erstritt ihm den Sieg gegen die verbündeten
Peripatetiker und Ptolemaios, und ein Newton fand seine Gesetze.
Bis auf die Zeiten dieser Männer standen alte Leistungen der Zwischen-
zeit auf dem Boden des Riesenwerkes, dem wir, trotz besserer Einsicht,
unsere Bewunderung nicht versagen können.
Wenn neben diesen Weltsystemen — deren Gemeinsames, die
Annahme der ruhenden Erde im Mittelpunkte kreisförmig sie um-
laufender Gestirnsbahnen, fast als ein Glaubensartikel der damaligen
.Menschheit erscheint — sich trotzdem die Wahrheit einigen Erleuchteten
I.V
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kund gab, so ward der Funke gar bald in allgemeiner Nichtachtung
erstickt. Schon Philolaos, des Pythagoras Schüler, hatte durch
diu von ihm angenommene Axendrehung der Erde einen ersten Schritt
zur Erkenntnis der thatsächlichen Verhältnisse gethan, wie roh einer-
seits und wie gekünstelt andererseits auch sein System erscheinen mag.
Mit den Lehren des Pythagoras und seiner Schüler wurde zu Sizilien
auch Piaton bekannt, derselbe Piaton, welcher Eudoxos zur Auf-
stellung des Systems der homoeentrischen Sphären bewogen hatte.
In dem durchdringenden Geiste dieses Gewaltigen vollzog sich im
Anschlüsse daran ein Anschauungswechsel, der ihm in seinen letzten
Jahren die Erkenntnis der Wahrheit gebracht zu haben scheint. Doch
er fürchtete (mit welchem Recht sollte ein Jahrhundert später sich an
einem anderen erweisen) den Entrüstungssturm, ja eine Anklage wegen
Unglaubens, und nur in dunkelen Andeutungen wagte er seine kühne
Neuerung zu verkünden. Was er sich nicht traute, das vollführte der
um 270 v. Chr. lebende Aristarch von Samos. Über die Entstehungs-
geschichte seiner Theorie sind wir nicht unterrichtet. Nur eine Stelle
beiPlutarch und vor allem ein Passus in der berühmten Sandrechnung
des Archimedes bezeugen uns, dafs er das heliocentrische System
lehrte. Aus Plutarch wissen wir auch von den Verfolgungen, die
ihm seine Lehre zuzog. Er blieb vereinzelt mit seinen Anschauungen
Nur Wenige, wie ein gewisser Seleukos, bekehrten sich dazu:
herrschend blieb allein die ji:';ai.r( vjvrastc-).
Durch über tausend Jahre, während einer Periode tiefsten Nieder-
ganges der Wissensehaften bis zum abermaligen Aufblühen derselben,
blieben die Theorien über den Weltenbau stationär. Aristarchs
Lehren wurden nicht mehr verfolgt, nicht mehr verspottet; Schlimmeres
geschah ihnen: sie waren vergessen'1)!
Im starren Itiichstabenglauben war das Denken des Mittelalters
stecken geblieben. Haarspaltereien über die Auffassung von Einzel-
heiten der doch nur aus der arabischen l Ü bersetzung bekannten Griechen,
das nannte man Wissenschaft. Worte, wie die Alfons des Weisen
•) Was wir über die Vorläufer dos ('oppernicus im Altertum wissen,
ist am besten dargestellt von Sc h i a p a r e 1 1 i , I precursoii di i'opexnicn nell'
aiitic-lut.i Hicerche storiche Deutsch mit nicht unerheblichen Zusätzen des
Verlas-.-!* von l'urtze, I.. ipzijr 1S74.
] Pie von Iiipier behauptete fortdauernde Hekanntschaft mit der helio-
centrisrhen Lehre im Altertum nicht nur, sondern auch das ganze Mittelalter
hindurch lüfst sich durch Dokumente nicht beweisen. Jedenfalls hat aber
Cnppcrtiie ijs .ms -oK her Itckanntschaft nicht die Ann u'iiii- /u seiner Geistes-
th;.t erhalten
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197
nach dem Studium des Almagest: rWäre ich Gotl gewesen, ich
hätte die Welt besser erschaffen," blieben Seltenheiten in einer
von Autoritätsglauben völlig beherrschten Zeit. Die freie Forschung
schien für immer verloren, erstickt. Doch schon iu der zweiten Hälfte
des XV. «Jahrhunderts begann es sich zu regen in den Herzen und
Köpfen der Menschheit; der wunderbare goistigo Aufschwung der
Renaissance begann sich fühlbar zu macheu4). Eine erste, köstlichste
Frucht brachte sie auf unserm Gebiete durch Xicoluus Coppernious
aus Thorn. Nach eigenen Angaben durch des Pythagoräers Nicetus,
richtiger Iliketas, Erklärung der scheinbaren Drehung des Himmels-
gewölbes vermöge Axendrehung der Erde angeregt — er fand sie
bei Cicero, Academicae quaestiones — , und, wenn auch nur aus
den dürftigen Angaben Plutarchs mit den Ansichten Aristarchs
von Samos bekannt, hat er mit seinem unsterblichen Werke ..De re-
volutionibus orbium caelestium" eine neue, richtige Weltan-
schauung gelehrt.
1. Jugend- und Studienjahre.
Dafsdie Lebensgeschichte eines Coppernicus derartig in Dunkel
gehüllt sein kann, wie wir es leider boi jedem Versuche einer Dar-
stellung auf Schritt und Tritt empfinden müssen, wirkt auf den ersten
Blick überraschend. Wer, wie er, den eingewurzelten Vorstellungen
eines Jahrtausends den Krieg erklärte und durch seine Gedanken-
arbeit die neue beobachtende Methode der Erkenntnis zum Siege
gegen die metaphysischen Spielereien der Vergangenheit führte, dessen
Lebensbild, müfste man glauben, hätten doch seine Jünger der Nach-
welt zu überliefern pietätsvoll sich beeifern müssen. Lud der Ver-
such ist auch gemacht. Sein Schüler und Freund, Georg Joachim
von Lauchen, nach seinem Geburislande Rheticus genannt, hatte
ein solches Werk vollendet, wie wir aus einem Briefe des Bischofs
Tiedemann Giese an Rheticus wissen. Wohin dasselbe nach
dem 157ö zu Kaschau erfolgten Tode des letztem gekommen, ob es, wie
eine grofee Zahl von Originalbriefen des Coppernicus, im Besitze des
berühmten Krakauer Professors Johannes Broscius mit diesen
unwiederbringlich verloren ging, oder ob es sonst seinen Untergang
*) Vou dun Vorläufern des Coppernicus im Mittelalter und der be-
ginnenden Renaissance dürftcu vor allen Heinrich von Hessen und
Nicolaus Cuaanus genannt werden, von denen der erstere sich Regen die
Kpicvklen und excentrisclien Kreise, dor letztere für die Axendrehung der
Eule erklärte. Über den lelzteren sehe mau ein« demnächst erscheinende
Abhandlung S. Günthers: , Nikolaus von Cusa in seinen Beziehungen
zur mathematischen uud physikalischen Geographie. -
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198
(and, wir wissen es nicht. Wir können nur den Verlust dieser, unter
den Augen des Coppernicus selbst entstandenen Biographie be-
klagen und sind so nur auf die dürftigen Angaben in seinen Schriften
und auf wenige, überall hin zerstreute anderweitige Auskünfte ange-
wiesen, um eine Rekonstruktion des Lebenslaufes und Bildungsganges
des Schöpfers unserer Anschauung über das Universum zu versuchen.
Der Grund der Seltenheit urkundlicher Angaben liegt nicht zum
kleinsten Teile an der Plünderung und Wegschleppung des Frauen-
burger Archivs durch die Schweden im dreißigjährigen Kriege. Jen-
seits der Ostsee ist an den verschiedensten Orten vieles wieder auf-
gefunden. Ja bis vor wenigen .fahren waren wir noch die Opfer
gewissenloser Fälschungen des dem XVIII. Jahrhundert angehörenden
Papadopoli; und erst die Auffindung der ..Acta Nationis Germanorum"
zu Bologna durch Malagola und des Ferraresischen Doktordiploms
im kanonischen Hechte durch Fürst Boncompagni haben diese
Fälschung aufgedeckt und einiges Licht auf seine Universitätsjahre in
Italien geworfen. Reichlicher, wenn auch noch spärlich genug, fliefsen
erst die Quellen seit seiner Rückkehr aus Italien zum Domstift Frauen-
burg um 150(1. So mufs Vieles nur Konjekturen überlassen und aus
dem Studium der zu seiner Zeit bestehenden Verhältnisse erschlossen
werden.
Was N i co laus M u lerius, der Neuherausgeber der „Revohttiones",
1617 als Vita autoris vorausschickt 5), sind nur wenige aus der Narratio
prima des Rheticus0) entnommene Notizen; eine wirkliche Lebens-
beschreibung, welche auf allen damals zugänglichen Quellen fufste,
gab erst 1G">4, also über ein Jahrhundert nach dem Tode seines
Helden, Petrus Gassendi7). Über das, was dieser bedeutende Mann
gesammelt, sind die Forscher erst im Laufe dieses Jahrhunderts hinaus
gekommen. Nachdem am Ende des vorigen Jahrhunderts der Streit
begonnen hatte, oli Coppernicus ein Deutscher oder ein Pole sei, hat
*■) Nicolai Copernici Toiinensis Astronomia instauiata, libiis sex cum-
prehensa, <]ui ■ lo Kevoliitionibus oibium coeU\fititim inscribuntiir etc. opera et
studio D. Nicolai Mulerii. Amstcli odami, Jansonius, MDCXVll. LSlalt 8v--i)r.
c) Dio Narratio priinu des Khoticus erschien zueist 1.V10 zu Danzi«- unter
dem Titel: Ad clarissimum viruni 13. Joanneni Schonerum, de libris rcvolutio-
num eruditUsimi viri et Mathematici excellentissimi Heverendi I). Doctoris
Nicolai Copernici Torunnaoi, Canonici Varmiensis. per 'juoiidam Juvcnera,
mathematicae studiosum Narratio {irima. Am Kndc: lixcusum Cedani per
Franciscum Rodum MDXL.
7| Die Lebensbeschreibung des Gassendi ist enthalten in dem (Juche:
Tychonis Brahei, Kcpiitis Dani. Astronomorum Coryphaei Vita. Authore
Petro Gasseudo Kegio matheseos professore. Auressit Nicolai Copcrnicii
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gerade diese für die Wissenschaft so gleichgiltige Sache den Eifer der
Biographen von neuem angefacht, und die Untersuchungen über diesen
Streitpunkt nehmen in allen Lehensbeschreibungen des Ooppernicus
einen breiten Raum ein. Die Durchforschung der schwedischen und
ermländischen Archive durch Leopold Prowe*) und Franz Ilipler
haben dann so manches zu unserer Kenntnis gebracht, was, bis dabin
unbekannt, nicht wenige der früheren Behauptungen über den Haufen
warf. Ich habe da zwei Namen genannt, Prowe und Hipler, welche
jeder in seiner Art als die wahren Biographen des Coppern icus be-
zeichnet werden müssen. Während der letztere in seinem „Spicile-
giuni Copernicanum" liegesten giebt't, hat Prowe in seiner grofs an-
gelegten Biographie10) ein Lebensbild gezeichnet, das, mag auch viel-
leicht manches anfechtbar sein, dem grol'sen Manne voll gerecht wird.
Auf ihn und auf Hipler mich stützend, will ich versuchen, den Lesern
dieser Zeitschrift ein Bild von dem Leiten und Wirken des Wieder-
herstellers der Sternkunde vorzuführen.
Nicolaus Coppe rnicus stammte aus einer ursprünglich schle-
sischen Familie. Sein Vater, Niklas Kopoernigk, war als (Jrofs-
kaufmann lauge in Krakau ansässig. Gegen Knde der "»Oer Jahre
des XV. Jahrhunderls zog er nacli Thorn und verheiratete sich buhl
darauf mit Barbara Watzelrode ans altern Thorner P,ilrizierg> schlecht,
einer Tochter des Schüppenmeisters der Altstadt Thorn, Lucas
Watzehode. Km Beweis für das grofse Ansehen, das er geuofs,
ist seine für Zugezogene ungewöhnlich Crühe Berufung zum Khren-
amte eines Schüppen (14<;ö.. Der Khe entsprossen vier Kinder. Die
älteste Schwester, Barbara, starb als Äbtissin des Cisterzienserklosters
zu Cuhn; Katharina, die jüngere, heiratete einen Krakauer Kaufmann
Gertner. Der ältere Bruder Andreas gelaugte nach gleichem
Oeorgii I'e ii r Im eh i i et .1 <> h .1 11 u 1 s H 0 gi o m o 11 1 a 11 i .Vsttnnomni um eele-
hriuin Vita. I'arisiis, MDCLIV. Darin haben die drei let/len Biographien
eine neue von 1 beginnende Zähhing. Dem Leben des ('oppernunis ist
ein gutes Bildnis desselben vorangestellt, welches oben in verkleinertem Mals-
stabe eingelügi ist.
"I Mitteilungen aus sr.li wedischon Archiven und Bibliotheken. Bericht
an Sc. Excellenz Denn Minister v. Hau m er von Dr. L. l'rowe. Berlin IJ>"»:{.
\| Spicilegimn 1 openücauum. Festschrift des historischen Vereins für
Krtnland zum 4'Jo. Geburtstag« des eriniandiscli. n Domherrn Nikolaus Ko-
pernikus. Herausgegeben von Dr. Kran/. Hipier, liraunsberg IST.". Leider
ist wahrend des Druckes dieser Zeilen Franz Hipler ;iih diesem Leben
abgerufen.
,0; N'icolaus Coppernicus. Von Leopold Prowe. I. Band: das
Leben, 2 Teile; 2. Band: Urkunden. Berlin ISX'./M.
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Bildungsgänge zu gleicher Lebenstellung wie das jüngste Kind, unser
Nicolaus. Dieser winde um 19. Februar 1473 zu Thum geboren.
Die Tradition bezeichnet fälschlich das heute noch stehende, mit einer
Gedenktafel geschmückte Kckhans der Bäcker- und Coppernicus-
Strafsc als seine Geburtssiätte. neuere Forschungen verlegen sie in
die frühere St. Annenstrafse 1 1 ). Nicolaus scheint eine glückliche
Jugend verlebt zu haben, soweit uns die wenigen über ihn vorhandenen
Dokumente bis 100b einen Ifückschluls erlauben. Als 1483 sein Vater
starb, nahm sich sein Oheim, Lucas Watzel rode, seiner Erziehung
an und blieb auch in der Folge als Bischof von Krmland (seit 1489)
sein nun mächtigerer Förderer. Den ersten l'nlerrieht erhielt der
Knabe unzweifelhaft in der .Johannisschule zu Thorn, an welcher zeit-
weilig auch der Oheim gewirkt hatte. Die Angabe dagegen, Cop-
pernicus habe auch das Partikular zu Ciilrn besucht, ist ohne jede
Beglaubigung. Bald lttjährig vcrlicfs er Anfang des Wintersemesters
1491 Thorn und bezog dir- Hochschule zu Krakau. Abgesehen
von dem Weltruf der Universität als solcher, mochten Fauiilienbe-
ziehungen, o ils durch die Heirat seiner jüngeren Schwester begründet,
teils von frü herlier, und die Verbindungen des Bischofs Lucas als
polnischen Grofswürdenträgers, sowie dessen Kenntnis der dortigen
Verhältnisse infolge einstmaligen eigenen Studiums zu Krakau die
Wahl dieses Ortes begünstigt haben.
Durch den Florentiner Callimachus hatte der Geist des Huma-
nismus dort Wurzel gefalst und kurz vorder Ankunft des Coppernieus
erst nach zweijähriger Anwesenheit ein anderer bekannter Humanist.
Conrad Celles, die Universität verlassen. In dessen Geisie wirkten
seine Schüler weitet, so Laurentius Corviuus, zu dem Nicolaus
in dauernde Freundschaftsbeziehungen treten sollte1'!. Kin frischer
Geist zog durch die Vorträge der Professoren. Den glänzendsten
Namen alter unter allen Dozenten trug der Mathematiker und Astronom
Albertus Klar de Brudzewo, gewöhnlich Brudzewski genannt,
'lausende eilten aus weiter Ferne heran, um ihn zu hören. I.Jas waren
") Der W-u-hwois ist -<'führt von (i. Ken der im ::. Helte <l»lr -Mitteilungen
des Coppernicus-Veivins für Wissenschaft und Kunst /.u Thorn, Thorn 1 -SS 1
S. I Iii — \ Man vcr^ teiebe dum dir in Hell 4 belindlirhe Abhandlung von
H. Adolph, .Das Ui'bnrtshaus des Nicolaus Co p p e rn ic u s - und die Knt-
getfnun:; Heilders in demselben Heft« S. W HC: „Noch einmal das Geburts-
haus lies Nikolaus (.' o p p e i 11 > e 11 s "
Man -eh<' das Kin'mtuicj'-^edieht dieses Mannes /n d--r Ausgabe der
Kriefo des T h eo p h v 1 a kt os .Si in o ka t t a . welche ( ' >> p ]> e r n i ■■ ;i - i.".n;» l«oi
Halle r in Krakau besorgte.
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201
die hauptsächlichsten Bildungsfaktoren, als unter dem Rektorate des
Mathias de Kobvlin am Immatrikulationstermin des Wintersemesters
1491/92 Nicolaus Coppernicus zu Krakau immatrikuliert und in
der Artistenfakultät inskribiert wurde. Nicolaus widmete sich, da
Brudzewski keine öffentlichen Vorlesungen der Art während des
Coppernicus Aufenthalt gehalten hat, jedenfalls unterdessen privater
Leitung mit größtem Eifer mathematischen und astronomischen Studien
und übte sich im (Gebrauche der darauf bezüglichen Instruinente. Ob
und welchen öffentlichen Vorlesungen über diesen Lieblingsgegen-
stand er beiwohnte, ist uns unbekannt, ebenso sein anderer Studien-
gang. Selbst die Dauer seines Aufenthaltes zu Krakau wird verschieden
angegeben. Am wahrscheinlichsten scheint die Absolvierung eines
Trienniums. Sein Onkel gedachte ihn nämlich zwecks pekuniärer
Sicherslellung auf Lebenszeit in das Domstift zu Fraueuburg aufnehmen
zu lassen. Die Statuten des Kapitels forderten nun mindestens ein
dreijähriges Studium von den Angehörigen des Stiftes, so dafs ein
früherer Versuch, ihn als Kandidaten zu präsentieren, kaum angängig
eischien. Auch lassen die Kenntnisse des Coppernicus in Italien,
obwohl er nicht graduiert war. doch auf ein wenigstens so langes
Studium schliefsen. Andererseits scheint, durch den vorübergehenden
Sieg der Scholastiker an der Hochschule im Herbst 1494 und Brud-
zewskis gleichzeitigen Weggang, wie für alle humanistisch Gesinnten,
so auch für unsern Nicolaus dort keines Bleibens mehr gewesen zu
sein. Wohin er sich gewendet hat, ist nicht sicher festzustellen.
Vielleicht nach seiner Vaterstadt Thorn zur Huldigungsleier für
König Johann Albert von Polen, zu der auch sein Oheim damals
sich hatte begeben müssen, und mit diesem dann zur Vorstellung b**i
(l' in Kapitel zu Fraueuburg? Dort war im September 1495 durch
den Tod des Domherrn Mathias von Launau eine Vakanz einge-
treten. Des Bischofs Lucas Hoffnung, seinen Schützling Nicolaus
an dessen Stelle zu bringen, scheiterte für diesmal noch an den Intriguen
seiner Feinde zu Rom, das das Besetzungsiecht der ermländischen
Domherrnstellen, falls sie in ungeraden Monaten zur Erledigung
kamen, hesafs. Die Entscheidung scheinen die Gegner lange in der
Schweb" gehalten zu haben. Nach ihrem ungünstigen Ausfalle zog
Coppernicus im Spätsommer 1406, ungehindert durch anderweitige
Rücksichten, gen Italien, der Wiege und Schule des Humanismus.
Anlang des Wintersemesters 1496 97 ist er in Bologna eingetroffen
und dort, wie vor ihm einst sein Oheim, am 6. Januar 1497 in das
Album der Natio Germanorum inskribiert worden. Damit ist, da der
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202
Nation nur Juristen angehören durften, auch für Cop pernicus dieses
Studium erwiesen 1 !).
Die Dozenten der Rechte, obwohl aus den erhaltenen Vorlesungs-
verzeichnissen bekannt, interessieren uns aber weniger als die für
den Entwickelungsgang des grofsen Astronomen als solchen wichtigen.
Die Frühprofessur dieser Wissenschaft hatte zur Zeit Dominions
Maria da Novara aus Forrara inne. Ihm schlofs sich Coppernicu s
innig an, wie uns Rheticus in der Xarratio prima berichtet, mehr als
gleichberechtigter Heller bei Beobachtungen, denn als Schüler. Am
1». März 1 41*7 beobachteten z. B. beide eine Bedeckung des Aldebaran
durch den Motid, die erste eigene von Coppernicus benutzte Be-
obachtung (Do revol. IV" ,27). Wichtig zur Charakterisierung des Lehrers
ist sein Zweifel an <len Grundlagen des Almagest. Ob er die von
ihm gefundene Abnahme der Schiefe der Ekliptik von 23° 51' 20" bei
Ptolemaios auf 23" 20' als Folge der Präzession der Nachtgleichen
ansah, wissen wir nicht; eine Differenz der Breitenatigabe für Cadix
im Betrage eines ganzen Grades zwischen ihm umd Ptolemaios lit'Ts
ihn jedoch eine Änderung in der Lage «1er Krdaxe vermuten; der
Pol habe sieh dem Zenith genähert. Ein Beobachtungsfehler erschien
ihm, wie er ausdrücklich bemerkt, wegen der GröTse der Abweichung
ausgeschlossen. Trotzdem lag ein solcher vor. Die Folgerung war
also falsch, wenn auch eine Richtungsänderung der Krdaxe. als Bogen-
bewegung, existiert. Diese Versuche einer Kritik am stolzen Bau des
herrschenden Glauheus bekundeten den freien Geist; seine scheinbar
damit in Widerspruch stehende Beschäftigung mit Astrologie ist einer-
seits aus den Bedingungen seines Amtes, andererseits wohl auch
aus pekuniären Gründen erklärlich14). Obwohl wir über des Cop per-
nicus anderweitigen Umgang mit Mathematikern zu Bologna nichts
wissen, wollen wir schliefslich doch die Anwesenheit des Scipione
dal Ferro, des ersten Entdeckers der Lösung kubischer Gleichungen,
nicht unerwähnt, lassen.
Fan weiteres Bildungselement brachte in seinen Bologneser Auf-
enthalt die Erlernung der griechischen Sprache. Zwingende Gründe
lassen uns dieselbe trotz Fehlens jeder urkundlichen Nachricht darüber
") Die Wiederaufllitdung der Akten der Deutschen Nation 7.11 Bologna
geltiihrt <li in Direktor der Stautsareliive zu Bologna, Dr. Carlo Malagola.
Dieselben sind dann von ilini im Verein mit Dr. F r i n rl i ä n d e r auf Kosten der
Savitfiiysliftuitg hei ausgegeben worden.
H) I ber Domenico Maria Novara s he man speziell einen Aufsatz
von M. Curtze 111 der Altpreufsiseheti Monatssehritt und daraus übersetzt im
Bullettino BoncoinpaL'ni Tom» X'.
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203
hierher verlegen. In Krakau hat Nico laus mangels eines Lehrers
bestimmt kein Griechisch lernen können; in Padua und Ferrara war
seine Zeit durch Vorbereitung zum Examen in der .Jurisprudenz und
die neu hinzutretende medizinische Wissenschaft zu beschränkt fin-
den Anfang eines so zeitraubenden Studiums. Zu Bologna aber lebte
ein trefflicher Kenner dieses Idioms, Antonius Lrceus Codrus.
Dazu kommt als indirekter Beweis eine spätere Übersetzung des
Theoph v laktos Simokatta mit ihren Abweichungen von der durch
den Paduaner Dozenten für Griechisch zur Zeit von Nicolaus' Anwesen-
heit an diesem Orte, Marcus Muslims, besorgten Aldina. Urceus
hatte von Manutius Aldus, seinem verehrter, Freunde, gleich nach
dem Drucke- fliesen Schriftsteller mit der Aufforderung erhüben, ihn im
Kolleg zu benutzen; so lassen sich die in Coppern icus Übersetzung
vorhandenen Abweichungen leicht als andere Lesarten des Frcens
Codrus erklären
Über sein Bologneser Privatleben wissen wir Weniges. Im
August 1497. also in einem geraden Monate, war der Frauenburger
Domherr Johannes l'zannow gestorben. Sein Nachfolger wurde
Nicolaus Coppernicus, dessen Einkommen damit etwa einem
jetzigen von 9000 Mark entsprach. Zugleich wurde ihm ein drei-
jähriger Urlaub zur Fortführung seiner Studien bewilligt. Die Pfründe
hat er jedenfalls durch einen Stellvertreter angetreten. Diese vom
kanonischen Rechte den Geistlichen gewährte Begünstigung macht die
Annahme einer Reise nach der Heimat überflüssig. Bei Antritt der
Domhermstelle empfing Coppernicus auch die niederen Weihen,
die übrigen hat er nie besessen. Im Jahre 1498 kam dann sein
Bruder Andreas, der 1499 ebenfalls zum Frauenburger Domherrn
gewählt wurde, nach Bologna, um dort die I {echte zu studieren. Trotz
ihres beträchtlichen Einkommens und wohl auch nicht unbedeutender
Zuschüsse ihres Oheims brachte das teuere Leben auf der Universität
die Brüder doch in Geldverlegenheiten. So wissen wir. dafs sie im
Herbst 1499 durch Vermittelung ermländischer Kirchenbevollmächtigler,
speziell unter Bürgschaft, des Domdeclninten Beruhard Sculteti,
100 Ducaten von einer romischen Bank borgten, welche Bischof
Lucas zu zahlen gezwungen war. Vier Jahn» lang blieb Nicolaus
zu Bologna. Auch bei einer Allodverteilung im Kapitel am 7. Februar
1499 hat er sich ohne Zweifel durch seinen Prokurator vertreten lassen.
,4) Über Urceo Codro hat Maiagola eine »•ingeln-nde Studio veröffent-
licht: Deila vit:i e delle opero dl Antonio Urceo delto Codro. Studio
ricerche di Carlo Malagola. Bologna 1STS.
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204
Im Jahre 1500 finden wir ihn mit seinem Bruder zu Rom
wieder. Ob er die Charwoche des Jubeljahres dort verlebte, ob er
das Sommersemesterendo in Bologna abwartete, wir wissen os nicht.
Am 4. März beobachtete er noch zu Bologna eine Konjunktion des
Saturn mit dem Monde, wie eine eigenhändige Fiuzeichnung in ein
ihm gehöriges Exemplar der Alfousinischeu Tafeln von diesem Tage
beweist; am ü. November aber hat er zu Rom eine Mondfinsternis be-
obachtet (De revol. IV, 14). Hheticus berichtot uns ferner von jenem
Aufenthalte, Xicolaus habe zu Rom als Professor Mathomatum starken
Zulauf auch mathematisch schon Vorgebildeter gehabt Nicht graduiert
kann er an der Universität derartige Vorlesungen nicht gehalten haben,
in den Rotulis, den Vorlesungsverzeichnissen, fehlt auch jede Angabe
darüber; es sind also jedenfalls nur private V orträge für Interessenten
darunter zu verstehen.
Im Sommer 1500 war sein dreijähriger Urlaub von der Kathedrale
abgelaufen. Die Feier des Jubeljahres mag er als Mitglied des Dom-
kapitels wohl halboffiziell zu Rom verlebt haben. Dann aber trat die
Notwendigkeit an ihn heran, persönlich in Frauenburg- um neuen
Urlaub zu bitten. So überschritt er denn wieder die Alpen; mit ihm
zog sein Bruder Andreas. Am 27. Juli 1501 finden wir zum ersten
Male die Anwesenheit beider Brüder in einer Kapitelsitzung erwähnt.
Andreas1 Urlaubsgesuch gewährten die Confratres nach ernstlicher
Beratung, Nico laus gewann ihr Einverständnis schneller durch das
Versprechen, auTser dem Abschlufs des juristischen Studiums noch
Medizin zu betreiben, und durch die dadurch eröffnete Aussicht auf
künftige sachverständige Behandlung erkrankter Kapitelluitglieder-
Bei dem geringen Umfange und der engen Wechselbeziehung der
einzelnen Wissensgebiete zu damaliger Zeit darf die Vereinigung
astronomischen, juristischen und medizinischen Könnens in einer
Person nicht Wunder nehmen; auch der Widerwille der Kirche gegen
Ausübung ärztlicher Praxis seitens der Geistlichen war bis auf das
Verbot chirurgischer Operationen, wegen der damit verbundenen
Herzensverrohung, bereits geschwunden. Die Brüder hatten ihren
Zweck erreicht. Noch im selben Herbste überstiegen sie von neuem
die Alpen: Andreas ging nach Rom, Nico laus nach Padua. Ihn
mag zunächst wohl der hohe Ruf der medizinischen Fakultät dorthin
gezogen haben, dann aber auch das Bedürfnis nach Ruhe zum Ab-
schlüsse seines juristischen Studiums. War Bologna doch der Durch-
gangspunkt uuziihliger Fremden und bot Vergnügungen in Menge, so
dafs zwanzig Jahre später der Hochmeister gewarnt wurde, der daraus
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205
entspringenden Störungen wegen, seinen Schützling, den Grafen von
Eulonburg, dort studieren zu lassen. In den Paduaner Archiven
hat sich keine Andeutung von CoppernicusAufenthalte daselbst er-
halten, nur eine dunkle Frauenburger Tradition versetzte die ärztliche
Bildung des grofsen Astronomen nach dieser Universität. Durch
Papadopolis Fälschung, der ihn nach Krakau nur in Padua studieren
und dort 1499 den medizinischen und philosophischen Doktorgrad,
welche er nie besessen hat, erwerben läfst, war überhaupt die An-
nahme eines Paduaner Studiums in Mifskredit gekommen: da fand
sich zufällig im Archiv zu Ferrara sein juristisches Doktordiplom,
und durch dessen ausdrückliche Worte: „Nicolaus Copernich de
Prusia qui studuit Bononie et Paduek der strikte Beweis seiner
Anwesenheit auf der Paduaner Alma Mater.
Da aufser diesem Diplome keine weiteren Dokumente über seinen
Studiengang zu Padua sich erhalten habeu, so sind wir einzig auf
Rekonstruktion desselben aus Angaben über die zu damaliger Zeit
dort wirkenden Lehrer und daraus sich ergebende Wahrscheinlich-
keiten angewiesen. Die geringeren Kosten und leichteren Bedingungen
des Doktorexamens zu Ferrara haben ihm wohl von Anfang an schon
den Entschlufs nahe gelegt, dort durch Erlangung dieser Würde seino
Rechtstudien zu krönen. Er wird daher zu Padua meist nur Repe-
titorien des canonischen Rechtes gehört haben, ohne den zur Promo-
tion erforderlichen näheren Anschlufs an einen ex officio als Promotor
fungierenden Dozenten zu suchen. So berühmte Vorlesungen wie die
des Filippo Decio, des „Fürsten der Juristen", dürfte er aber doch
wohl nicht versäumt haben. In den grofsen Himmelfahrtsferien des
Jahres 1503 wurden ihm dann zu Ferrara am 31. Mai in Gegenwart
des Rektors der Juristenfakultät Johannes Andreas de Lazaris
vom Vikar des Erzbischofs Georgius Priscianus feierlich die In-
signien des Doctor decretorum überreicht. Der darüber aufgenommene
notarielle Akt eben hat sich erhalten; in der Anmerkung lassen wir
ihn abdrucken1'). Als Promotoren fungierten Dr. Philippus Bar-
della und Dr. Antonius Leutus, letzterer einer der bedeutendsten
"') l")0."i. Die ultima mensis Maij. Ferrarie in episeopali palatio, sub lodia
horti presentibus testibus vocatis et rogatis Spectabiii viro domino Joanne
Andrea de Lazaris siculo panormitano almi Juristarum ffymnasii Ferrariensis
Mag-uifico Rectore, Ser Bartholom eo de Silvestris, cive et notario
Ferrariensi. Ludovico quondam Baldassaris de Regio cive Ferrariensi et
bidello Universitatis .Juristarum civitatis Ferrarie, et alijs.
m: Venerabiiis, ac doctissimus vir dominus Nicola us Copernich de
Prusia Canonicus Varmensis et Schoiastieus ecclesie S. crucis Vratis-
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2M
Rechtsgelehrten seiner Z^it I ber seine persönlichen Beziehungen zu
den=eir>en ist ..n« nichts »eiler bekannt. Damit war dieser Abschnitt
meiner Stadien beendet, und er konnte sich freier den sicher bereits
in Angr.ff genommenen anderen Wissenszweigen hingeben.
Auf-er seiner medizinischen Ausbildung dürften vornehmlich
philosophische Vorlesungen ihn in Padua angezogen haben. Neben
den allgemeinen scholastischen Vorlesungen über Aristoteles lehrten
dort kühne Neuerer. Zuerst möchten wir den später weltberühmten
Pietro Pom ponazzi nennen. Seine Philosophie emanzipierte sich
vorn starren Dogmenglauben; als erster wagte er religiöse Kritik zu
üben, ohne steh auf die Bibel zu stützen. Ihm ebenbürtig war
Niccolo Leonico Tomes. Seine Erklärungen des Aristoteles und
Pia ton nach dem griechischen Urtexte räumten gründlich unter den
f ber-etzungen aus dein Arabischen und den Spitzfindigkeiten der
geltenden Kommentatoren auf. um freie Bahn hir unbeschränkte
Forschung auf Grund von Naturbeobachtung zu schallen. Wir nennen
endlich den kaum zwanzigjährigen Logiker Girolamo Fracastoro.
Zu ihm vor allem, zu dem späteren energischen Gegner der Epicykel-
theorie, dem freien Denker, musste Coppernicus sich hingezogen
fühlen, abgesehen von notwendigen Beziehungen, in die er als Medi-
ziner zu dem damaligen Consiliarius Anatomicus treten mufste.
Mathematik unrl Astronomie linden wir dagegen wenig gepflegt. Nur
ein, noch dazu gering besoldeter Dozent las über beide Fächer. In
der griechischen Sprache und Litteratur fand er an Marcus Musli-
ms, den wir schon oben erwähnten, einen erprobten Führer und
I^.'hrer. Über die Verhältnisse der medizinischen Fakultät sind wir
durch eine Arbeit Favaros unterrichtet17». Sie hatte vier Prolessuren:
1. De medicina theorica ad primum Fen Avicennae, Aphorisma Hippo-
eratis et artem parvam Galeni; 2. Ad tertium Avicennae; 3. De medi-
cina practica, de febribus, de morbis particularibus a capite ad cor,
de morbis a corde et infra; 4. De chirurgia. Endlich ist noch, ob-
wohl nicht ausdrücklich erwähnt, Anatomie als Lehrgegenstand sicher-
laviensis: qui studuit Bononie et Padue. fuit approbatus in Jure canonico
nomine penitus diserepante, et doctoratus per prefatum dominum Goor-
ginm Vicarium antcdictum etc.
promotores fucrunt
IX Antonius Loutus qui ei dedit inaignia }
,;> Lo Studio di Padova al terupo »Ii XiccoK» Coppemico per An-
tonio Kavaro. Venozia, Aiitnnelli 18i>U. Deutsch vi.m t.'urt/.e in Heft:? der
,. Mitteilungen des Coppernieus- Verein»". S. 1 -tut.
D. Philippus Bardel la et
' civüb Ferranensis etc.
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207
gestellt; sie wurde von den ältesten Zeiten an am Leichnam selbst
erklärt. Der Rektor der medizinischen Fakultät war bei Strafe ver-
pflichtet, jedes Jahr einmal eine männliche und eine weibliche Leiche
bis spätestens Februar herbeizuschaffen. Der Chirurg' zergliederte
dieselben, während Professoren der Medicina theorica et practica be-
zügliche Vorträge hielten und deren Richtigkeit an den Präparaten
demonstrierten. Der Zutritt war nur Studierenden, welche bereits
einen Jahreskursus durchgemacht hatten, gestattet. Am reichlichsten
war der Lehrstuhl der Medicina theorica besetzt, darunter mit Männern
wie Bartolomeo Montagnana, dessen hygienische und über con-
tagiöse Krankheiten handelnde Arbeiten sich eines wohlverdienten
Rufes erfreuten. Ich nenne ferner Marcantonio dalla Torre, den
Gefährten Lionardo da V i n ci s bei anatomischen Studien, einen der
ersten wirklichen Anatomen, um von anderen zu schweigen. Ad
tertium Avicermae linden wir nur einen Doctorandeu angegoben, ob-
wohl zwei Dozenten dafür angestellt waren. In der Medicina practica
fungierte unter anderen der auch als Mathematiker berühmte Pietro
Trapolin als ordentlicher Professor, als Chirurg wird hauptsächlich
Giovanni Battista Fortezza erwähnt, dessen Vorlesungen jedoch
Coppernicus als Priester kaum regelmäßig besucht haben dürfte.
Die Würde eines Dr. med. hat der Doktor Decretorum. so weit wir
wissen, nicht erworben. Wurd»* doch die Medizin kaum als gleich-
berechtigt neben den Schwesterwissonschaften angesoheu, und wollte
er seine ärztliche Thätigkeit ja auch nur in den ihm nahestehenden
Kreisen ausüben. Aus diesen Gründen ist es auch nicht möglich,
die Dauer seines medizinischen Studiums selbst nur annähernd zu be-
stimmen, da ihm darin doch nur individuelle Schranken gesetzt waren.
Jedenfalls hatte er sich tüchtige Kenntnisse darin erworben, denn nach
der auf Tiedemann Giese zurückzuführenden Bemerkung Stara-
wolskis18) wurde er später im Ermlande ..wie ein zweiter Aeskulap1-
gel'eiert.
Sein zweijähriger Urlaub war Mitte 1503 abgelaufen. Von einer
offiziellen Verlängerung ist in den Akten nichts auf uns gekommen,
er scheint aber stillschweigend auf etwa das Doppelte ausgedehnt zu
sein. Eine beglaubigte Erwähnung seiner Anwesenheit in Preufsen
finden wir nämlich nicht früher als im Jahre 1506 in den Protokollen
über die Tagfahrt des preußischen Landtages im August dieses Jahres
zu Marienburg. Eine kurze Notiz in einem handschriftlichen Samrael-
,9j Simon Starawolski. Scriptorum Polonorum itw-i;,
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208
bände der Gymnasialbibliothek zu Thoru läfst ihn bereits im Jahre
1505 in Preufsen weilen, ein Citat, über dessen Richtigkeit jedoch
erst nach einer etwaigen Auffindung der Landtagsrezesse dieses Jahres
geurteilt werden könnte, so dafs wir seine Abreise aus Italien zwischen
Mitte 1505 und Anfang 1506 setzen dürfen.
Damit haben wir den Abschlufs der Lehrjahre des grofsen
Astronomen erreicht. Von nun an führt er, unter rühriger Geistes-
arbeit die Früchte seiner Studien einheimsend, ein äußerlich ruhiges
Leben im Genüsse seiner Pfründe, ohno noch weit über die Grenzen
seiner Heimatprovinz hinauszukommen.
(Fortsetzung fol^t.)
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Die Erd- und Länder- Vermessung und ihre Verwertung.
Von Professor Dr. C- Koppe in Braunschwcig.
(Scblub.)
Die Einzel Vermessung für wirtschaftliche und
technische Zwecke.
aohdem durch die grundlegenden Triangulierungsarbeiten das
ganze Landesgebiet mit Dreiecksnetzen überspannt und so
ein fester Rahmen geschaffen ist für die in ihn einzuschal-
tende Detailaufnahme, werden zwischen die Dreieckspunkte, welche nun-
mehr 1 — 2 km von einander entfernt sind, Linienziige und Liniennetze
zwisohengelegt, um durch direkte Längenmessung gegen die Seiten
derselben alle in Betracht kommenden Einzelheiten festlegen zu können.
Dem allgemeinen Prinzip des Arbeitens vom Grofsen ins Kleinere
entsprechend, werden zunächst gebrochene Linienzüge, sogenannte
Polygonzüge, von Dreieckspunkt zu Dreiockspunkt gelegt, welche
thun liehst gestreckte Formen und wenige nahe gleich lange Seiten
von einigen hundert Metern haben. Zwischen diese werden weitere
Polygonzüge mit kürzeren Seiten eingeschaltet, bei welchen weniger
auf eine gestreckte Form und gleiche Seiten länge Rücksicht zu nehmen
ist, als darauf, dafs ihre Seiten für die Einzelaufnahme bequem gelegen
sind, d. h. nahe an den aufzunehmenden Eigentumsgrenzen, Häusern,
Gärten etc. vorbeiführen. In allen Zügen werden die Winkel und
Seiten mit ausreichender Sorgfalt gemessen, und da die Züge erster
Ordnung zwischen die Dreieckspunkte, die Züge zweiter Ordnung
zwischen die Züge erster Ordnung und so fort eingeschaltet werden,
wird jeder eventuell begangene Messungsfehler beim Zusammenfügen
der Züge erkannt, und es kann einem Anhäufen von Uugenauigkeiten
durch systematisches Berechnen und Verknoten der Züge leicht und
sicher vorgebeugt werden.
Die Festlegung der Einzelaufnahme geschieht dann durch Messen
der rechtwinkligen Abstände aller Grenz- und Eckpunkte von diesen
Himmel und Erdo. 1SB9. XI. 5. 14
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210
Polygonseiten, bezw. von weiter zwischen sie eingeschalteten Messungs-
linien, wo letztere bei sehr reichlich vorhandenem Detail in grösserer
oder geringerer Zahl wünschenswert oder erforderlich werden. Von
der gesamten Einzelaufnahme, welche vornehmlich duroh Messen der
rechtwinkligen Ordinaten und Abscissen für alle festzulegenden Punkte
in Bezug auf die Linien und Seiten des Polygon- und Liniennetzes
als Abscissenaxen geschieht, werden bei der Aufnahme selbst Skizzen
Wörttembergiiche Flur&art«.
mit Mafszahlen, sogenannte ..Handrissel\ angefertigt, welche in auten-
tischer und übersichtlicher Form alle Zahlenresultate der direkten
Messung enthalten und somit Dokumente bilden, nach denen nicht
nur Pläne in jedem wünschenswerten Mafsstabe nach Bedarf ange-
fertigt, sondern auch Grenzverschiebungen etc. jederzeit sicher be-
richtigt werden können, wenn nur Tür eine gute und am besten unter-
irdische Versicherung der Polygonpunkte durch Thonröhren im Felde,
eiserne Bolzen, eingemeirselte Kreuze etc. in Städten und Ortschaften
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211
oder dergleichen in ausreichender Weise zu Beginn des Vermessungs-
werkes Sorge getragen wurde.
Unter den Aufnahmen für wirtschaftliche Zwecke sind die um-
fangreichsten die Katasteraufnahmen, ausgeführt vom Staate zur
Feststellung der Grundsteuer je nach der Grbfse und der Güte der
einzelnen Grundstücke. Sie dienen zugleich zur Sicherung der
Eigentumsgrenzen und in Verbindung mit den Grundbüchern zur
Förderung und Sicherstellung des Realkredites. Alle aufgemessenen
Grundstücke, Parzellen genannt, werden in den Flurkarten in grofsem
Mafsstabe, die Ortschaften jetzt meist im Marsstabe 1 : 500 genau kartiert
und die nach und nach vorkommenden Veränderungen, Teilungen etc.
durch besondere Staatsbeamte, Kataster- Kontrolleure oder Bezirks-
geometer genannt, jeweils nachgetragen, um das ganze Karten-
werk stets der Gegenwart entsprechend auf dem „Laufenden" zu
halten. Die süddeutschen Staaten Württemberg- und Bayern haben
ihre Flurkarten in Stein stechen und durch Drucklegung vervielfältigen
lassen, Bayern im Mafsstabe 1 : 5000 und 1 : 2500 für die Ortschaften,
Württemberg im Marsstabe 1 : 2500 und 1 : 1250 für die Ortschaften.
Von dem Umfange dieser bereits in der ersten Hälfte unseres Jahr-
hunderts hergestellten Kartenwerke kann man sich eine Vorstellung
machen, wenn man bedenkt, dafs Württemberg etwas mehr als 15 500
Flurkarten uud demgemärs ebenso viel Lithographie-Steine besitzt, auf
welche dieselben eingraviert wurden. Vielfach werden auch die Hand-
risse mit den unmittelbaren Messungszahlen durch ein einfaches Druck-
verfahren vervielfältigt und allgemein zugänglioh gemacht, namentlich
in grofsen Städten, wo der Grund und Boden einen hohen Wert hat,
um es den Interessenten zu ermöglichen, bei Besitzstandsveränderungen,
Teilungen, Bebauungen etc. die genauesten Daten zu benutzen.
Die Katasteraufnahmen stehon meist in engem Zusammenhange
und geschehen ihrerseits auf ganz analoge Weise wie die Vormessungs-
arbeiten für Separationen, Zusammenlegungen, Verkoppe-
lungen etc., welche von besonderen Staatsbehörden, in PreuTsen von
den General-Kommissionen, in Braunschweig von der Landesökonomie-
Kommission etc. ausgeführt werden im Interesse der Erleichterung
und Förderung der Landwirtschaft durch Teilung der seither gemein-
sam bewirtschafteten Gemeinde-Grundstücke, Zusammenlegung
des infolge von Erbschaftsteilungen etc. getrennt liegenden Privat-
Grundbesilzes, gleichzeitiger Verbesserung der Wege und Regulierung
der Wasserläufe, sowie Ablösungen und Befreiungen von alt herge-
brachten, hemmenden Lasten, Diensten und Verpflichtungen.
Ii*
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212
Bei der neuen Verteilung des gesamten Grundbesitzes in einer
Gemeinde soll jedem Grundbesitzer ein Teil der Bodenfläche als neues
Besitztum überwiesen werden, welcher an Wert seinem früheren Be-
sitzstände gleichkommt, zugleich aber zur Bewirtschaftung für ihn
möglichst bequem gelegen und leicht zugänglich ist. Hierzu mufs zu-
nächst eine genaue Vermessung der gesamten in Betracht kommenden
Grundstücke vorgenommen werden, zur Feststellung des seitherigen
Besitzstandes. Dann mufa auf einem hiernach angefertigten Plane eine
den obigen Bedingungen entsprechende Neueinteilung projektiert
werden, die jedem Einzelnen thunlichst gerecht wird und zugleich im
Interesse der Allgemeinheit liegende kulturtechnische Arbeiten und
Anlagon entsprechend berücksichtigt Diese Neueinteilung ist dann
ihrerseits, nachdem alle Umstände und Einwendungen der Beteiligten
erledigt sind, aus dem Plane in die Natur zu übertragen, wonach die-
selbe von den Besitzern in rechtskräftiger Form zur Bewirtschaftung
übernommen werden kann. Derartige Separationen und Zusammen-
legungen haben in allen denjenigen Staaten, in welchen dieselben früh-
zeitig begonnen und hinreichend weit vorgeschritten sind, der Land-
wirtschaft ausgezeichnete Dienste geleistet.
Die Vermessungen der Staats-Forsten, welch letztere in einigen
Ländern ausgedehnte Komplexe bedecken, dienen zur Feststellung der
Besitzstandsgrenzen, der Art der Bewaldung, der Abfuhrwege, der
Wassorliiufe etc. Dieselben geben zugleich die Mittel ab, zunächst
auf Plänen und hiernach in der Natur zur rationellen Waldwirtschaft
eine zweckentsprechende Einteilung zu treffen. Analoge staatliche
Aufnahmen und Vermessungsarbeiten werden ausgeführt für den Do-
mänenbesitz, für FluCskorrektionen, Wildbachvcrbauungen, Trocken-
legung 8umpflger Gegenden und Landesverbesserungen aller Art,
welche genaue Plandarstellungen zur Projektierung und demnächst
Übertragung der Projekte in die Natur, bezw. zu ihrer Bauausführung
verlangen.
Unter den Vermessungs-Arbeiten für technische Zwecke sind
weiter in Betracht zu ziehen diejenigen zur Anlage von Eisenbahnen,
Kanälen und Strafsen, von denen namentlich die ersteren im gebirgigen
Terrain nicht sehen sehr umfangreiche Aufnahmen erforderlich machen
zur richtigen Wahl der günstigsten Linie und ihrer rationellsten Bau-
ausführung. Der Vorgang hierbei ist im allgemeinen folgender:
Nachdem die leitenden Grundsätze, wie Zweck der Bahnlinie, Haupt-
orte, welche dieselbe berühren soll, u. s. w. festgestellt worden sind,
wird die Linie in eine Übersichtskarte eingetragen und zunächst das
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213
Längenprofil derselben ermittelt, um in Erfahrung zu bringen, welche
Höhe die Bahn ersteigen mute, ob dies mit den zulässigen Steigungen
erreichbar erscheint, ob besondere Entwickelungen der Bahnlinie
hierzu erforderlich sind, ob gröfsere Einschnitte, Tunnels, Dämme,
Brücken etc. notwendig werden und dergl. So lange die Linie der
Ebene oder einem bestimmten Thallaufe folgt, liegt die Beantwortung
dieser Fragen naturgemäß einfacher, als wenn Wasserscheiden und
Pässe zu überschreiten sind. Um in solchen Fällen das Richtige zu
treffen, werden oft umfangreiche, vergleichende Studien erforderlich.
Es werden dann verschiedene Linien in die zur Projektierung auf-
genommenen und gezeichneten Pläne eingetragen, Kostenvoranschläge
für alle aufgestellt und unter einander verglichen, um die bauwürdigste
Linie zu ermitteln. Hat man sich unter den verschiedenen Möglich-
keiten für eines der Projekte entschieden, so wird dieses nun ein-
gehender studiert und dazu in der Natur diese Linie abgesteckt, wie
sie in die Pläne eingetragen war, wobei vorhandene Anhaltspunkte,
wie Strafsen, Wegekreuzungen, Wasserläufe, Eigentums- und Kultur-
Grenzen und dergl. benutzt werden. Die abgesteckte Linie wird dann
genau gemessen, nivelliert und zu beiden Seiten derselben das an-
liegende Gelände so weit aufgenommen, wie es für eingehende Studien
im Einzelnen erforderlich erscheint.
Während zu den allgemeinen Vorarbeiten meist topographische
Karten kleineren Mafsstabes benutzt werden können, erfordern die
speziellen Studien die genaue Aufnahme und Anfertigung von Plänen
in größerem Mafsstabe, 1:2500 bis 1:500, um genau beurteilen zu
können, welchen Umfang die nötigen Erd- und Feldarbeiten erhalten,
welche Brücken und sonstige Bauten auszuführen sind, wie grofs die
von den betreffenden Besitzern zu erwerbende Grundfläche ist u. s. w.
sowie um einen zuverlässigen Anhalt zu gewinnen, das nach den
Plänen ausgearbeitete gesamte Bauprojekt dann auch in der Natur so
ausführen zu können, wie dasselbe auf Grund der Pläne projektiert
und in diese eingezeichnet worden ist Im Flachlande wird die Über-
briickung der Ströme und Sümpfe die meisten Schwierigkeiten ver-
ursachen, im Gebirge und zumal im Hochgebirge die Durchtunnelung
der für den offenen Bahnbetrieb zu gefährlichen Felspartien oder zu
hoch gelegenen Alpenübergänge. In seiner Gesamtheit wird der Bahn-
bau sich auf die Vermessungkunde in all ihren Zweigen stützen müssen;
Horizontal- und Vertikal - Aufnahmen, oberirdisch und unterirdisch,
werden für ihn mit besonderer Sorgfalt auszuführen sein, da das Gelingen
des Werkes hierdurch wesentlich bedingt wird und auch in den
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214
schwierigsten Fällen durch den der Vermessung folgenden Bau direkt
die Probe auf die Richtigkeit der Vermessungsarbeiten gemacht wird.
Analoge Aufnahmen und Vorstudien verlangen die Anlage und
der Bau von Strafsen, Kanälen, Wasserleitungen etc., wenn auch
meist in geringerem Umfange. Beim Wasserbau spielt naturgemäfs
die Höhenmessung eine besonders wichtige Rolle, und hier ist die
Höhenbestimmung stets mit grofser Sorgfalt und Genauigkeit durch
geo metrisch es Nivellement auszuführen, während die trigonometrische
und die barometrische Höhenaufnahme dort weniger oder gar nicht
in Betracht kommen können. Anders beim Eisenbahnbau. Auch bei
ihm wird die Höhenlage der Linie, welche schliefslich gebaut werden
soll, sowohl vor wie während des Baues aufs sorgfältigste und genaueste
oinzunivellieren sein, dagegen ist bei den allgemeinen Vorarbeiten die
Genauigkeit des geometrischen Nivellements nicht erforderlich und
seine Ausführung viel zu zeitraubend. Mit einer Instrumenten-Auf-
stellung kann ja niemals ein größerer Höhenunterschied bestimmt
werden, als die benutzte Nivellierlatte lang ist. Beträgt deren Länge
z. B. 4 Meter, so wird man zum Mindesten 25 Stationierungen not-
wendiger Weise machen müssen, um einen Höhenunterschied von
100 Metern zu ermitteln. Zu seiner barometrischen Bestimmung braucht
man nur am tiefsten und am höchsten Punkte zu stationieren, bezw.
zu beobachten, und zur trigonometrischen Messung nur den Höhen-
oder Tiefenwinkel in einem dieser Punkte abzulesen, wobei im letzteren
Falle jedoch vorausgesetzt werden mufs, dafs der horizontale Abstand
der beiden Punkte bekannt ist
Zu einer erstmaligen Rekognoszierung eines gobirgigen Terrains
sind gute und mit den nötigen Vergleichs- und Korrektions-Tabellen
versehone Aneroid-Barometer sehr vorteilhaft zu verwerten. Wenn
man im Terrain mehrmals auf und abwärts wandern murs, dazu ohne
freie Aussicht im Walde etc., so hält es ungeheuer schwer, nach
blofser Schätzung auch nur ganz annähernd zu ermitteln, wie hoch
man über dem Ausgangspunkte sich beßndet. Hier können barometrische
Höhenbestimmungen, selbst wenn sie um mehrere Meter unsicher sind,
zur besseren Orientierung wesentliche Dienste leisten. Auch ganze
Terrain-Abschnitte lassen sich bei Benutzung der Kataster- Pläne durch
barometrische Höhenmessung an den in der Zeichnung angegebenen
Grenzsteinen, Wegekreuzungen, Kulturgrenzen etc. in verhältnismäfsig
kurzer Zeit aufnehmen und mit einer Höhendarstellung versehen,
welohe für mancherlei generell technische und topographische Zwecke
ausreicht.
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•215
Eine wesentlich gröfsere Genauigkeit als das Barometer gewährt
die trigonometrische Höhenmessung. Sie nimmt viel weniger Zeit in
Anspruch als das geometrische Nivellement, wenn es sich darum
handelt, für technische und topographische Zwecke eine aus-
reichend genaue Höhenaufnahme gröfserer Gebiete zu bewirken,
und daher wird sie auch ganz allgemein da benutzt, wo nicht die
gröfste, aber doch eine Genauigkeit bis auf Bruohteile des Meters
erforderlich ist. Für solche Zwecke hat sich nach und nach ein tech-
nisches Verfahren der Terrainaulnahme ausgebildet, das mit dem
Namen „Tachymotrie" d. h. Sehnell- Messung bezeichnet wird, und
welches im allgemeinen darin besteht, dafs man das aufzunehmende
Terrain stationsweise mit einem ..Tachymeter" bearbeitet, vermittelst
dessen durch trigonometrische Höhenmessung im Umkreise jeder
Station eine genügende Anzahl von Terrain-Punkten ihrer vertikalen
Lage nach bestimmt werden, während gleichzeitig die jeweilige hori-
zontale Entfernung durch optischo Distanzmessung ermittelt wird.
Richtet man ein Fernrohr auf eine geteilte Latte, so wird das
Bild derselben um so kleiner erscheinen, je weiter die Latte vom
Beobachter entfernt ist, und um so gröfser, je näher dieselbe zu ihm
Tachymeter . Theodolit.
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21»;
gobracht wird. Es ist daher einleuchtend, dafs man aus der „6Chein-
baren * Grüfse einer ihrer Länge nach bekannten Latte einen Rück-
schluß machen kann auf die jeweilige Entfernung derselben. Eine
solche „optische1* Distanzmessung- wird um so genauer ausfallen, je
schärfer man die scheinbare Grüfse der Latte mifst, und je länger diese
letztere ist. Aus praktischen Gründen wird man die Latte, um sie
leicht genug hin- und hertragen zu können, nicht länger als 3—4 Meter
machen, und ebenso wird man bestrebt sein, die Messung der schein-
baren Grüfse di r Latte oder eines Teiles derselben thunlichst einfach
zu gestalten. Dies wird erreicht durch Okular-Faden-Distanz-
messung: Man spannt hierzu im Okulare des Fernrohres zwei pa-
rallele Fäden aus, beide genau horizontal und gleich weit abstehend
von dem Horizontalfaden des Fadenkreuzes, den einen über ihm, den
andern unter ihm. Zwischen diesen beiden Distanzfäden wird man
nun ein Stück der geteilten Latte erblicken, und dieses Stück wird
seine Länge ändern, je nach der Entfernung der Latte. Da man den
Abstand der beiden Distanzläden passend wählen kann, so bemifst man
ihn in der Regel der Art, dafe bei 100 Meter Entfernung der Latte
gerade 1 Meter = 100 Centimeter zwischen die Fäden zu liegen
kommen, also 1 Centimeter des Lattenstückes einem Meter Entfernung
derselben entspricht Dieses Verhältnis von 1 : 100 zwischen dem ab-
gelesenen Lattenstück und der Entfernung der Latte bleibt für andere
Entfernungen als 100 Meter das gleiche, wenn man ein „Porro'sches"
Fernrohr benutzt, so genannt nach dem italienischen Ingenieur und
Professor Porro, welcher dasselbe für die Zwecke der optischen
Distanzmessung eigens konstruierte. Es unterscheidet sich vom ge-
wöhnlichen astronomischen Fernrohre dadurch, dafs zwischen Okular
und Objektiv noch eine Sammellinse eingeschaltet ist, welche bewirkt,
dafs die Proportionalität zwischen den jeweiligen Lattenabschnitton
innerhalb der Distanzfäden und der Entfernung der Latte vom Mittel-
punkte des Instrumentes für alle Entfernungen bestehen bleibt Auf
diese Weise wird die optische Distanzmessung sehr einfach, denn man
hat das jeweils zwischen den Distanzfäden abgesehene Lattenstück nur
mit 100 zu raultiplizieron,um dieEntfernung der Latte zu erhalten. Bei Be-
nutzung eines gewöhnlichen Fernrohrs kommt zu der in gleioher Weise
bestimmten Entfernung noch eine kleine Grüfse, nämlich die anderthalb-
fache Brennweite des Fernrohrs hinzu, weil hier die Proportionalität
zwischen Lattenabsohn itt und Entfernung nicht vom Mittelpunkte des In-
strumentes aus, sondern vom vorderen Brennpunkte des Objektivs zählt;
doch ist die Berücksichtigung dieser Korrektion ebenfalls sehr einfach.
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217
* Stillschweigend aber wurde bisher vorausgesetzt, dafs die Abseh-
linie des Fernrohrs normal zur Latte stand, wie es immer der Fall
ist, wenn die Absehlinie horizontal liegt und die Latte vertikal ge-
halten wird. In diesem Falle erhält man durch die eben beschriebene
Art der Distanzmessung unmittelbar die horizontale Entfernung
der Latte vom Standpunkte des Beobachters. Ist hingegen die Ab-
sehlinie des Fernrohres nicht horizontal, und wird die Latte durch
entsprechendes Neigen derselben normal zu ihr gehalten, so ist die
hundertfache Lattenablesung gleich der schiefen Entfernung der
Latte*) die man dann nach Messen des Neigungswinkels auf die hori-
zontale projizieren kann. Denselben Neigungswinkel gebraucht man
aber auch zur Berechnung des Höhenunterschiedes zwischen dem
Aufstellungspunkte des Instrumentes und der Latte. Man giebt daher
dem Tachymeterin8trumente stets eine solohe Einrichtung, dals man
zugleich mit der optischen Distanzmessung eino trigonometrische Höhen-
messung verbinden kann. — Als drittes Element zur Festlegung eines
Punktes gegen die Station fehlt nach Ermittelung der Entfernung und
des Höhenunterschiedes nur noch die Bestimmung der Richtung,
in welcher er liegt, in Bezug auf eine feste Ausgangsrichtung, als
welche man die Nordrichtung gegen astronomisch oder magnetisch
Norden, eine Dreiecks- oder l'olygonseite etc. wählen kann. Je nach-
dem man diese liichtungsbestimmungen numerisch oder graphisch
vornimmt, unterscheidet man die Tachymetrie mit dem Theodoliten
und diejenige mit dem Mefs tische. Erstere wird meist zu genaueren
Aufnahmen in gröfserem Mafsstabe für wirtschaftliche und technische
Zwecke benutzt, letztere vornehmlich für topographische Aufnahmen,
weil hier der Mefslisch den Vorteil gewährt, entsprechend der ver-
langten geringeren Genauigkeit mancherlei Einzelheiten durch
„Skizzieren" nach der Natur direkt in die Pläne und Karten eintragen
zu können.
Allgemein versteht man unter Tachymetrie eine mit möglichst
rationeller Ausnutzung der Zeit ausgeführte vollständige Terrain-Auf-
nahme, bei welcher durch Horizontal- und Vertikal-Winkelmessung in
Verbindung mit Okularladendistanzmessung eine solche Anzahl von
Puukten statiousweiße in horizontaler und vertikaler Projektiun fest-
gelegt werden, dafs ein in dieser Weise aufgenommenes Gebiet seiner
Situation und Höhenlage nach für den beabsichtigten Zweck hin-
reichend genau dargestellt werden kann. Diese Genauigkeit wird
*) Anni. Bei vertikal gehaltener Latte inufs der zwischen de u Distanz-
fäden abgelesene Lattenabschuitt entsprechend der Neigung reduziert werden.
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218
absolut genommen sehr verschieden sein können, je nachdem es sich
um wasserbauliche und kulturtechnische Anlagen, Eisenbahnbauten,
topographische Kartendarstellungen etc. handelt. Sache des ausführen-
den Geodäten ist es, seine Aufnahmen dem jeweiligen Zwecke richtig
anzupassen. Hei Bewässerungs-Anlagen z. B. wird es sich meist darum
handeln, Gebiete von beschränkter Ausdehnung ihrer Höhenlage nach
sehr genau aufzunehmen und darzustellen; bei Eisen bahn- Vorarbeiten
kommt in der Hegel nur ein verhältnismüfsig schmaler Terrainstreifen
in Betracht, der in gröfeerer oder geringerer Breitenausdehnung, sowie
mit geringerer oder gröfserer Genauigkeit vermessen werden mufs,
je nachdem es sich um allgemeine oder spezielle Vorarbeiten und
Untersuchungen handelt; bei den topographischen Karten für mili-
tärische Zwecke wird im allgemeinen eine Terraindarstellung als aus-
reichend angesehen, welche die Höhen-Vorhältnisse soweit richtig zur
Anschauung bringt, wie dies zur Beurteilung der Manövrierfähigkeit
der Truppen und alles dessen, was damit zusammenhängt, erforder-
lich isL
Zu allen vorgenannten Vermessungsarboiton und Terrain -Dar-
stellungen werden Tachymeter-Instrumente und Aufnahmen benutzt
in direktem Anschlufs an die grundlegenden Dreiecksmessungen und
Nivellements, sowie unter vorteilhafter Verwertung der Spezial -Ver-
messungen für Kataster, Zusammenlegungen, Forsteinrichtunir u. s. w.
Keine andere Vermessungs-Methode findet zur Gebäude-Aufnahme und
Darstellung eine solch ausgedehnte Anwendung wie die Tachymetrie,
namentlich auch für topographische Zwecke, denn die militär- topo-
graphischen Aufnahmen und Karten erstrecken sich über das ganze
Staatsgebiet und bilden zugleich die Grundlage der gesamten Landes-
Kartographie für geoyraphiBche, statistische, kommerzielle und sonstige
Zwecke.
Die Topographie.
Die topographischen Karten sollen im allgemeinen entsprechend
dem Worte Topographie, d. h. Ortsbeschreibung, in verjüngtem
Marsstabe ein geometrisch richtiges Bild der gegenwärtigen Lage
der Ortschaften, ihrer Verbindungen durch Wege, Strafsen, Kanäle,
Eisenbahnen etc.. der Wasserläufe, Bäche, Flüsse, Ströme mit ihren
Brücken, Fähren. Furten, der Bebauung und Kultur des Hodens, ob
Garten, Acker, Wiese, Hütung, Wald u. s. w., liefern, zugleich aber
auch die Erhebungen und Senkungen der natürlichen Erdoberfläche
deutlich erkennen lassen. Ja nach dem spezielleren Zwecke, welchem
die topographischen Karten dienen sollen, geschieht die Darstellung
211)
der Höhenverhältnisse des Geländes durch Horizontalkurven, durch
Bergschraffur oder durch eine Kombination beider Methoden, wobei
ira letzteren Falle vielfach auch an Stelle der Schraffur die leichter
herzustellende Abtönung tritt Man kann im wesentlichen drei grofse
Gruppen unterscheiden, nämlich Karten für civil-topographische
Zwecke, solche für railitär-topographische Zwecke und drittens Karten,
welche beiderlei Interessen dienen und thunlichst gorecht werden
sollen.
Die ersten topographischen Karten sind aus dem rein militärischen
Bedürfnisse der Orientierung im Terrain zum Transport von Mann-
schaften, Material, Proviant etc. hervorgegangen. Sie haben sich im
Laufe des Jahrhunderts in der Form wenig geändert, denn die letzten
Blätter der noch nicht ganz vollendeten Karte des Deutschen Reiches
und die ersten Blätter der zu Anfang des Jahrhunderts begonnenen
Generalstabskarte von Frankreich enthalten im wesentlichen dieselbe
Art der Terrain-Darstellung durch Schraffur mit senkrechter Beleuch-
tung nach Lohmanns Manier.
Für militärische Zwecke ist es erforderlich, mit einem Blick aus
der Gelände-Darstollung die Steigungs- und Gefäll-Verhültnisse hin-
reichend genau erkennen zu können. Eine Unterscheidung der
Steigungen auf 5° — 10° ist im allgemeinen ausreichend. Wo
militärische Operationen wegen zu grofser Steilheit des Terrains nicht
mehr möglich sind, ist auch eine Unterscheidung der Steigungs- Ver-
hältnisse im einzelnen nicht mehr erforderlich. So bezeichnete der
sächsische General Lehmann in dem nach ihm benannten Berg-
strichsysteme alle Böschungen von mehr als 45° Neigungswinkel als
unpraktikabel mit schwarz, während von 0° — 45° die einzelnen
Steigungswinkel von 5° zu 5° durch das Verhältnis der Dicke der
schwarzen Bergstriche zu den weifsen Zwischenräumen zwischen ihnen
bestimmt werden. Dieses Lehmann sehe Bergstrich-System fand
grofee Verbreitung, ist aber direkt nur geeignet zur Höhendarstellung
im Flachlande und im Mittelgebirge, weil bei steileren Gebirgspartieen
die Karten zu dunkel und unleserlich werden. Schon die Sächsisohe
Schweiz, nach diesem Systeme dargestellt, weist zahlreiche ganz
schwarze Stellen auf, und für die Alpen ist dasselbe nicht unmittelbar
zu verwenden. Bayern hat daher für seinen topographischen Atlas
die Skala des Bergstrichsystems von 45° bis auf 60° Steigungs-
winkel erweitert und Oesterreich bei seiner Generalstabskarte
Steigungen bis zu 80° unterschieden. Trotzdem werden in beiden
genannten Kartenwerken die Alpen-Gegenden so dunkel, dafs d'w
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2-JO
Nainen schwer zu lesen sind. Bei der Bearbeitung der Schweizerischen
Generalstabskarte verliefs daher General Dufour das Bergstrich-
System mit senkrechter Beleuchtung und wählte ein solches mit
schräg von links oben einfallendem Lichte, die sogenannte schiefe
Beleuchtung, welche bereits von den französischen Ingenieur- Topo-
graphen bei Terrraindarstelluugen gebirgiger Gegenden, wie nament-
lich der Insel Corsika, mit Erfolg benutzt worden war, um eine
Terrain- Darilallung durch Horisontalkurvaa. Berjf -Schr&Äur und Abtönung
mit Hohonkurvon
plastisch wirkende Terraindarstellung zu erzielen. Während aber
bei der senkrechten Beleuchtung die Helligkeit einer Fläche nur von
ihrer Steigung abhängt und letztere daher durch das Verhältnis der
dunklen Bergstriche zu den weifsen Zwischenräumen direkt zur An-
>chauung gebracht werden kann, tritt bei der schiefen Beleuchtung
als zweiter L'ms'and, welcher die Helligkeit einer Fläche bedingt, die
Kichtung gegen das einfallende Licht hinzu. Flachen gleicher
Steigung können daher sehr verschieden hell erscheinen, je nachdem
sie mehr oder weniger der Lichtquelle zu oder von ihr abgewendet
221
sind. Die Folge davon ist, dafs die Methode der schiefen Beleuchtung
wohl im stände ist, sehr plastisch wirkende Gebirgs-Zeichnungon zu
liefern, aber nicht topographische Karten, aus denen sich die Böschungs-
winkel nach einfachen geometrischen Prinzipien und hinreichend genau
auch nur für militärische Zwecke und Operationen direkt entnehmen
lassen; hierzu mufs eine Terraindarstellung durch Horizontal-Kurven
hinzugenomraen werden.
Der Mafsstab der eben besprochenen Generalstabskarten im
engeren Sinne bewegt sich zwischen 1: 100 000 und 1: 50 000. So
hat die Karte des Deutschen Reiches das Verjüngungs-Verhältuis
1: 100 000, wie die Dufour-Karte der Schweiz, die Karten von Italien,
von Norwegen und Schweden etc. Die Karte von Frankreich hat den
Mafsstab 1: 80 000, diejenige von Oesterreich 1: 75 0U0; der topo-
graphische Atlas der süddeutschen Staaten 1 : 50 000 u. s. w.
Grofser als 1 : 50 000 wird der Mafsstab dieser Art Karten nicht
gern genommen, weil sonst die Übersichtlichkeit über hinreichend
grofse Gebiete, wie solche für militärische Operationen erforderlich
ist, zu sehr beschränkt sein würde. Auch können in diesen Mars-
stäben alle militärisch noch in Betracht kommenden topographischen
Einzelheiten zur Darstellung gebracht werden, indem man für zu kleine
Objekte, z. B. schmale Wege, Wasserläufe u. s. w. nicht das rich-
tige Verjüngungs- Verhältnis des Kartenmafsstabes anwendet, sondern
dieselben hinreichend breit einzeichnet, damit sie deutlich erkennbar
bleiben, und für andere Objekte, z. B. Windmühlen, Wegweiser
u. s. w. konventionelle Zeichen, sogenannte „Signaturen" verwendet.
Die Darstellung der Steigungs-Verhältnisse der Terrain-Oberfläche
würde bei einer Vergrößerung des Karten-Marsstabes nicht in gleichem
Verhältnisse an Genauigkeit zunehmen können, denn die Bergstrich-
Skala macht nur Unterscheidungen von 5° zu 5°, gleichviel, ob die
betreffende Fläche grofs oder klein gezeichnet wird; zur Unter-
scheidung der Steigungen dient immer nur das Verhältnis der
schwarzen Striche zu den weifsen Zwischenräumen, und diese ist nicht
ganz leicht auch nur bis auf 10° genau zu bestimmen. Ganz anders
liegen die Genauigkeits-Verhältnisse bei einer Höhen-Darstellung durch
Horizontal-Kurven. Hier ist die Genauigkeit der Höhen-Angaben
wie der Höhen-Ermittlung in den Karten zugleioh mit dem Mafsstabe
jeder Steigerung fähig und an keine Grenze gebunden; denn jede
einzelne Höhenkurve läfst sich mit aller nur immer wünschbaren
Genauigkeit und Schärfe sowohl durch die Aufnahmen in der Natur
ermitteln, wie auch in die Pläne einzeichnen, wenn der Mafsstab der
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letzteren grofs genug genommen wird. Daher werden die Karten und
Pläne für technische, kulturtechnische, wasserwirtschaftliche und andere
civiltopographische Zwecke mit einer Höhendarstellung durch äqui-
distante Niveau-Kurven versehen, aus denen sich sowohl die Steigungs-
Verhältnisse an jeder Stelle, wie auch die Höhen über dem Meere
für alle Terrain-Punkte genau ermitteln lassen. Übersichtskarten dieser
Art worden meist im Mafsstabe 1:25 000—1:10 000 angefertigt, Spezial-
karten im Verjüngungsverhältnisse 1:50 000—1:500, je nach den
speziellen Bedürfnissen und der zu erreichenden Genauigkeit.
Aber diese Höhenkurven-Karten, so wichtig und unentbehrlich
dieselben für die technischen Bedürfnisse auch sind, für diejenigen
Zwecke, welche wie die militärischen Interessen eine Orientierung
über die Bodengestaltung auf einen Blick wünschenswert machen,
sind dieselben weit weniger geeignet, als die topographischen Karten
mit Bergschraffur. Ein geübter Kartenleser wird sieb nach der Gestalt
und dem Verlaufe der llorizontalkurven an jeder einzelnen Stelle
der Karte ein Bild der körperlichen Terraingestalt im Geiste bilden
können, aber immer nur für das beschränkte tiebiet, welches er gerade
ins Augo fafst; auch der geübteste Topograph wird nicht im stände
sein, ein größeres Gebiet nach einer Kurvenzeichnung auf einen Blick
sich körperlich richtig vorzustellen. Dies ist bei einer Karte mit
Borgschraffur unschwer zu erreichen und bei der schiefen Beleuchtung
auch dem Ungeübten sofort anschaulich. Man hat daher, um beiden
Bedürfnissen, den militär-topographischen wie den civil-topographischen
zu gleicher Zeit Rechnung zu tragen, topographische Karten mit einer
Terrain-Darstellung durch Horizontal-Kurven und Schraffur ange-
fertigt, wie z. B. die preufsischen Meßtischblätter im Mafsstabe 1:25 000,
welche als Garnison-Umgebungskarten von Göttingen, Goslar u. s. w.
dienen sollen, die Spezialkarten von Oesterreich, Italien, Norwegen
und Schweden u. s. w. Bei den letzteren ersetzte man die Berg-
schraffur durch die technisch viel leichter und billiger herzustellende
Schummerung oder Abtönung, welche mit den Horizontal-Kurven so-
wohl ein plastisches Bild, wie auch eine geometrisch genaue Höhen-
darstellung zu liefern im stände ist. Für den Ungeübten unmittelbar
verständlich und direkt anschaulich wirkt die schiefe Beleuchtung,
wie dieselbe namentlich von den Schweizer Topographen bei ihren
prächtigen „Relief-Karten" benutzt wird, welche in unübertroffener
Anschaulichkeit die reliefartige Plastik der Gebirgsformationen vor
Augen führt. Diese Reliefkarten mit Horizontalkurven und Abtönung
sind die topographischen Karten der Zukunft genannt worden, weil
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sie die plastische Anschaulichkeit mit der geometrisch genauen Dar-
stellung der Terrainverhältnisse durch die Höhenkurven verbinden.
Aus letzterem Grunde hat die Abtönung nur auf die plastische
Wirkung Rücksicht zu nehmen und kann ganz frei von irgend welcher
Gesetzmäfsigkeit rein künstlerisch ausgeführt werden, denn die
Aufgabe der Abtönung kann in diesem Falle dahin bestimmt werden,
dafs dieselbe das Bild, welches sich der geübte Kartenleser nach dem
Verlaufe der Horizontal-Kurven im einzeln geistig vorstellen
Der Gotthard mit schräger Beleuchtung
kann, in der ganzen Karte objektiv vor Augen führt. Diese Dar-
stellung eignet sich daher vorzüglich für Touristen-Karten in den
Marsstäben 1:50 000—1:25 000. Namentlich der letztere Mafsstab ist
für Touristen-Zwecke, auch wenn sie wissenschaftlicher Natur sind,
im Flachlande und im Mittelgebirge der zweckmäßigste, weil er hin-
reichende Übersichtlichkeit mit genügend detaillierter Terrain-Dar-
stellung zu verbinden gestattet. Für das Hochgebirge wird des ge-
ringeren Detailreichtums halber meist der Mafsstab 1:50000 gewählt,
wie ihn die vorerwähnten Schweizer Reliefkarten haben, welche auf
Grundlage der entsprechenden Blätter des Siegfried - Atlanten für das
224
Hochgebirge bearbeitet wurden. Auch die ähnlich behandelten Blätter
der Ötzthaler Alpen, welche der Deutsch-Oesterreichischo Alpen-
Verein bearbeiten und herausgeben liefs, sind im gleichen Mars-
stabe ausgeführt worden. Für das Mittelgebirge jedoch ist eine
Darstellung im Marsstahe 1:25000 vorzuziehen. Tn Deutschland hat
der Badeort Harzburg den Anfang gemacht mit einer Relief-Karte
„Harzburg-Brocken" in diesem Mafsstabe. Durch einheitliches Vor-
gehen des Harzklubs und der deutschen Touristen-Vereine im Inter-
esse einer besseren kartographischen Darstellung der heiraisohen Ge-
birge in ähnlicher Weise, könnte auch für diese etwas den schweize-
rischen Reliefkarten Ebenbürtiges geschaffen werden. Diese Relief-
Karten haben den grofsen Vorteil, dafs sie jedermann verständlich
sind und zugleich strengen Anforderungen genügen können, wenn
die Situations- und Kurven-Darstellung genau sind. Der Wert einer
Karte wächst aber um so mehr, je leichter sie verständlich und je
genauer sie ist.
Aus den topographischen üriginalaufnahmen und ihren Dar-
stellungen werdon durch Reduktion auf kleineren Marsstab angewandte
Karten aller Art für die verschiedenen Staatszwecke und privaten Be-
dürfnisse hergestellt. In erster Linie sind hier zu nennen die General-
stabs- und Übersichtskarten, welche den Marsstab 1 : 200 000 bis 1 : 500 000
haben, und von denen jedes Land eine solche in seiner eigenen Dar-
stellungsart, einfarbig oder mehrfarbig mit Horizontalkurven oder mit
Bergschraffur otc, jo nach Bedürfnis und Geschmacksrichtung besitzt.
In Deutschland wird eine ncuo Übersichtskarte des Deutschen Reiches
im Mafsstabe 1 : 200 000 mit Horizontalkurven und in mehrfarbigem
Kupferdrucke vom Preufsischen Generalstabe bearbeitet und herausge-
geben als Ersatz der seither benutzten Rey mannschen Karte von Mittel-
Europa. Sodann hat das kartographische Institut von Perthes in
Gotha eine Karte des Deutschen Reiches im Marsstabe 1 : 500000 mit
brauner Bergschraffur in vorzüglicher Ausführung herausgegeben,
welche auch geologisch bearbeitet und koloriert worden ist. Hieran
schliersen sich, ebenfalls in mehrfarbigem Kupferdruck mit Benutzung
von Ilandkolorit bearbeitet, die geographischen Karten des gleichen
Institutes, welche wohl unübertroffen dastehen. Diese schönen Karten
im Verein mit dem von Vellhagen & Klasing in Steingravure her-
gestellten, seiner Preiswürdigkeit halber weit verbreiteten And ree'schen
Handatlas und anderen ähnlichen Werken haben bewirkt, dafs Deutsch-
land in Bezug auf Herstellung geographischer Karten unstreitig unter
allen Ländern mit den ersten Platz einnimmt. Dies gilt aber nicht
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nur in Hinsicht auf Kartographie. Der Schwerpunkt der ganzen Ent-
wicklung der wissenschaftlichen und praktischen Geodäsie lag im ver-
gangenen Jahrhundert in Frankreich, welches durch die berühmten
Gradmessungsarbeiten seiner Geodäten die ellipsoidische Gestalt der
Erde und das Metermafs bestimmte, sowie die erste topographische
Karte auf wissenschaftlicher Grundlage bearbeiten liefs. In der ersten
Hälfte unseres Jahrhunderts hingegen waren es die Arbeiten des
grofsen Königsberger Astronomen Bessel und namentlich des Fürsten
der Mathematiker und Geodäten, Carl Friedrich Gauss, welche die
Grundlage bildeten und noch bilden, auf der die neuere Geodäsie auf-
gebaut ist. Sie führten ihren Schüler und Mitarbeiter, den preufsischen
General Baeyer, zur Begründung der europäischen Gradmessung,
welche inzwischen zur internationalen Erdmessung sich erweiterte,
einer Vereinigung aller gesitteten Völker und Nationen zu friedlichem
Wettstreite und gemeinsamer wissenschaftlicher Arbeit auf dem Ge-
saratgebiete der höheren Geodäsie. Ihren Mittelpunkt hat dieselbe
im Königlich Preufsischen geodätischen Institute auf dem Telegraphen-
berge bei Potsdam, dessen Leiter Helmert als Nachfolger Baeyer's
mit der zusammenfassenden Bearbeitung der Einzelergebnisse in erster
Linie betraut ist. Wie hiernach die Entwicklung der höheren Geodäsie
im letzten Jahrhundert ihren Schwerpunkt vornehmlich in Deutsch-
land hat, so steht, und zwar infolge einer sehr natürlichen Rück-
wirkung, auch das niedere Vermessungswesen daselbst zur Zeit auf
einer Stufe, wie sie seither von keinem anderen Lande erreicht worden
ist. Möge im kommenden Jahrhundert das Gleiche gelten.
Himmel und Brde. 18»». XI. ä. |.",
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Die neueste Erzeugung reinen Sauerstoffs und dessen
wirtschaftliche Bedeutung.
Von Dr. L. Häpke iu Hrcmen.
-^-T^er Sauerstoff ist das auf Erden am meisten verbreitete ohemische
»TS Element. Als färb- und geruchloses Gas läfst es sich leicht
daran erkennen, dafa ein glimmender Span in Sauerstoff mit
glänzender Flamme verbrennt. Sein spezifisches Gewicht ist 1,1, also
ist er etwas schwerer als die atmosphärische Luft, von dem der
Sauerstoff rund 20 Volumprozent ausmacht. Die übrigen 80 Prozent
bestehen aus Stickstoff neben sehr geringen Mengen der neueutdeckten
Gase: Argon, Krypton, Neon, Metargon und Xenon Ferner sind in
der Luit noch fast 'y, pro mille Kohlensaure, Wasserdampf und mikro-
skopisch kleine Organismen, die sogenannten Sonnenstäubchen, ent-
halten. Im Wasser kommt der Sauerstoff mil dem \V;issei*stoff chemisch
verbunden zu % vom Gewichte des Wassers vor. Aufserdem findet
er sich in allen Tiereu und Pflanzen und macht rund die Hälfte des
Gewichts der gesamten Erdrinde aus.
Priestley erkannte 1774 den Sauerstoff als ein eigentümliches
Gas und fast <jbiehzeitig auch der deutsche Chemiker Scheele.
Lavoisier gab dem Stoffe 1781 den Namen Oxygenium (ovjs sauer
und 72wai» ich erzeuge) oder Sauerstoff, weil er mit anderen Ele-
menten Säuren erzeu-t. Wenn ein Körper sieh mit dem Sauerstoff
verbindet, so entwickelt sich dabei stets eine bestimmte Wärme;
diesen Vorgang nennt man oxydieren oder verbrennen. Körper, die
mit einer -''Wtrs.-u Menge Sauerstotl verbunden sind. heiTsen Oxyde;
ist die Menge ^röfsor, so werden sie Tberoxyde oder Snperoxyde ge-
nannt. Säuren sind daire^en Verbindungen gewisser Elemente mit
dem gröfsten Quantum Sauerstoff. Die in unserem Körper vor sich
gehende Atmung ist ebenfalls ein Verl>r<*nnunirsprozefs, wobei das
hellrote Blut durch die entstandene Kohlensäure sich in dunkelrotes
verwandelt.
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227
Sauerstoff ist daher die eigentliche Lebensluft, von der alle
unsere Lebenstbätigkeit abhängt, deren Mangel in wenigen Minuten
den Tod herbeiführt. Eine eigene, unter besonderen Unistiinden auf-
tretende Modifikation des Sauerstoffs hat man Ozon (Geruch) genannt,
das sich durch seine besondere Energie und Aktivität auszeichnet.
Dies Gas entsteht beim Verbrennen des Phosphors, oder wenn der
Blitz oder ein elektrischer Funke durch Luft oder Sauerstoff schlägt
Ozon oxydiert die Körper aufs kräftigste, bleicht die Farben und ist
ein vorzügliches Desinfektionsmittel. Lange Zeit hindurch waren die
Bemühungen von Physikern wie Faraday und Natterer vergeblich,
Sauerstoff in flüssigem Zustande zu erhalten. Merkwürdiger Weise
gelang es fast gleichzeitig um Weihnachten 1877 zwoi Forschern
Pictet und Cailletet nach verschiedenen Methoden, sowohl den
Sauerstoff als auch andere Gase zu verllüssigen. Dazu gehört aller-
dings der ungeheure Druck von 500 Atmosphären und eine Kälte von
130°, die mittelst flüssiger Kohlensäure und schwefliger Säure erzeugt
wurde.
Neben dem Brennmaterial ist der Sauerstoff das notwendigste
Hilfsmittel für jede industrielle und gewerbliche Thätigkeit der
Mensehen. Schmiede, Schlosser und ander»- Metallarbeiter treiben
durch einen Blasebalg Luft in das Feuer, um durch den Sauerstoff
die Glut anzufachen. Derselbe Vorgang spielt sich im kleinen mit
dem Lötrohr ab, das Gold- und Silberarbeiter, suwie die Chemiker
zum Löten und Probieren der Metalle benutzen. Die mittelst Sauer-
stoffs der Luft verbrannte Kohle erzeugt die Wärme unserer Herde,
Öfen und Dampfkessel. Leider wird die von der Kohle theoretisch
berechnete Wärrae im günstigsten Falle nur zu 10 Prozent ausgenutzt,
weil der in der Luft enthaltene Stickstoff, der das vierfache des
Sauerstoffvoluras betragt, mit erhitzt werden mufs, wobei der gröfste
Teil der Wärme ungenutzt in den Schornstein entweicht. Wendet
man dagegen reinen Sauerstoff an, so kann man fast sämtliche Wärme
gewinnen und die Temperatur namentlich mit Hilfe des Acetylens bis
über 3000° C. hinaus steigern. Damit würde eine außerordentliche
Ersparnis an Brennmaterial nebst Vereinfachung der Feuorungs-
anlagen verbunden sein. Für Gewinnung und Verarbeitung der Me-
talle, für Heizung und Beleuchtung, für chemische und medizinische
Zwecke, sowie für zahlreiche ' sonstige Verwendungen würde daher
bdiiger Sauerstoff ein unermeßlich weites Feld finden. So ist es er-
klärlich, dafs mehr als hundert Vorschläge und Patente versuchten,
dieses edle Gas sowohl auf chemischem als auch auf physikalischem
1.-.'
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Wege fabrikmäfsig herzustellen. Aber nur ein Verfahren, das die at-
mosphärische Luft als Rohmaterial benutzte, hatte bislang Erfolg. Es
ist das der Gebrüder Brin, die vor etwa zehn Jahren in London
die erste Sauerstofffabrik anlegten. Dasselbe beruht auf der von
Bou'ssingault bereits 1850 gefundenen Thatsache, dafs Bariumoxyd
(BaO) beim Erhitzen auf 700° Sauerstoff aus der Luft aufnimmt und
damit sich in Bariumsuperoxyd (Ba 0 ,) verwandelt, das bei stärkerer
Hitze (circa 900°) in freien Sauerstoff und wieder verwertbares
Bariumoxyd zerfällt. Der nicht gebundene Stickstoff tritt dabei fast
vollständig wieder aus. Diesem scheinbar einfachen Vorgang stellten
sich in der Praxis indessen mehrfache Schwierigkeiten entgegen. Die
Luft mufs aufs sorgfältigste von Kohlensäure, Wasserdampf und Staub-
teilchen gereinigt sein, da sonst das Bariumoxyd sich nicht regeneriert
und inaktiv oder tot bleibt.
Nach dem Berichte einer Parlamentskommission, welche die bei
dem ausgedehnten Handel mit komprimierten Oasen mehrfach vorge-
kommenen Unfälle zu untersuchen hatte, belief sich der Umsatz von
BrinsOxygen Company im Jahre 1894 bereits auf 100 000 Stahley linder.
Die einzige Fabrik, die in Deutschland nach" diesem Verfahren
arbeitet, ist die von Dr. Elkan in Berlin, die ich im Juli 1896 im Be-
triebe sah. Hier konnte ich zuerst das mit Sauerstoff gespeiste Zirkon-
licht bewundern, das alle anderen Lichteffekte weit überstrahlt. Den
vorhin angedeuteten Wechsel der Operationen bewirkten automatische
Pumpen alle 10 — 15 Minuten, wobei ein Kilo Bariumoxyd etwa 10 Liter
Sauerstoff lieferte. Der noch einen Rest Stickstoff enthaltende Sauer-
stoff hat eine Reinheit von 89 — 95 Prozent, womit der Industrie aber
schon vollauf gedient ist. Das in einem Gasometer aufbewahrte Gas
wird durch den Druck von 100 Atmosphären in Stahlcylinder geprefet
und in den Handel gebracht. Ein Kubikmeter oder 1000 Liter dieses
Sauerstoffs kosten 10 M.
Weitere Fabriken befinden sich noch in Paris, Manchester und
Glasgow. Diesem Verfahren hängen noch manche Mängel an, die
namentlich »-ine wünschenswerte Herabsetzung des Preises unmöglich
machen. Die sorgfältige Reinigung der Luft erfordert ausgedehnte
Vorrichtungen, und das ziemlich teure Bariumoxyd, welches auch nur
8 Prozent des Sauerstoffs gewinnen läfst, wird allmählich unwirksam.
Wegen der maschinellen Zusatzapparate ist die Anlage kostspielig,
und die Temperatur ist eine so hohe, dafs sie nur in Retortenöfen
erreicht werden kann.
Ein einfacheres, von Peitz modifiziertes Verfahren stammt von
229
Professor Kafsner. der es bereits 1889 in Dinglers polytechnischem
•Journal, Band 274 und 278, boschrieb und in Erkenntnis der hohen
wirtschaftlichen Bedeutung sich durch das D. H. F. 52459 sichern liefe.
Zur Gewinnung des Sauerstoffes der Luft dient hier der bleisaure
Kalk oder das Calciumplumbat rsu> Pb 04, das unter Glühen durch
Kohlensäure zerlegt wird und Sauerstoff abgiebt Aus dem Rück-
stände wird duroh überhitzten Wasserdampf die Kohlensäure ausge-
trieben und wiedergewonnen. Alsdann wird Luft über das Material
geleitet, aus welcher sich der bleisaure Kalk regeneriert, während der
Stickstoff entweicht. Der Prozefs beginnt darauf von neuem und kann
beliebig lange fortgesetzt werden. Zu einem glatten, rontabeln Verlauf
dieser Darstellung ist das Vorhandensein reiner, billiger Kohlensäure
ein Haupterfordernis. Durch die Erbohrung des Riesensprudels von
Herste bei Driburg, den ich in der September-Nummer des vorigen
Jahrganges dieser Zeitschrift beschrieb, ist die nötige Kohlensäure in
jeder gewünschten Menge vorhanden. Eine Versuchsanlage in Herste,
die in kurzer Zeit 50 cbm Sauerstoff von 94—97 pCt Roinheit*) pro-
duzierte, habe ich Mitte Oktober v. J. besichtigt. Sie ergab so vorzüg-
liche Resultate, dafs nunmehr mit dem Bau einer grofsartigen Fabrik
von der Firma C. G. Rommenhöller, Besitzerin der dortigen Kohlen-
säure-Worke, zur Erzeugung reinen Sauerstoffes begonnen wurde.
Das genannte Calciumplumbat ist ein gelblioh-rotes Pulver, das
durch Glühen von Kalkspatmehl mit Bleioxyd erhalten wird. Die mit
Kugeln des bleisauren Kalkes von Nufsgrörso gefüllten Stahlretorten
werden mittelst Generatorfeuorung auf 750—800° erhitzt, wobei die
einströmende Kohlensäure das Bleisalz zerlegt und der Sauerstoff ent-
weicht. Wasserdampf von drei Atmosphären Spannkraft treibt die
Kohlensäure und den Stickstoff wieder aus, während die zur Regene-
ration nötige Luft, auf 400° vorgewärmt, durch eine Druckpumpe ein-
gerührt wird. Der chemische Vorgang entwickelt sich naoh folgenden
Gleichungen:
I. Ca-, Pb 04 • 2 CO., = 2 Ca CO., -r Pb O -j- O.
Kohlensäure durch eine Röhre bis über den Boden der Retorte
geführt, wird vom Kalk gebunden und treibt den Sauerstoff aus.
II. 2 Ca C03 r Pb O -f- H2 O = 2 Ca O • PbO-J-2 C02 ^ HsO.
Der einströmende Wasserdampf nimmt die Kohlensäure fort und
entweicht damit.
III. 2 Ca O + Pb O ( 4 N/O , H2 O = Ca2 Pb O, \ 4 N ■ H2 O.
•) Nach den Analysen des Prof. Rooseboom in Amsterdam.
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Die vorgewärmte Luft regeneriert das Bleisalz, während der
Wasserdampf den Stickstoff austreibt.
Der bleisaure Kalk bleibt nach Kafsners Darstellung in einem
dauernd molekular porösen Zustand, indem immer zwei Gase, nämlich
Kohlensäure und Sauerstoff, die sich gegenseitig Platz machen, in das
Material eintreten, wodurch dasselbe bis in die Tiefe schwammförmig
bleibt. Die Kohlensäure kann, wie schon angedeutet, mit geringem
Verlust immer wieder gewonnen werden.
Welche hohe Bedeutung die komprimierten Gase, unter denen
Sauerstoff und Kohlensäure obenan stehen, für die Wissenschaft und
Industrie bereits gewonnen haben, ergiebt sich aus dem Erscheinen
einer besonderen Zeitschrift für dieselben. Raoul Pictet schreibt
darin, dafs während des Jahres 1897 in den verschiedenen Fabriken
mehrere Millionen Kubikmeter Sauerstoff hergestellt wurden. Dies
Gas ist trotz seines jetzigen hohen Preises unentbehrlich zum Schmelzen
und Bearbeiten der strengflüssigen Metalle Platin, Iridium, Nickel u. s. w.
Mit Wasserstoff erzielt dasselbe im Knallgasgebläse die höohste Tem-
peratur und das intensivste Licht, besonders beim Glühen von Kalk-
oder Zirkonerde. Das violgenannte Calciumcarbid erzeugt man mittelst
Sauerstoffes weit billiger als mit Hilfe des elektrischen Stromes. Bei
Bereitung der englischen Schwefelsäure läfst sich durch Verbrennen
der schwefligen Säure (Schweleldioxyd) nach Winklers Verfahren
sofort Schwefelsäure - Anhydrid (Schwefeldioxyd) erhalten, das mit
22 Prozent Wasser nahezu 100 prozentige Schwefelsäure liefert. Eisen
wird in der Bessemerbirne beim Durchblasen von reinem Sauerstoff
seines Kohlenstoffgehaltes beraubt, und der erzeugte Stahl läfst sich
mit Nickel, Mangan, Wolfram u. s. w. leicht vereinigen. Die Glas-
und Thonwarenfabriken, die chemische Industrie, überhaupt alle Ge-
werbe, die viel Feuerung gebrauchen, werden vom billigen Sauerstoff
großen Vorteil ziehen. Die Frage der Rauchverbrennung liifst sich
allein durch Anwendung von Sauerstoff lösen. Seit 20 Jahren hat die
englische ..Smoke Abatement Society" grofse Mittel aufgewandt, ohne
einen Schritt weiter zu kommen, und ebenso hat in Preufsen eine
Ministerial-Koramission seit Jahren darüber verhandelt, wio die dicken,
schwarzen Rauchwolken der Fabrikschornsteino zu beseitigen sind.
Wie viel würden unsere Grofsstiidte an Gesundhoit, Schönheit und
Reinlichkeit gewinnen, wenn die Entwickelung übermäßigen Rauches
der Feuerungsanlagen aufhörte! Was würde die Reichsmaiine zahlen,
wenn die Torpedos und Kriegsschiffe ihre Fahrten ohne sichtbaren
Rauch machten? Dann könnten sie sich dem Feinde unbemerkt
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2U
nähern, und die erzeugte gröfsere Hitze bei bedeutend verringerter
Heizfläche der Dampfkessel würde Ersparnisse herbeiführen, welche
die Ausgabe fiir Sauerstoff reichlich aufwiegen. Die technischen
Schwierigkeiten der ersten Einrichtung werden sich leicht losen lassen,
wenn nur erst billiger Sauerstoff in unbegrenzter Menge zur Ver-
fügung steht.
Luftschiffer atmen in hohen Regionen das mitgefühlte belebende
Gas in gierigen Zügen ein, um in der dünnen, sauerstoffarmen Luft
nicht zu ersticken. Andererseits wird in der Tiefe der Bergwerke
komprimierter Sauerstoff vorrätig gehalten, um bei tiegenwart schlagen-
der Wetter oder tätlicher Explosionsgase Schächte und Stollen betreten
zu können. In zahlreichen Fallen der medizinischen Praxis hat sich
reiner Sauerstoff als Lebensluft bewährt, z. B. bei Behandlung von
Lungenkranken und Asthmatikern. Nicht zu vergessen ist, dafs die
Bedienungsmannschaft submariner Boote, sowie Taucher mittelst hin-
reichenden Sauerstoffvorrates sich längere Zeit unter Wasser halten
können. Ich stimme Professor Kafsner bei, der am Schlüsse eines
Artikels in Dinglers Journal sagt: „Der Preis dieses Gases wird
nach dem nouen Verfahren ein so niedriger werden, dafs dasselbe zu
allgemeiner Anwendung gelangt. Welche Fortschritte dann überall
in Verkehr, Industrie und Gewerbe eingeleitet würden, läfst sich kaum
überblicken; ein grofsartiger Umschwung auf allen Gebieten des prak-
tischen Lebens wird die Folge sein Welche Wärme erzeugt der
reine Sauerstoff in unseren Heizanlagen, welches intensive Licht geben
die mit reinem Sauerstoff gespeisten Gasflammen? Unleidlichen Rufs
und Rauch giebt es nicht mehr, da alle Kohlen total verbrannt und
ausgenutzt werden. Dies Gas ist in sanitärer und therapeutischer
Hinsicht die eigentliche Lebensluft, nicht nur für Menschen und Tiere,
sondern auch für Industrie und Technik."
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Der Weltäther entdeckt? Bekanntlich kann der Himmelsraum,
soweit wir ihn kennen, nicht absolut leer gedacht werden, da die Über-
tragung der Wellenbewegung des Lichts unbedingt ein die interstellaren
Räume ausfüllendes Medium zur Voraussetzung hat, dem vermutlich
auch alle elektromagnetischen und gravitierenden Fernewirkungen,
die zwischen den Gestirnen eine gewisse Verbindung herstellen, zu
verdanken sind. Dieser „Weltäther" oder ., Lichtäther- mufs sicherlich
ein im Vergleich mit den sonst bekannten Stoffen unendlich viel feineres
Fluidum sein, da er einerseits die Bewegungen der Weltkörper nicht
merkbar hemmt, andererseits aber nach den Anschauungen der Physiker
alle Materie völlig durchdringt. Einen historischen überblick übordieEnt-
wickelung der Ätherhypothese haben unsere Leser durch einen längeren
Aufsat/, im vorigen Jahrgang gewonnen; es wird ihnen daher noch
gegenwärtig sein, date die Ansichten über die Eigenschaften des Äthers
bis in die neueste Zeit starken Schwankungen unterworfen gewesen
sind. Vor allem ist es zweifelhaft, ob man dem Äther die Eigen-
schaften eines echten Gases zusprechen kann, uder ob er nicht viel-
mehr trotz seiner geringen Dichte die Eigenschaften eines starren,
vollkommen elastischen Körpers besitzt. Nach diesen Vorbemerkungen
werden wir die aus Amerika kommende Nachricht von der Entdeckung
eines neuen (lases ..Etherioiv, das mit dem Lichtäther identisch sein
soll, mit der nötigen Reserve aufnehmen; immerhin sind aber die be-
treffenden Erfahrungen des Herrn Brush interessant genug, um unser
Interesse in hohem Mafse zu erregen. Aus pulverisiertem Glas ent-
wickelte .sich nämlich im vollkommensten Vacnurn, das uns erreichbar
ist, ein Gas, das seine Existenz durch eine außerordentlich grofse
Wärmeleituugsfähigkcit verriet. Bei einein Druck von 0,96 Milliontel
Atmosphären leitet das neue Gas die Wärme _'ü mal schneller als
Wasserstoff, der seinerseits ein bessererer Wärmeleiter als Luft ist
Audi aus anderen Körpern gelang es. dasselbe Gas im Vadium zu
entwickeln. Auf Grund gewisser Analogien schliffst Brush aus dem
hohen Wärmeleitungsvermögen des neuen Gases (das übrigens durch
233
Vordiohtung mit Hilfe von Diffusion zu einem 42 mal besseren Wärme-
leiter als Wasserstoff verwandelt werden konnte), dals demselben nur
etwa der zehntausendste Teil der Dichte des Wasserstoffs zukomme.
Aus der kinetischen Qastheorie würde nun folgen, dals ein so feines
Gas in der irdischen Atmosphäre nicht würde existieren können, wenn
es nicht auch den Himmelsraum erfüllte; es würde nämlich vermöge
der grofsen Geschwindigkeit, mit der sich seine Moleküle bewegen,
in den Weltraum hinaus diffundieren. Da nun aber das neue Gas
sicher in der Atmosphäre enthalten ist und von den uns bekannten
Körpern daraus begierig absorbiert wird, so meint Brush, dafs es eben
ein die ganze Welt erfüllender Stoff sein müsse, der vielleicht der von
der Undulationstheorie geforderte Träger der Lichtbewegung sein könnte.
Bald nach dem Bekanntwerden dieser Aufsehen erregenden Ver-
öffentlichung erhoben sich indessen schon gewichtige Stimmen des
Widerspruchs. Der durch die Entdeckung der Kathodenstrahlen hoch-
verdiente englische Physiker Crookes glaubt z. B., mit grofser Wahr-
scheinlichkeit erklären zu können, dafs das vermeintlich neue Gas
nichts anderes als Wasserdampf sei, der ihm selbst bei Vacuumver-
suchen schon längst als kaum entfernbar und durch ein hohes Wärme-
leitungsvermögen charakterisiert entgegengetreten ist.
Jedenfalls darf man demnach auf weitere Versuche zur Entschei-
dung über die Richtigkeit der einen oder anderen Ansicht in hohem
Mafse gespannt sein. F. K b r.
Häufigkeit der Erdbeben in Niederländisch-Indien.
Kapitän Montessus de Ballore, über dessen statistische
Arbeiten über Erdbeben in dieser Zeitschrift wiederholt Bericht er-
stattet worden ist, hat sich neuerdings mit der Frequenz der Erdbeben
in Japan und der ostindischen Inselwelt beschäftigt Die grofsen
Inselgruppen, welche sich von der Südspitze Hintorindiens bis zum
australischen Kontinente hinziehen, sind durch mannigfache geologische
Eigentümlichkeiten, durch starkes Hervortreten des Vulkanismus, na-
mentlich auf Java und den Molukken und in manchen ihrer Teile,
gleich Japan, durch besondere Häufigkeit von Erdbeben ausgezeichnet.
Die Erdbebenstatistik Montessus, die sich über den ganzen Archi-
pel von Sumatra bis Neuguinea erstreckt, mufs gegenwärtig noch
sehr lückenhaft sein, da sie sich nur auf das Aufzeichnungsmaterial aus
den niederländischen Besitzungen stützen kann und dieses kaum mehr
als fünfzig Jahre umfafst; ganz ungeheure Gebiete, die der Civilisation
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2.U
noch nicht zugänglich sind, wie das Reich Atschin auf Sumatra, fast
ganz Borneo und viele Gebiete der gröfseren Inseln, sind in Beziehung
auf ihre Erdbehcnhäufigkeit noch so gut wie unbekannt. Das sta-
tistische Bild wird sich also im Laufe der Zeit, namentlich wenn, was
so sehr zu wünschen wäre, eine permanente Beobachtung der Erd-
beben durch ständige Seismographen in einzelnen Gegenden erreicht
werden sollte, ganz wesentlich verändern. Aber gewisse charakteristische
Züge und Gesetzmäßigkeiten lassen sich in der Erdbebenfrequenz
jener Inselwelt schon jetzt nachweisen. Im allgemeinen bestätigt sich
zunächst, dafs die Gebiete der Erdbeben hauptsächlich dort anzutreffen
sind, wo sich die stärksten Gefälle im Relief der Erdkruste darstellen.
Im speziellen treten besonders folgende Gesetze zu Tage. Die Berg-
länder sind mehr heimgesucht von Erdbeben als die Flachländer. Tiefe
Meeresküsten, namentlich wenn sie längs steiler Kettengebirge dahin
ziehen, sind viel erdbebenreicher als seichte Küsten, welche den
Rand von Flachländern bilden. Die jäh abfallenden Seiten der tie-
birgsketten sind an Erdbeben häuliger als die allmählich verlaufenden.
In den Thälern zeichnen sich besonders die Mittelpartien gegenüber
den höher belogenen durch Unruhe aus. Sehmale bergige Halb-
inseln sind erdbebenreich, ferner Heut das Stofszentrum einer Reihe
von Erdbeben öfters in tiefen und an Breite beschränkten Meerengen.
Diese der ErdbebenhäufL' keit des hinterindischen Archipels anhaften-
den < lesetzniäfsigkeiten, welche übrigens durch andere Züge verstärkt
werden könnten, die wir in anderen bebenreichen Gebieten der Erde
zu beobachten Gelegenheit haben, beweisen, dafs der Zusammenhang
zwischen der Entstehung der Kidbeben und der Formation der Erd-
rinde ein unmittelbarer ist. und dals geologische Kräfte die Haupt-
ursuche der Beben sind. Montessus erwartet deshalb nicht viel Re-
sultat von jener wissenschaftlichen Richtung, welche den eigentlichen
Impuls zu den Erdbeben in aufserirdischen, kosmischen Ursachen zu
suchen sich bemüht; er meint, selbst wenn kosmische Bewegungen
bei tler Entuickelung der Erdbeben mitspielten, dafs diese Kräfte
gegen die Macht der geologischen Ursachen verschwinden müTsten.
Weit wichtiger als jene Spekulationen sei vielmehr die Erforschung
der ^.'(»graphischen Verbreitung der Erdbeben, also die statistische
Untersuchung der Erdbebenhäufigkeit in einzelnen abgegrenzten Ge-
bieten: nur eine solche bereite das sichere Fundament für die wei-
teren Untersuchungen des Gegenstandes vor. Was nun die Häufigkeit
der Erdbeben im hinterindischen Archipel anlangt, so findet Mon-
tessus aus seiner Statistik, dafs Westsumatra in dieser Beziehung
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235
den andern Inseln vorangeht, namentlich ist die Insel Nias und die
ihr gegenüberliegende Küste von Erdheben heimgesucht, indem auf
je 28 qkm ein Erdheben kommt (welche wahrscheinlich in der Meer-
enge von Xias ihren Ursprung haben). Längs der steilen Böschung des
Küstengebirges von Westsumatra finden auch zahlreiche Seebeben
statt. Uie Nordspitze von Sumatra ist ebenfalls reich an Erdbeben;
mit Abnahme an Häufigkeit, bis zu etwa 60 qkm, folgen die Gebiete
Padansr und Benkulen. noch schwächer zeigen sich die Erdbeben in
der Residentsehalt Lanipongs (Palempang im Südosten Sumatras) und die
ganze Ostküste der Insel. Menado, der nordöstliche Teil von Celebes.
steht an Häufigkeit der Erdbeben noch über Westjava. Auf Java ist
der westliche Teil, gleich Sumatra, erdbebenreicher als der östliche. Die
Molukken: Ceram, Büro, Amboina, Banda, Diilolo, Makian, Batsehan,
die Insel Timor und die Südspitze von Celebes haben annähernd
gleiche Frequenz, (50—70 qkm; noch schwächer zeigen sich Bali,
Sumbawa, Flores, Adinara, und Madura nächst der Nordküste von Java.
Dann kommen die Inseln Wetter, Kotti, Dame, Larat, Key und Arn,
ferner Rio. Banka und Billiton bei Sumatra, die Insel Borneo. die
Eilande Sangir, Tulour nördlich von Diilolo und Celebes, die Süd-
spitze von Malakka und zuletzt Neu-Guinea; doch ist von der Erd-
bebenfrequenz aller dieser letztgenannten Erdteile noch äufserst wenig
bekannt, und spätere Untersuchungen werden hierüber wahrscheinlich
ein ganz anderes Bild zu liefern vermögen. •
-I*
Das Spektrum von Atair ist m jüngster Zeit von Professor
H. C Vogel zum Gegenstand einer genauen Untersuchung1) gemacht
worden, zu der sowohl diu bereits im Jahre 18*9 von Scheinet' entdeckte
Eigentümlichkeit dieses Spektrums, als auch eine von Doslandres
auf Grund seiner photographischen Aufnahmen behauptete Veränder-
lichkeit der Bewegung in der Gesichtslinie die Anregung gegeben
haben. — Der Stern Atair (oder i Aquilae) gehört zum ersten Spektral-
typus, nimmt jedoch insofern eine interessante Ausnahmestellung ein,
als neben den breiten Wasserstoffiinien sehr matte, etwas verwaschene
Absorptionsbiinder zu erkennen sind, deren Lage mit gewissen Linien-
gruppen der Spektra vom zweiten Typus übereinstimmt. Schein er
hatte dementsprechend zwei Möglichkeiten für das Zustandekommen
dieses Spektrums statuiert: entweder befindet sich der Stern im Über-
') Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Üeiltn. Sitzung
vom 17. November 18i)8.
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23G
gang aus dem dem ersten Typus entsprechenden Entwicklungsstadium
zu demjenigen der Sonnensterne, oder das Spektrum ist ein zu-
sammengesetztes, durch die vereinigte Lichtwirkung zweier dicht bei
einander stehender Sterne mit verschiedenen Spektren erzeugtes. Im
letzteren Falle müfste nun eine Bahnbewegung erwartet werden, die
sich durch Schwankungen der spektroskopisch zu bestimmenden Ge-
schwindigkeit in der Gesichtslinie verraten könnte. Deslandros
meint nun in der That derartige Schwankungen gefunden zu haben,
da der nach seinen Aufnahmen ermittelte Betrag der Linienverschiebung-
Geschwindigkeitswerten entspricht, die von 37 km im Sinne einer
Annäherung bis 11 km im Sinne zunehmender Entfernung variieren. Da
jedoch eine regelmäßige Periode in diesen Veränderungen nicht zu er-
kennen ist, glaubt der Pariser Astronom sich zu der Annahme berech-
tigt, der Stern müsse mindestens ein dreifacher sein, sodafs seine Bewe-
gung in komplizierteren Kurven sich vollziehe. An die Möglichkeit,
dafs die gefundenen, regellosen Schwankungen auch durch gröfsere
Ungenauigkeit der Bestimmungen bedingt sein könnten, scheint Des-
landres selbst nicht gedacht zu haben. Umsomehr hielt H. C. Vogel
die letztere Annahme für die einfachste Lösung des Kätsols. Er liefe
daher während der Jahre 1896 und 1897 im ganzen 29 Aufnahmen
des Spektrums von i Aquilae am Potsdamer Spektographen herstellen,
um volles Licht in die schwebende Frage zu bringen. Es zeigte sich
nun, dafs sichere Anzeichen einer Geschwindigkeitsschwankung in
der That nicht vorhanden sind, da sich Werte ergaben, die nur zwischen
26 und 40 km Annäherung in ganz unregelmäßiger Weise hin und her
schwanken und einen mittleren Wert von — 32,9 Jb 0,3 km ergeben.
Eine erneute Ausmessung der bereits im Jahre 1888 von Scheiner
aufgenommenen Platten gab in Verbindung mit den damals gumessenen
Werten für 1888 die Geschwindigkeit: — 36,1 dz 0,7 km, sodafs eine
radle Änderung auch daraus kaum vermutet werden kann.
Was nun die Erklärung der eigenartigen, matten Absorptions-
bänder im Atair-Spektrum betrifft, so macht Vogel zunächst mehrere
Umstände geltend, die es unwahrscheinlich erscheinen lassen, dal's
hier eine Superposition zweier Spektra vorliege. Üagegon ist es ge-
lungen, durch unscharfe Einstellung der Platte Aufnahmen des Sonnen-
spektrums zu erlangen, deren Aussehen infolge des Zuzammenfliofsens
eng stehender Linien dem des Atairspektrums ähnelt. Da jedoch die
im Sönnenspektrutn sehr intensive und überhaupt für Sterne vom
zweiten Typus charakteristische Liniengruppe G im Spektrum von
i Aquilae kaum angedeutet ist, so mufs das letztere entschieden noch
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237
zum ersten Typus (Unterklasse Ia, 3) gerechnet werden. Was also
aus der eben erwähnten Ähnlichkeit mit dem unscharfen Sonnen-
spektrum gefolgert werden kann, ist nur die Möglichkeit, die ver-
waschenen Bänder des Atairspektrums durch das Zusammenfliefsen
verbreiterter, benachbarter Linien zu erklären. Vogel neigt stark
zu der Ansicht, dafs diese Verbreiterung der Linien im vorliegenden
Falle die Wirkung einer schnellen Rotation des Sterns sei. Be-
kanntlich mufs eine schnelle Rotation das Licht der sich nach uns
zu drehenden Sternhälfte derart beeinflussen, dafs die Linien nach
Violett verschoben erscheinen, während für die andere Hälfte der
sichtbaren Sternoberfläche in nach dem Rande zu steigendem Mafse
eine entgegengesetzte Verschiebung eintreten wird. Da uns nun ein
Fixstern wie ein Punkt erscheint, wir also nur das Mischlicht wahr-
nehmen, das von allen möglichen Teilen seiner Scheibe zugleich her-
stammt, so können . bei schneller Rotation thatsächlich verwachsene
Verbreiterungen von Linien nach dem Doppl ersehen Prinzip zu-
stande kommen, wie Abney schon 1877 hervorgehoben hat. Bei
Atair müfste bei dieser Annahme ein Äquatorpunkt eine Rotations-
geschwindigkeit von 27 km besitzen, was im Vergleich mit der Sonne
allerdings aufserordentlich viel (etwa das dreizehnfache) wäre, aber
andererseits doch nur eine doppelt so grofse Geschwindigkeit ist, als
wir sie bei Jupiter als thatsächlich vorhanden kennen. Die Erklärung
der Absorptionsbänder von et Aquilae durch die Rotation des Sternes
kann demnach nicht als unwahrscheinlich bezeichnet werden, wenn
Atair auch der erste Fixstern sein würde, bei dem eine solche spektro-
skopische Rotationswirkung hervortritt. F. Kbr.
Dr. F. Schulze: Nautik. (Sammlung Göschen). Mit "»6 Abbildungen.
Leipzig 1898, O. J. Göschen. Preis geh 0,80 M.
Eine zweckdienliche, kurze Einführung in die wichtigsten Aufgaben des
.Seefahrers giebt im vorliegenden Büchlein der Direktor der Lübecker Navi-
gationsschule. Im allgemeinen sind die Erläuterungen leicht verständlich und
daher jedem, der sich für Schiffahrt interessiert oder vielleicht selbst einmal
eine Seereise mitmacht, bestens zu empfohlen. Etwas unklar ist der Gebrauch
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238
des Parallellineals durch Figur .11 und den dazu gehörigen Text dargestellt. Für
den schulmäfsig vorgebildeten Leser wird das Verfolgen der kleinen Beispiels-
rechnungen durch den der Praxis entlehnton Gebrauch der Kompaßstriche er-
lieblich erschwert, ja es mutet die Bezeichnung NNO'^O statt "207" Azimuth
geradezu mittelalterlich an Es wäre unseres Erachtens eine schöne Aufgabe
der Navigationsschulen, die viel leichtere und einfachere Gradeinteilung in die
praktische Nautik endlic h mit aller Energie einzuführen, da das Festhalten an
den Kompafsstricheu doch nur dem Gesetz der Trägheit zuzuschreiben ist.
Konnte man zu Lande neue Mafse und Gewichte einführen, dann muls aucb
der Nautiker schließlich einer zweckmäßigen Neuerung sich unterzuordnen
im stände sein.
Dr. med. lt. \euuatifs: IMe Farbenphotographie nach LippmamiN
Verfahren. Halle a. S , Verlag von Wilhelm Knapp, 1808. Preis 3 M.
Über die vom theoretischen Gesichtspunkte aus höchst bedeutungsvollen
Erfolge, welche Lipp mau n in der farbigen Photographie durch die Benutzung
eines Qtiecksilberspiogels hinter der lichtempfindlichen Schicht erreicht hat,
ist in dieser Zeitschrift wiederholt berichtet worden. Uie betreffenden farbigen
Platten bilden seit einigen Jahren in , jeder photographischeu Ausstellung Objekte
von besonderem Interesse und reizen den Liebhaberphotographen mächtig
zu eigenen Versuchen nach dieser Richtung hin. In Deutschland ist der Ver-
fasser vorliegender Schrift anerkanntermaßen bei diesen Versuchen zu den
besten Resultaten gelangt; aber nach wie vielen, die Geduld im höchsten Grado
auf die Probe stellenden Fehlversuchen, erfahren wir aus seiner wertvollen
Publikation. Jedem, der auf deni gleichen Gebiet arbeiten will, werden die auf
mehrjähriger Erfahrung beruhenden Ratschläge und genauen Anweisungen,
die das Büchlein bietet, vom höchsten Nutzen sein. Dasselbe hat aber neben
seinem praktischen einen hohen wissenschaftlichen Wert, da es über den Herrn
Neuhau fs gelungenen Nachweis der die Farben durch Interferenz hervor-
rufenden Silbcrkoru-Lamelleu berichtet: Zwar hatte Wiener schon vor mehreren
Jahren die Existenz stehender Lichtwellen im Sinne der von Zenker bereits
186S entwickelten Theorie außer Zweifel gestellt, aber der Nachweis, daß es
sich bei dem Li p pni a n nscheo. Verfahren thatsächlich um die du.-ch stehendo
Lichtwellen in der empfindlichen Schicht hervorgerufene Lamellenbildung
handelt, fehlte bisher. Herrn Dr. Neuhaufs ist es jedoch nach langen, mühe-
vollen Versuchen unter besonders günstigen Umständen geglückt, in feinsten
Querschnitten durch den roten Teil einer Spektralaufnahmc die Lamellen auf
mikro-photogiaphisehem Wege festzustellen, und zwar in Abständen, welche
mit der theoretischen Voraussage aufs schönste zusammenstimmen. Die der
vorliegenden Schrift beigegebene Lichtdrucktafel reproduziert eine der zahl-
reichen Neuhaufsschcn Aufnahmen und läfst erkennen, dafs die Lamclleu-
bildung durchaus nicht die ganze Dicke der Schicht durchsetzt, sondern nur
in der dein Quecksilberspiegel zugewendeten Hallte deutlich vorhanden ist.
Meyers Konversations-Lexikou. 't. Auflage. IS. Band: Ergänzungen und
Nachträge, Register. Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut.
1M»S. Preis 10 M.
Die während des Erscheinens der fünften Aullage notwendig gewordenen
Ergänzungen und Nachträge lullen eineu stattlicheu Band von fast 10iH) Seiten.
Dabei sind die Fortschritte der Technik in vollständigster Weise berücksichtigt,
so dafs wir über neuere Dampfmaschinen, ferner die schnell berühmt gewordenen
Diesel-Motoren, über neuere Fernsprecher, den elektrischen Betrieb beim Berg-
bau u. s. w. an der Hand trefflicher Abbildungen unterrichtet werden. Von
239
naturwissenschaftlichen Artikeln ist z. Ii. derjenige über den immer gröfsert*
Bedeutung gewinnenden Kalisalz-Borgbau hervorzuheben, ferner der Artikel
über Höhlen. Meisterhaft gelungen sind die Buntdrticktaleln .Wolkenforiuen>',
..Tropenwald", „Mitternachtssonne- und .Luftspiegelung in der Wüste". —
Auch das ausführliche Register solcher Worte, denen zwar keine selbständigen
Artikel des Werkes gewidmet sind, die aber bei Artikeln unter anderer übor-
srhrift ihre Erklärung linden, wird den Besitzern des .neuesten Meyer" den
vorliegenden Ergänzungsband unentbehrlich machen. F. Kbr.
Übersicht der Himmelserscheinungen filr Februar und März.
Der Sternhimmel Während Februar und März ist der Anblick des Him-
mels um Mitternacht folgender: Zur Kulmination gelangen vornehmlich die
Stornbildor des grofsen und kleinen Löwen, der Sextant und grofse Bär; in
westlicher Richtung stehen der Luchs, die Zwillinge und Fuhrmann. Sirius,
Procyon und die Zwillinge haben ihre Kulmination um l*'1 resp 7 t> abends
erreicht. Nahe dem Untergange steht Orion, bald folgt (um 2 h niorg. resp.
nach Mitternacht) auch der Stier, Sirius um '/,'.' h morg. resp. V^l:?1» abends,
Procyon zwischen 3 und 5»> morgen.«, die Zwillinge gehen erst um fi •> morgens
unter. Um Mitternacht verschwindet auch der Widder, nachdem Walfisch
schon früher untergegangen. Im Aufgange befinden sich um Mitternacht die
Wage, (a Librae geht um \b morg. resp. II h abends auf) Herkules und
Opbiuchus. Bootes hat schon eine höhere Stellung erreicht ('.'., U*1 resp. 7 h
abends Aufgang, zwischen .'! — Tili morg. Kulmination). Jungfrau geht um
VJlh abends resp. vor iM> auf und kulminiert 21* — 4h morg. In den Morgen-
stunden bemerkt man den Aufgang von Adler, Schwan, Pegasus und Skorpion
(Antares zwischen 4 und 2*j morg.) Folgende Sterne kulminieren für Berlin
um die Mitternachtsstutide:
1. Februar i H.vdrae CX Gr.) (AR. ^ 11 »> D. r C>° 47')
8. , :i.S Lyn. is |4. Gr.) '.) 13 -f 37 14
15. . £ Leonis <3. Gr.) !> 40 + 24 14
22. h « - (I.Gr.) 10 :'. +12 28
!. März 33 Sextant. (C Gr.i 10 'M - 1 13
8. ö Leonis (2. Gr.) II 8 + 21 4
15. „ u . (4. Gr.) 1 1 32 — 0 16
22. . -v Virginia (4. Gr.) 12 0 -f II 18
29. , \ Corvi (2. Ur) 12 2:< -22 50
Helle veränderliche Sterpe, welche vermöge ihrer günstigen Stellung vor
und nach Mitternacht beobachtet werden können, sind:
R Canis minor. (Variabilität 7. bis 10. Gröfse)
R Leonis i „ *> ,, 10. ., i
■/ Virgnis I „ 7. ,. 10. ., )
r t „ s. „ 12. „ )
S .. | 0. .. 12. „ )
S Corouae < „ G. ,. 12. „ )
T ,, < ,. 2. ,, !*. „ )
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240
Von Nebeln sind besonders bemerkenswert der grofse im Bootes bei
AR14l>, D 4-350, einige Nebel von 2 bis 8 Minuten Länge im nördlichen
Teile der Jungfrau, sowie mehrere im Löwen östlich vom Regulus.
Die Planeten. Merkur ist im Februar nur kurze Zeit vor Sonnenunter-
gang, in der zweiten Hälfte März nach Sonnenuntergang sichtbar. — Venus
geht gegen 5 b morgens auf und steht am Osthimmel. Sie bewegt sich mit
zunehmender Schnelligkeit vom Ophiuchus durch die nördlichen Teile des
Schützen und Stoinbock und gelangt bis in den Wassermann. — Mars geht
am Tage auf und ist bis zum Morgen (Ende März bis ljtA h) sichtbar. Er ge-
langt mit seiner Bewegung vom Krebs in die Zwillinge und kehrt dort, Ende
Februar etwa unterhalb von Pollux, um. — Jupiter wird bald nach Mitter-
nacht sichtbar, Anfang März schon nach 11 11 abends (Ende März nach 9 h
abends). Er steht unweit Spica (am rechten Fufse der Jungfrau) an der Grenze
der Wage und kehrt gegen Ende Februar in diesem Sternbilde um. Saturn
am Morgonbimmel, geht Anfang Februar vor 5 b morg. auf, Ende März schon
um 1 h, und steht im südlichen Teile des Ophiuchus. — Uranus, nach 3 b am
Frühhimmel (Ende März schon vor Mitternacht) steht im Skorpion und zwar
im Februar-März fast senkrecht über Antares (I. Gr.), etwa 4"1 Grad nördlich
von diesem Sterne. — Neptun bis 5h morgens, Ende März bis l*> morgens
sichtbar, befindet sich kaum mehr als ein Grad nordwestlich von C Tauri
(3.3. Gr.)
Sternbedeeknngen sind für Berlin während Februar-März nicht zu melden.
(Die am S. März stattfindende Venusbedeckung durch den Mond ist in Berlin
nicht sichtbar).
Mond. Berliner Zeit.
Letztes Viert, am 3. Februar Aufgang 0 b 53 n> morg., Unterg. 9 b 42 b morg.
Neumond . 10. —
Erstes Viert. ^17. „ „ 9 41
Vollmond „ 25. , „ 5 .'»0
Letztes Viert. , 5. März „ I 13
Neumond 11. -
Erstes Viert. . 19. , 10 0
Vollmond , 2". r 7 12
vorm ,
abends,
morg.,
vorm.,
abends,
1 45 morg.
6 40 .
8 53 vorm,
2 85 morg.
5 34 .
Erdnähen: 9. Febr., 9. März; Erdfernen: 22. Febr., 21. März.
Sternzeit f. den
mitt. Berl. Mittag Zeitg leichung
Sonnenaufg Sonnenunterg.
f. Berlin
l. Februar
•_>0 h 4"»m 45.3«
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43
5
44
6 27
Verlag: Hermann Paetel in Berlin. — Druck: Wilhelm Gronau** Itocbdrnekerei in Berlin- Saneberg.
FAr die Hedaction Terant wort lieh: Dr. P. Schwabs in Bertin.
Unberechtigter Nachdrnek ans dem Inhalt dieser ZelUohrifl unterlagt.
Cbei»eiinng»rerht Torbehalten.
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r
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Der Botanische Garten zu Buitenborg auf Java.
Von Prot Dr. A. Zimmermann in Bnitenzorg.
on den Botanischen Gärten der Tropen nimmt derjenige zu
Buitenzorg, dem javanischen Sanssouci, eine ganz hervor-
ragende Stellung ein. Mögen auch vielleicht einige andere
Tropengürten an Ausdehnung, Zahl der kultivierten Pflanzen und
landschaftlicher Schönheit mit demselben rivalisieren können, so hat
doch sicher keiner von ihnen fiir die wissenschaftliche Botanik eine
solche Bedeutung erlangt, als der Buitenzorger Garten mit seinen
wertvollen Sammlungen und trefflich eingerichteten Laboratorien, an
denen eine grofse Reihe von wissenschaftlich gebildeten Beamten
thätig ist Mit grofser Liberalität haben hier ferner zahlreiche Ge-
lehrte fast aller civilisierten Nationen — darunter auch eine grofse
Anzahl deutscher Naturforscher — eine freundliche Aufnahme ge-
funden und in den verschiedensten Gebieten der botanischen Wissen-
schaft wertvolle Untersuchungen angestellt oder Material zur gründ-
lichen Durcharbeitung von hier in die Heimat mitgenommen. Zweifellos
würde auch die Zahl dieser Gelehrten noch viel gröfser sein, wenn nicht
die lange und natürlich auch ziemlich kostspielige Reise manchen von
einem solchen Besuche abhielte. Der Mehrzahl der bisherigen Be-
sucher wurde denn auch nur durch Unterstützungen von ihrer Regie-
rung oder von Akademien oder anderen gelehrten Gesellschaften die
Reise in die Tropen möglich gemacht, und es ist gewifs im Interesse
der botanischen Forschung mit Freuden zu begrüfsen, dafs sich in
den letzten Jahren verschiedene Regierungen dazu entschlossen
haben, regelmäßig derartige Unterstützungen zu gewähren.
Aufser für den Botaniker von Fach bietet der hiesige Garten
aber auch für den Laien so viel Interessantes und Schönes, dafs der-
selbe für jeden Javareisenden einen Hauptanziehungspunkt bildet,
Himmel und Erde. 1899. XI. 6. '6
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und auch die Zahl der Besucher desselben von Jahr zu Jahr immer
mehr zunimmt. So dürfte denn auch für die Leser dieser Zeitschrift
eine kurze Beschreibung dieses „botanischen Paradieses", wie man
den Buitenzorger Garten mit Recht genannt hat, nicht ohne Inter-
esse sein.
Bevor wir nun aber den Garten in seiner jetzigen Gestalt be-
trachten, wollen wir einige Worte über die historische Entwicklung
desselben vorausschicken. Eine eingehendere Schilderung dieses
Gegenstandes wurde in der bei Gelegenheit seines 75jährigen Be-
stehens herausgegebenen Festschrift von dem derzeitigen Direktor
des Gartens, Dr. M. Treub, veröffentlicht. Nach dieser wurde der
Buitenzorger Garten im Jahre 1817 auf Antrag des als Direktor
der landwirtschaftlichen Angelegenheiten angestellten Naturforschers
C. G. L. Rein wardt gegründet und stand auch während der ersten
5 Jahre unter Administration desselben. Von 1822—1826 war dann
C. L. Blume als selbständiger Direktor mit der Leitung des Gartens
betraut Unter diesen beiden Gelehrten, die übrigens beide deutscher
Abkunft waren, hat sich der Garten schnell entfaltet und berechtigte
in jeder Beziehung zu den besten Hoffnungen. Als aber Blume
1826 gesundheitshalber die Tropen verlassen mufste, wurde die
Direktorstelle am Garten zunächst aus Sparsamkeitsrücksichten nicht
wieder besetzt, überhaupt wurde derselbe nun lange Zeit von der
Regierung sehr stiefmütterlich behandelt. Fast 30 Jahre hat der
Garten sogar beinahe ganz unter militärischer Leitung gestanden.
Dies ist dadurch zu erklären, dafs das Terrain des Gartens unmittel-
bar an das Palais des Gouverneur-Generals, des höchsten Beamten
von Niederländisch-Indien, grenzt, und dafs der mit der Verwaltung
des Palais-Parkes betraute Intendant auch auf die Leitung des Bota-
nischen Gartens immer mehr Einflurs gewann. Dafs dieser trotzdem
seine wissenschaftliche Bedeutung nicht verlor, ist in erster Linie
den rastlosen Bemühungen des im Jahre 1831 ernannten energischen
Hortulan us J. E. Teysraann zu danken.
Dieser hat auch, angeregt durch den Botaniker J. K. Hasskarl,
trotz mancher Einsprachen seitens der Palais-Intendantur eine streng
wissenschaftliche, dem natürlichen Systeme sich ansch liefsende An-
ordnung der verschiedenen Bäume und Sträucher in dem gesamten
Garten durchgeführt, was selbstverständlich in dem bereits bepflanzten
Areal das Fällen vieler an sich schöner Bäume notwendig machte
und zunächst manche die landschaftliche Schönheit störende Lücke ent-
stehen liefe. Dem energischen Vorgehen von Teysmann ist es aber
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zu danken, dafs die systematische Anordnung nun im ganzen Garten
streng durchgeführt ist, wodurch natürlich die Orientierung in dem-
selben, das Auffinden der einzelnen Arten und die Vergleichung der
nahe verwandten ungeheuer erleichtert wird.
Auch in vielen anderen Beziehungen hat sioh Teysmann grofse
Verdienste um den Garten erworben. Seinen Bemühungen ist es
in erster Linie zu danken, dafs derselbe im Jahre 1868 seine admini-
strative und finanzielle Selbständigkeit zurückerhielt, indem wieder
ein selbständiger Direktor an die Spitze desselben gestellt wurde.
Als solcher fungierte in den Jahren 1868—1880 R. H. C. C. Soheffer,
der mit rastlosem Eifer an der weiteren Entwiokelung des Gartens
gearbeitet hat und denselben speziell auch für tropischen Landbau
nutzbringend zu machen suchte. Auf seine Anregung wurde der
besonders für die Kultur tropischer Nutzpflanzen bestimmte Kulturgarten
zu Tjikeumen gegründet und in Verbindung damit eine Landbau-
schule für holländische Beamte und junge Inländer. Daneben suchte
Scheffer aber auch die rein wissenschaftliche Bedeutung des Gartens
zu heben. Als eigentliches Organ für die wissenschaftlichen Arbeiten
desselben wurdon von ihm die „Annales du Jardiri tiotanique de
Buitenzorg" gegründet.
Nach dem frühen Tode Scheffers im Jahre 1880 wurde M. Treub
zum Direktor des Gartens ernannt, der noch jetzt dieses Amt be-
kleidet. Eine wie bedeutende Ausdehnung der Garten unter seiner
Direktion erhalten hat, dürfte am besten aus einer kurzen Auf-
zählung der verschiedenen Abteilungen, in die der noch immer als
„'s Lands- Plan tentuin" bezeichnete Komplex gegliedert ist, hervor-
gehen:
1. Herbarium und botanisches Museum.
2. Botanische Laboratorien. Zu denselben gehört auch das
Fremden-Laboratorium, das für zeitweilig hier arbeitende Ge-
lehrte bestimmt ist. In den Jahren 1883 — 98 haben in demselben
nicht weniger als 63 Forscher — darunter 27 Deutsche — gearbeitet
Aufserdem befindet sich in dieser Abteilung ein speziell für die Unter-
suchung der Tabak-Fermentation eingerichtetes Laboratorium.
3. Kulturgarten mit Laboratorium. Der erstere besitzt
«ine Ausdehnung von ca. 72 ha. In dem Laboratorium sind aufser
dem Chef zwei Assistenten spezioll mit Untersuchungen im Interesse
•der Thee- und Kaffeekultur beschäftigt.
4. Pharmakologisches Laboratorium.
5. Botanisoher Garten und Gobirgsgarten. Der erstere
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besitzt eine Ausdehnung von etwas mehr als 58 ha. Der am vulka-
nischen Gede gelegene Gebirgsgarten besteht aus dem eigentlichen
Gartenterrain, das ca. 1400 m oberhalb des Meeresspiegels gelegen
und ca. 31 ha grofs ist, und aus ca. 280 ha Urwald, der sich am Gede
bis zu einer Höhe von beinahe 1900 m hinauf erstreckt
6. Bureau, Bibliothek und photographisches Atelier.
Das letztere ist auch mit den für Zinkographie und Autotypie nötigen
Apparaten ausgestattet.
7. Abteilung für Untersuchung der Forstgewächse Javas.
8. Laboratorium für Untersuchungen über Deli-Tabak.
9. Versuchsstation für Kaffee kul tu r.
10. Abteilung für land wirthschaftlich-zoologische Unter-
suchungen.
Das an diesen verschiedenen Abteilungen beschäftigte Personal
besteht aus ca. 27 größtenteils promovierten Europäern und über
200 Inländern. Unter den letzteren nimmt der Mandri Udam nicht
nur durch sein hohes Alter von annähernd 70 Jahren, sondern auch
durch seine sehr ausgedehnte Pflanzenkenntnis eine hervorragende
Stellung ein. Auf seiner Brust trägt er mit Stolz die beiden ihm von
der holländischen Regierung verliehenen Orden.
Neben ihm ragt der Obermandur des Gartens, Suin, hervor, der
zugleich über die in einem eigenen Kampong (= Dorf) zusammen-
wohnenden inländischen Gartenarbeiter die oberste Polizeigewalt aus-
übt und als Zeiohen dieser Würde ein grofses, silbernes Gürtelschild
und eine mit breitem Silberrand versehene Mütze trägt.
Neben dem Obermandur spielt der Zeichner Chrom oardjo,
der nicht nur vortreffliche Zeichnungen anzufertigen versteht,
sondern auch die Kunst des Lithographierens in Europa erlernt
hat, eine hervorragende Rolle unter den Beamten. Schliefslich ver-
dient der Mandur Pa. Idam noch eine besondere Erwähnung, der
schon manchem der hier weilenden Gelehrten auf seinen botanischen
Streifzügen in der Umgegend als Führer gedient hat und sich hierbei
durch die Gewandtheit, mit der er als Reiseraarschall für Beschaffung
von Speise, Trank und Unterkunft sorgte, die gröfste Anerkennung
erworben hat.
Bezüglich der großen Zahl der aus dem Garten hervorgegange-
nen Publikationen sei noch erwähnt, dafs von den, wie bereits hervor-
gehoben wurde, von Scheffer gegründeten „Annales du jardin bot. de
Buitenzorgu bereits 15 Bände vorliegen, dieneben den Untersuchungen
der Beamten des Gartens auch zahlreiche Beiträge von auswärtigen
245
Gelehrten, die hier im Fremdenlaboratorium thätig waren, enthalten.
Die mehr praktische Fragen behandelnden gröfseren Arbeiten sind in
den „Mededeelingen uil's Lands Plantentuin", von denen bereite
27 Nummern erschienen sind, veröffentlicht, während zahlreiche
kleinere Mitteilungen praktischen Inhalts in der von zwei Beamten
des Gartens redigierten Zeitschrift „Teysmannia" enthalten sind. Eine
Übersicht über die gesamte Thätigkeit des Gartens giebt der jährlich
erscheinende „Verlag", in dem auch die Resultate verschiedener
kfeinerer Untersuchungen veröffentlicht werden. In diesem Jahre er-
Fig. 1. Eingang aum Garten mit Bambusgruppen.
schien ferner die erste Lieferung der Icones Hogorienses*), in der Ab-
bildungen und kurze Beschreibungen von neuen oder wenig bekannten
Gewächsen von Niederländisch Indien publiziert werden sollen. Die
dieser Lieferung beigegebenen lithographischen Tafeln sind von dem
bereits erwähnten Inländer Chromoardjo hergestellt Schliefslich
sei noch erwähnt, dafs auch bereits die Bearbeitung einer grofsen
Flora von Buitenzorg begonnen wurde. Im Druck sind davon aller-
dings bisher nur die Farne und Myxomyceten erschienen.
Bei der Beschreibung des eigentlichen botanischen Gartens, zu
•) Bogoricnsia ist gebildet von Bogor, der malaiischen Bezeichnung für
Buitenzorg.
246
der wir nunmehr übergehen, wollen wir uns auf eine Anzahl lose
aneinander gereihter Skizzen beschränken. Ich hoffe aber, data diese
im Verband mit den beigegebenen Abbildungen auch dem mit der
tropischen Flora weniger Vertrauten einen gewissen Einbliok in die
Reichhaltigkeit und Schönheit des Buitenzorger Hortus botanicus ge-
währen werden.
Als erstes Bild (Fig. 1) wähle ioh die beiden unmittelbar hinter
dem westlichen Eingange gelegenen prächtigen Bambussträucher
(Gigantochloa aspera und G. robusta), die mit ihren schöngebogenen,
feinbeblätterten Stämmen von beiden Seiten aus zu einer natürlichen
Eingangspforte zusammenneigen. Diese schlanken Stämme wachsen
mit grofser Geschwindigkeit aus dem Boden hervor; wird dooh bei
denselben eine Längenzunahme von 30 cm innerhalb eines Tages
nachgewiesen. Trotzdem besitzen sie in ausgewachsenem Zustande
eine ganz erstaunliche Festigkeit, durch die sie zu der verschieden-
artigsten Verwendung befähigt werden. So spielen dieselben vor
allem bei dem Bau der tropischen Wohnungen und Brücken eine
hervorragende Rolle.
Eine solche , ausschliefslich aus Bambusstämrnen aufgebaute
Brücke, die trotz ihrer leichten Bauart dooh eine grofse Tragfähigkeit
besitzt, stellt eine der beiden Verbindungen her, welche zwischen den
beiden durch den Tjiliwong getrennten Teilen des Gartens bestehen.
Die Brücke erhebt sich hoch über den Wasserspiegel; es hat dies
darin seinen Grund, dafs der Tjiliwong keineswegs immer wasserarm
ist, dafs er vielmehr nach den in Buitenzorg gerade besonders häufigen
Regengüssen zeitweise zu einem mächtigen Strome anschwillt
Da die Bambuseen ferner, ebenso wie die meisten unserer ein-
heimischen Gräser, mit denen sie übrigens in die gleiche Familie ge-
hören, hohle Stengel besitzen, die nur durch an den Knoten befind-
liche Querwände in zahlreiche, auch von aursen erkennbare Glieder
zerlegt werden, so lassen sich aus denselben sehr leicht die ver-
schiedenartigsten Küchengeräte, Wassereimer, Trinkbecher u. dergl.
verfertigen. Auch Matten, Musikinstrumente und vieles andere weife
der handfertige Malaie aus denselben herzustellen. In der That findet
man denn auch über ganz Java zahlreiche, zum Teil sehr ausgedehnte
Bambusgebüsche verbreitet, die mit ihrem schlanken Wuchs und dem
frisohen Grün ihrer zarten Blätter vielen sonst etwas eintönigen und
kahlen Landschaften einen eigenartigen Reiz verleihen.
Im Innern eines solchen Bambusgebüsches befindet sich auch
der für die auf Java beerdigten Gouverneur-Generale und deren
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247
Familienangehörigen bestimmte Friedhof. Hier neigen die feinbelaubten
Bambusstämme von allen Seiten her wie Trauerbäume über den
Gräbern zusammen, und es dürfte wohl wenig Friedhöfe geben, bei
denen die friedliche Grabesstille in ähnlicher Weise mit so einfachen
Mitteln hervorgerufen wird, wie durch dieses den Friedhof von der
Aufsenwelt abschliefsende Bambusdickicht.
Fig. Königspalmen -Allee.
Ein solches Bambusdickicht bildet auch den Hintergrund auf
unserem Bilde (Fig. 2), das zugleich die prächtige Königspalmenallee
zeigt, die von der auf unserem ersten Bilde dargestellten Eingangs-
pforte zum Palais des Gouverneur-Generals hinführt. Die Palmenart
tOreodoxa regia), aus der diese Allee besteht, wird in ihrer Heimat,
dem tropischen Amerika, als ..palma real" bezeichnet und macht
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248
in der That mit ihrer majestätischen Blätterkrone einen sehr im-
ponierenden Eindruck. Speziell befindet sich auch unsere Allee ge-
rade jetzt in einem sehr günstigen Alter, während sie unzweifelhaft
mit der Zeit mehr und mehr an Schönheit verlieren wird. Es hat
Fig. 3. LivUtona -Allee.
dies darin seinen Grund, dafs bei den Palmen im Gegensatz zu den
reich verzweigten Dicotylen-Bäuinen, wie Linde, Eiche und Kastanie,
die Entwickelung der einfachen Laubkrone mit dem Höhenwachstum
des Baumes nicht gleichen Schritt hält. Nach Überschreitung einer
gewissen Altersgrenze findet bei den Palmen sogar eher eine all-
mähliche Verkleinerung der Laubkrone statt. So kommt es, dafs bei
den als Alleebäumen angepflanzten Palmen das Mißverhältnis zwischen
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24«)
der Höhe des Stammes und der Gröfse der Laubkrone die ästhetische
Wirkung allmählich immer mehr beeinträchtigt. Ein Beispiel hierfür
bietet die in Fig. 3 dargestellte Livistona-Allee, deren riesenhafte
Stämme wie Mastbäume in die Lüfte ragen, so dafs man zu den ver-
hältnismäfsig sehr winzigen Laub krönen hoch einporschauen mufs.
Fig. 4. Pklmongruppe.
Diese Palmen besafsen bereits im Jahre 1890 eine Höhe von über
80 Fufs. In welchem Jahre sie gepflanzt wurden, konnto ich leider
nicht mehr ermitteln; von der Königspalmenallee weifs man dagegen,
dafs sie erst im Jahre 1887 angelegt wurde. In ca. 11 Jahren
haben sich also diese Palmen zu so kräftigen Bäumen entwickelt.
In der That ist auch das feuchtwarme Klima von Buitenzorg für das
Wachstum der meisten Palmen ganz besonders günstig.
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250
Werfen wir nochmals einen Blick auf unser Bild (Fig. 2), so
können wir besonders an der vordersten Palme unterhalb der BLatt-
krone die kräftig entwickelten Blütenstände erblicken, die von einer
Unzahl kleiner, dichtgedrängter Blüten, aus denen sich die etwa hasel-
nufsgrofsen Früchte entwickeln, bedeckt sind. Eigenartig ist ferner
noch bei den Königspalmen die Gestalt des Stammes, der an der
Basis knollig entwickelt ist, dann allmählich dünner wird, nach oben
hin aber wieder an Dicke zunimmt, um sich allmählich nach der
Blattkrone zu nochmals zu verjüngen.
Fig. 5. Palmengruppe mit Brücke über den Tjiliweg.
Zwei bedeutend ältere Palmen sehen wir sodann in der in unserem
Bilde (Fig. 4) dargestellten Palmengruppe, bei der sie auf der rechten
und linken Seite alle Palmen überragen. Auf der linken Seite der
Gruppe befinden sich aufserdem zwei Vertreter der Gattung Phönix, zu
der auch die Dattelpalmen gehören. Von denselben besitzt namentlich
die gröfsere, die von der dahinter stehenden Königspalme nur wenig
an Grün übertroffen wird, eine prächtig entwickelte Blattkrone. Auf
der rechten Seite fallen namentlich die dicht zusammenstehenden und
feingefächerten Blätter einer Thrinax-Art auf.
Ähnlich wie die Dattelpalme zeichnet sich die Ülpalme (Elaeis
guineensis) durch ihre langen, feingefiederten Blätter aus, die sie nach
allen Seiten hin weit ausstreckt. Das aus dem Samen dieser hauptsäch-
251
lieh in Afrika viel angebauten Palme gewonnene „Palmöl44 wird in
grofsen Mengen nach Europa imponiert und findet namentlich als
8chmieröl für Wagen und Maschinen eine sehr ausgedehnte Ver-
wendung.
Unser Bild 4 dürfte aber ferner auch zur Genüge zeigen, dafs
die Palmen keineswegs immer einen so eintönigen Eindruck machen,
wie man dies besonders häufig von Europäern, die sich noch nicht
lange in den Tropen aufhalten, hören kann. Dafs sich in dieser
Hinsicht viele in ihren Erwartungen getäuscht sehen, kann man
einigermafsen begreifen, wenn man z. B. auf einer langen Eisenbahn-
fahrt immer und immer wieder die völlig gleichgestalteten Kokos-
palmen erblickt, die auf Java fast jedes inländische Dorf, ja fast jede
Wohnung umgeben. Im Buitenzorger Garten kann man sich aber
sehr bald davon überzeugen, dafa die Palmen in der Gestalt ihrer oft
riesenhaften Blätter und in ihrem ganzen Habitus eine sehr weit-
gehende Variation zeigen, und dafs namentlich die aus verschieden-
artig gestalteten Arten zusammengesetzten Gruppen sehr wohl einen
ästhetisch schönen und imponierenden Eindruck zu machen vermögen.
Einige sohöne Palmengruppen findet man auch noch auf unserem
fünften Bilde, das die zweite Brücke über den Tjiliweg darstellt (Fig. 5),
die im Gegensatz zu der auf dem dritten Bilde dargestellten einen
völlig europäischen Charakter besitzt. Namentlich fallen wohl die
auf der rechten Seite unserer Figur befindlichen schlanken Stämme
einer Oncosperma-Gruppe sofort in die Augen. Auf der linken Seite
der Brücke sehen wir ferner zwei Exemplare von Cocos oleracea,
deren Blätter erheblich länger sind und auch mehr steil aufwärts
stehen als die der gewöhnlichen Kokospalme (Cocos nueifera).
Bevor wir die Palmen verlasson, wollen wir schliefslich noch
eine besonders gestaltete Gattung derselben besprechen: die Kletter-
oder Rottangpalmen, die zu der artenreichen Gattung Calamus ge-
hören. Diese besitzen im Gegensatz zu den bisher betrachteten
Palmen, die mit ihren zwar meist sehr schlanken, aber doch festen
Stämmen stolz in die Lüfte ragen und Wind und Wetter Trotz bieten,
einen sehr schwachen und biegsamen Stengel, so dafs sie nicht auf
eigenen Füfsen zu stehen, sondern nur an geeigneten Stützen empor-
zuwachsen vermögen. Das Festhalten an diesen Stützen geschieht
nun aber bei den Kottangpalmen nicht etwa wie bei den Erbsen oder
Weinreben durch reizbare Ranken, auch nicht wie bei den Winden
und Bohnen durch Umschlingen der Stütze, sondern dadurch, dafs
die grofsen Blätter sich mit zahllosen Widerhaken an den Zweigen
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252
und Blättern anderer Pflanzen festklammern (vergl. unser Bild Fig. 6
auf dem Titelblatt). Eine wie grofse Festigkeit diese nach allen Seiten
hin ausgestreckten Fangarme besitzen, kann man am besten erfahren,
wenn man es einmal versucht, in ein solches Rottanggebüsch einzu-
dringen. Man wird dann sofort von allen Seiten her festgehalten und
Fig. & Fand&nuigruppen.
katin sich nur mit Mühe wieder befreien. So kann man sich denn
auch in der That sowohl im Buitenzorger Garten als auch im Urwalde
davon überzeugen, dafs Rottangpalmen trotz ihrer relativ dünnen und
biegsamen Stengel bis in die Spitzen der höchsten Bäume empor-
klimmen, um so die für ihre Entwickelung nötigen Bedingungen zu
finden. Erwähnen will ich schliefslich noch, dafs die Rottangstengel
nicht nur von den Inländern sehr geschätzt, sondern auch als „spanisches
Hohr" in grofsen Mengen nach Europa importiert werden.
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253
Nächst den Palmen bilden die Baumfarne eine eigenartige, für
die tropische Flora charakteristische Pflanzengruppe. Das Buiten-
zorger Klima ist aber für diese nicht sehr günstig, wenigstens ge-
deihen dieselben in etwas höheren Regionen erheblich besser, und
Fig. !>. Kanarien -Allee.
man findet auf Java namentlich in den ca. 3000 Fufs hoch gelegenen
Urwäldern häufig sehr prächtige Exemplare. Immerhin besitzt doch
die auch sonst sehr sehenswerte Farnabtoilung des Buitenzorger
Gartens, wie unser Bild (Fig. 7, Titelblatt) zeigt, eine Reihe sehr kräf-
tiger Baumfarne, die der Gattung Alsophila angehören.
Einen sehr eigenartigen Eindruck machen sodann die auf unse-
rem Bilde (Fig. 8) dargestellten Pandanacecn. Aus dem Stamme
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254
dieser Pflanzen brechen sehr zahlreiche Luftwurzeln hervor, die fast
lotrecht nach unten wuchern, bis sie den Boden erreiohen, in den sie
alsbald eindringen. Nun wächst die Spitze aber nicht einfach in der
gleichen Weise fort, sondern es bilden sich alsbald zahlreiche Neben-
wurzeln, so dafs binnen kurzem ein normales Wurzelsystem entstanden
ist Die früheren Luftwurzeln haben dann einerseits die Aufgabe, der
Pflanze die nötigen Nährstoffe zuzuführen, andererseits dienen sie aber
auch für den in seinem unteren Teile stets sehr dünnen und später nicht
mehr in die Dicke wachsenden Stengel als Stützen, auf denen die
Pflanzen wie auf Stelzen ruhen, so dafs sie für ihren natürlichen
Standort, den Meeresstrand, besonders günstig gestaltet erscheinen. Bei
älteren Pandanaceen kommt es sogar nicht selten vor, dafs bei ihnen
der untere Teil des Stengels allmählich vollständig verfault und ab-
stirbt, so dafs dann die Pflanze nur von den zahlreichen Stütz wurzeln
getragen wird.
Einen besonderen Glanzpunkt des Buitenzorger Gartens bildet
sodann die vor ca. 66 Jahren von dem verdienstvollen Teysmann
gepflanzte Kanarienallee, die von dem südlichen Eingange des Gartens
nach dem Palais des Gouverneur-Generals hinführt. Wie unser Bild
(Fig. 9) zeigt, besitzen die Bäume dieser Allee, die zu der Gattung
Canarium, der „ Eiche der Tropen", gehören, bereits eine recht an-
sehnliche Höhe. Ich will in dieser Hinsicht nur bemerken, dafs bei
einer im Jahre 1890 ausgeführten Messung der höchste, damals
68 Jahre alte Baum bereits eine Höhe von 124 Fufs besafs. Trotz-
dem sind diese Bäume noch mit prächtigen Laubkronen versehen, die
von beiden Seiten her zu einem natürlichen Gewölbe zusammen-
schliersen. Einen besonderen Reiz und zugleich einen typisch tropisohen
Charakter verleihen aber der Kanarienallee die zahlreichen ver-
schiedenen Epiphyten, welche an den Stämmen derselben empor-
wachsen, dieselben ganz mit ihrem Blätterschmuck umhüllend und
auch zwischen den einzelnen Bäumon grüne Guirlanden bildend. So
sehen wir auf der linken Seite unseres Bildes an dem vordersten
Baume eine Aroidee emporklimmen, die mit ihren grofsen, fein zer-
schlitzten Blättern den Stamm der Stützpflanze fast vollständig ver-
deckt. Aufser zahlreichen anderen Aroideen, die sehr verschieden-
artig gestaltet sind und zum Teil auch buntgefärbte Blätter besitzen,
findet man hier namentlich noch verschiedene Orchideen, Farne,
Gnetaceen und Loganiaoeen. Erwähnen will ich schliefslich noch eine
Pandanacee (Freycinetia), deren grofse, leuchtend rote Blüten von den
Fledermäusen bestäubt werden.
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2,r)5
An dem nördlichen Ende der Kanarienallee befindet sich nun,
wie bereits erwähnt wurde, das Palais des Gouverneur-Generals von
Niederländisch-Indien. Zwischen dem Palaispark und dem botanischen
Garten besteht eine kaum merkbare Grenze: nur die auf jeder Seite
des Weges sichtbaren kleinen weifsen Tafeln zehren durch ihre Auf-
Fig. 10. Teil de« groaaen Talchat mit der Victoria Regia.
schrift „verboden toegang" an, dafs hier das allgemein zugängliche
Terrain aufhört
Will man einen guten Überblick über das stattliche Palais ge-
winnen, so mufs man dasselbe von der entgegengesetzten Seite aus
betrachten. Hier befindet sich vor demselben eine ausgedehnte Rasen-
fläche, die allmählich in einen grofsen Hirsohpark übergeht. In
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4J5t;
diesem halten sich mehrere hundert Hirsche auf, die sehr zahm sind
und auch nicht selten bis dicht an das Palais herankommen.
Wer das Palais betrachtet, dem wird es auffallen, dafs dasselbe
nur aus einem einzigen Stockwerke besteht und sioh infolge dessen
stark in die Breite ausdehnt Die gleiche Bauart findet man aber auf
Java fast allgemein. Sie wird in erster Linie durch den vulkanischen
Boden, auf dem wir uns hier befinden, und durch die immer von Zeit
zu Zeit wiederkehrenden Erdbeben veranlafst. Nur ganz ausnahms-
weise findet man hier vierstöckige Häuser. An ganz besonders ge-
Fig. 11. Insel im groucn Teich
fährdeten Pliitzen, zu denen aber Buitenzorg nicht gehört, werden so-
gar massive Steinbauteu ganz vermieden, und die Wände ausschliefs-
lich aus den biegsamen Baiubusstämmeu und ähnlichem Material auf-
gebaut
Ein hinter dem Palais sichtbar werdender stattlicher Berg ist der
Salak, der bis zu seinem ca. 7000 Fufs hohen Gipfel von dichtem
Urwald bedeckt ist und mit seinen Ausläufern fast bis an Buitenzorg
heranreicht
Kehren wir nun nach dem kleinen Abstecher aus dem botani-
schen Garten wieder auf die andere Seite des Palais zurück, so er-
blicken wir vor demselben einen grofsen Teich, der sich nach dem
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257
Palais zu in zwei Arme gliedert, von denen der eine auf unserem
Bilde (Fig. 10) dargestellt ist. Auf diesem fallen sofort die kolos-
salen Blätter der auf dem Amazonenstrom einheimischen Victoria regia
auf, die mit ihren fast kreisrunden Flächen auf dem Wasser schwim-
men, während der senkrecht nach ohen stehende Rand und die tief
Fig. \'2. Kleiner Teich mit Gummibaum im Hintergrande
in das Wasser hineinragenden Kippen dieselben vor mechanischen
Verletzungen schützen. Bei genauein Hinsehen kann man auch eine
Blüte erkennen, die mit denen unserer weifsen Teichrosen eine grofse
Ähnlichkeit hat, aber bedeutend gröTser ist.
Am linken Ufer des TViches sehen wir feiner die schlanken
Himmel uu<l Erdo 189«. XI. tt. 17
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258
Stämme einer Ravenala. die mit den Bananen oder Pisang in die
Familie der Musaceen gehört, sich von diesen aber durch die eigen-
artige Anordnung der Blätter unterscheidet. Diese stehen nämlich bei
der Ravenala sämtlich in einer Ebene und bilden einen riesenhaften
Fächer, weshalb man sie auch wohl Fächerpalmen genannt hat, ob-
wohl sie nicht zu den Palmen im botanischen Sinne gehören.
Auf der anderen Seite des Teiches sehen wir einen hohen Baum,
der ganz von einer üppig wuchernden Schlingpflanze, der Thunbergia
grandiflora bedeckt ist, die mit ihren zahllosen dünnen Zweigen eine
dicht zusammenscbliefsende, nur von den grofsen hellblauen Blüten
unterbrochene grüne Wand bildet.
Einen der malerischsten Punkte des Gartens bildet nun aber
ferner die mitten in dem grofsen Teiche gelegene kleine Insel, die in
unserem Bilde Fig. 11 dargestellt ist. Leider ist die Photographie
aber nicht im stände, die Farbenpracht dieser Insel, die derselben einen
ganz besonderen Heiz verleiht, wiederzugeben. Selbst die auf der-
selben befindlichen schlanken Palmen, die zu der Gattung Cyrtostachys
gehören, 6ind nicht einfach grün, sondern besitzen leuchtend rote
Blattscheiden, die den oberen Teil des Stammes völlig verhüllen.
Aufserdem haben wir hier noch buntblätterige Crotons, Acalyphen
und andere Blattgewächse, dazwischen wieder Büsche von Duranta,
die fast immer zahlreiche, kräftig hellviolette Blüten treiben und gelbe
Früchte tragen. In der Mitte der Insel erhebt sich schliefslich eine
mit zahlreichen Blüten übersäcle Wand, die von der bereits auf
dem vorigen Bilde angetroffenen Thunbergia gebildet wird.
Zum Schlusse wollen wir noch einen Blick auf den im Garten
befindlichen kleinen Teich werfen, der auf allen Seiten von grofsen
Bäumen eingefafst ist, so dafs es iu der Umgebung desselben auch
während der heifsen Mittagstunden relativ kühl ist, und dieser Platz
zu den beliebtesten Teilen des Gartens gehört (Fig. 12.). Auf dem
Wasserspiegel des Teiches sehen wir zahlreiche Nymphaeaceen mit
weifs, rosa oder violett gefärbten Blüten.
Im Hintergrunde desselben erhebt sich ein grofser Waringin-
baum, in dem wohl der Nichtbotaniker schwerlich den auch in
Deutschland so vielfach kultivierten Gummibaum vermuten wird, und
doch haben wir es hier mit einem riesenhaften Exemplare von Ficus
elastica zu thun, dessen kolossales Laubdach allerdings auf unserem
Bilde nur zum Teil sichtbar ist. Sehr gut zu erkennen sind aber auf
demselben die zahllosen Luftwurzeln, welche von allen dickeren
Zweigen herabhängen und sich, wenn sie den Boden erreicht haben,
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i
259
sehr kräftig entwickeln können. Sie können dann, wie bei den be-
reits erwähnten Pandanaceen, zugleich zur Nährstofiauf nähme und als
Stützorgane dienen. So ist denn auch bei unserem Baume der eigent-
liche Stamm gar nicht zu sehen, sondern ganz von einem Mantel
zahlloser Wurzeln verdeckt.
Nachdem wir nunmehr das letzte unserer Bilder besprochen, ist
es wohl nicht nötig, noch besonders hervorzuheben, dafs im Vor-
stehenden eine auch nur einigermafsen erschöpfende Beschreibung
des Buitenzorger Gartens nicht enthalten ist Vielmehr mufsten wir
uns, dem zu Gebote stehenden Räume entsprechend, auf eine kurze
Schilderung einiger der interessantesten und sohönsten Punkte be-
schränken. Vielleicht dürften aber auch diese kursorischen Skizzen
dazu beitragen, das Interesse für die tropische Pflanzenwelt zu ver-
mehren. Möohten doch auch die Bemühungen, die in den letzten
Jahren gemacht wurden, um in dem deutsohen Kolonialgebiet bo
tanisohe Gärten anzulegen, in nioht allzu ferner Zeit zu Resultaten
führen, die hinter dem Hortus botanicus Bogoriensis, dem bisher
einzig dastehenden Tropengarten, nicht allzu weit zurückstehen!
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Nicolaus Coppernicus.
Von Professor M. i'urtze in Thorn.
(Fortsei zun
IL Mannesjahre.
on 1506 — 1512 finden wir Coppernicus in der Umgebung
seines Oheims auf dem Schlosse zu Heilsberg. Am 7. Januar
1507 gewährte ihm das Domkapitel Urlaub von der Kathedrale,
um dem Bischof persönlich als Arzt zu dienen, sowie eine Extrabesoldung
von jährlich 15 Mark guter Münze für die Dauer desselben. Die Form
des Beschlusses, speziell der Gebrauch des Präteritums bei Erwähnung
der Inanspruchnahme seitens Watzelrodes, deuten auf eine bereits
vorher vollzogene Übersiedelung nach Heilsberg hin. Während dieser
Jahre linden wir die persönliche Anwesenheit des Domherrn in Ka-
pitelsitzungen nur zweimal erwähnt: Am 3. April 1507 bei der Über-
weisung des Frauenburger Hospitals an die Anloniterbrüder und im
Jahre 1511. Damals hallen Coppernicus und Fabian von Losainen
als Visilatoren in Alienstein '238 Mark erhoben und nach ihrer Rückkehr
ihrem Kollegen Balthasar Slocklisch übergeben. Bei dessen Ab-
rechnung vor dem Kapitel sind beide zugegen. Trotzdem kann Cop-
pernicus au andern ihn interessierenden Abstimmungen durch einen
Vertreter leicht teilgenommen haben.
Sein nahes und bald sehr inniges Verhältnis zu dem bischöf-
lichen Oheim, von Laurentius Corvinus mit dem des treuen
Achates zu Aeueas verglichen, zwingt uns zu näherem Eingehen
auf dessen Persönlichkeit und Politik. Ursprünglich war Lucas
gegen den Willen des regierenden Königs Kasimir nur durch den
Beistand <ier preufsischen Stände auf seinem Bischofstuhl erhalten
worden. Unter den Nachfolgern. Johann Albert. Alexander und
Sigismund I., hatte sich das Verhältnis gerade umgekehrt: der erm-
ländische Bischof war ihr bester Freund und einer der ersten Grofsen
der polnischen Krone geworden. Und das kam so. Kin integrieren-
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2B1
der Teil der gegen Polen gerichteten Ordenspolitik war der Versuch,
die nur sohwaoh begründete kirchliche Oberhoheit des Metropolitana
seiner Länder, des Rigaer Erzbiscbofs, auch über Ermland zu festigen,
um dann mit dessen Hilfe entscheidenden Einflufs auf die inneren
Angelegenheiten des Bistums zu gewinnen. Den auf seine Rechte
eifersüchtigen und ehrgeizigen Bischof Lucas mutete ein solcher Ein-
griff zu Gegenschachzügen veranlassen. Daher sein Vorschlag, den
Orden nach Podolien zu verpflanzen und ihn so der sohwer errunge-
nen Territorialhoheit zu berauben, daher sein späteres Streben nach
der erzbischöflichen Mitra und damit naoh völliger Unabhängigkeit,
ja kirchlicher Herrschaft über Teile des Ordensgebietes. Trotz ihres
Scheiterns zogen ihm diese Pläne den grimmigen Hafs der Ritter zu,
der sich in mannigfachen Schmähungen äufserte. Mit der gleichzeiti-
gen Verweigerung des dem Polenkönig geschuldeten Huldigungseides
seitons des Hochmeisters Friedrich von Sachsen rückte die Ge-
fahr eines Krieges in greifbare Nähe. Die exponierte Lage Ermlands
zwang den Bischof so wie so, zwischen den mächtigeren Gegnern
Partei zu nehmen; nun wurde er zu immer engerem Anschlufs an Polen
gedrängt. Folgerichtig entstand auch bittere Feindschaft zwisohen ihm
und den auf ihre Grundrechte eifersüchtigen Ständen des westlichen
Preufsens, deren Aufsässigkeit den Polenkönigen schwere Mühe ge-
macht hatte; um so bitterere Feindschaft, als diese doch Anspruch auf
die Dankbarkeit des Bischofs zu haben glaubten. Das war die Lage,
deren Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten Lucas zum herben
finsteren Charakter, zum ä-ji/.aaToc gemacht, ja ihn in Gegensatz zu
seinem eigenen Kapitel gebracht hatten, so dafs selbst die Neffen vor
gelegentlichen Ausbrüchen seiner bösen Laune nioht sicher waren.
Diese weitsohauende Politik und der gleichzeitige Vorsitz im
Rate der preufsiscben Stände nötigten den Bischof zu mannigfachen
Reisen. Obwohl nur selten seines Neffen Anwesenheit während der-
selben ausdrücklich bezeugt wird, müssen wir diesen doch in seiner
ärztlichen und Freundschaftsstellung zu Lucas als dessen steten Be-
gleiter denken und in ihm überhaupt den nächsten Vertrauten von
des Onkels Plänen erblicken. So sandte er ihn schon 1506 zur
Marienburger Tagfahrt, in der es sich unter anderem um den Fort-
besitz eines Gebietes seitens des Bistums oder seitens der Danziger
handelte. Überhaupt mögen die kleinen Streitigkeiten auf diesen Tag-
fahrten bei dem Spröfsling des Thorner Patriziergeschlechtes heimat-
liches Interesse erregt haben. Qrörsere Gesichtspunkte fand man auf
den polnischen Reichstagen. Die Reise zu ihnen bot mit ihren
♦262
Etappen Thorn und Krakau Gelegenheit zur Auffrischung früherer
Beziehungen. Bezeugt ist des Bischofs Anwesenheit nur auf den Ver-
sammlungen zu Krakau 1508 und zu Petrikau 1509. Seine Teilnahme
an diesem letzteren Reichstage benutzte Coppernicus zur Heraus-
gabe seiner Übersetzung der Episteln des Theophy laklos Simo-
katta. Er übergab diese einzige während seines Lebens von ihm
selbst veröffentlichte und seinem Oheim gewidmete Schrift dem be-
rühmten Drucker Haller zu Krakau. Ob er die Mondfinsternis am
2. Juni dieses Jahres noch zu Krakau oder in Frauenburg beobachtete,
ist nicht sicher festzustellen.
Inzwischen hatte mit dem Regierungsantritt Sigismunds I., zu
dessen Krönungsfeier Onkel und Neffe bei Hofe erschienen waren
(24. Januar 1507), wieder eine schärfere Tonart in den Verhandlungen
zwischen Polen und dem Orden Platz gegriffen. Sigismund forderte
energisch Erfüllung der Lehnspflicht, wogegen der Hochmeister Hilfe
beim deutschen Kaiser suchte. Beiderseitige Kriegsvorbereitungen
waren die Folge. Aber Tatarenkriege und innere Wirren im Polen-
reiche, sowie das Ausbleiben der deutschen Hilfe für den Orden
machten die Gegner zu den unter des Kuisers Vermittelung stattfinden-
den Verhandlungen zu Posen geneigt (1510). Hauptsächlich den
Treibereien des ermländischen Bischofs war die Ergebnislosigkeit der-
selben zuzuschreiben, für den Orden ein Grund mehr zum Hafs gegen
ihn. Der Tod Friedrichs von Sachsen und die Wahl von Sigis-
munds Neffen, Albrecht von Brandenburg, zum Hochmeister
änderten nichts an der Stellung beider Mächte. Allein erneute Ta-
tarenkriege führten zu einem neuen Einigungsversuch. Als polnischer
Unterhändler wurde unter andern auch Lucas Watzelrode nach
dem Konferenzorte Thorn gesendet. Der merkwürdige, wohl nur
dilatorisch gemeinte Vorschlag Sigismunds, an Albrechts Stelle
ihn zum Hochmeistor zu wühlen, führte zu keinem Resultate. Kaum
in seiner Diucese angelangt, erhielt der Bischof eine Einladung zur
Hochzeit des Königs, woran sich ein allgemeiner Reichstag schliefsen
sollte. Am 15. Januar 1512 verliefs er Heilsberg in Begleitung seines
Neffen und des Domherrn Georg von De lau. Noch zu Stuhm be-
fanden sich beide um ihn, wie aus dem Bericht zweier Danziger Ab-
geordneten hervorgeht. Welche Gründe Coppernicus in Preufsen
zurückgehalten haben, entzieht sich unserer Kenntnis; jedenfalls folgt
seine spätere Abwesenheit aus der Angabe dt-s Kanzlers Watzel -
rodo, bei dem Tode seines llorren sei kein kundiger Arzt zugegen
gewesen. Lucas war nach Krakau weitor gezogen und hatte bei
263
guter Gesundheit Hochzeil und Reichstag mitgemacht. Auf der Rück-
reise begann er zu kränkeln, in Leczyc, zwei Tagereisen vor der
preufsischen Grenze, nahm sein Retinden unerwartet eine bedrohliche
Wendung; trotzdem fuhr er weiter. Todkrank langte er am 26. März
zu Thorn an, um am 29. daselbst für immer die Augen zu schliefen.
Schon am 2. April wurde er zu Frauenburg beigesetzt. Mit dem Tode
seines Wohlthäters hatte auch Coppernicus' Urlaub sein Ende er-
reicht. Anfang Juni wohnte er schon einer Allodienoption zu Frauen-
burg bei und beobachtete dann am 5. Juni eine Opposition des Mars
mit der Sonne (De rev. V, 16).
Die Heilsberger Jahre hatten für ihn neben seiner Verwendung
im vortrauten Dienste des Rischofs auch ruhige Tage ernster, früchte-
reicher Geistesarbeit gebracht. Hierher mag zunächst der Plan des
Verstorbenen zahlen, mit grofsen materiellen Opfern eine Universität
zu Elbing zu gründen, ein Versuch, zu dem viele Anregungen von
dem gelehrten Neffen gegeben sein mögen. Als eine Fortsetzung
seiner hellenistischen Studien unter Urceus und Muslims erscheint
die bei Gelegenheit des Petrikauer Reichstags schon erwähnte la-
teinische Übersetzung der Episteln des Theo p hy In ktos Simokatta
(630 n. Chr.). Mit einer Widmung au den Onkel und einem lateini-
schen Einiührungsgedicht des Laurentius Corvinus erschien sie
im Verlage des Krakauer Druckers IIa 11 er als erste selbständige
Übersetzung aus dem Griechischen in diesem Teile Europas.11») Jahr-
hunderte verschollen, wurde sie erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts
von (»otze auf der Dresdener Königlichen öffentlichen Ribliothek
wieder entdeckt. Seither ist ein zweites Exomplar in der Universitäts-
bibliothek zu Breslau aufgefunden worden. Sie blieb bis zu dem
Todesjahre des Coppernicus' einzige durch den Druck veröffent-
lichte Schrift. Zu jener Zeit, in welcher die Hethätigung griechischer
Kenntnisse von den herrschenden Scholastikern als beinahe ketzerisch
perhorresziert wurde, erscheint ein solches Unternehmen als eine
direkte Absage an diese. Kaum weniger als den damit bewiesenen
Mut müssen wir die Überwindung der einer solchen Arbeit entgegen-
stehenden Schwierigkeiten hochschätzen. Ein Rück in das noch vor-
handene, von Coppernicus mit Zusätzen versehene einzige Hilfs-
mittel dazu: Joh. Chrestonii Lexicon graeco-latinum, Mutiuae
1499, jetzt zu Upsala, genügt, um uns die ganze Gröfse derselben
") Man sehe darüber das erste Heft der „Mitteilungen dos Coppornicus-
Vereina" S 3o, die Prolcgoraena der Säcularausgabe dor Rovolutiones, Tho-
runii 1873 und die Reliquiae Copernicanae, Leipzig 1875.
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264
klarzumachen. Bei so geringen Hilfsmitteln wären selbst mehr und
gröbere Fehler zu entschuldigen, als die aultretenden. Auch die Wahl
eines so unbedeutenden Schriftstellers läfst sich aus dem geringen
Umfange der damals bekannten griechischen Litteratur und der
Schwierigkeit ihrer Beschaffung erklären: der Übersetzer nahm eben
mit dem vorlieb, was ihm ein Zufall entgegenbrachte. Den Theo-
phylaktos hatte Coppernicus jedenfalls unter Uroeos Leitung ge-
lesen und erworben.
Aufser dieser, im Grunde nur unbedeutenden Übersetzung ver-
danken wir jedoch der Heilsberger Zurüokgezogenheit Wichtigeres.
In der Widmung seines Hauptwerkes „De revolutionibus orbium
caelestium" an Papst Paul III. vom Jahre 1542 berichtet Cop-
pernious, er sei durch den Bischof Tiodemann Giese dazu ge-
drängt, endlich das Buch herauszugeben: ..qui apud me pressus non in
nonum annum solum, sed iam in quartum novenniura latitasset". Demnach
müssen wir die erste feste Gestaltung seiner umwälzenden Ideen, die
Entstehung der Grundzüge des Coppernicanischen Weltsystems, wie
schon Gassen di, um das Jahr 1506 ansetzen. Freunden und Studien-
genossen gewährte der Autor schon früh Einblick in seine Theorie;
so scheint z. B. Laurentius Corvinus in seinem Einführungsgedicht
zum Theophy laktos darauf anzuspielen.30) Die genaue rechnerische
Ausführung seiner Ideen hat ihn jedenfalls längere Zeit in Anspruch
genommen, womit das auffällig geringe Vorkommen astronomischer
Beobachtungen während der Jahre seines Urlaubs gut stimmen würde.
In den folgenden .Jahren bis 1516 hielt Coppernicus zum
ersten Male für längere Zeit an der Frauenburger Kathedrale Resi-
denz. Frauenburg ist ein kleines Städtchen an der Mündung des
Flüfschens Baude; ins frische Hall, etwa eine Meile von Braunsberg
gelegen, dessen Nähe es nie zu politischer Bedeutung emporsteigen
liefs. Die Kathedrale, herrlich auf etwa 80 Fufs hohem Hügel ge-
legen, ist eines der schönsten kirchlichen Hacksteindenkmäler des
Ostens. Im Anfang des 14. Jahrhunderts begonnen, wurde sie erst
1888 fertig gestellt. Als für die Beherrschung des Haffs strategisch
wichtiger Punkt war sie häutigen Belagerungen ausgesetzt und wurde
trotz starker Befestigungen mehrfach genommen, zuletzt 20 Jahre vor
Coppernicus' Eintritt in das Domstift von den Polen.
Jedem Domherrn stand der Niersbrauch eines innerhalb der Be-
->0) De republica, Vita, Moribus, jrestis, faraa, relipiono, sauetitate Ira-
peratoris, Caesaris, Au^usti, Quinti, Caroli. Maximi Monarchae Libri soptem . . .
autore Ouilielmo Zvnocaro k Scauvenburgo, Gandavi 15^9, S. 193/94.
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265
festigungen gelegenen Wohngrundstüokes, der sogenannten Curie, und
eines grösseren, aufserhalb gelegenen Vorwerks, des Allodiums, zu.
Bei jeweiligem Freiwerden eines solchen Besitzes infolge Todesfalles
fand in allgemeiner -Option" der Domherren nach ihrer Anciennität
eine Neuverteilung aller Stiftsgüter unter denselben statt. Beim ersten
Antritt eines Allodiums war für dessen lebendes Inventar an das Ka-
pitel ein fester Satz von 20 Mark zu zahlen. Für die Immobilien
war an den Vorbesitzer resp. dessen Erben ein vom Stifte zu be-
stimmender Taxwert zu entrichten, während die Mobilien zur freien
Verfügung der Erben verblieben.
Wie früher erwähnt, hatte Coppernious 14i>9 von Bologna
aus durch einen Stellvertreter ein Aliud optiert. Dieses vertauschte
er Anfang- Juni 1612 gegen das früher dem Balthasar Stockfisch
gehörige, um letzteres, wie es scheint, bis an sein Lebensende zu be-
halten. Wenigstens verzichtete er ausdrücklich bei zwei weiteren
Optionen, deren Protokolle sich erhalten haben, Ende 1612 und am
26. August 1521 von Allenstein aus, auf Ausübung seines Wahlrechtes.
Eine Curie hat er vor 1512 wohl überhaupt nicht optiert, da er bei
gelegentlichen Besuchen an der Kathedrale anderweite Unterkunft er-
halten konnte und Kosten und Mühe der Instandhaltung eigenen Be-
sitzes dabei ersparte. Dagegen finden wir unter dem 17. März 1514
einen Quittungsvermerk über eine Katenzahlung vun 75 Mark, welche
Coppernious für die Immobilien des früher dem Domherrn Erich
von Knobcia u (7 Anfang 1512) gehörigen Curie geleistet hat Auch
diese scheint er wegen ihrer für ihn günstigen Lage bis an sein
Lebensende behalten zu haben. In dem dazu gehörigen Turme,
jedenfalls dem Nordwestturm der Hingmauer, den heute noch eine die
Jahrhunderte überdauernde Tradition als Curia Coppernicana bezeich-
net, richtete er sich seino Wohnung ein. Und in der That hätte sich
für einen Astronomen kaum ein besserer Standpunkt unter den ge-
gebenen Verhältnissen finden lassen, solange der erst später so hoch
geführte Glockenturm nicht die Aussicht beschränkte. Frei lag vor
dem Beobachter das ganze Himmelsgewölbe bis auf die von der
Kathedrale eingenommene Ostseite; ungehindert schweifte der Blick
über die ferne Nehrung zur Ostsee und weit ins flache Land hinein.
Aus dem zweiten Stockwerke des dreistöckigen Turmes führte bis in
unser Jahrhundert eine Thür auf die hier altanfürmig erweiterte
Mauerkrone, von wo Coppernious ebenfalls beobachtet haben soll.
Als 1815 das Braunsberger Gymnasium laut Kabinettsordre von 1811
neben drei andern auch den Besitz dieser Praebende antreten wollte,
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260
wurde der Coppernicusturm auf besondere Bitte dem Domkapitel zu-
rückbegeben und dient nach zweckroäfsigem Umbau jetzt zur Auf-
bewahrung der Dombibliothek.
In diesen Räumen arbeitete der grofse Astronom rastlos an der
wissenschaftlichen Sicherstellung seiner neuen Theorie, von hier aus
sind fast alle in seinem Werke benutzten eigenen Beobachtungen aus-
geführt. Die dazu nötigen Instrumente hatte sich Coppernicus selber
angefertigt. Ein nach ptolemaeischen Vorschriften gearbeitetes Tri-
quetrum, ein Quadrum und allenfalls, wie Gassendi angiebt, ein
Jakobstab, alle von Holz mit Tintenstrichen geteilt, das scheint die
ganze Ausstattung seiner Warte gewesen zu sein. Ohne Astrolabium,
ohne die neuen besseren Nürnberger Instrumente, nur mit ein paar
armseligen Holzstäben gelang dem Genie seine astronomische Grofs-
tbat. Tycho Brahe kam später bei seinem Besuche in Frauen-
burg in den Besitz derselben, und so sind sie mit dessen eigenem
Instrumentarium in den Wirreu des 30jährigen Krieges untergegangen.
Aufser der geringen Genauigkeit, die sich beim Gebrauche so
primitiver Instrumente erzielen läfst, erschwerten die grofse Polhöhe
und die Wolkenatmosphäre Frauenburgs vielfach die Beobachtungen.
Coppernicus selber hat sich später gegen Rheticus darüber aus-
gesprochen und Angaben mit einein Maximalfehler von 10' als ein
unerreichbares Ideal hingestellt. Auch über die Mangelhaftigkeit der
alten Sternkataloge soll er geklagt haben, und thatsäehlich ist die
mit Hilfe des Almagest berechnete Länge seines Fundamentalsternes,
der Spica Virginia, fast um 40 ' irrig. Einen weiteren Beweis für die
Mangelhaftigkeit der damaligen astronomischen Längenbestimmung —
erst in unserem .Jahrhundert ist darin Wandel geschalTen — liefert die
nach Annahme des Coppernicus vollständige ühnreinstimmung des
Meridianes von Frauen bürg mit dein von Krakau, welche doch um 171//
differieren. Deshalb, und um seine Beobachtungen auf einen allseitig be-
kannten Standort zu beziehen, ist für die fast nur in Frauenburg ange-
stellten Beobachtungen ihm stets der Krakauer Meridian die eine Axe
seines Koordinatensystems. Um so bewundernswürdiger erscheinen
die Ergebnisse auf so unsicherem Boden basiertor Forschungen.
Inzwischen hatte sich der Ruf des Frauenburger Astronomen
weithin verbreitet. Auf dem lateranischen Konzil (1512 — 1517) wurde
auf Antrag des gelehrten Bischofs von Fossombrone, Pauls von
Middelburg, über die Kalenderreform verhandelt. Im -Jahre 1514
erhielt nun auch Coppernicus eine Aufforderung von der unter
Middelburgs Vorsitz dazu gewählten Kommission, sein Gutachten
267
in dieser Angelegenheit abzugeben. Die offizielle Einladung des
Bischofs war von einem Privatbriefe des Dekans der ermländischen
Kirche zu Rom, Bernhard Sculteti, begleitet und unterstützt.
Unter Hinweis auf die zu geringe Genauigkeit in den Bestimmungen
des Sonnen- und Mondlaufes lehnte Coppernicus die Beantwortung
der Frage ab. Bekanntlicli kam der Versuch des Konzils nicht bis
zum Abschlufs; die Vorarbeiten wurden in den Akten der Versamm-
lung begraben. Ein Vierteljahrhundert später erwähnt Coppernicus
ihrer in seiner Widmung an Papst Paul III.: Auf die Mahnung
Bischofs Paul von Fossombrone habe er seine Forschungen über
die Länge des tropischen Jahres fortgesetzt. Sein Resultat entspricht
genau den der spätem Gregorianischen Reform zu Grunde liegenden
Annahmen, die zum Teil auf ihm beruhen.
Bei reicher, zwischen Himmelsbeobachtungen und wissenschaft-
licher Vertiefung seiner neuen Theorie geteilter Geistesarbeit — Cop-
pernicus liefs bis zum Tode die bessernde und feilende Hand nicht
von dem Werke seines Leben — flössen die Tage für ihn in diesen
Jahren 1512—151;') im allgemeinen gleichmäßig dahin. Die wenigen
Pflichten seiner Stellung beschränkten nur in geringem Mafae die
der Wissenschaft gewidmeten Freistunden. Seine Confratres, denen
er auch zu Heilsberg nicht entfremdet ward, meist aus bekannten
oder gar verwandten Patriziergeschlechtern, bildeten fast einen Familien-
kreis. Nur ein herber Schmerz betraf ihn, die Todeskrankheit soines
Bruders And reas. Kurz nach seiner Rückkehr aus Italien, um 1507,
also noch zu Lebzeiton Watzelrodes und während Nicolaus1 Aufent-
halt in Heilsberg, war Andreas von der furchtbaren Lepra befallen
worden. Des Bruders ärztliche Kunst erwies sich als machtlos. Bei
den Ärzten Italiens wollte der Unglückliche dann Heilung suchen.
Er erbat und erhielt dazu 1508 einen einjährigen Urlaub. Aber alles
blieb vergebens. Dio schreckliche Krankheit machte weitero Fort-
schritte, so dafs er durch Kapitelbeschlufs vom 4. September 1512
von der Gemeinschaft der Domherren ausgeschlossen und eine be-
stimmte Summe zu seinem Unterhalte ausgesetzt wurde. Hauptsäch-
lich wegen der dadurch verfügten Verminderung seiner Einkünfte
erhob Andreas dagegen Einspruch. Darauf verlangte das Kapitel
Rechenschaft über die Verwendung von li'OO Goldgulden, die er von
seinem Oheim ..pro erectione ecclesie" erhalten hatte, und belegte bis
zur Erstattung dieser Rechenschaft seine Einkünfte mit Beschlag.
Wohl auf Grund vermittelnden Eintretens des Bruders Nicolaus
wurde dieser Beschlufs wieder aufgehoben und ihm unter Erhö-
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hung der Abstandsumme bis zur Entscheidung durohden Papst nur
aufgegeben, Frauenburg zu verlassen (5. Oktober 1512). Das letzte
Mal wird er in den Protokollen bei Gelegenheit der Option eines
Allodiums am 29. Dezember desselben Jahres angeführt Aus ander-
weiten Mitteilungen wissen wir von seinem Aufenthalte zu Rom, so-
wie dafs er zwischen 1516 und 1519 gestorben sein raufs.
Eine zweite Quelle der Beunruhigung für ihn als Domherrn
bildeten die Streitigkeilen des Kapitels mit dem Polenkönig über die
Neubesetzung des Bischofstuhle?. Im Jahre 1479 hatte die Krone dem
Kapitel die Beschränkung der Kandidatenliste bei Sedisvakanz auf nur
ihr genehme Persönlichkeiten abgezwungen. Infolge des bisherigen
Ausbleibens der päpstlichen Bestätigung suchten 1510 die Domherren
in Rom um Wiederherstellung ihres früheren Rechtes freier Wahl
nach. Der anfänglich ihnen günstige Bescheid mufete jedoch nach
mannigfachem Hin und Her infolge der schwankenden Haltung des
neu erwählten Bischofs, Fabian von Losa inen, zurückgezogen
werden, und am 26. November 1513 die Bestätigung des uuter pol-
nischem Drucke vom Bischöfe abgeschlossenen „Petrikauer Vertrages14
erfolgen, wonach der Krone das Präsentationsreoht von vier Kandi-
daten, jedoch nur gebornen Preufsen, verblieb, unter denen das Ka-
pitel zu wählen halte.
Das relativ ruhige Leben bei der Kathedrale sollte nicht lange
währen. Am 13. November 1516 wurde Coppernicus zum ..Admi-
nistrator bonorum communium" in Allenstein gewählt und trat Martini
desselben Jahres in seinen neuen Wirkungskreis ein.
Bei Gründung des Domstiftes waren diesem Besitz- und Hoheits-
rechte über ein Dritteil des Gesamtbistums verliehen worden, letztere
nur beschränkt durch die auch nur mit seiner Bewilligung zu er-
lassenden allgemeinen Gesetze der Diöcese. Die Stellung des Dom-
stiftes zum Bischof entsprach so völlig der des Bischofs zum Hoch-
meister. Das Grundeigentum des Kapitels zerfiel in drei räumlich
beträchtlich getrennte Bezirke, die Kamnierämter Frauenburg, Mehl-
sack und Allenstein. Um eine rationelle Bewirtschaftung zu ermög-
lichen, wurden die Hoheitsrechte über die beiden letzteren, entfernteren
Ämter alljährlich einem Domherrn übertragen, zu dessen Residenz
Schlofs Allenstein bestimmt war. Die grofse Wichtigkeit für die
materiellen Interessen des Stiftes und die Schwierigkeit der Stellung
bedingten hohe Anforderungen an die organisatorischen Fähigkeiten
des Administrators. War einmal eine passende Persönlichkeit ge-
funden, so wirkten meist einerseits der Reiz selbständiger Stellung,
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269
andererseits die ins Auge fallenden Vorteile der Besetzung des Postens
durch einen bereits eingearbeiteten Verwalter zusammen zur mehr-
maligen Übertragung und Annahme der Stellung. So finden wir
auch Coppernicus drei Jahre hinter einander, von 1516 — 1519, und
nochmals vom November 1520 bis Juni 1521 in diesem verantwortungs-
vollen Posten.
Die Verpflichtungen des AmteB waren mannigfaltiger Art. Sein
Inhaber bildete die Appellationsinstanz für alle in seinem Bezirke
vorkommenden Hechtstreitigkeiten und mutete die etwaigen Verfü-
gungen des Kapitels bekannt machen, beziehungsweise zur Aus-
führung bringen. Als Aufsichtsführender über die geistlichen und
weltlichen Beamten seines Amtsbereiches war er zu Inspizierungs-
reisen verpflichtet; hauptsächlich jedoch hatte er für die bestmög-
liche, zweckmäfsigste Verpachtung der liegenden Qründe zu sorgen.
Die Stiftsgüter wurden nämlich, in einzelne Parzellen zerlegt, an Bauern
vergeben, welche dafür Abgaben und Fron zu leisten hatten. In
dem uns erhaltenen Coppernicanischen Geschäftstagebuche finden sicli
viele derartige Verträge aufgeführt, die durch Einzeichnung in das-
selbe in zweier Zeugen Gegenwart Rechtsverbindlichkeit erlangten.
Auch Reisen zur Einsetzung der neuen Scharwerksbauern und solche
zu Visitationszwecken linden wir erwähnt. Gelegentlich hegab er
sich dann wohl auch vom nahen Mehlsack aus zur Kathedrale her-
über oder empfing eine Anzahl Confratres zu Gaste in Allenstein.
In einem Briefe vom 21. Oktober 1518 spricht er z. B. von gröTseren
Zurüstungen für einen derartigen Besuch. Für seine zeitweilige An-
wesenheit in Frauenburg zeugt eine in der Curie des Domherrn
Stockfisch ausgestellte Urkunde, in welcher Coppernicus in
seiner amtlichen Eigenschaft als Administrator eine Zinsverschreibung
beglaubigt, wie wir solcher Aktenstücke noch drei weitere von ihm
besitzen. Auch einer Kapitelsitzung im November 1519 scheint er
persönlich beigewohnt zu haben, doch blieb seine Zeit wohl sehr
beschränkt wegen der vielfachen Inanspruchnahme durch seine Amts-
pflichten. Was er an Freistunden besafs, scheint er weniger der
astronomischen Wissenschaft, als andern, praktischere Ziele verfolgen-
den Arbeiten gewidmet zu haben, die wir später kennen lernen werden.
Nur eine Beobachtung vom 12. Dezember 1518 erwähnt er aus dieser
Zeit (De revol.V. 16) ohne Ortsangabe, so dafs sie wohl sicher zu Frauen-
burg gemacht ist. Ein eigenes Observatorium zu Alienstein, wie es
verschiedene Sagen behaupten, hat er kaum besessen. Lagen doch
damals die Verhältnisse in politischer Hinsicht äufserst schwierig.
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Nach kurzer Besserung hatte die Spannung zwischen Polen.
Ermland und dem Orden wieder sehr zugenommen. Sie führte vor-
erst zu einem völligen Verkehrsverbot zwischen den Gegnern. Dieser
einschneidenden Mafsregel folgten bald schlimmere Zustände. Räu-
berische Einfälle vom Ordensgebiete aus ins Ermland trugen Schrecken
in die Ansiedehingen der Hintorsassen. Der Hochmeister konnte
und wollte dem Unwesen nicht steuern und wies alle Beschwerden
unter nichtigen Vorwänden ab. Da setzten die Gesandten des
Bischofs auf den preufsischen Landtagen den Beschlufs allgemeiner
Rüstungen des polnischen Teiles von Preufsen gegen die Übergriffe
durch. Allein die erhoffte Wirkung verkehrte sich in das Gegenteil.
Der Hochmeister war durch die drohende Haltung der Nachbarn
ebenfalls zur Kriegsbereitschaft gezwungen, Polen aber andererseits
zu sehr beschäftigt, um sich um diese Angelegenheit, bevor sie nooh
dringender wurde, für den Augenblick ernstlich zu kümmern. Im
Gefühle seiner Schwäche wagte der Orden keinen aggressiven Schritt,
allein seine nun unbeschäftigten und meist unbezahlten Söldnerhaufen
hausten deshalb erst recht schlimm. Mehlsack wurde geplündert, selbst
Biaunsberg bedroht Ein kurzes Einlenken nach Kaiser Max1 Tode
auf dringendes Raten des Mainzer Erzbischofs blieb belanglos. Die
Zustände waren unhaltbar geworden. Die Reise Albrechts nach
Deutschland, um Hilfe zu heischen, sowie das Bekanntwerden seines
zwar abgeleugneten Bündnisses mit Polens Erbfeind, dem (Jrofsfürsten
von Moskau, liefsen bei Coppernicus' Rücktritt, November 1519,
den Ausbruch des drohenden Krieges unvermeidlich erscheinen.
Selbstverständlich mufste die politische Seite dieser Verwicke-
lungen den Statthalter des dabei aufs höchste interessierten Dom-
kapitels ernstlich beschäftigen, wie uns jener, oben in anderer Be-
ziehung erwähnte Brief vom 21. Oktober z. B. beweist, in dem
Coppernicus die Hoffuung auf Zerfall des russischen Bündnisses
Alb rechts ausspricht. Andererseils mufste er bemüht sein, die
schweren Schäden zu heben, welche durch die Raubfahrten der
Ordenssöldner dem seiner Obhut anvertrauten Linde geschlagen
wurden. Da waren den Geschädigten Abgaben zu erlassen, und viel-
leicht auch werkthätig«« Hilfe bei gänzlicher Verarmung zu leisten.
Wir können uns denken, welchen Eindruck der allenthalben zu Tage
tretende Jammer auf das Gemüt des Mannes machen mufste, und wie
er sich bemüht haben wird, überall bessernd einzugreifen. Dabei
dürfte ihm auch wohl der Gedanke zu den späti rn R<'formvorschlägen
für Besserung der Landesmünze gekommen sein, von denen wir
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wissen, dafs sie in diesen Jahren entstanden sind, und er der Ausarbeitung
derselben seine kurzen Mufsestunden geopfert haben. Für den Augen-
blick war er jedoch machtlos, und als er im November 1519 zur Kathe-
drale zurückkehrte, stand dem armen Lande noch Schlimmeres bevor.
Der Krieg brach aus. Die Geschichte kennt ihn unter dem
Namen „Fränkischer Reiterkrieg". Er hatte furchtbare Verwüstungen
zur Folge, war aber arm an Thaten großen Stiles. Trotzdem sich
seine Greuel in nächster Nähe Frauenburgs abspielten, ja dieses
selbst, allerdings vergebens, im Frühjahre 1520 angegriffen wurde,
blieb Coppernicus doch daselbst, wie wir aus drei Beobachtungen
vom Februar, April und Juli 1520 (De revolut V, 14, 11 und 6)
schliefsen müssen. Die meisten andern Domherren hatten sich nach
Danzig oder Elbing in Sicherheit gebracht Um Neujahr 152<» über-
schritt der Hochmeister die Grenze und eroberte Braunsberg. Von
dort forderte er den Bischof Fabian zu einer Zusammenkunft auf.
Allein dieser, leidend und fürchtend, als Geisel behalten zu werden,
sandte zwei Domherren an seiner Stelle. Einer derselben ist höchst-
wahrscheinlich unser Xicolaus gewesen, obwohl die Namen uns
nicht überliefert sind. Es existiert jedoch ein Geleitsbrief AI brechts
aus dieser Zeit für Coppernicus vom 6. Januar 1520, der, wenn er
nicht dessen Teilnahme an diesen Verhandlungen beweist, doch
mindestens auf eine Vertrauensstellung beim Hochmeister deutet.
Unterdessen hatten die Polen das ganze Ordensland bis unter die
Mauern von Königsberg überschwemmt, und Albrecht sah sich ge-
nötigt, zu Thorn Verhandlungen zu eröffnen. Da erhielt er die Nach-
richt vom Nahen deutscher Hilfsvölker. Sofort brach er daraufhin
wieder zu seinem Heere nach Ermland auf und begann die Belage-
rung der Feste Heilsberg. Inzwischen zogen die Deutschen, moist
von Franz v. Sickingen geworbene Franken, unter ihnen sein
eigener Sohn, gegen Danzig. Unbegreiflicher Weise vereinigte sich
der Hochmeister nicht mit ihnen, sandle ihnen nicht einmal das
dringend nötige und begehrte Geschütz zu Hilfe, wodurch die Be-
lagerung dieser wichtigen Stadt ins Stocken kam. Auch Heilsberg
hielt sich glücklich. Zu Wintersanfang verliefen sich zum gröfstun
Teilo die ohne genügende Unterstützung gebliebenen Hilfsiruppen,
die übrigen wurden zur schleunigen Flucht nach der Heimat ge-
zwungen. Den Rest seiner Kraft vergeudete der Orden in der Be-
stürmung der kleinen ermländischen Städte. Das war die Lage, als
Coppernicus zum zweiten Male, im November 1520, die Statthalter-
schaft übernahm und in das feste Alienstein, fast das letzte nicht von
272
Albrecht besetzte Kapiteleigentum, einzog. Es stand schlimm um
die Stiftsgütor, die Lage war bedrohlich genug. Die Bauern lagen
erschlagen oder waren geflohen, die Städte und Dörfer verwüstet und
in Foindeshand, dazu die Aussicht auf einen baldigen Angriff auch
auf das Allensteiner Schloss. Mufste doch nach Lage der Dinge eben
dem Ordensheere sicher viel an seinem Besitze liegen. Andererseits
legten alle Domherren, trotz sonstiger Treibereien in diesem Punkte
einig, für die spätere Feststellung des Besitzstandes mit Recht den
höchsten Wert darauf, diese Feste und zwar mit eigenen Truppen zu
halten. Coppernicus war während dieser Zeit das anerkannte
Haupt des Kapitels. In der That erschien bald feindliches Volk vor
Allensteins Mauern, allein es scheute die Schwierigkeit einer Bf-
rennung und zog nach furchtbaren Verwüstungen der Umgegend
wieder ab. Die beiderseitige Erschöpfung führte zu Friedensverhand-
lungen. Auf den Iiiesenburger Waffenstillstand folgte am 7. April 1521
der auf vier Jahre abgeschlossene Beifriede zu Thorn. Der schnelle
Friedensschlufs war eine Erlösung für Ermland. Selbst während der
Verhandlungen hatten noch Plünderungszüge und ein mirslungener
Überfall von Heilsberg stattgefunden. Nach dem Eintreten geord-
neter Zustände suchte Coppernicus die verödeten Höfe wieder zu
besetzen. Die flüchtigen Pächter kehrten zurück, an Stelle der ge-
töteten sehen wir ihn neue einsetzen (Mai 1521 1. Jedoch schon im
Sommer legte er seine Stelle nieder; sein Freund Tiedemann
(fiese folgte ihm im Amte nach. Im August finden wir Nioolaus
aut einer zu Alienstein abgehaltenen Kapitelsitzung als „Varmiae
Commissarius". An wissenschaftliche Thätigkeit war in den ver-
flossenen stürmischen Monaten natürlich nicht zu denken gewesen,
allein auch in der nächsten Zeit wurde seine Arbeitskraft vom Dom-
stifte anderweitig in Anspruch genommen.
Über die Stellung eines Commissarius Varmiae ist uus leider
nichts Urkundliches überliefert worden; jedenfalls gedachten die
Domherrn, den in Allenstein bewährten Genossen in grüfserem Wir-
kungskreise als Vortreter ihrer Gesamtinteressen bei den Verhand-
lungen zur möglichsten Herstellung des status quo ante zu be-
nutzen. In dem Thorner Beifrieden waren ja nur die Grundzüge des
Vergleiches zwischen den mächtigen Gegnern festgelegt. Detail-
fragen, so auch die über die Zustände des kleinen Ermland, waren
späteren, eingehenderen Verhandlungen vorbehalten. Auf der näohsten
diesem Zwecke dienenden Versammlung, der Tagfahrt zu Graudenz,
Ende Juli 1521, brachten die Abgeordneten des Kapitels, unter ihnen
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Coppernicus, die von letzterem verfaßte Klageschrift des Domstiftes
gegen den Orden vor. In zehn Punkten bittet sie um Remedur der
stattgefundenen Übergriffe. Hatte doch der Orden nach wie vor die
eroberten Städte und Flecken Ermlands im Besitz und waltete daselbst
wie in ihm gehörigen Gebiete. Auf dem Landtage liefsen sich die
Vertreter Albrechts zur Anerkennung der von Coppernicus im
Namen des Kapitels erhobenen Ansprüche herbei; da jedooh den Zu-
geständnissen nicht Folge gegeben wurde, berief Sigismund zur
Regelung dieser und noch anderer schwebender Fragen eine zweite
Tagfahrt nach Graudenz, die infolge der Pest erst im Frühjahr 1522
eröffnet werden konnte.
Hier überreiohte Coppernicus auf Wunsch der preußischen
Stände sein deutsch geschriebenes Gutachten über die Verbesserung
der Landesmünze. Bereits 1519 vollendet* verdankt es seine Ent-
stehung jedenfalls den praktischen Erfahrungen der Allensteiner Ver-
waltungszeit, welche die Notwendigkeit einer radikalen Hebung des
darnieder liegenden Landes deutlich genug gepredigt hatten. Hier
konnte man hoffen, den Hebel anzusetzen, um einerseits die unnatür-
liche Abschliefsungspolitik zwischen Polen, Westpreufsen und den
Ordensländern untereinander zu heben, andererseits mit der Wieder-
herstellung dos Vertrauens in die Gleichmäfsigkeit und Güte des
Geldes die allgemeine Kaufkraft des Landes zu erhöhen. Den
äufseren Anlafs mag die nochmalige Verschlechterung des Ordens-
geldes während und durch den letzten Krieg gegeben haben.
Coppernicus geht in der uns im Konzepte erhaltenen Schrift von
der Begriffsbestimmung einer Landesmünze aus. Er unterscheidet
dann zwischen dem dem Gehalt an Edelmetall entsprechenden wahren
und dem Kurswerte der Münze und kommt auf die Arten ihrer Ver-
schlechterung durch Gewichtsverminderung, durch Herabsetzung des
Feingehaltes oder auch durch beides zugleich zu sprechen. Er zeigt
den grofsen dauernden Schaden solcher Manipulationen im Gegensatz zu
dem geringen augenblicklichen Nutzen und wendet sich sodann zu
dem speziellen Fall der preußischen Münzverderbnis. Hier könne
man bereits für ein Pfund fein Silbers 24 Mark der schlechten Münze
kaufen, ein Verhältnis, das sich bald noch verschlimmern werde, und
das nur den Goldschmieden nütze, welche die alten guten Münzen
einschmölzen, während die Kaufkraft des Landes reifsend sänke.
Seine Reform vorschlage sehen die Einrichtung einer einzigen Münz-
stätte für das gesamte Preufsen vor, wo nur Geld, von dem höchstens
20 Mark auf ein Pfund fein gehen, geprägt werden dürfe. Alles
Hlmmol und Erde. 1899. XI. >j. io
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andere Geld solle eingezogen, und je 13 Mark der alten gegen 10 Mark
der neuen Münze eingetauscht werden. Den entstehenden Schaden
müsse man schon im Interesse des zu erwartenden Vorteils auf sich
nehmen. Allein dieser erste Vorschlag scheiterte, wie alle seine
späteren bis 1530 fortgesetzten Bemühungen um einheitliche Regelung
des Münzwesens an dem Widerstande der Interessenten. Der König
von Polen wünschte das preußische Geld mit dem seinigen in Über-
einstimmung gebracht zu sehen, was Coppernicus aus Zweck mäfsig-
keitsgründen gerne zugestanden hätte, allein Thorn, Danzig und
Elbing wollten auf ihr eigenes Münzrecht und den damit verbundenen
Gewinn nicht verzichten, während der königliche Unterhändler nur
die Prägungskosten vom Münzwerte abgezogen wissen wollte. Der
Hochmeister war gegen jede Änderung seines Geldes als einen Ein-
griff in seine Rechte und hatte sogar die Beschickung dieses Land-
tages unter dem Vorwande zu später Ladung abgelehnt, während er
gleichzeitig sich zur Reise nach Deutschland anschiokte. So war mit
dem Fortfall seiner Mitwirkung dem Landtage die Möglichkeit einer
allgemeinen Reform genommen. Es erfolgte jedoch ein Verbot der
minderwertigen Ordensmüuze für das sogenannte polnische Preufsen,
dem Sigismund ein allgemeines Handelsverbot folgen liefe.
Die feindselige Spannung zwischen den kaum geeinten Gegnern
nahm natürlich dadurch wieder zu; ein Teil Ermlands war von pol-
nischen Söldnern besetzt, während der Orden Braunsberg und Um-
hegend nur um so fester hielt. Unter solchen Verhältnissen wäre
Einigkeit im Schofse des Kapitels dringend erforderlich gewesen; statt
dessen finden wir Hader und Zwistigkeiten der Domherren unterein-
ander und mit dem Bischof über pekuniäre Interessen, deren Beginn
schon während des fränkischen Reiterkrieges und durch denselben
Coppernicus" Lage in Allenstein erschwert hatte. Den höchsten
Grad erreichte diese Bedrängnis des Bisturas nach dem Tode des
Bischofs Fabian am 23. Januar 1523. Der polnisch gesinnte Vogt
Preuck bemächtigte sich des Schlosses Heilsberg für Sigismund
und bezahlte den Sold aus den Einkünften des Bistums. Auch der
Orden versuchte in Rom die Vereinigung des von ihm eroberten
Landesteiles mit seinem Gebiete zu erlangen. Unter so schwierigen
Verhältnissen schritt das Kapitel zur Bestellung eines General-Admi-
nistrators für die Zeit der Sedisvakanz. Die Wahl lenkte sich, als auf
den fähigsten und mit den Verhältnissen vertrautesten Domherrn, auf
unseren Coppernicus. In seiner schwierigen Stellung war er vor
allem auf möglichste Wiedererwerbung des weltlichen Besitzes der
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Diözese bedacht. Seine Bemühungen lohnte das Edikt Sigismunds
vom 10. Juli 1523, in dem die Rückgabe aller besetzten Ortschaften
befohlen wurde. Die Polen räumten darauf ihre Quartiere zu gunsten
der Kirchenverwaltung, allein die Ordenstruppen hielten bis zum
Frieden von Krakau 1526 vor allem Braunsberg und Umgegend be-
setzt, ja bemächtigten sich in der Zwischenzeit sogar mehrerer neuer
Teile des Bistums und wiesen die Bewohner an, im Orden ihren recht-
mäßigen Herrn zu erblicken. Bis zum September währte die Amts-
dauer des General- Administrators, da der neu erwählte Bischof
Mauritius Ferber vor Übernahme der Verwaltung erst die päpst-
liche Bestätigung nachsuchen wollte. Während dieser Zeit sah
Coppernicus sioh auch genötigt, Stellung gegenüber der Ausbreitung
der lutherischen Lehre zu nehmen. Das erforderte seine Amtspflicht
Allein die volle Autorität des Bischofs fehlte seinem Auftreten, und
das eigene milde Urteil über die reformatorischen Bestrebungen hielt
ihn von energischen Schritten ab. Überhaupt finden wir hier, wie
meist auch an anderen Orten, unter der hohen Geistlichkeit anfangs
grofse Duldsamkeit gegenüber den Neuerern. Charakteristisch ist in
dieser Hinsicht ein Ausspruch des sogar mit dem Kardinalspurpur
geschmückten Bischofs Fabian von Losainen, in welchem er einen
Eiferer unter Anerkennung von Luthers Gelehrsamkeit auffordert,
diesen erst zu widerlegen, ehe er ein Verbot seiner Lehre von ihm
verlange. Und ähnlich dachten die übrigen preußischen Bischöfe.
Die ersten Pflanzstätten der reformatorischen Ideen in Preufsen bildeten
die gröfseren Handelsstädte und der Orden infolge ihrer vielfachen
Beziehungen zum übrigen Deutschland. Bereits 1518 begann zu Danzig
ein Pfarrer in lutherischem Geiste zu predigen, und bald gewann die
neue Lehre derartig an Boden, dafs Sigismund von Polen im Jahre
1520 zu einem strengen Verbot derselben sich veranlaßt sah. Mit wie
geringem Erfolge, zeigt der von Gustav Frey tag im „Marcus König"
erzählte historische Vorgang bei der versuchten Verbrennung eines
Lutherbildes zu Thorn. Selbst in den dem Hochmeister nahe stehenden
Ordenskreisen gewann sie Boden, wie die späteren Resultate es er-
weisen. Auch in der Haltung des ermländischen Bischofs änderte sich
trotz des immer schärferen Auftreten Luthers nichts. Erst mit seinem
Tode gewannen im Ermlande katholischo Eiferer die Oberhand. Gleich
nach der Vorwaltungsübernahme erliefs der neue Bischof Mauritius
Ferber eine strenge Verordnung gegen die reformatorischen Be-
strebungen an seinen Klerus und drohte mit ewigem Fluche und
Anathema. Für uns ist hauptsächlich die Haltung des grofsen Revo-
18'
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lutionärs am Himmel gegenüber dem Glaubenskämpfen von Interesse.
Schon des Humanisten Reuchlin Kampf gegen die Dominikaner und
die «Epistolae obsourorutn virorum" mufsten seine volle Aufmersam-
keit in Anspruch nehmen, und die in seine Aliensteiner Verwaltungs-
zeit fallenden ersten Angriffe Luthers mögen ihn auf das lebhafteste
beschäftigt haben. Warum trotzdem der vorurteilsfreie Mann mit dem
klaren Blicke auf dem Boden der alten Kirche verblieb, erklärt uns
eine Schrift seines vertrauten Freundes Tiedemann Giese.
Die später darzulegende grofse Wichtigkeit seines Eintretens
für die Veröffentlichung des Werkes „De revolutionibus", sowie die
Herzensfreundschaft mit dem geistesverwandten Coppernicus läfst
die Aufführung der wichtigsten Daten aus seinem Leben entschuldbar
erscheinen.
Tiedemann Giese, am 31. Mai oder 1. Juni 1480 zu Danzig
als Sohn angesehener Eltern geboren, war der Neffe des regierenden
Bischofs Mauritius Ferber. Schon als Knabe bezog er die Univer-
sität Leipzig und errang bereits 1492 die Würde eines Baccalaureus,
verweilte dort aber bis 1498. Dann trat er als Königlicher Sekretär
in den Dienst der polnischen Krone, in welcher Stellung er auch nach
seinem 1602 oder 1504 erfolgten Eintritt in das Frauenburger Dom-
kapitel verblieb. Nach fünfjähriger Verwaltung in AUenstein lebte
er, aufser einer zweiten Aliensteiner Zeit (1621 bis 1524), bis 1536
an der Kathedrale zu Frauen bürg in innigsten Freundschaftsbe-
ziehungen zu unserem Nicolaus. 1519 in den polnischen Adels-
stand erhoben und 1523 zum Domkustos erwählt, wurde er zum
Coadjutor seines Onkels ausersehen, als dieser infolge von Kränklich-
keiten einer Hilfe bedurfte. Allein die mit der Coadjutorie verbundene
Anwartschaft auf die Kathedra liefsen Sigismund einen beab-
sichtigtun Eingriff in den Petrikauer Vertrag befürchten, und so
kam es 1536 zu einem Kompromiß zwischen dem polnisohen Kan-
didaten, dem Culmer Bischof Dantisous (seit 1530) und Giese, laut
welchem bei der Sedisvakanz des ermländischen Bistums Dantiscus
dieses, Giese aber Culm erhalten sollte. Nach Ferbors Tode 1537
bestieg Oiese demgemäfs Anfang 1538 den Culmer Bisohofsstuhl, den
er 1548, nach Dantiscus Tode, mit dem ermländischen vertauschte,
um jedoch bereits 1550 ins Grab zu sinken.
Von sanftem, gütigem Charakter suchte er, wenn auch stets auf
dem Boden der alten Kirche, mit seinem Freunde eine vermittelnde
Stellung in den kirchlichen Streitigkeiten einzunehmen. Diese fried-
fertige Haltung zeigt auch seine erwähnte Schrift; sie und sein fol-
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gendes gleichgeartetes Hauptwerk ..De regno Christi" haben ihm bei
den späteren Zeloten manche Anfeindungen und Verdächtigungen zu-
gezogen. Veranlassung zu dem für uns wichtigen ersten Büchlein
gaben die „Centum et decem assertiones seu flosculi de nomine
exteriore et interiore fide et operibusu, des Samländer Bisohofs Georg
von Polentz, welche ganz in Anlehnung an die im Ordenslande
herrschende, lutherische Lehre verfafst waren. Seine „flosou-
lorum Lutheranorum de fide et operibus dvÖT,Xofiy.6vu, mit Doppel-
sinn des griechischen Wortes, — in Reuchlinsohem Itazismus
gesprochen — betitelte „Gegenblumenlese" wurde von Giese erst auf
Coppernicus' eifriges Anraten und mit dessen ausdrücklicher Er-
mächtigung, die völlige Übereinstimmung seiner Ansichten mit denen
des Freundes zu betonen, im Jahre 1526 durch den Druck veröffent-
licht 2»)
Trotz strengen Festhaltens des kirchlichen Standpunktes nähert
er sich in seinem lebendigen Glauben manchmal lutherisohen An-
schauungen und erkennt voll die sittlichen Beweggründe des einstigen
Augustinerniönches an. Frei gesteht er die mancherlei Gebreohen der
Kirche ein, sucht sie zu erklären und Mittel zur Abhilfe zu finden;
aber er verteidigt auoh ihren äufseren Pomp mit dem Hinblick auf
die Schwachen im Geiste, weist auf den Nutzen der guten Werke und
auf den Mifs brauch hin, welchen viele Anhänger Luthers mit dessen
Angriffen auf die Werkthätigkeit trieben, indem sie die neue christ-
liche Freiheit in Ungebundenheit verkehrten. Auch die kirchliche
Glaubenslehre findet in ihm ihren Anwalt gegen die — mifsver-
standene lutherische. Durch die ganze Schrift zieht sich die Mahnung
zu Frieden und Versöhnung. Nioht den altehrwürdigen Kirchenbau
zerstören, nein, ihn von innen heraus ausbauen und in idealer Rein-
heit wieder herstellen, das wollten die Giese und Coppernicus
wie es Papst Hadrian VI. angestrebt hatte; damit gedenken sie dem
revolutionären Beginnen des Wittenbergers entgegen zu treten. An-
teil an der Wahl ihrer Stellung mag auch die selbst von Melanohthon,
der mit Giese in Beziehung getreten war, geteilte Furcht vor einer
n) Die Notiz ist der Münchener Handschrift Codex Graecus CLI ent-
nommen. In derselben steht die eigenhändige Eintragung von Widman-
atad: .Clemens VII. Pontifex Maximus nunc codicem mihi dono dedit Anno
MDXXXIII Romac, postquam ei, praesentibus Fr. Ursino, Joh. Salviato Cardi-
nalibus, .Job. Petro episcopo Vitebiensi, et Matthaeo Curtio physico, in hortis
Vaticanis Copernicanam de motu terrae sententiam explicavi. Joh. Albertus
Widmanatadius c-ognomine Lucretius, Serenissimi Domini nostri Secretarius et
familiaris.-
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teilweisen Zurückdrängung der neu erblühten wissenschaftlichen Be-
strebungen durch dio religiösen Streitigkeiten gehabt haben.
Neben diesen Angelegenheiten erforderte die politische Lage die
volle Aufmerksamkeit von Bischof und Kapitel. Der vierjährige Bei-
friede näherte sich seinem Ende. Der polnische Reichstag fafste
drohende Beschlüsse gegen den Fortbestand des Ordens für den Fall
nochmaliger Huldigungsverweigerung, und des Hochmeisters Reise
nach Deutschland blieb ohne den gewünschten Bündniserfolg. Da
führten Luthers Ratschläge den durch Osiander in Nürnberg für
die Reformation gewonnenen Albrecht zur Säkularisation seines
Landes. Sigismund, in Besorgnis vor einem etwaigen Bündnisse
der lutherisch gesinnten gröfeeren preufsischen Städte mit Alb recht
nach dessen bevorstehendem Übertritt zur neuen Lehre, gab ihm das
Ordensgebiet als weltliches Herzogtum zu Lehen. Albreoht vollzog
seinen Glaubenswechsel und führte im ganzen Lande die neue Kirchen-
ordnung ein. Damit war der durch diese Maßnahmen gebannte und
geächtete neue Herzog zum engsten Anschluß an Polen gezwungen;
sofort zeigte sich auch der günstige Einflufs auf die Beziehungen zu
Ermland. Nur das Religionsbekenntnis trennte die früheren Gegner,
denn im polnischen Preufsen betrieb Sigismund energisch die Gegen-
reformation.
(Fortsetzung folgt.)
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Die Sonnenfinsternis des Thaies. Eine der bekanntesten histori-
schen Finsternisse, über die von Astronomen und Chronologen viel
geschrieben worden, ist jene, von der Herodot berichtet, dafs sie
während einer Schlacht im sechsten Jahre des Krieges zwischen den
Lydern und Niedern eingetreten sei. „ Diese Veränderung des Tages
(dafs aus Tag Nacht wurde),1* heifst es bei Horodot noch, „hatte
aber der Milesier Thaies den Joniern vorhergesagt, indem er dieses
Jahr, in welchem sie auch wirklich eintrat, als Termin angab." Seit
Airy und Hansen haben sich die Astronomen dafür entschieden, in
der totalen Sonnenfinsternis vom 28. Mai 585 v. Chr. das von Hero-
dot beschriebene Himmelsereignis zu sehen, denn diese Finsternis
läuft mit ihrer Totalitätszone mitten durch Kleinasien und berührt den
vermutlichen Ort des Sohlachtfeldes am Halysflusse. Sie trifft in dieser
Gegend am Spätnachmittag ein. Astronomische Gegner dieser Finster-
nis sind derzeit noch Newcomb und Stock well. Unter den Hi-
storikern ist die Meinung, ob die Finsternis vom 28. Mai 685 die
während der Schlacht vorgefallene sein könne, nooh eine sehr ge-
teilte. Während einer der bedeutendsten Geschichtsforscher, Curtius,
jenem Datum beitritt, erklären sioh andere, wie Dunoker, Gum-
pach, für die Finsternis vom 30. September 610 v. Chr., welche
früher von den Astronomen Baily und Olt man ns als die des
Thaies bestimmt worden war. Dafs die Vorhersagung der Finster-
nis aus einer früher beobachteten möglich war, haben Airy und
Peters nachgewiesen, indem sie bemerkten, dafs die Sonnenfinsternis
vom 18. Mai 603 in Ägypten sehr auffällig gewesen sein mufs. Da
Thaies um diese Zeit, nach den über ihn bekannten Lebensumstän-
den, im Alter von etwa 21 Jahren sich bei den ägyptischen Priestern
behufs mathematischer Studien aufhielt, so wird ihm jedenfalls die
babylonische Periode des Saros (eines Cyklus von 18 Jahren
11 Tagen, naoh welchem die Finsternisse wiederkehren) bekannt ge-
wesen sein, und er könnte aus der von ihm selbst gesehenen Finster-
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niß vom 18. Mai 603 die 18 Jahre 11 Tage später stattfindende vom
28. Mai 585 prophezeit haben. In neuerer Zeit hat Newcomb,
von der Erwägung geleitet, dafs der Ort des Schlachtfeldes geo-
graphisch nur mutmafslich angegeben werden kann (namentlich früher
ist das Schlachtfeld erheblich östlicher, in die Gegend von Erzerum
und Diarbekir gesetzt worden), die Meinung geäufsert, ob die Schlacht
und die Finsternis nicht vielleicht von einander ganz zu trennen
seien, so dafs also Thaies zwar die Finsternis vom Jahr 585 vorher-
gesagt haben könnte, die Schlacht aber in einem ganz anderen Jahre
sich ereignet hätte und nur später mit ersterer zusammengebracht
worden wäre. L. Schlacht er ist deshalb wieder auf die Halys-
schlacht zurückgekommen und besonders auf die Frage, welohe klein-
asiatischen Sonnenfinsternisse Thaies aus früher wahrgenommenen
überhaupt habe vorhersagen können. Ein näheres Eingehen auf
die zeitlichen Zwischenräume, innerhalb welcher die Sonnenfinster-
nisse cyk lisch wiederkehren, zeigt, dafs die Alten nicht nur die
18jährige chaldäische Periode (den Saros), sondern auch einen vier-
mal 19jährigen, also 76jährigen Cyklus, welcher fast ganz mit der
bekannten griechischen Periode des Reformators Callippus zu-
sammenfällt, gekannt haben müssen. Innerhalb dieses Cyklus von
76 Jahren weniger einem Mondraonat kehren die Finsternisse nämlich
ebenfalls zurück. Schlachter findet, dafs Thaies die Finsternis
vom 28. Mai 585 aus einer in Kleinasien sehr bedeutend gewesenen
vom 27. Juni 661 mittelst des 76jährigen Cyklus hätto vorhersagon
können. Die andere Sonnenfinsternis, welche von mehreren Histo-
rikern für die bei der Schlacht am Halysflusse vorgefallene ange-
nommen werde, nämlich die am 30. September 610 v. Chr., lasse sioh
weder mit Hilfe der I8jährifjvn noch mit der 76jährigen Periode aus
einer dort früher gesehenen Finsternis vorausberechnen. Die Finster-
nis von <»10 konnte demnach nicht erwartet werden und mufste un-
vermutet eintreten. Nachdem aber das Jahr 610 v. Chr. als Jahr der
Halysschlacht von den Historikern sehr gestützt wird, erhalte es durch
die am 30. September vorgefallene Sonnenfinsternis die erwünschte
Bekräftigung, und das Datum dor Schlacht sei also mit vieler Wahr-
scheinlichkeit auf den 30. September 610 zu setzen, umsomehr, als
diese Finsternis in die Morgenstunden und nicht wie die vom 28. Mai
f>85 jregen rien Abend hin fällt, bei welch letzterer der Eindruck auf
die Kämpfenden kein grofeer gewesen sein könne. — *
*
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Archäologisch-Astronomisches. Die berühmte Marmorstatue de»
farnesischen Atlas, der auf seinem Nacken den Himmelsglobus trägt,
ist wohl den meisten unserer Leser bekannt. Das Bildwerk, eine alte
griechische Arbeit, wurde um die Mitte des 16. Jahrh. n. Chr. bei
Ausgrabungen in einem Weinberge in der Nahe des Klosters S. Lucia
aufgefunden. Die Statue befand sich in sehr defektem Zustande (es
fehlten beide Arme, das rechte Hein und das Gesicht), hat indessen
eine geschickte Ergänzung der hauptsächlichsten Teile erfahren; frei-
lich ist daran auch Flickarbeit ausgeübt worden. Seit Anfang des
18. Jahrhunderts befindet sich das Skulpturwerk im Museum von Nea-
pel Der Himmelsglobus ist von der Restaurierung unberührt ge-
blieben und zeigt noch die ursprünglichen Defekte, namentlich das
eingemeisselte Loch am Nordpol. Der Globus erregte vermöge seiner
sorgfältigen Arbeit der Sternbilder schon das Interesse früherer Astro-
nomen, namentlich Bianchinis. Man hoffte das Alter des Globus
und damit auch die Entstehungszeit der Statue aus einer Vergleichung
der darauf eingetragenen Sternbilder mit der Lage, in denen sie sich
uns gegenwärtig zeigen, also durch Berücksichtigung der Präzession, be-
stimmen zu können. Heis nahm an, dafs nach diesem Vergleiche das
Alter des Globus 300 v. Chr. zu setzen sein könnte. In einem vor kurzem
erschienenen Werke*) beschäftigt sich G. Thiele eingehend mit dem
interessanten Gegenstande. Von der Statue wurde ein sehr sorgfältiger
Gypsabguss genommen, und der obere Teil, der Himmelsglobus, von
den verschiedensten Seiten aus photographiert. Das Studium dieser
Photographien zeigte, dafs dem Verfertiger des Globus in der Aus-
meifslung eines der Hauptkreise der Himmelskugel ein Versehen
passiert sein murs, da dieser Kreis unrichtig liegt; dieser Umstand
macht die Bestimmung des vermutlichen Betrages der Präzession zu-
nichte. Thiele hat deshalb einen anderen Weg verfolgt, um das
Alter des Himmelsglobus zu ermitteln: ein sehr sorgfältiges Studium
der Anweisungen, welche der griechische Astronom Hipparch zur
Herstellung von Himmelskugeln gegeben hat, läfst erkennen, dafs der
farnesische Globus genau nach dem Muster der Hi pparch sehen
Globen, und zwar vor 150 n. Chr. hergestellt worden ist. Er enthält
39 Sternbilder und giebt den damaligen Aspekt des gestirnten
Himmels in sorgfältiger Ausführung wieder; der Künstler hat sich
nur wenige Freiheiten erlaubt, und die Sternbilder konnten deshalb
ohne Schwierigkeit identifiziert werden. Einige wenige auf dem
•) Antike Himraelsbilder. Mit 7 Tafeln und ~c2 Figuren. Berlin, Weid-
mann. 1898.
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Globus dargestellte Gegenstände sind ihrer Bedeutung nach unerklärt
geblieben.
Nicht minder interessant als der farnesische Globus ist ein sehr
alter Tierkreis, weloher sich auf zwei in die Facade der kleinen Me-
tropolitankirohe in Athon eingemauerten Marmorblöcken vorfindet.
Man bemerkt in dieser Bilderreihe die bekannten Zeichen des Tier-
kreises, jedoch untereinander verbunden und belebt durch eine Menge
Figuren, vierzig im ganzen, die die verschiedensten Arten von Thätig-
keit vorstellen; z. B. hüllt sich ein Mann frierend in seinen Mantel,
ein anderer pflügt, ein dritter stampft mit dem Fufse auf Trauben
u. s. f. Thiele untersucht diesen Tierkreis und weist nach, dafa, ob-
gleich verschiedene Gruppen unerklärt bleiben, doch deutlich ein
Prinzip in der Anordnung des Ganzen zu erkennen sei, nämlich dafs
das Bilderwerk eine Art Volkskalender vorstellen soll: es markiert
die oinzelnen griechischen Monate durch die Eintrittszeiohen der
Sonne während jeden Monats und weist gleichzeitig durch die Figuren
auf die landwirtschaftliche oder bürgerliche Thätigkeit hin, welche sich
der betreffenden Jahreszeit anpafst, z. B. das Pflügen und Säen, die
Zeit der Spiele, der Weinernte u. s. w.
Es wäre auch interessant, die malerisohen und zeichnerischen
Versuche bis zu ihren Uranfängen zurüok verfolgen zu können, die
seit ältester Zeit in der Abbildung des gestirnten Himmels gemacht
worden sind. Doch ist die antiquarische Forschung, ehe sie zu einer
zusammenhängenden Darstellung des ganzen Gebietes gelangen kann,
zunächst noch überwiegend auf die Untersuchung innerhalb engerer
Grenzen und auf einzelne hervorragende Objekte hingewiesen. Das
hauptsächlichste Werk, an dem schon seit alter Zeit eine künstlerische
Darstellung der Sternbilder (der griechischen Philosophen) versucht
worden ist, bildet die bekannte Dichtung des Aratos, worin der
ganze Himmel mit seinen Sternbildern besungen wird. Ein besonders
schönes Objekt in Gestalt eines solohen illustrierten Aratos aus dem
frühen Mittelalter existiert als Handschrift aus dem neunten Jahrhundert.
Die Handschrift ist noch wohl erhalten und zeigt auf 95 Pergament-
blättern eine prachtvoll in Farben ausgeführte Darstellung der Stein-
bilder, begleitet von den Versen des Aratos. Thiele hat diese Hand-
schrift gleichfalls zum Gegenstand eingehenden Studiums gemacht.
Nach der Art der Zeichnung, der Verwendung der Farben und der
deutlichen Wiederkehr gewisser antiker Formen zu schliefen, stammt
die Handschrift wahrscheinlich aus einer der Malerschulen, welche im
fränkischen Keiohe durch die Karolinger errichtet worden sind. Da-
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durch wird sie zu einem der wichtigsten Denkmäler der Malerei aus
dieser alten Zeit und zugleich ein interessantes altes Zeugnis für die
Entstehung der Bücherillustrationen. Vermutlich diente als Vorlage
der Handschrift eine jener Prachtausgaben des Aratos, welche im
vierten Jahrhundert in Gallien kursierten. •
*
Aus der interessantesten Lebensperiode Michael Faradays
erzählt Rosenberger in einem kürzlich erschienenen Buche: „Die
moderne Entwicklung der elektrischen Prinzipien" folgende Episode:
Farad ay, bekanntlich ein gelernter Buchbinder, war am 1. März 1813
Gehilfe des berühmten Chemikers Sir Humphry Davy geworden;
er hatte als solcher die Verpflichtung, den Transport der Instrumente
und Apparate für die Vorlesungen in der Royal Institution zu über-
wachen, und sie jedesmal nach dem Gebrauch, wie auch aufserdem
alle Woche oder Monate wenigstens einmal zu reinigen. Im Laufe
der Zeit gelang es ihm, seine Position vornehmlich auch dahin zu
verbessern, dafs er zu eigenen Studien und Experimenten Gelegen-
heit fand.
Auf eine gelegentliche Äufserung Davys hin erwärmte Faraday
eines Tages in einer zugesohraolzenen Glasröhre Chlorhydrat, sodafs
in der Röhre eine grofse Menge Chlor frei werden mufste. Das
Hydrat schmolz, und über dem gebildeten Wasser zeigte sich das
grünlichgelbe Chlorgas, aus dem sich nach und nach auf dem Wasser
und an den Wänden der Glasröhre eine gelbe, ölige Flüssigkeit in
Tropfen absetzte.
Ein bekannter Arzt und Mitglied der Royal Society, der zufällig
durch das Laboratorium ging und dem die scheinbaren Schmu tz-
tropfen in der Röhre auffielen, nahm duraus Veranlassung, den
jungen Chemiker gutmütig herablassend auf die Notwendigkeit ab-
soluter Reinlichkeit bei chemischen Versuchen aufmerksam zu machen.
Faraday aber konnte dem weisen Herrn am nächsten Morgen die
kurze, jedenfalls verblüffende Mitteilung zukommen lassen: „Verehrter
Herr! Das schmutzige Öl, welches Sie gestern bemerkten, war nichts
anderes als flüssiges Chlor. Ihr treu ergebener M. Fr."
Diese erste gelungene Verflüssigung eines Gases war es, die
Faraday mit einem Schlage die allgemeine Anerkennung als eines
nicht blofs ebenbürtigen, sondern auch überlegenen wissenschaftlichen
Forschers sicherte. Sp.
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Exakte Härtebestimmungen verschiedener Materialien verdanken
wir erst der allerneuesten Zeit. Die Mineralogie begnügt sich zur
Erkennung der Härte eines Minerals bis auf den heutigen Tag mit
der Metbode der Ritzung, indem sie denjenigen von zwei Körpern
als härter bezeichnet, der den anderen mit einer Spitze zu ritzen im
stände ist Mohs hatte am Anfang dieses Jahrhunderts 10 Mineralien
von successive steigender Härte ziemlich willkürlich ausgewählt und
aus ihnen seine berühmte, wohl jedem I^eser von der Schule her
noch geläufige Härteskala hergestellt, nach welcher z* H. einem Mineral,
welches nur Talk zu ritzen imstande war, dagegen von Gyps geritzt
wurde, die Härte 1 — 2 zuerkannt wurde, während der unerreichte
Diamant als einziges Mineral von der Härte 10 galt. Um die Be-
stimmung der Härte durch Ritzen exakter zu gestalten, als dies bei
freier Handführung möglich war, hatte Seebeck als ritzenden Körper
ein für allemal eine Diamantspitze gewählt, welche mit Hilfe eines
Hebels so weit belastet wurde, bis eine deutliche Ritzung des zu unter-
suchenden Materials erfolgte. Die erforderliche Belastung des Hebels
konnte dann als Mafs für die Härte dienen, aber die Beurteilung der
Stärke der Kitzung blieb doch eine subjektive.
Wesentlich einwandfreier wurden die durch Sel becks „Skiero-
meter- gefundenen Ergebnisse, als . Jannetatz den Ritz mittelst des
Mikroskops betrachtete und seine Breite mikrometrisch mafs; aber
auch die dadurch festgestellten Harten gestatteten nur eine relative
Vergleichung der Mineralien. Wenn auoh auf diesem Wege sich schon
erkennen liefs, dafs die Stufen der Mohs sehen Skala von sehr un-
gleicher Grörse siud, so konnte doch erst eine schärfere Definition
dos Härtebegriffes absolute Zahlenangaben über diese wichtige Festig-
keitsart ermöglichen. Es ist das Verdienst von Prof. F. Auerbach,
eine gelegentlich von Hertz gegebene Definition der Härte in diesem
Sinne verwertet zu haben. Auerbach ist auf (»rund seiner Versuche
zu folgender Fassung der Definition der Härte gelangt: „Härte ist die-
jenige Eindringungsbeanspruchung '), bei welcher bei spröden Körpern
Trennung der Teile und bei welcher bei plastischen Körpern stetige
Anpassung stattfindet.- Der Apparat, mit welchem Auerbach die so
definierte Härte bei einer Reihe von Körpern untersuchte, besteht aus
dem kugelförmigen Endo eines Stäbchons, welches mit Hilfe von Hebeln
mit einer mefsbaren Kraft gegen eine ebene Fläche des zu unter-
suchenden Körpers gedrückt werden kann. Steigert man hierbei all-*
l) d h diejenige HelasUmtj einer kleinen Flächeneinheit.
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mählich den Druck, so läfst sich mit einem Mikroskop bei spröden
Körpern leioht der Moment des Auftretens eines Sprunges und zugleich
die OrÖfse der gedrückten Fläche bestimmen, woraus sich dann die Härte
im Sinne obiger Definition in absolutem Mafse berechnen läfst Bei
plastischen Körpern (als solche erwiesen sich z. B. Steinsalz und Flufs-
spat) erfolgt jedoch kein Sprung, sondern die Platte wird zu einer
Mulde eingedrückt, während die drückende Kugelfläche eine gewisse
Abflachung erfährt. Es tritt hier alsbald der Fall ein, dafs die Druck-
fläche der Belastung proportional wächst, dafs also der auf 1 qmm ent-
fallende Druck nicht mehr zunimmt Es ist dann der bei solohen
Körpern für die Härte mafsgebende kritische Punkt erreicht und die
Belastung der Flächeneinheit bei weloher das Material dem Druck
nachzugeben beginnt mute dann füglich als Härtemarszahl dienen.
Die Ergebnisse der mit dem beschriebenen Apparat geraaohten
Messungen sind nun interessant genug. Zunächst wurden verschiedene
Glassorten untersucht deren Härte in weitem Spielraum zwischen 173
und 316 (kg, qmm) variierte, was etwa den Mohssohen Härtegraden
5 bis 7 entspricht Wie wenig jedoch die althergebrachte Ritzungs-
methode wissenschaftlich brauchbar ist ging daraus hervor, dafs
trotzdem auch das weichste Glas selbst das härteste zu ritzen imstande
war. Auerbaoh untersuchte nun die Intervalle der Mohsschen
Skala und fand darin einige von ganz überraschender Gröfse. So ist
die neunte Stufe Topas— Korund grofser als die ersten acht zusammen-
genommen, und noch mehrere ähnliche Ungleichheiten werden aus der
folgenden Tabelle leioht bemerkt werden, in weloher die den
einzelnen Mineralien entsprechenden Festigkeitsgrenzen (in Kilo-
grammen des Druckes auf das Quadratmillimeter) angegeben sind:
Name
]Mo hasche
Wahre Härte (kg, qmm)
Härtem afszahl
des Minerale»
Härte
nach Auerbach
nach Rosiyal
Talk . . .
1
5
V»
Steinsalz . .
2
20
Kalkspat
3
92
Flursspat
4
110
6
Apatit . .
5
237
67,
Feldspat
6
253
37
Quarz . . .
7
308
120
Topas . .
8
525
175
Korund . •
9
1150
1000
Diamant . .
10
140000
Eine andere, für die Praxis einlächere, aber dafür auch weniger
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exakte Methode der zahlenmäßigen Härtebestimmung ist zuerst von
Toula angegeben und neuerdings von Rosival in ausgedehnterem
Mafse angewendet worden. Sie besteht darin, dafs eine gewogene
Menge eines Standard-Schleifmaterials (z. B. Normal- Korund von
0,2 mm Korngröße) mit einer ebenen Fläohe des zu untersuchenden
Körpers auf einer Glas- oder Metallscheibe bis zu einem unwirksamen
Schlamm zerrieben wird, was in wenigen Minuten erzielt werden
kann. Der Gewichtsverlust, den der reibende Körper dabei erleidet,
gestattet dann leicht, den Volumenverlust zu berechnen, dessen
reciproker Wert als Mate für die Härte dienen kann. Die auf diesem
Wege gefundenen Zahlen, welche in der letzten Spalte der obigen
Tabelle bereits mit aufgeführt sind, zeigen in ähnlioher Weise wie die
A u er baoh sehen Werte die grofse Ungleichheit der Intervalle der
Mohsschen Skala und geben auch die gewaltige Kluft an, welche
den Korund noch vom Diamanten trennt, eine Kluft, deren praktische
Folgen erst durch das künstlich dargestellte Carborundum2) gemildert
worden sind. Die ziemlich erhebliche Disoordanz im Zahlen-
gange bei Auerbach und bei Rosival, welche in dem Härte-
intervall Apatit— Feldspat zu Tage tritt, dürfte vermutlich auf die be-
trächtlichen Schwankungen zurückzuführen sein, denen nach Rosival
die Härte bei verschiedenen Stücken einer und derselben Mineral-
species oft unterliegt. — Auch das sogenannte üsometer, ein von
Jannetatz und Goldberg zur zahlenmäßigen Härtebe timmung con-
struirtes Instrument, beruht auf dem Prinzip der Abnutzung durch
Schleifen. Eine Probe der zu untersuchenden Substanz wird hier durch
ein Gewicht gegen eine schnell rotierende Schleifscheibe gedrückt, und
der Gewichtsverlust mit dem des gleichzeitig unter denselben Verhält-
nissen geschliffenon Normalkörpers verglichen. F. Kbr.
*) vgl. Himmel und Erde, Bd. IX, S. 378.
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Himmeltikunde. Versuch einer methodischen Einführung in die Hauptlehreu
der Astronomie. Von Joseph Plassmann. Mit einem Titelbild in
Farbendruck, 2IG Illustrationen und 3 Karten. Freiburg im Breisgau,
Herdersche Verlagshandlung, 1898. XVI und 627 S. 8°.
Der Verfasser bietet dem Laien, der mit der heutigen Bildung eine mehr
oder weniger grofso Summe von astronomischen Kenntnissen aufgenommen,
aber sich nicht recht veranschaulicht, oder dem, der die Olocken Uberhaupt
noch nicht läuten gehört hat, — nicht etwa, wie der Titel sagt, nur eineu Ver-
such methodischer Einführung — sondern ein Meisterwerk populärer Unter-
weisung, das ihm deutlich sagt, wo und wie diese Olocken hängen.
Mit aufserordentlichem Lehrgeschick führt Herr Plassmann durch sein
Buch in die Hauptlehren der Astronomie ein. Er erläfst dem Leser dabei
Rechnungen nicht, führt sie aber auch st» verständlich vor, dafs der ernste
Leser sie nicht leicht überschlagen wird. Die ersten Kapitel dienen der
Orientierung am Himmel und der Einführung in die verschiedenen astro-
nomischen Koordinatensysteme Dabei verfährt der Verfasser so eingehend,
dofs jeder, der das Buch am Schreibtisch und nicht nur auf dem Sofa vornimmt,
mit voller Anschaulichkeit die drei Systeme sehen kann. In diese Kapitel ein-
geschlossen findet der Leser u. a. zwei Nachbildungen von Sternpholographien
am Pol und Äquator und sieht darin das Mittel vor sich, mit dem in neuester
Zeit bo erfolgreich am Himmel geforscht wird; ferner eine Darstellung der
Universalinstrumente, Angaben Uber Kartenprojektion, die Gestalt der Erde etc.
(Hierbei sei zu Fig. 2ö bemerkt, dafs die Ellipsen, die in ihr, wie in manchen
anderen, augenscheinlich aus freier Hand gezeichnet sind, an den Enden zu
schmal sind. Der Neigungswinkel zwischen der Kreis- und Ellipsenebone,
der in der Mitte ca. 33» beträgt, geht nach den Enden hin unter 23° herunter),
endlich ein äufserst klarbelehrendes Kapitel Uber die wahre und mittlere
Sonnenzeit.
Nach einem der Optik gewidmeten Abschnitt (Licht, Refraktion, Absorption
und Dämmerung. Das Funkeln der Sterne und die Sterntiguren) wird der
Mondlauf ausführlich und mit Hilfe eines zwar ungewöhnlichen Anschauungs-
mittels beschrieben, das aber seinen Zweck völlig erfüllt, dem Laien ein Bild
der Mondbahn zu geben. Darauf folgen zwei Kapitel über die Zeitrechnung
und die Achsendrehung der Erde, und dann der Grundstein unserer astro-
nomischen Anschauung, das copernikanische System. Der Weg ist weit, den
der Leser zurücklegen mufs, bis er an diese Grundlage aller astronomischen
Ansrhauung kommt, aber er ist gut geebnet, und wer ihn aufmerksam durch-
wandert, hat dafür auch eine lebhafte Anschauung und Verständnis für die Richtig-
keit der copernikanischen gegenüber der ptolomäischen Anschauung. Auch diese
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führt der Verfasser seinen Lesern so eingehend vor Augen, wie es diesem grofsen
Versuch der Alten, sich die Hiramelserscheinungen zu erklären, angemessen ist
Die folgenden Kapitel schildern als optische Beweise für die Richtigkeit
des copernikanischen Systems die Aberration des Lichtes und die Parallaxe
der Sterne; dann das Kepplersche und Newtonsche Oesetz, die durch elemen-
tare Rechnung miteinander in Zusammenhang gebracht werden ; ferner die
Präcession und Nutation, Konstellationen, Bedeckungen und Finsternisse. -
Die zweite Hälfte des Werkes ist der Beschreibung der Sonne, der
Planeten, Kometen, Meteoriten und Fixsterne gewidmet. Dem von der Sonne
handelnden Abschnitt ist ein Excurs über die Spektralanalyse eingefügt, deren
vielfache Verwendung in der Astronomie der Leser an mehreren Stellen
kennen lernt Treffliche Abbildungen im Text (nur dem Zodiakallicht Fig. 111
und 112 ist eine minder gute Darstellung zu teil geworden) und eine grofse
Zahl von prächtigen Voll- und Doppelbildern, die z. T. anderen Werken ent-
nommen, zumeist aber Originale sind, veranschaulichen den Text.
Das 37. Kapitel: , Werden und Vergehen im All. Die Nebularhypothese'
beschneiet gewissermafsen diesen 2. Teil des Werkes. Den Schlüte des Ganzen
bilden zwei Kapitel über astronomische Instrumente und Einrichtung von
Sternwarten und über geschichtliche Bemerkungen. Beigefügt ist endlich noch
eine Zusammenstellung der wichtigsten Himmelserschoinungen vom 1. April 1898
bis 31. Dezomber 1900.
Überflüssig möchte es erscheinen, dem Werk unter denen, die sich für
Astronomie interessieren, weite Verbreitung zu wünschen. Es ist so sorgfältig
gearbeitet, didaktisch so vorzüglich aufgebaut und endlich so gut ausgestattet,
dafs es des Erfolges sicher sein kann. Schm.
Verlag: Hermann PiMel Im Berlin. — Druck: Wilhelm Omu'i Buchdrucker«! in Berlin - 8ch6nebert.
Für die Bedactioa Termntwortlieta : Dr. P. Schwahn in Berlin.
Unberechtigter Nachdruck aue dem Inhalt diener Zeitechrift unteriigU
Übernetiangureeht eorbehalten.
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Die Lehre von der Bewegung der Erde
im griechischen Altertum.
Von Professor Wilhelm Foerster in Berlin
ir verdanken dem warmen Freunde der Urania, Herrn Prof.
Schiaparelli in Mailand, neuerdings einen höchst bedeut-
samen Beitrag zu der Entwickelungsgeschichte der Lehre von
der Bewegung der Erde um die Sonne. Schiaparelli hatte bereits
früher in seinen höchst wertvollen Darlegungen über die Vorläufer
des Kopernikus und über die Sphärentheorie des Eudoxus unsere
Kenntnis der Ergebnisse griechischen Denkens auf dem Gebiete der
Kosmologie wesentlich gefördert, und er hat uns jetzt an der Hand
von neueren philologisch-historischen Forschungen über die griechi-
schen Kosmologen wiederum ganz neue Einblicke in das Werden der
Welterkenntnis eröffnet.
Wir wollen versuchen, ohne näheres Eingehen in die mathe-
matischen Einzelheiten dieser merkwürdigen Entwicklung hier in
aller Kürze diejenige Auffassung über die Leistungen des griechischen
Altertums auf diesem Gebiete darzulegen, zu welcher uns der gegen-
wärtige Stand der bezüglichen Forschung berechtigt, und zwar wollen
wir es uns zur besonderen Aufgabe stellen, zugleich die völlig un-
historische Auffassung, welche hinsichtlich des Gegensatzes zwischen
Ptolemaeus und Kopernikus noch immer verbreitet ist, zu be-
kämpfen.
Für die Annahme einer Bewegung der Erde um die Sonne gab
der unmittelbare Augenschein den Menschen keinerlei Anhaltspunkte.
Überhaupt waren rein irdische Mafsbestimmungen, wie sie bei ganz
folgerichtigem Denken sehr wohl zur Entstehung der Lehre von der
Kugelgestalt und von der Drehung der Erde führen konnten, zum
Himmel und Erde. 1889. XI. 7. 19
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Nachweise jener Bewegung der Erde nicht vorhanden. Auch
hier war es aber die griechische Philosophie, welche mit ihrer unver-
gleichlichen Hellsichtigkeit schon sehr früh die Wirklichkeit hinter
dem Schein der unmittelbaren Wahrnehmung und im Gegensatze zu
den Einbildungen des gewöhnlichen unentwickelten Denkens ahnte.
Auch hier kamen aber dieser kühnen Weltweisheit die soliden Zäh-
lungs- und Messungsergebnisse von vielen Jahrtausenden vorangegan-
gener astronomischer Arbeit in Ostasien und Babylon zu gute.
Um die Zeit, in welcher die Griechen von Babylon ausgehende
Überlieferungen wissenschaftlicher Art empfingen, konnte man dort
aus Jahrtausende umfassenden Beobachtungen der Mondfinsternisse
schon wissen, dafs die mittlere Entfernung des Mondes von der Erde
ungefähr das 30fache des Durchmessers der Erdkugel beträgt (ein
Bruchstück eines Verzeichnisses solcher babylonischen Beobachtungen
von Mondfinsternissen ist uns völlig urkundlich durch Ptolemaeus
überliefert worden). Ein sehr einfaches, häufig in alten Zeiten ange-
wandtes Verfahren konnte sodann aus dem Abstände vom Auge, in
welchem man eine kreisförmige Scheibe von bestimmtem Durchmesser
halten mufs, um damit den Vollmond genau zuzudecken, sehr leicht
das Ergebnis ableiten, dafs die mittlere Entfernung des Mondes von
uns nahezu das HOfache seines Durchmesseis betrage. Hiernach
ergab sich der Durchmesser der Erde 1 also etwa das 3,7 fache
von demjenigen des Mondes. Aber aus den Mondfinsternissen konnte
man auch ableiten, dafs die Sonne viel, viol weiter von uns entfernt
sei als der Mond. Da nun die Sonne uns nahezu ebenso grofs er-
scheint als der Mond, mutete die Sonne in Wirklichkeit viel, viel
gröfser sein als der Mond, also jedenfalls erheblich gröfser als die Erde.
Eine mehr oder minder deutliche Kunde von diesem Gröfsen-
verhältnis war offenbar in jener Zeit schon uuter den Wissenden ver-
breitet. Aristarch von Samos glaubte späterhin (um 260 v.Chr.)
zu erweisen, dafs die Sonne 19 mal weiter entfernt sei als der Mond.
Hiernach hätte man schon damals annehmen können, dafs die Sonne
19
einen Durchmesser habe, welcher mehr als , also mehr als 5 mal
o,7
so grofs sei als der Durchmesser der Erde. Aristarch selber hat
hierfür nicht diese Zahl, alier einen Verhältniswert von nahezu der-
selben Gröfsenordnung abgeleitet.
Noch mehr als durch den Gedanken, dafs die Bewegung eines
grÖfseren Körpers um einen kleineren unwahrscheinlich sei, wurden in-
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dessen die grofsen Denker der py thagoraeisch en Schule von einer
anderen Ideenfolge bewegt, als sie die Meinung zuerst farsten und ver-
kündeten, dafs die Erde nicht im Mittelpunkte der Welt und daher auch
nicht unbewegt sein könne. In den himmlisohen Gestaltungs- und Be-
wegungs-Ersoheinungen glaubten sie die erhabene Harmonie und Stetig-
keit, die gröfsere Einfachheit und Gesetzraäfsigkeit, die vollere Verwirk-
lichung idealer Formen und Forderungen in Raum und Zeit zu erkennen,
von welcher das irdische Lehen und zumal das Menschenleben noch
so weit entfernt blieb. Es war insbesondere auch die hohe Vollendung
des natürlichen Zeitmafses in dem scheinbaren täglichen Umschwünge
des Sternenhimmels, welche als etwas Göttliches schon von den Astro-
nomen der Urvölker erfafst worden war, und welche jetzt den Be-
wegungen der Hiramelswelt eine ergreifende Verwandtschaft mit den-
jenigen vom Menschen hervorgerufenen Bewegungen verlieh, aus
deren musischen Tonwirkungen die Seele auf Erden ideale Stimmungen
schöpfte.
Aus jenen Ideenfolgen, aus denen auch die Vision von der Har-
monie der Sphären hervorging, entwickelte sich immer deutlicher die
Lehre, dafs die Erde einer centralen Stellung in der Welt nicht
würdig sei, und dafs sie daher ebenso, wie die anderen Weltkörper,
die sich scheinbar um die Erde bewegten, in Wirklichkeit um einen
idealen Mittelpunkt kreisen müsse.
Dafs die Sonne, die Leuchte der Welt, selber dieser ideale Mittel-
punkt sein könne, und dafs alsdann die Bewegung der Erde um die
Sonne die scheinbare jährliche Ortsveränderung der Sonne am Him-
melsgewölbe und unter den Sternbildern erklären könne, ist in dieser
Phase der griechischen Naturphilosophie allerdings noch nicht klar
ausgesprochen worden und hat auch in der Gipfelung, welohe diese
Pythagoreische Kosmologie in Piatons Gedanken und Lehren er-
reichte, höchstens als eine Art von Geheimlebre oder mystischer
Ahnung gegolten.
Dagegen haben die kühnen Seherblicke, welche die harmo-
uistische Spekulation in die Welträume warf, zweifellos auch das
astronomisch-mathematische Denken jener merkwürdigen Zeit beflügelt
und befruchtet, so sehr die Vertreter der strengen Methode und
die Astronomen von Fach sich mit Recht dagegen sträubten, jene
Lehren schlechtweg als astronomische Theorioen gelten zu lassen.
Aus der ägyptischen Überlieferung war inzwischen der Gedanke
nach Griechenland gekommen, dafs die beiden beweglichen Gestirne,
welche bald als Abendsterne östlich, bald als Morgensterne westlich
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von der Sonne standen, und deren jeder dabei eine bestimmte Grenze
des Abstandes von der Sonne nicht überschritt, nämlich Merkur und
Venus, sich in Wirklichkeit um die Sonne bewegten und zugleich von
der Sonne bei deren jährlicher Ortsveränderung in dem gegen den
Äquator des Himmels um die sogenannte Schiefe geneigten gröfeten
Kreise, der Ekliptik, um den Mittelpunkt der Welt mit herumgetragen
würden. Hieraus waren die Anfiinge der Lehre von der Darstellung
zusammengesetzter periodischer Bewegungen am Himmel durch so-
genannte epicyklische Bewegungsformen entstanden, nämlich die An-
nahme, dafe der Mittelpunkt einer kreisförmigen Bahn, in welcher
sich ein Gestirn in gleichförmiger Drehung bewege, auch seinerseits
wieder in einer Kreisbahn mit ähnlicher gleichförmiger Drehung um
einen anderen Mittelpunkt bewegt sein könne u. s. w.
Bei näherem Zusehen hatten auch diejenigen Wandelsterne,
welche sich am Himmel beliebig weit von der Sonne entfernen, der-
selben sogar am Himmel gegenüberstehen können, sodafs sie um
Mitternacht durch den Meridian gingen, nämlich die Planeten Mars,
Jupiter und Saturn, besonders deutlich der erstere, ganz ähnliche Be-
wegungen erkennen lassen, wie Merkur und Venus am Himmel aus-
führten. Diese Ähnlichkeit trat ganz unverkennbar hervor, wenn
man sich die Beziehungen zur Sonne in den Stellungen dieser
letzteren beiden Planeten wegdachte und von der Besonderheit absah,
dals diese beiden der Sonne näheren Planeten in ihrer gröfsten Nähe zur
Erde, d. h., wenn sie bei ihrer Bewegung um die Sonne zwischen
Erde und Sonne zu stehen kommen, in der stärkeren diffusen Erleuch-
tung der der Sonne näheren Himmelsflächen verschwinden. Bei Mars
konnte man auch mit ganz kunstlosen Beobachtungen sehr deutlich
erkennen, dafs, wenn er der Sonne gorade gegenüberstand, seine
Helligkeit am gräteten war, während er einige Monate vor und nach
dieser Zeit, auch ohne dafs er sich noch in der Morgendämmerung
oder schon in der Abenddämmerung befand, sehr viel licht-
schwächer war.
Alle diese Wahrnehmungen deuteten darauf hin, dafs der Planet
Mars und auch in ähnlicher Weise, nur weniger deutlich, Jupiter und
Saturn bei ihrer im allgemeinen in derselben Richtung wie die jähr-
liche Sonnenbewegung von Westen nach Osten fortrückenden Wande-
rung am Himmel noch Bewegungen um den in derselben Weise am
Himmel wandernden Mittelpunkt eines Kreises ausführten, ganz ähnlich
wie Merkur und Venus um die Sonne.
Für die Astronomen von Fach waren diese Verallgemeinerungen
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allerdings noch wenig annehmbar, um so weniger, als bei genaue-
rem Zusehen die scheinbare Bewegung des Merkur um die Sonne
von einer gleichförmigen Kreisbewegung um die Sonne als Mittel*
punkt sehr merklioh abwich. Zu verschiedenen Zeiten waren nämlich
die Grenzwerte der Abstände, um welche Merkur sioh von dem
Mittelpunkte der Sonne entfernte (und zwar infolge der starken Ex-
centricität der von ihm um die Sonne beschriebenen Ellipse), so be-
trächtlich verschieden, dafs die Astronomen zur Erklärung der
Merkurbewegungen mit der altägyptischen Hypothese unmittelbar
nicht viel anzufangen wüteten, ja sogar späterhin gezwungen waren,
zur vollständigeren Erklärung und Vorausberechnung der Merkur-
bewegung in aller Form dem Mittelpunkte seiner Bahn eine veränder-
liche Lage gegen den Sonnen-Mittelpunkt zu geben.
Ungefähr in dieser Phase der Entwickelung entstand die Sphären-
theorie eines Zeitgenossen Piatons, des Eudoxus (um 350 v.Chr.),
in welcher mit groteer mathematischer Findigkeit und Feinheit der
letzte und am vollkommensten durchgeführte Versuch gomacht wurde,
das ganze Weltbild und die Erklärung aller Himmelsbewegungen,
unter Ablehnung aller naturphilosophischen Verwegenheiten, dem un-
mittelbaren Augenschein so nahe wie möglioh anzuschliefsen, nämlich
auf die centrale und ruhende Stellung der Erde und auf streng kon-
zentrische Beziehungen aller Bahnen zu diesem Mittelpunkte zu be-
gründen. Dies geschah daduroh, dafs dem Monde, der Sonne und
jedem der fünf Wandelsterne je ein System von mehreren durch-
sichtigen Kugelhüllen zugeteilt wurde, deren jede sich mit einer be-
stimmten Geschwindigkeit um den geraeinsamen Mittelpunkt Erde und
um zwei Pole drehte, während innerhalb jedes dieser einzelnen Systeme
die Kugelhülleri so in einander gefügt waren, dafs die am einfachsten
bewegte derselben bei ihrer eigenen Drehung die Pole mit sich be-
wegte, um welche die nächstbenachbarte Kugelhülle sioh zugleich selber
drehte u. s. f., und dafs erst die letzte, deren Bewegung am meisten
zusammengesetzt war, das Gestirn selber trug.
Es mute hier darauf verzichtet werden, die Einrichtung dieser
sehr zusammengesetzten Drehungen, welche für die einzelnen Himmels-
körper von Eudoxus ersonnen war, mathematisch näher zu beschrei-
ben. Eine höchst lichtvolle und umfassende Darlegung der Einzel-
heiten dieser Theorie und ihrer Leistungen in der Nachbildung der
beobachteten Bewegungen ist ein Hauptverdienst von Schiaparelli.
Es möge hier die Bemerkung genügen, dafs es Eudoxus gelungen
ist, fast alle zu seiner Zeit bekannten Besonderheiten aller jener Be-
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wegungen mit ziemlicher Annäherung zahlenmäfsig und sogar mit
einer gewissen Anschaulichkeit darzustellen. Was diesem Erklärungs-
versuche aber gänzlich mifslang, war die Deutung der verschiedenen
Helligkeiten, in welchen die Gestirne in bestimmten wiederkehrenden
Phasen ihrer Bewegungen am Himmelsgewölbe und ihrer Stellungen
zur Sonne erglänzten. Es lag so nahe, diese Schwankungen der
Helligkeit nicht sowohl mit den Beleuchtungsphasen, wie beim Monde,
(die aber nur bei Merkur und Venus erheblich waren), sondern viel-
mehr mit Schwankungen der Entfernungen der betreffenden Gestirne
von der Erde in Verbindung zu setzen, und hierfür versagte die
Sphärentheorie des Eudoxus ihre Hilfe gänzlich.
Innerhalb des Jahrhunderts nach der Aufstellung dieser Theorie
machte nun aber die aus der Pythagoräischen Auffassung hervorgegan-
gene kühnero Kritik des unmittelbaren Augenscheins und die Anwen-
dung des epicyklischen Prinzips grofse Fortschritte, wie uns jetzt
zweifellos durch Sohiaparelli dargelegt ist. Heraklides von
Pont us schuf eine Theorie, welche die Sonne zum Mittelpunkte der
Bewegungen nicht blofs von Merkur und Venus, sondern auch von
Mars, Jupiter und Saturn machte, ganz ähnlich, wie es später un-
mittelbar nach Kopernikus noch durch Tj'dio Brahe geschah.
Nur für die Sonne und den Mond wurde die Bewegung um die Erde
noch beibehalten, aber die Bewegungen der übrigen Wandelsterne
wurden in ihren grofsen Zügen fast vollständig dadurch erklärt, dafs
ihr Mittelpunkt, die Sonne, alljährlich ihre Bahnen um die Erde
herumtrage.
Von dieser Annahme war nur noch ein Schritt, allerdings ein
kühner und grofeer Schritt, bis zu der Annahme, dafs die Sonne der
ruhende Mittelpunkt der Planetenbewegungen sei, und dafs die
ebenfalls um diesen Mittelpunkt erfolgende Bewegung der Erde alle
dieselben Erscheinungen vollständig bedinge, welche duroh die jähr-
liche Mitbewegung der Bahnen jenor Planeten mit der Bewegung der
Sonne um die Erde hervorgebracht werden sollten. Und dieser letzte
Schritt wurde sehr bald nach Heraklides von Pontus durch Ari-
starch von Samos in Athen wirklich gethan.
Wie vollständig sich dieser freie Denker trotz aller physikalischen
Schwierigkeiten, welche die mathematischen Forscher damals noch in
dieser Bewegung fanden, die Wirklichkeit dieses Vorganges vor
Augen gestellt hat, lafst uns eine ganz authentische Stelle in einem
mehrere Jahrzehnte danach geschriebenen Buche des Archimedes
erkennen. Dieser grofso Mathematiker, welcher aber seinerseits dem
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kühnen Fluge des Aristarch offenbar nicht folgte, giebt uns hier-
über eine Bemerkung von äufserster mathematischer Trockenheit und
Kürze, deren Sinn aber zweifellos der folgende ist: Gegen die An-
nahme des Aristarch, dafs die Erde sich alljährlich um die Sonne be-
wege, habe man eingewendet, dafs alsdann diejenigen Sternbilder,
denen die Erde auf dieser Wanderung sich nähere, und ebenso die-
jenigen, von denen sie sich entferne, ganz ähnliche Erscheinungen
zeigen müfsten, wie man sie bei den Bewegungen auf der Erde er-
kenne. Diejenigen Sterne, denen man bei der Wanderung der Erde
auf jenem grofsen Umkreise sich nähere, raüfsten auseinander rücken,
diejenigen, von denen man sich dabei entferne, müfsten näher zu-
sammen zu rücken scheinen. Aristarch aber habe diesen Einwand
einfach damit abgewiesen, es sei sehr wohl denkbar, dafs die Sterne
von der Erde und Sonne soweit entfernt seien, dafs die ganze jähr-
liche Bewegung der Erde um die Sonne von ihnen aus nur in sehr
kleiner Winkelgröfse erblickt werde, somit auch keinerlei merkliche
perspektivische Veränderungen ihrer Stellungen, von der bewegten
Erde aus gesehen, hervorbringen könne.
Hiermit sind wir also schon ganz und gar bei der Kopernika-
nischen Weltauffassung und bei denjenigen jetzt geltenden Annahmen
über die Sternentfernungen angelangt, welche im Laufe unseres Jahr-
hunderts durch eine grofse Zahl verfeinerter Messungen deutlich er-
wiesen worden sind.
Die unmittelbaren Nachfolger des Aristarch, nämlich die astro-
nomischen und mathematischen Fachmänner, welche hauptsächlich an
der Sternwarte des Museums zu Alexandria in den nächsten 400 Jahren
die Entwickelung der astronomischen Bewegungstheorien weiter führ-
ten, unter ihnen die genialen Männer Hipparch (140 v. Chr.) und
Ptoleraäus (140 n.Chr.), verhielten sich gänzlich ablehnend gegen
die oben dargelegte pvthagoräisch- platonische Naturphilosophie und
gegen die Lehre des Heraklides und des Aristarch. Sie folgten
den strengeren methodischen Gesichtspunkten des Aristoteles, wel-
cher die pythagoräischen naturphilosophischen Hypothesen
für mindestens verfrüht erachtet hatte. Sie hatten insofern recht, als
die solide Erforschung der Himmelserscheinungen sich nicht mit sol-
chen Theorien begnügen durfte, welche damals nur einig'e grofse
Züge der Erscheinungen erklärten, aber zahlreiche kleinere und doch
eben so verbürgte und ernst zu nehmende Besonderheiten der beob-
achteten Bewegungen durch ihre Annahmen nicht vollständig und er-
schöpfend darzustellen vermochten.
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Diese treue Arbeit der mathematischen Darstellung aller vorhan-
denen sorgfältigen Messungsergebnisse führte in der That zunächst zu
sehr berechtigten Zweifeln an der Realität derjenigen Welterklärungen,
welche durch die Bewegung der Erde alle Schwierigkeiten des Ver-
ständnisses, sowie der Nachbildung und Vorausbestimmung der Be-
wegungs- Erscheinungen am Himmel beseitigt zu haben glaubten.
Insbesondere führte Ptolemäus durch die gründliche mathematische
und rechnerische Behandlung aller ihm bekannt gewordenen, nicht
blofs der in den letzten Jahrhunderten in Alexandria gesammelten,
sondern auch in den vorhergegangenen Jahrhunderten, hauptsächlich
in Babylon, angestellten Beobachtungen der Bewegungen am Himmel
mit grofser Sorgfalt den Nachweis, dals die Annahme einer so zu
sagen perspektivischen Wirkung, welche durch die Bewegung der
Erde um die Sonne in dem Anschein aller anderen Planeten-Bewe-
gungen hervorgebracht werden könnte und die einfachste Erklärung
gewisser gemeinsamer Besonderheiten derselben darbiete, in Wirklich-
keit mit zahlreichen anderen Besonderheiten der Planeten-Bewegungen
in sehr erhebliche Differenzen gerate, welche seine Gewissenhaftigkeit
nicht zu unterdrücken wagte.
Ptolemäus lehnte daher die Annahme der Ruhe der Sonne
und der Bewegung der Erde um die Sonne, sowie auch der Drehung
der Erde vollständig ab.
Wenn man näher in die von Hipparch und Ptolemäus auf
der Grundannahnie einer ruhenden und centralen Stellung der Erdo
geschaffene Bewegungstheorie der übrigen Weltkörper eingeht, so
sieht man allerdings deutlich, dals auch diese beiden grofsen Forscher
durch den konsequenten Ausbau ihrer Nachbildungen der beobach-
teten Bewegungen selber immer mehr von der Annahme einer cen-
tralen Stellung der Erde abgedrängt wurden. Sie hatten nur beim
Monde diese centrale Stellung der Erde festgehalten; in den Bahnen
der übrigen beweglichen Weltkörper, nämlich der Sonue und der
fünf sogenannten Wandelsterne, mufsten Mittelpunkte der Bewegun-
gen angenommen werden, welche mit dem Mittelpunkte der Erde nicht
zusammenfielen, sondern von diesem um weite Streoken, nämlich um
Hunderte von Erddurchmessern, und zwar für die verschiedenen Pla-
neten um verschiedene Strecken und in verschiedenen Richtungen, alt-
standen.
Von einem sogenannten geocentrischen, die Erde als Mittelpunkt
festhaltenden System war also auch in der Astronomie der strengsten
Fachmänner schon längst nicht mehr die Rede, als Ptolemäus noch
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immer «He ruhende Stellung der Erde behauptete. Überhaupt sieht
man ganz klar, dafs der Übergangsprozefs zu der Lehre von der Be-
wegung der Erde auoh die astronomischen Fachmänner in ihrem
tiefsten Denken bereits lebhaft beschäftigte, und dafs es bei diesen
ernsten Denkern hauptsächlich nur noch die vorerwähnten Schwierig-
keiten waren, die in den feineren Mafsbestimmungen der Bewegungen
am Himmel sich dem letzten grofsen Schritte entgegensetzten, die
nur scheinbar ruhende Stellung der Erde in der Nähe der festen
Mittelpunkte der einzelnen Planetenbahnen wirklich entschlossen auf-
zugeben.
Wir wissen jetzt, dafs jene Schwierigkeiten zu einem wesent-
lichen Teile durch unbewufste systematische Messungsfehler bedingt
wurden, welche von jenen Astronomen bei dem unentwickelten Cha-
rakter ihrer Seh- und Mefswerkzeuge begangen wurden; aber jeden-
falls verfuhren sie im besten Glauben und mit der formalen Strenge
des Gedankens, welche zu den tiefsten Grundbedingungen des Er-
folges wissenschaftlicher Erkenntnisarbeit gehört, und welche ihnen
selber auch zu unvergänglichen und für die ganze weitere Entwicke-
lung unentbehrlichen Entdeckungen geholfen hat Insbesondere hat
das Lebenswerk des Ptolomäus die eminente Bedeutung gehabt,
dafs alle diejenigen Seiten des Problems, welche für die positive oder
negative Entscheidung die mafsgebendsten waren, nunmehr aufs deut-
lichste hervortraten. Die nächsten anderthalb Jahrtausende lieforten
dann hauptsächlich durch die arabischen Astronomen und noch am
Ende des 15. Jahrhunderts durch die Beobachtungen der damals in
Nürnberg blühenden Sternwarten gerade für diese Seite des Problems
die entscheidenden zahlreicheren, genaueren und umfassenderen
Messungen, mit denen Kopernikus dann den siegreichen deflnitiven
Beweis für die Bewegung der Erde um die Sonne erbringen konnte.
Kopernikus und Keppler, welche die Lehre von dieser Be-
wegung und von den entsprechenden Bewegungen der anderen Pla-
neten streng astronomisch an der Hand der sämtlichen vorhandenen
Messungen ausbildeten, vereinigten die Geistesverfassung eines
Aristarch mit derjenigen eines Ptolemäus. Ebensowohl die aus-
gezeichneten fachmännischen Arbeiten des letzteren sowie seines
grofsen Vorgängers Hipparch, als die philosophische Freiheit und
Kühnheit des Denkens der griechischen Harmoniker waren die Quellen,
aus denen der gewaltige Strom der gegenwärtigen astronomischen Er-
kenntnisarbeit entsprang. Es ist danach eine völlig irrtümliche Auf-
fassung, auch innerhalb der Wissenschaft die kopernikanische Epoche
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als eine Art von Umsturz zu betrachten. Vielmehr besteht auch in
diesem Übergang bei den leitenden Geistern wissenschaftlichen
Denkens eine edle Stetigkeit und eine treue Pietät für die Leistungen
der Vorgänger. Nur in den Einbildungen der grofsen Menge und
in den Sophismen ihrer von den Interessen des Tages und der Macht
getrübten Führer erschien die grorse Klärung des Weltbildes als eine
Art von revolutionärer Katastrophe. Ganz besonders feindlich stellte
sich zu einer solchen vermeintlichen Revolution der astrologische
Aberglauben, der sich schon in den letzten Jahrhunderten griechisch-
römischer Kultur der Aufgebung der centralen Stellung der Erde
leidenschaftlich widersetzt hatte, sodann auch die streng kirchliche
Weltanschauung, die eine Zeit lang sich mit dieser Stellung der Erde
untrennbar verbunden wähnte, während in Wirklichkeit ihre tieferen
und dauernden Elemente davon völlig unabhängig sind und in der
Ruhe der Seele, nicht der Erde, wurzeln.
Ks war um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts, als es
Kopernikus gelungen war, die damals bekannten Planetenbewe-
gungen durch eine Art von excentrischer Kreisbewegung der Erde
und der Planeton um die Sonne zu erklären, und es gelang alsdann
Keppler im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts, unter voller Aus-
nutzung dieser Bewegung der Erde in unvergleichlich sinnreicher
Weise die Gestalt der besonders stark excentrisoh erscheinenden Bahn
des Planeten Mars genau auszumesson und dadurch zu erweisen, dafs
dio Planeten sioh in Ellipsen um die Sonne bewegen, die sich in dem
einen Brennpunkte dieser Ellipsen befindet. Newton aber vollendete
gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts mit der Entdeckung und
Durchführung des Gesetzes der allgemeinen Massenanziehung die
Grundzüge der mathematischen Erklärung der Bewegungen in unserem
Planetensystem.
Wie sehr aber selbst in die Lebensarbeit von Keppler noch
die Ergebnisse des Wirkens der griechischen Astronomen, insbesondere
von Hipparch und Ptolemaeus, fördernd und entscheidend ein-
griffen, dafür liefern seine eigenen Darlegungen in dem epoche-
machenden Werk ..Über die Bewegung des Mars* (1600) die ein-
gehendsten Nachweise.
Seine Entdeckung des sogenannten Flächengesetzes, nämlich die
Verallgemeinerung des Nachweises, dafs in den Bahnen der Planeten
von der Verbindungslinie eines Planeten mit der Sonne (von dem so-
genannten Radius vector) in gleichen Zeiten gleiche Flächen be-
schrieben werden, hat ihre Entstehung in einem merkwürdigen Ver-
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haltet!, welches Ptolemaeus mit aller Sicherheit in der Bewegung
des Mars, Jupiter und Saturn erkannt hatte. Dieser grolse Astro-
nom, eine der glänzendsten Zierden des an bedeutenden geistigen
Erscheinungen so reichen Zeitalters der Antonine, hatte nämlich
in den Ortsveränderungen jener Planeten am Himmel zuerst mit
Sicherheit eine Bewegungsform erkannt, welche bereits das wesent-
liche Kennzeichen einer elliptischen Bewegung unter der Wirkung
einer Centraikraft, nämlich das Flächengesetz, näherungsweise erfüllte.
Diese Form bestand in einer Kreisbewegung, zu deren Mittelpunkt zwei
andere Punkte nach Art der beiden Brennpunkte einer Ellipse sym-
metrisch lagen. In dem einen dieser Brennpunkte erschien die in der
Kreislinie erfolgeude Bewegung des Planeten gleichmäßig, so dafs
die Verbindungslinie des Planeten mit diesem Brennpunkte in gleichen
Zeiten gleiche Winkel beschrieb, in dem andern Brennpunkte, dem
Orte des Centraikörpers, erschien die Bewegung des Planeten un-
gleichmäßig, aber derartig, dafs, wie Keppler erwies, näherungs-
weise das Flächengesetz schon erfüllt wurde. Jone Bewegungsform,
die übrigens bei Ptolemaeus schon, ohne dafs eres merkt, aus den
Venus-Beobachtungen auch für die Bahn der Sonne um die Erde oder
der Erde um die Sonne gefunden wurde, enthält also bereits in ähn-
licher Weise die Entdeckung der elliptischen Bewegung, wie in der
Knospe die Blüte verborgen ist.
überhaupt ist das grofse astronomische Lehrbuch des Ptole-
maeus eine wahre Fundgrube von sinnreichen Gedankenverbindungen
fruchtbarster Art. Dies gilt auch von den Elementen der Ma-
schinerie, mit denen er einige der am Himmel beobachteten Ungleich-
förmigkeiten der Bewegungen der Planeten nachzubilden sucht. Dar-
unter finden sich Übertragungsformen hin- und hergehender Bewe-
gungen in Drehungen und umgekehrt, wie sie erst in den letzten
Jahrhunderten in der Praxis zur Oeltung gelangt sind.
Von besonderem Werte sind bei ihm auch viele Äufserungen
von erkenntnistheoretischer Weisheit, welche keinerlei Zweifel übrig
lassen, dafs auf den Höhen der altgriechischen Naturwissenschaft be-
reits volle Klarheit über das Wosen menschlichen Erkennens waltete,
und dafs nicht erst Baco von Verulam die Grundsätze erfolgreicher
Naturforschung gelehrt hat, er, der noch ein Jahrhundert naoh Ko-
pernikus dessen Lehre mit philiströser Kurzsichtigkeit ablehnte.
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Eine Reise ins neue Goldland Alaska im Jahre 1898.
Von Walter Wensky, Oberleutnant d. L., in Borlin.
)ie Halbinsel Alaska, zwischen dem 130. und 167.° westlicher
Länge von Greenwich und dem 55. und 72.° nördlicher Breite
gelegen, ist durch den 141." westlicher Länge in zwei ungleiche
Teile geteilt. Derselbe bildet die Grenze zwischen den Vereinigten
Staaten und Kanada bis zu dem nahe der Südküste gelegenen Mount
Elias, von welchem eine mit der Küste parallel nach Süden laufende
Linie die Grenze bildet Der durch diese Linie abgeschnittene Küsten-
strich gehört den Verein. Staaten und schneidet das Kanadische Alaska,
das North West Territory vom Meere ab. Der den Verein. Staaten
gehörige Teil ist denselben im Jahre 1867 für den Preis von 7200000 Doli,
von Rursland abgetreten worden. Alaska war bis in die neueste Zeit
wenig gekannt, seine Bevölkerung bestand aus wenigen tausend zer-
streut lebenden Indianern, die sich von Jagd und Fischfang nährten.
AuTser diesen waren es einige wenige Weifse, dio für Rechnung der
Hudson Bay Company der Pelze wegen dem Waidwerk oblagen.
Es war schon seit vielen Jahren durch die einheimischen Indianer
bekannt gewesen, dafs sich in den Flüssen des Kanadischen North
West Territory und Alaskas Alluvial-Gold befände, aber es waren
immer nur geringe Mengon gefunden worden, deren Ausbeute sich
nicht lohnte.
Der erste weifse Mann, der vou der Südküste über das Gebirge
bis zum oberen Yukon und diesen hinab bis zum Teslin Hootalniqua
River vordrang, war George Holt. Er unternahm im Jahre 1878
eine Heise dorthin, aber die von ihm erreichten Erfolge waren so ge-
ring, dafs er bis zum Jahre 1881 keine Nachahmer fand. In diesem
Jahre ging eine Gesellschaft von vier Goldsuchern (prospectors), deren
Leiter George Langtry war,wieder über den gefürchteten Chi Icoot-Pafs.
Sie hatten etwas besseren Erfolg, ohne dafs derselbe jedoch dazu angethan
war, andere zur Wanderung in dieses unwirtliche Land zu veranlassen.
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Ähnliche kleine Expeditionen sind von Zeit zu Zeit immer wieder mit
mehr oder weniger Erfolg unternommen worden, bis endlich der Pro-
spektor Mc. Cormack im Jahre 1895 im Flufsbett des Bonanza Creek
ungeheuer reiche und grofse Ooldfunde machte, die ihn veranlafsten,
für sich und seinen Schwager Claims abzustecken und eintragen zu
141* 140 186 182 «4 128
14-» 136 132
Reite über Land nach dem Klondyke -Gebiet.
lassen. Mc. Cormack war mit einer Indianerin verheiratet und wurde
infolge dessen von den Indianern sehr gut unterrichtet. Als die Nach-
richt von diesen Funden zu den am unteren Yukon bei Circle City
und Forty Mile City lebenden Jägern und Goldsuchern drang, machten
diese sich sofort nach dem neuen Eldorado im Klondyke-Gebiet auf
den Weg, und in kurzer Zeit war nicht nur der ganze Bonanza in
Claims abgesteckt, sondern auch der gröfste Teil des Eldorado Creek.
Es dauerte nicht lange, so war an dem Einflufs des Klondyke
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in den Yukon River eine Ansiedelung entstanden, die nach dem um
Alaska verdienten Geographen Dawson Dawson City genannt wurde.
An der Küste wurde die Nachricht von den strikes, wie die
Amerikaner die reichen Funde nennen, zuerst sehr skeptisch aufge-
nommen, ja man glaubte sie garnicht. Das Bild änderte sich jedoch
mit einem Schlage, als die ersten glücklichen Prospektors mit den von
ihnen gehobenen Schätzen herauskamen und sie den Ungläubigen
zeigten.
Der Einwohner nicht nur Alaskas, sondern ganz Kanadas und
der Vereinigten Staaten bemächtigte sich nunmehr eine auri sacra
fames, ein wahrer Goldhunger, den die Yankees weniger geschmack-
voll als drastisch mit Yellow fever, Gelbes Fiober, bezeichnen.
Dampfschiffahrts-Gesellschaften wurden gegründet, welche mit
einander wetteiferten, die nunmehr in Scharen herbeiströmenden Argo-
nauten von den südlicher gelegenen Häfon des Stillen Ozeans San
Francisco, Seattle, Victoria nach dem Norden zu befördern.
Dafs die Yankees wenig skrupellos und gewissenhaft zu diesem
Zweck alte ausrangierte Schiffe, die sie in diesem Falle coffins (Särge)
nannten, wieder in Dienst stellten, hat zur Folge gehabt, dafs mehrere
von diesen gleich bei der ersten Fahrt versagten und mit ihren Passa-
gieren elendiglich zu Grunde gingen.
Wie die DarapfschifT-Gesellschaften auf dem Wasser, so haben
die Eisenbahnen auf dem Lande gewetteifert, den Verkehr über Land
an sich zu reifeen, und die Konkurrenz hat es dahin gebracht, dafs
man die ungeheure Strecke von über 4000 miles = 7500 km, die der
Schnellzug in ununterbrochener Fahrt von 6 Tagen und 6 Nächten
zwischen den Häfen des Atlantischen und Stillen Ozeans durchbraust,
für den unglaublich geringen Preis von 25 Doli, oder 100 Mk. zurück-
legen konnte.
Es entstand nunmehr eine wahre Völkerwanderung nach Alaska;
aber nicht nur die Bewohner Amerikas wurden von diesem Goldfieber
ergriffen, sondern die Goldsucher sind von allen Teilen der Welt dem
neuen Goldlande zugeströmt.
Seattle, der nördlichste Hafen an der Westküste der Vereinigten
Staaten, der sich bis dahin nur mit dem Verfrachten und der Ausfuhr
der Nutzhölzer aus dem Staate Washington befafst hatte, erlangte da-
durch plötzlich eine Wichtigkeit und Bedeutung, die ihn bereits jetzt mit
San Francisco auf eine Stufe stellt, ja es vielleicht sogar schon über-
flügeln läfst.
Es giebt zwei Wege und zwei ganz verschiedene Arten des
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Reisens, das Klondyke-Gebiet zu erreichen. Beide führen über Sau
Francisco, Seattle oder Victoria.
Der eine kürzere Weg führt nach dem Lynn Cunal über Skagway
oder Dyea und den White- bezw. Chilcoot-Pafs bis an den Lake
Bennett, von dort den Yukon River hinunter bis nach Dawson City.
Im Sommer kann man die Reise von Bennett bis Dawson Ciiy mit
dem Dampfer in 3 — 4 Tagen zurücklegen; im Winter auf Hundeschlitten
dürften 3 — 4 Wochen darüber vergehen. Für die Winterreise sind
jetzt auf der ganzen Strecke den Yukon entlang von der X. W. M. P.
Goldgräber mit Hundeschlitten.
(Polizei) Blockhäuser zur Aufnahme der Wanderer gebaut worden, und
zwar in einer Entfernung von je 3U miles oder 50 km von einander;
also immer eine Tagereise.
Der andere 4000 miles = 7500 km längere Weg, All wator routo
genannt, führt von San Francisco, Seattle oder Victoria um die Halb-
insel Unalaska herum nach St. Michael, von dort den Yukon River
hinauf nach Dawson City.
Dieser letztere Weg ist der bei weitem bequemere. Er hat aber
den grofsen Nachteil, dafs er erstens viel mehr Zeit in Anspruch
nimmt und zweitens wegen des Eises auf dem Yukon River und auf
dem Bering- Meer erst Anfang Juli von St. Michael angetreten
werden kann.
Das Buring-Meer in der Nähe der Yukon-Mündungen, die ein
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Delta bilden, und der ganze untere Laui des Yukon sind duroh die
von demselben mitgeführten Sandmassen versandet und für gewöhn-
liche Flufsdampfer unfahrbar gemacht
Aus diesem Grunde sind von den Amerikanern für jenen Zweck
besonders flachgehende Flufsdampfer, und zwar Hinterraddampfer
(Sternwheelers) gebaut worden.
Die im unteren Yukon befindlichen Sandbänke setzen jedoch auch
diesen Dampfern, selbst bei hohem Wasserstande, fast unüberwindliche
Schwierigkeiten entgegen.
Trotzdem diese Boote stets von einheimischen Indianer-Lotsen
geführt werden, die mit den Flufsläufen genau vertraut sind, bleiben
sie doch alle ohne Ausnahme von Zeit zu Zeit stecken, weil die Sand-
bänke nicht an demselben Platze liegen bleiben, sondern durch den
Strom von einer Stelle fortgerissen an die andere hingeschwemmt wer-
den und ihre Lage dadurch verändern.
Selbst die erfahrensten Lotsen werden auf diese Weise oft irre
geführt und fahren auf Sandbänke auf. Es ist nichts Ungewöhnliches,
dafs solch ein Dampfer 2, ja 3 Tage lang auf einer Sandbank sitzen
bleibt, und es erfordert meistens die allergrößten Anstrengungen, den-
selben wieder flott zu machen.
Ein anderer wunder Punkt der Yukon-Dampferfahrten ist der
Umstand, dafs zum Heizen keine Kohlen zur Verfügung stehen und
man auf das Holz der die Ufer bedeckenden Waldungen als Brenn-
material angewiesen ist.
Da solch ein grofser Flufsdampfer täglich 15 — 18 Klafter oder
36 Raummeter Holz zur Feuerung verbraucht, und bei voller Ladung
wegen des geringen Tiefganges, den er nicht überschreiten darf, nur
5 Klafter oder 10 Raummeter Holz aufnehmen kann, so ist es leicht,
sich einen Begriff davon zu machen, wie langweilig eine solche Fahrt
wird, während welcher mehrere Mal täglich gestoppt werden mufs, um
Holz einzunehmen.
Aus diesem Grunde haben sich an beiden Ufern des Yukon
nomadisierende Holzfäller niedergelassen, die an ihnen geeignet er-
scheinenden Stellen Bäume fällen, sohneiden, in Klaftern aufstellen,
und in ihren Zelten am Ufer die Ankunft eines Dampfers abwarten,
mit dessen Kapitän sie während der Vorbeifahrt wegen der Lieferung
und des Preises untorhandoln, und von dem sie Bestellungen für ihn
oder andere entgegennehmen.
Trifft der Dampfer zur geeigneten Zeit auf seiner Fahrt derartige
Holzniederlagen nicht an, so ist er für die Beschaffung des nötigen
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-
Brennmaterials auf seine eigene Mannschaft angewiesen. Der Dampfer
legt in solchen Fällen dann an bewaldeten Stellen an; die Mannschaft
begiebt sich an Land und beginnt nun mit dem Fällen und Sohneiden,
manchmal des Naohts bei elektrischem Licht.
Time is money, und deshalb werden in solchen Fällen die Passa-
giere des Dampfers von dem Kapitän aufgefordert mitzuarbeiten. Sie
erhalten Tür diese Arbeit 1,50 Doli, oder 6,00 Mk. die Stunde, und jeder
ist dabei willkommen.
Der erste auf -diesem Wasserwege, das heifst über St. Michael,
im Jahre 1898 angekommene Dampfer Monarch ist erst am 20. Juli in
Dawson City eingetroffen, und früher dürfte aus den vorher angegebenen
Gründen eine Ankunft auf diesem Wege kaum jemals zu erreichen
sein. Er hat die Fahrt von Seattle über St. Michael nach Dawson City
in 66 Tagen zurückgelegt.
Für meine Reise nach dem Klondyke-Gebiet habe ich den zwar
beschwerlichen und gefährlichen, aber auch kürzeren und interessanteren
Weg über das Gebirge und den Chilcoot-Pafs und von Lake Bennett
den Yukon hinunter gewählt.
Die Fahrt von Bremen nach New- York und von dort mit der
Great Northern-Eisenbahn nach Seattle bietet im März, in dem ich die
Heise machte, wenig Schönes und Interessantes.
Seattle, eine echte, westamerikanische Stadt, hat es verstanden,
fast den gesamten Durchgangsverkehr und Ausrüstungshandel nach
dem Norden an sich zu reifsen und hat dadurch die Eifersucht San
Franciscos, Tacomas und vor allen Dingen der kanadischen Häfen
und Handelsstädte Vancouvers und Victorias in hohem Mafse erregt
Seattle ist eine neue Stadt, die, ursprünglich ganz aus Holz er-
baut und vor ungefähr 12 Jahren vollständig niedergebrannt, wie ein
Phönix aus der Asche, neu erstanden ist. Mit breiten Strafsen,
schönen, in Sandstein ausgeführten Bauten und Häusern.
Echt westamerikanisches Leben und reger Geschäftsverkehr, die
es von Tacoraa, der eigentlichen Regierungshauptstadt des Staates
Washington vorteilhaft unterscheiden, verleihen der Stadt ein grofs-
städtisches Gepräge, wozu nicht wenig ihre grofsen Hafenanlagen, die
elektrische Beleuchtung und die nach allen Richtungen der Windrose
verkehrenden Elektrischen- und Drahtseil -Strafsen bahnen beitragen.
Die Kunst wird im fernen Wild-West sehr stiefmütterlich be-
handelt, und ihre einzigen Tempel, die Theater, sind meistens der aller-
niedrigsten Art, die auch zum Teil in Kellern sich befinden.
Die Reklame treibt hier die sonderbarsten Blüten. So hat ein
Himmel uml Eide l*J». XI. 7. »>0
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300
schlauer Yankee, der eine Fabrik präparierter Eier hat, die für die
Prospektors in Alaska besonders bestimmt waren, seine Konkurrenz
daduroh aus dem Felde geschlagen, dars er die Lacher auf seine Seite
zog. Er hat einen etwa 10 Fufs grofsen, recht natürlich aussehenden
Hahn mit Kamm und Sporen an einer Kette in der Stadt umherführen
lassen. Der Führer des Hahns trug ein Reklameschild, auf dem die
Vorzüge der präparierton Eier hervorgehoben waren, während der
Hahn, in dem sich ein zweiter Mann befand, von Zeit zu Zeit laut
krähte, mit den Flügeln schlug, und danach ein Straufsenei legte, das
aber nicht auf die Erde fiel, sondern an einer Kette hängen blieb und
dann wieder eingezogen wurde. Ganz Seattle sprach während einiger
Tage nur von diesem Hahn, und das war der Zweck der Vorführung.
Nirgends besser als in Seattle kann man das Goldfieber beob-
achten. Alle sind davon ergriffen, keine Klasse der Bevölkerung ist
davon ausgenommen. Advokaten verlassen ihre Bureaux, Richter
nehmen ihre Demission, Ärzte lassen ihre Kranken im Stich, Polizisten
verlassen ihre Posten, Matrosen desertieren von ihren Schiffen, Berg-
leute von Profession, ja selbst Besitzer guter Goldgruben in anderen
Gegenden lassen die Beute für einen Schatten, für die Aussicht im
Stich, um nach Alaska zu gehen.
Als der Dampfer Portland, dessen Rückkehr aus dem Norden
von einer Zeitung, dem Seattle Post Intelligencer, vorher angemeldet
war, im Hafen anlegte, war eine grofse Menschenmenge zusammen-
gelaufen, um die zurückgekommenen Goldsucher zu begrüfsen.
Grenzenloses Erstaunen bemächtigte sich der Zuschauer, als sie
die Ankömmlinge über die Landungsbrücke schreiten sahen, welche
sich buchstäblich unter der Last der Goldsäoke bog, die diese nie-
mandem anvertrauen wollten. Es waren Leute, die man gegen Ende
des vorhergehenden Jahres ohne Mittel oder doch wenigstens ohne
Vermögen hatte abfahren sehen.
Einer hatte 20 000, der andere 50 000, wieder andere mehr als
100 000 Dollars, und alle waren noch Besitzer goldhaltiger Claims im
Klondyke Gebiet, welche auszubeuten sie kaum angefangen hatten.
Der gesamte Wert des auf dem Portland mitgebrachten Goldes war
mehr als eine Million Dollars.
Denselben Tag noch wurden die Hiindler von Ausrüstungsgegen-
ständen, Lebensmitteln, Werkzeugen u. s. w., die Schuster und andere
mit Aufträgen überhäuft.
Die Dampfschiffahrts- Gesellschaften rüsteten alle, selbst ihre
ältesten Boote für den Zug nach dem Norden aus. Mehr als 50 000
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Worte wurden an diesem Tage durch die Telegraphen-Bureaux in
Seattle telegraphiert, als Antworten auf die Anfragen, die aus allen
Teilen der Vereinigten Staaten eintrafen. Die Strafsen boten eine selbst
hier ungewohnte Belebtheit dar. Die Biirgersteige waren versperrt
durch die Säcke, Kisten, Sohlitten, Deoken und Waffen, Pelze und Felle.
Überall sah man neugebackene Miners oder Goldgräber und
solche, die es werden wollten, die um die Preise feilschten, die Ver-
packung beaufsichtigten, oder Pferde, Esel und Hunde besichtigten,
alte erfahrene Miners dagegen, die inmitten neugieriger Gruppen
erzählten und ihre Abenteuer zum besten gaben, aus ihren Taschen
die schönsten Goldklumpen zeigten, und den besten einzuschlagenden
Weg erklärten, welchen man vor den Schaufenstern der Papierge-
schäfte auf den ausgehängten Karten studierte, in der Freude über
die Rückkehr und im stolzen Gefühl des Erfolges ganz uneingedenk
der Leiden und des Elends, denen sie auf der Jagd nach dem Glück
ausgesetzt gewesen waren.
Seattle ist das Emporium der Klondyke Outfitters oder Ausrüster,
und seine Kaufleute und Handelsherren haben bezüglich des Handels
mit Alaska reiche Erfahrungen gesammelt. Man kann sich hier für
die Reise naoh dem Norden in jeder Beziehung besser und dazu nooh
billiger ausrüsten, als irgend wo anders in den Vereinigten Staaten.
Die Abfahrt der fast täglich nach dem Norden abgehenden
Schiffe bietet einen sehr interessanten Anblick. Heute geht ein ele-
ganter Passasrierdampfer ab, morgen ein alter Schooner, der notdürftig
für diesen Zweck in stand gesetzt ist, alle bis auf den letzten Platz
gefüllt mit Miners und deren Habseligkeiten.
Die letzte Nacht vor der Abfahrt wird gewöhnlich zwischen
Kisten, Kasten und Säcken auf der Schiffsrhede zugebracht, um nur
ja den Anschlufs nicht zu versäumen. Auf den Schiffen riohtet sioh
jeder so gut wie möglich ein, aber trotz sehr hoher Fahrpreise ist
von Bequemlichkeiten irgend welcher Art nichts vorhanden. Klassen-
unterschiede sind aufgehoben, und es giebt nur einen Preis. Die In-
haber der ersten Fahrscheine nehmen sich die Kajüten, während die
übrigen mit dem Zwischendeck vorlieb nehmen müssen.
Stundenlang vor der Abreise sammelt sich eine Menge von
Freunden und Neugierigon an, und ebenso kommen die zukünftigen
Miners, denen es noch nicht gelungen ist, einen Platz auf diesem
Schiff zu erkämpfen, und die auf die nächste Gelegenheit für die Ab-
reise warten.
Die, welche abfahren, haben strahlende Gesichter, als wenn die
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Millionen, welche sie ersehnen, schon ihr eigen wären. Eine nicht
zu verkennende Unruhe und Nervosität bemächtigt sich aller, je näher
die Stunde der Abfahrt heranrückt.
Die jungen Miners führen stolz ihre Goldgräberanzüge und breit-
krempigen cowboy-Hüte spazieren, während die alten Erfahrenen die
Sache kühler betrachten und aufs Äufsere nichts zu geben scheinen.
Immer befinden sich einigt* Frauen an Bord, die glücklich dar-
über sind, die Aufmerksamkeit und das Interesse der Zuschauer auf
sich zu lenken. Sobald endlich das Pfeifensignal zur Abfahrt vom
Kapitän gegeben wird, setzt sich der Dampfer unter dem Hurra aller
Anwesenden laugsam in Bewegung. Letzte Grüfse worden ausge-
tauscht, Tücher und Hüte geschwenkt, und fort gehts hinaus ins Meer
dem ersehnten Goldland entgegen, das vielen Glück, manchem aber
auch Elend bringt
Die Fahrt zwischen den Inseln an der Westküste Kanadas ent-
lang ist wenig abwechselungsreich. Das Klima ist milde, und die
Küste, sowie die Inseln bilden eine Kette schön bewaldeter Hügel.
Auf unserer Fahrt kommen wir an Fort Wrangel und Juneau
vorüber und sehen hier die von den Indianern dem Ahnenkultus
geweihten sogenannten Totem poles. Dieselben sind 50 Fufs hoch,
aus Baumstämmen geschnitzt, und jedes der darauf übereinander dar-
gestellten Tiere bedeutet eine Generation, deren Stammvater den
Namen des Tieres (Frosch, Adler, Bär, Heiher u. s. w.) getragen hat
Nach .r) Tagen, manchmal auch schneller, je nach der Güte des
Schiffes, kommen wir in den Lynn Kanal, an dessen Nordende die
beiden amerikanischen Hitfen Skagway und Dyea liegen, nur 5 oder
6 km von einander entfernt und durch Dampfschiffe verbunden.
Skagway liegt am Ausläufer des White-Pafs, der nur 2900 Fufs
hoch ist, während Dyea zum gefürchteten Chilcoot-Pafs führt. Da ich
bei meiner Ankunft in Skagway erfuhr, dafs der Erdboden infolge der
milden Witterung südlich des Gebirges und durch den unausge-
setzten Verkehr Tausender mit Lasttieren grundlos und der White-Pafs
unpassierbar geworden war, entschloß ich mich, über den 3500 Fufs
hohen Chilcoot-Pafs zu gehen. Hier war der Schnee noch fest.
Skagway uud Dyea sind die letztun Stationen der Civilisation:
hier fängt die eigentliche Reiso erst an, bei der jeder auf sich selbst
angewiesen ist Von jetzt au wohnt und lebt man im Zelt, das täglich
aufgestellt und abgebrochen werden mufs. Man glaubt kaum, dafs es
in einem solchen dünnen Leinwandzelt auf dem Schnee so warm und
wohnlich sein kann, wie es in Wirklichkeit war. Nicht wenig trägt
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hierzu allerdings der Ofen bei, auf dem im Zelt gekocht und ge-
backen wird.
Dyea-river, der nicht tief war, roufste durchwatet worden. Wir
sehen auf dem Titelbild eine Gesellschaft von Sängerinnen nach Uawson
City unterwegs, um das metapborisohe Gold ihrer Stimmen gegen
wirkliches Gold umzutauschen. Für die eine, die keine Gummistiefel
hat, findet sich ein galanter Yankee, der sie Huckepack hindurch
trägt Später finden wir dieselben wieder, wie sie sich in ihren Zelten
häuslich eingerichtet haben.
Um einor Hungersnot vorzubeugen, hatte die kanadische Regie-
rung vorgeschrieben, dafs jeder Reisende 1000 Pfund, also 10 Zentner
Lebensmittel, wie Mehl, Speck, Bohnen, Erbsen, Reis, getrocknete Kar-
toffeln, getrocknete Früchte, Konserven u. s. w. mit sich führen mufs.
Die Entfernung von der Küste bis Lake Bennett, dem ersten
See, von dem an der Yukan sohiffbar ist, beträgt ungefähr 35 miles
oder 63 km.
Da ein Mann aber auf die Dauer nicht mehr als 1 ('entner tragen,
was nur die wenigsten leisten, und er außerdem mit einer solchen
Last kaum mehr als *20 km täglich fortkommen kann, braucht er
für 1 Ctr. 3, für 10 Ctr. 30 Tage im günstigsten Falle.
Da die Träger die mit Gepäck zurückgelegte Streeke immer wieder
zurückgehen mufsten, ist es nicht zu verwundern, wenn einige 2—3
Monate dazu gebraucht haben, ihr Gepäck über den Pars zu sohaffen.
Die meisten haben es so gemacht, dafs sie nicht den ganzen
Weg auf einmal zurückgelegt, sondern ihr Gepäck nach und nach
erst einige Meilen und so fort von Station zu Station weiter getragen
haben.
Es haben sich auf diese Weise den Weg entlang gewisserraafsen
Etappen gebildet, auf denen dann unternehmende Yankees fliegende
Wirtshäuser in Zelten eingerichtet haben, in denen man Kaffee oder
Thee und Brot kaufen konnte. Eine Portion kostete gewöhnlich
Mk. 2, am Hootalinqua sogar Mk. 3.
Die erste dieser Etappen lag 12,5 km von der Küste entfernt
und hiefs nach der Schlucht (Canyon), an der sie gelegen war, Canyon-
City. Die zweite hiefs Sheep Camp und lag schon 230 m hoch, 9 km
von Canyon-Cily entfernt Die dritte und höchste Etappe war auf dem
Summit oder Gipfel des Passes, wo auch die kanadische Regierung
ihr Zoll- und Steuerhaus eingerichtet hatte. Hier wurde einerseits
festgestellt, ob jeder die vorgeschriebene Menge Lebensmittel besafs,
andererseits wurde der dafür zu entrichtende Zoll erhoben.
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Aus Kanada kommende Reisende, die Ausweise darüber hatten,
dafs ihre Vorräte aus Kanada stammten, brauchten nichts zu entrichten,
während alle anderen Zoll zu bezahlen hatten, der 15 — 30 Prozent des
Wertes betrug-, also ziemlich erheblich war. Er betrug- für einen Mann
im Durchschnitt 90—100 Dollar, etwa 400 Mk.
Die Einfuhr von Wein, Bier und Spirituosen war im allgemeinen
überhaupt verboten und durfte nur mit besonderer Erlaubnis der
Regierung und in beschränktem Mafse stattfinden. Der Verkauf von
Spirituosen irgend welcher Art an Eingeborene, d. h. Indianer, ist unter
allen Umständon bei hoher Strafe verboten.
Bis Canyon-Citv, das ungefähr 200 Meter hoch gelegen ist, war
warmes Wetter gewesen, der Erdboden war infolgedessen weich, und
das Vorwärtskommen sehr erschwert Wege irgend welcher Art sind
nioht vorhanden, es geht vielmehr durch Urwald und Gestrüpp, über
Stock und Stein, Berg auf, Berg ab, über Abgründe, durch Flufsbetten
und Bäche mit eiskaltem Wasser.
Es hat einen eigentümlichen Reiz, so den Elementen und Natur-
kräften gegenüber auf sich selbst angewiesen zu sein, auf seine eigene
Kraft vertrauen zu müssen. Man mufs gesund, kräftig und aus-
dauernd sein.
Viele haben sich zu viel zugemutet. Die Reise stellt Gesund-
heit, Kraft, Mut und Ausdauer auf eine sehr harte Probe. Auf allen
Etappen von Seattle bis sogar zu den White-Horse-Rapids sind Leute
gewesen, die den Anstrengungen und Strapazen schliefslich doch nicht
gewachsen waren, oder die den Mut verloren hatten und die Flinte,
verhältnismäßig kurz vor dem Ziel, noch ins Korn warfen.
Sie verkauften, am Wege irgend wo Halt machend, ihre Aus-
rüstungen, für die sich immer Käufer zu guten Preisen fanden, und
traten dann den Rückweg an.
Es wurde mit einem Eifer, mit einer Ausdauer und mit einer
wahren Leidenschaft, die jeder Beschreibung spotten, an dem Hinüber-
schaffen der Lasten über den Pafs gearbeitet
Schlecht ist es den armen Tieron ergangen, die als Lastträger
benutzt und rücksichtslos ausgenutzt wurden, ja ihnen gegenüber
haben sich die Menschen Grausamkeiten und himmelschreiende Tier-
quälereien zu schulden kommen lassen, welche ein schwarzes Blatt
in der Geschichte über die Goldfunde der Amerikaner in Alaska
bilden.
Der Weg von Sheep Camp über den Pafs bis Lake Bennett war
mit Tausenden von Pferde-, Esel- und Hundeleiohen bedeckt von
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Tieren, die man zu Tode gearbeitet hatte, die unter ihrer Last zu-
sammengebrochen waren. Als der Schnee zu schmelzen begann, hat
die Polizei in Bennett an einem Tage in den Strafsen und in unmittel-
barer Nähe des Ortes 250 Kadaver zusammenschleifen und verbrennen
lassen, um eine Epidemie zu vermeiden; den groTsten Teil hatten die
überlebenden Hunde schon aufgefressen, die aus diesem Grunde von
ihren Besitzern überhaupt nioht mehr gefüttert wurden.
Sheep Camp war eine gröfsere Niederlassung mit vielen Zelt- und
Holzhäusern, Hotels, Kramläden und einigen tausend Zelten, in denen
die Goldgräber ihre letzten Vorbereitungen für das Überschreiten des
Passes trafen.
3 miles oder 5,5 km weiter, am Südabhange des Chilcoot-Passes,
lagen die Scales, sogenannt nach den Stufen oder Scales, die in das Eis
gehauen waren.
Hier von den Scales bis auf den Suramit oder Gipfel war eine
Drahtseilbahn für den Transport von Gütern gebaut, die aber oft nicht
funktionierte. Die Eigentümerin dieser Bahn, eine Gesellschaft, hat auch
den Transport von Gütern von der Küste an, also von Dyea bis zum
Summit übernommen, jedoch ohne jede Verantwortlichkeit; für Fehlen-
des kam sie nicht auf. Es mufsten dafür je nach dem Angebot 10
bis 40 Dollar pro Ctr. bezahlt werden, und zwar vorher. Es kostete
also auf diese Weise z. B. 1 Ctr. Mehl unter Umständen die Kleinig-
keit von 160 Mk. mehr.
Zu denselben Preisen wie die Gesellschaft haben auoh weifse
Im Qänjemarich über dem Cbilcoot-Fab.
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und indianische Lastträger Gepäck übernommen und befördert. Es
wurde von diesen oder den Goldsuchern selber über den Pafs ge-
tragen, den sie im (iänsemarsch, einer in die Fufstapfen des anderen
tretend, überschreiten mußten. Wurde einer müde, und wollte er sich
ausruhen, so mufste er links heraustreten, blieb dort ein Weilchen
sitzen und trat dann wieder in die Reihe ein, um weiter zu steigen.
Der Weg bis zu den Scales war nur allmählich ansteigend und
1
Letiter and hochiter Abichnitt du Chilcoot-Pafi mit SO Grad Steigung
ging in einem kleinen Bugen bis an dieselben heran. Der eigentliche
Aufstieg war gewissermaßen in zwei ziemlich gleiche Abschnitte geteilt,
von denen der untere der weniger steile war, und bei einer Steigung
von vielleicht 40° ungefähr bis zur halben Höhe führte.
Rechts davon befand sich der sogenannte Petersen-Trail, auf dem.
wenn auch mit Schwierigkeiten, Tiere emporklimmen konnten.
Der zweite und letzte Abschnitt war sehr steil, er hatte eine
Steigung von 60", wie aus unserem Bilde ersichtlich ist
Als ich am 23. April zum letzten Mal über den Pafs ging, lag
noch alles im tiefsten Winter, es herrschte ein fürchterlicher Schnee-
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stürm, und tausende von sogenannten Caohes, Plätze, an denen die
Goldsucher ihre Habseligkeiten aufgestapelt hatten, waren verschönet
und wie mit einem riesigen weifsen Tuch überdeckt, Sie mufsten mit
vieler Mühe und Gefahren erst aufgesucht und dann ausgegraben
werden, viele wurden überhaupt nicht wieder gefunden.
Kurze Zeit vorher war zwischen Sheep Camp und den Scales
eine Schneelawine niedergegangen und hatte 150 Argonauten ver-
schüttet und begraben, nur einige wenige sind lebend wieder ans
Tageslicht gebracht worden. Lawinen, die die Amerikaner Snow-
Slides oder Avalanches nennen, sind hier sehr häufig, an manchen
Tagen nimmt das schaurige donnerähnliche Krachen und Getöse, das
sie verursachen, kaum ein Ende.
Mit dem überwinden des Chilcoot-Passes war die schwerste
Arbeit gethan; ging es doch nun, in der Hauptsache wenigstens, berg-
ab. Am Xordabhange des Chilcoot-Passes, nur 100 m tiefer als der
Summit, liegt Crater-Lake, wie schon sein Name sagt, ein alter
Krater. Von hohen steilen Bergwänden ringsum eingeschlossen, liegt
der See, mit tiefem Schnee bedeckt und von schweren weifsen un-
durchdringlichen Schneewolken überzogen, in einer beängstigenden
Ruhe und Stille da, die durch keinen Laut unterbrochen wird. Eine
wahre Grabesstille.
Eine tiefe Schwermut und Melancholie beschleicht uns, derer wir
kaum Herr werden können.
Bis zu dem 16 miles oder 29 km entfernten Lake Bennett ist
dann der Weg. der auf Schlitten zurückgelegt wird, verhältnis-
mäfsig leicht. Er geht allmählich bergab, über Long Lake und Deep
Lake. Über den 11 km langen Lake Lindermann lassen wir die
Hunde frei laufen und fahren mit Segeln über das Eis.
Lake Linderraann ist ein schöner See, auf beiden Seiten von
hohen dichten Waldungen umgeben; er würde sich vorzüglich dazu
eignen, an ihm die zum Befahren des Vukon nötigen Boote zu bauen.
Aber die Wasserscheide zwischen Lake Lindermann und Lake Bennett
ist ein flacher Hügel, den ein schmaler Flufslaul mit reifsenden Strom-
schnellen durchschneidet, die dadurch sehr gefährlich sind, dafs sich
in ihnen viele Felsen und Riffe belinden.
Waghalsige, die trotz aller Warnungen ihre Boote auf Lake
Lindermann gebaut und versucht haben die Stromschnellen zu durch-
fahren, haben dies zum Teil mit ihrem Leben, viele aber mit dem Ver-
luste ihrer Habseligkeiten bezahlen müssen.
Bei meiner Ankunft in Lake Bennett am 1. Mai war noch alles
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in tiefen Schnee gehüllt, bald aber wehten laue Frühlingslüfte, die
nicht nur Schnee und Eis in kurzer Zeit schmolzen, sondern auch mit
Hilfe der Sonne, wie durch Zauber, eine üppige sohöne Pflanzenwelt
zum Loben erweckten und erblühen liefsen.
Von Lake Bennett aus ist der Yukon schiffbar. Ich hatte des-
halb hier mein Zelt für einige Wochen aufgeschlagen, um meine Boote
zu bauen. Bennet war eine grofse Niederlassung mit Wirts- und
Gasthäusern, Verkaufsläden und sogar einer Kirche, alles in Zelten.
Auch eine Dampfsägemühle war hier errichtet, in der man Bretter und
Balken zum Bau seiner Boote kaufen konnte. Der Preis der Bretter
war 25 cts = 1 Mk. Für den Quadratfufs, während solche Bretter
(1 Zoll stark) sonst vielleicht 10 Pf. kosten, hier also das Zehnfache.
Es haben deshalb auch die meisten Goldsucher vorgezogen, die
Bäume selber zu fällen und die Bretter selbst zu schneiden. Nach-
dem die Bretter über das Gerippe oder Gestell des Bootes genagelt
waren, gings ans Kalfatern; die Fugen wurden mit geteertem Werg
verstopft und mit Pech vergossen, um sie dicht zu machen.
Die von der North West Mounted police (Polizei) ausgestellten
Free Miners Certificates, die je 10 Doli, kosteten, berechtigen zum
Goldsuchen, zum Fällen von Bäumen für Bau und Brennzwecke, zur
Ausübung der Jagd und zum Fischen.
Bennet sah aus wie eine ungeheure Boot- Bauanstalt, in der
Tausende arbeiten, und zwar alle sehr einsig. Dio Boote wurden, der
Zahl der Mitreisenden entsprechend, grofs oder klein gebaut oder auch
in Form von Fähren; alle waren mit Rudern und Segeln versehen;
der Bau wurde immer gewissenhaft ausgeführt, handelte es sich doch
ums eigene Leben und die eigene Sicherheit.
Mahlzeiten und Lebensmittel u. s. w. waren hier schon so teuer
wie in Dawson City. Frühstück, Mittagbrot und Abendbrot mit Thee,
Kaffee oder Kakao kosteten je 1,50 Doli. = 6 Mk., weshalb es natür-
lich dio meisten vorzogen, ihre Mahlzeiten, wie auf dem Anfang der
Reise, selbst zu bereiten.
Auch 2 Dampfschiffe, die auseinandergenommen über den Pafs
geschafft worden waren, wurden hier zusammengestellt und haben
Passagiere für 100 Doli, oder 425 Mk. nach Dawson City gebracht;
bei diesem Preis war Verpflegung nicht eingeschlossen, die Passa-
giere konnten sich dieselbe auf dem Dampfer selbst bereiten oder zu
den bekannten Preisen kaufen.
(Schlüte folgt.)
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Nicolaus Coppernicus.
Von Professor M Curtze in Thoni.
(Fortsetzung.)
II. Mannesjahre.
ach der Beilegung der drohenden Kriegsgefahr wandte sich die
Thätigkeit Sigismunds den innerpolitischen Aufgaben zu. Als
™ wichtigste erschien die Wiederinangriffnahme der Münzregulie-
rung. Anfang 1526 erliefs der König eine Verordnung, nach der die alte
Münzo einer neuen, nur in einer Münzstätte für ganz Preufsen geprägten
zu weichen habe und mit der ebenfalls zu erneuernden polnischen
Münze zweoks allgemeiner Geltung in Übereinstimmung zu bringen
sei. Der Herzog erbat sich Frist; auf dem nach Ablauf derselben zu-
sammenberufenen Landtage fehlte jedoch sein Bevollmächtigter zur
großen Befriedigung der Städte, welche sich durch den Fortfall ihres
Münzrechtes in ihren Privilegien gesohädigt fühlten. Auch auf den
späteren Tagfahrten befolgten seine mit unzureichenden Vollmachten er-
schieneneu Abgesandten die gleiche Verschleppungspolitik. Die grofse
Wichtigkeit der Materie veranlasste Ferber, als Präses der Stände, von
dem sachkundigen Coppernicus eine Neubearbeitung seines früheren
Gutachtens zu begehren. Um 15*26 lieferte sie Coppernicus, und
zwar nunmehr, da sie auch zur Benutzung seitens der polnischen Ver-
treter bestimmt war, in lateinischer Sprache. Wir finden darin ein-
zelne Erweiterungen. So begründet der Verfasser den Gebrauch von
Legierungen mit der geringeren Abnutzung und der Erhaltung einer
untern Grenze für die Gröfse auch geringwertiger Geldstücke. Die
schleichende Wirkung der Geldverschleohterung stellt er in erster
Linie mit unter die Ursachen des Niederganges blühender Reiche, und
exemplifiziert dies auf Preufsen, wo jetzt bereits — eine neue Ver-
schlechterung gegen die Zeit seiner ersten Denkschrift — ein Pfund
Feinsilber 30 Mk. gelte, statt früher 2 ungarische Gulden. Inzwischen
sei ja auch das teuere Vaterland von seinem früheren Wohlstande
herabgesunken ins tiefste Elend. Würde man dem Verderben nicht
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bald Einhalt gebieten, so würde mit dem völligen Verschwinden des
Silbers aus der Münze auch der gesamte Außenhandel aufhören. Die
befürchtete Vermehrung des Druckes auf die zinspfliohtigen Bauern
widerlegt er damit, daß diese nicht nur ihre Abgaben in besserer
Münze zu leisten hätten, sondern auch ihre Produkte in dieser ver-
werten würden. Es folgen seine Vorschläge betreffs Einrichtung nur
einer einzigen Münzstätte für jeden der beiden Teile Preufsens, welche
dann an dem einmal festgesetzten Feingehalt unverbrüchlich festzu-
halten habe, und Einziehung des alten Oeldes ohne Scheu vor dem
Verluste des Einzelnen. Für die Regelung laufender Verpflichtungen
aus Kontrakten über Geldgeschäfte müfste allerdings, um Härten zu
vermeiden, ein besonderer Modus gefunden werden. Sohliefslich
schlägt Coppernicus vor, das Wertverhältnis Gold zu Silber auf
1 zu 12 festzusetzen.
Auf fast allen dazu einberufenen Landtagen vertrat Copper-
nicus diese seine Ansicht als Deputierter des Bistums. Nach mancher
Verschiebung infolge der schon erwähnten Verschleppungspolitik
Herzog Albrechts kam endlich am 7. Mai 16-28 zu Marienburg
wenigstens eine teilweise Übereinkunft im Sinne des Coppernicani-
schcn Gutachtens zu stände. Unter ausdrücklicher Anerkennung der
slädtischen Privilegien wurde die neue Münzstätte unter königlichen
Münzmeistern eröffnet. Allein das neue Geld gelangte nur sparsam
in den Verkehr, die alten Stücke kursierten weiter, und die Folge
war eine heillose Verwirrung. Weder mehrere außerordentliche Tag-
lährten noch eine ordentliche Versammlung vermochten Hilfe zu
bringen. Der einzige Beschluß von einiger Bedeutung betraf die Be-
tonung der Sonderstellung Preußons in der Umschrift der neuen
Stücke. Die Autorität der Landtage erwies sich also zu schwach,
um dem Uralaufsverbot des minderwertigen Geldes Nachdruck zu
geben. Ebensowenig gelang das auf dem polnischen Reichstage.
Das Mandat König Sigismunds betreffs der Außerkurssetzung, ob-
gleich es alle mit einander widerstreitenden Interessen zu vereinigen
suchte, ging ebenfalls wirkungslos vorüber. Da entschloß man sich
1630 zu einer Ausschufssitzun^ der preußischen Stände. Auch zu dieser
wurde Coppernicus, wie wohl zu allen vorhergehenden Verhand-
lungen, deputiert, während der Bischof durch Kränklichkeit am Er-
scheinen verhindert war. Zum Begleiter erhielt er diesmal den Dom-
herrn Alexander Sculteti an Stelle des anderweit in Anspruch ge-
nommenen, ebenfalls in die Materie eingeweihten Domherrn Felix
Reich. Die pessimistische Anschauung unseres Nicolaus, die er
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317
diesem letzteren schon früher vor zwei Jahren brieflich mitgeteilt hatte,
behielt recht. Wieder sprengte des Herzogs Festhalten an seinem eige-
nen Münzfufs die glücklioh begonnene Verständigung. Nicht geringere
Schuld daran mifst Coppernicus auch den starken Geldforderungen
Sigismunds bei, deren Last neben den Kosten der Münzregulierung
nicht zu erschwingen war.
Soviel uns bekannt, bildet dieso Verhandlung den Abschlufs der
langjährigen Thätigkeit Coppernicus' in diesen unfruchtbaren Ange-
legenheiten. Daneben diente er dem Kapitel anderweit. Als Nun-
cius capituli bereiste er die früher von ihm verwalteten Ämter zu
Revisionszwecken und führte die eingezogenen Gelder zur Kathedrale
ab. Er vertrat, wie auf den ermländischen Landtagen, das Kapitel
auch bei Festsetzung einer neuen Landesordnung für das Bistum.
Ja mit einem so heterogenen Gegenstande, wie der Aufstellung einer
Brottaxe für das Kapitelgebiet, deren Geltung nachher auf die ganze
Diöcese ausgedehnt wurde, sehen wir ihn beschäftigt. Er zeigt sich
auch in ihr als der genaue und gewiegte Mathematiker, den wir in
seinem Hauptwerke bewundern.'--') Viel wichtiger aber als alles andere
ist für uns der offene Brief des Astronomen Coppernicus an seinen
einstigen Studiengenossen Bernhard Wapowski, das Gutachten über
Johannes Werners Präcessionstheorie.
Im Jahre 1522 hatte der Nürnberger Geistliche und zugleich
tüchtige Mathematiker Johannes Werner ein Werk „de motu
octavae sphaerae" erscheinen lassen,25» in weichern er über die im
Geiste der Trepidationstheorie vermuteten Unregelmäfsigkeiten der
Präcession der Äquinoctialpunkte sich verbreitete. Nach seiner Mei-
nung war das Vorrücken derselben von Ptolemaios bis auf Alfons
den Weisen in schnellerem Tempo erfolgt, als von Alfons bis auf
seine Gegenwart, während er für die 400 Jahre zwischen Eudoxos
und Ptolemaios eine Konstanz der Bewegung erweisen wollte.
Trotz der willkürlichen Behandlung der zu Grunde liegenden Beob-
achtungen früherer Forscher fand das Werk grofsen Anklang und
schnelle Verbreitung. Auch der frühere Studiengenosse des in astro-
-'-') Veröffentlicht von M. Curtze im 1. Hefte der Mitteilungen des Cop-
pernicus-Vereins zu Thorn, S. 47-51.
Sie umfafst Blatt 45— % des Druckes: „In hoc opere haec continentur.
Libellus Joaunia Verneri Nurembcrgen. Super vig-inti duobus elemenüs co-
nicis . . . Eiusiiem Joannis de motu octavae Sphaerae, Tractatus duo. Eiusdein.
Suiumaria enarratio Theoricae motus octavae Sphaerae". Am Ende: rImpressura
Nurembergae per Fridericum Peypus, Impensis Lucae Alantse Civis et Biblio-
polae Vienuensis. Anno M.D.XX1I-.
318
nomischen Kreisen allmählich zu hohem Ansehen gelangten Frauen-
burger Domherrn war in den Besitz eines Exemplars gelangt und
wandte sich an diesen, um ein sachverständiges Urteil über den Wert
der Werner sehen Anschauungen zu erhalten. Schon die lange Reihe
von Coppernicus" in seinem Hauptwerke verwerteter eigener Beob-
achtungen aus den Jahren 1523 — 1527 deutet auf die jetzt gröTsere
Mufse desselben zur Wiederaufnahme seiner Lieblingsforschungen.
So wandte er auch dem übersendeten Werke eingehende Aufmerk-
samkeit zu; das Resultat war eine, allgemeines Aufsehen erregende,
vernichtende Kritik seines Inhaltes in der damals üblichen Form
solcher Mitteilungen, einem offenen Briefe, eben unserem Wapowski-
briefe. Zunächst lobt der Referent Werners Eifer für die Wissen-
schaft, wenn er sich auch auf falschem Wege befände; und entschul-
digt sein Unterfangen, Fehler nachweisen zu wollen, ohne Besseres
an seine Stelle zu setzen. Als des ersten zeiht er den Verfasser der
um 11 .Jahre irrigen Datierung einer Ptolemäischen Beobachtung, was
bei Beurteilung von Bewegungserscheinungen natürlioh von grofsem
Einflufs sein müsse. Von diesem Nebengebiete wendet er sich aber
bald zur Widerlegung der gesamten Anschauungsweise Werners.
Wenn, wie die Trepidationstheorie will, die Äquinoctialpunkte aufser
ihrem Umlauf um den Weltmittelpunkt noch Kreise in einer zu ihrer
Verbindungslinie senkrechten Ebene beschreiben, dann sind Zeiten
jahrhundertelanger Präcessionskonstanz mit mittleren Werten ausge-
schlossen. Vielmehr müssen mit Perioden scheinbarer Konstanz, aber
mit größtmöglich verschiedenen Werten für die jeweiligen Ge-
t 3 t
schwindigkeiten in den Zeiten und — wenn uns diese all-
gemeine Bezeichnung erlaubt ist, und wir die Uralaufszeit t im Tre-
pidationskreise vom aufsteigenden Knoten an rechnen — Perioden
von Verlangsamungen und Beschleunigungen in den zwischenliegenden
Zeitteilen regelmäßig abwechseln.
Ferner wird ein Astronom, dessen benutzte Einzelbestimmungen
in mit t oder Vielfachen von t übereinstimmenden Zwischenräumen
stattfinden, natürlich den vollen Eindruck der Gleichförmigkeit von
dor Bewegung erhalten, während Einzelbestinimungen zu den Zeiten
* und t ganz andere Resultate als zu den Zeiten * und f t be-
<£ ob
ziehungsweise o und ^ gemachten Beobachtungen ergeben werden.
Trotz seiner infolge des Fehlens allgemeiner Zahlenbezeichnung
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schwer verstandlichen Ausdrucksweise zeigt Copp ernicus bei diesen
Untersuchungen schon ein richtiges Verständnis vom Wesen einer
Function und davon, dafs für eine solche in der Nähe eines Maximums
oder Minimums die Änderungsgeschwindigkeit unendlich klein wird.
Herbe wendet er sich gegen Werners Verfahren, der zu Gunsten
seiner vorgefafsten Meinung den alten Astronomen Beobachtungs-
fehler von einer Qröfse untergeschoben hätte, wie sie nur bei grober
Unachtsamkeit möglich seien, stall infolge dieser Abweichungen seine
Theorie nochmals auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Schliefslich ver-
spricht er an anderer Stelle seine eigenen Ansichten zu entwickeln;
und wenn im Anfange des dritten Buches der Revolutiones auch die
bei Gelegenheit seiner sogenannten dritten Bewegung der Erde auf-
tretende Libration im Principe noch der irrigen Trepidationslehre
völlig entspricht, obwohl sie hier von höheren Gesichtspunkten ge-
tragen wird, so mufste doch nach seiner Darlegung ihrer geome-
trischen Folgen eine nur höchstens einige Jahrzehnte hindurch an-
dauernde Beobachtung mit genügend feinen Instrumenten die Frage
nach ihrem Dasein zur Entscheidung bringen.24)
Der chronologischen Folge nach gehört an diese Stelle die
Erwähnung des Elbinger Fastnachtspiels, wenn wir dieses auch zur
Charakteristik für die erste Aufnahme der neuen Ideen gern anders-
wo gebracht hätten. Starawolski, der bei Broscius Einsicht in
den Briefwechsel zwischen Giese und Coppernious genommen
hatte, erwähnt kurz, zu Fastnaoht 1531 habe ein Ludimagister in El-
bing Coppernicus und seine Lehre in einem Possenspiele ver-
spottet. Im lutherisch gesinnten Elbing mufste ein Scherz auf Kosten
des auch durch die versuchte Münzreform mit ihren Eingriffen in die
städtischen Privilegien nicht gerade beliebter gewordenen, katholischen
Domherrn doppelte Aussicht auf Erfolg haben ; und schon genug
Bruchstücke von der selbst für in anderen Anschauungen aufge-
wachsene Hochgebildete der Zeit schwer verständlichen Lehre waren
aus privatim unterrichteten Gelehrtenkreisen vor der Drucklegung
der Revolutiones zum Volke durchgesickert, um der urteilslosen
Menge Stoff zum Lachen zu geben. Starawolskis Ludimagister
scheint nach anderen Quellen der vor der Inquisition entflohene
Holländer Wilhelm Gnapheus, später der erste Rektor des Elbin-
ger Gymnasiums, gewesen zu sein. Damals eben erst angelangt,
sah und gestand er später seinen Missgriff bei genauerer Bekannt-
Ml Man vergleiche hierzu die Abhandlung S. Günthers im 2. Helte dor
Mitteilungen des Coppemicus-Vereins über diesen Gegenstand.
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320
schaft mit Coppernicus' Ideen ein. In seinen im Druck erschiene-
nen Schriften ist auch jede derartige spöttische Anspielung sorgfältig
getilgt. Der ebenfalls zu derselben Fastnachtszeit in anderweiten
Aufzügen beleidigte Bischof Mauritius suchte vergebens von dem
Rate Genugthuung zu erhalten. Auch eine Beschwerde bei Sigis-
mund fand nicht die erhoffte nachdrückliche Berücksichtigung.
Die Krone Polens fand ja bei ihren naturgemäfsen Polonisierungs-
bestrebungen in dem neuerworbenen Lande und ebenso im Ermlande
harten Widerstand; kein Wunder also, dufs Ferbers Beschwerde ge-
ringes Entgegenkommen fand. Während die weltlichen Stände des
polnischen Preuteen für ihre Absonderungspolitik, welche augenblick-
lich hauptsächlich auf Verweigerung der Kriegshilfe an Polen hinaus-
lief, einen Vorwand an den steten Kriegsdrohungen Deutschlands zur
Rückgewinnung des früheren Besitzstandes und Wiedereinsetzung des
Ordens fanden, widerstanden Bischof und Kapitel Ermlands ihrerseits
beharrlich den Treibereien, welche durch die Neubesetzung erledigter
Pfründen durch Polen eine allmähliche Polonisierung des Kapitels
bezweckten, dem sonst nicht beizukommen war. Da gab die beab-
sichtigte Einsetzung Gieses zum bischöflichen Coadjutor dem Polen-
könige einen rechtlichen Grund zum "Eingreifen. Es entwickelten
sich die schon oben erwähnten Streitigkeiten zwischen Giese und
dem Halbpolen Dantiscus; mit des letzteren Siege gewann die
Krone die Anwartschaft auf eine zukünftige Besetzung der ermländi-
schen Kathedra durch eine verläßliche, ihr ergebene Persönlichkeit
und damit auch auf den erstrebten Einflute im Schotee des Kapitels.
Die eifrige Parteinahme für seinen Herzensfreund Giese trug Cop-
pernicus aber der ihm einst ebenfalls ziemlich nahe stehende Dan-
tiscus wohl auch in Zukunft nach, und die letzten Lebensjahre des
Greises sollten durch diese später nochmals verschärfte Gegnerschaft
seines Bischofs verbittert werden.
In den Anfang der dreifsiger Jahre fällt wohl auch noch die
Abfassung des „Coinmentariolus de hypothesibus motuum cae-
lestium". Lange Zeit hatte man bei des Coppernicus oft betonter
Zustimmung zu dem bekannten Gesetze des Pythagoras, den Zu-
gang zu dem Heiligtum der Wissenschaft nur den berufenen Jüngern
zu gestatten, Nachrichten über schriftliche Fixierung seiner Lehre und
abschriftlich« Versendung an Interessenten vor der Drucklegung der
Revolutiones von der Hand gewiesen. Da fand sich 1878 zufällig in
der Wiener Hof- und Staatsbibliothek eine Abschrift des Commenta-
riolus und später eine zweite zu Stockholm, durch welche die ange-
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zweifelte Nachricht als richtig bestätigt wurde. Auch alle Vorarbeiten
zu demselben zeigten sich jetzt als in den einst von Coppernicus
besessenen Büchern der Upsalenser Bibliothek erhalten.25) Copper-
nicus hat darin nach einem Rückblick auf die früheren Erklärungs-
versuche der Himmelserscheinungen für befreundete Gelehrte einen
kurzen Abrifs seiner heliocentrischen Lehre niedergelegt. Voran
gehen sieben Axiome, nach denen es 1. nur einen Mittelpunkt der
Bewegungen der Himmelskörper giebt, dieses 2. nicht das Erdzentrum,
um welches nur der Mond kreist, sondern 3. die Sonne ist 4. Ist
die Fixsternsphäre so weit ontfernt, dafs man ein Verhältnis zwischen
ihrem Abstand und planetarischen Entfernungen nicht auszudrücken
vermag, und der Himmelsumschwung ist 5. nicht die Folge einer
Eigenbewegung dieser Sphäre, sondern die einer Axendrehung der
Erde, wie sich 6. auch die scheinbare Sonnenbewegung und 7. die Ver-
wickelung der planetarischen Läufe aus einem Umlauf der Erde um die
Sonne, nicht aus Eigenbewegungen der betreffenden Körper wenigstens
hauptsächlich erklären lassen. Darauf folgt eine kurze spezielle
Darstellung und Erklärung der einzelnen Bewegungsvorgänge ohne
das grofse wissenschaftliche Material des Hauptwerkes, und freudig
bewegt schliefst der Verfasser mit der Bemerkung, dafs so nur 34
Kreisbewegungen den ganzen verwickelten Reigentanz der Gestirne
klar zu legen vermögen.
s») Man sehe die Ausgabe durch M. Curtze im 1. Heft der Mitteilungen
des CoppernicuB-Vereins zu Thorn und diejenige von Arvid Lindhagen im
Bihang tili K. Svenska vet Akad. handlingar Band 6 No. 12 Stockholm 1881.
(Fortsetzung folgt.)
Himmel und Eni«. 1889. XI. 7
IM
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Nachtrag zu: Die Temperatur der Sonne.
Von Prof. Dr. J. Scheiner in Potsdam.
uf Seite 452 (X. Jahrgang) meines Aufsatzes über die Tempera-
tur der Sonne habe ich einen Rechenfehler begangen; es mufs
daselbst heifsen (letzter Absatz): Es ist dies 1/2 4 • • • anstatt
~\/rk. Dadurch ändern sich die auf Seite 453 für den Einflufs einer
Temperaturänderung der Sonne auf die mittlere Temperatur der Erde
gegebenen Zahlen sehr stark; dieser Einflufs wird so grofs, dafs die
weiteren Schlußfolgerungen bis zum letzten Absatz auf Seite 453, deren
Sinn nicht geändert wird, als ganz selbstverständlich erscheinen.
Die Verbesserung dieses Fehlers, auf den mich Herr E. Dubois
freundlichst aufmerksam gemacht hat, wirkt aber stark modifizierend
auf das auf Seite 453 kurz berührte Nebenresultat, daß die periodi-
schen Klimaschwankungen, wie sie durch die Eiszeiten angedeutet
sind, nicht durch die Änderungen der Sonnentemperatur hervorgerufen
sein könnten, und ich möchte deshalb nunmehr etwas näher auf diesen
Punkt eingehen. •
Die Ansicht, dafs die Eiszeiten durch Variationen der Sonnen-
temperatur erklärt werden könnten, ist zuerst von E. Dubois aus-
gesprochen worden. Diese Theorie erscheint aber zuerst unwahr-
scheinlich, da man wohl allgemein glaubt, dafs hierzu sehr starke
periodische Schwankungen der Sonnentemperatur erforderlich wären.
Die exakte Rechnung lehrt aber, dafs diese Schwankungen keineswegs
stark zu sein brauchen.
In dem angegebenen Aufsatze war gezeigt worden, dafs eine
Abnahme der Sonnenstrahlung um rund V9 ihres Betrages genüge,
um für Mitteleuropa eine neue Eiszeit herbeizuführen. Diese Zahl
war durch folgende Betrachtung ermittelt Nach Zenker würde die
mittlere Temperatur der Erdoberfläche ohne die solare Bestrahlung
— 73° betragen, d. h. boi dieser Temperatur findet Gleichgewicht
zwischen der Ausstrahlung der Erdoberflächenwärme in den Welten-
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323
räum und der Zuführung der Wärme aus dem Erdinnem statt Die
mittlere Temperatur der Erde beträgt 4-16°, die Sonnenstrahlung be-
wirkt also einen Effekt von 88<>. Eine Abnahme dieses Effektes um
V9 würde die mittlere Temperatur von Mitteleuropa, die jetzt etwa
-f 10° beträgt, unter den Nullpunkt bringen und damit eine Eiszeit
herbeiführen.
Nach dem Stefan sohen Gesetze entspricht nun einer Strahlungs-
änderung um V9 eine Tomperaturänderung des strahlenden Körpers
um rund 3%, demnaoh für unseren wahrscheinlichsten Wert der Sonnen-
temperatur von 8600° ungefähr 260°. Das ist überraschend viel weniger,
als man sich früher vorgestellt hat, und in Anbetracht der starken
lokalen Veränderungen, denen die Photosphäre ständig unterworfen
ist, mufs man sich umgekehrt eigentlich über die Konstanz der mitt-
leren Erdtemperatur wundern.
Ich nehme natürlich nicht an, dafs die ganze Sonnenmasse perio-
dischen Temperaturschwankungen von dem angedeuteten Betrage
unterworfen sein könnte, sondern dafs dieselben sich nur in der
Atmosphärenschicht, als welche die Photosphäre zu betrachten ist, ab-
spielen. Die Masse der Photosphäre ist gegenüber der Sonnenmasse
verschwindend gering, sodafs ibre Temperatur durch Ausstrahlung
sehr schnell heruntergehen könnte, wenn aus irgend welchen Ursachen
die Wärmezufuhr aus dem Innern im ganzen oder lokal periodischen
Abschwächungen unterworfen wäre. Ich möchte nur andeuten, dafs
auch andere variable Ursachen mitwirken können, wie z. B. Verän-
derungen der Absorption innerhalb der obersten Schichten der Photo-
Bphäre und Veränderungen des Emissionsvermögens.
Es steht demnach die erforderliche Oröfse der periodischen
Strahlungsschwankungen nicht im Widerspruche mit den Thatsachen
auf dem Gebiete der Sonnenphysik, und es bleibt nur noch die Frage
offen, ob überhaupt Schwankungen der Strahlung von Jahrtausende
langer Periode vorhanden sein können. Irgend etwas Positives läfst
sich hierüber naturgemäß nicht sagen; man mufs sich damit begnügen,
wenn einer solchen Annahme nichts Positives entgegengehalten werden
kann, wie dies thatsäohlich nicht der Fall zu sein scheint. Eine pe-
riodische Strahlungsänderung der Sonne ist mit Sicherheit nachgewiesen:
die elfjährige Periode der Sonnenflecken. Dafs in diesem Falle die
Strahlungsänderungen in den klimatischen Verhältnissen der Erde nicht
mit Sicherheit haben nachgewiesen werden können, braucht durchaus
nicht an ihrer etwa versohwindend kleinen Gröfse zu liegen, sondern
wird wesentlich durch die Kürze der Periode bedingt sein, innerhalb
21*
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324
welcher merkliche Summationen der Wirkungen nicht zu stände
kommen können. Eine zweite Periode von 50 bis 60jähriger Dauer
scheint angedeutet zu sein, und es steht, wenn überhaupt eine oder
zwei Perioden konstatiert sind, nichts im Wege, auch andere Perioden
von bedeutend längerer Dauer für möglioh zu halten. Es erscheint
mir sogar die Umkehr des Problems durchaus gestattet, nämlich aus
den periodischen Klimaschwankungen der Erde innerhalb der letzten
Jahrtausende auf entsprechende Änderungen der Sonnenstrahlung zu
schliefsen.
Sollten sich einmal die bisherigen rein tellurischen Erklärungen
der Eiszeiten, von denen eine in dem Aufsatze über die Temperatur
der Sonne angedeutet war, nicht aufrecht erhalten lassen, und sollte
sich entsprechend die Annahme einer kosmischen Ursache als notwendig
herausstellen, so würde die Duboissche Theorie wohl als einfachste
und einwurfsfreieste zu betrachten sein und auch für die Sonnenphysik
von hoher Bedeutung werden.
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Das Spektrum des Andromedanebels und dessen Beziehungen
zu unserem Fixsternsystem.
Als zu Beginn der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts der
ältere Her sc hfl seine mächtigen Teleskope zur Erforschung der
Nebelflecke verwendete und in wenigen Jahren bis dahin ungeahnte
Kenntnisse über diese seltsamen Gebilde sammelte, war für ihu dabei
auch zweifellos der Gedanke mafsgebend, hieraus Folgerungen
auf die Konstitution unseres eigenen Fixsternsystems zu ziehen,
welcher Aufgabe er ja auch von anderer Richtung her grofse Auf-
merksamkeit gewidmet hat. Unter vielen anderen Thatsachen stellte
er fest, dafs eine grofse Zahl von Nebelflecken der auflösenden Kraft
seiner Fernrohre nicht Widerstand zu leisten vermochte; sie liefsen
sich in einzelne Sterne auflösen und verrieten sich mithin als Stern-
haufen. 10s war nun selbst versländlich, dars man hieraus den Sohlufs
zog, dars sämtliche Nebelflecke Sternhaufen seien, und dafs auch die-
jenigen, die He rsc hei nicht auflösen konnte, sich schließlich bei
weiterer Vervollkommnung der optischen Mittel als Sternhaufen er-
weisen würden. Von den schon mit blofsem Auge auflösbaren Stern-
gruppen, z. B. den Plejaden, bis zu den feinsten Nebelflecken gab
es also nur graduelle Unterschiede, die im wesentlichen durch die
verschiedene Entfernung der einzelnen Objekte bedingt waren.
Dieser Standpunkt, der wohl von allen Astronomen eingenommen
wurde, erwies sich jedoch auf einmal als völlig unhaltbar. Anfangs
der 60er Jahre machte Huggins die klassische Entdeckung, dafs
das Spektrum vieler Nebelflecke helle isolierte Linien zeigt, dafs die
betreffenden Himmelskörper mithin nur aus leuchtenden Gasen be-
stehen, dars sie wirkliche Nebel sind, die niemals in Sterne aufgelöst
werden können. Neben diesen Gasnebeln blieben aber auch noch
viele andere, die kontinuierliche Spektra geben, und die man daher
nach wie vor als wirkliche Sternhaufen betrachtete.
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I
1
326
Man hat demnach heute zwei Klassen von Nebelflecken: Gas-
nebel und vorläufig unauflösbare Sternhaufen, und es liegt der Ge-
danke nahe, data dieser innere Unterschied sich auch in der äufseren
Form dokumentieren müsse. In der That liefs sich ein derartiger
Unterschied sehr bald erkennen. Die grofsen und unregelmäfeig ge-
stalteten Nebelflecke, wie Orionnebel, Omeganebel etc., ferner die
sehr kleinen, meist elliptisch geformten planetarischen Nebel und
schliefslich die Ringnebel zeigen Linienspektra, die symmetrisch ge-
gebildeten soheiben- und spindelförmigen, wie der Andromedanebel,
liefern kontinuierliche Spektra»
Durch die schönen Resultate, welche die Anwendung der Photo-
graphie auf die Nebelflecke gezeitigt hat, ist man jetzt in der Lage,
die wahren Formen der Nebelflecke sehr viel sicherer als früher zu
erkennen, und dementsprechend läfst sich der oben angegebene Zu-
sammenhang genauer präzisieren. Zunächst haben die Aufnahmen
einiger heller planetarischer Nebel, die ich vor einigen Jahren er-
halten habe, erkennen lassen, dafs die planetarischen Nebel eigentlich
Ringnebel sind, deren Ähnlichkeit mit dem typischen Ringnebel in der
Leyer sich sogar auf den optisch unsichtbaren, photographisch aber
sehr deutlichen Kern erstreckt Die Gasnebel zerfallen daher nur
in die beiden Klassen der grofsen, unregelmäfsigen Nebel und der
Ringnebel. Auf der anderen Seite hat die Photographie ergeben, dafs
eine gröfsere Zahl der regelmässigen soheiben- oder spindelförmigen
Nebel Spiralnebel sind, dafs also diese Art der Nebel, deren Existenz
trotz der Rosse sehen Beschreibung längere Zeit hindurch etwas
zweifelhaft erschien, augenscheinlich eine grofse Rolle im Weltall spielt.
Stellt man nun die Hypothese auf, dafs die Nebel mit kontinuier-
lichem Spektrum thatsächlioh selbständige Fixsternsysteme in unge-
heurer Entfernung von uns seien, so liegt es nahe, dieselben auch
mit unserem Fixsternsystem in Vergleich zu ziehen. Solange dies
aber nur eine Hypothese ist, steht ein soloher Vergleich auf un-
sicheren Füfsen; denn dieselbe ist durchaus keine selbstverständ-
liche. Wir kennen die Bedingungen, unter welchen die Gasnebel
glühen keineswegs; es liegt daher kein Bedenken vor, anzunehmen,
dafs bei einzelnen Nebeln das Glühen unter solchen Bedingungen
stattfindet, unter denen auoh Gase ein kontinuierliches Spektrum
liefern, ja man mufs schon eine über alle Begriffe geringe Dichtigkeit
der Nebel annehmen, um überhaupt das Auftreten von hellen scharfen
Linien an Stelle ganz verwaschener Bänder oder eines kontinuierlichen
Spektrums zu erklären. Eine Entscheidung in dieser Frage kann nur
327
das Spektroskop liefern: zeigen sioh in dem kontinuierlichen Spektrum
der Nebelflecke dunkle Absorptionslinien, so haben wir ein System
von Fixsternen vor uns, von denen jeder einzelne ein solches Spektrum
giebt; fehlen die Linien, so müssen die oben angegebenen Erklärungs-
versuche marsgebend sein.
Bisher war es wegen der Schwäche der kontinuierlichen Nebel-
spektra nicht möglich, eine Entscheidung herbeizuführen. loh habe
nun einen äufserst lichtstarken, kleinen Spektrographen konstruiert,
der in Verbindung mit einem Spiegel von sehr kurzer Brennweite
für den vorliegenden Zweck geeignet erschien. Nach einigen Ver-
suchen ist es mir am 4. und 6. Januar d. J. gelungen, mit diesem
Apparate bei einer Expositionszeit von 7Vj Stunden ein deutliches
Spektrum des Andromedanebels zu erhalten, welohes einige dunkle
Linien zeigt, die, wie die Messung ergeben hat, mit solchen im Sonnen-
spektrum übereinstimmen. Die Ähnlichkeit mit dem SonnenBpektrum
beschränkt sich nicht nur auf diese Linien, sondern erstreckt sich
auch auf die Intensitätsverhältnisse der einzelnen Spektralteile.
Hiermit ist der definitive Beweis geliefert, dafs der Andromeda-
nebel ein Fixsternsystem ist, und ferner, dafs die grofse Mehrzahl
seiner Steine der 2. Spektralklasse, dem Sonnentypus angehört. In
unserem Fixsternsystem überwiegen bekanntlich die Sterne der 1. Spek-
tralklasse; dasselbe würde, aus der Ferne betrachtet, daher auoh im
ganzen ein Spektrum der 1. Klasse liefern. Da nun die 2. Klasse
ein vorgeschritteneres Entwickelungsstadium darstellt als die 1. Klasse,
so ist weiter zu folgern, dafs das System des Andromedanebels ein
relativ älteres ist als das unsrige.
Wir können nun auoh zu unserer Anfangsbetrachtung zurück-
kehren, indem wir jetzt berechtigt sind, unser eigenes System mit
den Nebeln mit kontinuierlichem Spektrum zu vergleichen und in
deren Formen einzuordnen. Als das Einfachste und Natürlichste er-
scheint es, unser Sternsystem inkl. Milohstrafse als einen Ring mit
innerem Kern zu betrachten; dem steht aber entgegen, dafs die Ring-
nebel ausnahmslos Gasspektra liefern, während unser Sternsystem
ein kontinuierliches Spektrum giebt. Sehen wir uns nach etwa
möglichen Formen der anderen Klasse um, so würden die soheiben-
und spindelförmigen (letztere hätte man als Scheiben, deren
Ebene merklich gegen die Gesichtslinie geneigt ist, zu betrachten)
allein mit dem Milchstrarsensystem verträglich sein. Seit Hersohe 1
hat man ja unser Fixsternsystem bis in die neuere Zeit hinein als
soheiben- oder linsenförmig aufgefafst. Nun spreohen aber doch viele,
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besondere durch die photographischen Aufnahmen der Milchstrafse
gewonnenen Gründe gegen eine solche Auflassung, andererseits haben
ja gerade die Scheiben- und spindelförmigen Nebel sich als Spiral-
nebel erwiesen, und man wird deshalb auf den Gedanken geführt,
auch unser System als einen Spiralnebel zu betrachten.
Denken wir uns in den Kern eines Spiralnebels versetzt, so
würden wir, als in der Ebene der Spiralen befindlich, deren wahre
Form nicht erkennen können, vielmehr müfsten dieselben, sich gegen-
seitig teilweise überdeckend, als mehr oder weniger unregelmäfsiger
Ring erscheinen, d. h. genau so wie unsere Milchstrafse.
Ich glaube daher annehmen zu dürfen, dafs unser Fixstern-
system einen Spiralnebel darstellt, in dessen Kern sich unser Sonnen-
system befindet; die Spiralen setzen die Milchstrafse zusammen, wobei
besonders deren Trennungen eine gute Deutung erfahren, wie dies
schon Easton gezeigt hat, der von anderen Gesichtspunkten aus zur
gleichen Annahme gelangt ist. Die verwaschenen Knoten und Ver-
dichtungen, die man in den Spiralen der Spiralnebol bemerkt, be-
sonders im Andromedanebel und im grofsen Nebel in den Jagdhunden,
würden den gröberen Sternhaufen in unserer Milchstrafse entsprechen.
Sobald einmal die Eigenbewegungen der Milchstrafsensterne
einigermafsen bekannt sein werden, wird man den Versuch wagen
können, aus denselben eine definitive Entscheidung über die wahre
Form der Milchstrafse herbeizuführen; leider dürften aber viele Jahre
bis dahin verfliefsen. Prof. Soheiner.
Künstliche Sonnenilecken. Wie man auf verschiedene Arten im
stände ist, experimentell Gebilde entstehen zu lassen, die mit den
Mondkratern eine auflallende Ähnlichkeit haben, so ist jüngst dem
Schweizer Physiker Lull in auch eine täuschende Imitation von Sonnen-
flecken geglückt. Unsere Abbildungen reproduzieren derartige „künst-
liche Sonnenflecken u, deren Entstehung folgenderraafsen erfolgte. Auf
eine dunkel gefärbte Glasplatte wurde ein zäher Brei, der durch Ver-
reiben pulverisierten Schwerspates in Wasser gewonnen war, mög-
lichst gleichmäßig aufgetragen. Nun liefs man aus einem einige Centi-
meter entfernten Trichterrohr einzelne Tropfen oder einen kurzen
Strahl von Wasser auf die Glasplatte fallen. Die duroh den Aufprall
bedingten Bewegungen des seitlich abfliessenden Wassers liefsen dann
*
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in dem Barytbrei die durch unsere Abbildungen wiedergegeben Spuren
zurück, die in ihrem strahligen Aussehen in der Tbat auffallend an
bekannte Sonnen fleckenzeichnungcn von Secchi, Young und anderen
Kunstliche Sonnenflecken.
erinnern. Ob wir <-s hier mit einer nur zufälligen äufeerlichen Abn-
lioheit zu thun haben, oder ob diese Gebilde vielleicht einmal bei der
Deutung der Sonnenflecken Fingerzeige werden geben können, mufs
vorläufig dahingestellt bleiben. F. Kbr.
*
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Dämmerungs-Streifen als Witterungs-Anzeichen.
Von dem sogenannten „Wasserziehen der Sonne" prinzipiell ver-
schieden und wesentlich seltener als dieses sind die Dämmerungs-
Streifen. Sie zeigen sich, naohdem die Sonne schon untergegangen ist,
bezw. bevor sie aufgegangen ist, auf dem hellen Grunde der Däm-
merung als schwarze Schalten, welche vom Gegen punkte der Sonne
strahlenförmig ausgebend, sich unter günstigen Umständen über den
Zenith bis zum Horizont verfolgen lassen; sie entstehen durch Hinder-
nisse im Strahlengange der Sonne, die als schattenwerfende Körper
wirken. Verhältnismäfsig häufig sind daher die Dämmerungsstreifen
dort, wo diese Hindernisse durch Gebirge gebildet werden, und in Sizilien
hat man z. B. solche Phänomene auf die Beschattung der Sonne duroh das
Atlasgebirge zurückführen können. In der Ebene sind als schatten-
werfende Körper nur mächtige Wolkenmassen möglich, die sich auch
unter dem Horizont des Beobachters befinden können. Es können
daher Dämmerungsstreifen auch bei ganz wolkenlosem Himmel auf-
treten, und ihr Vorhandensein deutet alsdann auf schweres Gewölk in
der Ferne. Es ist interessant, dafs in Berlin in zwei speziellen Fällen
— am 28. Mai 1892 durch Berson, am 18. September 1898 durch Prof.
Assmann (beschrieben in der Zeitschrift ..das Wetter") — aus Däm-
merungsstreifen sich die Lage eines Gewitterherdes ungefähr voraus-
berechnen Hess und durch dio Meldungen des meteorologischen Be-
obachters bestätigt werden konnte.
Am 18. September bei Sonnenuntergang ergab die Berechnung
unter der Voraussetzung einer Wolkenschicht von 1000 m Höhe, dafs
diese Schicht zwischen Salzwedel in der Altmark und Wilhelmshaven
liegen müsse, und thatsächlich entwickelten sich seit 7 Uhr ausge-
breitete Gewitter über Oldeuburg und Hannover. Borkum hatte von
7V4 bis 9 Uhr, Helgoland von 7% bis 9> 2, Münster von 8 bis 10 Uhr Ge-
witter. Gleichzeitig rückte aber mit dieser Gewitter-Depression ein um-
fangreiches Minimum von West heran, so dafs am nächsten Tage auoh in
Berlin ein völliger Umschwung von warmer, wolkenloser Witterung
zu trüber, regnerischer eintrat, ohno dafs vorher sonstige deutliche
Anzeichen einer Veränderung vorhanden waren. Am 28. Mai 1892,
wo die Dämmerungsstreifen Gewitter an der Westküste Schleswigs
anzeigten, folgte am 29. in Mitteldeutschland zwar kein so ausge-
sprochener Witterungswechsel, aber immerhin eine Abkühlung der
vorher abnorm hohen Temperatur (Maximum in Berlin 36°) um
7 bis 10°.
Weitere Beobachtungen über Dämmerungsstreifen sind um so
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331
mehr erwünscht, als für die Entwicklung und Intensität der Er-
scheinung jedenfalls auch die Luftbeschaffenheit am Beobachtungsorte
von Bedeutung ist. Da die ganze Messung sehr einfach ist - es
genügt eine genaue Zeitangabe — , so darf man wohl hoffen, gelegentlich
Mitteilungen hierüber auch aus dem Leserkreise zu erhalten. Sg.
Übersicht der Himmelserscheinungen für April und Mai.
Der Sternhinnel. Wahrend April und Mai ist der Anblick des Himmele
um Mitternacht folgender: Zur Kulmination gelangen rornehmlich die Stern-
bilder der Jungfrau, Jagdhunde, das Haar der Berenice, später Bootes, die
Krone, die Schlango und die Wage. Westlich steht der grobe Bär, kleine
Lowe, östlich Herkules, Schwan, Leyer, Fuchs. Spica (? Virginis) geht erst
gegen 4 h morgens unter, a Bootes noch später. Skorpion und Adler gehen um
10 -12»» abends auf, Herkules und Leyor um 3 Stunden früher. Procyon geht
jetzt schon gegen Mitternacht, Sirius zwischen 8— V, 10 »» abends unter; der
grofse Löwe verschwindet um etwa 3>> morgens. Der Untergang des Stiers
erfolgt schon zwischen 9— 10 h abends. Folgende Sterne kulminieren für Berlin
um die Mitternachtsstunde:
1. April y Virginis (3. Qr.) (AR 12»» 37m D. — 0* 54')
8.
43 Comae (4. Gr.)
13
7
+ 28
23
15.
17 Can. ven. (5. Gr.)
13
30
+ 37
42
22.
d Booüs (5. Gr.)
14
6
+ 25
34
29.
7 , <3..Gr.)
14
28
+ 38
45
1.
Mai
(jl Virgin. (4. Gr.)
14
38
— 5
13
8.
•■
t Librae (4.-6. Gr.)
15
6
-19
25
15.
i
a Coron.bor. (2. Gr.)
15
30
+ 27
3
22.
-
ß Scorpii (2. Gr.)
15
59
- 19
32
29.
ß Hercul. (2. 3. Gr.)
16
26
+ 21
42
Heile veränderliche Sterne, welche vermöge ihrer günstigen Stellung vor
und nach Mitternacht beobachtet werden können, sind, ausser denen vom
Algoltypus U Coronae, * Librae, die Mazima folgender:
T Monocerot
(Max. 6.
Gr.)
(AR6»> 19n»
D. + 7°
10') April 20, J
Kai 17
u
( n «,7-
r> f
7 26
— 9
34
, 27,
S Hydrae
( „ 8.
f) I
8 48
+ 3
27
„ 4
R Virgin.
( - 7.
n /
12 33
+ 7
33
„ 16
V Bootis
( - 7.
w /
14 26
+ 39
19
- 20
V Coronae
( „ 7,8.
•» )
15 4fi
+ 39
52
* 20,
T Hercul.
1 , 7,8.
n )
18 5
+ 31
0
• 1
X Ophiuch.
( , 7.
•» )
18 33
+ 8
45
6,
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332
Die Planeten Merkur wird um Sonnenuntergang bald wenig sichtbar,
in der zweiten Hälfte Mai ist er am Morgenhimmel einige Zeit zu sehen. -
Venus geht vom Wassermann durch das Sternbild der Fische bis in den
Widder; am 23. Mai steht sie zwölf Grad südlich vom a Arietis. Sie geht am
Tage unter und ist Morgenstern, ungefähr eine Stunde vor der Sonne aufgehend.
— Mars geht Vormittag auf, anfänglich in den Morgenstunden unter. Ende
Mai nach Mitternacht Er geht vom Krebs in den grofsen Löwon und steht
Ende Mai etwas nordwestlich von Regulus. — Jupiter geht abends 9 h auf
und ist die ganze Nacht sichtbar, Ende Mai bis 2 h Uhr morgens, am 25. April
ist er in Opposition mit der Sonne. Er steht zu den Füfeen der Jungfrau und
bewegt sich langsam gegen Spica hin. — Saturn geht im April noch um Mitter-
nacht auf, dann immer zeitiger, Ende Mai um 9 h abends. Er bleibt bis in die
Morgenstunden sichtbar und befindet sich nordöstlich von « Scorpii. — Uranus
geht zeitiger vor Mitternacht auf, Ende Mai gegen 8 h abends und ist bis zum
Morgen sichtbar. Er steht nördlich von « Scorpii. — Neptun bleibt anfangs
bis nach Mitternacht, Ende Mai bis 9 '« abends sichtbar; er steht in der Nahe
von C Tauri (3. 3. Gr.).
Sternbedeckungen durch den Mond (für Berlin sichtbar):
Eintritt
Austritt
15. April t) Geminor.
3. Gr.
8»» 53 m abends
9h 1»
m abends
16.
3. „
0
17 morgens 0 50
morgens
29.
n
» Ophiuchi 3. 4. „
1
7
2 19
Mond.
Berliner Zeit.
Letzten Viert
am
i 3. April
Aufgang
2 h
3 «n morg.
Unterg. 9 »> 55 "> vorm.
Neumond
10. „
Erstes Viert.
17. „
9
56 morg.,
1 31 nachts
Vollmond
-
25. „
7
27 abends,
4 23 morg.
Letztes Viert.
-
2. Mai
-
1
12 morg.,
10 28 vorm.
Neumond
-
9. „
Erstes Viert.
17. ,
-
mittags,
12 56 abends
Vollmond
25. .
8
58 abends,
-
4 23 morg.
Letztes Viert.
31. ,
12
21 nach Mittern. ,
mittags
Erdnähen: 6. April, 1. Mai, 2*. Mai; Krdfornen: 18. April, 16. Mai.
Sternzeit f. den
mitt. Berl. Mittag
Zeitgleichung
Sonnenaufg Sonnenunterg.
f. Berlin
1.
April
Oh
38 m
21.9«
+ 3«
57.7 •
5 h
35 m
6 h 32 m
s.
1
5
57.8
+ 1
54.9
5
21
6 44
15.
■
1
33
33 7
4- 0
4.0
"i
5
«; 56
22.
•>
1
9.6
- l
30.3
4
.50
7 8
29.
2
28
45.4
- 2
43.1
4
35
7 20
1.
Mai
2
36
38.6
2
59.3
4
31
7 24
8.
-
3
4
14.4
— 3
38.1
l
LS
7 36
15.
31
50.3
- 3
48.8
4
6
7 47
22.
-
3
59
262
— 3
32.4
3
56
7 57
29.
l
27
2.1
- 2
50.9
3
48
8 7
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Die moderne Entwickelting der elektrischen Prinzipien. Fünf Vorträge
von Prof. Dr. Ferd. Rosenberger. Leipzig 189S. 8°. 170 S. Pr. 3 M.
Der Verfasser bietet Vortrage, die er auf dem Ferienkursus für Lehrer
an höheren Schulen zu Ostern 18117 in Frankfurt a. M. gehalten hat, jetzt in
weiter ausgeführter Form einem gröfseren Publikum dar. In fünf Abschnitten
giebt er die Entwickelung der Anschauungen vom Wesen der Elektrizität
während der letzten drei Jahrhunderte, und verfolgt dabei den Gesichtspunkt,
zu zeigen, dafs entgegengesetzte theoretische Anschauungen in der Wissenschaft
nicht notwendig als Wahrheit und Irrtum sich gegenüber zu stehen brauchen,
sondern dafa oft beide für gewisse Zeiten und gewisse Gebiete gleiche relative
Wahrheit haben können.
Der erste Vortrag schildert die Anschauung vom Weson der Elektrizität
von 1600 (Gilbert) an bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, bis zu Franklin und
Symmer; der zweite bespricht die Wirksamkeit von Coulomb, Galvani
(der auf eine sehr viel höhere Stufe gestellt wird, als man ihm gewöhnlich
zuerkennt), Volta, Davy, Oersted. Ampere, Weber, Gauss. Der dritte
Vortrag ist ausschliefslich Farad ay gewidmet, zu dessen Lebensbild eine zwar
kurze aber doch sehr vollständige Übersicht seiner Umgestaltung der elektrischen
Fundamente gegeben wird; daran anschliefsend zeigt der vierte, wie Maxwell,
Hertz, Lüdge, auf den von Faraday eingeschlageneu Bahnen weitergehend,
die Anschauung von der Elektrizität ausgebildet haben, die uns als die richtige
gilt. Der letzte Vortrag weist auf den Dualismus hin, der in der Physik sich
heute vorfindet, wo die Lehren der Mechatiik mit Materie und Fernkräften
(Gravitation) denen z. B. der Optik und Elektrizität mit Äther und dem völligen
Ausschiurs der Newtonschen Fernkräfte gegenüberstehen — , und die neben
einander stehenden Bemühungen, neben dem Räume und der Zeit entweder
die Masse oder die Kraft oder endlich die Energie als drittes Absolutes ein-
zuführen.
Diese kurze Übersicht zeigt den Rahraon, in dem der Verfasser mit der
ihm zu Gebote stehenden Fülle von Einzelheiten ein äufserst klares und
inhaltsvolles Bild von der theoretischen Anschauung über das Wesen der
Elektrizität samt den sie begründenden Versuchen liefert. Ein äufserst ver-
dienstvolles Unternehmen, das des Beifalles aller, die die Kenntnis der elektri-
schen Erscheinungen durch eine von kundiger Hand gewährte Einführung in
die heutige theoretische Betrachtung erweitern wollen, sicher sein darf.
Zwischen die beiden letzten Vorträge hat der Verfasser ein Gleichnis ein-
gefügt, in dem er sehr glücklich die mannigfachen Versuche, die elektrischen
Erscheinungen zu deuten, vergleicht mit dem Bemühen von Marsbewohnern,
die Uhr im Wartesaal einer Eisenbahn aus den Bewegungen ihrer Zeiger und
den Beziehungen der Ereignisse auf der Bahn zu ihr zu verstehen. A S.
334
Sir Isaac Newtons Optik oder Abbandlang Ober Spiegelungen,
Brechungen, Beugungen und Farben de« Lichtes. (1704) Übersetzt
und herausgegeben von Willi am Abend roth (Dresden). I.Buch. Mit
dem Bildnis von Sir Isaac Newton und 46 Figuren im Text. Leipzig,
Wilh. Engelmann, 1898 (Ostwalds Klassiker der exakten Wissen-
schaften No. %). 132 S. 8». Preis 2,40 M.
Nachdem der Herausgeber dieser Sammlung von Klassikern der exakten
Wissenschaften schon im 20. Heft der Sammlung die Arbeit von Uuyghens
über das Licht seinen Losern gegeben hatte, bietot er ihnen jetzt das Werk von
Huyghens grofsem Gegner in der Erklärung des Lichts, die Optik von Newton.
Der ganzen Sammlung hätte als Motto das Epigramm von Lessing vorgesetzt
werden können:
Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? Nein.
Wir wollen weniger erhoben
Und fleifsiger geleson sein.
Von Newto|ns Optik kann dieses Wort noch mehr gelten als von vielen
anderen; gelobt wird or sicherlich, gelesen um so weniger, als wir ja alle in
der Schule schon gelernt haben, dafs seine Ansicht über das Licht falsch ist Wer
aber das Buch wirklich einmal zur Hand nimmt, wird schon nach wenigen
Seiten erkennen, wie viele und wichtige Untersuchungen, deren Wert von
aller Theorie und Hypothese unabhängig ist, (z. B. die über die verschiedene
Brechbarkeit von roten und blauen Strahlen p. 15 ff.) hier mit den einfachsten
Hilfsmitteln angestellt worden sind. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet,
gewinnt Newtons Optik noch mehr Wert in unserer Zeit, in der viel mehr,
auch von solchen, die nicht Fachloute sind, experimentiert wird als früher.
Dos erste aber, was heut ein junger Experimentator zur Haud nimmt, ist eine
Preisliste Uder Exporimentierkästen; und erst mit dem Kasten fängt für viele
die Möglichkeit an, Physik zu treiben. Für solche Jünger der Wissenschaft ist
es im höchsten Grade belehrend, zu sehen, wie viele und wichtige Unter-
suchungen ein Mann wie Newton mit den einfachsten Hilfsmitteln, man
könnte beinahe sagen, ohne allo Hilfe von Mechanikern angestellt hat. So hat
das Werk doppelten Wert, historischen und pädagogischen, und um beider
willen ist es wert, fleifsig gelesen zu werden. A. S.
Verzeichnis der der Redaktion zur Besprechung eingesandten Bücher.
Abhandlungen der Naturhistorischen Gesellschaft zu Nürnberg. XI. Band.
Jahresbericht für 1897. Nürnberg. U. E. Sebald. 1808.
Andre Ch., Traite" d'astronomie Stellaire. Premiere partie. Etoiles simples.
Paris, Gauthier-Villara, 1899.
Annuaire de l'observatoire municipal de Paris, dit Observatoiro de Montsouris
pour l'annee 1899 (Analyso et traveaux de 189") Meteorologie-Cbemio-
Micrographie. Applications a Phygiene. Paris, Gauthier- Villars.
Annuaire de l'observatoire royal de Belgiquo 1898, Soixante-cinquieme annee.
Supplement Bruxelles, 1*98.
Annuaire de l'observatoire royal de Belgique 1899, 66. annee. Bruxelles, 1899.
Astronomischer Kalender für 1899. Herausgegeben von der k. k. Stern-
warte zu Wien. Carl Gerold's Sohn.
Bergens Museums Aarbog for 1898. Afhandlinger og Aarsberetning, udgivne
af Bergens Museum ved Dr. S. Brunchorst Bergen, 1899.
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335
Bl oohmann, R. H., Sternkunde Mit 69 Abbildungen, 3 Tafeln und 2 Stern-
karten. Stuttgart, Strecker & Moser, 1899.
M.E. Byrd, A. B. — A laboratory manual in astrottomy. Boston U. S. A.
Ginn & Comp, 1899.
Ekatam, Otto. Einige tblütenbio]ogische Beobachtungen auf Spitzbergen.
Tromsoe, 1898.
Fortschritte der Physik im Jahre 1897. Dargestellt von der Physikalischen
Gesellschaft zu Berlin, .vi. Jahrgang. Zweite Abteilung: Rieh. Börnstein,
Physik des Äthers. Dritte Abteilung: Rieh. Assmann, Kosmische Physik.
Braunschweig, Friedr. Vieweg & Sohn.
GeiBsler, K. Mathematische Geographie. Zusammenhängend entwickelt und
mit geordneten Denkübungen versehen (Sammlung Göschen 9*2).
Haacke, W. Bau und Leben des Tieres (Aus Natur und Geisteswelt Samm-
lung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen aus allen Ge-
bieten dos Wissens.)
Handwörterbuch der Astronomie, herausgegeben von Prof. Dr. W. Valentiner.
Mit Abbildungen. Lieferung 14 und 15. Breslau, Ed. Trewendt, 1898.
Hübners (Otto) geographisch statistische Tabellen aller Länder der Erde.
Ausgabe 1898. Herausgegeben von Prof. Fr. v. Ju rasch ek.
Jahrbuch der Erfindungen. Begründet von H Gretschel und H. Hirzel.
Herausgegeben von A. Berberich, Georg Bornemann und Otto Müller.
34. Jahrg. Mit VA Holzschnitten im Text Leipzig, Quandt & Händel, 1898.
Kobelt, W., Studien zur Geographie. II. Band: Die Fauna der meridionalen
Sub-Region. Kreideis Vorlag. Wiesbaden, 1898.
Lehrbuch der Erdkunde für höhere Lehranstalten von Dr. H. J. Klein.
Vierte gänzlich umgearbeitete Auflage von Prof. Dr. A. Blind. Mit
57 Karten, sowie mit 101 landschaftlichen, ethnographischen und astro-
nomischen Abbildungen. Brauuschweig, Friedrich Vieweg & Sohn, 1898.
Morich, H., Bilder aus der Mineralogie. Für Lehrer und Lernende. Mit
II Abbildungen. Hannover, Carl Meyer, 1899.
Nessig, W. R, Geologische Exkursionen in der Umgebung von Dresden.
C. Heinrich, Dresden, 1898.
Ostwal ds Klassiker der exakten Wissenschaften. No. 97. Sir Isaac Newtons
Optik oder Abhandlung über Spiegelungen, Brechungen, Beugungen und
Farben des Lichts. II. und III. Buch. Wilh. Engelroann, Leipzig.
Revue des questions setentifiques publiee par la Societö Scientifique deBruxelles.
Deuxieme serie. Tome XV. 20 Janvier 1899, Lourain, 1899.
Schmidt, K E. F., Experimental - Vorlesungen über Elektrotechnik. Mit
3 Tafeln und 320 Abbildungen im Text. Halle a. S., Wilh. Knapp, 1898.
Schulze, Franz, Nautik. Mit f>6 Abbildungen (Sammlung Göschen) Leipzig.
8cbul te-Tigges, A., Philosophische Propädeutik auf naturwissenschaftlicher
Grundlage für höhere Lehranstalten und zum Selbstunterricht. Erster
Teil: Methodenlehre. Berlin, Georg Reimer, 1898.
Tynd all, J., In den Alpen Autorisierte deutsche Ausgabe mit einem Vorwort
von Gustav Wiedemann Mit in den Text eingedruckten Abbildungen.
II. Auflage. Brauiischwcig, Friedr. Vieweg & Sohn, 1899.
Wölpe rt, A. & H. Die Luft und die Methode der Hygrometrie. Mit 108 Ab-
bildungen im Text. Berlin, W. & S. Loewenthal, 1899.
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Mitteilung, betreifend die Heraussähe eines astronomischen
Jahresberichtes.
Der Unterzeichnete beabsichtigt einen -Astronomischen Jahresbericht
mit Unterstützung der Astronomischen Oesellschaft- herauszugeben, welcher
über alle in einem Kalenderjahre erscheinenden theoretischen und praktischen
Arbeiten auf den Gebieten der Astronomie, Astrophysik und Geodäsie kurze
Referate in systematischer Ordnung bringen soll; der erste Band wird im
Jahre 1900 ausgegeben und über die im Jahre 1899 erschienenen Arbeiten be-
richten. Um nun eine möglichste Vollständigkeit zu erzielen, bittet der unter-
zeichnete Herausgeber die Verfasser aller derjenigen Arbeiten, die nicht in den
Fachzeitschriften der genannten Gebiete, sondern selbstständig oder in solchen
Zeitschriften erscheinen, die anderen Zwecken dienen und nur gelegentlich
einschlägige Arbeiten aufnehmen, ihm die betreffenden Arbeiten gütigst zu-
gänglich machen zu wollen, und spricht den geehrten Herren Kollegen für
alle derartige dem „Astronomischen Jahresbericht- erwiesene Unterstützung
im voraus seinen verbindlichsten Dank aus.
Strassburg i/E., Nicolausring IJ7,
Januar 1899.
Prof. Dr. \V. F. Wislicenus.
Verlag: Hermann Paatel in Berlin- Druck: Wilhel» Gronau « Boebdroekerei in Berlin - Schoner*.
F6r die lUdaction T*.rm»tworUich: Dr. P. Schwann in B.rlin.
l'nber. hiifUt Nachdruck an, dem Inhalt dietar ZeiUeotin anterMfft
Cl«r*«lxonir*rerht vorbehalten.
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■- v ■
Die Gravitation.
Von Dr. F. Koerber in Steglitz.
edem unserer Leser dürfte es bekannt sein, dafe die krumm-
linigen Bewegungen der Himmelskörper durch das Zusammen-
wirken einer denselben von Anfang an innewohnenden und
nach dem Beharrungsvermögen geradlinig fortschreitenden Bewegung
mit einer durch die allgemeine Massenanziehung bedingten, nach dem
Ceutralkörper des Systems hin gerichteten Fallbewegung zu stände
kommen. Den mannigfachen Komplex der himmlischen, bald mehr
bald weniger excentrischen Bewegungen auf dieses eine Grundprinzip
der allgemeinen Gravitation zurückgeführt und so die wunderbare
Einfachheit im Plane des Makrokosmos dargethan zu haben ist, der
gröfste Ruhmestitel des unsterblichen Newton.
So sehr aber auch alle populären Darstellungen der Himmels-
kunde diesem hohen Verdienste des grofsen Briten durch Worte der
ehrfurchtsvollen Bewunderung gerecht werden, wird doch der Gegen-
stand selbst unseres Erachtens meist zu kurz behandelt. Wohl wird
erörtert, wie Newton zuerst im stände war, die Bewegung des Mon-
des um die Erde dadurch zu erklären, dafs er die irdische Schwere
mit einer dein Quadrate des Abstandes entsprechend verminderten
Intensität auch auf den Trabanten wirkend dachte, und wie sich dann
des weiteren die berühmten, die Planetenbewegungen genau beschrei-
benden Kepl ersehen Gesetze als raathematische Notwendigkeiten
ergaben, sobald auch die Sonne als das Centrum einer der irdischen
Schwere ähnlichen, aber im Verhältnis zur gewaltigen Sonnenmasse
verstärkten Anziehungskraft angenommen wurde; — indessen eine
deutliche Veranschaulichung der Intensität dieser geheimnisvollen
Fernkraft und eine Schilderung der bis heute noch nicht mit Erfolg
Himmel und Erde IUU9. XI. 8. 22
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338
gekrönten Bemühungen, die rätselhafte, durch den leeren Raum hin-
duroh wirksam sein sollende Fernewirkung auf eine verstandliche
Nahwirkung zurückzuführen, wird man in der Regel vergeblich suchen.
In dieser Hinsicht durch einige ergänzende Betrachtungen über die
Gravitation zur völligen Klärung beizutragen und vielleicht manche,
bei dilettantischen Verehrern der Sternkunde sich leicht ausbildende
Irrtümer zu beseitigen, soll die Aufgabe der folgenden Zeilen sein.
Es liegt bei flüchtiger Betrachtung nahe, sich jene den ganzen
Kosmos in Ordnung haltende Gravitation als eine ungeheuer gewaltige
Kraft vorzustellen, da ihr doch die riesigen Massen der Weltkörper
ohne Ausnahme gehorchen Doch ist gerade diese Vorstellung ein
das Verständnis der himmlischen Bewegungen erheblich beeinträch-
tigender Irrtum. Denn es treten dann von selbst die Fragen auf:
„Warum merken wir im gewöhnlichen Leben nichts von der gegen-
seitigen Anziehung aller Gegenstände, und warum fliegen nicht alle
losen Körper sofort gen Osten, wenn dort die Sonne, jene gewaltige
Königin des Planetenreiches, am Horizonte erscheint?" Die Antwort
auf diese Frage vermag nur eine kleine Zahlenrechnung zu erteilen,
durch die sofort zu Tage tritt, wie außerordentlich gering die Inten-
sität der Gravitationskraft ist
Die an der Erdoberfläche befindlichen Körper erfahren bekannt-
lich durch die Anziehung des gesamten Erdballs einen Zug nach
dem Erdmittelpunkte ') hin, dessen Stärke durch die Beschleunigung
gemessen wird, die ein frei fallender Körper in jeder Sekunde erfährt.
Diese Beschleunigung ist g = 9,8 m, sodafs ein vorher ruhender Kör-
per beim Fallen am Ende der ersten Sekunde eine Geschwindigkeit
von 9,8 m erlangt und innerhalb der ersten Sekunde mit der gleich-
mäfsig von 0 auf 9,8 anwachsenden Geschwindigkeit einen Weg von
4,9 m zurücklegt, da er ja während dieses Zeitraums eine durchschnitt-
0 -J- 9 8
liehe Geschwindigkeit von — = 4,9 m besitzt Da nun aber
die Anziehungskraft im quadratischen Verhältnis der Entfernung ab-
nimmt 80 folgt für den rund 60 Erdradien vom Erdmittelpunkt ent-
fernten Mond nur eine Beschleunigung nach der Erde zu von
') Streng genommen weist das Lot nur an den Polen und am Aequator
nach dem geometrischen Mittelpunkte der Krdc. Für beliebige Breiten
schneiden die verlängerten Lotlinien die Erdachse wegen der abgeplatteten
Gestalt der Erde erat jenseit des Erdmittelpunktes, doch beträgt der dadurch
bedingte Unterschied zwischen „geographischer" und ,.geocentri8cher" Breite
im Maximum (bei 45° Breite) um 11% Bogenminuten.
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339
9 8 9 8
= _-V_ • = 0,0027 m. Demnach würde der Mond in einer Se-
60- 3600
künde nur 1,3 mm nach der Erde zu fallen, wenn er nicht durch seine
seitliche Bewegung gleichzeitig um ebendenselben Betrag von der
Erde fortgeführt würde, sodafs er in Wahrheit denselben Abstand be-
hält und in nahezu kreisförmiger Bahn die Erde umläuft. — Nicht
viel anders werden diese Zahlen, wenn wir die Anziehung der Erde
durch die Sonne berechnen. Allerdings besitzt das Tagesgestirn eine
324 000 mal so grofse Masse als die Erde, dafür ist es aber rund
400 mal weiter von ihr entfernt als die Erde vom Mond. Die Sonnen-
324 000 324 000 f . . ...
anziehung wird also das ^qq2 - = igQOOO 8 Anziehung
des Mondes durch die Erde, oder rund zweimal so grofs als die oben
berechnete Zahl 0,0027 m. Die Anziehung eines an der Erdoberfläche
befindlichen Körpers seitens der Sonne beträgt also nur 2^ von
der irdischen Schwere, sodafs selbst ein frei hängendes Pendel keine
merkbare Ablenkung dadurch erfahren kann, dafs die Sonne sich
bald am östlichen, bald am westlichen Horizonte befindet. Zu der Ge-
ringfügigkeit der Anziehung selbst kommt aber aufserdem noch der
Umstand hinzu, dafs die Erde als Ganzes gleichfalls die Anziehung
erfährt, und dafs daher eine Lotablenkung nur durch die Differenz der
Wirkung auf den Erdmittelpunkt und auf die Oberfläche zustande
kommen kann. Allerdings hoffte Zöllner, mit Hilfe seines hochem-
pfindlichen „Horizontalpendels- derartige, im günstigsten Falle kaum
ein Hundertel einer Bogensekunde betragende Lotstörungen nachweisen
zu können, es zeigte sich aber später, dafs dieselben von weit stärkeren
mikroseismischen und durch Temperaturveränderungen des Bodens
bedingten Schwankungen völlig verdeckt werden. Fragen wir uns
nun, wie es denn möglich ist, dafs eine so schwache Kraft, als welche
wir die Gravitation eben erkannt haben, die Bewegungen der Himmels-
körper beherrscht, so ist die Antwort einfach die, dafs andere Kräfte
auf die frei im Weltraum schwebenden Gestirne überhaupt nicht wirken,
und dafs die Bewegungen der Himmelskörper durch keinerlei Rei-
bungen oder andere Hindernisso gehemmt werden. In demselben
Mafse aber, in dem ein Gestirn massiger ist, vergröfsert sich aufser
der Trägheit zugleich auch die Anziehungskraft, 6odafs der gewaltige
Jupiter ebenso leicht wie ein winziges Meteorkörperchen durch die
Anziehungskraft der Sonne in einer krummlinigen Bahn, die zur Klasse
der Kegelschnitte gehört, geführt wird.
•_>■>•
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340
Um endlich zu begreifen, warum man von den gegenseitigen
Anziehungskräften der uns umgebenden Körper im gewöhnlichen Leben
nichts bemerken kann, erübrigt es noch, die Ergebnisse direkter
Messungen dieser Eräite zu erörtern. Wir haben über eine derartige,
zum Zwecke der Bestimmung der mittleren Dichtigkeit und des Ge-
wichts der Erde unternommene Untersuchung im neunten Bande
dieser Zeitschrift (S. 567) berichtet und gaben dabei an, dafs ein Gramm
einer anderen, ebenso grofsen und einen Centimeter entfernten Mafse
eine Beschleunigung von 6,685. 10~8 cm erteilt. Denken wir uns nun
zwei Bleikugeln von je 1 m Radius, also 48 000 kg Gewicht in einem
gegenseitigen Mittelpunkts -Abstände von 2,01 m, sodafs also der
Zwischenraum nur einen Centimeter beträgt, dann würden sich diese
Kugeln, dem obigen Messungsergebnis entsprechend, gegenseitig eine
d ui 6,685. 10 -«.48 000 000 nnftnA,0,0
Beschleunigung von -— 201* ~ ~ 0™ 007 942 cm er"
teilen. Diese Beschleunigung würde also nur ein sehr kleiner Bruch-
( 12 350 000 ) ^6r Schwerebeschleunigung sein; der durch die An-
ziehung der Bleikugeln bedingte Zug ist daher in demselben Ver-
hältnis kleiner als deren Gewicht Es ergiebt sich für diesen Zug
durch einfache Regeldetri ein Wert von 3,88 g. Da ein Menschen-
haar im stände ist, eine Belastung von gegen 100 g zu tragen, ohne
zu reifsen, so erhalten wir einen anschaulichen Begriff von der Ge-
ringfügigkeit der Gravitationswirkung, wenn wir bedenken, dafs die
Gravitationskraft auf etwa 25 fache Intensität gesteigert werden müfste,
sollte durch die Anziehung unserer mächtigen Bleikugeln ein Haar
zerrissen werden! Weit kleinere Zahlen würden sich aber natürlich
ergeben, wenn man die Rechnung für minder beträchtliche Massen
durchführen wollte. Im Vergleich zu den elektrischen und magne-
tischen Kräften, die wir im physikalischen Laboratorium zu beo-
bachten pflegen, ist also die Gravitation von völlig verschwindender
Intensität.
Man könnte nun die Frage aufwerfen, ob nicht bei dieser Lage
der Dinge magnetische und elektrische Fernewirkungen in den Be-
ziehungen der Himmelskörper zu einander eine sehr bedeutsame Rulle
spielen müfsten, sodafs die nur das Gravitationsgesetz berücksichti-
genden Rechnungen der Astronomen auf reoht unsicherer Grundlage
ruhten? Diese Befürchtung ist jedoch, wie ja schon die glänzende Über-
einstimmung zwischen der astronomischen Theorie und Beobachtung
beweist, unbegründet. Ziehen wir zunächst den Magnetismus in Be-
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tracbt, so wirkt derselbe in der Nähe eines Magnetpols in der That
mit ansehnlicher Stärke, und wir wissen andererseits, dafs die Erde
sich wirklich wie ein gewaltiger Magnet verhält.2) Indessen,, wegen
des gleichzeitigen Vorhandenseins zweier stets entgegengesetzt wirken-
der Pole verringert sich die von einem Magneten ausgebende Kraft
nicht, wie die Schwerkraft, dem Quadrate des Abstandes, sondern so-
gar der dritten Potenz desselben proportional. Denken wir uns also
einen Magneten, dessen magnetische Anziehungskraft auf ein Stück
magnetisches Eisen in einem gewissen Abstände tausendmal so grofs
ist als die Gravitationswirkung, so würde bereits bei einem tausend-
mal so grofsen Abstände die magnetische Kraft nicht mehr stärker
wirken als die Gravitation, denn erstere wäre auf den 1 000 000 000 ten,
letztere nur auf den 1000 000 ten Teil ihres ursprünglichen Wertes
gesunken. Laseen wir nun den Abstand sich nochmals auf das tausend-
fache vergrößern, so ist nunmehr die Gravitationswirkung tausendmal
stärker als die magnetische Kraft. Wir sehen also, dafs dio mag-
netischen Kräfte, so intensiv sie auch an der Oberfläche der Gestirne
wirken mögen, für die gegenseitigen Beziehungen verschiedener Welt-
körper wegen der grofsen, dieselben trennenden Himmelsräume nicht
in Betracht kommen. Die Wirkungen der entgegengesetzten, mag-
netischen Pole heben sich eben in sehr grofser Entfernung voll-
ständig auf.
Sonach bliebe nur noch die Möglichkeit elektrischer Fernewir-
kung zu widerlegen. Hier haben wir nun zu beachten, dafs elektrisohe
Ladungen nur auf der Oberfläche der Körper ihron Sitz haben können.
Vergleichen wir aber zwei verschiedene Kugeln, so verhalten sich
deren Oberflächen bekanntlich wie die Quadrate, die Inhalte dagegen
wie die Kuben der Radien. Eine Kugel vom zehnfachen Radius hat
demnach zwar eine hundertmal so grofse Oberfläche, aber eine tausend-
fach vergröfserte Masse; oder mit anderen Worten: die Masse wächst
in viel schnellerem Verhältnis als die Oberfläche. Wenn es daher
auch leicht gelingt, kleine Körperchen so stark zu elektrisieren, dafs
kräftige Anziehungs- oder Abstofsungswirkungen beobachtet werden,
so ist bei den massigen Weltkörpern, deren Oberfläche im Verhältnis
zur Masse als sehr klein bezeichnet werden mufs, eine Beeinflussung
der Bewegungen durch elektrostatische Kräfte ausgeschlossen, zumal
') Nach Gauss müfsten im Innern der Erde 8464 Trillionen je ein Pfund
schwerer Magnetstäbe untergebracht werden, um die Wirkungen des Erdmag-
netismus künstlich zu erzielen; jedes Kubikmetordes Erdballs mutete so mag-
netisch sein wie acht derartige Stabe.
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uns bis jetzt noch keines dieser Gestirne Anzeichen hoher elektrischer
Erregung gezeigt hat Anders mag es wohl bei den sehr ausgedehnten,
aber nur mit verschwindend kleiner Masse begabten Kometen stehen.
In der That erklärte ja Beseel die Bewegungen der Schweifteüchen
dieser Himmelskörper duroh Zuhilfenahme einer elektrischen, von der
Sonne ausgehenden Abstofsungskraft, und ob nicht vielleicht auch ein-
mal gewisse, sonst unerklärliche Anomalien in den Bewegungen
mancher Kometenkerne zum Zurückgreifen auf dasselbe Aushilfs-
mittel zwingen werden, mag dahin gestellt bleiben.
Sehen wir also von den eine Ausnahmestellung einnehmenden
Kometen ab, so können wir naoh dem obigen zuversichtlich behaupten,
dafs das ganze Weltgetriebe ausschliefslioh durch die Newton sehe
Gravitation beherrscht wird, und es wird uns natürlich erscheinen,
dafs man seit Newton unablässig bemüht gewesen ist, diese für unser
Vorstellungsvermögen unfafsbare, weil scheinbar durch den leeren
Raum hindurch wirkende Kraft auf irgend einem Wege auf Nah-
wirkungen zurückzuführen und damit dem mechanischen Verständnis
zu erschließen.
Was zunächst Newton selbst über diese Frage gedacht hat,
spricht er in seinen Prinzipien am Schlüsse des Kapitels über die
Kometen folgendermafsen aus: „Ich habe nicht dahin gelangen können,
aus den Erscheinungen den Grund dieser Eigenschaften der Schwere
abzuleiten, und Hypothesen erdenke ich nicht. ... Es genügt, dafs
die Schwere existiere, dafs sie naoh den von uns dargelegten Gesetzen
wirke, und dafs sie alle Bewegungen der Himmelskörper und des
Meeres zu erklären im stände sei." Scheint Newton mit diesen
Worten jeden Versuch einer weiteren Erklärung der Gravitation ab-
zulehnen, so geht aus den sich an die obigen Sätze anschliessenden
Worten, die selbst die Kohäsion auf ein geistiges Agens beziehen, so-
wie namentlich aus einem Briefe an Bentley mit Sicherheit hervor,
dafs Newtons persönliche Ansicht alle diese Kraftwirkungen auf eine
Art Willen zurückführt, ziemlich in demselben Sinne, wie es später
von Hörschel, Schopenhauer und Zöllner geschah. Zöllner
gebührt im besonderen das Verdienst, durch genaue historische Nach-
forschungen Newtons Meinung gegenüber den mifs verständlichen
Auslegungen von Faraday und Maxwell sicher festgestellt zu haben.
Auch kann ebenderselbe als der eifrigste neuere Verteidiger der un-
vermittelten Fernewirkung, die er eben als nur auf transcendentalem
Wege begreiflich erachtet, bezeichnet werden. Da die neuere Physik
sogar bei den nur in unmittelbarer Nähe wirkenden Kohäsions-
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und Adhäsionskräften zwischen den sioh beeinflussenden Molekeln
Zwischenräume annimmt und selbst beim Stöfs eine unmittelbare Be-
rührung der Atomkerne ausschliefst, so behauptet Zöllner mit einem
gewissen Rechte, dafs auoh bei einer etwaigen Zurückführung der
Gravitation auf Stofswirkungen die innere Begreiflichkeit derselben
kaum einen Sohritt weiter kommen würde, da immer noch eine „actio
in distansu, wenn auch nur von molekularer Gröfse, übrigbliebe.
Zöllner geht sogar in seinen Konsequenzen so weit, dafs er den
alten, scholastischen Grundsatz: „Corpus ibi agere non potest, ubi non
est14 direkt in den Satz umkehrt: „Corpus ibi agere non potest, ubi
est" Hat demnach die meohanisohe Unbegreiflichkeit einer unver-
mittelten Fernewirkung für den Naturforscher, der sich mit der Auf-
deckung der Tbatsaohen begnügen mufs, nach Zöllners Ansicht
keine Bedeutung, so riohtete dieser Forscher sein Bestreben aus-
schliefslich auf die möglichst weitgehende Zurückführung der ver-
schiedenen Fernewirkungen auf einander. Mit Begeisterung gab er
sich darum der Verteidigung des Weberschen elektrodynamischen
Grundgesetzes hin, welches duroh die Annahme, dafs die elektrosta-
tischen Kräfte von der Geschwindigkeit der aufeinander wirkenden
elektrischen Teilchen abhängig seien, nicht nur die elektrodynamischen
Erscheinungen, sondern auch die Induktionsströme zu erklären ver-
mochte. Zöllner hoffte, auch die Gravitation auf elektrische Ferne-
wirkungen zurückführen zu können, indem er die Hypothese aufstellte,
date die Anziehung ungleichartiger Elektrizitäten um ein weniges die
Abstofsung derselben Mengen gleichartiger Elektrizität übertreffe.
Stünden sich also zwei unelektrische, d. h. mit gleichen Mengen beider
Elektrizitäten geladene Massen gegenüber, so müfste als resultierende
Wirkung aller elektrostatischen Kräfte ein kleines Übergewicht der
Anziehung, also eine Gravitation im Newtonschen Sinne übrig bleiben.
Mit Zöllners im Jahre 1882 erfolgten Tode brachen die in
diesem Sinne sich bewegenden Spekulationen fast vollständig ab, da
sich von England aus eine völlige Umwälzung der Grundansobauungen
über die Elektrizität mehr und mehr Bahn brach. Die neue, von
Faraday vorbereitete und durch Maxwell in ihren mathematischen
Grundlagen ausgearbeitete Auffassung verwirft die unvermittelten Fern-
kräfte gänzlich und erklärt im besonderen die scheinbaren, elektrischen
Fernewirkungen duroh gewisse Störungen im Spannungszustande des
„Äthers", die sich von jedem elektrisch geladenen oder magnetisch
erregten Körper aus im Räume von Punkt zu Punkt ausbreiten. Das
Kriterium, welche von den beiden Auffassungen den Vorzug verdiene.
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mutete in der Feststellung bestehen, ob die scheinbaren Fernewirkungen
zu ihrer Ausbreitung Zeit gebrauohen oder nicht Wurde diese Frage
bejaht, so mutete sich das Zünglein der Wage entschieden zu Gunsten
der Maxwel Ischen Lehren neigen, denn eine unvermittelte » Ferne-
wirkung kann kaum als zeitlich sich ausbreitend gedacht werden. —
So standen sich die beiden entgegengesetzten Ansiohten gegenüber,
als Heinrich Hertz die Welt durch seine epochemachenden Ver-
suche in Erstaunen setzte.3) Jetzt war experimentell erwiesen, dafs
die Induktionswirkungen wie Lichtwellen mit einer zwar enorm grofsen,
aber doch mefsbaren Geschwindigkeit den Raum durcheilen; es liefäen
sich elektrische Ätherschwingungen erzeugen, die alle Eigenschaften
der Lichtschwingungen besateen, kurzum die Maxwellschen An-
schauungen fanden sich fast in allen ihren Konsequenzen bestätigt.
Nun lag es nahe, die neuen Anschauungen auch auf die Gravi-
tation, die letzte bisher noch nicht auf Nahwirkungen zurückgeführte
Fernkraft, auszudehnen. Der Glaube an die Existenz von Fernkräften
war in seinen Grundfesten erschüttert, und die Aufmerksamkeit der
Gelehrten richtete sich darum mehr als bisher den schon seit geraumer
Zeit aufgetauchten Versuchen einer mechanischen Erklärung der Gra-
vitation zu. Die bedeutsamsten hier in Betracht kommenden Hypothesen
sind wohl die von Lesage, Spiller, Preston, Isenkrahe, Well-
mann u.a. ausgearbeiteten Ätherstofstheorien. Nach ihnen soll jeder
Himmelskörper beständig einem allseitigen Bombardement von Äther-
teilchen ausgesetzt sein, deren Stofswirkungen sich bei oinem einzelnen
Gestirn kompensieren müteten, während zwei benachbarte Weltkörper
infolge des teilweisen gegenseitigen Schutzes vor dem Anprall der
Ätherteilchen gegeneinander bewegt werden müteten. Es würde so-
nach eine scheinbare Anziehung resultieren, die sogar notwendig,
ebenso wie das Newton sehe Gesetz es verlangt, dem Quadrate der
Entfernung umgekehrt proportional sein mutete . Aber schon die
Proportionalität der Gravitation mit der Masse der aufeinander wir-
kenden Körper bereitet diesen Theorien Schwierigkeiten, da nach
ihnen eher eine Abhängigkeit der Anziehung von der Gröfse der
Oberfläche zu erwarten wäre. Nur die etwas gekünstelte Annahme
hochgradiger Porosität aller Massen den Ätherteilchen gegenüber hilft
über diese Schwierigkeiten hinweg, während manche andere Einwürfe
von keiner der vielen Modifikationen der Ätherstofstheorie beseitigt
werden können. Entweder nehmen dieselben für den Schwereäther
;i) Vgl. die Aufsätze in Himmel und Erde Bd II, S 72 und Bd. III, S. 157.
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ganz andere Eigenschaften an als für den Lichtäther, oder sie führen
zu der Konsequenz, dafs die Gravitation bei grofsen Entfernungen
trotz noch so grofser Massen aufhören müfste. Nach Isenkrahes
Anschauungen, die die Ätherteilchen als vollkommen unelastisch be-
trachten, würde wieder eine merkliche Hemmung der Planetenbewe-
gungen zu erwarten sein, falls man nicht die Geschwindigkeit der
Ätherteilchen als ungeheuer grofs annähme, auch müfste die Gravitation
von der relativen Geschwindigkeit der auf einander wirkenden Körper
abhängen, und beim Dazwischentreten eines dritten Körpers würden
die Ätherstofswirkungen zu ganz anderen Ergebnissen führen als das
Newton sehe Gesetz. So bestechend daher auch anfangs der diesen
Theorien zu Grunde liegende Gedanke sein mag, ist doch bis jetzt
keine sichere Aussiebt vorhanden, auf dieser Grundlage zu einer voll-
kommenen Darstellung der beobachteten Thatsachen zu gelangen.
Einen Fortschritt gegenüber den Ätherstofstheorien bilden wohl
die hydrodynamischen Theorien von Djerknes und Korn. Letzterem
ist vor kurzem durch die Annahme pulsierender Kugeln in einer in-
kompressiblen Flüssigkeit unter Anwendung der sicheren, theoretischen
Entwicklungen der Hydrodynamik eine vollständige Ableitung des
Gravitationsgesetzes gelungen. Allerdings bereitet die Annahme, dafs
alle materiellen Körper im Kornschen Sinne pulsieren, d. h. ihren
Äthergehalt periodisch verändern, dem Vorstellungsvermögen erheb-
liche Schwierigkeiten, sodafs die Korn sehe Theorie wohl nicht als
eine Hypothese im althergebrachten Sinne, sondern nur als eine me-
chanische Analogie aufzufassen ist. Immerhin ist es doch beachtens-
wert, dafs gegen diese Untersuchungen nicht nur kein Widerspruch
laut geworden ist, sondern dafs sich auf diesem Wege auch die elek-
trischen Erscheinungen durstellen lassen, und dafs man auch durch
experimentelle Anordnungen die Anziehungswirkungen pulsierender
in Wasser schwebender Kugeln wirklich hat beobachten können.
Können wir auch nach alledem, wie Prof. Drude am Schlufs
eines greiseren lieferates über die Fernewirkungen4) bemerkt, das
Problern der Erklärung der Gravitation durch Nahwirkungen noch
nicht als gelöst betrachten, so sehen wir doch, dars sich in neuester
Zeit ein sehr intensives Bestreben geltend macht, zu diesem Ziele zu
gelangen. Die Entscheidung der Frage, ob es erreichbar ist, würde eine
genauere und sichere Kenntnis der Gravitation selbst erheischen, als
uns bis jetzt zur Verfügung steht. Darum sehen wir gegenwärtig auch
*) Wiedemanns Annalen, Bd £2.
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allerorten Untersuchungen im Gange, welche die genaue Gültigkeit
des Gravitationsgesetzes in der einfachen Newtonschen Fassung
prüfen sollen und eventuell die erforderlichen Korrektionen der New-
tonsohen Formel aufzusuchen hätten.
So ist in erster Reihe die Frage nach der Fortpflanzungsge-
schwindigkeit der Gravitation von höchster Bedeutung. Falls die Kraft
eine reine Fernewirkung im Newtonschen Sinne wäre, dann müfste
sie von der Zeit völlig unabhängig sein oder mit anderen Worten eine
unendlich grofse Fortpflanzungsgeschwindigkeit haben. Beruht da-
gegen die Schwere auf einer von Punkt zu Punkt fortschreitenden
Nah Wirkung, wie die neuere Physik gern annehmen möohte, dann
muf8 zu ihrer Ausbreitung im Räume eine gewisse, wenn auch noch
so kleine Zeit erforderlich sein. Nun ist die Astronomie allerdings
bis heute bei allen ihren duroh die Beobachtung so glänzend bestätigten
Rechnungen stets mit der zeitlosen Fernewirkung ausgekommen, ja
Laplaoe glaubte auf Grund seiner Untersuchungen der Mondbewegung
behaupten zu dürfen, dafs die Schwerkraft sich mindestens 10 Millionen
mal schneller als das Licht ausbreiten müsse. Zu einem ähnlichen
Resultat gelangte in neuerer Zeit Oppenheim, während v. Hepp erger
sich damit begnügt, einen mindestens 500 mal die Lichtgeschwindig-
keit übertreffenden Wert für die Fortpflanzung der Gravitation zu
fordern, damit von Seiten der Astronomie gegen etwaige Nahwirkungs-
theorien nicht Widerspruch erhoben zu werden brauche. Jedenfalls
wird also durch astronomische Thatsachen die neuere Auflassung bis
jetzt nicht im mindesten5) gestützt, und es erscheint darum verständ-
lich, dafB sich unter den Astronomen auch gegenwärtig noch manche
Anhänger der reinen Fernewirkungslehre finden, nur dafs die meisten
diese Ansicht vielleicht nicht gern aussprechen mögen, um nioht un-
modern zu erscheinen.
Selbst die Gültigkeit der Formel für das Gravitationsgesetz ist
übrigens angezweifelt worden, wenn auch nioht den Nahwirkungs-
theorien zuliebe. Für diese Zweifel waren vielmehr astronomische
Gründe mafsgebend. Der Planet Merkur zeigt nämlich eine Ver-
schiebung der Lage seiner Sonnennähe, die bisher durch die Theorie
noch nicht hat erklärt werden können. Schon Newton selbst hat
aber darauf hingewiesen, dafe eine Veränderung seines Gesetzes in
dem Sinne, dafs nicht die zweite Potenz der Entfernung für die An-
*) Höchstens könbte nach Oppolzer eine Anomalie in der Bewegung
des Winneckeschen Kometen durch die Annahme endlicher Fortpflanzungs-
geschwindigkeit der Schwere erklärt werden.
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ziehung bestimmend sei, eine Perihelbewegung der Planeten zur Folge
haben mutete. Im Aneehlnfe an diesen Oedanken hat nun Hall statt
des Exponenten 2 die Zahl 2,00 000 016 in die Gravitationsformel ein-
geführt und dadurch die Erklärung der thatsäohlich beobachteten
Merkurbewegung zu stände gebracht, ohne dafs von dieser gering-
fügigen Korrektion eine merkbare Perihelbewegung bei den entfernteren
Planeten bewirkt werden könnte. So unwahrscheinlich nun auch
a priori die eben besprochene Abweichung von derjenigen Form des
Gesetzes ist, welche für alle Centraikräfte (also auch für Licht,
Elektrizität u. s. w.) gilt, so haben doch auch rein spekulative Über-
legungen C. Neu mann und Seeliger zu der Annahme einer der-
artigen Korrektion geführt, falls die Zahl der Sterne eine in Wahrheit
unendlioh grofse sein sollte, sodafs man in jeder beliebigen Richtung
schliefslich auf einen materiellen Körper stofsen müfste. Wenn diese
Unendlichkeit der Ausdehnung des sternerfüllten Weltalls richtig ist,
müfste man allerdings auch erwarten, dafs die ganze Himmelsfläche
gleichmäßig hell leuchten müfste. Nur die Annahme einer Absorp-
tion des Sternenlichts im Weltall, welche die effektive Abnahme der
Lichtstärke gegenüber dem einfachen, quadratischen Gesetze verstärkt,
lälst das wirklich beobachtete Aussehen des Himmels mit einer un-
endlioh grofsen Zahl der Gestirne vereinbar erscheinen. Ebenso
könnte daher auch die Schwere eine Art von Absorption erfahren,
sodafs die Anziehungswirkungen sich ebenso wenig wie die Lioht-
wirkungen gleiohmäfsig über den ganzen Himmel verteilen könnten,
sondern vornehmlich nur von den näheren Gestirnen aus zur Geltung
kämen.
Doch dies sind Überlegungen, welohe sich hart an der Grenze
des unserem endlichen Verstände erreichbaren Gebietes bewegen.
Bleiben wir räumlich und zeitlich an demjenigen Orte, wo wir in
Wirklichkeit sind, so liegt, wie gesagt, noch kein stichhaltiger Grund
vor, an der exakten Richtigkeit des New ton sehen Gesetzes zu zweifeln,
und dieses Gesetz selbst, eine der gröfsten Errungenschaften des
menschlichen Geistes, ist uns seinem inneren Wirken nach nooh immer
das versch leierte Bild zu Sais.
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Eine Reise ins neue Goldland Alaska im Jahre 1898.
Von Walter Wemky, Oberleutnant d. L., in Berlin.
(Schlüte.)
J>]Pfrm 1. Juni waren Flufs und Seen eisfrei, und wenn es über
den Pafs im Gänsemarsch gegangen war, st» begann jetzt
eine regelrechte Regatta, zu der Tausende von Booten in kurzer
Aufeinanderfolge, ja fast gleichzeitig starteten.
Die Polizei, bei der alle Boote angemeldet werden muteten, um
festzustellen, ob auch nur Leute, die ein Free Miners Certificate ge-
löst hatten, von den damit verliehenen Rechten Gebrauch gemacht und
Bäume gefallt hatten, hat mehr als 1 1 000 Boote eingeschrieben. Es
befanden sich durchschnittlich in jedem Boot 4—5 Personen, es gab
solche mit 1, aber auch andere mit 30, ja 40 Personen an Bord; es
haben deshalb im Frühjahr 1898 mindestens .",0000 Menschen den
Pars überschritten, um nach Üawson City zu gelangen.
In den ersten Tagen des Juni wehte ein erfreulicher Südwind,
der im Verein mit dem hier noch nicht sehr starken Strom die Boote
schnell vorwärts brachte. Von Lake Bennet, der 26 miles oder 4f> km
lanif und nicht breiter als die Havel bei Spandau ist, kommen wir
bald nach Tajfish Lake. Beide Seen sind von hohen steilen Ufern
umgeben, die nun mit schönen, frischen, grünen und blühenden
Stniuchern und Bäumen bedeckt sind. Die Sonne hat Wunder ge-
wirkt.
Der bis auf den Grund krystallklare Tairish Lake ist 16,5 miles
oder 30 km lang und mit Marsh oder Mud Lake durch einen kurzen,
schmalen Flufslauf verbunden, in welchem sich eine beträchtlich
schnelle Strömung bemerkbar macht, die das landen sehr erschwert;
und gerade am l'fer dieses Flurslaufs ist eine Polizei-Wache der
Tagish Post mit ihren Blockhäusern aufgestellt worden, bei welcher
die Boote, da sie nochmals auf SchmiiL'irelvvare untersucht und ein-
geschrieben wurden, wieder halten muTsten.
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Wir gelangen nunmehr in den Marsh oder Mud Lake, und während
bis jetzt die Fahrt durch Strom und Wind begünstigt war, tritt nun-
mehr auf dem flachen und sehr breiten See, der 20 miles oder 36 km
lang und dazu sehr breit ist, eine absolute Windstille ein, und das
Wasser scheint stille zu stehen.
Die Hitze am Tage ist inzwischen sehr grofs geworden. Blei-
schwer drückt die hoifse Luft auf uns hernieder; und nun kommt
eine Plage zum Vorschein, auf die wir zwar schon vorbereitet worden
sind, die man aber erlitten haben mufs, um die durch sie verursachte
Qual sich ganz vergegenwärtigen zu können.
Miles-Canyoc. Schlucht vor den Stromschnellen.
Milliarden grofser und kleiner Mücken, hier Mosquitos genannt,
umschwärmen uns und summen Tag und Nacht, kriechen in Augen,
Ohren, Mund und Nase und zerstechen selbst durch die Kleidung
hindurch den ganzen Körper; sie scheinen sich für die bisherige
Abwesenheit der Menschen mit unserem Blute entschädigen zu wollen,
und dabei heifst es, das schwere Boot über den 36 km langen
See rudern.
Wir gelangen endlich in den 50 mile river, durch den der
Marsh oder Mud Lake mit dem Lake Labarge verbunden ist Die
Strömung beträgt hier je nach der Breite 3 — 5 miles oder 5 — 9 km
die Stunde. Ungefähr in der Mitte zwischen den beiden Seeen be-
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finden sich die Miles Canyon und die White horse rapide, die ge-
fährlichste Stelle der ganzen Reise.
Hier ist wieder eine Polizeiwache, und auch hier ist es der Po-
lizei gelungen, sich an einer Stelle einzurichten, die es wie bei den
Stromschnellen des Tagish Post sehr schwierig, ja fast unmöglich
macht, anzulegen und zu landen.
Die Schlucht des Miles Canyon verengt sich hier auf 30 Meter
und ist auf beiden Seiten von eben so hohen senkrechten Basalt-
wänden begrenzt Der Strom rast mit einer Geschwindigkeit von
24 km die Stunde, also Personenzug-Geschwindigkeit, hindurch. Am
Ende der Basaltwände, die vielleicht 200 Meter lang sind, erweitert
sich das Flufsbett und die Strömung wird geringer, bis endlich viel-
leicht 400 Meter weiter hinunter es sich wieder verengt, ohne jedoch
von hohen Wänden begrenzt zu sein, und wir an die berüchtigten
White horse rapids kommen.
Die Strömung ist auch hier eine gewaltige, und in den hohen
Sturzwellen der rapids haben viele Hab und Gut, einige sogar ihr
Leben verloren. An den Ufern der Schlucht und dieser Strom-
schnellen entlang ist eine sogenannte Pole traniway gebaut, welche
Güter und Menschen um die gefürchteten Stromschnellen herumbeför-
dert. Des hohen Preises wegen verzichten die meisten jedoch auf
dieses Mittel und trotzen mutig der Gefahr.
Die Pole tramways sind Bahnen, auf denen an Stelle der Schienen,
Baumstämme von 10 — 15 cbra Durchmesser befestigt sind, während
sich um die aus Eisen gegossenen Räder eine auf die Baumstämme
(Holzschienen) passende Nute befindet
Die Vegetation im Inneren Alaskas ist eine wahrhaft tropische
zu nennen; beide Ufer des Yukon sind von den schönsten Blumen
in allen Farben, ja sogar Rosen in grofsen Mengen eingefafst, und die
Hügel sind mit starken Fichten und Birken bestanden.
Die Geschwindigkeit des Stromes nimmt unterhalb der rapids
allmählich wieder ab, hält sich auf ungefähr 9 km die Stunde, und
wir kommen aus dem 50 mile-river in den letzten der Seeen, den
Lake Labarge, 31 miles oder 56 km lang.
An dem Nordende dieses Lake Labarge beginnt der 30 mile-
river, der seinen Namen daher zu haben scheint, dafe er nioht 30,
sondern wenigstens 60 miles lang ist. Der 30 mile-river ist sehr ge-
fährlich und vielleicht noch gefährlicher als die gefürchteten White
horse rapids, weil im Anfange seines Laufes zum Teil unter Wasser
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grosse Felsstücke liegen, die für die Boote, besonders bei niedrigem
Wasserstande, verhängnisvoll sind.
So bin ich denn auch Zeuge gewesen, dafs an dieser Stelle
allein an einem Tage 29 Boote Schiffbruch gelitten haben, deren
Mannschaft sich zwar zum gröTsten Teil gerettet hat, deren Aus-
rüstungen, Vorräte und Boote aber vollständig verloren gegangen
sind. Einen Teil der Lebensmittel haben sie aus dem Wasser wieder
herausgefischt, und dann hiefs es für die Schwergeprüften einfach
wieder, Bäume fällen, Bretter schneiden und Boote bauen. Manche haben
sich hier damit begnügt, statt der Boote nunmehr nur Flöfee zu bauen.
Stromschnellen der White Hone Bapidi.
Auch mein Boot ist an dieser Stelle im 30 mile-river auf einen
Felsen aufgefahren, der gleich einem riesigen Magnet alles an sich
zu ziehen schien, glücklicherweise jedoch so gelinde, dars es nur
einer Arbeit von 2 — 3 Tagen bedurfte, es wieder vollständig in stand
zu setzen und flott zu machen.
Am Einflufs des Teslin oder Hootalinqua-river in den 30 mile-
river war wieder eine Polizeiwache, ebenso an den Einflüssen des
Big Salmon und Little Salmon-river in den nunmehr Yukon-river ge-
nannten Flufs. Der Yukon-river geht hier in kurz gebogenen
Schlangenwindungen manchmal geradezu wieder nach Süden, also
rückwärts. Die Ufer fangen an, weniger steil und etwas niedriger zu
werden, und Sandbänke, die durch Niederschläge aus dem vom Ufer
losgerissenen Erdboden sich bilden, treten auf.
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Hier ist es gefahrlich an den Ufern entlang zu fahren, weil die
an der Oberfläche durch Oras und Baumwurzeln zusammengehaltenen
Ufer manchmal 2 — 3 Meter und mehr unterwaschen sind und, mit den
darauf befindlichen Bäumen nachstürzend, alles unter sich begraben.
Die ungefähr 30 miles oder 54 km unterhalb von Little Salmon-
river gelegenen Five finger rapids, die ihren Namen von den aus dem
Wasser herausragenden Felsen erhalten haben, die den 5 Fingern
einer Hand ähnlich sehen, und die Rink rapids, die kaum den Namen
Stromschnellen verdienen, sind nicht gefährlich zu nennen; es ist hier
auch noch niemand verunglückt
Woiler nördlich gegenüber dem Einflufs des Pelly-river in den
Yukon liegt die Polizeiwache Fort Selkirk. Eine alte Indian trading
post oder Handelsniederlassung! Man sieht hier noch Ruinen früherer
Befestigungen. Jetzt soll hier eine Stadt gegründet werden; die Re-
gierung hat die Grundstücke bereits abgesteckt und mit dem Bau
einiger Häuser begonnen.
Hier befinden sich eine grofsere Anzahl Indianer-Gräber, die
statt der Hügel nur einfache Bretterzäune haben, welche weifs und rot
angestriohen, aber weder originell nooh interessant sind. Die bisher
in der Gegend des Pelly River gemachten Goldfunde dürften kaum
viele zur Niederlassung an dieser Stolle bewegen.
Etwas günstiger dürften sich die Verhältnisse an der weiter nörd-
lich gelegenen Mündung des Stewart River in den Yukon gestalten,
der letzten Polizeiwache vor Dawson-City. Aber hier übt der Klondyke
schon zu grofse Anziehungskraft aus, es dürfte deshalb auch an dieser
Stelle zu einer gröfseren Niederlassung kaum kommen.
Nachdem wir so die ganze, etwa 500 miles betragende Entfernung
von Dyea-Skagway den Yukon hinab zurückgelegt haben, liegen plötz-
lich ziemlich unvermittelt hinter einer Biegung des Yukon am Ein-
flufs des Klondyke River die durch den letzteren getrennten beiden
Städte oder vielmehr Niederlassungen Klondyke -City und Dawson-
City vor uns, am nördlichen, rechten Ufer.
Hier inmitten der Wildnis und Hunderte von miles von aller
Civilisation entfernt, überrascht uns das schöne Panorama und das
bewegte, fast großstädtisch zu nennende Leben und Treiben, das
Dawson-City unseren erstaunten Augen darbietet
Dawson-City ist der Mittelpunkt aller Unternehmungen im Klon-
dyke-Gebiet, und von hier aus wird im Umkreise von einigen hundert
miles alles beherrscht. Ks ist am Fufse einer mehr als 100 Meter
hohen Hügelkette in einer morastigen sumpfigen Ebene erbaut, und
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die Wahl dieses Baugrundes ist nur dadurch zu entschuldigen und
zu erklären, dafs derselbe den gröfsten Teil des Jahres gefroren und
mit Sohnee bedeckt ist und wohl auch war, als er zum Bauplatz aus-
gewählt und abgesteckt wurde.
Im Winter erreicht die Kälte hier 60 und mehr Grad Celsius,
sie ist aber dadurch erträglich, dafs es dann fast absolut windstill ist.
Während des kurzen Sommers ist es zuweilen sehr heifs, und sonder-
bar ist, dafs trotz der enormen Hitze, die an Gewittertagen manchmal
-f 38 Grad Celsius erreicht, der Erdboden 2 Fufs unter der Ober-
fläche niemals auftaut
Die sanitären oder gesundheitspolizeilichen Verhältnisse in Daw-
son-City selbst lassen viel zu wünschen übrig, während die Sicher-
heitsverhältnisse ganz geordnete und sicherlich nicht schlechter als
in irgend einer grofsen Stadt sind. Die kanadische Polizei, eine Art
Gendarmerie, hier North West Mounted Police genannt, ist eine rück-
sichtsvolle, entgegenkommende, aber sehr energische Behörde und
hält Ruhe und Ordnung gut aufrecht. Der einzige bis jetzt vor-
gekommene Raubmord ist durch Gefangennahme, Verurteilung und
Hinrichtung der daran beteiligten 4 Indianer gesühnt worden.
Es befinden sich in Dawson-City an Behörden aurser der Polizei
ein Gericht (court), ein Postamt (General post Office) und ein Berg-
Amt (Mining recorders office), das Dokumente über verliehene
Mutungen (claims), ausstellt. Aufserdern 2 grorse Banken, mehrere
Handelshäuser, viele Hotels, Gasthäuser, Spielhäuser und Singspiel-
hallen oder Theater.
Charakteristisch für die Stadt ist, dafs alle dem Genufs geweihten
Stätten niemals geschlossen werden, also Tag und Nacht geöffnet sind,
mit Ausnahme der Sonntage, die geheiligt werden müssen. Aber
Montag nachts um 1 Uhr fängt alles wieder an. Es erscheinen zwei
Zeitungen in Dawson-City, der Klondyke Nugget (Klondyke Gold-
klumpen) und die Yukon Midnight Sun (Yukon Mitternacht-Sonne).
Die Nummer kostet 50 Cents = 2 Mk.; ebensoviel kosten einzelne
Nummern von Zeitungen aus den Vereinigten Staaten und Kanada;
sind besonders wichtige Nachrichten darin enthalten, so kostet die
Nummer 1 Doli.
Allgemeines Zahlungsmittel ist der Goldstaub, der in kleinen
Ledersäckchen in der Tascho getragen wird. Jeder, der etwas zu
verkaufen hat, besitzt deshalb eine kleine Gold wage, und es hat sich
die eigentümliche Sitte herausgebildet, dafs der Käufer dem Verkäufer
das Säckchen mit Goldstaub einhändigt, und dieser dann die erforder-
Himmel und Erde 189». XI- -.'3
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liehe Menge für sich abwägt und das Säckchen mit dem Rest dem
Käufer wieder einhändigt.
Jedes Hotel, jedes Gasthaus ist mit einem Spielsaal verbunden,
in welchem Poker, Makao, Meine Tante, deine Tante (Faro), Würfel
und alle erdenklichen Spiele immer, Tag und Nacht, ohne Unter-
brechung, im Gang erhalten werden. Zu diesem Zweck sind Leute
angestellt, die für Rechnung des Wirtes spielen; man nennt sie Booster.
Sie erhalten 8 Doli, den Tag, die Croupiers oder Dealers erhalten
20 Doli, täglich und haben dafür zu sorgen, dafs das Spiel nicht auf-
hört; Gewinne erhalten sie natürlich nicht ausbezahlt.
Die Art der Abrechnung mit den Spielern ist auch eigentümlich,
denn da es zu langwierig wäre, jeden Einsatz abzuwägen, so händigt
der Spieler dem Croupier oder Dealer seinen Goldsack ein, und dieser
giebt ihm dafür Spielmarken im gewünschten Betrage, der aber
mit dem Gewicht des Goldsacks ungefähr im richtigen Verhältnis
stehen muTs.
Hört der Spieler auf zu spielen, so wird ihm an der Kasse soviel
Gold zugewogen, als er gewonnen, oder aber abgewogen, als er ver-
loren hat. Es werden hier ungeheuere Summen umgesetzt; öfter ist
es vorgekommen, dafs Leuto Goldsäcke deponiert haben, in denen
sich statt des Goldes gehacktes Blei befand. Wenn sie gewannen,
wurde dies nicht gemerkt und ihr Gewinn anstandslos ausbezahlt; ver-
loren sie aber, so verschwanden sie heimlich während des Spiels,
unter Zurücklassung ihres Beutels, der schiiefslich natürlich unter-
sucht wurde. Den Spielhalter schmerzt solch ein Verlust nicht sehr,
er macht gewöhnlich auch kein Aufhebens davon.
Die Bevölkerung setzt sich aus allen Nationen der Welt zusam-
men, unter denen die Yankees überwiegen. Es ist deshalb auch alles
auf deren Geschmack und Gewohnheiten zugesohnitten.
Das weibliche Geschlecht ist, mit Ausnahme der Damen, die keine
Ladies sind, nicht sehr stark vertreten, doch haben sich immer auch
hier anständige Frauen befunden.
Die Preise in Dawson-City sind den Verhältnissen angepafst,
schwanken aber je nach Angebot und Nachfrage erheblich.
Wein, Bier und Spirituosen, deren Einfuhr kontrolliert und be-
schränkt ist, sind sehr teuer; so kostete eine halbe Flasche Pommery
30 Doli, oder 125 Mk., und doch Hofs der Sekt manchmal in Strömen,
ein Beweis für die dort gemachten reichen Goldfunde. Eine Flasche
Milwaukee-Bier 3,50 Doli. - ■■ 14 Mk., eine Flasche english Ale
5 Doli. = 21 Mk., ein lebendes Huhn 10 Doli. = 42 Mk., ein Beef-
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steak 5 Doli. = 21 Mk., 1 Glas Bier, 1 Schnaps, 1 Zigarre je 50 Uts.
= 2 Mk. Im Klondvke gezogene Radieschen kosteten je 1 Mk. das
Stück. In gewöhnlichen Restaurants konnte man aber eine reichliche
und ganz gute Mahlzeit mit Kaffee oder Thee für 1,50 Doli. =
6 Mk. haben.
Haarschneiden und Rasieren kostete 2,50 Doli. — 10 Mk. Ein
Zimmermann erhielt täglich 15 Doli. = 62,50 Mk. Petroleum hat im
letzten Winter 50 Doli. = 200 Mk. die Gallone von 4 Litern ge-
kostet; aber alle diese Preise sind seitdem erheblich heruntergegangen.
Main itreet (Haupt-Straö«) in Dawion City.
Den Postdienst hat die Polizei zu versehen, und da es Briefträger
nicht giebt, mufs jeder, der oinen Brief erwartet, in der (Jeneral-Post-
Office danach fragen. Dio Leute warten zu diesem Zweck ganze
Tage lang, bis'die Reihe an sie kommt; für Damen war ein besonderer
Eingang, und sie wurden immer sofort abgefertigt.
Die Yankees waren infolge ihres leichten Sieges über die Spanier
sehr übermütig und chauvinistisch und sind jetzt überzeugt, allen
Nationen der Welt überlegen zu sein. Auf uns Deutsche waren sie
sehr schlecht zu sprechen. Am 8. August traf die Nachricht ein, dafs
Admiral Dewcy das deutsche Kriegsschiff Irene durch einen Schufs
habe in die Luft sprengen und versenken lassen. Die Yukon-Mid-
night-Sun gab sofort eine Sonderausgabe heraus, in der diese Neuigkeit
mit Riesenbuchstaben zu lesen war. In den Strafsen wurden Kriegs-
gesänge gegen Deutschland angestimmt und auf die Deutschen weidlich
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35i;
geschimpft. Die unvermeidliche Vernichtung Deutschlands wurde vor-
ausgesagt Der Jubel der Amerikaner war glücklicherweise verfrüht
Main Street, die Hauptstrafse in Dawson City, befindet sich noch
in einem elenden Zustande; Wagen und Pferde versinken in Morast
auf der Strafse. Man hat jetzt angefangen, die Sägespäne von den
Sägemühlen auf die Strafsen zu werfen, um dieselben dadurch ein
wenig zu befestigen.
An jagdbaren Tieren giebt es im Klondyke-Oebiet Bären, Mouse
oder Elentiere, Renntiere, dann wilde Enten und Schneehühner. Da
der Transport grösserer Tiere über Land aber ungeheuer schwierig.
Fleuch- and Fuch-Halle in Dawton City
ja fast ganz unmöglich ist, so werden diese nur in der Nähe der
Flüsse gejagt und erlegt und dann die Flüsse hinabgeflöfst. Es sind
Elentiere erlegt worden, die 1800 Pfund schwer waren.
Während der Laichzeit, im Monat Juli — August, ist der Yukon
River voll von Lachsen, die aus dem Meere heraufkommen und in
grofsen Menden, bis zum Gewicht von 100 — 120 Pfund das Stück, in
Netzen gefangen werden und damit einen wohlthuenden Wechsel in
das Einerlei der Speisezettel bringen.
Die riesigen Uoldfunde, von denen berichtet worden ist, sind hier
wirklich gemacht worden und keine Fabel. Es ist immer noch
möglich Claims abzustecken, d. h. Mutungen zu machen und eintragen
zu lassen. Bei der Canadian Bank of Commerce sind im ersten
Monat ihres Bestehens mehr als *J Tons oder 40 Centner Goldstmub
deponiert worden, und das ist nur ein kleiner Teil des gefundenen.
Mir selber ist es gelungen, in den goldreichsten Distrikten eine
357
Anzahl Claims an den Bonanza, Moosehide, Troandike, Eldorado,
Dominion Creeks, sowie am French Hill abzustecken und von der
Mining Recorders office auf meinen Namen ins Grundbuch eintragen
zu lassen. Ich beabsichtige mit der Ausbeute derselben im Frühjahr
dieses Jahres zu beginnen.
Wenn die Reise nach Dawson City auch schon sehr beschwer-
lich war, so ginge man doch sehr fehl zu glauben, dafs die härteste
Arbeit gethan ist, wenn man dies Ziel erreicht hat. Hier fängt im
Gegenteil die eigentliche und schwerste Arbeit erst an; wieder geht
es hinaus in die Wildnis.
Ein Goldgräber -Sommerhaus bei Dawson City.
Ob der Goldsucher schliefslich Erfolg hat, hangt wesentlich von
seiner Energie ab, von seiner Kraft und Geschicklichkeit, von seinem
Mut und seiner Ausdauer und davon, dars diese ihm nicht versagen.
Es ist sicherlich mehr Gold in diesem Lande als irgend wo
anders unter der Sonne, aber nirgends ist es so verborgen und so
scharf von der Natur behütet und bewacht wie hier.
Der gefrorene Erdboden ist so hart wie Feuerstoin, und es er-
fordert viel Holz und Hitze ihn aufzutauen, und das ist schwere Arbeit.
Dafs viele Goldsucher enttäuscht zurückkommen, liegt in der
Natur der Sache. Die meisten von ihnen glichen nicht denen, die
hinaus gegangen waren, lange bevor an Dawson City und Circle City
zu denken war. Jene waren Pioniere und Abenteurer, angetrieben
358
ebenso sehr von der Sucht naoh Neuem und Entdeckungen, als
von der Aussicht das gleifsende Qold zu finden. Hier ist kein Platz
für den, der hinausgetrieben wird von den blendenden Beriohten
über leicht erworbene Millionen, es bedarf vielmehr verwegener
Geister, die vor Entbehrungen bei harter Arbeit nicht zurückschrecken,
selbst wenn die Aussichten nicht immer die besten sind. Der Kühne,
Verwegene mit durchdringendem Verstand, der aufmerksame Beob-
achter der Natur, das Herz, welches das Außergewöhnliche liebt und
nach neuen Eroberungen, nach neuen Bildern und Stätten, die nie
vorher ein menschliches Wesen beschritten, lechzt, er wird zufrieden
und beglückt sein, wenn auch die Mühen grofs waren.
Er wird zurückkommen mit klarem Kopf, leuchtenden Augen,
elastischem Schritt und vielleicht auch mit gröfserer Liebe zu setner
heimatlichen Scholle.
Die Prospektors, wie die Amerikaner die Goldsucher nennen,
gehen mit Hacke, Spaten, Goldpfanne, Decken oder Zelteu und den
nötigen Lebensmitteln hinaus in die goldhaltigen Distrikte und graben
auf gut Glück.
Glauben sie auf goldhaltigen Boden gestoßen zu sein, so waschen
sie einen Spaten voll davon in der Pfanne aus, und man mufs wirk-
lich einen solchen Versuch selbst mitgemacht haben, um die aufs
höchste gespannte Erwartung zu verstehen und zu würdigen, die sich
in aller Mienen dabei ausspricht.
Sind seine Hoffnungen getäuscht worden, so zieht der Goldsucher
weiter; haben sie sich erfüllt und sind seine Bemühungen von Erfolg
gekrönt, so steckt er seinen Claim ab, d. h. ei schlägt an den vier
Ecken Plähle ein, schreibt seinen Namen und das Datum darauf und
meldet dies sobald als möglich in der Mining Hecorders office an.
Einen Markpfahl zu entfernen ist streng verboten und wird als Ver-
nichtung einer Urkunde bestraft.
Das einzige maschinenartige Instrument, das hier Verwendung
findet, ist die Wiege oder rocker. Es ist ein Kasten, der auf Leisten
ruht und gleich einer Wiege darauf geschaukelt werden kann; in ihm
befinden sich horizontal übereinander 3 — 4 durchlochte Eisenbleche,
auf deren oberstes, unter Zugiefsen von Wasser, der irold haltige Kies
geschüttet wird.
Durch das Schütteln und Wiegen fällt Kies und Gold durch,
aber infolge seiner grofseren Schwere das Gold zuerst, während der
Kies fortgewaschen wird, das Gold sich aber unten ansammelt.
Die Registrierung eines solchen Claim- kostet 1'» Doli, oder
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62,50 Mk.; andere Kosten entstehen nicht, aber es wird von der Aus-
beute, die aber von den Behörden natürlich schwer festgestellt werden
kann, ein geringer Prozentsatz erhoben.
Erweist sich ein Claim als abbaufähig, so wird in seiner Nähe ein
Blockhaus erbaut, in dem sich der Goldsuoher dann häuslich einrichtet.
Trotz des bis jetzt von allen und ausschließlich betriebenen
Raubbaues, der ohne irgend welches System und ganz ohne Hilfe
selbst der einfachsten Maschinen nur mit Handarbeit verrichtet wird,
und trotz der bis jetzt sehr mangelhaften oder vielmehr ganz fehlenden,
Goldwäschen mit der Pfanne.
aber für die Entwickelung des Landes und der Goldminen-Industrie
so notwendigen Verkehrseinrichtungen, sind die bis jetzt erreichten
Erfolge sehr gute, in einigen Fällen sogar über alle Erwartungen
grofsartige, die zu den gröTsten Hoffnungen berechtigen, besonders
wenn man berücksichtigt, dafs es sich hier um ein ungeheuer grofses
tiebiet handelt, in dem sich nicht nur Gold, sondern auch alle anderen
edlen und unedlen Metalle, Kohlen und Erze in reichen Lagern vor-
finden, und dafs bis jetzt nur ein verschwindend kleiner Teil des
Landes und zwar nur in der primitivsten Weise bearbeitet und aus-
genutzt wird. Die Goldminen-Industrie geht hier bei rationeller Be-
arbeitung einer grofsen Entwickelung und sehr reichen Zukunft
entgegen.
Bis jetzt haben die Goldsucher in den im Winter bis auf den
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Grund gefrorenen Bächen den goldhaltigen Boden (pay-dirt) einfach
ausgegraben, auf Halden geschafft und dann das Frühjahr abgewartet,
um mit dem eintretenden Tauwetter das Eis und Schneewasser zum
Auswaschen des Goldes zu benutzen.
Die bis jetzt geraachten Goldfunde sind alle in sogenannten Placer
minings gemacht worden, d. h. das gefundene Gold ist Alluvial-Gold,
welches als Staub, in Körnern oder in Stücken (nuggets) in reinem
Zustande aus dem kiesartigen Boden gewaschen wird. Dafs das Allu-
vial-Gold sich nicht immer nur in den Flufsbetten und Thälern be-
Goldgrftbers Blockhaus am Claim.
findet, sondern zum Teil auch auf den Hügeln, ist zuerst im Klondyke-
gebiet festgestellt worden, und es sind dementsprechend sogenannte
Hill Claims erteilt worden, die sich zum Teil wie z. B. auf French
Hill am Eldorado als sehr reich erwiesen haben.
Das Vorhandensein solcher Placer Minings hat goldhaltige
Quarzlager zur Voraussetzung, die, zum Teil verwittert, durch Wasser
oder Gletscher von dem Orte ihrer Entstehung bis zum Fundorte ge-
waschen oder geschoben worden sind.
Die Form des Goldes im Gestein ist ursprünglich kantig, scharf
und spitz, wird aber durch die Fortbewegung über den Erdboden
und das Gestein abgeschliffen. An dem Grade des Abgeschliffenseins
d. h. nach der Abrundung der Kanten liifst sich darauf schliefsen, wie
weit das Gold ungefähr gereist ist
Das im Klondyke- Gebiet gefundene Gold ist nicht sehr abge-
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361
schliffen und rundkantig, ja zum Teil noch ziemlioh scharf. Man kann
aus diesem Grunde mit Bestimmtheit darauf schliefsen, dafs in nicht sehr
weiter Entfernung davon sich jetzt noch goldhaltige Quarzlager befinden,
deren Reichtum naoh den bisher gemachten Funden an Alluvial-Gold
den aller anderen Länder, Australien und Afrika eingeschlossen, bei
weitem übertrifft Es ist deshalb auch der Wunsch und die Hoffnung
aller darauf gerichtet, die sicher in ziemlicher Nähe befindlichen Quarz-
lager zu entdecken, um sich aufser einem Placer Mining Claim einen
solchen Quarz claim zu sichern, dessen Wert unschätzbar wäre.
Für den Transport von Gütern von Dawson City nach dem nur
120 km entfernten Dominion creek sind im letzten Jahre 100 Doli,
für den Centner bezahlt worden, und trotz dieses unerhörten Preises
haben sich nicht einmal immer Frachter bereit gefunden. Eine Klein-
oder Feldbahn die den Klondyke, Bonanza entlang über The Dome,
in welchem die Quarzlager vermutet werden, ginge und nach dem
Dominion creek führte, würde nioht nur die Entwickelung des Hinter-
landes gewaltig fördern, sondern auch bei verhältnismäfsig niedrigen
Frachtsätzen ein geradezu glänzendes Geschäftsunternehmen sein.
Nach dem übereinstimmenden Urteil aller Sachverständigen und In-
teressenten, die dieses neue Goldland aus eigener Anschauung kennen,
ist von dem ungeheuren Gebiete nur ein geringer Teil erschlossen.
Von den Hunderten von Bächen und Flüssen, die alle ohne Ausnahme
Gold führen, sind nur einige wenige erforscht.
Es wird in Zukunft leicht sein, im Sommer das Klondyke-Gebiet
zu erreichen, da von Skagway über den Withe Pafs eine Eisenbahn
gebaut ist, die bis Lake Bennett führt, das man in einem Tage leicht
erreichen kann. Von Lake Bennett kann man auf den inzwischen
eingestellten Flufsdampfern Dawson City in 3 — 4 Tagen erreichen.
Der mit Recht so gefürchtete Chilcoot-Pafs mit seinen Lawinen wird
also in Zukunft wieder so vereinsamt und so verlassen daliegen wie
früher, und die durch ihn verursachten Leiden werden ein Ende haben.
Es bietet sich demnach jedem Unternehmungslustigen, dem das
nötige Kapital zur Verfügung steht, ein überaus reich lohnendes Feld
für seine Thätigkeit, und es ist nur zu wünschen, dafs sich die Deutschen
hier nicht wie in Australien und Transvaal von den Angehörigen
anderer Nationen wieder zuvorkommen und die günstige Gelegenheit
entgehen lassen. Die Zeit wird nicht ferne sein, in welcher der
Goldreichtum des Klondyke-Gebiets eine ebenso grofse Bedeutung er-
langt haben wird wie in Transvaal und Australien.
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Nicolaus Coppernicus.
Von Professor N. Cnrtxe in Thom.
(Fortsetzung.)
III. Greisenalter und letzt«» Lebensjahre.
vrnzwischen hatte Coppernicus das 60. Lebensjahr erreicht. Bald
ri, darauf flachte er das Recht dieses seines Alters auf Annahme
(~ eines Coadjutors cum iure succedendi — und zwar, wie am besten
aus dem verschleppenden Verfahren des Bischofs später ersiohtlich,
ohne den Zwang- körperlicher Hinfälligkeit — nur zur Sicherung'
seiner Pfründe für einen ihm Nahestehenden im Falle seines Todes zu
benutzen. Das Antwortschreiben Ferbers aus 1634, die Quelle
unserer Kenntnis über diesen Umstand, läfst über die momentane Ver-
weigerung der erforderlichen bischöflichen Einwilligung keinen
Zweifel. Auch im Februar 1535 vertröstete ihn der Freund auf der
Kathedra mit dem Versprechen guten Rates für die Zukunft Der Tod
Ferbers in 1537 hinderte alle, wenn überhaupt vorhandenen »lies-
bezüglichen Abmachungen zwischen beiden, und erst am T.Mai 1543,
wenige Tage vor dem Tode des grofsen Astronomen, trat Johannes
Loysse oder Lewsze, aus einem Ueschlechte, von welchem zwei
Mitglieder mit Nichten des Domherrn verheiratet waren, auf Grund
päpstlicher Bestätigung als Coadjutor desselben ein. Ebenfalls zu
Gunsten, hier eines Freundes, erfolgte 1538 die Niederlegung einer
Sinecure, einer Scholastrie an der Kirche zum heiligen Kreuz zu
Breslau, seitens des Greises, über welche wir nur die Thatsachen der
Besitzdauer seit den lünglingsjahren — aus dem Doktordiplome —
und der Niederlegung wissen. Selbst die Person des Nachfolgers
wird verschieden angegeben.
Wennschon, wie erwähnt, die geistige und körperliche Frische
unseres Helden auch nach Überschreitung der Jahre kräftigsten
Schaffens ungebrochen blieb, so traten doch Ansprüche, wie sie das
Kapitel an den rüstigen Mann hatte stellen dürfen, jetzt seltener an
ihn heran, um schliefslich von selbst ganz aufzuhören. So wurde ihm
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363
am 8. November 1537 die Verwaltung der mortuaria, milder Stif-
tungen zu Gedächtnisfeiern, und der assistentia munitionis zugeteilt,
Ämter, die schwerlich grofse Anforderungen an ihren Inhaber stellten.
Andererseits finden wir ihn im ganzen Verlaufe der drei feiger Jahre
nach den Elbinger Ausschufssitzungen nur noch dreimal auf mehr
oder weniger doch körperliche Anstrengungen bedingenden Reisen
im Dienste des Kapitels, nämlich 1631 und 1538 als Nuncius Capi-
tuli im Gebiete des Kammergutes Alienstein und 1535 mit seinem
Freunde Giese als Visitator ebendaselbst.
In unvermindertem Umfange bestand jedoch seine wissenschaft-
liche Thätigkeit fort. Der stoffliche Inhalt der Revolutiones lag
wahrscheinlich schon lungere Zeit vollständig vor. Eine obere Zeit-
grenze für seinen Abschlufs bildet allem Anscheine nach eine Beob-
achtung des Apogäums der Venus aus dem Jahre 1532, deren Re-
sultat zu 48° 30' durch Coppernicus' eigenhändige Einzeichnung in
die einst ihm gehörigen Tabulae direotionum profectionumque des Re-
giomontan uns zu Upsala erhalten ist. Während nun in der Editio
princeps der Revolutiones sonst aufser den Angaben der Alten stets
die Werte der eigenen Planetenbeobachtungen des Verfassers gegeben
sind, fehlt letzterer bei dem Apogäum der Venus. Im Prager Original-
manuskripte findet sich dagegen, aber durchstrichen, eine eigene
frühere Bestimmung desselben zu 48" 20', übereinstimmend mit den
Angaben des Almagest. Da liegt doch der Schlufs nahe, Copper-
nicus habe die Revolutiones ursprünglich, wie noch kenntlich, unter
Benutzung der alten Angabe abgeschlossen gehabt, nach jener ge-
naueren Beobachtung von 1 532 aber diese getilgt, und die Einfügung
des neuen Wertes nur verabsäumt. Damit rückte die Vollendung des
Werkes in den äufseren Umrissen vor das Jahr 1632 hinauf. An
textlichen Verbesserungen arbeitete der greise Forscher jedoch noch
ununterbrochen bis fast zum letzten Augenblicke, und ebenso uner-
müdlich suchte er an immer wiederholten Gestirnbeobachtungen die
Richtigkeit seiner Theorie zu erhärten. Aufser der erwähnten der
Venus von 1532 sind uns deren noch mehrere, in den Revolutiones
nicht aufgenommene aus dem Jahre 1537 erhalten.*') Nach einer
Notiz in der Lebensbeschreibung Karls V. von Zenocarus27) hat
-"*) Man sehe darüber das erste Heft der „Mitteiluugen des Coppernicos-
Vereins- S. 35, die Prolegomeua der S&cularausgabe der Revolutiones, Thorunü
1873, und die Reliquae Copernicanae. Leipzig 1875.
,:) De republica, Vita, Moribus, Ge»tis, Fama, Religione, Sauctitate Im-
pcratoris, Caesaris. Augusti, Quinti, Caroli, Maximi Monarchae Libri septem . . .
autoro Guilielrao Zenocare ä Scauvenburgo, (iandavi I ".59. S. 1 9:1/94.
364
Coppernicus sich auch mit dem Kometen des Jahres 1533 be-
schäftigt und ist dabei mit Petrus Apianus, Scala, Cardano und
Gemma Frisius in Streit geraten. Nur Apianus' Beobachtungen,
nach denen 0 Ibers die Bahnelemente zu berechnen versucht hat,
haben sich erhalten. Wir dürften aber wohl nicht fehlgehen, wenn
wir in dem nicht dem Almagest entsprechenden Verhalten des Ko-
meten, speziell seiner Rückläufigkeit, eine neue Waffe in der Hand
des Frauenburger Astronomen zur Erschütterung der Autorität des
Ptolemaios erblicken.
Naoh dem Erscheinen des Commentariolus, welcher ungefähr
einer Selbstanzeige der Revolutiones duroh den schon weit berühmten
Domherrn entspricht, verbreitete sich statt des früheren langsamen
Durchsickerns einer dunklen Kundo die genauere Kenntnis des neuen
Systemes rasch. Schon 1533 hielt der päpstliche Sekretär Wid-
manstad dem für die Wissenschaft begeisterten Papst Clemens VII.
im Beisein mehrerer Kardinäle eingehenden Vortrag über die helio-
centrische Lehre des Frauenburgers.-8) Auch als nach Pauls III.
Thronbesteigung der finstere Eifergeist der starr buchstabengläubigen
Gegenreformation Einflufs gewann, fanden sich unter der höchsten
Geistlichkeit noch Gönner freier Geistesrichtung. Kardinal Nico laus
von Schönberg, Bischof von Capua, erbat sich in einem Briefe
vom 1. November 1536 von Coppernicus selber eingehende Dar-
legung seines Systems. Leider verhinderte ihn ein baldiger Tod
(schon 1537) an dem halb und halb versprochenen Eintreten für die
päpstliche Billigung desselben. Ungewifs ist, ob unser Nicolaus
noch dem Wunsche des hohen Kirchenfürsten entsprechen konnte;
die Wichtigkeit jedoch, welche er der Aufforderung beimafs, erhellt
aus dem Abdruck des Originalschreibens vor dem Texte der Revo-
lutiones. Ganz im Gegensatze zu dieser ursprünglich freundlichen
Aufnahme in Rom steht die von Anfang an schroff ablehnende
Haltung der Wittenberger Reformatoren. Darüber an späterer Stelle
ein Mehreri'8.
Neben seinen rein wissenschaftlichen Interessen widmete sich
-") Die Notiz ist der Münchener Handschrift Codex Graecus CLI ent-
nommen. In derselben steht die eigenhändige Eintragung von Widman-
stad: „Clemens VII. I'ontifex Maximus hunc codicem mihi dono dedit Anuo
MDXXXIII Koraae, postquam ei praesentibus Fr. Ursino, Joh. Salviato Cardi-
nalibus, Joh. Petro episcopo Viterbiensi, et Mattheo Curtio physico. in hortis
Vaticanis Copernicanam de motu terrae sententiam explieavi. Joh. Albertus
Widmanstadius cognomine Lucretius, Serenissimi Dumini no.«tri Secretarius et
fHiniliaris."
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Coppernicus auch in höherem Alter noch den aus Verwandtschafts-
oder Freundschaftsbeziehungen entsprungenen Pflichten. So übernahm
er über die Kinder seiner an den Danziger Ratmann Reinhold
Feldstette verheirateten, seit 1529 verwitweten Cousine die Vor-
mundschaft und führte sie nachweislich noch 1536.
Gleichfalls hierher gehört, was wir von seiner ärztlichen Thätig-
keit wissen. Genauere Angaben aus früheren Perioden fehlen völlig,
denn die kurze Nachricht Starawolskis und nach ihm Gassendis,
Coppernicus sei wie ein zweiter Aesculap verehrt worden, ist neben
ihrer Unbestimmtheit doch auch nur mit einer durch die Rücksicht
auf seine Stellung bedingten Einschränkung zu verstehen; regel-
mäfsiges Praktizieren war ein Nonsens für ihn. Näheres wissen wir
erst von seinen Bemühungen um den kranken Bischof Mauritius
Ferber an. Die uns erhaltenen medizinischen Werke aus seinem
Besitze und seine Einzeicbnungen darin zeigen, wie der als Astronom
seinem Zeitalter weit vorauseilende Mann als Arzt, und zwar als
hochangesehener Arzt, doch ein Kind seiner Zeit blieb und sich durch
keine neue originelle Auffassung vor ihr auszeichnete. Es sind die-
selben Lehrbücher, dieselben aus allen drei Naturreichen zusammen-
gesetzten, durch Inhalt und Ellenlänge fast unser Lachen erregenden
Rezepte, wie sie noch lange nachher gang und gäbe waren. Trotz-
dem sehen wir ihn oft erfolgreich eingreifen. Als 1529 Bischof
Mauritius Ferber ihn das erste Mal zur Konsultation nach Heilsborg
berief, gelang es ihm bald, den Patienten herzustellen. Gegen Ende
1531 wiederholte sich die Berufung, Ferber litt an heftiger Kolik.
Im Verein mit des Herzogs Alb recht Leibarzt Dr. Wille gelang
Coppernicus wieder die Bewältigung der Krankheit Mauritius
preist ihn in Briefen an den Krakauer Kollegen und den Gnesener
Erzbischof als seinen Lebensretter; da kam im April des nächsten
Jahres ein Rückfall, 1533 gesellte sich das Podagra dazu, und beides
spottete der ärztlichen Kunst. Nach einem ersten Schlaganfall 1535
rettete ihm der Domherr zwar mit Mühe das Leben, aber unter-
sagte für die Zukunft jede Beschäftigung, um durch absolute Ruhe
den schwaohen Faden noch für einige Zeit vor dem Zerreifsen zu
schützen. Die Danziger Ärzte und des Königs von Polen Leibarzt
stimmten nachträglich ihrem Kollegen einfach zu. Doch auch sorg-
fältige Pflege vermochte nichts mehr. Am 1. Juli 1537 erlag Ferber
einem zweiten Schlaganfalle, ohne dafs der herbeieilende Copper-
nicus noch Gelegenheit zur Hilfe hätte finden können; der Tod war
schon vor seiner Ankunft eingetreten.
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Vorgreifend sei es uns hier gestattet, das wenige in urkund-
lichen Nachweisen uns über die weitere ärztliche Thätigkeit des Dom-
herrn Erhaltene zu erwähnen. Naturgemäfs sind wir nur über Kon-
sultationen nach auswärts unterrichtet, während alle Umstände seines
vermutlich öfter in Frauenburg selbst gespendeten Beistandes bei der
Mündlichkeit der vorhergehenden Verhandlungen sich unserer Kennt-
nis völlig entziehen. Zunächst finden wir ihn wieder auf der Reise
nach Heilsberg. Dantiscus, der Nachfolger Ferbers auf Ermlands
Bischofstuhle, war wenige Monate nach seiner Wahl im April 1539
nicht unbedenklich erkrankt. Als im Mai des Coppernicus Kunst
ihn nur notdürftig wieder hergestellt hatte, sah or sich zu einer Reise
nach Breslau genötigt, zum Vollzug des ehrenvollen Auftrags, die
Ehepakten des polnischen Königssohnes Sigismund August abzu-
schliefscn. Die spätero Deputierung gerade Coppernicus' neben
Felix Reich von Kapitelsseiten zur Huldigungsfeier des neuen
Bischofs (August 1538) könnte daher wohl auch dem Nebenzwecke
gedient haben, dem Arzt Coppernicus Gelegenheit zur Beobachtung
der Folgen dieser Anstrengung während der Rekonvalescenz zu
geben. Im folgenden Jahre trieb ihn die Besorgnis um don schwer
erkrankten, von Thorner Ärzten ohne grofsen Erfolg behandelten
Tiedemann Giese nach Löbau, dem Schlosse seines jetzt den
Culmer Bischofssitz einnehmenden Herzensfreundes. Bald nach seiner
Ankunft am 27. April mufs er jedoch schon wieder zur Kathedrale
zurückgekehrt sein, denn, wie wir später sehen werden, traf ihn
Rheticus bei seiner Ankunft im Ermlande im Mai 1538 zu Frauen-
burg. In Begleitung dieses seines Schülers begab er sich auf Ein-
ladung Gieses zu längerem Aufenthalte von Juli bis September noch-
mals nach Löbau, wohl auch mit um die Rekonvalescenz des bald
60jährigen als Sachverständiger zu überwachen. Auch 1540 nahm er
für kürzere Zeit bei erneuter Erkrankung des Bischofs zu Löbau Auf-
enthalt, um dann die Behandlung brieflich weiter zu führen. Das
glänzendste Zeugnis aber für seinen hohen ärztlichen Ruf und seine
stete Hilfsbereitschaft selbst im Greisenalter legt das letzte uns be-
kannte Auftreten als Arzt ab, seine Berufung und Reise nach Königs-
berg im Jahre 1541. Unter dorn 6. April 1541 wandte sich Herzog
Albrecht an das Frauenburger Kapitel und Coppernicus, um
letzteren zur Behandlung seines schwer erkrankten, alten Vertrauten
Georg von Kunheim, Amtshauptmanns von Tapiau, nach Königs-
berg zu bitten. Zwei nach dem Tode des erprobten Leibarztes Dr.
Wille daselbst praktizierende jüdische Ärzte hatten schon ver-
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geblich ihre Kunst an dem Kranken versucht. Im Interesse der
freundnachbarlichen Beziehungen wurde Co ppernious die Erlaubnis
zur Reise an den Hof des Herzogs seitens des Kapitels am 8. April
bewilligt; am 13. meldet Albrecht dankend sein Eintreffen zugleich
mit dem Ersuchen um Verlängerung des Urlaubs. Erst am 5. Mai
kehrte Coppernicus nach Frauenburg zurück und setzte von da an
gemeinsam mit dem polnischen Leibarzte Dr. Solpha die Behandlung
brieflich fort Da Kuhnheim erst 1543, also zwei Jahre später, mit
Tode abging, so mufs sie wohl Erfolg gehabt haben. Nebenbei mag
der Domherr seinen Aufenthalt wohl auch zum Besuche seiner Nichte,
der seltsamerweise unter ihrem Stande an den herzoglichen „Heer-
peucker" Kaspar Stulpawitz verheirateten Tochter des Krakauer
Kaufmanns Berthel Gertner, verwendet haben, deren Kinder er
später in seinem Testament bedacht hat.
Mit dem Tode Ferbers trat, wie wir schon oben sahen, wenn
auch mangels päpstlicher Bestätigung nicht de jure, doch factiscb das
Kompromiß Giese - Dantiscus in Wirksamkeit. Des Königs
Absicht, der scheinbar durch des Dompropstes Plotowski eigenes
Streben nach der Kathedra gefährdeten Kandidatur des Dantiscus
durch einen Machtspruch zum Siege zu verhelfen, unterblieb infolge
des aus Furcht vor einem Praecedens abgegebenen Versprechens der
Domherrn, unbedingt nur diesen zu wählen. Wirklich fielen alle
neun abgegebenen Stimmen, unter ihnen diejenige von Coppernicus,
auf Dantiscus. Auf der Kandidatenliste hatte sich übrigens auch
sein Name an Stelle des ursprünglich aufgeführten Snellenberg
befunden, obwohl ihm zeitlebens jedes derartige Streben ferngelegen
hatte.
Bald nach der erwähnten Huldigungsreise begannen ernste Un-
annehmlichkeiten zwischen Coppernicus und seinem neuen Bischof.
Ein kurzes Eingehen auf des Dantiscus reich bewegtes Leben mag
bei der bedeutenden Persönlichkeit des Mannes, seinen schon seit
langer Zeit bestehenden Beziehungen mit unserem Helden und zur
Erklärung seiner Stellungnahme zu ihm erwünscht erscheinen. 1485
als Sohn eines Danziger Brauers geboren, nahm er ursprünglich von
seines Grofsvaters Beschäftigung den auch gräcisiert als Linodes-
mos vorkommenden Namen Flaxbinder an; nach seiner Adelung
durch Kaiser Max vertauschte er ihn gegen die Bezeichnung de
Curiis, in deutscher Form von Höfen, um sich in höhereu Jahren
nur noch als Dantiscus nach seiner Vaterstadt zu bezeichnen. Schon
als Knabe auf der Universität Krakau gebildet, nahm er als 17jähri-
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ger an einem Tatarenkriege Polens teil und begab sich dann auf aus-
gedehnte Reisen, die ihn bis naoh Palästina und Arabien führten.
Kaum zurückgekehrt, ward der erst 23jährige 1508 als königlicher
Notarius zur Marienburger Tagfahrt entsendet und vertrat von da
an bis 1513, also zur Zeit, da Coppernicus in Watzelrodes
Begleitung dieselben ebenfalls besuchte, und er jedenfalls durch
seine Stellung in nahe Beziehungen zu Oheim und Neffen kommen
mufste, als königlicher Sekretär Sigismunds Interessen auf den
Landtagen seiner Heimat, — sehr zum Ärgernis der preußischen Stände,
die ihn namentlich wegen des Versuchs einer Einführung der Appel-
lation an polnische Gerichte gegen ihre ausdrücklichen Privilegien
mit ihrem besonderen Hasse bedachten. Solche treue Hingabe an das
neue Vaterland, verbunden mit hervorragender Begabung und reichem
Wissen liefsen ihn für den hohen Posten eines Gesandten bei den
deutschen Kaisern Max und Karl V. geeignet erscheinen. Als solchen
finden wir ihn von 1515 an. In unstetem Wanderleben vergingen
ihm so vier Jahre am kaiserlichen Hoflager zu Valladolid; er wohnte
der Kaiserkrönung zu Bologna bei und zog zu den grofsen Reichs-
tagen nach Deutschland. Hier wartete seiner noch eine der schwierig-
sten Aufgaben: die Vertretung des Krakauer Friedens und der da-
durch eingetretenen Säkularisation des Ordenslandes und des Über-
trittes Albrechts zur Reformation vor Kaiser und Reich zu Augs-
burg und Nürnberg. Allmählich des ewigen Umherziehens müde, bat
er zur Zeit seiner Wahl zum Bischof von Culm, 1530, um Enthebung
von dem Gesandten posten, welche ihm auch nach dem Nürnberger
Reichstage gewährt wurde. Bis dahin war der hochgebildete und in
stetem Umgange mit den höchsten Kreisen fein geschliffene Dan-
tiscus Humanist, Freidenker und Weltkind gewesen. Anakreontische
Liebeslieder und einige Epen hatten seinen Ruf als begabter Dichter
begründet, und auch die frühzeitige Übernahme mehrerer Pfründen,
so schon 1513 der Pfarrei zu Golombie, 1523 an der Danziger Haupt-
kirche, denen sich 1528 noch ein Frauenburger Kanonikat anreihte,
änderte an seiner gepriesenen Sittenfreiheit nichts, handelte es sich ja
größtenteils nur um die Wahrnehmung seiner pekuniären Interessen
bei Übernahme derselben. Zahlreiche Liebesverhältnisse, aus deren
einem mit der Spanierin Ysope deGalda eine Tochter Johanna
Dantisca de Curiis entsprofs, bewiesen es zur Genüge. Ebenso
vorurteilsfrei zeigt ihn sein Besuch bei den Reformatoren in Witten-
berg in 1523. Seine Charakteristik Luthers wird, bei allem inner-
lichen Widerstreben des Hofmanns gegen die Derbheiten des gewalti-
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369
gen Augustiners, doch dessen groTsen Eigenschaften voll gorecht, ja
er versteigt sich zu der Erklärung, wer zu Rom nicht den Papst, zu
Wittenberg nicht Luther gesehen habe, habe nichts gesehen. Mehr
hingezogen fühlte er sich aber zu Melanchthon, dessen weitere
Schicksale er lange, auch noch später von Heilsberg aus, anteil-
nehmend verfolgte. Und als sich auf dem Augsburger Reichstage
alles soheu vor dem Verfasser der Confessio Augustana zurückzog,
da war es Dantiscus, der ihm Gastfreundschaft gewährte, ein Freund-
schaftsbeweis, den ihm der Wittenberger nie vergafs. Alles das
änderte sich fast wie mit einem Schlage nach seiner Rückkehr in die
Heimat, hauptsächlich durch den unheilvollen Einflufs seines Schütz-
lings und baldigen Beraters sowie späteren zweiten Nachfolgers und
dereinstigen Kardinals, des „Hammers der Ketzer", des „Todes
Luthersu, Hosius. Schon in seiner Culmer Diöcese ging er aufs
Schärfste gegen die ^Heterodoxenu vor, so dafs seine Sinnesänderung
häufig mit der des Paulus verglichen wurde, z. B. von dem eben
erwähnten Berater. Auch seine nicht unbedeutende dichterische Be-
gabung stellte er von nun an völlig in den Dienst der Kirche; so
geifselt er in dem Carmen paraeneticum an den jungen Eustachius
von Knobeisdorff die Sünden seiner früheren Weltlust und stimmt
in der von Hosius besorgten Hymnensammlung einen feierlichen, streng
kirchlich -religiösen Ton an. Der gleiche strenge Eifergeist wie in
Culm durohweht sein Edikt vom März 1539 nach der Verwaltungs-
übernahme Ermlands, duroh welohes alle nicht Rechtgläubigen Landes
verwiesen werden. Ja selbst nach Danzig, nach aufeerhalb seiner
Diöcese, reicht der starke Arm des bei Hofe angesehenen Bisohofs
zur Unterdrückung reformatorischer Ideen.
Jahrzehnte lang aufser aller Verbindung mit seinem Heimat-
lande, hatte Dantiscus auch die zu Watzelrodes Zeiten sicher be-
stehende Fühlung mit Coppernicus in seiner hohen politischen
Stellung verloren. Nach der Rückkehr versuchte er wieder anzu-
knüpfen, einenteils wegen des grofsen wissenschaftlichen Rufes des
Domherrn, andernteils wohl auch, um den im Kapitel einflufsreichen
Mann in sein Interesse zu ziehen, letzteres, wie wir wissen, ohne
Erfolg. Wir besitzen vom 11. April 1533 und vom 8. Juni 1536 Ant-
wortschreiben von Coppernicus an Dantiscus, welche sich auf
vorangegangene Einladungen nach Löbau beziehen. Bezeichnender
Weise lehnen dieselben unter Berufung auf dringende Geschäfte
ziemlich kühl ab. In einem weiteren Briefe vom 2. August 1537 teilt
Himmel und Erdo. 1899. XI. 8. 24
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allerdings der Domherr freiwillig seinem eben gewählten Bischöfe
diesen interessierende politische Neuigkeiten mit
Schon Coppernious' entschiedene Parteinahme für Giese in
dem Coadjutoriestreite mufste die Lockerung der kaum wieder ange-
sponnenen Beziehungen zwischen den bedeutenden Männern zur Folge
haben, wozu als neues Moment des Nichtverstehens für den in
Olaubenssachen zwar streng kirchlich gesinnten, aber doch milde
urteilenden Domherrn das schroffe Auftreten des neuen Paulus in
der Bethätigung seines Glaubenseifers sich gesellte. Als der jüngere
Dantiscus nun unter Berufung auf seine bischöfliche Autorität be-
stimmend in Freundes- und Privatverhältnisse unseres Nico laus ein-
zugreifen begann, scheint die völlige innerliche Trennung beider nur
du roh die erzwungene Achtung vor des Domherrn wissenschaftlicher
Gröfse und des letztern angemessene Rücksichtnahme vor der kirch-
lichen Stellung seines Widersachers notdürftig nach aufsen hin ver-
deckt zu sein, ohne dafs spätere Vermittelungsversuche die Kluft
hätten überbrücken können. Die erste derartige Störung basierte auf
dem Streite Dantiscus-Hosius gegen Alexander Sculteti. Nach
dem Scheitern der anfänglichen Reformbestrebungen Papst Paul III.
begann in der Kirche die streng katholische Eifererpartei die Oberhand
zu gewinnen. Einer ihrer ersten, eifrigsten Vertreter war der schon er-
wähnte einflufsreiche spätere Kardinal Hosius. Die klare Erkennt-
nis von der Notwendigkeit, zur Verwirklichung seiner Ideen zuerst
energisch in dem mit am meisten von reformatorischen Ideen durch-
drungenen Preufsen einzuschreiten, liefsen ihn als Stützpunkt da-
selbst zunächst ein Frauenburger Canonioat erstreben. Jedoch erst
Dantiscus wufste seinem Schützling nach dem Mifslingen der
früheren Pläne desselben seine oigene Pfründe durch seinen bischöf-
lichen Einflufs zu sichern (5. Juni 1538), wogegen Alexander
Sculteti, schon von dem Coadjutoriestreit her des Dantisous eif-
rigster Widerpart, zu Rom in später unentschieden gebliebenem Pro-
zesse Einspruch erhob. Bald nach der trotzdem erfolgten Einführung
des Eiferers, zu der auch durch ein Spiel des Zufalls der milde Cop-
pernicus mit deputiert war, bewarb sich kraft des dem König
Sigmund zeitweilig vom Papst verliehenen Nominationsrechtes der
frischgebackene Canonicus von Krakau aus um die am 1. März 1539
erledigte zweite Prälatur. Noch vor dem Eintreffen dieser Nomination
in Frauenburg hatte aber das Kapitel, wohl aus Besorgnis vor etwas
Ähnlichem, am 11. März durch Aufrücken von Johannes Zimmer-
mann in die erledigte und Verleihung der dadurch frei werdenden
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371
letzten Prälatur an Alexander Soulteti dem Verbündetenpaar einen
Strich durch die Rechnung gemaoht. Der Inanspruchnahme wenigstens
der letzten Prälatur für Hosius gegenüber trat Alezander Soulteti
nicht zurüok, sondern wandte sich, da in der Folge Dan tisous unter
vielleicht berechtigter Anzweifelung seiner Rechtgläubigkeit und Sitten-
reinheit seinen Ausschlufs aus dem Kapitel und Verbannung aus Polen
durchzusetzen gewufst hatte, wieder, unter dem Schutze mächtiger
Gönuer, an die päpstliche Curie, wo er später auoh ein obsiegen-
des Urteil erstritt. Dem unbilligen Ansinnen des Dantiscus an
seinen Klerus, inzwischen, lange vor Entscheidung des Prozesses, allen
persönlichen Verkehr mit dem Verdächtigen abzubrechen, leistete
Coppernicus nicht Folge. Länger als ein Dezennium mit Soulteti
eng befreundet und früher mehrfach in gemeinsamer Arbeit mit ihm
verbunden21*), erklärte er, ihn höher schätzen zu müssen als manohen
andern. Auf erneute diesbezügliche Vorstellungen, diesmal auf dem
Umwege über Giese, als Nicolaus im Sommer zu Löbau weilte,
antwortete er zwar artig, er habe dem Dantiscus nicht zu nahe
treten wollen und gedenke dem erleuchteten Willen hoohdessen nach-
zuleben, liefs ihn aber dabei deutlich seine Entrüstung fühlen. Mit
Soultetis Reise nach Rom zur Verantwortung erledigte sich schliefs-
lich die Angelegenheit von selbst
Allein das charaktervolle Widerstreben des Domherrn Copper-
nicus hatte den Bischof schwer erzürnt. Er suchte an einer anderen
Stelle, bei einer ganz im Geiste seines sonstigen streng kirchlichen
Regiments sich bietenden Gelegenheit dem Widerspenstigen seine
Macht fühlbar zu machen. Coppernicus hatte zur Wirtschafts-
führung eine entfernte Verwandte, Anna Schillings, bei sich.
Unter Voraussetzung unerlaubter Beziehungen zwischen beiden ver-
langte Dantiscus ihre Entfernung. Auf wiederholte Einschärfung
erklärte sich der Verdächtigte in einem, seiner Stellung entsprechend
unterwürfigen, aber ersichtlioh gezwungenen und gesuchten Schreiben
vom 2. Dezember 1538 dazu bereit und spricht unter dem 11. Januar
des folgenden Jahres mit dor kurzen Meldung des Vollzuges die
Hoffnung aus, damit dem Verlangen seines Vorgesetzten voll ent-
w) Über dio Resultate geographischer Bemühungen des Coppernicus
in den letzton zwanziger Jahren im Vereine mit Alexander Soulteti sind
wir nicht genauer unterrichtet. Seine Arboiten, von Ferber unter dem
10. Juli 1.V29 in einem Briefe au Sculteti erwähnt, benutzte später der
Coppernicus-Schiiler Rheticus in seiner leider verloren gegangenen
„Tabula chorographica auf Prcufsen", sie sind jedoch wahrscheinlich
auch in der 1570 erschienenen Hennebergersehen Karte von Preufsen ver-
wertet worden.
24*
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sprochen zu haben. Allein Dantiscus brachte, wieder auf dem Um-
wege über Giese, während des Domherrn Anwesenheit zu Löbau
neue derartige Anschuldigtingen vor. In dem erhaltenen Antwort-
schreiben des Culmer Bischofs nimmt der Freund den grofsen For-
scher gegen den Vorwurf heimlicher Zusammenkünfte mit der aus
Ermland verbannten Schillings in Schutz und erinnert Dantiscus
mit dem Bemerken, böswillige Angeber machten vor niemand, selbst
nicht einmal vor ihm, dem Erml ander Seelenhirten, mit ihren Erfin-
dungen Halt, in feiner Weise an seine eigenen Liebesabenteuer.
Das Vorgehen des Dantiscus, so sehr es auch dem Zwange
der Umstände, der in seiner jetzigen Stellung, noch dazu während
Vechandlungen über die Verleihung der Kardinalswürde an ihn im
Gange waren, unbedingt erforderlichen Desavouierung seines ganzen
früheren Lebens entspricht, ist doch vielfach anfechtbar und nur bei
Annahme persönlicher Animosität zu verstehen. Schon die Art der,
wie es scheint, nicht einmal mit Sicherheit bewiesenen Beschuldigun-
gen hätte, selbst ihre Berechtigung zugegeben, bei der damals allge-
meinen, offenkundigen Sittenverderbnis des höheren Klerus einen
Grund für ein so besonders auf eine einzelne Person gemünztes Ein-
schreiten unter gewöhnlichen Umständen kaum gegeben, und noch
merkwürdiger erscheint es bei den notorischen Verhältnissen des
Rügenden selbst. Am unangenehmsten aber wirkt nach dem Vollzuge
des bei wirklicher Annahme thatsächlichen Bestehens solcher Be-
ziehungen ja berechtigten Ansinnens der Entfernung der Haushäl-
terin das weitere Spüren und Suchen nach vermuteten fortdauernden
Beziehungen, um dem schon schwer genug betroffenen Greise neuer-
dings Verlegenheiten zu bereiten.
Die Versuche hauptsächlich Gieses, naoh diesen Vorkomm-
nissen wieder eine innerliche Aussöhnung zwisohen dem immerhin
bedeutenden Bischöfe und seinem grofsen Domherrn herbeizuführen,
muteten an der grundverschiedenen Denkungsweise beider scheitern.
Ein offener Bruch war, wie oben angedeutet, allerdings vermieden
worden, und Coppernicus nahm einen spätem Annäherungsversuch
des Dantiscus in Form eines schmeichelhaften Epigramms für den
Eingang der Revoluliones äufserlich artig auf, allein wie in dem
Originalmanuskripte fehlt es auch in der Druckausgabe, ob auf aus-
drückliche Anweisung des Verfassers, ob nur in seinem Sinne von
den Herausgebern fortgelassen, an der dazu bestimmten Stelle, und
ebensowenig deutet ein im September 1543 an das Kapitel gerichteter
Brief des Dantiscus mit seinem harten Urteil über Anna Schillings
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und mit seiner Verunglimpfung des erst unlängst verschiedenen
grofsen Forschers auf das Bestehen wirklicher Freundschaftsbe-
ziehungen.
Diese äußerlichen Belästigungen wurden dem grofsen Astronomen
aber sicherlich durch das innerliohe Hochgefühl eines ersten vollen
Triumphes seiner Lehre aufgewogen. Nach dem grofsen Aufsehen und
den mehrfachen Beweisen des durch die Veröffentlichung des Commen-
tariolus für seine Hypothesen erweokten Interesses wurde durch des
Rh oticus Ankunft im Mai 1539 und seinen zweijährigen Aufenthalt
die Möglichkeit eines Verständnisses und die Uberzeugende Kraft
seiner Annahme auf einen an freies Denken gewöhnten Kopf unzwei-
deutig dargelegt Um so vorheifsungsvoller mufste der Erfolg er-
scheinen, da sein Besucher, der jugendliohe Wittenberger Professor,
aus der Stadt kam, wo seine Besohützer M el an cht hon und Luther
von Anfang an eine streng abweisende Haltung gegenüber der neuen
Lehre eingenommen hatten. Führte doch Luther in seinen Tisch-
reden das Unterfangen des Frauenburger Domherrn auf die sehr
egoistische Triebfeder der Ruhmsucht zurüok und widersprach ihm
aus biblischen Gründen, und blieb doch Melanchthon zeitlebens
ein durch seine anerkannte Gelehrsamkeit nur um so gefährlicherer
Gegner der Lehre von der Erdbewegung. Über Anfeindungen gegen das
innige Verhältnis zwischen dem domherrlichen Lehrer und seinem
ketzerischen Schüler durch die rührige Eifererpartei ist uns nichts
erhalten, wie nahe auch die gleichzeitigen bischöflichen Erlasse und
die nur flüchtige Erwähnung des Dantiscus in dem „Encomium
Borussiae" durch den schreib- und denkfertigen Rheticus eine
solche Annahme legen könnten.
Georg Joachim von Lauchen, geb. am 16. Februar 1514,
meist nach seinem Geburtsorte, Feldkiroh in Vorarlberg, dem alten
Rhätien, Rheticus genannt, hatte nach guter Vorbildung im wohl-
habenden Elternhause und unter Oswald Myoonius in Zürich schon
1532 zu Wittenberg durch seine hervorragende mathematische Be-
gabung Melanchthons Aufmerksamkeit erregt. Nach dreijährigem
Studium unter dem tüchtigen Johannes Volmer zog er 1535 als
Magister von Wittenberg nach Nürnberg zur weiteren Fortbildung
unter dem ehemaligen Geistlichen und damaligen Mathematikprofessor
am Nürnberger Gymnasium Johannes Schoner, dessen Leitung er
bald mit der des Tübingers Johannes Stoeffler, Melanchthons
einstigen Lehrers, vertauschte. Dort in Tübingen traf ihn der Ruf
zur Übernahme der soeben neu geschaffenen zweiten Mathematik-
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professur in Wittenberg, dessen Vermittler, Melanchthon, ihn per-
sönlich im Januar 1537 in sein Amt einführte. Auch als 1539 ihn
die Kunde von dem Coppernicanisohen Weltsystem zu der Reise nach
Frauenburg veranlagte, hielt ihm dieser, trotz seiner vorerwähnten
Abneigung gegen die neue Lehre, seine Stelle offen: wir finden ihn
im Februar 1542 als Dekan seiner Fakultät daselbst vor. Nach
Frauenburg brachte er noch die Kunde von einem zweiten be-
geisterten Verehrer seines geliebton „Herrn Lehrers", seinem
Kollegen in der ersten Mathematikprofessur, Erasmus Reinhold,
weloher dann auch in der Vorrede zu seiner spätem Ausgabe der
Peurbachschen Planetentafeln diesen höchlichst feierte. Wenn beide
in ihrer amtlichen Thätigkeit das alte System den Vorlesungen zu
Grunde legten, so lag das an strikten Bestimmungen, nach denen,
wie es bis ins 17. Jahrhundert in Geltung blieb, die Professoren eben
zur Erklärung nur dieser Theorien gehalten waren. Hat doch selbst
Galilei in Padua noch Sacrobosco erklärt.
Anfang Frühjahr 1539 trat also Rheticus seine ursprünglich
nur auf kurzen Aufenthalt berechnete Reise nach Frauenburg an
und versprach von Posen aus seinem alten Lehrer Schoner einen
baldigen Bericht, inwieweit die Thatsachen seinen hohen Erwartungen
von dem zu besuchenden Astronomen entsprechen würden. Allein
als er im Mai, von dem eben von Gieses Krankenlager zurück-
gekehrten Coppernicus aufs freundlichste empfangen, sich mit dessen
Ansichten vertraut zu machen begann, dehnte sich von selbst die zu
deren genauerem Studium erforderliche Zeit aus, seine Besuchsdauer ver-
längerte sich auf über zwei Jahre, und erst Ende September (23. IX.)
sah er sich im stände, den inzwischen auf Abhandlungsstärke ange-
schwollenen Bericht an Schoner, die na r ratio, in Rücksicht auf eine
wohl beabsichtigte Fortsetzung prima genannnt, zu erstatten. Seine
Anwesenheit zu Löbau mit Coppernicus vom Juli bis September 1539
haben wir schon erwähnt. Ähnliche Reiseunternehmungen, teils in
Begleitung seines Lehrers, teils allein zu dessen Freunden und Ver-
wandten, und Teilnahme an anderweitigen wissenschaftlichen Unter-
suchungen seines Gastfreundes füllten neben seiner Beschäftigung
mit dem vorliegenden Texte der Revolutiones unter Anleitung des
Verfassers die beiden Jahre aus. Interessant ist, weil unter Copper-
nicus* Augen entstanden und auf dessen eigenen früheren For-
schungen fufseud, die seinem Gönner Herzog AI brecht gewidmete
Chorographie, und wäre in noch höherem Grade, wenn nicht leider
verloren, die unter gleichen Umständen entstandene Tabula chorogra-
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phioa auf Preufsen, also eine Karte30). Nebenbei trugen ihm diese
Beziehungen autser pekuniärer Unterstützung ein Empfehlungsschrei-
ben des Herzogs an die sächsischen Kurfürsten für den Druck eines
ihm zu diesem Zwecke überlassenen „Opus domini praeceptoris sui" ein,
welches nur die 1542 erschienene, zu Wittenberg gedruckte Trigo-
nometrie sein kann, da die Revolutiones ja nicht ihm, sondern
Tiedemann Giese zur Herausgabe überlassen wurden, wie wir*
später sehen werden. In der Chorographie erklärt Rheticus zuerst
die Begriffe Geographie und Chorographie und erläutert, wie man
auf dreierlei Arten, durch Gissungen, Magnetnadelbeobaohtungen und
Vereinigung beider Hilfsmittel Karten (Kompafskarten) entwerfen könne,
lehrt dann die Mittagslinien finden und schliefst mit einer Anweisung
zur Herstellung und zum Gebrauche des Kompasses.
*°) Die Chorographie des Rheticus ist Ton Hipler herausgegeben im
XXI. Bande der Zeitschrift für Math, und Phys. Hist. litter. Abt. S. 12.r> ff.
(Schlüte folgt.)
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Prähistorische Meteorsteine stellen naoh Professor Suefs die
sogenannten Moldavite dar, eigentümliche glasähnliche, grüne Mine-
ralien von geringen, höchstens eigrofsen Dimensionen, die man zu
Anfang des Jahrhunderts zuerst im oberen Moldauthale gefunden, die
aber später auch als vereinzelte Findlinge auf einem grofsen, von
Borneo bis über ganz Australien sich erstreckenden Gebiete beobachtet
worden sind. Die Mineralogen vermochten die Herkunft dieser eigen-
artigen Körper nicht leicht zu bestimmen, da sie bei ihrer obsidian-
ähnlichen Natur auf eine vulkanische Entstehung schliefsen lassen,
trotzdem meist in weiter Entfernung von Vulkanen vorkommen und auch
sonst durch manche Besonderheiten sich von den Obsidianen unter-
scheiden. Die eine Zeit lang herrschend gewesene Meinung, dafs man
es bei den Moldaviten mit glasartigen Kunstprodukten zu thun haben
dürfte, liefs sich nach der Feststellung ihres australischen Vorkommens
gleichfalls nicht aufrecht erhalten, und so blieb denn die Vermutung
meteorischen Ursprungs als plausibelste Erklärung übrig. Allerdings
schien dieser Annahme die völlige chemische Verschiedenheit von den
bisher bekannton Meteorsteinen zu widersprechen, indefs kann diesem
Umstände in Anbetracht der beträchtlichen Geschwindigkeit der Be-
wegung des Sonnensystems kaum viel Gewicht beigelegt werden, da
es sehr wohl denkbar ist, dafs uuser System in früherer Zeit einmal
durch Gegenden des Weltenraums geeilt ist, in denen die mineralo-
gische Zusammensetzung der vagabundierenden, meteorischen Massen
eine ganz andere ist, als in den zur Zeit vom Sonnensystem durch-
querten Himmelsräumen. Nur äufserliche Kennzeichen, die den Meteo-
riten infolge der Einwirkung des Luftwiderstandes in ganz charak-
teristischer Weise anhaften, mufsten auch bei den Moldaviten wahr-
nehmbar sein, wenn die meteorische Hypothese eine wissenschaftliche
Berechtigung beanspruchen sollte. Als nun Professer Suefs im vorigen
Sommer bei Gelegenheit geologischer Aufnahmen in das Fundgebiet
der böhmisch-mährischen Moldavite gelangte, konnte er thatsächlich an
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über hundert untersuchten Objekten die charakteristischen Oberflächen-
gebilde der Meteorite, als flache Eindrücke, Grübchen und scharf-
kantige, tiefe, oft sternförmig ausstrahlende Rinnen u. s. w. feststellen-
Suefs glaubt daher diese Mineralien mit ziemlicher Bestimmtheit als
Meteorite anspreohen zu sollen, die am Ende der Tertiärzeit oder zu
Anfang der Quartärzeit in gröfserer Anzahl auf die Erde gefallen sein
mögen. F. Kbr.
*
Die Spandauer Versuche
zur Bestimmung der mittleren Dichte der Erde.
Im vorigen Jahrgange unserer Zeitschrift (S. 385) wurde über
die Resultate berichtet, welche der frühere Direktor der Sternwarte
Kalocsa, Pater Dr. C. Braun, mittelst eines von ihm konstruierten
Apparates über die mittlere Dichtigkeit des Erdkörpors erhalten hat.
Es wurde besonders hervorgehoben, dafs das Braunsohe Verfahren auf
der Beobachtung der Ablenkung des Hebelarmes einer Coulombschen
Dreh wage durch Massen, die anziehend auf jenen Hebelarm einwirken,
beruht. Die Torsionskraft des Platinfadens, an welchem die Drehwage
aufgehängt ist, bildet das Mafs, aus welchem mittelst des Gravitations-
gesetzes die Masse der Erde und daraus die Dichte der letzteron be-
rechnet werden kann.
Es liegt aber auch der Gedanke nahe, die Masse der Erde nicht
auf diesem Umwege, sondern direkt aus Messungen der Anziehung
zu bestimmen, welche irgend eine sehr grolse Masse auf eine kleine
ausübt. Eine sehr bedeutende Menge Blei z. B. wird auf ein kleines
Gewicht nach dem Gravitationsgesetze attrahierend wirken. Letzteres
Gewicht, z. B. ein Kilogramm, wird aber auch eine Anziehung durch
die Masse der Erde erfahren. Das Gravitationsgesetz, auf die beiden
gegebenen Körper, das Blei und das Kilogramm angewendet, sagt:
Die Anziehung der Erde auf das Kilogramm verhält sich zu der An-
ziehung des Bleies auf das Kilogramm, wie das Produkt aus Masse
der Erde und Kilogramm, dividiert durch das Quadrat der Entfernung
der Mittelpunkte Erde -Kilogrammgewicht, sich verhält zu dem Produkte
von Masse Blei und Kilogrammgewicht, dividiert durch das Quadrat
der Entfernung von Blei und Kilogramm von einander. Die in dieser
Proportion vorkommende Unbekannte, dio Masse der Erde, läfst sich
also berechnen, wenn die anderen Gröfsen der Proportion als bekannt
vorausgesetzt werden. Da die Massen d^s Blei und des Kilogramm,
selbst wenn sie nicht in Gestalt von Kugeln, wie das Gravitations-
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gesetz es bedingt, zur Verwendung kommen, doch dieser Kugelgestalt
entsprechend berechnet werden können, ferner die Entfernung beider
Massen von einander, sowie die Entfernung der einen vom Erdmittel-
punkt jederzeit bekannt ist, und endlioh die Anziehung der Erde auf
das Kilogrammgewicht, d.h. das Gewicht eben dieser Masse mittelst
einer Wage ermittelt werden kann, so bliebe nur noch übrig, die An-
ziehung der grofeen Bleimasse auf das Kilogramm durch Experimente
festzustellen, worauf man die Unbekannte, die Masse der Erde, be-
rechnen könnte.
Jene Experimente zur Bestimmung der Anziehung zweier Massen
auf einander können mit Hilfe einer sehr empfindlichen Wage ausge-
führt werden. Jolly und Poynting haben die Wage zuerst zur Be-
stimmung der mittleren Dichte der Erde genützt Die Methode, der
sie folgten, beruht im wesentlichen auf folgendem Gedanken: Man
hängt an die unteren Flächen der beiden Wagschalen einer Wage zwei
lange Tragstangen, welche an ihren Enden zwei andere Wagschalen
aufnehmen. In eine der oberen Wagschalen, z. B. die linke, bringt
man die kleine Masse (eine Kugel), deren Anziehung durch eine
gröfsere ermittelt werden soll, und wägt dieselbe ab. Hierauf legt
man diese Kugel in die untere Wagschale rechts und bringt sie ins
Gleichgewicht. Da die Kugel sich jetzt näher dem Erdmittelpunkte
befindet als vorher, so wird sie einer gröfseren Anziehung seitens der
Erde unterliegen und daher eine kleine Gewichtszunahme zeigen.
Nähert man der Wage noch eine grofse kugelförmige Masse, so dafs
die unteren Wagschalen dicht über der letzteren schweben, so wirkt
auch noch die Anziehung dieser Masse auf die kleine Kugel ein und
verstärkt das Gewicht derselben. Mittelst systematischer Anordnung
der Wägungen kann man auf diese Weise die Anziehung einer grofsen
Masse auf eine kleine bestimmen. Da es sich aber um die Messung
ungemein geringer GewichtsveräDderungen handelt, so ist das Gelingen
der Versuche, wie wohl ohne weiteres einzusehen ist, nicht nur an
die möglichst mathematisch richtige Konstruktion der Wage, sondern
auch an die Erfüllung einer Reihe anderer Bedingungen geknüpft, zu
denen in erster Linio die Vermeidung von Temperaturunterschieden
zwisohen den oberen und untoren Wagschalen gehört. Obwohl nun
Wagen gegenwärtig von ausgezeichneter Präzision gebaut werden>
welche die feinsten Wägungen gestatten, so ist doch die theoretisch
bedingte Ausschi iefsung aller irgendwie störend auf die Messungen
wirkenden Einflüsse nur sehr schwierig zu erreichen. Die Ausführung'
der Versuche gestaltet sich deshalb zu einem komplizierten Vorgange
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37ü
und erfordert vorher die sorgfältige Herstellung einer besonderen
Wägungsanlage.
Diese Wägungsanlage wurde schon vor einer Reihe von Jahren
in einer Kasematte der Citadelle von Spandau angelegt, welche sich
durch gleichmärsige Temperatur auszeichnet. Das Haupterfordernis
zur Ausführung der Versuche war die Schaffung der möglichst grofsen
anziehenden Masse. Die Spandauer Geschützgiefserei stellte einen ge-
waltigen Bleiklotz aus 2940 einzelnen Stücken her. Diese Stücke hatten
3 dm Länge und 1 dm Breite und Höhe, waren sehr gleichmäfsig
gearbeitet und wurden in 20 Sohichten in wechselnder Weise über-
einander gelegt, sodafs durchziehende Fugen vermieden wurden und
der Bleiklotz nach seinem Aufbau eine in jeder Richtung hin gleich
dichte parallelepipedisohe Säule von 2 m Höhe und 2,1 m Breite dar-
stellte, deren Gewicht nahe 100000 kg betrug. Diese gewaltige Last
wurde von oinem gemauerten Fundamente getragen,
welches »/2 m über die Erde und ll/2 m unter die-
selbe reichte. Wie vorauszusehen, hat sich nach
dem vollendeten Aufbau des Bleiklotzes das Funda-
ment gesenkt, und zwar um 8 mm, und nach dem
Abbruche des Bleiklotzes konnte wieder eine ge- ^L
ringe Hebung um 0,7 mm konstatiert werden.
Die Messungsmethode, welche die Herren Prof. T
F. Richarz und Dr. O. Krigar-Menzel (bis 1889 hat auch Arthur
König an den Arbeiten teilgenommen) anwandten, sucht durch Wä-
gungen gleich den vierfachen Betrag der Gravitation zu bestimmen. Zu
diesem Zwecke ist Bedingung, dafs die Wägungen über und unter dem
Bleiklotze vorgenommen werden können. Deshalb ist die Wage WW'
über dem Klotze ABCD aufgestellt, unterhalb der Schalen SS' ist aber
der Klotz vertikal durchbohrt, und zwar reicht durch diese Durchboh-
rungen das an die Wagschalen SS' angehängte Gestänge, welches zwei
andere Wagschalen TT' trägt, so dafs diese letzteren dicht unterhalb des
Bleiklotzes schweben. Eine Masse in der Wagschale W wird ins Gleich-
gewicht gebracht durch Gewichte in T'; die Anziehung, welche die
•grofse Masse des Klotzes ausübt, zieht die Masse in W nach unten,
die Gewichtstücke in T' dagegen nach oben; damit diese doppelte
Wirkung ausgeglichen wird, müssen offenbar die Gewichtstücke in
T' um die doppelte Attraktion des Bleiklotzes gröfoer sein als die Masse
io W. Bringen wir nun die Masse in W in die untere Wagschale
nach T und durch entsprechende Gewichte in W' ins Gleichgewicht,
so kehrt sich das Verhältnis um: die Masse in T wird nach oben, die
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Gewichte in W werden nach unten gezogen, und zur Ausgleichung
dieser Wirkung müssen die Gewichte in W um die doppelte Anziehung
des Klotzes kleiner sein als die Masse in T. Der Unterschied zweier
solcher Wägungen giebt daher die vierfache Attraktion des Bleiklotzes.
Das Prinzip der Methode erfordert also, dafs das Gestänge der Wage
durch den Bleiklotz hindurch reicht, und die Wagschalen, unbeeinflufst
durch Luftströmungen, über und unter dem Bleiklotze ruhig schweben.
Da es sich um das Messen ganz minimaler Gewichtsunterschiede handelt,
darf das Vertausohen der Massen und Gewichte nicht unmitelbar vor-
genommen, sondern mufs, ohne dafs der Beobachter dem Bleiklotze
nahe kommt, d. h. automatisch von einem Punkte aus, mittelst ent-
sprechender Einrichtungen, ausgeführt werden. Diese Vorsichtsmars-
regeln komplizieren die Anlage der Versuchsstätte um ein Bedeutendes.
Zunächst führt deshalb ein Doppelkanal an der Oberfläche des
gemauerten Fundamentes, um die unteren Wagschalen T, T' aufnehmen
zu können; die Anordnung dieses Kanals und angebrachte Fallthüren
machen schädliche Luftzirkulationen unmöglich. Vor der Mündung
dieses Kanals gestatten gabelartige Vorrichtungen das Vertausohen der
kugelförmigen Gewichtstüoke; ein an einer Führungsstange gleitender
Fahrstuhl bringt die Kugeln von oben nach unten und umgekehrt. Der
ganze Mechanismus kann von dem Sitze des Beobachters aus mittelst
eines Systems von Schnüren, Stangen und Kurbeln bewegt werden,
und sein richtiger Gebrauch war duroh besondere „Fahrpläne" vor-
geschrieben. — Das Hauptinslrument bei den Messungen ist natürlich
die Wage. Wagen mit langen und leicht gearbeiteten Wagebalken
besitzen zwar eine grofee Empfindlichkeit, allein sie sind leichter einer
Durchbiegung der Balken ausgesetzt. Deswegen verzichtet man lieber
auf allzu grofse Empfindlichkeit der Wagen und zieht solche mit
kürzeren Balken vor, bei welchen man die Voraussicht der Konstanz
hat; die in Spandau benutzte Wage hatte nur einen Abstand von 23,3 cm
der Seitenschneiden von einander. Der wichtigste Teil der Wage, die
Schneiden, war aus Stahl. Die verschiedenen Manipulationen mit der
Wage, das Arretieren uud Auslösen dor Wagebalken, geschahen auto-
matisch vom Sitze des Beobachters, desgleichen die Beobachtung der
Schwingungen mittelst Fernrohr und Skala. Eine hinreichende Vor-
stellung von der Anordnung des Ganzen giebt die nebenstehende
schomatische Zeichnung. Danach war der Bleiklotz ABCD samt der
darüber befindlichen Wage in einen Kasten k von doppelten Zinkblech-
wänden eingeschlossen. Wage und Vertauschungsmechanismus für die
Gewichte hatten eine vom Fundamente des Bleiklotzes ganz unabhängige
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Basis; ein starker Eisenträger T, der auf der einen Seite auf einem be-
sonderen Pfeiler p ruht, geht nämlich durch den Kasten k; an ihm sind
senkrecht darauf zwei Träger verschraubt, die auf zwei Pfosten t und u
vor dem Sitze des Beobachters endigen; dieses Gerüst trägt die Wage
über dem Bleiklotz. Dasselbe Trägergerüst nahm auch den Mecha-
nismus für die automatische Erledigung der Wagemanipulationen auf.
Sämtliche Bewegungen konnten vom Beobachtersitze B aus durch die
Wand des Kasteos k hindurch vorgenommen werden; aufserdem war
der Beobachter noch durch die Zinkblechwand w vom eigentlichen Be-
obachtungsraum getrennt. Das nötige
Licht zur Handhabung des Mechanis-
mus sowie zur Beleuohtung der Stel-
lung der Wagebalken wurde von
aufeen her durch ein Glasfenster L
in den Arbeitsraum reflektiert; mittelst
diverser Spiegel und Prismen wurde
auch die Skala c im Fernrohre vor
dem Beobachtersitze B sichtbar ge-
macht Ein um den Raum aufgeführter
Bretterverschlag, der nur bei e und b
den Zutritt gestattet, hielt jeden Luft-
zug ab und trug zur Konstanz der
Temperatur des Raumes viel bei. Die
Feuchtigkeit der Luft wurde mittelst
der Schwefelsäurepfannen ii immer
auf einem mäßigen Prozentsatze ge-
halten.
Trotz aller dieser hier nur im allgemeinen andeutbaren Vorsichts-
mafsregeln zeigten sich die Resultate immer nooh abhängig von der
Temperatur, wie ein mit den Jahreszeiten wechselnder Gang der Re-
sultate bewies. Aber diese Schwierigkeit läfst sich durch entsprechende
rechnerische Behandlung der Messungen beseitigen. Freilich gehört
andererseits eine bedeutende Anzahl von Wagungon dazu, um dem
Endresultate den gehörigen Grad von Sicherheit geben zu können,
denn die Gewichtsdifferenz, welche gemessen werden mufs, beträgt
auf ein kg Gesamtgewicht wenig mehr als ein mg. Deshalb wird man
sich nicht wundern, wenn wir noch anmerken, dafs die Messungen
sechs Jahre für sich in Anspruch genommen haben. Im ganzen sind
zur Berechnung des Resultates 73 Wägungsreihen ohne und 81 mit
Bleiklotz zugezogen worden; jede dieser Wägungen erfordert die Arbeit
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382
eines halben Tages. Die Spandauer Bestimmungen der Gravitations-
konstante repräsentieren daher eine ganz hervorragende wissenschaft-
liche Leistung, die nur der Geschicklichkeit und Beharrlichkeit der
Beobachter zu danken ist.
Als Sehluferesultat aus den Wägungen ergab sich für die vier-
fache Anziehung des Bleiklotzes auf rund 1 kg (947 g) der Betrag
von 1,3664 mg, mit einem wahrscheinlichen Fehler von nur ± 0,0021 mg.
HierauB folgt die Gravitationskonstante, d. h. die Kraft, mit welcher
1 kg ein anderes in der Entfernung 1 m anzieht: die Kraft würde in
1 Sekunde eine Beschleunigung der anderen Masse von etwa 67 Bil-
liontel mm hervorbringen. Aus den Dimensionen der Erde und der
gefundenen Gravitation ergiebt sich zuletzt die mittlere Dichtigkeit der
Erde zu 6,505 mit einem wahrscheinlichen Fehler von =fc 0,009. Das
Resultat liegt besonders dem Mittelwerte sehr nahe, der aus den Unter-
suchungen von C. V. Boys und denen von J. H. Poynting folgen
würde. G.
Die Photometrie der Gestirne. Von Professor Dr. G. Müller, Observator
am Königlichen Astrophysikalischen Observatorium zu Potsdam. Mit
81 Figuron im Text — Leipzig 1897, Verlag von Wilhelm Engelmann.
X und 556 S. gr. 8U. Preis 20 M.
Die Photographie der Gestirne. Von Dr. J. Scheiner, Professor der Astro-
physik an der Universität Berlin und Astronom am Königlichen Astro-
physikalischen Observatorium zu Potsdam. Mit 1 Tafel in Heliogravüre
und 53 Figuren im Text nebst einem Atlas von 11 Tafeln in Helio-
gravüre nit textlichen Erläuterungen. — Leipzig 1897, Verlag von
Wilhelm Engelmann. V und 383 S. gr. 8°. Preis inkl. Atlas '2\ M.
Die vorliegenden beiden Werke zusammen mit der Ende 1890 im gleichen
Verlage erschienenen „Spektralanalyse der Gestirne- von J. Scheiner reprä-
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383
sentieren eine Gesamtdarstellung des allgemein unter der Bezeichnung .Astro-
physik" bekannten modernen Forschungsgebietes der Astronomie, das sich
in die drei, zum Teil in enger Wechselbeziehung zu einander stehenden
Unterdisziplinen gliedert, welche durch die vorstehend aufgeführten Bücher«
titel kurz und treffend gekennzeichnet sind. Die spektralanalytischen Unter-
suchungsmethoden der Gestirne ebenso wie die Himmelsphotographie und ihre
Ergebnisse sind wesentlich Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, während
die Photometrie der Himmelskörper in ihren Anfängen fast zwei Jahrtausende
zurückverfolgt werden kann. Um so merkwürdiger erscheint es, dafs es bis-
her an einem eigentlichen Lehr- und Handbuch dieses Wissenschaftszweiges,
der allerdings gerade in neuerer Zeit erat durch das rapide Aufstreben der
beiden Schwesterdisziplinen ein weites Feld der Bethätigung, ungeahnte An-
regungen und eine früher kaum vermutete Wichtigkeit erlangt hat, vollständig
gefehlt hat. Diese Lücke ist nunmehr in ganz vortrefflicher Weise durch einen
auf diesem Spezialgebiete hervorragend thätigen und erfolgreichen Beobachter
mit aller Gründlichkeit ausgefüllt. Die Sammlung der in zahlreichen Einzel-
schriften und in den vorhandenen älteren Werken über allgemeine Photometrie
zerstreut sich vorfindenden Notizen über Anwendungen der Lehren der Licht-
mefskunst auf astronomische Probleme ist gewifs keine leichte Aufgabe ge-
wesen; hierfür zeugt das am Schlüte dem Werke heigegebene umfassende
Litteraturverzeichnis.
Die Müllersche „Photometrie der Gestirne1* gliedert sich der Natur der
Sache nach in drei Hauptabschnitte, deren erster von den Grundzügen der
theoretischen Astrophotometrie handelt Es werden in ihm zunächst die photo-
metrischen Hauptgesetze abgeleitet und erläutert, sodann die Beleuchtung von
Flächen durch leuchtende Punkte, bzw. leuchtende Flächen, untersucht und
unter Einführung des Begriffes der Albedo die verschiedenen Beleuchtungs-
gesetze mit Bezug auf zerstreut reflektierende Substanzen, das in der Astro-
nomie wichtigste Problem, definiert. Es folgen diesen theoretischen Ausein-
andersetzungen die prinzipiellen Anwendungen der Grundlehren auf die ver-
schiedenen Arten von Himmelskörpern, wobei don von Seeliger in München
ausgehenden oder veranlafsten Untersuchungen mit Recht ein breiter Raum
gewidmet ist. Besonderen Wert erlangt die Darstellung in diesem Abschnitt
dadurch, dafs für dieselben die bisher nicht veröffentlichten Sceligerschen
Vorlesungen verwertet werden konnten. Das wichtige Kapitel der Extinktion
des Lichtes in der Erdatmosphäre beschliefst diesen ersten Abschnitt des
Werkes.
Im zweiten Hauptabschnitt finden wir eine Beschreibung der zahlreichen
astrophotometrischen Instrumente und eine kritische Beleuchtung aller Vorzüge
und Nachteile, bezw. Inkorrektheiten der einzelnen, ihnen zu Grunde liegen-
den Mefsmethoden auf Grund langjähriger eigener Erfahrungen des Verfassers.
Der dritte Teil, welcher mit Rücksicht auf den Umstand, dafs die Astrophoto-
metrie häufig von Amateuren wichtige Unterstützung erfährt, auch aufserhalb
der Fachkreise mit besonderem Interesse gelesen werden dürfte, enthält eine
umfassende anschauliche Übersicht der bisher durch photometrische Beob-
achtungen am Himmel erlangten Resultate. Aber der Verfassor beschränkt
sich nicht etwa auf eine blofee Aufzählung der UutersuchungserRebnisse der
zahlreichen gröfseren und kleineren Beobachtungspläne, sondern überall trifft
man neue wertvolle Fingerzeige und Anregungen dafür, welche Arbeiten etwa
einer Erneuerung bedürfen, wo man einem schon behandelten Problem neue
Seiten abgewinnen kann, und an welcher Stelle wichtigo Aufgaben bisher
unerledigt geblioben sind, abor dringend eine Inangriffnahme erheischen.
384
Hieria liegt ein Hauptvorzug des Werkes, das mit deutscher Gründlichkeit und
vollendeter Sachkunde abgefaßt ist
Ähnlich ist die Anordnung des Stoffes in der .Photographie der Gestirne*,
das gleichfalls den eben gekennzeichneten Charakter an sich trägt. In den
Vorbemerkungen werden diejenigen Abänderungen der technischen Metho-
den der Photographie erläutert, welche durch die besonderen Aufgaben der
Himmelsphotographie, deren Zweck in letzter Linie stets die Verwertung der
erzielten Aufnahme in messendem Sinne ist, bedingt werden; hieran reiht
sich eine Schilderung der unvermeidlichen Schwierigkeiten, welchen die Auf*
nähme von Himmelskörpern begegnet, und der hierdurch bedingten Grenzen
der Leistungsfähigkeit
Die Beschreibung der verschiedenen für die Photographie der Gestirne
in Gebrauch befindlichen, bzw. in Betracht kommenden Instrumente leitet natur-
gemäfs zur Darstellung der theoretischen und praktischen Erfordernisse, sowie
der Leistungsfähigkeit der bisher auagebildeten Messungs- und Reduktions-
methoden in der astronomischen Photographie hinüber. Dieser Teil hat selbst-
verständlich überwiegend für den praktischen Astrophotographen oder den»
jenigen, der sich speziell diesem Zweige der astronomischen Beobachtungs-
kunst widmen will, weitergehendes Interesse.
In dem Abschnitt über die photographische Photometrie und die Ent-
stehung der photographischen Bilder greift die Darstellung «um Teil in das
Gebiet der coelestischen Photometrie hinüber; da in dieser Beziehung beide
Gebiets eng mit einander zusammenhängen, «o ist eine scharfe Scheidung
weder notwendig noch erwünscht und der Gegenstand deshalb auch au dieser
Stelle mit Recht eingehend behandelt Der dritte Teil, die Ergebnisse der
Himmelsphotographie für die Astronomie auf 120 Seiten behandelnd, ist zu-
gleich als eine gedrängte Geschichte dieses wichtigen Forschungszweiges an-
zusehen und wird unzweifelhaft zahlreiche interessierte Leser finden. Die
Heliogravüren des A ilasst'H, in trefflicher Ausführung Proben der wichtigsten
Arten von Aufnahmen am Himmel beibringend, werden namentlich solchen,
die anders keine Gelegenheit haben sich zu unterrichten, als schätzbare Illu-
strationen des Textos hochwillkommen sein. Obwohl bereits die Spektral-
analyse der Gestirne desselben Verfassers 2 Tafeln in Heliogravüre mit den
vortrefflichen typischen Spektralaufnahroen des Potsdamer Observatoriums ent-
hält, hätte violleicht der Vollständigkeit halber auch hier eine solche Tafel
gegeben werden können, auf welcher zugleich eine Probe der interessanten
spektrographischon Durchmusterung der Harvard -Sternwarte Platz gefunden
haben würde. — Auch vorliegendes Werk findet seinen Abschlufs in einem
sehr ausführlichen Literaturverzeichnis und einem ausgedehnten Namen- und
Sachregister.
Dafs die typographische Ausstattung beider Werke, den Gepflogenheiten
des Verlages entsprechend, eine vornehme Ut bedarf kaum besonderer Er-
wähnung G. W.
Varlaf: Hanaaaa PmuI la Barlia. — Prack: Wilh.ua Oraaaa'« Baead-aekarti ia Barlia - ±eh6e,kftt
Tlt ii* *>Ucti0B ranatwartlieh: Dr. P. Scawaaa ia B-rlin.
Uafctracatift-r Naca4raek aat itm laaalt «i«M- ZaiUeann «»J.nuft.
Ü»«*«uaaf*r««Bt roraaaaltaa.
Küche einer Laibacher Familie.
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f. .
V
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Das Nernstsche Licht
fVoo Dr. P. Spies in Berlin,
uf dem Gebiete der elektrischen Beleuchtungstechnik herrscht
gegenwärtig eine äurserst rege Thätigkeit, welche, wie sich be-
reits jetzt mit Sicherheit voraussagen latet, an die Seite der
beiden bisherigen Beleuchtungsarten, des Glühlichtes und des Bogen-
lichtes, eine dritte, das Nernstsche Licht setzen und dadurch in
vielen Fällen eine Verbilligung des elektrischen Lichtes herbeiführen
wird. Eine Beurteilung der einschlägigen Fragen gelingt leicht, wenn
man sich den Vorgang der Energie-Umsetzung in einer elektrischen
Lampe klar macht, und zwar handelt es sich weniger um die Er-
kenntnis dessen, was bei dem Übergange der elektrischen Energie
in Lichtenergie im physikalischen Sinne vor sich geht, als um die Re-
sultate einfacher Messungen jener beiden sich umsetzenden Naturkräfte.
Betrachten wir zunächst die elektrische Energie, so darf als
bekannt vorausgesetzt werden, dars als Einheit derselben das sog.
Voltampere oder Watt dient, also diejenige Energiemenge, welche in
einem Drahte verausgabt wird, wenn der Unterschied des elektrischen
Zustandes an seinen beiden Enden ein Volt beträgt, und wenn der
Draht so beschaffen ist, dafs hierbei ein Strom von der Stärke
1 Ampere durch ihn fliefst. Bei den in Berlin und auch vielfach
anderswo üblichen Verhältnissen haben elektrische Zu- und Ableitung
einen Zustandsunterschied, eine Spannung von 110 Volt, und es ver-
braucht eine 16 kerzige1) Glühlampe einen Strom von etwas weniger
als einem halben Amp. Daraus würden sich also 60 bis 55 Watt
') Es sei bei dieser Gelegenheit daran erinnert, dafs man die Lichteinheit
nicht mehr durch eine Stearin- oder Walratkerze darstellt, sondern durch
ein von Hefner-Alteneck konstruiertes Lämpchen, dessen Brennstoff Amylacetat
ist, und welches sich durch ein sehr konstantes Licht auszeichnet.
Himmel und Erd*. 18». XI. 9. 25
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386
ergebon, und wir erkennen ohne weiteres, dafs man zur Beurteilung-
des „spezifischen Verbrauches" einer solchen Lichtquelle diese Ver-
brauchszahl durch die Kerzenzahl zu dividieren hat, woraus sich
etwa 3,1 bis 3,4 Watt pro Kerze ergeben würden, eine Zahl, welche
sowohl von Lampe zu Lampe wechselt, als auch bei derselben Lampe
während längeren Gebrauchs zunimmt.
Von welchen Umständen ist nun der oben erwähnte spezifische
Verbrauch abhängig? Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu be-
denken, dafs die elektrische Energie uns zwar die Ausgabe an Energie
darstellt, keineswegs aber werden unsere Einnahmen der Hauptsache
nach durch das erzielte Licht dargestellt Vielmehr liefert uns der
elektrische Strom ebenso wie die Verbrennung von Leuchtgas oder
irgend ein anderer, bei der Beleuchtung in Betracht kommender Prozefs
aulser dem Lichte ein sehr wenig nutzbares oder in diesem Falle
wenigstens viel zu teuer bezahltes Nebenprodukt, nämlich Wärme.
Die ganze Frage spitzt sich somit folgendermaßen zu: Wie viel Pro-
zent der aufgewendeten Energie setzen sich in Licht, wie viel Prozent
in Wärme um? Das ist nun wiederum bei den verschiedenen Licht-
quellen sehr verschieden, und zwar richtet sich jener Prozentsatz, der
sog. theoretische Wirkungsgrad, in erster Linie nach der Tempe-
ratur der benutzten Lichtquelle. Am besten übersieht man diese Ab-
hängigkeit, weun man sich etwa vorstellt, es solle ein eiserner Ofen,
den man allmählich mehr und mehr erhitzt, bis er Licht ausstrahlt,
hinsichtlich seines Wirkungsgrades untersucht worden. So lange der
Ofen zwar warm, aber noch nicht glühend ist, sendet er nur Wärme-
strahlen aus; das Verhältnis der ausgesendeten Lichtmenge zur auf-
gewendeten Energie ist also Null. Wird der Ofen allmählich bis zur
Rotglut erhitzt, so wird der Wirkungsgrad zwar von Null verschieden
sein, aber er wird auch jetzt nur einen sehr kleinen Bruchteil von
einem Prozent ausmachen; ein rotglühender Ofen wird keine ökono-
mische Lichtquelle darstellen.2)
Aber auch bei unseren praktischen Lichtquellen, seien diese nun
Gasflammen, Auer-Brenner, elektrische Glühlampen oder Bogenlampen,
:) Die zahlenmäfsige Feststellung dieser Verhältnisse würde in der Weise
erfolgen können, dafs man bestimmt, in welchem Grade ein geschwärztes Platin-
blech durch die von dem Ofen ausgehende Gesamtstrahlung erhitzt wird, und
dafs man dann diesen Versuch wiederholt, nachdem man die Strahlen hat durch
ein Glasgefäfs mit Wasser gehen lassen. Nimmt man an, dafs die Lichtstrahlen
durch ein solches Gefäfe ungehindert hindurch gehen — was sehr annähernd
richtig ist — dafs aber die für unser Aujre wenig oder gar nicht wahrnehm-
baren Strahlen durch das Walser verschluckt werden — was keineswegs voll-
ständig der Fall ist — so hat man ohne weiteres die Möglichkeit eines Ver-
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387
werden nur sehr wenige, nämlich etwa 0,5 bis 5 Prozent der Gesamt-
strahlung duroh die auf unser Auge einwirkenden Liohtstrahlen ge-
bildet. Es ergiebt aber unsere Betrachtung über den glühenden Ofen,
dafa dieser Prozentsatz, also der Wirkungsgrad, desto gröfser ist, je
höher die Temperatur der benutzten Lichtquelle ist. So gelangen wir
zu dem wichtigen Salze, dafs die heifsen Lichtquellen günstiger wirken
als die kalten, dafs nämlich bei den ersteren zwar auch nooh immer
das Verhältnis zwischen ausgesandtem Licht und ausgesandter Wärme
klein ist, aber doch nioht so klein wie bei kälteren Lichtquellen;
man kann also sagen: diu heifsen Lichtquellen senden verhältnis-
mäfsig wenig Wärme aus! Eine sehr günstige Beleuchtungsart ist
in diesem Sinne das elektrische Bogenlicht, bei dem man etwa 5%
auf die Lichtausstrahlung rechnen kann, so dafs nur 95% auf die
ausgestrahlte Wärme entfallen. Der spezifische Verbrauch beträgt etwa
0,35 bis 0,4 Watt pro Normalkerze, so dafs hiernach das elektrische
Bogenlicht etwa 8 bis 10 mal billiger als das elektrische Glühlicht
sein würde (bczügl. solcher Vergleiche siehe Seite 391).
Die in beiden Arten elektrischer Lampen als Leuchtkürper ver-
wendete Kohle scheint nunmehr an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit
angelangt zu sein. Schon in der elektrischen Glühlampe nähern wir
uns der Verflüchtigungstemperatur der Kohle, was man an dem
schwarzen Belag der Glaswände einer längere Zeit benutzten Lampe
erkennen kann, und in der Bogenlampe setzen wir die Kohle geradezu
diesem Verflüchtigungsprozefs aus; er schadet uns nicht, weil der
Kohlestift ja ersetzt wird.
Wollen wir ökonomischer arbeiten, so müssen wir einen Körper
benutzen, der höhere Temperaturen verträgt Ein solches Material
hat Nernst in der Magnesia, dem Magnesiumoxyd, gefunden, und er
vollführt durch den Übergang zu diesem Material einen ganz ähnlichen
Sohritt, wie ihn Auer that, als er die in der gewöhnlichen Gasflamme
als Lichtträger dienenden Kohlepartikelchen durch den mit Thor- und
Ceroxyden imprägnierten Glühstrumpf ersetzte.
Es ist recht merkwürdig zu sehen, dafs bereits vor 20 Jahren
ganz ähnliche Versuche unternommen worden sind, und zwar von dem
Russen Jablochkow. In einem Vortrage, welchen Prof. Nernst am
9. Mai in der Allgemeinen Elektrizität - Gesellschaft in Berlin hielt,
gleiches der Lichtstrahlung mit der Gesamtstrahlung. Wenn nun auch wegen
der unvollständigen Vernichtung der dunkeln Strahlen in dem Wassergefäfa
die Rechnung für die Lichtstrahlen etwas günstiger ist, als sie sein sollte, so
ergiebt sich doch bei derartigen Messungen das oben mitgeteilte, äufserst un-
günstige Rosultat
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wurde u. A. auoh das Jabloohkowsche Experiment gezeigt: Die Enden
der Hochspannungsspule eines Induktors sind mit Platinstüoken ver-
bunden, von denen ein kleiner Kaolinblook (Thonerde) festgehalten
wird. Setzt man das Induktorium in Betrieb, so springen Funken
über, welche auf dem Kaolinstück hingleitend dieses erhitzen und
dadurch leitend machen; naoh kurzer Zeit erfolgt der Stromübergang
durch die Kaolinmasse selbst, und diese sendet ein schönes, ruhiges
Licht aus. Die Einführung derartiger Lampen ist wahrscheinlich
wegen der gefährlich hohen Spannung des hierzu notwendigen Stromes
unterblieben. Nernst sind die Jablochkowsohen Versuche erst
nachträglich, nämlich bei Einreiohung seines Patentes bekannt ge-
worden.
Die Anwendung der von Nernst eingeführten Qlühkörper hat
aufser der Zulässigkeit hoher Temperaturen noch einen zweiten Vor-
teil im Gefolge. Es senden nämlich nicht alle Körper bei einer be-
stimmten Temperatur Licht- und Wärmestrahlen in demselben Ver-
hältnis aus wie die Kohle oder, allgemeiner gesagt, wie ein schwarzer
Körper. Vielmehr ergiebt sich aus dem Kirchhoff sehen Gesetze, dafs,
wenn ein Körper für eine bestimmte Strahlenart, z. B. eine bestimmte
Art von Wärmestrahlen, durchlässig ist, dieselbe also wenig absorbiert,
er bei derselben Temperatur auch ein geringes Ausstrahlungsvermögen
für jene Strahlen hat Kurz gesagt, bei Körpern, die nicht wie die
Kohle schwarz sind, — und die Metalle kann man für die hier dis-
kutierte Frage der Kohle gleich setzen — ist die Möglichkeit ge-
geben, dafs in ihrer Strahlung gewisse Teile des Spektrums
fehlen, im besonderen also jene Wärm estrahlen, die ja nur para-
sitär sind, wenn wir Lichterzeugung beabsichtigen. Es erscheint also
durchaus nioht ausgeschlossen, dafs wir einst einen Leuohtkörper
werden konstruieren können, welcher sehr wenig Wärmestrahlen aus-
sendet und demnach die zugeführte elektrische Kraft der Hauptsache
nach in Form von Lioht von sich giebt. Von diesem Ziele sind wir
einstweilen noch weit entfernt, aber es haben wenigstens sowohl der
durch Gasflamme erhitzte Auer-Körper wie auoh der elektrisch erhitzte
Nernst-Körper ein günstigeres Emissionsvermögen als Kohle und andere
schwarze Körper. Für die Magnesia wird diese Eigenschaft sohon
durch den hellen Glanz der für photographische Zwecke so vielfach
benutzten Magnesiumflarame dargethan.
Diose zwei Umstände, nämlich die gröfsere Widerstandsfähigkeit
gegen hohe Temperaturen und das günstige Emissionsvermögen des
neuen Leuchtkörpers, stellen den prinzipiellen Fortschritt dar, welchen
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wir Nernst verdanken, und wir treten nunmehr der Frage näher:
Läfst sich dieses Prinzip in die Praxis übersetzen?
Hierbei kommen zwei Schwierigkeiten in Betracht, die aber
bereits als überwunden anzusehen sind. Unter Leitern zweiter Klasse
versteht man bekanntlich solche, die sich beim Durchgange von
Gleichstrom zersetzen; dazu kommt nooh, dafs der speziell von
Nernst benutzte Körper in kaltem Zustande überhaupt nicht leitet,
also angewärmt werden mufs, damit er Lioht ausstrahlt
Die erste dieser Schwierigkeiten ist weniger bedeutungsvoll, als
sie erscheint. Läfst man nämlich das Glühen eines Magnesiumstabes
in Luft, also unter Anwesenheit von Sauerstoff vor sioh gehen, so
findet wieder eine sofortige Oxydation des durch den Strom frei
gewordenen Magnesiums statt, und der Körper bleibt ungeändert
Nicht so einfach ist die Frage der Vorwärmung zu lösen. Man
kann dieselbe bei kleineren Glühkörpern mit Hülfe eines Zündholzes
vornehmen, und es geht dies verhältnismäßig schnell von statten, so
dafs man, z. B. wie bei Kerzenbeleuchtung, zwei bis drei Lichte mit
einem Zündhölzchen anzuzünden vermag. Wäre nooh vor zwanzig
Jahren eine derartig zu bedienende Beleuchtung in Anbetracht ihrer
sonstigen Vorzüge als etwas ganz vortreffliches erschienen, so sind
wir doch heutzutage anspruchsvoller geworden, und wir verlangen
vornehmlich von einem elektrischen Licht, dafs es sich durch ein-
faches Einschalten des Stromes anzünden lasse. Diese Forderung
führt also auf die Konstruktion eines elektrischen Vorwärmers.
Es ist leioht ersichtlich, dafs hier den Erfindern ein weiter Spiel-
raum zur Betätigung ihrer Phantasie gegeben ist, und die zahlreichen
Patentanmeldungen, welche sich auf das Nernstsche Lioht beziehen,
— die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft hat nicht weniger als 14
deutsche und etwa 100 aufserdeutsohe Patente angemeldet — haben
deshalb vorzugsweise die Konstruktion soloher Vorwärmer zum
Gegenstande.
Eine der von Herrn Dr. Ochs, Ingenieur der A. E. G., ausge-
führten Konstruktionen giebt unsere Abbildung schematisch wieder.
Der Strom tritt an dem in bekannter Weise zu einer Schrauben-
Spindel ausgearbeiteten Lampenfufse an der Stelle A ein; von der
Verzweigungsstelle B aus geht er zunächst durch den auf ein Por-
zellanröllcben C D gewickelten feinen Platindraht und bringt diesen
zum Glühen; dann fliefst er über den Kontakt E naoh der Schraube
F und somit naoh dem Lampenfufse und dem Rückleitungsdrahte.
Der zweite von B aus über den Glühkörper G H führende Stromweg
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bleibt zunächst, nämlich so lange 0 H noch kalt ist, stromlos. Sobald
aber der Glühkörper etwas warm und damit leitend wird, steigert
sich seine Temperatur und damit die Leitfähigkeit durch die Strom-
wärme sehr rasch. Nunmehr wird der im Fufs der Lampe angebrachte
Elektromagnet M durch den über den Glühkörper geleiteten Strom
angeregt, und es wird somit durch Anziehung eines beweglichen Eisen-
stücks der Kontakt E unter-
brochen, so dafs die Vorwär-
mung aufser Betrieb kommt.
Der ganze Vorgang dauert je
nach der Gröfse der Lampe 15«
bis 40 Sekunden; es ist aber
anzunehmen, dafs sich durch
geeignete Konstruktionen dieso
Zeit nicht unerheblich redu-
zieren lassen wird.
Das Licht der Nernst-Lampe
ist geradezu von einer idealen
Weifse. Zwischen dem gelb-
rötlichen Tone des gewöhn-
lichen Glühlichtes und dem
bläulichen Licht der Bogen-
lampe steht es etwa in der
Mitte. Der spezifische Ver-
brauch beträgt etwa 1,5 Watt
pro Hefner-Kerze, ist also nur
etwa halbmal so grofs wie bei
dem gewöhnlichen Glühlichte.
Gemeinsam ist der letzteren
und der Nernst - Lampe die
Fähigkeit, sich dekorativ in
mannigfaltigster Weise anbringen zu lassen.
Das elektrische Bogenlioht würde entsprechend unseren obigen
Angaben ökonomischer sein als das Nernst-Licht; indes läfst sich
wegen der sehr verschiedenen Verteilung des Lichtes nach ver-
schiedenen Richtungen ein solcher Vergleich nioht ohne weiteres
durchführen.
Ein Vorzug der Nernst-Lampe gegenüber dem Bogenlichte liegt
einmal in der Fähigkeit, sich der Spannung des Leitungsnetzes anzu-
passen, woraus sich z. B. ergiebt, dafs man bei 110 Volt Spannung
+
F —
ichttnt für die Henutsche Ol
mit elektrischem Vorwärmer.
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eine Nernst-Lampe allein brennen kann, was in Ökonomisoher Weise
bei Bogenlampen nioht möglich ißt. Ein weiterer Vorzug ist der
Mangel eines Regulierwerkes während des Betriebes, also vollständige,
durchaus dem Glühlichte entsprechende Ruhe des Lichtes. Die
Lebensdauer eines Qlühkörpers soll etwa 200 Brennstunden betragen.
Fraglos erscheint es, dafs bei fabrikmäfsiger Herstellung die Körper
einen äufserst geringen Preis haben werden; ist doch im Vergleich
zu ihnen die Vacuumglühlampe ein kleines technisches Wunder. Die
Vorwärmevorrichtungen überdauern natürlich zahlreiche Glühkörper.
Im Gegensatz zu vielen anderen Erfindungen, bei deren Be-
sprechung man von Hoffnungen und Möglichkeiten zu reden hat,
zeichnot sich die Nernstsche Erfindung dadurch aus, dafs sie in der
Hauptsache fertig ist. Dadurch wird der gegenwärtige Zeitpunkt, in
welohem Nernst mit seiner Erfindung an die Öffentlichkeit tritt, dem
Auftreten Edisons im Jahre 1872 vergleichbar. Dieser Erfinder zeigte
bekanntlich damals auf der Pariser Weltausstellung die von ihm und
anderen gemeinsam konstruierte Glühlampe in dem lediglich durch
seine Thätigkeit geschaffenen Rahmen einer vollständigen Installation,
die in vieler Beziehung noch bis heute vorbildlich geblieben ist, weil
sie vor allen Dingen der Forderung einer weitgehenden Teilbarkeit
des elektrischen Lichtes Rechnung trug. Die Nernstsche Lampe unter-
scheidet sich in dieser Beziehung durch nichts von derjenigen Edisons,
aber sie wird einer zweiten Forderung gerecht, sie giebt für dieselbe
elektrische Kraft mehr Licht. Es darf also nach menschlicher Be-
rechnimg als sicher angesehen werden, dafs die Nernstsche Erfindung
einen neuen Siegeszug der Elektrizität anbahnen wird, und wir wollen
mit dem verdienten Leiter der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft,
Herrn Generaldirektor Rathenau hoffen, dafs das elektrische Licht
auf diesem Zuge nicht wie bisher nur in die Paläste der Reichen,
sondern auch in die schlichte Wohnung des mit Glücksgütern weniger
gesegneten Mannes einkehren werde.
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Erinnerungen an die Erdbebentage von
Von Dr. P. Sehwahn in Berlin.
rinnerungen, nioht Darlegungen über das Wesen der Erdbeben
werde ich auf den folgenden Blättern aufzeiohnen. Wer jemals
die Empfindung gehabt hat, dafs der Boden unter den Füfsen
schwankte, wer die Häuser wanken sah und in den Grundfesten
krachen hörte, wer endlich den unterirdischen Donner vernommen,
der den Erdstofs begleitet, bei dem überwiegen die sinnlichen Ein-
drücke, haften jene Bilder unauslöschlich, welche sich bei diesem tief
in die Lebensverhältnisse der Menschen eingreifenden Naturereignis
vor den Augen entrollen. Das Interesse an diesen Bildern ist ein
allgemein menschliches, und daher verzeihe, verehrter Leser, wenn
ich von Dingen berichte, denen der Schrecken der Gegenwart fehlt,
über welche glücklicherweise schon eine Reihe von Jahren hinweg-
in der Naoht des Ostersonntags des Jahres 1895 wurde der süd-
liche, an die Adria grenzende Teil Österreichs von einer Erdbeben-
katastrophe heimgesucht, wie wir sie seit dem Agramer Beben (9. No-
vember 1880) nicht erlebt haben, und wie sie in dieser Ausdehnung
noch nie in Österreich verspürt worden war. Von Fiume bis Wien
erbebte die Erde unter mächtigen Stöfsen, das ganze Küstengebiet,
sämtliche Alpenländer, Kroatien, Slavonien, Bosnien und die Herze-
gowina wurden in Mitleidenschaft gezogen. Der Mittelpunkt des
Bebens war das Karstgebiet; namentlich Laibach, die Hauptstadt Krains,
wurde schwer getroffen.
Gleich nachdem der Telegraph die Katastrophe gemeldet hatte,
erging an mich die Aufforderung, die heimgesuchten Gebiete zu be-
sichtigen, und ioh folgte derselben um so lieber, als sich ein guter
Freund, Professor Lu barsch, als Reisebegleiter anschlofs. Uns war
so Gelegenheit geboten, mitten in den Trubel einer schwergeprüften
Stadt zu gelangen, denn als wir Berlin verliefsen, waren die unter-
irdischen Gewalten noch lange nicht zur Ruhe gelangt
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393
Der Eilzug hatte uns nach Wien gebracht, und dort angelangt,
griffen wir sofort nach den Tagesblättern, um das Neueste über
Laibach zu erfahren. Sie berichteten, dafs die Situation daselbst
überaus kritisch sei: die Not sei auf das Höchste gestiegen, der
Mangel an Lebensmitteln überaus grofs, die Kaufleute weigerten sich,
die Läden offen zu halten, und die Bevölkerung Laibachs kampiere
zu tätigenden auf den freien Strafsen.
Angesichts dieser Beriohte schien sich die Reise ins Erdbeben-
gebiet zu einer beschwerlichen, vielleicht nioht ganz gefahrlosen Kam-
pagne gestalten zu wollen, bei der es angebracht war, die Leib- und
Magenfrage vorher reiflich zu überlegen. Und so beschlossen wir,
bereits in Wien uns in primitiver Weise mit Lebensmitteln zu ver-
sehen, ja wir hatten uns schon mit dem Gedanken vertraut gemacht,
unter freiem Himmel kampieren zu müssen. Aber die Saohe ge-
staltete sich in Laibach — dies will ich vorausschicken — ganz
anders, als wir es geglaubt hatten. Die mitgeführten Lebensmittel
wurden den armen Obdachlosen gespendet, während wir selbst unsere
Mahlzeiten in einem Hotel einnehmen konnten und in einem verhält-
nismäfsig gut erhaltenen, wenn auch durch Risse beschädigten Zimmer
durch die freundliche Fürsorge des Laibacher Gymnasialprofessors
Herrn Dr. Gratzy untergebracht wurden. Und so waren wir bald
um eine Einsicht klüger geworden: nämlich dafs selbst bei einem
so elementaren Ereignis, wie ein Erdbeben, diejenigen, welohe Geld
in der Tasche tragen, bezüglich der leiblichen Versorgung nichts zu
fürchten brauchen, dafs aber die armen Leute, welche von der Hand
in den Mund leben, wie es leider bei vielen der slovenischen Be-
wohner Laibaohs der Fall war, hungernd nach dem dargebotenen Brot
greifen müssen. Dergleichen wehmütig stimmende Bilder konnte man
in der schwergeprüften Stadt hundertfach sehen.
Mit dem erwähnten Proviant ausgestattet, wanderten wir zum
Südbahnhof, und eine Stunde hinter Wien führte uns der Zug mitten
in das Alpenland an dem herrlichen Mürzthal entlang, über Glognitz
und Payerbach dem Semmering entgegen. Die von Karl von Ghega
erbaute Bahn mit ihren kühnen, um die Bergrücken herumklimmenden
Kurven, ihren sechzehn mächtigen, über die schönsten Thalgründe
springenden Viadukten, ihren fünfzehn ins Herz der Berge gesprengten
Tunneln und von Pfeilern getragenen offenen Galerien, wird mit Recht
als ein Riesenwerk der modernen Baukunst angestaunt. Bei Payerbach
überschreitet sie einen 300 Meter langen Viadukt, umzieht dann ansteigend
den Gotschakegel, überschreitet weiter das grüne Atlitzthal, den felsigen
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Atlitzgraben in hoch romantischer Umgebung und erreicht bald die Pafs-
höhe, wo durch einen 1500 Meter langen Tunnel eine weitere Steigung
vermieden wird. Dann senkt sich die Bahn schnell bei Mürzzuschlag
nach der steirisohen Seite bergab. Es ging jetzt das Murthal ent-
lang über Bruck nach Graz, wo wir die Nacht zubrachten, um am
andern Morgen in aller Frühe unsere Reise nach Laibach fortzusetzen.
Unsere Erwartungen steigerten sich natürlich in dem Mafse, als
wir dem Erdbebengebiete näher kamen, wurden aber bald etwas herab-
gestimmt. Ein Passagier, der mit uns fuhr, berichtete, dafs er in
Cilli, einer Station der Südbahn dicht vor Laibach, gewesen sei
und dort kaum Spuren der Zerstörung wahrgenommen habe. Das war
nun an sich recht erfreulich, mufste aber doch ein wenig ernüchternd
auf uns einwirken, denn — auch das möchte ich hier vorweg bemerken
— wer zum ersten Male ein vom Erdbeben heimgesuchtes Gebiet be-
tritt, wird ja immer etwas enttäuscht sein, wenn nicht überall Mauer-
reste und Ruinen entgegenstarren. Die bei solchen Gelegenheiten stets
rege Phantasie und nicht zum mindesten die Sensationslust der
Zeitungsschreiber lassen die Zustände meist furchtbarer erscheinen,
als sie in Wirklichkeit sind.
In Cilli brauchten wir uns nicht aufzuhalten; wir fuhren sofort
durch das wunderbar schöne Savethal unserem Bestimmungsorte Laibach
entgegen. Unterwegs lief ich von einem Wagenfenster zum andern,
um die Wirkungen des Bebens zu beobachten. Was ich aber zu
Gesicht bekam, war nur hier und da ein eingestürzter Schornstein oder
ein beschädigtes Dach.
Unser Zug fuhr nun in Laibach ein. Hier wurde die Situation
mit einem Schlage eine andere. Auf dem Bahnhof herrsohte eine
ungeheure Aufregung. Slovenische Weiber mit ihren Kindern
liefen wild durcheinander, bessere Laibaoher Familien flüchteten Hals
über Kopf. Ein neuer, ziemlioh heftiger Erdstofs, der vor einer Stunde
erfolgt war, und von dem wir in der Eisenbahn nichts verspürt
hatten, trieb die Bevölkerung wieder massenweise aus der Stadt Und
in diesem Trubel sah man österreichische Pioniere und italienische
Arbeiter, alles wild durcheinander. Das Bahnhofsgebäude (Fig. 1)
war anscheinend nur wenig demoliert Zwar waren die Schornsteine
eingestürzt und man war gerade dabei, die stark zerrissenen Aufeen-
wände des Gebäudes durch Balken abzusteifen, zu pölzen, wie man
es in Laibach nannte, doch im allgemeinen sah man dem Hause äufser-
lich den Schaden nioht an. Unsere Stimmung wurde aber plötzlich
eine andere, als wir das Innere betraten. Ober hohe Trümmerhaufen
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von Ziegelsteinen und Mauerschutt mufsten wir förmlich hinwegturnen.
Alle Koffer waren mit Kalkstaub überdeckt, rechts und links die
Innenwände des Raumes durchbrochen, und über unsern Köpfen hingen
haltlos Balken, Mauerputz und Schilfverkleidung. Durch ein klaffendes
Loch in der Decke konnte man bis in diu oberste Etage sehen. Das
war eben das überraschende in Laibach, dafs die meisten Gebäude
äufserlich verhältnismäfsig gut aussahen, im Innern aber arg ver-
wüstet waren. Bei allen unseren weiteren Wanderungen trat uns
diese Wahrnehmung entgegen. Auf dem Bahnhof stand eine lange
Reihe von Wagen der Süd- und Kronprinz-Rudolfbahn, welche von
ca. 2000 Laibachern bezogen waren, Güterwagen für das ärmere Volk,
Waggon wagen erster und zweiter Klasse für die besser gestellten
Leuto, und an den Fenstern eines jeden Abteils konnte man auf
einem weifsen Zettelchen lesen, wer der Inhaber dieser Erdbeben-
wohnungen war.
Gleich nach unserer Ankunft hatten wir Gelegenheit, die Nervo-
sität der Bevölkerung kennen zu lernen. Als beim Rangieren zwei
Güterwagen etwas laut zusammenstiefsen, bemerkten wir, wie in
demselben Augenblick ein Arbeiter einen vorzweifelten Schreckens-
schrei ausstiefs, wild mit den Armen herumfuchtelte, den Kopf nach
allen Richtungen drehte und dann, vor Schrecken gelähmt, zusammen-
Fig. 1. Bahnhofsgebäude in Laibach.
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brach. Die Ang-st war erklärlich. Vor einer Stunde war ein ziemlich
heftiger Stöfs mit unterirdischem Donnern erfolgt, der noch allen in
den Gliedern lag. Wer konnte wissen, was der nächste Augenblick
bringen wird. Auch wir haben später bei dem kleinsten Geräusch die
Ohren gespitzt, erwartend, nun werde der Boden von neuem erzittern.
Unsere erste Sorge war, uns nach einem Unterkommen umzu-
schauen. In Graz hatte man uns das Hotel zum Elefanten in der
Wiener Strafse bestens empfohlen, und sohon der Name „Elefant" er-
weckte einiges Vertrauen. Wir wollten es zunächst einmal damit
versuchen, und nach einigem Herumfragen gelangten wir auch richtig
dahin.
Das Gebäude sah sehr vertrauenerweckend aus; es war nicht
gepölzt wie die umliegenden Häuser. Also hinein ging es in das
Parterregeschofs, wo der Restaurationsraum sich befand. Und siehe
da, derselbe war völlig besetzt; hier sohien sioh der unerschrockene
Teil Laibachs, der nicht die Mauersteine über den Köpfen fürchtete,
ein Rendez -vous gegeben zu haben. Auch die Herren der Wiener
Rettungsgesellschaft, das Untersuchungskomitee, Pionieroffiziere, alles
hatte sich daselbst zusammengefunden.
Seltsam mufste es in Anbetracht unserer Verproviantierung
auf uns einwirken, als der Kellner herantrat und fragte: Meine
Herren, speisen Sie ä la carte oder Menü* welche Weinsorte befehlen
Sie? Erst in den vier Ecken des Lokals ein wenig umgeschaut,
und als wir niohts Bedrohendes dort entdecken konnten, waren wir
mit der neuen Situation durchaus einverstanden. Einige Schwierig-
keiten hatte es, ein Zimmer zu erlangen. Die gut erhaltenen Räum-
lichkeiten des Hotels waren mit Laibacher Flüchtlingen, deren
Wohnungen zerstört waren, überfüllt. Überdies waren die Hinterräume
des ersten Stockes durch herabgefallenen Mauerputz stark beschädigt,
die Treppen zu den höheren Stockwerken durch Risse zerteilt, so dafs
sich niemand hinaufwagte. Nur der Liebenswürdigkeit des Herrn
Professors Gratzy war es, wie schon erwähnt, zu danken, dafs wir
in der ersten Etage ein leidlich erhaltenes Zimmer bekamen. Wüst
sah es in demselben freilich aus: Risse zu beiden Seiten und über
der Thür; Schutthaufen lagen im Gebäude überall herum, und meine
Briefe löschte ich mit Maurerkalk. Jedenfalls hatte man aber zum
Elefanten ein sehr grofses Zutrauen. Thatsache ist, dafs seit der
Schreckensnacht sioh zwei Drittel der Laibacher Bevölkerung unter
kein Steindach wagten. Und hätten wir diese Nacht miterlebt, wir
wären vielleicht nicht minder ängstlich gewesen.
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Ehe wir nun durch die Stadt wandern, um uns die Wirkungen
des Bebens anzusehen, wollen wir uns über die Lage und Verhältnisse
von Laibaoh ein wenig orientieren. Krains Landeshauptstadt liegt im
sogenannten Krainischen Becken in fruchtbarer Ebene zu beiden Seiten
des zu einer Spirale gewundenen Laibachflusses, der sich unfern der
Stadt in die Save ergiefst. Das Bild (Figur 2) zeigt uns den im Mittel-
punkt der Stadt liegenden Kongrefsplatz, hinter dem sich auf dem
rechten Ufer des Flusses der bewaldete Schlofsberg erhebt, welcher
das Kastel 1 trägt.
Fig. 2. Schlofaberg mit Kartell, vom Kongref« platz aus.
Von dort oben geniefst man eine ganz herrliche Aussicht. Im
Norden liegen als pittoresker Hintergrund die Steiner- und Julischen
Alpen mit dem gletschergekrönten Triglavgipfel, und dahinter erstreckt
sich der hellschimmernde Zug der Karawanken. Rings um die Stadt
tauchen inselartig bewaldete Bergkuppen auf; im Südosten der Krim-
berg, von dem die Erdstöfse in der Schreckensnacht ausgegangen sein
sollen, im Nordwesten der grofse Kahlenberg. Im Süden liegt das Lai-
bacher Moor, eine sumpfige Fläche, die, seit Jahren trocken gelegt,
gleich dem Zirknitzer See völlig von Höhlen durchzogen ist.
Was die Stadt selbst anbetrifft, so ist sie mit Ausnahme des
modernen Viertels, welches schöne Häuser und Villen besitzt, eng
und unregelmäfsig gebaut. Viele Gebäude sind Jahrhunderte alt und
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* aus schlechtem Material aufgeführt, worauf die verheerenden Wirkungen
des Bebens zum Teil zurückzuführen sind. Im Jahre 1895 zählte die
Stadt circa 30000 Seelen, von denen ein Drittel deutscher, zwei Drittel
— die sogenannten Krajuci — slovenischer Abkunft waren. Als Sitz
der Landesregierung und eines Bistums besitzt Laihach eine Menge von
öffentlichen Gebäuden, die alle durch das Beben stark gelitten hatten.
Für die Beurteilung der Wirkungen des Bebens ist es ferner
wichtig zu bemerken, dafs der links von dem Laibach liegende Teil
der Stadt auf Flufsschotter ruht, also lockere Massen zum Untergrund
hat, der rechte dagegen, wo der Schiorsberg aufragt, auf festem Fels-
boden aufgeführt ist. Diese Bodenverschiedenheilen haben bei dem
Beben eigenartig gewirkt: der linke Stadtteil ist arg zt»rrüttelt worden,
während die Häuser des rechten, auf Felsboden ruhenden Teils weit
weniger gelitten haben. Ähnliche Beobachtungen hat man bei fast
allen Erdbeben, bei dem verheerenden Beben auf Ischia sowohl wie
bei demjenigen in der Riviera gemacht.
Auch die Stofsrichtung hat einen unverkennbaren Einflufs auf
die Demolierung der Gebäude ausgeübt. Die Stöfse der Schreckens-
nacht verfolgten die Kichtung SSO nach NNW, vom Krimberge nach
dem Grofs-Kahlcnberg zu. Da zeigte es sich nun, dafs diejenigen
Mauer- und Straßenfronten, welche den Stöfs rechtwinklig erhielten,
also die Richtung West-Ost hatten, überaus stark beschädigt waren,
während die von Norden nach Süden verlaufenden Strafsenfronten
meist sehr glimpflich weggekommen sind.
Jetzt will ich von den Vorgängen der Schreckensnacht vom
Ostersonntag zum Montag erzählen, wie sie uns von Augenzeugen
geschildert worden sind. Das meiste davon verdanken wir den Mit-
teilungen des Herrn Forstkommissar Putick, eines Mitarbeiter dieser
Zeitschrift, mit dem ich vorher in brieflichem Verkehr gestanden hatte,
und der uns mit grofser Liebenswürdigkeit, ebenso wie Herr Professor
Gratzy, auf allen unseren Wanderungen begleitete und hilfreich zur
Seite stand.
Putick ist ein Mann von imponierender Gröfse, dessen Züge
schon eine felsenfeste Knergic verraten. Er hatte unbekümmert um
die Gefahr in seiner Parterrewohnung in der Triester Strafse mit
Weib und Kind ausgeharrt, während fast ganz Laibach unter freiem
Himmel lag. Zur Zeit des Bebens war er das wahre Orakel von Lai-
bach. Putick muhte trösten, wo es Not that, mutete sagen, ob neue
Stötee folgen werden. Alle Augenblicke wurden wir auf unseren
Wanderungen durch die Strafsen angehalten, und da biete es denn
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von allen Seiten, von Damen sowie Herren: Ach, lieber Putick, was
wird kommen, was werden wir noch zu erdulden haben? Tröstet euch,
das Beben ist vorüber, lautete dann jedesmal die Antwort, und wir
Begleiter nickten beistimmend zu, denn auch wir wurden in der Angst
um unsere Meinung befragt Wenn man aus Berlin kommt, äufserte
sich einer, mute man doch wissen, ob Laibach stehen bleiben oder in
den Erdboden versinken wird. Und wozu auch die Leute ängstigen,
wenn man doch nicht weifs, was das Schicksal in den nächsten Augen-
blicken bringen wird. Ich komme auf das Unheilvolle des Orakel-
wesens und auf den leidigen Aberglauben, der bei solchen Anlässen
immer seine Blüten treibt, später noch einmal zurück. An die Per-
sönlichkeit Puticks knüpft sich noch ein anderes Interesse. Er war
es, der vor einigen Jahren, als zwei Touristen in der Lurloch-Höhle
der Ausgang durch eindringende Wasser abgeschnitten war, bis zum
Halse in den Fluten watend, zuerst zu den Eingeschlossenen gelangte
und deren Lebensrettung glücklich vollbrachte.
Wio ging es nun aber in der Sohreckensnacht des Ostersonntags
in Laibach zu? Man wird die Flucht aus den wankenden Häusern
aus der folgenden Schilderung ersehen können, die uns eine Dame.
Frau Forstrat O. gab, deren völlig demolierte Wohnung sich auf dem
Deutschen Platz befand.
„Mein Mann war von Hause abwesend," berichtete die Dame, „als
um 11 Uhr 17 Minuten ein furchtbarer Störs erfolgte, welcher mich
und mein Mädchen aus den Betten warf. Augenblicklich war das
ganze Zimmer in eine Staubwolke gehüllt, dafs wir nichts vor den
Augen sehen konnten. An ein Ankleiden war im ersten Moment gar
nicht zu denken. Wir wufsten, dafs ein Erdstofs erfolgt sei, und
triebmüfsig stürzten wir unter die Holzverkleidung der Stubenthüren,
wo wir zusammengekauert safsen und uns vor dem von der Decke
prasselnden Schutt sicher glaubten. * Nur diesem Umstände, dafa last
alle Laibacher sich in ähnlicher Weise sicherlen, ist es zuzuschreiben,
dafs nur wenige Menschenleben zu beklagen waren.
„Als nach einigen Minuten kein heftiger Störs mehr erfolgte, und
der Staub sich ein wenig verzogen hatte, u erzählte Frau G. weiter,
„krochen wir aus unserem Versteck hervor, griffen, was wir greifen
konnten, ein paar Betten und Decken, und nun ging es die Stiege
hinab, ein fürchterlicher Weg, unter prasselndem Steinrogen auf die
nafskalte Strafse hinaus, wo gerade mein Mann mir entgegenstürzte.
Da wimmelte es bereits von Flüchtlingen, alle nur mangelhaft bekleidet.
Alles stürzte durch die Strafsen, die von Staub wirbelten, ins Freie.
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Und es war eine stockfinstere, regnerische Nacht, und ringsum ertönte
das gräfsliche Pfeifen und Sausen der von den Dächern kommenden
Ziegel." „Es war eine fürchterliche Flucht," versicherte die Dame,
„niemals hätte ich geglaubt, dafs ich in meinem Leben so etwas durch-
machen würde. Sehen Sie, meine Herren, die Haare sind mir in den
wenigen Stunden grau geworden; niemals will ich wieder in meine
Wohnung zurückkehren !"
„Die Dame ist noch etwas aufgeregt," flüsterte mir Putiok zu,
„aber, was sie erzählt hat, ist nicht übertrieben. Ich bestätige alles,
und wie der Vorgang soeben geschildert wurde, hat er sich während
der Schreckensnacht in den meisten demolierten Häusern abgespielt."
Als mir dies erzählt wurde, war mein Reisebegleiter gerade da-
bei, seinen photographischen Apparat zureoht zu rücken, um den Zu-
fluchtsort der Familie des Forstrats G. aufzunehmen (Titelbild obere
Figur). Es ist dies noch eine glänzende Wohnung gegenüber anderen
Unterschlüpfen, von denen ich später berichten werde. Sie befand sich in
einer halboffenen Scheune im botanischen Garten bei Laibaoh. An-
scheinend hatte man nichts von Möbeln aus der Wohnung geholt. Als
Schlafstätten dienten ein paar Kisten, auf denen einige Kissen lagen
(rechts in der Abbildung). Der Gebrauch von Kisten an Stelle der Bett-
stellen war übrigens in den Erdbebentagen eine sehr allgemeine Vor-
sichtsmafsregel. Nötigenfalls konnte man ja bei einer Wiederholung
der Stöfse in den leeren Kistenraum kriechen und sioh so gegen einen
von oben erfolgenden Steinregen sichern. Auoh die Aufstellung der
Kisten unter der schützenden Stiege, mit der offenen Seite dem Garten
zugewendet, dürfte mit Überlegung geschehen sein. Not maoht be-
kanntlich erfinderisch!
Zu einer Erdbeben wohnung gehört eine Küohe, und die Beschaffung
einer solchen war nicht immer leicht Im vorliegenden Fall hatte sich
die Familie des Forstrats eine roh aus Brettern gezimmerte Bude
(Titelbild untere Figur) aufschlagen lassen, unter welcher ein aus Back-
steinen erbauter Ofen soeben fertig geworden war. Dafs das not-
wendige Hausgerät auf das Äufserste reduziert war, läfst unsere Ab-
bildung erkennen.
Noch ein anderer Bericht aus der Schreckensnaoht wird inter-
essieren. Forstkommissar Putick erzählt, er habe erst Frau und
Kinder in Sicherheit gebracht, dann sei er abermals in das schwankende
Haus gestürzt, habe die Uhrzeit notiert und schnell seinen Kompafs
ergriffen, um die Richtung noch kommender Stöfse bestimmen zu
können, endlich sei er an das Fenster seiner Parterrewohnung ge-
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laufen und habe aus demselben an Betten und Kleidungsstücken hinaus-
geworfen, was er nur fassen konnte, denn die Triester Strafse wimmelte
von halbbekleideten Flüohttingen. Als er den hinter dem Hause ge-
legenen Garten betrat, war bereits die ganze Hausbewohnersohaft da-
selbst in respektvoller Entfernung von den Mauern versammelt
Alles war bleich und sprachlos vor Entsetzen, als alle Augenblicke
in der betreffenden Nacht ein Stöfs naoh dem anderen erfolgte; mehr
als 24 hintereinander, von dem Hauptstofs um 11 Uhr 17 Minuten nachts
Fig. 3. Blick in die Judeng&ase.
bis zum andern Morgen. Als die stärkeren um 12 Uhr 2 Minuten,
um 3 Uhr 37 Minuten und 4 Uhr 19 Minuten eintraten, hätten schwäch-
liche Personen Mühe gehabt, sich auf den Füfsen zu halten, ja
manche hätten auf der Strafse die Bäume ergriffen, um sich daran fest-
zuklammern.
An tragikomischen Scenen hat es bei der Flucht aus der be-
drängten Stadt nicht gefehlt So wurde mir erzählt, dafs ein Offizier
aus seiner Wohnung auf die Strafse gelaufen sei, nur mit dem be-
kleidet, was man gewöhnlich im Bette anzuhaben pflegt. Aber eins
hatte er nicht vergessen, nämlich sich den Säbel umzuschnallen und
den Tschako aufzusetzen. In solcher Gestalt eilte er durch die
Strafsen als ein Sinnbild der „Macht der Gewohnheit".
Himmel und Erdo 189& XL 9. £fi
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Unsere Wanderungen durch die Stadt waren insofern etwas ein-
geschränkt, als die am ärgsten betroffenen Strafsen, um nachträgliches
Unglück durch herabstürzende Mauerreste zu verhüten, gleich nach
der Katastrophe durch Militärposten abgesperrt waren, wie wir dies
auf der umstehenden Abbildung (Fig. 3) sehen, welche uns einen Blick
in die Judengasse vorführt. Einen Passierschein aber konnten wir
uns bei der Kürze des Aufenthaltes nicht verschaffen, und so war
photographische Thätigkeit nur auf die Aufnahme minder bedeutender
Verwüstungen angewiesen.
Wenn man sich die Schreckensbilder vor Augen hält, die das
am 28. Juli 1883 die Insel Isohia heimsuchende Erdbeben in der Ort-
schaft Casamicciola zur Folge hatte, wo kaum ein einziges Haus
unverletzt blieb, sondern alles einem wüsten Trümmerhaufen und
Leichenfelde glich,1) wenn man ferner an das Heben von Kon-
stantinopel im Jahre 1894 denkt, bei welchem im grofsen Bazar zu
Stambul allein gegen 2000 Menschen teils erschlagen, teils lebendig
begraben wurden, so mufs man die Laibacher Katastrophe als ein<«
relativ geringfügige bezeichnen. Gebäude, welche völlig demoliert
waren, d. h. in Form von Ruinen entgegentraten, haben wir fast nirgends
in der Stadt gefunden. Aber es wäre unrecht, die Stärke des Bebens
allein nach den Dcmolierungen abschätzen zu wollen. Der Umfang
der Zerstörung und die Vernichtung von Menschenleben richtet sich ja
ganz nach der Hauart der Häuser, welche in Italien und im Orient
viel zu wünschen übrig läfst Bs ist ganz etwas anderes, ob ein nach
allen Regeln der Statik aufgeführtes Haus aus Quadersteinen oder
Ziegeln erschüttert wirdj oder eine solche Erschütterung ein Gebäude
trifft, das aus lockeren Tuffmassen und unbehauenen Balken auf-
gerührt ist, wie es auf Ischia der Fall war, oder gar die aus Lehm
zusammengeklebten Kartenhäuser Stambuls. Der Unterschied in der
Solidität der Bauausführung hat sich selbst in Laibach fühlbar gemacht.
Die aus unbehauenen Schieferblöcken mit Mörtel zusammengefügten
Hütten der ärmeren Bevölkerung (z. B. in der Römerstrafse und
Krakauer Vorstadt) waren auch äußerlich total zerrissen und mufsten
niedergelegt werden, während die Ziegelbauten (Theater, Museum) und
Wohnhäuser des besseren Stadtviertels auf den ersten Blick ganz
unverletzt erschienen, wenigstens den Umfang, den das Beben in den
Innenräumen angerichtet hatte, kaum erkennen liersen.
') Die Zahl der Toten bei dem Beben von Ischia wird nach den offiziellen
Berichten auf 2313, die der Verwundeten auf 762 angegeben, während in Laibach
nur einige wenige Einwohner umgekommen sind.
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Verhältnifsmäfsig oft waren gröfsere Verwüstungen dadurch ent-
standen, dafs die Brandmauern hoher Qebäude einstürzten und die
Dächer der angrenzenden Nachbarhäuser zerstörten. Einen solohen
Fall zeigt unsere Abbildung (Figur 4), welche ein Haus in der
Burgstallgasse, vom Hofe aus gesehen, vorführt, das dem Oberpost-
kontroleur Anton Premk gehörte. Der rechte Hinterflügel hatte in
dieser Weise gelitten, aber auch die übrigen Teile des Hauses waren
so arg mitgenommen, dafs sämtliche Innenräume und der Thorweg
Fig. 4. Zerstört«« Haus in der Burgstallgasse.
durch Balken abgesteift oder, wie man in Österreich sagt, gepölzt
werden muteten.
Solche Pölzungen zeigte fast jedes Haus, und tagtäglich rollten
die Bahnzüge heran, um neues Baumaterial und Balken nach der im
wahren Sinne des Wortes künstlich gestützten Stadt zu bringen.
1 50 Wohnhäuser erwiesen sich als so stark demoliert, dafs sie nieder-
gelegt werden mufsten.
Von den öffentlichen Gebäuden soll uns zunächst die Burg auf dem
Schlofeberge beschäftigen. (Siehe Fig. 2.) Wir waren dort hinauf-
gestiegen, erhielten aber nur zur Wachtstubo Zutritt, und was wir
daselbst sahen, genügte, um den Umfang der Zerstörung beurteilen
zu können. Alles war zerrissen, alle Mauerbekleidung im Innern
abgefallen.
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Im Kastell lagen während der Osternacht dreihundert schwere Ver-
brecher, meist in Ketten. Als der Erdstors erfolgte, erzählte uns der
Militärposten, entstand in den Zellen ein Geheul und Jammer, das herz-
zerreifsend war. Sohneil requirierte man Militär aus der Stadt, welches
die Gefangenen in den Burghof führte und so lange unter den
schwankenden Mauern bewachte, bis der Morgen hereinbrach. Dann
führte man sie wieder zurück in ihr Gefängnis, überzeugte sich aber
bald, dafs daselbst keines Bleibens sei, und brachte sie auf sicheren
Boden nach Marburg und Graz.
Dem Prachtbau des Museum Rudolfinum, der erst im Jahre 1883
vollendet wurde, war ebenso wie dem gegenüberliegenden Theater
äufserlich fast garnichts anzumerken. Und doch hatte das Beben in
den Innenräumen böse gewirtschaftet. Die Glaskästen der Samm-
lungen waren durchweg zertrümmert, wertvolle Gegenstände, kost-
bare Urnen, meist Unica aus der Römerzeit, lagen zerbrochen in den
Sälen umher.
(Schlüte folgt)
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Nicolaus Coppernicus.
Von Professor M. Corte« in Thorn.
(Schlufs.)
H
)as Sendschreiben an Schoner, die Narratio prima, wurde im
Jahre 1540 zu Danzig"11) und noch im folgenden Jahre zu Basel32)
wiedergedruckt. Eine beabsichtigte Narratio altera mag duroh
die Drucklegung der Revolutiones überholt und überflüssig erschienen
sein. Während des Lobauer Aufenthaltes entstanden, verbreitet sie
sich eingehend hauptsächlich über das dritte Buch der Revolutiones.
Bis dahin war damals Rheticus mit einer genauen Durcharbeitung
gelangt, während ihm der Rest nur oberflächlicher bekannt war. Eine
nähere Zergliederung der beiden ersten Bücher verspart er sich aus-
drücklich, wohl für die Narratio altera, auf später. So zerfällt die
Schrift in zwei Hauptteile, einen ersten, der sich ausführlich mit dem
dritten Buche beschäftigt, und einen zweiten, die Gesamtdarstellung
des neuen Systems im Gegensatz zu den früheren enthaltend.
Nach einer kurzen Inhaltsübersicht der einzelnen Bücher folgt
als Einleitung zur Lehre vom jährlichen Kreislauf ein Abschnitt über
Längenänderungen der Fixsterne infolge der Präzession, deren gleich-
mäßige Geschwindigkeit nach seinem „ Herrn Lehrer" in einer Schwan-
kungsperiode von 1717 Jahren Änderungen unterworfen sei. Daran
schliefst sich naturgemäß eine Untersuchung über die Länge des
Jahres zwischen den Aequinoctien (generalis consideratio), dann
•») Der Titel dieser ersten Ausgabe ist: „Ad clarissimum Virum
D. Ioannem Schoneruni, de libris Revolutionum eruditissimi viri, et Mathe-
matici excellentissimi Reverendi D. Doctoris Nicolai Copernici Torunnaei,
Canonici Varmiensis, per quondani Iuvenem, Mathematicae studiosum Narratio
Prima." Am Ende: „Excusum ücdani per Franciscum Rhodum. M.D.XL."
M) Die Ausgabe von l.VII ist betitelt: „De libria revolutionum erudi-
tissimi Viri, et Matliematici excellentiss. reverendi D. Doctoris Nicolai Copernici
Torunnaei Canonici Vuarmaciensis Narratio Prima ad clariss. Virum D.Joan.
Schonerum per M. Georgium Joachimum Rheticum una cum Encomio Borussiae
scriptum. Basileae." Am Ende: „Apud Robertum Vuinter, Basileae, Anno 1541."
DieHC Ausgabe ist von Achilles Pirminius Oassarus besorgt.
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Untersuchungen über Sohiefenänderung der Ekliptik, denen, als mit
den vorigen Schwankungen zusammengehörig, eine Periode von 3434
Jahren zukommen soll. Zur Erklärung der Lagenänderungen des Aphels
aber mutete zu den aus dem Vorigen folgenden noch eine neue An-
nahme sich gesellen, so dafa sich schliefslioh der ganze Mechanismus
der Erdbewegung folgendermafsen darstellt Man beschreibe mit
0,0369 des Erdbahnradius um die Sonne einen Kreis. Auf diesen
lasse man zur Erklärung der Lagenänderung der Apsidenlinie den
Mittelpunkt eines zweiten rückläufig und gleichförmig in 54 000 Jahren
einen Umgang machen. Dieser zweite besitzt einen Radius von 0,0048
des Erdhalbmessers, und auf ihm kreist wieder rechtläufig in 3434 Jahren
der Mittelpunkt des jährlichen Kreises der Revolution, wodurch die
Unregelmäßigkeit der Präzession erklärt werden soll. An diesen
zweiten Hilfskreis sohliefsen sich bei Rhetious eigentümliche astro-
logische Erörterungen. Erreioht das Centrum der Erdbahn den Qua-
dranten oder andere ausgezeichnete Punkte, so werden dadurch nach
ihm die politischen Geschicke der Mensohheit beeinflufst, dieser Kreis
ist die wahre „rota fortunae". Roms Umwandlung zum Kaisertum
und sein Dahinwelken, Mohameds Auftreten und die wachsende Macht
des Islam bringt er damit in Verbindung, prophezeit für ungefähr 100
Jahre später auch diesem einen jähen Fall und erwartet für die Zeit
der zweiten Erreichung des Ausgangspunktes bei der Erschaffung
der Welt die Wiederkunft Christi zum Weltgerichte. Da sich diese
Stelle in einer unter Coppernicus Augen entstandenen Schrift
findet, läfst sie Schlüsse auf dessen eigene Stellung zum herrschenden
astrologischen Aberglauben zu. Mit einer neuerlichen Untersuchung
(specialis oonside ratio) über die Länge des tropischen Jahres
nach seinen Entwickelungen und einem Abschnitt über Mondbe-
wegungen geht er zum zweiten Hauptteile über.
In diesem widerlegt er zunäohst kurz die Anschauungen der
Alten, um zu einer Gesamtdarstellung des neuen Systems überzu-
gehen. Dieso ist eingeteilt in Capitel über allgemeine Anordnung
der Weltkörper in demselben; die dreifache Bewegung der Erde: Ro-
tation, Revolution und Declination, die sogenannte dritte Bewegung,
einen Abschnitt über Librationen und zum Sohlufse den umfangreichen
Abschnitt über Planetenbewegungen nach Länge und Breite.
Im ganzen läuft der Inhalt von Rhetious* Narratio prima,
soweit er nicht strengwissenschaftlich die Theorie der Vorlage angiebt
und erläutert, auf eine Verteidigung seines Lehrers und eine Ix)b-
preisung von dessen hohen Geistesgaben und unermüdlicher Arbeits-
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kraft hinaus. Hinsichtlich der Motive weist er die Vorwürfe der
Ruhmsucht und Neuerung-Blust zurück. Nur allein das Streben nach
einer allen vorliegenden Beobachtungen entsprechenden Theorie hätton
ihn zu seiner Annahme genötigt. Coppernicus sowohl wie er selber
achteten Ptolemaios hoch, arbeiteten nach denselben Prinzipien,
nur dafs sie Bogen und Pfeile aus anderem Stoffe nach dem gemein-
samen Ziele richteten. An anderen Stellen rühmt er die hohe Ein-
fachheit und Folgerichtigkeit des Systems. Die lebenspendende
Sonne ist an den gebührenden Platz gestellt, und mit der einen Erd-
bewegung der verwickelte Planetenlauf erklärt. Eines fügt sich har-
monisch ins andere, wie an einer goldenen Kette ist alles auf das
Schönste verbunden. Auch die dazu erforderliche fast göttliche Ein-
sicht und die ungemeine Arbeitskraft seines Lehrers hebt er hervor.
Frei gesteht er, vorher nicht den geringsten Begriff von der gewal-
tigen Mühsal solcher Arbeiten besessen und ihn erst staunend an
Coppernicus1 Beispiel gewonnen zu haben. Mit das Wichtigste scheint
eine Angabe über die von dem grofsen Astronomen befolgte Arbeits-
methode. Danach hatte Coppernicus ein selbst nach bestimmtem
Plane gefertigtes Verzeichnis sämtlicher bekannter Beobachtungen zur
Hand, wonach er, von den ältesten bis auf eigene einschlägige An-
gaben herabgehend, die Richtigkeit überlieferter Theorien prüfte und
nach etwa hervortretender Gesetzmäfsgkeit forschte. Erst wenn er
sioh „urgente astronimica äva'Y/r^ genötigt sah, früher geteilte Ansichten
aufzugeben, stellto er eigene Hypothesen auf, um sie nur nach reif-
licher Prüfung und streng mathematischem Beweise als Gesetz anzu-
erkennen. So konnte Rheticus seinen Bericht mit vollem Rechte
schiiefsen, sein Lehrer scheue keine gerechte und einsichtige Kritik,
sondern wolle sich ihr freiwillig gern unterwerfen.
Auf die Narratio liefs Rheticus als Anhang das Encomium
Borussiae folgen. Im übertriebenen, gesuchten Stile des Humanisten
preist er das begnadete Preufsen. Aufser dem Herzog Albrecht
sind es vorzugsweise zwei Gönner, deren er gedenkt: Ticdemann
Giese und Johann von Werden, Bürgermeister von Danzig, wenn
wir von seinem Lehrer absehen. Gröfseren Wert für uns besitzen
nur diejenigen Teile, aus denen der ursprüngliche Widerwille des
Coppernicus gegen die Veröffentlichung der Revolutiones und der
grofse Anteil des Culmer Bischofs an seiner Überwindung sich er-
sehen lassen. Anstatt dessen war von dem grofsen Astronomen nur
die Veröffentlichung von nach den neuen Erkenntnissen berechneten
Planetentafeln beabsichtigt, aus denen sich nach seiner Ansicht Inter-
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408
essenten dieselben ja rekonstruieren könnten. Es bodurfie erst langen
Zuredens seitens des Freundes, um auf der Wagschale die Besorgnis
vor Widerspruch und den pythagoreischen Grundsatz der Verbreitung"
neuer Wahrheiten nur im esoterischen Kreise bei unserem Helden
in die Höhe schnellen zu lassen. Mit der Bitte um weitere lenkende
Ratschläge, deren er als jüngerer bedürfe, schliefst die Zuschrift an
Schoner mit der Datierung „Warmiao" am 23. September 1539.
Während 1539 bei Rh oticus' Ankunft neben dem Inhalte auch
die Fassung des Textes der Revolutiones größtenteils festgestanden
haben mufs, scheint die erst durch ihn vermittelte Bekanntschaft mit
der nun, fünfzig Jahre nach des Autors Tode, veröffentlichten Trigono-
metrie des Regiomontanus Coppernious zu einer Neubearbeitung-
des entsprechenden Abschnittes seines Werkes im Verein mit Rhe-
ticus veranlagt zu haben. Aus dem dem Schriftcharakter und der Tinte
naoh vor dieser letzten Redaktion entstandenen Anfange des Kap. XII
von Buch I scheint aber doch wobl unzweideutig die selbständige
Aufstellung der der Zeit nach allerdings zuerst von Regio montan
gegebenen wichtigen Sätze über die Bestimmung der Winkel eines
sphärischen Dreiecksaus den Seiten und der Seiten aus den Winkeln
seitens unseres Helden sioh zu ergeben.35) Trotzdem findet sioh im
Manuskripte die — durchstrichene — Originalfassung nur für den
ersten Satz vor, während die endgiltige Form beider auf einem später
eingehefteten Bogen gegeben ist, getrennt durch den ebenfalls nur
hier überlieferten Beweis der Möglichkeit, aus der Summe zweier
Bogen kleiner als ein Halbkreis und dem Verhältnisse ihrer Sinusse
dieselben einzeln zu bestimmen. Obwohl aller Wahrscheinlichkeit
nach diese letzteren Änderungen erst auf Grund der durch Rh oticus
vermittelten Kenntnis Regiomontans basieren, wird doch dadurch der
Coppernicanischen Eigenart nirgend Eintrag gethan, vielmehr gehören
die Beweise in ihrer bedeutend eleganteren Form durchaus dem Frauen-
burger Mathematiker an. Das Prioritätsrecht des Königsbergers aber
kann natürlich dadurch in nichts geschmälert erscheinen.
Als Rheticus im Herbste 1541 Preufsen verliefe — ein am
") Die im Originalmanuskripte ausgestrichene, aber von Rheticus in der
Editio prineeps dennoch beibehaltene Stolle — sie ist mit den älterer Zeit
angehörigen Schriftzügen und mit dem Vorhergehenden und Nachfolgenden
jedenfalls in einem Tenor und gleichzeitig geschrieben — heifst: „Quoniam
vero demonstrationes, quibus in hoctot forme opero utemur, in rectis lineis et
circumferentiis, in planis convexisque triangulia versantur, de quibus et si multa
iam pateant in Euclideis Elementis, non tarnen habent. quod hic maxime
quaeritur, quomodo ex angulis lateia et ex lateribus anguli possint aeeipi "
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4uy
20. September von Herzog Albrecht unter Beifügung eines Portu-
galesers an ihn noch nach Frauenburg gerichteter Brief giebt die
eine, seine Führung der Deoanatsgesohäfte in Wittenberg im Februar
1642 die andere äufserste Grenze für seine Abreise -, nahm er mit
Bewilligung seines Lehrers eine Abschrift dieses, auch ohne Kenntnis
der anderen Theorien allgemein verwendbaren Abschnittes über ebene
und sphärische Trigonometrie zur Drucklegung mit nach Wittenberg.
Darauf bezieht sich wohl auch die Empfehlung Herzog Albrechts
an die Sachsenfürsten. 1542 erschion dann diese Abhandlung, wört-
lich mit dem Originale übereinstimmend bis auf die Erweiterung der
Sinußlafel, welche in den Hevolutiones nur von 10 zu 10 Minuten
und für den Sinus totus = 100000 berechnet ist, während Kheticus
seiner Ausgabe eine solche von Minute zu Minute und den Sinus totus
= 10000000 beigab, bei Johann Lufft in Wittenberg.34) In der
Widmungsvorrede an den Nürnberger Georg Hartman n, einen
Freund des verstorbenen Andreas Coppernicus, betont Kheticus
ausdrücklich die vollständige Unabhängigkeit seines Lehrers von
Kegiomontan, da die vorliegende Arbeit vor dem Erscheinen von
dessen Trigonometrie entstanden sei, und nimmt die Gelegenheit zu
einem begeisterten Lobe auoh des Astronomen Coppernicus wahr.35)
Auch noch auf weniger wohlfeilem Wege bewies Kheticus
seine Dankbarkeit In Upsala und andern schwedischen Städten
finden sich einst Coppernicus und nach dessen Tode später der
Stiftsbibliothek gehörige Büoher, deren Widmung sie als Geschenke
des Schülers an seinen verehrten Meister bezeichnen. Sie sind bei
der Plünderung der ermländischon Archive und Bibliotheken im
30jährigen Kriege an ihren jetzigen Aufbewahrungsort gelangt, dar-
unter auch die Trigonometrie des Kegiomontan, ein griechischer
Almagest und anderes mehr. Unriohtig wäre aber der daraus öfter
gezogene Schlufs, Coppernicus habe überhaupt an derartigen Hilfs-
mitteln Mangel gelitten. Schon die Existenz des erwähnten astrono-
mischen Beobachtungskataloges und die Überlegung, dafs gerade der
**) „De LateribuB Et Angulis Triangolorum, tum planorum rectilineorum,
tum Sphaericorum , libellus eruditissimus et utilissimus, cum ad plerasque
Ptolemaei demonstrationea intelligendas, tum vero ad alia multa, scriptus a
clarissimo et doctissimo D. Nicoiao Coperoico Toronensi. Addilus est Canon
semissium subtetisarum rectarum linearum in Circulo. Excusum Viltembergae
per Johannem Lufft. Anno M.D.XLII."
3i) Es heisst da: „Nunc recens prodiit lucubratio Regiomontani, sed multo
ante quam banc videre potuit vir Clarissimus et doctissimus D. Nicolaus Coper-
nicus, dum et in Ptolemaeo illustrando, et in doctrina motuum tradenda elaborat,
de Triangulis eruditi&sime scripsit.'4
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410
Angreifer einer Anschauung zuerst mit allen Seiten derselben ver-
traut sein rauf s, hätten eine solche Annahme widerlegen sollen. Und
in der That standen ihm neben dem für seine Zeit bedeutenden
eigenen litterarischen Besitze die reichen damaligen Schätze «ler
Bibliotheken des eigenen Domstiftes und der Braunsberger Franzis-
kaner zu Gebote.*1)
Kurze Zeit nach Kheticus' Abreise gelang es endlich Giese,
von Coppernicus das Manuskript der Revolutiones und die Voll-
macht zur Verwendung beziehungsweise Drucklegung nach eigenem
Ermessen herauszubekommen. Hocherfreut sandle er dasselbe nach
schon vorher getroffener Abrede an Rheticus. Dieser hatte bei einem
Besuche in Nürnberg direkt vor seiner Frauenburger Reise seine alten
Beziehungen zu den dortigen wissenschaftlichen Kreisen, speziell mit
Schoner, wieder aufgefrischt und den Drucker Johannes Petrejus
(Peterlein) dabei näher kennen gelernt; bei ihm, in dem Centrai-
punkte damaliger wissenschaftlicher Bildung, dem Sitze der regio-
montanischen Schule, gedachte er die Revolutiones in Druck zu geben.
Zu der öfter erwähnten, nun endlich glücklich besiegten Abneigung
unseres Helden gegen eine andere Verbreitung seiner Forschungs-
ergebnisse als im esoterischen Kreise mag sich noch die Besorgnis
vor den Folgen einer Drucklegung seines heliooentrisohen Systems
bei dem ihm genau bekannten Umschwünge der Ansichten zu Rom
als ein neues Moment gegen die Überredungskünste seiner Freunde
gesellt haben, obwohl tbntliche Unbilden, wie sie ein Jahrhundert
später Galilei erfuhr, ihm kaum gedroht hätten. Ein schwächliches
Verleugnen aber nach einmal beschlossener Veröffentlichung, wie es
ihm Osiander später unterschieben wollte, lag ihm sicherlich gänzlich
fern. Atmet doch auch die Widmung an den Papst die volle Über-
zeugung des Schreibers von der Wahrheit seiner Anschauungen,
obwohl sie die befürchteten Anfeindungen durch die Captatio bene-
volentiae der höchsten Autorität wirkungslos zu machen bestimmt war.
Inzwischen hatte der jugendliche Wittenberger Professor sein dortiges
Amt niedergelegt und Verhandlungen mit Leipzig angeknüpft, ja wohl
schon daselbst einige Vorlesungen gehalten. Noch nicht zu sofortigem
Antritt verpflichtet, begab er sich jedoch im Mai 1542 mit Empfehlungen
von Melanchlhon nach dem ausersehenen Druckorte, um den Satz
zu überwachen und persönlich Korrektur zu lesen. Eine Abschrift,
wohl von seiner fachkundigen Hand, lag neben der Originalhandschrift,
*') Man vergleiche die „Analecta Warmiensia" Hiplers, wo die alten
Kataloge der ermländischeu Bibliotheken abgedruckt sind.
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411
wie es scheint, der Ausgabe zu Grunde. Als ihn zu Beginn des
Wintersemesters seine Pflicht gebieterisch nach Leipzig zurückrief,
übergab er den Vertrauensposten' seiner Nachfolge als Redaktor an
den Geistlichen und Mathematiker Andreas Oslander. Abgesehen
von der sich durch Druckfehlerhäufung bethätigenden nachlässigen
Korrektur desselben,37) war auch in anderer Hinsicht die Wahl keine
glückliohe. Schon in seinem, wahrscheinlich durch Rhetious ver-
mittelten Briefwechsel mit Coppernious, 1540, hatte Osiander den
Vorschlag gemacht, vormittelst einer durch nur hypothetische Dar-
stellung des neuen Weltsystems als eines hauptsächlich Rechnungs-
zwecken dienenden Behelfes ins Werk zu setzenden Anpassung an
die herrschende Glaubenslehre etwaigen Schwierigkeiten aus dem
Wege zu gehen und demselben eine ungestörte Verbreitung zu sichern.
Wohl in bester Absicht, aber in geradem Gegensatze zu dem allein
zu derartigen Änderungen Berechtigten und seinen pietätvollen An-
hängern ging er jetzt an dio Ausführung des Gedankens. Zunächst
fügte er dem von Coppernicus beabsichtigten Titel „De revolutionibus*
das irreführende „orbium coelestium" hinzu und schob dann direkt
dahinter vor der allerdings als „Praefatio autoris- gekennzeichneten
Coppernicanischen Widmung an Papst Paul III. ohne Angabe seines
Namens eine eigene Vorrede ganz in dem erwähnten Gedankengange ein.
Ungewifs ist, ob auch eine aufdringliche Anpreisung zum Kaufe auf
dem Titelblatte und die Unterschlagung der schönen Einleitung zum
ersten Buche auf sein Konto zu setzen sind. Des entrüsteten Giese
spätere briefliche Aufforderung, Rheticus solle beim Nürnberger
Rate um Abänderung der als Herabsetzung des eben Entschlafenen
sich charakterisierenden Eigenmächtigkeiten vorstellig werden, blieb
unausgeführt oder erfolglos, und so ging die im schärfsten Gegensatze
zu Coppernious' fester, innigster Überzeugung und auch zu deren Aus-
druck in dem Widmungsschreiben an Paul III. stehende Pseudo-
coppernicanisohe Vorrede nach der Ausgabe des fertigen Druokes im
Frühjahre 1543 auch unbeanstandet wörtlioh in die beiden folgenden
Abdrücke über,3*) zur grofsen Freude der streng katholischen Partei.
Daneben finden sich auch anderweite Abweichungen. Im Original-
manuskripte Stehendes wurde unterdrückt, anderes daselbst Durch-
strichenes wieder aufgenommen u. dgl. Eine wirkliche Textkritik der
203 Blätter in klein Folio umfassenden Ausgabe war erst nach dem
»') Man kann fast auf die Seite genau nach weisen, wo dieser Wechsel
der Redaktion eingetreten ist.
3») „Ad lectorem de hypothesibus huius operis 14
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412
Wiederaufßnden von Coppernicus handschriftlichem Exemplare39)
ermöglicht und ergiebt eine wörtliche Übereinstimmung mit dem
Drucke nur für eine einzige Seite, noch dazu eine Tabelle. Die un-
zähligen Verbesserungen, Zusätze und Streichungen im Manuskripte
geben ein Bild von der liebevollen uud eifrigen Beschäftigung des
Verfassers mit seinem Lebenswerke. Aufser kleineren Änderungen
kann man hauptsächlich drei verschiedene Redaktionen unterscheiden:
die der ersten Reinschrift, nach benutzten Beobachtungen aus diesem
Jahre nicht vor 1529 zu setzen, mit Einteilung in acht Bücher
durch Zerlegung der jetzigen beiden ersten Bücher in je zwei; eine
zweite sieben Bücher aufweisend, in welcher Buoh III und IV zu
dem jetzigen Buche II zusammengezogen sind, und die dritte end-
giltige, welche unter Fortlassung des ursprünglich lateinisch übersetzt
beigegebenen Pseudo-Lysisbriefes die jetzige sechsteilige Anordnung
aufstellt. Die vier letzten Bücher sind im wesentlichen von solchen
durchgreifenden Änderungen nicht betroffen worden, wenn sioh auch
manche seitenlange Umänderungen vorfinden.40)
Als das erste gedruckte Exemplar der Revolutiones in Frauen-
burg anlangte, da vermochte der Qreis von seinem Krankenlager aus
kaum noch das Werk seines Lebens zu erblicken und zu berühren.
Wenige Stunden später war er hinübergegangen, so berichtet uns
Giese. Über die letzten Lebensjahre des alternden Forschers nach
Rheticus' Fortgang ist uns so gut wie nichts überliefert Allmählich
wurde es einsam um ihn her: die alten Genossen waren ins Grab
gesunken, und unter dem neuen Geschlechte herrschte ein Geist, der ihm
nicht behagte, bo zog er sich in sich selber zurück ; das läfst wenigstens
ein besorgter Brief Gieses an den Domherrn Georg Donner, den
damaligen nächsten Freund des Coppernious, nach dem Empfange
der Nachrioht von dessen schwerer Erkrankung durch Schlaganfall
und Blutsturz Anfang 1543 durchblicken. Donner und der Domvikar
Fabian Emmerich mögen, letzterer als ärztlicher Beirat, am Kranken-
lager des grofsen Denkers gewacht haben, als ihn die Todeskrankheit
ergriffen, um ihn nicht wieder loszulassen. So schnell allerdings,
wie Gemma Frisius nach Dantiscus' Brief an ihn die Auflösung
19) Dasselbe befindet sich in der Majoratsbibliothek der Grafen Nostiz
zu Prag. Eine genaue Beschreibung enthält die Thorner Säcularausgabe, für
welche es zuerst Verwertung gefunden hat. Eine genaue Collation desselben,
besorgt behufs Benutzung bei der Saecularausgabe durch M. Curtze in Thorn,
ist im Besitze des Coppernicus -Vereins für Wissenschaft und Kunst zu Thorn.
*n) Man sehe Ausführliches darüber in den Prolegomena der Thorner
Saecularausgabe.
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413
erwarten mufste, trat sie nicht ein. Nach Gieße 8 wohl glaubwürdigerer
Angabe am 24. Mai, den lässig geführten Kapitelsakten zufolge am
21. Mai, schlössen sich die hellen Augen, die dem Himmel seine Ge-
heimnisse abgelauscht hatten, für immer.
Sein Haus hatte Coppernious rechtzeitig bestellt Johannes
Lewsze, ein entfernter Verwandter, hatte, wie wir sohon wissen, am
7. Mai die Coadjutorie bei ihm angetreten und wurd nun sein Nach-
folger. Als Erben Beines Privatvermögens setzte er die Nachkommen
seiner beiden Nichten, der Frau des Königsberger Heerpeukers
Stulpawitz und der des Stargarder Kaufmanns Mol ler ein, wie es
mittelbar aus erhaltenen Dokumenten sich ergiebt.
Seit seinen Studienjahren arbeitete der Entschlafene an der immer
vollkommeneren, immer zwingenderen, inneren und äufseren Be-
gründung seineß Weitsystemes. Nur der Tod hätte ihm ohne die
dringenden Bitten seiner Freundo um endliche Veröffentlichung des
Werkes die bessernde Feder entrissen; und als er endlich ihren Vor-
stellungen nachgegeben hatte, da ward ihm kaum noch Frist gegönnt,
das erste fertige Exemplar mit sohon erlöschendem Auge zu erblicken.
So verglich Georg Donner, an welchen Rhoticus pietätsvoll, wie
an Giese, mehrere der fertigen Drucke zur Verteilung an nähere
Freunde des Dahingeschiedenen überwiesen hatte, in seinem Be-
gleitschreiben zu der Sendung eines solohen an Herzog Albreoht
treffend die Revolutiones mit dem sagenhaften Gesänge des sterbenden
Schwanes 4l)
über die eigentliche Entstehungsgeschichte der genialen neuen Idee,
als deren Endergebnis wir das monumentale Werk betrachten müssen,
sind wir gröfstenteils auf Vermutungen angewiesen. Stellen ähnlicher
Tendenz, wie sie Coppernicus in der Widmung an den Papst er-
wähnt, in Plutaroh und Cicero, zu denen auch die ebenfalls durch
Plutarch vermittelte Bekanntschaft mit Aristarch von Samos und
dem ungefähr das Tychonische System lehrenden MartianusCapella
hinzutreten, wurden von Tausenden gelesen — und unbeachtet gelassen.
Kurz vorher vergleicht a. a, O. Coppernious die geltenden Himmels-
mechanismen mit dem Horazischen Schreckbild einer aus allen
möglichen für sich allein wohl befriedigenden, aber unzusammen-
passenden Teilen gefertigten Gestalt in der „ars poetica-4. Demnach
*') „Vnd mochte wol dasselbe D. Nicolai gctichte der Swanen Oesenge
vorgloichot werdenn, wolche Im storbenn, myt dem szuessen thoen besclissen
und auö'gobent lr lebonn."
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scheint das philosophisch -künstlerische Bedürfnis nach einfacherer,
harmonischerer Erklärung der Naturerscheinungen ihm einen ersten
An stofs zum Beschreiten des zur Wahrheit führenden Weges gegeben
zu haben. Über die einzelnen Stationen dieses Weges zur Erkenntnis
sind wir nioht unterrichtet. Einzelne Faktoren, wie Beziehungen zu
freidenkenden Lehrern und Genossen, haben wir uns bemüht, in ihren
möglichen Einwirkungen an gehöriger Stelle hervorzuheben.
Die sechs Bücher seines Werkes enthalten der Reihe nach:
Buch I eine allgemeine Darstellung der gesamten neuen Theorie,
wie durch Erdrotation, Revolution und die sogenannte dritte Bewegung
zur Erhaltung des Axenparallelismus, welche an Stelle des ihm
fehlenden Beharrungsgeselzes als besondere Deklinationsbewegung
aufgeführt werden raufste, eine ungezwungene Erklärung der Himmels-
erscheinungen ermöglicht sei: sowie die Trigonometrie.
Die folgenden Bücher umfassen nähere Ausführungen, und zwar:
Buch II die Aufstellung der verschiedenen Coordinatensysteme und
Gradnetze; Ortsbestimmungen am Himmel und Erdrotation: Buch III
hehandelt die Sonne rosp. den orbis annuus und das tropische Jahr;
Buch IV den Mond; Buch V dio Bewegungen der Planeten in der
Länge und Buch VI solche in Breite.
Wie wir bereits erwähnten, müssen wir nach der eigenen Er-
klärung unseres Autors in der Widmung an Paul III., er habe damals,
um 1542, schon vier mal neun Jahre die neue Überzeugung in sich
getragen, die volle Conception des heliocentrischen Systems ungefähr
um 1500 ansetzen. Damit war die neue Wahrheit, die Erkenntnis
des planetarischen Charakters der Erde und der relativen Ruhe der
Sonne bereits gefunden. Was Coppernicus nachher in der ange-
strengten Geistesarbeit eines Menschenalters zur Begründung seiner
Theorie, soweit es die Übereinstimmung derselben mit den Beobach-
tungen betraf, in der strengen Ausbildung eines geistreichen Gedankens
zu einem festgefügten Lehrgebäude gethan hat, das ist, wie wichtig
es auch für die Aufnahme der neuen Lehre in der damaligen Welt
wurde, doch jetzt längst überholt und hat nur noch historisches Inter-
esse. Von dem zweiten Fundamentalirrtum der Vorzeit, welche nur
gleichförmig zu durchlaufende Kreisbahnen für die Gestirnsbewegung
zuüefs, hat er sich nämlich nicht befreien können. So mufste er,
statt aus Beobachtungen auf die wahre Bahnform zu sohliefsen, um-
gekehrt bei den Versuchen, die erscheinenden Sternörter mit der
a priori angenommenen Voraussetzung in Übereinstimmung zu bringen,
die auf der einen Seite glücklich beseitigte Epicykeltheorie zur Er-
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klärung der gröfsten Abweichungen vom reinen Kreise wieder ein-
führen, ohne dabei natürlich eine Ahnung von unserer modernen
Störungstheorie zu haben; und als er statt auf den wahren Sonnenort die
Planetenbahnen auf den mittleren, das Centrum der Erdbahn, bezog,
fügte er eine zweite Fehlerquelle hinzu, die 6eine Resultate nochmals
ungünstig beeinflussen raufste. Aber auf dem Fundamente der neuen
Wahrheit konnte ein Kepler weiterarbeiten, und so datiert von dem
Erscheinen der Revolutiones dooh in Wahrheit die neuere Astronomie.
Trennen wir sonach das Dauernde an der Leistung des Verfassers
der Revolutiones von den Irrtümern seiner Zeit, so werden wir uns im
wesentlichen auf eine Würdigung des ersten Buches beschränken
können.
Coppernicus war sich bei der Abfassung seines Werkes der
Unmöglichkeit eines strengen Beweises für den jährlichen Umlauf
vor Aufßndung einer merklichen Fixslernparallaxe klar bewufst.
Erst unser nun sich neidendes Jahrhundert hat 1836 mit seinen un-
endlich feineren Mefswerkzeugen diese leizle Forderung des längst als
giltig anerkannten Systems erfüllt. Des Verfassers stetes Betonen
der Unermefslichkeit von Fixsternentfernungen gegenüber der Erd-
btthn zeugt aber für seine Erkenntnis, wie das Fehlen dieses vom
Sonnensystem unabhängigen, notwendig folgenden Beweises für die
Revolutiones den wundesten Punkt seiner Annahmen bildete. Ebenso
konsequent folgerte er die, bei der Kleinheit der lichtstarken Objekte
aber unbewaffneten Augen unmerklichen und erst Galileis Fernrohr
sich zeigenden Phasengestalten der inneren Planeten, und so wäre ihm
Oslanders Angriff auf seine Anschauungen in dessen Vorrede zu
den Revolutiones wegen der scheinbar konstant bleibenden Lichtstärke
der Venus in Konjunktion und Opposition sicher gerade als eine neue
Bestätigung derselben erschienen.
Da ihm so die allergewiohtigsten Waffen für die Wahrheit, die
der direkten sinnlichen Wahrnehmung, entzogen waren, mufsto er
sich auf Wahrscheinlichkeitsgründe aus der ungezwungeneren Folge
der Erscheinungen nach seiner Hypothese stützen.
Die in der Editio prineeps und danach auch in den beiden
folgenden12) unterschlagene schöne Einleitung zum ersten Buche
**) Die bis jetzt erschienenen fünf Ausgaben des Coppernicaniachen
Hauptwerkes haben folgende Titel: I. Nicolai Copernici Tohinensis de
Revolvtionibvs ORBlum coelestiutn, Libri VI ' .^uutxi^r,-:^ oütt« ilai-i».
Norimbergae apud Job. Petreium, Anno M.D.XLIII. - II. Nicolai Copernici
Tokinbnsis de REVOLVTiONibus orbium coelesüum, Libri VI Basileae,
ex officina Henrici Petrina. Anno M D.LXVI, Mense Septembri. —
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preist die Astronomie als die sich mit den erhabensten Gegenständen
beschäftigende exakte Wissenschaft, betont deren bis dahin nicht be-
friedigend erklärbare Rätsel, und verspricht einen neuen Lösungs-
versuch auf von dem bisherigen abweichenden Wege.
Im Buche selber wendet Cop p ernicus sich zunächst zu Unter-
suchungen über die dem Weltall und den Gestirnen zukommende
Gestalt. Aus Analogieschlüssen, philosophischen und, hauptsächlich
für die Erde, Erfahrungsgründen findet er dafür die Kugelform. Für
ihre Bewegung aber läfst er, ein Kind seiner Zeit, nur die nach seiner
philosophischen Betrachtungsweise den vollkommensten Gebilden zu-
kommende, als vollkommenste angesehene gleichförmig zu durchlaufende
Kreisbahn zu. Aufser der täglichen Umdrehung müfste man auch alle
scheinbar ungleichförmigen Bewegungen der Himmelskörper auf diese
einzig angemessen erscheinende zurückführen, was am besten durch in
Bezug auf dieselben excentrisohe Stellung unseres Beobachtungsortes
Erde geschehe, vermöge der verschiedenen Gesiohtswinkel, unter
denen dann gleiche Bogen in verschiedenen Entfernungen erscheinen
müssen. Nun kann man alle relativen Ortsänderungen entweder aus
einer Bewegung des Beobachteten oder des Beobachters, oder einer
ungleichen Beider erklären. Wendet man, statt wie früher die erste,
jetzt einmal die zweite Möglichkeit zunächst auf die tägliche Bewegung
des Himmelsgewölbes an, so verfällt man auf eine umgekehrt gerichtete
tätliche Rotation der Erde. Ganz abgesehen davon, setzt er spitz-
findig hinzu, dafs die Erde als mefsbare Gröfse doch trotz der Ruhe
des Mittelpunktes bei einer Rotation des gesamten Weltalls um ihn
an der Oberfläche mit dieser gleiche, die Wirkung aufhebende Winkel-
geschwindigkeit besitzen müfste, könne man doch eher der im Vergleich
winzigen Erde eine relativ geringere Drehungsgeschwindigkeit beilegen
als dem unermefsliohen Weltall eine alle Begriffe übersteigende. Die
III. Nicolai Copernici Torinensis Astronomia instavrata, Libria sex
comprehensa, qui do RevoluÜonibuß orbium coeleslium inscribuntur. Nunc
demura post 75 ab obitu authoris annum integritati buho reaütuta notisque
illustrata opera et studio D. Nicolai Mvlerii Ahstelrodami, Excudebat
Wilhelmus Jansonius .... Anno M.D.CXVII. (Letztere ist 1640 in neuer Titel-
auflage nochmals ausgegeben worden.) — IV. Nicolai Copernici Torinensis De
Revolutiouibus Orbium Coelestium Libri VI. Accedunt G. Joacbimi Rhetici
Narratio Prima, Cum Copernici Nonnullis Scriptis Minoribus Nunc Primum
Collectis Eiusque Vita. Vareaviae, Typis Stanislai Straski. Anno M.D.CCCLIII. —
V. Nicolai Copernici Thoruuensis De Revolutionibus Orbium Caelestium
Libri VI. Ex Auctoris Autographo Recudi Curavit Societas Copernicana
Thorunensis. Accedit Georgii Joacbimi Rbetici De Libris Revolutionum
Narratio Prima. Thoruni, Sumptibus Societatis Copernicanae. MDCCCLXXIII.
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417
Annahme derselben als einer ursprünglichen, dem Wesen des Körpers
immanenten erklärt das Fehlen jeder wahrnehmbaren Zerstörungs-
wirkung, und fast alle Einwürfe gegen die Erdrotation gelten in viel
höherem Mafse gegen die von deren Urheber angenommene Drehung
des Himmels. Die geradlinige Bahn fallender Körper folgt aber aus
dem Mitrotieren der nächsten Umgebung der Erdoberfläche. So soheint
thatsächlioh die neue Annahme bessere Gründe als die geltende für
sich zu haben. Läfet man aber einmal eine Erdbewegung zu, was
hindert uns die wechselnden Bewegungen der Planeten nicht ebenso
einer Bewegung der Erde, als einer solohen jener zuzuschreiben?
Dagegen opponieren die Anhänger des Ptolemaios mit dem Falle der
Körper, der nur nach dem Weltmittelpunkte gerichtet sein könne.
Coppernicus aber fafst die Sohwere, ohne übrigens eine Ahnung
von der Massenanziehung, dem Oravitationsgesetze, zu haben, als eine
jedem Gestirn als solchem zukommende, immanente Kraft auf, ver-
möge deren es sich zur Kugel ballt» so dafs jeder Weltkörper seine
eigene, auf ihn allein wirksame Schwere besitzt. Setzt man nun statt
der scheinbaren Bewegung der Sonne um die Erde eine bei der un-
ermefsliohen Entfernung der Fixsterne genau dieselben scheinbaren
Bewegungen der Sonne hervorrufende Bahn der Erde um diese, dann
erklären sich für den, der seine beiden Augen zum Sehen benutzt,
die merkwürdigen Erscheinungen der Beschleunigungen, Stillstände
und Rückläufe in dem scheinbaren Laufe der Planeten aus dieser Erd-
bewegung von selber. Die Aufeinanderfolge der Sphären in der Reihe:
Fixsterne, Saturn, Jupiter, Mars, sowie die Stellung des Mondes zunächst
der Erde lehren alle Astronomen. Über die gegenseitige Anordnung
von Sonne, Venus und Merkur aber finden sioh Verschiedenheiten.
Ptolemaios läfst die Sonne die nach allen Seiten abweichenden
Planeten von den sich nur wenig von ihr entfernenden, zuletzt an-
gerührten trennen, leugnet aber trotzdem ihre dann notwendig folgende
Phasengestalt und bedenkt auch nicht, dafs der Mond doch wieder
überall hin abweicht. Andere setzen, um diesen Schwierigkeiten zu ent-
gehen, die Sonne doch unter dieselben, ohne dann die nur geringen
Abweichungen der beiden erklären zu können. Martianus Capeila
läfst beide um die Sonne, und erst mit dieser um die Erde kreisen.
Behält man nun diese Anordnung bei, läfst aber auoh die anderen
Planeten um die centrale Sonne laufen, und setzt zwischen Venus-
und Marsbahn, wo übergenügend Platz ist, Erde und Mond, welcher deren
spezieller Trabant ist, gleichfalls nur als Planeten, so ist die Schwierig-
keit gehoben. Hierbei lehrt Coppernicus übrigens nicht nochmals
ausdrücklich die Phasengestalt von Venus und Merkur auoh in seinem
Himmel und Erde. 189». XI. 9. 27
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System, obwohl ihre Notwendigkeit aus seinen früheren Darlegungen
über entsprechende Anordnungen folgt. Aus dieser Annahme ergeben
sieh auch ungezwungen die wachsende Gröfse parallaktischer Ver-
schiebungen bei näheren, die wachsende Zahl derselben bei entfernteren
Planeten, was eine neue Stütze des Systems bedeutet Betrachtet man
zum Schiurs die entwickelten Bewegungen genauer, so findet sich aufser
der Rotation zur Erklärung der täglichen Bewegung des Himmels und
der Revolution zur Erklärung der jährlichen Sonnenbahn noch die
Annahme einer dritten, rückläufigen jährlichen Deklinationsbewegung-
nötig, die unserer aus dem Beharrungsgesetz folgenden Erhaltung des
Axenparallelismus entspricht, aus welcher eben dieser Parallelismus,
bei Coppernicus der Äquatorrichtung, und die ungleiche Länge von
Tag und Nacht folgen. Aus der nicht völligen, zeitlichen Überein-
stimmung von Revolution und dritter Bewegung verspricht Copper-
nicus die Präzession der Nachtgleichen und die Änderung in der
Schiefe der Ekliptik zu erklären. Nach dem sohon oben erwähnten
und besprochenen trigonometrischen Abschnitt folgen dann bei Cop-
pernioua Buch II biB VI mit den speziellen Ausrührungen.
Auf diese, infolge der falsohen Beschränkung auf nur gleich-
förmige Kreisbahnen notwendig zu Irrtümern führenden Unter-
suchungen wollen wir bei dem geringen Interesse, dafs sie heute nur
noch beanspruchen können, nioht näher eingehen, sondern nur seine
Resultate kurz erwähnen43) und nooh einen speziellen Punkt, die Libra-
tionslehre, herausgreifen, wegen ihrer Beziehung zum Wapowski-
brief als Coppernicanische Modifikation der Trepidationslehre, und
hauptsächlich der auf eine dabei sich findende durchstriohene Stelle
sich stützenden Vermutung halber, Coppernicus habe die Elliptizität
der Planetenbahnen geahnt44) Wenden wir uns zunächst zu letzterer.
Coppernicus bezeichnet als Libration in der Projektion auf
eine zur mittleren Lage senkrechte Ebene geradlinige Schwankungen
der Pole um Centriwinkel. Er unterscheidet deren zwei; eine in der
Richtung der Senkreohten auf die duroh mittlere Axenlage und je-
weilige Tangente an die Erdbahn bestimmte Ebene, zur Erklärung-
der Änderung in der Schiefe der Ekliptik, beziehungsweise des
«) Wir benutzon dabei die Darstellung in dem Werke Apelts: Die
Reformation der Sternkunde. Ein Beitrag zur Deutseben Kulturgeschichte.
Jena, Mauke, 135?.
**) Die fragliche Stelle lautet (Lib. III, Kap. IV): „Vocaat autem aliqui
motum nunc in latitudinem circuli, hoc est dimetientem, cuius tarnen periodum
et dimensionem a circumeurrere eius dedueunt, ut paulo inferius ostendemus.
Estque hic obiter animadvertendum, quod, si circuli hg et of fuerint inequales
manentibus caeteris condicionibus, non rectam lineam sed conicam sive cylin-
dricam Bectionem describent, quam ellypsin vocant raathematici; sed de his alias*
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419
Äquators; eine zweite in der so erhaltenen Ebene selbst von halber
Dauer und Elongation, zur Erklärung der ungleichmäfsigen Präzession.
Beide zusammen lassen, gleichzeitig von dem Mittelwert beginnend,
den Pol während der vollen Dauer einer der längeren Schwingungen
eine Aohterkurve, 8, beschreiben. Diese geradlinigen Bewegungen
zerfallt Coppernicus nun wieder in gleichförmige Kreisbewegungen.
Er beweist, dafs jeder Punkt eines Kreises vom Durchmesser r, der
auf der Innenseite der Peripherie eines Kreises vom Radius r rollt,
während eines Umlaufes des kleinen Kreises einen Durohmesser des
grofsen vor- und rückwärts durchläuft.45) In der so zusammen-
geschrumpften Hypooycloide wird aber die Geschwindigkeit vom Mittel-
punkte naoh den beiden Schnittpunkten mit der Peripherie abnehmen,
innerhalb der achtförmigen Figur werden also den gröfsten Elonga-
tionen die kleinsten, den kleinsten die gröfsten Funktionsänderungen
für eine gleiche Zeitdauer zuzuschreiben sein. Die Elongation en in
der Ebene der Bahntangente müssen nun notwendig eine Änderung
der Knotenlinie zwischen Ekliptik und Äquator zur Folge haben, die
entsprechenden Bewegungen des Erdmittelpunktes aber obigen Folge-
rungen analog ungleichmäfsig schnell verlaufen, und das bewerkstelligt
jene „rota fortunae" des Rhetious mit einem Umlaufe von 3434 Jahren,
wie es die Beobachtungen der Deklinationsbewegung der Sonne und
der Präzession der Naohtgleichen scheinbar seiner Hypothese ent-
sprechend auch für die bezügliche Polbewegung zu verlangen schienen.
Ähnliche Zerfällungen in Kreisbahnen nimmt Coppernicus nooh
mit anderen geradlinigen Bewegungen vor, so bei Merkur und bei
der Erklärung der Breitenbewegungen der Planeten. Läfst man aber
die Radiuslänge des rollenden Kreises unter die Hälfte der des
gröfseren sinken, behält jedoch unter Preisgabe der dann folgenden
Änderungen bei wirklicher Rollung die Winkelgeschwindigkeiten der
vorigen Annahme bei, so beschreibt jeder Punkt des kleineren Kreises,
wie leicht zu beweisen ist, eine Ellipse. Darauf allein scheint sich,
wieTh. Häbler es neuerdings wahrscheinlich gemacht hat,4*) die oft
mifsverstandene gestrichene Stelle im Originalmanuskripte über die
Möglichkeit des Auftretens von Ellipsen zu beziehen. Die Unter-
suchung der wahren Planetenbahnen nach seinen Angaben, was ihm
*») Dafs diese Betrachtung schon vor Coppernicus den Arabern be-
kannt war. aber im Abeudlande völlig unbokannt blieb, sehe man in dem Auf-
satze M. Curtzes in der Bibliotheca mathematica G. Eneströras IX, S. 33/34:
„Noch einmal der De la Hire zugeschriebene Lehrsatz".
*«} Th. Häbler, Ober zwei Stellen in Piatons Timaeus und im Haupt-
werke von Coppernicus. Abhandlung zum Jahresbericht der Fürsten- und
Landeaschule zu Grimma 1898. Grimma 1898. S. 18-2G.
27*
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420
jedoch nicht eingefallen zu sein scheint, hätte Coppernicus eine
Epicycloide, aber niemals einen Kegelsohnitt finden lassen.
Über seine Darstellung der jährlichen Kreisbewegung haben wir
schon gelegentlich der Narratio prima des Rheticus das Wichtigste
angegeben. Ein voller Umlauf in dem die Änderung der Apsiden-
linien bewirkenden Kreise hätte 54000 Jahre in Anspruch genommen.
Die Sonnenentfernung im Apogäum beträgt nach ihm 1179 Erd-
halbmesser.
Zur Darstellung der möglichst von den Wirkungen der jähr-
lichen Parallaxe befreiten Planetenbahnen befolgt er folgende drei
Methoden, die wir dem oben genannten Werke Apelts entnehmen.
I. Man beschreibe mit dem dritten Teile der Entfernung zwischen
Planeten- und als Weltcentrum dienendem Erdbahnmittelpunkt, dessen
eigene Schwankungen man nur bei Venus und Merkur zu beachten
habe, einen Epicykel. Den Mittelpunkt desselben lasse man mit der
mittleren Geschwindigkeit des Gestirns die mittlere Kreisbahn um
das Centrum der Planetenbewegung vollführen. Während dessen
beschreibe der Planet selber rechtläufig auf dem Epicykel dieser
Bewegung gleiohe Winkel, und zwar so, dafs seine gröfste Apside
gleich der Summe von mittlerem Bahnradius und Entfernung des
Mittelpunktes derselben vom Weltcentrum minus Epicykelradius, die
kleinste gleich der Summe beider Kreisradien minus der Entfernung
des Weltcentrums von dem der mittleren Planetenbahn wird, also die
drei Centra, wie auch bei den folgenden Anordnungen, in diesen ex-
tremen Fällen einer Geraden angehören (Excentrepicyclus); oder:
II. Man belasse den Planeten auf dem excentrisohen Kreise
selbst in gleichförmiger Fortbewegung mit der mittleren Gestirnsge-
schwindigkeit, führe aber den Mittelpunkt desselben während eines
vollen Umlaufes des Gestirnes zweimal in einem kleinen Kreise vom
Radius des vorigen Epicykels um seine ursprüngliche Lage rechtläufig
herum, so zwar, dafs die Länge der Apsiden wieder durch dieselben
Stücke ebenso wie oben bestimmt wird (Excentri excentrus); oder:
III. Man beschreibe den Bahnkreis um den Weltmittelpunkt
(Erdbahncentrum), lasse auf demselben mit der mittleren Gestirns-
geschwindigkeit rechtläufig einen Epicykel von dem Radius 3/a mal
der gewünschten Excentricität, und auf dessen Peripherie mit gleicher
Winkelgeschwindigkeit, aber rückläufig, einen zweiten Epicykel von
dem Radius '/2 mal der Excentricität kreisen. Auf diesem zweiten
vollende während eines Umlaufes der Epicykel der Planet aber deren
zwei. Hier sei die gröfste Apside gleich der Radiensumme von Bahn-
kreis und gröTserem Epicykel minus Radius des kleineren, die kleinste
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421
gleich Radiensumme von Bahnkreis und kleinerem Epicykel minus
Radius des gröfseren (Epicepicyclus).
Alle drei Methoden sind nach Coppernious im wesentlichen
gleich, geben alle drei keine völlig genaue Kreisbewegung für die
Planeten, obwohl sie aus solchen zusammengesetzt sind, und machen
für einen Beobachter vom jeweiligen Cyoloidenmittelpunkte aus den
Eindruck der Gleichförmigkeit, worauf es Coppernious bei seiner
Konstruktion hauptsächlich ankam, und was er durch diese merk-
würdigen Zerlegungen der Mittelpunktsgleichung auch erreichte.47)
Nach diesem Verfahren berechnete heliocentrisohe Örter müssen,
für Mars z. B. bis zu einer Maximalgrenze von zwei vollen Graden,
irrig ausfallen. Hätte Tyoho Brahe an eine Vorbesserung desselben
in rechnerischer Hinsicht sich gemacht, es wäre nur natürlioh ge-
wesen. Dafs aber der grofse beobachtende Astronom den Kern der
Lehre, die planetarische Natur der Erde, wieder zu verlassen sich
genötigt glaubte, zeigt, wie hoch des Coppernious auf inneren
Gründen fufsende Erkenntnis nicht nur über der seiner Zeit, nein
auch über der hervorragenden Geistern der nächsten Folgezeit mög-
lichen stand. Fest aber und unersohüttert war sein Glaube an die
neugefundene Wahrheit, das ersehen wir aus Gieses Brief an Rhe-
ticus über Oslanders Vorrede, ersehen wir aus seiner eigenen
Widmung an den Papst:
Wenn er auch für seine Leistung keine Stellung über allge-
meiner Kritik beanspruchen dürfe, so habe ihn der stets zu erwartende
Spott der urteilslosen Menge über neue, nicht handgreifliche Wahr-
heiten zu ähnlichen Meinungen geführt, wie sie den weisen Be-
stimmungen der Pythagoräer über die Lehre nur im engsten Schüler-
kreise zu Grunde lägen. Infolge der Vorstellungen seiner Freunde hätte
er seine Bedenken jedoch sohliefslich fallen lassen. Die Uneinigkeit
der Astronomen unter sich, und die Disharmonie der Lehre jedes der-
selben in ihren Einzelheiten habe ihn zu Untersuchungen auf ab-
weichendem, von einigen schon vor ihm betretenem Wege getrieben.
Sein neues System erkläre auf Grundlage von Erdeigenbewegungen
so viel folgerichtiger und einfacher die Himmelserscheinungen, dafs
er sioh des Beifalls vorurteilsloser, durch ihre Bildung dazu berech-
tigter Beurteiler für versichert halte. Um aber der urteilslosen Menge
an einem Beispiele zu zeigen, wie wenig er derartige Kritik soheue,
wage er es, der überall aufs höchste verehrten Stelle, dem Papste,
sein Werk zu widmen. Leute aber, Schwätzer, die ohne mathemati-
*7) Die näheren Ausführungen Behe mau in dem in Anm. 18 erwähnten
Werke Apelts.
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sehe Kenntnisse aus mifsverstandenen Bibelstellen abfällig über ihn
urteilen wollten, verachte er als Dummdreiste, nachdem sogar des
Kirchenvaters Lactantius aus gleicher, ebenso mifs verstandener Quelle
geschöpfte Ansicht von der Sobeibengestalt der Erde zu gunsten der
Kugelform jetzt allgemein verlassen sei. Solcher Ungebildeter Urteil
dürfe Mathematiker in ihrer Meinung über Mathematisches nicht be-
einflussen. Aufserdem sei sein Werk der Kirche zur Bestimmung
der Festzeiten von grofsem Nutzen; und so übergebe er die Arbeit
seiner Nächte der Beurteilung seiner Heiligkeit
Sollte auch kurzsichtiger Hafs dereinst gerade vom Stuhle Petri
aus die neue Hypothese von der Erdbewegung aufs bitterste ver-
folgen, — gerade der Stellen halber, welohe die feste Überzeugung
des Autors von der Wahrheit des Systems atmen, ward sein Buch
auf den Index gesetzt — vor dem unparteiischen, höheren Richter-
Stuhle der Logik der Thatsachen ist sie aufs glänzendste gerecht-
fertigt, und heute zweifelt kein Gebildeter mehr an dem vollen Zu-
treffen der Lehre des Coppornicus.
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Die Farbe des Wassers. Eine Frage, die sich jedem denken-
den Reisenden immer und immer wieder aufdrängt, ist die nach der
Ursache der so verschiedenartigen Färbungen des Wassers, die wir in
verschiedenen Teilen des Meeres, in Gebirgsseen und Flüssen zu be-
obachten Gelegenheit haben. Merkwürdigerweise hat die Wissen-
schaft erst verhältnismärsig spät sich auoh mit dieser Frage zu be-
schäftigen begonnen. Zunächst galt es natürlich, die wahre Farbe des
reinen Wassers festzustellen. Prof. Spring hat dies dadurch erreicht,
dafs er eine weifse Scheibe durch lange, mit destilliertem Wasser ge-
füllte Röhren betrachtete. Da die Scheibe bei diesen Versuchen rein
tiefblau erschien, ist die blaue Farbe, wie übrigens schon Davy er-
kannt hatte, als Eigenfarbe des Wassers zu bezeichnen, und blaue
Gewässer, wie der Ozean, das Blauseeli im Kanderthal oder der Genfer
See zeigen durch ihre Färbung nur eine hervorragende Reinheit des
in ihnen flutenden Wassers an. Die viel häufiger anzutreffende grüne
Farbe der meisten Seen und klaren Flüsse, sowie auch des Meeres
in der Nähe seiner Ufer erklärt Spring für eine Mischfarbe, welche
duroh die Zusammensetzung der blauen Eigenfarbe des Wassers mit
einer gelben, von Eisenrostteilchen oder Humusbeimengungen reflek-
tierten Färbung entsteht. Duroh besondere Hinzufügung feinsten
Schlammes des roten, unter dem Namen Hämatit bekannten, wasser-
freien Eisenoxyds kann aber die normale, grüne Farbe des Wassers
gewisser Seen unter Umständen so vollständig kompensiert werden, dafs
dasselbe gänzlich farblos erscheint, wie es in einzelnen Teilen des
Wettern - Sees öfters beobachtet wird. Bei der weiten Verbreitung der
Eisenoxyde von verschiedenstem Wassergehalt scheinen Springs
duroh einwandfreie Versuche gestützte Ansichten thatsächlich den so
oft in der Natur beobachteten Farbenweohsel des Wassers recht be-
friedigend zu erklären.
Neben der Ansicht Springs wird von verschiedenen Gelehrten
allerdings auch noch eine andere, zuerst von Soret ausgesprochene
Meinung verteidigt. Nach dieser soll die blaue Farbe des Wassers
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eine Folge der Reflexion des Lichts an sehr kleinen Trübungskörper-
chen sein, geradeso wie die blaue Farbe der Luft nach der Theorie
von Lord Rayleigh duroh die Wirkung kleinster Staubteilchen zu-
stande kommt.*) Geht diese normale Blaufärbung des Wassers in
Grün über, so soll dies naoh Abegg durch das Vorhandensein grösserer
Partikel bedingt sein, welche die Tiefe, bis zu der das Licht in das
Wasser eindringt, vermindern und andererseits nicht in so starkem
Mafse bei der Reflexion das blaue Ende des Spektrums vor den übrigen
Farben bevorzugen. Als Stütze für diese Theorie führt Abegg unter
anderem an, dafs auch auf Meeren von entschieden blauer Färbung
das Wasser der obersten Schichten, wenn diese vor dem Hintergrund
kleiner, durch die Schiffsbewegung in die Tiefe gerissener Luflbläschen
gesehen werden, allo Nuancen des Grün zeigen kann. Diesen Beob-
. achtungen stehen allerdings Professor Springs mit sorgfältig destillier-
tem Wasser angestellte Versuche entgegen, bei denen die Eigenfarbe
des Wassers auch bei einer absorbierenden Schicht von geringer Dicke
stets deutlioh blau blieb und nur durch Hellblau allmählich in Farb-
losigkeit überging.
Noch mehrere weitere Momente sind übrigens von Spring und
anderen Forschern als wahrscheinlich mitbestimmend für die indi-
viduelle Färbung der verschiedenen Gewässer bezeichnet worden,
doch gestattet uns der Raum nicht, auf alle diese immerhin etwas un-
sicheren Möglichkeiten näher einzugehen. Mancherlei Fragen werden
auch auf diesem Gebiete erst nach einer vollständigeren chemischen,
mikroskopischen und spektralphotometrischen Untersuchung einer
gröfseren Reihe von Gewässern mit Sicherheit entschieden werden
können. F. Kbr.
«Ii»
*
Das grofse Potsdamer Fernrohr sieht nunmehr, nachdem die
Teile der von Repsold in Hamburg hergestellten Montiorung wohl-
behalten auf dem Telegraphenberge angelegt sind, seiner demnächstigen
Aufstellung entgegen. Das Fernrohr besitzt eine Länge von 32 Fufs
und ist als Doppel-In6trument ausgeführt. Die größere Linse von
fast einem Meter Durchmesser ist für photographische Aufnahmen
bestimmt, während für visuelle Beobachtung eine Linse von halb so
grofsem Durchmesser für ausreichend erachtet worden ist.
♦) Vgl. „Himmel und Erde", Band VII, Seite 128.
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425
Gletscherwirkung. Die interessante Abbildung einer mulden-
förmigen Gletschererosion, die wir unseren Lesern hier vorführen, ist
einem Bericht des Prof. Bailey über die geologischen Arbeiten
in der canadischen Provinz Neu -Schottland entnommen. Wir sehen
Eine durch Gletscherwirkung ausgehöhlte Mulde in cambrischen Fellen
an der Küste Neu -Schottland!.
auf diesem Bilde in überaus plastischer Weise, wie das sich vorwärts-
schiebende Gletschereis sein felsiges Bett bearbeitet hat. Bekanntlich
verdanken wir den zahlreichen Gletscherzungen der nordischen Küsten
wenn nicht, wie Tyndall meinte, die Entstehung, so doch die Er-
haltung der unzähligen Fjorde, die das Entzücken jedes Nordland-
reisenden hervorrufen.
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426
Entdeckung eines neunten Saturnmondes. Durch die Tage-
blätter lief Mitte März die telegraphische Nachricht, dafs E. C. Pickering
auf photographischen, in Arequipa aufgenommenen Platten einen neunten,
sehr liohtsch wachen und vom Hauptplaneten beträchtlich weit entfernten
Saturnmond entdeckt habe. Sobald hierüber nähere Nachrichten vor-
liegen werden, gedenken wir selbstverständlich auf diese höchst inter-
essante Entdeckung zurückzukommen.
*
Durstige Schmetterlinge.
Saugende Mundteile sind bekanntlich eines der wichtigsten Kenn-
zeichen der Schmetterlinge, jenes so überaus rauntereu, zierlichen und
farbenprächtigen, Flur und Feld belebenden, in Wald und Heide sioh
tummelnden Insekten völkchens. Ihnen ist von Natur aus der be-
neidenswerte Vorzug zum Erbe geworden, von Blume zu Blume flattern
zu dürfen, nur der beglückenden Liebe zu leben und selbst da wo
der Egoismus dieser flirtenden Gaukler zurücktritt, die Rolle von
Liebesboten zwischen den duftenden, im Hochzeitsgewunde prangenden
Blüten zu spielen, wofür ihnen als süfser Lohn Honigseim und köst-
licher Nektar zufliefst, welchen sie wie Schlemmer und Feinschmecker
behaglich schlürfen. Die Schmetterlinge sind also thatsächlich nur
zur Wonne — und zum Trinken geboren. Um so merkwürdiger sind
daher die Beobachtungen einer ganzen Reihe sorgfältiger Forscher,
welche berichten, dafs manche dieser Feinschmecker zeitweise ihrer
süfsen Gewohnheit entsagen und einen unsäglichen Durst entwickeln,
welchen sie höchst prosaisch durch den Genufs unglaublicher Mengen
— sage und schreibe — reinen Wassers zu löschen suchen, eine
Thatsache, welche neuerdings von J. W. Tutt zum Gegenstand einer
wissenschaftlichen Arbeit gemacht worden ist.
Es ist schon lange bekannt, dafs man hin und wieder, besonders
wenn nach heftigen Regenschauern der Sonnenschein wieder erglänzt,
an Regenpfützen oder Wasserrändern scharenweise gewisse Schmetter-
linge antrifft, die dort stundenlang Wasser trinken, welches sie geradezu
durch ihren Leib laufen lassen. Tutt beobachtete dieses Durstlöschen
bei Tag- und bei Nachtschmetterlingen. Unter anderen sah er einen
unserer zierlichsten blauen Schmetterlinge, Lycaena datnon, über
eine Stunde unbeweglich sitzen und Trinkbewegungen ausführen,
während weloher dem Tiere beständig Wasser aus dem Hinterleibe
wieder austrat. Eine ganz ähnliche Beobachtung machte Dukinbield
Jones an dem schönen Schmetterling Panthera apardalaria. Auch
dieser pumpte durch seinen Saugrüssel unaufhörlich Wasser in seinen
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Leib und liefs es, fast wie es von Münchhausens hinterleibslosem
Pferde erzählt wird, hinten wieder abfliefsen. In einer halben Stunde
schied der Schmetterling 50 Tropfen wieder aus, also nahezu in jeder
Minute 2 derselben. In drei Stunden war die von dem durstigen
Schmetterlinge aufgesogene Wassermenge etwa 200 mal so grofe als
der Leib des Tieres.
Ähnliches beriohtet R. Baron von dem auf Madagaskar häufig
anzutreffenden Tagfalter Papilio Orizabus, der etwa 10 cm Flügel-
spannung besitzt Baron sah eines Morgens ein Exemplar auf einer
Sandbank ununterbrochen Wasser saugen. Von Zeit zu Zeit spritzte
das Tier das Wasser hinten wieder von sich, schlierslich etwa 30 Tropfen
in der Minute. Als Baron seine Beobachtung an dem ganz auf seine
Thätigkeit versessenen Schmetterling abbrach, sah er in unmittelbarer
Nähe, auf kaum einem Quadratfufe Fläche vertheilt, noch 16 andere
Tiere der gleichen Art bei derselben absonderlichen Trinkarbeit.
Übrigens ist es eine sonderbare Erscheinung, dafe, wie Niceville
und Bat es angegeben haben — und Tutt bestätigt dies — , die innere
Spülung fast ausschliefslich von männlichen Schmetterlingen vor-
genommen wird. Ob die weiblichen Tiere solcher Irrigation nicht be-
dürfen? Die Frage ist offen, ebenso wie die nach dem Zweck und der Ur-
sache des ungezähmten Durstlöschens seitens der Männchen. C. M.
$
Ein Mammutfund in Klondyke.
Das Mammut darf wohl als der interessanteste tierische Fossil-
rest aus der Diluvialperiode bezeichnet werden, nicht nur wegen der
gewaltigen Gröfse des Tieres, welche diejenige des indischen Elefanten
erheblich übertrifft, auoh nicht wegen der mächtigen, bis 7 m langen
und bis 80 kg schweren Stofszähne, die jener Vorläufer der jetzt
lebenden Kiesendickhäuter im Oberkiefer trug, sondern weil es
wiederholt geglückt ist, wohl erhaltene, fast unversehrte Exemplare
im ewigen Eise der arktischen Polargebieto eingebettet anzutreffen.
Der älteste Fund dieser Art soll in das Jahr 1700 gefallen sein, doch
sind uns Einzelheiten darüber nicht überliefert. Viel bekannter sind
die Einzelheiten des fast 100 Jahre später geglückten sibirischen
Fundes. Im Jahre 1799 entdeckte nämlich oin Tunguse ein solches
Ungeheuer im Eis der Lena-Mündung eingewachsen. Das Fleisch des
Tieres war bekanntlich noch so wohl erhalten, dals es von den Tun-
gusenhunden mit Wohlbehagen vorzehrt wurde. Der Gelehrte Adams
war dann später so glücklich, den stark zerstörten Kadaver des Tieres
im Jahre 1806 an seiner Fundstätte untersuohen zu können. Es fanden
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sioh noch ein Auge, ein Ohr, Haut und Knochen mit ihren Sehnen vor.
Die Haut war mit steifen, Bohwarzen Grannen- und weichen rötliohen
Wollhaaren bekleidet. Am Halse bildeten die Haare eine lange Mähne.
Der Kopf des über 3 m hohen Tieres wog ohne Stofszähne etwa 200 kg.
Das Skelett wurde in das Petersburger Museum übergeführt.
Seit jenem Funde sind wiederholt Mammutreste in Nordsibirien
und im Polargebiet Amerikas, besonders im Gebiet der Escholtz-
Bai und auf manchen Inseln des nördlichen Eismeeres angetroffen
worden. Jetzt, genau 100 Jahre nach dem wichtigen sibirisohen Funde,
kommt die interessante Nachricht eines ähnlichen Ereignisses aus dem
Klondyke-Gebiet zu uns, und wenn die vom San Francisco Chronicle
am 16. März d. J. gebrachte Nachrioht sich in allen Punkten bewahr-
heitet, so ist die neue Entdeckung eines Mammutkadavers von höchstem
wissenschaftlichen Werte.
Nach den über Vancouver am 8. Februar eingegangenen Nach-
richten aus Dawson ist am Dominion Creek im Klondyke-Gebiete ein
30 Tonnen schweres Mammut mit noch efsbarem, süfslich schmecken-
dem Fleische von einem Schweden Namens August Trulson und
seinem Grubenteilhaber aufgefunden worden. Sie stiefsen auf die
Mumie in einer Tiefe von etwa 40 Fufs. Das Riesentier dürfte bei
einem Glotscherrutsch umgekommen und vor mehr als 25 000 Jahren
in sein Grab geraten sein, um nun den neugierigen Blicken der
Modernen von Klondyke als Schaustück zu dienen. Das Tier soll voll-
kommen erhalten sein, ist aber leider noch von keiner wissenschaftlich
zuverlässigen Person untersucht worden. Nach den Angaben der
Dawson-Zeitung raafs es 44 Fufs 6 Zoll Höhe, sein rechter Stoßzahn
war abgebrochen, der linke unversehrt Er mifst 14 Fufs 3 Zoll Länge
und hat einen Umfang von 38 Zoll. Die Haut ist mit 15 Zoll langem,
wolligem, grauschwarzem Haar bedeckt. Das näherungsweise gewogene
Hinterviertel des Tieres wiegt etwa 4320 kg. Der Hals ist kurz, die
Beine sind lang und kräftig, die Füfse kurz und breit und fünfzehig.
Es wäre sohr bedauerlich, wenn der Fund keinem Gelehrten
Gelegenheit zu sorgfältigen Aufnahmen bieten sollte. C. M.
ff
Ingeniöse Verwendung verflüssigter Gase. Sobald eine neue
Erfindung auf irgend einem Gebiete gemacht ist, sehen wir ihr in
unseren Tagen in der Regel die technischen Nutzanwendungen un-
mittelbar auf dem Fufse folgen. So dürfte vielleicht manoher gemeint
haben, dafs die vor kurzem dem bekannten Physiker De war gelungene
Darstellung flüssigen Wasserstoffs zwar ein Triumph des alle Sohwierig-
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keiten Uberwindenden wissenschaftlichen Scharfsinns, aber doch wohl
ein Erfolg sei, der für die Praxis weiter keine Bedeutung erlangen
könnte. Wie falsch eine solohe, etwas voreilige Sohlursweise in unserer
Zeit ist, hat De war selbst durch eine wegen ihrer Einfaohheit frap-
pierende, höchst nützliche Verwendung des flüssigen Wasserstoffs gezeigt
Da Wasserstoff unter allen Oasen — von Helium abgesehen — der Ver-
flüssigung die meisten Schwierigkeiten bereitet, so gestattet er anderer-
seits auch, noch bedeutend höhere Kältegrade zu erzielen, als mit Hilfe
flüssiger Luft möglich ist. So wie daher Chlor in kochender Luft-
flüssigkeit zu einem festen Körper erstarrt, läfst sich auch Luft in
kochendem, flüssigem Wasserstoff ohne Druck zur Erstarrung bringen.
Dewar kam darum auf don Gedanken, die jetzt zum Zwecke der
Röntgen- Versuche so viel begehrten, aber bisher nur auf mühsamem
und zeitraubendem Wege herstellbaren Vakuum-Röhren ganz einfaoh
durch partielles Eintauchen einer zugeschmolzenen, noch mit Luft
erfüllten Röhre in flüssigen Wasserstoff zu evakuieren. Der Versuch
gelang glänzend. Nach wenig mehr als einer einzigen Minute hatte
sich alle Luft in gefrorenem Zustande im eingetauchten Ende der Röhre
angesammelt und, nachdem der obere Teil nun schnell abgeschmolzen
worden, war das Vakuum des abgeschmolzenen Teils ein so voll-
kommenes, dafs der elektrische Funken nur bei Erwärmung der Röhre
hindurchzusohlagen vermochte, der Druok mufste demnach auf weniger
als eine Milliontel-Atmosphäre gesunken sein. — Es steht zu er-
warten, dafs eine auf dieses Verfahren gegründete, fabrikmäßige Her-
Stellung von Röntgen -Rühren diese bislang bekanntlich noch recht
kostbaren Spender der X-Strahlen wesentlich billiger in den Handel
zu bringen gestatten wird. F. Kbr.
Himmelserscheinungen.
Übersicht der Himmelserscheinungen für Juni und Juli.
Der Sternhimmel. Während Juni und Juli ist der Anblick des Himmels
um Mitternacht der folgondo: Zur Kulmination gelangen die Sternbilder des
Herkules, Ophiuchus, Schützen, der Schlanze und Leyer, später der Adler,
Gans und Fuchs; im Aufgange sind Wassermann, kleines Pferd, Pegasus, im
Juli die Fische, in der Morgendämmerung Walfisch und Stier ; im Untergehen
befinden sich der grofse Löwe und Jungfrau. Regulus verschwindet vor
Mittemacht, im Juli vor 11 h abends, Spica (Jungfrau) geht jetzt schon nach
Mitternacht, im Juli vor 1 1 h unter, später folgt Bootes (Arctur gegen 5 h rosp.
V,3h morgens). Skorpion und Adler sind bereits abends sichtbar, Antares
(a Scorpii) geht vor 8h auf. Der Stier (Aldebaran) ist erst um 4h morgens,
später gegen 2 h zu sehen. Folgende Slerne kulminieren für Borlin um die
Mitternachtstunde:
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1
430
1. Juni
t; Herculis
(3. Gr.)
(AR 16h 39m,
w i ort ■
D. -f 39
7
8. .
a Herculis
(3. Gr.)
17
10
+ 14
30
15. „
i Herculis
(3. Gr.)
17
37
■ * ,--1
+ 4fi
3
22. «
72 Ophiuchi
(3. Gr.)
18
3
33
29. „
a Lyrae
(I. Gr.)
18
33
+ 38
41
1. Juli
c Lyrae
(4. Gr.)
18
41
4-39
34
8. .
- Sagittarii
(3. Gr.)
19
4
-21
11
15. .
» Cygni
(4. Gr.)
19
34
+ 49
59
22. .
ö Aquilae
(3. Gr.)
20
6
— 1
7
29. »
r Delphini
(4. Gr.)
20
28
-f- 10
58
Helle veränderliche Sterne, welche vermöge ihrer günstigen Stellung vor
und nach Mitternacht beobachtet werden können, sind aufeer den bekannten
U Coronae und 5 Librae vom Algoltypus folgende:
S Virginia (Max. 7. Gr.) (AR 13 ti 28m D. — 6° 40') 26. Juni
R Bootis ( „ 7. . ) 14 33 + 27 11 6. Juni
Y Ophiuchi ( „ 6.-7. „ ) 17 47 — 6 7 kurze Periode
X Delphini ( , S. „ ) 20 50 + 17 14 Juli
R Vulpeculae( „ 8. „ ) 21 0 -f 23 25 1. Juli
V Cassiopejae( „ 8. „ ) 23 7 +59 8 21. Juli
Aufserdem die Storno vom Algoltypus U Ophiuchi (AR 17 11 ™, D + 1° 19',
Helligkeit 6.— 6,7. Gr.) und Y Cygni (AR 20*» 48«, D -f 34° 17', Helligkeit 7.-8.Gr.)
Gut zu sehen sind von gröfseren Nobelflecken der Ringnebel in der Loyer, der
Omeganebel im Schütze.), der Dumbbell-Nebel im Fuchs.
Die Planeten. Merkur ist Anfang Juni in der Morgendämmerung sicht-
bar, kommt am 13. Juni in die Sonnennähe und wird im Juli, wo er am 27. in
seine Sonnenferne gelangt, nach Sonnenuntergang einige Zeit bemerkbar. —
Venus ist Morgenstern und läuft mit schneller Bewegung vom Widder durch
den Stier bis in die Zwillinge; am 6. Juli geht sie etwa '/« Grad nördlich vom
Neptun vorOber. Ende Juli ist sie auch am Abendhimmel sichtbar. — Mars
geht am Tage auf und im Juni um Mitternacht unter, Anfang Juli vor 1 1 b
abends, Ende Juli vor 10*>. Er läuft aus der Nähe von Regulus durch das
Sternbild des grofsen Löwen südöstlich. — Jupiter wird kürzere Zeit sicht-
bar, Anfang Juni noch bis 2 h morgens, im Juli bis vor Mitternacht, Ende Juli
bis nach 10 i> abends. Er bewegt sich im Sternbild der Jungfrau ostwärts von
Spica hin. — Saturn kommt am 11. Juni in Opposition mit der Sonne, geht
am Tage auf und bleibt Anfang Juli bis nach 2 t» morgens sichtbar, Ende Juli
biß nach Mitternacht Er befindet sich im südlichen Teil des Ophiuchus und
bewegt sich westwärts. — Uranus steht nördlich von o Scorpii und ist An-
fangs Juni noch bis 3 1> morgens sichtbar, Ende Juli nur mehr bis */» 12 h
abends. — Neptun in der Nähe von J Tauri (3. Gr.) ist abends nur noch
kurzo Zeit verfolgbar und wird bald besser am Morgenhimmel, Ende Juli um
1 h morgens, sichtbar.
Sternbedecknngen dnreh den Mond (für Berlin sichtbar):
Eintritt Austritt
25. Juni f Sagittarii 5. Gr. 2*> 24 m morgens 3h 25 m morgens
28. n x Aquarii 5. „ 2 b „ 3 14
29. „ x Tiscium 5. , 0 19 „ 1 14
Mond. Berliner Zeit.
Neumond am 8. Juni — —
Erstes Viert ,16. » Aufgang 0»> 16 m mittags, Unterg. 11 •» 47 m abends
Vollmond • 23. „ 8 31 abends, n 4 24 morg.
Letztes Viert . 30. „ 1 1 23 » „ mittags
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431
Neumond am 7. Juli — —
Erstes Viert. . 16. , Aufging 1 h 36 m nachm., Unterg. 10 h 49» abends
Vollmond „ 22. „ „ 7 41 abends, „ 4 46 morg.
Letzte« Viert „ 29. „ 10 17 . ,1 16 nachm.
Erdnähen: 25. Juni, 23. Juli; Erdfernen: 13. Juni, 10. Juli.
Sonnenfinsternis am 8. Juni morgens. Dieselbe ist partiell und hauptsächlich
in Nordeuropa, Nordasien und dem nördlichen Polargebieto sichtbar. Für
Berlin erfolgt der
Eintritt 5 h 42 m morgens
Austritt 6 40
Die Oröfse der Verfinsterung beträgt nur 1,4 Zoll; in nördlicherer Gegend
wird die Phase etwas bedeutender sein.
Mondfinsternis am 23 Juni. Die Verfinsterung ist total, aber in Deutschland
nicht sichtbar. Das Sichtbarkeitsgebiet der Finsternis fällthauptsächlich zwischen
Australien und Afrika, in den indischen Ocean.
Steruzeit f. den _ . , , , Sonnenaufg Sonnenunterg.
milt. Berl. Mittag Zeitgleichung f. Berlin
1. Juni
4 h
33 m
51.8«
2 tn
25.9 ■
3h
47 m
8h
10 m
8. -
5
6
27.7
— 1
13.8
3
41
8
17
15. .
5
34
36
+ o
11.5
3
39
8
22
22. .
6
1
39.5
+ 1
41.7
3
39
8
24
29. „
6
29
15.4
+ 3
9.4
3
42
8
24
1. Juli
6
37
8.5
+ 3
33.1
3
43
8
24
8. „
7
4
44.4
+ 4
47.5
3
49
8
20
15. „
7
32
20.3
+ 5
42.7
3
57
8
14
22. „
7
59
56.2
4- 6
12.7
4
6
8
5
29. „
8
27
32.1
+ 6
14.9
4
16
7
55
Brackner, Ed.: Die feste Erdrinde und ihre Formen. Ein Abrifs der all-
gemeinen Geologie und Morphologie der Erdoberfläche. Wien und
Leipzig, F. Tempsky, 1897. XII u. 368 S. mit 182 Abbildungen im Text.
Elf Jahre sind seit dem Erscheinen der vierten Auflage der Allgemeinen
Erdkunde von Hann, Hochstetter und Pokorny verstrichen, deren zweite
Abteilung das vorliegende Werk bildet, elf Jahre wissenschaftlichen Fort-
schrittes. Nicht gering zu achten war daher die Aufgabe, das Werk des hoch-
verdienten Geologen F. v. Hochstetter möglichst im Sinne seines verstorbenen
ersten Verfassers dem vervollkommneten Standpuukte der geologischen Wissen-
schaft und gleichzeitig in erhöhtem Marse den Bedürfnissen des Geographen
anzupassen, und nicht leicht hätte sich zur Lösung dieser Aufgabe ein ge-
432
eigneterer Bearbeiter finden lassen als der Geograph Ed. Brückner. In-
zwischen war auch, zur weiteren Erschwerung der Aufgabe, die Neubearbeitung
von Neumayrs „Erdgeschichte" und Pencks umfassende „Morphologie der
Erdoberfläche" erschionen, und es galt nun, dem im Werden begriffenen Werke
neben diesen beiden eine unabhängige und zugleich vermittelnde Stellung zu
sichern. So trat an die Stelle der anfangs geplanten Neubearbeitung ein in
Anlage und Ausführung völlig neues Werk, das mit dem früheren nicht einmal
den Namen gemeinsam hat.
Dem Zweck des Werkes entsprechend, in erster Linie ein Handbuch für
den Geographen zu sein, wird zunächst die Erdrinde nach ihrer Zusammen-
setzung, dem Gesteinsmaterial, der Lagerung und der Geschichte der Gesteine,
ganz kurz behandelt, so kurz, dafs sich die Frage aufdrängt, ob es nicht viel-
leicht zweckmäßiger gewesen wäre, diesen geologischen Abschnitt aus dem
Lebrbuche der Morphologie ganz auszuscheiden und in einem besonderen Teile
der Allgemeinen Erdkunde seiner Bedeutung entsprechend zu behandeln. Die
üborgrof8e Kürze, das Streben, den Umfang des Werkes nicht zu vergrößern
und daher möglichst viel auf engstem Raum zusammenzudrängen, macht sich
überhaupt mehrfach störend bemerkbar und hat wohl auch die bedauerliche
Vermeidung aller Litteraturnachwoise veranlaßt. Recht schmerzlich empfindet
man auch oft des Verfassers Sparsamkeit mit dem Räume, wenn er bei noch
nicht ganz aufgeklärten Verhältnissen dem Leser die Freiheit des eigenen Urteils
wahren will und deshalb mehrere, aber oft leider nicht genügend, verschiedene
Anschauungen nebeneinander darstellt. Doch kann dieser Mangel neben den
vielen Vorzügen des Werkes seinen Wert und seine hohe Bedeutung nicht
verringern.
Recht ausführlich und anschaulich werden in dem zweiten, größten Ab-
schnitte des Werkes die Vorgänge geschildert, welche an der Ausgestaltung
der Erdoberfläche arbeiten, die Wirkungen also, die die Erdoberfläche zuerst
als Modellblock schufen und ihn dann zu dem heutigen Bilde umgestalteten.
Der Leser gewinnt einen Einblick in die Anschauungen Über die Temperatur-
verhältnisso der Erdrindo und den Zustand des Erdinnern; er lernt die Magma-
bewegungen oder den Vulkanismus, die Erdbeben, die Strandverschiebungen
und endlich die älteren Krustenbewegungen der Erdrinde, die Gebirgsbildung
im weiteren Sinne, kennen. Ubersichtlich schildert der Verfasser sodann die
auf äußere Kräfte zurückzuführende Ausgestaltung des Erdantlitzes, die Grund-
wasser- und Quollonvorhältnisso, die Veränderung der Erdrindo durch Ver-
witterung, Abstürze und Anspülung und endlich die Einwirkungen des Windes,
des fließenden Wassers, des Eises und des Meeres in ihrer Bedeutung für die
Abtragung und Neubildung des feston Erdbodens.
Den dritten Abschnitt endlich bildet die eingehende Schilderung der
verschiedenen Formen der Erdrinde nach ihren Eigenschaften und der Ent-
stehung. Die Meeresküsten, der Meeresboden, dio Inseln und die verschiedenen
Landschaftsformon des Festlandes, die Ebenen, Berge und Thäler, entstehen
hier in typischen Beispielen vor dem Leser, vielßch durch gute, toilweße ganz
neue Abbildungen veranschaulicht, die ihn, und das ist auch wohl die Absicht
des Verfassers, häufig durch Nichtbefriedigung seines Wunsches nach weiteren
Beispielen zu eigenem Nachdenken, zu morphologischem Anschauen der Natur
veranlassen. G. M.
Verlag: Hermann Paetel In Berlin. — Druck: Wilhelm Gronaus Bachdrackerei ia Barlin -gch6neberg.
Fftr die Kedaction verantwortlich: Dr. P. Schwann in Berlin.
UnberecbUcter Nachdruck ans dem Inhalt dieser Zeitschrift nnteraaift.
Übeneixnngerecht Torbebalten.
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9
1 X
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V- A
1 s
3 ff
■
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Das Glühen der festen Körper.
Von Prof. Dr. Soheiner in Potsdam.
fs ist eine leicht verständliche Thatsache, dafs gerade die alltags
liehen Erscheinungen auf dem Gebiete der Physik häufig noch
am venigsten durchforscht sind. Gerade weil der Mensch von
Kindheit an sie kennt, kommt er nicht zum genaueren Nachdenken
über dieselben, sondern begnügt sich mit oberflächlicher Betrachtung.
Um nur an ein klassisches Beispiel zu erinnern, sei des Gravitations-
gesetzes gedacht. Wie lange ist die Menschheit gedankenlos über den
Fall der Körper hinweggegangen, ehe sie zur Erkenntnis gelangte,
dafs das Fallen eines seiner Unterlage beraubten Körpers nicht etwas
selbstverständliches, sondern die Folge eines allgemeinen Natur-
gesetzes ist.
Etwas ähnliches läfst sich auch in betreff des Glühens der Kör-
per sagen: Die allgemein bekannte Thatsache, dafs es einer gewissen
hohen Temperatur bedarf, um einen Körper zum Leuchten zu bringen,
umschhefst eine Reihe erst seit verhältnismäfsig sehr kurzer Zi'it er-
kannter Phänomene, deren Darlegung im Folgenden versucht wer-
den soll.
In zwei in dieser Zeitschrift publizierten Aufsätzen über den
Kirchhoffschen Satz und über die Temperatur der Sonne habe ich
mehrfach Gelegenheit genommen, die beim Glühen auftretenden äufse-
ren Erscheinungen und ihren Zusammenhang mit dem Emissions- und
Absorptionsvermögen ausführlich klarzulegen, so dafs dies hier als
bekannt vorausgesetzt werden kann.
Der erste Physiker, der sich überhaupt mit den Lichterscheinungen,
welche mit dem Glühen verbunden sind, beschäftigt hat, warder Ameri-
kaner J. Draper, der in den vierziger .Jahren das nach ihm benannte
Himmel und Erd.-. im XI. 10. 28
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434
Oesetz fand, dafe alle Körper bei derselben Temperatur von etwa 525°
zu leuchten beginnen. Bei dieser Temperatur zeigen die Körper zu-
erst ein schwaches rotes Licht, welches bei steinender Temperatur all-
mählich in Orange und schliefslich in Weife übergeht. Es werden
mit anderen Worten zuerst die roten Strahlen, also diejenigen von
grofser Wellenlänge sichtbar, allmählich gesellen sich zu diesen die
kürzeren Wollen des Gelb, Grün, Blau und endlich des Violett, die
dann alle zusammen den Eindruck des Weife erzeugen. Wir haben
a. a. Orte gesehen, dafs diese Erscheinungsfolge im Einklang mit
dem Kirch hoffschen Satze steht, und dafs sich aus letzterem das
Drapersche Gesetz ableiten läfet.
Das einfache Drapersche Gesetz erfährt nun einige Modi-
fikationen, die darin begründet sind, dafs die von einem Körper aus-
gehende Strahlung zwar etwas objektiv und reell Bestehendes ist,
nicht aber die damit verbundenen Li chterschoinungen, da Licht
nur ein subjektiver Begriff ist, eine durch die Strahlung im Auge
und Gehirn veranlafste Reizerscheinung, die als solche ganz besonderen
physiologischen Gesetzen unterliegt, die ihrerseits mit den Glühvor-
gängen nichts zu thun haben.
Um einen Körper sehen zu können, mufe die von ihm aus-
gehende Strahlung zwei Bedingungen erfüllen: 1. Sio mufe Strahlen von
einer zwischen dem äufeersten Rot und dem äufsersten Violett ge-
legenen Farbe enthalton; die Wellenlänge dieser Strahlen mufe also
innerhalb des Gebietes von 800 bis 400 Millionsteln eines Millimeters
liegen. 2. Die Intensität dieser die erste Bedingung erfüllenden
Strahlen mufe so grofs sein, dafs die „Reizschwelle" oder „Empfln-
dungsschwelle" des Auges überschritten wird. Unser Auge ist nicht
unendlich fein empfindlich. Strahlen unterhalb einer gewissen Inten-
sität existieren für das Auge nicht, sie üben keinen Reiz auf dasselbe
aus, sie liegen unterhalb der Reizschwelle. Die Reizschwelle selbst
ist aber nun nicht etwas fest Gegebenes, sie liegt für verschiedene
Menschen verschieden und verändert sich beim einzelnen Individuum
fortwährend je nach der Stärke der Lichtreize, welche das Auge be-
reits erhalten hat. In ersterer Beziehung braucht ja nur an die Far-
benblinden erinnert zu werden, bei deren Augen die Empfinduugs-
schwelle für gewisse Strahlengattungen aufeerordcntlich viel höher
liegt als bei normalen Augen, in letzterer nur an die bekannte That-
sache, dafs jemand, der vom hellen Sonnenschein draufeen in ein ver-
dunkeltes Zimmer tritt, zunächst gar nichts sieht, während er nach
einer Viertelstunde alle Einzelheiten erkennen, ja sogar vielleicht
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435
Druckschrift lesen kann. Infolge der slarken Überreizung- des Auges
im hellen Tageslicht lag für ihn die Empfindungsschwelle so hoch,
dafs die geringe Strahlung im Zimmer für sein Auge nicht existierte;
während der gründlichen Ruhe des Auges im Zimmer sank sie immer
tiefer hinunter, so data die Strahlungsintensität nunmehr zur Wahr-
nehmung ausreichte.
Aus dieser Physiologie des Sehens geht hervor, dafs eine
experimentelle Untersuchung über das Drap ersehe Gesetz subjektiv
beeinflufst wird. Soll z. B. der genaue Temperaturwert des Beginnens
des Glühens festgestellt werden, so werden verschiedene Beobachter
zweifellos zu, wenn auch nur wenig, verschiedenen Zahlen gelangen.
Ein wirklich Farbenblinder, dessen Augen für Rot sehr unempfindlich
sind, wird für die Glühtemperatur einen sehr viel höheren Betrag
finden als ein Farbentüchtiger. Es werden sich ferner Unterschiede
herausstellen, je nachdem der Beobachter in einem nur stark ver-
dutikelten Zimmer oder unter gänzlichem Lichtabschlufs arbeitet, und
schliefslich mufs sich eine Abhängigkeit der gefundenen Zahlen von
der Zeit herausstellen, welche der Beobachter vor Beginn der Unter-
suchungen bereits im Dunklen zugebracht hat, also eine Abhängigkeit
von der Dauer der Augenruhe. Übrigens sind es nicht blos Licht-
reizungen, welche die Lage der Empfindungsschwelle beeinflussen; so
wirkt z. B. ein etwas übermäfsiger Alkoholgenufs ähnlich wie starkes
Licht stark vermindernd auf die Augenempfindlichkeit.
Eine ganz exakte Prüfung des Hauptteils des Draperschen Ge-
setzes, dafs die Glühtemperatur für alle Körper dieselbe ist, mufs also
unter sonst gleichen Umständen zweifelsohne zu einer Nichtbestätigung
dieses Gesetzes führen, und zwar wegen des verschiedenen Emissions-
vermögens der verschiedenen Körper. Es braucht hier nur wieder an
das schon oft zitierte Beispiel von den in der gleichen Flamme glühen-
den Teilchen von Platin und Glas erinnert zu werden. Die Emission
des durchsichtigen Glases ist so gering, dafs die Intensität der Strah-
lung bei der für Platin geltenden Glühtemperatur unterhalb der Reiz-
schwelle liegt; man würde den Beginn des Glühens beim Glase erst
bei einer weit höheren Temperatur als beim Platin feststellen können.
Das Emissionsvermögen der verschiedenen Metalle ist ebenfalls nioht
das gleiche; auch hier wird man also Unterschiede finden, wenn auoh
nicht so starke, wio bei der Vorgleichung zwischen Metall und Glas.
Es ergiebt sich aus alledem die Notwendigkeit, das Drap er-
sehe Gesetz anders auszudrücken, so dafs es geläutert von subjektiven
Empfindungen ersoheint; es darf demnach das Wort „Glühen", das eine
28«
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43i ;
Gesichtswahrnehmung in sich schlierst, gar nicht mehr darin vor-
kommen. Es hätte dann in viel allgemeinerer Fassung zu lauten: Alle
Körper beginnen bei derselben Temperatur eine bestimmte Strahlungs-
art auszuseuden.
Experimentell wird sich dieses modifizierte Drapersche Gesetz
kaum auf seine Richtigkeit prüfen lassen, denn man würde sich sehr
irren, wenn man glaubte, sich etwa durch die Benutzung der Photo-
graphie von den eben geschilderten subjektiven Einflüssen frei machen
zu können. Auch für die photographische Platte existiert im über-
tragenen Sinne eine Reizschwelle, so dafs die Abhängigkeit vom
Emissionsvermögen bestehen bleibt, und auch diese Reizschwelle ist
„subjektiven" Unterschieden bei den verschiedenen Plattensorten unter-
worfen.
Dieso Betrachtungen sind den Physikern natürlioh schon lange
bekannt gewesen, insbesondere hat niemals jemand daran gezweifelt,
dafs wirklich, den Beobachtungen Drapers entsprechend, die ersten
Lichterscheinungen beim Glühen im äuTsersten Rot beginnen und sich
dann allmählich über das ganze Spektrum vorbreiten. Um so berech-
tigter war das Erstaunen des Physikers H. F. Weber, der im Jahre
1886 die Drap ersehen Beobachtungen wiederholte, als dieselben zu
vollständig anderen Resultaten führten. Weber hatte die Versuche
zu rein technischen Zwecken unternommen; er wollte erforschen, wel-
cher Zusammenhang zwischen der Helligkeit von elektrischen Glüh-
lampen und dem Arbeitsvorbrauche des benutzten elektrischen Stromes
besteht. Kr führte diese Versuche nachts im gänzlich dunklen Zim-
mer aus, also bei völlig ausgeruhtem Auge, während Draper nicht
so sorgfältig experimentiert hatte, weshalb ihm auch die Webersohen
Beobachtungen entgangen waren. Weber fand, dafs die erste Licht-
entwickelung gar nicht mit der Rotglut beginnt, sondern dafs der
Kohlenfaden schon vorher ein eigentümlich düster-graues Licht aus-
sendet, welches im Gegensatze zum gewöhnlichen Leuchten unstät und
flackernd erscheint und deshalb von ihm auch als „gespenstergrau"
bezeichnet wird. Weber läfst es unentschieden, ob dieses Unstäte
durch etwaige geringe Schwankungen in der Temperatur des Kohlen-
fadens entsteht oder in der Ermüdung der Augen bei der mit der
Beobachtung des grauen Lichtes verbundenen Anstrengung begrün-
det ist
Wurde durch Vermehrung der Stromzufuhr die Temperatur des
Fadens gesteigert, so wurde das graue Licht zunächst heller, ohne
seinen Charakter zu verlieren, bis es allmählich in ein Gelblichgrau
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437
überging. Bei weiterer Erhöhung der Temperatur zeigte sich dann
plötzlich der erste Schimmer eines ungemein lichten Feuerrot, und in
demselben Moment verschwand alles Unstäte des Leuchtens. Das
Feuerrot ging dann weiter in Hellrot u. s. w. bis zum Weite über, ent-
sprechend den bisher bekannten Thatsachen.
Die spektroskopische Untersuchung dos grauen Lichtes lehrte,
dafs dasselbe einen grau erscheinenden Streifen im gelbgrünon Teile
des Spektrums lieferte, der bei steigender Temperatur unter Beibo-
haltung der grauen bis gelbgrauen Färbung sich nach beiden Seiten
des Spektrums ausbreitete. Im Momente, wo dem blofsen Auge der
erste hellrote Schimmer erschien, trat im Spektroskope neben dem
grauen Streifen ein heller Streifen im Rot auf; auf der anderen Seite
entwickelten sich gleichzeitig die blauen und später auch die violetten
Strahlen.
Weber schlofs nun aus diesen interessanten Beobachtungen, dafs
das Drapersche Gesetz in Bezug auf die Farben selbst uurichtig sei,
und dafs an Stelle desselben der folgende Satz zu setzen sei:
Das Spektrum entwickelt sich bei steigender Temperatur nicht
einseitig in der Richtung von Rot nach Violett, sondern von einem in
der Mitte gelegenen schmalen Streifen aus gleichmäfsig nach beiden
Seiten. Weber schliefst weiter hieraus, dafs die in der Mitte gelegene
Strahlungsgattung deswegen dem Auge am frühesten sichtbar werde,
weil sie einem Maximum der Energie entspreche und daher zuerst
den Schwellenwert übersteige. Der Webersche Satz entspricht dem
Augenscheine der Beobachtung, er ist also unbedingt richtig, wenn
man ihn nur im physiologischen Sinne auffafst und ihn etwa mit den
Worten einleitet: .,Das Auge sieht die Entwickelung des Spektrums in
folgender Art", und nun käme der Webersche Satz. Weber selbst
ist aber weiter gegangen, er hat ihn physikalisch aufgefafst, wie aus
der Bemerkung über das Intensiiatsmaximum der Strahlung hervor-
geht. Unmittelbar nach dem Erscheinen der interessanten Weber-
schen Beobachtungen sind dieselben von Stenger in vollem Mafse
bestätigt worden; gleichzeitig wies lotzterer aber auch das Fehlerhafte
der physikalischen Auffassung derselben nach. Das Energiemaximura
der Strahlung liegt nicht im Grün, sondern im Ultrarot; wenn das
Auge aber zuerst das Grün empfindet, so kann das nicht mit der In-
tensität der Strahlung zusammenhangen, sondern nur mit einer Eigen-
tümlichkeit des Auges, und die Ursache der seltsamen Erscheinung
der Grauglut kann nur auf dem Gebiete der physiologischen Optik
gesucht werden.
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438
In der That ist nun schon lange eine Eigentümlichkeit des Auges
unter dem Namen des Purk inj «-sehen Phänomens bekannt, die un-
mittelbar zur Deutung der Weberseben Beobachtungen herangezogen
werden kann. In einem lichtstarken Spektrum erscheint das Maximum
der Helligkeit im Gelb, etwa in der Nähe der Natriumlinien; bei ab-
nehmender Helligkeit verschiebt sich dieses Maximum immer mehr
nach dem brechbareren Teile des Spektrums hin, bis es schließlich
beim Verschwinden im grünblauen Teile, etwa in der Gegend der
Wasserstofflinie F liegt, also genau da, wo der Sitz der Grauglut ist
Die Folgen des Pu rkinj eschen Phänomens lassen sich mit Hülfe
eines Spektralphotometers sehr leicht zeigen. Blendet man aus den
kontinuierlichen Spektren eines solchen Apparates einen roten und einen
grünblauen Streifen heraus und macht beide für das Auge des Beob-
achters gleich hell, so erscheint beim Herabsetzen der Intensität die
grüne Linie sofort viel heller als die rote, und wenn letztere schon
ganz verschwunden ist, leuchtet erstere noch kräftig. Um beide Linien
gleichzeitig zum Verschwinden zu bringen, mufs man die Intensität
des roten Streifens um das 10- bis 30 lache, unter Umständen um das
100 fache steigern. Hiernach ist ohne weiteres klar, dals, auch wenn
dem Drap ersehen Satze entsprechend, in Wirklichkeit hei zunehmen-
der Temperatur der Beginn der Strahlung von Rot aus ansetzt, doch
das Grün zuerst sichtbar wird, weil eben bei schwachem Lichte die
Reizschwelle des Auges für Grün viel tiefer liegt als für Rot. Damit
ist aber noch nicht erklärt, weshalb das erste siohtbare Grün den Ein-
druck des Grau macht, und weshalb dieses Grau so eigentümlich unstät
ist, so gespensterähnlich erschoint.
Auch hierfür ist seit kurzem eine sehr plausible Erklärung ge-
funden worden, und zwar von dem Berliner Physiker Lu miner, der
sich seinerseits auf eine wesentlich von v. Kries aufgestellte Theorie de»
Sehens stützt. Die Übergangsstelle zwischen den Schwingungen des
Äthers bei der Strahlung und der Lichtemphndung befindet sich be-
kanntlich in der Retina des Auges, in welcher die Fasern des Seh-
nervs enden. Als letzte Elemente der Nervenfasern in dieser äufserst
kompliziert gebauten Schicht sind die „Stäbchen- und „Zapfen- zu
bezeichnen, innerhalb welcher die Reizung der Nervensubstanz durch
die Ätherbewegung stattfinden mufs. Das Auge kann aber nicht blofs
zwischen hell und dunkel unterscheiden, sondern es empfindet auch
die Unterschiede in der Länge der Wellen der Strahlung und em-
pfindet dieselben spezifisch als Farbenunterschiede. Bei der Farben-
empfindung scheint nun der sogenannte Sehpurpur, eine im Zustande
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4M
der Augenruhe n>t gefärbte Flüssigkeit in den Nervenelementen, eine
wichtige Rolle zu spielen. Bei längerer Lichtreizung des Auges zer-
setzt sich der Sehpurpur in Sehgelb, welches eine gänzlich andere-
Absorption erzeugt als ersterer. Es ist in diesem Gebiete noch manches
dunkel, doch kann man wohl mit grofser Sicherheit behaupten, date
der Sehpurpur zur Farbenempfindung notwendig ist, dafs also Nelz-
hautelemente, welche diesen Farbstoff nicht enthalten, auch nicht ge-
eignet sind, Farben oder wenigstens nicht alle Farben zu empfinden.
Nun ist der Sehpurpur nur in den Zapfen enthalten, nicht aber in den
Stäbchen; v. Kries nimmt daher an, dafs erstere den Farbenapparat
des Auges darstellen, letztere aber nur die verschiedenen Stufen der
Helligkeit von Weifs durch Grau hindurch bis Schwarz empfinden,
sobald nämlich die Spektralfarben in richtiger Weise vereinigt sind.
Die v. Kries sehe Theorie besagt nun, dafs die beiden verschiedenen
Sehapparate im Auge, der farbenempfindliche und der farbenblinde,
mit einander in einen gewissen Wettstreit treten, und zwar in der Art,
dafs bei guter Helligkeit der erstere stets überwiegt, dafs aber bei
sehr schwachem Lichte der letztere noch zu empfinden vermag, während
für den Farbenapparat die Reizschwelle schon höher liegt, er also
blind ist. Daraus würde folgen, dafs die schwächsten Lichteindrücke
stets farblos, also grau erscheinen müssen. Wie man sieht, ist hiermit
schon der Übergang zu den Weberschen Beobachtungen gegeben:
nach dem Vorgange Lummers kann man aber auch noch einen Schritt
weitergehen.
Stäbchen und Zapfen sind gleichzeitig in der ganzen Netzhaut
enthalten mit Ausnahme einer einzigen kleinen Stelle, der sogenannten
Sehgrube, welche zum exakten Sehen besonders geeignet ist und daher
stets unbewufst mit Hülfe der Augenbewegungen auf den Punkt gerichtet
ist, welchen man gerade betrachten will. Diese Sehgrube enthält nur
die Stäbchen, ist also einer Grau- oder Weifsempündung nur bei ge-
mischtem farbigen Lichte fähig. Beobachtet man nun im Dunklen
einen Körper, dessen Temperatur allmählich gesteigert wird, so wird
nach Lunimer folgendes eintreten müssen. Ist eine gewisse Tempe-
ratur (etwa 400°) erreicht, so werden die Stäbchen auf der ganzen
Netzhaut erregt, im Gehirn entsteht die Empfindung farbloser Hellig-
keit: Die (irauglut; bei steigender Temperatur steigt zunächst nur die
Helligkeit der Grauempfindung. Da die Zapfen noch nicht erregt sind,
so kommt von der Sehgrube überhaupt noch keine Lichtmeldung zum
Gehirn; es liegt also der eigentümliche Zustand vor, dafs nur die
Netzhautstellen, welche für gewöhnlich nur zum indirekten Sehen
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440
benutzt werden, Licht empfinden; man sieht also etwas, was man nicht
anblickt, und macht nun unwillkürlich die gewohnte Augenbewegung,
um die lichterzeugende Stelle mit der Netzhautgrube zu sehen; dieses
Bestreben bleibt aber natürlich fruchtlos, und daher resultiert das
Zitternde und Unstäte der Grauglut. Die Erscheinung hört erst auf,
wenn bei weiterer Temperatursteigerung endlich auch die Zapfen in
der Empfindung des Rot erregt werden, und nun vor allem die Seh-
grube mit ihrem direkten Sehen in die gewohnte Thätigkeit tritt.
Aus dem Vorstehenden dürfte klar hervorgehen, dafs zwischen
dem Auftreten einer einfachen Erscheinung und dem Erkennen der-
selben zuweilen ein komplizierter Weg liegen kann, und dafs für den
Physiker allmählich das Studium der Physiologie, wenigstens der Phy-
siologie der Sinnesorgane zur Notwendigkeit wird.
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Die Erhaltungsweise der vorweltlichen Lebewesen.
Von Dr. K. Keilhack in Merlin.
/,um unentbehrlichsten Hüstzeuge der modernen Geologie gehört
Schichten der Erdrinde erhalten sind. Ihr Studium ist es im wesent-
lichen, welches eine Gliederung der Gesteine und die Einführung einer
Chronologie ermöglicht hat. In früheren Zeiten verstand man unter
einem „Fossil", entsprechend der wörtlichen Bedeutung des Namens,
jeden anorganischen Stoff, der aus der Erde gewonnen wurde, also
Gesteine und Mineralien. Heute dagegen ist der Bogriff auf die Keste
von tierischen und pflanzlichen Lebewesen beschränkt, und zwar ist
es vollkommen gleichgültig, ob sich dieselben in den ältesten oder
jüngsten Schichten unserer Erde finden, ob sie von grofsen Dimen-
sionen oder von mikroskopischer Winzigkeit sind, ob sie dem Tior-
oder Pflanzenreiche angehören, ob sie einen vollständigen Organismus
oder nur den Bruchteil eines solchen darstellen. Aber nicht nur Teile
von tierischen oder pflanzlichen Körpern begreift man unter dem
Namen ..Fossil", sondern auch alle indirekten Zeugnisse ihrer ehe-
maligen Anwesenheit. In diesem Sinne ist ein Fossil die Spur, welche
schreitende Säugetiere, Vögel oder Amphibien mit ihren Füfsen dem
weichen Schlammboden eingedrückt haben, und die Eindrücke, welche
niedere Tiere, Schnecken, Krebse, Würmer beim Hinkriechen über
den Boden des Gewässers, in welchem sie lebten, hinterlassen haben:
Fossilien sind ferner die Löcher, die Bohrmuscheln in treibenden Höl-
zern oder in den festen Gesteinen der Küste eingebohrt haben. Ebenso
müssen wir die Bohrgänge, welche die Larven von Käfern in Hölzern,
diejenigen von anderen Insektengattungen in den Blättern einer unter-
gegangenen Vegetation ausgenagt haben, als Fossilien ansehen, und
nicht minder gehören unter diese Rubrik die kegelförmig zugespitzten
Hölzer, welche die Biber zu ihren Bauten verwendeten, und die
Öffnungen in Früchten, welche uns anzeigen, dafs Nagetiere oder
442
Rüsselkäfer sich dereinst an ihrem Sülsen Kern gelabt haben. Mit
untrüglichster Sicherheit können heute aus allen diesen Spuren Schlüsse
auf die ehemalige Existenz der Tiere gezogen werden, welche diese
verschiedenartigen Wirkungen erzeugt haben. Auch die sogenannten
Koprolithen gehören hierher, die in Stein verwandelten und oftmals
in grofsen Mengen uns aufbewahrten Exkremente, die uns durch ihre
Form sogar Schlüsse auf die Konstruktion und den Bau der Einge-
weide ihrer Erzeuger gestatten.
Wenn wir uns fragen, was von ehemaligen Lebewesen über-
haupt auf unsere Zeit kommen konnte, und wenn wir dabei zunächst
die Tierwelt betrachten, so ist als Satz von allgemeinster Gültigkeit
auszusprechen, dafs die eigentlichen Weichteile der Körper fast in
allen Fällen der vollständigen Vernichtung durch Verwesung und
totale Zersetzung anheun gefallen sind. Aber schon dieser erste Satz
erfährt eine Ausnahme von recht beträchtlichem Umfange: Wie wir
heute tierische Körper dadurch lange konservieren können, dafs wir
sie dauernd niedrigen Temperaturen aussetzen und dadurch die Ein-
wirkung der Fäulnisbakterien abhalten, so hat auch die Natur grofse
Mengen von tierischen Leichnamen in gewalligen natürlichen Eisver-
packungen aufbewahrt. Grofse Teile des asiatischen Kontinents in
den nördlichen Gebieten von Sibirien sind infolge der aufserordent-
lich niedrigen, unter Null liegenden Jahrestemperatur bis auf grofse
Tiefen herab dauernd gefroren, und nur die oberste Schicht vermag
während der kurzen Sommerzeit aufzutauen, während in wenigen
Metern Tiefe der Eisboden durch Jahrtausende unverändert geblieben
ist. In diesem Eisboden aber stecken die Kadaver einer Tierwelt,
die während der Eiszeit jene Gebiete und auch unser Vaterland be-
lebte, und durch die konservierende Wirkung der Kälte sind diese
Leichen in der vollendetsten Weise mit Haut und Haaren erhalten
geblieben. Als im vorigen Jahrhundert russische Forscher zuerst an
den Ufern dor Lena und des Jenissei die riesigen Kadaver von Ele-
fanten und Nashörnern entdeckten, waren sie erstaunt, dieselben in
einem solchen Zustande der Frische zu finden, dafs das Fleisch dieser
Tiere, die Tausende von Jahren vorher gelebt hatten, noch den Hunden
als Nahrung gereicht werden konnte. Es wird berichtet, dafs diese
ersten Entdecker aus wissenschaftlichem Interesse sich eine Bouillon
aus Mammutfleisch bereiteten, deren Wohlgeschmack vielleicht nicht
über jeden Zweifel erhaben war. In den letzten 100 Jahren sind zu
wiederholten Malen mehr oder weniger vollständige Leichen neu auf-
gefunden worden, und im zoologischen Museum der Akademie der
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443
Wissenschaften in St. Petersburg belinden sich unter Glas hervorragende
Prachtstücke dieser Art So sieht man dort einen mit Haut und Ilaaren
bedeckten Schädel des wollhaarigen Rhinozeros, in welchem selbst
die Augen natürlich erhalten sind. Mau kann den ungeheuren Fufs
des Mammut und die starke, mit dicker, langer, rotbrauner Mahne
bedecke Haut dieser Tiere bewundern. Selbst der Mageninhalt war
noch erhalten und liefe erkennen, dafs jenen mächtigen Geschöpfen
die Zweige von Koniferen und anderen Bäumen als Nahrung dienten.
Nicht sowohl in natürlicher, vollkommener Erhaltung, als viel-
mehr in gewissen UmriTslinien angedeutet findet man auch von an-
deren Tieren noch die Weichteile in verschiedenen Formationen. Su
sind in dem außerordentlich feinkörnigen Kalkechlammo, der nach
seiner Erhärtung die berühmten lithographischen Schiefer von Solen-
hofen geliefert hat, die weiohen Körper von Medusen und die zu den
Kopffüfslern gehörenden Körper der Belemniten, Tiere des oberen
•Jura, stellenweise durch hauchdünne, wohl umrandete Linien ange-
deutet. Das prachtvollste Beispiel einer Erhaltung organischer Körper
in allen Umrifsformen aber bieten die zu hunderttausenden bekannten
Einschlüsse von Insekten und anderen Tieren im Bernstein. Wenn
man einen solchen Einschlufs eines Insekts sieht, wenn man wahr-
nimmt, wie unter dem Mikroskop noch die feinste Struktur der Flügel
und das winzigste Härchen an den einzelnen Körperteilen der Be-
obachtung zugänglich sind, so könnte man zu dem Schlüsse kommen,
dafs in dem prächtigen Material die Tiere noch als solche erhalten
wären. Wenn man aber ein solches Bernsteinstück in einem Lösungs-
mittel auflöst, in der Erwartung, dadurch den Einschlufs freizulegen,
so sieht man sich getäuscht. Diese Einsohlüsse sind vielmehr nur
bis in die feinsten Details erhaltene Hohlräume, aus denen die Körper-
substanz selbst durch Oxydation und diffusives Entweichen der gas-
förmigen Zersetzungsprodukte vollständig verschwunden ist. Es sind
aber nicht nur Insekten und Spinnentiere der Oligozänzeit, die im
Bernstein in unseren Museen eine Art Wiederauferstehung feiern,
sondern als allerdings seltene Funde hat man darin auch Reste von
höheren Tieren beobachten können. So existieren Stücke, in welchen
Federn von Vögeln und Ilaare von Säugetieren sich finden, und als
ein Unikum ist in einem Bernsteinstücke ein kleines Reptil vollständig
auf unsere Tage gekommen.
Eine andere Substanz, die ebenfalls ganz vortrefflich zur Erhal-
tung aufserordentlich zarter organischer Teile sich eignet, ist die
Kieselsäure. In der ursprünglich gallertartigen Substanz. «Iii« alsdann
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zu einem kalzedonartigen Mineral erhärtete, sind gelegentlich hinein-
gelangte organische Reste gleichfalls bis in alle Einzelheiten des
mikroskopischen Details erhalten, und man kann z. B. noch die
einzelnen Borstenharchen an dem Körper von kleinen Krebsohen er-
kennen, die selbst die Gröfse eines Stecknadelkopfes kaum über-
schreiten. Ein anderer Fall der Erhaltung von Körperumrissen, und
zwar diesmal von sehr grofsen Tieren, ist erst in den letzten Jahren
aus Süddeutschland bekannt geworden. In den sogenannten Posi-
donienschiefern im unteren Lias Schwabens finden sich bekanntlich
in wunderbarer Erhaltung die vollständigen Skelette zahlreicher Saurier
jener Zeit. Auf einzelnen solcher Platten konnte Professor E. Fraas
aus Stuttgart eine um das Skelett herum verlaufende dünne schwarze
Linie erkennen, die den letzten Rest der zerstörten Weichteile jener
Tiere darstellt, und es ist mit Hülfe dieser Kohlenhäutchen möglich
gewesen, die Körperform des läufigsten jener Saurier, des be-
kannten Ichthyosaurus, zu rekonstruieren, wobei es sich ergab, dafs
die Rückenlinie mit mehreren grofsen flossenartigen Lappen ge-
schmückt ist.
Wenn man aber von diesen immerhin seltenen Ausnahmen ab-
sieht, so kann man sagen, dafs es ganz ausschliefslich die Hartgebilde
der Körper sind, die in den Schichten der Erde in mehr oder weniger
verändertem Zustande aufbewahrt wurden, also die äufseren und inne-
ren Skelettteile der Wirbeltiere und die kalkigen oder kieseligen Ab-
sonderungen, die den Körpern der niederen Tiere als Wohnung oder
als Stützorgane dienten. Dazu kommt dann noch in gewissen Fällen
die Chitinsubstanz, die besonders im Reich der Insekten und Krebse,
aber auch in manchen Gruppen niedriger stehender Tiere eine be-
deutende Rollo spielt. In Bezug auf diese Hartgebilde nun sind im
wesentlichen zwei verschiedene Erhaltungsarten zu unterscheiden:
entweder ist die anorganische Substanz dieselbe geblieben, wie sie zu
Lebzeiten des Tieres von demselben gebildet wurde, oder die ur-
sprüngliche Substanz ist verschwunden und in mehr oder weniger
vollkommener Weise duroh eine chemisch anders beschaffene ersetzt
worden. Der erst genannte Fall ist der häufigere im Reioh der
Wirbeltiere. Ihre Hartgebilde sind in der Hauptsache aus kohlen-
saurem Kalk zusammengesetzt und behalten diese Zusammensetzung
auch im fossilen Zustande in den meisten Fällen bei. Wenn, wie
dies meist der Fall ist, die Knochen in kalkhaltigen Gesteinen ein-
gebettet sind, so findet durch die im Gestein zirkulierenden Wasser
in den meisten Fallen noch eine Zufuhr der gleichen Substanz in die
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feinen, ursprünglich von organischer Materie erfüllten Hohlräume der
Knochen statt; die letzteren werden dann mehr oder weniger ausge-
füllt, der Knochen selbst wird widerstandsfähiger und zugleich gegen-
über dem Knochen des lebenden Tieres spezifisch schwerer, und man
kann dann mit Hülfe dieser Merkmale in zweifelhaften Fällen, beson-
ders wenn es sich um Funde in sehr jugendlichen Ablagerungen
handelt, oftmals noch nachträglich entscheiden, ob man es mit einem
Vorkommen von gleichem Alter mit der Schicht zu thun hat, oder
mit Knochen, die in späterer Zeit durch irgend einen Zufall (Gräber,
verscharrte Kadaver von Tiereu) hineingelangt sind. Auch die
Kalkgerüste der Koncbylien, Korallen und Echinodermen sind in
den meisten Fällen als Kalksubstanz erhalten; nur beobachtet man
hierbei in vielen Fällen, dafs die Kalkmasse einen Umkrystallisierungs-
prozefs durchgemacht hat, so dafs die Substanz dann eine auffällige
Spaltbarkeit nach dem Hauptrhomboeder des Kalkspats besitzt. Ganz
besonders häufig tritt dieser Fall bei den Kesten der Stachelhäuter,
also bei fossilen Seeigeln, Seesternen und Seelilien ein; auch tritt hier,
genau wie bei den Knochen der Wirbeltier«, eine Ausfiillung.smasse
in die in den Schalen vorhandenen kleinen Hohlräume, die ursprüng-
lich zur Aufnahme von Nerven oder anderen Organen dienten, ein. so
dafs das Fossil massiver und spezifisch schwerer wird, als der ent-
sprechende Körper des lebenden Tieres war. Am meisten besitzen
die Fähigkeil, die ursprüngliche chemische Zusammensetzung durch
unendliche Zeiträume hindurch unverändert zu bewahren, natürlich
diejenigen Hartgebilde von Tieren, die nicht aus dem leicht löslichen
und darum leicht chemischen Umwandelungen unterworfenen kohlen-
sauren Kalke, sondern aus der chemisch sehr viel widerstandsfähi-
geren Kieselsäure aufgebaut wurden. Es sind besonders einige
Gruppen niedrig stehender Tiere, die im lebenden Zustande sich ein
Körpergerüst aus diesem StoflV* ausbauen, nämlich die Schwämme, die
Radiolarien und einige Arten von Foraminiferen. Die oftmals außer-
ordentlich mannigfach und zierlich gestalteten Kieselnädelchen der
Schwämme und die Schälchen der meist mikroskopisch kleinen Radio-
larien sind gewöhnlich so gut erhalten, dafs man sie auf chemischem
Wege aus dem einbettenden Kalkstein auslösen und der direkten
mikroskopischen Untersuchung zugänglich machen kann.
In gar vielen Fällen aber ist die ursprüngliche Substanz der
Hartgebilde in ihrer chemischen Zusammensetzung grofsen Wande-
lungen unterworfen gewesen. Der kohlensaure Kalk erfuhr besonders
in kalkarmen Schichten eine Auflösung; da dieser Stoff bekannt-
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lieh in kohlensäurehaltigem Wasser einen ziemlichen Grad von Lös-
lichkeit besitzt, so wurde in dem Gestein an der Stelle des ursprüng-
lichen Fossils allmählich ein Hohlraum geschaffen, und wenn Ge-
wässer, welche andere chemische Stoffe in Lösung enthalten, sofehe
Hohlräume zu passieren hatten, so konnte in denselben eine Ablage-
rung dieser gelösten Salze erfolgen, die gewöhnlich zu einer voll-
ständigen Ausfüllung des Hohlraumes mit der neuen Substanz führte.
Diese Ersatzstoffe, in denen uns heute derartig veränderte Fossilien
begegnen, sind ziemlich mannigfacher Art: am häufigsten tritt wieder
die Kioselsäure an die Stelle des Kaikos, und wir sprechen in einem
solchen Falle von verkieselten Sohalresten. Sind solche verkieselten
Fossilien in kalkigen Gesteinen eingebettet, so ist es möglich, durch
Auflösung des einschliefsenden Gesteins in Salzsäure die dieser Säure
gegenüber sich unlöslich verhaltenden kioseligen Substanzen zu iso-
lieren und damit die Versteinerung frei vom einschliefsenden Gestein
zu gewinnen. In der heutigen Paläontologie spielt eine derartige Ge-
winnung von verkieselten Petrefakten aus kalkigen Gesteinen eine
bedeutende Rolle und hat bereits hervorragende wissenschaftliche
Resultate in ihrem Gefolge gehabt. Besonders in Schweden und
Finland werden ganze Wagenladungen von Kalksteinen in grofsen
Bottichen mit verdünnter Salzsäure bis zur vollständigen Auflösung
des Kalkes behandelt, und man kann dann aus dem LÖsungsrüokstande
viele Kieselfossilien in mehr oder weniger vollständigem Zustande
herauslesen.
Ein anderer Stoff, der in dieser Weise als Ersatz des kohlen-
sauren Kalkes eintreten kann, ist das Doppelschwefeleisen, der
Schwefelkies. Besonders in kalkarmem, thonigem Gestein sind bis-
weilen die sämtlichen organischen Reste in schönen, gelben Schwefel-
kies umgewandelt, und solche Schalen heben sich auf das prächtigste
von dem dunklen, sie einschlicfsenden Gestein ab. Im rheinischen
Unterdevon findet sich bei dem Orte Bundenbach ein derartiger Schiefer-
horizont, in welchem in groTsera Mafsstabe Schiefer gewonnen wird,
und bei diesen Steinbruchsarbeiten werden zahlreiche Platten ge-
funden, in denen solche verkieselten organischen Reste auftreten, die
immer im Innern einer Schieferplatte liegen. Entfernt man duroh
mühevolles Horauspräpariereu mit Nadeln und kleinen Meifselchen
die bergende Schieferhülle, so kann man die prachtvollsten Seelilien,
Seesterne, Orthoceren und andere bis in die feinsten Details der
Schalenskulptur erhaltene Geschöpfe gewinnen. Auoh in den Thonen
der Juraformation sind bisweilen die sämtlichen organischen Reste
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einer Schicht in Schwofelkies umgewandelt, und besonders die Am-
moniten dieser Örtlichkeiten, die sich z. B. in Schwaben vielfach finden,
gewähren durch die Schönheit ihrer Farbe und die schöne Er-
haltung der feinsten Skulpturfonnen einen ganz prächtigen Anblick.
Wieder in anderen Füllen ist Spateisenstein und in noch anderen,
allerdings ziemlich seltenen Fällen Flufsspat als Versteinerungsmittel
an die Stelle des kohlensauren Kalkes getreten. Ein recht häufiges
Vorsteinerungsmittel ist ferner der phosphorsaure Kalk, der als Phos-
phorit eine technisch so bedeutsame Rolle spielt. Besonders die Ex-
kremente von Fischen und Sauriern sind in der Kreide- und Jura-
formation vielfach in Phosphorite umgewandelt, und es werden in
Laienkreisen deswegen die Phosphorite fälschlich in ihrer Gesamtheit
als Koprolithen bezeichnet. In sehr eisonreichen Gesteinen, be-
sonders in Kalksteinen, die den Umwandlungsprozefs in Roteisenstein
und Brauneisenstein durchgemacht haben, sind auch die Kalkschalen
der organischen Einschlüsse in das gleiche Eisenerz umgewandelt
worden und werden dann mit schöner tiefrotbrauner Farbe auf den
Bruchllächen des Gesteins sichtbar. Bei den meisten Konchylien be-
steht die Schale ursprünglich aus kohlensaurem Kalk, welcher in
mineralogischer und krystallographischer Beziehung nicht Kalkspat,
sondern Arragonit, d. h. ein rhombisch krystallisierender kohlensaurer
Kalk ist. Diese Schalen haben in den meisten Fällen einen mole-
kularen Umlagerungsprozefs durchgemacht, durch welchen der rhom-
bische Arragonit in den rhomboedrischen, gewöhnlichen Kalkspat ver-
wandelt worden ist. Mit diesen Fällen dürften die verschiedenen Um-
wandlungsprozesse der Kalkschalen erschöpft sein.
Wonn der Ersatz der ursprünglichen Substanz duroh die neu
hinzugeführte schrittweise erfolgte, so dafs für jedes in Lösung ge-
hende Molekül der Ersatz sofort sich einstellte, bliob der ana-
tomische Bau des organischen Restes bis in die feinsten Einzelheiten
hinein erhalten. Wurde der tierische Körper aber erst vollständig
aufgelöst, also ein Steinkern erzeugt und der Hohlraum desselben
erst in irgend einer späteren Zeit ausgefüllt, so kann natürlich von
Erhaltung von Zellen und Ähnlichem nicht die Rede sein.
In den bisher besprochenen Fällen treten uns die Fossilien
körperlich entgegen, und wir sehen an dem organischen Reste die
Aufsenseite des ursprünglichen Hartgebildes. Wenn aber die Sub-
stanz des Körpers der chemischen Auflösung anheimgefallen und kein
anderer Stoff als Ersatz an seine Stelle getreten ist, so bleibt in dem
Gestein ein Hohlraum übrig, und wir haben es dann mit einer Form
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der Erhaltung- zu thun, die man als Steinkern bezeichnet. Es sind
zwei verschiedene Möglichkeiten denkbar: entweder warder organische
Rest unmittelbar nach seiner Einbettung in allen seinen Hohlräumen
mit einer Substanz erfüllt, die mit der des einschliefsenden Gesteins
übereinstimmt, oder er war, was besonders bei zweischaligen Muscheln,
bei Brachiopoden und bei rings geschlossenen Körpern, wie Seeigeln
und Seelilien, vorkommt, bei der Einbettung widerstandsfähig gegen das
Eindringen von Gesteinssubstanz. Im ersleren Falle bleibt nach Auf-
lösung der Kalksubstanz im Gestein ein Hohlraum übrig, in dessen
Mitte sich ein Ausgufs des Innern der Schale findet, während im
zweiten Falle der entstandene Hohlraum eines solchen inneren Kernes
ermangelt. In beiden Fällen giebt die Wandung des Hohlraumes ein
Spiegelbild von dem ursprünglichen Aussehen der Schale. Dornen
und Fortsätze an Schneckenschalen ziehen sich in Gestalt von röhren-
förmigen Hohlräumen in die Gesteinsmasse hinein, und es ist möglich,
durch Ausgiefsen eines Hohlraumes und nachherige Entfernung des
denselben umschliefsenden Gesteins einen Abgufs zu gewinnen, der
mit dem ursprünglichen organischen Reste in Bezug auf Oberflächen-
skulptur vollkommen übereinstimmt. Vermag man auch die Aus-
füllungsmasse der ursprünglichen Höhlung des Fossils aus solchem
Abgufs auf mechanischem oder chemischem Wege zu beseitigen, so
hat man ein vollkommen getreues Bild des organischen Restes, wie
es zu Lebzeiten des betreffenden Tieres war. Der günstigere der
beiden Fälle ist derjenige, in welchem auch die Innenskulptur des
betreffenden Körpers uns in Form eines Ausgusses erhalten ge-
blieben ist, da man an demselben sehr viele sonst der Beobachtung
nicht zugängliche Details, wie z. B. die Muskelansätze, die Spiralbänder
bei den Brachiopoden und die Mundwerkzeuge bei den Seeigeln, stu-
dieren kann. Eine ganz besondere Abart der Steinkerne entsteht dann,
wenn ein vollständig die Stelle des ehemaligen Fossils ersetzender
Hohlraum ohne innere Schalenausfüllung nachher wieder durch neu
hinzutretende Substanz ausgefüllt ist. In diesem Falle kann man aus
dem Gestein ein genaues Abbild des ursprünglichen Restes gewinnen,
welcher die Aursenskulptur desselben besitzt, im Innern aber voll-
kommen homogen ist. Einen solchen Steinkern bezeichnet man aus
diesem Grunde als einen Skulptursteinkern.
Außerordentlich verschieden von demjenigen der tierischen Lebe-
wesen ist in den meisten Fällen der Erhaltungszustand von pflanz-
lichen Resten. Bei ihnen kann man zwei Hauptgruppen unterscheiden:
in dem einen Falle ist die organische Substanz erhalten und hat nur
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einen mehr oder weniger intensiven Verkohlungsprozefs durchgemacht,
durch welchen das Zellengewebe der Pflanze in Brauukohle oder
Steinkohle umgewandelt ist. Es sind besonders die Hölzer, die in
dieser Weise uns in grofsen Mengen in fossilem Zustande begegnen.
Je jünger das betreffende Holz ist, um so weniger weit ist der Ver-
kohlungsprozefs vorgeschritten, um so mehr ähnelt es in seiner Be-
schaffenheit demjenigen der lebenden Pflanze, und es ist bekannt, dafs
man z. B. bei den in der Braunkohlenformation vorkommenden Koni-
ferenhülzeru eine so vorzüglich erhaltene Holzstruktur findet, dafs man
dieses Holz unter Anwendung gewisser Vorsiohtsmafsregelu wie
lebendes Holz zu Furnieren und anderen Arbeiten verwenden kann.
Gerade in Koniferenhölzern tritt dann die Maserung des Holzes auf
polierten Schnitten in vorzüglicher Schönheit und Deutlichkeit in die
Erscheinung, und die schönen warmen Farbentöne dieser Hölzer ver-
leihen den aus ihnen angefertigten Schmuckgegonständen ein außer-
ordentlich reizvolles Aussehen. In den ältesten Hölzern aus der
Steinkohlenformation ist dagegen der Verkohlungsprozefs sehr viel
weiter fortgeschritten, so dafs die Struktur bei weitem nicht so
deutlich wahrnehmbar ist wie in den Braunkohlenhölzern. Aber
auch bei ihnen vermag man in besonders präparierten Dünnschliffen
die ursprüngliche Struktur noch mehr oder weniger deutlich zu er-
kennen. Die feineren pflanzlichen Reste, vor allen Dingen also die
Blatter, begegnen uns in den ältesten Anhäufungen pflanzlicher Sub-
stanz, iu den Kohlenflözen, nur außerordentlich selten, finden sich
dagegen in gröfscrer Menge in den mit den Kohlenflözen wechsel-
lagernden Schieferthonen und erscheinen in denselben als schwarze
Häutchen von Kohlenstoff, die sich gewöhnlich durch dunklere Farbentöne
und einen gewissen Glanz trefflich von der Schiefersubstanz abheben.
Die feineren Details, die Umrandung der Blättchen und die zierliche
Nervatur der Fiedei chen, sind dagegen auch bei ihnen in den meisten
Fällen in ausgezeichneter Deutlichkeit erhalten, und die grofsen Ge-
steinsplatten, die in allen unseren Steinkohlengruben in grofsen
Mengen gewonnen worden, zählen mit ihren wunderbar zierlich er-
haltenen Abdrücken von Farnen und anderen Kryptogamenblättern zu
den schönsten Stücken unserer Museen. Selbst pathologische Er-
scheinungen, wie das Auftreten von Blätterpilzen und die Frefsspuren
von Insektenlarven sind in solchen fossilen Blättern oftmals vortreff-
lich zu erkennen und unter Umständen selbst der mikroskopischen
Detailuntersuchung zugänglich.
Wesentlich verschieden von diesen in Kohlensubstanz verwan-
Himmcl und Erde. 1800. XI. I*». -JD
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(leiten Pflanzenresten ist die zweite häufige Form ihrer Erhaltung-,
diejenige im Zustande der Verkieselung. Von ihr sind in den meisten
Fällen die Pflanzenhölzer betroffen worden, und man hat sich den
Vorgang so zu denken, dafs unter der Einwirkung von kieselsäure-
haltigem Wasser eine Zerstörung der organischen Substanz des Holzes
vor sich gegangen ist, wobei für jedes fortgeführte Partikelchen von
Kohlenstoff alsbald Kieselsäure eingetreten ist, so dafs mit der Zeit
die gesamte Holzsubstanz in Kalcedon oder Achat umgewandelt
worden ist. Auch in diesem Falle ist natürlich der anatomische
Bau auf das vollkommenste im verkieselten Zustande erhalten
geblieben und kann in poliertem Schnitt und in durchsichtigen,
dünn geschliffenen Scheibchen eingehend untersucht werden. Nur
so ist es möglich gewesen, bei derartig verkieselten Hölzern, die
besonders in der Formation des Rotliegenden und in manchen tertiären
Schichten sich sehr häufig finden, die generische Zugehörigkeit zu
verschiedenen Gruppen von Pflanzen genau zu bestimmen. Die be-
merkenswert! sten Beispiele derartig verkieselter Hölzer bieten der
versteinerte Wald in der Gegend von Kairo, der durch Schweinfurt s
Beschreibung zuerst bekannt geworden ist, und ein grofsartiges Vor-
kommen von Kieselhölzern in Arizona. An letzterem Orte hat die aus-
gezeichnete Politurfähigkeit dieser verkieselten Hölzer und das schöne
Aussehen der aus ihnen geschliffenen Stücke zu einer ausgedehnten
Industrie Veranlassung gegeben; auf verschiedenen grofsen Aus-
stellungen haben die von dort herrührenden Schmucksachen ein be-
rechtigtes Aufsehen erregt. Solche Verkieselungsprozesse finden
übrigens auch heute noch da statt, wo lebende Waldvegotation mit
kieselsäurehaltigem, warmem Quellwasser in Berührung kommt, wie
dies z. B. im Yellowstone-Park in den Vereinigten Staaten in grofsem
Umfange der Fall ist. Hier kann man sehen, wie von Bäumen, die
noch vor kurzer Zeit lebten, bereits die äufseren Teile des Stammes
eine Umwandlung aus kohlenstoffhaltiger Substanz in Kieselsäure
erlitten haben, und es ist der Gedanke nicht abzuweisen, dafs ähnliche
Einwirkungen von Thermalwässern auch in jenen älteren Ablage-
rungen den Verkieselungsprozefs bewirkt haben.
Der Erhaltungszustand der Fossilien ist ein aufserordentlich
mannigfacher und drückt sich schon darin aus, dafs man von „gutem"
und ..schlechtem" Erhaltungszustande derselbon spricht. Den wesent-
lichsten Einflufs auf dieses Verhalten übt der Charakter des Ge-
steins aus, in welchem die organischen Reste eingebettet sind. Das
r-ünstigste Medium für die Erhaltung sind weiche thonige und mergelige
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Gesteine. In ihnen haben (He Schalen der Tiere bei der Einbettung ge-
wöhnlich keinerlei Deformationen erlitten, sondern ihr natürliches
Aussehen und ihre ursprüngliche Wölbung oftmals bis in das kleinste
Detail hinein beibehalten, und bei der Weichheit dieser Gesteine, die
in vielen Fällen die Anwendung eines mechanischen Schlämmprozesses
gestattet, vermag man die Einschlüsse mit Leichtigkeit zu isolieren
und zu gewinnen. So kommt es, dafs beispielsweise in dem weichen
Kalkschlamme der Schreibkreide die Schalen von Muscheln und
Seeigeln uns so vollkommen erhalten sind, wie dies nur irgend
möglich sein kann. Auch in den meisten Kalksteinen haben die
organischen Reste ihre ursprüngliche Erscheinung bewahrt, aber hier
stellt sieh der Umstand ein, dafs die Schale mit dem einbettenden
Gestein gewöhnlich auf das innigste verwachsen ist, so dafs eine
Herauslösung sehr viel mühevoller und in vielen Fällen ganz un-
möglich ist Viel ungünstiger noch wird das Verhalten des Kalk-
steins, wenn derselbe nachtraglich einem Krystallisationsprozefs unter-
worfen gewesen und in krystallinischen Kalk oder gar in grobkörnigen
Marmor umgewandelt ist. Solchen Umwandlungsprozessen sind sehr
viele Kalksteine älterer Formationen unterworfen gewesen, aber wir
begegnen ihnen auch in jüngeren Formationen überall da, wo durch
gebirgsbildende Kräfte die Gesteine einen bedeutenden Druck er-
litten haben und dadurch in ihrer molekularen Beschaffenheit
verändert sind. Ganz besonders häufig aber sind solche Umkrystalli-
sationen in denjenigen Kalksteinen, die in der Hauptsache auf der
Thiitigkeit von Korallentieren zurückzuführen sind, Gesteine, dio sich
gewöhnlich durch einen hohen Gehalt an kohlensaurer Magnesia aus-
zeichnen und aus diesem Grunde als Dolomite bezeichnet werden.
Es gehören dahin die bekannten Dolomite der Alpen und zahlreiche
Riffkalke im Schwäbischen Jura, sowie eine Menge von Gesteinen
in den mesozoischen Kalkbergen Italiens. In allen diesen Gesteinen
sind die Korallen und sonstigen Einschlüsse bei dem Prozefs der
Umkrvstallisation so stark alteriert worden, dafs sie im Innern des
Gesteins dem blofsen Auge ganz unsichtbar geworden sind und nur
spurenweise noch bei der mikroskopischen Untersuchung von Dünn-
schliffen erkennbar werden. Trotzdem aber haben in den meisten
Fällen die Kalkgerüste organischer Körper gewisse Eigenschafton
durch die Umbildungsprozesse hindurch sich bewahrt, die es ermög-
lichen, dafs bei der langsamen Verwitterung der Oberfläche solcher
Kalksteine das einschliefsende Gestein stärker angegriffen wird wie
der fast unsichtbar darin steckende organische Rest, und der letztere
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tritt infolgedessen auf solchen Verwitterungsflächen mehr oder weniger
deutlich zu Tage. Man kann in Steinbrüchen, die in solchen Riff-
kalken angelegt sind, in den frisch gewonnenen Werkstücken stunden-
lang erfolglos umherklopfen, während auf der Oberfläche von Blöcken,
die länger der Luft ausgesetzt gewesen waren, eine ganze Menge von
organischen Resten reliefartig hervortritt. Man sieht dann auf diesen
Flächen die zierlichen Kelche der Korallen mit ihren Septen oder die
Schalen von Muscheln und Schnecken heraustreten, die im Quer-
schnitte des Gesteins kaum in zarten Linien angedeutet erscheinen.
Wieder anders verhalten sich die besonders in den älteren For-
mationen sehr verbreiteten Thonschiefer. Die ursprünglich weiche
Thonsubstanz ist bei der Gebirgsbildung durch einseitig wirkenden
Druck „geschiefert" worden, d. h. es haben sich neue, zu der ur-
sprünglichen Schichtung in keiner Beziehung stehende Absonderungs-
flächen gebildet, und diosc Druckvorgiinge haben dahin geführt, dafs
die eingeschlossenen Schalreste in eine Ebene zusammengepreßt er-
scheinen, wobei bei gewölbten Körpern, wie sie ja die meisten
Muscheln und Schnecken besitzen, naturgemäfs eine Zertrümmerung-
in einzelne, ein wenig gegeneinander verschobene Bruchstücke ein-
treten mufste. Ein solcher Erhaltungszustand ist natürlich nicht ge-
rade günstig, und unter den Fossilien dieser Schichten befinden mcIi
sehr viele, die für die nähero Bestimmung der Art unbrauchbar ge-
worden sind. Auch die Reste von höheren Lebewesen sind uns in
sehr verschiedenem Zustande überkommen, je nach dem Gestein, iu
welchem sie eingebettet sind. So sind die zahllosen Fische, die das
bituminöse Kupferschieferflöz an der Basis der Zechsteinformation
führt, in eine Ebene zusammengedrückt und liegen wie ein papier-
dünuer Hauch auf den Schichtflächen des Gesteins, während in man-
chen thonigen Konkretionen und in gewissen feinkörnigen Sandsteinen
die Fische körperlich erhalten sind und nach der Präparation uns in
ihrer ursprünglichen Körperform entgegentreten. Das Blatt einer
Pflanze kann in einem plastischen Thone so vollkommen bewahrt sein,
dars die feinsten Linien der Umränderung und die zartesten Verzwei-
gungen der Nervatur auf das vollkommenste hervortreten, während
dasselbe Blatt in einem Sandstoin uns als ein dünner, vielfach unter-
brochener schwarzer Hauch mit undeutlichen Umrissen und schlecht
bewahrter Nervatur entgegentritt. Am allerungünstigsten sind grobe
Konglomerate, weil bei der Bildung derselben feinero organische Reste
natürlich vollkommen zerrieben wurden und gröbere ganz abgerollt
hineingelangten, so dafs dieselben für die nähere Artbestimmung
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gewöhnlich ganz untauglich geworden sind. Es sind aus diesem
Grunde in derartigen Konglomeraten in den meisten Fällen nur ver-
kieselte Hölzer oder in jüngeren Schichten die widerstandsfähigsten
Knochen und Zähne von Wirbeltieren erhalten geblieben.
Es ist vollkommen klar, dafs aus den angeführten Gründen der
Reichtum der einzelnen Gesteine an organischen Einschlüssen sehr
verschieden ist, aber es giebt absolut keino Regel mit durchgreifen-
derer Gültigkeit, die man in dieser Beziehung aufstellen konnte. Die
grorse Gruppe von Silikatgestoinen, die man als krystallinischo Schiefer
bezeichnet, also die Gneifse, Glimmer-Schiefer und Phyllite sind in
den meisten Fällen gänzlich frei von Fossilien, und da sie zumeist
in den, soweit bekannt, ältesten Ablagerungen unserer Erde vor-
herrschen, so glaubte man, dafs zur Zeit ihrer Entstehung überhaupt
noch keine organischen Lebewesen auf Erden existierten oder wenig-
stens keine solchen, deren Körper erhaltungsfähige Hartgebilde ab-
sonderten. Es giebt aber auch von dieser Hegel Ausnahmen. Unter
dem Einflüsse gewaltiger Druckkräfte, die bei der Gebirgsbildung auf
grofse Schichtcnkomplexe ausgeübt worden sind, sind viele Thone,
Kalke, Mergel und Sandsteine total umgewandelt worden und besitzen
heute vollkommen das äufsere Aussehen von jenen obengenannten
iirehäischeu Gesteinen, d.h. sie sind in Glimmerschiefer, Serizitschiefer,
Chloritschiefer, Marmor, Quarzit und andere hochkrystallinische Gesteine
umgewandelt, und man kann in den meisten Fällen nur aus ihrer
stratigraphisehen Stellung zwisohen anderen Schichten und aus ihren
organischen Einschlüssen entnehmen, dafs sie nicht der archäischen
Formation angehören, sondern jüngeren Alters sind. So kennt man
aus Norwegen einen ausgedehnten Schichten komplex kambrischen
und silurischen Alters, aus den Alpen hochkrystallinische, mineralreiche
Schiefer der Juraformation (Biindner Schiefer), aus Griechenland sogar
Chloritschiefer und Marmor, die aus Gesteinen der Kreideforuiation
hervorgegangen sind. In allen diesen Fällen findet man auch noch
durch besonders günstige Umstände erhaltene, gewöhnlich allerdings
sehr stark deformierte, aber doch immerhin nach Genus und bisweilen
sogar nach der Spezies bestimmbare organische Reste, welche die aus
den Lagerungsverbänden gezogenen Schlüsse bestätigen. Aus der
Gestalt dieser Körper kann man auf das schönste erkennen, in welcher
Weise und in weloher Richtung die Umbildung des Gesteins und die
Streckung der einzelnen Gesteinselemente vor sich gegangen sind.
Belemniten erscheinen in einzelne, ziemlich gleich lange Stücke zer-
rissen und diese in einer ganz bestimmten Richtung mit gleich langen
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Intervallen verschoben fs. untenstehende Figur). Siluriscbe Trilobiten
ßind in einer Richtung in die Länge gestreckt und unterscheiden sich
wesentlich in ihrem äufseren Aussehen von den normal erhaltenen Tieren
der gleichen Art In den Glarner Alpen finden sich mächtige, dem
ältesten Tertiär angehörende Schiefer, die ein vorzügliches Dachschiefer-
material abgeben, welches in grofsen Brüchen ausgebeutet wird. Sie
sind reich an Fischresten, aber bei allen diesen Fischen sind die ein-
zelnen Wirbel der Wirbelsäule nach irgend einer Richtung hin, dorn
ausgeübten 1 iebirgsdrucke entsprechend, gegeneinander verschoben
und in ihrer < iestalt deformiert worden. Der erste Beschreiber dieser
Fischfauna hatte sich durch die Gestaltänderung täuschen lassen und
eine Reihe von Gattungen beschrieben, von denen es sich nachher her-
ausstellte, dafs sie alle ein und derselben Art angehörten, ja, es wird
Geitreckter Bolemnit im Jurakalk.
behauptet, dafs es möglich gewesen wäre, durch eine Art von Be-
rechnung mit Hülfe der bekannten Schieferungsrichtung in diesen
Schiefern und der Lage der Fischreste zu derselben die einzelnen
Spezies in einander umzurechnen.
Kaum weniger arm als diese alten Schiefergesteine sind die-
jenigen Schichtenfolgen, die vorwiegend aus Quarzilen oder aus mittel-
körnigen, roten Sandsteinen bestehen; in ihnen sind die organischen
Einschlüsse oftmals auf schwer deutbare fossile Hölzer beschränkt,
oder auf die Fährtenabdrücke von großen Amphibien, Reptilien und
anderen Tieren, mit denen man wegen des Fehlens von Skelettteileu
auch nicht allzuviel anfangen kann. Besonders im Buntsandstein des
mittleren Deutschland finden sich gewisse Horizonte (wie der soge-
nannte Chirotherien-Sandstein), in welchen die erhaltenen Fährten oft-
mals in zusammenhängenden Schrittreihen nicht allzu selten vorkommen.
Es wechsellagern mit diesen Sandsteinen Bänke von Letten, und in
diesen Lettenschichten haben die Tiere, als die betreffende, eben ent-
standene Bank, an der Oberfläche lag und noch aus weichem Schlamm
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bestand, beim überschreiten ihre Sputen eingedrückt. Die demnächst
folgende Sundschicht, die entweder vom Winde oder vom Wasser
darüber geführt wurde, füllte die Vertiefung der Führte aus, und so
sehen wir heute diese Spuren reliefartig auf der Uuterlläche der Sand-
steinplatton heraustreten, während die eigentliche, sozusagen positive
Führte infolge der weichen Gesteinsbeschaffenheit gewöhnlich nicht
zur Aufbewahrung in unsere Sammlungen gelangte.
Andere Sandsteine sind dagegen wieder recht reich an Verstei-
nerungen, die lagenweise angereichert erscheinen, wie z. Ii. die
zur Kreideformation gehörenden Sandsteine der Sächsischen Schweiz
und des nördlichen Ilarzvorlandes. In Bezug auf die Kalksteine läfst
sich etwas Bestimmtes Uber ihren Reichtum an organischen Ein-
schlüssen nicht sagen. Aus den oben bereits angeführten Gründen
sind mächtige Komplexe solcher Kalksteine infolge späterer Umwand-
lung anscheinend vollständig versteinerungsfrei, während andererseits
dasselbe Gestein in anderen Formationen und in anderen Gegenden
geradezu von ihnen strotzt. Bekannt sind in dieser Hinsicht zahl-
reiche Schichten des skandinavischen Silurs, deren Versteineruugs-
reichtum auch bei uns in Form von Geschieben im Diluvium eine
reiche Ausbeute gewährleistet. Viele Kalksteine verdanken ja ganz
ausschließlich dem organischen Leben ihre Entstehung und sind in-
folgedessen im gröfsten Teil ihrer Masse aus Fragmenten oder voll-
ständigen Resten ehemaliger Lebewesen zusammengesetzt. Dahin ge-
hören beispielsweise die sogenannten Troohitenkalke, die im Silur und
in der Trias auftreten und in ihrer ganzen Masse aus den Stiel-
gliedern von Seeiilien zusammengesetzt sind. In ganz ähnlicher Weise
bestehen andere Kalksteinbänke überwiegend aus Schalen von zwei-
k lappigen Muscheln oder aus Anhäufungen ungeheurer Mengen von
Schneckenschalen. Als Beispiel für letzteres Vorkommen seien die
Cerilhienkalke in den jüngeren Tertiärbildungen des Mainzer Heckens
erwähnt. Hier können auch die gewaltigen Anhäufungen von Knochen
diluvialer Wirbeltiere genannt werden, die in Höhlen der Kalkstein-
gebirge unter der schützenden Decke von Kalksinterablagerungen
oftmals die Reste vieler hunderte großer und kleiner Wirbeltiere ent-
halten. Ein Teil derselben stammt von den Tieren her, die diese Höhlen
bewohnten, ein anderer zeigt deutlioh, dafs man es mit den Resten
der hier zusammengeschleppten Beutetiere zu thun hat. Die Knochen
der letzteren sind in den meisten Fällen von den Raubtieren zer-
kleinert, wofür die in Form unverkennbarer Zahneindrücke erhaltenen
Bifsspuren zeugen.
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45Ü
Ähnlich wie mit den Kalksteinen verhält es sich mit den Schie-
fern, die gleichfalls durch mächtige Schichtenreihen hindurch keinerlei
erkennbare organische Reste liefern, während andere Schiefer wieder
bu voll von Versteinerungen stecken, dafs man keine Platte zer-
schlagen kann, ohne die Schichtflächen dicht mit ihnen bedeckt zu
finden. Diese Fälle begegnen uns beispielsweise in den Graptolithen-
schiefern der Silur- und in den Tentaculitenschichten der Devon-
Formation. Ganz besonders ergiebig sind in vielen solchen an Verstei-
nerungen armen oder ganz davon freien Gesteinen etwa darin auf-
tretende Konkretionen. Besonders in thonigen, mergeligen und schief-
rigen Gesteinen linden sich oftmals kugelige oder elliptisch gestaltete
Gesteinsmassen von der Gröfse einer Kartoffel bis zum Durchmesser
eines Meters von anfserordentlich wechselnder Zusammensetzung.
Bald ist es kohlensaurer Kalk, bald dolomitisches Gestein, dann wie-
der sind es Kisenerze oder durch Kisonverbindungen verkittete Sande,
die entweder unregelmäßig durch das Gestein zerstreut sind oder, in
gewissen Schichten angeordnet, im Gesteine fortlaufende Schnüre bil-
den. Diese Konkretionen strotzen oftmals von organischen Resten
mannigfacher Art; so ist in manchen jurassischen Schichten der ge-
samte Reichtum an Ammoniten auf kalkige Konkretionen beschränkt,
so tritt uns der ganze Reichtum von Fossilien in den mitteloligocänen
Stettiner Sanden in eisenschüssigen, außerordentlich harten Sandstein-
konkretiouen entgegen, so ist uns die Fauna des Norddeutschen
Miozäns in den Konkretionen der Sternherger Kuchen und des Hol-
steincr Gesteins erhalten. Die kleineren Konkretionen besitzen ge-
wöhnlich nur einen winzigen Rest, eine Schneckenschale oder eine
Muschel oder einen Fischtest. In den greiseren dagegen ziehen sich
Versteinerungen schichtenweise durch die ganze Konkretion hindurch,
und durch geschicktes Spalten kann man Platten gewinnen, auf denen
hunderte von wohl erhaltenen Tierresten bei einander liegen. In
manchen Füllen hat gleich bei der Ablagerung der Schicht der orga-
nische Rest Anlafs zur Bildung einer Konkretion gegeben, indem
durch den Verwesungsprozefs der tierischen Substanz in Lösung vor-
handene Eisensalze reduziert und um das Fossil herum nieder-
geschlagen wurden, wodurch eine Verfestigung des Gesteins in seiner
Umgebung eintrat. In anderen Gesteinen, vor allen Dingen in
solchen, die wie alle Sande dem Wasser einen leiohten Durchgang
gewährten, mufs man annehmen, dafs die Kalkschalen, die ursprüng-
lich in bestimmten Lagen durch das ganze Gestein hin gleichmäfsig
verteilt waren, überall einer vollständigen Auflösung und Zerstörung
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i
457
verfielen, bis auf diejenigen Partien, die durch angereicherte Eisen-
verbindungen oder durch kalkige Bindemittel dem lösend einwirken-
den Wasser Widerstand zu leisten vermochten.
Gesteine, die der vulkanischen Thätigkeit ihren Ursprung ver-
danken, sind natürlich frei von organischen Kesten und enthalten
höchstens solche älterer Formationen, eingeschlossen in Bruchstücken,
die zusammen mit der Lava an die Oberfläche geführt sind. Xur
wenn vulkanische Aschen in Süfswasserseen oder in das Meer hin-
eingelangen und in demselben sogenannte Tuffe erzougen, stellen sich
auch Reste der in jenen Gewässern lebenden Gesohöpfe ein, und man
findet sie in solchen Gesteinen von den aus umgewandelten Diabas-
tuffen entstandenen Schalsteinen der Devonformation bis zu den Tuffen
des jüngsten Vulkanismus.
In den Versteinerungen ist uns die Entwickelungsgeschichte des
organischen Lebens auf Erden aufbewahrt, aber was auf diesem Wege
zu unserer Kenntnis gelangt ist, stellt nur einen aufserordentlieh ver-
schwindenden Bruchteil der Lebewesen dar, welche zu den verschie-
denen Zeiten unsere Erde bevölkerten. Schon der Umstand, dafs mit
ganz geringfügigen Ausnahmen nur diejenigen Teile der Tiere uns
erhalten bleiben konnten, die aus widerstandsfähigen Hartgebilden
aufgebaut waren, schränkt die Möglichkeit, uns ein klares Bild von
jenem gewaltigen Entwickelungsgange zu verschallen, aufs äufserste
ein. Ganz grofse Gruppen von Tieren entbehren ja jener Hartgebilde
vollständig und bestehen ausschliefslich aus leicht verweslichen
organischen Substanzen, die keinerlei fossile Spuren hinterlassen
können. Eine weitere Einschränkung aber wird dadurch bedingt,
dars wieder nur ein sehr geringer Bruchteil der Lebewesen nach dem
Tode an Orte gelangte, wo sie der Nachwelt aufbewahrt werden
können. Fast alle Geschöpfe, die an der Oberfläche der Erde ihr
Ende finden, werden entweder von anderen höheren oder niederen
Tieren bis auf die letzten Spuren vertilgt, oder sie verfallen einem
vollständigen Auflösungsprozesse, bei dem nichts übrig bleibt. Viel
günstiger ist das Verhältnis für die Bewohner des Wassers; aber
auch hier arbeitet ein unendlich zahlreiches Heer gefräfsiger, über-
lebender Mitbewohner an der Vernichtung der toten Reste. Vor
allen Dingen sind es die Krebse, die mit Hülfe ihrer Scheren die
Hartgebilde abgestorbener Tiere zerknacken und so zerkleinern, dafs
die Schalon in Kalksand verwandelt werden. Von dem übrig blei-
benden Bruchteile aber, der zur fossilen Erhaltung gelangt ist, kann
wieder nur ein unendlich geringer Teil in die Hand des Forschers
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-158
kommen. Im Vergleich zu dem Areal, welches die Versteinerungen
führenden Schichten auf der Oberfläche der Erde einnehmen, nehmen
diejenigen Stellen, an denen ein Sammeln und Gewinnen von Fossilien
möglich ist, noch nicht den tausendsten Teil ein. Wir müssen uns
nur klar raachen, wie unendlich gering an Gröfse und Fläche die
Aufschlüsse teils künstlicher, teils natürlicher Art sind, an denen der
Bostrichoput antiquu».
u. Das ganze Tier. — b. Der Rumpf. — c. Eine einzelne Rinke.
(ieologe seine Studien anstellen kann, und wir dürfen uns deshalb
nicht wundern, dafs von Jahr zu Jahr immer neue vorweltliche Ge-
schöpfe aufgefunden und beschrieben werden, und dafs trotzdem erst
in ganz wenig Fällen leidlich lückenlose Entwickelungsreihen für
einzelne Tierklassen zu unserer Kenntnis gelangt sind. Es ist That-
sache, dafs eine grofse Anzahl von Geschöpfen uns erst in je einem
Exemplare bekannt geworden ist, und wir müssen daraus schliefsen,
dafs noch viele Tausende von unbekannten Tieren der verschiedensten
Gattungen im Schofse der Erde ruhen und noch für viele Generationen
hinaus paläontologisches Arbeitsmaterial zu erwarten sein wird. Ein
vortreffliches Beispiel für die Lückenhaftigkeit unserer Kenntnis ehe-
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4Ö9
maliger Lebewesen bietet ein solches Unikum aus den Kulmschiefern des
Geistlichen Berges bei Herborn in Nassau, welches als Bostrichopus an-
tiquus benannt und in vorstehender Abbildung dargestellt ist. Dieses
Tier weicht in seinem ganzen Körperbau von allen lebenden oder
fossilen Formen so vollkommen ab, dafs es Schwierigkeiten macht,
dasselbe im zoologischen System unterzubringen, und doch mufs man
annehmen, dafs dasselbe seiner Zeit in unzähligen Exemplaren die
Erde bevölkerte, dafs es eine Entwicklungsgeschichte besessen hat
und durch allmähliche Umänderung aus anderen Typen hervorgegan-
gen ist. Aber weder von seiner Ahnenreihe noch von seinen als
solche erkennbaren Nachkommen ist aufser diesem einen Stücke etwas
zu unserer Kenntnis gelangt. Ein derartiger Fall ist besser als lange,
weitläufige Erörterungen geeignet, uns davon zu überzeugen, wie all*
unser Wissen nur Stückwerk ist und immer solches bleiben wird.
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Erinnerungen an die Erdbebentage von Laibach.
Von Dr. P. Schwahn in Berlin.
(Schlufe.)
aibach war, wie ich schon sagte, glücklicherweise kein Casa-
micciola, es war aber eine in allen Teilen schwer geprüfte Stadt,
/ — eine Stadt, die sich von Grund auf erneuern mufste. Besser
als an den zerstörten Gebäuden konnte man den Umfang der Ver-
wüstung an dem Lagerleben erkennen. Denn als am 14. April morgens
nach der schreckenvollen Nacht die Sonne die Stadt beschien, war
zwei Drittel der ganzen Bevölkerung für Monate auf die kalten, nafsen
Strafsen angewiesen. 4000 Bewohner aus den besseren Ständen, die
Geld genug hatten, waren mit ihren Familien nach auswärts geflüchtet.
Unsere Abbildung (Fig. 5) gewährt uns einen Einhlick in dieses
Lagerleben auf dem Kongrefsplatz. Welch ergreifende Scenen bot
dasselbe: da safs mitten zwischen den Zelten und Baracken auf einem
verblichenen Polsterstuhl ein alter gebrechlicher Mann mit bekümmerten
Zügen, neben sich zur ebenen Erde eine Matratze und ein wenig
MÖbelgerümpel, und mitten in dieser Scene des Elends spielten lustig
die Kinder, als ob nichts geschehen wäre.
Glücklicherweise waren die Sauerkrautfässer, welche ein Fabri-
kant den Obdachlosen als nächtlichen Unterschlupf zur Verfügung
gestellt hatte, zur Zeit unseres Aufenthalts bereits verlassen und durch
Militärzelte oder Baracken ersetzt worden. Aber noch in langen Reihen
lagen diese Bottiche in der Tirnauer und Krakauer Vorstadt.
Dank dem energischen Einschreiten der Militärverwaltung und
der Fürsorge des Landespräsidenten, Baron Hein, hatto man auf allen
öffentlichen Plätzen Zelte aufgestellt, etwa 40 allein auf dem Kongrers-
platz (Fig. 6). Ein Dutzend Mitglieder ärmerer Familien wohnten in
einem jeden, und man hatte sich offenbar schon mit der Situation zurecht
gefunden, denn wo ich auch hineinschaute, herrschten Ordnung und
Sauberkeit. Unter Zelten konnten freilich nicht alle untergebracht
werden, man mufste zu anderen hölzernen Behausungen greifen, um blofs
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461
keine Steine über dem Kopf zu haben. Ganz altmodische Kutschen
aus dem vorigen Jahrhundert wurden wieder ans Tageslicht gezogen;
sie waren in diesen Tagen wertvoller als die schönste Villa und wurden
natürlich möglichst abseits von den Häusern aufgestellt. Ein Spedi-
teur, mit dem wir zu thun hatten, hatte seine Familie in einem Möbel-
wagen untergebracht Aber auch daraus mufste er entfliehen, denn ein
herabfallender Schornstein schlug die Wagendecke ein.
Elend zusammengeflickte Holzgestelle, die mit Laken und Klei-
dungsstücken bedeckt waren, konnte man überall sehen. Manchem
Fig. 5. Lagerleben auf dem Koogrefsplati.
genügte auch schon ein Stuhl mitten auf der Strafse und eine Decke
dazu als nächtliche Lagerstätte; und nun denke man sich den Schmutz,
da der Regen tagelang in Strömen vom Himmel kam.
Not macht bekanntlich erfinderisch, das konnte man in Laibach
überall sehen, und manchen dieser Erdbebenwohnungen haftete etwas
tragikomisches an. Der Hausverwalter des Museums hatte sein Quar-
tier auf der Strafse in einer grofsen Kiste aufgeschlagen, und noch
besser war es mit einem jungen Ehepaar. Auf einem Bauplatz hatte
dasselbe sich ein Dutzend neu gezimmerter Fensterrahmen* mit Latten
zusammenschlagen lassen. In dieser Röhre lagen eine Matratze und
einige Decken, und dies genügte, um die Flitterwochen darin zuzu-
bringen. Ja Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich
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liebend Paar, dies wurde hier zur Thatsache — freilich zur traurigen
Thatsache.
Ergreifend war der Gottesdienst auf den öffentlichen Plätzen.
Wir sahen am Sonntag, acht Tage nach der Katastrophe, die Weiber
uijd Männer auf den Knieen liegen, während bei brennenden Kerzen
unter freiem Himmel die Messe verlesen wurde, der das Gebet: Tem-
pora terrae motus . . . eingeschaltet war. Der Musikpavillon auf dem
Kongrefsplatz war über Nacht ein Gotteshaus geworden.
Beruhigung des Volkes durch die Geistlichkeit, Erweckung neuer
Zuversicht war in diesen schlimmen Tagen, namentlich im Hinblick
auf den Aberglauben der slovenischen Bevölkerung, gewifs ein schönes
Werk. Denn nicht genug kann man das Verhalten derjenigen mifs-
billigen, welche ein geängstigtes und gemartertes Volk durch thörichte
Prophezeiungen noch mehr aufregen. Der Fall ist ja nicht selten da-
gowesen, dafs durch solche unnütze Beängstigungen schwache Frauen
und zarte Kinder vom Nerven fieber befallen sind, date der Wahnsinn
sich eingestellt hat In den Laibacher Zeitungen sah man stets an
erster Stelle die Worte: „Uuhe, Ruhe, keine Verzagtheit, kein un-
nützes Aufregen und Aufregenlassen, denn alle Gefahr ist beseitigt."
An Sibyllen hat es in Laibach natürlich nicht gefehlt, aber die
Polizei machte damit kurzen Prozefs; sie liefs dieselben einfach ein-
stecken.
Von der fürchterlichen Nervosität, die während unserer Anwesen-
heit in der Stadt herrschte, nur einige Beispiele.
Mindestens ein paar Dutzend Leute behaupteten, dafs in der
Schreckensnacht ein riesiger Sternschnuppenfall stattgefunden habe,
und dafs seit dieser Nacht die Sterne viel heller schienen. Von der
Thorheit der letzten Behauptung konnte ich mich persönlich über-
zeugen, aber bezüglich der ersten, welche nur zu sehr an die Omina
des Mittelalters erinnert, war ich auf das Zeugnis urteilsfähiger Leute
angewiesen, wonach es eine ziemlich heitere Nacht mit Mondschein
gewesen sein soll.
Von anderer Seite wurde mir mitgeteilt, dafs eine adelige Dame
in der Umgebung von Laibach einen außergewöhnlichen Stern am
Horizonte aufblitzen sah. Sonstige merkwürdige Lichterscheinungen
will eine ganze Reihe von Leuten wahrgenommen haben.
Dergleichen steckt an, man wird dabei selbst nervös. Kommt
da eines Abends mein Reisebegleiter die Treppe hinaufgelaufen und
in mein Zimmer gestürzt mit dem Ruf: -Kommen Sie herunter,
kommen Sie herunter". Ich denke der Einsturz unseres Hauses ist
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nur noch Sache eines Augenblicks, und im Nu ging es die Treppe
hinunter, Prof. G. hinterdrein. Ich lief mit beiden einige Strafsen
entlang, ohne dafs ich erfuhr, um was es sich handle. Da end-
lich blieb er stehen, und was zeigte er mir da — die Venus am
Himmel, welche ihm aufsergewöhnlich grofs vorkam und ein wenig
zu schwanken schien.1)
Unverschuldet können selbst Gelehrte durch ihre Fachausdrücke
Aufregung veranlassen. Professor Suefs in Wien hatte in einem
Zeitungsbericht geschrieben, Laibach ruhe auf einem „Kinsturzboden".
Fig. R. Zelte auf dem Kongrefaplatz
Dieser geologische terminus technicus hat nun geradezu nieder-
schmetternd auf einzelne, die sich denselben nicht erklären konnten,
gewirkt. Also unsere Stadt wird wirklich in ein tiefes Loch auf
Nimmerwiedersehen versinken, so hiefs es von vielen Seiten, nament-
lich von Seiten der Damen.
Besser sind wir mit einem Orakel weggekommen, ohne dafe es
freilich unsere Absicht war, uns auf das Weissagen zu legen. Es
hiefs in der Neuen Freien Presse und in der Grazer Tagespost: „Zwei
hervorragende Berliner Gelehrte Dr. Schw. und Prof. L. — verehrter1
•) Dieses Sternschwanken, welches man bei Sternen, die nahe am Hori-
zont stehen, beobachtet, ist eine Folgte der Bewegung des Wasserrlunstes in
der Atmosphäre. Dadurch erscheint auch das Gestirn vergröfsert.
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Leser, hier bewahrheitet sich das Sprichwort: der Prophet gilt nichts
in seinem Vaterland — erklärten, die Gefahr sei nach allen Erfah-
rungen der Wissenschaft beseitigt, wenn auch das Ende des nun un-
gefährlichen Ausschwingens der bewegten Erdschichten nicht voraus-
gesagt werden könne.*1 Wie ich schon sagte, sind wir völlig unschul-
dig an diesem Gutachten, das etwas pythisch abgofafst ist. Aber
es sollte sicher einem guten Zweck dienen, nämlich zur Beruhigung
«ler Laibacher Bevölkerung beitragen, und deshalb sind wir auch
„hervorragend" geworden.
Wenn man die vielen kleinen Bedürfnisse in Betracht zieht, die
der Mensch zu seinem Dasein nötig hat, und für die in der Häuslich-
keit durch mehr oder minder bequeme Einrichtungen gesorgt tat,
so wird man es wohl verstehen können, dafs mit dem Lagerleben
auf offener Strafse allerlei Mängel und Unzuträglichkeiten verbunden
waren, die sich nur schwer im ersten Augenblick beseitigen liefsen.
Zur Bereitung der täglichen Nahrung gehörten vor allem Kochöfen,
und es mufsten in diesem Fall transportable sein, denn die in den
Häusern vorhandenen waren zum Teil zerstört oder, soweit sie noch
gebrauchsfähig waren, wer wollte sich der Gefahr aussetzen, dieselben
in den zerstörten Wohnungen zu benutzen.
Die armen Leute mufsten sich ihre Speisen unter freiem Himmel
Fitf. 7. Bereitung der Speisen auf offener Strafse.
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bereiten, und wo ein eiserner Ofen zur Verfügung stand, da teilten
sich zahlreiche Familien in den Gebrauch desselben. Allerorten, auf
dorn Kongrefs- und Marienplatz, in der Krakauer Vorstadt und auf
der Tyrnauer Lände rauchten die Öfen (Fig. 7), dazwischen drängten
sich die blutarmen slovenischen Bewohner, von deren zumeist sehr
kleinen Häusern keines verschont geblieben war.
Unendlich viel Gutes hatte die schnelle Hilfsaktion der freiwilligen
Wiener Rettungsgesellschaft, des Wiener Volksküchenvereins und die
der Gesellschaft des roten Kreuzes zur Linderung der herrschenden
Notlage beigetragen.
Pijf. 8. Küchenwagen auf dem Kongrefsplatz.
Auf dem Kongrefsplatz und auf der Tyrnauer Lände wan n soeben
die Küchenwagen (Flg. 8) aufgestellt worden, die je 2500 Personen tags-
über speisen konnten, und schon lagen scharenweiso die Hungernden
um den Wagen herum. Wir sahen, wie sich Männer und Weiber
herandrängten, die Hände den Spendern entgegenstreckten, Körbe nach
oben hielten und so stundenlang vor Verteilung der Gaben warteten.
Es war ein Drängen und Hasten, dafs schliofslich die Polizei und
Feuerwehr, um Ordnung zu schaffen, eingreifen mufsteu. Lud man
sah es den Leuten an, dafs nicht etwa Habsucht, sondern wirklich
Hunger sie zur Verzweiflung trieb.
Um zwölf Uhr mittags begann die Verteilung der Speisen. Viele
Himmol und Eni. ! ■ XI. I". 30
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46(J
zogen mit ihrem Krug Suppe beglückt ab, manche waren zu schüch-
tern, um sich vorzudrängen.
Doch ich will mich bei diesen Notbildern nicht aufhalten. In-
teressieren dürften vielleicht die Umstände, unter denen wir beiden
Berliner Gäste den ziemlich starken Erdstofs am Montag den 22. April
3 Uhr 52 Minuten nachmittags mitmachten.
Wir waren nach dem Putickschen Hause in der Triesterstrafse
gegangen, um daselbst, wenn thunlich, einen dunklen Raum zum Aus-
wechseln photographischer Platten zu suchen. Wie immer trafen wir
die ganze Hausbewohnerschaft auf dem Hofe neben ihrer Baracke an:
nur die Frau des Herrn Forstkommissär Putick und einige Dienst-
mädchen hielten sich in den Parterreräumen, wo sich die Küchen be-
fanden, auf.
Als der Sohn des Hauswirtes uns bedeutete, dafs sich zwei Treppen
hoch ein geeigneter Üunkelraum befinde, war mein Heisegefährte
schnell oben, während ich mit der ganzen Hausgesellschaft unten blieb.
Ich unterhielt mich gerade mit der Tochter des Regierungsrats R., die
auf einem Balken neben der Baraoke safs und ein Buch von Bertha
von Suttner vor sich hatte, das den allgemeinen Erdfrieden predigte.
Da mit einem Male fuhren wir alle erschreckt auf; ein dumpfes
Geräusch, das sich von fern näherte, verkündete einen neuen Stöfs.
Und nun in demselben Moment begann auch das Zittern des Bodens,
welches sich dem ganzen Körper mitteilte, und das man unwillkürlich
auszubleichen suchte, indem man bald auf dem einen, bald auf dem
andoren Fufs tanzte. Der ganze Vorgang dauerte nur etwa sieben
Sekunden, aber er genügte, um die Nerven mächtig anzuregen. Ein
jeder hatte wohl das Gefühl, was wird sich im nächsten Augenblick
ereignen. Noch ein paar solcher Stöfse, wie sie schon da gewesen
waren, und Laibach konnte in Wirklichkeit eine Trümmerstadt werden.
Kaum hatte das Erdschwanken begonnen, als ein gellender
Sohreckensschrei aus allen Parterreräumen der Häuserfront ertönte
Die Mädchen, welche sich dort aufhielten, stürzten totenbleich auf den
Hof, italienische Arbeiter, die Ausbesserungen am Hause vornehmen
sollten, völlig besinnungslos hinterdrein. Putick eilte an das Fenster,
um seine Frau zu beruhigen.
Für mich waren die darauf folgenden Minuten äufserst marter-
volle. Konnte meinem Kollegen oben zwei Treppen hoch etwas
passiert, vielleicht gar die Decke auf den Kopf gefallen sein? — Als
mir im ersten Augenblick keiner Rede stehen konnte, eilte ich in
wilden Sätzen die Treppe hinauf, gefolgt von den übrigen.
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Wir hatten uns glücklicherweise mehr aulgeregt als mein Hegleiter
in seiner Dunkelkammer. Als er das Dröhnen vernahm und das
Zittern des Hauses eintrat, war er mit einem Satz unter die Holzver-
kleidung der Thür gesprungen, um abzuwarten, was eintreten werde.
Da sich über dem Kopf nichts regte, hatte er den Austausch der
Platten weiter fortgesetzt, allerdings in einem etwas erregten Zustande,
wio ich ihm später nachweisen konnte, — denn sämtliohe Platten
waren verkehrt eingelegt. Weniger stark als dieser Stöfs war ein
weiterer, der uns am andern Morgen aus dem Schlaf weckte; er machte
sich durch das Knacken der Möbel und durch das leise Herabrieseln
des Mauerstaubes in den Rissen der Zimmerwände bemerkbar. Im
ganzen hatten wir während unseres Aufenthaltes vier Stöfse erlebt, von
denen jedoch zwei so schwach waren, dafs sie nur der für die leisesten
Kegungen des Bodens empfindliche Laibacher verspürt haben wollte.
An die verheerenden Stöfse der Schreckensnacht reichte jedoch keiner
derselben heran.
Von Laibach begaben wir uns nach Triest. Diese schöne Adria-
stadt hatte durch das Erdbeben fast gar nicht gelitten. Der Schaden
beschränkte sich auf einige unbedeutende Hisse in den oberen Stock-
werken der Gebäude. Grenzenlos war aber auch hier die Panik in
der Osternacht. 80 000 Einwohner stürzten schlaftrunken ins Freie,
meist auf die Schiffe, wo sie sich sicher glaubten. Ähnlich war es in
Fiume und Pola. In Venedig hatte man, wie ich später hörte, nicht
viel verspürt, aber die Hotels waren im Umsehen leer geworden.
Das Schüttergebiet des Bebens war ungeheuer grofs, etwa
4000 qkm umfassend. Laibach war der Mittelpunkt,' und von dort aus
erstreckte sich die Zone der Verheerungen nach Nordwesten, nach
Krainburg, Radmannsdorf und Stein im Thale der Save.
Wie bei allen gröfseren Erdbeben liers sich die Wellenbewegung
der Erdrinde an feinfühligen Instrumenten auf weite Entfernungen hin '
konstatieren. Die Beobachtungen auf dem Kgl. geodätischen Institut in
Potsdam ergaben gegen Laibach eine Zeitdifferenz von 318 Sekunden,
woraus sich bei der Ortsdistanz von 727 km die Fortpflanzungs-
geschwindigkeit der Welle per Sekunde zu 2,28 km ergiebt.
Während die bisherigen Bilder vom allgemeinen Standpunkt aus
interessant sind, dürften die beiden folgenden Aufnahmen auch für die
wissenschaftliche Erdbebenkunde einige Bedeutung haben. Unser Bild
(Fig. 9) versetzt uns auf den Friedhof von Laibach, wo die Verwüst-
ungen geradezu staunenerregende waren. Grabsteine in Obeliskenform
waren an ihren Fugflächen, an denen sie mit Zement zusammengekittet
IV)*
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4(fö
waren, einlach abgedreht und die Teile um ca. 30" gegen einander
verschoben worden. Die oberen Pyramiden wiesen ausnahmslos diese
Drehung um ihre Vertikalaxe auf, selbst wenn starke Eisenstücke sie
zusammenhielten. Eisenkreuze waren in sich selbst verdreht, ja wir
sahen eins, das samt seinem Fundament herausgerissen und mehrere
Schritte von seinem Standpunkt fortgeschleudert worden war. Porzellan-
engel, die auf Sandsteinsockel standen, waren in Scherben zerschellt,
Marmorbüsten auseinandergerissen.
Man achte ferner auf die eiserne Spitze des Daches der im Hinter-
Pig. Durch das Erdbeben verschobene Grabsteine auf dem Friedhof.
gründe unserer Aufnahme liegenden Kapelle; sie befindet sich in ganz
verschobener Lage, und in ähnlicher Weise war es bei allen Kreuzen
auf den Kirchtürmen Laibaclis der Kai I.
Dieselben Verschiebungen beobachtete man an dem Pfeiler des
Eingangsthors der österreichischen Tabaksfabrik (Fig. 10). Derselbe
war bis zum verschobenen Aufsatz 2,20 m hoch; letzterer bildete ein
Achteck von 1 m Durchmesser und seine Drehung um die Vertikalaxe
betrug 14", wie ich dies mit freundlicher Unterstützung des Herrn
Forstkommissär Putick feststellen konnte.
Man erklärte diese drehenden Bewegungen früher aus dem Zu-
sammentreffen von aus verschiedenen Richtungen kommenden Erdbeben-
wellen, die sich in Form von Wirbelstöfsen äufsern sollten. R. Mallet
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und Lasa alz haben indes gezeigt, dafs dieselben auch durch geradlinige
Stofsbewegungen entstehen können, und zwar dann, wenn der Ilaft-
punkt des betreffenden Körpers nicht in seiner Schwerpunktsaxe liegt.
Experimentell läfst sich dies sehr einfach erläutern. Legt man näm-
lich ein viereckiges Holzklötzchen, das an seiner Unterseite, aber nicht
in deren Mitte (im Schwerpunkt der Unterfläche) eine kleine Nadel-
spitze trägt, auf ein elastisches Brett und drückt die Nadelspitze in
Fig. 10. Drehbewegung eine« Pfeilers der Österreichischen Tabaksfabrik.
dasselbe ein, so genügt ein horizontaler Stöfs an das Brett, um das
Klötzchen in drehende Bewegung zu versetzen. Die horizontale Stofs-
welle wirkt nämlich auf den Schwerpunkt des Holzwürfels, der wegen
seiner Trägheit der Richtung des Stofses entgegen bewegt wird. Da
aber der Würfel aufserhalb der Vertikalaxe seines Schwerpunktes
durch die Nadelspitze festgehalten ist, mufs er um diese als Angel
eine Drehung ausführen.
Ein solch künstlicher Drehpunkt, wie in unserm Beispiel die
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Nadelspitze, ist nun zwar bei den Grabsteinen und Pfeilern meist nicht
vorhanden, indefs meint Lasaulx, dafs Reibungswiderstände, also etwa
kleine Hervorragungen in der Unterlage, welche sich nicht symmetrisch
um die Schwerpunktsaxe des Steinwürfels verteilen, die Stelle einer
künstlichen Drehangel ersetzen könnten.
Dynamisch lärst sich gegen diese Erklärung wohl kaum etwas
einwenden, aber in Hinblick auf die Dutzende von Grabsteinen auf
«lern Laibacher Friedhof, welche alle die nämliche Verschiebung aul-
wiesen, scheint sie uns doch nicht ausreichend zu sein. Unmöglich
konnten die Stellen gröfster Reibung sämtlich außerhalb der Schwer-
Fig, 11. Die Erdbebenzone der Südalpen (nach R. Humes j.
punktsaxe liegen, und überdies waren auch solche Steiuaufsätze
in genau derselben Weise verschoben, welche im Schwerpunkt durch
Eisenpflöcke an einander genietet waren, also eine künstliche Drehaxe
im Sinne der obigen Nadelspitze besafsen.
Am Schlüsse noch ein paar Worte über die Ursache des Erd-
bebens.
Es lag zunächst nahe, an die Höhlen des Karstgebietes zu denken.
Die durch unterirdische Gewässer total unterwühlten Kalkgefilde des
Karstes beginnen ja gleich hinter Laibach und ziehen sich von dort
aus bis Nabresina und Triest hin. Schon vom Kisenbahnzuge aus er-
blickt man die eigentümlichen Karsttrichter oder Dolinen, schachtartige
Vertiefungen, deren Durchmesser zwischen 10 und 1000 m schwankt,
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und bei den Stationen Adelsberg und Divacca beiluden sich die welt-
berühmten Grotten, die Adelsberger und St. Canzian-Höhle, die sich kilo-
meterweit unter dem Erdboden hinziehen. Es lag nahe, sagte ich, an
den Deckeneinsturz solcher Höhlen zu denken, und in der That hatte
sich diese Meinung zunächst verbreitet
Aber wer mit den einschlägigen Verhältnissen einigermaßen
vertraut ist, weife, dafs derartige Höhleueinstürze nur sehr lokale
Wirkungen ausüben; das Laibacher Beben hatte einen viel zu aus-
gedehnten Verbreitungskreis. Die sofortige Untersuchung der Adels-
berger und St. Canzian-Höhle ergab denn auch, dafs darin nicht das
geringste passiert war. Das Beben ist zweifellos ein toktonisches ge-
wesen, wie es in jugendlichen Faltengebirgen und gerade in diesem
Teil der österreichischen Kalkalpen nur zu häufig beobachtet worden
ist. Die Beben von Villach 1348, und später von Elana 1870. Udine
1872, Agram 1880, Wien-Neustadt u. s. w. gehören alle in diese Klasse
der Dislokationsbeben, welche Verrückungen der Erdschollen längs
Spalten und Brüchen in Felsengerüste ihren Ursprung verdanken.
Auch Laibach hat in früheren Jahrhunderten eine ganze Reihe ver-
heerender Erdbebenkatastrophen erlebt, wie dies die Aufzeichnungen
des Krainischen Geschichtsschreibers Johann Weichard Freiherr
von Valvasa in seinem 1689 gedruckten Werke bekunden, so
namentlich in den Jahren 1511 und 1512, dann weiter 1575, 1641 und
1684.
Es ist das Verdienst des berühmten Wiener Geologen E. SueTs,
ferner dasjenige von Hörnes, Bittners, Höfers, Wähners und
anderer Forscher, die lokalen Verhältnisse der österreichischen Beben
näher untersucht zu haben. Die Stofslinien, welche meistens quer zum
Streichen der Ostalpen verlaufen, sind auf der vorstehenden Karte (Fig. 1 1,
nach Hörnes) eingezeichnet. Durch die Erkenntnis, dafs diese Stofs-
oder Bebenlinien nicht regellos verteilt, sondern an bestimmte, immer
wieder erschütterte Linien gebunden sind, denen in der Regel eine
tektonische Bedeutung zukommt, indem sie mit Bruch- oder Störungs-
linien zusammenfallen, ja sich meist orographisch als solche erkennen
lassen, ist ein neuer Fortschritt in der dynamischen Geologie ange-
bahnt, der sicher einmal für die Krdbebenprognosen von praktischer
Bedeutung werden wird '-).
'J Diesen Zusammenhang zwischen tektonischen und Bebonlinicn konnte
Suefs besonders für die von Wien nach Wioner=Neustadt verlaufende Bruch-
linie (Thermallinio), ferner für eine von Wiencr=NTeustftrtt sich nach Böhmen
erstreckende Linie (Kamplinie) und eine sich sudlich anschlielsende, welche
durch das Mürzthal und über den Scmmering nach Steiermark eindringt,
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Doch bei anderer Gelegenheit mehr von den Theorien. Wer die
Verhältnisse, die sich in einer von Erdbeben betroffenen Stadt ab-
spielen, auch nur zum Teil aus eigener Anschauung kennen gelernt
hat, bei dem überwiegen die sinnlichen Kindrücke, der weifs, dafs rein
menschliche Bilder sich überall in den Vordergrund drängen. Diese,
nicht Theorien, wollte ich in erster Linie hier vorführen, und ich
glaube, dafs ich dies so objektiv wie möglich gethan habe. Mögen
auch meine Laibacher Freunde entschuldigen, wenn sie diese Blätter
in die Hand bekommen und so an Tage erinnert werden, die für alle
Beteiligten Tage der Betrübnis waren.
(Mürzlinic) nachweisen. Orographisch ist vor alten die Thermaüinie ausge-
zeichnet, an der die Kalkalpen plötzlich abbrechen und sich das Wiener Sen-
kuugsfeld anlehnt. Die dort zahlreich auftretenden Thermen stehen mit diesem
Bruch in Verbindung.
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Reichtum einzelner Sternhaufen an veränderlichen Sternen.
Der Ameisen-Fleifs des unter der Leitung- von E. C. Pickering
am Observatorium dos Harvard College arbeitenden Stabes von
40 Astronomen und Astronominnen hat wiederum eine interessante Ent-
deckung- gezeitigt, die ohne ein in so grofsem Stil organisiertes Zu-
sammenarbeiten zahlreicher Kräfte wohl noch lange hätte auf sich
warten lassen. Der Leiter der von uns schon oft erwähnten, seit
»•inigen Jahren in Arequipa errichteten Filiale des Harvard-Instituts,
Pn>t. Bailey, hat nämlich auf Grund zahlreicher photographischer
Aufnahmen die merkwürdige Thatsache konstatiert, dafs gewisse ver-
dichtete, kugelförmige Sternhaufen in auffallendem Grade reich an
veränderlichen Sternen sind. Untersucht wurden bisher 23 Stern-
haufen, in denen 19050 Sterne in Bezug auf Veränderlichkeit geprüft
und 500 (also etwa 8 pCt.) als veränderliche aufgefunden wurden. Bei
näherem Zusehen ergiebt sich aber, dafs durchaus nicht alle Stern-
haufen an dieser hoben Prozentzahl partizipieren. Vielmehr sind es
unter den 23 untersuchten Objekten nur 4, die überaus reich an Ver-
änderlichen sind. Diese vier, zu denen auch der berühmte Sternhaufen
Centauri ') gehört, enthalten 7 pCt. veränderliche Sterne, während
die übrigen 19 Sternhaufen nur weniger als 1 pCt. ergeben.
über die Verhältnisse des herrlichen Sternhaufens im Centauren
giebt das 33. Zirkular des Harvard College Obscrvatory bereits nähere
Auskunft. Von den 0400 Sternen, welche die 150 aufgenommenen
Negative erkennen lassen, waren 3000 hell und deutlich genug, um
eine Helligkeitsmessung zu gestatten. Die von Bailey und Mifs Le-
1 and ausgeführten 10000 Messungen stellten 125 Variaide (4,2 pCt. der
Gesamtzahl) fest, so daTs in Bezug auf die Häufigkeit der Veränderlichen
') Eine vortrefflich«* Reproduktion einer Baileyschen Aufnahme dieses
Objekts wurde unseren Lesern im siebenten Bande dieser Zeitschrift (Seite 1>7|
vorgeführt.
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474
dieser Sternhaufen noch weit hinter Messier 3 (in den Jagdhunden»
mit 15 pCt. Variablen zurückbleibt.
Die Periodendauer ist bis jetzt bei 106 Veränderlichen des Cen-
tauren-Sternhaufens ermittelt worden. Dieselbe schwankt zwischen
6 Stunden 11 Minuten einerseits und 475 Tagen andererseits; es über-
wiegen jedoch die kurzen Perioden, denn bei 98 Sternen vollzieht sich
der Lichtwechsel, dessen Betrag übrigens nie weniger als eine halbe
üröfsenklasse beträgt, in einem Falle sogar 5 Gröfsenklassen ausmacht,
in weniger als 24 Stunden. Die Lichtkurve der meisten Veränder-
lichen von u> Centauri verläuft außerordentlich regelmäßig, indem sif
eine beständige Helligkeitsäuderung anzeigt, bei der allerdings die
Zeit des Zunehmens nur etwa ein Fünftel oder einen noch kleineren
Bruchteil der ganzen Periode ausmacht. Indessen sind auch einzelne
Sterne vorhanden, deren Lichtwechsel einen komplizierteren oder un-
gewöhnlichen Verlauf nimmt. Elöchst merkwürdig ist jedenfalls die
grofse Regelmäßigkeit, mit der sich die Schwankungen immer wieder-
holen; bei einem Stern hat man bereits mehr als 5000 Perioden in
völlig ungestörter Uegolmäfsigkeit verfolgen können.
Wenn man eine Erklärung für diese merkwürdigen Thatsaehen
sucht, so wird man in erster Linie natürlich an Pickerings Yer-
finsterungstheorie und an Zöllners Rotationstheorie-') zu denken haben,
doch ist es wohl bis jetzt noch nicht an der Zeit, näher auf Hypothesen
einzugehen. Jedenfalls würde die Annahme irgend welcher Be-
wegungsvorgänge uns am ehesten befriedigon können, zumal dadurch
auch verständlich werden würde, dafs ein so nahe mit <u Centauri und
Messier 3 verwandtes Objekt wie der grofse Herkulessternhaufen 3) unter
1000 Sternen nur 2 Veränderliche aufweist, also ganz auffallend arm
an Variablen ist. Eine gemeinsame Ebene der Bahnbewegungeu oder
Axendrehungen der Mitglieder eines jeden kugelförmigen Stern-
haufens würde dann nämlich solche auffallenden Unterschiede, wie wir
eben hervorgehoben haben, nach Pickering begreiflich machen.
Bei den an Veränderlichen reichen Sternhaufen würde unser Stand-
punkt jedenfalls nahe dieser gemeinsamen Drehungsebene anzunehmen
'*) Pickering hat zuerst den Lichtwechsel des Algol durch die später
glänzend bestätigte Annahme erklärt, dafs der Stern von einom grofse u, duiik-
leu Begloiter umkreist werde, der uns in regelmäßigen Zwischenräumen den
leuchtenden Zentralkürper vordeckt. Zöllner glaubte die regelmäßigen Licht-
schwankungen einer anderen Gruppe von Veränderlichen auf ungleiche Leucht-
kraft dor Oberllächenteile in Verbindung mit der Wirkung der Rotation der
Gestirne zurückfübren zu sollen.
*) Vergl. Himmel und Erde, Bd. VI, Seite 105 f.
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47ö
sein, während die gemeinsame Ebene des Herkulessternhaufens auf
der Gesichtslinie annähernd senkrecht stehend zu denken wäre, so dafs
weder durch Rotation noch durch Umlaufsbewegungen der Sterne
irgend weiche Lichtschwankungen hervorgerufen werden könnten.
F. Kbr.
Entdeckung der Sonnenfinsternis des Agathocles auf einer Inschrift.
Diodor erwähnt in seinem 20. Buche, dafs Agathocles, Tyrann
von Syrakus, um der Bedrängung durch die karthagischen Schiffe zu
entgehen, den Plan fafste, dio Karthager in ihrem eigenen Lande anzu-
greifen. Als er von Syrakus mit einer Flotte zu diesem kühnen Zuge aus-
lief, geschah es, dafs sich am hellen Tage plötzlich die Sonne ganz ver-
finsterte und überall Sterne am Himmel sichtbar wurden. Diese totale
Sonnenfinsternis, die zu der Zeit vorfiel, als Hieromnemon Archont
von Athen war, ereignete sich, wie vorschiedentliche astronomische
Untersuchungen ergeben haben, am 15. August 310 vor Christi. Die
Finsternis hat für die theoretische Astronomie eine besondere Wichtig-
keit erlangt, da sich der Ort, wo Agathocles zur Zeit der Sonnen-
finsternis segelte, ungefähr bestimmen läfst, und man daher auch die
aus unserer Mondtheorie folgende Lage der Zentralitätszone der
Finsternis mit der faktisch stattgefundenen Zone vergleichen, und also
entsprechende Schlüsse auf Verbesserung der Theorie ziehen kann.
Jedoch bildete Diodors Bericht bisher das einzige vorhandene Zeug-
nis über die Wahrnehmung jener großen Finsternis des Altertums,
denn Justin, der die Finsternis ebenfalls erwähnt, hat seine Nach-
richt wahrscheinlich aus derselben historischen Quelle geschöpft wie
Diodor. Vor einiger Zeit hat sich nun in ganz unerwarteter Weise
eine weitere Bestätigung der Finsternis vorgefunden. Die Erwäh-
nung derselben ist nämlich auch auf einem neuerdings entdeckten
Bruchstücke der sogenannten „parischen Marmorchronik" enthalten.
Die parische Marmorchronik besteht aus mehreren Steinstücken, die
mit Inschriften von hohem Alter bedeckt sind. Der Hauptrest
wurde bei Gelegenheit von Bauten auf der Insel Paros aufgefunden;
Lord Arundel liefs ihn 1626 nach England bringen, wo er sich
derzoit im Museum zu Oxford aufgestellt befindet. Diese parische
Marmorchronik ist nun durch den Umstand, dafs die Inschrift des
Marmors eine kurze Übersicht der wichtigsten Ereignisse der
griechischen Geschichte bis zum Jahre 264 v. Chr. geben will, eines
der wichtigsten Dokumente für die Oeschichtsforschung geworden und
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476
zwar sind bei der Aufzählung der Thatsachen jedesmal die Namen der
athenischen Archonten (der höchsten Magistratsperson, deren Amtsjahr
die griechische Zeitrechnung vielfach anführt) genannt, in deren Amts-
zeit das betreffende Ereignis fällt. Das bisher bekannte Bruchstück
der Chronik reicht indessen nicht bis 264 v. Chr., sondern nur bis
355 v. Chr., so dafs also die Existenz eines Restes der Marmortafel
vorausgesetzt werden durfte. Im Jahre 1897 fand nun ein Gutsbesitzer
auf der Insel Paros in der Nähe des Städtchens Parikia bei Nach-
grabungen an einer Stelle, die schon früher wegen dort vorhandener
unterirdischer Gewölbe u. dgl. bekannt gewesen war, eine zerbrochene
Marmorplatte, deren Untersuchung durch Archäologen keinen Zweifel
daran liefs, dafs man es hier mit einem weiteren Bruchstücke der
parischen Marmorchronik zu thun habe. Die Platte enthält in ihrer
Inschrift eine Fortsetzung der Chronik der Zeitereignisse vom Jahre
336 bis 299 v. Chr., so dafs also, da die Chronik angeblich mit 264
v. Chr. abschliefsen soll, das Vorhandensein eines noch weiteren
Bruchstückes oder mehrerer Theile vorausgesetzt werden darf. Nach
den Dimensionen des Fundes zu urteilen, mufs' die Gesamthöhe der
ehemaligen Inschrift fläche über 2 Meter betragen haben. Wie die im
letzten Jahrgange der Mitteilungen des deutschen archäologischen
Institutes zu Athen erfolgte Veröffentlichung der Inschrift des neuen
Marmorbruchstückes erkennen läfst, erwähnt die Chronik auf der
20. Zeile unter dem Archonten Polemon eine Sonnenfinsternis uud
gleichzeitig des Ptolemaios Sieg bei Guza über Demetrios und
des Seleukos Sendung nach Babylon. Da das Amtsjahr Polemons
312 bis 311 v. Chr. ist und dio Schlacht bei Gaza ins Frühjahr 312
füllt, so müfste hier wohl auoh eine 312 oder 311 vorgefallene Sonnen-
finsternis gemeint sein. Überdies kann es sich nur um eine sehr
bedeutende Finsternis, d. h. um eine zentrale uud wahrscheinlich für
Paros oder doch wenigstens Athen sehr beträchtliche handeln, da die
Marmorchronik, wie gesagt, nur von den bemerkenswertesten Er-
eignissen und zwar in kurzer annalistischer Form Meldung macht.
Die astronomische Berechnung der Sonnenfinsternisse für jene Zeit
ergiebt aber, dafs von 317 v. Chr. bis 310 keine halbwegs nennens-
werte Sonnenfinsternis für Griechenland und dessen Inselgruppen
möglich gewesen ist, mit Ausnahme der berühmten Sonnenfinsternis
des Agathocles, die am 15. August 310 v. Chr. stattgefunden hat.
Die Zentralitätszone dieser Finsternis lief nach einem vom Verfasser
dieses Berichtes eben veröffentlichten Werke, welches über die Sicht-
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barkeitsverhältnisse der Finsternisse eines bedeutenden Zeitraumes
detaillierte Auskünfte giebt,*) nicht nur über Sizilien, wo die Totalität
den Tyrannen Agathooles erschreckte, sondern auch über Griechen-
land, und zwar lag Athen innerhalb der Zone, so dafs dort die
Phase der Verfinsterung ebenfalls total war. Die Insel Faros liegt
etwas südlich von der Zentralitätszone der Finsternis, jedoch so wenig
davon entfernt, dafs auf Paros die Phase immer noch über 106/ioZoll
betragen haben mufs. Möglicherweise kann also die Sonnenfinsternis
von Bewohnern der Insel selbst bemerkt worden sein, und der Verfasser
der Marmorchronik verzeichnete sie deshalb als ein denkwürdiges
Ereignis auf der Marmortafel, oder die Nachricht über die grofse
Finsternis stammte aus Athen und wurde gleichzeitig mit anderen
Nachrichten der Chronik einverleibt. Die parische Marmorohronik
setzt also die Sonnenfinsternis irrtümlicherweise unter den Arohonten
Polemon, während sie unter die Ereignisse zu Zeiten des Archonten
Hieromnemon (310 v. Chr.) eingereiht werden sollte. Übrigens giebt
die Marmorchronik für den kühnen 7ug des Agathocles gegen
Karthago die Zeit des Archonten Hieromnemon selbst an, so dafs
kein Zweifel darüber besteht, dafs dem Verfasser der Marmorchrouik das
richtige Datum der Finsternis nicht mehr gegenwärtig war und die
Differenz von 1 bis 2 Jahren nur ein Gedächtnisfehler ist. Nachdem
die gebildete Welt durch Jahrhunderte hindurch über die Finsternis
des Agathocles nur ein schriftliches Zeugnis besäte, erhält sie
darüber also jetzt noch eine andere, sozusagen steinerne Bestätigung.
G.
Die Temperatur des Mondes, über die von verschiedenen
Forschern bisher meist noch sehr verschiedene Vermutungen aufge-
stellt wurden, ist neuerdings von Frank W. Very zum Gegenstand
einer bolometrischen Untersuchung gewählt worden. Unter Anwendung
von Methoden, auf die wir hier nicht eingehen können, lindet
eine durchschnittliche Vollmondtemperatur von + 97° C. Entgegen
der früher vielfach geäufserten Meinung, dafs der Mangel einer Atmo-
sphäre auf dem Monde jede erhebliche Erhöhung der Oberflächen-
temperatur trotz intensiver Sonnenstrahlung ausschliefen dürfte, glaubt
*) F. K. Ginzel, Spezieller Kanon der Sonnen- u. Mondllnstemisse für
das Ländergobiet der klassischen Altertumswissenschaften, von i»00 v. Chr. bis
GOO n. Chr. Bearbeitet auf Kosten und herausgegeben mit Unterstützung der
Königl. i>reuss. Akad. d. Wissensch. — Berlin, Mayer u. Müller, 18'J'J.
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478
also Very doch auf eine infolge der langen Tagesdauer •) fast bis
zum Siedepunkt des Wassers steigende Erhitzung der Mondoberfläche
schliersen zu müssen, die allerdings bei Vorhandensein einer Atmo-
sphäre noch erheblich steigen würde. Sicherlich folgt der hohen
Mittagstemperatur während der 14tägigen Nacht bei der durch nichts
gehinderten Ausstrahlung der Wärme in den Weltraum eine enorme
Abkühlung, welche bis nahe auf die Temperatur des Weltraums zurück-
führen mufs.
*
Blitzableiter für elektrische Leitungen.
Einer der Hauptvorzüge der unterirdisch verlegten Kabel ist die
Sicherheit gegen Blitzgefahr. Bei den Telegraphen- und Telephon-
leitungen benutzt man wegen des billigeren Preises, bei der Über-
tragung hochgespannter Ströme wegen der leichteren Isolation in den
meisten Fällen Freileitungen, und man wird somit vor die Notwen-
digkeit gestellt, durch eine passende Blitzschutzvorrichtung die Leitung
und das in ihrer Nähe arbeitende Personal zu schützen. Bei den
Schwachstromleitungen ist dies verhältnismäfsig leicht. Man hat nur
von mehreren Stellen der Leitung aus einen Draht nach der Erde zu
ziehen und mit ihr in bekannter Weise in gut leitende Verbindung
zu bringen. Um zu vermeiden, dafs der Betriebsstrom durch diese
Leitung ebenfalls abflierse, wird in dieselbe eine Unterbrechungsstelle
eingeschaltet von einer so geringen Länge, dafs der Blitz sie ohne
weiteres zu überspringen vermag, während dies für den niedrig ge-
spannten Betriebsstrom nicht möglich ist. Ein bekanntes Beispiel der-
artiger Blitzschutzvorrichtungen bildet der Plattenblitzableiter: er be-
steht aus zwei durch ein Stück paraffingetränkten Papieres von ein-
ander getrennten Metallplatten, deren eine mit der Leitung verbunden
ist, während die zweite mit der Erde in Verbindung steht. Hier wird
das Papier von dem Blitze leicht durchschlagen. Ganz ähnlich ist der
von der Post zur Sicherung der Fernsprechapparate benutzte Spindel-
blitzableiter eingerichtet, bei welchem ein Stück des Leitungsdrahtes
durch eine dünne Seidenumspinnung isoliert ist, während an der
Aufsenseite dieser isolierenden Schicht ein nach der Erde führender
Draht liegt.
*) Bekanntlich dauert der Sonnenschein an jedem Punkte der Mond-
oherfläche volle 14 unserer Tage, da die Rotationsdauer des Mondes nüt der
Dauer seine» Umlaufes um die Erde zusammenfällt.
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Nicht ganz so einfach ist es, eine Starkstromleitung zu sichern,
da sich nach erfolgtem Übergang eines Funkens ein Flammenl)ogen
bildet, welcher nunmehr die Leitung dauernd in Verbindung mit der
Erde hält. Liegt der zweite Pol der die Leitung speisenden Dynamo-
maschine an Erde, was beispielsweise bei Strafsen bahnen mit oberir-
discher Stromzuführung der Fall ist, so veranlafst der durch den Blitz
herbeigeführte Erdschiurs die Entstehung eines sehr starken Stromes,
der die Leitung zum Schmelzen bringen oder sonstiges Unheil an-
richten könnte. Man mufs also den sich bildenden Flammenbogen
möglichst schnell zu beseitigen trachten. Zu diesem Zwecke hat man
mannigfache Vorrichtungen ersonnen. Man leitet z. B. den durch den
Flammenbogen von einer Platte des Blitzableiters zur andern gehenden
Strom noch durch einen Elektromagneten; dieser zieht ein Eisenstück an,
welches mit einer der beiden Blitzplatten in Verbindung steht, und
dadurch wird diese Platte von der ihr gegenüberstehenden um ein
betriichtliches Stück entfernt, der Flammenbogen also zerrissen. Die
Einrichtung solcher Vorrichtungen ist zumeist derartig, dafe sie nach
dem Funktionieren in ihre richtige Lage gebracht werden müssen,
also nicht wieder selbstfhütig gebrauchsfertig werden. Man kann
aber auch den Elektromagneten so aufstellen, dafs sich der Flammen-
bogen quer zwischen seinen Polen hindurchziehen mute. In diesem
Fall spielt sich die umgekehrte Erscheinung ab wie bei der Ab-
lenkung der Magnetnadel, d. h. der Flammenbogen, der ja einen be-
weglichen Stromleiter darstellt, wird zur Seite gedrängt und auf diese
Weise zerreifst er ebenfalls. Alle Einrichtungen, welche Elektro-
magnete benutzen, sind nicht ganz einwandfrei, da elektrische Ent-
ladungen dem Wege durch die Windungen einer Drahtrolle leicht
irgend einen Nebenweg vorziehen.
Die denkbar einfachste Lösung der Aufgabe scheint eine Kon-
struktion von Siemens und Ilalske zu bilden, welche Hörner-
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blitzableiter genannt wird und umstehend abgebildet ist. Hier
springt der Blitz zwischen zwei Drahtbügeln über, welche unten nahe
an einander stehen, sich aber nach oben hönierförmig von einander
entfernen. Der gebildete Flammen bogen wird durch die erwärmte
und dann aufsteigende Luft in die Höhe getrieben; dieses Aufsteigen
wird noch dadurch unterstützt, dafs die von dem Strome umschlossene
Fläche, also die Fläche zwischen den Bügeln und dem Flammenbogen
sich möglichst zu vergröfsern sucht, ein Bestreben, das auf die gegen-
seitige Abstofsung der in entgegengesetztem Sinne durchströmten ein-
ander gegenüberliegenden Teile des Stromkreises zurückzuführen ist.
Aus diesen beiden Ursachen steigt also der Plammenbogen nach oben,
dadurch wird er länger und zerreifst. Unser Titelblatt zeigt einen
solchen Blitzableiter in Funktion, und zwar unter dem Einflüsse eines
Stromes von 10 000 Volt Spannung. Das eine Bild giebt eine Dauer-
fchfnahme von etwa 2 Sekunden, während deren der Lichtbogen nach
oben wandert und erlischt. Das zweite Bild stellt eine Reihe von
Aufnahmen dar, welche mit Hilfe eines sich abwechselnd öffnenden
und schliefsenden Momentverschlusses gemacht wurden. Man sieht
hier also den Flammenbogen in einzelnen Stadien.
Die Beamten der elektrischen Centrale in Brakpan (Südafrika)
berichten, dafs am 1 1. März dieses Jahres ein solcher Blitzableiter fast
während des ganzes Nachmittages im Betriebe war; einmal traten
während 10 Minuten 72 Entladungen und durch sie hervorgerufene
Flammenbogen auf; die aber keinerlei Störungen im Gefolge hatten.
Es scheint also, dafs die einfache aber recht interessante Vorrichtung
ihren Zweck sicher zu erfüllen vermag. Sp
Verlag: Hermann I'»etel in Berlin. — Drock: Wilhelm Oronan'e Bochdroekerei in Berlin - Schön#b«rr
Für die RedacUon verantwortlich: Dr. P. Schwehn ia Berlin.
Unberechtigter Nachdruck an« den Inhalt dieser Zeitschrift untersagt.
Überaetxangereeht vorbehalten.
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■
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Förderungs-Anlage.
Waschmaschinen für blaue Erde.
Zu „Südafrikas Diamanten",
Google
Die Meeresforschung
der Gegenwart, ihre Ergebnisse und Probleme.
e Von P. Joh. Müller in Zittau.
c^Schon in den ältesten Zeiten hat das Meer mit seinen wechsel-
vollen grofsartigen Erscheinungen, seiner elementaren Gewalt,
seiner nie rastenden, zerstörenden und wieder aufbauenden
Thätigkeit, seiner auf die Gestaltung der Küsten und der Lebensweise
ihrer Bewohner tief eingreifenden Wirkung, seinem reichen Tier- und
Pflanzenleben die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich gelenkt
und dieselben zu tieferem Nachdenken und ernsterem Studium an-
geregt Doch eine richtige und gründliche Kenntnis der Meeresver-
hältnisse ist erst eine Errungenschaft der Gegenwart in ihren letzten
Jahrzehnten.
Die Triebfeder dazu waren zunächst praktische Interessen. Die-
Legung der Telegraphenkabel erforderte eine vorausgehende Lotung
der Meerestiefen und eine sorgfältige Untersuchung des Meeresgrundes.
Das erste Kabel wurde 1850 zwischen Dover und Calais gelegt, und
die unterseeische Verbindung zwischen Europa und Amerika durch
das Riesenschiff Great Eastern 1866 ausgeführt Gegenwärtig sind
alle Erdteile durch Kabel verbunden, so dafs man z. B. von London
aus nach allen überseeischen Handelsplätzen von Bedeutung tele-
graphieren kann. Aber auch der Grofsfischereibetriob hat durch die
Meeresforschung eine ungeahnte Förderung erfahren, indem sie die
Gesetze erkundete, welche die Kolonnen der Wanderfische in be-
stimmte Bahnen leiten. Die Seeschiffahrt aber ist nicht nur in ganz
neue Wege gelenkt worden, sondern erfolgt auch heutzutage fast mit
der Pünktlichkeit und Sicherheit kontinentaler Verkehrsmittel, wofür
Himmel und Erde. 1899. XI. II. 31
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die vom Deutschen Reiche subventionierten Postdampfer des 1854 ge-
gründeten Norddeutschen Lloyd ein beredtes Zeugnis ablegen.
Diesen rein praktischen Interessen reihen sich aber wissenschaft-
liche von der höchsten und weittragendsten Bedeutung an. Epoche-
machend für die Meereskunde waren zunächst die drei grofsen von
Deutschland, England und Amerika in den siebenziger Jahren unter-
nommenen wissenschaftlichen Expeditionen der Korvetten Gazelle.
Challenger und Tuscarora.
Die Gazelle durchkreuzte 1874 — 76 unter dem Kommando des
Kapitäns zur See, Freiherrn v. Schleinitz, den Atlantischen Ozean;
der Challenger stand während seiner langen Reise 1872 — 76 unter
Kapitän Nares und später unter Kapitän Thomson. Die Bearbei-
tung des gesamten Materials dieser Weltumsegelung beschäftigte bis
1895 einen Stab von sieben ausgezeichneten Naturforschern. In einer
Reihe von nicht weniger als 50 grofsen Bänden, von denen allein der
zoologische Teil gegen 50 M kostet, sind die Resultate ihrer Arbeit
niedergelegt. Die Amerikaner wählten als Arbeitsfeld den Teil des
Atlantischen Ozeans längs der Antillen, sowie die Südsee von der
Westküste Mexikos bis zur weltverlorenen Inselgruppe der Galapagos
und zur Küste Japans. Der österreichische Dampfer Pola untersucht
gegenwärtig Mittelmeer und Rotes Meer, ein russisches Kanonenboot
den Kaspisee. Nord- und Ostsee stehen unter alljährlicher fortlaufen-
der Beobachtung, an welcher Prof. Krümmel in Kiel rühmenswerten
Anteil nimmt Eine deutsche Südpolexpedition wird unter Leitung
des Grönlandforsohors von Drygalski ausgesendet, während die bel-
gische unter Leutnant Gerlachen, die im Sommer 1897 ihre Reise
nach der Antarktis antrat, seit 13. Januar 1898 leider verschollen ist*)
Glücklich löste dagegen der unlängst zurückgekehrte deutsohe Dampfer
Valdivia unter Leitung des Leipzigor Professors Chun seine Aufgabe,
an den afrikanischen Küsten, zumal des Indischen Ozeans, namentlich
aber auch im südlichen Eismeer Untersuchungen über das Plankton,
d. h. die schwimmende Pflanzen- und Tierwelt der Meeresoberfläche
anzustellen und dabei Lotungen der ozeanischen Tiefen auszuführen.
Solche Expeditionen müssen natürlich, um erfolgreich zu sein,
Instrumente ganz besonderer Art mitführen, die mit viel Scharfsinn
erdacht und auf eine hohe Stufe der Vollkommenheit gebracht wor-
den sind.
Zu Lotungen der Meerestiefen bediente man sich anfangs nur
*) Ist neuerdings zurückgekehrt, aber wenig über 71° a. Br. hinaus-
gekommen.
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eines Hanfseiles von 2 — 3 cm Dicke, an welchem eine Bleikugel oder
ein Eisenzylinder befestigt waren, der sich beim Aufstoßen auf den
Meeresgrund loslöste und liegen blieb, so dafs dadurch die er-
reichte Tiefe verraten wurde. Später erhielt zunächst das zylindrische
Lot eine Bodenhöhlung, die mit Talg gefüllt war. An demselben haf-
teten dann die Bestandteile des Grundes, die freilich auf dem langen
Wege zur Meeresoberfläche meist wieder abgewaschen wurden. Des-
halb versah man das Lot mit einer Kammer, die unten durch ein
Schmetterlingsventil verschlossen war; es öffnete sich beim Ein-
dringen in den Meeresboden und die Kammer füllte sich mit Tiefsee-
schlamm. Beim Aufholen des Lotes wurde das Ventil durch den
Wasserdruck wieder geschlossen, so dafs niohts herausfallen konnte.
Ein schnelleres Hinabgleiten des Lotes erzielte man duroh Zentnerge-
wichte, die beim Aufstofsen sich loslösten, was man am Schlaffwerden
der Leine erkannte. Da nun aber ein Hanfseil von 8000 m Länge aus
einem Stücke sein mute, daher viel Geld kostet und schon an und
Tür sich mehrere Zentner wiegt, so verwendet man jetzt fast nur noch
Klaviersaitendraht. Von diesem wiegen 8000 m nur 1 Zentner bei
einer Tragkraft von mindestens 2 Zentnern und kosten doch nur
15 M. Mit einem derartigen Apparate vermochte Sigsbee in einem
Jahre allein 2000 Lotungen auszuführen, ohne auch nur 1 m Draht
zu verlieren, während es der Challenger täglich nur bis zu zwei Lo-
tungen brachte. — Das Hinabgleiten der Leine beansprucht bei einer
Tiefe von 3000 m schon 60 Minuten Zeit, wobei sich die Ablaufsge-
schwindigkeit stetig verringert. Trotz der geringen Zusaramendrück-
barkeit des Seewassers ist nämlich dasselbe in den grofsen Tiefen
des Ozeans schon erheblich komprimiert. Wird doch die Wassersäule
am Grunde der Ozeane durch ihren eigenen Druck um 200 m verkürzt
Der Spiegel der Meere würde 35 m höher stehen und eine Fläche wie
Rufsland, nämlich 5 Mill. qkm Festland, überfluten, wenn das Meer-
wasser nicht zusammendrückbar wäre. Naturgemäfs steigert sich mit
zunehmender Tiefe sein spezifisches Gewicht, so dafs das Lot immer
langsamer sinken mute. Das Wiederaufwinden desselben beansprucht
eine Zeit von 1 — 2 Stunden.
Einen genialen, aber der Vervollkommnung doch noch recht be-
dürftigen Apparat hat W. von Siemens erfundon. Da mit der Tiefe
des Wassers die Entfernung des Schiffes von dem erheblich schwereren
Meeresgrunde wechselt, so mufs sich auch die Anziehung des Grundes
auf einen im Schiffe befindlichen Körper ändern. Siemens nahm nun eine
1 m lange Röhre mit trichterförmigem, nach abwärts gerichtetem Ende,
31*
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verschlofs dieses mit einem sehr dünnen elastischen Stahlblech und
füllte etwas Quecksilber darüber. Sobald nun das Quecksilber an
seichten Stellen vom nahen Meeresgrunde stärker angezogen wurde,
wölbte sich das Bleoh nach unten, über grosseren Tiefen dagegen
flachte es sich ab. Diese freilich nur winzige Verschiebung der Stahl-
membran wurde mittelst einer Mikrometerschraube gemessen. Bei
nicht zu grofsen Tiefen erhielt mau so ein ganz befriedigendes Re-
sultat, welohes mit der Lotleine kontrolliert wurde.
Um Bodenproben und Tiefseeorganismen in gröfserer Menge,
letztere womöglich lebend, ans Tageslicht zu befördern, bedient man
sich des Schleppnetzes und der Tiefseereuse. Während das Netz
längere Strecken hinter dem Schiffe hergezogen wird und dabei mit
den scharfen Rändern seines Rahmens den Meeresgrund durchpflügt,
verharrt die Reuse ruhig in der Tiefe. In ihrem Innern ist eine
elektrische Glühlampe angebracht, für welche die Drähte den Strom
liefern, die den Apparat in die Tiefe sinken lassen. Durch das elek-
trische Licht wird ein grofser Umkreis erhellt und die hier befind-
liche Tierwelt in das Gefängnis gelockt, das sich beim Hinaufwinden
automatisch schliefst, so dafs kein Entweichen des Inhalts möglich ist.
Es ist sogar gelungen, vermittelst eines in mäfsige Tiefen versenkten
photographischen Apparates gleichfalls unter Mitwirkung des elek-
trischen Lichtes ein Stück Meeresgrund zu photographieren. Wunder-
lich genug sieht eine solche Photographie aus, bei deren Anblick
man sich in eine Märchenwelt versetzt glaubt. Korallen verschiedener
Art bilden z. B. in der Floridastrafse förmliche unterseeische Schlösser
mit Zinnen und Erkern, Türmchen und Bastionen. Dazwischen be-
finden sich Gärten, bewachsen mit Seetang und Seeanemonen; darin
niedliohe Gitter- und Glasschwämme, garneelenartige Krebstierchen,
das abenteuerliche Medusen haupt, seltsam geformte Haar- und
Schlangensterne, Seescheiden, Seelilien und Seerosen, wie Pilze fest-
gewaohsen mit staubfädenähnlichen Fangarmen; sonderbare Leucht-
fische mit hervorquellenden Augen und gezähntem Rachen, Assel-
spinnen mit strohhalmdünnen Beinen gleich wandelnden Skeletten, auf
Beute lauernde Krebse mit drohend gehobener Schere.
Wasserproben bringt man aus allen Tiefen durch automatisch
wirkende Schöpfapparate herauf, um sie an Bord des Schiffes che-
misch zu untersuchen und so die Lebensbedingungen der Tiefsee-
organismen zu ergründen, über die Marshall hochinteressante Auf-
schlüsse giebt und Häckel wunderbares zu erzählen weifs.
Die Temperatur in verschudem n Meerestiefen zeigen an der
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Lotleine in gewissen Abständen befestigte Tiefseeth ermometer an.
Ein solches im Werte von etwa 45 M. mute in 8000 m Tiefe einen
Druck von 16 Zentnern aushalten können, daher einen doppelten
Mantel haben, dessen Zwischenraum mit komprimierter Luft gefüllt
ist. Der Challenger wendete statt der immer noch leicht zerbrech-
lichen Thermometer, die, wenn sie, wie z. B. im Schwarzen Meere,
aus kälteren in wärmere Schichten hinabgleiten, obendrein falsche
Angaben machen, versuchsweise Klaviersaitendraht und den galva-
nischen Strom an. Temperatur- Ab- und -Zunahme ändert den Leitungs-
widerstand des Drahtes und somit auch die Stärke des Stromes.
Dessen Schwankungen lassen dann einen Sohlurs auf die Temperaturen
der Meerestiefen zu. Sogar an eine Verwendung des Telephons,
welches durch Einschaltung von Widerständen bekanntlich zum
Schweigen gebracht werden kann, hat man gedacht Proben auf
geringere Tiefen ergaben ein leidlioh gutes Resultat.
Die Durchsichtigkeit des Meerwassers ermittelt man durch Ver-
senken von hellen Scheiben, indem man die Tiefe feststellt, in welcher
dieselben unsichtbar werden. Auoh läfst man besonders präparierte
photographische Platten bis zu Tiefen, wo die chemische Wirkung des
Lichtes aufhört, hinab.
Als Muster eines zu Tiefseeforschungen geeigneten Schiffes
konnte mit Fug und Recht der Challenger betrachtet werden. Er war
eine gedeckte Korvette von 200 Tons mit einer Maschine von 400
Pferdekräften. Daneben besafs er noch eine doppelzylindrische kleine
Dampfmaschine von 18 Pferdekräften mit Gangspilleinrichtung zum
Einwinden der Schleppnetztaue und Lotleinen. Für den Gebrauch des
wissenschaftlichen Stabes, dem Prof. Wyville Thomson vorstand, war
ein geräumiges Arbeitszimmer eingerichtet, dem auch eine Bibliothek
der besten Fachwerke in verschiedenen Sprachen nicht fehlte. Ferner
waren zahllose Instrumente zu mikroskopischen Untersuchungen, zum
Sezieren und Präparieren der Körper, lange Glaszylinder zum Auf-
bewahren namentlich der selteneren Tier- und Pflanzengattungen,
Harpunen und sonstige Fangapparate zur Überlistung gröfserer Tiere,
die dem Schleppnetz entgehen, vorhanden. Auf der entgegengesetzten
Seite des Decks befand sich das chemische Laboratorium und diesem
gegenüber das photographische Atelier. Auch ein großes Aquarium
hatte man zur Beobachtung interessanter, in noch lebendem Zustande
emporgebrachter Meerestiere, eingerichtet.
Die Kosten einer solchen Expedition sind natürlich ganz be-
trächtlich, beliefen sie sich doch beim Challenger auf mehr als
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4 Mill. M., obwohl die britische Regierung genannte Korvette unent-
geltlich zur Verfugung gestellt hatte. Die C hu n sehe Expedition hatte
allein aus dem vom Reiohstag bewilligten kaiserlichen Dispositionsfond
300000 Mark erhalten; aufserdem beteiligten sich das Reichsamt des
Innern und die kaiserliche Marine pekuniär an der Unternehmung.
Die Gazelle endlich verbrauchte nahe an 1 Mill. Mark. Doch was sind
diese Geldopfer im Vergleich zu den vielen und sohönen Resultaten,
welohe erzielt wurden ! Immer besser gelingt die Entzifferung der Ge-
heimschrift, in weloher der Schöpfer des Himmels und der Erde seinen
Schöpfungsbericht auch auf den Meeresgrund geschrieben hat.
Die Farbe des Meerwassers, um mit dem Augenfälligsten zu be-
ginnen, fand man überall, wo nicht Meeresgrund, Organismen und
einmündende Flüsse eine Veränderung herbeiführten, grün bis blau.
Wenn wir aber bei Sonnenuntergang den Purpurglanz des westlichen
Himmels im glatten Meere sich spiegeln sehen, dann scheint es wie
Feuer zu glühen, und wie flüssiges Gold wogt es auf und nieder.
Und wenn graue Gewitterwolken sich auftürmen, und grelle Blitze aus
unheimlichen Wolkenmassen hervorleuchten, dann erregt Poseidon mit
sohwarzgrünen Wogen das Meer, und weifsen Möwen gleich flattern
darauf die blinkenden Wellenkämme, welche die sich überstürzenden
Wogen nur um so dunkler erscheinen lassen. Oft säumt ein Kranz
blendendweifser Brandungswellen das smaragdgrüne Meer; doch azur-
blau leuchtet das krystallhelle Wasser des Golfstroms und im pracht-
vollsten Indigo der reizende Golf von Neapel. Indes in kleinen
Mengen und in durchgehendem Lichte erscheint das Meerwasser wie
Selterwasser so farblos und klar. Die verschiedenen Nüancierungen
zwisohen Blau und Grün sind vom Salzgehalt, der Temperatur, der
Tiefe, sowie von Beimengungen abhängig. Weifse Scheiben erschienen
einige Meter unter der Oberfläche grünlich, später bläulioh-grün, in
gröfseren Tiefen endlich blau, bis sie dem Auge entschwanden. In
80 m Tiefe herrsoht gleichwohl noch das Licht der Vollmondnacht,
bei 170 m Tiefe etwa die Stärke des Sternenlichtes in einer klaren,
mondlosen Nacht In die pelagischen Abgründe aber unterhalb 500 m
gelangt kein Schimmer des Sonnenlichtes. Nur schwaoh wird hier
und da die ewige Nacht erhellt durch den phosphorischen Glanz vieler
Arten von Tiefseetieren mit oft merkwürdig grofsen Augen, mit denen
sie wie beim Laternenscheiu ihrer Beute nachspüren.
Solches Leuchtvermögen besitzen auoh Milliarden winziger See-
tiere, zumal die stecknadelkopfgroßen Larven der Quallen, welche die
grofsartige Erscheinung des Meeresleuchtens hervorrufen. Sie ver-
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wandeln unabsehbare Flächen in ein glitzerndes Feuermeer, welches
das wie durch Flammen gleitende Schiff mit spiegelndem Silberschein
erhellt In der Nordsee zeigt sich das wunderbare Phänomen am
häufigsten an schönen stillen Herbstabenden ; doch kommt es zu jeder
Jahreszeit, auch bei gröTster Kälte vor. Oft gehen aber Monate,
selbst ganze Jahre hin, ohne dafs sich das Meeresleuchten in voller
Schönheit zeigt.
Das Meerwasser ist bekanntlich von salzig-bitterem Geschmack
und hat, wie z. B. an den Ostseebuchten, einen mehr oder minder un-
angenehmen Bromgeruoh. Mehr als 40 Elemente, darunter selbst
Silber und Gold, sind im Meerwasser enthalten, hauptsächlich als
Kochsalz, Bittersalz, schwefelsaurer und kohlensaurer Kalk, Jod- und
Bromnatrium und Chlorkalium, deren Vorhandensein in den Steinsalz-
lagern von Stafsfurt, den Mineralquellen von Tölz und Kreuznach,
sowie in dem Schlier von Oberösterreich deutlich genug für ehemalige
Meeresbedeckung genannter Gegenden spricht. Aus dem kohlen-
sauren Kalk, der sich hier und da in Dolomit verwandelt hat, bauen die
Muscheln, Schnecken und Korallen ihre buntfarbigen Gehäuse auf.
Obwohl 1 Tonne Meerwasser nach Keil hack nur 6 mg Gold im
Werte von noch nicht 2 Pf. enthält, so macht dies doch bei Annahme
eines allgemeinen Vorhandenseins dieses edlen Metalls im Meere
schon so viel aus, dafs das Gold einen Würfel von 718 m Seitenlänge
bilden würde, und jeder Bewohner der Erde 3 l/o Mi 11. Mark erhalten
könnte, an Silber nur den zehnten Teil dieser Geldsumme. Diese gewal-
tigen Sohätze können aber niemals gehoben werden und sind für
immer der menschlichen Gewinnsucht entzogen; denn der in den nor-
wegischen Schären gemachte Versuch, das Gold auf Silberblechen gal-
vanisch niederzuschlagen, erwies sioh als erfolglos. — Wegen des
hohen Salzgehaltes von durchschnittlich 3,5%, der von den 5 m tiefen
Nordostpassatflächen des Atlantischen Ozeans allein sohon ausreichen
würde, die britischen Inseln mit einer 4,7 m hohen Salzschicht zu über-
ziehen, ist das Meerwasser beträchtlich schwerer als Süßwasser, be-
sitzt daher auch eine gröfsere Tragkraft; bei 5% Salzgehalt ermög-
licht es nur nooh wenigen Tieren die Existenz, Es hat nicht an Ver-
suchen gefehlt, das Seewasser trinkbar zu machen; sie haben bis
jetzt zu keinem vollkommen befriedigenden Resultat geführt; Destilla-
tion und Gefrierenlassen lieferten immer nur ein schales Getränk, das
nur die Not gen i eis bar erscheinen liefs, und welches den Durst kaum
zu löschen vermoohte.
Die Wellenbewegung auf dem Meere hängt lediglich vom Winde
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ab. An den Küsten der Nordsee erreichen die den Badenden so un-
gemein erfrischenden und stärkenden Wellen nur selten eine Höhe
von 6 m. Unter hohen südlichen Breiten, wo Stürme die Herrschaft
führen, fand der Challenger eine Maximalhöhe von 7 m; 15 m kommen
nur im offenen Ozeane bei den heftigsten Orkanen vor; das ist aber
auch schon haushooh. Die Wellen können bis 400 m lang sein und
eine Geschwindigkeit von 18 m in der Sekunde haben, so dafs kein
Radfahrer ihnen entrinnen könnte, und selbst ein Rennpferd eingeholt
würde. Durch den Wellenschlag, der an Steilküsten zur tosenden
Brandung wird, deren Donnergebrüll erst in Stundenweite verhallt,
an Flachküsten aber nur ein monotones Rauschen verursaoht, wird
eine erhebliche Menge Elektrizität erzeugt, die bei Seebädern als
wichtigster Heilfaktor zu betrachten ist.
Durch den Wind und die Erdrotation, durch die anziehende oder
drückende Kraft von Sonne und Mond, in erster Linie aber durch
■den wechselnden Luftdruck und den verschiedenen Salzgehalt des
Meerwassers entstehen die Meeresströmungen. Weitaus der wich-
tigste ist unstreitig der Golfstrom, dessen Verlauf namentlich durch
Flaschenposten ermittelt worden ist. Diese vom Golf von Mexiko
ausgehende, nach Spitzbergen und vielleicht gar nach dem Nordpol
gerichtete Strömung bewegt sich anfangs schneller als der Rhein bei
Hochwasser, nämlich 1,5 — 2,6 m in der Sekunde, indem die Geschwin-
digkeit mit den Jahreszeiten wechselt, in der Breite New- Yorks immer
noch schneller als ein Fufsgänger; 75 Meilen östlich von Neufundland,
wo der Strom sioh fächerartig ausbreitet, ist er dem Auge kaum noch
bemerkbar. In seiner Axe liierst er schneller als an den Seiten, seine
Tiefe beträgt 1000- 1 100 m; unterhalb derselben konnte der Challenger
am 24. April 1874 eine mefsbare Bewegung nicht mehr finden. Die
Breite des Stromes beläuft sich auf 4—40 Meilen, entsprechend im
Maximum etwa der Entfernung zwischen Bremen und Magdeburg.
Er zeichnet sich durch eine dunkelblaue Farbe aus und besitzt eine
4—5° höhere Temperatur als das umgebende Meer. Während sämt-
liche warme Meeresströmungen mehr als die Hälfte der Tropen- Wärme
nach der gemäfsigten Zone tragen, giebt der Golfstrom allein V12 der
Wärme, welohe die Äquatorialströmung ihm zuführt, an die West-
küsten Europas ab. Dieselben werden durch ihn zumal im Winter
beträchtlich erwärmt, und dieser erwärmende Ein flu fs macht sich noch
50 Meilen binnen wärts deutlich bemerkbar; nur die Pyrenäenhaihinsel
ist ihm entzogon. Die sächsische Oberlausitz würde ohne den Golf-
strom die Temperatur des sächsischen Sibiriens, von Oberwiesenthal
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bis Karlsfeld, und der Kamm des Isar- und Riesengebirges nur we-
nige schneefreie Wochen haben. So aber sind selbst West- und Nord-
küste Spitzbergens während der Sommermonate ganz eisfrei. Mit
Recht hat man den Golfstrom einen Warmwasserkessel Europas ge-
nannt Während die Länder, an denen die kalten Polarströmungen
mit ihren turmhoben und kilometerlangen Eisbergen entlang ziehen,
menschenleere, bäum- und strauchlose Einöden sind, findet man unter
gleichen Breiten in Europa Myrte und Orange in Cornwall über-
winternd, die Paläste von Christiania und Petersburg, die herrlichen
Parkanlagen und Kaskaden der russischen Kaiserschlösser Gatschina
und Peterhof. In Tropenländern erzeugen freilich auch warme
Meeresströmungen die Malaria und das gelbe Fieber, den unheim-
lichen Weihnachtsgast von Rio de Janeiro, kalte Strömungen dagegen
Trockenheit der Luft und Wüsteneien, wie die Salpeterwüste des
nördlichen Chile und das öde Sandmeer von Lüderitzland, das erst
50 Meilen binnenwärts Savannen- und Buschcharakter annimmt.
Ebbe und Flut, deren Wirkung sich in Weser und Elbe bis
über Bremen und Hamburg, in der Themse bis über Oxford hinaus
geltend macht, verdanken zweifellos nach Newtons Hypothese den
anziehenden Kräften von Sonne und Mond ihre Entstehung. Allein sie
folgen weder in der Richtung, noch in Höhe und Eintrittszeit in be-
friedigender Weise der Theorie, der auch Whewell und Thomson
mit ihrer harmonischen Analyse nicht auf die Beine zu helfen ver-
mögen. Die der Zenithflut auf der entgegengesetzten Halbkugel der
Erde jedesmal entsprechende Nadirflut steht mehr auf dem Papiere:
der Stille Ozean scheint der Sonne, aber keineswegs dem Monde zu
folgen, obwohl dessen anziehende Kraft 2'/4mal grÖfser ist. Gerade
die Flächen der tropischen Meere, auf welche die Anziehung von
Sonne und Mond am kräftigsten einwirken sollte, zeigen auffallend
geringe Gezeiten, die 1 m Höhe selten überschreiten und oft nicht
einmal erreichen, während in den Breiten der gemärsigten Zone die
Flut zu bedeutender Höhe anwächst, die in der Fundybai 16 m, an
der norwegischen Küste 2,4 m, am Nordkap 2,2 m und an der Küste
Sibiriens noch immer 1 m beträgt Die Richtung von Ost nach West
ist bei der Flutwelle ferner keineswegs die Regel. So läuft die Flut-
welle im Mittelmeer von Süd nach Nord, und schon Whewell und
Lubbok haben nachgewiesen, dafs die Flut die europäischen Küsten
von W. her anläuft während sie an der Ostküste Amerikas von
Morgen her kommt. Den Kanal durchläuft sie von Landsend bis
Dover in 7 Stunden mit einer Geschwindigkeit von 19,88 m p. Sek.;
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ein um Schottland herumziehender, gleichfalls nach Dover gerichteter
Zweig besitzt fast die doppelte Geschwindigkeit. Die vereinigten Flut-
wellen erreichen nach 12 Stunden die Elbemündung mit durchschnitt*
Hoher Geschwindigkeit von kaum 15 m p. Sek., und so soheint allent-
halben die Flutwelle in der Richtung der Meridiane sich erheblich
sohneller zu bewegen als in der Richtung der Breitengrade. Dem
sei nun wie ihm wolle, jedenfalls leisten Ebbe und Flut dem Fischfang
und der Schiffahrt vortreffliche Dienste; auch würde ohne sie z. B. die
Nordsee eines grofsen Reizes entbehren, der stets auf den Binnen-
länder einen unvergefslichen Eindruck macht
Das Meer bedeckt etwa 5/s der ganzen Erdoberfläche, und ist
kein Punkt derselben weiter als 500 Meilen vom Meere entfernt, z. B.
Moskau 100 Meilen. Zudem stellte Nansen fest, dars auch nachdem
Nordpol zu nicht Festland, sundern Meer von 3800 m Tiefe sei. Auch
im antarktischen Meere fand der deutsche Dampfer Valdivia zwischen
der Bouvet-Insel und Enderby-Land Tiefen von 4—6000 m. Auf-
fallend ist hier noch der niedere Luftdruck, der unter 70° südl. Breite
nur 738—730 mm beträgt, während unter gleichen nördlichen Breiten
das Barometer 768,2 — 760,7 min zeigt. Es liegt die Vermutung nahe,
dars dies eine Folge der fortschreitenden Bewegung des Sonnen-
systems im Weltenraum ist. Da der Apex derselben der nördlichen
Erdhalbkugel, etwa innerhalb 34—48,5° nördl. Breite, angehört, so
kann die hier befindliche barometrische Hochdruckzone nicht Wunder
nehmen; denn so dünn auch der den Weltenraum erfüllende Äther
sein mag, eine hemmende, sich als Druck äufsernde Wirkung wird
und mufs er auf die Bewegung der Erde nach dem Sternbilde des
Herkules hin ausüben, während auf der entgegengesetzten Erdhälfte,
die dem Ätherdruck ausweicht, eine barometrische Depression die
Folge ist
Die östliche Hemisphäre der nördlichen Halbkugel hat mehr als
doppelt so viel Land als die westliche; nach Süden nimmt der Land-
umfang rasch ab, so dafs der 50° südl. Br. bereits 98% Wasser hat
Dafs der südlichen Halbkugel die vorwiegende Wasserbedeckung von
jeher eigen war, beweist aufser der ganz auffallenden Armut an
lebenden und fossilen Pflanzen auf den dem Südpol selbst im weitesten
Umkreis vorgelagerten Inseln auch der schon von Kapitän Rofs hier
gefundene hohe Betrag des Erdmagnetismus, der den der Nordpolar-
zone fast um das doppelte, den des Äquators aber um das dreifache
übertraf. Er scheint anzudeuten, dafs hier in der Antarktik die Ab-
kühlung des Erdinnern, begünstigt durch den gewaltigen Kühlapparat
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<
eines uralten Meeres» viel weiter fortgeschritten ist als auf der nörd-
lichen Erdhälfte, die nebenbei gesagt auch die wärmere ist, so dafe
die Erdkruste bis zu beträchtlich grösserer Tiefe magnetisch werden
konnte, während auf der nördlichen Hemisphäre schon in halber
Tiefe die hohe Erdwärme das Erlöschen des Erdmagnetismus herbei-
führt; denn schon 661° Selzen ihm eine vorläufig unüberschreitbare
Grenze. Die Seltenheit der vulkanischen Erscheinungen und der See-
beben unter hohen südlichen Breiten kann hiernach kaum wunder
nehmen.
Eine abwechselnde, durch die Exzentrizitätsschwankungen der
Erdbahn bedingte Überflutung beider Halbkugeln, wie sie Adhömar
und Croll behaupteten, steht nach Oerland mit der Beobachtung in
Widerspruch, dafs auf der südlichen Halbkugel, die gegenwärtig ihre
Überflutungsperiode haben müfste, die Küsten, wie z. B. in Nord-
australien, Neuguinea und Neuseeland, ja selbst der Samoa- und Tonga-
Inseln, vorwiegend langsam aus dem Meere auftauchen und die Bass-
und Torresstrafse immer seichter werden. Tritt aber irgendwo bei
Koralleninseln Senkung ein, so nimmt nie der ganze Sockel an der
Bewegung teil. Bohrungen haben ferner den Beweis geliefert, dafs
9ich vielfach die Korallen auf den Kratern Bubmariner Vulkane an-
gesiedelt haben, die noch gegenwärtig in Hebung begriffen sind.
Natürlich fehlt es, wie auf der nördlichen Erdhälfte, so auch hier nicht
an Senkungserscheinungen. So bohrte 1897 Prof. David aus Sidney
176 m tief in weichem Korallen kalkfels, ohne ein anderes Gestein zu
erreichen. Einen anderen Versuch machte 1898 Finkh von austra-
lischer Seite. Bei 182 m Tiefe zeigte sich ein plötzlicher Übergang
von der weicheren Schicht, einer Mischung von Sand und von riff-
bauenden Korallen, zu dem härteren Korallenrifffelsen, in welohen
man bis 340 m bohrte. Dies Ergebnis ist offenbar eine Bestätigung
der Darwinschen Korallentheorie. Doch Darwin geht entschieden
viel zu weit, wenn er behauptet, dafs die Korallenansiedelungen die
letzten Versuche der Natur seien, ein sinkendes Festland vor dem
gänzlichen Verschwinden unter dem Meeresspiegel zu retten. Dieses
Festland müfste an Fläche Europa und Asien weit übertreffen und
seine Senkung ein Fallen der Meeresfläche um 300 rn und darüber nach
sich ziehen, was eine allgemeine Hebung der Nordfesten bedingen würde,
während doch hier weite Striche unter den Meeresspiegel tauchen.
Das Meer hat ein so gewaltiges Volum, dafs alle Erdteile 21 mal
auf dem Meeresboden untergebracht werden könnten. Bis zum Meeres-
spiegel abgetragen und in das Weltmeer geschüttet, würden die Kon-
492
tinente das Seebecken nur um etwa 160 m erhöhen. Denkt man sich
dieselben aber bis zum Meeresgründe abgetragen und mit diesem
eingeebnet, so besäfse das die ganze Erde gleichmäßig bedeckende
Wasserbecken, was niemals in dieser Ausdehnung vorhanden gewesen
ist, immer noch eine Tiefe von 2600 m. Da die mittlere Erhebung
der Kontinente 700 m, die mittlere Tiefe des Weltmeers aber 3500 m
beträgt, so ergiebt sich hieraus, dafs das Meer trotz seines nicht halb
so grofsen spezifischen Gewichts doch um ein Beträchtliches schwerer
als das Festland ist, dessen Gleichgewichtslage es daher an den Küsten
hier und da beständig stört, so dafs diese sioh teils heben, teils senken.
Die wegen der vorwiegenden Wasserbedeckung an Rauminhalt et-
was kleinere südliche Halbkugel müfste nun eigentlich auch die
leichtere sein. Sohmidt hat indes gezeigt, daß in Wahrheit der Ge-
wichtsunterschied beider Erdhalbkugeln verschwindend klein ist Um
dies zu erklären, bleibt niohts weiter übrig als die Annahme, dafs die
Dichte der Erdrinde unterhalb des Meeresgrundes auch auf der süd-
lichen Halbkugel beträchtlich gröfser als unter dem Festlande ist,
namentlich aber unter den Gebirgen, die allenthalben riesige Massen-
defekte verraten, als dehnten sich in ihrem Innern weite Hohlräume
aus, gleich der Adelsberger Grotte oder der Mammuthöhle in Kentuoky.
O. Fischer behauptet geradezu, dafs durch den Znsammenschub der
Erdrinde nach oben und unten infolge der Kontraktion des sich ab-
kühlenden Erdballs solche Hohlräume entstehen mufsten; freilich be-
greift man dann nicht, wie ihre Decke den steten kolossalen Schwere-
druck der überlagernden Gebirge aushalten kann, ohne einzustürzen
oder sich zu senken; oder aber man müfste annehmen, dafs die Ge-
birgsketten mit ihren Wurzeln bis in so grofse Tiefen hinabtauchen,
dafs jene Hohlräume im Vergleich dazu kaum in Betraoht kommen.
Dem widerspricht aber der unvermutet grofse Betrag solcher Defekte.
So zieht sich ein solcher nach v. Sterneck von München bis Triest
und Trient in einer Mächtigkeit von 1000 — 1200 m hin, und zwar dort, wo
der Zusammenschub gerade am stärksten ist. Zweidrittel des ganzen
Alpenmassivs, so weit es sich über das Meeresniveau erhebt, wird durch
diesen Defekt ausgeglichen. Eine Hohlraumbildung von solcher Aus-
dehnung ist aber ganz unwahrscheinlich; eher steht zu vermuten, dafs
die Kontinental- und Gebirgsmassen aus leichterem Material als der
Meeresgrund zusammengesetzt sind.
Das Meer ist tief, sehr tief. Im Kanal freilich würde der Kölner
Dom überall dem Wasser entragen, in der Ostsee erst an den tiefsten
Stellen der Eifelturm verschwinden; ein Bogen gewöhnlichen Schreib-
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papiers ist dicker im Vergleich zu seiner Fläche als die Wasser-
schicht der Nordsee im Verhältnis zu ihrem Flächeninhalte. Über-
schreitet doch die vom Pinguin nordöstlich von dem vulkanischen Neu-
seeland bei der Kermandekinsel aufgefundene bis jetzt gröfste Meerestiefe
von 9400 m selbst die Höhe des Gaurisankar. Die tiefsten Mulden
und Tröge des Weltmeers befinden sich übrigens nioht in der Mitte,
sondern durchgängig in der Nähe des Landes, und gerade solche
Stellen sind es, wo die Titanenkräfte des unbekannten Erdinnern,
dessen Kraftquelle man neuerdings so gern in der hypothetischen
Kontraktion, in dem Zusammenbruch sucht, dessen Augenzeugen wir
nach Sürs noch in der Gegenwart sind, — noch am wildesten ihr
Spiel treiben, wie auch nordöstlich von N'ippon, wo die Tuscarora
8500 m lotete, oder zwischen St. Thomas und Puerto Rico, wo eine
6300 m tiefe Rinne sioh erstreckt, oder endlich unweit der Sundstrare,
wo das Lot des Recorder zu 6200 m Tiefe hinabsank.
Von den Becken der Ozeane steigen nun die Festländer auf ge-
waltigen Sockeln festungsähnlich, wie die Amben Abessyniens, empor,
umgeben von den rätselhaften Kontinentalstufen mit meist sanft ge-
neigtem dachartigen Abfall. An der Westküste von Cornwall ist diese
Stufe 76 Meilen breit, an der Südküste Norwegens nur 3, an den
Küsten Afrikas fehlt sie meist, wie das überall da zu sein scheint, wo
ein Festland schon Tafel- und Terrassenform zeigt. Durch die Kon-
tinentalstufen werden Festländer und Inseln vereinigt, die auf den ge-
wöhnlichen Landkarten getrennt erscheinen, so das britische Reich
mit dem europäischen Kontinent, so Asien mit Amerika über die
Bering-Strarse.
Der Meeresboden erstreckt sich meist hunderte von Meilen weit
in gröfster Einförmigkeit fast horizontal, wie etwa die sarmatische
Tiefebene, ein uralter permrscher Meeresgrund, oder Teile der Sahara,
oder endlich die Wüsten und Steppen Zentralasiens. Doch giebt es
auch Abgründe, Trichter, Kessel, tiefe Löcher, Tröge und Rinnen, ja
Hochflächen und Gebirgszüge ganz wie auf dem Lande; nur fehlt die
vielgestaltende Erosion, die z. B. den Alpen ihren bestrickenden Reiz
verleiht. So wird der Atlantische Ozean in seiner nördlichen Hälfte
vom Telegraphenplateau durchzogen, von welchem der Azoren-Rücken
nur die Fortsetzung ist. Nördlich von jenem Plateau fand der Sie-
menssche Dampfer Faraday die Faraday-Hügel; der Thomson-Rücken
trennt den Atlantischen Ozean vom nördlichen Eismeer und bildet eine
Schranke für das Weitervordringen des Polarwassers. In der Nord-
see aber entdeckte man östlich von der Doggerbank vor der Themse-
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mündung ein niedriges Kettengebirge. Man hat die Vermutung aus-
gesprochen, dafs die ganze Reihe der submarinen Bodenschwellen
wenigstens im südlichen Atlantischen Ozean von den Azoren bis über
St. Helena hinaus vulkanischen Erhebungen ihr Dasein verdanke.
Übrigens Jätet die grofsartige Denudation der mächtigen Basaltwälle
St. Helenas vermuten, dafs die vulkanische Erhebung dieser Insel in
eine weit entfernte Vergangenheit zu verlegen sei. Dafür spricht auch
der hier beobaohtete auffallend hohe Betrag der magnetischen Inten-
sität, aus dem man schliefsen dürfte, dafs hier die Erdkruste bis zu
gewaltiger Tiefe erkaltet ist. Dieser Schlüte wird noch dadurch ge-
stützt, dafs von hier aus nach Norden ein seebebenfreies Gebiet sich
erstreckt.
In den gröfsten Meerestiefen herrscht selbst unter dem Äquator
eine auffallend niedere Temperatur, während bekanntlich unterhalb
der Festländer die Wärme von 30 zu 30 m Tiefe im Durchschnitt um
1 0 zunimmt, so dafs man in dem tiefsten Bohrloche der Erde bei
Rybnik in Obersohlesien in 2003 m Tiefe 69° erreichte, also beinahe
die Temperatur des Karlsbader Sprudels. Die mittlere Temperatur des
Meeresgrundes beträgt dagegen in 4000 m Tiefe im Mittel nur 1,8° C.
und sinkt bis 0° herab. Sie würde höchst wahrscheinlich — 4°, das
Dichtigkeitsmaximum des Seewassers erreichen, wenn nicht das Erd-
innere auch hier noch Wärme ausstrahlte. Das überraschendste Re-
sultat der Temperaturbestimmungen in den groteen Meerestiefen ist
aber die gleichförmig niedere Temperatur, die daselbst in allen offenen
Ozeanen herrscht Dieses kalte Wasser entstammt namentlich dem
antarktischen Meer, von dem aus es durch eine dauernde unterseeische
Strömung beständig erneuert wird. Diese erreioht nicht nur den
Äquator, sondern tritt auch noch auf die nördliche Hemisphäre hin-
über. Thomson, der Leiter der Challenger-Expedition, suchte jene
Strömung durch die Annahme zu erklären, date auf der südliohen
Wasserhalbkugel die Niederschläge gröteer seien als die Verdunstung,
während auf den Meeren der Landhalbkugel, auf dem atlantischen,
nordindischen und nordpazifischen Ozean die Verdunstung den
Niederschlag überwiege. Die antarktische Strömung gleiche dieses
Miteverhältnis aus. So besteohend auch diese Erklärung auf den
ersten Blick erscheint, so erweist sie sich doch bei näherer Betrach-
tung als ziemlich haltlos, da sie auf ganz willkürlichen Annahmen
beruht. Dagegen gilt als sioher erwiesen, date, je freier die unter-
seeische Verbindung eines ozeanisohen Beokens mit dem Polarmeer
ist, desto niedriger auoh seine Bodentemperatur erscheint. Diese Be-
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wegung des kalten Wassers der Tiefen verrät sich auch dadurch, dafs
über Untiefen und in dor Höhe von Inseln und Küsten die kalten
Wasserschichten emporsteigen. Die Passatwinde, indem sie das warme
Oberfläohenwasser vor sich hertreiben und endlich in höhere Breiten
hinaufdrängen, entfernen beständig Wasser von der Oberfläche der
Tropenmeere, zu dessen Ersatz auch das kalte Wasser von unten
langsam an die Oberfläche emporsteigt. Natürlioh mufs es vom Pole
aus ergänzt werden.
Die Oberflächentemperatur ist in allen Breiten durchschnittlich
grörser als die des Festlandes und sohwankt nur um wenige Grad.
Dabei ist der nördliche Teil des Stillen Ozeans etwas kälter als der
südliche, während im Atlantischen Ozean das Umgekehrte der Fall
ist. Das nördliche Eismeer zeigt im März und April an der Oberfläche
— 2°, und nirgends hat man auf dem Ozean eine höhere Temperatur
als -^-35° gemessen.
Was nun die Beschaffenheit des Meeresgrundes anlangt, so finden
wir denselben in der Nähe der Küsten bis etwa 300 km seewärts mit
Schlick bedeckt von blauer, grüner und roter Farbe, an Steilküsten
ist er mehr schieferartig. Diesen Schlick tragen gröfstenteils die
Flüsse ins Meer hinaus, wo er 15 mal schneller als im Süfswasser zu
Boden sinkt. So führt der Rhein bei Bonn jeden Tag 150 000 qm
fester Substanz als Flufstrübe vorbei, und der Indus täglich so viel
Schlamm in den Indischen Ozean, dafs eine 5 Quadratmeilen grofse
Fläche mit einer meterhohen Schioht überzogen werden könnte. Die
untere Grenze des Schlicks sohwankt zwischen 200 und 5100 m. In der
Umgebung vulkanischer Inseln ist er grau bis schwarz mit Maugan-
gehalt, an der brasilianischen Küste rot und in der Nähe der Korallen-
inseln weifs. Darauf folgt weiter vom Festland ein Sohlamin, der Milliarden
von Räder- und Kuireltierchen enthält. Eine Art der Kucrettierohen, die
Foraminiferen, hat die Kreide Rügens gebildet, so dafs die Stubben-
kammer ehemals ein Felsen des Meeresgrundes war. Die Oberflächen-
temperatur mufs überall da die des Mittelmeeres gewesen sein, wo
man jetzt fossile Korallen findet Die sanft gestreckten Rücken in der
Mitte der Ozeane namentlich südlicher Breiten bedeckt meist Diato-
meensohlamm. Die sogenannte Infusorienerde rechnete Ehrenberg mit
Unrecht dazu. Während nämlich die Kieselalgen nur in seichten
Meeren und auch da nur, soweit das eindringende Sonnenlicht die
Assimilation, d. h. die Stärke- und Chlorophyllbildung ermöglichte,
leben konnten, können Infusorien noch in den gröfsten Tiefen existieren.
Der noch in 1000 m Tiefe gefundene Diatomeensohlamm ist lediglich
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aus dem abgestorbenen Plankton entstanden, also ein Produkt der
Meeresoberfläche.
Von 5000 m Tiefe an erstreckt sich über l/3 des Meeresgrundes
der rote Thon, der bis jetzt nirgends auf dem Festlande seines-
gleichen findet. In ihm lagern fernab vom Lande verstreut die Zähne
von Haifischen der Jurazeit, Knochenteile vorweltlicher Wale und
Seeschildkröten, zuweilen mit einer 2 om dicken Braunsteinschicht
überzogen. Das Mangansuperoxyd, Chondren und winzige Eiaen-
kügelchen mit Niokelgehalt, welche in mehr oder minder dicken
Schichten mit eingebetteten Zeolithen und bis faustgrofsen Mangan-
knollen sich über ungeheure Flächen ausbreiten, entstammen zweifellos
dem Weltenraume. Wären die Gründe des roten Thones jemals Fest-
land gewesen, so müfsten die Eisenpartikelchen sich längst in das
braune Eisenoxydhydrat verwandelt haben, und dies von dem Meeres«
wasser aufgelöst worden sein; denn an Sauerstoff zur Oxydation
des Eisens fehlt es keineswegs in jenen Tiefen. Aber der hier von
jeher herrschende Druck verhinderte jede ohemische Veränderung.
Oailletet hat nämlich gezeigt, dafs schon ein Druck von 60 — 120
Atmosphären, entsprechend Tiefen von 600 — 1200 m, die Wirksamkeit
der stärksten ohemischen Agenden aufhebt, sofern sie mit Volumver-
mehrung verbunden sein würde; Pfaff hat dieses Resultat bestätigt.
Nun beträgt das spezifische Gewicht des Eisens 7,84, seiner Sauer-
stoffverbindungen 4,9—5,3, seiner Hydrate aber höchstens 4,4. Letztere
würden demnach ein doppelt so grofses Volumen einnehmen wie das
reine Metall. Sie können sich daher schon in 1200 m Tiefe kaum
mehr bilden, da hier der Druck des Wassers bereits die Affinität
überwindet. Wo aber auf dem roten Thon Eisenoxyd oder Eisen-
oxydul sich fanden, da stammten diese Eisenverbindungen gleichfalls
aus dem Weltenraume. Verschiedene Fälle kosmisohen Staubes liefern
dafür den Beweis: so am 3. Mai 1892 in Schweden, 5. November 1893 bei
Paso de los Damas auf Chiles Cordilleren, am 13. u. 14. März 1813 in
Kalabrien und anderen Teilen von Italien. Hier fiel der Staub aus
einer rotbraunen Wolke herab, die das Licht der Sonne verdunkelte.
Gleichzeitig fielen bei Cutro in Calabrien Meteorsteine herab, und die
Schneelager auf den Berggipfeln färbten sich rot. In allen diesen
Fällen wurdo der Staub gleioh nach seinem Falle analysiert, und eisen-
und manganhaltig befunden. In Schweden schätzte man die Menge
des kosmischen Staubes auf 500 000 Tonnen. Nicht lange nachher war
er indes verschwunden , nämlich unter dem Ein Hufs der Atmosphä-
rilien hydratisiert und aufgelöst worden. In den abyssischen Abgründen
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des Meeres verhindert dies also der Druck. So kann man von einer ge-
wissen Permanenz der Ozeane recht wohl sprechen. Jedenfalls haben
die Ozeane ihre Schwerpunkte, um die sie sich bewegen, die von
jeher seit Entstehung der Hydrosphäre gewesen sind und immer sein
werden, so lange nicht das Erdinnere das Wasserhäutchen des Erdballs
aufgesaugt haben wird, was nach Flammarion in etwa 20 Millionen
Jahren vollendete Thatsache sein soll. Die Bildung der Kontinente aber
erfolgte an den Stellen der Erdkruste, die schon früh in einon Gegen-
satz zu diesen Hauptvertiefungen traten, ohne deswegen notwendiger-
weise immer dem Wasser zu entragen; denn schon zu cambrischen
Zeiten, die naoh Wellisch mindestens 2 Millionen Jahre hinter uns
zurüok liegen, stofsen wir auf Anzeichen gewaltiger kontinentaler
Massen, und schon in jenen uralten Zeiten treten hier und da kalk-
schalige Tierforraen des Meeres ebenso zurück, wie in der Gegenwart
in Tiefen unter 4000 m. — An die Luft gebraoht wird der wahr-
scheinlich aus der silikatreichen Erstarrungskruste der Erdoberfläche
entstandene rote Thon bald hart wio Zement Es läfst sich daher ver-
muten, dafs schon in der Tiefe die Ozeane mit diesem Thono ihre
Gründe förmlich auszementieren, in ähnlicher Weise, wie nach Peschel
jeder Landsee damit beginnt, sein eigenes Gefäfs zu verkitten, indem
er den Boden mit einer Glasur aus festen Letten, in der Schweiz
Seekreide genannt, überzieht In den Gebieten des roten Thons kann
dann in der Regel kein Wasser mehr in das heifse Erdinnere ein-
dringen, um dessen Eisenlegierungen zu hydratisieren und dadurch
nicht nur leichter zu machen, sondern auch zu einem Aufschwellen zu
veranlassen, das sich als unwiderstehliche faltende Kraft äufsern würde.
Ungemein reich ist das Tier- und Pflanzenleben des Meeres.
Die Gesamtheit der marinen Flora und Fauna bezeichnet man nouer-
dings als Halobios. Dieser ist wahrscheinlich der Ursprung aller
irdischen Lebewesen, aus ihm haben sich die Bewohner der Flüsse
und Seen, so wie dio Tiere und Pflanzen des Festlands im Verlaufe
ungeheurer Zeiträume nach und nach entwickelt. Wann zum ersten
male auf dem Festlande Leben sich verbreitete, das vermag freilich
niemand zu sagen. Schon während des Carabriums gab es Wirbeltiere;
in den ältesten Zeiten, aus denen wir Urkunden in Gestalt von Fossi-
lien besitzen, waren sämtliche grofse Kreise der Tierwelt bereits ver-
treten und zum Teil in mehrere Gruppen gespalten. Nur so viel steht
fest und läfst die eisige Kälte des Weltenraums von — 140 ", so wie
der frühere glutflüssige Zustand der Erdoberfläche als unabweisbar
erscheinen, dafs das Leben autochthon auf der Erde erwachte und
Himmel und Er<l«v iwfl. XI. II. 32
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zwar an vielen Stellen zugleich und auch wohl in verschiedenen Typen,
bedingt durch lokale Verhältnisse, so dafs wir schon in untercambrischer
Zeit weit vom Anfang des Lebens entfernt stehen; denn da ergierst
sich ja bereits das Leben als breiter Strom, dessen Quelle der Pa-
laeontologe so lange nicht finden wird, als die tiefen Abgründe des
Meeres uns nichts verraten.
Unter 5000 m Tiefe hört alles organische Leben auf; denn es
fehlt hier an einer genügenden Sauerstoffmenge, während der Kohlen-
säuregehalt des Wassers zum tötlichen Gifte wird. Aus geringeren
Tiefen aber beförderte das Schleppnetz noch Krebse und Haarsterne
an das Tageslicht, die merkwürdigerweise aus jurassischen und älteren
Epochen bekannt waren und daher für längst ausgestorben galten.
Der Grund der Tiefsee mit seinen fast unveränderlichen Lebensbedin-
gungen hatte sie konserviert, so dafs sie den Wechsel der Jahr-
tausende siegreich überstanden, während auf dem veränderlichen Fest-
lande im Kampfe ums Dasein zahllose Geschlechter zu Grunde gingen
und durch andere, passender organisierte ersetzt wurden.
Während an der Oberfläche des Meeres violette Tiere vorkommen,
folgen naoh der Tiefe die grünen, braunen und weiter unten die roten
und bleichen Tiere, am Meeresgrunde haben sie ganz die Farbe des
Bodens. Offenbar hängt diese Ersoheinung mit dem verschiedenartigen
Eindringen der Lichtstrahlen ins Wasser zusammen. Es findet sich
aber auoh die sonderbare Mimikry- Färbung. Tiere, die das offene
Meer bewohnen, sind glashell durchsichtig, silberglänzend und blau
gefärbt, wie das durchsichtige Element, in dem sie schweben. Die
Tierwelt der Florideen auf den Kerguelen ist sehr lebhaft rot und
braun koloriert wie die Algen, auf denen sie lebt. Auf Korallenriffen
gehört ein überaus geschulter Blick dazu, um die in Form und Farbe
fast ganz den Ästen mit abgestorbenen Korallen gleichenden Krebse,
Schnecken und Muscheln zu erkennen. Die Schollen, Steinbutte und
Höchen entziehen sich durch sandgraue Färbung ihrer Oberseite leicht
allen Nachstellungen. Doch scheint auch hier eher die Farbe der
Umgebung einen bestimmenden Einflufs auf die Färbung eines Tieres
auszuüben als von einem aus Schutzbedürfnis entspringenden An-
passungsvermögen die Rede zu sein. Infolge der Mimikry erkennt
man oft die Tiere erst, weun sie sich bewegen. Dementsprechend
sind denn auch die Augen der Meerestiere so eingerichtet, dafs sie
weniger Form und Farben als vieiraehr Bewegungen zu unterscheiden
vermögen, so dafs alle festsitzenden Tiere, sofern sie nicht durch
Farbe und Geruch auffallen, vor Nachstellungen gesichert sind.
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4*J!)
Da schon in 400 m Tiefe die Assimilationsfähigkeit der Pflanzen
gänzlich aufhört, d. h. sie nioht mehr im stände sind, aus Kohlensäure
und Wasser Stärke zu bilden, so sind die hier lebenden Tiere ganz
auf das Plankton angewiesen, schwimmende Meeresalgen mit darin
lebenden Geschöpfen, welche nach ihrem Absterben in die Tiefe hinab-
rieseln.
Dem hohen Wasserdruck entsprechend, der in der Tiefe herrscht
und genügt, Glas- und Metallgefäfse zu zertrümmern, Holz- und Kork-
schwimmer, die harpunierte Wale mit hinabrissen, stark zusammen
zu pressen, sind bei Tiefseefiscben Knochen und Muskeln schwach
entwickelt; die Knochen haben eine fibröse, zackige, kavernöse Be-
schaffenheit, sind zart und ohne Kalksalze. Bewohner gröfserer Tiefen
sind ganz mit Wasser durchtränkt, sie kamen fast ausnahmslos tot
an die Oberfläche; doch scheint der rasche Temperaturwechsel hier
die Hauptschuld zu tragen. Da nämlich im Mittelmeer das Grund-
wasser fast gleichmäßig 13° C. hat, so brachte man selbst aus 1650 m
Tiefe die meisten Tiere in voller Lebenskraft ans Tageslicht, ja ein
Krebs lebte noch längere Zeit ganz wohlbehalten weiter. Mitunter
holte man aus der Tiefe gigantische Tierformen, wie Fürst Albert
v. Monaco, ein eifriger und erfolgreicher Meeresforsoher, einen Krebs
mit meterlangen Fühlern; auch riesenhafte Tintenfische birgt der
Meeressohofs; selbst eine wahrhaftige 130—160' lange Meeressohlange
will Kapitän Hassel im Mai 1870 im Golfe von Mexiko gesehen
haben, und Dr. Oudemans stellt 187 Fälle zusammen, wo man ein
Tier gesehen zu haben behauptet, welches dem Mesosaurus der Se-
kundärzeit glich. Eine sonderbare Erscheinung ist auch die Symbiose
zwischen Pflanze und Tier. So enthalten Seeanemone, Korallen,
Quallen, Seewürmer und Polypen nicht selten grünliche, bräunliche
oder gelbliche nach der Oberseite liegende Zellen, welche die ent-
sprechende Färbung der Tiere bedingen und als einzellige Algen er-
kannt wurden. Sie liefern den betreffenden Tieren den zum Leben
nötigen Sauerstoff. Um den pflanzlichen Genossen die Arbeit zu er-
leichtern, setzt sich eine bei Sicilien vorkommende Samtschnecke
zeitweise dem hellen Tageslicht aus, wobei eine lebhafte Ausscheidung
von Sauerstoff aus den Algenzellen stattfindet. Andererseits bedürfen
die Algen zu ihrem Gedeihen Kohlensäure, die ihnen direkt von dem
Tiere geliefert wird.
Ganz allgemein gilt der Satz, dafs Pflanzen und Tiere sich naoh
den Küsten drängen und das offene Meer in der Regel arm an Orga-
nismen ist. Am geeignetsten für das Tierleben ist eben die Flachsee,
32*
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500
der Bandige Meeresstrand. Hier spielt als Nahrung der Seetang die
Hauptrolle, von welchem es über 400 Arten giebt Auf der Oberfläche
haben sie eine mehr grüne Farbe, die mit Abnahme des Lichtes in
Braun, Violett und Rot übergeht In 860 m Tiefe ist ihre Vegetations-
grenze zu suohen. So sind die Felsen von Helgoland bei Ebbe von
einem 2 m hohen graugrünen Rand umsäumt, gebildet durch eine Seetang-
art, zwischen deren sohleimigen Blättern zahlreiche Tiere leben. Das
Ostseebecken trägt bis zu 1/3 seiner Fläche Pflanzenwuchs, der na-
mentlich sich in die stilleren Buchten, selbst in den Nordostseekanal
hineindrängt.
Aber auch im offenen Meere giebt es hier und da gewaltige An-
häufungen von Algen, zumal Beerentang, so die Sargasso- Wiese des
Atlantischen Ozeans westlioh der Azoren. 14 Tage lang mufste Co-
lumbus durch diese ungeheure Meerwiese mühsam mit seinen
3 kleinen Schiffen hindurchfahren.
loh bin zu Ende mit meiner Kevue, aus welcher hervorgehen
dürfte, dafs die Meeresforsohung der Gegenwart denn dooh recht Be-
trächtliches geleistet hat, dafs aber auch nooh manches Problem der
Lösung harrt, deren Weg nur angedeutet werden konnte; aber keines-
wegs unter der Oarantie, dafs dieser Weg auch sioher zum Ziele führt.
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Südafrika's Diamanten.
_ Von P. Prehde in Schönebeck a. E.
lie ersten südafrikanischen Diamanten wurden 1867 am Vaal-
flusse in Griqualand- West gefunden, welches damals dem Griqua-
Häuptling Waterboer unterstellt war.
Ein herumziehender Händler Namens O'Reilly brachte den ersten
Diamant von 21 Karat an die Öffentlichkeit; er hatte ihn von einem
Boer erhalten, der von dem Werte keine Ahnung hatte. Dieser Stein
wurde dem Hofschatzamt in London überwiesen und schliefslioh
von einem englisohen Baron für £ 500 angekauft. O'Reilly teilte
den Betrag mit dem früheren Besitzer des Diamanten. Zwei Jahre
später erhielt der erwähnte Boer von einem in derselben Gegend
wohnenden Hottentotten einen 83'/, karätigen Stein Für £ 400, welchen
er unmittelbar darauf für £ 11200 verkaufte. Dieser, als ..Stern
Südafrikas" bekannte Diamant ist gegenwärtig im Besitz der Gräfin
von Dudley und wird auf £ 25000 gesohätzt
Bald begann ein Schwärm von Sobatzgräbern und Abenteurern
aus aller Herren Länder, die Stätten der Farmen Du Toitspan und
Bultfontein aufzusuchen, und die früher kaum von eines Menschen
Fufs betretene, öde, wasserarme Gegend begann sich zu beleben.
Tausende von Menschen aller Nationalitäten, in Zelten hausend, waren
eifrig damit beschäftigt, nach den kostbaren Wunderdingern zu suchen,
welche dio Eigenschaft besafsen, einen armen Mann im Augenblick
in einen reichen zu verwandeln.
Im darauffolgenden Jahre entdeckte man in der Nähe zwei
weitere Diamanten bergende Farmplätze, so dafs in einem Kreise von
einer Quadratmeile vier Bergwerke entstanden.
Ein Chaos waren diese Bergwerke in ihrer ursprünglichen Be-
schaffenheit Glaubte der Diamantengräber einen geeigneten Platz
für seine Thätigkeit gefunden zu haben, dann bogann das Graben
unter Zuhilfenahme von Eingeborenen, und der Schwierigkeiten gab
•es viele zu überwinden, denn weder Sprengstoffe noch Hilfsmaschinen
waren zur Stelle. Die Schürfanrechte lagen häufig so nahe bei ein-
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ander, dafs die verschiedenen Besitzer derselben sioh gegenseitig ins-
Gehege kamen. Die einzelnen Gruben mit Sohürfanreohten hatten ver-
schiedene Ausdehnung, Form und Tiefe angenommen; die verschie-
denen Interessenten, welche auf 12 000 angewachsen waren, arbeiteten
in kleineren Parteien, jede naoh der ihr bestdünkenden Methode.
Dazwischen blieben aufgedeokte Fels blocke, notwendige Verkehrs-
wege und wertlose Erdmassen stehen, welohe manchmal einstürzten
und die mühevolle Arbeit Einzelner verschütteten. Die Verkehre-
mittel waren unzureichende, das Wasser knapp, und der geöffneten
Erde entstiegen Fieberdünste.
Unter diesen Verhältnissen konnten allerlei Unzuträglichkeitea
nioht ausbleiben; Zank und Streit, sowie zügellose Gesetzesfreiheit
machten die Zustände unerträglich, so dafs die Cap-Regierung das
Land im Jahre 1871 als Eigentum proklamierte. Aber auch die
Boeren des Oranje- Freistaates glaubten rechtmäfsige Ansprüohe auf
die Gegend zu haben, und es wäre wohl zu einem Kriege gekommen,
wenn beide Parteien sioh nicht verständigt hätten, indem der Oranje-
Freistaat eine Entschädigungssumme von £ 90 000 erhielt.
Inzwischen waren die Farmen wiederholt in andere Hände über-
gegangen, und die Bedingungen auf Erteilung von Sohürfanreohten
wurden immer höhere. Die Folge davon war ein Aufstand der Dia-
mantengräber, aber auch hier wurden die Streitigkeiten ohne Blut-
vergiefsen beigelegt.
Sobald einigermaßen Ordnung hergestellt war, begann ein regel-
rechter Bergbau. Nach und naoh wurden die Zelte du roh Wellblech-
bäuser ersetzt und gaben die Grundlage der heutigen Stadt Kimberley.
Mit grofser Leichtigkeit konnten Diamanten auf unredliche Weise
erworben werden, und der enorme Nutzen, welcher du roh Beschaffen
der Edelsteine von den in den Gruben arbeitenden Eingeborenen zu
erreichen war, hatte eine grofse Anzahl Abenteurer herbeigelockt,
welche ein organisiertes System anwandten, um gestohlene Diamanten
beiseite zu schaffen und zu verwerten. Kaum die Hälfte der ge-
fundenen Steine gelangte in die Hände der rechtmäfsigen Eigentümer.
Infolgedessen sahen sich die Besitzer genötigt, den Schutz der
Regierung anzurufen, und diese belegte das ungesetzmäfsige Diamanten-
verkaufen mit harten Strafen. Ein Netz von Geheimpolizisten hatte
darüber zu wachen, dafs nur konzessionierte Händler Diamanten ver-
kaufen durften. Der Besitz roher Diamanten allein genügte als Be-
weismittel zur Verurteilung zu 7 Jahren Zwangsarbeit Gewissenlose
Charaktere benutzten das Gesetz, um sioh unliebsamer Personen zu
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503
entledigen, indem sie ihren Opfern Diamanten in die Tasche prakti-
zierten. Das Gesetz wurde zu Repressalien ausgenutzt, jedoch der
beabsichtigte wohlthuende Zweck, der Diamanten-Industrie eine sichere
Flg. I. Kimberley - Mine . Tagebau
Basis zu verleihen, läTst dessen Härte und Einseitigkeit entschuldbar
erscheinen.
Zu jener Zeit schon hatten sich kleinere Gesellschaften gebildet»
indessen begann die eigentliche Entwickelung der Diamautenfelder
erst von dem Augenblick der Vereinigung sämtlicher Bergwerke
504
des Eisenbahnverkehrs im Jahre
r ,-iner Loitu"g^ konnten Baumaterialien und Maschinen her-
-oMtf *erJe"' „„erke sind Tagebaue, aber einzelne haben auch
Die «*ism
Tiefb*u'
aosxed('htttett . utt>n vom Marktplatz Kimberleys entfernt liegt die Kim-
^ur/ön ^ ^ eine der reichston Südafrikas, mit 14 ha Tagebau
berley-0r"l'eJ Tjefe Der jetzt betriebene Tiefbau hat 600 m erreicht.
vozj ^IJSferbergwerk ist das der De Heers Company, eine Viertel-
^'jlich voa t?rs,erer entfernti und so ganz geeignet, dem Be-
nieile os Qßgamtbild der modernen Diamanten-Gewinnung zu geben.
SUCi,pie Diamanten sind in einer thonartigen, blaugrünen Erde von
bröckeliger Beschaffenheit, dem Kimberlit, enthalten. Die Erde
^^vermittelst Dynamit oder Sprengpulver losgelöst, auf Drahtseil-
bahnen zur Oberfläche befördert (s. Titelblatt, obere Abbildung) und
vorerst auf grofsen, freien Plätzen ausgebreitet, wo sie dem Einflufs
der Luft ausgesetzt bleibt und später leichter gewaschen werden kann.
Viele Millionen Ladungen (Fig. 2) lagern auf diesen Plätzen, welche
floors genannt werden. In oiner Ladung von ca. 1000 kg Kimberlit
sind durchschnittlich 0,85 bis 0,89 Karat Diamanten enthalten, wovon
120 Karat einem Gewicht von 1 Unze, oder 16,67 g gleich sind. Sehens-
würdig sind die Einrichtungen zur Beförderung der Erdmassen, die
elektrisch erleuchteten unterirdischen Stollen, die ingeniösen Maschinen
zum Zerkleinern und Schlemmen der Erde (s. Titelblatt, untere Ab-
bildung), sowie zur Absonderung wertloser Erde und Transportierung
derselben auf immer höher anwachsende künstliche Hügel.
Auf diese Weise werden ca 50 cbm blauer Erde zu ca 5 Cubik-
fufs wertvollen Rückständen reduziert und vermittelst Pulsatoren in
die Sortierräume befördert, auf langen Tafeln ausgebreitet und sortiert.
Aufser Diamanten von wasserheller, gelblicher, rötlichor, schwarzer
und gestreifter Färbung finden sich auch Rubine und andore wert-
losere Edelsteine vor. Von der Form, Beschaffenheit, Farbe und Gröfse
ist ihr Wert abhängig.
Wie in ganz Südafrika die rohen Arbeiten von den Einge-
borenen, den Kaffern, verrichtet werden, so müssen sie auch in den
Diamantengruben das Befördern der Erde zu den Schächten, die ge-
wöhnlichen körperlichen Hilfeleistungen verrichten, während die Auf-
seher, Maschinisten und Sortierer Weirse sind.
Die Eingeborenen müssen sich für eine gewisse Arbeitsperiode
von mindestens drei Monaten verpflichten und sind angewiesen, im
505
Bereich des eingeschlossenen Bergwerks zu bleiben; aufserhalb der
Arbeitszeit dient ihnen der „Compound", ein von der Aufsenwelt ab-
geschlossener Gebäudekomplex, in welohem sie die Nacht zubringen
und ihre Mahlzeiten erhalten, als Aufenthalt (Fig. 3). Auf diese Weise
sind sie einer unausgesetzten Kontrolle unterworfen und können zu-
fällig gefundene Diamanten nicht bei Seite schaffen.
In den Diamanten-Bergwerken Kimberleys sind 7800 Kaffern
und 2000 Weifse beschäftigt.
Die Ausbeute seit Entdeckung der Lager wird auf 1' 4 Milliarde
Mark geschätzt.
Fig. '2. Transport da« „Kimberlit" auf Floors.
Auch im Oranj**- Freistaal wurde 1878 ein ansehnliches Lager
entdeckt. Die vollkommensten Diamanten werden hier bei Jagers-
fontein gefordert. Am 3U. .Juni 1893 wurde der gröfste Diamant,
der „ Excelsior" hier gefunden. Er wiegt 971 Karat und mifst
51 2 englische Zoll im Umfang. Selbst wenn ein in der Mitte be-
findlicher Fehler die Teilung dieses Diamanten erforderlich machen
sollte, so würde man zwei tadellose Brillanten von über 200 Karat
erhalten, also gröfser als der Kohinoor. Im Jahre 1895 fand man
einen weifsen Stein von 634 Karat, der vollkommenste, welcher je-
mals entdeckt wurde. Er ist nach dem damaligen Präsidenten des
Oranjt>- Freistaates „Reitz" genannt.
506
Im Kimberley - Distrikt wurde 1896 ein 503 karätiger Stein in
der De Beers Grube, und ein 404 karätiger in Du Toitspan gefunden.
Ein kleinerer, 150 Karat schwerer Diamant von regelmäfsiger Form,
der „Porter Rhodos", stammt aus der Kimberley-Orube und hat einen
Wert von 60000 Lstr.
Ein weit gröfserer als die oben genannten Diamanten wurde jedoch
1806 in Brasilien gefunden. Er wiegt 3100 Karat, ist aber schwarz.
Aufserdem finden sich Alluvial - Diamanten im Sande einiger
Flüsse Südafrikas vor, hauptsächlich im Vaalflufs. Ihr Ursprung läfst
sich nicht mit Uewifsheit bestimmen, und es ist nicht anzunehmen,
Fig. 3. Kaffern -Compound mit Badcbuiin.
dafs sie den bekannten, trockenen, vulkanischen Lagern entstammen.
Die Flufsdiamanten sind wertvoller als diejenigen Kimberleys, jedoch
weniger zahlreich.
Auch in Transvaal in der Nahe von Klerksdorp sowie nördlioh von
Pretoria in Ze b ed • • 1 i s - Land und im Distrikt Waterberg befinden sich
Anzeichen von dem Vorhandensein vulkanischer blauer Diamantenerde.
Es gehört daher nicht in den Bereich des Unmöglichen, wenn
die im Osten Deutsch -Südwestafrikas gemachten Entdeckungen das
Vorhandene m von Diamanten bestätigen sollten.
Freilich dienen die Diamanten in der Hauptsache dem Luxus,
und ihr Wert ist ein imaginärer.
Das Erreichen der Erdpole mit Hilfe von Eisbrechern.
Von R. Hahn, Navigationslehrer in Leer.
achdem alle Schiffsfahrten, Treibversuche oder Schlittenfahrten
nach dem Nordpol der Erde raifsglückt sind und die Ballon-
fahrt dorthin eitel verunglückt ist, tritt nunmehr der Gedanke
hervor, die Erdpole mit Hilfe von Eisbrechern zu erreichen. Es ent-
sprang der Plan, sowie seine technische und nautische Bearbeitung
dem Kopf eines der tüchtigsten Hydrographen der Jetztzeit, der zu-
gleich ein gründlicher Polarforscher und praktischer Seemann der
Eismeere ist, nämlich dem des russischen Vice-Admirals Marakoff.
Die Geschiohte der pelagischen Eisbrecher reicht nicht weit
zurück und stammt die Idee, Fahrwasser vermittelst Eisbrecher trotz
Frost und Eis zu öffnen und für die Schiffahrt offen zu halten, natur-
gemäß aus Kufsland, dem Lande, dessen Küsten, Buchten und Häfen
am meisten durch Eis blockiert werden. Dort gelang es 18B4 durch
einen verhältnismäfsig kleinen Eisbrecher, d. h. durch einen kleineren
eisernen Dampfer mit vorn in die Höhe laufendem Kiel, den Verkehr
zu Wasser zwischen Kronstadt und dem Festlande einige Wochen
länger als sonst zu Anfang des Winters zu ermöglichen. Der Erfolg regte
zu Nachahmungen in größerem Stil an, und schon zu Anfang der sieben-
ziger Jahre finden wir technisch verbesserte, starke Eisbrecher auf
den amerikanischen Binnenseen, auf der Elbe, der Weser und in allen
gröfseren Ostseehäfen in Thätigkeit. Ende der achtziger Jahre er-
hielten Nikolajew und Wladiwostok so gewaltige Eisbrecher, dafs
sie jetzt das ganze Jahr hindurch ihre Häfen in Verbindung mit dem
Meere halten können, und mit dem Bau der sibirischen Eisenbahn
installierte die russische Regierung auf dem Baikal-See einen Eis-
brecher, der die Aufgabe der Überführung des Eisenbahn -Verkehrs
dort zu allen Jahreszeiten hat. Dieser führt auch vorn eine tiefliegende
Schraube nach dem Muster der Michigan- Eisbrecher, welche den
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508
Zweok hat, die sogenannten Torosse, d. h. zusammengeschobene und
zusammengepreßte Eishaufen, zu unterwühlen und zum Zusammen-
bruch zu bringen.
Auf Grund der mit diesen Eisbrechern gemachten Erfahrungen,
mit denen Admiral Mar ak off vertraut ist wie kaum einer, kalkuliert
er, dafs der Nordpol der Erde in kurzer Zeit und mit ziemlicher
Sicherheit vermittelst zweier reoht starker Eisbreoher zu erreichen wäre.
u-j V
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V ■
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Seitenansicht im Langsichnitt.
Deckaiuicht.
Polar - Eisbrecher nach Marakoff.
b. Wasserballast - m. Maschinen. — d. Doppolboden,
p. Pumponräume. — k. Kohlenräume.
Bevor ich auf seine Annahmen, Schlüsse und Rechnungen ein-
gehe, möchte es angebracht sein, die zu bezwingenden Eisverhältnisse
etwas näher zu beleuchten.
In den Eismeeren hoher und höchster Breiten hat man Eisberge,
Torosse und Eisfelder zu erwarten, und zwar die meisten Eisberge in
den antarktischen Regionen, während in den arktischen Gegenden nur
Eisfelder und Torosse dominieren. An Eisbergen wird man einen Eis-
brecher nie probieren, sondern man wird sie umgehen und ebenso aucli
Torosse, wenn sie sich nicht als Ketten lang hinziehen, so dafs man sie
50V)
durchqueren mufs, um leichter zu durchbrechendes und schneller zu
durchfahrendes Feldeis zu erreichen. Man kann auf Grund von Autori-
täten annehmen, dafs Torosse nicht tief und immer pyramidenförmig
ins Wasser ragen, da sie durch Pressungen der Eisfelder entstanden
sind; aber auf 8 — 10 Meter mufs man ihre Tiefe doch schätzen. Auf
den nordamerikanischen Binnenseen vernichtet und durchfährt man mit
Hilfe der vorderen Schraube der dortigen Eisbrecher die gröfsten
Torosse, d. h. solche bis zu 7 und 8 Meter Höhe, und gröfsere kommen
nach Nansen, Nordenskjöld, Borchgrevink u. s. w. weder im nörd-
lichen noch im südlichen Polarmeer kaum vor. Nehmen wir aber auch
mehrjährige Torosse von wesentlich gröfseren Dimensionen in den Polar-
becken an, so ist dem entgegen zu stellen, dafs diese aus Salzwasser
gefroren sind, und dafs das Eis der letzteren durch Salzauswaschungen
locker wird und höchstens 70°/o der Festigkeit des Süfswassereises
besitzt; außerdem ist man mit den 1500 effektiven, d. h. wirklich das
Schiff bewegenden Pferdekräften jener Eisbrecher noch lange nicht an
die Grenzen des Antriebes angelangt.
Eisfelder können aus einjährigem und auch au6 mehrjährigem
Eise bestehen. Ihre wahrscheinliche Stärke können wir an der Hand
der Wey p recht sehen „Metamorphosen des Polareises" kalkulieren.
Wenn wir darin die Heaumur -Kälte- Grade in Colsius umsetzen
und 1°C. pro Tag einen Gradtag nennen, so erhalten wir für:
500 Gradtage eine Eisdicke von ca. 0,5 Meter
1000 „ „ „ 0,75 .
•2 000 „ „ .. „ 1,0 „
4 000 „ 1,5 „
6 000 „ „ ., 1,9 „
10 000 „ „ „ ., 2,4 „
15 000 „ „ „ „ 3,0 „
20 000 „ n „ ., . 3,3
Man sieht hieraus, wie wenig echliefslich die hohen Gradtagzahlen
wirken, und dafs man bei etwas über 6000 Gradtagen pro Jahr, naoh
Weyprecht, Nordenskjöld, Nansen u. s. w., auf eine einjährige
Eisdecke von nicht ganz 2 Meter Dicke zu rechnen hat. Bei mehr-
jährigem Eise werden wir 15000 und 20000 Gradtage zählen müssen,
aber dann auch den regelmäßigen Sommer-Abschmelz von reichlich
1 Meter abzuziehen haben. Somit erhalten wir bei 3 bis 4jährigem
Eise 3,2—3,6 Meter Dicke, und nach Abzug des Abschmelzens bliebe
eine Dicke von 2,8 bis höchstens 3,3 Meter, was mit den praktischen
Erfahrungen der Polarreisenden übereinstimmt
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510
Nehmen wir eine Maximal-Starke der Eisfelder von selbst 3,5
Meter an, so fragt es sich, welohen Antrieb ein Eisbrecher haben mufs,
um solohe Eismasse mit auch nur geringer Geschwindigkeit zu durch-
fahren. Die effektiven Pferdekräfte hierfür sind = 1,25 X der Ge-
schwindigkeit in Seemeilen X dem Quadrat der Eisdicke in Zollen,
und das ergiebt für 1 Seemeile Geschwindigkeit zum Durchfahren von:
0,75 Meter dickem Eis etwa 760 effektive Pferdekräfte
1,0 « „ „ „ 1 900 h „
1,6 „ „ „ „ 5 000 „ n ti
2.5 „ n «11 000 „ „ „
3,0 „ „ „ 18 000 n n
3.6 „ « „ 22 000 „ n n
Da man eine solche Polarfahrt im Spätsommer durchführen kann,
so wird dann das Eis reichlich einen Meter abgeschmolzen sein, also
nur eine Dicke von 2,5 Metern haben, für dessen Durchbrechen nur
ein Antrieb von 11000 effektiven Pferdekräften nötig wäre. Zieht
man nun in Betracht, dafs unser gröTster und der Welt schnellster
Dampfer „Kaiser Wilhelm der Grofse" über eine solche Triebkraft
verfügt, so wird Niemand zweifeln, dafs man diese auch in einen Eis-
brecher installieren kann, und damit wäre nach Makaroff die Er-
reichung der Erdpole lediglich in den Rahmen der Geldfrage gerückt.
Bei der Erörterung dieser kommt nun die Erfahrung zu statten,
dafs zwei kleinere Eisbrecher, so hintereinander gelegt, dafs der
hintere beim Vordringen den vorderen mitsohiebt, dagegen rückwärts
schleppt, wenn jener sich festgeklemmt hat, noch besser brechen und
fahren als ein wesentlich stärkerer allein. Daher werden zwei Eis-
brecher von mittlerer Gröfse und Stärke auch für die Pol-Fahrt am
geeignetsten sein, und für sie hat man auch sonst seewirtschaftliche
Verwendung, was bei einem sehr grofsen und dementsprechend tief-
gehenden Eisbrecher weniger der Fall sein möchte. Das nötige
Geld wird also durchaus nioht lediglich für Polfahrt-Eisbrecher ge-
spendet werden, sondern zum gröfseren Teil für das Brechen von Eis
im Interesse der Seesohiffahrt überhaupt.
Admiral Mar ak off hat die Konstruktion des gewaltigen russischen
Eisbrechers „Jermak", gebaut bei Armstrong-Whitworth & Co.
in Newcastle, begutachtet; er hat den Bau in seinen wichtigsten Teilen
inspiziert, das Schiff Ende Februar dieses Jahres abgenommen, nach
dem finnischen Meerbusen begleitet und mit glänzendem Erfolg in
seine eis- und bahnbrechende Thätigkeit gesetzt Der Jermak hat für
seine drei hinteren und seine vordere Schraube vier ganz getrennte
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dreifache Expansionsmaschinen, welche je 1600 treibende Pferdekräfte
entwickeln, die also in Summe nicht viel weniger leisten, als es ein
Polar-Eisbrecher thun müfste. Dafs ein solcher, entsprechend seinem
Deplacement von etwa 6000 Tonnen, ungemein stark und mit noch viel
mehr Verband als der „Fram" gebaut sein müfste, dars er zahlreiche
wasserdichte Abteile, ungemein grofse Kohlenbunker und SüTswasser-
Tanks, sowie eine völlige Polar-Überwinterungsausrüstung an Bord
haben raufs, versteht sich von selbst; was das alles bedeutet, hat
Nansen zur genüge gezeigt. Die vorstehenden Zeichnungen geben
ungefähr und vorbehaltlich der näheren Dimensionenangabe die Form
und Einrichtung eines Eisbrechers wieder, wie Marakoff ihn zur
Erreichung des Nordpoles für nötig erachtet.
Nimmt man nun mit Marakoff an, dafs man im Hochsommer
bis 78 0 Nord in eisfreiem Wasser dampfen kann, so hat man von da
auf Nord-Kurs noch 720 Seemeilen = 180 deutsche Meilen bis zum Pol.
Wir wollen 800 Sm. sagen, da man doch nicht schnurgerade fährt,
und dann mit Nordenskj öld, Weyprecht, Nansen, Sverdrup
u.a., wie folgt, schliefsen: Von diesen 800 Sm. werden l/4 = 200 Sm.
eisfrei sein, so dafs die Eisbrecher sie mit 12 Sm. p. h in 17 h durch-
dampfen; dann wird '/5 der ganzen Strecke = 160 Sm. einjähriges
Eis von 1,2 — 1,3 Meter Stärke bieten, welche mit 3,5 Sm. p. h durch-
fahren werden können, also in 46 h; ein weiteres Sechstel der 800 Sm.,
also 135 Sm., werden mit zweijährigem Eise von 1,5 — 1,6 Meter Dicke
bedeckt sein und mit 2,5 Sm. Fahrt p. h durchbrochen werden, d. h.
in 54 h; ein weiteres Sechstel = 135 Sm. sei mit dreijährigem Eis,
2,1 Meter dick, belegt, also mit 1,7 Sm. Fahrt p. h oder in 80 b durch-
querbar. Vom Rest werden 13J) Sm. 2,6 Meter dickes Eis tragen, das
nur mit 1 Sm. Fahrt p. h, also in 135 zu durchdampfen ist, und
ca. 30 Sm. werden Torosse bieten, die nur mit 0,5 Sm. Fahrt zu über-
winden sein möchten, oder in ca. 60 b Zeit. Sonach würden die Eis-
brecher im ganzen sich in ca 400 Stunden duroh das Eis zum Pol
brechen, so dafs die ganze Nordpol-Tour in etwas mehr wie einem
Monat erledigt werden könnte.
Für das Erreichen des Südpols liegen die Verhältnisse sehr viel
ungünstiger, weil man dort schon in viel niederer Breite auf dickeres
Eis stofsen wird und auch auf mehr mächtiges Eis, das zu umfahren
sein wird, rechnen mufs. Eine Schätzung für das Durchbrechen des
antarktischen Eises bis zum Südpol wird erst auf Grund der Erfahrun-
gen möglich werden, die beim Vordringen zum Nordpol in dieser
Weise gemacht worden sind.
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Admiral Marakoff hat über seine Pläne Vorträge in der
kaiserlich russischen geographischen Gesellschaft und im Marine-
Verein zu Petersburg gehalten. Seinen Auslassungen entstammt zum
Teil das hier nach eigenen Anschauungen verarbeitete Material. Ee
ist sehr wahrscheinlich, dufs Rursland, geleitet von dem genialen Geist
des energischen und erfahrenen Mannes, in einem der nächsten Jahre
versuchen wird, sich die Palme der Polarforschung durch Erreichung
des Nordpols mittelst Eisbrechers zu erringen.
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Zur Entwickelungsgeschichte der Gestirne. Dafs wir in den
verschiedenen Typen der Fixsternspektra Repräsentanten der ver-
schiedensten Entwickelungsstadien von Himmelskörpern vor uns haben,
ist eine seit geraumer Zeit von den Astrophysikern allgemein ange-
nommene Vermutung. Die Sterne vom ersten Vogel sehen Typus
galten dabei stets als die heifsesten, und darum glaubte man, dafs sie
in ihrer mit allmählicher Abkühlung verbundenen Entwickelung am
wenigsten vorgeschritten seien, während die kühleren Sterne vom
dritten Typus, in deren Atmosphären chemische Verbindungen durch
das Spektroskop nachgewiesen wurden, um dieser niedrigen Temperatur
willen für alternde, dem gänzlichen Verlöschen nahe Sonnen gehalten
wurden.
Gegenüber diesen bisher allgemein als selbstverständlich hinge-
nommenen Ansichten über die Beziehungen zwischen Temperatur
und Alter der Fixsterne hat der amerikanische Astronom See kürz-
lich eine diametral entgegengesetzte Anschauung verteidigt, zu der
er durch theoretische Untersuchungen im Anschluls an die Helmholtz-
sche Theorie der Erhaltung der Sonnenwärme gelangt ist.
Helmholtz hat im Jahre 1853 bereits darauf hingewiesen, dafs
die durch die fortwährende Wärmeausstrahlung bedingten Wärme-
verluste der Sonne nicht notwendig mit einer Abnahme ihrer Tempe-
ratur verknüpft zu sein brauchen. Durch eine neben der Ausstrahlung
sich vollziehende Kontraktion des als gasförmig vorausgesetzten Sonnen-
balls könnte vielmehr eine so grofse Menge potentieller Energie in
kinetische Wärme-Energie verwandelt werden, dafs die Temperatur
der Sonne auf gleicher Höhe erhalten wird. Lane, der im Jahre 1870
die Temperaturveränderungen eines sich infolge der Wärmeausstrahlung
zusammenziehenden Gasballs theoretisch genauer verfolgte, gelangte
sogar zu dem paradoxen Ergebnis, dafs die durch Kontraktion er-
zeugte Wärmemenge die von dem Gasball ausgestrahlte Energie
übertrifft, und dafs daher die Temperatur sich zusammenziehender,,
gasförmiger Himmelskörper beständig steigen müsse, bis eine schliefs-
Himmel und Erde. 1869. XI. II. 33
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liehe Verflüssigung' der komprimierten Gase unter nochmaliger Ent-
bindung grofser Wärmemengen dieser Wärmezunahme ein Ende macht
und das nunmehrige allmähliche Erkalten einleitet.
Hieran knüpfen nun Sees Schlufsfolgerungen an; auch er findet,
dafs unter der Voraussetzung gasförmigen Aggregatzustandes die
Temperatur der Gestirne in demselben Mafse stefgen mute, wie sich
ihr Durchmesser verkleinert. Im anfänglichen Nebelstadium müsse
darum die Temperatur als sehr niedrig, dem absoluten Nullpunkt nahe-
liegend, angenommen werden. Dagegen stellt das Stadium der Sirius-
sterne (I. Typus) nach See nicht den Anfang der Entwickelung* dar,
sondern vielmehr deren Ziel. Die Siriussterne haben den höchsten
Hitzegrad durch möglichst weitgehende Kontraktion erreicht, bei ihnen
steht die Verflüssigung und damit der Beginn der Abkühlungsperiode
unmittelbar bevor. Die Thatsache, dafs viele dieser Siriussterne von
dunklen Begleitern von nahezu gleicher Masse umkreist werden, wie
auf Grund ihrer veränderlichen Eigenbewegung erkannt werden konnte,
stützt nach Sees Meinung seine Auffassung, dafs wir es hier mit
alternden Gestirnen zu thun haben, die zwar zur Zeit noch auf dem
Höhepunkte ihrer Wärme- und Licht -Ausstrahlung stehen, aber alsbald
dem Schicksale ihrer bereits dunkel gewordenen Geschwistersterne
verfallen werden, da der durch die einstige, grofse Ausdehnung ihnen
verfügbar gewesene Vorrat an potentieller Energie bald erschöpft sein
wird. — Die Sonnensterne (II. Typus) stellen dagegen ein weniger
kontrahiertes und deshalb auch weniger heifses Stadium dar. See
glaubt, dafs die Mannigfaltigkeit der Zusammensetzung der Atmosphären
dieser Gestirne auf die noch nicht allzu grofs gewordene Schwere
zurückzuführen sei, welche es nooh den meisten Gasen gestattet an
der Oberfläche zu bleiben, während bei den stärker kontrahierten
Siriussternen aufser der Temperatur auch die Schwere ihren Maximal-
wert erreicht hat, so dafs auf der Oberfläche des Gasballs fast nur
noch die leichtesten Gase zu finden sind.
Obgleich naoh dieser Anschauung die Temperatur unserer Sonne
noch steigen mufs, ist nach See wegen der Verringerung des Durch-
messers doch die Gesamt -Ausstrahlung, also auch der auf die Erde
entfallende Bruchteil derselben, bereits im Abnehmen begriffen. Zur
Zeit, als der Durchmesser des Sonnonballs noch demjenigen der Erd-
bahn glich, müfste nach der Kontraktionstheorie die Temperatur der-
selben diejenige lauen Wassers (40°) gewesen sein, eine Temperatur,
die wir bei Annahme der Kant- Laplace sehen Theorie als Ausgangs-
punkt für die Entwickelung des Erdsterns zu benutzen hätten. See
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findet, dafs die Erde kurz vor ihrer Verflüssigung nur eine maximale
Temperatur von etwa 2000 0 C. habe erlangen können.
Die hier kurz wiedergegebenen Deduktionen dürfen gewifs leb-
haftes Interesse beanspruchen, stellen sie doch im Grunde nur die
Konsequenzen der Heimholt/ sehen Kontraktionstheorie dar. Es darf
jedoch nicht vergessen werden, dafs diese Theorie auf der noch un-
bewiesenen Annahme des gasförmigen Aggregatzustandes ruht Die
Probleme der Astrophysik dürfen aber nur durch Beobachtung und
Erfahrung und nicht von einer vorgefafsten Meinung aus entschieden
werden. Es fragt sich nun sehr, ob die eben skizzierten, neuen Auf-
fassungen die Einzelheiten der spektralanalytischen Erscheinungen
ebenso gut zu erklären im stände sein werden, wie die bisherigen
Ansichten über das Alter der Sterne. Auch darf nicht übersehen
werden, dafs in der von See nicht weiter verfolgten Abkühlungsperiode,
welche auf die Zeit stetig steigender Hitze folgt, die früher bereits
einmal dagewesenen Temperaturen in umgekehrter Folge noch einmal
auftreten müssen, und der selbstleuchtende Zustand noch eine geraume
Zeit hindurch anhalten mufs. Die Altersbestimmung eines Gestirns
auf Grund seiner Temperatur würde sonach eine Aufgabe mit zwei
verschiedenen, möglichen Lösungen darstellen, und es müfste erst
durch hinzukommende Kriterien in jedem Einzelfalle entschieden
werden, ob man einen Stern vor sich hat, der der ersten Entwickelungs-
periode angehört und noch durchaus gasförmig ist, oder aber einen
solchen der zweiten Periode mit abnehmender Temperatur und flüssigem
Kern. Die erste Möglichkeit würde dann die von See hervorgehobene
sein, während die zweite es gestatten würde, bei den bisherigen Auf-
lassungen über das relative Alter der verschiedenen Fixsterntypen
zu verharren. Es erscheint uns demnach sehr wohl möglich, die neue
Lehre mit den bisherigen Ansichten zu vereinen und als eine blofse
Vervollständigung derselben anzusehen. Gewifs mag in zahlreichen
Fällen die bisher übliche Altersschätzung fehlgegangen sein, aber in
vielen anderen Fällen mag sie ebenso wohl das Richtige getroffen
haben. Das Stadium der Siriussterne, das man bisher an den Anfang
der ganzen Entwickelung stellte und unmittelbar mit dem Nebelstadium
in Beziehung brachte, würde also nur den Anfang der zweiten Periode
des Leuchtens eines Sterns bedeuten; zwischen das Nebelstadium
einerseits und das der Sterne vom ersten Typus andererseits hätten wir
noch die Periode steigender Temperatur einzuschalten, während welcher
der Typus des Spektrums einem umgekehrt verlaufenden Wechsel, wie
in der Abkühlungsperiode, unterworfen sein könnte. F. Kbr.
33*
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516
Über die Ursachen der Polschwankungen (s. Septb.-Heft des
vorigen Jahrg. „Himmel u. Erde") hat sich S. Xewcomb geäufeert,
indem er die Möglichkeiten erwägt, welche von rein theoretischem
Gesichtspunkt»« aus Tür eine Erklärung der Schwankungen der Erd-
achse in Betracht kommen können. Die einzige Bewegung des Erd-
poles, welche durch die Theorie begründet worden kann, ist die be-
kannte Eulersche Periode von 306 Tagen, wenn, wie wahrscheinlich,
die Erde als ein fester Körper von gewisser Elastizität vorausgesetzt
wird. Ein sicherer Betrag der kreisförmigen oder elliptischen Be-
wegung des Erdpoles läfst sich derzeit noch nicht angeben, da die
mittlere Elastizität des Erdkörpers unbekannt ist. Keinesfalls kann
aber die Periode mit der von Chandler gefolgerten übereinkommen,
wenn man nicht der Erde eine viel gröfsere Starrheit, als sie höchst
wahrscheinlich besitzt, zuschreiben will. Die Eul ersehe Periode
kann indessen durch Vorgänge auf der Oberfläche der Erde so er-
heblich beeinflufst werden, dafe mehrere kleine Perioden entstehen,
die umeinander laufen, oder aber ineinander eingreifen, so dafs sie
sich bisweilen verstärken, bisweilen jedoch auoh gegenseitig fast auf-
heben könnten. In statischer Beziehuug können Veränderungen im
Betrage des jährlichen Schneefalles auf der Erdoberfläche Bewegungen,
und zwar Verschiebungen in der Lage des Drehungspoles bewirken, die
Newcomb auf 3 bis 4 Hundertstel der Bogensekunde schätzt. Atmo-
sphärische und Meeresströmungen können als dynamische Ursachen
für die Beeinflussung der Bewegung der Erdachse auftreten. Sie
können Veränderungen jährlicher Natur in der Polbowegung hervor-
rufen, wenn sie sich regelmäfsig jedes Jahr wiederholen, aber auch
Störungen bewirken, falls plötzliche Unregelmäfsigkeiten im Verlaufe
jener Strömungen denkbar wären. In den Beobachtungen der Pol-
höhenversohiebungen würden sich also neben der Eulerschen Periode
noch Jahrosperioden und kleine irreguläre Schwankungen unbestimmten
Charakters kundgeben müssen. Der Betrag des Niederschlages auf
der Erdoberfläche, wenn er etwa jahraus jahrein nicht derselbe bleibt,
sondern sich erheblich ändert, würde ebenfalls eine Veränderung der
Eulerschen Periode und zwar in dem Sinne bewirken, dafs die Am-
plitude dieser Periode, das heifst die Gröfse der Schwingung des Poles,
etwas verändert wird. Der Coefficient dos jährlichen Wertes der
Änderung, die aus einem jährlichen Wechsel der atmosphärische»
Strömungen folgen würde, darf nach Newcomb bis auf eine Zehntel-
sekunde im Maximum veranschlagt werden. *
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517
Die drei Aggregatzustände.
Wie die Einteilung der Lebewesen in Tiere und Pflanzen vor
•den Ergebnissen der Forschung nioht hat bestehen bleiben können,
so dafs man heut nicht mehr nachweist, worin beide sich unterscheiden,
sondern nur, dafs man keine scharfe Grenze zwischen ihnen ziehen
kann; wie die Teilung der Chemie in organische und anorganische
ihre alte Bedeutung verloren hat, so macht sich eine ähnliche Um-
wandlung auch auf physikalischem Gebiet bemerkbar. Wenn es in
Lehrbüchern heifst, feste und flüssige Körper haben eigenes Volumen,
Flüssigkeiten und Gase keine eigene Gestalt, so ist sohon oft darauf
hingewiesen, dafs es hier am letzten Ende darauf ankommt, was für
Kräfte das Volumen oder die Gestalt zu ändern streben. Pech ist
eine Flüssigkeit, bei Steinselzarbeiten kann man sie au 8 Fässern fliefeen
sehen; will man aber von diesor Flüssigkeit etwas abteilen, so mufs
man ein Beil nehmen. Blei dagegen ist ein fester Körper, aber eine
Statue aus diesem Metall behält ihre eigene Gestalt nicht lange; zwei
Bleiplatten in der Plombierzange nehmen duroh einen Händedruck die
gewünschte Gestalt an; eine Silberplatte ist zwar nioht so gefügig,
kann aber auoh geprägt werden.
Wenn so schon der Laie an dieser Dreiteilung der Aggregat-
zustände Kritik üben konnte, so ist die neuere Forschung ihr noch
energischer zu Leibe gegangen. Prefst man ein Gas bei hinreichend
hoher Temperatur stark zusammen, (z. B. Kohlensäure bei mehr als
31° C. mit einem Druck von 100 Atm.), so kann man keine Ver-
flüssigung beobachten. Kühlt man nun ab, so beobachtet man ebenfalls
keine Kondensation, läfst man aber dann den Druck abnehmen, so
beobachtet man ein Sieden der Flüssigkeit. Folglich mufs das Gas
flüssig geworden sein, ohne dafs man doch die Grenze zwischen beiden
bestimmen könnte. Ferner gilt für Gase das Mariottesche Gesetz,
nach dem das Produkt aus dem Druek, unter dem das Gas steht, und
dem Volumen, das es einnimmt, in einfacher Weise von der Temperatur
abhängt. Sobald aber die Temperatur dem Siedepunkt des verflüssigten
Gases sich nähert, hört das Gesetz zu gelten auf. Also ist eine reinliche
Scheidung zwischen Gasen und Flüssigkeiten nicht ohne weiteres möglioh.
Ebenso ist es mit der Trennung der Flüssigkeiten von den festen
Körpern. Bei amorphen Körpern kommt es, wie bei dem oben ge-
nannten Pech, auf den Grad der Zähigkeit an. Z. B. haben sie keine
bestimmte Schmelztemperatur, sie erweichen und werden so allmählich
flüssig, ohne dafs man eine scharfe Grenze bestimmen könnte, wie es
bei krystallischen und krystallinischen Körpern möglich ist.
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Um aber die Teilung der Körper in feste und flüssige auch
dieses letzten Haltes zu berauben, haben einige Physiker in den letzten
Jahren (Zeitschrift für phys. Chemie XXV ff., Naturw. Rundschau
XIII und XIV) flüssige Krystalle entdeckt und untersucht, d. h. nicht
geschmolzene Krystalle, sondern Flüssigkeiten, die noch Krystalleigen-
schaften zeigen. Dahin gehören Cholesterylbenzoat, para-Azoxyanisol
und para-Azoxyphenetol. Wenn man sie schmilzt, so erhält man eine
trübe Flüssigkeit, die in Flüssigkeiten von derselben Dichte Kugeln
bildet, wie der Plateausohe öltropfen im wässerigen Alkohol, die also
eine rechte Flüssigkeit im gewöhnlichen Sinne ist, aber optisch doppelt-
brechend wirkt und wie alle Krystalle (z. 6. Eis) unfähig ist, andere
Körper zu lösen. Bei ganz bestimmter, höherer Temperatur können
diese Körper mit Hilfe einer ebenso genau bestimmbaren Schmelzungs-
wärme umgewandelt und ihrer Krystalleigenschaften beraubt werden,
so dafs sie also nunmehr amorph und wirklich flüssig sind. Die
specifisohe Wärme, z. B. des para-Azoxyanisols, ändert sich im
Verhältnis 3 : 2, ebenso ändern sioh die Zähigkeit und das Volumen.
Druck erhöht diese Umwandlungstemperatur, Zusätze zur Flüssigkeit
erniedrigen sie, aber viel bedeutender als z. B. Salzzusatz zum Wasser
die Gefriertemperatur.
Alle diese Untersuchungen von Tammann, Ost wald, Lehmann,
Reinitzer, Schenck lehren neben den genannten, überraschenden
Einzelheiten, dafs krystallische, krystallinisohe und amorphe Körper sich
im festen und flüssigen Zustand nur durch das Mafs der Zähigkeit unter-
scheiden, so dafs schließlich nur dieser Grad der Zähigkeit übrig
bleibt, auf den man aber dooh keine Klassenteilung gründen kann.
Theoretisch ist die Zähigkeit, und damit auch die innere Reibung,
die sich einer Verschiebung von Teilen des Körpers widersetzt, bei
Flüssigkeiten unendlich klein, bei festen Körpern unendlich grofs;
praktisch aber giebt es alle nur möglichen Abstufungen der Zähigkeit
von einem bis zum andern Ende der Zahlenreihe. A. S.
*
Lichtenbergs Figuren und Wechselstromuntersuchung.
Ein bekannter, wenn auch verhältnismäfsig wenig aufgeklärter
Versuch über elektrische Entladung kommt zu stände, wenn man eine
Glas* oder Hartgummitafel auf der Unterseite mit Stanniol beklebt und
diese Belegung nach der Erde ableitet, während man die Oberseite
mit dem Knopf einer geladenen Leydener Flasche berührt. Die Art
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und Weise, in welcher sich die Elektrizität auf der Fläohe des Iso-
lators ausbreitet, kann man durch Bestäuben mit einem feinen Pulver,
z. B. Semen lycopodii, sichtbar machen. Noch schöner gestaltet sich
der Versuch, wenn man ein Gemisch aus zwei verschieden gefärbten
Fig. 1. Photographische Registrierung elektrischer Schwingungen.
Pulvern, z. B. Schwefel und Mennige (oder statt der letzteren, zur Ver-
meidung von Bleivergiftung, englisch Rot), benutzt. Beim Schütteln
dieses Gemisches wird nämlich der erstere Bestandteil negativ, der
zweite positiv elektrisch. Da sich auf der Entladungsplatte meistens
durch Influenz sowohl positive als negative Stellen bilden, so setzt
I
520
sioh der Schwefel an den ersteren, das rote Pulver an den letzteren
ab, und man erhält eine zweifarbige Figur.
Diese Figuren sind wegen gewisser charakteristischer Merkmale
ihrer Form in der Hand des Herrn von Bezold zu einem wichtigen
Forschungsmittel geworden, indem es diesem Gelehrten gelang, zu
zeigen, dafs ein Draht, welcher mit einem Ende an eine Leitung für
elektrische Entladungen angeknüpft ist, während er andrerseits frei
endigt, in seinen verschiedenen Punkten verschiedene elektrische
Zustände zeigt. Diese Thatsache erklärt sich genau so, wie es sich
erklärt, dafs eine gedockte Orgelpfeife beim Anblasen Schwingungs-
knoten und -bäuche aufweist. Von Bezold ist also der Erste ge-
wesen, der das Zustandekommen der analogen Erscheinungen auf dem
Gebiete der Elektrizität nachwies. Seine ursprünglich verhältnismäfsig
wenig beachtete Veröffentlichung über diesen Gegenstand ist deshalb
von H. Hertz als einzige fremde Arbeit in die gesammelten Unter-
suchungen über die Ausbreitung der elektrischen Kraft aufgenommen
worden.
Neuerdings liegt eine elegante Benutzungdieser Lichtenbergschen
Figuren von Prof. Walter König vor1), und zwar handelt es sich
einmal um eine ähnliche Aufgabe, nämlich die Untersuchung lang-
samer elektrischer Schwingungen, sodann aber um eine Methode zur
Messung der Periodenzahl von Wechselströmen.
Dieser letzte Gegenstand hat ein erhebliches praktisches In-
teresse, da es zwar sehr leicht ist, in einer Wechselstromoentrale un-
mittelbar an der Maschine die Wechselzahl zu bestimmen, nicht aber
im Hause des Stromabnehmers. Bezüglich der elektrischen Schwin-
gungen bringen wir in Fig. 1 eine Photographie, welche zwar zu
Mefszwecken weniger geeignet ist, aber in sehr augenfälliger Weise
das Vorhandensein langsamer elektrischer Schwingungen zeigt. Der-
artige Schwingungen erhält man in einfacher Weise, wenn man die
beiden Enden der sekundären Wicklung eines Imluktoriums mit den
Belegungen einer Leydener Flasche verbindet. Unterbricht man den
primären Strom, so wird die eine Flaschenbelegung positiv, die andere
negativ geladen; diese Ladungen gleichen sioh durch die Drahtrolle
aus, und es entsteht wegen der bekannten Wirkung der Selbstinduktion2)
eine entgegengesetzte Ladung und so fort. Die so zu stände kommenden
Schwingungen sind verhältnismäfsig langsam; sie zählen wie die
Schallschwingungen nach einigen Hunderten in der Sekunde. Ver-
bindet man nun noch mit der einen der beiden Flaschenbelegungen
') Wied. Ann. 1S1W, Heft 3. - ') Siehe z. B. H. u. E. X. Jahrg., Seite 104.
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einen Draht, an dessen Ende man eine photographisohe Platte vorbei-
gleiten läfet, so kann man auf dieser sehr schon erkennen, dafs die
Belegung abwechselnd positiv und negativ geladen war. Die Ein-
wirkung der sich ausbreitenden negativen Elektrizität ist nämlich kon-
zentrierter und kräftiger, während man bei der positiven Elektrizität
viele Verästelungen erhält. Zugleich sieht man an der Figur recht
augenfällig, wie die Schwingungen abklingen.
Die Bestäubungsmethode, bei welcher an die Stelle der photo-
graphischen Platte eine Harzplatte oder nach König eine mit Asphalt-
lack überstrichene Metallplatte tritt, ist viel empfindlicher als die photo-
graphische Methode, und man erhält bei ihr eine grofse Zahl eng an-
einander sohliefsender, abweohselnd gelber und roter Striche. Um ein
genaues Mafs für die Geschwindigkeit zu haben, mit welcher die
Asphaltschicht an dem Drahte entlang bewegt worden ist, führt König
Fig. 2. WechaelBtrom-B«gi»trierung.
den letzteren zu einer Stimmgabel von bekannter Schwingungszahl und
läfst von einem an deren Zinke angebrachten Strohhälmchen aus die
Entladungen auf die Platte übergehen. Man erhält auf diese Weise
eine geschlängelte Staubkurve, so dafs in dieser Beziehung der Ver-
such durchaus analog dem Schreiben einer Stimmgabelkurve in einer
Rufsschicht ist. Im vorliegenden Falle kommt aber der Umstand hinzu,
dafs die Staubkurve abwechselnd gelb und rot gefärbt erscheint, und
zwar offenbar entsprechend der Periode des Wechselstroms. Man kann
also auf diese Weise eine Anzahl von Perioden sozusagen abzählen
und sie mit der Stimmgabelperiode vergleichen. Die letztere liefert
aber bekanntlich ein sehr genaues Zeitmafs.
Die Fig. 2 giebt die im Original vorhandenen Unterschiede nur
sehr unvollkommen wieder. Immerhin aber macht sich der Unter-
schied in der photographischen Wirkung des roten und des gelben
Lichtes so weit geltend, dafs man eine Abgrenzung und damit die ge-
wünschte Bestimmung vornehmen kann.
Was würde wohl der alte Göttinger Gelehrte Lichtenberg sagen,
wenn er sähe, dafs seine Figuren, deren Bedeutung nach einer ganz
anderen Richtung zu suchen war, zu einer so exakten Mefsmethode
geführt haben! Sp.
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Muschelkrebse als Luftschiffer.
Vor einiger Zeit machte eine kuriose Mitteilung die Runde durch
europäische Blätter (vergl. Münchener Allg. Ztg. und Voss. Ztg. vom
18. Jan.), die man hätte für einen Aprilscherz halten können, wenn es
nicht Januar gewesen und nicht die Namen französischer Gelehrten
genannt wären, die die Geschichte ernsthaft vor der Pariser Akademie
vorgetragen hätten. Es handelt sioh um Folgendes:
Herr L ort et in Lyon beobachtete in der Umgebung dieser Stadt
einen Regen oder förmlichen Hagel von mikroskopisch kleinen
Muschelkrebs- oder Ostrakodenschalen. Soweit der thatsächliche
Kern des Berichts. Die Schlüsse, welche nun aus dieser Beobachtung
gezogen worden sind, erinnern nur zu sehr daran, dafs Frankreich
das Vaterland Jules Vernes ist.
Nach der Untersuchung sollen die gesammelten Körper der
Gattung Cypridinia angehören, von denen einige Formen heute in
ungeheuren Mengen in den Sümpfen und Kanälen Unter-Ägyptens
leben, andere fossil sich reichlich in den mächtigen Kreideschichten
in den Wüsten der Umgebung von Kairo, in dem Fayum und der
Sahara finden sollen. Warme Luftströme hätten nun die Vio mm
langen, hohlen Schalen der Cypridinien in grorse Höhen getragen und
über das Mittelraeer just naoh Lyon geführt. Derartiger Staub ägyp-
tischer Herkunft soll auch schon früher mehrfach in Lyon gefunden
worden sein.
Zunächst hat sich ein Druckfehler eingeschlichen, indem es keine
Cypridinia giebt, vielmehr die Gattung Cypridina heifst. Dieselbe
ist eine echt marine Form des Planktons, d. h. sie lebt in gröfseren
Meerestiefen, kann also sicher nicht in den Kanälen des Nildeltas
existieren. Das ist eine Verwechslung mit einer Süfswassergattung
Cypris, die in mehreren Arten in den Wässern Ägyptens vertreten
ist. Drittens giebt es überhaupt keine Kreideschiohten im Fayum, und
in der Umgebung von Kairo sind sie nur in geringer Ausdehnung im
NW. der grofsen Pyramiden bei Abu Raosch nachgewiesen, enthalten
aber, soweit bis jetzt bekannt, keine Ostrakodenschalen. Wenn im
übrigen fossile Schalen von Cypridina, Cypris oder anderen Ostra-
koden in den mächtigen Tertiärbildungen Ägyptens auftreten, so ist
das jedenfalls nur in geringer Ausdehnung der Fall. So setzen nach
meinen Beobachtungen Cyprissohalen eine Kalkbank eines Hügels im
Wadi Natrum (nördliche Libysche Wüste) in den dortigen Miocän-
schichten zusammen, wurden aber trotz Suchens an weiteren Plätzen
noch nicht wieder gefunden. An den Mosesquellen bei Suez sollen
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523
nach dem verstorbenen Professor 0. Fraas Cyprisschalen ein winziges
Hügelchen, auf dem eine der dortigen Quellen herausquillt, aufbauen,
eine Notiz, die in viele Lehr- und Reisebücher übernommen worden
ist. Spätere Besucher dieser Lokalität, darunter der Verfasser dieses,
haben festgestellt, dafs das Hügelohen sich in Wirklichkeit ganz wie
auch ein grofser Teil des dortigen Ufers des Suezgolfs aus gewöhn-
lichen kugeligen sandartigen Kalkoolithkörnchen zusammensetzt, auf
denen die Quelle noch Raseneisen stein und Diatomeenpanzer absetzt
Also weder aus den nördlichen Wüstenteilen Ägyptens, nooh vom
Sinai können wohl solche Unmengen von Ostrakoden stammen, dafs
sie die Luft als Staub erfüllen. Dazu kommt nun vor allem die Un-
wahrsoheinlichkeit eines Luftstromes in SO. — NW. Richtung von Ost-
Afrika nach Westeuropa schräg über das ganze Mittelmeer bis in das
Herz von Frankreich. Die Meteorologen werden über diese Annahme
den Kopf schütteln. Wohl findet eine Zuführung von sogenanntem
„Passatstaub" durch den Äquatorialstrom oder Gegenpassat aus Amerika,
Teneriffa und Nordwestafrika nach Europa statt; aber senkreoht zu
dieser Richtung ist das wenig glaubhaft.
Doch warum überhaupt in die Ferne schweifen, um eine nur
scheinbar auffallende Erscheinung zu erklären, wenn das Gute, dies-
mal ein ganzes Lager foBsiler Ostrakoden so nahe liegt: Im SW. von
Lyon enthalten die Oligooänschichten der Auvergne an mehreren
Stellen Schalen von Cypris faba so massenhaft, wie sie sonst in
Europa nur im Ries in der schwäbisch-fränkischen Alb sind. Könnten
es also nicht einfach französische Muschelkrebschen gewesen sein, die
per SW.-Wind den noch dazu wiederholten Ausflug nach Lyon unter-
nommen haben? Dr. M. B.
Landesgeologe iu Kairo.
*
Klima des Klondyke-Gebietes. Im Anschlufs an die in dieser
Zeitschrift (Band IX, S. 300 und 348) beschriebene .Reise in das neue
Goldland Alaska" mögen einige Angaben über die klimatischen Ver-
hältnisse gemaoht werden, da man sich selbst in geographischen
Kreisen übertriebene Vorstellungen von der Kälte dieses Gebietes
gebildet hat. Prof. Hann hat sich die Mühe gemacht, die spärlichen
Beobachtungen zusammen zu suchen und kritisch zu bearbeiten; er
findet aus ca. vierjährigen Beobachtungen in Dawson City und Fort
Reliance am mittleren Yukon (64° N. Br., 139l 2°W von Greenw.) als
wahrscheinlichste Temperaturen von Dawson:
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524
Januar April Juli Oktober Jahr
— 30,9° — 7,1° —13,2« —6,5° — 7,8° C.
und für Fort Yukon, ca. 2y2° nördlicher:
— 32,7° —10,7° —18,7° —5,8° — 8,4°
Die absoluten Extreme von Dawson waren — 55,5° und 27,2°,
die absolute Schwankung also 83°. Es ist das aber durchaus nicht un-
erwartet viel für ein kontinentales Klima. Die bis jetzt vorliegenden
Beobachtungen können sich sowohl in Bezug auf niedrige Winter- wie
auf hohe Sommertemperaturen durchaus nicht messen mit Ost-Sibirien
unter gleioher Breite. Einen rohen Vergleich (da es sich um ver-
schiedene Jahrgänge handelt und speziell für Jakutzk eine lange
Beobachtungsreihe vorliegt) gestatten folgende Zahlen:
N. Br. O. v. Gr. Höhe
Jakutzk 0-2" 129'/,° 160 m
Werchojansk 07'/,° 134» 50 m
absolut
Jan. April Juli Okt. Jahr Min. Max. Schwankung
Jakutzk -42,8° - 9,6 18,8 - 9,1 - 11,2 -62,1 38,8 100,9°
Werchojansk - 49,0 -14,0 15,4 -13,9 -16,7 -63,8 30,1 99,9
Das Ungünstige im Klima des Klondyke-Gebietes ist wahrschein-
lich weniger die niedrige Winter- als die niedrige Sommertemperatur.
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Himmelserscheinungen.
Übersicht der Himmelserscheinungen für August und September.
Der Sternhimmel. Im August und September ist der Anblick des Himmels
um Mitternacht der folgende: Die Kulmination erreichen die Sternbilder
Schwan, Wassermann, Delphin und Cepheus, später auch Pegasus, Andromeda
und Fische. Im Aufgange ist um Mitternacht jetzt schon der Stier (Aldebaran
um 12 h resp. 111* abends) und Orion (nach Mitternacht); auch die Zwillinge
sind zwischen 12 bis 10 h, der Walfisch seit 11k resp. 9 h sichtbar. Im Unter-
gange befinden sich Ophiuchus und Bootes (Arctur zwischen 12 bis 11 h),
Herkules folgt in den Morgenstunden; Antares (a Scorpii) geht zwischen 10
und 8t> abends unter, früher noch die Wage, Spica (Jungfrau) schon zwischen
9 und 7 h. Folgende Sterne kulminieren Tür Berlin um die Mitternachtsstundo:
1. August
a Cygni
(1. Gr.)
(AR. 20h 38m,
D. + 44°
55')
8. .
Z Cygni
(3. Gr.)
21 9
+ 29
49
i;>.
Y Caprie.
(4. Gr.)
21 34
- 17
7
22. «
i Pegasi
(4. Gr.)
22 2
-|-24
51
29.
Tj Aquarii
(4. Gr.)
22 30
— 0
38
1. September
/. Pegasi
(4. Gr.) ■
22 42
+ 23
2
8.
Y Piscium
(4. Gr.)
23 12
+ 2
44
15.
tu Aquarii
(5. Gr.)
23 37
— 15
6
22.
Y Pegasi
(3. Gr.)
0 8
+ 14
37
29.
h Androm.
(3. Gr.)
0 34
+ 30
18
Helle veränderliche Sterne, welche vermöge ihrer günstigen Stellung vor
und nach Mitternacht beobachtet werden können, sind folgende:
R Sagittarii (Max. 7. Gr.) (AR 19h Um D. — 19* 29') 12. September
U Aquilae
(
,6.
-8.»
)
19
24
— 7
15
kurze Periode
X Cygni
(
„6.
-8.„
)
20
39
+ 35
13
kurze Periode
T Aquarii
(
«
7- ,
)
20
45
- 5
31
28. September
T Vulpec.
(
„ 6.
-7..
)
20
47
+ 27
52
kurze Periode
H Androm.
(
n
7. «
)
0
19
+ 38
1
26. September
o Ceti
<
»>
3. „
)
2
14
- 3
26
2. September
R Ceti
(
1»
s. „
)
2
21
- 0
38
18. August
Algol (ji Persei) ist im August und September vor und nach Mitternacht
beobachtbar; von Sternon des Aigoltypus können aufserdom noch beobachtet
werden: W Delphini (AR 20 h 33 m, b+ 17° 55'), Y Cygni (AR 20h 48«=, D +
34° 17') und U Cephei (AR 0k 53 », D + 81° 20').
Die Planeten. Merkur ist gegen Ende August und in der ersten Hälfte
September einige Zeit vor Sonnenaufgang sichtbar. — Venus ist im August
Morgenstern, etwa eine Stunde vor der Sonne aufgehend, am 20. August kommt
der Planet in die Sonnennähe und ist, besonders im September, weniger gut
zu sehen. — Mars läuft etwas nördlich von Spica durch das Sternbild der
Jungfrau bis an die Grenze der Wage, geht Anfang August noch Stunden
nach der Sonne unter, Ende September 3/4 Stunden nach Sonnenuntergang. —
Jupiter geht mittags auf und 2'/] Stundon, Ende September 1 Stunde nach
der Sonne unter; er bewegt sich aus der Sterngegend zu den Füfsen der
Jungfrau bis in die Wage. — Saturn ist anfänglich bis Mitternacht, im Sep-
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526
tember bis nach V4H h, Ende September bis V»9h abends sichtbar. Er gelangt
bis in die Mitte des Ophiuchus und wird dort, um den 22. August, rückläufig.
— Uranus nähert sich dem Sterne a Scorpii stärker und geht etwa eine
Stunde früher unter als Saturn, Ende September nach 7|8 h abends. — Neptun
wird im August bald nach Mitternacht sichtbar, Anfang September gegen
IIb abends, Ende September um 9h; er steht in der Nähe von C Tauri
(3. Gröfse).
Sternbedeckungen durch den Mond (für Berlin sichtbar):
Eintritt Austritt
3. August [a Oemin. 3. Gr. 2»» 57™ morgens 3 b 14 * morgens
18. „
F Sagittarii
5. „
11 35
abends
0
41
■
31. „
C Gemin.
4. „
4 11
morgens 6
2
24. September
A' Tauri
5. „
4 43
-
5
40
Mond.
Berliner Zeit.
Neumond an
1 6. August
Erstes Viert „
14. „ Aufgang l h 48 «» nachm., Unterg.
9 h 52 m abends
Vollmond „
21. „
n
6 53
abends,
6 41
morg.
Letztes Viert „
28.
10 12
»
3 22
nachm.
Neumond
5. Septemb.
Erstes Viert.
12. .
«
1 Ii 50«n
nachm.,
-
9h 24m
abends
Vollmond
19.
5 35
»
7 1
morg.
Letztes Viert, ..
26. ,
9 59
abends
2 36
nachm.
Erdnähen: 20. August, 18. September;
Erdfernen: 6. August, 3. und 30. September.
Sonne. Sternzeit f. den Sonnenaufg. Sonnenunterg
mittBerl. Mittag Zeitglexchung 1 Berlin
1. August
8h
39 «n
21.8»
-f 6<n
7.1»
4b 21 tn
7 h 50 m
8. .
9
6
57.7
+ *
28.3
4
32
7 38
15. „
9
34
33.5
+ 4
20.7
4
45
7 24
22. .
10
2
9.4
+ 2
46.5
4
55
7 9
29. ,
1. September
10
29
45.3
+ 0
50.6
5
7
6 54
10
41
35.0
— 0
4.3
5
12
6 47
8.
II
9
10.8
- 2
21.7
5
24
6 31
15.
11
36
46.7
- 4
48.0
5
35
6 14
22.
12
4
22.6
- 7
16.6
5
47
5 57
29.
12
31
58.5
- 9
39.7
5
59
5 41
I
1
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t
H. Morich: Bilder aus der Mineralogie. Mit 111 Abbilduntron. Hannover
und Berlin 1899, Verlag von Carl Meyer (Qustav Prior). Preis geb.
3 Mark.
Das Büchlein stellt eine recht brauchbare Ergänzung systematischer
Schulbücher über Mineralogie dar, indem es die wichtigeren Mineralien in
besonderen Kapiteln ausführlich und mit weitgehender Berücksichtigung tech-
nischer und kunstgewerblicher Anwendungen, sowie auch interessanter Historien
beschreibt. Allordings ist der üble Brauch des nur durch Anführungsstriche
kenntlich gemachten Nachdrucks ganzer Absätze und Seiten aus anderen, im
Vorwort allein namhaft gemachten Werken zu wenig vermieden worden.
Immerhin bietet die nicht ungeschickte Zusammenstellung eines recht reich-
haltigen Materials eine fesselnde und belehrende Lektüre , die namentlich
auch Lehrern bei der Vorbereitung auf den Unterricht nützlich sein kann.
F. Kbr.
Dr. K. E. F. Schmidt, Experi mental- Vorlesungen über Elektrotechnik.
Mit 3 Tafeln und 320 Abbildungen im Text. Hallo a. S. Verlag von
Wilhelm Knapp. Preis geh. 9 Mk.
Das Werk wird zweifellos einem dringenden Bedürfnis gerecht, das in
weiten Berufskreisen, die mit der Elektrotechnik Fühlung nehmen müssen,
sich im Laufe des letzten Jahrzehnts mächtig entwickelt hat. Entsprechend
der Thatsache, dars das die Vorlesungen im Wintersemester 1896 97 zu Halle
besuchende Publikum ausschliefslich aus Männern bestand, bei denen auf Grund
ihrer amtlichen Thätigkeit ein gewisses Mafs physikalischer Kenntnisse vor-
ausgesetzt werden durfte, will auch das aus diesen Vorlesungen hervorgegangene
Buch nicht eigentlich populär sein, sondern nur vorwandten Berufsklassen ein
tieferes Verständnis der heutigen Elektrotechnik ermöglichen. Die eigentüm-
lichen Schwierigkeiten, die sich dabei in den Weg stellen, sind durch eine
reiche Ausstattung mit Figuren, schematischen Zeichnungen und Kurvendar-
stellungen in erfolgreicher Weise bekämpft, so dafs das Werk sicherlich jeden
ernst in die Materie eindringenden Leser in hohem Marse zu fördern geeignet
sein wird. Der Text macht allerdings stellenweise einen zu skizzenhaften Ein-
druck und hätte vielfach eine sorgfältigere Redaktion und etwas mehr Aus-
führlichkeit vortragen können. Einige uns in dieser Bozichung aufgefallene
Stellen mögen hier bezeichnet werdon. Die erste Zeile auf Seite 28 ist nur
verständlich, nachdem man auf Seite 31 über die Messung der magnetisieronden
Kraft durch Kraftlinien belehrt worden ist. In Figur 23 stimmen die Buch-
staben nicht zu denjenigen des Textes, so dafs der ganze Versuch unklar bleibt.
Seite 3« fehlt in der viortletzten Zeile das Prädikat. Auf Seite 116 lautet die
Überschrift: .Der Stromwender oder Commntator-. Im darauffolgenden Text
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528
aber finden wir nur die Bezeichnung „Collektor** gebraucht, ohne dafs gesagt
würde, dafs dieses Wort nur ein passenderer Name anstatt Commutator ist.
Seite 136 ist nicht deutlich genug gesagt, wieso aus der Figur der Widerstand
abgelesen werden kann, dies wird vielmehr erst Seite 138 an einem Beispiel
klar; ebenso erscheint die drittletzte Zcilo der Seite 137 sinnlos, bis man die
hinter 0,6f4 fehlende Interpunktion ergänzt — Derartige kleine Unvollkommen-
heiten können indessen don hohen Wert des Buches kaum merklich beein-
trächtigen und werden gewifs boi der hoffentlieh recht bald nötig werdenden
zweiten Auflage zum grö Taten Teil verschwinden. Wenn wir für diese etwaige
Neuauflage noch einen Wunsch äufsern dürfen, so wäre es der, dafs unter Fort-
fall der recht überflüssigen Beschreibung der Elektrisiermaschine den elek-
trischen Eisenbahnen noch eine etwas eingehendere Behandlung zu teil werden
möchte, damit man die Leitungsanlagen, Schaltung«- und Brems- Vorrichtungen
derselben besser verstehen lernen kann und nicht trotz aller elektrotechnischen
Studien auf die Frage nach der Wirkungsweise zahlreicher, bei elektrischen
Bahnanlagen sichtbarer Vorrichtungen mit Achselzucken antworten mufs.
F. Kbr.
Verlag: Hamann PmUI in Berlin. — Drnck: Wilhelm Gronau 'e Baehdrnekerei In Berlin -
Für die Bedaction TtraatwortUeh : Dr. P. Beb wann in Berlin,
ünberechtlfter Haehdrnek aaa den Inhalt dieaer ZerUehiiA
Oberteiin ngtrecbt rorbe halten.
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Fig. I. Umgebung von Tassikmalaja in West -Java.
Fig. 2. Unsere Karawane im verbrannten Walde
am Fufse der Telagawarna, des Eruptionskegels des Wawiran.
(Zu: Von Javas Kotier bergen.)
Die allgemeine Zirkulation der Atmosphäre.
Von Dr. E. Less in Berlin.
er bekannte Erfahrungssatz, dafe beim Fortschreiten einer Wissen-
schaft nahezu entgegengesetzte Grundanschauungen in längeren
oder kürzeren Zwischenräumen einander abzulösen pflegen, hat
sich vielleicht an keinem Wissenszweige mehr als an der Lehre von
den atmosphärischen Bewegungen bewährt. In der Zeit, in der die
Witterungskunde sich fast ausschliefslich mit klimatologisch en
Untersuchungen beschäftigte, wurde von dem hervorragendsten Ver-
treter dieser Richtung, Heinrich Wilhelm Dove, der Ursprung aller
Winde auf einen zwischen dem Äquator und den Polen vor sich
gehenden Luftaustausch zurückgeführt Durch die Ausdehnung der
den Boden berührenden Luftschichten, so führte Dove1) aus, steigen
diese in der Nähe des Äquators in die Höhe, und so entsteht jener
warme steigende Luftstrom, der „courant ascendant", den Aristoteles
schon kannte, dessen Bedeutung aber erst Saussure nachwies. Ebenso
mufs vom Pole her die kältere Luft nach dem Äquator strömen, wäh-
rend die erwärmte Luft oben in entgegengesetzter Richtung abfliefst.
Da die von den Polen nach dem Äquator getriebene Luft sich mit
einer geringeren Geschwindigkeit nach Osten dreht als die Orte, mit
welchen sie in Berührung kommt, so scheint sie in entgegengesetzter
Richtung, d. h. von Ost nach West, zu fliefsen. Umgekehrt kommt
die Luft, welche vom Äquator nach den Polen abfliefst, von Orten mit
größerer Drehungsgeschwindigkeit nach Orten hin, welche sich lang-
samer nach Ost bewegen, und erfährt daher eine scheinbare Ablen-
l) H. W. Dove. Meteorologische Untersuchungen. Berlin, 1837, S. 9r
S. 125 ff., S. 271 ff. — Eine ganz ähnliche Darstellungsweise findet sich auch an
zerstreuten Stellen in Dove'a Gesetz der Stürme. 4. Aufl. Berlin. 1873.
Himmel und Erde. 18W XI. 12. 34
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530
kung naoh Osten. Die Äquatorialluft der Höhe erreicht jedoch nicht
die Pole, sondern kommt sohon in mittleren Breiten allmählich zur
Erdoberfläche herab. Hier fiiefsen daher nach Doves Auffassung die
entgegengesetzt geriohteten Ströme neben einander und sucher sich
gegenseitig zu verdrängen, und aus diesem Kampf zwischen dem
Äquatorial- und dem Polarstrom sollen das abwechselnde Vorherrschen
der südlichen und nördlichen Winde, ihre regelmäfsige Drehung mit
der Sonne sowie die häufigen Veränderungen im gesamten Witterungs-
charakter der gemäfsigten Zonen sich erklären lassen.
Diese Erklärung schien jedoch nur wenig den Thatsaohen zu
entsprechen, welche das Studium der synoptischen Wetterkarten seit
den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts den Meteorologen täglich
vor Augen führte Aus denselben erkannte man bald, welche über-
wiegende Bedeutung für alle Witterungserscheinungen die barome-
trischen Maxima und Minima besitzen, und in wie engem Zusammen-
hang mit ihnen insbesondere Richtung und Stärke der Winde stehen.
Man fand das Gesetz, dafs der mit dem Winde Schreitende stets und
überall an der Erdoberfläche den in seiner Umgebung höchsten Luft-
druck etwas hinter sioh und auf der ganzen nördlichen Halbkugel zu
seiner Reohten, auf der ganzen südlichen zu seiner Linken, den nie-
drigsten Luftdruck hingegen vor sich und auf der nördliohen Halb-
kugel zu seiner Linken, auf der südlichen zu seiner Rechten hat.
Die barometrischen Minima oder ..Depressionen" werden deshalb vom
Winde stets in einem Sinne umkreist, welcher demjenigen des Uhr-
zeigers auf unserer nördlichen Erdhälfte entgegengesetzt ist, und da
dieselben, wie die Wetterkarten erweisen, von einem Tage zum andern
weite Strecken Landes zu durchschreiten pflegen, so mufs sich dabei
an allen von ihnen berührten Orten in der Richtung des Windes ein
vollständiger Wechsel vollziehen. Im Innern der Barometerminima
aber, die man auch nach der Bewegung der sie umgebenden Winde
als ..Cyclonen" zu bezeichnen pflegt, ist die Luft im beständigen Auf-
wärtssteigen begriffen, wobei sie, unter geringeren Druck gelangend,
sich unter Wärmeverlust ausdehnt, und deshalb ein Teil ihres Wasser-
dampfgehaltes sich zu Wolken kondensiert und weiterhin als Regen
oder Schnee herniederfällt. Ein solches Aufsteigen der Luft kann
am leichtesten in einer Gegend vor sich gehen, welche an Wärme
und Feuchtigkeit ihre Umgebung beträchtlich übertrifft. Und da die
tieferen barometrischen Minima sich im Winter meistens über dem
dann verhältnismäßig warmen Meere, namentlich oft in der Nähe der
warmen Meeresströmungen, wie des Oolfstromes, im Sommer über
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531
stark erhitzten Ländern fanden, so neigte man mehr und mehr der
Ansicht zu, dafs dem Überschüsse an Wärme und Feuchtigkeit die
barometrischen Minima und zugleich das ganze System der sie um-
kreisenden Winde in den gemäfsigten Breiten ihre Entstehung ver-
danken. Umgekehrt sollten die barometrischen Maxima oder „Anti-
cyclonen", in deren Innern die Luft herniedersinkt, während sie am
Erdboden nach allen Seiten aus ihrem Gebiete herausfliefst, und die
sich im Winter vorzugsweise über dem stark erkalteten und an
Wasserdämpfen armen Lande, im Sommer sehr häufig über den dann
kühleren Meeren aufhalten, in erster Linie durch die lokalen Ab-
kühlungen erzeugt sein.
Auch gegen diese neuere Anschauungsweise, nach welcher also
die Luftbewegungen in den höheren Breiten zu den Passaten der
Tropenzone aufser jeder Beziehung stehen sollten, wurden von meh-
reren Seiten gewichtige Bedenken erhoben, die jedoch erst etwa seit
Mitte der achtziger Jahre genügendes Gehör fanden. In einer der
Berliner Akademie im Jahre 1886 vorgelegten Abhandlung legte
Werner von Siemens''2) dar, dafs man noch garnicht den Sitz und
Angriffspunkt der Kräfte kenne, welche die gewaltige Energie in den
Maximis und Minimiß ansammele, die dann ihrerseits die Stürme und
Wirbelwinde erzeugen sollen, und unternahm einen, von ihm selbst
jedooh nur als erste Annäherung an die Wahrheit bezeichneten
Versuch, an der Hand der Lehre von der Erhaltung der Kraft zur
Ausfüllung dieser Lücke beizutragen. Von dem hervorragenden
österreichischen Meteorologen J uli us Hann1) wurde andererseits aus
den Beobachtungen von hoch gelegenen Bergstationeu der sichere
Nachweis erbracht, dafs die Kälte in den winterlichen Gebieten hohen
Luftdruckes sich auf die untersten Luftsohiohten beschränkt, dagegen
in mehr als 1 km Höhe die Temperatur derselben verhältnismäfsig
hoch und auoh die mittlere Temperatur der ganzen Luftsäule vom
Boden bis jedenfalls über 5 km in den Anticyclonen in der Regel
höher als in den Cyclonen ist, was der Entstehung dieser Luftgebilde
aus den Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnissen in ihrem Innern
geradezu widerspricht Hierdurch wurde mehr und mehr die Auf-
*) W. von Siemens. Über die Erhaltung der Kraft im Luftmeere.
Sitzungsber. der Akad. d. Wiaa. zu Berlin 1886, S. 261—275.
3) J. Hann. Über die Beziehung zwischen Luftdruck- und Temperatur-
Variationen auf Berggipfeln. Meteorol. Z.S. "», S. 7—17, 1888. — Das Luftdruck-
maximum vom November 1889. Denkschr. der Wiener Akad. 57, S. 401—442,
1890. — Bemerkungen über die Temperatur in den Cyclonen und Anticyclonen.
Meteorol. Z.S. 7, S. 328-344, 1890.
34*
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532
raerksamkeit auf eine zwar ziemlich verwickelte, aber wohl durch-
dachte Vorstellung von dem Wesen des grofsen, die ganze Erde um-
fassenden Kreislaufs der Atmosphäre hingelenkt, welche bereits im
Jahre 1857 von dem englischen Physiker James Thomson 4) und
ganz unabhängig von demselben ein Jahr später von dem Amerikaner
William Ferrel*) ausgesprochen und von dem letzteren durch
mathematische Entwickelungen näher begründet worden war. Diese
lange im Dunkeln gebliebenen Untersuchungen Fe r reis hatte wohl
zuerst Herr Sprung6) durch erläuternde Besprechungen und eigene
Ergänzungen in etwas helleres Licht gerückt. In sehr naher Über-
einstimmung mit ihren Ergebnissen befindet sich auch ein Schema
der allgemeinen Zirkulation der Atmosphäre, welches im Jahre 1888
von Herrn Oberbeck7) aus den Grundgleichungen der Hydrody-
namik abgeleitet wurde, und sie passen sioh allen unseren Erfahrun-
gen in weit höherem Orade als die alte Dovesche Anschauungs-
weise an. Wie man sioh aber mit diesem grofsen atmosphärischen
Kreislaufe die kleineren Luftgebilde, die wir in den gewöhnlichen
Cyclonen und Anticyclonen vor uns haben, im Zusammenhange den-
ken kann, darüber liegen bis jetzt aufser einer wenig beachteten älte-
ren Abhandlung Hanns8) hauptsächlich eine Untersuchung von Her-
mann von Helmholtz9) aus dem Jahre 1888 und eine von Wil-
helm von Bezold1*) aus dem Jahre 1890 vor.
Unter der vereinfachenden Annahme, die Erde sei ein gleich-
*) J. Thomson. On the Great Currents of Atmospheric Circulation.
Report of the British Association 1857. Notices p. 38; später wiedergegeben
in: Philos. Transactions 1892, 183, p. 653-684, 1893.
s) W. Ferrel. The Motions of Fluids and Solids relative to the Earth's
Surfaco, veröffentlicht 1858 — 1860 in Runkle's Mathematical Monthly, später in
Silliman Journal (2) 31, S. 27—51, 1861 und wiederabgedruckt in Professional
Papers of the Signal Service, No. VIII, 1882.
6) A.Sprung. William Fe rrel's Untersuchungen über atmosphärische
WirbeL Z.S. f. Meteorol. 17, S. 161-175 u. 277-282, 1882. — Lehrbuch der
Meteorologie, Hamburg 1885, S. 190 ff. — Über die Theorie des allgemeinen
Windsystems der Erde, mit besonderer Rücksicht auf den Antipassat Meteorol.
Z.S. 7, S. 161 — 177, 1890.
') A. Ob erb eck. Über dio Bewegungserscheinungen der Atmosphäre.
Sitzber. d. Akad. d. Wiss. zu Berlin, 1888, S. 383—395, in etwas anderer Form in:
Naturw. Rundschau 3, S. 289-294, 1888 und Meteorol. Z. S. 5, S. 305—310, 1888.
sj J. Hann. Einige Bemerkungen zur Lehre von den allgemeinen atmo-
sphärischen Strömungen. Z.S. f. Meteor. 14. S. 33—41, 1879.
») H. v. Helmholtz. Über atmosphärische Bewegungen. Sitzber. der
Akad. d. Wiss. zu Berlin 1888, S. 647—663.
>°) W. v. Bezold. Zur Theorie der Cyklouen. Sitzber. der Akad. d.
Wiss. zu Berlin 1890, S. 1295-1317.
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533
förmig mit Wasser und Land belegtes und gebirgsloses Rotations-
ellipsoid hat man hauptsächlich zwei Kräfte, welohe für den groteen
Kreislauf in unserer Atmosphäre mafsgebend sind, nämlich die in
verschiedenen Breiten ungleioh starke Erwärmung duroh die Sonne
und die Zentrifugalkraft, welche sich als eine Folge der Axendrehung
entwickelt. Um eine ungefähre Vorstellung von der duroh sie be-
dingten Druckverteilung zu erhalten, wird es zweckmäfsig sein, den
Einflufs jeder dieser beiden Kräfte zunächst gesondert zu betrachten.
Wir denken uns also ein in Ruhe befindliches homogenes Sphäroid,
dessen Oberfläche überall gleiche Temperatur hat, und in dessen gas-
förmiger Hülle die Temperatur entweder gleichfalls konstant ist oder
sich nach aufsen hin überall gleich sohneil ändert. Dann wird in
atmosphärischen Schichten, welche zur Kugeloberfläohe konzentrisch
sind, der Gasdruck überall gleich grofs und zu Bewegungen keinerlei
Anlafs gegeben sein. Wird jetzt aber irgend eine Stelle der Kugel-
oberfläohe erwärmt, so teilt sich ihre Wärme duroh Leitung zunächst
den sie unmittelbar berührenden und bald durch ein Spiel auf- und
absteigender Strömungen immer höheren und höheren Luftschichten
mit. Die ganze auf der erwärmten Stelle ruhende Luftsäule erfährt
also eine Temperaturerhöhung und wird sich darum mehr und mehr
ausdehnen, so dafs ihre oberen Schichten sich weiter als diejenigen,
in denen ringsum der gleiche Druok herrscht, vom Mittelpunkte der
Kugel entfernen. Beschränkt sich die Erwärmung aber nicht nur auf
die eine Stelle, sondern findet sie an der ganzen Kugeloberfläche
statt, und zwar am stärksten in einer am Äquator gelegenen Zone,
von da aus nach beiden Polen hin abnehmend, so werden sich die
Flächen gleichen Druckes rings um den Äquator am höohsten erheben
und von da naoh beiden Polen hin allmählich abfallen. Die Luft
wird deshalb in grofser Höhe vom Äquator zu den Polen hin strömen
müssen, gerade wie Wasser von einem geneigten Abhänge hernieder-
flierst Hierdurch vermindert sich am Äquator die Masse und damit
der Druck der den Boden belastenden Luftsäule und vermehrt sich
an den Polen, und diese Druckdifferenz bleibt bestehen, so lange die
ungleichartige Erwärmung fortdauert, wenn sie auch durch einen von
ihr in der Nähe der Erdoberfläche verursachten Rüokstrom der Luft
naoh dem Äquator hin verringert wird.
Die Erwärmung der bisher als ruhend angenommenen Erde
durch die Sonne hat also auf jeder Halbkugel eine rein meridional
verlaufende Luftströmung zur Folge, welohe in der Höhe die ent-
gegengesetzte Riohtung wie nahe der Oberfläche besitzt. Denken wir
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534
uns jetzt die Erde mit ihrer Hülle um die Axe in Rotation versetzt,
so empfängt jedes Luftteilchen eine westöstliohe Geschwindigkeit,
welche am Äquator den gröfsten Wert hat — nach den wirklichen
Marsen ungefähr 465 m in der Sekunde — und bis Null an den
Polen abnimmt Die in der Höhe vom Äquator abfliefsende Luft wird
dann nicht allein deshalb auf beiden Halbkugeln eine Ablenkung nach
Ost erfahren, weil sie nach Orten mit geringerer als ihrer anfäng-
lichen Westostgeschwindigkeit gelangt, sondern ihre eigene Ge-
schwindigkeit nimmt sogar noch zu in dem Mafse, wie die Radien
der von ihr passierten Breitenkreise sich verkleinern. Dies folgt aus
dem allgemeinen mechanischen Prinzip, welches als „Flächensatz" be-
kannt ist, dem gleichen, dessen Wirksamkeit wir es auch zum Teil
zu verdanken haben, dafs unser nördlicher Winter, in welchen die
gröfste Sonnennähe der Erde hineinfällt, um mehrere Tage kürzer als
der Winter der südlichen Hemisphäre ist Nach diesem Satze be-
schreibt nämlich der Radius Vector eines unter dem Einflüsse einer
Zentralkraft sioh frei bewegenden Körpers oder seine Projektion auf
eine feste Ebene, in welcher die Kraftkomponente immer durch einen
und denselben Punkt geht, in gleichen Zeiten stets die gleichen
Flächenräume, so dafs also die Drehung des Körpers sich beschleu-
nigt, wenn seine Entfernung von der Drehungsaxe sich vermindert.
Freilich mufs die in der Nähe des Erdbodens dem Äquator zuströ-
mende Luft, welohe hinter der dort vorhandenen Luft in ihrer Dre-
hung nach Osten zurückbleibt und daher westwärts abgelenkt wird,
im gleichen Verhältnisse von ihrer absoluten westöstlichen Geschwin-
digkeit verlieren. Diese war aber, weil die Luft von höheren Breiten
ausging, von vornherein geringer als von der über ihr polwärts
fliefsenden Luft ihre Abnahme ist deshalb auch geringer und wird
noch sehr beträchtlich dadurch vermindert, dafs die sohneller bewegte
Erdoberfläche die sie berührenden unteren Luftschichten mit fortzieht,
während die oberen durch Reibung an den Nachbarschichten nur eine
geringfügige Einbufse an ihrer Geschwindigkeit erleiden. Im ganzen
wird daher der Geschwindigkeitszuwachs der oberen Strömung den
Geschwindigkeitsverlust der unteren bei weitem überwiegen, und
die gesamte in Zirkulation versetzte Atmosphäre sich erheblich
schneller um die Erdaxe drehen, als wenn die Atmosphäre im Ver-
hältnis zur Erde sich in Ruhe befände. Mit der Drehungsgesch win-
digkeit wächst aber gleichzeitig die Zentrifugalkraft und die Gröfse
der Abplattung, welche diese in einem elastischen Sphäroide verur-
sacht. Dadurch mufs die Luft von den Polen fort und dem Äquator
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53Ö
zugetrieben werden, und der höohste Luftdruck jeder Hemisphäre
wird sich daher nioht, wie es bei der ruhenden Erdkugel der Fall
wäre, an den Polen, sundern in einer mittleren Breite befinden und
von da aus nach beidon Richtungen hin abnehmen.
Dies ist ein grofser Unterschied der neueren Theorie gegen die
alte Dovesohe Anschauungsweise, welcher mit den beobachteten That-
sachen vollständig im Einklänge steht. Denn in Wirklichkeit wird
jede Hemisphäre zwischen 30 und 35° Breite von einem Walle höch-
sten, im Mittel ungefähr 763 mm betragenden Luftdruckes umschlossen,
welcher sie in zwei nahezu gleich grofse Hälften mit getrennter Luft-
zirkulation teilt. Betrachten wir zuerst die Verhältnisse der wärmeren,
tropischen Zone, so finden wir hier, wo die Luftdruckverteilung in
der Höhe derjenigen um Erdboden entgegengesetzt ist, in jeder Hemi-
sphäre einen vollständigen Kreislauf einer oberen, auf der nördlichen
Halbkugel südwestlichen, auf der südlichen nordwestlichen und einer
unteren nordöstlichen bezw. südöstlichen Strömung. Zwischen beiden
liegt eine schmale Zone, wo an der Erdoberfläche meistens Wind-
stillen oder sehr schwache variabele Winde herrschen, und wo die
Luft in fortwährendem Emporsteigen begriffen ist, weshalb dort sehr
starke Bewölkung und tägliche Gewitterregen die Regel bilden. Dieser
sogenannte „Kalmengürtel des Äquators" raufs seiner Entstehungs-
weise nach mit derjenigen Gegend zusammenfallen, wo die mittlere
Temperatur der über ihr ruhenden Luftsäule am höchsten ist; er er-
leidet daher mit der Deklinationsändorung der Sonne eine allerdings
um 2 bis 3 Monate sich verspätende Verschiebung nach Norden oder
Süden hin, hält sioh aber im Jahresdurchschnitt nicht gerade über dem
Äquator, sondern fast 5 Breitengrade nördlicher auf, wie ja auch die
höohsten Jahrestemperaturen sich wegen der ungleichen Verteilung
von Wasser und Land auf der nördlichen Halbkugel befinden.
Die in der Höhe vom äquatorialen Kalmengürtel fortströmenden süd-
westlichen bezw. nordwestlichen Winde beginnen schon mehrere
Breitengrade vor den Gebieten höchsten Luftdruckes allmählich hinab-
zusinken und verleihen daher der ganzen subtropischen Zone einen
ruhigen und sehr freundlichen Witterungsoharakter. In den unteren
Schichten fliefsen von den subtropischen Hochdruckgebieten, deren
Lage sich mit den Jahreszeiten ebenso wie die des Kalmengürtels
ändert, zum letzteren die durch ihre Beständigkeit ausgezeichneten
Passatwinde zurück. Wenige Breitengrade vom Äquator entfernt,
geht in mittlerer Höhe, wie es Wolkenbeobachtuugen erwiesen haben,
der Nordostpaßsat der nördlichen Halbkugel in einen Südost- und der
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Südostpassat der südlichen in einen Nordostwind über, und in sehr
grofsen Höhen der Äquatorialregion weht der Wind beinahe direkt
aus Ost; dies wurde beim Vulkanausbruch des Krakatau'i) im Jahre
1883 durch die Verbreitung des in die höchsten Schichten geschleu-
derten vulkanischen Rauches und der Dämpfe wohl zum ersten Male
erkannt, aber später auch durch Cirrusbeobachtungen von Herrn
Abercromby l2) bestätigt.
Nach den gemäfsigten Zonen hin wird der Luftdruck von den
Grenzen des Subtropengebietes aus niedriger und niedriger. Seine
Abnahme erfolgt auf der südlichen Halbkugel sehr schnell und dauert
hier bis zu so hohen Breiten fort, wie es sich bisher durch zahl-
reichere Beobachtungen hat feststellen lassen; in 60° Breite ist der
mittlere Luftdruck unter 744 mm gesunken. Auf der nördlichen Halb-
kugel hingegen vermindert sich derselbe nur bis ungefähr 758 mm
in 65° Breite, um dann nach dem Pole hin wieder zuzunehmen. Da
der Luftdruck in den kälteren Gegenden schneller als in der warmen
Subtropenzone nach oben hin sich verringert, so mufs das am Erd-
boden bestehende Druckgefälle, der „Gradient", wie die Meteorologen
es nennen, in den gemäßigten Zonen, anders wie in den Tropen, in
der Höhe nicht nur sein Vorzeichen beibehalten, sondern an Gröfse
noch wachsen, und in der nördlichen kalten Zone mute aus demselben
Grunde der Gradient schon von äufserstens 2000 m Höhe an eben-
falls nach dem Pole gerichtet sein. Demzufolge wird jenseits der
Passatgrenzen die Luft in oberen und unteren Schichten der Atmo-
sphäre den höheren Breiten zustreben, wo durch die rasch wachsende
Zentrifugalkraft die Südwestwinde — um die Vorstellung bei der
nördlichen Hemisphäre festzuhalten — mehr und mehr in reine West-
winde umgewandelt werden, die in einem grofsen Wirbel den Pol
umkreisen. Im Innern dieses Wirbelringes mufs entgegengesetzt wie
bei den kleineren Luftwirbeln, welche unsere Cyclonen bilden, die
Luft sich in absteigender Bewegung befinden, da die durch die
Wärmeuntersohiede eingeleitete atmosphärische Zirkulation ein Hinab-
fliefsen der oberen Strömung am Pol erfordert, welohes die erst in-
folge dieser Grundzirkulation in Wirksamkeit tretende Zentrifugal-
kraft zwar nach niedrigeren Breiten zu versetzen und sehr zu ver-
ringern, jedoch nicht ganz zu beseitigen vermag. Wie aber jener
") Kiefsling. Die Bewegung des Krakatau-Rauches im September 1883.
Sitzungsber. der Akad. d. Wise. zu Berlin, 188«, S. .V29-.r>33.
") R Abercromby. Upper Wind-Currents uear the Aequator, and the
Diffusion of Krakatao Dust. Nature 3t>, S. S5-87, 1887.
537
Lüfte trom von dem polaren Gebiete niedrigen Druckes nach dem
Maximalgebiet an der Grenze der Subtropenzone zurückgelangen
kann, erklärt siob in folgender Weise. Einem jeden Druokgradienten
entspricht eine bestimmte Windgeschwindigkeit und zugleich unter
jeder geographischen Breite ein bestimmter Wert des Winkels, um
welchen die Luft durch die Zentrifugalkraft von der Richtung des
Gradienten abgelenkt wird. Wäohst aus irgend einem Grunde die
Geschwindigkeit über die ihr nach dem Werte des Gradienten zu-
kommende hinaus, so wächst auch gleichzeitig der Ablenkungswinkel;
wird sie kleiner, so wird der Ablenkungswinkel es mit ihr. Der
letztere Fall tritt in den untersten Schichten der Atmosphäre in-
folge der starken Reibung an der Erdoberfläche ein, und in der That
ist die vorherrschende Richtung der Bodenwinde keine rein westliche,
sondern Westsüdwest oder sogar Südwest. Umgekehrt aber teilen die
am Rande des Polarwirbels sich aus den höchsten Schichten herab-
senkenden Luftteilchen den mittleren Schichten ihre im Verhältnis
zum Gradienten zu grofse Geschwindigkeit mit; dort mufs daher der
Ablenkungswinkel wachsen und in mittlerer Höhe der Atmosphäre
die Luft sich wieder gegen den Äquator hin bewegen, wie es auch
die Beobachtungen der durchschnittlich aus Westnordwest ziehenden
höheren Wolken erwiesen haben.
Dies wäre in grofsen Zügen der Verlauf der atmosphärischen
Bewegungen, wie ihn, unseren heutigen Anschauungen gemäfs, eine
homogene Erdkugel zeigen würde. In Wirklichkeit aber hat der-
selbe sehr bedeutende Störungen zu erleiden, welohe durch die un-
gleiche Verteilung von Wasser und Land, durch die orographischen
und andere Verschiedenheiten der einzelnen Erdteile verursacht wer-
den. Für die tropische Zone wurde als eine Folgo ihrer gröfseren
Landbedeckung auf Seiten der nördlichen Halbkugel bereits er-
wähnt, dafs sich der äquatoriale Kalmengürtel und mit ihm die beiden
Passatgebiete in ihrer mittleren Lage nach Norden verschieben. Eine
besondere Abänderung erfahren im Sommer beider Hemisphären die
Passatströmungen, namentlich über dem Indischen Ozean. Dort wird
durch die grofse Erwärmung der Ländermasse Asiens bezw. von
Australien die Luft über dieser noch viel stärker als innerhalb des
Kalmengebietes verdünnt, so dafs an der Erdoberfläche die Luft vom
letzteren fort und nach dem erhitzten Lande hin strömen mufs. So
entstehen mitten im Gebiete der Passate die mit den Jahreszeiten
wechselnden „Monsunwinde", deren Herrschaft an der Ostküste Asiens
bis weit in die gemäfsigte Zone hinaufreicht.
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Wie in der Tropenzone ausgedehnte Ländermassen im Sommer
zur besonderen Verdünnung, so müssen dieselben in höheren Breiten,
in welchen die Wärmeausstrahlung im Laufe des Jahres über die
Einstrahlung überwiegt, im Winter zur stärkeren Verdichtung der
über ihnen befindlichen Luft Veranlassung geben. Deshalb findet
schon innerhalb der die tropische und die gemäfsigten Zonen trennenden
Gürtel über dem Lande im Winter eine viel bedeutendere Luftanhäu-
fung als über den Meeren statt. Dort werden sich also einzelne Kerne
mit höchstem Luftdruck bilden, die auf der nördlichen Halbkugel
aus den Breiten des eigentlichen Subtropengürtels, den sogenannten
„Rofsbreiten" der Schiffer, zum Teil weit hinausrücken und ihre be-
deutendste Entwicklung in der nordamerikanischen Anticyclone von
mehr als 768 mm, namentlich aber in der sibirischen Anticyclone von
mehr als 776 mm hohem Luftdruck im Januar erlangen.
Auf der südlichen Halbkugel findet sich, ihrer geringeren Land-
bedeckung entsprechend, jener Gürtel hohen Luftdruckes an der
Grenze der Subtropenzone in sehr viel regelmäfsigerer Gestaltung vor.
In den höheren südlichen Breiten, wo der Umfaner der Länder hinter
den Meeren immer mehr zurücktritt, geht die Abnahme des Luftdruckes
und die Luftbewegung mit noch gröfserer Regelmäfsigkeit vor sich.
Ungefähr vom 40. Breitengrade an wehen beinahe unausgesetzt sehr
starke westliche Winde, welchen man wegen des grofsen Nutzens, den
sie der Segel Schiffahrt gewähren, den Namen der „braven Westwinde"
beigelegt, und deren polare Grenze Herr Neumayer1'1) auf etwa
61 Grad angesetzt hat. Dies also ist die Gegend, in welcher sich die
Vorgänge der gemäfsigten Zonen in gröfster Reinheit abspielen, und
die Sammlung zahlreicherer Beobachtungen von daher, besonders aber
ihre Ausdehnung über den 60. und 70. Breitengrad hinaus mufs des-
halb auch für die meteorologische Wissenschaft als eine Aufgabe von
aufserordentlioh grofser Bedeutung betrachtet werden, deren teilweise,
wenn nioht gänzliche Lösung durch die von Deutschland und England
vorbereiteten Südpolar- Expeditionen in nicht mehr ferner Zukunft zu
erhoffen ist.
Ganz anders gestalten sich die Verhältnisse in den höheren
Breiten der nördliohen Hemisphäre, wo die lokalen Temperaturdiffe-
renzen zwischen den Ozeanen und Landmassen zu hohen Beträgen an-
wachsen, welche im Winter den allgemeinen Temperaturdifferenzen
zwischen der Tropenzone und dem Pole sehr nahe kommen. Jene
») O. Neumayor. Die Erforschung des Süd-Polargebietes. 60 S. Ber-
lin 1872, S. 49.
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müssen deshalb an verschiedenen Stellen zu lokalen Zirkulationen
Veranlassung geben, welche sich neben der allgemeinen zwischen den
Rofsbreiten und der Polkappe stattfindenden Luftzirkulation in hohem
Grade geltend machen. Solche verschieden bewegte Luftströme kön-
nen, wie von Helmholtz nachgewiesen worden ist, eine Weile neben
einander fortbestehen, aber das Gleichgewicht an ihrer Grenzfläche ist
labil, und sie lösen sich früher oder später in Wirbel auf, in deren
Innern durch die sich immer vergröfsernde Berührungsfläche eine
schnelle Mischung der ursprünglich getrennten Luftschichten ermög-
licht wird. Dabei darf man wohl annehmen, dafs der Vermischungs-
prozers der allgemeinen mit lokalen Zirkulationen nicht gleich an der
Grenze der Passatzone vor sich geht, sondern Teile der stark rotieren-
den warmen hohen Schichten rein oder halb gemischt übrig bleiben,
die erst weiter gegen den Pol hin neue Mischungen eingehen. So
wird es verständlich, dafs in den höheren Breiten der nördlichen
Halbkugel eine grorse Zahl unregelmäßig fortwandernder Cyclonen und
Anticyclonen mit Übergewicht der ersteren entstehen mute, wie sie
durch die Gebiete niederen und hohen Luftdrucks auf unseren synop-
tischen Karten in Erscheinung treten.
Dafs diese jedoch von dem Zusammenhange mit dem gröfseren
Kreislauf der Atmosphäre, der sich noch in den höchsten Schichten
über ihnen und in größerer Mächtigkeit in den niedrigeren Breiten
abspielt, nicht vollständig losgelöst sind, geht nicht allein aus ihren
zuerst durch Herrn Hann festgestellten und hernaoh duroh zahlreiche
Ballonbeobachtungen bestätigten Temperaturverhältnissen, sondern
noch aus anderen bedeutungsvollen Thatsaohen hervor. Von Herrn
von Bezold sind für eine bestimmte Klasse von Cyclonen, nämlich
solche mit kreisförmigen Linien gleichen Luftdruckes und mit Winden,
die in die Richtung dieser Linien fallen, die Grundgleichungen ihres
Fortbestehens abgeleitet worden, wobei sich zwischen ihren Druck-
gradienten und Windgeschwindigkeiten Beziehungen ergaben, denen
man in Wirklichkeit bei den Cyclonen häufig begegnet. Bei solchen
sogenannten „zentrierten" Cyclonen steht die Gradientkraft senkrecht
auf der Richtung, nach welcher hin Arbeit, die hier in der Überwin-
dung der Reibung besteht, zu leisten ist. Diese Arbeit kann daher
keinenfalls von der in den Cyclonen vorhandenen Gradientkraft ge-
leistet werden, und nooh weniger kann das geschehen, wenn die
Windrichtung um noch mehr als 90° von der Richtung des Gradien-
ten abweicht, weil dann noch eine Kraftkomponente vorhanden sein
mufs, die der einzigen aus der Druckverteilung entspringenden «nt-
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gegengosetzt gerichtet ist. Naoh Herrn von Bezolds mathematischen
Entwickelungen aber können Cyclonen, die an ihrer Basis wenigstens
annäherungsweise zentriert sind, kaum zu den Seltenheiten gehören,
und hat man in deren oberen Teilen wahrscheinlich sogar zentri-
fugale Bewegungen zu erwarten, selbst wenn sie gegen den Gradien-
ten erfolgen müssen. Die Bewegungen in der Cyclone können dann
also nicht ausschliefslioh Folge der in ihrem Zentrum vorhandenen
Luftbewegung sein, sondern müssen ihre Ursache ganz oder teilweise
außerhalb finden.
Aus ihrem Zusammenhange mit der allgemeinen atmosphärischen
Zirkulation erklären sich ungezwungen mehrere der bekanntesten
Eigenschaften der in unseren Breiten auftretenden Cyclonen und Anti-
cyclonen, z. B. dafs beide im Winter, der Jahreszeit mit den gröfsten
Temperaturunterschieden sowohl zwischen der äquatorialen und po-
laren Zone als auch zwischen nahe gelegenen Wasser- und Land-
gebieten, sich in höchster Intensität entwickeln, ferner dafs die Cy-
clonen am häufigsten in der Richtung nach Osten fortzuschreiten
pflegen, in welcher die in ihrem Inneren emporsteigenden Luftmassen
in grofser Höhe am leichtesten abfliefsen können. Für die Wande-
rung der Barometerdepressionen gilt zwar als Regel, dafs dieselbe
ungefähr senkrecht zur Richtung des stärksten Druokgradienten er-
folgt, und zwar namentlich dann, wenn auch die höchsten Tempera-
turen auf die Seite des höohsten Luftdruckes fallen, so dafs in den
oberen Luftschichten dor Druckgradient noch zunehmen mufs. In
völliger Übereinstimmung hiermit und mit entsprechender Geschwin-
digkeit gehen jedoch erfahrungsmäfsig die Ortsveränderungen der
Minima gewöhnlich nur in den Fällen vor sich, wenn der Druck-
gradient von der südnördlichen Richtung nicht sehr erheblioh abweicht.
Ist er dagegen z. B. nach Ost gerichtet, so schreitet das Minimum
meistens nicht, wie man erwarten sollte, gerade südwärts, sondern un-
gefähr südostwärts fort, und eine Bewegung desselben nach West
findet, selbst bei äufserst starken nordsüdlichen Gradienten, fast immer
mit sehr geringer Geschwindigkeit statt. Dem durch die Druck- und
Temperaturverteilung an der Erdoberfläche bedingten Bewegungs-
antrieb auf das barometrische Minimum scheint sioh daher stets eine
westöstliche Kraitkomponente, bald verstärkend, bald schwächend,
beizugesellen, welohe bei der Vorausbostimmung seines wahrschein-
lichen Weges durchaus mit in Reohnung zu ziehen und deren Sitz
offenbar in sehr hohen Schiohten der Atmosphäre zu suohen ist.
Die Wirksamkeit dieser hohen Schichten läfst auoh die Annahme
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als möglich zu, dafs der wahre Ursprung mancher unserer bedeuten-
deren Witterungsanomalieen, namentlich solcher von langer Dauer,
weit außerhalb nicht allein des Gebietes liegt, in dem die Cyclonen
oder Anticyclonen zuerst bei uns erscheinen, sondern auch desjenigen,
in welohem dieselben thatsöohlich entstanden sind. Beispielsweise
mag eine besondere Erhöhung und Vergröfserung des sibirischen
Barometermaximums im Winter, duroh welche oft eine lange anhal-
tende Kälteperiode in Buropa eingeleitet wird, durch ungewöhnlich hohe
Wärme im Tropen- oder Subtropengebiete veranlafst sein, die einen ver-
mehrten Abflute der Luft von dort nach höheren Breiten zur Folge hat
Zur Erhaltung und weiteren Verbreitung solcher Witterungsanomalieen
werden aber, gleichviel, ob sie ursprünglich duroh die höchsten Luft-
schichten den gemäfsigten Breiten übermittelt oder in diesen selbst
erzeugt sind, auch mehr lokale Verhältnisse wesentlich beitragen
können, so die abkühlende Wirkung einer über ein weites Gebiet
sich ausdehnenden hohen Schneedecke, in dessen Umgebung der Bo-
den ganz oder nahezu von Schnee entblöfat ist. Dort wird sich näm-
lich leicht ein beständiges Kältezentrum entwickeln, welches an-
ziehend und verstärkend auf die Anticyclonen in weitem Umkreise
wirken mute und bisweilen sogar cyclonale Wetterlagen überdauern
kann, wie es sich für einen Teil von Nordeuropa bei Untersuchung
der Witterungsverhältnisse des trockenen Frühlings 1893 »«) gezeigt
hat In ähnlicher Weise kann, wie es in den letzten Jahren von
Herrn Pettersson >*) wahrscheinlich gemacht und speziell mit Rück-
sicht auf die Verhältnisse Deutschlands von Herrn Meinardus16)
näher ausgeführt worden ist ein aufsergewÖhnlich gesteigerter Wärme-
gehalt der Meeresströmungen, insbesondere des GolfstromwasBers eine
Vertiefung der ozeanischen Barometerminima bewirken, welche dann
ihrerseits wiederum die Erhaltung der hohen Wassertemperatur und
den längeren Fortbestand der Temperaturabweichungen bis auf grofse
Entfernung hin nach sich ziehen mufs.
Aus den vorstehenden Betrachtungen dürfte ersichtlich sein, dafs
die Ansichten über den Gesamtverlauf der grofsen atmosphärischen
H) E. Lesß. Die Verteilung des Luftdruckes über Europa während der
Trockenzeiten des Frühlings und Sommers 1893. Meteorol. Z.S. 11, S. 121 bis
136, 18'J4.
IS) O. Pettersson. über die Beziehungen zwischen hydrographischen
und meteorologischen Phänomenen. Meteorol. Z.S. 13, S. '285—321, 1896.
'*) W. Meinardus. über einige meteorologische Beziehungen zwischen
dem Nordatlantischen Ozean und Europa im Winterhalbjahr. MeteoroL Z. S. 15,
S. 81-105, 1898.
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Strömungen im wesentlichen bereits geklärt sind, dagegen über die
Beziehungen zwischen den einzelnen Zweigen derselben wie zwischen
ihnen und den kleineren Luftwirbeln unserer Breiten noch gar manche
Zweifel zu lösen bleiben. Namentlich ist über die Oröfse des An*
teils, welchen die allgemeineren und welohen die mehr örtlichen Ver-
hältnisse an den bei uns sioh abspielenden Witterungsvorgängen ha-
ben, heute noch so gut wie nichts bekannt. Die Erklärung aber ganz
bestimmter Erscheinungen aus dem Zusammenwirken der allgemeinen
Zirkulation mit den lokalen Bedingungen dürfte, wie von Herrn von
Bezold in seiner Untersuchung über die Theorie der Cyclonen be-
tont worden ist, wohl auf Jahre hinaus eine der wicht igsten Auf-
gaben der meteorologischen Forschung bilden, an deren Lösung man
auf sehr verschiedenartigen Wegen herantreten kann.
*
Von Javas Feuerbergen.
Besuch eines neugebildeten Vulkanbeckens.
fVon Dr. P. Kronecker in Berlin,
ie grofse javanische Sohienenstralse, welche die westliche Haupt-
stadt der Insel: Batavia mit dem Hauptplatze des Ostens:
Surabaja verbindet, durchzieht in ihrem westlichen Dritteile
die von Bohönen und hohen Vulkanketten durchsetzten Preanger
Landschaften. Bevor sie die Westgrenze dieser Provinz bei
Tassikmalaja erreicht, um in die flache, fieberreiche, von diohtem
Sumpfwald bedeckte südliche Küstenebene, „die Savau einzutreten,
nimmt sie ihren Weg hart am Osthange eines steilen Vulkanwalles,
des „Galoenggoeng", und zwar so, dafs der Schienenweg mittelst
einer Reihe tiefer Einschnitte, langer Tunnels und kühn konstruierter
Galerien in das Gebirge selbst hat hineingebroohen werden müssen.
Der Galoenggoeng stellt ein Vulkanplateau dar, dessen höchster
Punkt auf 2229 m Meereshöhe gemessen worden ist Nach Osten,
nach der Ebene von Tassikmalaja zu, stürzt er in mehrfachen Stufen
steil ab; naoh Westen, gegen das Gebirgsthal von Garoit ist seine
Neigung eine geringere. Galoenggoeng gehört zu den zahlreichen
Feuerbergen der schönen Insel, welohe eine Quelle steter Sorge und
Angst für ihre Umgebung bilden. Schon manches reiche Dorf, manch'
blühende Plantage liegt unter der Hunderte von Metern mächtigen
Schutt- und Asohendecke begraben, welche als Lavaströme aus den
Kratern des Galoenggoeng hervorquollen. Die letzte Eruption vor
meiner, in den Oktober des Jahres 1896 fallenden Anwesenheit in jener
Gegend hatte genau ein Jahr vorher, im Oktober 1894, stattgefunden.
Am 18. Oktober dieses Jahres bewegte sich ein breiter Lavastrora
gegen den am Südfufee des Galoenggoeng- Stockes etwa zwei geo-
graphische Meilen südwestlich von Tassikmalaja gelegenen gewerb-
fleifsigen Marktflecken Sangapa rna, wo er arge Verheerungen an-
richtete. Der Bevölkerung gelang es fast ohne Ausnahme, sich recht-
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zeitig in Sicherheit zu bringen. Der Flute Tjikunir, der wichtigste
der Wasserläufe, welche am Südhange des Galoenggoeng entspringen,
ein Nebenflute des Tjibandöwi, über dessen tief eingeschnittenes
Bett die Bahnlinie dioht hinter Manundjaja auf kühner Gitterbrüoke
führt, wurde damals durch Schuttmassen in seinem Laufe gehemmt
und mutete sich ein anderes Bett suchen.
Nicht der höchste Gipfel des Galoenggoeng war es, welcher in
Thätigkeit trat, sondern eine etwas niedrigere, dem Hauptgipfel westlich
benachbarte Kammpartie, .,Wawiranu genannt, an deren Südwand
sich in etwa halber Höhe eine Anzahl Krater öffneten. Die Formation
des Berges wurde hierdurch erheblich verändert, und es schien wohl
der Mühe wert, diese jungen Vulkangebilde zu besichtigen und photo-
graphisch aufzunehmen, zumal dies nooh nicht gehörig geschehen war.
Ich brach zu diesem Zwecke am Nachmittage des 28. Oktober 1895
mit meinem Heisebegleiter Herrn Kapitän a. D. Fedor Schulze aus
Batavia und dessen jungem Sohne von Tassikmalaja auf. Aufser-
dem befand sich in unserer Begleitung ein alter Eingeborener aus
fürstlichem Geblüt, ein „Pangeran" — Statthalter — in der Provinz
Sintang, West-Borneo, weloher aus einer höchst fadenscheinigen Ver-
anlassung von der holländischen Regierung seines Amtes entsetzt und
nach Java verbannt worden war. Der Pangeran hatte nämlich während
der letzten Jahre seines Dienstes viel unter den Einfällen feindlicher
Dajak-Stämme zu leiden gehabt, welche Raubzüge in sein Gebiet unter-
nahmen und viele seiner Leute umbrachten. Er wandte sich wieder-
holt an den Assistent-Residenten von Sintang mit der Bitte, die Räuber
züchtigen zu dürfen, aber er blieb ohne Bescheid. Da nahm er das
Recht in die eigene Hand, denn täglich büfeto er Leute ein, zog aus
und tötete mehr als 30 der feindlichen Dajaks. Jetzt regte sich
plötzlich die holländische Verwaltung. Der Resident von Pontjanak,
des Hauptplatzes an Borneos Westküste, liefe den Pangeran vorladen
und verurteilte ihn zur Strafe für sein eigenmächtiges Handeln zur
Verbannung nach Java. Die Statthalterschaft übernahm sein ältester
Sohn. Die ganze Fürsorge der Regierung für den alten, treuen
Diener bestand hinfort in 25 Gulden (!) monatlichen Gnadensoldes.
Um nicht zu darben, war er auf die Wohl thätigkeit seines Freundes,
des Raden Adipatti von Manundjaja, angewiesen, weloher sich in
liebevoller Weise seiner und seiner Frau annahm. Auch wir hatten
uns bei unserer Expedition der Hülfe des Raden Adipatti zu erfreuen,
nachdem wir kurz vorher seine Gäste in seinem luxuriös ausgestatteten
Palast gewesen waren. Da der ganze Südabhang des Galoenggoeng*
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zu uUlu Bezirk dieses Fürsten gehörte, so hatte er alle Häuptlinge
angewiesen, uns jede gewünschte Hülfe zu leisten. So konnten wir
ohne Schwierigkeit die erforderliche Zahl von 42 Kulis erhalten,
welche unsere Apparate, Lebensmittel und die Fackeln für den nächt-
lichen Marsch durch den Busch zu tragen bestimmt waren. Jeder
Kuli erhielt für die auf 1 1/2 Tage berechnete Unternehmung 25 Cents,
circa 40 Pfg., so dafs die ganze Karawane mich kaum 12 holländische
Gulden (etwa 22 Reichsmark) kostete. Unter den Kulis befanden sich
übrigens 15 „Häuptlinge", welohe eine Art Aufsicht führten. Ihr
Lohn war nicht höher bemessen als der der Unter-Kulis, doch hatten
sie nur die leichteren Lasten, namentlich die brennenden Faokeln bei
Nacht zu tragen. Für die beiden älteren Herren: Kapitän Schulze
und den Pangeran von Borneo wurden primitive Tragsessel mit-
genommen, roh gezimmerte Stühle, deren Handhaben aus dicken
Bambusstäben bestanden, welche unterhalb der Sitze mittelst Rotang
(spanischen Rohrs) befestigt waren. Aufserdem wurden Ponies von
zweifelhafter Qualität für 50 Cents (75 Pfg.) das Stüok gemietet.
Unser Weg ging zuvörderst zu Wagen von Tassikmalaja in
westlicher Richtung direkt auf den Bergwall des Oaloenggoeng zu.
Die leidliohe, meist ebene Strafse war von steilen Böschungen unter-
brochen, bei deren Überwindung sich die vortrefflich organisierte
Hülfsaktion unseres Freundes, des Rade n Adi patti von Manundjaja,
überaus nützlich erwies. Denn überall hatten die Häuptlinge der
Dörfer und Weiler, welche wir passierten, Kulis aufgeboten, welche
durch Anstemmen gegen die Rückwände der Wagen dieselben schnell
auch die steilsten Hänge hinaufbugsierten.
Die Strafse führte durch Kokoswäldohen (Fig. 1, Titelblatt) und diohte
Bambuspflanzungen, später durch grünende Reisfelder. Immer schöner
und instruktiver gestaltete sich der Vorblick auf den Galoenggoeng-
Stook. Er ist im Süden flankiert von einem zierlichen Kegel, dem
Dingdinghari, 1623 m über dem Meere, auf welchen eine gewaltige,
schroffe Kraterwand folgt, deren nördliche Urawallung bei Gelegenheit
einer früheren Eruption abgesprungen war, so dafs man direkt in den
trichterförmigen Krater hineinschaut Gerade im Vorblick folgt nun
der flache Eruptionskegel des Wawiran, an dessen östliohem Abhang
der letzte Ausbruch stattfand, das Ziel unserer Wanderung. Nunmehr
schwingt sich der naoh Norden streichende Kamm des Galoenggoeng
empor zu der höchsten Partie, der Boenikjana, wo der alte, nur
noch sohwaoh thätige Krater liegt Nördlich hiervon erhebt sich
ein zierlicher Kegel, der 2229 m messende höohste Gipfel des Galoeng-
Himmel and Erde. IHN. XI. 12. 36
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goeng. Jenseits einer tiefen Einsenkung im Kamme schliefst im Norden
der ganze vielgestaltige Gebirgsstock mit einem graziösen Vulkan-
kegel ab, der 1690 m hohen Telaga Bodas, wo jener, von Garoet aus
vielbesuchte Kratersee gleichen Namens liegt.
Nach l'/astündiger Fahrt hatten wir ein kleines Dorf erreicht,
450 m über dem Meere gelegen, wo der Fahrweg endete und wir
nunmehr die Pferde zu besteigen genötigt waren, elende Klepper, mit
Stricken gezäumt, dabei störrisch und schwer zu regieren. Unser
Gepäck, mehr als 20 Stücke, wurde auf die 43 Kulis verteilt, so zwar,
dafs die schwersten Lasten, namentlich die Plattenk isten, mittelst
Bambusbast an dicken Bambusstangen befestigt wurden, welche je
zwei Leute trugen. Bei diesem Werke machte sich der alte, dicke
Pangeran von Borneo sehr nützlich, indem er nicht nur rationelle
Anordnungen traf, sondern beim Festbinden der Lasten fleifsig mit
Hand anlegte. Der gut gehaltene Pfad führte jetzt weiter in west-
licher Richtung gerade auf den Galoenggoeng zu, welcher meist
von schwärzlichem Gewölk eingehüllt wurde. Wenn es der Abend-
sonne gelang, die Wolkenwand zu durchbrechen, so leuchtete der
Soheitel des Berges auf Augenblicke durch den Wolkenschleier ge-
spenstisch und majestätisch. Nach halbstündigem Ritt bog der Weg
nach Süden ab und querte das Bett des Tjibanjaran, des nördlichsten
der am Eruptionskegel des Wawiran entspringenden Wasserläufe, ein
wohl V2 km breites Flufsbett, in welchem zwischen Sohuttwällen und
grofsen, glatten Kieseln graue Wasserfäden hinabrieselten.
Gegen 5 Uhr nachmittags hatten wir den „Pondak" (Rasthaus)
Tjipongo erreicht, wo wir die ersten Stunden der Nacht zu bleiben
beabsichtigten. Derselbe liegt reizend in einem Busch wald, an einen
Takul (Weiler) sich lehnend, angesichts des majestätischen Galoeng-
goeng-Walles, ca. 600 m über dem Meere. Noch war die Bergwand
von grauem Gewölk verhüllt, welches indessen von unseren Leuten
als vergänglicher Höhenrauch bezeichnet wurde. Für diese Auffassung
sprach der Umstand, dafs das Licht der ca. dreiviertelvollen Mond-
scheibe nicht Belten die Dunstmassen durchbraoh. Einmal bemerkten
wir nahe dem Zenith einen kohlschwarzen Streifen, welcher sich von
dem lichtem Gewölk scharf abhob, eine Erscheinung, die von den
Javanern als Kraterrauch gedeutet wurde.
Nach einigen Stunden guten Schlafes erhoben wir uns gegen
IV2 Uhr morgens. Das Gewölk war verschwunden, und imposant
zeichnete sich der schöngeschwungene Kamm des „Galoenggoeng"
gegen den reichgestirnten Nachthimmel ab. Bald wurde abmarschiert
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auf gutem, durch den dichten Urwald geschlagenem Pfade. Wir ver-
dankten diesen Weg einer Partie von holländischen Beamten, welche
bereits einige Monate vor uns den jungen Auswurf kegel des Wa-
wiran besuobt, aber über ihre Beobachtungen nur einen oberfläch-
lichen Bericht in einer javanischen Zeitung publiziert hatten. Der
zunehmende Mond verschwand schnell hinter der westlichen Berg-
wand, und so waren wir im dunklen Walde auf das Licht brennender
Bambusfackeln angewiesen, Bündeln von Bambusstäben, welche
am freien Ende angezündet ein sehr helles Lioht verbreiten. Leider
hatten wir uns ungenügend mit ihnen versehen, und dazu erwiesen
sich einige der Fackeln so feucht, dafs sie nicht brennen wollten.
Es kann daher nicht dringend genug empfohlen werden, bei nächt-
liohen Märschen durch den Urwald Petroleum mitzufahren, um mit
Hülfe desselben die Fackeln leichter und heller brennen zu maohen.
Von irgend welchen Gefahren konnte bei dieser Wanderung nioht die
Rede sein, denn Tiger und Panther fehlen hier gänzlioh; selbst die
schlauen Affen pflegen sich in respektvoller Entfernung thätiger
Vulkane zu halten, und an Schlangengattungen kommt dort nur
eine kleine, unschädliche Art vor. Nach etwa 2V2 stündigem, erst
sanfterem, dann steilerem Anstieg veränderte der Wald plötzlich sein
Aussehen. Wir hatten in einer Höhe von 890 m über dem Meere jene
Region betreten, die deutlichste Spuren des heifsen Liebeskusses zur
Sohau trug, welchen der Lavastrom vom Oktober 1 894 hier dem dichten
Vegetationsgürtel aufgedrückt hatte. Zuvörderst schienen nur die
Kronen der Bäume verbrannt, bald aber war von Grün keine Spur
mehr zu sehen. Nackt und angekohlt ragten die Stämme in die
Morgenluft, eine peinliohe Erinnerung an die frevelhafte Wald Verwüstung,
welche der Ansiedler im amerikanischen Westen zu üben pflegt
(Fig. 2, Titelblatt). Gegen 4l/2 Uhr morgens erblickten wir eine kleine
verfallene Bambushütte, 900 m ü. d. M. hart am Fufs des jungen Aus-
wurfkegels gelegen. Von hier aus ging es gegen 6 Uhr zu Fufs auf
schmalem Pfade den mäfsig steilen Schuttkegel hinan. Wenige
Schritte oberhalb der Hütte passierten wir einen Bach, den Tjiban-
jaran, und kurz darauf noch einige Rinnsale. Deutlich konnten
wir den Ursprung dieser Wasserläufe auf der Höhe des Auswurf-
kegels Telagawarna, am Ostfufe der Kraterwand des Wawiran
erkennen, wo weifse Dampfsäulen das Vorhandensein heifser Quellen
anzeigten. Das Wasser der schmaleren Rinnsale war hier noch lau-
warm, etwa 15° C. Besonders auffallend erschien mir, dafs dasselbe
durchaus rein schmeckte, ohne jeden Beigeschmaok von Schwefel.
35*
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548
Auch sonst war, in scharfem Gegensatz zu anderen von mir besuchten
Vulkanen Javas, auffallend wenig- Schwefel in der Umgebung des
Galoenggoeng zu finden. Am Hange des Auswurfkegels ragten,
Marterpfählen gleich, vereinzelte völlig kahle, schwarze Stümpfe aus
dem Schutt hervor, welcher aus groben Lavabrocken, vulkanischen
Sauden und Aschen sich zusammensetzte. Jene gröberen Brocken er-
wiesen sich meist als Trachyt, welcher nicht selten eingesprengte
Glimmerplättchen zeigte, besonders weiter oben an dem Kegel, ferner
als Syenit, dann als Sandstein. Auch war sehr viel grüngefärbtes
Fig. S. Blick auf die Wand dei Wawiran von der Höhe dei Eruptionekegels dei
Telagawarna, östlich von den drei Vnlkaneeen
Eruptivgestein und rotbrauner Porphyr vorhanden. Hier und da-
bemerkte man Stücke vulkanischen Tuffes. Viel spärlicher waren
schwarzer Basalt und Granit vertreten; Schwefel fand sich nur
spurweise.
Bald begann der Anstieg zur Höhe des Eruptionskegels steiler
zu werden, indessen blieb ein Pfad stets deutlich erkennbar. Wir
stiegen immer in westlicher Richtung auf einer Rippe des Berges,
zwischen dem Bachthale des Tjibanjaran im Norden und dem-
jenigen des Tjidjambe im Süden, an. Letzterer Wasserlauf verdankt
seine Entstehung erst der letzten Eruption. Aus beiden Schluchten
stiegen dicke Dampfwolken auf. Nach Osten fiel der Blick in das-
549
tiefeingesohnittene Thal des schon erwähnten Tj iku nir, aus welohem
dichtes, weifees Gewölk aufbrodelte. Im übrigen war das Wetter
schön und klar. Hier und da sprofste zwischen dem schwarzen,
grauen und rotbraunen, nicht selten angekohlten Gestein junges Farn-
kraut auf. Sonst war alles ausgebrannt und tot.
Als wir gegen 6 Uhr morgens eine Höhe von 1046 m erreicht
hatten, erhob sich in unserem Rücken die Sonne aus einem grauen
wogenden Dunstmeer. Über der Ebene im Osten lagerte watteartiges
Gewölk, aus welchem, gleich Augen, zahllose Teiche und Tümpelchen,
die unter Wasser gesetzten Partieen der Reisfelder, aufblitzten. Das
Pig 4. Der ostliche Kratertee. von Süden aui gesehen, ohne da« Oitufer
mit den Fumarolen.
uns umgebende Lavafeld zeigte sich hier netzartig durchzogen von
tiefen Rühm, ausgetrockneten Bachbetten, welche sich ihren Weg durch
die Schuttmassen gewühlt hatten. Oft mufsten wir auf schmalen
Wällen vulkanischen Sandes aufwärtsschreiten. Je höher wir kamen,
desto thätiger zeigten sich die vulkanischen Kräfte. Das Wasser des
uns zur Linken fliefsenden Tjidjambe, welcher seit Jahresfrist hier
flofs, sowie dasjenige des älteren zu unserer Rechten strömenden
Tjibanjaran war hier siedendheifs, weifse Dampfsäulen aushauchend.
Viel üppiger als weiter unten sprofsten grüne Bü6che und Farn-
kraut zwischen dem scharfen, spitzen, teilweise angekohlten Gestein
hervor. Gröfsere Lavablöcke fühlten sich warm an und zeigten breite,
550
durch die Hitze verursachte Sprünge. Immer weiter klommen wir
hinan bis an den Fufs der letzten Stufe der mit Asche überkleideten
Schuttwand des Eruptionskegels, welche am Hange der Steilwand des
Wawiran 1125 m über dem Meere sich gebildet hatte. Hier befand sich
naoh Aussage unserer mit den Verhältnissen der Gegend wohl vertrauten
eingeborenen Begleiter vor kurzem ein kleiner See mit Fumarolen,
weloher jetzt aber völlig trocken, von vulkanischem Gestein und
Fig. 5. Nordwestecko des ersten und Gesamtansicht des zweiten Kratersees
Asche ausgefüllt, dalag und eine kleine Ebene bildete. Im schroffen
Kontrast gegen den von Schutt verkleideten, sanfteren Hang des
Eruptionskegels erhob sich über dieser kleinen Ebene die nackte
Trachytwand des Wawiran. Von hier aus erstiegen wir, uns links
gegen Süden wendend, den steilen letzten Hang des Aschenkegels,
auf dessen Höhe die nougebildeten Krater der Cava Telagawarna
oder Cava Wawiran liegon. Erst jetzt verspürten wir gelinden
Schwefelwasserstoffduft und sahen zum erstenmale Flecken goldgelben
Schwefels in das Gestein eingesprengt. Auch an dieser Stelle sprofs
552
noch zartes Farnkraut aus den Ritzen des Traohytgesteins hervor. Gegen
7 Uhr morgens standen wir auf der Höhe des Auswurfkegels an der
Quelle des Tjibanjaran. Vor uns ragte die schroff abstürzende
Traohytwand der „Wawiran" genannten Partie des Galoenggoeng-
kammes auf, durchsetzt von tiefen, durch das Wasser erodierten
Schluchten (Fig. 3). Nachdem wir auf der Höhe 20 Minuten weiter
nach Südwesten vorgedrungen waren, standen wir am Südrande des
östlichen der drei, bei Gelegenheit der letzten Eruption entstandenen
Kraterseen der Telagawarna. Ein kreisrundes Wasserbecken
dehnte sich etwa 100 m unterhalb unseres Standpunktes aus. In schön
geschwungenen Linien fielen die von tiefen Rinnen durchfurchten
Asohenwände trichterförmig zu dem graugrünen Wasserspiegel des
Sees ab. An seinem Ostufer zischten zwei bis fünf Fumarolen aus ge-
borstenem Gestein hervor, Lage und Zahl während unserer Anwesen-
heit mehreremale wechselnd.
Ich maohte von dem Südufer aus eine Aufnahme des Kratersees
in liegendem Bilde (Fig. 4), dieselbe dann in aufreohtem Bilde, im
Norden abgeschlossen durch die Kraterwand des Wawiran. Genau
westlich von demselben befand sich in geringer Entfernung ein zweiter
Kratersee, der kleinste von allen, dessen Wasser eine schöne, licht-
grüne Färbung zeigt; westlioh von letzterem erhob sich die imposante
Steilwand des Wawiran noch ca, 600 m über unseren 1200 m hoch
liegenden Standpunkt. Die Nebelmassen, welche aus dem Thal des
Tjikunir emporbrodelten, wurden herübergetrieben und gegen die
Bergwand gedrückt, so dafe die Aufnahme des Hintergrundes jenes
zweiten Kratersees nur unvollkommen gelang (Fig. 5 : Nordwestecke
des Kratersees I, im Hintergrunde Kratersee II). Westlich von jenen
beiden lag ein dritter Kratersee, in Hinsicht auf Gröfse zwischen beiden
stehend und, wie Kratersee I, mit graugrünem Wasser gefüllt Leider
verdarb die von jenem dritten See angefertigte Aufnahme. Wir schritten
nun gegen Südwesten über den mit Konglomerat bedeckten Rücken
weiter und standeu gegen ß'/a Öhr morgens auf der nördlichen Um-
wallung eines vierten Kraters, der Cava-saat, welches Wort so
viel als trockoner Krater bedeutet Derselbe bot einen höchst
imposanten, eigenartigen Anblick dar. Vor uns that sich ein wohl
100 m tiefer Trichter auf, dessen Wände mit dicken Aschenlagen ver-
kleidet waren, aus deren Querspalten sich weifse Darapfwolken her-
vordrängten, während der Boden aus brüchigem, vulkanischem Gestein
bestand. Wahrscheinlich war auch Cava-saat, wie die anderen drei
Krater, vormals mit Wasser gefüllt gewesen, jetzt aber zeigte sie sioh
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553
absolut trooken. Über ihr erhob sioh im Nordwesten die Steilwand
der Dingdinghari, die westliche Fortsetzung des Wawiran (Fig. 6:
östliche Hälfte der Cava - saat mit dem Dingdinghari. Fig. 7:
Totalansicht der Cava-saat) Wir standen nun auf jenem Lavastrom
vom 18. Oktober 1894, welcher nach Süden gegen Sankaparna hin
abflofe und dort die oben erwähnten Verheerungen anrichtete. Herr-
lioh war von hier der Blick hinab nach Osten in die tief eingeschnitten«
Schlucht des Flusses Tjikunir, dessen Ufer beiderseits mit dichtem
Urwald bestanden waren, und weiter auf das Xaval -Gebirge, welches
die Aussioht absohlofs.
Unsern Rückzug wählten wir nordöstlioh zwischen den Krater«
seen und der Bergwand des Wawiran, wo wir den höchsten Punkt
des Eruptionskegels Telagawarna in einer Höhe von 1250 m er-
reichten. Von hier kehrten wir durch den Busch auf dem gleichen
Pfade, auf welohem wir angestiegen waren, nach Tassikmalaja zurück.
In vorstehender kurzer Schilderung habe ich darzulegen versuoht,
wie sioh neuerdings die Verhältnisse jener lebhaft thätigen Vulkan-
gebiete gestaltet haben.
Der Malteserritter d'Angos.
Von Adolf Jacobowski in Bromberg.
olgende Zeilen sind in der Absicht geschrieben, das bisher un-
bekannte curriculum vitae eines Mannes zu liefern, der in den
Kreisen der Astronomen wegen seiner Kometenbeobachtungen
ziemlich berühmt, aber auch ziemlich berüchtigt dasteht.
Jean Auguste d'Angos-Boucarrez, der Sprofs einer alt-
adligen Familie Südfrankreichs, wurde am 18. Mai 1747 zu Tarbes im
Departement der Oberpyrenäen geboren. Sein Vater bestimmte ihn
für die Soldatenlaufbahn und schickte ihn frühzeitig in das berühmte
Infanterieregiment de Navarre (Navarra) zu Paris. Die Ernennung
zum Ritter des französischen Militärordens vom Heiligen Ludwig sowie
die Beförderung zum Hauptmann sind jedoch die einzigen bemerkens-
werten Punkte in seiner militärischen Karriere.
Zu dieser Zeit fafste der Grofsmeister des souveränen Malteser-
Rilter-Ordens, Fr. Emanuel Kohan d e Polduc ein grofser Freund
und Beschützer der Wissenschaften, den Plan, im Turme des Ordens-
palastes zu La Valletta auf der Insel Malta eine Sternwarte zu errich-
ten und mit deren Leitung ein Mitglied des Ordens zu betrauen. Der
mit der Ausführung dieses Plans beauftragte bekannte Geologe und
Ordenskommandeur de Dolomieu2) warf alsbald seine Augen auf
d'Angos, der sich bereits auf dem Gebiete der Astronomie hervor-
gethan hatte, dem Orden jedoch nicht angehörte. Auf Anraten Do-
lomieus suchte d'Angos nun um Aufnahme in den Malteserorden
nach und wurde daraufhin am 17. Juli 1784 in der Langue de Pro-
vence desselben als Chevalier de justice (Justizritter) aufgenommen
und sogleich in den versprochenen Posten definitiv eingesetzt, nach-
dem er schon seit September 1783 zu La Valletta astronomische Beob-
achtungen angestellt hatte. Letzteres berichtet mit grofsem Lobe das
') Fr. Emanuel Ronan de Polduc, 70. Grofsmoister de9 Ordens, geb.
19. April 1725, zum GrofsmeiBter erwählt 12. November 1775, gest 13. Juli 1797.
') Dieudonnd Guy Sil v ain Tancrede de Gratet de Dolomieu, geb.
23. Juni 175)0 zu Dolomieu in der Dauphin^, aufgenommen [in der Langue
d'Auvergne de minorit£ 4. Oktober 1750, gest. 26. November 1801 zu Chäteauneuf.
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555
Pariser „Journal des Savantstt vom Oktober 1783, indem es hin-
zufügt, dafs das Observatorium sehr wertvoll für den wissenschaft-
lichen Fortschritt wäre, weil es unter einem weit reineren und des-
halb für die Beobachtung weit gunstigeren Himmel gelegen wäre als
die Sternwarten nördlicherer Gegenden, und dafs seine Schöpfung dem
Orden zur gröfstenlEhre gereiche.
Hier stellte nun d'Angos seine vielseitigen Beobachtungen an,
die später von einigen Astronomen, namentlich von Zach und Encke,
als teilweise fingiert bezeichnet wurden, und wegen der er deshalb zu
einem so traurigen Orade von Berühmtheit gelangte. Leider ging aber
der gröfste Teil derselben in dem Brande, der infolge eines Blitzschlags
in der Naoht vom 13. zum 14. April 1789 das Observatorium traf, zu
Grunde oder in „Rauch" auf, wie spöttisch Zach sagt Das Wenige,
was den Flammen entkam, war — dem Berichte des Baillis de
Suffren3) zufolge — derart, dafs es den Verlust des für immer ver-
lorenen Beobachtungsmaterials lebhaft betrauern liefs. Denn nioht nur
d'Angos' sämtliche astronomischen Beobachtungen seit 1783, sondern
auch viele seiner andern Papiere aus früheren Jahren verbrannten.
Da nach diesem Brande die Sternwarte nicht wieder aufgebaut
wurde, begab sich d'Angos 1789 nach seiner Vaterstadt Tarbes
zurück, um dort seine astronomischen Beobachtungen fortzusetzen, wo-
bei er von Seiten der Akademie der Wissenschaften, der er seit 1784
als korrespondierendes Mitglied angehörte, durch Lieferung von In-
strumenten unterstützt wurde.
Als nach der französischen Revolution die Schaffung von Zentral-
schulen durchgeführt wurde, meldete sich d'Angos bei der Jury des
Departements der Oberpyrenäen als Kandidat für den Lehrstuhl der
mathematischen Wissenschaften, der ihm auch einstimmig zuerkannt
wurde. Später wurde er zum Bibliothekar der Stadt Tarbes ernannt,
und als solcher starb er daselbst am 23. September 1833 (nicht 1836)
im Alter von 86 Jahren.
Das ist in kurzen Zügen eine biographische Skizze des Malteser-
ritters d'Angos. Wir wollen nun, da infolge des vorhin bezeichneten
Brandes jegliches bemerkenswerte Material fehlt, nur einer, und zwar
der berühmtesten „Beobachtung14 des Ritters gedenken, die erhalten
blieb und ihm, wio schon oben gesagt, zu einem traurigen Grade
von Berühmtheit verholfen hat, indem wir in der Darstellung der-
3) Pierre Andre" de Suffren-Saint Troppez, geb. "27. Juli 17*24, auf-
genommen in der Langue de Provence 23. September 1737, war Oberbefehls-
haber der Ordensflotte zur Zeit des Falls von Malta (1798).
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556
selben gröfstenteile der treffliohen Brubnssohen Biographie Enok.es
(Leipzig 1869) folgen.
Am 3. November 1820 sohrieb Olbers an Enoke: „Am 14. Mai
1784 erhielt Messier einen vom 15. April desselben Jahres datierten
Brief aus Malta, worin ihm der Chevalier d'Angos meldete: er habe
am 11. April im Gestirn des Fuchses einen sehr kleinen Kometen
ohne Sohweif entdeckt. Anfangs habe er ihn für einen Nebelfleck
gehalten, aber doch seinen Ort genau beobachtet Am 13. April habe er
sich vergewissert, dafs es ein Komet sei, ihn aber der Wolken wegen
nicht beobachten können, ebensowenig wie am 14 Am 15. habe er
ihn gut beobachtet; er sei ihm ein wenig liohtstärker vorgekommen,
vielleicht nur wegen des mehr heiteren Himmels. Er teilt zugleich die
Beobachtungen jedes Tages mit:
April 11. 2^31» morg. wahre Zeit AH. 315° 18', Nördl. Dekl. 22« 21'
15. 3 18 307 55, 15 28.
Soweit d'Angos. Mehr Beobachtungen wurden dem Pariser Astro-
nomen nicht bekannt; dooh schickte d'Angos nachher die von ihm
bestimmten Elemente ein, woraus sich sohliefsen liefs, dafs er den
Kometen lange genug beobachtet haben müsse, um diese berechnen
zu können. Messier suchte den Kometen vergeblich.
^Bekanntlich brannte die Sternwarte von Malta mit allen Papieren
u. s. w. nachher ab, und man hielt daher in Frankreich die Beobachtungen
dieses Kometen für ganz verloren. Da nun die beiden Beobachtungen
garnicht zu den Elementen stimmen, die d'Angos angegeben hat, so
hat sich Burckhardt viele Mühe gegeben, aus den zwei Beobach-
tungen unter einigen wahrscheinlichen Voraussetzungen wenigstens
beiläufig die Lage und Abmessung dieser Kometenbahn zu bestimmen,
die ich hier nebst den Elementen des Ritters hersetze:
I II III d'Angos
März 11. März 9. März 10. April 9.
1784 Zeit der Sonnennähe 8h 7h 0h 21M6»469
Länge« „ 5»'» 0° 48 13° 4» 17° 10» 28« 54' 57"
.. des Knotens 1 25 1 12 1 5 2 26 54 9
Neigung der Bahn 26 64 84 47 65 10
Periheldistanz 0,6821 0,5857 0,6377 0,650331
Bewegung Rechtläufig. Rechtl. Rechtl. Rückgängig.
Man sieht, dafs keine der Burckhardtsohen Bahnen mit der von
d'Angos die geringste Ähnlichkeit hat. Bei I setzte B. voraus, dafs
der Komet in den beiden Beobachtungen des 11. und 15. April gleich-
•) s = Signum = 1 „ des Tierkreises = 30°.
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557
weit von der Erde gewesen sei, bei II, data der Komet am 15^ an welohem
er etwas heller erschien, der Erde um ^ näher stand. Da diese zweite
Bahn einige Ähnlichkeit mit der Bahn des Kometen von 1580 hat, so
war Burokhardt um so begieriger, noch einige Umstände von
d'Angos' Kometen zu erfahren. Auf sein Ersuohen fragte also
Delambre bei dem Ritter an, und dieser antwortete: er habe bei dem
Brande der Sternwarte niohts gerettet als sein meteorologisches Journal.
In diesem finde er unterm 22, April blors die Beobachtung des Zodiakal-
lichtes, ohne Erwähnung des Kometen. Er schliefse also daraus, dafs
der Komet am 22, April nicht mehr sichtbar gewesen sei. Burok-
hardt bestimmte also die dritte Bahn so, daTs der Komet am 22. April
nicht mehr zu Malta gesehen werden konnte.
„Aber, was diese Astronomen und d'Angos selbst für ganz
verloren hielten (letzterer vielleicht nur, Burckhardts Untersuchungen
scheuend, für verloren gehalten haben wollte), war längst gerettet,
längst gedruckt Es steht nämlich in dem „Leipziger Magazin zur
reinen und angewandten Mathematik"4) im ersten Stück 1786, Seite
132 ; -Des Herrn Ritter von Angos Beobachtungen und Bestimmung
der Bahn des zweiten im Jahre 1784 erschienenen, von ihm selbst
entdeckten Kometen". Da ich nicht weifs, ob das L. M. zur Hand ist,
so setze ich die Beobachtungen hierher:
Mittlore Zeit zu Paris Länge des Kometen Breite des K ometen
April HL 13 h
24"»
55 9
325«
15"
37Q 25' 30"
LL
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Mai L
Li
5Ö
LS
281
8
L2
9
23 0
Nach dem L Mai mufste der Ritter der geringen Gröfse des Kometen
und aufsteigender Nebel wegen die ferneren Beobachtungen aufgeben.
♦} Herausgegeben für die Jahre 1786—88 von Karl Priedr. Hinden-
burg (1741— 1808) und Johann Bernoulli (1744—1807).
558
„Nach diesen Beobachtungen", fügt d'Angos hinzu, „habe ich
folgende Elemente in einer parabolischen Bahn bestimmt, und diese Bahn
stellt solche mit einer grösseren Genauigkeit dar, als ich von einer so
geringen Anzahl Beobachtungen hoffen durfte, indem die Fehler sowohl
in der Länge als in der Breite nie über 1' 10" gehen". Darauf
folgen die Elemente wie oben, nur ist die Inklination nooh genauer:
47° 65' 8", 55 angegeben. Die Beobachtungen soheinen einen rogel-
mäfsigen Gang zu halten und haben an sich nichts Verdächtiges.
Blofs die Breite am 30. April mag den Differenzen naoh duroh einen
Druck- oder Schreibfehler entstellt sein, und man wird, statt 10° 55' 41",
100 45' 41" lesen müssen. Aber die Elemente, die d'Angos doch
mit sämtlichen Beobachtungen verglichen haben will, machen die Sache
höchst bedenklich. Sie lassen sich mit den Beobachtungen garnioht
vereinigen und geben nicht, wie der Ritter sagt, Fehler von 1 ' 10",
sondern von ganzen Zeichen. Auoh habe ich vergebens versuoht, irgend
einen Druck- oder Schreibfehler in den Elementen zu entdecken, der
diese so entstellt haben könnte.
„Gewifs ist es also ein ganz falsches Vorgeben von d'Angos,
dafs er diese Elemente mit den Beobachtungen verglichen habe. Hat
er sie blofs willkürlich hingeschrieben? Oder hat er sich auf eine
freilioh unbegreifliche Art bei Aufsuchung der Elemente verrechnet
und sein so durohaus irriges Resultat ohne weitere Prüfung dooh für
so genau gehalten, dafs er geglaubt hat, versichern zu können, es
weiche nie mehr als etwas über eine Minute von der Beobachtung ab?
d'Angos scheint doch sonst in Berechnung von Kometenbahnen nicht
ungeübt gewesen zu sein, und Pingrö („Cometographie", Vol. II, Paris
1784, p. 94 und 95) zieht seine für den Kometen von 1779 gegebenen
Elemente allen übrigen vor. Dies giebt mir einige Hoffnung, dafs die
Beobachtungen nicht auch blofs erdichtet sind. Hätte der Ritter blofs
aus Eitelkeit den Astronomen glaubhaft machen wollen, er habe einen
Kometen entdeckt und beobachtet, so würde er, scheint es mir, sich
die Mühe genommen haben, die Örter des angeblichen Kometen vor-
her aus einer willkürlich angenommenen Bahn zu berechnen und dann
diese Örter um kleine Gröfsen zu ändern. So wäre der Betrug nicht
leicht zu entdecken gewesen; Burckhardt hat mir aber nachher durch
ein Beispiel bewiesen, dafs sich d'Angos in andern Fällen wirklich
erfrechte, Beobachtungen auf eine schamlose Art zu erdichten.
„Sobald ich diese Beobachtungen zufällig aufgefunden hatte, be-
stimmte ich aus den Beobachtungen vom 15., 22. und 29. April naoh
meiner Methode folgende parabolische Elemente:
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559
Zeit der Sonnennähe 1784 März 11. I6h 3 1 V2 m mittlere Pariser Zeit
„Diese Elemente haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit denen
von d'Angos, stimmen aber nahe mit Burckhardts Bahn No. I
überein. Berechnet man aber nun wieder aus diesen Elementen den
Ort des Kometen für die mittlere Beobachtung, so findet sich die
Länge 9 8 27° 8' 40", die Breite 22° 23' 3", Fehler der Länge
19' 69", der Breite 1' 2". Die Verbesserung von M. verminderte
diesen Fehler nioht merklich, der für die ersten Beobachtungen noch
viel gröfser wird. Es folgt also, dafs sich die zu Grunde gelegten
Beobachtungen durch eine Parabel nicht näher als bis auf 5 bis 6
Minuten darstellen lassen.5) Ein andorer Kegelschnitt, ich vermute
eine Hyperbel, wird sich an diese drei vielleicht ganz (ob auch an
die übrigen erträglich, weifs ich nicht) anschliefsen lassen. Ich habe
dies aus Zeitmangel nicht versuchen können und überlasse es nun
Ihnen, mein hochverehrter Freund, ob Sie gelegentlich diese Unter-
suchung vorzunehmen der Mühe wert finden, die Ihnen bei Ihrer
grofsen Geschicklichkeit und Übung gewifs viel weniger Zeit und
Arbeit kosten wird als mir. Das Resultat derselben dürfte dann in
des Herrn Baron von Zach Korrespondenz einen schicklichen Platz
finden.u So weit Olbers.
Im vierten Bande von Zaohs „Corrospondance astronomique,
geographique, hydrographique et statistique** (Genua 1821) berichtet
Encke über seine Untersuchungen, und überschrieben ist der Auf-
satz: „Imposture astronomique grossiere du Chevalier d'Angos".
Zuerst werden alle von Olbers gemachten Mitteilungen aufgeführt,
dann untersucht Encke, ob die beiden Beobachtungen vom 11. und
15. April, die in Rektaszension und Deklination gegeben sind, in
Länge und Breite dieselben Zahlen geben, die im Leipziger Magazin
veröffentlicht sind. In der That zeigt sich hier eine nahe Überein-
stimmung. Er korrigiert die von Olbers schon gefundenen beiden
Druckfehler und sucht alsdann die Elemente. Jeder Keg-elschnitt Iäfst
*) Anmerkung von Olbers: „Ich fand folgende Elemente, die die Fehler
auf die drei Beobachtungen mehr verteilen: Zeit der Sonnennähe März 12.
4h 50«n, Länge der Sonnennähe 5« 4° 5' 42", Länge dos aufsteigenden Knotens
2* 0« 42' 43", Incl. orb. 23° 24' .-»», log des kleinen Auslandes 9,8450291.«
Länge der Sonnennähe
Länge des aufsteigenden Knotens
Neigung der Bahn
log des kleinen Abstandes
Bewegung
5S 2° 34' 29"
2 0 32 41
25 31 51
9,835872
reohtläufig.
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ntiO
aber so beträchtliche Fehler übrig, dafs er sehr unwahrscheinlich wird,
und naoh mehrfachen Versuchen entdeckt Encke aus den Elementen,
data die gegebenen Beobachtungen nur dargestellt werden können,
wenn man den Radiusveotor des Kometen zehnmal gröfser annimmt,
als er aus den Elementen sich findet Enoke schlierst daraus, dafs
d' Angos die Rechnung zweifellos aus Versehen mit zehnfachen Radien-
vektoren des Kometen gemacht habe, dadurch die Bahn des Kometen
vollständig falsch und erfunden sei und der Komet nie existiert habe;
dafs d' Angos später, als man ihn aufmerksam gemacht hatte, seine
Elemente stellten die Beobachtungen nioht dar, den Fehler vielleicht
selbst entdeckt und nicht befriedigende Antwort an Delambre ge-
geben habe. Enoke schliefst seine Arbeit mit den Worten: „Alles
was man in dieser mifslichen Angelegenheit zu Gunsten des Ritters
anführen könnte, wäre anzunehmen, dafs derselbe wirklich am II.
und 15. April einen Kometen beobachtet habe, dafs er denselben aber
dann nicht habe wiederfinden können, und dafs er nun, durch Ruhm-
sucht veranlafst, die beiden Beobachtungen, die er gemaoht, und die
nicht viel hätten nützen können, zu vervollständigen, eine beliebige
Bahn erdichtet und darauf alle diese Beobachtungen bis zum 1. Mai
erfunden habe."
Olbers hielt durch Enckes Rechnung den Betrug für erwiesen
und führt in seinem Kometenverzeichnisse vom Jahre 1823 (in Schu-
machers „Astronomischen Abhandlungen") diesen Kometen als eine
„schändliche Erdichtung" auf, welcher Ausdruck auch buchstäblich in
0 all es Kometentafel von 1847 aufgenommen ist Gaufs (s. Astr.
Nachr., Bd. 66, Nr. 1674, S. 219) jedooh meinte, dafs durch die Unter-
suchung von Encke eine solche vernichtende Brandmarkung des
Ritters nicht hinlänglich gerechtfertigt wenn auch, zumal in Verbin-
dung mit andern, aus d'Angos' Persönlichkeit geschöpften Umständen,
auf einen überaus hohen Grad von Wahrscheinlichkeit gebracht sei.
In einem am 13. November 1846 an Schumjaoher gerichteten Briefe
sagt Gaufs: „Seit längerer Zeit habe ich vielfach erfahren, dafs bei
brieflichen Diskussionen über Streitfragen selten etwas herauskommt.
Eine mir unvergefsliohe Ausnahme macht unser Olbers, mit dem ich
sehr oft kleine Scharmützel gehabt habe, die allemal (den Fall von
d'Angos' Betrug abgerechnet den Olbers als durch Enoke er-
wiesen ansah, ich nur, wie zu einem gewissen Grade von Wahrschein-
lichkeit gebracht, weit entfernt von Gewifsheit) auf eine befriedigende
Art zum Ziele kamen." Ferner sagt Gaufs, dafs, um ein solches
Urteil über d'Angos in so sohneidender Entschiedenheit aussprechen
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661
zu können, die absolute Unmöglichkeit, die bekannt gemachten Beob-
achtungen duroh eine wirkliche Bahn in richtiger Rechnung zu er-
klären, in ein viel helleres Licht erst zu setzen sei, als es durch
Encke geschehen. Dafs d'Angos' Elemente dies nicht leisteten,
könne als gewifa betrachtet werden, und an Enokes Nach Weisung
eines Rechnungsfehlers dürfte gar niemand zweifeln. Aber dies sei
noch kein Beweis für eine Erdichtung, sondern nur ein Indizium.
Denn in der That, wie oft hat man wahre Fakta durch falsche Hypo-
thesen erklärt Weiset man in einer solchen Erklärung einen wesent-
lichen Fehlschluß naoh, so folgt daraus zunächst nur die Verwerflich-
keit der Hypothese und noch nicht die der Thatsachen selbst. Um
diese für erdichtet erklären zu können, mute erst ihre Unverträglich-
keit mit feststehenden Wahrheiten nachgewiesen werden. Gau Ts liefs
auch durch B. A. Oould eine unabhängige Bahnbestimmung durch-
führen aus Beobachtungen vom 10., 16. und 22. April 1784. Oould hat
jedoch weder einen Kegelschnitt noch eine geradlinige Bahn finden
können, die sich auch nur leidlich an die Beobachtungen anschliefst
Auch d' Arrest hat 1865 über diesen Kometen scharfsinnige
und, wie Gylden sagt von tiefem, durch das Rätselhafte dieser Ko-
metenentdeckung nooh gesteigertem Interesse zeugende Untersuchun-
gen angestellt und teilt in den Astrouomischen Nachrichten (Bd. 65,
No. 1555, S. 290) mit dafs sich geger die aus Enckes Berechnung
der heliozentrischen Bewegung des Kometen hergeleiteten Gründe
keine Einwendung machen lasse6); der Komet könnte aber möglicher-
weise im Frühjahr 1784 die Attraktionssphäre der Erde passiert und
den beobachteten Lauf als Trabant der Erde beschrieben haben. Eine
entscheidende Untersuchung dieses Falles würde indessen von so kom-
plizierter Art werden, dafs dor Aufwand von Zeit und Arbeit in keinem
Verhältnisse zur Natur des Gegenstandes stehen würde.
Schliefslich hat neuerdings (1882) der bereits vorhin erwähnte
verstorbene Gylden (in den Astronomischen Nachrichten, Bd. 102,
No. 2445—2446, S. 323) über diesen Kometen geschrieben. Veran-
lassung hierzu lag in der Wahrnehmung einer gewissen Ähnlich-
keit der Elemente dieses Kometen, wie sie Burckhardt aus den zwei
an Messier mitgeteilten Beobachtungen berechnet hatte, mit den-
jenigen einiger anderer Kometen. Aus der nachfolgenden Darstellung
ist man im stände, die Sachlage zu beurteilen:
•) d'Arreat macht dabei gleichzeitig darauf aufmerksam, dafs Enckes
Darstellung a. a. O. zwar gewifs von dessen grofser Arbeitsamkeit und von
Scharfsinn zeuge, kaum aber von ruhiger Kritik. Die starke Färbung der Ab-
handlung mag jedoch wohl zum Teil von Zach herrühren.
Hlmmol und Erde 1890 XI. 12. 3fi
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562
Komet
d'Angos Grischow7) Blanplain7) Denning
(Burckhardt)
1743 1
1819 IV
1881 V
Länge des Knotens 55°
68 «
770
660
Neigung 26
2
9
—
t
Länge der Sonnennähe 150
93
67
18
log des Perihelabstandes 9,8338
9,9238
9,9506
9,8600
Bewegung direkt
Die angeführte Bahn des von d'Angos gesehenen Kometen be-
stimmte Burokhardt bekanntlich, indem er die Hypothese zu Grunde
legte, der Komet sei an beiden Beobachtungstagen in gleichen Ab-
ständen von der Erde gewesen. Statt derartige Hypothesen zu unter-
suchen, hat Oy 1 den die Ergebnisse verschiedener Annahmen über
die Lage der Bahnebene geprüft. Es wurden demzufolge Knotenlänge
und Bahnneigung willkürlich angenommen und die übrigen Elemente
somit aus den beiden Beobachtungen berechnet. Gylden stellt die
Resultate einiger dieser
■ Versuche
wie folgt
zusammen:
I
II
III
IV
Länge des Knotens
65°
450
30"
650
Neigung der Bahn
7
4
6
2
Länge der Sonnennähe
163
127
60
149
log kleiner Abstand
9,9382
0,0(»00
9,9347
9,9884
log Exzentrizität
9,6967
9,1079
9,6279
9,1131
direkt
Wie man sieht, ist die Übereinstimmung der dritten Bahn mit
der des vierten Kometen von 1819 bis auf die Knotenlänge nicht ganz
unerheblich, und überhaupt ist die Ähnlichkeit der berechneten Bahnen
mit denen der drei angeführten Kometen eine solche, dafs man, führt
Gylden aus, wenn auch nicht an eine Identität, so doch an einen
gemeinsamen Urspruug der vier Objekte denken kann. Das Be-
merkenswerte bei den gefundenen Bahnen ist die geringe Exzen-
trizität, die überall zu Tage tritt; fernor die geringen Entfernungen
von der Erde. Indem Gylden diese durch A und A' bezeichnet, stellt
er sie, den vier Bahnen entsprechend, wie folgt zusammen:
I II III IV
log A 9,0782 8,6206 8,1226 8,5769
log A' 9,0831 8,5825 7,6663 8,5864
'I Clausen und Olbers halten bekanntlich beide Kometen für identisch
und führen den Unterschied in den sehr verschiedenen Neigungen der beiden
Bahnen auf eine grofse Störung zurück, die der Komet 1758 von Jupiter erlitten
habe, wobei überdies seine frühere Umlaufszeit von 6,73 Jahren auf 4,8 Jahre
reduziert worden sei: aber man hat den Kometen seit 1819 nicht wiedergesehen.
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563
Die Möglichkeit einer solohen Annäherun? an die Erde führt
nun wieder zu der von d'Arrest ausgesprochenen Ansicht, die Bahn
müsse während einiger Zeit berechnet werden, als ob die Erde die
Hauptanziehung ausübte. Gyld6n übergeht jedoch vorläufig die Ver-
suche, die in dieser Hinsicht gemacht wurden, und teilt zunäohst die
Resultate mit, die in Beziehung auf die Bahn des Kometen um die
Sonne vor der Annäherung an die Erde von ihm gefunden wurden.
Es kommt auch gerade darauf an, womöglioh diese Bahn zu ermitteln,
denn die während der grofsen Annäherung an die Erde angestellten
Beobachtungen könnten möglicherweise zu völlig entstellten Resul-
taten in Bezug auf die Bahn um die Sonne führen.
Aus der intermediären Bahn des Kometen um die Erde, teilweise
auch unter Berücksichtigung der Störungen der Bewegung in dieser
Bahn, wurden zwei geozentrische Längen und Breiten gewonnen, gültig
für Zeiten vor dem 1 1. April (dem Tage der Entdeckung). Aus diesen
Örtern wurden alsdann, unter Annahme hypothetischer Werte für die
Knotenlänge und die Neigung, die elliptischen Elemente der Bahn um
die Sonne berechnet Bei einigen Versuchen wurde aber die Lage
der Bahn unter Hinzuziehung der aus der intermediären Bahn folgen-
den Radienvektoren bestimmt. Solohe Versuohe wurden mit verschie-
denen intermediären Bahnen ausgeführt, da diese, wie man sehen wird,
in vorliegendem Falle sämtlich einen hypothetischen Charakter haben.
Einige der Resultate, nämlich die, welche am annehmbarsten erscheinen,
führt Gylden in der folgenden Zusammenstellung an:
I
II
III
IV
V
VI
Länge des Knotens
74"
23°
73°
68"
67»
70"
Neigung
1
11
l3/4
v2
2
4
Länge der Sonnennähe
163
150
154
131
135
140
log kleiner Abstand
9,970
9,963
9,981
9,986
9,979
9,960
log Exzentrizität
9,637
9,387
9,863
8,686
8,621
9,030
Hält man eine -sehr geringe Exzentrizität für unwahrscheinlich,
so findet man vielleicht das folgende Elementensystem, das im übrigen
gewissermafsen die Mitte der angeführten hält, als das annehmbarste:
Länge des Knotens = 70°
Neigung = 2
Länge der Sonnennähe = 150
log kleiner Abstand = 9,980
log Exzentrizität = 9,800
direkt
Für die Umlaufszeit in dieser Bahn ergeben sich 5.13 Jahre.
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564
Wäre die Länge der Sonnennähe etwa 60° kleiner gefunden
worden, als in den obigen Elementen angegeben ist, so hätte man
schwerlich an der Realität des Resultates zweifeln können, mithin
auch nioht daran, dafs die Entdeckung d'Angos' wirklich stattgefun-
den hat; aber auch so ist die Übereinstimmung mit den Elementen
der drei anderen Bahnen immerhin der Art, dafs die Annahme, ein
Komet sei wirklich von d'Angos gesehen worden, sowie die eines
gemeinsamen Ursprungs der vier Objekte plausibel erscheint. Ob
einige derselben vielleicht identisch sind, läfst sioh nach Gylden
gegenwärtig noch sehr schwer beurteilen.
Jedoch mufs andererseits eingeräumt werden, dafs die hypo-
thetische Annahme der sehr' geringen Inklination notwendig zu einer
Bahn führen mutete, deren Dimensionen von denen der Erdbahn nicht
gar zu sehr verschieden ausfallen. Die beobachteten Breiten sind
nämlich nicht sehr gering, und führen daher — bei kleiner Bahnneigung
— zu geringen Entfernungen des Kometen von der Erde. Da ferner die
beobachtete geozentrische Bewegung nicht besonders grofs war, so
konnte die heliozentrische Bewegung des Kometen von der der Erde
nioht sehr verschieden gefunden werden. Das obige Resultat beweist
also im Grunde nur die Möglichkeit der gegebenen Erklärung, nicht
ihre Notwendigkeit; aber auch auf dieser Stufe der Modalität ist der
Beweis nicht ohne Interesse. Sieht man nämlich gänzlich von den
nach Gylden sicherlich apokryphen Beobachtungen nach dem 15. April
ab, von denen d'Angos selbst nichts wissen zu wollen schien, so
steht man vor der Entscheidung der folgenden Frage: kann man an-
nehmen, dafs d'Angos am 11. und 15. April 1784 ein kometähnliches
Objekt gesehen und in solcher Weise beobachtet habe, dafs es in eine
Bahn verlegt werden kann, die auf einen gemeinsamen Ursprung der
vier oben genannten Kometen hinweist? Oder soll man die Mitteilung
jener Entdeckung als eine reine Erdichtung ansehen? Gylden er-
scheint es, als ob der ersteren Alternative die gröTsere Wahrscheinlich-
keit zuerkannt werden müsse. Denjenigen aber, die dennoch an der Er-
dichtung festhalten wollen, giebt der Stockholmer Astronom zu bedenken,
dafa, wenn auch diese ersten Beobachtungen erdichtet worden sind, es
doch schwer anzunehmen ist, sie seien aus vollkommen willkürlich er-
dichteten Elementen berechnet worden. Denn die Elemente mufsten
doch wenigstens der Bedingung genügen, dars der Komet zu den an-
gegebenen Zeiten wirklich sichtbar war; ferner wohl auch der, dafs der
Komet in einer Himmelsgegend anzutreffen war, wo Kometen zu der
betreffenden Jahreszeit zu suchen waren. Man kann daher die Er-
dichtung der örter und nicht die der Elemente als eine ziemlioh er-
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565
wiesene Saohe betrachten, wenn man überhaupt an einer derartigen
Hypothese festhalten will. Mit diesen örtern und fingierten Abständen
wäre alsdann die bekannte Bahn berechnet worden, wobei das Ver-
sehen mit der Verzehnfaohung der Radienvektoren hätte gesohehen
können. Aber in diesem Falle beweist die gegenstandslose Bahn auch
nicht das Mindeste für oder gegen die Erdichtung der örter, denn sie
hätte genau dieselbe werden müssen, ob die zwei örter erdichtet
wären oder nicht. Wenn dem aber so ist, so mufs, schliefst Gyldön,
die Hypothese der Erdichtung als die weniger wahrscheinliche be-
zeichnet werden.
Dies ist>ine ausführliche Darstellung des berühmten Falles. Es
geht daraus hervor, dafs ein vollständiger Beweis für d'Angos' an-
geblichen Betrug nicht existiert, und dafs ein solcher wegen des
Fehlens jeglichen authentischen Materials wohl niemals wird geliefert
werden können. Auffallend ist es allerdings, dafs d'Angos, wiewohl
schon seit 1783 zu La Valletta, doch erst am 17. Juli 1784, also volle
zwei Monate naoh seiner Kometen- und somit ersten namhaften
Entdeckung überhaupt, in den Orden aufgenommen wurde, obgleioh
dies nach den Ordensstatuten schon gleich hätte gesohehen können.
Höchstwahrscheinlich wollte sich also der Grofsmeister Rohan de
Polduo erst selbst von der Tüchtigkeit d'Angos überzeugen, bevor
er ihn zum Ordensmitgliede ernannte und damit zugleich definitiv in
den sicherlich viel begehrten Posten einsetzte. Hieraus könnte man
also auch auf einen möglichen Betrug schliefsen, wenn man annimmt
dafs d'Angos die Probezeit mittlerweile zu lang wurde, sich ihm aber
sonst keine reellen Wege zeigten, derselben ein Ende zu machen.
Rätselhaft bleibt es nun aber, warum dann die Nomination erst im
Juli, wo also der Komet schon längst wieder verschwunden war, vor
sich ging. Andererseits kann ja d'Angos den fraglichen Kometen
auch wirklich am 11. und 15. April 1784 beobachtet haben und ledig-
lich aus uns unbekannten Gründen von der Aufnahme in den Orden
während der ersten zehn Monate seines Verweilens zu La Valletta
ferngehalten worden sein. Dann mufs man aber wohl annehmen, dafs
er die Elemente aus seinen Beobachtungen falsch berechnet und nach-
träglich nicht eine Ephemeride gerechnet hatte.
Aus alledem geht hervor, dafs dieser dunkle Punkt in der Astro-
nomie nicht aufgeklärt ist, und dafs man naoh wie vor bezüglich der
Glaubwürdigkeit oder Unglaub Würdigkeit der von d'Angos publi-
zierten Kometbeobachtungen sehr vorsichtig wird urteilen müssen.
— • - —
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Für die Mondtheorie wichtige historische Sonnenfinsternisse.
Im 1. Bande der Zeitschrift H. u. E. (Seite 133) habe ich eine
Darstellung der Gründe zu geben versucht, weshalb die uns in den
Annalen der Völker überlieferten Nachrichten über das Vorfallen sehr .
grofser Sonnenfinsternisse gegenwärtig für unsere Astronomie noch
grofsen Wert haben. Es wurde dort gezeigt, dafs der Mondschatten
beim Entsteheu einer Sonnenfinsternis mit seiner Spitze die Oberfläche
unserer Erde trifft, und dafs infolge der Umdrehung der Erde um sich
selbst und des Weiterbewegens des Mondes vor der Sonne auf der
Erdoberfläche eine von zwei regelmäßigen Kurven begrenzte Schatten-
zone entstehen mufs, die je nach der augenblicklichen Position der
drei in Betracht kommenden Körper gegen einander (nämlich Sonne,
Mond, Erde) bald in diesen, bald in jenen Gegenden der Erde verläuft.
Die Lage dieser Schattenzone, der Zentralitätszone der Finsternis, ver-
mögen wir gegenwärtig, wo die Theorie der Bewegung des Mondes
und der Erde (resp. Sonne) genau ausgearbeitet ist, für jede beliebige,
wenn auch der Zeit nach noch soweit zurückliegende Sonnenfinsternis
zu berechnen. Die Orte der Erde, über welche hinweg dieser Rechnung
nach die Zentralitätszone der Finsternis ihren Weg nimmt, müssen
auch in Wirklichkeit in dieser Zone liegen, d. h. an diesen Orten müssen
die merkwürdigen Erscheinungen, welche sich bei totalen Sonnen-
finsternissen bekanntlich zeigen, wahrnehmbar sein, und aufserhalb
jener Zone gelegene Orte werden die Phase nicht total, sondern nur
partiell sehen. Die Übereinstimmung zwischen der berechneten und
der faktischen Zentralitätszone der Sonnenfinsternisse ist nun bei den
Finsternissen unseres laufenden Jahrhunderts und auch bei denen der
nächst zurückliegenden Jahrhunderte bis zum Mittelalter hin eine
recht gute. Wir schließen dies daraus, dafs Orte, von denen uns die
Chronisten Totalitätsberichte überliefert haben, wirklich auch in der
berechneten Zone liegen. Aber schon im früheren Mittelalter und am
Ausgang des Altertums zeigt es sich, dafs Differenzen in dieser Be-
ziehung vorkommen, indem manche Berichte aus Orten die Totalität
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507
melden, wo der Rechnung nach keine solche voll eintreten, höchstens
die Phase stark partiell sein konnte, und umgekehrt. Diese Ab-
weichungen werden auffälliger, je mehr wir in die alte Zeit, d. h. das
Altertum, zurückgehen. Der Grund der Differenzen liegt in einer ge-
wissen Unsicherheit der Veränderung einzelner Mondbahnelemente mit
der Zeit Die gegenwärtige Mondtheorie hat diese zeitlichen Ver-
änderungen der Gröfsen, die in Rechnung kommen, da sie auf rein
theoretischem Wege noch nicht festgestellt werden konnton, durch Ver-
gleichung mit vielen alten Beobachtungen erheblich verbessert und
dadurch eine wesentlich bessere Darstellung der älteren historischen
Finsternisse durch die Theorie erreicht. Ganz sind die Schwierig-
keiten, den Finsternissen theoretisch gereoht zu werden, auch jetzt
noch nicht gehoben. Wie man also sieht, besteht der Wert der alten
Überlieferungen über beobachtete grofse Sonnenfinsternisse darin, dafs
diese Beobachtungen uns zu Hülfe kommen und wir durch Benützung
derselben unsere Theorie verbessern können.
Allein der Verwendung dieser alten Sonnenfinsternisse stehen
vielfach Hindernisse entgegen, einesteils weil öfters wegen Mangel
des Zusammenhanges der Überlieferung ihr Datum nicht zweifellos
festgelegt werden kann, und andernteils, wenn dies auch gelingt, der
Beobachtungsort unsicher bleibt, von welchem die Beschreibung der
Finsternis herrührt Man hat deshalb zur Verbesserung der Mond-
theorie nur wenige Finsternisse im Verhältnis zu dem reichhaltigen
Materiale der historischen verwenden können; von den alten waren
es besonders vier, die geeignet schienen und darum öfters zu Ver-
besserungsversuchen herangezogen wurden : die Finsternis des Thaies
(28. Mai 585 v. Chr.), die während einer Schlacht zwischen den Medern
und Lydern vorgefallen sein soll, eine angeblioh bei der Belagerung
von Larissa (19. Mai 557 v. Chr.) bemerkte, eine von Ennius be-
sungene (21. Juni 400 v. Chr.), die sich um Sonnenuntergang eingestellt
habe, und jene, welche den von Syrakus nach Karthago segelnden
Tyrannen Agathokles erschreckte (15. August 310 v. Chr.). Allein
von diesen historischen Finsternissen sind die zweite und dritte äufserst
zweifelhaft, gegen die erste haben die Historiker erhebliche Einwände
gemacht und nur die vierte kann unter gewissen Einschränkungen mit
Nutzen für die Mondtheorie verwendet werden. Da aus der ganzen
Periode des Altertums kaum mehr als eine historische Sonnenfinster-
nis verwendbar blieb, so erklärt sich, dafs ein Fortschritt auf diesem
Gebiete nicht ohne weiteres zu erreichen war und nur allmählich an-
gebahnt werden kann. In den letzten 50 Jahren hat sich nun in
Deutschland, namentlich durch die Begründung der „Monumenta
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568
Germaniae historioa", die Kritik der mittelalterlichen Goschichtsquellen
zu einer gewissermafsen selbständigen Hilfswissenschaft der historischen
Forschung entwickelt. Ich wandte mich deshalb 1882 diesen Quellen
zu und konstatierte daraus 22 mittelalterliche Finsternisse (von 71 n. Chr.
bis 1386), welche die möglichste Sicherheit in Beziehung auf die Zeit
und den Ort ihrer Beobachtung darbieten. Aus diesem Fundamente
hauptsächlich leitete ich „empirische Korrektionen" der Mondbahn ab,
welche den Ersatz für jene bilden sollten, die Oppolzer provisorisoh
in seinen „Syzygien tafeln für den Mond" eingeführt hatte. Da mir in
meiner Arbeit nicht nur die Darstellung der mittelalterlichen historischen
Finsternisse, sondern auch deren ungezwungener Anschlufs an die
wichtigsten des Altertums gelungen, somit das Terrain für weitere
Versuche geebnet war, so hatte ich seit Jahren den Wunsch, meine
empirischen Korrektionen an der ganzen Reihe der alten Finsternisse,
von den Zeiten der Babylonier herab bis zum Auftreten der Annalisten
im frühen Mittelalter, zu prüfen. Diese Vergleiohung habe ich in
einem Werke ausführen können, das soeben erschienen ist, und welches
eingehende Details über die Sichtbarkeitsverhältnisse aller Finsternisse
bietet, die zwischen 900 v. Chr. bis 600 n. Chr. in den Ländern von Süd-
und Mitteleuropa bis zum Euphrat und Tigris hin sioh ereignet haben
(Spezieller Kanon der Sonnen- und Mondfinsternisse, Berlin, Mayer
u. Müller, 1899). In diesem Buche erfahren sämtliche historischen
Finsternisse (etwa 108) aus der genannten Zeit eine neue Kritik. Da
die Berechnung der Finsternisse hier schon auf meine früheren
Resultate Rücksicht nimmt, und es sich zeigt, dafe eine gleichmäßig
gute Darstellung aller historischen Finsternisse erreioht worden ist,
so wird durch diese Untersuchung auch die Sachlage über die Brauch-
barkeit dieser und jener Finsternis für die Mondtheorie geklärt. Von den
verschiedenen Resultaten, die ich in dem erwähnten Werke hierüber
gegeben habe, möchte ich deshalb diejenigen Finsternisse hier anführen
welche nach dem jetzigen Stande der Reohnung und der historischen
Kritik ungefähr die meiste Verläfslichkeit über Zeit und Beobachtungs-
ort besitzen und der Mondtheorie besonders nützen können. Diese>
Finsternisse würden also dazu bestimmt sein, fernerhin die oben er-
wähnten vier früher in der Mondtheorie verwendeten zu verdrängen
oder zum Teil dooh deren Gebrauch sehr zu beschränken. Es sind
folgende:
Die erste ist jene, welche von dem Assyriologen Sohrader als
die vom 15. Juni 763 v. Chr. konstatiert worden ist. In dem berühm-
ten babylonischen Eponymenkanon heifst es: „Im Eponymat des Pur-
an-sa-gal-e Aufstand in der Stadt Asur. Im Monat Siwan erlitt die
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ötiti
Sonne eine Verfinsterung.- Der Eponym (oberste, jährlioh wechselnde
Beamte) Pur-an-sa-gal-e ist der 54. Vorgänger des Mannu-ki-Assur-li;
letzterer aber war, wie historisoh feststeht, der Eponym des 1 3. Regie-
ruDgsjahres König Sargons; dieses wieder entspricht, wie Thontafel-
funde mit Inschriften belehren, dem ersten Regierungsjahre Sargons
als Königs von Babylonien. Da nun aus dein Regentenkanon, den uns
Ptolemäus überliefert hat, hervorgeht, dafs Sargon in Babylonien
im Jahre 709 v. Chr. zur Regierung kam, so fällt die 54 Jahre vorher
eingetretene Finsternis auf das Jahr 763 v. Chr. und zwar, da der
Monat Siwan etwa dem Juni entspricht, auf die einzig in diesem Jahre
mögliche Sonnenfinsternis vom 15. Juni. Der Beobachtungsort ist
sehr wahrscheinlich Ninive, da es sich um eine Art annalistischer Auf-
zeichnung von dort handelt. In den Thontafeln wurden aber nur sehr
merkwürdige, Aufsehen erregende Ereignisse vermerkt; deshalb ist
anzunehmen, dafs auch die Verfinsterung in Ninive sehr beträchtlich
gewesen ist. Übrigens ist auch einige Wahrscheinlichkeit vorhanden,
dafs es sich hier gleichzeitig um jene Finsternis handelt, von weloher
der Prophet Arnos (VIII, 9) sagt: „Zur selbigen Zeit, spricht der Herr,
will ioh die Sonne im Mittage untergehen lassen, und die Erde am hellen
Tage lassen finster werden".
Die zweite fällt auf den 24. November 29 n. Chr. Phlegon,
ein Freigelassener des Hadrian, schrieb eine Geschichte der ersten
229 Olympiaden. Es sind nur Bruohstücke seines grofsen Werkes
vorhanden. Der Bisohof Eusebios von Casarea in Palästina (314
bis 340 n. Chr.) zitiert nun in seiner Kirchengeschichte eine Stelle
aus dem Phlegonsohen Werke. Dort sei eine Sonnenfinsternis im
4. Jahre der 202. Olympiade verzeichnet, welche derart bedeutend ge-
wesen sei, dafs es in der sechsten Tagesstunde Nacht geworden und
die Sterne sioh gezeigt hätten; und Nicäa sei gleichzeitig durch ein
ungeheures Erdbeben zerstört worden. Eusebios bringt diese Stelle
mit dem biblischen Beriohte zusammen, wonach auch bei der Kreuzi-
gung Christi die Sonne erlosch und ein Erdbeben sioh ereignete, und
meint, in der Phlegonsohen Finsternis eine Bestätigung der Bibel
zu sehen; in dieser Annahme sind ihm auch mehrere spätere Kirchen-
väter und Chronographen des Orients gefolgt Die historisohe Kritik
hat aber sohon lange gezeigt, dafs sioh die Phlegon sehe Finsternis
nicht für die bei Christi Tod ausgeben läfst. Die Phlegonsche
Finsternis kann nur am 24. November 29 n. Chr. stattgefunden haben,
und die Jahrangabe bei Phlegon ist nach der Zeitrechnungsweise
der orientalischen Chronographen (um zwei Jahre früher als naoh der
gewöhnlichen Olympiadenzählung) zu verstehen. Der Beobaohtungsort
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570
ist höchst wahrscheinlich Nicäa selbst (damals der Hauptort in der
Entwickelung des Christentums in Kleinasien), oder wenigstens die
Provinz Bithynien. Phlegon hat die Nachricht von der Finsternis
entweder aus einer nicäischen kirchengeschichtlichen Notiz, oder er
ist durch eine Überlieferung aus seiner Heimat Tralles, wo die Finsternis
ebenfalls noch sehr auffällig gewesen sein mufs, auf den Gegenstand
aufmerksam geworden.
Eine fernere wichtige Sonnenfinsternis ist diejenige, welche
Plutarch in seiner Schrift „Vom Antlitz in der Mondscheibe" er-
wähnt: „Diese (neuliche) Sonnenfinsternis hat gleich nach Mittag be-
gonnen, viele Sterne an vielen Punkten des Himmels siohtbar ge-
maoht und der Luft eine Färbung gleich der Dämmerung verliehen."
Nach der eingehenden Untersuchung Pomtows über die Biographie
Plutarchs ist der griechische Philosoph 45 n. Chr. geboren; er ent-
stammte einer angesehenen und verbreiteten Familie, deren Glieder
in und um Chäronea lebten. Die Schrift, in welcher die Finsternis
erwähnt wird, ist jedenfalls eine Jugendschrift, denn Plutarch spricht
in derselben zu seinen philosophischen Genossen, d. h. den Jüng-
lingen, mit denen er studierte. Ferner ist sicher, dafs er zur Zeit,
als Nero in Griechenland war, d. h. 66/67 n. Chr., mit seinem Lehrer
Ammonius in Delphi sich befand, damals etwa 20 Jahre alt war,
und sich mit anderen in Delphi philosophischen Betrachtungen hin-
gab; er bereitete sich dort auch für das Priesteramt vor. In diese
Zeit des Lehrens und Lernens fällt die für Delphi und Chäronea
totale, um 11 Uhr vormittags eingetretene Sonnenfinsternis vom 20. März
71 n. Chr. Plutarch war 26 Jahre alt, als er sie selbst beobachtete,
und der Eindruck, den sie auf ihn machte, gab Veranlassung zu seinen
auch heute noch interessanten und lesenswerten Betrachtungen über
das Gesicht in der Mondscheibe.
Völlig bestimmt der Zeit und dem Orte der Beobachtung nach
ist endlich die totale Sonnenfinsternis, welche Marin us in der Bio-
graphie seines Lehrers Proolus beschreibt. Proclus (geboren
412 n. Chr. zu Byzantium) war Lehrer der Philosophie zu Athen und
als Philosoph wie als Mensch gleich hervorragend. Er soll von
musterhafter Sittenreinheit und Charaktergröfse gewesen sein. Ma-
rinus, sein Schüler und Nachfolger auf dem Lehrstuhl der Philo-
sophie, verherrlicht darum in der Lebensbeschreibung den weisen
Proolus. Bei der Erzählung vom Tode des Proclus erwähnt Ma-
ri nus als ein Vorzeichen, wie solohe dem Hingange außerordentlicher
Menschen immer vorangingen, dafs „vor dem Jahre seines Todes
eine solche Sonnenfinsternis eintrat, dafs es bei Tage Nacht wurde,
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571
denn ein tiefes Dunkel entstand und Sterne wurden sichtbar". Das
Todesjahr des Proelus, 485 n. Chr. zu Athen, ist sicher und wird
auch von Marinus selbst angegeben. Da in der Beschreibung noch
hinzugefügt ist, dafs sich die Sonnenfinsternis im Zeichen des Stein-
bockes (Dezember-Januar) und zwar am „östlichen Himmel" (d. h.
früh) ereignet habe, so ist die Finsternis zweifellos sofort feststellbar:
es ist die am 14. Januar 484 n. Chr. bald nach Sonnenaufgang für
Athen total eingetretene Sonnenfinsternis.
Diese vier angeführten historischen Sonnenfinsternisse dürften
derzeit die brauchbarsten für die Mondtheorie sein, da sich Zeit und
Ort so ziemlich bei allen ohne Zweifel festsetzen liefson. Ich glaubte
dieselben deshalb und auch darum, weil sie vielleicht weitere Kreise
interessieren, erwähnen zu sollen. Es hat sich noch eine Reihe ander-
weitiger historischer Sonnenfinsternisse gefunden, bei denen die Brauch-
barkeit aber keine so unmittelbare ist Hierauf einzugehen, über-
schreitet jedoch die Form einor populären Mitteilung. Interessenten
finden näheres hierüber in meinem Buche. F. K. Ginzel.
$
Protuberanzenhöhe und Sonnenfleckenperiode. Fenyi in Ka-
locsa, einer der eifrigsten Protuberanzenbeobachter der Gegenwart, hat
auf der im vergangenen Jahre zu Budapest abgehaltenen Astronomen-
Versammlung einige Ergebnisse seiner bereits seit 13 Jahren ununter-
brochen fortgesetzten Messungen über die Höhe der Protuberanzen
bekannt gemacht. Die maximalen, in den verschiedenen Jahren von
den gesehenen Protuberanzen erreichten Höhen waren die folgenden:
Datum
Gemessene Höhe
Heliographische
Breite
1886, November 27. . .
212"
-26°
1887, Juli 1
165
- 6
1888, September 6. . . .
158
- 15
1889, November 3. . . .
203
+ 35
1890, August 15
323
4-41
1891, September 10. . .
358
+ 29
531
-30
181)3, September 20. . .
691
+ 2
1SD4, Dezember 24. . . .
661
— 30
1895, September 30. . .
6S8
+ 29
106
-16
1897, Juni 1h
196
— '22
1898, Mai 23
197
+ 40
Bei Betrachtung dieser Zusammenstellung fällt der Parallelismus
in den Schwankungen der Maximalhöhen mit dem Wechsel derFlecken-
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häufigkeit ins Auge, wenn man beachtet, dafs ein Sonnenfleokenmini-
mum Anfang 1887, ein Maximum aber im Januar 1894 stattgefunden
hat Da auch im Jahre 1898 bis zum September bereits eine Protu-
beranz von 197" Höhe*) erschienen ist, glaubte Fenyi die Vermutung
aussprechen zu dürfen, dafs das Minimum der Sonnenthätigkeit bereits
wieder vorüber sei, worauf ja auch das Erscheinen des grofeen von
Nordlicht begleiteten September-Sonnenflecks schliefsen läfst.
Die heliographischen Breiten, in welohen die hohen Protube-
ranzen beobachtet wurden, sind ziemlich regellos verteilt und lassen
nur erkennen, dafs sich diese merkwürdigen Phänomene auf geringere
Entfernungen vom Sonnenäquator beschränken, während kleinere Pro-
tuberanzen mitunter auch in den polaren Gebieten beobachtet werden.
Natürlich besitzt die Frage, ob diese Flammenausbrüche in Wirk-
lichkeit aus bis zu solch enormen Höhen emporgesohleuderter Materie
bestehen oder vielleicht nur fortschreitende Explosionen in einer ver-
hältnismärsig ruhigen Sonnenatmosphäre sein mögen, auch für den
stetigen Beobachter dieser Gebilde das gröfste Interesse. Darum hat
F6nyi, gestützt auf die Untersuchungen von A. Schmidt, eine Be-
rechnung der höchsten, noch möglicherweise annehmbaren Diohtigkeit
der den Sonnenball umgebenden Wasserstoffatmosphäre in der Höhe
der Protuberanzen angestellt. Er gelangte zu dem Resultat, dafs
diese Dichtigkeit schon in der Höhe der untersten Teile der Protu-
beranzen völlig gleioh Null zu setzen ist, so dafs die als Protuberanzen
uns sichtbar werdenden Gasmassen als thatsächlioh in den gänzlich leeren
Weltraum geschleudert angesehen werden müssen. Auf Grund dieser
Rechnung glaubt Fenyi die neueren Protuberanzen-Erklärungen von
Brest er u. a. als unzulässig bezeichnen zu dürfen. F. Kbr.
$
Die Schwankungen der Spitze des Eiffelturms sind jüngst von
Oberst Bassot auf trigonometrischem Wege eine längere Zeit hindurch
verfolgt worden. In dem über diese Untersuchung abgestatteten Be-
richte**) wird mitgeteilt, dafs sowohl bei Tage als auch bei Nacht eine
Ruhezeit eintritt, während um die Zeit des Sonnen-Auf- und Unter-
ganges die Bewegungen am stärksten sind. Dies entspricht vollständig
dem Gange der Temperatur und zeigt, dafs die übrigens dem Botrage
nach geringfügigen, zwischen 3 cm und 11 cm schwankenden Ver-
*) Einer scheinbaren Höhe von 100" entspricht eine wahre Erhebung von
rund 10000 geographischen Meilen über das Niveau der Photosphäre.
••) Comptes rendua, 1897, Seite 903.
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sohiebungen lediglich auf die ungleiche Erwärmung der Eisen-
konstruktion durch die Sonnenstrahlen zurückzuführen sind. Ent-
sprechend dem wechselnden Stande der Sonne neigt auch die Turm-
spitze je nach der Tageszeit nach verschiedenen Himmelsrichtungen.
Soll daher der Eiffelturm als geodätisches Signal benutzt werden, so
müssen bei Messungen von hoher Genauigkeit gewisse Vorsichts-
mafsregeln zur Anwendung kommen, wie sie in der praktischen
Geodäsie auch bei Holzpfeilern im Gebrauch sind. F. Kbr.
Hann, Hochstetter nnd Pokorny: Allgemeine Erdkunde. Fünfte,
neu bearbeitete Auflage von Hann, Brückner und Kirchhoff.
III. Abt. Pflanzen- und Tierverbreitung von A. Kirchhoff. Mit 157
Abbildungen und 3 Karten. Wien, F. Tempsky, 1899. Gr. 8° XII,
324 S.
Die beste Empfehlung eines Werkes ist sein Wiedererscheinen in wieder-
holten Auflagen. Das vorliegende Werk erfreut sich seiner fünften Neugeburt,
und mit dieser Thatsache könnten wir es dem Interesse unserer Leser ohne
jegliches Beiwort empfohlen halten. Wenn wir hier eine kurze Besprechung
nicht unterdrücken, so zwingt uns dazu die Neugestaltung, welche das Werk
aus berufener Feder erhalten hat. Wie der Autor selbst hervorhebt, soll die
Neubearbeitung vor allem mehr dem Geographen gerecht werden, weshalb
Abschweifungen in das rein naturgeschichtliche Gebiet vermieden sind. Aus
demselben Grunde ist auch der völkerkundliche Anhang der früheren Auflagen
in Wegfall gekommen. Dagegen ist die frühere katalogartige Übersicht Uber
die pflanzen- und tiergeographischen Sonderbezirke zu einer textlich zusammen-
hängenden Darstellung ausgearbeitet worden, der nach unserem Urteile freilich
noch manchmal eine kaleidoskopische Aneinanderreihung der Thatsachen
anhaftet. Ausgeglichen wird dieser gewifs nicht leicht zu überwindende
Mangel durch die vielen, trefflichen Abbildungen, denen zu Liebe andererseits,
um den Preis des Werkes nicht zu erhöhen, auf die in älteren Auflagen ge-
brachten Farben- Drucktafeln verzichtet werden mufste. Unter den neuen
Illustrationen ist uns nur eine Inkorrektheit aufgefallen. Als „Jerichorose"
wird im Texte, wie es üblich ist, die Crucifere Anastatica hierochuntica
aufgeführt, die zugehörige Abbildung zeigt aber eine durch ähnliche hygro-
skopische (wie Asche reo Ii es nennt: hygrochastische) Eigenheiten gekenn-
zeichnete „Jerichorose", die Komposite Asteriscus pygmaeus. Dem Geo-
graphen und Nichtbotaniker wird man diesen Lapsus gern verzeihen, um so
mehr, als dadurch der Trefflichkeit des ganzen Werkes keinerlei Abbruch
gethan werden kann. Möchte das Buch auch im neuen Gewände zahlreiche
Freunde finden! C M.
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Eder, J. M.: Jahrbuch für Photographie und Reproduktionstechnik
für das Jahr 1899. Halle, W. Knapp, 1899. VIII, 680 S. mit ltt
Abbildungen im Text und 39 Kunstbeilagen. Preis: 8.— M.
Der dreizehnte Jahrgang dieser wichtigen Veröffentlichung reiht sich
seinen Vorgängern in würdiger Weise an und wird durch seinen roichen In-
halt jedermann völlig befriedigen.
Die Anordnung des Stoffes ist dieselbe wie früher. Kurze Original-
Beiträge aus den verschiedensten Gebieten der photographischen Wissenschaft
und Technik füllen fast 400 Seiton; es folgt der über 200 Seiten starke, sehr
übersichtlich angeordnete Jahresbericht über die Fortschritte der Photographie
und Reproduktionstechnik, sowie ein Anhang über Patente und Litteratur. Die
Illustrationstafeln gewähren schon an sich einen interessanten und lehrreichen
Einblick in die moderne Photographie und bilden aufserdem ein beredtes
Zeugnis für die Leistungsfähigkeit der Verlagsanstalt. Sg.
Anleitung zum Bau elektrischer Hanstelegraphen-, Telephon* und
Blitzableiteranlagen. Herausgegeben von der Aktiongesellschaft
Mix & Genest, Berlin, mit 581 Abbildungen. Fünfte erweiterte Auf-
lage 1899.
Dem neuen Katalog, welchen die genannte Firma zu Anfang d. J. ver-
sandte, ist nun auch das Lehrbuch gefolgt. Dasselbe enthält die ausführlichen
Beschreibungen der Konstruktionen aller Apparate, sowie die erforderlichen
Instruktionen für die Montage und viele praktische Winke für den Betrieb
derselben.
In der freigebigsten Weise sind die Ergebnisse mühevoller Arbeit in
diesem Work der Allgemeinheit mitgeteilt und die wichtigsten Abbildungen
noch durch Werkzeichnungen, Schnitte und schematische Darstellungen dor
Stromläufe erläutert. Die grofse Zahl der Fabrikate ist inzwischen noch durch
Hinzufügung verschiedener Neuheiten gewachsen, von denen die Motorwecker,
die Beutel-Briquett-Elemente, die Registrierwerke und Feuermelder besonderes
Interesse verdienen.
Sowohl durch die Reichhaltigkeit des Inhaltes, als auch durch die ge-
diegene Ausstattung hat sich die „Anleitung* zu einem stattlichen Werk ent-
wickelt, welches auf 428 Seiten 581 Abbildungen enthält. Dor Toxt ist möglichst
klar und allgemein verständlich gehalten, so dafs das Buch allen, die sich für
die Fortschritte der Schwachstromtechnik interessieren, auch wenn solche nicht
zu den Fachleuten zählen, empfohlen worden kann; den Installateuren wird ea
aber ein nützliches Hilfsmittel bei Herstellung moderner Anlagen sein. S.
Verzeichnis der der Redaktion zur Besprechung eingesandten Bücher.
Annales de l'observatoire de Nice publikes sous les auspices du bureau des
longitudes par M. Porrotin. Tome I mit Atlas Paris, Gauthier-Villars,
Impriraeur-Libraire, 189!».
Bachs, M., Flora dor Rheinprovinz und der angrenzenden Länder. P. Caapari,
die Gefäfspflanzen. Dritte, gänzlich neubearbeitete Auflage des Taschen-
buches. Paderborn, Ferd. Schöniugh, 1899.
Bibliotheque Litteraire de Vulgarisation Sciontifique:
No. 7: Paul Ginosty, La vie d'uu Tht-atre.
No. 8: Fr. Loliee, Tableau de l'histoire litteraire du monde.
No. 9: Dr. Michaut, Pour devenir medocin.
No. 10: Dr. J. de Fontenelle, Les microbeB et la mort.
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r>75
No. II: M. Griveau, Les feux et les eaux. Paris, Schleicher Frerea, editeure.
Blochmann, R., Luft, Wasser, Licht und Wärme (Aua Natur und Geistes-
welt, Sammlung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen aus
allon Gobieten des Wissens). Leipzig, B. G. Teubner, 1898.
Brückner, Ed., Allgemeine Brdkunde, Abteilung II. Die feste Erdrinde und
ihre Formen. Wien, F. Tempsky, 1898.
Brunner, K., Die steinzeitliche Keramik in der Mark Brandenburg. Braun-
schweig. Vieweg & Sohn, 1898.
Eder, J. M., Jahrbuch der Photographie und Reproduktionstechnik für das
Jahr 1899. Halle a./S., Wilhelm Knapp, 1899.
Fitzner, R, Der Kagera-Nil. Ein Beitrag zur Physiographie Deutsch-Ost-
afrikas. Berlin, Alfred Schall, 1898.
Frese, A., Rügens Kreideformation. Sassnitz a.R., Ferd. Becker, 1896.
FritzBch. M., Über Gletscherbeobachtungen. Wien, Verlag des deutschen
und österreichischen Alpenvereins, 1898.
Gessmann, U. W., Die Pilanze im Zauborglauben. Wien, Hartlebens Verlag,
1899.
Grunmach, L, Die physikalischen Erscheinungen und Kräfte. Leipzig, Otto
Spamer, 18!)'.).
Ilaaoke, W., Bau und Leben des Tieres (Aus Natur und Geisteswelt, Samm-
lung wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellungen aus allen Ge-
bieten des Wissens.) Leipzig, B. G. Teubner, 1899.
Hildebrand, Hildebrandson, Bulletin mensuel de l'obsorvatoiro ra<Heoro-
logique de J'universit£ d'Upsal. Vol. XXX. Upsal, Edv. Beding, 1898/99.
Jahr, E., Die Urkraft der Welt. Berlin, Otto Enslin, 1899.
Kost er sitz, K., Eine Sternwarte auf dem Schneeberg. Wien, Manz'scher
Verlag, 1899.
Lang, O., Kalisalzlager. Mit 4 Abbildungen. Berlin, Ferd. Dümmler, 1899.
LeisB, C, Die optischen Instrumente der Firma R. Fuefs. Leipzig, Wilh.
Engolmann, 1899.
Lohmann, H., Über Höhlenois. Wien, Verlag des deutschen und öster-
reichischen Alj)envereins, 1 898.
Maas, G., über Thalbildungen in der Gegend von Posen. Berlin, 1899.
Mohn, H., Das Hypsomoter als Luftdruckmesser und seine Anwendung zur
Bestimmung der Schwerekorrektion. Christiania, Jacob Dybwad, 1899.
Naturwissenschaftliche Sammlungen. E. Bade, Das Sammeln, Pflegen
und Präparieren von Naturkörpern. Berlin, Horm. Walther, 1899.
Niesten, L., Bulletin Mensuel du Magn6tisme torrostre de l'observatoire royal
de Belgique. Januar. Februar, März. Bruxelles, Hayez, Imp. de l'academie
royale de Belgiquc, 1899.
Petkosek, Joh., Die Erdgeschichte Niedor-Österreichs. Mit 122 Abbildungen
und einer Karte. Wien, Hartlebens Verlag, 189J.
Recknagel, M. P., Kurzgefafste populäre Sternkunde. München, J. J. Lout-
nersche Buchhandlung, 18;)8.
Schenk, F., Physiologische Charakteristik der Zelle. Würzburg, A. Stuber.
1899.
Schultz, Carl, Die Ursachen der Wettervorgänge. Neuerungen und Er-
gänzungen zum Weiterbau der meteorologischen Theorien. Wien, Hart-
lebens Verlag, 1899.
Sonnblick-Verein, Siebenter Jahresbericht für das Jahr 1898. Wien, 1899.
Svenska Vetenskaps-Akademiens Handlingar, Band 30 u. 31:
No. 1: Hamberg, H. E., La pression atmospheVique moyenne en Suede
18«) -1895.
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576
No. 2: Ekholm, N. u. Arrhenius, 8., Über den Einflute des Mondes auf die
Polarlichter und Gewitter.
No. 3: Ekholm, N. u. Arrhenius, S., Über die nahezu 26tägige Periode der
Polarlichter und Gewitter. Stockholm, 1898.
No. 4: Rubenson, R. Etudes sur diverses ra&hodes servant a calculer la
moyenne diurne de la temperature.
Thompson, 8., Die dynamoelektrischen Maschinen. Ein Handbuch für Stu-
dierende der Elektrotechnik. Sechste Auflage. Nach C. Crawinkels Über-
setzung neu bearbeitet von K. Strecker und F. Vesper. Heft 1. Halle a./S.,
Wilh. Knapp, 1898.
Valenta, Ed., Photographische Chemie und Chemikalienkunde mit Berück-
sichtigung der Bedürfnisse der graphischen Druckgewerbe. II. Teil:
Organische Chemie. Halle a./S., Wilh. Knapp, 1899.
Veröffentlichungen des Hydrographischen Amtes der Kaiserl. und Königl.
Kriegs - Marine in Pola:
Gruppe H: Jahrbuch der meteorologischen und erdmagnetischen Beobach-
tungen. Neue Folge, III. Band, Beobachtungen des Jahres 1898.
Gruppe HI: Relative Schwerebestimmungen durch Pendelbeobachtungen.
II. Heft.
Gruppe IV: Erdmagnetische Reise - Beobachtungen. H. Heft. Pola, Comm.-
Verlag von Gerold & Comp, in Wien, 1898.
Veröffentlichungen des Königlichen Astronomischen Rechen -Instituts zu
Berlin No. 10. J. Bausch in ger, Genäherte Oppositions-Ephemeriden von
32 kleinen Planeten für 1899, Juli bis Dezember. Unter Mitwirkung
mehrerer Astronomen, insbesondere der Herren A. Berberich und P. Neu-
gebauer. Berlin, Ferd. Dümmlers Verlag, 1899.
Vogel, E., Taschenbuch der praktischen Photographie, 6. Auflage. Berlin,
Gustav Schmidt, 1899.
Zenger, K. W., Die Meteorologie der Sonne und das Wetter im Jahre 1899.
Zugleich Wetterprognose für das Jahr 1899. Prag, 1899.
Vorlag: Hmui Peetel In Berlin. — Drnck: Wilhelm Oronni't Bnehdraekerei in Berlin - Schoneberg
Pflr die Redmetion Teraat wortlieh : Dr. P. Schwab n in Berlin.
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