Mythus
Erich Bethe
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lbarvart> College Xibrar?
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e. Sethe
Verlag von B* <3. Teubner In Ceipzig 1905
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Verlag von B. @. 'Ccutaicr fn Ccipzxq 1905
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l>fms • Sage • Därmen
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Vertag *©n B. 0. Ceubner
190s
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6 IFT öf J^MES M. W«*
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JVIytbus, Sage, Märchen»
(Sin S5 ortrag oon <£. 93 e 1 1) c, ©iefeen.
Unabfet)bar bef)rtt fiel) ber Urroalb ber ©age. 23on längft
oerfunfenen 3 e ^ en rauften bie mächtigen Söipfel feiner Stämme,
©rüne ©onnenblitfe lotfen ben ©eheimniffen be§ bergenben
3)uficht§. Söergeffen unb oerroachfen liegt ein $elbengrab f)iex, bort
ein granitner 23locf, Dpferftein einft, bebetft oon grünbid)tem 2Jloo3
unb fcfjillernben flechten. Unb an bie büftere Roheit be§ ©agen*
2öalbe§ fdjmiegt fict) ba§ SKärdjen unter bem ©olb ber ©infter^
büfd)e unb buftenben föofenfjecfen, unb feine SSiefen glühen in bunter
^ßradjt roudfjernber 93lumcnfcf)Önheit . . .
2)ie türmen, bie nie im golbgrünen Lämmer toanbelnb ben
©timmen be§ 2Öalbe§ gelaufajt, bie nie unter #ecfen unb 99lumen
läffig auSgeftrecft, oon ©rillen ring§ umjirpt, über fiel) bie SBlüten
nieten fat)en unb bie roeifjen Söolfen fliehen burd)§ tiefe Himmelsblau!
doppelt arm, roenn fie'S felbft nid)t roiffen unb nicht glauben, bafj
fie arm finb. 3)retfadj arm unb en>ig oerloren, roenn fic fict) ftofe
ergeben unb bie anbern oeradjten unb oerfjöfmen, bie mit großen
Slugen träumenb hineingehen in biefen Söalb unb immer roieber
hinein, aud) roor)l tyxm 2ldfer barüber oergeffen unb ir)ren $of unb
ben fdjätjbaren 9Jhft.
Unb bod) — fo arm fie finb, fie fyaben fo gar Unrecht nicht
Üftur $tnber unb Äünftler gehen unbefd)abet burch ber ©agen unb
9Härd)en Söiefe unb 2öalb. %f)x\m öffnet fid; ba§ $idicf)t, fie finben
auf ftill geheimer £ict)tung bie blinfenb blaue 83lume, fie oerftehen
ba§ Häufchen ber alten ®id)en unb ba§ glüftern be§ 9tör)rtct)tS unb
ba§ ^Duften ber Sftofen; unb wenn fie bort ruhen am blüf>enben
£ag, fetjt fid) roor)l ein QxzmQ 3 U Raupten unb ein Iftcr) legt
traulich ben ßopf in ihren ©cr)o6; unb nach läBhifjem Söanbern
unb träumenbem blühen finben fie gur rechten Qtit roieber fyxauZ
l
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— 2 -
au§ ben roogenben SBunbern auf bcn £eimroeg burct) bie abenblidjen
gelber. -2lber roer im Vertrauen auf ein Sßaar tüdjtige SÖanberftiefeln
unb einen berben ßnotenftorf in bie ©eljeimniffe biefe§ 2öalbe3 ein«
aubtingen meint, bem getjtS gar letdjt roie bem 2ftöncf) von £eifterbad):
ein SSöglein lotft tfjn l)ierf)in, borten, freug unb quer, unb jeben
Sag meint er, §eute müffe er'§ greifen, fo bidjt l)örte er'«, fo na^e
fat) er'§ an feiner ©eite, aber roieber fliegt'S baoon unb totft if)n
weiter ; feine ßleiber gerreigen, fein 93art n>ädjft Tang unb ftruppig,
$luge unb Of)r roerben blöbe für aHe§ anbere, unb aajtloS ftapft
er burdj bie Söunber, bie fid) nid)t oor tf)m ju Derbergen brausen
unb — bie er fudjte, bie blaue Slume, er vertritt fic mit plumpem
2ltf> ! 2Jland)em Jüngling ift'3 f aum beffer ergangen, ber auSgog,
bie leidsten <ßfabe feiner #inbr)eit gu ben fctjimmernben ©eljemtniffen
be§ ©agenroalbeS nun roieber gu entbetfen unb mit bem ©djroerte
ber SEöiffcnfd^aft eine breite ©tra&e für ^ebermann gebüßter) bura>
guffauen : bie $>ornent)etfen, bie Äinbern unb Äünftlern frbf>lid) ben
Zugang öffnen, fie legen bicfjt unb bidjter iljre SKanfen um Sein
unb ßeib, unb roie er auä) fdjlägt mit feinem fdjarfen ©djroerte, er
bringt nid)t burtf}. ©o Diele ^ringen $ornrö§tf)en§ $>etfen flägttdj
nerftrirften, fo otele 9Jlänner, Stören unb ßluge, mana) eble§ S3lut,
t)aben fiel) in ben $>ornenbüfcr)en bc§ ©agenroalbeS oetfangen — unb
raupten e§ f elber nidjt. Slber an ben ©enoffen fa^en fie'S fogleia),
bie an anbrer @rfe einge^auen. Unb über biefem ©d)merge oerga&en
fie auefj rool>l ü)r 3iel unb fdjlugen fo roaefer auf etnanber lo§, bafj
bie ©djroerter oomSBlute fid) färbten unb bie dornen rot erblühten, bi§
fie trofc Mrfcfjenber Erbitterung enblict) ermattet mit fdjmergenben
SSunben unb bumpfen köpfen oon einanber abliegen, abliefen aud)
nom Stoben ber dornen; unb r)atte boaj Qeber einft mit fo oiel Siebe
unb ßuft unb Hoffnung bie Arbeit begonnen, unb greube unb ©lud
I)ätt' er genoffen, roenn aud) nitt)t bie Söonne ber Erfüllung, f)ätte
nid)t ein ©leirfjftrebenber i§m feine SBalm oerbieten motten unb in
bie eigene groingen. Unb nun finb fie beibe tafjm unb mübe unb
bitter geftorben, jeber in feinem $ornenloa>. ßommt bann be§
9öeg§ ein befinnltdjer SDiann unb fieljt bie #etfe unb fter)t bie
Firmen, bann fdjüttelt er mit überlegen mitleibtgem Säbeln fein
artig ßöpflem unb gef>t in gehobenem ©elbftgefüfjt oorüber roie
einften§ 9tfcolai an 2Sertf)er§ ©rabe . . .
Sludj id) bin f)meingefrod>n in bie 3>ornenf)e<fe, balb Ijier,
oalb ba, roo eifrig mutige SJlänner einge^auen Ratten, unb t)abe
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micf) umgefefjen ; t)abe audj oerfurf)t auf meine Söeife oorgubrmgen.
9hm foH icfj baoon ergät)len, roa§ id) gefetyen urtb roie iä)'3 oer-
ftanben. 3a) tu'§ mit ^reuben, aber mit 93efa)eibenJ)eit : bie fyafcen
nüa) bie 3)ornen gelehrt, ia) fentte ü)re dürfen unb ©efafjren. Unb
oerfjaue ict) rmct) boa) — nun, fo tröfte icfj mia): es ift feine üble
©efettfcr)aft, bie in biefen dornen f>ängt, unb trotj bet dornen ift'§
fein übler Aufenthalt, biefe §ecfe am bämmernben Sßalbe in S9tüten=
buft unb ^arbenfreube, roenn nur £)fc) r unb 5luge offen bleiben, bie
©djönr)eit gu empfinben, unb empfänglich ba§ $erg, fie Iiebenb auf=
^unebmen unb in einfamet JJeierftunbe, roenn fernher bie Slbenbglotfe
leife f fingt, ftillglücflitf) gu genießen.
* *
*
931t)thu§, ©age, 2ftärct)en finb gelehrte ^Begriffe, (Sigentlict)
bezeichnen ja alle btei ba§felbe, nia)t§ weiter al§ ©rgählung, ba§
gried)ifd)e Söort fo gut roie bie betben beutfajen. Qu bem heute
geläufigen ©inne ift ba§ ©ort „SBärcrjen" am ®nbe be§ 18. 3$.s
gefommen, al§ bie orientalifctjen SJiärcrjen befannt mürben. $lber
erft cor erroa 100 3 a h ten f mo 0 * c f e ote i begriffe geprägt unb bie
Söorte in biefe Sebeutungen hineingegroungen, fobaß „SDtnt^uS" bie
<$ötterfagen bejeia^net, „Sage" bie an beftimmte ^erfönliajfeiten
ober geroiffe Orte ober ©ebräudje gefnüpften (Stählungen, „9ttärO)en"
bie Oftßß °« frei fdjroebenben ©efa)io)ten. mar bie Seit ber
Stomantif, al§ it)re oeret)rung§mürbigen gührer unb SBegrünber bie
oergeffene #errlid)feit ber beutfajen Vergangenheit au§ oerftaubten
S9üd)ereten an§ ßid)t brauten unb au§ bem SRunbe ber S3auern,
£anbroerf§burfcr)en unb ßinber gum SBeroußtfein be§ gangen 93olfe§
mieber erroecften. 2)er fcfjier unüberfefjbare SReidjtum erforberte
©icf)tung unb ©Reibung. 9lber e§ ging tjier mie fo oft: bie begriffe,
einmal geprägt, rouchfen (ict) felbftänbig au§ in garten fcfjarfen formen
unb fie fa)ieben balb, roa« fie gunäa^ft nur orbnen follten. gaft
unroillfürlidh fam man gur SSorftellung baß SJirjthuS, ©age unb
SJlärdjen aufeinanber gefolgt feien, einanber abgelöft hätten, baß
bie ©eburt be§ einen ben £ob be§ anberen bebeute, roie äljnlia) bie
flhtbrtfen ber ßiteraturgefdjiajte gu ©djeiberoänben geroorben roaren
3roifa)en angeblichen 3eitaltern be§ @po§, ber ßnrif unb bc§ 3)rama§.
9lber bei ben roijfenfdjaftlitfjen güt)rern ber ftomantif mar aud) ber
große ©ebanfe ber ©inheitlidjfeit aller Äußerungen eines 93otfe§ unb
ihrer ununterbrochenen gcfdjid)tlicr)en (Sntroicfclung in immer neuen
formen lebenbig. ©o fonnte e§ faum augbleiben, baß man bamalä
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— 4 -
im @örtermt)tr)u§ al§ bem natürliä) ältcften ben Quell unb bleibenben
©er)alt audj ber geiHicr) folgenben ©agen unb ÜDtÖrdjen fel)en gu
bürfen meinte, (Sage unb SDtäräjen gennffermajjen nur al§ Umfor*
mungen be§ uralten 9Jlotf)u§ anfar). S)a§ ßieblingSbeifpiel mar
ba§ äftäretjen Dom $)ornrb§djen. 3)te§ feinen ben 93rübern ©rimm
fo 3toeifello§ niä)t§ anbereS al§ ber letjte SRadjflang be§ 2Wntl)u&
oon 93runt)ilben gu fein, bie, mie bie @bba ergäbt, com ©orte Obtn
mit bem ©ä)Iafborn geftoerjen ben 3 au &erfd)laf in ber 2Baberlot)e
fdjläft, bie nur ©igurb burcrjbrmgen faun, bajj fie 1856 in ber
3. Auflage ifjrer Httärcrjen III, ©. 85 unbebenfliä) biefe Deutung al§
fid)ere§ @rgebni§ auSfpradjen. 2)ie SBrücfe oom @öttermntr)u§ ber
(Sbba gum beutfcfjen 9Kärd)en raurbe natürlid) in ber $elbenfage
be§ 9ftbelungenliebe§ errannt, ©o glaubte man ba§ ©tnfen be§
uralten ©öttermrjtr)u§ oon ©rufe gu ©rufe beobachten unb beroeifen
gu tonnen unb tarn $u ber Überjeugung, bajj ber toafjre ©inn oon
SRärdjen unb ©age nur erfaßt roerben fönne burcr) 9tücffür)rung auf
irjren mrjtr)ifd)en Urfprung: ©ötter foUten urfprünglidj bie gelben
ber ©age unb be§ 9Jtärcfjcn§ getoefen fein unb ber ©ctjauplafc ifyrer
£aten ber Gimmel.
ßeictjt fafilict), unroiberfter)licr) angierjenb fjaben fict) biefe $In=
ferjauungen burd) oiele ©d)id)ten oerbreitet unb finb rjeute noer) roeitrjin
bie gemeine Hfteinung. 2Belcr)e ffreube für jeben, ber Sluge unb
Or)r für fein 23olf§tum t)at, in ber ©egemoart bie ©puren ber 2Ut*
oorberen gu erfpärjen, bie einftenS au§ ben gerjeimniSoollen äSälbern
©ermanien§ Ijeroorbracfjm unb bie SBelt mit irjren §elbentaten
erfüllten unb eroberten! 9lur ein furgftajtiger %ox fann im ^oä)*
gefüt)l TPiffenfct)aftIicr)er Sefdjränftrjeit fie mit troefenem Sädjetn al§
SSerirrungen begeidmen unb bie 5lcf)feln über fie gurten. SDUfjt man
ben Söert ber Söiffenfäjaft an ir)ren Söirfungen, an ber 9lu£>löfung
tebenbiger Gräfte, bie felbfttätig weiter nrirfen unb neuen befrucfj*
tenben ©amen auSfrreuen, fo bürfte feine roiffenfcrjaftlicrje SBetoegung
fid) mit ber Otomantif meffen tonnen. $)ie merbenbe, meefenbe,
günbenbe $raft ift meljr roert al§ eine tote SÖarjrrjeit, bie niemanb
beftretten fann.
&iefe Slnfdjauung über ba§ 93err)öltni§ oon 9Knt^u§, ©age,
9Jtärä)en, oon ben S3rübern ©rimm gefaßt unb burd) itjre um*
faffenbe Sätigfeit an beutfdjem 93olf§tum gur ©elrung gebradjt, ift
au§ bem tiefften ©eifte ber SRomantif geboren unb reä)t nur oer*
ftänblidj, wenn man fid) iljren ^eiligen ©lauben an ba§ ger)eimni§=
ooUe SCßirfen unb Sßeben ber SßolfSfeele unb bie tjingebenbe fromme
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- 5 —
IBerefjrung für alle tt)re Äußerungen oergegenroä'rrigt. S)te§ ßieblingS*
finb ber Ütomantif fiepte mit it)r roie ciu garte§ 2öalbrö§d)en fdmell
an ber r)eflen ftrengen £age§fonne ber rationalifti[a)en Söiifenfdjaft,
unb l)ielt für) nur in bämmernber SGöalbeöftiflc, rüotjin bereu ©trafen
ntd)t braugen. $ie Sluffaffung be§ 2ttärd)en§, roie fic bie ©runm§
vertreten, r)at burd) SBenfeuS Bearbeitung ber inbifdjen 2Härcrjcn=
unb 3rabel=©ammlung Pantschatantra 1859 ben entfdjeibenben ©tofj
erhalten. 9hd>t au§ germantfd)cr Urgeit r)abe ba§ beutfdje 95olf
feine alten ©öttermntrjen fid) in üttärdjengeftatt beroaljrt, fonbern
biefe 2Rärd)en, geigte er, fjaben bie $eutfd)en, roie bie anberen Hölter
be§ 2öeften§ au§ bem Orient erhalten, $nbien fei ba§ QueUlanb,
beffen reid)e ©tröme ftet) feit bem 11. 3t). über ©uropa ergoffen.
SÜMt biefer ©rfenntni§ ber fremben £>ertunft roar bie SSorftellung
oom 9ftärdjen al§ einer nationalen Überlieferung au§ ben Reiten •
be£ $eibenrum§ unrettbar oerloren, geroonnen aber mar einer ber
frudjtbarften ©ebanfen für ba§ 93erftänbni§ ber Söeltliteratur ber
großen, oomerjmen, roeittönenben fo gut roie ber f leinen, bie auf
SJlärften unb im Qelt, in ber $>ütte unb im Äinberfreife roebt:
ba§ 2ftärcr)en, bie SRooette, bie fyübfdje ($efd)ta)te roanbert frei über
bie @rbe f)in. — 2)ic3 Söanbern ift aber fdjon oiel älter al§ 93enferj
glaubt, unb Qnbien ift ntrfjt allein ba§ Quelltanb. $)a§ ift, feitbem
un§ SBenfen bie klugen geöffnet, feftgefteHt unb allgemein anerfannt.
S9ei 9tömern unb ©riedjen, bei $ubcrn unb im alten Ägnpten r)aben
fid) 9ftärd)en gefunben, unb immer roteber finb'S biefelben fdjönen
<Sefdjidjtcr)en, roie im inbifdjen nnb beutfdjen SDIärdjen, im arabifdjen
unb lertifd)en. Sftiemanb fann fagen, roer ber ©eber fei, roer ber
Sftefjmer, alle Ijaben fie an ben 9ftortoen geformt, umgeänbert unb
bagugeran ; oorbem bie ßiteratur unb bie ©efdjidjte beginnen, oorbem
bie 3Jienfd)en fdjreibcn tonnten, r)at fd)on biefe Söeltltteratur begonnen
unb ift tebenbtg geblieben bi§ an ben feurigen $ag unb roirb nie
fterben, folange e§ SDlenfdjen gibt.
©o oöHig bie 5luffaffung be§ 9Jlärd)en§ feit ber SRomantif
umgeroanbelt ift, fo wenig Ijat fid) in 5lnfd)auungen über 9Dti)tf)u§
unb ©age ein Umfdnoung gezeigt. §ter roirfte red)t unglütfliä) bie
Abtrennung beS 2Rotr)uS unb ber ©age oom Sftärdjen. Söar fie
fct)on oorbereitet burd) biefe 99egriff§bilbungen, obgleia) beren ©djöpfer
am aUerroenigften bie (Sinfjeit unb ©leid)toertigfeit aller biefer &uße=
rungen ber SßotfSpoefie ju fprengen ober aua) nur ju gefäfjrben
bauten, fo rourbe fie burd) 93enfen§ ßer)re ootlenbet. ©ie führten
ein gefonberteS $afcin fortan, unb roa§ beim 93lärcr)cn felbftoer*
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ftänblid) geworben mar, fam irrten m<f)t ober bod) nid)t allgemein
unb nur mit fdnoerer Mfifal erft fpät au gute : ber ©runbfafc, bafc
aud) it)rc Probleme aunädjft äße literargefchichtliche finb, baf? man,
um in§ SSefen oon 9J}otf)u§ unb ©age einzubringen, erft ü)re oer*
fd)iebenen formen fammeln, oergletdjen unb in ihrer ©ntroicfelung
oerftehen muff. 2lm übelftcn ift eS ber #elbenfage ergangen —
oerftänbHd), ba fie ber SSrennpunft aller bief er *ßlobleme ift. Söie
oor 70 unb 80 fahren roirb fie aua) heute noch oon brei fünften
betrautet, unb roenn aua) heute roie bamalS SJlanajer rocitfjcrjig
genug ift, aua) bem einen ober ben beiben anberen ^Berechtigung
zuzubilligen, fo ftehen fid) bod) nod) immer biefe brei ©ruppen feinb*
lief» gegenüber. $te einen fehen in ber £elbenfage gefunfenen ©btter*
mothuS, anbere betrauten bie §elbenfage als eine burdj münbltcf>e
Überlieferung unb poerifdje $uSfcr)mü(fung getrübte 3)arfteHung roirf-
lidjer gefd)id)tlia)er ©retgniffe, unb bie britten fd)liefjlid) Iaffen fie nur
als $irf)tung gelten, fehen in ü)r md)tS als freie ©rfinbung.
@S ift an ber 3 € tt, einmal biefe ftrage im 3 u f a uimenhange
burd)zufpred)en, um eine begrünbete SöorfteHung zu feftigen unb zu
oerbreiten, in toeufjem SBerfjältniffe ©öttermnthuS, £elbenfage unb
9Jlärd)en zu einanber fielen. $)em Heuling unb bem ^ernfteljenbcn
ift'S erfpriejjlia), einen Überblicf über biefe großen $ r ö9 e n z u gereimten,
ehe er an (5inzelunterfua)ungen herantritt, roährenb heute baS um*
geteerte baS gcroöhnlid)e ift ober oielmefjr bie meiften bei ber ©inzel=
unterfurfjung anfangen unb in ber gülle ber (Sinzelfragen freefen
bleiben, unb fo roenn nidjt ÜBerbrufj, bod) fiurzfidjtigfeit unb ©in*
feitigfeit oon oorn^erein fid) aufnötigen — immer nod) beffer freilief),
al§ bura) oberflächliches $rüberf)inreben fict) baS 9tea)t oerfdjafft z u
^aben glauben, biefe ganze $orftfmng unb bie gefamte fagenhafte
Überlieferung z u oerad)ten. Sielen fage id) geroifj nichts neues.
Slbcr gerabe in größerer Söette unb SlUgemeinljeit einmal biefe Probleme
burdjbenfen roerben am (Snbe auch °ie oielleidjt nid)t ganz °*) ne
Pütjen, bie roie id) Qafjre unb $af)re in biefen ©ebteten gearbeitet
unb gelebt haben, ohne fict) reintid) mit ihnen auSeinanberfefcen.
* *
*
I. 9ftärdjen.
5Sir fangen am beften mit bem Störchen an. 3)aS ift uns
allen oon SHnbheit an oertraut — 3)anf ben SSrübern ©rimm
gefegneten 2lnbenfenS! — unb roir hüben fein Söefen unb Söirfen
an un§ felbft erfahren. 9Bir fennen auch olle noch anbere, aufjer-
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— 7 —
beutfctje 2Jlär<t)en, oor altem aus £aufenb unb einet lRad)t: fönnen
alfo leicfjt oerglei(t)en. Unb für bie SDlärdjen ift burd) 93enfen fefter
©runb gelegt. $>ier wenn irgenb roo fönnen roir roeiterbauen.
SBaS finb SJMrdjen? — Soweit roir fetjen fönnen, finb fie
nietjt uralt nationales Eigentum, fonbern bereits SlUgemeinbeiitj
aller ber oielen 23ölfer, bie 5lfien, (Suropa unb roenigftenS ben
Horben SlfrifaS Bewohnen. 9Uct)t ©ebirg nodj 9Jteer, md)t SteligionS*
fjafc nodj SRaffengegenfafc, niajt Kultur unb SBarbarei, nietjt ber 2lb*
ftanb oon ftarjrfmnberten fonnten baS *Ref)tnen unb ©eben, Söanbern
unb 3**rücffef)ten biefer fdjönen @ef<t)id)ten rjemmen, bie ©emein*
fdjaft gerftören. Unb biefeS internationale SSefen mutet bennoer)
jeben national an. S)er ©rbgerudj ber oaterlänbifcrjen ©djolle, Söalb
unb gelb unb $orf unb 99erg, bie liebe £eimat, roie fie auS ßtnber*
Seiten bie©eele frille treu beroar)rt, roefjt uns an auS unferen üttärdjen,
unb nidjt anberS als ben $eutfd)en alle bie anbern, bie ginnen
unb ©erben unb grangofen unb Qnber unb ©Rotten unb Muffen.
@S gibt nicfjt oiel, roaS baS innerfte Söefen, ©efinnung unb @e=
fitrung, ©emüt unb ©eftfn'djte eines StolfeS fo gut djarafterifiert
als feine 9flärdjen. Unb roie bie ©pracfje, ber foftbarfte Söefi^ ber
Wation, baS fie einenbe SSanb, in jeber ifjrer Sanbfct)aften leife fidj
änbert, fo ift aud) ber SRärdjenfdjafc jebeS S3ergeS, jebeS 2aleS ein
anberer, neben ©pradje unb Sieb ein feiner SSetfer beS S3olfS=
tumS. 2flunbgererf)t macf)t fid) baS 93oIf jebeS Söort, jebeS Sieb,
jebeS Üttärctjen. 3>aS grembroort ähnelt es einem geläufigen Söorte
an, fobafj eS it)m beutbar roirb, baS Sieb mufc fid) manct)e 2Sanb*
lung gefallen laffen unb oft gar bie Umfetmng oon $>ur in 9Kotf. baS
Sflärdjen mufj fid) feinen Slnfdjauungen anpaffen. SßaS fid) aber nidjt
in feinen ßreiS fügt, roaS feinen 2lnfd)auungen guroiber ift, roirb
beifeite gelaffen.
«Rieft blo& in ßanbföaft, ©itte, ßoftüm unterfa>iben fid) bie
2Rärd)en ber 93ölfer, oielleidjt notf) ftärfer burd) bie 2trt ber $ar=
ftellung unb ben Slufroanb an s £f)antafie. @ng unb befdjeiben ift
bie $l)antafie in ben beutfdjcn 9flärd)en gegen bie roucfjembe Üppig-
feit ber inbifajen ; faft 3eügefcr)id)tlid), greifbar realtftifd) treten bie*
felben ©eftfjidjten roieber in ber italienifttjen SRenaiffanceliteratur auf,
roätjrenb fie norbifdje ©tämme geringer Kultur in roogenben Hebeln
geftaltloS prjantaftifd) oerfdjroimmen laffen. greilict) ift audj für
uns oielfad) ber SBcgriff beS ^fjantaftiferjen mit bem flftärdjen oer*
bunben; aud) ein ©rbe ber ftomantif, bie fid) oon ber gönnen*
flarrjeit flaffifcrjer fhmft in baS bämmernbe $unfel $u pdjten
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liebte. 9lber ba§ Kursblättern unferer beutfdjen 9Jtärdjenfammlungen
ober oon 1001 Sfadjt überzeugt leidet oon ber Unricrjtigfcit biefer
93orftellung. Weben ben pr)antaftifd)en 9Jtärd)en rote 2)omrö§cr)en,
fiebert Stäben, äftadjanbelbaum, £ierfabeln, ßegenben oon (£r)riftu§,
^eiligen unb Teufel fter)en @efd)icr)ten unb ©d)roänfe, bie bie ©renge
ber 2Birfucf)Eeit ober 2Uöglict)feit bur(t)au§ nidjt überfdjretten ober
bodj nidjt anber§ al§ jebe $id)tung gu allen Reiten, flftan benfe
nur an bie fluge @lfe unb $atr)ertie§djen, an ben £an§ im ©lücf,
an ©inen ber ba§ ©rufein lernen roolfte. Unb fet)en roir un§
roeiter um, fo finben mir biefelben ©efdji<r)ten ober roefentlidje
©tücfe unb 3^ge, bie fid) bie Reffen al§ SJiärdjen ergäben, in ben
„SftooeHen" roieber, roie fie SBocaccio unb Diele anbere feit bem
14. Qr). gef ^rieben unb gu einer feften ßiteraiurgattung auSgebilbet
r)aben. 2)ie SSrüber ©rimm felbft r)aben gur britten Auflage it)rer
9ftärcr)en (1856) mandje biefer parallelen angemerft unb unüber*
fer)bar oiel ift feitbem burdj fleißige 93emüt)ung bagu gefommen.
Dr. Slllmiffenb ift foldj ein ©djroanf, ben aud) SBocaccio fennt; er
ger)t in oielen SSartationen um bi§ t)erab gu bem tollen 99üdjlein
oon ©laube Didier Mon oncle Benjamin. $)a§ 9Jlärcr)en oon
ßönig 3)roffelbart ift biefelbe SRooeHe, bie ©tjafefpeare in ber ftäfy
mung be§ Söiberfpenftigen bearbeitet r)at. Unb ba§ r)übfd> 9Härcrjen
oom „getreuen $ofjanne§" er§är)lt roie ber al§ Kaufmann oerfleibet
bie fd)öne ^ringeffin auf ein ©djiff tocft unb entführt — eine @e=
fd)ia)te, bie nidjt nur unter SBocaccio§ ^ooellen ftetjt, fonbern
aua) fonft eine geroiffe Flotte in ber Söeltliteratur fpielt: au§ bem
erften Steil be§ ©ubrunliebe§ fennt fie jeber al§ Entführung ber
£ilbe.
$ie SBeantroortung ber grage nadj bem Söefen be§ 3ftärd)en§
mufj fia) alfo t)üten gar gu romantiftf) gu fein, unb fie mufj neben
bem internationalen Sßefen autr) gerabe bie nationale Eigenart be*
tonen. 9ftärdjen finb alfo etroa bie oon einem beftimmten 93olf§freife
nad) feinem ©efdjmatf au§geroäf)lte unb feinem Söefen angepaßte
2lu§roaf)l au§ bem großen internationalen ©djafce r)übfdjer ©efdjidjten,
bie giim SlHgemeinbefifc ber 93ölfer geroorben finb, aber aud) roieber
au§ ir)m auSgeroärjlt rourben, roeil fie in topifdjer föeinljeit allgemein
menfct)tid)c Eigenfdjaften unb ßeibenfdjaften, ©djroädje unb ©tärfe,
Erfahrungen unb 2öeltroei§^eit ju anfdjaulidjer $arftellung bringen
ober aua) gar nidjt§ roeiter geben, al§ Unterhaltung, unb nid)t§
anbereS erzählen, al§ roa§ ergoßt unb gefällt, unb ber $ßt)antafie
beS empfänglichen Erroad)fenen roie be§ $inbe§ ein (Spiel bieten,
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t>a§ äöelt unb ßeben oon ber engen ©ebunbenfjeit etfiger 28irf*
lidjfeit befreit unb nur bem unbefjinberten 2öunfd)e bienftbar, Reiter
^u gentefjen erlaubt.
$a§ UnterJ)aItung§bebürfni§ ift oielleidjt ber ftärffte Antrieb
#ir @ntftef)ung unb (£rr)altung btefcr ßiterarur unb ber ßiterarur
überhaupt. @§ ift unbegrenzt unb unerfättlidj. $ie oielen taufenb
gebetn r»on t)eute mögen tf)n fo roenig befriebigen n>ie ber 9Rärd)en=
ergäfjler im itaramanenjelt aroifdjen 93agbab unb $ama§cu§ oor
taufenb ftatjren unb &omer oor brei Qafjrtaufenben in ben fallen
ber griedjifd)en dürften. Unb rootjin bie 93üd)er nidjt bringen unb
nidjt ber anfpruefjSooKe länger, bafjin fommt ber r)ungembe
©pielmann ober bringt, lo§gelöft oon jeber ^hmftform, bie t)übfd)e
<£eftf)icr)te felbft, oon 2Runb $u 9Jhmb getragen. Unterhalten roollen
fie alle fein, roenn fie au§rut)en, unb roollen fidj freuen am (Spiegel*
bilb be§ ßebenS, unb im ©aufelbilbe ber <|3r)antafie erfüllt fet)en
all bie unerfüllten 2öünfd)e be§ ^ergen§ — ein träumenbe§ (SpicL
35e§ljalb roanbern unb fliegen bie fjübfdjen ©efdjidjten aller 5lrt
über ba§ ©rbenrunb in eroiger ^ugenb,
immer roieber geboren in
unenblirf>er 9flannigfaltigfett.
$ie eroige ^ugenb be§ 2Rärcfjen§ ober ber Sftooelle ift aud)
nod) bura) eine anbere (Sigenfdjaft bebingt, bie mit biefer ®<r)mieg=
famfeit unb 5lnpaffung§fär)igfeit auf£ (Sngfte aufammenrjängt. (S§
Xä^t (Singelgüge unb ganze ieile fort ober fetjt fie 3U je narf) S3elieben
ober $ufaU, c§ fteUt um unb oerbinbet anberS, e§ fdejafft ein SfteueS
unb rjat bodj nur $Ilte§. SCÖentg SRärcfjen gibt e§ in ben ©djätjen
ber oerfdjiebenen SBölfer, bie fid) 3 U 9 um -Bug betfen. $ie meiften
finb rjier ärmer bort reidjer, unb fo mand)e§ üftärdjen erinnert nict)t
an ein, fonbern an groei, oier, fünf anbere ^ugleia). Unfer $>orn=
rösdjen, ba§ oor 2öilr)elm ©rimm§ Slufaeicfjnung in $)eutfd)lanb
burdjauS nidjt nacfjroei§bar ift, fterjt faft gleicfjlautenb bereits in
ber erften europäifäjen 9Jlär(f)enfammIung *ßerrault§ oon 1697;
«troa§ abroeidjenb fdjon 1637 in 93afile§ -ißentamerone, aber ba
ift ba§ SJlärdjen oerbunben mit bem 9ftorio ber böfen $rau, bie
iie fd)öne ©ute mit irjren Äinbern oerberben toiH unb fdjliefjlidj
felbft bie itmen gugebacrjte ©träfe leibet. Unb in ber erft 1865 au§
münblicfjer Überlieferung aufgezeichneten inbifdjen Raffung finb
roieber mehrere anbere Sftortoe nodj rjingugetreten, bie ba§ (Srunb=
morio umroucfjern unb nidjt roenig umgeftaltet tjaben, am ©cfjluj}
aber roieber eine ©rroeiterung burdj ein neue§ Sülotio, ba§ roir au§
iem 9ttärd)en 00m SDiacfjanbelbaum lennen (ogl. griebria^ 93ogt
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in ben ©ermaniftiföen Slbljanblungen oon 2Seinholb*93ogt XII, 1896,
©. 197 ff.).
©benfo ergebt eS bei jeber oergleid)enben ^Betrachtung trgenb
roeld)en 2ftärcf)enS: mehr unb immer mehr gäben fcrjlingen ftet), je
roeiter man umblicft, von einem aum anbern über roeite ßänber
^in unb burd) bie 3af)rhunberte hinüber hamber. ggie in einem
Irrgarten roirb ber ^Betrachter f)in unb her geführt, er r»ertiert ben
2öeg unb roie träumenb roanbelt er burd) bie unenblidje Söelt
biefer 9ftärd)en. (£S geht ihm wie in ben Ratten ber Sllljambra, roo
er über bie gütle foielenber Ornamente baS eine ju oerfolgen fein
Sluge weiter gleiten lägt, eS finbet, oerliert unb roieberfinbet, immer
neu oerbunben, anberS gelöft unb roieber oerbunben. 3öer audh
nur flüchtig roenige SDlärdjen burchfliegt, fofort finbet er Slnflänge
unb 3ufammenf)änge, roeii Getrenntes fiefjt er »löpdj oeretnigt
unb UrfrembeS oerfchmolgen, als roär'S eine Einheit ftetS geroefen.
3)aS 9Jlorio ber Sfielufine, bie f Reiben mujj, roenn ber ©atte fie
im S3abe belaufet, ober beS Sohengrin, ber bie ©attin oerläfjt, roenn
fie nach £erfunft unb tarnen forfct)t, fehrt im antifen 9Kärcf>en
oon Slmor unb ^frjd)e roieber, aber hier eng oerbunben mit ben 2Jto=
tioen ber mifjgünftigen ©d)roeftern unb ber ifflif$cmblung ber
guten, bie mir auS unferm 21fd)eubröbel fennen.
$ie Härchen löfen ficr) auf in ©ingelmotioe, bie beliebig an=
einanbergefefct, balb fo, balb anberS georbnet, eine unenblid)e
2ftanntgfaltigfett oon SBilbern h^orbringen roie bie @IaSftücfd)en
eine§ ßaleiboffopS. Unb roic beren nur roenige finb im Vergleich
gur fdjter unenblichen Qaf)l ihrer möglichen Sufammenfefcungen, fo
ift aurf) bie 3lngahl ber ©runbformen ber Härchen unb SßooeHen,
roie JBenferj fchon ausgebrochen (Pantschatantra I, ©. XXVI), eine
feineSroegS beträchtliche.
3>ie Urfache für biefe unbegrenzte 23en>eglichteit unb 9lnpaffungS=
fähigfett ber ©inaelmotioe, oon benen jeglicr>S natürüdj einft eine
©efchichte für fidt) mar unb auch aI § fold&e roohl öfter noch nach 5
roeiSbar ift, liegt in ihrer fdjon djaraftertfierten 5lllgemeingültigfett
unb SlnaiehungSfraft. ©ehr roefentltO) unterftüfct aber roerben biefe
©igenfdjaften nodj baburd), bafj biefe ©efdjirfjten ein freies 3)afein
führen, nia)t gebunben an Ort unb 3eit unb Qnbioibuen. „@S
„mar einmal ein Röntg unb eine Königin, bie foradjen jeben Sag :
„ad) menn mir bod) ein fttnb hätten" ... — „$a roör mal eenS
„en ftifdjer unb frjne gru, be roaanten tofamen in'n *ßifjputt".
2)a ift bie ©ee — aber ob's Sttorbfee ober Oftfee ift ober fonft eine,
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ba§ ift bem ©raäfjler gleichgültig. 2)a ift ein $önig, aber fein Plante
unb fein ßanb intereffieren 9Uemanben, genug er ift ein $önig.
9cid)t «ßerfonen, fonbetn Snpen treten auf: ber ^ring, bie ©tief*
mutier, bie #eje, ber Säger, ber Sedier, ber ©djeidj. Unb wenn
«Kamen gege6en werben, fo finb eS nid)t§fagenbe mie |>änfel unb
©retel, 2Ili, 3ufuf, ftbrahim ober fingierte, nrie föotfäppchen, $>om*
rösten, $roffelbart. Slud) ba§ antife 9Hära>n 3eigt gelegene
lief) biefelbe @rf Meinung. c Pa&va ift fein Sftame, fonbern ^eigt bie
„©djlanfe", KoXüxyj bie ftnofpe („ftösdjen"). $a§ berühmte 2TCärd)en
Don Slmor unb ^frja> (SlpuIejuS Sftetam. IV, 28) beginnt mit ben
2öorren: „@§ maren in einer ©tabt ein ßönig unb eine Königin,
„bie garten brei fcl)i fdjöne $öd)ter, aber bie jüngfte mar bie fa^önfte
„unter ihnen." $>a3 mutet ben 2)eutfdjen an, al§ tjätte e§ 9lpuleju§
aus ©rimm§ SJtärdjen abgefdjrieben.
$>iefe tnpen^afte SlHgemeinhett, biefe Abneigung gegen ba§ ^nbi«
otbualifieren, gegen ba§ fteftlegen an beftimmte Orte unb SBinben an
fefte $erfönltd)feiten ift eine ber auffallenbften <£igeutümltd)fetten
be§ internationalen 9ttärrf)en§. @§ ift heimatlos unb. flattert mie bie
©ommerfäben burd) bie ßüfte. 2)ie ©ruber ©rimm t)cmen gerabe biefe
(Sigenfa>ft be§ 0flärdjen§ lebhaft betont unb fie £um unterfdjeibenben
9Kerrmal gemalt, burd) ba§ fiel) eine ©efrfjidjte al§ „9Härd)en" ermeife.
©ie fiaben barin burdjauS unb anerfanntermafjen red)t. $)enn in ber
£at ift bie große SJtaffe ber SMrdjen bura) biefe Ungebunbenfjeit
djarafterifiert. SBerrounberltch genug. SebeS SSolf, fönnte man
meinen, mürbe bei ber innigen Aneignung jebe§ 9flärd)enftoffe§ —
fo innig, bafe fein Söefen unb güf)len fid) in ber Umgeftaltung au§=
prägt — unmillfürlia) bie ©eftalten an feine 93urgen, SBergc, Sföälber,
an grofee tarnen feiner ©efdjichte, an Könige unb gürften anfnüpfen.
2)a3 ift aber im allgemeinen nidjt gefdjehen, in $)eutfrf)lanb fo
roenig mie in granfretdj unb ftnbien. 2Rand)e ©rünbe laffen fia)
bafür mit ©djein anführen: bie freie ^antaftif oor allem, aud)
lüot)! bie ftnternarionalität, nicht gum menigften aber, glaub id),
oerhtnbert ber gänalictje Langel an gef ehelichem ©inn unb $n*
tereffe beim natürlichen 9flenfd)en bie 93inbung ber SJtärdjen an Orte
unb tarnen. 2)ie S3urg bort über bem heimatlichen $orf hat für
ben Dörfler immer ba geftanben unb immer mar fie in krümmer
geborften, meil fie'S bei feiner ©eburt fdjon mar, fie ift ihm fo felbft*
oerftänblich mie fein ^elb unb ber Söalb, unb ©ommer unb Sötnter ;
roer fie erbaut, roarum fie flerftört, ba§ fragt er nid)t. $>ajj e§ ba
oben nidjt geheuer, ba§ ift ba§ einzige, roa§ er oon ihr meifc. $)a
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famt er fid) nid)t „ben $önig" benten mit [einer „rounberfdjönen
£oä)ter"; bie roohnen ja bodj in tprac^t unb £errlid)!eit unb nid)t
in einem arten geborftenen Sturm, roo bie (guten fräßen. Unb
Könige fennt baS 95oIf roof)l unb Surften unb Herren, aber bie
Segriffe, bie biefe oon £bnig unb Herren bem dauern unb ©täbter
in Httittelalter unb geubaljeit beigebracht, roaren roahrlid) mdjt
banad) angetan, bafe fie tl>re Flamen auf £tinbeSfinber oererben unb
in ba§ gemütlidje Schagen ihrer 2ftärd)cn aufnehmen motten. Unb
roenn einer 'mal $anf fiel) oerbient hatte, 3)anf lebt nidjt lange:
unbanfbar ift ber Sflenfd). 2>aS „SBolf" lebt in ber ©egenroart
unb nur in if)r, bie Vergangenheit ift ihm gleichgültig unb unoer*
ftänbltd), fdjon roeil fie anberS ift als bie ©egemoart. 2Öa§ eS fid^
ergäl)lt, baS hat eS fid) auredjtgerütft unb, ba eS r)eute ja nid)t
gefdjaf) unb aud) nirfjt geftern, fo ift'S fd)on lange tyt : „eS roar
einmal oor langen, langen QdUn ..."
$)ie trüber ©rtmm haben alfo in ber oöHigen Ungebunbent)eit
beS 2ftära>nS nidjt eine gufäHige #ufeerlid)feit als d)arafterifttfdje§
2Rerfmal aufgegriffen, fonbern eine pfrjdjologifdj begrünbete unb
beS^alb überall unb ju allen Reiten geltenbe ©igentümlidjfeit : auf
©ultane, Sßeaierc unb töabiS trifft baS felbe 311, roie auf unfere bitter
unb Könige, unb StpulejuS beginnt fein 2ftärd)en nid)t anberS roie
unfere 9Jlütter eS getan, greitidj gilt eS nicf)t unbebingt für alle
9ftärd}en. ©eroiffe ©ruppen fefcen fid) leid)t an irgenbroeldje ^3cr*
fönlidjfeiten ober Orte an. $er 3Irt finb oor allen bic (Sd)roänfe,
bie ©efpenftergefd)id)ten, SRooeltenmotioe roie bie ber (Stiefmutter,
beS jurürfgeroiefenen liebenben SöeibeS, ber Rettung ber Unfdjulb
im legten Wugenblicfe. $)ennoa) oerläugnen aud) fie iljr flüd)tig
Söefen nia)t gang: benn ebenfo leid)t roie an biefen 2ftann über
Ort ober Sraud) fdjliefcen fie fid) aud) an jenen unb roieber einen
anbern unb löfen fid) aud) roieber ab, um als ed>te ÜDiärdjen ohne
jebe geffelung an Seit unb Ort il)r ungebunbeneS $afein roeiter §u
führen.
*
II. ©age.
2>ie ©rtmmS h a ben Bftärdjen oon Sage gefd)ieben : bafür oer=
lücmbten fie oor allem bie eben befprodjene etgentümlidje $reit)eitlidj=
feit beS 2Rärd)enS. $ie @age bagegen ift gebunben, fei es an
Orte, fei eS an Sßerfonen ober S3räudje unb baburdj oft aud) an
eine befrimmte geit. $aS SDtärdjen erzählt oon „einem Äöntg",
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bie ©age oon $önig ©untrer unb ßönig ^kiamoS; ba§ 9ftärd)en
fagt oon „einem ©djloffe", bie Sage oon 2öorm§ unb ^lion. $)iefe
©djeibung ift fo einfad) unb Hat, unb fo greifbar unb einleudjtenb
ift bie bura) bie SBinbung bebingte 93erfdjiebenl)eit, baß fie allgemein
unb mit 5ted)t angenommen unb feftge^alten roirb. 2Sir treten
oom 9ftärd)en jur ©age in einen anbern ®rei§. £)ie ©letdjgülrigfeit
gegen ^nbioibuolitäten unb gegen bic Vergangenheit meidet r)ter ber
grageluft unb (£rflärung3freube, bem Qntereffe an Sßerfönlidjfeiten
unb iljren ©d)itffalen: ber gefd)id)tlid)e ©inn beginnt fid) t)icr jju
regen unb fudjt auf einfact)fte Söeife ©efriebigung, bie Überlieferung
I)ält tarnen unb ©eftalten feft: ©age ift Anfang ber ©efdjidjte.
5lber trofc biefer richtig beobad)teten Sterfdjiebenljeit oon ©age
unb 3Jlärtf)en führen bod) gäben oon btefem gu ifjr hinüber, oiele
gäben, unjä^Iige, ja fo bicfjt finb fie gefponnen, baß einem bange
roirb um bie ©Reibung. 5)ie (£rfenntni§ biefeS ^ufammenljangeS
oon 9ttärd)en unb ©age ift oon ber größten 2öid)tigfeit für ba§
33erftänbni3 be§ 2öefen§ unb 2öadj)§tum§ ber ©age. Qljn greifbar
oor klugen gu füfjren, betrauten mir gunädjft am beften einige ber
nidjt feltenen gälle, too allbefannte Üftärdjen ober 9flärdjenmotioe
mit tarnen oon Orten unb ^ßerfonen ftatt ofme foldje ergäbt merben
unb allein baburd) au§ einem „SJlärcfjen" gur „©age" geworben finb.
9Jianaje§ Sftärdjen ergäbt oon braoen Firmen unb guten $inbern,
benen 3 roer 9 e 00er S ra u $olle ober fonft gütige Sßefen ©olb unb
SReidjtum gefd)enft. £)a§felbe fjaben bie @rimm§ al§ eine Queblin*
burger ©age Dergeidjnet, bie ba§ G£reigni§ 1605 unter §ergog Reinritt)
QuliuS oon SBraunfdjtoetg genau batiert. — 3)ie fentimentale SRooeUe
oon ^ßnramuS unb $f)i§be, bie Doib im 4. 93ud)e ber 9ftetamorpJ)ofcn
(95er§ 55 — 166) nad) einem $ettemftifrf)en 3)id)ter crgät)lt, nirgenb
fonft befannt, ift, nrie audj anbere§ 3. S3. $ero unb ßeanber, au§
biefem fleißig gelefcnen ©ebid)t noof)l siemltd) frül) im mittelalter=
lidjen SSefteuropa oer breitet toorben. SBänfelfänger f)aben fie auf«
genommen. Qn @rf=93Öf)me§ beurfdjem ßieberfjort (I, 9fr. 86 — 88)
finb au§ Flugblättern unb #anbfdjriften be§ 16. $fj.§ brei größere
ßieber, rool)l alle fdjon im 15. 3$. gebidjtet unb gefegt, 3. in
mehreren gaffungen oergeidjnet, bie biefe ßiebe§gefd)idjte oon
$nramu§ unb £r)isbe befingen, natürlidj alle ofme biefe fremben
tarnen, ©tefjt ba§ eine 9fr. 87 Ooib giemltd) nalje, fo finb bie
beiben anbern gang frei. $>a§ ooibifdje ßofal SRinioe ift oer*
fajnmnben, audj bie nad)barlidjen Söürgertinber, bie burdj eine beiben
Käufern gemeinfame Söanb oerfef)ren, fdjtcnen nidjt intereffant genug.
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3lber bafe fid) bie beiben ßtebenben brausen an einem einfamen
SBaume treffen — ba§ ©rabmal be§ 9ttnu3 fättt felbfroerftänblidj
fort, boppelt unoerftänblid) — , bafj ba§ SJläbdjen oor einem Untier
{einer ßöroin bei Doib) fliegt, ifjren kantet oerliert, ber oon biefem
griffen bem fpäter fommenben Qüngling bie SBorftettung beibringt,
feine ©eliebte fei getötet, unb bafe nun er fict) baS ©djroert in bie
SBruft ftöfet unb bie gu fpät äurütffef)renbe Jungfrau fict) an feiner
ßeidje ben £ob gibt, bie§ flftorio fjaben beutfetje ©änger aufgenommen
unb frei umgeftaltet. ©ogar ein anbereS ÜJlärdjenmotio f>aben fie
eingelegt: baS Untier marb burdj einen $u>tXQ «fefet, ber ba«
2Räbd>n entführt unb flu fpät gurücfliefert. Ort« unb aeitloS roie
ein ed)te§ 2Rärd)en gibt fid) ba§ Sieb. 2lber eine £eibelberger um
1550 gefctjriebene #anbfd)rift trägt bie 93eiftf)rift : „3ft geroefen einer
£erfcogin oon 2Red)elburg§ $odjter. $ie S9urg t)eigt ©teergerbt. "
Unb toirflid), biefe 9tooeUe lebt roo^t bis auf ben feurigen Sag als
ßofalfage oon ©targarb bei Uteufcranbenburg im ÜJletflenburgifcrjen
fort, oon $arl Söartfdt) (©agen, 9ftärcr)en unb ©ebräud)e au§ ÜJlecften*
bürg 1879 I, ©. 324 f.) in groei gaffungen mit mehreren 3 cu 9 en
aufgegeidjnet, aud) in ben älteren merflenburgifct)en Sammlungen
fdjon oorf)anbcn, in gifdjerS „metflenburgifdjen ©agen ber Soweit"
1796 romanhaft auSgeftaltet. (Sin SBrunnen bort unter einer ßinbe,
ber „Qumfernfob" genannt, §at bie SBeranlaffung gegeben, bie ©e»
fd)id)te t>ier angufnüpfen — übrigens in einer oon jenen ßiebern
abtoetdjenben gaffung — um ben tarnen gu erflären. $a ein
eiferneS Srinfgefäß an biefem ©runnen gegangen, fo mürbe gu=
gebidjtet, bafe bieS aus bem ©djroert beS unglütflidjen Zitters ge*
fdjmiebet roorben fei, mit bem er fid) oerjmeifelt ben $ob gegeben.
©o nimmt ein frei fdnoebenbeS IjeimatlofeS 2flära>n plöfclid)
SBeftfc oon einem Ort. Unb ift baS eine ©tabt oon SBebeutung
ober übt baS fo gebunbene 9Jiär djen burd) irgenb einen Zufall @in*
flu& auf bie ßiterarur, fo toirb fie biefen iljren 93efifcanfprud) roettljin
bur<r)fefcen. ÜRod) leidster bürfte baS gefdjefjen, roenn eine gefd)ia)t*
tid)e ^ßerf önlict) feit oon toeitem 9iu^me ber Präger eines
tUiärdjenS roirb. $a fo feft fann biefer Slnfdjlufj werben unb ein
fo roafjrfdjetnltdjeS 2luSfel)en genrinnen, ba& bie WooeHe für ©e=
fd)ict)te gilt.
3)er erfte $erferfönig ®oroS ift eine fct)r greifbare gefdjidjtlicr)e
Ißerfönlidjfett. 9Sir tyaben Qnfdjriften oon ifjm, fein ©rabbau ift
erhalten, mir roiffen burd) meljirfadje Überlieferung, bafc er baS
SDteberreid) geftürgt, Slfien unterworfen l)at, 546 ben ßoberfönig
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$roifo£, ber ben ©rieben unb bem belphifdjen ©orte unbefiegbar
festen, befiegt unb bie fleinafiatifd)en ©rieben gefned)tet fyat 9lber
ba§ 2ftärd)en §at fidj feinet früf) bemäd)tigt, roohl fdjon bei feinen
ßebgeiten. §unbcrt Qa^re fpäter er$ät)lt £erobot (I, 107 ff.) mit
leistet rationaliftifd^er Umgeftaltung, au§ bet aud) ofme QufrtnS
unoerfälfdjtem Söeridjt (I, 4) bie urfprünglidje gaffung leicfjt tyi*
aufteilen roäre, bie ©efd)id)te feiner Slbfunft, ©eburt, HuSfetuing auf
©runb unljeilüotter Xräume, ©äugung burd) eine $ünbin, SRettung
unb (Staiefmng bei armen $irten, 5öiebererfennung unb (Ütfüflung
ber träume. @§ ift biefelbe ©efct)tcr)te, bie mit geringften $nberungen
aud) dou ÜtomuluS unb SftemuS überliefert roirb, ofjne bafj an eine
SBenutumg be§ #erobot roahrfdjeinlid) märe, $ft fie bodj oiel
weiter oerbreitet. SBon $elepljo§ bem #erafle3foIjne rourbe fie aud)
unb rooljl fd)on oor $oro§ erjä^It, unb aud) auf $ari§ roar fie
längft übertragen, al§ @uripibe§ fie bramatifterte. 3)ie beutfrfje
©age ergäbt fie r»on ©olfbietrid), unb bie fäugenbe $trfd)fufj fennt
jebe§ Äinb au§ ber ©enooefafage. 9öer ben einzelnen Sftotioen
nacfjgefjt, ber finbet fie r)ier unb ba gleid) unb äfmlid) ober faft
gleid), balb gefonberr, balb mit anbern oerbunben unb er oerliert
ficr) im Irrgarten be§ 2ftärd)en§, roo er fie 93. im pommerfdjen
SDlärdjen oom „SEöolfSfinbe" (II. 3af>n, ©. 107) nrieberfinbet unb
oielleidjt an ber ißerroenbung beSfelben SftotioS im „©neeroittdjen"
eine befonbere greube fjaben roirb. Unb ift benn biefe @efä)iä)te
etroa§ anbereS als ein 2ftärd)en? ©ie trägt il)ren Steig in fitt), gan#
gleidj ob fie oon ÄoroS ober SftomuluS ober $elcpho§ ober aud)
namenlos ergätjtt roirb, fie ift als redjteS Sftärdjen ieber Slnpaffung
fäljig unb nimmt beliebig neue ÜDtorioe auf: hat ja bod) $erobot
mit ifjr baS gräfjlidje SJlotio oerbunben, baS uns aus ber SltreuS«
fage roie aus bem 9Jiärd)en oom Sftadjanbelboom geläufig ift, roie
bem Söater baS eigene Äinb gum (Sffen oorgefetjt roirb — als ©träfe
fyit'S |>erobot eingeführt für ben £arpagoS, ber beS ÄönigS SBefeht
ntd)t ausgeführt r)at, gana analog bem beutfcfjen Sänfelfänger, ber
an bie ©eftrjidjte oon *ßnramuS unb Sh^be bie barbarifcfje ©träfe
beS 28äd)terS angefügt hat, bafür bafe er baS fträulein roiber beS
Herren ©ebot aus bem 2or gelaffen hatte ((SrWöfmte I, Vir. 86, 88).
Söir fteljen mitten im 9ftärd)en unb bodj augleid) in ber ©e*
fdjichte, unb roie in ber ©ef djidjte f 0 aud) gugleia) mitten in bcr
ipelbenfage. 2Bo ift bie ©renge? 9Jlan fann nid)t fonbern unb
barf e§ nid^t: fo roenig ©eftt)itt)te oon ©age, roie ©age oon 2ttärä>n
ober ^looette. *
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gaft gu roeit finb roir gebrungen: 9Rnr SBtnbimg oon frei
fdjroebenben 9Jiärcr)en an Orte unb ^erfonen rooHten roir verfolgen
unb finb unoermerft rief in bic $elbenfage gelangt. 3)a roirb
mancher ben gefährlichen Irrgarten oerroünfchen unb bie Rührung
fabelten, bie anerfannte ©rengen mißachtet unb oerroifcht ©inb ja
boct) fct)on längft bie einlernen (£ntroicfelung3phafen gefdjiäjrticfjer
Überlieferung Kärlich gerieben unb fein fäuBerlict) getrennt! Sluf
bie gefd)icr)t§lofe Urzeit läfet man ba§ 3 e italter ber Sage folgen:
ba£ h Q t fcfjon Überlieferung unb oererbt fie, aber biefe Überlieferung
ift unr)iftorifcf), ift ©age. $ie gried^ifcr)c ^jetbenfage oergegenroärtigt
baS am flarften. Sine fjüllc ift überliefert, #omer§ ®ebict)te liegen
oor, aber au§ ber ^ßeriobe, roo fie entftanben finb, f)abm mir feine
rebenbe Überlieferung aufcer ihnen, feine ©efd)icf)te. $)ann aber
hebt bie ©efct)tä)te an: gleichseitige 5lufgeicr)nungen, fpärlia) unb
mager guerft, bann immer bicfjter unb reicher, fchltefjlich gufammen*
hängenbe 3)arfteHung.
2öo bie ©age aufhöre, bie ©efä)icf)te beginne, ift eine ftrage
fo alt roie ^iftotifc^e ®rittf überhaupt, fdjon im 5. oorchriftlidjen
Qahrhunbert bei ben ©rieben oon ben ©opfjiften eifrig befprodjen.
Qm oierten h ai bann (£pf>oro§ einen energifdjen ©trich gebogen;
mit ber Sftücffehr ber £erafliben 1104 beginne bie ©efä)icr)te, alle
frühere Überlieferung fei ©age, unb hoffnungslos feien bie 93erfucf)e,
au§ ihr bie hiftorifetje 93öal)rl)ctt gu geroinnen. @r hat oiele SRad) 5
folger gehabt bi§ auf ben heutigen Sag, nur bafj man je^t bie
(Strenge ber @efä)id)te roeiter hetabrüeft. 3)iefelben ©rfcfjeinungen
geigt bie ©efdjiajte jebeS SSolfeS, gumal ber (Sermonen mit ihrer
reidjen §elbenfage, nur baf; fie niajt fo fühlbar roerben, roeil neben
bem beutfetjen ©agengeitalter bie @efchict)t§fchreibung ber ©riechen
unb Börner fteht. (Sinen roefentlidjen Jortfcrjritt h a &en bie 5ln=
fdjauungen über bie (Snrroicfelung ber gefri)icf}tlid)en Über lief enmg
burcr) (SrbmannSbörffer erfahren ößreufe. ^ahrb. XX V, 1869, ©. 121 ff.,
283 ff.). @r geigte, bafe groiftfjen ber ©age unb bem beginne ber
©efa)ichtfchreibung eine ÜbergangSperiobe liege, bie er treffenb baS
3eitalter ber SR oo eile genannt h Q t- $iefe Sßeriobe über*
liefert bie grojjen Männer unb ihre tarnen unb ihre Säten, aber
noch ift ber fagenbilbenbe Srieb mächtig unb um bie ©eftalten ber
©eroaltigen unb tr)ter 2ieblinge roebt fie ein frfjitfernbeS Äleib, roie
e§ nie ein ©efchichtfct)rei&er au§ roirflicher Überlieferung hetfteHen
fann; fie roebt e§ au§ ben HHotioen be§ 2Jiärcf)en8. Unb fo feft
roirb bie§ ©eroebe, unb fo gut fleibet e§ bie gelben, unb fo fä)roa<fj
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ift nodj bie r)iftorifcf)e Äritif unb fo roemg entroidelt t^rc SRittel,
baj? bie ©efdjidjtf djreiber folget Venoben $id)tung nidjt oon 2öal>r*
f)eit flu imtetföeiben rotffen unb bie ©eftalten fo überliefern, wie
fie burdf) biefe ^utaien unb Umroanblungen geformt roaren. @rb=
mannSbbrffer §at oon ber ©efct>icf)tc beS d)riftlid)en SöefteuropaS
oornefmilidj baS 12. unb 13. 3$., aus ber gried)tfd)en baS 7. unb
6. oord)riftlitt)e als bie 3eitalter ber STCooeUe begeta^net unb an ber
9lrt tyrer Überlieferung bie ©igentümliajfeiten biefeS Überganges
oon Sage gu ©efd)ia)te erläutert. SRatürlitf) aber liegt überall in
ber ©ntroidelung jeber felbftänbigen ©efd)id)tfdjreibung ein foutjeS
„Zeitalter ber SNooeUe" groifdjen (Sage unb ©efdjid)te. $aS alte
Seftament, bie „@efd)id)te" ^SraelS, gibt alle brei (Stufen ber ©nt*
rotdelung in ausgeprägten Seifptelen. Sor allem ift aber #ero=
botS ©efajidjtSroerf ooH oon folgen nooellifn'fd^Ijiftorifdjen £ra=
birionen, bie burd) feine @rääl)ler=S?unft unb ©rjä^ler^reube bie
redjte ftorm gefunben Ijaben. Unfer Mittelalter gibt erftaunüdje
parallelen $u i^nen. $d) fteHe aroei *ßaare nebeneinanber, äugletcf)
bie ÜberlieferungSart beS Zeitalters ber SftooeHe gu fenn^eiajnen, bie
mir fd)on an ber oben (S. 14 f. befprodjenen @efa)id)te beS ftnroS
fennen gelernt ^aben. 3)ie (Sr^ä^lungen oon ben fieben SBeifen
©riedfjenlanbS, unb bem großen finberfönig ßroifoS l>aben bie §er=
uorragenbften $erfönlid)feiten beS gried)ifd)en IhilturfreifeS im 6. %f).
oor ©f)r. — alle gcfct>icr)tli(f> rool)l bezeugte SRänner, beren Söirfen
mir jum Seil roenigftenS fennen unb faffen — in rjiftorifct) unmög*
lidje 93err)ältniffe gebraut, in einen ebenfo roenig benf baren $reis
Bereinigt unb mit ßegenben umfponnen, fobafc vor bem SBeftreben
£open ber 2BeltroeiSf)eit unb ©egenbilber beS magren unb ein*
gebilbeten ©lüdeS a" fdt)affcn, bie gefd)id)tlia> 2Bal)rf)eit faft bis
auf bie tarnen oerfdjrounben ift. Sftan fönnte etroa ben (Sänger*
ftreit auf ber Söartburg oergletdjen, ber um ben ßanbgrafen ^ermann
oon Düringen bie berüljmteften $id)ter ber fyit oerfammelt unb
it)nen eine aus SöolframS ^ßarcioal entlehnte ©eftalt ßlingfor oon
Ungerlanb, ber mit bem Teufel im Jöunbe fteljt, gugefellt.
©erabe $>idjter, bie, ftarfe ^ßerfönlidjfetten unb ßieblinge beS
93olfeS, roeitljerum geroanbert waren unb fid) burd) Üjre SSerte im
©ebädjtniS erhielten, finb allezeit, nun gar im 3 e ^ a ^ cr oer
oeHe, 9JMttelpunfte ber (Sagenbilbung geroorben. $lrion mar ein
(£fjorbid)ter beS 7. Qf).S oor (£f)r., fet)r roenig ©reifbareS roiffen roir
oon if|m, aber er ift einer ber berül)mteften $)id)ter geroorben burdj
bie ßegenbe, bie ben frommen (Sänger oon (Seeräubern ins 9Jleer
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ftürgen unb üjn auf bem SRüdfen eine§ $>elpl)in§ fänftlid) ans 2anb
tragen läfet unb feine bö'fen geinbe bet ©träfe überliefert. @§ Ijat
fid) eine 2Banbergefd)id)te *) an i§n geheftet, bie fid) bie tßommern
oon einem menfa)enfreunblid)en Kaufmann in einem pf)antaftifcfjen
unb erbaulidjen 2ftärd)en ergäben (U. 3a§n f 93olf§märd)en auS
Bommern unb 9tügen 9lr. 35). 5lrion§ ©egenftücf au§ bem djrift*
Iid)en SDHttelalter ift £annf)äufer. 2Ber lieft feine ©ebidjte, beien
mir nid)t wenige nod) befitjen ? Söer roeifj oon feinem ßeben, oon bem
mir meljr roiffen, al§ blojj ba| er um bie SKitte beS 13. $f)3 ge»
bid)tet? 2lber bafj er im 93enu§berge geroefen, Vergebung oom
^Japft oergeblidj erfleht unb oergroeifelt toieber gur grau 95enu§
gurüefgefe^rt fei, ba§ ift'S, roa§ bie 3)eutfd)en oon iljm roiffen, roa§
fic fd)on feit bem 14. Qf). oon i§m mußten: ba§ 93olf§lieb trug
bie 9Jlär f)erum*). —
28of)lgeorbnet oougietyt fidj bie (Snrnridelung oon ber gefd)id)t§=
lofen Urzeit gur ©age, oon ber ©age gur nooeHiftifdjen ©efdjidjte
unb fd)lie&lid) frönt bie reine ©efd)id)te ba§ ©treben. 2Bir leben
natürlid) im <3eitalter ber ©efd)id)te, meit fn'nter unS liegen jene
SSorftufen ber SHooeHe unb ©age unb gar ber Üfcerlieferung§loftgfeit.
$a§ finb bie SSorfteHungen, in benen mir erlogen finb unb mit
benen mir un§ gu beruhigen pflegen. 5lbet finb fie roirflid) rid)tig ?
$ft rotrflid) bie eine (SntroidelungSpIjafe beenbet, roenn bie anbere
Beginnt? ßöfen roirfltd) ©age, 9tooelle, ©efa)id)te einanber ab? ©ibt'§
Ijeute nia)t mejr nooelliftifdje ®efd)td)te? ntdjt meljr ©age? nidjt meljr
oöHige 2lnl>tftorefie? 9Jtan brauet fid) bie fragen nur gu ftellen,
um fie fofort gu beanrroorten. ©elbftoerftänblid) finb gunädjft alle
Söorftufen ber ©efd)id)te tyeute nod) bei ben SSbTfern of)ne Äultur unb
auf geringen föulturftufen oorljanben, unb mürben unb merben ftubiert.
©o lebt bie ©age im #elbenliebe nod) Ijeute bei ben ©erben (9lrd)io
für flaoifdje ^3t)iloIogie X, 1887, ©. 352), bei ben föaraftrgifen
(SRabloff, Sßroben berS3olf§literatur ber nörblidjen türfifd)en©tämmeV,
9ßeter§burg 1885), bei ben Sltjel) auf ©umatra (©umon§ in ^ßaulS
©runbrifj III 4 614). Slber aud) bei unS alten Äulturoölfern finb
alle biefe SSorftufen Ijeute nod) mie ftet§ lebenbig, alle nebeneinanber,
ja aud) neben ber forgfältigften unb roiffenfdjaftlitf) bi§ in'§ föleinfte
begrünbeten ©efd)id)tfd)reibung. ©ar nid)t§ roiffen bie meiften oon
ber ©efd)id)te il)re§ $)orfe§, it)rer ©tabt, aud) oon ifjrer gamilie
*) 93gi. Ufener, ©tntflutfagen, <5. 183 ff.
') R. Sfteufäel orientiert über bie 3;annl)äufer«<5age 9*. %af)vb. für
Tl. SlltertumSro. XIII, 1904, <B. 663ff. «gl. ®rt-93öf)mc 5Rr. 17, »b. I, S. 39-51.
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nidjtS, als roaS fic felbft gefer)en. 2öa§ roeig benn mm gar ba§
„93olf" oon beS SBolfcS Vergangenheit? Sttcm frage bod) |>anb=
roerfer imb Vauem, länblidje ftnedjte ober ftäbtifd)e $ienftboten,
frage aud) bie „©ebtlbeten". 9Jletft merben nur einige fümmerlid)e
tRcftc aufgenötigten ©d)ulfram§ jum SSorfdjein fommen. ßebenbige
Überlieferung ift äutjerft gering im Volf : oon unfeien großen Kriegen
1870, 1866 roiffen ja mor)l nodj bie meiften — aber gang gereift
nid)t alle münbigen SDeutfdjen — aud) oon ber Serriff enheit 2>eutfa>
IanbS, ben oielen ©elbforten unb ©eroidjten unb Uniformen f)M
man n>or)l nod), aud) oon ber Vebrütfung in ben grangofenfriegen
unb oon ben ruffifdjen Vefreiern, bie in ben Quartieren ©eife unb
$alglid)ter auffraßen : ba§ finb noa) bie Qextm unferer Altern unb
©ro&eltern. 2lber fdjon bie Erinnerung an'§ 18.3t). ift äu&erft bürfrtg.
SRur ganj roentgcS t)at fid) in ber Erinnerung be§ VotfeS erhalten,
unb ba§ finb ©eftalten toie ber alte ftritj, ber alte $effauer, SJtaria
£l)erefia unb ßaifer Sofept). Unb nun gar bie ältere ©efd)id)te? . . .
SBetradjtet man biefe VolfSüberlieferung ber ©efdndjte, gleid)=
gültig ob jüngfter Vergangenheit ober älterer, aber nict)t bie ber
©djule unb ber Vüdjer, fonbern bie im SSolfe lebenbige, bann fiet)t
man leid)t: e§ ift nid)t „©efd)id)te" roa§ ba§ Volf fia) oon feiner
Vergangenheit ergäbt, aud) oon ber jüngften, fonbern t)iftorifd)e
SRooelle, roa§ ba umger)t oon SJlunb gu SRunb. $>er „alte gritj"
mit feinem ßrüdftorf unb feiner golbenen SabafSbofe ift unb mar
in *ßreufjen unb toeit über feine ©renken eine VolfSfigur, ber Präger
oon ungegarten ©efdjidjten, oon benen faum eine oor ber hiftorifdjen
Jfririf (Btanb Ijält, unb er mar e§ fd)on bei feinen ßebgeiten. Unb
fter)t e§ anberS mit Vlüd)er unb Napoleon unb Königin ßuife?
Unb hat nia)t fclbft fdjon ber „jfronpring", ber (Bieger oon $öniggrätj
unb Söeifjenburg unb Söörtt) fo mandjeS oon foldjer SBolfSfigur,
ober aud) SBiSmartf, obgleich id) faft fürdjte, baf} er nie fo red)t
Stebling be§ VolfeS mar unb ift, trotj aller SBiSmardtürme unb
Sieben. — 9Ben ba§ Volf liebt, oon bem ergäbt e§ fia), unb
unroilllürlid) überträgt e§ auf it)n, roa§ gu it)m gu paffen fd)eint
ober roa§ il)n lieb unb toert madjt. Sludj ift ja biefe Steigung,
gefd)id)tlia^e ^ßerfonen, ja lebenbige unb aUbefannte mit einem ßrange
Don Slnef boten gu umgeben nidjt auf's „Volf" befdjränft, in allen
Greifen ift fie lebenbig. Söie oiele ©efd^tdjtdjen oon gerftreuten
©elet)rten, bie f)exuxilo§ umgeben, fetten fid) plö^tict) an t)eroor-
tagenbe ^ügenoffen? ÜJceanber, Sftommfen, ©urtiuS roaren unb
finb in Verlin bie Sftamen, an bie man bergleidjen t>ärtgtc. $n
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jebem Ort, in jebem Steife finb e3 anbete: bie ©efdjiajten aber finb
immer etroa bie gleiten.
3)a§ „Zeitalter ber Sftooelte" ift ^eute nodjj mitten unter un§.
2>er alte gritj unb alle bie anbern unterfajeiben fiel) in nidjtS oon
$roifo§ unb $nro§ unb Sirion — nur ba(j bei heutiger Slufflärung
ntdjt gerabe pJ)antaftifa)e 3ügc ficr) angufetjen pflegen. SIber aud)
ba§ fommt t)eute noct) Dar. @§ roare ba etroa an ben feit 1890
oerfäjollenen öfterreidjifdjen ©rg^er^og Qojann SRenomuf ©aloator
flu erinnern, ber al§ Kapitän Ortr) $af)re unb Qaf)re ungefefjen
auf ben Speeren herumfahren fall; roer roeifj, ob er fi(t) ntd)t
Bei manchen ©ä)iffern fdjon nadj bem SBorbilb be§ (£laa§ 9teer-
roinben, be§ fliegenben §ollänber§, entroicfelt hat? Unb gar in
ben Greifen gläubiger 3?römmigfeit bilben fiel) Söunberlegenben
heute nod) fo roie r>or 100 unb 1000 ftafjren unb im grauen Hilter*
tum, ßegenben, beren 2ftotioe fiel) immer roieberljolen. ©o ^aben
@nbe $uli 1903 bie ^ßortugiefen bie ©eele ßeo§ be§ XIII. im Slbenbs
ftem leucfjtenb gen Gimmel fahren fehen unb ba§ grofce Söunber
fromm oerefjrt l ), nicht anber§ roie bie 9tömer bie Himmelfahrt beS
(£. $uliu§ (£aefar in einem Kometen errannt t)attcn (©ueton 3).
Julius 88). 3ft ba§ nod) ^iftorifaje ScooeHe ober ift'S ©age?
©idjer aber roirb jeber als (Sagen anfpredjen bie ©efdjtdjten, beren
Präger jroar einen fidjem tarnen führt, aber in biefer ©eftalt
niemals eriftiert hat, roie ber berühmte ^reirjerr oon 9ftündjr)aufen,.
ober ber in meinen ©tubentenjarjren fo beliebte S3aton SOlifoja).
(£§ ift unb bleibt oolle 2öat)rljeit, roa§ bie ©rimm§ 1816 im
tiefen SBorroort gu ihren „$eutfdjcn ©agen" (I. ©. VIII) gefagtr
„£>aher aud) oon bem roa§ roirf liehe ©efdjidjte r)ci&t (unb einmal
„hinter einem geroiffen $rei§ ber ©egenroart unb be§ oon jebem
„©efdjlecrjte $>urdjlebten tritt), bem 93olfe eigentlich nid)t§ zugebracht
„roerben fann, al§ roa§ ficr) tr)m auf bem Söege ber ©age ©ermittelt."
©o ift ^ute nod) unter un§ lebenbig unb roirffam ba§
alter ber Sftooelle roie ba§ 3eitalter ber ©age, unb bie ©ef<r)idjt§'
lofigfeit ift aud) noef) nidjt au§geftorben. @rft roer fiel) ba§ red)t
flar gemacht, geroinnt ©inbltd in ba§ Söerben gefdjicfjtUcher Über*
lieferung, zugleich in ba§ Söerben ber r)iftorifd)en StooeHe unb baä
') ©ie&ener Steiget 1903 9tr. 176 com 30. 3uli untet „ßiffabon 2«.
3uli" mit ber 2JtttteiIung, ba& bie <ßortugiefifcf)en 3etrungen ftd) oergeblich
bemühten, bo§ 93olf ju belebten, jener ©tern fei ber bamals gerabe befonberS
hell ftra^Ienbe Slbenbftern.
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Höerben ber ©age. (£8 gibt feine ©renken groifdjen iljnen, roeil
bie SBorformen nidjt abftetben.
$et$t fönnen roir baß oorfjer Besprochene iöcifptcl oom Sßerfer*
fönig $rjroS beffer oerftehen unb roerten, ba§ un§ lefjrte, roie ©e=
fd)id)te unb SKärd)en = SRooelle unb $elbenfage ineinanbet fluten.
Qf)tn füge id) groei SBeifpiele gu oon Scannern, bie im fetten ßiojte
ber ©efdjidfjte geftanben unb bod) fo bidjt oon 2ftärd)en unb %t-
fc^tccjten aller Slrt umranft unb überamdjert finb, bafj bie 99egeid) s
nung biefer Überlieferungen al§ „hiftorifdje 9tooelle" nodj gu ftarf
ben f)tftürifdjen $ern betont unb man fie lieber gerabegu „gelbem
fage" nennt: bie SBeifpiele 2lleranber§ be§ ©rojjen unb £ergog8
©ruft oon @<f>roaben.
Sllejanber fennen roir oon feiner erfter 3fugenb an, fennen
feinen Sßater ^^iliopo§ bis in§ $erfönltd)fte, feine SJlutter OlompiaS,
feine Sinnen, fennen bie 93erf)ältniffe am §ofe, feinen ©rgteljer
9lriftotele§, feine Umgebung, unb oon feiner Stljronbeftetgung (336)
an unb gar bem 2lugenblicf, roo er ben rounberbaren ßriegSgug
nad) Slfien antrat (334), ift täglidj oon feinen ^ofbeamten über
fein £un unb ßaffen Söudj geführt (unb biefe (Sp^emeriben blieben
erhalten unb finb oon §tftorifern benutzt roorben), ungähligc Ur*
funben unb SBriefe l)at et untergeidjnet, oiele finb öffentlich auf-
gehellt roorben, feine Sftüngen unb Porträts befitjen mir, feine #of*
hiftoriographen ^aben bei feinen ßebgeiten, eine SRetfje oon Sftännern
au§ feiner nädjften Umgebung balb nad) feinem Sobe über tf)n ge*
fd)rieben — aber rrotj allebem ift 3llejanber ber ©efd)id)te entrüeft,
fo frü^ (föngft oor feinem $obe [323] fyat'S begonnen) unb fo
fef>r, bafj balb nad) feinem Ableben fid) fein S3ilb oöllig aufgulöfen
feinen unb biefe @efaf)t einem 9ftanne roie feinem ©eneral SßtolematoS
bie fjfeber in bie £>anb brüefte. 33ergeblid), ber grofje 2lle£anber ift
eine ber fdjroierigftcn Probleme ber (Uefd)id)t§forfd)ung geblieben;
triumphiert aber §at bie ©age. ©ie fyat ben hetrtidjen ßönig, ben
SßoHenber unerhörter £aten, ben nie befiegten ©ieger ungähliger
©djlad)ten, ben ©röffner neuer SSelten, Jjingeftorbeit in blüfjenber
Sugenb mitten im £atenfturm, fie h a * *h n 3« i&rem gelben er*
hoben unb au§gefd)mücft mit allem Erhabenen unb ©eheimniS*
rollen unb ^ßrjantaftifetjen. ©d)on roährenb feiner Unterroerfung
#gt)pten§ 332 fam bie roie e§ fd)eint oon ihm felbft au§ politifd)en
Orünbcn unterftütjte ©age auf, er fei göttlichen UrfprungS, ein
©ohn beS Slmmon, ber in ber Söüfte roeftlia) oon #gt)pten
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thronte. 3)er ©lang feiner $aten unb feinet weithin nnrfenbert
genialen mächtigen Sßerfönlidfjfeit enoetfren bie Überzeugung feinet
ÜbermenfajenrumS, unb ben Orientalen, in beren SBenmfjrfem ber
©ott unb ber ßönig als ©otteS ©tetloertreter faum ober nid)t ge=
trennt roaren, mufcte bie ©öttlidjfeit üjreS neuen |>erm felbftoer-
ftänblia; fein. 3)od) backten aud£) bie ©rieben nidjt anberS : r)atten
fie boa) 80 3 a ^ re fcüfjer ben ©partiaten ßrjfimadjjoS auf ber $>öt)e
feiner 9Jiad)t mit göttlidjen ©fyren gefeiert, unb gaben fie bodj ifjrem
347 oerftorbenen Splaton ftatt feines tooljlbefannten SSaterS 9lrifton
ben ©ort 5lpoUon jum 23ater. 3)ie über menfdjliaje Sftajje unb
©egriffe l)inauSragenbe, toie audj immer fidj betätigenbe 9Jlad)t einer
großen *ßerfönlid£)feit Ijat baS ganje Altertum, baS orientalifdje roie
baS griedjifdje , ftetS in frommen ©tauben als unmittelbare,
oom 93olfe förperlid) gebadete Söirfung ber ©orttjeit betrautet:
©ötterföljne finb fie üjnen alle. Unb fo ift SllejanberS ©eburtS*
fage fef)r frül) geformt unb gefeftet roorben. ©päter Ijat fie ftcr)
bann pfjantaftifo) märdjenfjaft auSgeftaltet. $n oet ©efdjidjte oom
ägrjptifajen Ruberer SRectanebo 5. 93. r)at fie fidf) mebergefajlagen-
$>aS ift ägrjptifd)e ©age: fie maö)t ben SBefreier oom perfifdjen
$od)e jum Signpter. $)ie Werfer fjaben ifjrerfettS 9lleranber #um
5lbfömmling if)re§ legitimen Königs gemalt, beS 3)areioS. (§&
ift baS eben ein cfjaraftcriftifdEjer «3ug aller ©robererfagen: feine
(Eroberung roirb legitimiert burdj bie ©rfinbung eines 9*ea)tS*
anfprud)S, am liebften auf ©runb einer fingierten 93lutSoenoanbi-
fdfjaft ober SSerfdtjtoägerung mit bem alten £errfd&ergefdjledf)t. ©ia^er-
lidj aud) fd(jon bei ßebjeiten SllejanberS finb eine Spenge ©efa^tdfjten
oon feinen #elbentaten, feiner ©rof^ergigfett unb feinen $afjrten
in bie unbefannten gernen beS Orients umgegangen, teils frei er*
funben, teils auSgefdmrüdft: SRooeUen*, SMärdjen*, ©agen=9Jtotioe
festen fid) an ifjn noct) oiel leidster als an jeben großen SRenfdjen
an, roeil er ben ©rieben bie 2Bege in unbefannte ©egenben bahnte,
beren 9tuf nur ettoa burdfj p^antafrtfdje ©agen unb Sftetfeabenteuer
bislang an ifjrO^r leife geflungen fjatte. 3 e weiter fidj nun biefe
SSolfSüberlteferung beS großen äöelterobererS oon feinem 3" m lter
entfernte, befto me^r oerblajjten bie gefd)id)tltdjen <8üge, befto üppiger
nmajerten bie üjr früf) aufgepfropften 9teifer ber SRooelle, beS
9Jlärcr)enS, unb befto ptafrifd)er mürben feine ßriegStaten 5U perfön*
lidjen |jelbenfämpfen ausgearbeitet, ^m 3toetfampf wie bie alten
gelben tjat er ben ^nberfönig ^ßoroS befiegt; er felbft get)t als fein
eigener ©efanbter unb ©pätjer unerfannt ins Sager beS geinbeS;
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2tleranber unterroirft bie Slmagonen, fämpft mit ungeteilten 9ftefen,
et fommt gu ben golbenen ©äulen be§ £erafle§, gu ben fingenben
Säumen be§ 9Jlonbe§ unb ber Sonne, gu rebenben Sßögeln, er ge=
langt in bie ©efilbe ber ©eligen, fär)rt tjinab in bie tiefften liefen
beS 2Reere§ unb hinauf in bie ßüfte.
%k 2Ue£anberfage liegt un§ in ^ßrofafaffungen oor, bie im
3. unb 4. 3$. n. (£t)r. it)ren 5Ibfa)luf$ erreicht r)aben. Sftan nennt
fie Romane; e§ finb SSolfSbüdjer, bie ben allmärjlia) ermadjfenen
(Stoff gufammengefafct fjaben. (Sine burdjgteifenbe (Seftaltung burd}
eine ftorfe runftlerifdje ^)3erfönlitt;feit rjaben fie nid)t erfahren. 3 um
$eIbenepo§ finb fie im Rittertum nidjt geftaltet. $ie ßiteratur mar
fdfjon alt unb oornet)m unb gelehrt gemorben, al§ 5llejanber in bie
2Seltgefd)id)te trat, unb fdfmn 400 3at)re unb mer)r lag bie $tit
gurüd, als SHdjter bie Überlieferung beS SBolfeS im £elbenfang ge*
ftalteten. 3)er oerberblidfje, bamals in ber griedjifdjen Kultur fdjon
entftanbene unb geweitete SRifj gmiftfjen ben gebilbeten literarifd&en
Greifen unb bem ungebilbeten 93olfe oertjinberte ooHenbS bie
poetifdje ©eftaltung ber Slleranberfage. ©ie ging oolfstümlidj in
©rgär)tungen oon Sftunb gu 2Runb, aud) moljl in Derogieren 93olfS=
bücfjern burdj bie ßanbe, fröl)tict) fdjjmelgenb in bem, maS bem
SBolfe lieb mar ; unb gleta)geitig neben itjr lief, ofme ficr) mit biefem
prächtigen, raufdjenben ©trome gu mifajcn, in runftlicfjen Kanälen bie
f>iftorifd)e, rfjetorifdje, panegnrifa>poettfa)e Slleranberüberlieferung.
SlnberS ftefjt eS mit §ergog @rnft oon ©djmaben. ©ein
ßeben, 1030 befrfjloffen, fällt noaj in eine 3eit einfadf)er 93erEer)rS*
oert)äItniffe unb einrjeitlidjer SBilbung, roo ber ©ptelmann bie $unbe
Ijerumbot oon ben grojjen unb Keinen ©efö}et)niffen, unb er bem
SBolfe ber Präger unb ©eftalter feiner Überlieferung mar in be§
SBolfeS ©inne. $ergog @rnft ift ntdfjt nur ber £elb einer ©age
geworben, biefe ©age ift in $elbenliebern gcfungen unb mir fjaben
nod) mehrere. gn ßiebern beS 11. unb 12. 3$.S liegt fie oor
unb in groei großen mittelt)od)beutfa)en @ebtd)ten be§ 13. 3t).S, fie
ift in Sänfelfängerliebern unb SSolfSromanen unenblid) oft bis in§
19. 3*). gefeiert — alfo eine ©age oon einer 93ottStiimIid)feit, roie
e§ je eine gegeben t)at. $t)re 5Inalofe unb Söertung oerbanfen mir
ßubroig Ut)lanb, ber am 22. XI. 1832 in feiner ^nauguralrebe als
«ßrofeffor ber Unioerfität Bübingen biefe an ©idfjerfjeit unb gmingen*
ber SBemeiSfraft etngig baftefjenbe Unterfudmng mit unoergleid)lid£jer
^larfjeit unb mit bem marmen ©mpfinben ber lebenbigen föraft
ber ©age unb it)rer biajrerifdjen ©ajöntjeit oorgetragen t)at.
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Auflehnung unb fötmpf be§ ^ergog§ (£mft reibet Äaifer Otto,
feinen ©tiefoater, 93erföf)nung unb glüdli<t)e§ @nbe, baS ift bet Qnfjalt.
3u (Srnft Ijält aufjer feinem ungerrrennlta) treuen greunbe Söerner
feine SHutter Abetfieib, in groeiter @r)e be§ ßaiferS Otto ©attin.
©ein geinb ift «ßfaljgraf §einrid), be§ $aifer§ SBIutSoerroanbter unb
Vertrauter. $)urd) Serleumbungen erlangt biefer oom föiifer bie
Sufthnmung, (Srnft gu befriegen. $>od£) ber erroefjrt fidt) feinet unb
bringt in fü^nem Überfall mit feinem gteunbe felbbtitt in bie <ßfala
unb erfdjlägt bott feinen fteinb #einrid) an be§ ßaiferS Seite.
©eäd)tet fämpft et lange unb tapfer um feine (Btabt 9tegen§6urg.
©d)ltefelid) meidet et unb fäfjrt mit Söerner gum ^eiligen ©rabe.
©ajiprwt) unb pr)antafrifa> föeifeabenteucr : Sßolf mit ftrania)!jälfen,
9Jlagnetbetg, ©reife, Slrimafpen, ^ngmäen, 3al)rt burd) ben $ar=
funfelberg, SBabulon. ©nblid) SRüdfetyr. Am (£E)riftmorgen roirft
fitt) @rnft im $om au Samberg bem &aifer ^u güfjen unb erlangt
bura) Fürbitte fetner gflutter Vergebung.
Sroei einanber frembe SBeftanbteile geigen fict) fogleid) : beutfajer
gürftenannft ift mit föeife=9ftärd)en oerbunben, bie teiß au3 ber
Antife burd) gelehrte geiftlidje 93ermittelung, teils au§ orientalifd)en
©agen, nrie ©inbbabS Abenteuern in 1001 9iaa)t, entlehnt finb.
3)er beutfd)e ©eftanb aber ift gufammengeroirrt au§ roofjlbefannten
©eftalten be§ fädjftfdjen unb fränfifdjen $önig§f) a ufe§ , bie in
9©al)tf)eit burd) met)r al§ ein 3af>rl)unbert f)in oerteilt finb. Uf)lanb
t)at bie Analrjfe reftloS geführt unb aufgezeigt, toie bie fid) immer
nrieberfjolenben, au§ bem 2Baf)lfönigtum unb bem notroenbigert *
©treben nad) $au§maa)t erroadrfenben ^roiftigfeiten unb kämpfe ber
beutfdjen Könige im eigenen £aufe in bem ßiebe oon ^jergog 6wft
gu einem gtofjen, allgemein gültigen tnpifdjen Silbe gufammenge*
fafjt finb, ba§ trotj ber 93ernrirrung ber eingelnen gefdjid)tltd)en
©reigniffe unb tarnen ein gutreffenbe§ S3ilb biefer 93ert)ältniffe gibt,
ein SBilb oon f)öf)erer aöar)rt)eit, al§ bie Urfunben unb (Sfjrontfen
unb ^iftorifer e§ fönnen: benn $)id)ter t)aben e§ geformt. 3)ie
ergteifenbe SßerföfjnungSfeene am ©£)riftmorgen im $om ift fd)on
oon ber Spönne #ro§nntI)a oon @anber§f)eim um 980 in latemtfd)en
SSerfen ergäfjlt roorben. ©o Ijatre #aifer Otto I. im Qa^re 941
feinem 93ruber £einrtd> oergieljen, ber groeimal fict) gegen u)n auf=
gelernt, fortan aber al§ SBaocrnfyergog feine rreuefte ©tüjje rourbe.
3)od) ber richtige STCame feiner SHuttet 2Ratf)ilbe ift in ber ©age
bura) bie ber gtoeiten ©attin Ottos 3lbelr)eib erfeijt. $)enn fie, bie
burgunbifdje Äönig§toct)ter, bie al§ junge Sßirroe be§ Königs oon
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Italien Otto ihrem ©<fmfce herbeigerufen, fyatte burch ihre ©dfjön=
heit unb ir)tc tounberbaren ©dfn'cffale fidE» bem 93oIfe tiefer eingeprägt.
Umfo leistet mürbe noch ber SRamenStaufch, al§ aucr) ti)r ©tief-
for)n ßiutolf £eraog oon @ä)maben 953 gegen Otto fief) aufgelehnt
hat unb fein ©tr)üffal oon ber 93olf3überIieferung feftgetjalten
mürbe: feine Hdjterflärung unb feine kämpfe um IKegenSburg
nic^t nur, auch fein §a& roiber be§ KaiferS Vertrauten unb feinen
geinb £ ein ria), bem einftigen (Empörer; gleich it)m h<ü bann
auch ßiutolf fchlie|Iich SSerjeihung gefunben. $)en tarnen aber gab
bem gelben biefer (Sage erft £ e r 3 0 g © r n ft oon ©cfjtoaben, mieber
©tieffohn eines beutfehen Königs, Konrab be§ II. be§ ©alierS,
burch bie gmeite (£f)e feiner 2ftutter ©iefela. $lua) er lehnte fich
auf (1025), auch er fanb Sergeihung burch ftürbitte feiner 9Jiutter,
aber er fdjlug bie ©nabe aus, roeil fie nur um ben $rei§ feiner
Sreue feil mar: SBerner oon Biburg feinen einzig ©etreuen
foHte er ausliefern, ©r trotte 9Rcicr)§act)t unb Kirchenbann mit
bem greunbe gufammen um ber $reunbfcf)aft roiHen. 1030 fielen
fie beibe im oerameiflungSootlen Kampfe gegen bie Übermadjt. $te
greunbeStreue bis in ben £ob hat ^ergog ©rnft bie ßiebe be£
beutfehen 23olfe§ unb bauernben «Ruhm erroorben. Slber Kinber
unb 93olf oerlangen ßohn für bie ©uttat, ©träfe bem ftreoler.
©0 im aftärdjen, fo in ber ©age, b. fj- in bem eigenen (£mp*
finben unb Qntereffe gemäfe umgeformten Überlieferung ber ©efefuchte.
©0 mich &te graufame ©chitffal§härte, bie ©rnft erfahren, in ber
Erinnerung bem oerföhnenben ©chluffe, bie ber $elb, ber gute,
fchöne, tapfere oerbiente; auch mar fdjon biefe SBerfölmungSfaene
50 3ahre oor @rnften§ £ob feft geftaltet, unb auch ßiutolfS ©efa)i(f
mar nicht oergeffen. @o ift 00m unglüeflichen ßiebling be§ SßolfeS
faft nur fein 9tame unb feine greunbeStreue in ba$ ßieb 00m
beutfdjen gürften^mift übergegangen.
$ie ©age oon $ergog @mft ift felbft neben ber Sttejanberfage
r)öa)ft lehrreich unb einzig geeignet, ba§ 93erftänbni§ für ba§ Söerben,
llmroanbeln, 9öaä)fen unb Slbrunben ber ©age überhaupt gu eröffnen,
roeil eben bie§ bei ihr an ber |>anb hiftorifcher Statfachen unb unab*
gängiger Überlieferungen bi§ in fleine $üge fymin erfolgtunb feft*
geftellt merben fann. HJlit oollem SBemufjtfem biefeS if)re§ 9ftufterroerteS
t)at Uljlanb fie ermählt, aber leiber mar bie Söirfung 1 ) nicht groß.
') §eroorb,eben möchte id) bie muftethafte Stnalpfe ber bgjantinifdjen
33dtfcnv6age von f>eifenbetg auf ber 47. ^Uologen»93erfammlung in §alle
1903 (Seilage 311t SWgemeinen Leitung 1903, 3fr. 268).
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$)a§ toidjttgfte tooljl unb ein unbeftreitbareS Ergebnis biefer
93etraa)tung ift biefe§ : beibe Sagen, folgltä) alfo aud) alle bie Dielen
gleichartigen, finb Überlieferungen gefc$icr)rlicf)er <ßerfonen unb @r=
eigniffe; freilief) ni<r)t M geftt)ia}tlitt)e Überlieferungen" in nriffenfdjaffe
lidjem (Sinne, fonbern oolfSmäjjtg finb fie auSgeftaltet unb um=
geformt unb aroar ber 2lrt, bafe ba§ Qntereffe für bie^erfon be£
Reiben alles anbere überwiegt unb beftimmt. ©ebenfen mir nun
ber oorljerigen Darlegungen, fo erfennen mir bie§ (Ergebnis aud)
be§f)alb an, roeil mir bie t)ier in flare Silber gefahren ©rfdjeinungen
fa)on in ber Ijeute im SBolf lebenben Überlieferung erfannt Ratten :
nid)t bie ©efdjidjte feiner SSergangenljeit in allgemeiner 93orftetlung
beroarjrt ba§ 93olf, fonbern ßieblinge erfieft e§ fidt), oon i^nen
ergär)It e§ SSaljreS unb UmoaI)re§, aber nur n>a§ geeignet ift,
fie fo barguftellen, roie e§ fie fid) roünfdjt, nrie e§ fie lieben mag.
@§ unterfdjetbet fict) alfo biefe ^elbenfage 1 ) nidjt oon ber „Ijifto*
rifd}en üftooelle", fonbern fie ift felbft nicf)t$ anbereS al§ nooeHifierte
©eftfn'djte, fjängt ebenfo roie biefe alle möglichen SJiotioe unb SJlärdEjen
an ben @rroär)lten unb überträgt auf it)n aua) oon anberen ^ßerfonen
unb anberen (Sdjitffalen, roa£ gu Üjm pafjt, ü)n cr§öf)t unb intereffant
madjt. S3om SDcärdjen aber trennt fidj (Sage unb r)iftorif(f)e 9tooetle
trofc r)äufigfter 93eriu)rung, ja ©leidjf)ett in managen 3ügen burd)
ben einen tief greif enbenUnterfdjieb : ba§ SDcärdjen roirb um feiner felbft
willen eraäfjlt, bie (Sage entfte^t um be§ gefdjiajtliajen ©reigniffeS
unb be§ gelben roiUen; bie§ Qntereffe oerbreitet bie föunbe unb
§ält fie feft unb ftfjmüdft fie unb fammelt auf ben gelben ©rofreS,
(SdjöneS unb Sd)retflid)e§ unb fd)afft fo bie (Sage. $>tefe§ Um*
bilben unb 2lu§geftalten einer gefcrjitfjtlidjen *ßerfönltcr)feit unb
*) (£§ gibt freilief) aud) Sagen, beren gelben nidjt 9Wenfd)en maren,
fonbern fingierte 2U)nf)erren unb ©ötter. 216er ftetS ftnb aud) biefe m. ©.
^Repräsentanten iljreä Stammes unb fpiegeln beffen Jäten unb fieiben in
ifjren Sd)icffalen roieber. So oiele ber griedjifdjen Sagen, aud) roo()l ber
jübtfd)en. Sie ftnb alfo, aud) wenn fie einige 3üge com ©öttermutljuS in
fiel) aufgenommen fjaben folltcn, bennodt) oolfStümlid) geftattete @efd)tcf)te,.
ober roenigftenS fteeft foldje in if)nen. 93gl. unten S. 38.
$Iud) ättologifcfje fabeln finb nicf)t feiten in ber §elbenfage, aber fie
fonbern fict) teid)t ab, unb irgenb etmaS ^iftorifcfjeS fteeft aud) in iljnen roof)l
ftetS. ©unfel in Momarts §anbfommentar jum 2llten fceftament 1. 1. S. XXIII
gibt eine treffenbe Uluäeinanberfe^ung über aJlntlmS unb Sage, ©r gruppiert
bie ätiologtfd)en Sagen paffenb als ettjnologifcljc (3. 33. roarum fitjen ßotS
Söfjne im unroirtlid)en Often ?), ernmologtfdje (j. 93. Sttame ber üangobarben),
©ultfagen (3. SB. Opferung 3faaf3 ober ^P^QenienS).
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feme§ ©d)icffalS fityrt aber ©d)ritt oor (Schritt aur 93erbun!e*
lung ebenbiefer ©reigmffc unb ^erfönlidjfeiten, bie bie Xeilnaljme
fo feljr erregt Ratten, bafj um fie bie ©agenbilbung begann.
Stoppelt wirb ba§ teure SBilb bebro^t: einmal burd) ba§ Hnfe^en
oon 9flära)en oft pl>antafrifd)er 5lrt, bie eS fd)liefjlid) aud) n>ofj*
gang oerbecfen fönnen, ba§ anbre 9ttal burd) bie SluSgeftaltung
be§ inbioibuellen gelben gutn #elbenibeal, roie ü)n ba§ S3olf gerabe
fid) benft. S3eibe 9ttd)tungen finb ftetS in jeber SSolfSüberlieferung
tätig, in ben ©agen oon 9Ueranber unb ^erjog ©rnft fef)en mir
\f)tt Söirhmgen Har oor klugen, ©tarfe Herfen finb beibe geworben
oon unbefiegbarer SlrmeSftärfe unb ritterlicher ©eioanbtf)eit, uner*
fd)ütterlid) ift il)r SDlut, unbegrenzt it)re ^ül>nt)cit ; fo grimmig unb
furchtbar fie im ^orn gegen it)re fteinbe finb, fo milbe, ebel, l)oa>
^erjig finb fie gegen bie greunbe, bie Unterlegenen unb bie ©e=
ringen, ©benfo toerben bie anbern ©eftalten 3U Sopen oeraUgemeinert:
ber grofee ftrenge ftaifer, bie fanfte fromme fürbittenbe SJlutter, ber
treue greunb, ber böfc 9*etbl)art unb SJerleumber.
©o toirb aHmäl)lid) bie ©age bem ÜJlärd&en äfjnltd), aud) barin,
baß fie fdjliefjlid) nid)t mel)r um beS gelben toillen toetterflingt, ber
oergeffen ift, trotjbem fein tftame lebt, fonbern um ber fcpnen ©efd)id)te
roiHen, bie au§ feinem toirflicfjen ©d)icffal IjerauSgebilbet ift. Unb
fo mag es benn aud; roofjl gefd)el)en, bajj fid) oon ber ©age ein
it)r eigentümlicher, au§ einem nrirflidjen ®efd)el)ni§ topifd) auSge*
bilbeter gug ablöft unb nun namenlos al§ ©d)toanf, üftooeHe,
9Wärd)en burd) bie ßanbe fliegt, um bann aud) roo^l roieber einmal
an eine anbere gefd)id)tlid)e ©eftalt als frembeS 9Hotio angefe^t gu
werben, $n 2Sed)felbe5ief)ung fielen ©age unb äJlärdjen.
*
$lber roer ift'S benn, ber bie Ueberlieferung eines ßieblingS*
r)elben be§ SBolfeS fo geftaltet, bafj bie ©age nun aud) bem S3olfe
mert unb lieb bleibt, aud) roenn ber #elb felbft oergeffen roirb unb
bie S3erl>ältniffe, unter benen er gelebt, gefiegt, gelitten §at, längft
oerftorben unb untergegangen finb? 3$ f)abe biSfjer nur oom
„SBolfe" gefprodjen unb e§ fdjeint mir in ber £at geioife, bafj toeite
Greife bc§ SBolfeS bie 2Bar;l be§ gelben unb bie <Rid)tung für bie
gormung feines ©ilbe§ nrie feiner ©cfjidffale ftetS gegeben fyabm,
roie fie eS fyeute nod) tun.
5lber einzelne ^nbioibuen müffen e§ bod) ftet§ geroefen fein,
bie be§ 93olfe§ ©inn unb SSunfd) mitfül)lenb bargufteHen mufften,
mit ftarfer #anb auS feiner ©eele §erau£ D i c £elbengeftatten formten
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unb fdjufen. Söiele finb baran tätig: fic runben bic iljnen übet*
lommene ©efd)id)te ab, formen fie um, ergäben fie f)übfa>r roeiter.
©ie bleiben unbefannt unb Ijaben oft aud) fein anbetet SBetoufjt*
fein, als baS weiterzugeben, roaS fie empfangen, wie r)eute nod)
bie „£iftorieneraäl)ler" in Bommern, bie Ulrich $af)ti «flnet
9lnfct)auung in bet SSortebe feiner Sammlung oon StoltSmärdjen
auS Bommern unb Stögen 1891 fdjilbert, ober bie rufftfdjen SBnltna*
©änger am Onegasee, oon benen InlferbtngS l ) 1872 lernte.
2)idjter aber finb fie bodj öfter als eS fdjeint, unb beutltd)
nehmen mir bie $id)ter&anb roar)r in grofcen ©agen. 9lber in biefer
Überlieferung gilt ber 3)id)ter nidjtS, gilt nur fein 98erf, unb jeber
benufct ot)ne Siebenten baS Söerf feines Vorgängers, eS beffernb
ober oerfdfledjternb, je nad) feinem können unb .©efdjmarf. Söer
ben „3lle$anber*9toman" äuredjtgerütft, toiffen mir, tro^bem bieS in
literarifd) rooljlbefannier .^eit gefdjeljen, eben fo roenig, nrie mir bie
©änger ber ßieber oon #erjog (Srnft, be§ SftibelungenliebeS unb ber
3liaS fennen. Slber 3)id)ter toaren e§, leibhaftige Qnbioibuen unb
ir)r Söerf ift eS, baS fortlebt. Unb fo fann eS benn nidjt auS*
bleiben, bafc je länger ein ©toff beliebt bleibt, er befto freier ge*
ftaltet mirb, unb befto mefyr ber 5)id>ter Ijeroortritt. $>er $id)ter
n>äf)lt auS, rüdft gufammen, fügt anbereS ein, er motioiert oor allem
unb um ju motioieren erfinbet er neue <8üge, bie *Rad)folger weiter
auSbilben unb aud) toof)l gelegentliö) mit mefjr Siebe bet)anbeln, als
bie urfprünglid)en rjiftorifdjen Seile, ©o ift benn ©age bie bidj=
terifd) auSgeftaltete oolf Stümlidje Überlieferung oon
Sftenfdjen unb ©reigniffen, bie baS Qntereffe beS
SBolfeS erregt rjatten.
* *
3efct finb mir oorbereitet, aud) bie älteren^elbenfagen ju
betrad)ten, unb mit fixeren SDHrteln auSgerüftet, fie ju beurteilen.
Üerall treten uns in it)r fefte tarnen entgegen für bie Präger ber
£anblung unb, fo oielfad) fie aud) über roeite ßänber l)in unb f)er
gefetjoben roerben, geroiffe Ortsnamen rjaften ebenfo feft bis in
fpärefte Überlieferung. $er grofje Dftgotentönig £f)eoberid) , ber
493 nad) SBefiegung OboaferS Italien eroberte, lebt in oielen ©agen
fort, aud) in manche frembe ©agenf reife ift er aufgenommen (fo
groß mar fein 9lur)m) unb rounberbare $t)antaftif t)at fid) um
») 9BUt). SöoQncr, Unter|ud)imgen Aber bic 33olf§epif ber ©rofcrufTen.
fieipjig, 2>iff. 1879.
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ifjn gefd&lungen, fo bitf>t, bafj fdjliefclidj bic geföidjttidfje $etfönlia>
feit faft gana oerfdjroinbet. $ennod) f>at et feinen Warnen ftetS
behalten, unb fogat ber Warne feinet #auptftabt SJetona ift u)m
geblieben : 55)ictcric^) t>on ©etne. — 3)a3 Wibelungenlieb fyat nad) faft
800 Sagten, obgteidj e§ fein ^nteteffe auf ©iegftieb geroenbet unb
frei ben ©toff umgeftaltet f)at, bennotfj bie gefd)idjtlid)e $atfad)e
bei S3etnid)tung be§ SButgunbetteidjeS um SöotmS butdj bie $unnen
im ftafjte 435, roenn aud) oetbunfelt, beroaf)tt, unb roebet bie ©tabt
2öotm§ oetgeffen nod) bie Warnen bet Äönige ©Untrer unb ©ifeüjet,
bie in bem fpäteten, abet nodj oot 516 etlaffenen Söutgunbifdjen
©efefce oom ßönig ©unbobalb untet feinen SBotfafjten genannt
roetben 1 ). - $m Wotben WufclanbS am Onegafee finb 1859-1872
£elbenltebet (SBolina) aufgeaeidjnet, leben audj Jjeute mofy nodj,
bie al§ ©d)auplafc bet £aten ba§ roeit entfernte $iem fennen unb
auf ©teigniffe, polttifa> unb fultutelle 93erf)ältniffc be§ 12.
äurürfroeifen 4 ). - Wtdjt anbetS bie 3lia§: in 2öaf)tl)eit f)aben
ßämpfe um giion getobt, in 2Baf)t§eit ift ^lion aetftött rootben in
bemfelben Staltet, ö(§ e§ ein golbteidjes Sftufenat gab, beffen
mäd)tiget Äönig Agamemnon im Siebe bie Slngteifet gegen ^lion
füf)tt. $ie Sttümmet beibet ©täbte befdjetnt f>eute roiebet ba§
©onnenltdjt banf ©d)liemann§ ©netgie unb $>ötpfelb§ ©djatffinn.
Wie roedrfelt bie Übetliefetung bie ©tätte be§ ttoifä)en Krieges unb
bie Warnen feinet gelben bleiben biefelben. — 9lnbete l)etoifdje
(£pen etgäpen Diel oon bem Stiege bet ©ieben reibet Sieben unb
mußten oon SljebenS 3ctftörung butd) bie Epigonen, ßeine Übet«
liefetung teid)t fjinauf in bie§ §of)e Slltettum: abet bie Xatfadje
fdjroeten Kampfes unb fdjlimmet 9Setnid)tung um Streben ift eben
bind) bie nie roanfenbe geftigfeit biefet Übetliefetung geroä^tletftet.
Unb feft wie bet Warne 3$ebenS finb aud) bie Warnen feinet gelben.
3)a§ gä^e §aften beftimmtet Ott§= unb Sßetfonennamen ift
ba§ eigentümliche 3Jletfmal bet £elbenfage. $iefe (Stfdjeinung ift
bei allen bie gleite; fie mu| auf gleite Söeife bei allen etflätt
roetben, fofetn üjte S3ebtngungen bie gleiten finb. Allgemein gültig
fann nut biejenige fein, bie ben Ijiftotifdj fonttollietbaten Reiben«
fagen eben biefe f)iftotifd)e ftonttolle auferoingt. ©ie ift gegeben:
bie Warnen unb $atfad)en finb fo unoettilgbat aä&e, roeil fie ge-
ft§id)tlid) finb. Watütlidj gilt ba§ nut füt bie #auptpetfonen unb bie
entfdjeibenben ©to&taten. 9ln einen gefdjidjtlidjen ®etn jebet regten
') Sadjmann, 9tyein. Sttufeum 1829, m, 436 ff.
«) f. ©. 124, Slnmcrfung 1.
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§elbenfage ift nidjt 311 groeifeln. $lber roie roeit ber ®rei3 bcr @e*
fcr)ictjtlid)feit in bcr £elbenfage gu gießen fei, ba§ ift nun bic grofce
fdjroierige unb oiel umftrittene Ö* a 9 c - @3 ift J)ict nidjt bcr Ott,
fie eingerjenb $u erörtern, ©tnige gingeraetge finb aber aud) fjter
angebracht, roeil fie ba§ Söefen unb äöadjfen ber ©age unb ü)r
S3erl)ältni§ gum Hflärdjen unb jum 9Jlntlm8 beleuchten.
3e länger bie ©age lebt, je rceiter fie fiel) oon ber &it unb
oon bem ©djauplafc be§ ^iftorifa)en ©efdjeljmffes* entfernt, befto
met)r tritt in il)r bie (Erinnerung an bie gefd)id)tlidjcn ©reigniffe,
S3erf)ältniffe, <Perfonen jurürf, befto leidjter roerben bie wenigen
berühmten gelben gu einanber in SBejiefiung gefegt, ba nidjt merjr
genaue Kenntnis bie SBernrirrung ^inbert, befto freier roirb ber
überfommene (Stoff 00m 3)idjter bef)anbelt, befto mcf)r bringt ba§
£mnfd)e, *ßoettfdje oor unb mobernere 9lnfct)auung ein.
$)ie ©age oon .&ergog ©rnft lef)rt am fidjerften. Äaifer Otto
f)at feinem aufrüfjrerifdjen ©ruber £einri(t) oerjte^en auf gürfpradje
feiner HHurter 9flatf)ilbe ; im ßiebe ^ct&t ber Slufrüfjter ©rnft, ber
in 98af)rf)eit 100 3ar)re fpäter lebte unb ßb'nig ßonrab be§ II.
©rieffofm mar, unb ben tarnen 2lbelc)eib gab ber ©age Äaifer
OttoS aroeite ©atrin ; um 9tegen§burg r)at Otto§ ©ofm ßiutolf, nidjt
(Srnft, gefämpft unb fein fyinb mar #einridj : bie tarnen unb @r=
eigniffe breier über 100 Qaljre auSeinanberliegenben gef)ben finb
gu einem einzigen SBilbe äufammengefdnoeijjt. — 493 fyat $ieteridj
oon 93ern Qtalien erobert unb bi§ Ö26 gerjerrfdjt: bie ©age läfjt
ü)n am |>ofe be§ alten $unnenfönig3 @t$el roeilen unb oon ba aus
gen Italien äieljen, obrooljl btefer fdjon 453 geftorben mar. 435
finb bie üöurgunber um 2öorm§ oon ben fmnnen oermdjtet, aber
ba§ Sieb läfjt fie mit 3)ieteridj oon S3ern gufammentreffen. —
#f)nlid) ift§, wenn in ber 3lia§ neben 9ld)iÜ, 9lia§, 9Jlenelao§, §eftor,
*ßari§ frembe unb jüngere ©agenfjelben erfetjetnen, nrie Sßeftor, 9ln*
tilod)o§, ©laufoS, ober gar ber |>eraflibe £lepoIemo§ oon 9tf)obo§
unb ber Sltljener SJleneftrjeuS. 3)iefelbe Gfrfdjeinung beobachteten mir
an ber „fjiftorifdjen 9tooeHe", bie ebenfo unbekümmert um bie ge=
fdjicrjtlidje 9Göar)tr)cit unb Sftöglidjfeit ihre ßieblinge neben einanber
unb gu einanber in SSe^ieljung fetjt. ©0 ber ©ängerfrieg auf ber
Söartburg, fo bie Sftooellen oon ben fieben Söeifen ©riedjenlanbS,
bie biefe gu einem Sftafjl oereinigen ober fie neben $roifo§ ben
ßnberfönig fteHen. 3öte natürlich biefe Ijarmlofe Öefjanblung ber
©efd)id)te ift, ^etgt ein föftlict) SBeifpiel, baS mir Dr. grit}fdje=©tej$en
au§ eigner ^Beobachtung mitteilte. CSr l)örte 1892 in einer berliner
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Söeifcbierfneipe fidj $rofd)fenfutfa)er über bic Königin ßuife unter=
rjalten unb bic 3 ra 9 e Wörtern, roeffen ©emaf)lin fie geroefen fei.
|>in unb fjer ift geraten roorben, ba§ 9Ua)tige roufjte SWemanb, balb
aber l)at man fict) geeinigt: „fie mar bem ollen Qxi^tn feine grau.*
S)ie beiben ßieblinge be§ SoffeS, bie einigen älteren «ütttglieber
ber ÄönigSfamiUe, bie eS roirflidj fennt, roeil fie in feinem ^er^en
leben, fie gehören natürlia) jufammen: ber befte ®önig r)at aua)
bie befte Königin gerjabt.
(Sine anbere auffällige @rfa)einung ber ©age ift ba§ ftetige
Surütfroeidjen be§ gefd)id)tua>n £era§. 21ud) barüber r)aben uns
fdjon bie gefd)id)tlia) fontrottierbaren ©agen mm $erjog @rnft unb
Sllejanber bem ©rofeen belehrt. 9Ud)t anber§ bie Sftibelungenfage :
bie 95ernid)tung ber Surgunben burd) bie $unnen ift feftgeljalten,
aber in ben ^intergrunb gebrängt bura) bie poerifdje üftotioierimg,
bie mit £ilfe ber i§r fremben ©iegfriebfage roie eS fajetnt fajon im
9. 3f). erreidjt mar, ba fie beibe frfjon oerbunben am @nbe beSfelben
nad) 3§Ianb gebracht roorben finb <5§ ift n>at)rUd) nia)t unbe*
greiflia), gumal roenn man ben eifrig gehüteten $>elbennu)m ber
SBurgunben bebenft, roie bann roeiter eben biefer ooetifrfjen 9Roti=
oierung bura; ßrimt)ilben§ 9ftad)e au ßiebe ba§ fyiftorifdje SerrjältniS
aerabegu umgefef)rt roerben tonnte unb bie SBurgunben bura) fie
an ©fcelS §of gelotft, bort ftatt in SSormS bura; bie ßift itjrer
©djroefter, ftatt bura; bie übermalt be§ alles nieberroerfenben #unnen=
fturmeS tf>r ©cfjitffal ooHenben mußten, ba§ bie ©efdjidjte ifjnen
gegeben. — ©benfo ift im Siebe oom „©trit cor ftabene" bie (Sr=
innerung an ba§ große gefa)ia)tlicfje @reigni§ ber ©rünbung be§
italifa)en OftgotenreirfjeS bura; £fjeobertd) nur nod) bura) feinen
(Sieg bei föaoenna im 3far)re 493 lebenbig, beren OrtSbegeia^nung
fogar feftgetjalten ift, obgleid) ber Sefiegte Oboafer bura) ben fagen*
berühmteren ©rmanria) oerbrängt ift; aber biefe ©d)laa)t felbft ftef)t
an ^ntereffe roeit gurürf hinter bem rein poetifdjen SJlotioe, ba§ ba§
Sieb be^errfa)t unb it)m bie fünftlerifdje ©efdjloffentjeit gibt, bem
ÜRorioe oon ben jungen ©ö'Jmen @fcel§, bie unter $)ieterid)§ @a)u£e
mit ü)m sieben, oon itjrem £obe unb ber 23erfÖf)nung ifjrer Altern
mit bem fdmlblofen fiegreid)en $ieterid), ber fein eigen ßeben jur
©ütjne bietet. — 2)ie $lta§ feiert nia)t bie Eroberung ^lionS, ba§
gefa^ia)tlict) 55ebeutfame, fonbern bie kämpfe um biefe S3efte unb
') 93gt. aud) ben Sluffatj oon ©eorg ©Ufert „SBet roar ©iegftieb?" in
ber Seilage gut (9Künd)enec) ungemeinen 3«tung 1906, 9k. 32/33.
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— 32 -
um baS ©djiffslager ber 2ld)äer. Überall im einzelnen roie im
ganacn brängt ba§ $ßoetifd)e, baS allgemein 5Dtenfd)ltd)e oor. 2)ie
enblidje 9Heberlage bct Sroer, bie burdjauS bte Anlage beS ©emälbeS
unb btc (Stimmung befjerrfd)t, foH motioiert roerben: beSfjalb bct
«Raub bct #elena unb bct Sörud) bc§ @aftred)t§, be§l)alb bct ©djnjj
be$ ^anbaroS unb bct SBrudj bct @ibe, be§l)alb bet 93etrug tpofci*
bonS burd) Saomebon, beSIjalb baS Urteil bc§ $ari8; anbrerfeitS
nimmt bic SUcotioierung bc§ ©iege§ bet Sroer unb it)rer ^urürfroerfung
einen bteiten föaum ein burd) ben ©roll 5ldjiff§, ben oergeblid) in
fernerer 9tot eine ©efanbtfcfjaft ju befänftigen fudjt unb etft be§
«ßatroflo§ $ob aufgebt. #eftor§ 2lbfcf)ieb, bic £lage um feinen
$ob, bie ßöfung feinet Setcfje, bie ©eftattung be§ $atroflo§, bic
SBaffenfdjmiebitng, #crrlid)feit übet §errlidj!eit, abet freie $)ia)ter*
erfinbung, bie bie gefa)id)tlidje ftunbe roanbelt, oerbeeft unb oer*
fdjönt wie @pl)eu unb 9tofengefd)linge ba§ alte ©emäuer einet
oerfaUenen 93urg.
©o roitb bic ©age ouSgeftaltet butcf; ben immet me^t Ijer*
oortrerenben 2)tang, ben ©agenftoff poetifd) frei $u formen, burdj
SDcotioierung bet gefcf)id)tlia)en ©cfctjeljniffe unb Steigerung bct
einfügen gef(f)icf)tlidfjen *ßerfönlid)feiten gu Stnpen. *flod) mef)t
abet gefd)iel)t baS, ja fie roitb gelegentlid) gang umgeftaltet burd)
ba§ 5lnnmd)ern frember, freifd)toebenber ÜRotioe bet 9cooelle unb
be§ 2ftärd)en§. Söir fjaben biefe ©rfdjeinung fennen unb roerten
geletnt an gefd)icf>tlia)en giguren bte in bie jüngfte &it unb an
l)iftorifd) fonttoHietbatet ©age. ©ie mufe fid) atfo ebenfo an bet
ätteten ©age nacfjroeifen laffen. 3n bet $at ift ba§ möglidj. Sin
mannen ©agen, bie roir in mef)teten gormen fennen, lägt fid)
aeigen, nue bet £elb aUmäfjlidj immet f)öf)er übet ba§ ©emein*
menfcf)lid)e ^inau§gel)oben roitb. Qn bet Qlia§ ift Slcfjill urfprünglidj
nut bet geroalttge Äämpe, niä)t anberS n>ie bic anbern, nut ftärfer,
flilmer. 3n einem jüngeren Seil roirb er fdjon mit Staffen au§*
geftattet, bie ber ©ort #epl)üifto§ felbft gefd)affen, unburcf)bringlid)
natürlich für 2Renfcf}enfpeere. 2lud) ba§ genügte nidjt met)r : fpätere
©age f)at xf)n unoerrounbbar gemadjt, aber, ba er \a bodj gefallen
mar, im Kampfe mm ^aris unb SlpoH getroffen, fo muffte eine
©teile bleiben, an ber er fterblid) mar. ©benfo iff§ ©iegfrieb
ergangen: feine Unoerrounbbarfeit burd) S3ab im ^rad)enblut ift
nur eine Steigerung feiner ^elben^enlid)fei»t in§ Sßunberbare, unb
aud) er mufete ein ftletfdjen ^aben, an bem er fterblid) blieb, roeil
eben fein £ob feftftanb. $lf)nl\$ 2Releager: Horner fennt i^n nur
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- 33 -
als gelben rote jeben artbetn, fpäter ober in anberem Greife ift er burd)
ba§ SDtärdjenmotio oom „oerborgenen fieben" intereffanter gemalt, un*
oerrounbbar für aHe, $u töten nur oon bem, ber ba§ @er)etmm§ rou|te
unb baS ©ajett oernirfjtete, an bem fein ßeben r)ing 2>ie 3ugenb*
gefrfjitrjte be§ gelben ift'S gerabe befonberS, roie in biefen brei ftällen,
bie bem ÜJtärcrjen anheimfällt. SHatürlicr). $)enn oon be§ 9Hanne§
Säten fingt baS £elbenlteb, oon ©ieg unb $ob. <£rft ber fo be*
grünbete föurjtn legt ba§ Verlangen nar)e, über ba§ ©erben be§
gelben gu erfahren, $er ©änger mufe feine £örer befriebigen: er
erfinbet, roa§ er nitfjt roeifj, bie freifa)roebenbe Sttaffe ber 9Jlärd)en
gibt ben ©toff. 9ld)ill3 ßefjrjafjre beim ßentauren ©fnton t)at an
Qafon (#efiob fg. 19 9fy.8) eine Dublette unb är)nlicr)e§ erjagte man
oon £erafle§. ©iegfriebS 33orgeftf)ia)te ift parallel.
@ine§ ber beliebteften, in oielen ©agen oieter SJölter roteber*
fefjrenbe Sttotio ift ba§ au§ ber @efcr)icr)te oon ^ofepf) unb *ßotipf)ar
am roeiteften befannt geroorbene oon ber oergeblictjen SBcrfutfmng
be§ reinen Jünglings burd) ba§ Söeib feines ©aftfreunbeS ober
Herren unb it)rer Sftadje burd) bie ßüge, er r)abe fie oergeroaltigen
rootten. 9öir finben e§ roieber in ben ©agen oon 93etIeropf)on unb
tttnteia ober ©tf)eneboia, oon *ßeleu§ unb Slftgbameta, oon £tppolot
unb ^Ijaebra, roo e§ auf bie ©tiefmutter be§ gelben übertragen ift,
unb fo fpielt e§ im SWärdjen aller Herren fiänber eine nid)t geringe
föolle: ^anäer, £Ube=@ubrun ©. 256 ^at einige für ba§ ©olbener*
.^an§«2Jlärd)en gufammengeftellt.
$ie böfe ©tiefmutter, ein ßieblingSmotio be§ 9Härdjen§, be=
gegnet in ber ©age oon 9tyri£o§ unb £elle. Unb in ben ©agen
oon ftafon, ber oon Rönig $elia§ gefdncfi roirb, ba§ ferjarf behütete
golbene SSUefe au holen, oon S3eHeropl)on, ben $önig QobateS in
bie gefät)rlidjften Abenteuer frfjtcft, oon #erafle3, bem @uruft^eu§
immer fdjroerere Aufgaben ftellt, erfennen roir leicht ba§ beliebte
aflärdjenmotio oom böfen £erm, ber ben jungen gelben r)eimtütfifd)
nerberben null, orjne fictj bod) felbft mit feinem 53 Iure gu befielen.
©erabe aud) pr)antaftifä)e rounberbare Qü$e finb e§, bie bie
©age irjren gelben hinzufügt, eben roeil fie fie liebt unb fie immer
r)ör)er fteigert, in übernatürlicher Steife auSftattet unb fdjliefclid) alles
leiften Iäfet, roa§ je ein #elb ©rofee§ getan. $a ift ba3 SSunber*
ro|, ba§ fein fterblid) 9£efen ereilen fann. $>ie ©eftalten ber $lia§
*) 5JflL Äauffmann, ©alber, Xerte unb Unterfud)imaen I, Strafe»
bürg 1902, 6. 164 ff.
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— 34 -
roaten $u ftülj gefeftet, als bajj betattigeS größeren dHnflufj auf
bie Sagenbilbung f)ätte geroinnen fönnen; bod) fehlen bie gött=
Itdjen tRoffc nid)t, roebet bem 3ld)iU nod) bem Lineas, ©töjjer
fdjeint bie Atolle be§ SSunbettoffeS 2ltion in bet Sage bet Sieben
gegen Sieben geroefen ju fein, tlber in bet Söelletoplionfage ift
bei ^ßegafuS ein $auotftücf. 3m 2Jlittelaltet ift baS SSunbettofc
fef)t beliebt unb roitb Dielen gelben gelegentlid) beigelegt, 93. audjj
Äatl bem (Stögen; befannt not allem ift ba§ Sftofe ©anatb bet
^aimonSfinbet geroorben. @S ift ein Söanbetmotio, unb fo Ijat e§
benn aud) ba§ Sttätdjen benu^t 5. $8. meljrete gaffungen beS „©olbenet
#an§" unb in Xaufenb unb einet 9lad)t. *) Qn bet Jfauftfage teitet
bet Teufel bie 3aubetpfetbe, unb fein äßiroetmantel, bet im Slugen*
blief ü)n übet bie SBeiten ttägt, ift bod) nut eine anbete gotm beS
SBunbettoffeS, roie aud) ba§ 9ßunfd)ljütlein be§ 3?ottunatu3. — SllS
tedjte §elbenptobe ift roeit oetbteitet bet &f mit bem 3)tad)en.
3tpollo tütet ü)n an bet Otafelftätte gu 5S)eLp^i, ÄabmoS am Chiell
Bei Sieben, £etafle$ am letnäifd)en Sumpf, Qafon am SBaum, ber
baS golbene SUiefj trägt, Siegftieb als ben Rittet beS Sd)a$e8.
Oft ift bet 2)tad)entamnf aud) oetbunben mit bem ßtebeSmotio:
bet §elb befreit ein liebtet^enb SÖeib au§ feinen flauen. So SßetfeuS
bie Slnbtomeba, £etafle§ bie $eftone, unb in 2ftätd)en un^ärjuge
gelben. QnS ©r)tiftlid)e umgebilbet, etfd)eint et in bet ßegenbe
00m ^eiligen ©eotg feit bet 3"* &et ßteu^üge. Unb roie an ben
rittetlid)en ^eiligen, fo tjat fid) biefet Sagengug aud) an Sagenr)elben
angefetjt, beten Sßetfönlid)lett butd) gef(t)id)tlid)e Übetliefetung feft*
fterjt : $ltbafd)it bet ©tünbet beS Saffanibenteid)e§ im 3. 3$. n. &fyt.
ift fdjon um 600 flum 2)tad)enfäm©fet ootgetücft *) unb bietend) oon
SBetne §at gat eine gange SReilje oon $rad)enfäm»fen auf fid) nehmen
muffen.
* *
III. 9ttotr)U§.
Unoetmutet roaten roit 00m 9Rätd)en in bie §elbenfage ge*
tommen, unoetmutet finb roit nun bei ©örtetmotlmS angelangt
3)en $tad)entamnf mu& ©ott SlpoU fo gut befreien, fid) feine rjeüige
Stätte $elpr)i a u erobern, roie ßabmoS um fctjeben ju gtünben,
unb 3afon, £eiafle§, Siegftieb um ben Sdjafc $u r)eben, unb bie
*) j. 99. ©ef$id)te ber brei Äalenbet I, S. 99 bet Übetfefcuna von ©uftao
SBeü, unb ©efd)td)te btS 3&ubetpfetbe3 I, 6. 338.
") Wbttt, ©tunbttfe bet itamföen Wlolotfe II, €. 136.
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— 35 —
ungültigen, um bie Qungfrau gu befreien. Unb baS SSunberrofj,
fca§ gottgeliebten Reiben bient, reitet aud) ber Teufel, ber benn bod)
u>ohl Slnfprud) ergeben barf, in ben ®öttermnthu§ eingeteilt gu
roerben. $lber notfj mer)r. Qft benn niajt £erafle§ ein ©ott? ber
KSötterfofm, ber bie @rbe gefäubert oon Ungeheuern unb in flammen
hinaufgefahren ift gum OlnmpoS, roo er mit ben feiigen ©öttern
■an ber ©eite $ebe3 ber ewigen $ugenb lebt, ber fo roeit ©rieben
UJof)rtten göttlia) r»erer)rt rourbe? Unb in 5labmo§, SßerfeuS, S3ette*
roptjon t)at man längft alte ©ötter, oielletdjt Dort)ellemfd)e, erfannt.
4?ingu brängt bie unüberf eßbare güHe ber SBerfudje, bie gange gelben*
jage faft, griednfdje wie germanifdje al§ „gefunfene ©örtermnthen" gu
•erroeifen. ©tegfrieb follte ein (Sonnengott fein ober ber grühltng unb
%r)ill am Gimmel ftatt im irbifdjen £roja nia)t um Helena, ba§ fdjöne
tEBeib, fonbern um bie 2Wonbfur) fämpfen. 2ln ben §immel mürben fie
uerfe^t, bie lebcn§fcften Qrbifttjen unb ber ßampf gnrifdjen 5Jrür)ling
unb Söinter, 8iä)t unb 3finfterni§ follte in ungärjUgen SBariationen
mieber unb roieber oon ben oerfa)tebenften SööKern geftaltet unb
fa}tie|liä) auf bie (Srbe hcrabgegogen fein. 3)od) bic§ Seftreben, bie
Sage auf SJtajthen unb groar urältefte einfadtfte SRaturmuthen gurüd*
zuführen, f)at feit etlicher Seit feine merbenbe ßraft oerloren. 8lu3
Dielen ©rünben. @ct)on feine Unfrudjtbarfeit machte bebenllitt), feine
innere Unmar)rfd)einlichteit trat beutlid)er r)eroor, als man ben 93lirf
uidjt me^r bloj auf baS Qiel, fonbern aud) auf ben 2öeg ridjteie
unb Ieidjt roafjrnahm, bafj man über Älüfte unb Sümpfe fiet) t)iu*
Toeggetäufcht tyxtte, bie roiffenfd)aftlia)e gorfdjung nodj lange nidjt
,gu überroinben oermag. 9Kit bem £raum, bie inbogermanif$e
Urfpradje unb Urfultur refonftruteren gu tonnen, fiel aud) fein
jüngerer SBruberrraum, bie Urreligion unb bie Urrnnttjen roieber gu
«jeroinnen.
9Ber bie §elbenfage als uralten ©öttermntr)u§ anfprid&t, ber
r>ern)irft bie eingigen §anbr)aben, bie fie roiffenfd)aftlia)cr ©rfenntnis
^uniutjft bietet: ir)te Änlnüpfungen an beftimmte Orte unb tarnen.
Sgx läfct ben ©patjen au§ ber #anb, um bie Eaube auf bem 2)acfc)e
#u erjagen, gür eine nidjt {leine 9ieu)e oon §elbenfagen ift it)ce
33erbinbung mit gefdjidjtltdjen Xatfadjen, Orten unb Sßerfonen unoer=
lüdbare Sätfadje. $a roir haben an $Ueganber bem ©rofjen, ©ergog
<£rnft, bietend) oon JBerne gefehen, nrie fidj ©djritt oor ©djritt ü)re
t>oR$tümltd)e Überlieferung oon ber gefdudjtuajen 2öaf)rl)ett entfernt
unb fie fdjlie&lia) mit ißhäntafttt umgibt fo auSfdjroeifenb, bafe man
behaupten bürfte, eS fönne SlleranberS unb 3)ieterid)§ 928irflttt)f eit
3»
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bezweifelt unb geleugnet werben, Ratten wir nicht zufällig über
fie bie g ef d^ic^tlic^en ßeugniffe. 2öa3 berechtigt, analoge ©ebtlbe
oerfcfjieben ju bet)anbeln? ÜRibelungenlteb unb Slia§ finb unoer^
gleiöjliö) realiftifcher als fo oiele ©agen oon 3)ieterict), bem grofeen
Äarl unb Sllejanber. Unb gerabe bie phantaftifchen Qüqz, bie gern
Zur mntf)ifä)en Deutung bemttjt werben, finb, nrie wir gefchen, nicht
feiten 3 u ^ a ^ en » löfe angefeijte 9Jlotioe, bie überall unb nirgenb§ 51t
{taufe waren unb finb. Qebe§ berarrige 2ftotto ber ^elbenfage, wie
ber 3)radjentampf ober baS SGÖunberrofj unterliegt fcfwn allein be§*
^alb, weil e§ t)äufig in ©age unb 9ftärdjen erfajeint, bem 93erbachte r
bafe e§ nicht urfprünglidj ber einseinen ©agengeftalt al§ ©igentum
angehöre, fonbern eine Qutat au§ bem SDiärcfjenfchatje fei genau
wie in ber In'ftorifdjeu Sftooetle unb Slnefbote.
£ro|jbem aber glaube id) aud), bafe zweifellos mntl)ifö)e .ßüge in
ber @age oorhanben, ja baf$ auch gewiffe #eibenfagen al§ UTfprüng=
ltdje ©öttermuthen anzuerkennen finb. $er 93ewei§ muß in jebem
einzelnen ftaüt geführt werben unb wirb zu allgemeinem 93eifaU
fdjwer nur ober faum je geführt werben fönnen. 916er bie 9ttög=
licftfeit biefer Gcntwicfelung läjjt fid) flar oor 5lugen legen. 9Jlan
brauet nur bie ÜDlnthen be§ $)ionnfo§, Slpollon, 3 eu § 8 U über*
benfen ober be§ £f) or ober DfiriS. (Sie finb oielfad) fo menfa)liö>
au§geftaltet trofc ber oielen Übernatürlicf)feitcn, bafc fie fid) oon fo
mancher $>elbenfagc im wefentlidjen faum untertreiben, ginben
wir bodj in ben ©öttermntfjen bie an ber £elbenfage beobachtete
@igenrümlia)feit ganz ebenfo wieber: ba£ 9lnwudjern oon
f rem ben 9Jlotioen. $>iefe aufzuzeigen unb abgulöfen ift für bie
Slnalofe be§ ©öttermothuS wie ber £eioenfage bie erfte gorberung
wtffenfchaftlicher ftorfcfjung.
2lm beutlichften jeigt fidfc) bie (Srfcheinung wofjl an ben ©e*
burt§gefd)icf)ten mancher ©otter. Qhre ©eburt erfdjmeren wibrige
©cwalten. ßange mufj bie fdjwangere ßeto eine Stätte fudjen, wo.
fie Slpoll gebäre, unb als fie fie enblidt) gefunben, hält neun Sage unb
neun Nädjte #era bie ©eburt gurücf. ©benfo geht e§ ber Sllfmene,
al§ fie ben §eratte§ gebären foll. tiefer Qug ift fo wenig für ben
einen wie ben anbcrn wefentlid). $ie Giferfucf)t ber §era gegen
ihre Nebenbuhlerin wirb fo gezeichnet, ein rein poetifct)e§ Sftotio,
ba§ in allen 6agen, 3ftärd£)en, ©efctjichten eine unüberfef)liche Stolle
fpielt, weil e§ im Sflenfdjenleben begrünbet ift. $>em faum @e=
borenen werben Nachftellungen bereitet: ben f leinen £eu§ will ber
SSater ßronoS freffen, ben $>ionofo3 £era oernichten, bem #crafle§
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fdjitft fie ©djlangen in bie Söiege, um QefuS $u töten roirb bct
1öetf)lef)emitif d)c föinbermorb angeotbnet — aber ba§ göttliche $inb
roitb gerettet. Oft wirb e§ in ber Verborgenheit aufgejogen: $zu8
in ber bittäifct)en §öl)le, 3)ionnfo§ in Üftrjfa, QefuS in tögnpten.
$a8 Sinologe ift ein beliebtet 3Jlotio ber #elbenfage. $)ie 2lu§*
feijung be§ jungen §elbenfinbe§ unb [ein 5lufn>acf)fen im Verborgenen,
rrne nrir'3 an ßrjroS, föomuluä unb 9temu8, $elepf)o§, ^5ari§ fennen
•gelernt. — 28ie $erafle§ fdjon in ber 3Biege firf) burd) bie ©anlangen*
roürgung al§ £>elb beroäf)rt, fo gerreifjt im #omerifa)en $nmnu§
"Slpollon, eben geboren, als er mit ÜHeftar unb 9lmbrofia geftitlt mar,
feine SSinbeln, fpringt auf unb forbert jjum (Staunen ber ©öfter
<$ü§ara unb Sogen; fo friert §erme§, nod) ein Söinbelfnäblein,
feinem göttlichen SBruber bie ^errlidjen Stinber 1 )- — Unb roenn Stpoll
"burd) Söotien gteljt unb bei $)elpf)i ben $)ratf)en ^3rjtt)o beftel)t unb
erfdjlägt, \o ift bie ©djilberung fdjon im §omerifd)en #mnnu§
berart, bafe fie roörtlid) ebenfo auf irgenb einen menfd)liä)en Reiben
unauffällig übertragen roerben fönnte: hinter S)ieteriö)§ 2)rad)en=
fämpfen aber ftet)t ber ©ort gurüd.
(53 ift, meine id), ftfjon au§ biefem Sßenigen beutltd) geroorben,
1>aj$ in ben ©öttermt)tf)en felbft md)t unbebingt jnringenbe 9Rerk
male oorljanben finb, fie oon ber $elbenfage unterfdjeiben, bag
fie alfo leicf)t unb unbemerft, fobalb bie ©öttlid)feit it)rc§ $räger§
in 93ergeffenf)eit gerät, „aur ©age berabfinfen" muffen. SÖiele
SMebeSfagen be§ 3 eu $ roerben unter biefem ©efidjtSpunft oerftänb*
ltd). $o, $)anae, Europa finb einft ©öttinnen geroefen, ujre gött 5
Iid)e Sßerefjrung hatten fie eingebüßt, aber in ber Erinnerung lebten
bennod) tr)rc Flamen unb geroiffe mit ihrem SÖefen oerbunbene
töorfteHungen fort, unb mehr unb mehr fpielte nun bie freibilbenbe
<5age mit biefem @rbe, nidjt anberS roie mit ben Warnen unb Säten
-einftiger gewaltiger 9ttenfd)en.
tlnb roie in ber ^elbenfage bie §iftorifa;en Ortsnamen nid)t
meniger ^ätje haften, als bie ber ^erfonen, fo ger)t e§ audj in ben
Uftothen, roeil biefe einftigen ©öfter nidjt überall, fonbern nur in
befdjränften ©ebieten, an beftimmten Orten oerehrt roorben roaren
l ) @benfo läfet baS apofrt)pl)e Ch>angettum Infantiae Christi ben &eU
lanb in ber SBiege reben unb SHunber tun (ftp. 1 unb 3). <£§ ift ganj r»oß
von allen möglichen aMrcf)enmotioen. Sogar ber ©feliuenfct) rcirb ootn
XStjriftfiub surucfoerroanbelt unb heiratet aum San! bie freunblidje, aud> von
biefem geseilte Vermittlerin. $en §mroei§ verbaute iaj meinem ftollegen
SBünfcf).
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unb nur bott i^rc Erinnerung haftete, ©o fonnte eS aud) gefcf)ef)en r
bajj ein folcfjer urfprünglictjer @örtermr>tf)uS bie Erinnerung an
ge[d)id)tttd)e Ereigniffe aufnahm unb feftljielt: man oerbanb näm*
lid) bie oerfdjiebenen Orte, an bie ein weiter unb weiter gebrängter
(Stamm ben ßult feines ©otteS mit fid) geführt t)atte, burd) eine
©efd)id)te, bie ben oermenfcr)liif)ten ©ort hier geboren, burd) ©d)ictv
fale oertrieben unb baf>in unb borten manbern liefe, ©o wirb-
g. 33. 93eHeropr)on — mit bem ©Ötterroffe ^egafoS ungertrennlicr)
oerbunben, alfo ein ©ort — oon MrgoS nad) ßofien burd) eine
reid) auSgebilbete ©age gebracht, roeil fein &ult unb beffen Präger
biefen 2öeg garten maa)en müffen, unb für biefe ©age finb bona
befanntefte SKärdjenmorioe benu^t: er läbt unfreiwillig 93lutfd)ulb-
auf ficr), um gu *ßroitoS nad) 5lrgoS gu gelangen, bort finbet er
eine *ßotipf)ar, ein UriaSbrief geleitet ü)n gum ftönig oon Sofien, ber
ü)n r)eimtücfifcr) in fd)limmfte Slbenteuer fenbet, bie er aber alle be*
ftefjt, unb fo wirb er fd)tiefelid), als offenbarer ©otteSfdjüfcling er=
fannt, gum ©d)miegerfof)n erwählt.
ES ift flar, bafj auf fold)e Söeife ein urfprünglid) göttlidjeS-
Söefen gum Präger einer f>iftorifcr)en Überlieferung werben fann r
bafj fid) bie Erinnerungen eines ©tammeS an feine SSanberungen
unb ©d)icffa(e nicberfcf)lagen !önnen in entfprecfjenben ©efduchten,
bie als perfönlidjeS Erlebnis if>reS SRepräfentanten, it)reS ©otteS
ergäbt werben. 3)iefe Erfdjeinung fommt in ber griedjifdjen ©age
wot)l befonberS ftarf gur ©elrung. ©ie ift aber natürlid), weit
überall nachweisbar bei benj[enigen SBölfern unb ©tämmen, beren
^Religion gugleid) ber Inbegriff i^reS SBottStumS ift, beren ©ort
if)nen obranfämpft, mit üjnen fiegt ober unterliegt. 3lm Qubenoolt
unb Qubengott. an 93abel unb feinem ©ort Sftarbuf tonnen wir baS-
gut ftubieren. $)ie ©efd)id)te QSraelS ift °i c ©efd)id)te ^efjooaS.
Ebenfo fteeft in ber SBeUeropljonfage bie ©efd)id)te ber SBanberungen.
feines ÄulteS, b. t). beS ©tammeS, ber ifm oerer)rte. 3ld)iII, $linetaS r
OboffeuS unb wol)l oiele ©eftalten ber gried)ifct)en $elbenfage bürfteit
ä^nlicr) aufguf äffen fein. $>afj bei 9ftancr)em wenig ober aud) gar ntd)t&
auf bie urfprünglidje übernatürliche 28efenf)eit weift, ift wof)l be^
greiflid) bei feiner Entwidmung gum Präger einer wirflicfyen ©e»
fcf)icht§überlieferung. SlnbrerfeitS finb aber, wie gegeigt, übermenfd)*
lid)c $aten eines gelben burd)auS nod) nid)t SBemeiS für feine
urfprünglidje ©öttlichfeit. Einbringenbe Unterfucfmng jebeS einzelnen
3ugeS bei jeber einzelnen ©eftalt unter bauernber SBergleidmng mit
anberen 2flrjtfjen, ©agen, 9Jlärd)en mufj bartun, ob er wirflid) gum
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- 39 —
Söefen be§ 93etreffenben gehört, ober ob er oon Slufjen entlehnt
feinem S3übe 311t SRunbung unb SBerftätung Ijinaugefügt ift. (So
bürfte oon ber $erfeu§fage gunäcfjft gu ftretd)en fein bet ^radjen*
fampf unb bie (Srlöfung bet 9Inbromeba, ebenfo in bet #auptfad)e
obet gang unb gat bie ©eburtölegenbe. $enn jenes ift ein 2ltter=
roeftSmotio, ba§ eine engete SBcjieljung ju $erfeu§ nid)t aufroeift,
unb biefe §at auf it)n bie jungfräuliche ©eburt übertragen, roie nur
fie aud) bei 9tomulu§ unb 9temu§ unb bei fo mannen anbeten
gelben unb ®otte§föf)nen finben. $n§ 9fteer roirb ba§ ßnäblein
^etfeuS geroorfen, mit feiner 9ftutter 3)anae in einen haften ge=
fdjloffen, roeil ba§ bie ©träfe, otelme^r (Süt)mmg be§ 23atermörber§
mar, auf ir)n, ben geroeiSfagten SWörber feines 9U)n§, unb feine
äWutter in ber (Sage gleiä) nad) ber ©eburt angeroanbt, roie aud)
in einer Raffung ber DibipuSfage. $ie 2lu§ftattung be§ Herfens
mit ber unfi(t)tbarmad)enben ßappe ift roieber ein Quq, ben er mit
anberen teilt, roie mit (Siegfrieb unb nitfjt wenigen 9ftärd)enf)elben.
So roirb fid) mancfjeS oon feiner (Sage ablöfen, aber e§ bleibt
fein $ampf mit ben ©orgonen unb bie Überroältfgung ber SRebufa.
$>a§ ift erroa§ ©inniges, nur ilnn (Eigentümliches, ba§ roirb alfo ber
mr)tl>ifcr)e ftern fein, um ben fid) alles anbere nur fjetumgelegt f)at,
batuntet nidjt roenige§, ba§ an fefte ßofale unb (Sagennamen ge«
fnüpft ift, unb be§f>alb befonbete (Etflätung oettangt.
Söte bie SIbfonberung ber poetifd)en gutaten unb ber 9ftärcr)en=
motioe oon ber §elbenfage biefe U)re§ Steiget beraubt, fo gef>en
aud) bie 9Jtrjtf)en oielleid)t be§ Slngtefjenben oerlufrig, roenn man
iljnen bie 9ftätd)enmotioc abgießt, um ben mot!nftt)en ßetn blofc
gu legen. Qn etngefjenben (Erörterungen r)at biefe fefjr normen*
bige unb roicfjtige Untetfucrjung griebricr) 0. b. ßeoen 1899 an
ben SJlrjtfjen ber (Ebba begonnen 1 )- (Sie mufe an allen 9Jh)tt)en
Durchgeführt werben. (So oieleS jroeifelhaft bleiben roirb, fo ferjr
roirb fie bodj ben 2öeg gur JJorfdjung öffnen unb ebnen.
3>ura) bie§ 33crfaf)ren roerben bie @ötternu)tf)en noer) fel)r oer*
ringert roerben an Umfang roie an Qa\)L <Sinb fie bod) fdjon im
33ergleid) gur §elbenfage erftaunlid) Dürftig. 3öa§ erjagen fie benn?
kämpfe gegen Titanen unb ©iganten, 9ttefen unb Ungeheuer, aud) gegen
einanber; bagu ©eburten ber ©ötter unb il)rc fiiebeSoeteinigungen,
(Entfernung unb 28ieberfer)r. (S§ ift eine nid)t grofee <Reü) c mrjtf)ifd)er
') ©crmaniftifdjc 9Xbt)onblungen, herausgegeben von SBemfjolb u. 93ogt,
XJU, ©. 121 ff.
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SBorftellungen in ir)nen niebergelegt über ba§ Söefen unb Söalten
ber ©ötter, tt)ren $ampf gegen feinblidfje Sßädjte. fjafyhdfytt finb
bie 9Dtrjtf>en, bie ba§ Sßerfc)ältni3 ber ©ötter gu einanber barftellen
ober erflären; aud£) biefe finb wot)l 3. £. religiöfer 9lrt wie bie
©öftereren, gum größeren £eil aber 93erfuct)e, ba§ tatfäd)licr)e Sieben*
einanber oon (Suiten gu erflären unb bie gatjlreidfjen ©ötter in ein
bem menftt)tia)en entforeäjenbeS ftamilienoerfiälrmS gu bringen.
9iecf)t lebenbig, runb unb inf)altretdj werben bie 9Jtotf)en aber erft,
wenn ber ©laube an it)re ©ötter wanft ober weidjt, unb fic werben
e§ buraj biefelben 2fltttel wie bie $>elbenfage, SUHrtel, bie met)r oon
außen genommen, al§ au§ ir>t felbft entmidelt werben. 3>a§ ift
wafjrtid) nidjt wunberbar, fonbern ba§ ©etbfroerftänbliaje. Qeber
©ort wirb geboren burrf) ben ©lauben, er lebt folange er geglaubt
wirb; er fieajt unb ftirbt, wenn ber ©laube weidjt unb aufhört,
@r bebarf feiner 9Jtötr)en, fein Söefen unb feine Sfladjt gu oerbeut«
lia>n unb ir)m ©laubige gugufüt)ren. @r offenbart für) burdf) feine
Söirfung, unb wer fic oerfpürt im ©uten ober 93öfen, ber fennt
ifm unb oeret)rt tt)n. @§ ift eine unbenriefene unb t)öd)ft unwahr*
fct)einlüt)e SBeljauptung, baß alle ©öttermnitjen an unb für fiel) ur*
alt feien, gür oiele wirb ba§ ©egenteil nötiger fein. @rft lange
nadfjbem ©ort unb ©ötter entftanben finb, ir)r (Sult fiel) gefeftet,
beginnt ber 9Jtenfcf) über ir)r <8err)ältni3 gu ir)rem Sßolfe, gur 2öeli,
gu einanber naajgubenfen, e§ gu erflären, unb ben ©ult, gumal
feine unoerftänbtidien Siegelungen fütj oerftänblüfj gu maäjen ober
boa; gu motioieren. 3)ie Religion f>at niajt bloß eine Söurgel.
3etifct)i§mu§, Sotencult, SRaturbefeelung l)aben alle gleidjeS 9tea)t.
©in ©tein ftürgt 00m SBerg unb erfdfjlägt einige Sttenfdjen: bie
glüefliet) ©ntfommenen oerefyren iljn, ba fie feine 9Jtodjt erfahren.
$em Söebba auf (Serjlon oerfdjafft fein $fetl, fein eingiger 99e=
fifc, ßeben3untert)alt unb fcpfct ilm oor geinben; ob er trifft
ober fef)lt, baoon tjängt beS ©cfjü^en 2Sor)l unb 2Ber)e ab, unb oft
genug fliegt er anber§, al§ ber ©ä)üfce gewollt: be§t)alb fudfjt er
bie§ SBefen, oon bem er abfjängt, fid) freunbliaj gu ftimmen, er
ftetft ttjn in ben Söoben unb umtangt it)n. $a§ ift bie eingige
(Spur einer religiöfen Segefmng, bie bei biefen Söebba beobachtet
ift ') : fie fennen weber $otencult noa) STCaturanbetung. @§ fann für)
ein 9Jtntf)u§ au§ bem ftetifdjiSmuS faum bilben, aber bie 95or=
!) $aul u. i$z\1$ ©arafin: (Srgebniffe natunmffenfd). ftorfd&ungen auf
©eglon III, 608 f. 91. S)tetcttd)# (ScflärungSoorfd^Iag in fetner roäljrenb be3
SkudeS erfegienenen w 2flutter ®rbe" 6. 16,9lnm. 1, fann i<$ mit mcr)t aneignen.
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fteHung, auf ber er beruht, bafj ©teilt unb tßfeil Icbcnbigc Söefen
feien, !ann man eine motljifdje nennen, unb bie finbet man in
jeber älteften Überlieferung unb im 2Rärd)en. $er Sotencult ba=
gegen bürfte oer§älrni§mäfjig frül) jum SRad)benfen angeregt faben,
reo unb rote benn ber £ote lebe. $a entfter)en 3ftntf)en, unb oor
allem in langer Dielfad) variierter SReifje ber eine 3Jh)tf)u3 oon ber
ber ©eelenreife, oon Überroinbung be§ SobeS unb eingeben
3um eroigen ßeben. ©o fteigt §erafle$ in bie Unterroelt rjinab,
bearoingt ben £>öllenl)unb, bringt in ben ©arten ber ©ötter unb
pfliirft bie gülbenen #pfel ber Unfterblidtfeit. S3on ben 9latur~
erf Meinungen enbltdj, au§ benen man fo gern bie Waffen ber ©agen
erHärte, finb $unädjft bod) rooljl nur bie abnormen Mnlafj ju re*
Itgiöfer S3eret)rung geroorben, roie ©eroitter unb SBlifcftrjlag, ©onnem
unb 9Jlonbfinfterniffe, ©eben ber (Srbe unb geuerfpeien. Sag unb
tttadjt aber, SBinter unb ©ommer roerben erft fpäter beobad)tet
unb mrjtfn'fd) erflärt roorben fein, roeil fie if)rer Sftegelmäfeigfeit
roegen com nicrjtbenfenben Sftenfcfjen al§ felbftoerftänblidj l)inge=
nommen roerben. 3)er 33lU3 fyat als foldjer religiöfen (£uli gefunben
unb ift in mef)r als einem mntf)ifa>n SBtlbe als 3öurfgefrf)ofe,
Jammer, fpringenbeS föofj für primttioe Slnfcrjauung oerftänblid)
gemad)t; bie ©eroitterroolfe ift bod) mof)l bie %iS; ©onne unb
Sftonb roerben oon böfen Untieren bebrof)t, ber ©ommer fämpft
roiber ben Söinter. ©oltfje motfn'fcfjen 93orfteUungen finb primitioe
©rflärungSoerfutfje, bie erften Anfänge ber 2öiffenfd)aft. ©ie finb
nielfad) SSeranlaffung für (£ultf)anblungen geroorben, bie fidj 3. % fyier
unb ba burd) afle Sioilifation unb ©Ijriftentum bis in unfere Sage
in SBolfSbräudjen erhalten §aben. $)afj fie ju mrjtljifdjen ©efd)id)ten
auSgebtlbet feien, ift eine SBerjauptung, bie beS SBeroeifeS fel)x be*
bürftig ift, unb fdjroerlid) in roeitem Umfange zutrifft. $)urd) foldje
S5eranfä)aulid)ung ift baS Naturereignis erflärt unb bie $ulfc=
tjanblung erläutert, roaS bebarf eS ba nod) roeiterer 93erfnüp=
fung unb SBegrünbung? $ie SJlöglidjfeit fretlid) ift ba. Slber
bie $)ürftigfeit ber Sftat^en legt bie Vermutung nalje, bafc fie nid)t
fo gar fjäufig benutzt fei. ßebenbige Religion bebarf eben ber
3Jh)tt)en roenn überhaupt, bann bod) nur in geringftem SHafje.
Slber biefe mt)tf)ifd)en SSorfteÜungen oon Sftaturereigniffen, oon
Belebung aud) beS ßeblofen, oon ber gatjrt inS QenfeitS burdj ben
$ob gum eroigen ßeben, bie im 9ftntf)uS bürftig entroicfelt finb,
f)aben fid) präd)tig entfaltet in ber #elbenfage unb im 2Jiarä)en.
9lu§ it)nen ift bie unüberf eßbare gülle oon pl)antaftifd)en ©efd)id)ten
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unb SRotioen entrotrfelt, bie aufammen mit ©djroänfen unb tnpi«
fd)en fcarftellungen allgemein menfä)lid)er <Stgenfd)aften unb SBer*
^ältniffc ben internationalen 2Rärd)enfd)afc bilben. ©o ift baS
3auberpfetb llärlid) baS ©eroirterrofj. 2öir r)aben geferjen, roie es
mit SBetteroptjon, bem urfprüngltd)en göttlidjen Leiter, als <ßegafoS
in bie ©age gefommen ift, t>on bet nun feine ©infangung unb
3är)mung unb feine fd)ltefjlid> gludjt jum Gimmel jutürf ausgemalt
rourbe, bie ben ©rieben notroenbig erfdjeinen muffte, roetl fie ben
99eHeropt)on nid)t als olnrnpifctjen ©ort fannten unb anbrerfeitS
<ßegafoS als baS ftofi, baS bem ßeuS „Bonner unb ©Itfc trägt",
nod) ^u StiUn beS £efiob (Srjeogonie 285), *ßinbar, @uripibeS
lebenbige 93orfteUung mar. ©djon biefe ©age t)at bie Sluflöfung
beS mntljifd)en JBilbeS begonnen, ßein Sßunber, bajj bann aua>
anbere gelben mit bem ©eroitterrofe auSgeftattet mürben unb fd)lie6*
litt) baS 2ftärd)en mit bem ,8 QU &erpferbe fpielt. ©benfo t)at ber
3)ra<r)entampf rooljl feinen llrfprung in einer mrjtr)iftt)en SBeran*
fd)aulid)ung, oermutlict) eines 9toturereigntffeS ; auöj root)I bie $arm
fappe.
9lnbere 9Jlärd)en unb SRärdjenmotroe finb aus bem ©eelen*
glauben unb ben motfnfdjen SBorftellungen oon ber gar)rt ber (Seele
hergenommen unb reid) auSgefponnen. 2lm @nbe ber Söelt jenfettS
eines grofjen SBafferS, über baS fein Sebenber fommt, ift baS SReid),
mo in ©laft unb ©lang bie #pfel ber Unfterblidjfeit glütjen unb
ber SBronnen ber etoigen Qugenb fprubelt. S9öfe SBefen unb fd)roere
©efar)ren Marren beS SBanbererS auf bem meiten Söege : nid)t jeber
©eele gelingt e§, in ben grieben unb bie ©etigfeit beS ©öttertumS
3U bringen, fo mantfje oerfällt ber 93erroefung unb bem SBergeffen.
fteujenftein r)at jüngft im Slrcfno für fteltgioii§rotffenfa>ft, VIII,
167 ff., biefen ÜJlnt^uS ägnptifd)er Raffung in einem bemotiftt)en
SauberpaprjruS foroor)l roie im fog. ^nmnuS ber ©eele in ben
$r)omaSaften nad)geroiefen, unb „fo augleid) bie ©inroirfung ber
ägnptifdjen religibfen ßiteratur auf bie 9tad)baroölfer unb mittelbar
auf bie früf)(f)riftlicf)e Unter^altungSliteratur unb baneben ben IjeuV
niftifd)en 2P»otr)uS in feinem Sufammenrjange mit SWärdjen unb $id>
tung" gezeigt. Sie oon ben %rjptcrn an §oru§, fo ift biefer
2ftr>tI)uS anberSroo an man(t)e anbere ©öttcr unb gelben ange*
fd)lojfen, ot)ne irgenb bem einen enger aiiaugepren als bem anbem,
ein SÖanbermotio roie fo oiele : aur ^eiligen @efd)idjte als txöftlid)e
©eroi&Bjeit bem ©laubigen rjaben ir)n religiöfe ©emeinfäjaften in
mannigfaltigen Umformungen unb Sredjungen erroärjlt; als SSorbilb
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ift et auf gelben, rote oießeidjt #etafle§, übertragen, ober er ift einfad)
al§ SRecfenftücf mandjem ßiebling ber ©age angehängt unb fdjliefjticr)
rein als pbfdje ©efdjidjte im ^ätdjen ergabt. Ufener Ijat 1901
im föfjeinifdjen 2Rufeum, 56, ©. 485 ff. an oter erlefenen SERärdjen
floroafifdjen, bänifd)en, frfjroebifdjen, oommerfdjen bie 3enfeit§faf>rt ber
(Seele in freien ofyantaftifdjen naioen Umbilbungen gegeigt. ©§ ift
biefe Deutung ebenfo einleud)tenb roie bie Unberou&tljeit ber (Srgä^ler :
einzig bie ftreube an Abenteuer unb Sßfjantafttf erhalten unb beleben
immer neu biefe fd)önen ©efct)icr)tcn com armen jungen, Dct
irgenb einem ©runbe an§ ®nbe ber 2Selt ober gur ©onne ober
in§ ßanb ber Sugenb gefdjjicft roirb unb alle gäljrlidjfeiten glüeflid)
überroinbet.
93on ©inaelmotioen au§ bem ©eelenglauben roiK idj nur Ijer*
oorf)ebcn bie ©eelenoögel, bie rounberfdjön fingen, ben SRenfcfjen flu
locfen unb gu oerberben; un§ al§ Sirenen au§ ben £>brjffeu§fagen oer=
traut, beren un§ oorliegenbe {Jaffung aber fdjon if)re urforünglidje
SSebeutung niä)t meljt gut ©eltung btingt 1 ). ©ie finb ba beteit§
al§ 9Jtäta>nmotio oerroanbt, fo gut roie ber böfe 9ftenfd)enfreffer
^olrjp^em, obet baS ßanb bcö ßotog, bet ^eglidjen, bet oon u)m
ifjt, $eimfeljt unb @efäf)tten oetgeffen madjt: oerfdjiebene Silber
nut füt ba§ eine unt)eimli<r)e, ben Stob.
* *
*
©o roäten roir benn com 9Jtotf)u§ au§ auf ©age unb Sftätctjen
gutücfgefommen. greüid) in üjnen beiben Ijaben roit 2Jlntf)en
roiebetgefunben, abet roit finb bod) nidjt ju bet alten Sluffaffung
gutücfgeferjrt, bie in ©age unb 2ßärd)en gefunlene Söigtfjen fa§. ©te
ift mit $Red)t oerlaffen. @o $roetfelIo§ e§ ©agen unb 9Jlärd)en gibt,
bie einfüge Sftrjtfjen oon ©öttetfämpfen unb bem QenfeitS beroa^tt
t)aben, fo untidjtig ift jenet ©atj in feinet $lflgemeinfyeit, au§ bem
fid) bann bie Folgerung ergab, baft man übetaH bie mntfjifdjen llr*
bilbet auffpüten unb beuten müffe, um it)ie oetfommenen Ableget
ju oerftefjen. 2Str tjaben otelmeljr etfannt, bafc ba§ ßeben unb
2öefen biefet ©ebilbe unoetgleid)lid) oiel teidjet ift. 93etfd)ieben oon
einanbet finb 9Jiotfju§, ©age, Sftätdjen an Utfptung unb Qxoed.
90h)tf)U§ ift primitioe ^ßr)Uofopt)te # einfadjfte anfcfjaulidje 3)enfform,
eine 9%eir)e oon 93erfudjen, bie Söeli ju oerfteEjen, ßeben unb 5£ob, ©d)icf=
fat unb SHatur, ©otter unb (Suite gu erflären. ©age ift ptimitioe ©e=
') 93gl. bie treffenben 5lu§fut)rungen con ©corg SBeicfer „$er Seelen*
»ogel* fieipjiö 1902.
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— 44 —
fd)id)te, naiv geftaltet in £af$ unb ßiebe, unbenwfjt umgeformt unb oer*
einfaßt. $a§ 2Rärd)en aber ift entftanben unb bient allein bem Unter*
haltungSbebürfniS. 5)eSf>alb ift eS frei oon Ort unb ,3eit, be§hal&
nimmt e§ auf, roa§ luftig bünft, unb läfet fort toa§ langroeilig ift,
r)ict fo, bort anberS, je nad) ©efd)maa\ (S§ ift nicf)t§ al§ *ßoefie, bie
Cluinteffeng aller «ß^antafiearbeit ber 2nenfd>heit. (SS ift n>ie ein
SBlumenftraufj in gelb unb SSiefe, 2öalb unb SBerg gefammelt unb
unbefümmert um bie #erfunft unb Statur ber eingelnen ^flangen nur
nad) ber Schönheit ber garbe unb $orm unb ©efdjmatf unb Saune
auSgelefen unb gufammengefafct. Qebe fajöne @efd)ia)te nimmt ba§
2Rära)en§ auf, gleichgültig ob fic au§ einem 9toturmrjtf)u§ entfprungen
ift ober au§ bem Seelenglauben, ob ein £elb fie einft erlebt hat ober
ob e§ nur bie tmnfdje SluSgeftaltung eines allgemein menfdjltdjen
SSerhältniffeS ift; unb fo, aB fd&öne ©efa)i<f)re, ihres UrfprungS unb
Sinne§ gang unbenmfjt, trägt e§ fie burtf) bie Söelt. @§ ift be§f)alb
öffentlich unrichtig, nrie e§ heute geflieht 1 ), bei einem SSoife eine
mrjtlufche SSorfteKung angunehmen, weil biefe in feinen flftärdjen ober
Sagen erfa)eint. 3>te§ Verfahren ptte nur bann einen (Schein oon
Berechtigung, roenn biefe SSorfteHung gang eingig baftel)t. Sonft unter*
liegt fie ftet§ unb mit föed)t bem SSerbadjte, ein toanbernbeS 2närd)en=
morio gu fein, baS nur ber Unterhaltung falber aufgenommen unb
ofme Kenntnis feines UrforungS unb SBefenS meitergegeben unb
irgenbtoo angeheftet ift.
2öie ba§ 9Jlärd)en aud) au§ (Sage unb ÜJtntl)u§ neben oielen
anbern Cluellen fa)öpft, fo haben aud) umgefefjrt 9Jlutf)u§ unb Sage
ben Üflärd>nfd)a$ benufct unb fid) mit feinen ßleinoben gefchmücft
9lud) 9Jlnthu§ unb (Sage ftrömen nid)t immer in getrennten Letten.
Qn biefen SSermifdmngen, biefem §in unb £er, biefem ©eben unb
9ter)men unb Pehmen unb ©eben liegt bie erfte grofce Sdmriertgfeit
ber gorfctjung. Sie al§ folcfje unb in ihrem ungeheuren Umfange
gu erfennen, ba§ ift bie erfte Aufgabe. 9h" ßöfung roirb baburd)
erfchmert, ba| ungählige dichter an 9Knthu§, Sage, SDlärchen gearbeitet
haben, inbem fie neue 9Jcotioe, neue S3erroicfelungen, neue ©eftalten
fchufen, audj urfrembe SBeftanbteile burdfj ihre Jhmft gu fcheinbaren
Einheiten gufammenfehtoeifeten, oft urfprünglich SöicfjtigeS guriief*
festen, 9cebenfäcf)liche§ in ben SBorbergrunb rücften, furg ben über--
fommenen Stoff frei aus* unb umgeftalteten. $)ie gorfd)ung mufc
bie fcfjönen ©eroebe ber 9ttothen unb Sagen auflöfen. Slblöfen
*) SJgl. SRabermad)«, 2>a3 SenfeüS im 9Jlntt)o§ ber §eHenen. Sonn 1903.
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mufj fic ben poetiftfjen (Sinfrfjlag, ablöfen bie .ßutaren bct ftooellen*
unb 9ttärtf)enmotiDe. $er fteft wirb in ben meiften fällen gering
fein: wenige Tanten unb einfaßte £anblung. 2lber je bütftiget
et fc^cint, befto watjrfdjeinlidjer ift Hilter unb (£cfjtr)eit, befto wert*
notier ift et at§ fefter Sauftein füt bie SBiffenfdjaft. Sie ßerne
bet 3Jh>tt)en unb ©agen müffen mit fua)en. ftabei bietet bie größten
$icnfte bie SJergleiajung bet 9Jlotf)en unb (Sagen mit einanbet unb
beibet mit ben aftäretjen. 9öie bie SBergleidjung bet ÜJlätdfjen ir)r
internationales SBefen fennen getetjtt l)at unb ir)re faleiboffopartige
3ufammenfefcung, fo lerjrt biefc weitere Söergleidmng bie ÜKättfjen*
güge unb poetifdjen 9TCotioe in ÜftntfwS unb ©age erfennen unb
bamit aud) einfeljen, bafj oiele SKotrjen unb ©agen bi§ 31t einem
gewiffen nid)t geringen ©rabe biefelbe faleiboffopartige ^ufammen*
fefcung geigen, nut meift fd)weter gu etfennen, weit bei ttjnen, gumat
bei ben ©agen, $itf)ter ftätfet eingegriffen l)aben. Anfänge bet
Arbeit in biefet Utrt finb bereits gemacht worben, abet e§ fa)eint
fict) mir bie ©efafjr geltenb gu madjen, ba& bet ©tnftufj be§ 2Jlätcf)en§
auf 2nnt^u§ unb ©age überfcfjätjt wirb. TOc^t bei 3?. o. ßeoen,
bet einzelne SJlätcfjenmotioe in ben <Sbbamt)tt)en nadjweift,
wofjl abet in Arbeiten wie *ßanger§ |)ilbe=@ubrun (£atte 1901) unb
©iefett§ ©iegftieb (Beilage g. Slügem. Leitung 1905, 9h. 32/33),
weil fie gang e 2ft ärdjeneinfjeiten in ©agen etfennen gu fönnen
glauben unb getabegu ba§ 9Rättt)en al§ £ern bet ©age befragten,
ba§ gut ©age nut butdj fefte tarnen unb eine angeflebte gefaxt*
licfje Erinnerung geworben fei. Söenn bie ©iegfriebfage nirfjtS al§
ba§ SNärcrjen 00m Hümmling unb bie #ilbe=®ubrunfage nut ba§
©olbenett)anne§*9Jlärd)en fein foll, fo fa>men mit gwifdjen biefen
beiben ©agen unb ben oerglitfjenen 2flärd)en faum weniger 23er*
fdjiebentjeiten al§ ©leiajrjeiten oorguliegen. Sludj rjier finb e§ vkU
met)rnur ei ng eine Üttortoe, bie bie ©agen au§ bem SDlärdfjenfdjafc
entlehnt Ijaben. $en urfprünglicfjen ©inn ber ©age fann ber 9toä>
roei§ oon SRärtfjenmotioen in it)r nidjt erfdjliejjen, weil fie nur al§
Mufpufc oerwanbt finb, felbft oon frember £etfunft. $ie SSölfer t)aben
it)re ©age ^aljrrjunberte lang gepflegt unb gerjegt unb fie gefdjmütft
mit allem, wa§ fie r)errlid) unb grofj, furdjtbat unb fdjtetflid), fdjön
unb Iieblid) bünfte ; fie ftagten ntdjt, wot)er bet ©djmutf fam, fie griffen
naa) jebem, bet fie anmutete, itjte ©age gu gieten, wie bet Jüngling
feinet ©eltebten 93lumen ber Heimat an ben SBufen rjeftet unb wa§ et
ettafft oon (Sbelfteinen be§ fernen DftenS unb perlen be§ ©übmeer§
in it)te lieben £änbe legt unb in bie buftenben $aate neftelt.
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5)eäf)alb bauern fie in üjttt (Ed)önf)ett biefe 05ebilbe bet (Sage
unb be§ 9Jlärcf)en§, in 5 G ^ r ^ un ^ c rtc langer Siebe gepflegt unb ge=
fdunücft, unb erfreuen 3ung unb 8Ut freute mie etnft unb alle Qu*
fünft. Unb felbft ber fjtorfdjer, ber int Streben naü) ©rfennrniS
fid) nirfjt um üjrc ©d)önt)eit fümmert, fief)t, roenn er mübe gearbeitet
burdj Scheiben unb ©djneiben au§tufjt unb aufb lieft unb niä)t gang
von aßen guten ©eiftern nerlaffen ift, bod) immer nod) nrieber mit
unfd)ulbigen Slugen auf ir)re tebenbige £errttd}teit unb freut fid), nrie
«inft als Äinb — ©ort gebe uym, mit feinen fönbern — an Sage
unb flftärdjen.
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